Physik: Teil 2 [Reprint 2020 ed.]
 9783110880373, 9783110138979

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Halliday / Resnick Physik Teil 2

David Halliday Robert Resnick

Physik Teil 2

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Streubel und Bernd Schaarschmidt

w DE

_G Walter de Gruyter . Berlin • New York 1994

Titel der Originalausgabe David Halliday/Robert Resnick Physics Third Edition, Part One and Part Two, Extended Version Copyright © by John Wiley & Sons, Inc., New York, New York, 1978, 1986 Kapitel 56 aus: David Halliday/Robert Resnick/Kenneth S. Krane Physics, Volume Two, Extended Version, Fourth Edition Copyright © by John Wiley & Sons, Inc., New York, New York, 1992 Autoren David Halliday Professor of Physics, University of Pittsburgh Robert Resnick Professor of Physics, Rensselaer Polytechnic Institute Deutschsprachige Ausgabe Joachim Streubel Professor an der Fachhochschule Bochum Bernd Schaarschmidt Professor an der Freien Universität Berlin Dieser Band enthält 680 Abbildungen und 45 Tabellen. © Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Halliday, David: Physik / David Halliday ; Robert Resnick. Aus dem Amerikan. übers, von Joachim Streubel und Bernd Schaarschmidt. - Berlin ; New York : de Gruyter. Einheitssacht.: Physics a fallen läßt? 18. Zwei Dipole mit den Dipolmomenten px und p2 werden übereinandergelegt. Wird das Dipolmoment der neuen Anordnung durch pt + p2 angegeben? 19. In Abb. 27.5 ist die auf die untere Ladung wirkende Kraft endlich und nach oben gerichtet. Die Dichte der Feldlinien an der Stelle dieser Punktladung deutet jedoch daraufhin, daß die Kraft dort unendlich groß sein müsse. Eine in ein Feld unendlich großer Feldstärke gebrachte Ladung sollte aber auch eine unendlich große Kraft erfahren. Wie löst sich der Widerspruch auf? 20. Ein elektrischer Dipol werde in ein inhomogenes elektrisches Feld gebracht. Wirkt auf den Dipol eine resultierende Kraft? 21. So wie in Abb. 27.15 a dargestellt ist, soll in ein äußeres homogenes elektrisches Feld ein Dipol gebracht und anschließend losgelassen werden. Man diskutiere die Bewegung des Dipols.

818

27 Das elektrische Feld

22. Ein elektrischer Dipol liege parallel zu den Feldlinien ausgerichtet in einem äußeren homogenen elektrischen Feld, (a) Ist sein Gleichgewicht stabil oder instabil? (b) Man diskutiere die Art des Gleichgewichts, wenn das Dipolmoment der Feldstärke entgegengerichtet ist.

Aufgaben Abschnitt 27.2 1. Wie groß ist eine Punktladung, die in einer Entfernung von 50 cm ein Feld mit einer Stärke von 2 N/C erzeugt? Antwort: 5 . 6 x l 0 - 1 1 C . 2. Welchen Betrag und welche Richtung hat die elektrische Feldstärke eines Feldes, das gerade dem Gewicht (a) eines Elektrons und (b) eines a-Teilchens die Waage halten kann? 3. Ein elektrisches Feld der durchschnittlichen Feldstärke 150 N/C ist abwärts in die Erdatmosphäre gerichtet. Es soll eine Schwefelkugel von 454 g Masse so aufgeladen werden, daß sie in diesem Feld schwebt, (a) Welche Ladung (Größe und Vorzeichen) ist dafür notwendig? (b) Warum ist ein solches Experiment nicht sehr sinnvoll? Antwort: (a) — 0.03 C; (b) die Kugel würde wegen der Coulombschen Abstoßungskräfte zerplatzen. 4. Zu irgendeinem Zeitpunkt seien die Geschwindigkeitskomponenten eines zwischen zwei geladenen Platten fliegenden Elektrons vx= 1.5 x 105 m/s und vy = 3 x 105 m/s; das elektrische Feld habe eine Stärke von 1.2 x 104 N/C und verlaufe längs der ^-Richtung, (a) Welche Beschleunigung erfahrt das Elektron? (b) Wie groß ist die Geschwindigkeit des Elektrons, nachdem es eine Strecke zurückgelegt hat, bei der sich die .»Koordinate um 2 cm veränderte? 5. Auf ein Teilchen der Ladung — 2 x 10" 9 C wirkt in einem homogenen elektrischen Feld eine abwärtsgerichtete Kraft von 3 x 10 " 6 N. (a) Wie groß ist die elektrische Feldstärke? (b) Welche Kraft (Richtung und Betrag) wirkt auf ein Proton in diesem Feld? (c) Wie groß ist die Gravitationskraft auf ein Proton? (d) In welchem Verhältnis stehen die auf das Proton wirkenden Kräfte (b) und (c)? Antwort: (a) 1 . 5 x l 0 3 N / C ; (b) 2 . 4 x l O " 1 6 N , aufwärts; (c) 1 . 6 x l 0 " 2 6 N ; (d) 1 . 5 x l 0 1 0 . 6. Zwischen zwei großen parallelen Platten befindet sich ein vertikales homogenes Feld. An einem Faden der Länge / hängend wird eine kleine leitende Kugel der Masse m in das Feld gehalten. Man bestimme die Schwingungsperiode dieses Pendels, wenn die Kugel eine Ladung von + Q trägt und die untere Platte (a) positiv bzw. (b) negativ aufgeladen ist. Abschnitt 27.3 7. Unter der Annahme, der Exponent r im Coulombschen Gesetz betrüge nicht 2, sondern n, zeige man, daß es f ü r n =t= 2 nicht möglich ist, Feldlinien zu zeichnen, die die in Abschn. 27.3 geforderten Bedingungen erfüllen. Der Einfachheit halber nehme man das Beispiel einer Punktladung. 8. Man skizziere qualitativ den Feldlinienverlauf um eine dünne gleichmäßig geladene Kreisscheibe vom Radius R. Hinweis: Als Grenzfälle betrachte man Punkte, die sehr nahe an der Oberfläche sind, und solche, die sehr weit entfernt von ihr sind. Man zeichne die Feldlinien nur in einer Schnittebene, in der die Achse liegt. 9. Man skizziere qualitativ die Feldlinien im Raum zwischen zwei konzentrischen leitenden Kugelschalen. Auf der inneren Schale liege die Ladung + Qu auf der äußeren — Q2. Man betrachte die Fälle Q1 > ß 2 , Qx = ß 2 , Q1 < ß 2 . 10. (a) Man skizziere qualitativ die Feldlinien in einer Ebene senkrecht zu drei langen parallelen Geraden, die die gleiche längenbezogene Ladung X (C/m) haben. Die Schnittpunkte der Geraden mit der Ebene bilden die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks, (b) Man diskutiere das Gleichgewicht einer Probeladung, die sich im Zentrum des Dreiecks befindet.

Aufgaben

819

11. Zu Abb. IIA. Man betrachte zwei benachbarte, aus der oberen Ladung entspringende Feldlinien, die mit der Verbindungslinie zwischen den Ladungen einen kleinen Winkel einschließen. Wenn die Tangenten an diese Feldlinien in Punkten nahe der Ladung einen Winkel von 6 bilden, so bilden sie für Punkte weit weg von der Ladung einen Winkel von 0/]/2. Man beweise und erläutere diese Behauptung. Hinweis: Man untersuche, wie sich die Feldlinien in der Nähe der Ladungen und weit weg von ihnen verhalten müssen. Abschnitt 27.4 12. Drei Ladungen seien in den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks angeordnet (Abb. 27.16). Welche Richtung hat die auf + q wirkende Kraft?

13. Zwei ungleichnamige Ladungen des Betrages 2 x 10" 7 C haben einen Abstand von 15 cm. (a) Welchen Betrag und welche Richtung hat die Feldstärke im Mittelpunkt der Verbindungslinie? (b) Welche Kraft (Betrag und Richtung) würde auf ein dort befindliches Elektron wirken? Antwort: (a) 6.4 x 105 N/C, zur negativen Ladung hin; (b) 1 x 10" 1 3 N, zur positiven Ladung hin. 14. Zwei Punktladungen von + 2 x 1 0 - 7 C und + 8.5 x 10" 8 C haben einen Abstand von 12 cm. (a) Welche Feldstärke erzeugen sie am Ort der jeweils anderen Ladung? (b) Welche Kraft wirkt auf jede der Ladungen? 15. Zwei unbekannte Punktladungen haben eine Entfernung d voneinander, (a) Unter welchen Bedingungen ist es möglich, einen Punkt mit der Feldstärke Null zu finden, der auf der Verbindungslinie der Ladungen liegt, aber nicht zwischen ihnen? Wo liegt dieser? (b) Ist es möglich, für eine Anordnung von zwei Punktladungen zwei Punkte zu finden (außer im Unendlichen), in denen die Feldstärke Null ist? Antwort: (a) Die Ladungen müssen ungleichnamig sein, und die näher gelegene Ladung muß kleiner sein als die entferntere, (b) Das ist nicht möglich. 16. (a) In welchen Punkten der Anordnung in Abb. 27.17 ist die Feldstärke Null? (b) Man skizziere qualitativ den Feldlinienverlauf. Es sei a = 50 cm. 17. Zwei Punktladungen Q 1 = + 1 x 10" 6 C u n d ß 2 = + 3 x 10" 6 C liegen in einem Abstand von d= 10 cm voneinander entfernt. (Abb. 27.18). Man zeichne E(x) für positive und negative x- Werte, wenn der Nullpunkt bei Q! liegt. E sei positiv, wenn die Feldstärke nach rechts weist, und negativ, wenn sie nach links weist.


a f ü r die Feldstärke im Punkt P gilt:

4ne0

r2

(b) Welche Richtung hat die Feldstärke? (c) Ist es plausibel, d a ß sich die Feldstärke mit r~2 ändert und nicht mit r~3 wie bei einem Dipol (Gl. 27.8b)? Antwort: (b) Rechtwinklig zur Dipolachse und von ihr weg. 20. M a n betrachte die Ladungsverteilung der Abb. 27.20. (a) M a n bestimme den Vektor der Feldstärke in den Punkten A, B und C. (b) M a n skizziere den Feldlinienverlauf.

Abb. 27.20 Zu Aufgabe 20 21. M a n bestimme den Betrag und die Richtung des Feldstärkevektors im Punkt P der A b b . 27.21. Antwort: E = Q/neQa2, längs der Mittelsenkrechten weg vom Dreieck.

+ +

+2 Q

"

+Q

Abb. 27.21 Zu Aufgabe 21

Abb. 27.22 Zu Aufgabe 22

22. Ein dünner Glasstab wird zu einem Halbkreis mit dem Radius R gebogen. Wie in A b b . 27.22 gezeigt, verteilt sich die Ladung + Q gleichmäßig auf die obere Hälfte des Halbkreises und die Ladung — Q gleichmäßig auf die untere Hälfte des Halbkreises. Wie groß ist die elektrische Feldstärke im Mittelpunkt P des Halbkreises?

Aufgaben

821

23. Ein dünner nichtleitender Stab der Länge l trage eine gleichmäßig verteilte Ladung Q (Abb. 27.23). Man zeige, daß die Feldstärke im Punkt P durch folgende Beziehung gegeben ist: ¡7 — Q

1 |/l 2 + 4y 2 ' P

y

r

a, die eine Ladung Qb trägt. Mit Hilfe des Gaußschen Gesetzes berechne man die elektrische Feldstärke für Punkte im Abstand r vom Mittelpunkt der konzentrischen Schalen, wenn (a) r < a, (b) a < r < b und (c) r > b. (d) Wie würde man vorgehen, um für jede Schale die Verteilung der Ladung auf der inneren und äußeren Oberfläche zu bestimmen?

850

28 Das Gaußsche Gesetz

17. Eine nichtleitende Kugel mit dem Radius a liegt konzentrisch in einer leitenden Kugelschale mit dem inneren Radius b und dem äußeren Radius c, vgl. Abb. 18.21. Auf der inneren Kugel befindet sich eine homogen verteilte Ladung + Q. Die äußere Kugelschale trägt eine Ladung — Q. Man bestimme E(r) in den Punkten (a) innerhalb der Kugel (r < a), (b) im Zwischenraum (a c). (e) Welche Ladungen liegen auf der inneren bzw. äußeren Oberfläche der Kugelschale? Antwort: (a) E = (Q/4ne0a3)r; (b) E = Q/4n£0r2; (c), (d) Null; (e) innen - Q und außen Null.

Abb. 28.21 Zu Aufgabe 17 18. Im Inneren eines unregelmäßig geformten Leiters befindet sich ein unregelmäßiger Hohlraum. Auf dem Leiter sitzt eine Ladung + Q, der Hohlraum ist ladungsfrei. Man zeige, daß (a) innerhalb des Hohlraums E = 0 ist und (b) sich auf der Oberfläche des Hohlraums keine Ladungen befinden. 19. Die innere von zwei konzentrischen leitenden Kugelschalen mit den Radien Rt = 14.5 cm und R2 = 20.7 cm trägt eine Ladung von — 6 x l O ~ 8 C . Ein Elektron verläßt die innere Schale mit einer verschwindend kleinen Anfangsgeschwindigkeit. Unter der Annahme eines Vakuums zwischen den beiden Kugelschalen bestimme man die Geschwindigkeit, mit der das Elektron auf die äußere Schale trifft. Antwort: 2 x 107 m/s. 20. Eine Kugelschale der Dicke a=-Ty>

Ist die Potentialverteilung eines Feldes bekannt, ist also (p (x, y, z) gegeben, so können aus den partiellen Ableitungen der Potentialfunktion die Komponenten der Feldstärke in jedem Punkt gewonnen werden. (Die partielle Ableitung d r>rx r = r1 überein?

46.

47.

48.

49.

50.

891

und (c) r < r,. (d) Stimmen die Ausdrücke für r = r2 und

Antwort: («) JL(Ä^±>; (c) M r \ - r?); (d) ja. (b) 3e0 r 3e0\ 2 rj 2e 0 Zwei Metallkugeln mit dem Radius 3 cm tragen die homogen verteilte Ladung + l x l O _ 8 C bzw. — 3 x 10~ 8 C. Die Mittelpunkte der Kugeln haben einen Abstand von 2 m. Man bestimme (a) das Potential des Punktes in der Mitte zwischen den Kugeln und (b) das Potential jeder Kugel. Zwei identische leitende Kugeln mit dem Radius r = 0.15 m haben einen Abstand von a = 10 m. Welche Ladung trägt jede der beiden Kugeln, wenn das Potential der einen + 1500 V und das der anderen — 1500 V beträgt? Antwort: ±2.5xlO~8C. Zwei leitende, sehr weit voneinander entfernte Kugeln mit den Radien 6 cm bzw. 12 cm tragen jeweils eine Ladung von 3 x 1 0 " 8 C. Die Kugeln werden durch einen Draht verbunden. Man bestimme (a) die Bewegungsrichtung und den Betrag der überfließenden Ladung und (b) die resultierende Ladung und das resultierende Potential jeder Kugel. Es seien in Abb. 29.19 Rt = 1 cm und R2 = 2 cm. Vor der Verbindung trug die kleine Kugel eine Ladung von 2 x 10" 7 C und die große Kugel keine Ladung. Man berechne (a) die Ladung, (b) die Flächenladungsdichte auf der Oberfläche und (c) das Potential jeder Kugel, nachdem sie elektrisch leitend verbunden wurden. Antwort: (a) Qi = 0.67 x 10" 7 C, ß 2 = 1.33 x 10" 7 C; (b) R von der Kugel ist die elektrische Feldstärke nach Gl. 27.4 gegeben: E =

1 ß 4tie0 r2'

Nach Gl. 30.9 ergibt sich die Energiedichte w zu 2 W = 37«n 0 E = —ßk

32ti e 0 r

r.

Für die in einer Kugelschale zwischen den Radien r und r + dr enthaltene Energie erhalten wir d E = (4nr)drw

=

ß 2 dr 8ti80

r2'

wobei (4nr2)dr das Volumen dieser Kugelschale darstellt. Durch Integration erhält man die gesamte Energie Ep: d Ep

'dr 8jt£n

8KS0R

Diese Beziehung ergibt sich auch direkt aus Gl. 30.7, wobei C = 4ne0R (vgl. Beispiel 3) die Kapazität einer isoliert aufgestellten Kugel mit dem Radius R ist. (b) Wie groß ist der Radius R0 einer Kugelschale, die die Hälfte der Gesamtenergie Ep enthält? Mit dem Ergebnis aus (a) erhält man für die halbe Energie EJ2 2 p = 8jts 0>

''"«dr

bzw. ß2 167t e0R

R,

30.4 Kondensator mit Dielektrikum

903

woraus nach Umordnung folgt R0 = 2 R. Das heißt, der größte Teil der Energie des elektrischen Feldes einer geladenen Kugel ist im Raum in Kugelnähe gespeichert.

30.4 Kondensator mit Dielektrikum Wir hatten festgestellt, daß Gl. 30.4 nur für einen Plattenkondensator im Vakuum gilt. Bereits im Jahre 1837 untersuchte Michael Faraday den Einfluß v o n Materie {Dielektrikum) im R a u m zwischen den Platten eines Kondensators. Tab. 30.1 zeigt einige heute als Dielektrika verwendete Stoffe. Faraday schrieb damals: „Es erhebt sich folgende Frage: Angenommen, es befände sich parallel zu jeder Seite einer Metallplatte A je eine weitere gleiche Platte B und Cim gleichen Abstand und isoliert von A. Die Platte A würde die Platten B und C gleich stark influenzieren (d. h. gleiche Ladungen würden auf jeder Platte auftreten). Wird die Influenz die gleiche sein, wenn man statt Luft ein anderes Dielektrikum, z. B. Schellack, zwischen die Platten A und C bringt? Wird das Verhalten von C und B unverändert sein, obwohl sich verschiedene Dielektrika zwischen ihnen befinden?" Faraday beantwortete diese Frage, indem er zwei identische Kondensatoren baute u n d Tabelle 30.1

Dielektrische Eigesnchaften einiger Stoffe*

Material

Permittivitätszahl

Vakuum Luft Wasser Papier Rubinglimmer Porzellan Quarzglas Hartglas (Pyrex) Bakelit Polyethylen Bernstein Polystyrol Teflon Neopren Transformatorenöl Titandioxid T i 0 2

1 1.00054 81 3.5 5.4 6.5 3.8 4.5 4.8 2.3 2.7 2.6 2.1 6.9 4.5 100

Dielektrische Festigkeit** in kV/mm 00 0.8 -

14 160 4 8 13 12 50 90 25 60 12 12 6

* Bei Raumtemperatur ** Die dielektrische Festigkeit oder Durchschlagsfestigkeit gibt diejenige Feldstärke an, bei der noch kein elektrischer Durchschlag stattfindet

904

30 Kondensator und Dielektrikum

zwischen die Platten des einen ein Dielektrikum brachte, während sich zwischen den Platten des anderen Luft befand. Nachdem er beide Kondensatoren auf die gleiche Spannung aufgeladen hatte, bestimmte er die Ladungen auf ihnen und fand, daß die Ladung auf dem Kondensator mit Dielektrikum größer war als die auf dem anderen (Abb. 30.7 a). Wenn bei gleicher Spannung U die Ladung Q auf dem Kondensator mit Dielektrikum größer ist, folgt nach C = Q/U, daß auch die Kapazität C des Kondensators mit Dielektrikum größer sein muß. Das Verhältnis der Kapazität eines Kondensators mit Dielektrikum (der Zwischenraum muß lückenlos ausgefüllt sein) zu seiner Kapazität ohne das Dielektrikum wird Permittivitätszahl oder Dielektrizitätszahl er genannt (Index r für relative Permittivität). Sie beträgt 1 für Vakuum und ist größer als 1 für alle anderen Medien (Dielektrika). Man vergleiche hierzu Tab. 30.1. Wenn man andererseits auf beide Kondensatoren die gleiche Ladung Q aufbringt (Abb. 30.7 b), ergibt sich auf dem Kondensator mit Dielektrikum eine kleinere Spannung Ud als auf dem anderen Kondensator ohne Dielektrikum. Für das Verhältnis beider Spannungen erhält man

Für die Kapazität C eines Plattenkondensators ergibt sich dann folgende Beziehung: C=

(30.10)

d

Die Gl. 30.4 war nur ein Spezialfall der Gl. 30.10 mit er = 1, d. h. für einen Kondensator im Vakuum. (Das Produkt ere0 wird oft mit e abgekürzt und heißt Permittivität oder Dielektrizitätskonstante.) Aus weiteren Experimenten weiß man, daß sich die Kapazität jeglicher Art von Kondensatoren bei Anwesenheit eines Dielektrikums um den Faktor er erhöht. Danach gilt also folgende allgemeine Beziehung: C = srs0L, in der L alle geometrischen Größen des Kondensators umfaßt. Die Dimension von L ist die einer Länge. Bei einem Plattenkondensator (Gl. 30.4) ist L = A/d, bei einem Zylinderkondensator (Beispiel 2) ist L = 2nl/ln(b/a).

(b) Abb. 30.7 (a) Eine Batterie B versorgt zwei Kondensatoren mit der gleichen Spannung. Der rechte Kondensator mit Dielektrikum trägt eine höhere Ladung als der linke Kondensator, (b) Beide Kondensatoren tragen die gleiche Ladung, über dem rechten Kondensator liegt jedoch eine geringere Spannung als über dem linken.

30.5 Das Dielektrikum - eine mikroskopische Erklärung

905

Beispiel 8 Ein Kondensator bestehe aus zwei parallelen Platten der Flächen A im Abstand d voneinander. Mit einer Batterie wird der Kondensator auf eine Potentialdifferenz U0 aufgeladen. Zwischen die Platten wird eine dielektrische Schicht der Dicke d geschoben. Welche elektrische Energie enthielt der Kondensator ohne Dielektrikum, und welche enthält er mit Dielektrikum? Vorher war der Energieinhalt des Feldes des Kondensators £p,o = i CqUQ.

Mit Dielektrikum ergibt sich wegen C = srC0

und

U = U0/er

eine Energie von

Mit einem Dielektrikum erniedrigt sich also die gespeicherte Energie um den Faktor l/e r . Den Differenzbetrag kann der Experimentator beim Hineinschieben des Dielektrikums wahrnehmen. Er spürt einen Zug und muß eine zurückhaltende Kraft ausüben. Das System Dielektrikum + Kondensator verrichtet eine positive Arbeit an dem Experimentator; sie beträgt

Im Fall er = 1 ergibt sich wie erwartet tatsächlich W = 0. Im folgenden Abschn. 30.5 werden wir auf die Ursachen dieser Erscheinung näher eingehen. Man erklärt sie durch die Anziehung zwischen den „freien" Ladungen auf den Kondensatorplatten und den „influenzierten" Ladungen auf dem Dielektrikum.

Man kann für einen Plattenkondensator mit Dielektrikum die Energiedichte nach Gl. 30.8, w = \CU2, auch direkt bestimmen. Es ist:

Da E = U/d gilt, ergibt sich sofort w = I !;0e,rE2. Wie schon im Zusammenhang mit Gl. 30.9 erwähnt, gilt diese Beziehung für alle Arten von Kondensatoren.

30.5 Das Dielektrikum - eine mikroskopische Erklärung Wir wollen versuchen, die Vorgänge in einem Dielektrikum zu erklären, wenn dieses einem äußeren Feld ausgesetzt wird. Es gibt zwei Arten von Dielektrika. Bei der einen Art, z.B. Wasser (Abb. 29.11), haben die Moleküle ein permanentes Dipolmoment. In

906

30 Kondensator und Dielektrikum

(a)

(b)

Abb. 30.8 (a) Moleküle mit permanenten elektrischen Dipolmomenten haben eine zufällige Richtungsverteilung. (b) Unter dem Einfluß eines äußeren elektrischen Feldes richten sich die Dipole teilweise aus. Die thermische Bewegung der Moleküle verhindert eine vollkommene Ausrichtung.

diesen polaren Materialien versuchen sich die Dipolmomente in einem äußeren elektrischen Feld auszurichten, so wie in Abb. 30.8 b gezeigt (Orientierungspolarisation), vergleiche hierzu auch Abschn. 27.6. Da sich die Moleküle in einer dauernden thermischen Bewegung befinden, wird die Ausrichtung im Feld nicht vollständig sein, sie nimmt jedoch mit zunehmender Stärke des Feldes und mit abnehmender Temperatur immer mehr zu. In Abschn. 29.5 haben wir gelernt, daß in einem Atom oder Molekül negative und positive Ladungen durch ein äußeres elektrisches Feld verschoben werden. Ein solches induziertes Dipolmoment wird nur in einem elektrischen Feld manifest und verschwindet wieder, wenn das äußere Feld verschwindet (Verschiebungspolarisation). Dieses Moment ist der elektrischen Feldstärke proportional und wird immer derart erzeugt, daß es zu dem Feld ausgerichtet ist (Abb. 29.12). Mit Hilfe eines Plattenkondensators der Ladung Q (Abb. 30.7 b) wollen wir ein homogenes äußeres elektrisches Feld der Stärke E0 erzeugen und ein Dielektrikum in dieses Feld bringen. Das Ergebnis von Dipolinduktion und Dipolausrichtung besteht darin, daß im gesamten Dielektrikum die Schwerpunkte von positiver Ladung und negativer Ladung getrennt werden, das heißt, es wird polarisiert (Abb. 30.9 b). Insgesamt gesehen bleibt das Dielektrikum natürlich elektrisch neutral. Im Inneren des Dielektrikums heben sich die Wirkungen der Dipole auf, aber an den Seitenflächen bleibt ein Überschuß von positiven Ladungen (rechts im Bild) bzw. negativen Ladungen (links im Bild) übrig. Eine zusätzliche Ladung von außen ist nicht hinzugekommen. Daher muß der Betrag der positiven influenzierten Flächenladung genauso groß sein wie der der negativen influenzierten Flächenladung. Man muß sich vergegenwärtigen, daß bei diesen Vorgängen im Dielektrikum die Elektronen aus ihrer Gleichgewichtslage nur um Strecken verschoben werden, die klein gegenüber einem Atomdurchmesser sind. Es

30.5 Das Dielektrikum - eine mikroskopische Erklärung . _

+

+

• J

+

+ + t + + + _ + •

+

907

+

-

+ _ • +

r - +- +

-

+ -

+ +

E0» 0 (a) Abb. 30.9 (a) In einer dielektrischen Schicht sind die positiven und die negativen Ladungen willkürlich verteilt, (b) Unter der Wirkung eines äußeren elektrischen Feldes E 0 werden die positiven und negativen Ladungen gegeneinander verschoben. Es treten Oberflächenladungen auf. Ein Volumenelement im Inneren des Dielektrikums trägt keine Nettoladung, (c) Die influenzierten Oberflächenladungen erzeugen ihrerseits ein elektrisches Feld E' im Inneren der Schicht, welches dem äußeren Feld entgegengerichtet ist. Im Inneren des Dielektrikums herrscht daher ein resultierendes Feld E = E 0 + E', das kleiner als E n ist.

finden also keine Ladungsverschiebungen über makroskopische Distanzen statt, wie es etwa bei einem elektrischen Strom in einem Leiter der Fall ist. Abb. 30.9 c verdeutlicht, daß die Flächenladungen immer so influenziert werden, daß ein durch sie entstehendes Feld (£") dem äußeren elektrischen Feld E0 entgegengerichtet ist. Das resultierende Feld im Dielektrikum setzt sich vektoriell aus diesen beiden Feldern zusammen. Es weist in die Richtung des äußeren Feldes, ist jedoch schwächer als dieses. Wird ein Dielektrikum einem elektrischen Feld ausgesetzt, so versuchen die influenzierten Flächenladungen, das äußere Feld innerhalb des Dielektrikums abzuschwächen. Diese Abschwächung macht sich im Kondensator (Abb. 30.7 b) durch eine niedrigere Spannung bemerkbar. Die Beziehung U = Ed (Gl. 30.3) bleibt aber gültig, unabhängig von der Art des Dielektrikums, da die Änderung der Spannung (Abb. 30.7 b) direkt mit der Änderung der elektrischen Feldstärke (Abb. 30.9) verknüpft ist. Ein Vergleich ergibt die Beziehung

T - 7 Ü —

(30 11,



wobei die Symbole E0 und Eder Abb. 30.9 und die Symbole U0 und Ud der Abb. 30.7b entsprechen. (Anmerkung: Die Gl. 30.11 gilt nur für den Fall, daß die Batterie nach dem Aufladen eines Kondensators mit Dielektrikum wieder entfernt wurde. Im anderen Fall ändern sich U und auch E nicht, nur die Ladung erhöht sich um den Faktor £r, wie Abb. 30.7 a zeigt.) Influenzierte Oberflächenladungen sind auch die Ursache für die meisten elektrostatischen Erscheinungen, z. B. dafür, daß ein geladener Stab kleine Papierschnitzel anzieht (Abb. 30.10). Auf den Papierstückchen werden Flächenladungen influenziert, so daß sich auf der dem Stab zugewandten Seite negative Ladungen ansammeln (anziehende Wirkung) und auf der dem Stab abgewandten Seite positive Ladungen (abstoßende Wirkung). Da die negative Seite des Papiers dem Stab näher liegt, überwiegen aber die

908

30 Kondensator und Dielektrikum

Abb. 30.10 Ein geladener Stab zieht ein ungeladenes Stückchen Papier an, weil auf die influenzierten Oberflächenladungen des Papiers verschieden starke Kräfte wirken.

Anziehungskräfte. Ein dielektrischer Körper würde in einem homogenen Feld keine resultierende Kraft erfahren. In Beispiel 8 haben wir darauf hingewiesen, daß auf eine in einen geladenen Kondensator gebrachte dielektrische Schicht eine Kraft ausgeübt wird. Diese Kraft rührt von der elektrostatischen Anziehung der Ladungen ± Q der Kondensatorplatten und der influenzierten Flächenladungen + Q' in dem Dielektrikum her. Wenn sich die dielektrische Schicht nur teilweise in dem Kondensator befindet, sind weder Q noch Q' homogen verteilt. Man überlege sich, wie die Verteilung aussieht, wenn die Schicht zum Beispiel nur zur Hälfte in den Zwischenraum des Kondensators hineingeschoben wird.

30.6 Das Gaußsche Gesetz für ein Dielektrikum Bislang haben wir das Gaußsche Gesetz immer nur auf Kondensatoren ohne Dielektrikum angewendet. Nunmehr wollen wir einen Kondensator betrachten, zwischen dessen Platten sich ein Dielektrikum mit der Permittivitätszahl er befindet. In Abb. 30.11 ist ein solcher Kondensator einmal ohne und einmal mit Dielektrikum gezeigt. In beiden Fällen soll er eine Ladung Q tragen. Entsprechend der Abb. 30.2 sind auch hier wieder Gaußsche Flächen durch gestrichelte Linien dargestellt. Im Fall der Abb. 30.11a (ohne Dielektrikum) lautet das Gaußsche Gesetz nach Gl. 30.2

woraus folgt, daß (30.12) Im Fall der Abb. 30.11 b (mit Dielektrikum) lautet das Gaußsche Gesetz

und damit gilt für die Feldstärke e =

Q _ _

ß

also auf Gl. 31.9. Die makroskopischen Größen U, I und R sind dann wichtig, wenn man Messungen an realen Leitern vornehmen will. An den Meßinstrumenten liest man die Werte der makroskopischen Größen ab. Die mikroskopischen Größen sind bei der Untersuchung der grundsätzlichen Eigenschaften der Materie wichtig, also z.B. in der Festkörperphysik. In Abschn. 31.4 werden wir uns aus mikroskopischer Sicht mit dem spezifischen Widerstand von Metallen befassen und nicht mit dem Widerstand irgendeines Metallstückes. Auch wenn man sich mit unregelmäßig geformten Leitern befaßt, kann man auf eine mikroskopische Betrachtungsweise nicht verzichten.

Beispiel 3 Ein Quader aus Kohlenstoff hat die Maße 1 cm x 1 cm x 50 cm. Welchen Widerstand mißt man (a) zwischen den beiden quadratischen Stirnflächen und (b) zwischen zwei sich gegenüberliegenden rechteckigen Seitenflächen? Der spezifische Widerstand für Kohle beträgt 3.5 x 10 ~ 5 fl m bei 20 °C (siehe Tab. 31.1). (a) Die Fläche der Quadrate beträgt 1 cm 2 oder 1 0 " 4 m 2 . Nach Gl. 31.9 ergibt sich für den Widerstand / (3.5 x 10" 5 Q m)(0.50 m) K = o— = ————;—, = O.lö 12. A 1.0 x 10 m (b) Die rechteckigen Seitenflächen haben eine Größe von 50 cm 2 oder 5 x 10" 3 m 2 . Nach Gl. 31.9 erhält man für den Widerstand ^

/ A

(3.5xl0-5Qm)(10-2m) 5.0 x 10 m 2

Q_5n

Wie man sieht, kann ein vorgegebener Leiter verschiedene Widerstandswerte haben, je nachdem zwischen welchen Punkten man eine Spannung anlegt. Im vorliegenden Fall beträgt das Verhältnis der Widerstände immerhin 2600. Bei der Berechnung haben wir vorausgesetzt, daß es sich bei den ausgewählten Flächen um Äquipotentialflächen handelt. Nur unter dieser Voraussetzung kann Gl. 31.9 angewendet werden.

In Abb. 31.2 ist die Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstandes von Kupfer aufgetragen (durchgezogene Linie). Für die Praxis ist es nützlich, wenn man diese Abhängigkeit auch in analytischer Form angeben kann. Für einen begrenzten Temperaturbereich, z.B. zwischen 0°C und 500 °C, kann man diese Abhängigkeit durch eine Gerade annähern (gestrichelte Linie). Hierzu

934

31 Strom und Widerstand

wählen wir in der Abbildung den Punkt ( T 0 , Q0) als Bezugspunkt, wobei To = 0°C und Q0 = 1.56x 10" 8 f i m sind. Man kann den spezifischen Widerstand bei irgendeiner anderen Temperatur Taus der empirisch gefundenen Näherungsgeraden (gestrichelte Linie) bestimmen; diese hat die Gleichung e = e0[i + s ( r - r0)].

(31.10)

Nach dieser Gleichung geht für T-> T0 tatsächlich Q in Q0 über. Löst man diese Gleichung nach ä auf, so erhält man

ßo T~

T

o

Beim Vergleich mit Gl. 31.7 sieht man, daß ä nur den mittleren Temperaturkoeffizienten des spezifischen Widerstands für einen Bereich zwischen zwei ausgewählten Temperaturen T und T0 darstellt; a ist hingegen der Temperaturkoeffizient bei einer bestimmten Temperatur. Für die meisten praktischen Belange jedoch gibt Gl. 31.10 befriedigende Resultate. Die in Abb. 31.2 gezeigte (durchgezogene) experimentell ermittelte Kurve geht nicht genau durch den Nullpunkt, auch wenn es in der Abbildung so aussieht. Am absoluten Nullpunkt verbleibt ein spezifischer Widerstand von 2 x 10 " 1 m. Bei manchen Materialien wird der spezifische Widerstand jedoch bei sehr niedrigen Temperaturen tatsächlich Null. In Abb. 31.3 ist der Verlauf des spezifischen Widerstands von Quecksilber bei Temperaturen unterhalb 6 K (Sprungtemperatur) angegeben. Innerhalb eines Temperaturbereiches von nur 0.05 K fällt der Widerstand abrupt auf einen unmeßbar kleinen Wert. Dieses Phänomen wird Supraleitung genannt. Es wurde

Abb. 31.2 Der spezifische Widerstand von Kupfer als Funktion der Temperatur. Die gestrichelte helle Linie rechts oben und links unten ist eine extrapolierte Kurve, die aus dem Teil zwischen den beiden durch O gekennzeichneten Punkten gewonnen wurde. Der Punkt (T 0 , Q0) dient als Bezugspunkt.

31.3 Das Ohmsche Gesetz

935

0.16

ÄIÄI: °

0.08

0

^mm 0

2

TK

k - i

" 4

6

Abb. 31.3 Der spezifische Widerstand von Quecksilber fällt unterhalb von 4 K auf Null ab.

von dem Holländer Kamerlingh-Onnes im Jahre 1911 entdeckt. Im supraleitenden Z u s t a n d scheint der Widerstand von Materialien tatsächlich zu verschwinden; elektrische Ströme in geschlossenen supraleitenden Leiterkreisen nehmen über Wochen nicht an Stromstärke ab, obwohl keine S p a n n u n g angelegt ist. Wird die Temperatur jedoch n u r ein wenig über die Sprungtemperatur erhöht oder wird ein starkes Magnetfeld angelegt, so fallt die Stromstärke sofort auf Null ab*.

31.3 Das Ohmsche Gesetz An die Enden eines Kupferleiters werde eine veränderliche Spannung U gelegt. Für jede einzelne angelegte Spannung werde die Stromstärke I gemessen und wie in Abb. 31.4 angegeben aufgetragen. Man erhält eine lineare Abhängigkeit der Stromstärke von der Spannung. Das bedeutet, daß der Widerstand des Leiters für unterschiedliche Spannungen konstant bleibt. Dieses Ergebnis erhält man für alle Metalle, es wird das Ohmsche Gesetz genannt. Wir setzten bei unserer Messung eine konstante Temperatur im Leiter voraus. Es gibt viele andere leitende Materialien bzw. Leiterkreise, die diesem Gesetz nicht folgen. In Abb. 31.5 ist die Strom-Spannungs-Kennlinie für eine Elektronenröhre angegeben. Man erhält für diesen Leiter keinen konstanten Wert des Widerstandes, denn dieser hängt offenbar von der angelegten Spannung ab. Außerdem (in der Abbildung nicht gezeigt) fließt in diesem Leiter bei Umpolung der Spannung fast kein Strom mehr. Bei metallischen Leitern hingegen dreht sich bei einer Umpolung der angelegten Spannung immer auch die Richtung des Stromes um, während die Stromstärke gleich bleibt, also dem Betrag der angelegten Spannung proportional ist. Leiter, die nicht dem Ohmschen Gesetz gehorchen, nennt man nichtlineare Widerstände. In Abb. 31.6 ist das U,/-Diagramm eines nichtohmschen Leiters, eines Thermistors, gezeigt. Es handelt sich hierbei um einen Halbleiter (Abschn. 26.3) mit einem großen negativen Temperaturkoeffizienten. Im rechten Teil der Abbildung, z. B. bei 30 V, erkennt man, daß bei derselben Spannung zwei verschieden große Ströme fließen können. Thermistoren werden häufig zur Messung des Energieflusses von Mikrowellen benutzt. * Inzwischen sind keramische Materialien entwickelt worden, bei denen die Sprungtemperatur bis auf 130 K = — 143 °C heraufgesetzt (warme Supraleiter) ist. Vergleiche hierzu den Nobelpreis für Physik 1987 im Anhang K.

936

31 Strom und Widerstand

Abb. 31.4 Der Strom in einem Kupferleiter als Funktion der angelegten Spannung. Dieser Leiter gehorcht dem Ohmschen Gesetz.

Abb. 31.5 Strom-Spannungs-Kennlinie einer 2A3-Elektronenröhre. Diese Röhre gehorcht nicht dem Ohmschen Gesetz.

Die einfallenden Mikrowellen erwärmen den Thermistor, und schon kleine Temperaturänderungen führen zu einer großen Änderung des Widerstandes. Sehr viele Anwendungsmöglichkeiten der modernen Elektronik beruhen darauf, daß das Ohmsche Gesetz für manche Leiter, z. B. für Transistoren und Röhren, nicht gilt. Wir stellen ausdrücklich fest, daß die Aussage des Ohmschen Gesetzes nicht die Beziehung U = IR ist. Für einen Leiter gilt das Ohmsche Gesetz nur dann, wenn die Spannung linear vom Strom abhängt, d. h. wenn der Widerstand R von der Spannung und von der Stromstärke unabhängig ist. R = £/// ist die allgemeine Definition für den Widerstand eines Leiters, ob dieser das Ohmsche Gesetz befolgt oder nicht. Bei Verwendung von mikroskopischen Größen ergibt sich die zu der Beziehung U = IR äquivalente Gl. 31.8a, E =jg. Ein leitender Stoff verhält sich nach dem Ohm-

31.3 Das Ohmsche Gesetz

937

UIV Abb. 31.6 Strom-Spannungs-Kennlinie eines Thermistors. Dieser Leiter gehorcht nicht dem Ohmschen Gesetz. Die Form der Kennlinie wird durch den stark negativen Temperaturkoeffizienten des spezifischen Widerstandes des Materials bestimmt.

sehen Gesetz, wenn es für E eine lineare Abhängigkeit von j gibt, d. h. wenn der spezifische Widerstand von E und von j unabhängig ist. Das Ohmsche Gesetz gibt nur eine besondere Eigenschaft mancher Materialien wieder, es stellt kein allgemeines Gesetz des Elektromagnetismus dar, wie etwa das Gaußsche Gesetz. Es besteht eine enge Analogie zwischen einer aufgrund einer Potentialdifferenz fließenden Ladung und einer aufgrund eines Temperaturgradienten fließenden Wärmemenge. Wir stellen uns eine dünne elektrisch leitende Scheibe der Dicke Ax und der Fläche A vor. Zwischen den beiden Flächen werde eine Potentialdifferenz AU aufrechterhalten. Nach Gl. 31.6 und Gl. 31.9 erhält man für den Strom I_U*-Ub_(U>-

R

UM qI

(U* - UM QAX

Im Grenzfall wird daraus:

q dQ

ax dU

Da eine positive Ladung in Richtung abnehmenden Potentials fließt, haben wir in Gl. 31.11 ein Minuszeichen eingefügt; das bedeutet, dQ/dt ist positiv, wenn dU/dx negativ ist. Aus Abschn. 22.4 kennen wir die Gleichung für einen Wärmestrom:

dt

dx

938

31 Strom und Widerstand

woraus wir sofort entnehmen, daß die thermische Leitfähigkeit k der elektrischen Leitfähigkeit a entspricht und der Temperaturgradient dTjdx dem Potentialgradienten dU/dx. Für Metalle gibt es tatsächlich einen engen Zusammenhang zwischen diesen beiden Leitfähigkeiten, denn sowohl Wärme als auch Ladungen werden von den frei beweglichen Elektronen transportiert. Ein Metall von guter elektrischer Leitfähigkeit besitzt immer auch eine gute thermische Leitfähigkeit.

31.4 Eine mikroskopische Deutung des Ohmschen Gesetzes Wie oben erwähnt, stellt das Ohmsche Gesetz kein fundamentales Gesetz der Elektrodynamik dar, denn seine Gültigkeit hängt von den materiellen Eigenschaften eines Körpers ab. Das Gesetz ist sehr einfach und es überrascht, daß es für so viele Leiter gilt, für andere aber überhaupt nicht (Abb. 31.4, 31.5, 31.6). Wir wollen untersuchen, warum sich Metalle nach dem Ohmschen Gesetz verhalten. Hierzu benutzen wir es in der Form E = Qj. In Metallen sind die Leitungselektronen (Valenzelektronen) nicht an einzelne Atome gebunden, sondern sie können sich frei im Kristallgitter bewegen. Bei Kupfer gibt es ein Leitungselektron pro Atom, die anderen 28 Elektronen bleiben fest gebunden und bilden mit dem Kern ein Ion. Die Geschwindigkeitsverteilungen von Leitungselektronen lassen sich exakt nur mit Hilfe der Quantenphysik beschreiben. Trotzdem kann man auch mit dem klassischen Modell freier Elektronen (Elektronengas) einige Einsichten gewinnen. Es genügt, eine geeignet definierte mittlere Geschwindigkeit v zu betrachten. Diese beträgt zum Beispiel für Kupferelektronen 1.6 x 108 cm/s. In Abwesenheit eines elektrischen Feldes sind die Bewegungsrichtungen der Leitungselektronen zufallig verteilt, so wie die von Gasmolekülen in einem Behälter. Wenn nun die Elektronen dauernd auf die im Gitter feststehenden Ionen prallen, erleiden sie jedesmal große Änderungen ihrer Geschwindigkeit nach Betrag und Richtung. Wie bei Gasmolekülen in einem Behälter kann man die Zusammenstöße von Leitungselektronen mit dem Gitter durch eine mittlere freie Weglänge Tbeschreiben. Diese stellt den mittleren Weg dar, den das Elektron zwischen zwei aufeinanderfolgenden Stößen zurücklegt. Zusammenstöße zwischen Elektronen sind sehr selten und tragen fast nicht zum spezifischen Widerstand bei. In einem idealen Metall finden bei 0 K keine Zusammenstöße zwischen Elektronen und Gitter statt, entsprechend der Aussage der Quantenphysik, daß mit T 0 K bei idealen Kristallen l oo geht. In realen Kristallen finden Zusammenstöße statt, weil (a) die Atome (Ionen) bei Temperaturen über 0 K regellos um ihre Gleichgewichtslage schwingen, (b) Verunreinigungen, also Fremdatome, vorhanden sind und (c) die Kristallstruktur wegen fehlender oder falsch angeordneter Atome nicht vollständig ausgebildet ist. Unter diesen Gesichtspunkten ist es nicht verwunderlich, daß sich der spezifische Widerstand von Metallen durch Temperaturerhöhung, Zugabe von Fremdatomen oder starke Streckung und Verzerrung erhöht.

Wird an ein Metall ein äußeres elektrisches Feld gelegt, so ändern die Elektronen ihre Zufallsbewegungen, und sie driften entgegen der Feldrichtung mit konstanter Geschwindigkeit vdT durch den Leiter. Nach Beispiel 2 ist die Driftgeschwindigkeit sehr viel langsamer (um den Faktor 10 10 ) als die mittlere Geschwindigkeit v der Zufallsbewegungen. Die Abb. 31.7 soll dies verdeutlichen. Die durchgezogenen dunklen Linien stellen die Bahn der Zufallsbewegung in Abwesenheit eines elektrischen Feldes dar. Auf dem

31.4 Eine mikroskopische Deutung des Ohmschen Gesetzes

939

Abb. 31.7 Zufallsbewegung eines Elektrons in einem Leiter von x nach y über sechs Zusammenstöße (durchgezogene Linie). Unter der Wirkung eines elektrischen Feldes E erfahrt das Elektron eine ständige Drift in Richtung von — E (gestrichelte Linie).

Weg von x nach y erfahrt das Elektron sechs Zusammenstöße. Die weißen gestrichelten Linien zeigen die Bahn des Elektrons in Anwesenheit eines elektrischen Feldes. Beim Zurücklegen jedes Teilweges wird das Elektron unter der Wirkung des elektrischen Feldes ein wenig nach rechts (gegen die Feldrichtung) verschoben, so daß es nach sechs Zusammenstößen nicht mehr bei y, sondern weiter rechts bei / landet. In Abb. 31.7 wurde eine Driftgeschwindigkeit von vAt = 0.02ü angenommen; tatsächlich ist vdI um den Faktor 10" 1 0 kleiner als v, wie oben erwähnt wurde. Die Driftgeschwindigkeit vdt kann man durch die Größen E, v und / ausdrücken. Das äußere elektrische Feld übt auf ein Elektron eine Kraft e E aus und verleiht ihm damit nach dem zweiten Newtonschen Axiom eine Beschleunigung a, a =

eE —. m

Angenommen, ein Elektron habe gerade einen Zusammenstoß erlitten und es wurde dabei in irgendeine Richtung reflektiert. Während der Zeit bis zum nächsten Zusammenstoß wird sich dann seine Geschwindigkeit im Mittel um a(J/v) bzw. az ändern, r ist die mittlere Zeit zwischen zwei Zusammenstößen. Diese Änderung wird Driftgeschwindigkeit vdt genannt, also vAl = ai =

cEx m

.

(31.13)

Die Bewegung eines Elektrons durch einen Leiter ähnelt dem Fallen eines Steines in Wasser mit einer konstanten Endgeschwindigkeit. Die Gravitationskraft Fg auf den Stein wird durch eine Reibungskraft vermindert, die der Geschwindigkeit des Steines proportional ist. Es gilt also Fg = mg = bv,

940

31 Strom und Widerstand

wobei b (Dämpfungskonstante) durch die Viskosität des Mediums (Wasser) bestimmt ist (Abschn. 15.9). Die Endgeschwindigkeit des fallenden Steines ergibt sich so zu

Mit der elektrischen Kraft Fe = eE erhalten wir aus Gl. 31.13

Die der Viskosität entsprechende Größe ist bei der Elektronenbewegung durch mit gegeben. Ist r sehr klein, ist also die mittlere Zeit zwischen zwei Zusammenstößen sehr kurz, so ist der Leiter bezüglich der Elektronenbewegung „zäh", und die Driftgeschwindigkeit ist klein.

Man kann die Driftgeschwindigkeit auch durch die Stromdichte nach Gl. 31.5 ausdrücken und mit Gl. 31.13 kombinieren: j eEx "dr = — = • m ne

Ersetzt man nun nach Gl. 31.8 a die Größe E/j durch Q, SO erhält man schließlich m

Q= —

(31.14)

ne x

Aus dieser Gleichung kann man die Gültigkeit des Ohmschen Gesetzes für Metalle folgern, falls x unabhängig von der elektrischen Feldstärke wäre. Dann hinge auch der spezifische Widerstand nicht mehr von ihr ab. Das aber ist nach Abschn. 31.3 das Kriterium für die Gültigkeit des Ohmschen Gesetzes. Sicher hängt x von der Geschwindigkeitsverteilung der Leitungselektronen ab. Weiter oben hatten wir festgestellt, daß diese Verteilung nur sehr wenig von einem elektrischen Feld beeinflußt wird, denn vd[ und v verhalten sich in Metallen wie 1 : lO 10 . Man kann also sicher sein, daß x in einem äußeren elektrischen Feld fast unverändert bleibt, wie groß es bei Abwesenheit des Feldes auch sein mag. Damit ist die rechte Seite der Gl. 31.14 von E unabhängig. Das bedeutet, Q ist von E unabhängig; es gilt das Ohmsche Gesetz.

Beispiel 4 Wie groß ist (a) die mittlere Zeit T zwischen zwei Zusammenstößen und (b) die mittlere freie Weglänge 7 für ein Elektron in Kupfer? (a) Nach Gl. 31.14 (siehe auch Beispiel 2 wegen der Zahlenangaben) erhält man (9.1 x l O " 3 1 kg)

m T

~ ^

(8.4 x 10 28 /m 3 )(1.6 x 10" 19 C) 2 (1.7 x 10" 8 fi m) = 2.5 x 10~ 14 s.

31.5 Energieübertragung in einem Stromkreis

941

(b) Die mittlere freie Weglänge ist / = Xv = (2.5 x 10" 14 s)(1.6 x 10® cm/s) = 4.0 x 10" 6 cm. Dieser Wert entspricht etwa 220 Ionendurchmessern.

31.5 Energieübertragung in einem Stromkreis Die Abb. 31.8 zeigt einen elektrischen Stromkreis, der aus einer Batterie B besteht, die an einen Kasten mit unbekanntem Inhalt, eine „black box", angeschlossen ist. In den verbindenden Leitern fließt ein konstanter Strom I, und zwischen den Anschlußstellen a und b besteht eine Spannung Uab. In dem Kasten befindet sich irgendein elektrisches Teil, vielleicht ein Widerstand, ein Motor, eine Batterie oder sonst etwas anderes. Der Anschlußpunkt a ist mit dem positiven Pol der Batterie verbunden, liegt also auf einem höheren Potential als der Punkt b. Fließt eine infinitesimal kleine Ladungsmenge dQ durch die Schachtel von a nach b, so wird die potentielle elektrische Energie um den Betrag dQ C/ab (vgl. Abschn. 29.6) vermindert. Nach dem Energieerhaltungssatz muß diese Energie innerhalb der Box in eine andere Energieform übergeführt worden sein. Um welche Energieform es sich handelt, hängt vom Inhalt der Box ab. Die in der Zeit dt im Innern der Box umgesetzte Energie dE p ist d£p = d wobei v die Elektronengeschwindigkeit und l die Länge der Platten des Ablenkkondensators sind, y kann nicht direkt gemessen werden, aber aus der Ablenkung des Auftreffpunktes auf dem Schirm und aus der Geometrie der Röhre leicht bestimmt werden. Damit verbleiben noch die beiden Unbekannten e/m und v in der Gleichung. Die Geschwindigkeit v wird nach Gl. 33.19 aus Teil (c) des Thomson-Experimentes ermittelt:

Fragen

1003

E V =

B-

Setzt man diese Beziehung in obige Gleichung ein, so erhält man schließlich

7k =

(33 20)

"

wobei auf der rechten Seite der Gleichung nur noch bekannte meßbare Größen stehen. Thomson ermittelte auf diese Weise für e/m einen Wert von 1.7 x 10 11 C/kg, der mit dem zur Zeit genauesten Wert von (1.758805 ± 0.000005) x 1011 C/kg gut übereinstimmt.

Fragen 1. Wieso kann man behaupten, daß der magnetische Nordpol zur Zeit im Nordwesten von Grönland liegt, wenn eine in alle Richtungen frei drehbare Magnetnadel an einem anderen Ort, nämlich im Norden von Kanada, senkrecht nach unten in die Erde zeigt (Inklinationspol)'?* 2. Welche der drei Vektoren in der Gleichung F = QvxB stehen jeweils senkrecht aufeinander? Zwischen welchen Vektoren können beliebige Winkel bestehen? 3. Warum definiert man die Richtung der magnetischen Flußdichte B nicht als die Richtung, in der die magnetische Kraft auf eine sich bewegende Ladung wirkt? 4. Man stelle sich vor, man sitze in einem Zimmer mit dem Rücken zu einer Wand, von der ein Elektronenstrahl waagerecht zur gegenüberliegenden Wand verläuft. Welche Richtung muß ein Magnetfeld im Raum haben, wenn der Elektronenstrahl nach rechts abgelenkt wird? 5. Kann man auf die Abwesenheit eines magnetischen Feldes schließen, wenn ein Elektron in einem bestimmten Raumbereich nicht abgelenkt wird? 6. Kann man auf das Vorhandensein eines magnetischen Feldes schließen, wenn ein Elektron in einem bestimmten Raumbereich seitwärts abgelenkt wird? 7. Ein Protonenstrahl werde seitlich abgelenkt. Kann diese Ablenkung durch (a) ein elektrisches Feld, (b) ein magnetisches Feld erfolgt sein? (c) Wie kann man zwischen (a) und (b) unterscheiden? 8. Ein Leiter ist insgesamt elektrisch neutral, auch wenn ein Strom hindurchfließt. Wieso kann dann ein magnetisches Feld eine Kraft auf ihn ausüben? 9. In Beispiel 2 (Abb. 33.6) haben wir gesehen, daß die auf einen halbkreisförmigen Leiter ausgeübte magnetische Kraft genauso groß ist wie die auf einen geraden Leiter der Länge 2 R. Gilt diese Aussage auch dann noch, wenn der Halbkreis durch einen beliebig gebogenen Leiter ersetzt würde? Man gebe ein Beispiel bzw. ein Gegenbeispiel an. 10. Gilt Gl. 33.6a auch für einen geraden Leiter, dessen Querschnittsfläche nicht über seiner gesamten Länge gleich ist? 11. Ein gerader Kupferdraht, durch den ein Strom der Stärke / fließt, wird rechtwinklig zu den Induktionslinien in ein Magnetfeld gebracht. Auf freie und bewegliche (leitende) Elektronen übt B eine Kraft aus. Wie steht es mit den gebundenen Elektronen, die sich letztendlich doch auch bewegen?

* Hierzu muß man sich über den Verlauf des Erdmagnetfeldes informieren, insbesonders über die Begriffe Deklination und Inklination (z.B. in Abschn. 37.3 oder in: Bergmann-Schaefer „Lehrbuch der Experimentalphysik" Band II, de Gruyter, Berlin).

1004

33 Das magnetische Feld

12. In Abschn. 33.3 haben wir gesehen, daß ein Magnetfeld auf einen stromdurchflossenen Leiter eine Kraft ausübt. Eigentlich wirkt das Feld nur auf die Leitungselektronen. Wieso erfährt der Leiter eine seitliche Kraft? 13. Nach Gl. 33.11 wird auf eine stromdurchflossene Leiterschleife kein Drehmoment ausgeübt, wenn der Winkel zwischen der Schleifenebene und dem Feld 0° oder 180° beträgt. Sind diese Gleichgewichte stabil, metastabil oder instabil? 14. In Beispiel 4 zeigten wir, daß die Drehung einer Leiterschleife in einem Magnetfeld um einen Winkel von 180° eine Arbeit von 2 mB erfordert. Ist dieser Betrag unabhängig von der Ausgangsstellung der Leiterschleife? 15. Angenommen, man befindet sich in einem Zimmer, das von einem nach oben gerichteten, homogenen Magnetfeld erfüllt ist. In dem Zimmer sei eine kreisförmige Leiterschleife in waagerechter Lage. In welcher Richtung muß ein Strom durch die Schleife fließen (von oben betrachtet), damit sich die Schleife bezüglich aller magnetischen Kräfte und Drehmomente im Gleichgewicht befindet? 16. Eine rechteckige Leiterschleife befindet sich in beliebiger Orientierung in einem äußeren Magnetfeld. Ist zum Drehen der Schleife um eine Achse senkrecht zu der von ihr aufgespannten Ebene irgendeine Arbeit erforderlich? 17. Man möchte ein Galvanometer (Beispiel 3) (a) als Amperemeter bzw. (b) als Voltmeter verwenden. Was muß man tun? 18. (a) Warum muß man bei der Messung der Hall-Spannung sorgfaltig darauf achten, daß die Randpunkte x und y (Abb. 33.10) genau gegenüberliegen? (b) Wie muß man vorgehen, wenn einer der Kontakte an x oder y beweglich ist, um ihn in die richtige Position zu bringen? 19. Ein homogenes Magnetfeld erfülle einen würfelförmigen Raumbereich. Kann man in diesen Raumbereich ein Elektron so hineinschießen, daß es dort eine geschlossene Kreisbahn durchläuft? 20. Angenommen, man sitzt in einem Zimmer, das von einem nach oben gerichteten homogenen Magnetfeld erfüllt ist. Genau in der Mitte des Zimmers werden zwei Elektronen mit der gleichen Geschwindigkeit, aber entgegengesetzter Richtung waagerecht abgeschossen, (a) Welche Bewegung vollführen die Elektronen? (b) Wie sehen die Bewegungen aus, wenn es sich um ein Elektron und ein Positron handelt? 21. Warum bewegen sich in Abb. 33.4 die niederenergetischen Elektronen auf Spiralbahnen? Warum verändert sich der Radius in dem konstanten Magnetfeld der Blasenkammer? 22. Welche Funktionen erfüllen (a) ein elektrisches Feld und (b) ein magnetisches Feld in einem Zyklotron? 23. Worin besteht die Wirkungsweise eines Zyklotrons? 24. Ist zur Ermittlung der spezifischen Ladung e/m im Thomson-Versuch (Abschn. 33.8) eine konstante Elektronengeschwindigkeit notwendig? 25. Die gekreuzten elektrischen und magnetischen Felder in Abb. 33.14 werden auch Geschwindigkeitsfilter genannt. Warum?

Aufgaben Abschnitt 33.2 1. Die Teilchen 1, 2 und 3 in Abb. 33.15 bewegen sich in einem Magnetfeld auf verschiedenen Bahnen. Was kann man über die Teilchen aussagen? Antwort: Teilchen 1 ist positiv geladen, Teilchen 2 neutral und Teilchen 3 negativ geladen.

Aufgaben

2

1005

3

Abb. 33.15 Zu Aufgabe 1 2. In einer Fernsehröhre werden Elektronen auf eine Energie von 12 keV beschleunigt. Die Röhre ist so ausgerichtet, daß die Elektronen waagerecht von Süden nach Norden fliegen. Das Erdmagnetfeld habe eine Stärke von 5.5 x l O " 5 T und weise nach unten, (a) Wie werden die Elektronen durch das Erdmagnetfeld abgelenkt? (b) Welche Beschleunigung erhalten die Elektronen dadurch? (c) Wie weit wird ein Elektronenstrahl auf einer Laufstrecke von 20 cm in der Fernsehröhre abgelenkt? 3. Die Geschwindigkeit (in m/s) eines Elektrons sei durch » = 2 x 10 6 i + 3 x 10 6 /'gegeben. Das Elektron tritt in ein Magnetfeld ein, dessen Induktion (in T) durch B = 0.03 i — 0.15/ gegeben ist. (a) Welchen Betrag und welche Richtung hat die Ablenkkraft auf das Elektron? (b) Man führe die gleiche Rechnung für ein Deuteron durch. Antwort: (a) 6.2 x 10" 1 4 ft (N); (b) - 6.2 x 1 0 " 1 4 * (N). 4. Aus dem Austrittsfenster einer Beschleunigungsröhre treten Elektronen der kinetischen Energie Ek aus. In einer Entfernung d steht rechtwinklig zu dem Strahl eine Metallplatte. Man zeige, daß man den Elektronenstrahl vor einem Aufprall auf die Platte bewahren kann, wenn man ein Magnetfeld folgender Induktion in dem Raum zwischen Platte und Röhre erzeugt: 2mE,

B>

i

e2P

Abb. 34.24 Zu Aufgabe 10

11. Die Abb. 34.25 zeigt den Querschnitt eines zylindrischen Hohlleiters, in dem ein homogen verteilter Strom / fließt, (a) Man zeige, daß die magnetische Induktion B in Punkten innerhalb des Leitermantels mit a = - 4.8 x 1 0 - 2 V = - 48 mV.

Das Minuszeichen verweist auf die Richtung der Induktionsspannung (siehe den folgenden Abschnitt).

35.3 Die Lenzsche Regel Bislang haben wir noch nichts über das Vorzeichen der Induktionsspannung ausgesagt. Darüber gibt die Lenzsche Regel Auskunft (H.F. Lenz, 1804-1865), die sich aus dem Energieprinzip ableiten läßt: Die induzierten Ströme sind stets so gerichtet, daß sie ihrer Ursache, also der Änderung des magnetischen Flusses, entgegenwirken. D a s Minuszeichen im Faradayschen Gesetz (Gl. 35.1) drückt diese Tatsache aus. In der Mechanik gelangt man mit dem Energieerhaltungssatz zu Aussagen über (mechanische) Systeme, ohne d a ß m a n diese im einzelnen untersuchen muß. Entsprechend verfahren wir hier. D a sich die Lenzsche Regel auf induzierte Ströme bezieht, die nur in geschlossenen Stromkreisen fließen können, werden wir im Fall eines offenen Stromkreises diesen zu einem geschlossenen ergänzt denken, um so zur Richtung der induzierten E M K zu gelangen. Wir betrachten das erste im Abschn. 35.1 beschriebene Experiment. In Abb. 35.3 ist dieses noch einmal in einer Detailzeichnung wiedergegeben. Welche Richtung h a t der in der Leiterschleife induzierte Strom, wenn man den Nordpol des Magneten der Schleife nähert? Aus den vorangegangenen Kapiteln wissen wir, d a ß eine stromdurchflossene Leiterschleife in einer gewissen Entfernung wie ein magnetischer Dipol wirkt, wobei eine Seite der Schleife den Nordpol, die andere den Südpol darstellt. Bei allen Magneten entspringen die Feldlinien der magnetischen Induktion am Nordpol und münden in den Südpol.

1052

35 Das Induktionsgesetz

wirkt.

Wenn die Leiterschleife in Abb. 35.3 nach der Lenzschen Regel der Bewegung des sich nähernden Magneten entgegenwirken soll, so muß die dem Magneten zugewandte Seite der Schleife ein Nordpol sein. Dieser induzierte Nordpol und der Nordpol des Stabmagneten stoßen sich ab. Nach der Rechte-Hand-Regel muß unter diesen Umständen der in der Leiterschleife fließende Induktionsstrom die eingezeichnete Richtung nehmen, also vom Stabmagneten aus entgegen dem Uhrzeigersinn verlaufen. Folgendes geschieht bei der Ausführung des Versuches: Bei der Annäherung des Magneten an die Schleife (oder der Schleife an den Magneten) tritt in der Schleife ein Induktionsstrom auf. Im Sinne der Lenzschen Regel ist diese Bewegung die Ursache für den induzierten Strom, der nun der Bewegung entgegenwirken soll. Wird der Magnet von der Leiterschleife entfernt, soll wiederum der induzierte Strom der Entfernung entgegenwirken. Hierzu muß der Strom vom Magneten aus gesehen im Uhrzeigersinn fließen, so daß auf der dem Magneten zugewandten Seite der Schleife ein Südpol entsteht. Der Südpol der Leiterschleife und der Nordpol des Stabmagneten ziehen sich an. Wir erkennen, daß sowohl der Annäherung als auch der Entfernung des Magneten eine Kraft entgegenwirkt, die diese Bewegungen zu verhindern sucht. Die Maschine oder der Mensch, die den Magneten verschieben, müssen diese Gegenkraft überwinden und eine Arbeit leisten. Diese Arbeit muß nach dem Energieerhaltungssatz in einer anderen Energieform in dem System verbleiben. Im vorliegenden Fall ist es die in der stromdurchflossenen Schleife erzeugte Joulesche Wärme. Das kann man leicht überprüfen, indem man den Magneten schneller bewegt. Man arbeitet dann mit einer höheren Leistung, die auch als höhere Wärmeleistung in der Leiterschleife auftritt. Weiterhin kann bei einer offenen Schleife, in der kein Strom fließen kann, keine Gegenkraft auf den bewegten Magneten ausgeübt werden. Es muß daher auch keine zusätzliche Arbeit geleistet werden, und es kann keine Joulesche Wärme in der Leiterschleife erzeugt werden. In diesem Fall würde man wohl eine induzierte Spannung in der Schleife feststellen, doch es würde nicht zu einer Energieübertragung, also zum Fließen eines Stromes, kommen.

35.4 Quantitative Fassung des Induktionsgesetzes

1053

Ein Gedankenexperiment zu Abb. 35.3: Angenommen, der Strom würde bei einer Annäherung des Magneten nicht in der eingezeichneten Richtung fließen, sondern in die andere Richtung, dann würde der dem Magneten zugewandte Südpol der Schleife den Nordpol des Stabmagneten anziehen. Sobald sich der Magnet erst einmal etwas bewegte, würde der Prozeß von allein fortschreiten. Der Magnet würde auf die Schleife hin beschleunigt, seine kinetische Energie nähme dauernd zu. Gleichzeitig würde in der Schleife zunehmend Joulesche Wärme erzeugt. Dieser Vorgang ist nach dem Energieerhaltungssatz nicht möglich.

Wir wollen das Experiment von Abb. 35.3 auch noch in einer anderen Weise beschreiben. Hierzu betrachten wir das Feldlinienbild der magnetischen Induktion B von Abb. 35.4. Die eingezeichneten Feldlinien beziehen sich nur auf das Magnetfeld des Stabmagneten, nicht auf das eventuell vorhandene Feld der Leiterschleife. Man kann sich in Abb. 35.4 gut vorstellen, wie bei einer Annäherung des Magneten der magnetische Fluß durch die Windungsfläche der Leiterschleife höher wird, da die Dichte der Feldlinien zunimmt. Dieser Ursache wirkt der induzierte Strom derart entgegen, daß er ein Magnetfeld erzeugt, das die Zunahme von

und B bestehen. Man kann Gl. 35.20 b folgendermaßen interpretieren. Der mit dem Magneten fest verbundene Beobachter S bemerkt nur ein magnetisches Feld. Die Kräfte, die er wahrnimmt, rühren von der Bewegung der Ladungen in dem Magnetfeld her. Der mit den Ladungsträgern fest verbundene Beobachter S' bemerkt nur ein elektrisches Feld. Die von ihm wahrgenommenen Kräfte auf die Ladungen, mit denen er anfänglich fest verbunden war, rühren von dem elektrischen Feld her. S behauptet, die wirkende Kraft sei magnetischer Natur, während S' behauptet, die wirkende Kraft sei elektrischer Natur. Vom Standpunkt des Beobachters S ist die induzierte Spannung durch $(» x B) • dl gegeben, für den Beobachter S' aber durch §E • dl. E ist der Vektor des induzierten elektrischen Feldes und weist in Stromrichtung. Für einen dritten Beobachter S", der weder im Bezugssystem des Magneten noch in dem der Leiterschleife ruht, findet sowohl eine Bewegung des Magneten statt als auch eine Bewegung der Leiterschleife. Für ihn wirkt sowohl eine elektrische als auch eine magnetische Kraft, die beide die Ladungen in dem Leiterkreis bewegen, also F/Q =

E+vxB.

Die resultierende Kraft F wird von allen Beobachtern gleich stark und in dieselbe Richtung wirkend festgestellt. Ebenso hat die induzierte Spannung für alle drei Beobachter den gleichen Wert. Der wesentliche Punkt in diesem Experiment ist folgende Feststellung: Obwohl die Ursache für den einen Beobachter das magnetische Feld ist, für den anderen Beobachter das elektrische Feld und für einen dritten Beobachter eine Überlagerung beider Felder, messen alle Beobachter denselben Strom. Man schließt daraus, daß elektrische und magnetische Felder offensichtlich nicht unabhängig voneinander sind und nicht isoliert nebeneinander bestehen. Sie hängen von dem Inertialsystem ab, in dem die Beobachtung stattfindet. Albert Einstein begann schon im Alter von 16 Jahren über Relativbewegungen nachzudenken und veröffentlichte dann 1905 im Alter von 26 Jahren, als er im Patentamt von Bern arbeitete, seine spezielle Relativitätstheorie. Er kam nicht etwa durch Überlegungen über Raum und Zeit zu seiner Relativitätstheorie, sondern durch die Problematik des eben von uns erörterten Induktionsversuches. Das wird nicht nur im Titel seiner Veröffentlichung von 1905 klar: „Zur Elektrodynamik bewegter Körper", sondern vielmehr auch durch die einführenden Sätze zu dieser Arbeit: „Daß die Elektrodynamik Maxwells - wie dieselbe gegenwärtig aufgefaßt zu werden pflegt - in ihrer Anwendung auf bewegte Körper zu Asymmetrien führt, welche den Phänomenen nicht anzuhaften scheinen, ist bekannt. Man denke z. B. an die elektrodynamische Wechselwirkung zwischen einem Magneten und einem Leiter. Das beobachtbare Phänomen hängt hier nur ab von der Rela-

1070

35 Das Induktionsgesetz

tivbewegung von Leiter und Magnet, während nach der üblichen Auffassung die beiden Fälle, daß der eine oder der andere dieser Körper der bewegte sei, streng voneinander zu trennen sind. Bewegt sich nämlich der Magnet, und ruht der Leiter, so entsteht in der Umgebung des Magneten ein elektrisches Feld von gewissem Energiewert, welches an den Orten, wo sich Teile des Leiters befinden, einen Strom erzeugt. Ruht aber der Magnet, und bewegt sich der Leiter, so entsteht in der Umgebung des Magneten kein elektrisches Feld, dagegen im Leiter eine elektromotorische Kraft, welcher an sich keine Energie entspricht, die aber - Gleichheit der Relativbewegung bei den beiden ins Auge gefaßten Fällen vorausgesetzt - zu elektrischen Strömen von derselben Größe und demselben Verlaufe Veranlassung gibt wie im ersten Falle die elektrischen Kräfte." In den Ergänzungen V wird eine kurze Zusammenfassung der speziellen Relativitätstheorie Einsteins gegeben.

Beispiel 6 Im Beispiel der Abb. 35.16 sei B = 2 T, / = 10 cm und v = 1 m/s. Man berechne (a) die vom Beobachter S' festgestellte induzierte elektrische Feldstärke E und (b) die in dem Leiter induzierte Spannung. (a) Das elektrische Feld kann nur vom Beobachter S' wahrgenommen werden. Es wird von der Bewegung des Magneten verursacht und hat einen Betrag von E = vB = (1.0 m/s)(2.0 T) = 2.0 V/m. (b) Beobachter S würde die induzierte Spannung folgendermaßen berechnen: £/.nd = Blv = (2.0 T)(1.0 x 10" 1 m)(1.0 m/s) = 0.20 V. Beobachter S' würde die induzierte Spannung anders berechnen, nämlich t/ ind = El = (2.0 V/m)(l .0 x 10" 1 m) = 0.20 V. Beide Beobachter kommen also zu demselben Resultat.

Fragen 1. In den Abb. 35.1, 35.2, 35.3 usw. sind einfachheitshalber nur Spulen mit einer einzigen Windung gezeigt worden. Welchen Vorteil hat es, wenn die Windungszahl erhöht wird? 2. Unterscheiden sich induzierte EMKs und Ströme in irgendeiner Weise von Spannungen und Strömen, die von einer Batterie in einem Leiterkreis hervorgerufen werden? 3. Wir haben schon in den vorangegangenen Kapiteln den Unterschied zwischen magnetischer Flußdichte B und magnetischem Fluß

R eine Induktionsspannung auf? Gibt es in diesem Fall induzierte elektrische Felder? 19. Ein Kupferring und ein Holzring von gleicher Größe werden so angeordnet, daß durch beide der gleiche sich zeitlich ändernde magnetische Fluß hindurchgeht. Welche elektrischen Felder werden in den Ringen induziert? 20. Wieso können die in den Schleifen 1 und 2 der Abb. 35.12 induzierten Spannungen gleich groß sein? In der Nähe von 1 herrscht ein viel schwächeres elektrisches Feld als in der Nähe von 2, wie man an den Abständen der Feldlinien erkennt. Man vergleiche hierzu auch Abb. 35.11. 21. In einem Betatron kreisen Elektronen entgegen dem Uhrzeigersinn, wenn man von oben darauf blickt. Welche Richtung hat das Magnetfeld, und wie ändert es sich zeitlich, wenn die Elektronen beschleunigt werden? 22. Warum können in einem Betatron Elektronen nur während eines Viertels einer Periode des magnetischen Wechselfeldes beschleunigt werden? 23. Muß man den magnetischen Fluß in einem Betatron erhöhen oder erniedrigen, wenn die beschleunigten Elektronen auf einer Spiralbahn herausgeführt werden sollen? Das Magnetfeld B im Bereich der Umlaufbahn soll unverändert bleiben. 24. Ein Zyklotron (Abschn. 33.7) stellt eine Resonanzanordnung dar. Beruht die Wirkungsweise eines Betatrons ebenfalls auf einer Resonanz? 25. In Abb. 35.16 a ist gezeigt, wie eine magnetische Kraft Fm cosö auf die Ladungsträger in der linken Seite des Leiterkreises wirkt. Dadurch entsteht ein Ladungstransport. Also fließt in allen Teilen des Leiterkreises ein Strom. Welche Art von Kräften wirkt auf die Ladungsträger in den anderen Seiten des Leiterkreises, damit sie ihre Driftgeschwindigkeit t>dr aufrechterhalten? Hinweis: Man nehme an, daß nur die linke Seite der Schleife leitend sei; die anderen drei Seiten seien nichtleitend. Sammeln sich am oberen Ende der linken Seite positive Ladungen an und am unteren Ende negative? 26. Man zeige, daß 1 Volt = 1 Weber durch Sekunde.

Aufgaben Abschnitt 35.2 1. Ein homogenes Magnetfeld B wirkt senkrecht zur Fläche eines Ringes aus Kupferdraht (Stärke 2.54 mm) von 10 cm Durchmesser. Mit welcher Rate ändert sich die Flußdichte B des Magnetfeldes, wenn in dem Ring ein Strom von 10 A fließt? Antwort: 1.3 T/s. 2. Es seien 50 cm eines Kupferdrahtes (Stärke 0.1 mm) gegeben, der zu einem Ring gebogen wird und rechtwinklig zu den Feldlinien in ein homogenes Magnetfeld gebracht wird. Die Feldstärke nehme mit 0.01 T/s zu. Mit welcher Leistung wird in dem Ring Joulesche Wärme erzeugt? 3. Um einen Eisenzylinder von 10 cm2 Querschnittsfläche werden 100 Windungen aus isoliertem Kupferdraht gewickelt. Dieser wird mit einem Widerstand in Reihe geschaltet, so daß der Gesamtwiderstand des Stromkreises 10 Q beträgt. Die Longitudinalkomponente des Magnetfeldes im Eisenkern ändert sich von 1 T in der einen Richtung auf 1 T in der entgegengesetzten Richtung. Welche Ladung fließt durch den Stromkreis? Antwort: 20 mC.

Aufgaben

1075

4. Die Stromstärke / (in A) in dem Solenoid von Beispiel 1 ändere sich mit der Zeit t (in s) nach I(t) = 3/ + 1t 2 . (a) Man trage die induzierte Spannung über der Zeit im Intervall von i = 0 bis t = 4 s auf. (b) Der Widerstand der Spule betrage 0.15 fi. Welche momentane Stromstärke herrscht in der Spule zur Zeit / = 2 s? 5. Eine kleine Leiterschleife des Querschnitts A befinde sich innerhalb einer langen Spule, konzentrisch zu deren Windungen. Die Längendichte der Windungen (Anzahl durch Länge) in der Spule sei n; es fließe ein Strom I = I0 sin wt. Man bestimme die in der Schleife induzierte Spannung. Antwort: — ii0nAI0a> cos cot. 6. Wechselstromgenerator. Eine Rechteckspule mit N Windungen und den Seitenlängen a und b rotiert mit einer Frequenz v in einem homogenen Magnetfeld B (Abb. 35.28). (a) M a n zeige, daß in der Spule folgende Spannung induziert wird: E/ind = InvNbaB sin luvt = f/ i n d 0 sin 2nvt. Nach diesem Prinzip arbeiten Wechselstromgeneratoren, (b) Man konstruiere eine Spule, die bei einer Frequenz von 50 Hz in einem Magnetfeld von 0.5 T ein i/ i n d 0 von 150 Y erzeugt.

X X X X X X X X X X X X X xlx X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X X X X

X

'R

X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X

beträgt. Antwort: M = B2a2r2wat.

Abb. 35.34 Zu Aufgabe 15 Abschnitt 35.3 16. Ein kleiner Stabmagnet wird mit dem Nordpol voran schnell, aber gleichförmig durch die Mitte einer Leiterschleife gezogen. M a n skizziere qualitativ (a) den induzierten Strom in der Schleife und (b) die Wärmeleistung als Funktion der Position des Magneten (Mittelpunkt). 17. Ein Metallbügel der Masse m gleite reibungsfrei über zwei parallele leitende Schienen, die einen Abstand von d haben. Diese Anordnung liegt senkrecht zu den Feldlinien eines homogenen Magnetfeldes B, so wie in Abb. 35.35 gezeigt ist. (a) Ein Generator G erzeugt einen konstanten Strom /, der durch die mit dem Bügel gebildete Leiterschleife fließt. M a n bestimme den zeitlichen Verlauf der Geschwindigkeit (Betrag und Richtung), mit der der Metallbügel über die Schienen gleitet. Zur Zeit t = 0 verharrte der Bügel noch in Ruhe, (b) Der Generator wird

1078

35 Das Induktionsgesetz

durch eine Batterie mit konstanter Leerlaufspannung ersetzt. Die Geschwindigkeit des Metallbügels erreicht dabei einen konstanten Wert. Wie groß ist diese Geschwindigkeit? (c) Welcher Strom fließt im Fall (b)? Antwort: (a) Bldt/m, von G weg; (b) UJBd; (c) Null. 18. In Abb. 35.36 ist eine Leiterschleife gezeigt, die sich quer zu den Feldlinien in einem Magnetfeld befindet. Der magnetische Fluß durch die Leiterschleife ändert sich zeitlich nach der Funktion (

-Kreis) In Abschn. 32.8 haben wir beschrieben, daß in einem Stromkreis mit einem Widerstand R und einem Kondensator C bei Einschalten der Spannungsquelle der Kondensator nicht sofort vollständig aufgeladen wird, sondern zeitlich verzögert nach der Funktion (Gl. 32.15) Q = CU0(i



e~ i / l c ).

(36.6)

Das zeitliche Verhalten wird durch die Zeitkonstante r c = RC

(36.7)

bestimmt, die auch für die zeitliche Verzögerung beim Entladen des Kondensators nach Gl. 32.18b, Q = CU0e~'ltc,

(36.8)

verantwortlich ist. Ein ähnlicher Vorgang spielt sich auch beim Ein- oder Ausschalten der Spannungsquelle in einem ÄL-Kreis ab, also in einem Stromkreis, der neben einem Widerstand eine Spule mit Induktivität enthält. Wird in der Anordnung der Abb. 36.3 der Schalter S in Stellung a gebracht, so fließt in dem Widerstand R ein Strom I. Ohne die Spule würde er sofort seinen höchsten Wert von UJR erreichen. Mit der Spule im Stromkreis steigt der Strom aber nur allmählich auf seinen maximalen Wert an, da aufgrund der Selbstinduktion in der Spule eine Spannung induziert wird. Diese Induktionsspannung ist so gerichtet, daß sie den Strom abzuschwächen versucht. Der Widerstand liegt also an der Differenz zweier Spannungen an, der konstanten Leerlaufspannung der Batterie und der zeitlich veränderlichen Spannung UL= — L(dl/dt). Die Polaritäten der beiden Spannungen sind entgegengesetzt. Solange die Selbstinduktionsspannung UL wirkt, wird der Strom kleiner als U0/R sein. Mit fortschreitender Zeit nimmt der Strom immer langsamer zu, und die selbstinduzierte Spannung UL wird immer schwächer. Dadurch erreicht der Strom asymptotisch seinen Endwert. Der Stromkreis in Abb. 36.4 entspricht genau dem in Abb. 36.3, wenn der Schalter in Stellung a liegt. Auf diesen Stromkreis wenden wir den 2. Kirchhoffschen Satz (Maschenregel von Abschn. 32.3) an. Wir beginnen im Punkt x und durchwandern den Stromkreis im Uhrzeigersinn. Bei der eingezeichneten Stromrichtung muß x ein höheres Potential haben als y, d. h. beim Durchschreiten des Widerstandes tritt ein Spannungsabfall von — IR auf. Andererseits liegt y auf einem höheren Potential als z, weil bei

vwvwb

o

Lg o o Abb. 36.3 Ein RL-Kreis

36.3 Stromkreis mit Widerstand und Induktivität



(RL-Kreis)

1089

vwwR

Abb. 36.4 Der ÄL-Kreis von Abb. 36.3, wenn der Schalter in Stellung a liegt

zunehmender Stromstärke im Leiterkreis die selbstinduzierte Spannung UL dieser Zunahme entgegenwirkt. Bei Durchschreiten der Spule von y nach z tritt also ein Spannungsabfall von — L(dl/dt) auf. Beim Durchtritt durch die Batterie schließlich steigt das Potential um + U0. Nach der Maschenregel addieren sich alle diese Potentialänderungen zu IR-L^+Uo

=0

bzw. L f ( + IR=U0.

(36.9)

Gl. 36.9 ist eine Differentialgleichung, die ohne Schwierigkeiten zu lösen ist. Wir wollen einfachheitshalber eine plausible Lösung annehmen und diese durch Einsetzen bestätigen. Als Lösung der Differentialgleichung Gl. 36.9 nehmen wir die Funktion / = ^ ( 1 -e"Rt/L) R

(36.10)

an, deren Ableitung durch ± [

dt

=

V _ o

e

-

R t l L

( 3 6 1 1 )

L

gegeben ist. Setzen wir diese beiden Beziehungen in die Differentialgleichung ein, so ergibt sich ohne große Umrechnung eine Identität. Die Funktion in Gl. 36.10 stellt also tatsächlich eine Lösung dar. In Abb. 36.5 sind der Spannungsabfall über dem Widerstand R, UR = IR nach Gl. 36.10, und der Spannungsabfall über der Spule L, UL = L (d //d t) nach Gl. 36.11, aufgetragen. Man vergleiche diese Kurven mit denen eines ÄC-Kreises von Abb. 32.11. Man kann Gl. 36.10 auch noch in anderer Form angeben: /=-^>(l-e- a , b . Ein Ende der Anordnung sei durch eine Platte leitend verbunden, so daß die Ströme wie in Beispiel 5 verlaufen. 11. Ein sehr breiter Streifen aus Kupferblech wird so gefaltet, daß der Falz die Form einer dünnen Röhre erhält (Abb. 36.9). Durch das Blech fließt ein homogen über die Breite des Streifens verteilter Strom I. Die Anordnung entspricht einer Spule mit einer einzigen sehr breiten Windung. (a) Wie groß ist die magnetische Flußdichte B innerhalb der Röhre weit entfernt von den Enden? Hinweis: Das Feld soll außerhalb der Röhre vernachlässigbar klein sein, (b) Welche Induktivität besitzt die Röhre? Die ebenen Blechstücke werden vernachlässigt. Antwort: (a) fi0I/W; (b) n fi0R2/W.

N

Abb. 36.9 Zu Aufgabe 11 Abschnitt 36.3 12. Nach dem Einschalten der Spannungsquelle erreicht die Stromstärke / in einem RL-Kreis innerhalb von 5 s ein Drittel ihres Maximalwertes. Wie groß ist die Zeitkonstante des RLKreises?

Aufgaben

1103

13. In welcher Zeit (gemessen in Vielfachen der Zeitkonstante) nach Einschalten der Spannung erreicht in einem ÄL-Kreis der Strom 10% seines Endwertes? Antwort: 6.9. 14. An eine Spule mit L = 50 mH und R = 180 i! wird eine Spannung von 50 V gelegt. Wie groß ist die zeitliche Änderung des Stromes 1 ms nach Einschalten der Spannungsquelle? 15. Ein toroidförmiger Holzkörper mit quadratischem Querschnitt hat einen Innendurchmesser von 10 cm und einen Außendurchmesser von 12 cm. Er wird mit einer Lage aus 0.96 mm starkem Draht des längenbezogenen Widerstandes 21 mQ/m umwickelt, (a) Wie groß ist die Induktivität und (b) die Zeitkonstante des Toroids? Die Dicke der Isolierung sei vernachlässigt. 16. In welcher Zeit fallt die Spannung über dem Widerstand eines i?L-Kreises mit L = 1 H und R = 1 Q nach dem Ausschalten auf 10% ihres Anfangswertes? 17. Ein Solenoid mit einer Induktivität von 6 nH wird mit einem Widerstand von 1 kfi in Reihe geschaltet, (a) In welcher Zeit nach dem Einschalten einer 10-V-Batterie in den Kreis wird der Strom 80 % seines Maximalwertes erreicht haben? (b) Welcher Strom fließt nach einer Zeit t = HR durch den Widerstand? Antwort: (a) 9.7 ns; (b) 6.3 mA. 18. In einem RL-Kreis fallt die Stromstärke von 1 A zur Zeit t = 0 auf 10 mA zur Zeit t = 1 s. Wie groß ist der Widerstand R des Kreises, wenn die Induktivität 10 H beträgt? 19. Für den in Abb. 36.10 gezeigten Stromkreis sei U0 = 10 V, Rt = 5 fi, R2 = 10 fi und L = 5 H. Man stelle sich vor (I), der Schalter S sei gerade eben geschlossen worden, und (II), er sei schon längere Zeit geschlossen. Man bestimme für beide Fälle (a) den Strom / 1 durch Ru (b) den Strom I2 durch R2, (c) den Strom / durch den Schalter, (d) die Spannung an R2, (e) die Spannung an L und (f) die zeitliche Änderung dl2/dt. Antwort: I (a) 2A; (b) Null; (c) 2A; (d) Null; (e) 10 V; (f) 2 A/s. II (a) 2 A; (b) 1 A; (c) 3 A; (d) 10 V; (e) Null; (f) Null.

20. Für den in Abb. 36.11 gezeigten Stromkreis sei U0 = 100 V, Rl = \0QR2 = 20 ii, R3 = 30 il und I2 für einen Zeitpunkt (a) sofort nach Schließen des und L = 2 H. Man bestimme Schalters, (b) längere Zeit nach dem Schließen des Schalters, (c) sofort nach dem Öffnen des Schalters und (d) längere Zeit nach dem Öffnen des Schalters.

1104

36 Selbstinduktion und Gegeninduktion

21. Man zeige für einen RL-Kreis, daß die Zeitkonstante gerade der Zeit entspricht, in der die Stromstärke ihren Gleichgewichtswert erreichen würde, wenn sie konstant mit ihrer Anfangsrate dl/dt anstiege. 22. Der Schalter in Abb. 36.3 werde von b nach a zurückgelegt. Man zeige, daß nach einer Zeit t = Tl (a) in dem Widerstand eine Energie von 0.168 U02t;JR in Joulesche Wärme umgewandelt wurde und (b) das Magnetfeld des J?L-Kreises einen Energieinhalt von 0.2 U02xJR hat. (c) Man zeige, daß die im Magnetfeld gespeicherte Gleichgewichtsenergie 0.5 U02zJR beträgt. 23. Eine Spule mit L = 2 H und R = 10 Q wird an eine 100-V-Batterie angeschlossen, deren Widerstand Null ist. (a) Wie groß ist die Stromstärke im Gleichgewicht? (b) Wie groß ist der Energieinhalt des Magnetfeldes bei dieser Stromstärke? Antwort: (a) 10 A; (b) 100 J. 24. Eine Spule mit L = 2 H und R = 10 Q wird an eine 100-V-Batterie angeschlossen. Mit welcher Leistung wird 0.1 s nach dem Anschließen der Batterie (a) magnetische Energie erzeugt, (b) Joulesche Wärme erzeugt und (c) Energie von der Batterie nachgeliefert? 25. Eine Spule und ein 10-kii-Widerstand werden in Reihe an eine 50-V-Batterie angeschlossen. Nach 5 ms erreicht der Strom eine Stärke von 2 mA. (a) Wie groß ist die Induktivität der Spule? (b) Wie groß ist der Energieinhalt des Magnetfeldes zu diesem Zeitpunkt? Antwort: (a) 98 H; (b) 0.2 mj. 26. In einem langen Leiter fließt ein über den ganzen Querschnitt homogen verteilter Strom I. Man zeige, daß die Energie des Magnetfeldes des Leiters den Betrag ¿¿„/Vlö n besitzt. Man beachte, daß der Energieinhalt nicht vom Durchmesser des Leiters abhängt. 27. Für das Koaxialkabel von Beispiel 5 seien folgende Werte gegeben: a = 1 mm, 6 = 4 mm, Außenradius des äußeren Leiters c = 5 mm und I = 10 A. Man bestimme die magnetische Energie je Meter Kabellänge (a) im Inneren des inneren Leiters, (b) im Zwischenraum des Koaxialkabels und (c) im Inneren des äußeren Leiters. Antwort: (a) 2.5 nJ/m; (b) 14 nJ/m; (c) 0.8 |iJ/m. 28. Man zeige, daß die gesamte magnetische Energie des Magnetfeldes der Spule in Abb. 36.3 beim Umlegen des Schalters von a nach b im Widerstand R als thermische Energie erscheint. Abschnitt 36.5 29. Wie groß ist die Energiedichte des Magnetfeldes in der Mitte des Solenoids von Aufgabe 23 in Kapitel 35? 30. Wie groß ist die Energiedichte im Mittelpunkt einer kreisförmigen Leiterschleife vom Radius 5 cm, wenn in ihr ein Strom von 100 A fließt? 31. In einem Kupferdraht fließt ein Strom von 10 A. Man bestimme die Energiedichte (a) des magnetischen Feldes und (b) des elektrischen Feldes auf der Oberfläche des Drahtes. Der Draht habe eine Stärke von 2.54 mm und einen längenbezogenen Widerstand von 3.3 mfi/m. Antwort: (a) 0.99 J/m 3 ; (b) 4.8 fJ/m 3 . 32. (a) Wie groß ist die Energiedichte des Erdmagnetfeldes der Stärke 50 |iT? (b) Man nehme an, daß dieser Wert über Entfernungen, die gegenüber dem Erddurchmesser klein sind, konstant ist. Weiterhin seien die Schwankungen in der Nähe der magnetischen Pole vernachlässigt. Wie groß ist der Energieinhalt einer 16 km dicken Kugelschale über der Erdoberfläche? 33. (a) Man leite eine Beziehung für die Energiedichte des Magnetfeldes des Toroids aus Beispiel 1 als Funktion des Radius her. (b) Man bestimme die Gesamtenergie des Magnetfeldes des Toroids, indem man die Energiedichte von (a) über das Volumen des Toroids integriert. Es sei / = 0.5 A. (c) Mit Hilfe der Gl. 36.18 bestimme man den Energieinhalt des Magnetfeldes des Toroids direkt aus der Induktivität. Man vergleiche (c) mit (b). u I2N2 Antwort: (a) ° , ; (b) 0.18 mj; (c) 0.18 mj.

Aufgaben

1105

34. Wie groß muß die Feldstärke eines elektrischen Feldes sein, damit es dieselbe Energiedichte wie ein Magnetfeld der Stärke 0.5 T hat? 35. Wie groß ist die magnetische Energiedichte im Mittelpunkt der Umlaufbahn eines Elektrons in einem Wasserstoffatom? Vgl. Beispiel 9 aus Kapitel 34. Antwort: 57MJ/m 3 . Abschnitt 36.6 36. Man zeige, daß in Beispiel 7 für Nx == | N2 die gegenseitige Induktivität durch M = \/LJT2 gegeben ist. Gilt diese Beziehung auch noch, wenn entgegen der Annahme von Beispiel 7 nicht der gesamte magnetische Fluß der einen Spule durch die Windungen der anderen Spule greift? 37. Zwei kurze Spulen werden hintereinandergeschaltet; sie liegen direkt aneinander auf derselben Achse, (a) Man zeige, daß die Gesamtinduktivität durch L =

L1+L1±2M

gegeben ist. (b) Was hat das Vorzeichen + zu bedeuten? Hat es etwas mit der Wicklungsrichtung (links- oder rechtshändig) zu tun?

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

37.1 Monopole und Dipole Eine einzelne isolierte Ladung Q stellt in der Elektrostatik die einfachste mögliche Struktur dar. Wenn zwei Ladungen verschiedener Vorzeichen nebeneinander liegen, bilden sie einen Dipol, der durch das elektrische Dipolmoment p beschrieben wird. Im Magnetismus kennt man keine isolierten magnetischen Pole (Monopole), die isolierten elektrischen Ladungen entsprechen würden. Als einfachste Struktur tritt hier der magnetische Dipol auf, der durch sein magnetisches Moment m charakterisiert ist. In Tab. 34.1 wurden bereits einige Eigenschaften von elektrischen und magnetischen Dipolen gegenübergestellt. Beispiele für magnetische Dipole sind ein Stabmagnet, eine stromdurchflossene Leiterschleife oder eine Spule. Ihren Nordpol (dort treten die Feldlinien B heraus) kann man identifizieren, indem man sie als Kompaßnadel benutzt; wenn sie frei drehbar aufgehängt sind, richten sie sich mit ihrem Nordpol zum geographischen Nordpol der Erde aus. Ihr magnetisches Moment kann man über das auf sie in einem äußeren Feld ausgeübte Drehmoment bestimmen. Es gilt nach Gl. 33.11 M = mxB.

(37.1)

Man kann das magnetische Moment aber auch nach der in Tab. 34.1 angegebenen Gleichung für das Magnetfeld B berechnen, das in einem Punkt in der Entfernung r auf der Dipolachse erzeugt wird, nämlich b

= TS

v0. Man vergleiche hierzu die Aufgabe 15, in der der Diamagnetismus in einer anderen Weise betrachtet wird.

setzt, so daß die Zentripetalkraft erniedrigt wird. D a der Radius der U m l a u f b a h n konstant bleibt, führt das zu einer Erniedrigung der Winkelgeschwindigkeit und der Bahngeschwindigkeit. F ü r den Fall des rechtsumlaufenden Elektrons (Abb. 37.9 d) sind die Kräfte FE und FB gleichgerichtet, so daß sich die Zentripetalkraft erhöht. Damit erhöhen sich auch co und v. Deshalb ist co in Gl. 37.11 verschieden von w 0 in Gl. 37.10. In Gl. 37.10 m u ß also bei Anwesenheit eines äußeren Magnetfeldes die Zentripetalkraft FE u m die magnetische K r a f t FB ergänzt werden Fe±Fb

= ma = mco2r.

Setzt m a n den Wert FB aus Gl. 37.11 und den Wert FE aus Gl. 37.10 ein, so erhält m a n mco02r ±ecorB

=

mw2r

oder w2 + (^Jü)-W02

= 0.

(37.12)

1120

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

Diese quadratische Gleichung für co kann gelöst werden. Wir wollen hier eine näherungsweise Lösung beschreiben. Wir nehmen an (vgl. Aufgabe 14), daß die durch das Magnetfeld hervorgerufene Änderung der Winkelgeschwindigkeit nur gering ist. Es soll also co = co0 + Aco

(37.13)

mit Atu 02 + 2w0 Aco + (Aa>)2] + \_ßco0 + ßAoj~\ - a>02 = 0, wobei ß eine Abkürzung für eB/m ist. Die beiden Glieder a>02 heben sich auf, die Glieder {Am)2 und ßAw sind gegenüber den anderen Gliedern klein und werden vernachlässigt. Es bleiben mithin nur das zweite und vierte Glied übrig. Wir lösen nach Aco auf und erhalten Ac» s +

= ±

(37.14)

Im

Setzen wir Aco aus Gl. 37.13 ein, ergibt sich schließlich eB 2m

Wie oben schon erwähnt, besteht die Wirkung des äußeren Magnetfeldes letztlich darin, daß die Winkelgeschwindigkeit co0 je nach Umlaufsinn des Elektrons erhöht oder erniedrigt wird. Damit erhöht und erniedrigt sich aber auch das magnetische Bahnmoment des Elektrons (vgl. Beispiel 2). In einem Atom mit zwei Elektronen entgegengesetzter Umlaufrichtung werden sich nach Anlegen eines äußeren Magnetfeldes die magnetischen Momente also nicht aufheben, sondern es bleibt ein resultierendes magnetisches Moment des Betrags 2Afi übrig. In Abb. 37.10 sind diese beiden Möglichkeiten noch einmal dargestellt. Wir können aus diesem Beispiel folgendes lernen. Setzen wir eine diamagnetische Substanz einem Magnetfeld aus, so wird in den Atomen der Substanz ein magnetisches Moment induziert, dessen Richtung der magnetischen Induktion B entgegengesetzt ist (Abb. 37.10 b). In paramagnetischen Substanzen versuchen sich die permanenten magnetischen Dipolmomente in die Richtung des Magnetfeldes einzustellen. Wir können nun auch verstehen, warum diamagnetische Körper von einem Magneten abgesto-

--¿y He + Aß

-

t2AM

B

-M«, + Aß

Abb. 37.10 Die magnetischen Momente zweier in einem Atom in entgegengesetzten Richtungen kreisenden Elektronen heben sich gegenseitig auf, wenn kein äußeres Magnetfeld vorhanden ist (a). Sie heben sich aber nicht auf, wenn ein äußeres Magnetfeld angelegt ist (b). Das resultierende magnetische Moment ist dem äußeren Feld B entgegengerichtet. Man vergleiche diese Darstellung mit der Abb. 37.9.

37.6 Ferromagnetismus

1121

ßen werden. In der Nähe eines Nordpols ist das Magnetfeld inhomogen, und die ß-Linien weisen von dem Pol fort. Nähert sich eine diamagnetische Probe dem Nordpol, so wird in ihr eine Magnetisierung M induziert, die den ß-Linien entgegengerichtet ist (Abb. 37.10b). Auf der dem Nordpol des Magneten zugewandten Seite der Probe befindet sich somit auch ein Nordpol. Die Probe wird also abgestoßen. Bei einer paramagnetischen Probe hingegen richten sich die elementaren magnetischen Dipole in dem Feld des Magneten aus, d. h. ihre Südpole zeigen auf den Nordpol des Magneten. Die paramagnetische Probe wird also angezogen.

Beispiel 5 Man bestimme die Änderung des magnetischen Momentes eines in einer Umlaufbahn um einen Atomkern kreisenden Elektrons (wie Beispiel 2), wenn ein Magnetfeld von B = 2 T rechtwinklig zur Bahnebene wirkt. Aus Gl. 37.3 erhält man das magnetische Moment zu = NÍA = (1) (ev) (nr 2 ) = (1)

(nr2) = \ er2w.

Die Änderung des magnetischen Momentes ist durch die Änderung der Winkelgeschwindigkeit gegeben: A/i= \er2 Aw. Setzt man Aa> aus Gl. 37.14 ein, so erhält man

Mit den oben angegebenen Zahlenwerten beträgt die Änderung (1.6x 10" 19 C) 2 (2.0 T)(5.3 x 1 0 ~ u m) 2 >i ~ ± (4)(9.1 x 1 0 - 3 1 kg) 29 = ± 4 . 0 x 1 0 " Am 2 . Das magnetische Moment hat nach Beispiel 2 einen Betrag von 9.2 x 10" 2 4 Am 2 . Die durch das verhältnismäßig starke Magnetfeld von 2 T hervorgerufene relative Änderung beträgt nur A n/n e = 4 x 10~6. Die bei der Ableitung der Gl. 37.13 und Gl. 37.14 gemachten Annahmen waren also gerechtfertigt.

37.6 Ferromagnetismus Bei den drei Übergangsmetallen Eisen (Fe), Cobalt (Co), Nickel (Ni), den drei Lanthanoiden Gadolinium (Gd), Disprosium (Dy), Erbium (Er) sowie einer Anzahl von Legierungen aus diesen und anderen Elementen tritt eine besondere Art von Magnetismus auf. Trotz der thermischen Bewegung der Atome können die elementaren magnetischen Momente dieser Stoffe einen hohen Grad von Ausrichtung erreichen. Diese Eigenschaft tritt besonders auffällig beim Eisen (Ferrum) auf und wird daher Ferromagnetismus

1122

37 Magnetische Eigenschaften der Materie 1.0

0.8

E

SS 0.6

53. ai CQ

0.4

/

0.2

/

0

2

4

'" 6

8

10

12

14

Ä o /10" 4 T Abb. 37.11 Eine Magnetisierungskurve für Eisen

genannt. Die eigentliche Ursache besteht in einer besonderen Art von Wechselwirkung, durch die benachbarte Atome ihre magnetischen Momente parallel zueinander ausrichten (Austauschenergie, Austauschkräfte). Diese Art der Kopplung kann man nicht im klassischen Bild der Physik erklären. Oberhalb einer bestimmten Temperatur, der CurieTemperatur, findet dieser Austausch nicht mehr statt. Ferromagnetische Stoffe zeigen dann nur noch ein paramagnetisches Verhalten. Die Curie-Temperatur von Eisen liegt bei 1043 K. Der Ferromagnetismus ist in erster Linie nicht eine Eigenschaft der einzelnen Atome, sondern eine des gesamten Kristallgitters (Abb. 21.5). In Abb. 37.11 ist eine Magnetisierungskurve von Eisen gezeigt. Eine solche Kurve erhält man, wenn man eine zunächst unmagnetische Eisenprobe zum Beispiel in das Magnetfeld einer Spule bringt. Fließt durch die Spule ein Strom 7, dann wird nach Gl. 34.7 ein Magnetfeld des Betrages B0 = ß0nl

(37.15)

im Inneren der Spule erzeugt, n ist die Längendichte (Anzahl durch Länge) der Windungen. Die Eisenprobe bringt man anschließend in das Innere einer Spule oder Ringspule, wie in Abb. 37.12 gezeigt ist. Um einen möglichst großen Effekt zu erzielen, formt man die Probe zu einem Ring und wickelt die Spule direkt darüber. Solange die Stärke d des Eisenringes klein gegenüber seinem Durchmesser ist, gilt auch für eine Ringspule die Gl. 37.15. Durch die Anwesenheit des Eisenkerns in der Ringspule wird der tatsächliche Wert der magnetischen Flußdichte B im Inneren des Toroids viel höher als B0 sein. Die atomaren Dipole des Eisens richten sich in dem äußeren Magnetfeld aus und erzeugen ein zusätzliches eigenes Magnetfeld BM. Beide Magnetfelder addieren sich: B = B0 + BM.

(37.16)

Das von dem Eisenkern erzeugte Magnetfeld BM ist der Magnetisierung M des Kerns proportional. Meist ist das Magnetfeld BM sehr viel größer als das von außen angelegte Feld B0. Die magnetische Flußdichte B0 des äußeren Feldes kann nach Gl. 37.15 berechnet werden, sie ist zu dem durch die Ringspule fließenden Strom proportional. Die durch den Eisenkern verursachte Erhöhung der magnetischen Flußdichte B kann (siehe unten)

37.6 Ferromagnetismus

1123

Abb. 37.12 Eine Ringspule, mit der Magnetisierungskurven einer Probe aufgenommen werden können (Rowland-Ring). S ist eine Sekundärspule.

experimentell bestimmt werden. Sie zeigt dann ihren höchsten Wert, wenn sich alle elementaren magnetischen Dipole im Eisen vollkommen nach dem äußeren Magnetfeld ausgerichtet haben. Trägt man den prozentualen Anteil der ausgerichteten Dipole, BM¡BM max , über der Flußdichte des äußeren Feldes B0 auf, dann erhält man die in Abb. 37.11 gezeigte Magnetisierungskurve. Für dieses Beispiel ergibt sich bei einer Flußdichte von B0 = 0.13 T eine 96.5 %ige Sättigung. Dieser Wert ist in der Abbildung nicht enthalten, da der Abszissenwert von 0.13 T etwa 5 m rechts außerhalb der Buchseite liegt. Eine 97.7%ige Sättigung wird bei einem Magnetfeld von B0 = I T erzielt. Dieser Abszissenwert liegt etwa 37 m außerhalb der Buchseite. Die Verwendung eines Eisenkerns in Transformatoren und Elektromagneten erhöht das durch den Strom erzeugte Magnetfeld einer Spule erheblich, denn wie schon gesagt, ist Bm häufig sehr viel größer als B0. In Elektromagneten, die man in der Forschung zur Erzeugung sehr starker Magnetfelder bis zu 25 T benutzt, werden allerdings keine Eisenkerne mehr verwendet, da der zur Verfügung stehende Raum im Spulenkern viel zu klein wird. Ein solcher Magnet muß mit einem Kühlsystem ausgestattet werden. Ein 25-TMagnet von weniger als 1 m Durchmesser entwickelt eine Wärmeleistung (Joulesche Wärme) von 16 MW. Zur Kühlung des Magneten wird ein Wasserdurchlauf von 75001/min im Kern der Ringspule benötigt. Um Bm nach Gl. 37.16 berechnen zu können, benötigt man neben der Flußdichte des äußeren Feldes B0 die Flußdichte B. Diese wird nach folgendem Verfahren bestimmt. In den Windungen des Toroids von Abb. 37.12 werde die Stromstärke von Null a u f / e r h ö h t . Der magnetische Fluß durch die Sekundärspule S ändert sich dabei um BA, wenn A die Fläche des Toroids ist. Während der Strom ansteigt und sich der magnetische Fluß in der Sekundärspule S ändert, wird in dieser nach dem Faradayschen Gesetz eine Spannung induziert. Wir nehmen einfachheitshalber an, daß der Strom so ansteigt, daß B linear zunimmt (Abb. 37.13 a). Während

1124

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

einer Zeit At des linearen Anstiegs von B beträgt der Betrag der Induktionsspannung A*_NBA. Uiai

At ~

At'

N ist die Windungszahl der Sekundärspule S. Aufgrund dieser Induktionsspannung fließt in der Spule S mit dem Widerstand R ein Strom / s von Uini s

_

R

NBA RAt'

Für die magnetische Induktion B ergibt sich daraus B =

(IsAt)R

QR

NA

NA

Die Größe IsAt entspricht der Ladung Q, die in der Zeit At durch die Spule transportiert wird. Mit einem ballistischen Galvanometer kann man diese Größe messen. Da die anderen Größen R, N und A bekannt sind, kann man zu jedem vorgegebenen Strom I im Toroid die Flußdichte B in seinem Inneren messen. Eine genauere Ableitung ergibt, daß B (r) nicht unbedingt linear ansteigen muß, wie in Abb. 37.13 angenommen wurde.

Abb. 37.13 (a) Zeitlicher Verlauf der magnetischen Flußdichte B in einer Rowland-Spule, wenn der Strom durch die Spule während eines Zeitintervalles At von Null auf einen bestimmten Betrag erhöht wird, (b) Verlauf des Induktionsstroms / s in der Sekundärspule. Beide Kurven sind idealisiert dargestellt. In Wirklichkeit sind die Knickpunkte der Kurve abgerundet. Eine nach dem oben beschriebenen Verfahren erreichte Magnetisierung kann durch Herunterfahren des äußeren Magnetfeldes wieder rückgängig gemacht werden. Die Entmagnetisierungskurve ist jedoch nicht mit der Magnetisierungskurve identisch. In Abb. 37.14 ist eine vollständige Magnetisierungskurve gezeigt. Sie wurde für eine Eisenprobe in einem Rowland-Ring (Abb. 37.12) gewonnen: (1) Im Punkt a wird die unmagnetische Probe in die Ringspule gelegt; das Magnetfeld

37.6 Ferromagnetismus

1125

d' Abb. 37.14 Magnetisierungskurve einer Eisenprobe, ab = Neukurve; bcdeb = Hystereseschleife. wird bis zur Flußdichte B0 = ß0nl hochgefahren; die Magnetisierung der Probe nimmt dabei zu, und das effektive Feld in der Spule erreicht den Wert bei b. (2) Der Strom in der Ringspule wird wieder auf Null heruntergefahren; die Magnetisierung der Probe nimmt dabei ab; sie wird bei der Flußdichte B0 = 0 des äußeren Feldes aber nicht ebenfalls Null, sondern behält einen endlichen Wert c. (3) Die Stromrichtung wird umgepolt und damit auch die Feldrichtung; der Strom wird wieder hochgefahren, und dabei wird ein der Magnetisierung der Probe entgegengerichtetes äußeres Magnetfeld aufgebaut; das Feld erreicht den Wert bei d, d. h. die Magnetisierung der Probe ist ebenfalls umgekehrt worden. (4) Der Strom wird wieder auf Null heruntergefahren, dadurch verschwindet das äußere Feld; die Magnetisierung behält aber einen endlichen Wert, der durch e gekennzeichnet ist. (5) Nun wird die Stromrichtung wieder umgekehrt und das Magnetfeld hochgefahren; das Magnetfeld im Toroid mit Eisenprobe erreicht wieder den Wert bei b wie unter (1). Das Magnetisierungsverhalten der Eisenprobe in der Spule, so wie es in Abb. 37.14 dargestellt ist, wird Hysterese genannt. Insbesonders ist bei diesem Vorgang auffallig, daß die Eisenprobe bei ausgeschaltetem äußeren Magnetfeld (Punkte c und e) eine Magnetisierung beibehält. Diese Restmagnetisierung heißt Remanenz, und sie bedeutet, daß die Eisenprobe zu einem Dauermagneten geworden ist. Die Magnetisierung einer paramagnetischen Probe (Abb. 37.8) hatten wir durch gegensätzliche Wirkung von thermischer Bewegung der Atome und Ausrichtung der magnetischen Momente in einem äußeren Magnetfeld erklärt. Bei ferromagnetischen Stoffen nimmt man an, daß benachbarte, elementare, magnetische Dipolmomente gegenseitig verkoppelt sind, so daß sie streng parallel zueinander liegen. Wie kann man dann aber die Abb. 37.11 verstehen? Warum erreicht die Magnetisierung nicht schon bei sehr niedrigen magnetischen Flußdichten B0 eine Sättigung? Beim Paramagnetismus hatten wir die magnetischen Eigenschaften der Materie auf atomare Kreisströme zurückgeführt. Beim Ferromagnetismus nimmt man an, daß die Probe aus Bereichen, den Weißschen Bezirken besteht, in denen jeweils die magnetischen Momente fast vollständig parallel ausgerichtet sind. Dagegen sind bei niedrigen Werten von B0 in verschiedenen Bereichen die Magnetisierungsrichtungen unterschiedlich (Abb. 37.15), so daß eine solche Probe nach außen hin fast unmagnetisch wirkt. In Abb. 37.16 sind die Grenzen der Weißschen Bezirke in einer photographischen Aufnahme dadurch sichtbar gemacht, daß man eine kolloidale Suspension aus fein verteiltem Eisenoxid auf einen geätzten Eisenkristall versprüht hat. Von diesen schmalen Bereichen werden die Eisenoxidteilchen angezogen, weil in ihnen starke inhomogene Felder herrschen. Wenn man ein Stück Eisen in einem äußeren Magnetfeld magnetisiert, finden zwei Vorgänge statt. Der eine besteht darin, daß die Weißschen Bezirke, die günstig zum Feld orientiert sind, vergrößert werden, während weniger günstig ausgerichtete verschwinden (Abb. 37.17). Der andere besteht darin, daß sich die magnetischen Dipole innerhalb eines Bezirks wie eine einzige Einheit in die Richtung des äußeren Magnetfeldes drehen können. Die Hysterese entsteht dadurch, daß sich die Grenzen zwischen den Weißschen Bezirken bei einer Änderung oder einer Umkehr des äußeren Feldes nicht reversibel zurückbilden.

1126

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

t /

\

Ì i

\

\

\ I

t

Abb. 37.15 Einzelne, abgegrenzte magnetische Bereiche (Weißsche Bezirke) in einem fast unmagnetischen, polykristallinen Ferromagnetikum. In den einzelnen Bereichen sind die magnetischen Momente vollkommen ausgerichtet.

Abb. 37.16 Aufnahme eines geätzten ferromagnetischen Eisenkristalls, der 3.8% Silicium enthält. Die hellen Linien (Bitter-Streifen) stellen die Grenzen zwischen den Weißschen Bezirken dar. Sie sind relativ regelmäßig geformt, weil es sich hier im Gegensatz zu Abb. 37.15 um einen Einkristall handelt. (Mit freundlicher Genehmigung von H.J. Williams, Bell Telephone Laboratories)

Es gibt noch zwei andere Formen des Magnetismus, den Antiferromagnetismus und den Ferrimagnetismus. Zu den antiferromagnetischen Stoffen gehört das Mangandioxid M n 0 2 , bei dem durch Austauschkräfte zwischen den Elektronen die (jeweils gleich großen) magnetischen Momente benachbarter Atome antiparallel ausgerichtet sind (Abb. 37.18 b). Eine derartige Probe ist nach außen fast unmagnetisch. Oberhalb einer bestimmten Temperatur (der Neel-Temperatur) hört die Austauschwechselwirkung ganz auf und die Substanz ist paramagnetisch.

37.6 Ferromagnetismus

1127

001 mm

M

(b)

(c)

Abb. 37.17 (a) Eine Grenze zwischen zwei Weißschen Bezirken. Die weißen Pfeile geben die Richtung der Magnetisierung an. (b) Wird ein äußeres Magnetfeld (Richtung von links nach rechts) angelegt, so dehnt sich der obere Weißsche Bezirk auf Kosten des unteren aus. (c) Die Grenze wandert nach unten, da sich immer mehr magnetische Dipolmomente in Richtung des äußeren Feldes ausrichten. Dabei hat die Grenze einen Bereich mit einem Kristallbaufehler durchschritten. (Mit freundlicher Genehmigung von H. J. Williams, Bell Telephone Laboratories)

Zu den ferrimagnetischen Stoffen gehören die Ferrite F e 2 0 3 • M e O (Me = Co, Ni, M n . . . ) . In diesen Verbindungen, gibt es zwei verschiedene Arten von magnetischen Ionen, M e 2 + und F e 3 + mit unterschiedlichen magnetischen Momenten, die durch die Austauschkräfte antiparallel ausgerichtet werden (Abb. 37.18 c). Die magnetischen Momente kompensieren sich nur zum Teil. N a c h außen hin liegt das magnetische Verhalten daher zwischen Ferromagnetismus und Antiferromagnetismus. Auch bei ferrimagnetischen Stoffen wird die gegenseitige Kopplung oberhalb einer charakteristischen Temperatur, der ferrimagnetischen Curie-Temperatur, aufgehoben. D a Ferrite fast nichtleitend sind, treten in ihnen kaum Wirbelstromverluste auf. Deshalb haben Ferrite in der Elektronik, Nachrichtentechnik und Videotechnik eine große Bedeutung erlangt.

(o)

m

(C)

MMii MUH »

V

$

Abb. 37.18 Schema der Orientierung elementarer magnetischer Dipole aufgrund der Austauschwechselwirkung (a) in ferromagnetischen, (b) in antiferromagnetischen und (c) in ferrimagnetischen Substanzen.

1128

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

37.7 Magnetisches Moment des Atomkerns Viele Atomkerne haben ein magnetisches Moment. Deshalb sollte man erwarten, daß sich die magnetischen Eigenschaften der Kerne auch in dem äußeren Verhalten der Materie widerspiegeln. Andererseits sind die magnetischen Momente des Kerns aber um viele Größenordnungen kleiner als die der Elektronenhülle. Das magnetische Spinmoment des Elektrons ist beispielsweise 660 mal größer als das des Protons. Der nach außen hin wirkende Effekt des Kernmagnetismus ist um das Quadrat des Größenverhältnisses der entsprechenden magnetischen Momente kleiner als der Effekt des (ionischen) Paramagnetismus. Der Grund dafür liegt darin, daß (a) der äußere Magnetismus um eben dieses Verhältnis kleiner wird, und (b) eben wegen des geringen magnetischen Momentes des Kerns die thermische Bewegung das Ausrichten der elementaren Dipole (Beispiel 4) in einem äußeren Magnetfeld entsprechend stärker (nämlich annähernd proportional dem Verhältnis der Momente) behindert. Das bedeutet, daß dieser Faktor (das Verhältnis) zweimal wirksam wird. Ein äußeres Magnetfeld, wie das des in Abb. 37.12 dargestellten Rowland-Ringes, reicht bei weitem nicht aus, um den Magnetismus des Atomkerns nachzuweisen. Es gibt jedoch sogenannte Resonanzverfahren, mit denen man die Effekte nachweisen kann, die auf die magnetischen Eigenschaften der Kerne zurückzuführen sind. Solche Resonanzverfahren werden heute in der Hochfrequenz-Spektroskopie überall zum Studium der magnetischen Eigenschaften der Materie eingesetzt. Hierzu gehören die Elektronenspinresonanz (ESR) und die kernmagnetische Resonanz (NMR). Die Kernspinresonanzverfahren wurden fast gleichzeitig (1946) von E. M. Purcell und F. Bloch entwickelt, wofür beide im Jahre 1952 den Nobelpreis erhielten (vgl. Abschn. 51.7). Wir wollen uns jetzt der Bestimmung des magnetischen Momentes des Protons widmen. Im Prinzip könnte man experimentell so vorgehen, daß man eine Probe aus Protonen einem äußeren Magnetfeld aussetzt und dann die Energie (2 ßB) mißt, die zum Umklappen der Drehbewegung der Protonen notwendig ist. Eine genaue Erklärung dieses Verfahrens kann nur auf quantenphysikalischer Grundlage gegeben werden. Wir versuchen trotzdem, diesen Vorgang mit Hilfe der klassischen Physik plausibel zu machen. In Abb. 37.19a ist ein spinnendes Proton gezeigt, das einem äußeren Magnetfeld ausgesetzt ist. Da das Proton sich wie ein Kreisel verhält, kommt es zu einer Präzessionsbewegung um die Feldrichtung, wobei 6 den Neigungswinkel der Kreiselachse gegen die Feldrichtung angibt. In Abb. 37.19b ist das mechanische Analogon gezeigt, ein Kreisel in einem Gravitationsfeld. In beiden Fällen ergibt sich ein Drehmoment, welches versucht, die Kreiselachse mit dem Feld

(a)

(b)

Abb. 37.19 (a) Ein Proton präzediert aufgrund seines Spins um die Richtung des äußeren Magnetfeldes, (b) Ein sich drehender Kreisel präzediert in einem Gravitationsfeld um die Feldrichtung. Sp und LK sind die entsprechenden Drehimpulse.

37.7 Magnetisches Moment des Atomkerns

1129

aufzurichten. Für das Proton ist das Drehmoment durch MP = NpBsm6

(37.17a)

gegeben, für einen Kreisel nach Abschn. 13.2 durch Mk = mgr sin 0.

(37.17 b)

Darin ist r der Betrag des Ortsvektors zum Massenmittelpunkt des Kreisels und m seine Masse. Die Winkelgeschwindigkeit der Präzessionsbewegung ist nach Gl. 13.2b 0* = ^ .

(37.18 a)

LK ist der (Eigen-)Drehimpuls des Kreisels. Ein Proton präzediert auch um die Richtung des Feldes (Magnetfeldes), weil auf ihn ein (magnetisches) Drehmoment (Gl. 37.17 a) wirkt. Im Gegensatz zu einem Kreisel ist der Eigendrehimpuls (Spin) SP des Protons aber gequantelt. Mit Hilfe der Ausführungen in Abschn. 13.2 und unter Verwendung von Gl. 37.17 a für das auf das Proton wirkende Drehmoment kann man die Präzessionsfrequenz zu cop = ^

(37.18b)

ableiten.

Beispiel 6 Wie groß ist die Präzessionsfrequenz eines Protons in einem Magnetfeld von 0.5 T? Der Spindrehimpuls des Protons beträgt SP = 0.53 x 10" 3 4 Js. Eingangs dieses Abschnitts wurde erwähnt, daß das magnetische Moment des Protons etwa 660mal kleiner als das des Elektrons ist. Das magnetische Moment des Elektrons wurde in Beispiel 2 berechnet. Nach Gl. 37.18 b errechnet sich die Frequenz damit zu 26 2 a>p _ n ^ppB _ (1.4x 10~ Am )(0.50T) 'v > _ T i v 1 n7

v p

2n

2nSp

(2*)(0.53 x 10" 3 4 Js)

Diese Frequenz von 21 MHz liegt im Radiowellenbereich.

Die Energie eines sich periodisch bewegenden Systems kann durch äußere periodische Einflüsse besonders dann geändert werden, wenn diese dieselbe Frequenz wie die Bewegung des Systems haben (Resonanzbedingung). Bei den kernmagnetischen Resonanzverfahren wird dafür meistens ein schwaches magnetisches Wechselfeld Bosc gewählt, welches auf das präzedierende Proton rechtwinklig zum stationären Magnetfeld B angelegt wird. Beide überlagern sich vektoriell zu einem resultierenden Feld, welches mit der Frequenz des schwachen oszillierenden Feldes zwischen zwei, in Abb. 37.20 gestrichelt gezeichneten, Werten hin- und herschwingt. Typische Werte sind etwa 0.5 T für das stationäre Magnetfeld und 100 |iT für das magnetische Wechselfeld, so daß der Winkel a in Abb. 37.20 sehr klein ist. Das präzedierende Proton absorbiert dann die größte Energie, wenn

1130

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

Abb. 37.20 Bei der kernmagnetischen Resonanzmethode wird ein schwaches magnetisches Wechselfeld Bosc rechtwinklig zu einem stationären Magnetfeld B angelegt.

die Winkelgeschwindigkeit co0 des Wechselfeldes mit der der Präzession des Protons w p übereinstimmt. Eine Erhöhung der Protonenenergie nach der Absorption bedeutet nach Abb. 37.19 a eine Vergrößerung des Präzessionswinkels. Die Resonanzbedingung lautet

(37.19) Wenn m a n ein Proton in ein Magnetfeld konstanter Flußdichte B bringt, ein Wechselfeld rechtwinklig dazu einwirken läßt und die Frequenz dieses Wechselfelds bis zum Eintritt der Resonanz variiert, kann m a n fi p bestimmen. Mit einem elektronischen Meßsystem kann m a n den Eintritt der Resonanz feststellen, da die Energieabsorption durch ein gleichzeitiges U m k l a p p e n der Spins vieler Protonen hervorgerufen wird. In Abb. 37.21 ist die experimentelle A n o r d n u n g f ü r einen Kernspinresonanzversuch skizziert. Untersucht wird die Resonanz der Protonen in einer Wasserprobe, die sich in einer Glaskapillare V befindet. Die Kapillare wird zwischen die Pole eines starken Magneten gebracht. In der Spule C wird das hochfrequente Wechselfeld Bosc erzeugt, welches durch einen Frequenzgenerator im Radio Wellenbereich gesteuert wird. Mit einem Resonanzdetektor wird festgestellt, bei welcher Frequenz co0 dem Feld eine maximale Energie entzogen wird. Eine so aufgenommene Resonanzkurve ist in Abb. 37.22 gezeigt. N a c h Gl. 37.19 kann m a n mit der ermittelten Resonanzfrequenz bei bekannter Flußdichte das magnetische M o m e n t p p berechnen. Überraschenderweise kann m a n mit solchen Resonanzverfahren die magnetischen Momente von Protonen viel genauer bestimmen

Abb. 37.21 Aufbau eines Kernresonanzspektrometers. Das Wechselfeld verläuft waagerecht innerhalb der Spule C. V ist eine schmale Glaskapillare, die die Probe enthält.

37.8 Die Vektoren des Magnetfeldes

1131

Abb. 37.22 Die Oszillographenaufnahme einer Protonenresonanz, bei der das Proton aus dem Wechselfeld Energie aufnimmt. Auf der senkrechten Achse ist die Energie und auf der waagerechten Achse die Frequenz des Oszillators aufgetragen.

als das magnetische M o m e n t eines Stabmagneten. F ü r das magnetische M o m e n t des P r o t o n s erhält m a n den Wert

fip = 1.410617 x 10~26 Am2.

37.8 Die Vektoren des Magnetfeldes Wenn ein Dielektrikum in ein elektrisches Feld gebracht wird, so werden auf seiner Oberfläche Polarisationsladungen influenziert (Kapitel 30). Diese Oberflächenladungen entstehen durch elementare elektrische Dipole (permanente oder induzierte), die ein eigenes elektrisches Feld erzeugen und dadurch das ursprüngliche Feld verändern. Für das einfache Beispiel einer dielektrischen Schicht im elektrischen Feld eines Plattenkondensators können wir diese Erscheinung durch den Vektor £ der elektrischen Feldstärke und die elektrischen Eigenschaften der Schicht, der Permittivitätszahl, beschreiben. Bei komplizierteren Beispielen müssen zwei weitere Größen des elektrischen Feldes herangezogen werden, die elektrische Polarisation P und die elektrische Flußdichte D. In Tab. 30.2 sind die Vektoren und einige ihrer Eigenschaften zusammengestellt worden. In der Magnetostatik liegen ähnliche Verhältnisse vor. Wenn ein magnetisches Material in ein äußeres Magnetfeld gebracht wird, so erzeugen die elementaren magnetischen Dipole (permanente oder induzierte) ein eigenes Magnetfeld. Für ein einfaches Beispiel, einen Eisenkern in einer Ringspule, konnten wir diesen Vorgang mit dem Vektor B der magnetischen Flußdichte und der magnetischen Eigenschaft der Probe, dem Magnetisierungsverhalten nach Abb. 37.11, beschreiben. Bei komplexeren Beispielen müssen wir jedoch zwei weitere Vektoren des Magnetfeldes heranziehen, die Magnetisierung M u n d die magnetische Feldstärke H. Wir betrachten wieder eine Ringspule mit einem Eisenkern, der aber ohne großen Aufwand wieder entfernt werden kann. Durch die Ringspule fließe ein Strom I, der ein Magnetfeld der Flußdichte B im Inneren des Toroids erzeugt. Bei Anwesenheit des

1132

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

(a)

(b)

Abb. 37.23 (a) Eine Ringspule (Rowland-Ring) mit einem Eisenkern, (b) Ein Ausschnitt aus dem Eisenkern, in dem die Richtung des magnetischen Momentes dm gezeigt ist, das durch die Ausrichtung der elementaren, magnetischen Dipole des Eisens hervorgerufen wurde.

Eisenkerns ist das effektive Magnetfeld in der Spule viel höher als bei Abwesenheit, wie wir in Abschn. 37.6 schon erfahren haben. Der Grund für die Erhöhung der magnetischen Flußdichte B liegt in der Ausrichtung der elementaren magnetischen Dipole des Eisenkerns im äußeren Feld. Wir wollen diesen Vorgang etwas genauer untersuchen und betrachten dazu ein schmales, scheibenförmiges Element des Eisenkerns (Abb. 37.23 b). Diese Scheibe besitzt ein magnetisches Moment dm, das der Vektorsumme aller elementaren magnetischen Momente in der Scheibe entspricht. Wir definierten schon in Abschn. 37.4 einen magnetischen Vektor, die Magnetisierung M, als die Dichte der magnetischen Momente des Spulenkerns. Für die in Ab. 37.23 b gezeigte Schicht gilt dm

=

M(A

dl).

(A dl) stellt das Volumen der Scheibe dar, wenn A die Querschnittsfläche des Eisenkerns Bei der Besprechung des Ampéreschen Gesetzes in Kapitel 34 hatten wir die Anwesenheit magnetischer Materie ausgeschlossen. Wenden wir das Ampéresche Gesetz §Bdl

= ß0I

(37.20)

auf den in Abb. 37.23 a gestrichelt eingezeichneten kreisförmigen Weg an, so erhalten wir (B)(2nr0) =

fi0(N0I0).

(37.21)

Bei Anwesenheit des Eisenkerns erhöht sich die effektive magnetische Flußdichte in der Ringspule. Die Magnetisierung des Eisenkerns wirkt auf die magnetische Flußdichte so, als ob ein zusätzlicher Strom IM 0 in der Spule fließen würde. Im Ampereschen Gesetz kann man diesen Effekt durch Einfügen eines zusätzlichen Stromes IM berücksichtigen:

37.8 Die Vektoren des Magnetfeldes

§Bdl

=

1133 (37.22)

FI0(I+IM).

Ordnet man IM einen geeigneten Wert zu, so kann das Amperesche Gesetz in der Form der Gl. 37.22 auch für Magnetfelder angewendet werden, wenn magnetische Materie anwesend ist. An dieser Formulierung des Ampereschen Gesetzes wirkt störend, daß man einen hypothetischen Strom IM eingeführt hat.* Es wäre besser, man könnte ihn durch eine andere Größe ersetzen. Wir wollen dies im folgenden tun. Wir wenden zunächst das Amperesche Gesetz in seiner erweiterten Form (Gl. 37.22) auf das Beispiel der Ringspule von Abb. 37.23 an, d.h. wir kombinieren die Gl. 37.22 mit Gl. 37.21. Daraus erhalten wir (B) (2 K r0) =

Mo

(N0I0 + N0IM_0).

(37.23)

Wir erinnern uns an die Definition des magnetischen Moments einer stromdurchflossenen Leiterschleife (Gl. 33.10). Es ist durch m = NIA gegeben, wobei N die Anzahl der Windungen und A die Querschnittsfläche der Stromschleife sind. Mit Hilfe dieser Beziehung wollen wir berechnen, welcher (zusätzliche) Strom IM o notwendig ist, um ein magnetisches Moment in der Scheibe von Abb. 37.23 b zu erzeugen, das gerade so groß ist wie das durch die Ausrichtung der elementaren Dipole erzeugte Moment. Die Anzahl der Windungen über der herausgegriffenen Scheibe des Kerns beträgt (N0dl/2nr0). Damit erhalten wir M{A

dl)

=

( N

{IM,Q){A).

o

Hieraus wird N0IMì0 = M(2nr0).

(37.24)

Setzen wir dies in Gl. 37.23 ein, so erhalten wir (B)(2nr0) = ß0(N0I0) + »0(M)(2nr0).

(37.25)

Diese Beziehung gilt zunächst nur für das von uns betrachtete Beispiel in Abb. 37.23. Im allgemeinen Fall lautet sie B dl = p0I +

HoOM-dl

oder B - HqM' V

Mo

dl = I.

* Man kann sich einen Magnetisierungsstrom als einen Strom vorstellen, der auf der Oberfläche um den Magneten fließt. Er stellt die makroskopische Erscheinung aller mikroskopischen Kreisströme in den Atomhüllen dar. Bei dieser Vorstellung werden aber nicht die Spins mit ihren magnetischen Momenten berücksichtigt. Der Magnetisierungsstrom soll daher nur eine bequeme Größe zur Berechnung der Magnetisierungseffekte sein.

1134

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

Tabelle 37.1

Die drei Vektoren B, H und M des magnetischen Feldes

Bezeichnung

Symbol

abhängig von

Grenzbedingung

Gleichung

Magnetische Flußdichte**

B

allen Strömen

stetige Normalkomponente

Gl. 33.2 F= QvxB

Magnetische Feldstärke**

H

realen Strömen

stetige Tangentialkomponente

Gl. 37.29* B = ii,ii0H

Magnetisierung

M

MagnetisierungsStrömen

verschwindet im Vakuum

Gl. 37.30* M=(jir-\)H

Zusammenhang der Vektoren Amperesches Gesetz für Materie im Magnetfeld

Gl. 37.26 B = n0H+n0M Gl. 37.27 §Hdl = I

* Gilt nur für paramagnetische und diamagnetische Stoffe ** Aus historischen Gründen wird H als magnetische Feldstärke und B als magnetische Flußdichte bezeichnet. In der Literatur wird B gelegentlich magnetische Feldstärke genannt. Es können in diesem Buch keine Verwechslungen auftreten, da die magnetische Feldstärke H nur in diesem Abschnitt des Buches verwendet wird. Der Kürze wegen wird aber häufig nur von einem Magnetfeld B gesprochen. Man vergleiche,auch die Anmerkung zu Abschn.33.2 und die Frage 24 in diesem Kapitel.

Die Größe (B — n0M)/fi0 erscheint sehr oft bei Berechnungen von Magnetfeldern. Sie erhielt daher einen eigenen Namen, nämlich magnetische Feldstärke H (zu dieser Bezeichnung vergleiche man die Anmerkung zu Tab. 37.1). Es gilt damit: H

=

B-fi0M Po

oder B = fi0H+

n0M.

(37.26)

Das Amperesche Gesetz vereinfacht sich durch die Einführung von H zu ()#d/=/.

(37.27)

In dieser Form gilt es auch, wenn magnetische Materie anwesend ist. / stellt den tatsächlich in der Spule fließenden Strom dar. Beim elektrischen Feld gilt nach Einführung der elektrischen Flußdichte D das Gaußsche Gesetz auch bei Anwesenheit von Dielektrika. Es werden dann nur die freien Ladungen berücksichtigt, aber nicht die Polarisationsladungen (Tab. 30.2). Ohne Beweis (vgl. Aufgaben 23 und 24) führen wir folgende, wichtige Eigenschaften der Vektoren B und H an: (1) Die Tangentialkomponente der magnetischen Feldstärke H durchsetzt eine Grenze zwischen zwei verschiedenen magnetischen Medien stetig. Das

37.8 Die Vektoren des Magnetfeldes

1135

bedeutet, daß die Tangentialkomponenten auf beiden Seiten der Grenze gleich groß sind. (2) Die Normalkomponente der magnetischen Induktion B durchsetzt die Grenze zwischen zwei verschiedenen magnetischen Medien stetig. Das bedeutet, daß die Normalkomponenten auf beiden Seiten der Grenze gleich groß sind. Wir wollen nun mit den neugewonnenen Beziehungen zwischen den Feldgrößen des Magnetfeldes die magnetische Feldstärke H in einer Ringspule berechnen. Nach Gl. 37.27 gilt (H)(2nr0)

=

N0I0,

wobei / 0 der tatsächlich in der Spule fließende Strom ist. Für den Betrag der Feldstärke H ergibt sich damit H

=

(37 28)

= ^

"

wenn n die Längendichte der Windungen (Anzahl durch Länge) der Spule ist. Er ist unabhängig von den magnetischen Eigenschaften des Spulenkerns. Die magnetische Flußdichte B kann mit dem in Abschn. 37.6 beschriebenen Verfahren experimentell ermittelt werden. Die Magnetisierung M ergibt sich dann aus Gl. 37.26. Wir nehmen an, daß wir die magnetischen Größen H, B und M für sehr viele magnetische Substanzen bestimmt hätten. Wir werden dann feststellen, daß bei paramagnetischen und diamagnetischen Materialien die magnetische Flußdichte B zur magnetischen Feldstärke H proportional ist: B = fiH = nrfi0H.

(37.29)

Die Größe ¿ir wird Permeabilitätszahl des magnetischen Materials und ¡x seine Permeabilität genannt. /ir ist bei vorgegebener Temperatur und Dichte eine Konstante des Materials und hat (außer bei Ferri- und Ferromagnetika) einen Betrag von ungefähr 1. Aus Gl. 37.26 und Gl. 37.29 folgt eine weitere Beziehung: M = (¡IT — \)H=

%mH.

(37.30)

Die Größe y_m wird magnetische Suszeptibilität genannt. Für diamagnetische Stoffe ist Xm < 0 bzw. /ir > 1, und für paramagnetische Stoffe ist xm > 0 bzw. fit < 1. Ferromagnetische Stoffe haben eine sehr hohe Suszeptibilität. Im Vakuum ist die Magnetisierung Null. Aus Gl. 37.26 erhält man mit M = 0 B = n0H (im Vakuum).

(37.31)

Wenn man diese Beziehung mit Gl. 37.29 vergleicht, folgt p r = 1. Für ferromagnetische Stoffe gibt es keinen linearen Zusammenhang zwischen B und H, wie man aus den Abb. 37.11 und 37.14 erkennt. (Die Abszisse B0 ist entsprechend Gl. 37.29 proportional zu ¡i0H. Diese Abbildungen stellen also B, //-Kurven dar.) Experimentell hat man gefunden, daß die Suszeptibilität %m nicht nur eine Funk-

1136

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

tion von H ist, sondern auch - wegen der Hysterese - von der Vorgeschichte der Probe abhängt.* Einen interessanten Sonderfall von Ferromagnetismus stellt der Dauermagnet dar. Die Größen H, A/und B verschwinden innerhalb des Magneten nicht, obwohl dort kein Strom fließt. In Abb. 37.24 sind die Feldlinienbilder der magnetischen Flußdichte B und der magnetischen Feldstärke H eines Stabmagneten gezeichnet. Die ß-Linien bilden geschlossene Kurven, und die oben genannten Grenzbedingungen sind beim Übergang in den Magneten erfüllt. Nach Gl. 37.22 hängt die magnetische Flußdichte von allen Strömen ab, den realen Strömen wie den Magnetisierungsströmen. Bei dem Beispiel des Magneten von Abb. 37.24b ist das Integral §B- dl über eine geschlossene Schleife, zum Beispiel die gestrichelte Kurve, nicht Null. Das Integral muß also von einem (hypothetischen) Magnetisierungsstrom bestimmt sein, der auf der Oberfläche um den Magneten herumfließt, denn reale Ströme gibt es in diesem Magneten nicht. In Abb. 37.24a ist gezeigt, daß die //-Linien an der Grenzfläche des Magneten ihre Richtung umkehren. Da nach Gl. 37.27 / / n u r von den realen Strömen abhängt, muß in unserem Beispiel das Integral §H • dl über irgendeine geschlossene Kurve, zum Beispiel die gestrichelt eingezeichnete, Null sein. Wegen der Richtungsumkehr der //-Linien an den Magnetgrenzen ist dies möglich. Man beachte, daß H und M innerhalb des Magneten entgegengesetzte Richtungen haben.

B juoH M= 0

B (a)

moM

(b)

Abb. 37.24 Verlauf (a) der //-Linien und (b) der B-Linien eines Permanentmagneten. Die //-Linien ändern beim Durchtritt durch die Oberfläche des Magneten ihre Richtung. Die geschlossenen, gestrichelt gezeichneten Kurven sollen Integrationswege darstellen, über die das Amperesche Gesetz angewendet werden kann. Die Beziehung B = n0H + ¡i0M ist für einen Punkt p außerhalb (c) und einen Punkt q innerhalb (d) des Magneten erfüllt.

* Unter den Dielektrika gibt es wachsartige Materialien, die Ferroelektrika, bei denen E und D nicht linear verknüpft sind. Diese Stoffe zeigen eine Hysterese, und es können aus ihnen quasipermanente elektrische Dipole (Elektrete) hergestellt werden. Die meisten dielektrischen Materialien zeigen einen linearen Zusammenhang zwischen D und E, während die meistbenutzten magnetischen Materialien keine Linearität zwischen H und B aufweisen.

Fragen

1137

Beispiel 7 In einer Ringspule (z. B. der Rowland-Ring von Abb. 37.12) mit 10 Windungen je Zentimeter (n = 10/cm) fließe ein Strom der Stärke 2 A. Die magnetische Induktion wurde zu 1 T gemessen. M a n bestimme (a) H, (b) M und (c) den Magnetisierungsstrom IM 0 f ü r die Ringspule mit und ohne Eisenkern, (d) Wie groß ist /ir? (a) H hängt nicht von dem Material des Spulenkerns ab. N a c h Gl. 37.28 ergibt sich für H H = n l = (10/cm) (2.0 A) = 2.0 x 10 3 A/m. (b) Ohne Eisenkern in der Spule tritt keine Magnetisierung in der Spule auf. Mit Eisenkern in der Spule erreicht die Magnetisierung nach Gl. 37.26 einen Wert von M

_ B - f i

0

H

(1.0 T) — (4n x 10~ 7 T m / A ) ( 2 . 0 x IQ 3 A/m)

Po

(47t x 1 0

-7

Tm/A)

- „ '

1q5 X

a / /m

'

(c) Der Magnetisierungsstrom kann nach Gl. 37.24 berechnet werden: /

M

(

M

7.9 x IQ5 A / m

Das Einfügen des Eisenkerns in die Spule führt also zu derselben Erhöhung der magnetischen Flußdichte B wie ein zusätzlicher Strom von 790 A in einer Ringspule ohne Eisenkern. (d) Die Permeabilitätszahl kann m a n aus Gl. 37.29 erhalten. Mit den vorgegebenen Daten ergibt sich B ßr

10

T

~ J ^ H ~ (n x 10~ 7 Tm/A)(2.0 x 10 3 A/m) ~~

Dieser Wert gilt nur für dieses spezielle Beispiel.

Fragen 1. Es seien zwei äußerlich identische Eisenstäbe gegeben, von denen einer magnetisch und der andere unmagnetisch ist. Wie kann m a n sie auseinanderhalten? Es stehen keine Geräte zur Verfügung, und die Stäbe sollen nicht als Kompaßnadel im Erdmagnetfeld benutzt werden. 2. Zwei Eisenstäbe stoßen sich ab, unabhängig davon, mit welchen Enden man sie aneinanderhält. K a n n man daraus schließen, d a ß einer der Stäbe unmagnetisch ist? 3. Ein Neutron trägt keine Ladung, hat aber ein magnetisches Moment. Ist das nach der klassischen Elektrodynamik möglich, oder kann man daraus schon auf ein Versagen der klassischen Elektrodynamik schließen? 4. Müssen alle Permanentmagnete identifizierbare N o r d - und Südpole haben? M a n denke an Magnete, die von der F o r m eines Stabmagneten abweichen. 5. Angenommen, es würden magnetische Monopole existieren, könnte es dann verschiedene Arten von Monopolen geben, zum Beispiel mit unterschiedlicher Masse, Polstärke oder unterschiedlichem Eigendrehimpuls? M a n vergleiche A n h a n g F. 6. In einem Versuch wird festgestellt, d a ß ein kurzer Eisenstab an jedem Ende einen N o r d p o l aufweist. D a n n werden Eisenfeilspäne über ihn gestreut. Wo bleiben die Späne an dem Magneten hängen? M a n skizziere grob den Verlauf der Ä-Linien innerhalb und außerhalb des Magneten.

1138

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

7. Zwei Gedankenexperimente: (a) Ein (hypothetischer) magnetischer M o n o p o l wird mit konstanter Geschwindigkeit mitten durch eine Stromschleife (eine Windung) gezogen, (b) Versuch (a) wird mit einem kurzen Stabmagneten durchgeführt. M a n vergleiche qualitativ die Ladung, die bei jedem der Versuche durch die Querschnittsfläche der Leiterschleife transportiert wird. 8. Kosmische Strahlen sind von fernen Strahlungsquellen ausgesandte geladene Teilchen, die auf die Erdatmosphäre treffen. Im Bereich der magnetischen Pole der Erde treffen viel mehr niederenergetische kosmische Strahlen auf als im Bereich des magnetischen Äquators. Woran liegt das? 9. Wie könnte man das magnetische M o m e n t der Erde messen? 10. M a n gebe drei G r ü n d e d a f ü r an, w a r u m der magnetische Fluß 4> des Erdmagnetfeldes durch Alaska größer ist als durch Texas. 11. Es soll ein K o m p a ß hergestellt werden, (a) Wie kann man die Kompaßnadel magnetisieren? (b) Die nach Norden weisende Spitze einer Kompaßnadel wird meistens farbig markiert. Wie findet man diese Spitze heraus, ohne d a ß man das Erdmagnetfeld benutzt? (c) Stellt die markierte Spitze der Kompaßnadel einen N o r d - oder einen Südpol dar? 12. Wie kann man sich die Störung des Radioempfanges durch einen magnetischen Sturm erklären? 13. M a n erkläre mit Hilfe der Gl.33.2, F = g0vxB, warum die Elektronen und Protonen des Sonnenwindes im Van-Allen-Gürtel eingefangen werden und dann in Spiralbewegungen u m die ß-Linien des Erdmagnetfeldes zwischen dem magnetischen Südpol und dem magnetischen Nordpol hin- und herreflektiert werden (magnetische Spiegelung). Wie unterscheiden sich die Bahnen der Elektronen von denen der Protonen? 14. Polarlicht wird besonders häufig nicht direkt an den magnetischen Polen beobachtet, sondern in Breiten, die ungefähr 23° darunter liegen. Warum tritt das Polarlicht nicht am stärksten an den Polen auf? 15. Ist die Sättigungsmagnetisierung einer paramagnetischen Probe sehr viel geringer als die einer ferromagnetischen Probe gleicher Größe? 16. Die in einem äußeren Magnetfeld erreichte Magnetisierung einer diamagnetischen Kugel hängt nicht von der Temperatur ab, im Gegensatz zu der einer paramagnetischen Kugel. K a n n m a n das im Rahmen des im Abschn. 37.5 erörterten Diamagnetismus verstehen? 17. Warum wird ein unmagnetisierter Nagel von einem Magneten angezogen? 18. Wirkt auf (a) einen unmagnetisierten Eisenstab oder (b) einen permanent magnetisierten Stab in einem homogenen Magnetfeld eine K r a f t oder ein Drehmoment? 19. Ein Nagel wird auf einer glatten Tischplatte in die N ä h e eines starken Magneten gelegt. Wenn der Nagel losgelassen wird, zieht ihn der Magnet an. Woher rührt die kinetische Energie, die der Nagel kurz vor dem Berühren des Magneten besitzt? 20. M a n vergleiche die Magnetisierungskurven einer paramagnetischen (Abb. 37.8) und einer ferromagnetischen Substanz (Abb. 37.11). Wie sähe die Magnetisierungskurve einer diamagnetischen Substanz aus? G ä b e es bei einem sehr hohen Wert von B (etwa 10 T) eine Sättigung? 21. Warum richten sich Eisenfeilspäne längs der magnetischen Feldlinien aus (z. B. in Abb. 37.1)? Eigentlich sind sie doch gar nicht magnetisiert? 22. Welcher Unterschied besteht zwischen der Präzessionsfrequenz und der Zyklotronfrequenz eines Protons in einem äußeren Magnetfeld? 23. Bei der Besprechung der kernmagnetischen Resonanzverfahren (Abschn. 37.7) wurde gesagt, d a ß aus einem äußeren Wechselfeld Energie absorbiert wird, weil die kernmagnetischen Dipole umklappen. Ein Dipol ist aber von Anfang an entweder parallel oder antiparallel zum Feld ausgerichtet. Ein Umklappen bedeutet also die A u f n a h m e oder die Abgabe einer Energie von 2 ¡xB. Warum beobachtet man nur eine Absorption, der Nettoeffekt müßte doch Null sein? 24. Welche Übereinstimmungen und welche Unterschiede bestehen zwischen den Feldvektoren des elektrischen Feldes (Tab. 30.2) und des magnetischen Feldes (Tab. 37.1)?

Aufgaben

1139

25. Welche formalen Ähnlichkeiten gibt es zwischen einem mit einem Dielektrikum ausgefüllten Plattenkondensator und einer Ringspule mit einem Eisenkern, wenn man die Vektoren £ u n d B betrachtet? Man benutze Tab. 30.2 und Tab. 37.1. 26. Durch eine Ringspule mit Eisenkern (Abb. 37.12) fließe ein Strom. Wie ändern sich B, H und M, wenn in den Eisenkern ein schmaler Schlitz gefräst wird? 27. Ein Stabmagnet zeigt mit seinem Nordpol nach oben und mit seinem Südpol nach unten. Welche Richtung haben die Vektoren B, / / u n d M i n einem Punkt (a) innerhalb des Magneten nahe dem Mittelpunkt, (b) außerhalb knapp oberhalb des Magneten und (c) außerhalb knapp unterhalb des Magneten?

Aufgaben Abschnitt 37.1 1. Eine kleine Leiterschleife mit nur einer Windung habe ein magnetisches Moment von 2 x 1 0 " 4 Am 2 . Wie groß ist die magnetische Flußdichte B in einem Punkt auf der Dipolachse in 8 cm Entfernung von der Leiterschleife? Antwort: 7.8 x 1 0 - 8 T, in Richtung der Achse. 2. Ein einfacher Stabmagnet hängt an einer Schnur von der Decke herab, so wie in Abb. 37.25 gezeigt. Nun wird ein homogenes Magnetfeld angelegt, das parallel zur Decke verläuft. Welche Lage haben Magnet und Schnur jetzt?

S

ü Abb. 37.25 Zu Aufgabe 2

3. Man bestimme (a) die elektrische Feldstärke /sund (b) die magnetische Flußdichte B in einem Punkt auf der Spinachse eines Protons in 0.1 nm Entfernung vom Proton. Das magnetische Moment des Protons ist 1.4 x 10" 2 6 Am 2 . Antwort:

(a) 1.4 x 1 0 1 1 V / m ; (b) 2.8 mT.

4. Man zeige im Bilde der klassischen Mechanik, daß eine sich um sich selbst drehende positive Ladung ein magnetisches Spinmoment besitzt, das die gleiche Richtung wie ihr Spindrehimpuls hat. 5. Ein Elektron hat einen Spindrehimpuls von Sc = 0.53 x 10" 3 4 Js und ein magnetisches Bahnmoment von = 9.3 x 10" 2 4 Am 2 . Man vergleiche nJSe und ejm. Antwort: Sie sind gleich. 6. Eine Ladung Q ist homogen über einen dielektrischen Ring mit dem Radius r verteilt. Der Ring rotiert mit einer Winkelgeschwindigkeit w um seine Mittelachse. Man bestimme Größe und Richtung des erzeugten magnetischen Momentes. 7. Man zeige anhand einer Skizze des Feldlinienverlaufs um einen magnetischen Dipol, daß für den Fall (a) parallelverlaufender Momente zweier Dipole diese nicht so verharren werden und daß für (b) antiparallelverlaufende Momente diese ihre Lage beibehalten. Man betrachte für beide Fälle das Drehmoment, welches im Feld des ersten Dipols auf den zweiten Dipol wirkt.

1140

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

8. Man betrachte ein Elektron als eine sehr kleine Kugel mit dem Radius R; die Ladung und die Masse seien homogen über das Volumen verteilt. Ein solches Elektron besitzt einen Spindrehimpuls S e = 0.53 x 10~ 34 Js und ein magnetisches Bahnmoment fic = 9.3 x 10~ 24 Am 2 . Man zeige, daß e/m = 2 nJS e gilt. Stimmt das mit dem Experiment überein? Hinweis: Das kugelförmige Elektron muß in infinitesimale Stromschleifen aufgeteilt werden. Dann kann das magnetische Moment durch Integration errechnet werden. Ein solches Elektronenmodell findet in der Quantenphysik allerdings keine Anwendung. Abschnitt 37.3 9. Aus den in Abschn. 37.3 genannten Werten bestimme man (a) die Vertikalkomponente und (b) den durchschnittlichen Betrag der gesamten magnetischen Flußdichte B des Erdmagnetfeldes in Berlin. Antwort:

(a) 45 nT; (b) 49 |iT.

10. Die Erde besitzt ein magnetisches Moment von 8 x 10 22 Am 2 , (a) Mit welcher Stromstärke müßte ein Strom durch eine einzige Leiterschleife längs des Äquators fließen, damit das obige Dipolmoment erzeugt würde? Könnte durch diesen Strom der Erdmagnetismus (b) in entfernten Punkten oder (c) auf der Erdoberfläche aufgehoben werden? Abschnitt 37.4 11. (a) Welches magnetische Moment erzeugt ein Elektron durch seine Umlaufbewegung in einem Atom, wenn der Bahndrehimpuls genau eine Elementareinheit des Drehimpulses (also gleich h = h/2n = 1.05 x 10" 3 4 Js) beträgt? (b) Das magnetische Spinmoment eines Elektrons ist 0.928 x 1 0 - 2 3 Am 2 . Welche Energiedifferenz (magnetische potentielle Energie) besteht zwischen einem Elektron, dessen magnetisches Spinmoment parallel zu einem äußeren Feld von 1.2 T ausgerichtet ist, und einem Elektron, dessen magnetisches Spinmoment antiparallel ausgerichtet ist? (c) Bei welcher Temperatur entspricht die Differenz von (b) der mittleren thermischen Energie kTßl Antwort:

(a) 9.2 x 1 0 " 2 4 A m 2 ; (b) 2.2 x 1 0 " 2 3 J; (c) 3.2 K .

12. Bei welcher Temperatur entspricht die mittlere thermische Energie eines paramagn'etischen Gases der magnetischen Energie, die die Gasatome mit einem magnetischen Moment von 10" 2 3 Am 2 in einem äußeren Magnetfeld der Stärke 0.5 T annehmen? Abschnitt 37.5 13. Ein Elektron bewegt sich auf einer Kreisbahn um eine ruhende positive Ladung. Rechtwinklig zur Umlaufbahn wirkt ein homogenes Magnetfeld. Die elektrische Kraft ist genau ¿V-mal größer als die magnetische Kraft auf das Elektron, (a) Man bestimme die beiden möglichen Winkelgeschwindigkeiten des Elektrons, (b) Man berechne die Winkelgeschwindigkeiten für die Werte B = 0.427 T und N = 100. eB

Antwort: (a) (N ± 1) —; (b) 7.43 x 10 12 rad/s, 7.57 x 1012 rad/s. m

14. Man zeige, daß in Gl. 37.13 Aw o)0 ist. 15. Kann man eine Erklärung des Diamagnetismus aus dem Faradayschen Induktionsgesetz ableiten? Welchen Induktionseffekt kann man in dem Beispiel von Abb. 37.9 erwarten, wenn die Flußdichte von Null auf den Wert B ansteigt? Abschnitt 37.6 16. Das magnetische Moment eines Eisenatoms in einem Eisenstab ist 1.8 x 10~ 23 Am 2 . Der Stab sei 5 cm lang und habe einen Querschnitt von 1 cm 2 . Alle Momente seien in dem Stab ausgerichtet. (a) Wie groß ist das magnetische Moment des Stabes? (b) Welches Drehmoment muß

Aufgaben

1141

auf den Stab wirken, damit dieser rechtwinklig zu einem äußeren Magnetfeld von 1.5 T steht? Die Dichte von Eisen ist 7.9 g/cm 3 . 17. Eine Ringspule mit 400 Windungen besitzt einen ferromagnetischen Kern. Der Innenradius soll 5 cm und der Außenradius 6 cm betragen, (a) Welcher Strom muß in der Spule fließen, damit eine magnetische Flußdichte B0 = 2 x 1 0 - 4 T erzeugt wird (Abb. 37.11)? (b) Eine Sekundärspule mit 50 Windungen und einem Widerstand von 8 Í2 wird um die Ringspule gelegt (Abb. 37.12). Damit ergibt sich Bu = 800 B0. Welche Ladung fließt durch die Sekundärspule, wenn der Strom in der Ringspule eingeschaltet wird? Antwort: (a) 0.14 A; (b) 79nC. 18. Dipol-Dipol-Wechselwirkung. Die in Abschn. 37.6 erwähnte quantenphysikalische Austauschwechselwirkung ist nicht die klassische magnetische Wechselwirkung zwischen zwei elementaren magnetischen Dipolen. Um das zu zeigen, berechne man (a) die magnetische Flußdichte B in einem Abstand a = 10 nm von einem Dipol, der ein magnetisches Moment von /j, = 1 . 8 x l 0 - 2 3 Am 2 besitzt, und (b) die Energiediflerenz 2 fiB, die zum Umklappen eines zweiten Dipoles in diesem Magnetfeld erforderlich ist. Was kann man über die Stärke dieser DipolDipol-Wechselwirkung aussagen? Man vergleiche das Ergebnis mit dem von Beispiel 4. (Man beachte, daß die magnetische Flußdichte B im Abstand d von einem Dipol auf der Mittelsenkrechten auf die Dipolachse nur den halben Wert wie in der gleichen Entfernung vom Dipol auf der Dipolachse hat; vgl. Gl. 37.2 und Tab. 34.1.) Abschnitt 37.7 19. Angenommen, die magnetischen Momente aller Wasserstoffkerne (Protonen), die in 1 g Wasser enthalten sind, könnten ausgerichtet werden. Wie groß wäre dann die magnetische Flußdichte B in 5 cm Entfernung von der Probe auf der Achse der Ausrichtung? Antwort: 7.5 x 10" 6 T. 20. Man kann die spezifische Ladung e/m eines Elektrons durch Messen (a) der Zyklotronfrequenz vc des Elektrons in einem Magnetfeld und (b) der Präzessionsfrequenz vp eines Protons in demselben Magnetfeld bestimmen. Man zeige die Gültigkeit folgender Beziehung: £ = ^/f« m

vp S£

Abschnitt 37.8 21. Die Energiedichte eines Magnetfeldes kann im allgemeinen Fall durch w« = \B

H.

angegeben werden. Kann man daraus für das Vakuum ein schon bekanntes Ergebnis ableiten? Antwort: ja. 22. Eisentoroid mit Luftspalt. Eine Ringspule mit 500 Windungen und einem Umfang der Mittellinie von 1 m enthält einen Eisenkern des Querschnitts 200 cm 2 . Das Eisen hat eine Permeabilitätszahl von 5000. In den Eisenkern ist ein 1 cm breiter Schlitz gefräst (Luftspalt). Welcher Strom muß durch die Ringspule fließen, damit im Luftspalt eine magnetische Flußdichte von 1.8 T erzeugt wird? 23. Grenzbedingung fiir H. Man beweise, daß auf beiden Seiten der Grenzfläche zwischen zwei Medien die Tangentialkomponenten von H den gleichen Wert haben (Auf der Oberfläche sollen keine Ströme fließen). Hinweis: Man konstruiere eine rechteckige, geschlossene Schleife, so daß die beiden Längsseiten in den beiden Medien parallel zur Grenzfläche verlaufen. Man wende dann das Ampéresche Gesetz für Magnetfelder mit Materie (Gl. 37.27) an.

1142

37 Magnetische Eigenschaften der Materie

24. Grenzbedingungfür B. Man zeige, daß auf beiden Seiten der Grenzfläche zwischen zwei Medien die Normalkomponenten von B den gleichen Wert haben. Hinweis: Man konstruiere eine geschlossene Gaußsche Fläche in Form eines flachen Zylinders, dessen Deckflächen in den beiden Medien liegen. Dann wende man das Gaußsche Gesetz für das Magnetfeld (Gl. 37.6) an.

38 Elektromagnetische Schwingungen

38.1 Schwingungen eines LC-Kreises In Abb. 38.1 ist ein elektrischer LC-Kreis gezeigt, den wir zunächst als widerstandslos annehmen. Dieses System kann mit einem mechanischen Federpendel (Abb. 8.4) verglichen werden, das im Idealfall reibungsfrei schwingt. Beide Systeme schwingen mit einer charakteristischen Frequenz. Weitere Analogien zwischen diesen beiden Systemen werden in Abschn. 38.3 beschrieben. Zunächst wollen wir nur die Schwingungen des LCKreises von Abb. 38.1 etwas näher betrachten. Zu Anfang trage der Kondensator C eine Ladung Q, und der Strom / durch die Spule L sei Null. Das entspricht der Phase a in Abb. 38.1. Zu diesem Zeitpunkt beträgt die in dem Kondensator gespeicherte elektrische Energie nach Gl. 30.7 =

1 Ö2

(38.1)

Die in der Spule gespeicherte magnetische Energie ist nach Gl. 36.18 Em = j L I 2 .

(38.2)

Da / zu Anfang Null ist, ist auch die Energie Null. In dem geschlossenen LC-Kreis wird sich der Kondensator nun entladen, wobei positive Ladungsträger gegen den Uhrzeigersinn durch den Kreis fließen (Phase b). Damit fließt durch die Spule ein Strom / = d Qld t. Die Ladung auf dem Kondensator nimmt mit der Zeit ab, so daß auch die elektrische Energie abnimmt. Die abgegebene Energie wird in magnetische Energie umgewandelt, denn durch den Strom /wird in der Spule ein Magnetfeld aufgebaut. Auf diese Weise wird kontinuierlich elektrische Energie in magnetische Energie übergeführt. Das geht aber nur über eine begrenzte Zeit. In Phase c der Abb. 38.1 sind nämlich alle Ladungen von den Kondensatorplatten abgeflossen, zwischen denen jetzt kein elektrisches Feld mehr besteht. Der Energieinhalt des Kondensators ist damit erschöpft. Nach Gl. 38.2 muß zu diesem Zeitpunkt der Strom / durch die Spule ein Maximum haben. Man beachte, daß zu diesem Zeitpunkt d Q/d t nicht Null ist, obwohl Q auf dem Kondensator Null ist. Mit dem Strom durch die Spule werden weiterhin positive Ladungen von der oberen Kondensatorplatte über die Spule auf die untere Kondensatorplatte transportiert (Phase d). Dabei wird die magnetische Energie der Spule wieder in elektrische Energie des Kondensators zurückverwandelt, wobei sich das elektrische Feld zwischen den Kondensatorplatten wieder aufbaut. Schließlich (Phase e) wird die magnetische Energie der

1144

38 Elektromagnetische Schwingungen

Em

Et

Abb. 38.1 Acht verschiedene Phasen eines idealen Z-C-Schwingkreises. Die Säulendiagramme unter jeder Zeichnung zeigen, wie sich die elektrische Energie Ec und die magnetische Energie Em ändern. Man vergleiche diese Abbildung mit der entsprechenden Darstellung der Schwingung eines Federpendels in Abb. 8.4.

Spule wieder Null sein, während die elektrische Energie des Kondensators ihren maximalen anfänglichen Wert erreicht hat. Damit ist das System aber noch nicht in den Ausgangszustand zurückgekehrt, denn der Kondensator hat jetzt eine andere Polarität als zu Anfang. Jetzt entlädt sich der Kondensator wieder (Phase f). Positive Ladungen werden nun im Uhrzeigersinn durch den LC-Kreis transportiert, es wird in der Spule ein magnetisches Feld aufgebaut, usw. ... Schließlich wird das System aber tatsächlich seinen Ausgangszustand (Phase a) wieder eingenommen haben. Der Prozeß wird nun von neuem beginWir erkennen, daß in dem LC-Kreis ein oszillierender Vorgang mit einer endlichen Frequenz v bzw. Kreisfrequenz a> = 2nv abläuft. Wenn ein solcher LC-Oszillator erst

38.1 Schwingungen eines LC-Kreises

1145

einmal in Gang gebracht ist, wird er unbegrenzt weiterschwingen (solange er keinen Widerstand besitzt, was in der Realität natürlich nicht der Fall ist), und die Energie wird dauernd zwischen dem elektrischen Feld des Kondensators und dem magnetischen Feld der Spule hin- und herpendeln. Das System muß nicht unbedingt bei (a) gestartet werden, es kann genauso gut in jeder anderen Phase in Gang gebracht werden, vorausgesetzt es besitzt einen Energieinhalt. Man vergleiche diesen Schwingungsvorgang des elektromagnetischen Systems sorgfältig mit der Schwingung des Federpendels in Abb. 8.4. Falls wir den LC-Kreis quantitativ untersuchen wollen, müssen wir den Strom / und die Ladung Q als Funktionen der Zeit messen. Die Ladungsänderung kann man über die an den Platten des Kondensators liegende Spannung bestimmen, denn es besteht nach Gl. 30.1 eine Proportionalität zwischen U und Q :

Den Strom kann man messen, wenn man einen kleinen Widerstand R in den LC-Kreis schaltet und den Spannungsabfall über R aufnimmt. Es besteht nach Gl. 31.6 eine Proportionalität zwischen der Spannung über einem Widerstand und dem Strom: UR = (R)I. Der Widerstand R soll so klein sein, daß er auf das Schwingungsverhalten des LCKreises keinen Einfluß ausübt. Der Verlauf der Größen Q(t) und I{t) bzw. Uc(t) und UR(t) kann auf einem Oszillographenschirm sichtbar gemacht werden (Abb. 38.2).

Abb. 38.2 Zeitlicher Verlauf (a) der Ladung und (b) des Stromes in dem LC-Schwingkreis von Abb. 38.1. Die Buchstaben zwischen den beiden Kurven sollen die Phasenverschiebung zwischen den beiden Kurven verdeutlichen. Wegen / = dQ/dt muß die untere Kurve die Ableitung der oberen Kurve sein. Kann man das in der Abbildung erkennen?

Beispiel 1 Ein l - | i F - K o n d e n s a t o r wird mit einer 50-V-Batterie aufgeladen. Die Ladebatterie wird abgetrennt u n d eine 10-mH-Spule wird parallel zu dem K o n d e n s a t o r geschaltet, so d a ß ein Z,C-Kreis (ohne Widerstand) entsteht. Wie groß ist der Strom durch die Spule?

1146

38 Elektromagnetische Schwingungen

Nach dem Energieerhaltungssatz muß die maximale elektrische Energie des Kondensators genauso groß sein wie die maximale magnetische Energie in der Spule. Diese Energien sind durch Gl. 38.1 und Gl. 38.2 gegeben (Q und / sind die maximalen Werte von Q und T)

Man beachte, daß die Ladung ihr Maximum nicht zur gleichen Zeit erreicht wie der Strom. Beide sind um eine Viertelperiode gegeneinander verschoben (Abb. 38.1 und Abb. 38.2). Einsetzen von Q = CU0 und Auflösen nach I ergibt

In einem realen LC-Schwingkreis werden die Schwingungen nicht unendlich lange andauern, sondern mehr oder weniger schnell abklingen. Wegen des immer vorhandenen Widerstandes der Leiterelemente wird dauernd ein Teil der Energie des Kreises in Wärmeenergie (Joulesche Wärme) verwandelt und geht damit dem Schwingkreis verloren. Die Amplituden der Schwingung verebben (Abb. 38.3). Man vergleiche das Abklingen dieser elektromagnetischen Schwingung mit dem der Schwingung des Federpendels in Abb. 15.19. Dort tritt der Energieverlust durch die mechanische Reibung auf. Will man die Schwingungen des LC-Kreises aufrechterhalten, so muß man kontinuierlich oder auch diskontinuierlich, aber periodisch, etwa in jedem Zyklus einmal, Energie von außen zuführen. Diese Energie muß gerade so groß sein, daß sie die als Joulesche Wärme verlorengehende Energie ausgleicht*. Dieses Verfahren entspricht der Energiezufuhr bei einer mechanischen Uhr. Der Unruhe der Uhr wird bei jedem Aus-

Abb. 38.3 Oszillographenbild einer gedämpften Schwingung in einem RCL-Kreis. Die Amplitude wird immer kleiner, weil die Energie wegen der Erzeugung von Joulescher Wärme im Widerstand R des Kreises dauernd abnimmt. Gezeigt ist die Spannung über dem Widerstand als Funktion der Zeit. * Man kann auch mit einer elektronischen Schaltung einen „negativen" Widerstand in einem Schwingkreis erzeugen, der den tatsächlichen Widerstand gerade kompensiert.

38.2 Analogie zur harmonischen Bewegung

1147

schwingen über ein von einem Anker reguliertes Zahnrad Energie von einer aufgezogenen Feder oder von einem hängenden Gewicht zugeführt. LC-Schwingkreise sind kommerziell erhältlich für einen Frequenzbereich zwischen etwa 10 Hz (untere Hörfrequenz) bis 10 GHz (MikroWellenbereich).

38.2 Analogie zur harmonischen Bewegung In der Abb. 8.4 wurde gezeigt, daß bei der harmonischen Schwingung eines Federpendels wie in einem LC-Schwingkreis ein Austausch zwischen zwei Energieformen stattfindet. Die eine Energieform ist die potentielle Energie der zusammengedrückten oder gespannten Feder, die andere die kinetische Energie der sich bewegenden Masse an der Feder. In Tab. 38.1 sind die Energien für beide Systeme noch einmal zusammengestellt. Aus der Tabelle entnimmt man, daß ein elektrischer Kondensator eines LC-Kreises formal der Feder eines Federpendels entspricht und eine Spule eines LC-Kreises formal der Masse eines Federpendels. Auch einige andere elektromagnetischen Größen des LC-Kreises können mit denen eines mechanischen Systems verglichen werden: Q entspricht I entspricht C entspricht L entspricht

x, v, 1/k, m.

Diese Analogien findet man auch beim Vergleich der Abb. 38.1 und Abb. 8.4. Man beachte die Rolle von v und / bzw. x und Q in den beiden Schwingungssystemen, sowie das Wechselspiel zwischen den Formen der elektrischen und magnetischen Energie bzw. zwischen der kinetischen und der potentiellen Energie. Bei der quantitativen Betrachtung der harmonischen Schwingung des Federpendels in Abschn. 15.3 hatten wir für das System eine Eigenfrequenz von co - 2nv

Tabelle 38.1

-

Energieformen in zwei verschiedenen schwingenden Systemen

Mechanisches System (Schraubenfeder von Abb. 8.4)

Elektromagnetisches System (LC-Kreis von Abb. 38.1)

Feder

Kondensator

Masse

= 2mv2 dx

Spule

1148

38 Elektromagnetische Schwingungen

ermittelt. Aus der eben besprochenen Analogie zwischen mechanischem und elektromagnetischem Schwingungssystem schließen wir, daß die Eigenfrequenz des LC-Kreises durch

gegeben sein muß. Im nächsten Abschnitt werden wir diese Beziehung herleiten.

38.3 Quantitative Beschreibung der elektromagnetischen Schwingung Wir wenden auf den LC-Kreis in Abb. 38.1 den Energieerhaltungssatz an. Die Gesamtenergie des Systems ist zu jedem Zeitpunkt der Schwingung durch die Summe aus magnetischer Energie in der Spule und elektrischer Energie in dem Kondensator gegeben, also 1

1 O2

Wenn wir weiterhin annehmen, daß der LC-Kreis widerstandslos ist, wird keine Energie als Joulesche Wärme verlorengehen, d. h. E bleibt konstant bzw. die zeitliche Änderung dE/dt ist Null. Aus der obigen Beziehung wird damit ¥d i = d ( \ 2

2 C) =

dt + W C dt = 0.

08.4)

Die Größen Q und / sind nicht unabhängig voneinander, sondern sie sind über die Beziehung dt miteinander verknüpft. Hieraus kann man dl/dt

bestimmen:

dl _ d2Q dt ~ 1t2' Setzen wir diesen Ausdruck in Gl. 38.4 ein, so erhalten wir + § =

(38-5)

Diese Beziehung stellt die Differentialgleichung für die Schwingung des LC-Kreises dar. Sie entspricht mathematisch genau der Gl. 15.6 für das Federpendel, nämlich d2x m—^2 + kx = 0. dt

(15.6)

38.3 Quantitative Beschreibung der elektromagnetischen Schwingung

1149

Für diese Differentialgleichung hatten wir folgende Lösung gefunden: x = A cos (cot + (p),

(15.8)

wobei A = x die Amplitude und

t dt2

+ cp).

Wir setzen nun Q(t) und d2Q/dt2

(38.7b) in die Differentialgleichung ein und erhalten

— Leo2 Qcos(cot + (p) + ^cos( XL gewählt, so würde die Spannung dem Strom hinterherhinken, wenn auch nicht mit einer ganzen Viertelperiode wie im Kreis mit rein kapazitivem Widerstand (Abb. 39.3), und die Phasenkonstante (p wäre negativ.

Beispiel 3 In dem Wechselstromkreis von Abb. 39.1 seien R = 4 Q, C = 150 nF, L = 60 mH, v = 50 Hz und Ü = 300 V. Man bestimme (a) Xc, (b) XL, (c) Z, (d) I und (e) tAchse (negativ) aufheben, (b) Verlauf von (sin cot)2. Die Mittelung über eine ganze Anzahl von Schwingungen ist 1/2.

P(t) gezeigt. Die Leistung pendelt periodisch zwischen Null und ihrem Maximalwert hin und her. In der Praxis ist aber nicht der momentane Verlauf der Leistung von Interesse, sondern der zeitliche Mittelwert p=

U2

A

(sintwi)2-

(39.17)

Der Mittelwert (sinco/)2 ist aber gerade 1/2. Das kann man in Abb. 39.6b an der gestrichelten Linie in der Höhe von 1 /2 erkennen, da sich die Flächen oberhalb der 1 /2-Linie und die unterhalb der 1 /2-Linie kompensieren. Damit erhalten wir - I C /

2

/

Ü\2

1. i + cp) .

(39.33)

Mit der Voraussetzung XL > Xc vereinfacht sich diese Beziehung noch auf /=

%=sin

(39.34)

(cot + cp).

Der Phasenwinkel cp ist nach Gl. 39.14 bestimmt: Xl — Xc R

tan N2 gilt, spricht man von einem Hochtransformieren oder Heruntertransformieren der Spannung. Bislang haben wir nur einen unbelasteten Transformator betrachtet, da der Sekundärstromkreis nicht geschlossen war. Schließen wir nun den Schalter S, so haben wir in dem Sekundärkreis einen ohmschen Widerstand, der elektrische Energie verbraucht, indem er Wärme erzeugt. Nach dem Schließen von S geschieht folgendes: (1) Ein Strom I2{t) fließt durch die Sekundärspule und erzeugt im Widerstand Wärme mit einer Leistung von /f.eff R = Ulte{fIR. (2) Dieser Strom induziert einen eigenen, periodisch veränderlichen magnetischen Fluß im Eisenkern, welcher nach der Lenzschen Regel eine Induktionsspannung hervorruft, die der ursprünglichen Spannung im Primärkreis entgegengerichtet ist. Die beiden Spulen bilden ein Paar mit gegenseitiger Induktion (Abschn. 36.6). (3) Die Wechselspannung Ut (t) ändert sich durch die gegenseitige Induktion aber nicht, denn sie wird von dem Generator kontinuierlich bereitgestellt. Das Schließen und Öffnen des Schalters S hat auf die Primärspannung keinen Einfluß. (4) Daher muß im Primärkreis ein zusätzlicher (induzierter) Strom I, (t) auftreten, der gerade so groß ist und genau die Phasenverschiebung besitzt, daß er der wegen der gegenseitigen Induktion auftretenden Spannung entgegenwirkt. Dies gelingt nur, wenn die Phasenverschiebung zwischen dem Strom I{ (t) und der Induktionsspannung t / w gegen Null geht. Der Leistungsfaktor beträgt dann etwa 1. Alle diese Vorgänge stehen in völliger Übereinstimmung mit dem Energieerhaltungssatz. Beim Schließen des Schalters S wird im Widerstand ein Leistungsverlust auftreten, der von dem Generator in dem (idealen) Transformator ausgeglichen werden muß. Bei einem Leistungsfaktor von 1 bedeutet das uTJ

T efi l,eff I

~-

n2 D

(39.40)

Die vom Primärkreis eines Transformators aus der Spannungsquelle aufgenommene Leistung ist gleich der vom ohmschen Widerstand des Sekundärkreises verbrauchten Leistung.

Beispiel 9 Ein Transformator versorgt einen Ort aus einer 20-kV-Hochspannungsleitung mit der Netzspannung von 220 V. (a) Welches Übersetzungsverhältnis hat der Transformator? (b) Wie groß sind die Effektivwerte der Ströme im Primär- und Sekundärkreis, wenn die angeschlossenen Haushalte eine Leistung von 70 kW benötigen? (c) Wie groß ist der Gesamtwiderstand in dem Sekundärkreis? (a) Nach Gl. 39.39 gilt NJN2 = UUM/U2 CA U ja o

-C -»-> M J2 "u

O) II Cc TS O

b

acd

z

TO

f'S cd u tJ - 0 o •s l-S a 3 a cd •uS o ao ü

00

u

&

ff u XI u

e

s-

Durch dieses Reckteck geht ein endlicher Fluß der fortschreitenden Wellen kontinuierlich verändern wie bei der Ausbreitung einer Transversalwelle auf einem gespannten Seil. Die Darstellung in Abb. 41.5 c zeigt die Ströme bei der in a und b gezeigten Phase der Wellenausbreitung. Die hellen waagerechten Pfeile geben die Leitungsströme im inneren und äußeren Leiter an. Die schwarzen senkrechten Pfeile repräsentieren die Verschiebungsströme zwischen den Leitern. Verschiebungsstrom und Leitungsstrom bilden zusammen geschlossene Kreise, wie es dem Konzept von der Stetigkeit des Stroms entspricht.

Beispiel 2 Man überzeuge sich davon, daß die in Abb. 41.5 c eingezeichneten Verschiebungsströme mit dem Verlauf der ß-Linien und £-Linien in den Abb. 41.5 a und b in Einklang stehen. Man betrachte das kleine Flächenelement AS in Abb. 41.5, welches in Abb. 41.6 noch einmal vergrößert in Draufsicht gezeigt ist. Das Element sei in dem Kabel fixiert, so daß die Felder mit der Lichtgeschwindigkeit c hindurchschreiten. In Abb. 41.6 a sind die elektrischen Feldlinien in der Umgebung des Elementes gezeigt. Aus Symmetriegründen muß zu dem bei der Abbildung gewählten Zeitpunkt der elektrische Fluß W verschwinden. Obwohl der Fluß selbst Null ist, ist seine Änderung zu diesem Zeitpunkt am größten, denn £ wechselt gerade das Vorzeichen. Der Verschiebungsstrom, der nach Definition zu

x

x x x

X

x

x X

x



x

« X

• (a)







• •







1 1-«—dx (a)

B A

' B + dB

, ,/

x

dx (b) Abb. 41.14 Durchgang der elektromagnetischen Welle von Abb. 41.13 durch das gestrichelte Rechteck in Abb. 41.13. (a) Schnitt in der x, z-Ebene, (b) Schnitt in der x, y-Ebene.

1226

41 Elektromagnetische Wellen

sein. Wenn die Welle dieses Rechteck passiert, ändert sich in ihm der magnetische Fluß. Dadurch wird entsprechend dem Faradayschen Induktionsgesetz ein elektrisches Feld induziert. Dieses induzierte elektrische Feld stellt sodann die elektrische Komponente der fortschreitenden elektromagnetischen Welle dar. Überprüfen wir die Richtungen der Felder mit der Lenzschen Regel. Im Teil (a) der Abb. 41.14 nimmt der magnetische Fluß innerhalb des schraffierten Rechtecks gerade ab, weil sich die Welle nach rechts bewegt und ein Bereich geringerer Magnetfeldstärke in das Rechteck hineinwandert. Das induzierte elektrische Feld wird versuchen, dieser Änderung entgegenzuwirken. Wenn das Rechteck aus einer Leiterschleife bestünde, würde in der Schleife ein Strom induziert, der gegen den Uhrzeigersinn gerichtet wäre. Weiterhin würde die stromdurchflossene Leiterschleife ein Magnetfeld erzeugen, welches aus der Papierebene herauskäme und damit der Abnahme des magnetischen Flusses entgegenwirkte. Tatsächlich stellt die Umrandung des schraffierten Rechtecks aber keine geschlossene Leiterschleife dar. Trotzdem wirkt das induzierte elektrische Feld in dem angegebenen Sinn, da die elektrische Feldstärke an der rechten Seite des Rechtecks E -)- dE beträgt und an der linken Seite nur E. Die Struktur des elektrischen Feldes stimmt also mit dem Prinzip überein, daß es von einem sich verändernden Magnetfeld induziert wird. Diese Überlegungen kann man auch quantitativ untermauern, indem man das Faradaysche Induktionsgesetz: f d ( ) £ • d/ = — — ,

(41.8)

auf das Rechteck von Abb. 41.14a anwendet. Gehen wir gegen den Uhrzeigersinn um das Rechteck, so erhalten wir von der oberen und unteren Seite keine Beiträge zu dem Integral, da £ und d/hier rechte Winkel bilden. Es bleiben nur die Beiträge der senkrechten Seiten übrig mit OE

&l = h (E + dE)-hE

= hdE.

Der gesamte magnetische Fluß durch das Rechteck beträgt = Bh dx, wobei hdx die Fläche des Rechtecks angibt. Differenzieren liefert d

und f mit der Zeit ab. Wenn man jedoch gegen den Uhrzeigersinn um das Rechteck wandert, ergibt sich für Teil (a) ein positiver Wert des Linienintegrals §E • dl und für Teil (b) ein negativer Wert des Linienintegrals §B • dl, wie es sein muß. Wenn man nun noch die Abb. 40.1 a mit Abb. 35.10 vergleicht, erkennt man, daß die Feldlinien der induzierten Felder ZTund

1228

41 Elektromagnetische Wellen

B in entgegengesetzte Richtungen weisen, obwohl in beiden Fällen die Flüsse

-Ebene. Der Betrag von Fz ist gegeben durch e2EB Fz = evB = ——. b

(42.7)

Nun zeigt Fz stets 'in die positive z-Richtung, weil v und B ihre Richtungen immer gemeinsam umkehren, und es ist diese Kraft, die zur Erscheinung des Strahlungsdrucks auf die Platte führt. Fz liefert nach dem zweiten Newtonschen Axiom die Impulsänderung eines einzelnen Elektrons in der Platte und damit die der Platte selbst: dpc

e2EB

Es verbleibt, den Impulsübertrag auf die Platte mit der absorbierten Energie in Zusammenhang zu bringen. Der elektrische Anteil der einfallenden Welle bewirkt bei jedem einzelnen Elektron eine Energieänderung, die sich aus der Beziehung (s. Gl. 42.6) ergibt: dU

e2E?

, T

42.3 Die Lichtgeschwindigkeit

1245

Man beachte, daß die magnetische Kraft F„ weil sie stets senkrecht zur Geschwindigkeit v des schwingenden Elektrons steht, an diesem keine Arbeit leistet. Nach Gl. 41.11 b gilt bei einer ebenen Welle im freien Raum für den Zusammenhang zwischen B und E\ E = Bc. Das führt zu

f-^ Damit erhalten wir die Rate, mit der pro Elektron von der einfallenden Welle Energie absorbiert wird. Ein Vergleich von Gl. 42.8 mit Gl. 42.9 zeigt, daß d^ dt

=

1 dU, cd/'

Durch Integration erhalten wir

l

dt d c '

l

dt/. di

bzw. pe =

c

(42.10)

worin pe den auf das Einzelelektron während der Zeit t übertragenen Impuls darstellt und Ue die im selben Zeitintervall von diesem Elektron absorbierte Energie. Multipliziert man beide Seiten mit der Anzahl der freien Elektronen in der Platte, so erhält man die Gl. 42.2 a. Obwohl wir die Beziehung Gl. 42.10 für einen speziellen Absorber hergeleitet haben, treten in ihr keine ihn charakterisierenden Größen - wie zum Beispiel der Dämpfungskoeffizient b - auf. Tatsächlich gilt sie für den Absorptionsvorgang bei irgendeinem Material.

42.3 Die Lichtgeschwindigkeit Licht ist so schnell, daß in unserer Alltagserfahrung nichts gegen die Vermutung spricht, seine Geschwindigkeit sei sogar unendlich groß. Es war Galilei, der die Frage nach der Größe der Lichtgeschwindigkeit stellte und versuchte, sie auf experimentellem Weg zu beantworten. Sein 1638 erschienenes Buch Über zwei neue Wissenschaften ist in Form eines Gesprächs zwischen den drei Personen Salviati, Sagredo und Simplicio geschrieben. Über die Lichtgeschwindigkeit sagt er unter anderem: Simplicio: Unsere Alltagserfahrung zeigt, daß sich das Licht augenblicklich ausbreitet; denn wenn in großer Entfernung eine Kanone abgeschossen wird, erreicht der Lichtblitz unsere Augen ohne Zeitverlust, während der Schall an unsere Ohren erst nach einer bemerkenswerten Dauer gelangt. Sagredo: Nun, Simplicio, das einzige, was ich aus dieser Erfahrung schließen kann, ist, daß der Schall sich langsamer ausbreitet als das Licht. Sie zeigt mir dagegen nicht, ob das Licht unmittelbar bei mir ankommt oder ob es, wenn auch extrem schnell, eine gewisse Zeit braucht...

1246

42 Natur und Ausbreitungseigenschaften des Lichts

Salviati, der in diesem Buch Galilei vertritt, beschreibt dann ein mögliches Verfahren (das auch tatsächlich ausgeführt wurde) zur Messung der Lichtgeschwindigkeit. Er und ein Assistent standen sich nachts in einer gewissen Entfernung gegenüber. Beide hielten eine Laterne, die sie durch einen Schieber öffnen und schließen konnten. Galilei begann den Versuch, indem er seine Laterne öffnete. Sobald das Licht den Assistenten erreichte, öffnete dieser seine Laterne, deren Licht dann von Galilei gesehen wurde. Galilei versuchte, die Zeit zu messen zwischen dem Augenblick, da er seine Laterne öffnete, und dem, da das Licht der anderen Laterne bei ihm anlangte. Nach unseren heutigen Erkenntnissen hätte bei einer Entfernung von ungefähr einer Meile eine Zeit von nur 11 jxs herauskommen müssen. Da die Reaktionszeit eines Menschen wesentlich größer ist, mußte diese Methode versagen. Um eine große Geschwindigkeit direkt bestimmen zu können, muß man entweder ein kleines Zeitintervall messen oder von einer genügend großen Basislinie ausgehen. Daher liegt es nahe, wenn man auf astronomischen Wege zu einem experimentellen Wert für die Lichtgeschwindigkeit zu gelangen versucht, denn hier sind die auftretenden Entfernungen sicher groß genug. N u n kann man die Zeit, die das Licht etwa von der Sonne zur Erde braucht, nicht unmittelbar erhalten, da man nicht weiß, wann das Licht, das uns zu irgendeinem Zeitpunkt erreicht, die Sonne verläßt. Es sind daher andere astronomische Methoden erforderlich. 1675 gelangte der in Paris lebende dänische Astronom Ole Römer (1644-1710) durch Beobachtungen an den Jupitermonden (s. Aufgabe 20) zu einem Wert für die Lichtgeschwindigkeit von 2x10® m/s. Durch astronomische Beobachtungen einer ganz anderen Art kam der englische Astronom James Bradley ungefähr fünfzig Jahre später zu einem Wert von 3.0 x 10 8 m/s.

1849 erhielt der französische Physiker Armand Hippolyte Louis Fizeau (1819-1896) als erster einen Wert für die Lichtgeschwindigkeit durch eine terrestrische Methode; dieser betrug 3.13 x 108 m/s. Abb. 42.4 zeigt das Prinzip der Fizeauschen Apparatur. Ignorieren wir zunächst das Zahnrad, so wird die Lichtquelle S durch eine Sammellinse und Reflexion am Spiegel M1 in F abgebildet. Dieser Spiegel ist „halbversilbert": Er ist so dünn beschichtet, daß nur die Hälfte des auf ihn fallenden Lichts reflektiert wird, während die andere Hälfte durch ihn hindurchgeht. Die vom Bild Fausgehenden Lichtstrahlen durchlaufen die Linsen L2 und L3, um am Spiegel M2 reflektiert zu werden. In Fizeaus Versuch betrug die Entfernung / zwischen M2 und F 8630 Meter. Wenn das Licht wieder auf den Spiegel My trifft, wird ein Teil hindurchgelassen und gelangt schließlich über die Linse L 4 zum Auge des Beobachters. Das vom Beobachter gesehene Bild der Lichtquelle entsteht durch Lichtstrahlen, die

Spiege

S Abb. 42.4 Der Fizeausche Apparat zur Messung der Lichtgeschwindigkeit

42.3 Die Lichtgeschwindigkeit

1247

zwischen Zahnrad und Spiegel M2 und zurück eine Entfernung der Größe 2/zurückgelegt haben. Um das Licht mit einer Art Zeitmarke zu versehen, wird es durch das sich rasch drehende Zahnrad „zerhackt". Nehmen wir an, daß sich das Rad während der Zeit 2l/c gerade so weit gedreht hat, daß das von M2 kommende Licht auf einen Zahn des Rades trifft, so können die Strahlen das Auge des Beobachters nicht erreichen. Man bestimmt nun c, indem man die Winkelgeschwindigkeit co des Zahnrades von Null so lange ansteigen läßt, bis das Bild der Lichtquelle S das erste Mal verschwindet. Dann ist mit 0 als Winkel zwischen dem Zentrum einer Lücke und dem eines Zahnes: 0 2/ . 2col - = - oder c = — . CO c d

(42.11)

Heute wird die hier skizzierte Technik entsprechend modifiziert für die Messung der Geschwindigkeiten von Neutronen und anderen Teilchen verwendet.

Beispiel 2 Das von Fizeau verwendete Rad hatte 720 Zähne. Wie groß muß die Winkelgeschwindigkeit mindestens sein, damit das Bild der Lichtquelle verschwindet? Der Winkel 0 ist 1/1440 Umdrehungen; stellt man Gl. 42.11 nach w um, so erhält man "

=

cO (3.00xl0 8 m/s) (1/1440 Umdrehungen) 21 = (2x8630m) =

121

Umdrehungen/s.

Eine wesentliche Verbesserung der Fizeauschen Methode gelang dem französischen Physiker Foucault (1819-1868), indem er das Zahnrad durch einen rotierenden Spiegel ersetzte. Der amerikanische Physiker Albert A. Michelson (1852-1931) ließ mit dieser Methode über einen Zeitraum von fünfzig Jahren ausgedehnte Meßreihen für die Bestimmung von c durchführen. Wir müssen die Frage der Lichtgeschwindigkeit in den größeren Rahmen der Geschwindigkeit elektromagnetischer Strahlung überhaupt stellen. Es ist eine wesentliche experimentelle Bestätigung der Maxwellschen Theorie des Elektromagnetismus, daß im Vakuum Wellen aus allen Teilen des elektromagnetischen Spektrums dieselbe Geschwindigkeit c haben. Eine der jüngeren Messungen erfolgte am National Bureau of Standards in Boulder, Colorado. Dabei wurde die Frequenz einer bestimmten von einem Helium-Neon-Laser ausgesandten Strahlung durch direkten Vergleich mit der Frequenz einer Caesium-Uhr ermittelt und ferner die Wellenlänge dieser Strahlung gemessen. Die Lichtgeschwindigkeit errechnete man dann über die Beziehung c = Av und erhielt den Wert c = (299792.4574 ± 0.0012) km/s.

(42.12)

In diesem Ergebnis rührte die größte Unsicherheit von der damals auf der Krypton86-Strahlung basierenden Meterdefinition her (man brauchte sie bei der Bestimmung der Wellenlänge). Das war der Grund, weshalb man schließlich im Jahre 1983 beschloß,

1248

42 Natur und Ausbreitungseigenschaften des Lichts

den Wert der Vakuumlichtgeschwindigkeit zu 299792458 m/s zu definieren und dafür das Meter neu festzulegen (s. Abschn. 1.3).

42.4 Bewegte Lichtquellen und Beobachter Wenn wir sagen, der Schall habe in trockener Luft bei 0 °C eine Geschwindigkeit von 331.7 m/s, so legen wir dabei ein Bezugssystem zugrunde, das gegenüber der Luft ruht. In welchem System gilt dagegen die Feststellung, die Vakuumlichtgeschwindigkeit habe den Wert 2.99792458 x 108 m/s? Auf ein Medium können wir uns nicht beziehen, weil Licht im Gegensatz zum Schall zu seiner Ausbreitung kein Medium braucht. Diese Vorstellung war für die Physiker des 19. Jahrhunderts nicht annehmbar. In einer - wie wir heute wissen - falschen Analogie zwischen Lichtwellen einerseits und Schallwellen oder anderen rein mechanischen Ausbreitungsvorgängen andererseits postulierten sie die Existenz eines Äthers, einer äußerst dünnen, den ganzen Raum erfüllenden Substanz, als Medium für die Ausbreitung des Lichts. Dieser Äther sollte von verschwindend geringer Dichte sein, weil er mit keinen Mitteln in einem evakuierten Raum beobachtet werden konnte. Obwohl sich das Ätherkonzept über viele Jahre als nützlich erwies, konnte es die experimentelle Prüfung nicht bestehen. Insbesondere lieferten auch die sorgfaltigsten Bemühungen, die Geschwindigkeit der Erde gegenüber dem Äther zu messen, stets das Resultat Null (s. Abschn.45.7, in dem wir auf das Experiment von Michelson und Morley eingehen werden). Die Vorstellung, daß allein die Erde im Äther ruhen sollte, während alle anderen Körper des Universums sich ihm gegenüber bewegten, war für die Physiker nicht akzeptabel. Auch andere Hypothesen über die Natur der Lichtausbreitung erwiesen sich aus verschiedenen Gründen als unbefriedigend. Im Jahre 1905 behob Einstein durch ein kühnes Postulat dieses Problem: Verschiedene Beobachter, die sich gegeneinander und gegenüber einer Lichtquelle gleichförmig (d.h. mit konstanter Geschwindigkeit) bewegen, stellen stets denselben Wert für die Lichtgeschwindigkeit fest. Das ist eine der grundlegenden Annahmen von Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Mit ihr, also mit der Behauptung, daß die Lichtgeschwindigkeit in allen sich relativ zueinander gleichförmig bewegenden Bezugssystemen die gleiche ist und daß es kein einzelnes fundamentales System gibt, wurde der Ätherbegriff überflüssig. Die Relativitätstheorie war über ein halbes Jahrhundert Gegenstand vieler experimenteller Tests. Stets stimmten die Ergebnisse mit den Voraussagen der Theorie überein: Einsteins grundlegendes Postulat über die Lichtausbreitung hat sich bis heute bewährt. Die Abb. 42.5 verweist noch einmal auf den Kern des Problems der Lichtausbreitung. Eine im System S' ruhende Lichtquelle emittiert einen Lichtpuls P, dessen Geschwindigkeit v' von einem in diesem System ruhenden Beobachter gemessen wird. Aus der Sicht eines Beobachters im System S bewegen sich S' und der dazu gehörende Beobachter mit der Geschwindigkeit u in positive x-Richtung. Frage: Welche Geschwindigkeit v mißt der Beobachter in S für den Lichtpuls P? Einsteins Hypothese lautet, daß beide Beobachter dieselbe Geschwindigkeit c messen: v = v' = c.

(42.13)

42.4 Bewegte Lichtquellen und Beobachter

1249

Abb. 42.5 Zwei relativ zueinander bewegte Beobachter S und S' sehen einenLichtpuls P. Der Puls wird von einer hier nicht wiedergegebenen Quelle emittiert, die sich in bezug auf S' in Ruhe befindet.

Dies steht im Widerspruch zum klassischen Gesetz für die Addition von Geschwindigkeiten (s. Abschn. 4.6), denn danach ist v = v' + u.

(42.14)

An dieses Gesetz haben wir uns (unzulässigerweise) so gewöhnt, daß wir es intuitiv für wahr halten. Tatsächlich bezieht es sich auf Beobachtungen der Bewegung von Körpern in unserer Alltagswelt. Von diesen bewegt sich selbst der schnellste - zum Beispiel ein Erdsatellit - mit einer Geschwindigkeit, die im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit sehr klein ist. Der der Gl. 42.14 zugrundeliegende Erfahrungsbereich erweist sich daher als sehr eingeschränkt: Er erfaßt nur Beobachtungen, bei denen v' -4 c und u ist. Es ist eine sehr weit gehende Extrapolation, wenn man Gl. 42.14 als gültig annimmt, egal welche Geschwindigkeiten jeweils auftreten. Einsteins Theorie zeigt, daß diese Extrapolation tatsächlich nicht erlaubt ist. Die Gl. 42.14 ist danach nur ein Grenzfall einer allgemeineren Beziehung, die für Licht und materielle Teilchen bei jeder Geschwindigkeit gilt: v' + Wu 1/

2 ® = 1, +. v'u/c2-

, , _

, —X

(42-15)

Diese Gleichung geht für v' klein) und nahezu senkrechten Lichteinfall (6 l klein) der Ablenkungswinkel u n a b h ä n g i g vom Einfallswinkel und gleich (n — 1 ) 0 ist (s. A b b . 43.6). 13. Untersucht m a n in A b b . 43.6 mit einem Winkelmesser den Strahlengang, so zeigt sich, d a ß sowohl bei ansteigendem als auch bei kleiner werdendem Einfallswinkel 9 der Ablenkungswinkel xp ansteigt. Bei dem in der Abbildung gezeigten symmetrischen Strahlenverlauf h a t der Ablenkungswinkel ein Minimum.

Abschnitt 43.2 14. Ein Stock wird durch Wasser gezogen mit einer Geschwindigkeit v, die größer ist als die Geschwindigkeit u der Wasserwellen. U n t e r Verwendung des Huygensschen Prinzips zeige m a n , d a ß sich eine konische Wellenfront bildet mit einem Halbwinkel, der gegeben ist durch sin a = u/v. Solche Wellenfronten sind b e k a n n t als Bugwellen bei Schiffen oder als Stoßwellen bei Flugzeugen, die mit Überschallgeschwindigkeit fliegen wie in A b b . 20.12.

Aufgaben

1281

15. Wenn sich ein Elektron durch ein Medium mit einer Geschwindigkeit bewegt, die die Lichtgeschwindigkeit in diesem Medium überschreitet, so strahlt es elektromagnetische Energie ab (Cerenkov-Effekt, s. Abschn. 20.7). Wie groß m u ß die minimale Geschwindigkeit eines Elektrons in einer Flüssigkeit mit der Brechzahl 1.54 sein, damit es strahlt? Antwort: 1 . 9 x l 0 8 m / s . Abschnitt 43.5 16. Ein Lichtstrahl fallt senkrecht auf die Fläche ab eines Glasprismas (n = 1.52) wie in Abb. 43.20. (a) M a n bestimme den größten Wert für den Winkel tj>, bei dem der Strahl an der Fläche ac noch total reflektiert wird, wenn sich das Prisma in Luft befindet, (b) M a n bestimme diesen Maximalwert von (p, wenn sich das Prisma in Wasser befindet. a einfallendes Licht

v A A A ^ -

b,

V-

Abb. 43.20 Zu Aufgabe 16 17. Ein Lichtstrahl fallt auf einen viereckigen Glaskörper wie in Abb. 43.21. Wie groß m u ß die Brechzahl von Glas sein, damit an der senkrechten Fläche Totalreflexion auftritt? Antwort: n> 1.22.

Abb. 43.21 Zu Aufgabe 17

Abb. 43.22 Zu Aufgabe 18

18. Ein monochromatischer Lichtstrahl in Luft trifft auf ein 90°-Prisma bei P (s. Abb. 43.22) und wird dort und danach bei Q so gebrochen, daß der in Luft austretende Strahl gerade entlang der rechten Prismenfläche verläuft, (a) M a n bestimme die Brechzahl des Prismas relativ zu L u f t f ü r diese Wellenlänge in Abhängigkeit vom Einfallswinkel 6 V (b) M a n gebe eine numerische obere Grenze für die Brechzahl des Prismas an. (c) M a n zeichne den Strahlenverlauf f ü r die Fälle, d a ß der Einfallswinkel bei P eine wenig größer und ein wenig kleiner als ö, ist. 19. Ein Glasprisma mit einem brechenden Winkel von 60° hat die Brechzahl n = 1.60. (a) M a n bestimme den kleinsten Einfallswinkel, bei dem ein Strahl auf einer Fläche des Prismas eintreten und aus der anderen austreten kann, (b) Bei welchem Einfallswinkel durchläuft der Strahl das Prisma symmetrisch wie in Abb. 43.6? Antwort: (a) 36°; (b) 53°.

1282

43 Reflexion und Brechung - ebene Wellen und ebene Grenzflächen

20. Eine Punktquelle befindet sich 80 cm unter der Wasseroberfläche in einem Behälter. Man bestimme den Durchmesser des größten Kreises auf der Oberfläche, durch den das Licht aus dem Wasser austreten kann. 21. Ein Flüssigkeitstropfen wird auf einem halbkreisförmigen Glaskörper aufgebracht wie in Abb. 43.23. (a) Man zeige, wie man die Brechzahl der Flüssigkeit durch Beobachtung der Totalreflexion bestimmen kann. Die Brechzahl des Glases ist auch unbekannt und muß ermittelt werden. Ist der Bereich für die auf diese Weise zu messende Brechzahl eingeschränkt? (b) Wäre diese Meßmethode praktisch?

einfallender Strahl

reflektierter Strahl

Abb. 43.23 Zu Aufgabe 21

22. Eine punktförmige Lichtquelle ist in einer Entfernung h unter der Wasseroberfläche eines großen, tiefen Sees angebracht, (a) Man zeige, daß der Anteil/der Lichtenergie, die direkt aus der Wasserfläche austritt, unabhängig von h und gegeben ist durch f=H

i-j/T^W),

worin n die Brechzahl von Wasser ist. (Anmerkung: Absorption im Wasser und Reflexion an der Oberfläche - außer wenn sie total ist - sind zu vernachlässigen.) (b) Man berechne diesen Anteil für n = 1.33. 23. Abb. 43.24 zeigt ein Prisma mit konstanter Ablenkung. Obgleich es aus einem Stück Glas angefertigt wird, ist es äquivalent zu zwei Prismen mit den Winkeln von 30°, 60° und 90° und einem Prisma mit den Winkeln 45°, 45° und 90°. In Richtung i fallt weißes Licht ein. 61 wird durch Drehung des Prismas geändert, so daß der Reihe nach Licht jeder gewünschten Wellenlänge in Richtung r austritt. Man zeige, daß für sin 6l = \ n die Beziehung 02 = 9l gilt und die Strahlen i und r senkrecht aufeinanderstehen. 24. Eine ebene Welle weißen Lichts, die sich in Quarzglas ausbreitet, trifft unter dem Einfallswinkel 6 auf eine ebene Oberfläche des Quarzglases. Kann der ins Innere reflektierte Strahl (a) bläulich oder (b) rötlich aussehen? Was für ein Wert muß ungefähr für 6 genommen werden? (Hinweis: Weißes Licht erscheint bläulich, wenn rote Wellenlängen aus dem Spektrum entfernt werden.) 25. Ein Glaswürfel hat in seinem Zentrum einen kleinen Fleck, (a) Welche Teile der Würfelfläche müssen abgedeckt werden, damit man den Fleck unabhängig vom Sichtwinkel nicht sehen kann? (b) Welcher Anteil der Flächen muß abgedeckt werden? Die Kantenlänge des Würfels sei 1.0 cm und die Brechzahl 1.50. (Man lasse den im Inneren reflektierten Strahl unberücksichtigt.) Antwort: (a) Man decke das Zentrum jeder Fläche mit einer undurchsichtigen Scheibe vom Radius 0.45 cm ab; (b) ca. 0.63.

Aufgaben

1283

Abb. 43.24 Zu Aufgabe 23

Abschnitt 43.6 26. M a n beweise unter Verwendung des Fermatschen Prinzips, d a ß reflektierter Strahl, einfallender Strahl und Einfallslot in einer Ebene liegen. 27. M a n beweise, daß die optische Weglänge für Reflexion und Brechung in den Abbn. 43.16 und 43.17 ein Minimum ist im Vergleich zu allen anderen die gleichen Punkte verbindenden Wegen. 28. Licht der Vakuumwellenlänge 600 nm legt die Strecke 1.6 x 1 0 - 4 cm in einem Medium mit der Brechzahl 1.5 zurück. M a n bestimme (a) die optische Weglänge, (b) die Wellenlänge in diesem Medium und (c) die Phasendifferenz nach Durchlaufen dieser Strecke gegenüber derselben Strecke im Vakuum.

44 Reflexion und Brechung Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

44.1 Geometrische Optik und Wellenoptik In Kapitel 43 beschrieben wir die Reflexion und Brechung ebener Wellen an ebenen Grenzflächen. In diesem Kapitel untersuchen wir den allgemeineren Fall von Kugelwellen, die auf sphärische reflektierende und brechende Flächen fallen. Sämtliche Ergebnisse aus dem vorangegangenen Kapitel werden sich als Spezialfälle der Resultate dieses Kapitels erweisen, weil wir eine Ebene als die Oberfläche einer Kugel mit unendlich großem Radius ansehen können. Wie in Kapitel 43 werden wir auch jetzt wieder von der Vorstellung der Lichtstrahlen Gebrauch machen. Obwohl dies ein sehr zweckmäßiges Konzept ist, ist die physikalische Realisierung eines Lichtstrahls unmöglich. Abb. 44.1 a zeigt schematisch, wie eine ebene Welle der Wellenlänge X auf einen Spalt mit der Breite a = 51 fallt. Wir sehen, daß sich das Licht auch in den geometrischen Schatten des Spalts ausbreitet, ein Phänomen, das den Namen Beugung trägt. Hiermit werden wir uns im Kapitel 46 befassen. Die Abb. 44.1 b (a = 3Ä) und 44.1 c (a = X) deuten an, daß der Beugungseffekt umso ausgeprägter ist, je mehr das Verhältnis a/X gegen Null geht: Der Versuch, einen einzelnen Strahl aus der ebenen Welle zu isolieren, ist vergeblich. Abb. 44.2 zeigt Wasserwellen in einer flachen Wellenwanne, die dadurch erzeugt werden, daß man einen Stab periodisch in die Wasseroberfläche eintaucht. Man sieht deutlich, wie sich die ebene Welle verändert, wenn sie auf die Lücke im Schirm trifft. Die Beugung ist charakteristisch für jeden Wellen Vorgang. So hat zum Beispiel die Tatsache, daß wir um die Ecke hören können, ihre Ursache in der Beugung der Schallwellen. Die Beugung von Wellen an einem Spalt (oder an einem Hindernis wie zum Beispiel einem Draht) ist nach dem Huygensschen Prinzip zu erwarten. Betrachten wir den Anteil der Wellenfront, der in der Abb. 44.1 den Spalt erreicht. Jeden Punkt dieses Spalts können wir als das Zentrum einer sich ausbreitenden Huygensschen Elementarwelle ansehen. Die „Ablenkung" des Lichts hängt dann damit zusammen, daß die anderen Elementarwellen durch den Schirm abgedeckt werden. Die Abb. 44.3 entstand dadurch, daß paralleles Licht auf einen Spalt fiel, der 50 cm vor einer photographischen Platte angebracht war. Bei der Abb. 44.3 a betrug die Spaltbreite ungefähr 6 (xm. Der zentrale Streifen auf dem Photo ist sehr viel breiter als der Spalt, ein Zeichen, daß das Licht in den geometrischen Schattenbereich des Spalts „aufgeweitet" wurde. Zusätzlich treten weitere Maxima auf (in der Abb. 44.1 hatten wir sie der Einfachheit halber fortgelassen). Bei der Abb. 44.3 b ist die Spaltbreite nur noch halb so groß. In Übereinstimmung mit der Abb. 44.1 wird der zentrale Streifen noch breiter. Abb. 44.3 c schließlich zeigt den Effekt einer weiteren Verengung des Spalts auf

44.1 Geometrische Optik und Wellenoptik

1285

Abb. 44.1 Der Versuch, einen Strahl durch Verringerung der Spaltbreite a zu erzeugen, mißlingt wegen des Beugungseffekts, der umso ausgeprägter ist, je mehr sich das Verhältnis aß Null nähert. Der Einfachheit halber sind bestimmte Einzelheiten der gebeugten Wellen fortgelassen (sie werden in Kapitel 46 ausführlich besprochen, siehe auch Abb. 44.3). Der entscheidende Punkt ist jedoch klar: Bei fester Wellenlänge X verbreitert sich die gebeugte Welle mit kleiner werdender Spaltbreite a.

0.4 um. Das zentrale Maximum ist noch einmal breiter geworden, und die sekundären Maxima treten ganz deutlich hervor (In der Aufnahme wurden allerdings ihre relativen Intensitäten durch lange Belichtung herausgehoben). Ist das Verhältnis aß groß genug, so kann der Einfluß der Beugung vernachlässigt werden. Dabei ist a ein Maß für die Querausdehnung des Spalts oder des Hindernisses. Ist a > A, so scheint Licht sich geradlinig auszubreiten, und das Bild der Strahlen, die dem Reflexions- und dem Brechungsgesetz gehorchen, ist erlaubt. Man spricht dann von geometrischer Optik. Im vorangegangenen Kapitel konnten wir dies voraussetzen, weil alle Spiegel, Prismen usw. in ihren Ausdehnungen sehr viel größer sind als die Wellenlänge. Auch in diesem Kapitel werden die Bedingungen der geometrischen Optik als gültig angesehen.

1286

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Abb. 44.2 Beugung von Wasserwellen in einer Wellenwanne an einem Spalt. Man beachte, daß die Spaltbreite etwa so groß wie die Wellenlänge ist. Vergleiche mit Abb. 44.1c.

Abb. 44.3 (a) Die Intensitätsverteilung von Licht, das an einem Spalt mit der Breite a « 6 um gebeugt und in 50 cm Entfernung auf einem Schirm aufgefangen wird, (b) Die Spaltbreite wird um den Faktor zwei verringert, (c) Die Spaltbreite wird um den weiteren Faktor sieben verkleinert. Man beachte die Nebenmaxima auf beiden Seiten des zentralen Maximums (sie sind in dieser Aufnahme durch Überbelichtung deutlicher gemacht worden). In Abb. 44.1 sind diese Nebenmaxima der Einfachheit halber nicht berücksichtigt.

Sind sie dagegen nicht gegeben, so können wir das Verhalten des Lichts nicht mehr durch das Strahlenmodell beschreiben, sondern wir müssen seine Wellennatur in Rechnung stellen. Das Teilgebiet der Physik, in dem dies geschieht, heißt dementsprechend Wellenoptik. Diese schließt die geometrische Optik als einen wichtigen Grenzfall etwa in dem gleichen Sinn ein, wie man ein ideales Gas als Grenzfall eines realen Gases ansehen kann; beide Idealisierungen sind außerordentlich nützlich. Auf die Wellenoptik werden wir später zu sprechen kommen.

44.2 Kugelwellen - ebener Spiegel

1287

44.2 Kugelwellen - ebener Spiegel In der Abb. 44.4 befindet sich eine punktförmige Lichtquelle G als Gegenstand (oder auch Objekt) im Abstand g vor einem ebenen Spiegel. Das Licht falle auf den Spiegel als eine Kugelwelle, die durch die von G ausgehenden Strahlen repräsentiert wird.* Für jeden dieser Strahlen konstruieren wir am Spiegel einen reflektierten Strahl. Die rückwärtigen Verlängerungen dieser Strahlen schneiden sich in einem Punkt B, der hinter dem Spiegel denselben Abstand hat wie die Lichtquelle vor dem Spiegel. B heißt das Bild des Gegenstands G. Bilder können reell oder virtuell sein. Bei einem reellen Bild geht Licht tatsächlich durch den Bildpunkt, bei einem virtuellen Bild verhält sich das Licht so, wie wenn es vom Bildpunkt ausgeht, obwohl es in Wirklichkeit nicht durch diesen Punkt geht, siehe Abb. 44.4. Bei ebenen Spiegeln sind Bilder stets virtuell. Aus unserer alltäglichen Erfahrung wissen wir, wie „reell" ein derartiges virtuelles Bild zu sein scheint und wie bestimmt seine Lage im Raum hinter dem Spiegel ist, selbst wenn dieser Raum von einer Ziegelmauer eingenommen wird. Betrachten wir in der Abb. 44.4 die beiden durch G bzw. Pl gehenden Strahlen. Die beiden Dreiecke GOPt und BOPi sind kongruent, da nach dem Reflexionsgesetz die

\ s p iegel

Ix V i

^r^

V 1 / /// // V fi —

J

Abb. 44.4 Ein punktförmiger Gegenstand G erzeugt an einem ebenen Spiegel ein virtuelles Bild B. Die Strahlen scheinen von B auszugehen, in Wirklichkeit geht das Licht nicht durch diesen Punkt. * In Kapitel 43 gingen wir bei der Besprechung der Reflexion an Spiegeln von einfallenden ebenen Wellen aus, so daß die einfallenden Strahlen zueinander parallel waren. Hier haben wir dagegen eine punktförmige Quelle, und die von ihr ausgehenden Strahlen divergieren.

1288

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Winkel GPtO und BPiO gleich sind. Da dies auch für alle anderen Strahlen gilt, hat wie bereits eingezeichnet - B vom Spiegel denselben Abstand wie G. Wegen des endlichen Durchmessers der Augenpupille gelangen nach der Reflexion nur Strahlen aus einem verhältnismäßig kleinen Bereich des Spiegels in unser Auge, der Rest des Spiegels kann verdeckt oder ganz entfernt werden, siehe Abb. 44.5. Bewegen wir das Auge an eine andere Stelle, so wird ein anderer Bereich des Spiegels wirksam. Dagegen bleibt die Lage des virtuellen Bildes B unverändert, falls der Gegenstand an seinem Ort bleibt.

Abb. 44.5 Ein "bleistiftartiges" Bündel gelangt von G nach Reflexion a m ebenen Spiegel ins Auge. Wirksam ist nur ein kleiner Ausschnitt des Spiegels in der U m g e b u n g von a. Die kleinen Kreisbögen symbolisieren Teile der sphärischen Wellenfronten.

Ein virtuelles Bild entsteht ebenfalls, wenn der Gegenstand nicht punktförmig, sondern ausgedehnt ist. Zu jedem Punkt dieses Gegenstands gehört ein Bildpunkt, der im selben Abstand hinter dem Spiegel liegt wie der betreffende Gegenstandspunkt vor dem Spiegel. Das Bild des Gegenstands entsteht punktweise. Bilder an ebenen Spiegeln unterscheiden sich von den Gegenständen dadurch, daß bei ihnen links und rechts vertauscht ist. Das Bild einer Druckseite unterscheidet sich von der Seite selbst. Das Bild eines sich im Uhrzeigersinn drehenden Kreisels scheint sich im Gegenzeigersinn zu drehen. Abb. 44.6 zeigt, wie das punktweise konstruierte Bild einer linken Hand die Symmetrie einer rechten Hand aufweist.

44.2 Kugelwellen - ebener Spiegel

1289

Abb. 44.6 Ein ebener Spiegel vertauscht links und rechts. Der Gegenstand G ist eine linke Hand, das Bild B eine rechte.

Beispiel 1 Wie hoch muß ein senkrecht hängender Spiegel mindestens sein, damit eine Person von 1.80 m Größe sich in ihm vollständig sehen kann? Die Augen der Person sollen in 1.70 m Höhe liegen. Abb. 44.7 zeigt die vom Scheitel und von den Fußspitzen ausgehenden Lichtstrahlen, die nach der Reflexion - im Punkt a bzw. b des Spiegels - ins Auge e gelangen. Nur den Bereich zwischen diesen beiden Punkten muß der Spiegel überdecken. Mit Beachtung des Reflexionsgesetzes erhält man für b 85 cm und für a 1.75 m. Die Länge des Spiegels muß also 90 cm sein, das ist die halbe Körpergröße. Man beachte, daß dieses Ergebnis nicht vom Abstand der Person vom Spiegel abhängt. Spiegel, die tiefer reichen als der berechnete Punkt b, zeigen noch den Boden zwischen der Person und dem Spiegel.

Abb. 44.7 Zu Beispiel 1. Eine Person kann sich in einem Spiegel in ihrer ganzen Länge sehen, obwohl dieser nur halb so groß ist.

1290

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Beispiel 2 Ein punktförmiges Objekt G befinde sich, wie in der Abb. 44.8 a angegeben, auf der Winkelhalbierenden zwischen zwei senkrecht zueinander angebrachten Spiegeln. Man ermittle die Bilder. Neben den beiden Bildern Bl und B2, die an den Spiegeln ab bzw. cd entstehen, gibt es noch ein drittes Bild B3, das als Bild von Bl am Spiegel cd oder als Bild von B2 am Spiegel ab angesehen werden kann. Die drei Bilder und der Gegenstand liegen auf einem Kreis senkrecht zur Schnittkante der Spiegel mit dem Mittelpunkt auf dieser Kante. Sieht man sich B3 an, so wird das das Auge erreichende Licht zweimal reflektiert, nachdem es die Lichtquelle verlassen hat. Abb. 44.8 b zeigt ein typisches Strahlenbündel. Die von Bl oder B2 ins Auge gelangenden Lichtstrahlen erfahren dagegen wie in Abb. 44.5 nur eine einmalige Reflexion.

Abb. 44.8 Zu Beispiel 2. (a) Zum reellen Gegenstand G gehören drei virtuelle Bilder, (b) Ein Lichtbündel bei der Betrachtung von ß 3 . Das Licht hat seinen Ursprung in G.

44.3 Kugelwellen - sphärische Spiegel

1291

44.3 Kugelwellen - sphärische Spiegel In der Abb. 44.9 fallt von einem punktförmigen Gegenstand G eine Kugelwelle auf einen sphärischen Konkavspiegel (oder auch Hohlspiegel) mit dem Krümmungsradius r* Als Bezugsachse wählen wir die durch G und den Krümmungsmittelpunkt M gehende Gerade. Ein unter einem beliebigen Winkel a von G ausgehender Strahl schneidet die Achse nach der Reflexion im Punkt A bei B. Ein von G entlang der Achse verlaufender Strahl wird am Punkt S in sich selbst reflektiert und ebenfalls durch B gehen. Daher ist, wenigstens für diese beiden Strahlen, B das Bild von G. Es ist ein reelles Bild, weil die Lichtstrahlen tatsächlich durch B gehen. Wir wollen die Lage von G berechnen.

Abb. 44.9 Zwei von G ausgehende Strahlen konvergieren nach ihrer Reflexion an einem sphärischen Konkavspiegel und erzeugen ein reelles Bild in B.

Aus dem Satz, daß der Außenwinkel eines Dreiecks gleich der Summe der beiden nichtanliegenden Innenwinkel ist, erhalten wir für die beiden Dreiecke GAM und GAB in der Abb. 44.9: ß= a+ 9

und

(44.1)

y = -£-¥• AS *SB

y

=

AS ~b-

Hierin ist jedoch nur die Gleichung für ß exakt, weil der Mittelpunkt für den Bogen AS bei M liegt und nicht bei G oder B. Für a und y sind die Beziehungen näherungsweise dann gültig, wenn diese Winkel hinreichend klein sind. Wir wollen im folgenden voraussetzen, daß die von G ausgehenden Strahlen mit der Bezugsachse nur einen kleinen Winkel a einschließen. Wir nennen derartige Strahlen Paraxialstrahlen. Bei ebenen Spiegeln war eine solche Einschränkung nicht erforderlich. Setzen wir nun diese Beziehungen in Gl. 44.2 ein und kürzen AS heraus, so erhalten wir: 1 1 2 - + - = -, g b r

(44.4)

worin g die Gegenstandsweite und b die Bildweite bezeichnen. Beide Entfernungen werden vom Scheitel S des Spiegels gemessen, dem Schnittpunkt des Spiegels mit der Achse. Wir stellen fest, daß Gl. 44.4 weder den Winkel a noch ß, y oder 9 enthält. Sie gilt daher für alle auf den Spiegel treffenden Strahlen, vorausgesetzt, sie sind genügend achsnahe. Man kann dies dadurch realisieren, daß man vor dem Spiegel und um den Scheitel S zentriert eine Blende anbringt, die dann einen bestimmten maximalen Wert für a bedingt. Wenn a in Abb. 44.9 nicht mehr als klein angesehen werden kann, wird das Bild eines punktförmigen Gegenstands nicht mehr punktförmig sein: Es verbreitert sich und ist unscharf. Ein strenges Kriterium dafür, daß ein bestimmter Strahl paraxial ist, gibt es nicht. Verkleinert man den maximal erlaubten Wert von a, so sind die Strahlen achsnäher, und das Bild wird schärfer. Unglücklicherweise wird dann aber das Bild schwächer, weil die vom Spiegel insgesamt reflektierte Lichtenergie geringer wird. Häufig muß man zwischen der Helligkeit eines Bildes und seiner Qualität einen Kompromiß eingehen. Wie bei ebenen, so kann man auch bei sphärischen Spiegeln das (reelle oder virtuelle) Bild nur sehen, wenn das Auge so plaziert ist, daß die vom Gegenstand ausgehenden Lichtstrahlen es nach der Reflexion erreichen. In der Abb. 44.10 ist ein Bündel von Lichtstrahlen gezeichnet, die das Auge in der Position X erreichen; nur ein kleiner Bereich des Spiegels um A ist bei dieser Position wirksam. Bringt der Beobachter sein Auge in die Position Y, verschwindet das Bild für ihn, weil es in der Umgebung des Punktes Ä keinen Spiegel mehr gibt. Obwohl die Gl. 44.4 für den Fall hergeleitet wurde, daß sich der Gegenstand jenseits des Krümmungsmittelpunkts befindet, gilt sie allgemein bei jeder Lage von G. Sie gilt auch für konvexe Spiegel, wie zum Beispiel in Abb. 44.11. Bei der Anwendung von Gl. 44.4 müssen wir auf eine Vorzeichenregel für g, b und r achten. Als Basis für die Vorzeichenwahl legen wir in diesem Buch fest:

44.3 Kugelwellen - sphärische Spiegel

1293

Abb. 44.10 Das Auge muß an die richtige Stelle gebracht werden, damit man das (reelle) Bild B sehen kann. Ein Beobachter in X kann es sehen, einer in Y nicht.

Abb. 44.11 Zwei von G ausgehende Strahlen divergieren nach ihrer Reflexion an einem sphärischen Konvexspiegel und erzeugen ein virtuelles Bild B. Sie scheinen von diesem Punkt auszugehen. Man vergleiche mit Abb. 44.9.

Wenn wie in Abb. 44.9 Licht divergent von einem reellen Gegenstand ausgeht, auf einen Hohlspiegel fallt, nach der Reflexion konvergiert und schließlich ein reelles Bild erzeugt, so haben in den Gin. 44.4 und 44.5 die Größen g, b, r und/positive Werte. Bei der Herleitung von Gl. 44.4 hatten wir die Abb. 44.9 zugrunde gelegt. Wir wollen sie als Hilfe für die Ermittlung der korrekten Vorzeichen im Gedächtnis behalten. Weil Spiegel undurchsichtig sind, muß das reflektierte Licht auf der Seite des Spiegels bleiben, von der das einfallende Licht kommt. Wenn dann auf dieser Seite ein Bild entsteht, wird es reell sein. Wir werden daher die Seite des Spiegels, von der das Licht einfällt, die R-Seite nennen und seine Rückseite die Y-Seite, weil die auf dieser Seite entstehenden Bilder virtuell sein müssen (denn auf dieser Seite kann es ja kein Licht geben).

1294

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Oben haben wir in unserer Grundaussage reellen Bildern positive Bildweiten zugeordnet. Dies führt uns zu unserer ersten Vorzeichenvereinbarung: 1. Die Bildweite b ist positiv, wenn das (reelle) Bild auf der R-Seite des Spiegels liegt (wie in Abb. 44.9); b ist negativ, wenn sich das (virtuelle) Bild auf der V-Seite befindet (wie zum Beispiel in Abb. 44.11). Verwenden wir in der Abb. 44.9 statt des konkaven einen konvexen Spiegel (oder auch Wölbspiegel), so sind die Strahlen nach der Reflexion divergent. Wie die Abb. 44.11 zeigt, entsteht ein virtuelles Bild. Dies legt als zweite Vorzeichenvereinbarung nahe: 2. Liegt der Krümmungsmittelpunkt eines Spiegels auf der R-Seite, so ist der K r ü m mungsradius r positiv (Abb. 44.9), liegt er auf der V-Seite, ist r negativ (Abb. 44.11). In allen bisher behandelten Fällen, einschließlich der ebenen Spiegel, haben wir angenommen, d a ß das von der punktförmigen Quelle (dem Gegenstand) ausgehende Licht divergent ist, wenn es auf den Spiegel trifft. Die Gegenstandsweite g in Gl. 44.4 war dann durchweg als positiv festgelegt. Durch eine bestimmte Anordnung von Spiegeln und/oder Linsen kann m a n erreichen, d a ß das auf den betrachteten Spiegel fallende Licht konvergent ist. In diesen Fällen sagen wir, der Gegenstand sei virtuell, und wir ordnen ihm in Gl. 44.4 eine negative Gegenstandsweite zu. Ein Beispiel hierfür zeigt die Abb. 44.12. Unabhängig von der eigentlichen Lichtquelle ist G, da er auf der V-Seite des Spiegels liegt, ein virtueller Gegenstand und seine Gegenstandsweite g negativ.

Beispiel 3 Ein Konvexspiegel habe einen Krümmungsradius von 20 cm. Wo liegt das Bild einer punktförmigen Quelle, die vom Spiegel, wie in Abb. 44.11 skizziert, 14 cm entfernt ist? Schon eine ungefähre graphische Konstruktion unter Verwendung des Reflexionsgesetzes zeigt, daß das Bild auf der V-Seite des Spiegels liegen wird und daher virtuell ist. Dies können wir mit der Gl. 44.4 rechnerisch bestätigen. Weil der Krümmungsmittelpunkt des Spiegels auf der V-Seite liegt, ist r negativ. So ist:

1 + 14 cm

1_ +

2

b ~ - 20 cm'

was für b = — 5.8 cm liefert. Weil b negativ ist, liegt das Bild tatsächlich auf der V-Seite.

Fällt paralleles Licht auf einen Spiegel (Abb. 44.13), so nennen wir den (reellen oder virtuellen) Bildpunkt den Brennpunkt F des Spiegels. Der Abstand zwischen dem Scheitel und dem Brennpunkt heißt Brennweite f . Lassen wir in Gl. 44.4 g gegen unendlich gehen, so erhalten wir b = rß=f. Gl. 44.4 kann man daher auch schreiben:

44.3 Kugelwellen - sphärische Spiegel

1295

Abb. 44.12 (a) Konvergierende Strahlen (1, 2 und 3) fallen auf einen i/oWspiegel. Ein virtueller Gegenstand G erzeugt ein reelles Bild B. Man beachte, daß das Licht nicht durch G, aber durch B geht. Weiter ist g negativ, b, r und damit / sind dagegen positiv, (b) Konvergierende Strahlen (1, 2 und 3) fallen auf einen Wö/ftspiegel. Ein virtueller Gegenstand G erzeugt ein virtuelles Bild B. Das Licht geht weder durch G noch durch B. Hier sind g, b, r und damit auch / negativ. Man vergleiche diese Abbildungen mit Abb. 44.9, bei der ein reeller Gegenstand (divergierende Strahlen) bei der Reflexion an einem Hohlspiegel ein reelles Bild erzeugt, g, b, r (und d a m i t / ) sind alle positiv. Man betrachte auch Abb. 44.11, in der ein reeller Gegenstand (divergierende Strahlen) an einem Woftspiegel ein virtuelles Bild erzeugt. Hier ist g positiv, b, r (und damit / ) sind dagegen negativ. Mit diesen vier Abbildungen sind sämtliche Anordnungsmöglichkeiten an sphärischen Spiegeln beschrieben. Einen entsprechenden Vergleich findet man in Abb. 44.22 für dünne Linsen.

worin / wie r positiv zu wählen ist, wenn der Krümmungsmittelpunkt des Spiegels auf der R-Seite des Spiegels liegt (d. h. für Konkavspiegel, s. Abb. 44.13 a) und negativ, wenn er sich auf der V-Seite befindet (also für Konvexspiegel wie in Abb. 44.13 c). Abb. 44.13 b zeigt eine einfallende ebene Welle, die mit der Spiegelachse einen kleinen Winkel a einschließt. Die Strahlen werden nach der Reflexion in einem Punkt in der Brennebene des Spiegels fokussiert. Diese steht im Brennpunkt des Spiegels senkrecht auf der Spiegelachse.

1296

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Reflektierte Wellenfronten

Achse

illende Wellenfronten

Achse

Reflektierte Wellenfronten

F

Achse

M

rnde Wellenfronten

Abb. 44.13 (a) Der Brennpunkt für einen sphärischen Hohlspiegel. F und M liegen auf der R-Seite, der Brennpunkt ist reell und die Brennweite / des Spiegels positiv (wie r). (b) Das einfallende Licht schließt jetzt mit der Spiegelachse einen Winkel «,), so werden die Strahlen nach der Brechung divergieren und ein virtuelles Bild

erzeugen, wie es Abb. 44.18 zeigt. Dies führt uns zu unserer zweiten Vorzeichenregel: 2. Der Krümmungsradius r ist positiv, wenn der Krümmungsmittelpunkt der brechenden Fläche auf der R-Seite liegt, wie in Abb. 44.16. r ist dagegen negativ, wenn sich, wie in Abb. 44.18, der Krümmungsmittelpunkt auf der V-Seite befindet. Die Vorzeichenvereinbarungen für brechende Flächen sind dieselben wie die für Spiegel. Der grundlegende Unterschied ist in den durch die Abb. 44.17 gegebenen Definitionen der R- und der V-Seite enthalten.

Beispiel 4 Man bestimme für die in Abb. 44.16 gegebene Anordnung die Lage des Bildes. Der Krümmungsradius betrage 10 cm, die Brechzahlen seien n2 = 2.0 bzw. jij — 1.0. Das Objekt liege 20 cm links vom Scheitel S. Setzen wir die gegebenen Daten in Gl. 44.12 ein, so erhalten wir: 1.0 + 20 cm

2.0 _ 2 . 0 - 1 . 0 b ~ + 10cm'

Man beachte, daß r positiv ist, weil der Krümmungsmittelpunkt der Fläche auf der R-Seite liegt. Es ergibt sich b = + 40 cm, was mit der graphischen Konstruktion übereinstimmt. Weil die Lichtenergie durch B geht, ist das Bild reell. Dies zeigt auch das positive Vorzeichen von b.

1302

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Beispiel 5 Ein Gegenstand befindet sich in einem Medium mit der Brechzahl nl = 2.0 15 cm vor einer brechenden Fläche mit dem Krümmungsradius — 10 cm, siehe Abb. 44.19. r ist negativ, weil M auf der V-Seite liegt. Wo befindet sich das Bild? Abb. 44.19 zeigt einen von G ausgehenden Strahl, der in A gebrochen wird. Ein zweiter, auf der Achse verlaufender Strahl verläßt das Medium 1 an der Stelle S, ohne abgelenkt zu werden. Das Bild B liegt im Schnittpunkt der rückwärtigen Verlängerungen dieser beiden Strahlen: Es ist virtuell. Aus Gl. 44.12 erhalten wir b = — 30 cm, in Übereinstimmung mit der Abbildung und den Vorzeichenregeln. Man beachte, daß nl stets die Brechzahl des Mediums auf der Seite der Fläche ist, von der das Licht herkommt.

Abb. 44.19 Zwei von G ausgehende Strahlen scheinen nach der Brechung an einer sphärischen Fläche ihren Ursprung in B zu haben (virtuelles Bild).

Beispiel 6 Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Bildweite b und der Gegenstandsweite g, wenn die brechende Fläche eben ist? Eine ebene Grenzfläche hat einen unendlich großen Krümmungsradius. Geht in Gl. 44.12 r-> oo, so erhält man: i b=-g

»2 —. «i

Abb. 44.20 illustriert die Verhältnisse (a) für einen Gegenstand in Luft, den man aus dem Wasser heraus betrachtet, und (b) für einen Gegenstand unter Wasser und dem Auge oberhalb der Wasseroberfläche. Dies zeigt, daß zum Beispiel für einen Taucher ein über dem Wasser hängender Zweig eines Baumes um den Faktor 1.33/1.00 höher zu sein scheint, als er tatsächlich ist. Entsprechend wird ein auf einen Wasserbehälter blickender Beobachter auf dem Boden liegende Gegenstände im Verhältnis 1.00/1.33 an sich herangerückt sehen. Diese auf der Gl. 44.12 basierenden Überlegungen gelten nur in der paraxialen Näherung, wenn also die einfallenden Strahlen mit der Flächen-

44.4 Brechung an sphärischen Flächen

1303

Abb. 44.20 Brechung an einer ebenen Fläche bei fast senkrechtem Einfall, (a) Quelle in Luft, (b) Quelle in Wasser.

1304

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

normalen nur einen kleinen Winkel einschließen. Lediglich der Deutlichkeit halber ist dieser Winkel in der Abbildung übertrieben groß gezeichnet. Auch hier wieder ist ni die Brechzahl des Mediums, von dem aus das Licht auf die Fläche fallt.

44.5 Dünne Linsen Bei optischen Systemen hat man es fast immer mit mehr als einer brechenden Fläche zu tun. Schon bei einem einfachen Brillenglas tritt das Licht aus Luft in Glas und dann von Glas wieder in Luft. Bei Mikroskopen, Fernrohren, Photoapparaten usw. sind es häufig viel mehr als zwei Flächen. Abb. 44.21 a zeigt eine dicke Glaslinse der Länge /, deren sphärische Begrenzungsflächen die Krümmungsradien r' bzw. r" aufweisen. Vor der linken Fläche befindet sich ein punktförmiger Gegenstand G'. Wählen wir als Bezugsachse die durch die beiden Krümmungsmittelpunkte M' und M" gehende Gerade (die optische Achse), so wird ein auf dieser Achse verlaufender Strahl beim Durchgang durch die Linse nicht abgelenkt werden, da er jeweils senkrecht auf die brechenden Flächen trifft. Ein zweiter, von G' unter einem beliebigen Winkel a gegen die Achse ausgehender Strahl trifft auf die erste Fläche im Punkt A', wird dort gebrochen und gelangt beim Punkt A" auf die zweite Fläche. Hier wird er wiederum gebrochen, um dann bei B" die Achse zu schneiden: Hier liegt also der zum Gegenstand G' gehörende Bildpunkt B". Nach Abb. 44.21 b erzeugt die erste Fläche von G' in B' ein virtuelles Bild. Seine Lage ergibt sich aus Gl. 44.12, wenn man dort nt = 1.0 und n2 = n setzt und ferner berücksichtigt, daß die Bildweite negativ ist (d. h. es ist b = — b'). Man erhält: 1

n

n—1 = —

(44 13)

-

In dieser Gleichung hat b' einen positiven Wert, weil wir das Minuszeichen oben schon berücksichtigt haben. Für die zweite Fläche beziehen wir uns auf Abb. 44.21 c. Würde ein Beobachter in A" von der Existenz der ersten Fläche nichts bemerken, so käme für ihn das Licht vom Punkt B', und er würde außerdem annehmen, daß der Bereich links von der Fläche mit Glas ausgefüllt ist. So dient das von der ersten Fläche erzeugte (virtuelle) Bild B' für die zweite Fläche als ein reeller Gegenstand G". Für seine Gegenstandsweite in bezug auf die zweite Fläche gilt: g" = b' + l.

(44.14)

Wenden wir jetzt Gl. 44.12 auf die zweite Fläche an, so müssen wir und n 2 = 1.0 setzen, weil der Gegenstand sich so verhält, als befände er sich in Glas. Zusammen mit Gl. 44.14 erhalten wir: " 1 + b' + l b"

1—n U r"

,

=

(

4

4

.

1

5

)

Im folgenden wollen wir nun stets annehmen, daß die Dicke l der Linse im Vergleich zu

44.5 Dünne Linsen

1305

Abb. 44.21 (a) Nach der Brechung an zwei sphärischen Flächen schneiden sich zwei von G' ausgehende Strahlen in B". (b) Getrennte Darstellung für die erste und (c) für die zweite brechende Fläche. Der Deutlichkeit halber sind die Größen a und n übertrieben groß gewählt worden.

den anderen Längen in der Abbildung (also g', b', g", b", r' und r") vernachlässigbar klein ist. Wir sprechen dann von dünnen Linsen. Setzen wir in Gl. 44.15 / = 0, so erhalten wir:

Addieren wir weiter Gl. 44.13 und Gl. 44.16, so ergibt sich:

1306

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Abb. 44.22 (a) Ein reelles Bild und ein reeller Gegenstand, g und b sind positiv, (b) Ein virtuelles Bild und ein reeller Gegenstand, g ist positiv, b negativ, (c) Ein reelles Bild und ein virtueller Gegenstand. g ist negativ, b positiv, (d) Ein virtuelles Bild und ein virtueller Gegenstand, g und b sind negativ. Das Vorzeichen von g hängt davon ab, ob die auf die dünne Linse einfallenden Strahlen divergent (die beiden ersten Fälle) oder konvergent (dritter und vierter Fall) sind. Sind die einfallenden Strahlen divergent, so ist der Gegenstand reell, sind sie konvergent, so ist er virtuell. Das Vorzeichen von b hängt davon ab, ob B auf der R-Seite der Linse ( 5 ist dann reell und b positiv, erster und dritter Fall) oder auf ihrer V-Seite liegt (B ist dann virtuell und b negativ, zweiter und vierter Fall).

44.5 Dünne Linsen

1307

Bezeichnen wir schließlich die ursprüngliche Gegenstandseite einfach mit g und die sich zuletzt ergebende Bildweite mit b, so bekommen wir: (44.17) Diese Gleichung gilt nur für achsnahe Strahlen und bei so dünnen Linsen, bei denen es keinen wesentlichen Unterschied macht, von welcher Fläche aus man Gegenstandsweite und Bildweite mißt. In Gl. 44.17 gehört r' zu der vorderen Linsenfläche und r" zu der hinteren. Die Vorzeichenvereinbarungen in Gl. 44.17 sind die gleichen wie bei Spiegeln und einzelnen brechenden Flächen. Weil wir die Näherung dünner Linsen voraussetzen, beziehen wir uns auf die R- bzw. V-Seite der Linse selbst (s. Abb. 44.17) und nicht auf die der einzelnen brechenden Flächen. Mit der Abb. 44.22 gelangen wir zu den folgenden Regeln: 1. Die Bildweite b ist positiv, wenn das (reelle) Bild auf der R-Seite der Linse liegt wie in Abb. 44.22 a und Abb. 44.22 c. Sie ist negativ, wenn das (virtuelle) Bild sich auf der V-Seite der Linse befindet wie in Abb. 44.22 b und Abb. 44.22 d. 2. Die Gegenstandsweite g ist positiv, wenn divergierende Strahlen auf die Linse fallen, wie in Abb. 44.22 a und Abb. 44.22 b. Der Gegenstand ist dann reell. Die Gegenstandsweite g ist negativ, wenn konvergierende Strahlen auf die Linse fallen wie in Abb. 44.22c und Abb. 44.22d. In diesen Fällen ist der Gegenstand virtuell. 3. Die Krümmungsradien r' und r" gehören, von der Lichtrichtung aus gesehen, zur ersten bzw. zweiten Linsenfläche. Beide Größen sind positiv, wenn die zugehörigen Krümmungsmittelpunkte M' und M" auf der R-Seite der Linse liegen; andernfalls sind sie negativ. In den Abb. 44.23 a und 44.23 c fallt von einem sehr weit entfernten Gegenstand paralleles Licht auf eine dünne Linse. Den Bildort dieses Gegenstands nennt man den Bildbrennpunkt F2 der Linse. Der Abstand von F2 zur (dünnen) Linse heißt die (Bild-) Brennweite f . Der Dingbrennpunkt (in der Abbildung ist das Ft) ist der Ort eines (punktförmigen) Gegenstands, dessen Bild im Unendlichen liegt. Bei dünnen Linsen befinden sich Ding- und Bildbrennpunkt auf den entgegengesetzten Seiten der Linse und sind von dieser gleichweit entfernt. Die Brennweite ergibt sich aus Gl. 44.17, wenn man dort g gegen Unendlich schickt und b = / setzt: (44.18) / i s t also eine Funktion der Krümmungsradien der Linsenflächen und der Brechzahl des Linsenmaterials. Damit erhalten wir die Abbildungsgleichung für eine dünne Linse: 1 1 + 8 b

1 f

(44.19)

1308

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Abb. 44.23 (a) Parallel einfallendes Licht geht durch den Bildbrennpunkt F2 einer Sammellinse, (b) Das einfallende Licht schließt mit der Linsenachse einen Winkel a ein, die Strahlen werden in der Brennebene FF" fokussiert. (c) Das durch eine Zerstreuungslinse parallel einfallende Licht scheint aus dem Bildbrennpunkt F2 zu kommen. M' und M" sind die Krümmungsmittelpunkte der Linsenflächen, F1 der Dingbrennpunkt.

Die A b b . 44.23 b zeigt parallel einfallende Strahlen, die mit der Linsenachse einen kleinen W i n k e l a einschließen. Sie fokussieren in der Brennebene FF". D a s ist eine E b e n e , die im B r e n n p u n k t auf der Linsenachse senkrecht steht.

Beispiel 7 In der Abb. 44.23 haben die Krümmungsradien der Glaslinsen mit der Brechzahl n = 1.65 den Betrag 40 cm. Man berechne die Brennweiten.

44.5 Dünne Linsen

1309

Da bei der Linse in Abb. 44.23 a M' auf der R-Seite der Linse liegt, ist r' positiv ( = + 40 cm). M" liegt dagegen auf der V-Seite, also ist r" negativ ( = — 40 cm). Setzt man diese Werte in Gl. 44.18 ein, so erhält man: / = + 3 1 cm. Eine positive Brennweite zeigt in Übereinstimmung mit der Abbildung an, daß der Bildbrennpunkt F2 auf der R-Seite der Linse liegt und parallel einfallendes Licht nach der Brechung konvergiert und ein reelles Bild erzeugt. In der Abb. 44.23 c befindet sich M auf der V-Seite der Linse, so daß r' negativ ist ( = — 40 cm), während r" positiv ist ( = + 40 cm). Mit Gl. 44.18 erhalten wir jetzt / = - 31 cm. Eine negative Bildbrennweite bedeutet, daß F2 auf der V-Seite der Linse liegt und einfallendes Licht nach der Brechung divergiert; es entsteht ein virtuelles Bild.

Das Bild eines ausgedehnten Objektes, wie zum Beispiel einer Kerze (Abb. 44.25), können wir auf graphischem Wege ermitteln, indem wir von den folgenden Feststellungen ausgehen: 1. Ein zur Achse parallel auf die Linse fallender Strahl geht entweder direkt oder in seiner Verlängerung durch den Bildbrennpunkt F2 (Strahl x in Abb. 44.24). 2. Ein Strahl, der auf die Linse trifft, nachdem er entweder direkt oder in seiner Verlängerung durch den Dingbrennpunkt F1 gegangen ist, wird die Linse parallel zur Achse verlassen (Strahl y in Abb. 44.24). 3. Ein durch das Linsenzentrum gehender Strahl wird nicht abgelenkt. In der Nähe ihres Zentrums verhält sich die Linse nämlich wie eine Platte mit parallelen Seiten. Bei dieser ändert sich die Richtung der Lichtstrahlen nicht, während ihre Parallelversetzung wegen der als gering vorausgesetzten Linsendicke vernachlässigt werden kann (Strahl z in Abb. 44.24). In Abb. 44.25 verläuft ein Strahl von der Spitze des Objektes über das Zentrum Z der Linse zur Spitze des Bildes. Aus den ähnlichen Dreiecken lesen wir ab: B_b G~g

Die linke Seite ist bis auf das Vorzeichen gleich dem Abbildungsmaßstab v. Soll dieser für umgekehrte Bilder negativ sein, so müssen wir ein Minuszeichen anbringen. Wir erhalten schließlich: L

v=

8

Diese Beziehung gilt für jeden Linsentyp und alle Gegenstandsweiten.

(44.20)

1310

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Abb. 44.24 Graphische Konstruktion des Bildes für drei dünne Linsen. Die Gegenstände sind reell, auf die Linsen fallen also divergente Strahlen.

Abb. 44.25 Zwei Strahlen für den Fall der Abb. 44.24a

44.5 Dünne Linsen

1311

Beispiel 8 Eine dünne Sammellinse habe eine Brennweite von + 24 cm. Ein Gegenstand befinde sich 9.0 cm vor dieser Linse (Abb. 44.24 b). Man bestimme das Bild. Aus Gl. 44.19, 1 g+

1 1 b~f'

erhalten wir 1 1_ 1 + + 9.0 cm b ~ + 24 cm' was b = — 14.4 cm ergibt. Das Minuszeichen bedeutet, daß das Bild auf der V-Seite der Linse liegt und daher virtuell ist. Für den Abbildungsmaßstab bekommen wir: b

—14.4 cm

,„

auch hier in Übereinstimmung mit der Abbildung. Das Pluszeichen zeigt an, daß das Bild aufrecht steht.

Ähnlich wie bei Spiegeln weisen auch die durch Linsen erzeugten Bilder Fehler auf. Diese hängen damit zusammen, daß ein punktförmiges Objekt kein punktförmiges Bild ergibt, daß der Abbildungsmaßstab vom Abstand des Gegenstands von der Linsenachse abhängt und daß Beugungseffekte auftreten. Nur bei Linsen und nicht bei Spiegeln gibt es darüberhinaus chromatische Aberrationen (d. h. Farbfehler). Diese haben ihre Ursachen in der Wellenlängenabhängigkeit der Brechzahl des Linsenmaterials. Das Bild eines punktförmigen Gegenstands, von dem weißes Licht ausgeht, ist selbst bei Vernachlässigung aller anderen Abbildungsfehler eine Folge von farbigen Punkten entlang der Achse. Jeder kennt die von billigen Linsen erzeugten Farberscheinungen. Eine Hauptaufgabe der Technischen Optik ist die Konstruktion von Linsen oder Linsensystemen, bei denen die verschiedenen Abbildungsfehler minimiert sind. Nur selten sind, wie in unseren Beispielen, die Linsen sphärisch geschliffen, geschweige denn dünn. Wir können sowohl die Abbildungsgleichung für Spiegel (Gl. 44.5) als auch die für (dünne) Linsen (Gl. 44.19) auf die Form bringen:

m + wc ±u

(4421)

worin |/1 als Absolutbetrag der Brennweite / stets positiv ist. Auf der rechten Seite dieser Beziehung gilt das Pluszeichen für Sammellinsen oder Hohlspiegel und das Minuszeichen für Zerstreuungslinsen oder Wölbspiegel (s. Aufgabe 41). Abb. 44.26 stellt den durch Gl. 44.21 gegebenen Zusammenhang graphisch dar, und zwar Abb. 44.26a für Hohlspiegel und Sammellinsen und Abb. 44.26b für Wölbspiegel und Zerstreuungslinsen.

1312

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Abb. 44.26 (a) Verlauf von b/1/| und von g / | / | für Hohlspiegel und Sammellinsen. Man beachte, daß ein virtueller Gegenstand kein virtuelles Bild erzeugen kann (linker unterer Quadrant). Die Zahlen an der x-Achse sind die Werte des Abbildungsmaßstabs (s. Gl. 44.20). Ein positives Vorzeichen bedeutet ein aufrechtes Bild, ein negatives entsprechend ein umgekehrtes. Man vergleiche dies mit den vorhergehenden Abbildungen, (b) Verlauf von b/\f \ und g/\f \ für Wölbspiegel und Zerstreuungslinsen. Hier kann ein reeller Gegenstand kein reelles Bild erzeugen (rechter oberer Quadrant).

44.6 Optische Instrumente Obwohl das menschliche Auge bereits ein bemerkenswert effektives Organ ist, kann es durch eine Vielzahl von optischen Instrumenten unterstützt oder sein Wahrnehmungsbereich auch über den sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums hinaus erweitert werden. So gibt es neben Brillen, Lupen, Filmprojektoren, Photoapparaten, Videokameras, Mikroskopen, Fernrohren usw. auch Infrarotkameras oder Röntgenstrahlmikroskope. Für fast alle diese Instrumente ist die von uns hergeleitete Abbildungsgleichung für Spiegel (Gl. 44.5) und für Linsen (Gl. 44.19) allenfalls eine Näherung. Die Strahlen brauchen nicht paraxial zu sein, wie jedermann weiß, der schon einmal eine Kamera in der Hand hatte. Bei den in der Astronomie verwendeten Fernrohren sind die Strahlen jedoch tatsächlich achsnahe. Die üblichen Labormikroskope bestehen nicht aus „dünnen" Linsen in dem Sinne, wie wir diesen Begriff in Abschn. 44.5 definiert haben. Bei den meisten optischen Instrumenten sind die Linsen in komplizierter Weise aus mehreren miteinander verkitteten Komponenten zusammengesetzt, und nur selten sind die Grenzflächen sphärisch. Man erreicht damit eine Verbesserung der Bildqualität sowie der Helligkeit und wird unabhängig von der Einschränkung auf paraxialen Strahlenverlauf. Wenn wir im folgenden drei optische Instrumente beschreiben, so wollen wir trotzdem aus Gründen der Einfachheit annehmen, daß die Abbildungsgleichung für dünne Linsen angewendet werden darf. Die Lupe. Das normale menschliche Auge kann von einem Gegenstand auf der Netzhaut ein scharfes Bild erzeugen, wenn sich der Gegenstand G irgendwo zwischen Unendlich und dem sogenannten Nahpunkt Pn befindet. Dieser liegt etwa 25 cm vor dem Auge. Rückt das Objekt noch näher an das Auge heran, so wird das Bild unscharf. Die Lage

44.6 Optische Instrumente

1313

Abb. 44.27 (a) Ein Gegenstand G der Höhe h wird in die Nähe des Nahpunkts des menschlichen Auges Pn gesetzt. Rückt man ihn noch näher ans Auge heran, so kann von ihm auf der Netzhaut kein scharfes Bild entstehen, (b) Eine Sammellinse (also ein einfaches Vergrößerungsglas) wird unmittelbar vor das Auge gebracht und der Gegenstand von Pn nach Fl gerückt. Nicht maßstabsgerecht.

des Nahpunkts ändert sich mit dem Alter. Jeder von uns kennt Menschen, die vorgeben, keine Brille zu brauchen, während sie ihre Zeitung aber nur mit ausgestreckten Armen lesen können. Den eigenen Nahpunkt kann man für jedes Auge ermitteln, wenn man zum Beispiel die Seite dieses Buchs immer näher heranrückt, bis das Bild zu verschwimmen beginnt. In der Abb. 44.27 a befindet sich ein Gegenstand G in der Nähe des Nahpunkts Pn. Die Größe des auf der Netzhaut entstehenden Bildes werde durch den Winkel 9 gemessen. In der Abb. 44.27 b bringen wir eine Lupe, das ist einfach eine Sammellinse, mit der Brennweite / direkt vor das Auge und bewegen das Objekt in den Dingbrennpunkt Ft der Linse. Dann treten die vom Objekt ausgehenden Lichtstrahlen parallel unter dem Winkel ff in das Auge ein. Es ist 9' > 8. Als Vergrößerung w, die man nicht mit dem Abbildungsmaßstab bzw. der Lateralvergrößerung verwechseln darf, definiert man das Verhältnis des Sehwinkels 9' mit Lupe zum Sehwinkel 9 ohne Lupe: w =

ff/9,

worin 9 x h/25 cm

und ff « h/f.

Damit erhalten wir für die Lupenvergrößerung: w « 25 cm//.

(44.22)

1314

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

Abb. 44.28 Vereinfachte Version eines Mikroskops aus „dünnen" Linsen. Der Deutlichkeit halber sind die Dimensionen verzerrt dargestellt. Gezeichnet wurden nur zwei Strahlen.

Wie zu erwarten, ist f ü r / = 25 cm die Vergrößerung v = 1 oder 9' = 6. Bei einer einfachen Linse kann der Vergrößerungsfaktor nicht sehr groß sein, weil sehr bald die Linsenfehler zum Tragen kommen. Für einen Briefmarkensammler ist eine derartige Lupe aber meist ausreichend. Das einfache Mikroskop. Abb. 44.28 zeigt den Aufbau eines aus zwei Sammellinsen bestehenden einfachen Mikroskops, mit dem man kleine Gegenstände beobachten kann, die sich in unmittelbarer Nähe dieses Instrumentes befinden. Der Gegenstand G mit der Höhe h liegt kurz vor dem Dingbrennpunkt der ersten Linse, dem Objektiv, mit der Brennweite/ Gb . Es entsteht ein reelles, umgekehrtes Bild B mit der Höhe h'. Der Abbildungsmaßstab ist nach Gl. 44.20: h' s tanö s " j ' - j ^ ' - ^ -

(44 23

- >

Wie üblich verweist das Minuszeichen auf die Umkehrung des Bildes. Die Entfernungs (die man auch Tubuslänge nennt) wird nun so gewählt, daß das Bild B in den Dingbrennpunkt F[ der zweiten Sammellinse, dem Okular, fallt. Diese wirkt nun einfach als Lupe, wie es im vorigen Unterabschnitt beschrieben wurde. Es entsteht im Unendlichen ein Bild B', von dem die Lichtstrahlen parallel in das Auge des Beobachters einfallen. Als Gesamtvergrößerung r versteht man das Produkt aus der Lateralvergrößerung v für das Objektiv (Gl. 44.23) und der Vergrößerung w für das Okular (Gl. 44.22):

r x

( s \ {25 cm\

- "--(£Übr>

/|/| = + 1 in Abb. 44.26 a. Zur Veranschaulichung zeichne man den Strahlengang für die beiden Fälle mit dünnen Sammellinsen. In Abb. 44.26 b beantworte man die gleiche Frage für g/\f\ = — 1 und b/\f\ = — 1 und dünne Zerstreuungslinsen. 35. Warum wird die Vergrößerung einer einfachen Lupe (s. die Herleitung zu Gl. 44.22) besser durch die Winkel als durch das Verhältnis Bildgröße/Gegenstandsgröße definiert? 36. Gewöhnliche Brillen vergrößern nicht, eine einfache Lupe tut es jedoch. Welche Funktion haben dann Brillen? 37. Die Blendenzahl (oder etwas lax: Blende) einer Kameralinse (s. Aufgabe 47) ist ihre Brennweite dividiert durch ihre Apertur, das ist ihr effektiver Durchmesser. Warum muß man sie in der Photographie kennen? Wie kann die Blende einer Linse verändert werden? Wie ist der Zusammenhang zwischen Belichtungszeit und Blende? 38. Spielt es eine Rolle, ob (a) ein astronomisches Fernrohr, (b) ein zusammengesetztes Mikroskop, (c) eine einfache Lupe, (d) eine Kamera oder (e) ein Projektor aufrechtstehende oder umgekehrte Bilder erzeugen? Was ist über reelle oder virtuelle Bilder zu sagen? Man diskutiere jeden einzelnen Fall. 39. Warum tritt chromatische Aberration zwar bei einfachen Linsen, nicht jedoch bei Spiegeln auf? 40. Das menschliche Auge erzeugt ohne Hilfsmittel ein reelles, aber umgekehrtes Bild auf der Netzhaut, (a) Warum sehen wir die Gegenstände, wie z. B. Menschen und Bäume, dann nicht verkehrt herum? (b) Wir sehen natürlich nichts verkehrt herum. Man stelle sich aber vor, daß wir dies mit einer Spezialbrille können. Würde man bei herumgedrehtem Buch diese Frage dann mit der gleichen Mühelosigkeit lesen wie richtig herum ohne Brille?

Aufgaben

1319

41. Wenn der Regisseur eines Filmes eine Szene so zeigen möchte, als ob man sie durch einen Feldstecher beobachtet, so erscheint auf der Leinwand gewöhnlich eine Maske mit der Öffnung in Form einer horizontal liegenden Acht. Was ist daran falsch? 42. Warum wird bei den neuen großen astronomischen Fernrohren den Reflektoren (Spiegelteleskop) gegenüber den Refraktoren (Linsenteleskop) der Vorzug gegeben? Man bedenke mechanische Probleme bei der Herstellung von Linsen und Spiegeln, Schwierigkeiten beim Formen der optischen Oberflächen, kleine Fehler in den Glaskörpern usw.

Aufgaben Abschnitt 44.2 1. Ein kleines Objekt befindet sich 10 cm vor einem ebenen Spiegel. Wenn sie 30 cm vom Spiegel entfernt hinter dem Objekt stehen und auf sein Bild schauen, auf welche Entfernung müssen Sie Ihre Augen akkommodieren? Antwort: 40 cm. 2. Sie möchten ein Objekt fotografieren, das Sie in einem ebenen Spiegel sehen. Auf welchen Abstand muß die Linse Ihrer Kamera fokussiert werden, wenn sich das Objekt 5.0 m zu Ihrer Rechten und 1.0 m näher zum Spiegel befindet als Sie? 3. Ein punktförmiges Objekt ist 10 cm, das Auge eines Beobachters 20 cm (Pupillendurchmesser 5.0 mm) von einem Spiegel entfernt. Man bestimme den Bereich des Spiegels, der zur Beobachtung der Reflexion dieses Objekts nötig ist unter der Voraussetzung, daß sich Objekt und Auge auf einer Geraden senkrecht zur Spiegelfläche befinden. Antwort: 2.2 mm2. 4. Zwei Planspiegel bilden miteinander einen Winkel von 90°. Wie groß ist die maximale Anzahl von Bildern eines zwischen ihnen befindlichen Objekts, die von einem geeigneten Platz aus gesehen werden können? Das Objekt soll nicht auf der Winkelhalbierenden beider Spiegel liegen. 5. Man löse Beispiel 2, wenn der Winkel zwischen den Spiegeln (a) 45°, (b) 60°, (c) 120° beträgt und das Objekt immer auf der Winkelhalbierenden zwischen den Spiegeln liegt. Antwort: (a) 7; (b) 5; (c) 2. 6. Wie viele Bilder kann ein Beobachter von sich selbst in einem Raum sehen, dessen Decke und zwei angrenzende Wände aus Spiegeln bestehen? Erklärung! 7. Ein kleines Objekt O liegt auf einem Drittel des Abstandes zwischen zwei parallelen Planspiegeln wie in Abb. 44.31. Man zeichne die entsprechenden Strahlenbündel, die die dem Objekt am nächsten liegenden vier Bilder sichtbar machen.

Abb. 44.31 Zu Aufgabe 7 8. In Abb. 44.5 drehe man den Spiegel um 30° entgegen dem Uhrzeigersinn, ohne den Standort des Punktobjekts G zu verändern. Verschiebt sich dadurch der (virtuelle) Bildpunkt? Wenn ja, wohin? Kann das Auge das Bild noch sehen, ohne seinen Ort zu ändern? M a n skizziere die neue Situation, wobei G und das Auge ihre Position beibehalten.

1320

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

9. Man schaue durch ein kleines Loch in eine beleuchtete Schachtel. An der gegenüberliegenden Innenwand ist ein ebener Spiegel angebracht. Ein quadratischer Rahmen aus Draht rotiert langsam entgegen dem Uhrzeigersinn (von oben betrachtet) um eine vertikale Achse. Der Abstand vom Loch zum Spiegel beträgt 15 cm. (a) Wie weit müßte die Rotationsachse vom Spiegel entfernt sein, damit das Bild des Rahmens in halber Größe erscheint? (b) Man vergleiche die Richtung der Rotation von Objekt und Bild, (c) Was würden Sie zu sehen meinen, wenn Sie von dem Spiegel nichts wüßten? 10. Man erweitere die Abb. 44.8 für drei Dimensionen, indem man einen dritten Spiegel senkrecht zur Verbindungsachse der beiden vorhandenen Spiegel anbringt. Dabei entsteht der Tripelspiegel, der in der Optik, Mikrowellentechnik und für andere Anwendungen viel gebraucht wird. Er hat die Eigenschaft, daß der einfallende Strahl durch drei Reflexionen in die ursprüngliche Richtung zurückgeworfen wird. Können Sie das beweisen?

Abschnitt 44.3 11. Da Gl. 44.4 nur für Paraxialstrahlen richtig ist, kann sie für Strahlen wie in Abb. 44.9 keine große Genauigkeit ergeben. Messen Sie mit einem Lineal r und g in dieser Abbildung und berechnen daraus mit Gl. 44.4 den Wert von b. Vergleichen Sie ihn mit dem Meßwert von b. 12. Man ergänze die freien Felder in der Tabelle, wobei jede Spalte sich auf einen sphärischen Spiegel und einen reellen Gegenstand bezieht. Man überprüfe die Ergebnisse graphisch. Die Abstände sind in Zentimetern angegeben; bei fehlendem Vorzeichen setze man das richtige ein. a

Typ

konkav

/

20

b

c

d

e

+ 20

/

g konvex

20

r

-40

40

b

-10

4

g

+ 10

+ 10

V

+ 1

reelles Bild?

nein

aufrechtes Bild?

+ 30

h

+ 24

+ 60 -0.5

+ 0.10

0.50 nein

Antwort: (a) + , + 40, — 20, + 2, nein, ja; (c) konkav, + 40, + 60, — 2, ja, nein; (e) konvex, - 20, + 20, + 0.5, nein, ja; (g) - 20, - , - , + 5, nein, ja. 13. Ein kurzes, lineares Objekt der Länge / liegt in der Entfernung g von einem sphärischen Spiegel auf dessen Achse, (a) Man zeige, daß das entstehende Bild die Länge /' hat, wobei

(b) Man zeige, daß die Tiefen- Vergrößerung (Tiefen-Abbildungsmaßstab) t' ( = /'//) gleich v2 ist, wobei v die Lateralvergrößerung ist. (c) Gibt es eine Bedingung, für die unter Vernachlässigung von Spiegelfehlern das Bild eines kleinen Würfels auch ein Würfel ist? Antwort: (c) Ja, Objekt im Krümmungsmittelpunkt. 14. Man übertrage die Abb. 44.32 auf ein großes Blatt Papier und zeichne sorgfältig die reflektierten Strahlen ein unter Verwendung des Reflexionsgesetzes. Gibt es einen Brennpunkt? Begründung?

Aufgaben

1321

Abb. 44.32 Zu Aufgabe 14 15. Eine dünne, ebene, partiell reflektierende Glasplatte befindet sich im Abstand b von einem Konvexspiegel. Eine punktförmige Lichtquelle S ist im Abstand a vor der Glasplatte so angebracht, daß das Bild in der Glasplatte und das im Spiegel zusammenfallen, (s. Abb. 44.33) Man bestimme a für b = 7.5 cm und eine Brennweite des Spiegels v o n / = — 30 cm und zeichne den Strahlengang. Antwort: 23 cm.

Abb. 44.33 Zu Aufgabe 15 16. Man verifiziere, daß Gl. 44.4 mit den Fällen der Abbn. 44.9, 44.11 (s. Beispiel 3), 44.12, 44.13 und 44.14 übereinstimmt. In einigen Fällen ist nur eine qualitative Antwort möglich. 17. Man modifiziere Abb. 44.11 so (möglicherweise durch Hinzufügen eines zweiten Spiegels), daß der Gegenstand virtuell ist. Man zeichne die Strahlengänge. Abschnitt 44.4 18. Auf dem Boden eines 3 m tiefen Swimmingpools liegt ein Zehnpfennigstück. In welcher scheinbaren Tiefe sieht es ein Beobachter, der sich über der Wasseroberfläche befindet? Die Brechzahl von Wasser ist 1.33. 19. Man fülle folgende Tabelle aus, in der sich jede Spalte auf eine sphärische Fläche bezieht, die zwei Medien von verschiedener Brechzahl voneinander trennt. Die Abstände sind in Zentimetern angegeben. Das Objekt ist in allen Fällen reell.

1322

44 Reflexion und Brechung - Kugelwellen und sphärische Grenzflächen

"l

a

b

c

d

e

f

g

h

1.0

1.0

1.0

1.0

1.5

1.5

1.5

1.5

1.5

1.0

1.0

+ 20

+ 10

+ 600

-20

-6

+ 30

-20

2

1.5

1.5

g

+ 10

+ 10

n

-13

b r

+ 30

1.0 + 70

-7.5 -30

+ 100 + 600

+ 30

-30

reelles Bild?

20. 21.

22. 23.

Am Beispiel eines Punktobjekts erstelle man für jeden Fall eine Zeichnung und konstruiere den ungefähren Strahlenverlauf. Antwort: (a) — 18, nein; (c) + 71, ja; (e) + 30, nein; (g) — 26, nein. Auf einer Kohlenstofftetrachloridschicht (n = 1.46) von 4.0 cm Dicke schwimmt eine 2.0 cm dicke Wasserschicht (n = 1.33). Wie weit unterhalb der Wasseroberfläche befindet sich bei einem senkrechten Blickwinkel scheinbar der Boden des Behälters? Diese Aufgabe verdeutlicht die Paraxialnäherung. Man werfe ein Geldstück auf den Boden eines Swimmingpools, der bis zu einer Tiefe von 2.5 m mit Wasser (« = 1.33) gefüllt wird. Welche scheinbare Tiefe sieht ein Beobachter über der Wasserfläche, wenn er das Geldstück unter (a) einem nahezu senkrechten Winkel (Paraxialstrahlen) und (b) einem Winkel von 30° (keine Paraxialstrahlen) betrachtet? Was schließen Sie daraus? Man bestimme die beiden Brennpunkte einer brechenden Kugelfläche wie in Abb. 44.16. Ein paralleles Bündel trifft senkrecht auf eine Glaskugel. Man gebe die Lage des Bildes in Abhängigkeit von der Brechzahl n und dem Kugelradius r an. 2 —n — r, Antwort: Wenn das Licht von links einfallt und n 1

+ 5

+

i)—.

Damit ergibt sich: Solange der Winkel 6 in den Abbn. 45.5 und 45.6 klein ist, ist der Abstand der Interferenzstreifen von m unabhängig, d.h., die Streifen liegen äquidistant. Ist das einfallende Licht nicht mehr monochromatisch, enthält es also verschiedene Wellenlängen, so entstehen verschiedene sich überlagernde Streifenmuster mit unterschiedlichen Streifenabständen. Über Gl. 45.1 können wir die Wellenlänge des Lichts bestimmen. Wir zitieren Thomas Young: „Aus einem Vergleich verschiedener Experimente ergibt sich, daß die Undulationen (d. h. die Wellenlänge), aus denen das äußerste rote Licht besteht, in Luft als ungefähr 1/36000 eines Inches angenommen werden müssen, und die des fernen Violetts als etwa 1/60000; der Mittelwert des gesamten Spektrums ist 1/45000 Inch." Youngs Wert für die mittlere effektive Wellenlänge des Sonnenlichts (1/45000 inch) entspricht gerade 570 nm, was verhältnismäßig gut mit der Wellenlänge übereinstimmt, bei der die Lichtempfindlichkeit des Auges ein Maximum hat. Dies ist nach Abb. 42.1 bei 555 nm der Fall. Wir dürfen nicht glauben, daß die Arbeit von Young nicht auf Kritik gestoßen ist. Einer seiner Zeitgenossen, der fest an die Korpuskulartheorie des Lichts glaubte, schrieb unter anderem: „Wir wollen unsere schwache Stimme gegen Neuerungen erheben, die nichts anderes bewirken, als daß sie den Fortschritt der Wissenschaft aufhalten, und die alle die wilden Phantome der Phantasie erneuern, die durch Bacon und Newton aus ihrem Tempel vertrieben wurden. Dieses Papier enthält nichts, was den Namen Experiment oder Entdeckung verdient hätte."

45.2 Kohärenz Bei der Herleitung der Gin. 45.1 und 45.2 mußte eine fundamentale Forderung erfüllt sein, damit bei den Anordnungen der Abbn. 45.5 und 45.6 auf dem Schirm C wohldefinierte Interferenzstreifen entstehen konnten. Es wurde nämlich vorausgesetzt, daß die von und S2 zu einem beliebigen Punkt P auf dem Schirm gelangenden Lichtwellen eine genau bestimmte Phasendifferenz aufweisen, die sich darüber hinaus zeitlich nicht ändert. Ist für bestimmte Punkte P diese Differenz unabhängig von der Zeit gleich nn, mit n = 1, 3, 5, ..., so ist dort die resultierende Intensität während der gesamten Beobachtungsdauer exakt gleich Null. Ist in bestimmten anderen Punkten die Phasendifferenz gleich nn, mit n = 0, 2, 4 , . . . , so ist die resultierende Intensität an diesen Stellen ein Maximum. Man sagt, die beiden von den Spalten 5 , und S2 ausgehenden Strahlenbündel seien vollständig kohärent. Würden wir in der Abb. 45.5 die Lampe entfernen und die beiden Spalte durch zwei voneinander unabhängige Lichtquellen ersetzen, etwa durch zwei glühende Drähte in

1334

45 Interferenz

einem Glaskolben, so würden auf dem Schirm C keine Interferenzmuster entstehen, sondern er würde nahezu gleichmäßig ausgeleuchtet werden. Dies können wir damit erklären, daß bei völlig unabhängigen Lichtquellen die Phasendifferenz der beiden bei P ankommenden Lichtbündel sich in zufalliger Weise zeitlich ändert. Es ergeben sich während der Beobachtung keine definierten Phasenbeziehungen. In einem bestimmten Augenblick können gerade die Bedingungen für eine Auslöschung gegeben sein, während kurz darauf (vielleicht 10" 8 s später) ein Helligkeitsmaximum vorliegen sollte. Dieses Zufallsverhalten gilt in allen Punkten des Schirms C und das Ergebnis ist eben die gleichmäßige Ausleuchtung. Jetzt ist die Intensität in einem Punkt gleich der Summe der Einzelintensitäten, die jede der beiden Quellen S1 und S2 getrennt in diesem Punkt erzeugt, und man nennt die beiden von und S2 ausgehenden Lichtbündel vollständig inkohärent. Wir halten fest: Bei der Überlagerung von vollständig kohärentem Licht erhält man die resultierende Intensität (genauer eine zur resultierenden Intensität proportionale Größe), indem man zunächst die Amplituden vektoriell und unter Berücksichtigung der (konstanten) Phasendifferenz addiert und dann diese resultierende Amplitude quadriert. Bei vollständig inkohärenten Lichtbündeln gelangt man dagegen zu der zur Gesamtintensität proportionalen Größe, indem man erst die Einzelamplituden quadriert und dann addiert. Dieses Vorgehen stimmt mit der experimentellen Tatsache überein, daß bei vollständig unabhängigen Lichtquellen die resultierende Intensität in jedem Punkt stets größer ist als die Intensität, die in diesem Punkt von einer der beiden Quellen allein erzeugt wird. Es bleibt die Frage, wie man experimentell zu kohärentem bzw. inkohärentem Licht gelangt und wie sich die Kohärenz aus dem Vorgang der Strahlungserzeugung erklären läßt. Betrachten wir zunächst Mikrowellen, die von einer Antenne ausgesandt werden. Diese sei über ein Koaxialkabel mit einem als Oszillator wirkenden Hohlraumresonator verbunden. Die harmonischen Hohlraumschwingungen erzeugen (s. Abschn. 38.5) an der Antenne ein zeitlich veränderliches E- und Ä-Feld. In hinreichend großer Entfernung von der Antenne wird die ausgestrahlte Welle den durch Abb. 41.13 angedeuteten Verlaufhaben. Man beachte, daß sie (1) in der Zeit (fast) unendlich ausgedehnt ist, und zwar sowohl in die Zukunft (t > 0) als auch in die Vergangenheit (t < 0), s. Abb. 45.7a. In jedem Punkt, den diese Welle passiert, ist die Wellenerregung (d. h. E oder B) zeitlich harmonisch. (2) Für die von der Antenne weit entfernten Punkte sind die Wellenfronten (fast) unendlich ausgedehnte parallele Ebenen, die senkrecht zur Ausbreitungsrichtung

Abb. 45.7 (a) Ein Ausschnitt aus einer unendlichen Welle, (b) Ein Wellenzug.

45.2 Kohärenz

1335

stehen. Zu einem beliebigen festen Zeitpunkt ändert sich die Wellenerregung entlang der Ausbreitungsrichtung harmonisch. Zwei aus einer solchen Welle erzeugten Strahlenbündel werden vollständig kohärent sein. Eine Möglichkeit bietet das Aufstellen eines undurchdringlichen Schirms, in dem zwei Spalte angebracht sind. Die von den Spalten ausgehenden Wellen werden stets überall dort einen konstanten Phasenunterschied aufweisen, wo sie sich überlappen, und es werden Interferenzstreifen entstehen. Kohärente Radiowellen können genauso einfach hergestellt werden wie kohärente elastische Wellen in Festkörpern, Flüssigkeiten und Gasen. Mit der Technik, einen (von einer einzelnen Quelle ausgehenden) Strahl in zwei Strahlen zu zerlegen, kann gleichzeitig überprüft werden, ob die Wellenfronten des Einzelstrahls tatsächlich eben sind, d. h. ob alle Punkte einer Ebene senkrecht zur Ausbreitungsrichtung zu einem bestimmten Zeitpunkt dieselbe Phase besitzen. Teilt man den Strahl auf eine andere Weise, so kann man prüfen, ob er über eine große Anzahl von Perioden wirklich harmonisch ist. Dies geschieht, wie wir in Abschn. 45.7 im einzelnen zeigen werden, indem man unter 45° gegen den Strahl eine dünne Platte aus einem Material einbringt, das die Eigenschaft hat, zwei Strahlen dadurch zu erzeugen, daß einer (rechtwinklig zum einfallenden Strahl) reflektiert wird, während ein zweiter (in Richtung des einfallenden Strahls) durch die Platte hindurchgeht. Im sichtbaren Bereich besteht eine solche Platte aus einem halbversilberten Spiegel, das ist eine entsprechend dünn beschichtete Glasscheibe. Mit weiteren Spiegeln (s. Abschn. 45.7) können die beiden Teilstrahlen wieder zu einem Strahl in einer gewünschten Richtung vereinigt werden. Wenn die beiden Strahlen vor dieser Überlagerung verschiedene Entfernungen zurückgelegt haben, so vergleicht man dadurch im kombinierten Strahl zwei Bereiche des ursprünglichen Strahls, die durch eine beliebig große Anzahl von Perioden voneinander getrennt sind. Ist der ursprüngliche Strahl in Raum und Zeit harmonisch, so sind die beiden Teilstrahlen vollständig kohärent und erzeugen bei ihrer Überlagerung Interferenzstreifen.

Gehen wir jetzt zu den üblichen Quellen für sichtbares Licht, wie zum Beispiel Glühoder Gasentladungslampen, über, so gelangen wir zu einem entscheidenden Unterschied. Sowohl in glühenden Drähten als auch in der Gasentladung geht der Emissionsprozeß von den einzelnen, nicht kooperativ (d. h. nicht kohärent) wirkenden Atomen aus. Bei einem Einzelatom dauert die Emission von Licht in einem typischen Fall ungefähr 10 ~ 8 s, und das dabei emittierte Licht wird durch einen Wellenzug (oder auch Wellengruppe., s. Abb. 45.7 b) und nicht mehr als eine unendliche harmonische Welle (Abb. 45.7 a) beschrieben. So sind für die hier angegebene Emissionszeit diese Gruppen nur einige Meter lang. Bei gewöhnlichem Licht gelangt man erst dann zu Interferenzeffekten, wenn man einen sehr engen Spalt unmittelbar vor die Lichtquelle stellt (S0 in Abb. 45.1). Dadurch wird erreicht, daß die auf die Spalte Sl und S2 treffenden Wellenzüge aus demselben kleinen Bereich der Quelle stammen und somit auch nach der Beugung an den beiden Spalten untereinander kohärent sind. In diesem Fall führt eine Phasenänderung des Lichts im Spalt S0 zu einer simultanen Änderung in den Spalten Sl und S2- In jedem Punkt auf dem Schirm C ist die Phasendifferenz zwischen den Strahlen dann konstant, und ein stationäres Interferenzmuster tritt auf. Wird die Breite des Spalts S0 in Abb. 45.1 schrittweise vergrößert, so beobachtet man im Experiment, daß die Intensität der Interferenzmaxima abnimmt und die der Minima nicht mehr exakt gleich Null ist. Die Unterscheidung der Streifen wird immer schwieriger, schließlich verschwindet das Muster ganz. Man sagt, die von Sl und S2 ausgehenden Strahlen gehen vom Zustand der (vollständigen) Kohärenz in den Zustand der (vollständigen) Inkohärenz über. Im Zwischenbereich spricht man von partieller Kohärenz.

1336

45 Interferenz

Partielle K o h ä r e n z läßt sich auch mit der oben beschriebenen A n o r d n u n g zeigen, bei der durch einen halbversilberten Spiegel aus einem Strahl d u r c h Reflexion u n d Transmission zwei Strahlen erzeugt werden. Diese Teilstrahlen durchlaufen unterschiedliche Weglängen, bevor sie sich überlagern. N u r wenn die Wegdifferenz im Vergleich zur durchschnittlichen Länge der Wellengruppen klein ist, entstehen klar definierte Interferenzstreifen. Vergrößert m a n die Differenz der Weglängen der beiden Teilstrahlen, so unterscheiden sich die Streifen immer weniger, und sobald die Wegdifferenz größer ist als die mittlere Länge eines Wellenzuges, verschwinden die Streifen gänzlich.

Wie bereits erwähnt, wird das Fehlen von Kohärenz bei den üblichen Lichtquellen, wie den Glühlampen, auf die Tatsache zurückgeführt, daß die Emission durch die einzelnen Atome nicht kooperativ, nicht kohärent, erfolgt. Seit dem Jahre 1960 jedoch ist es möglich, auch für den sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums Quellen zu bauen, bei denen sich die Atome kooperativ verhalten, so daß in hohem Maße kohärentes Licht emittiert wird. Man nennt diese Lichtquellen Laser (das ist eine Abkürzung für ,,/ight amplification by stimulated Emission of radiation", also Lichtverstärkung durch induzierte Emission von Strahlung). Das von ihnen ausgehende Licht ist extrem monochromatisch, intensiv und in hohem Maß parallel. Die Kohärenz des emittierten Lichts kann man zeigen, wenn man in den Laserstrahl einen Schirm mit zwei Löchern stellt und so das in Abb. 45.8 gezeigte Interferenzmuster erhält. Auf diese Weise war es zum ersten Mal möglich, mit sichtbarem Licht fast so umzugehen wie mit Radiooder Mikrowellen. Die praktischen Anwendungsmöglichkeiten des Lasers, wie die Verstärkung schwacher Lichtsignale, der Gebrauch von Lichtstrahlen zur effektiven Informationsübertragung von Punkt zu Punkt und die Erzeugung hoher Temperaturen durch intensive lokale Aufheizung, werden in zunehmendem Maße genutzt.

Rubinlaser

I >

(a)

(c)

Abb. 45.8 Am Ende eines Lasers wird ein Schirm mit zwei kleinen Löchern angebracht, (a) Das durch die Löcher gehende Licht entwirft auf einem Film an der Stelle (b) eine Interferenzfigur. Die Existenz dieser Figur beweist die Kohärenz des Laserlichts über den ganzen Strahlquerschnitt. In (c) ist die Intensitätsverteilung über den Film wiedergegeben (mit Erlaubnis von D.F. Nelson und R.J. Collins, Bell Telephone Laboratories).

45.3 Intensitätsverteilung beim Versuch von Young

1337

45.3 Intensitätsverteilung beim Versuch von Young Wir wollen annehmen, daß in der Abb. 45.5 die elektrischen Feldkomponenten der beiden Wellen im Punkt P sich zeitlich gemäß El = E0 sin cot

(45.3)

E2 = E0 sin (cot + 4!>)

(45.4)

und

ändern, wobei a> ( = 2nv) die beiden Wellen gemeinsame Kreisfrequenz und 0 der Phasenunterschied zwischen ihnen ist. hängt von der Lage des Punktes P ab, die bei einer festen geometrischen Anordnung wie in Abb. 45.5 und Abb. 45.6 durch den Winkel 6 beschrieben wird. Wir setzen voraus, daß die Spalte so eng sind, daß das an jedem Spalt gebeugte Licht den zentralen Bereich des Schirms gleichmäßig ausleuchtet. Das bedeutet, daß E0 in der Umgebung des Schirmzentrums von der Lage des Punktes P, d. h. vom Winkel 0, unabhängig ist. Die resultierende Wellenerregung'1' in P ist E = E

l

+

E

1

(45.5)

,

so daß wir (s. Gl. 19.16) erhalten: E

=

Ee

sin (tot

+

ß),

(45.6 a)

worin ß =

\

(45.6 b)

und Ee = 2E0 cos ß = E cos ß

(45.6c)

ist. Die maximal mögliche Amplitude der resultierenden Welle ist doppelt so groß wie die Amplitude der Teilwellen. Die resultierende Amplitude Ee, die die Intensität der Interferenzstreifen bestimmt, hängt wesentlich von dem Wert des Winkels 9 ab, d. h. also von der Lage des Punktes P. Wir zeigten in Abschn. 19.6, daß die Intensität /einer Welle, etwa in W/m 2 gemessen, proportional zum Quadrat ihrer Amplitude ist. Unterdrücken wir die Angabe der Proportionalitätskonstanten, so erhalten wir h ~ Ej.

(45.7)

* Unter der „Wellenerregung" versteht man im allgemeinen den elektrischen Anteil £ d e r Lichtwelle und vernachlässigt das Magnetfeld B, weil die Wirkung von B auf das menschliche Auge wie auf viele für Licht gebräuchliche Detektoren sehr gering ist. Festzuhalten ist weiterhin, daß Gl. 45.5 eigentlich als Vektorgleichung zu schreiben ist. In den meisten Fällen von praktischem Interesse sind aber die E- Vektoren der interferierenden Wellen nahezu parallel zueinander, so daß die angegebene algebraische Beziehung gerechtfertigt ist.

1338

45 Interferenz

Diese Beziehung erscheint sinnvoll, wenn wir uns daran erinnern (s. Gl. 30.9), daß bei einem elektrischen Feld die Energiedichte proportional zum Quadrat der elektrischen Feldstärke ist. Dies gilt bei zeitlich rasch veränderlichen elektrischen Feldern, wie eben bei einer Lichtwelle, genauso wie bei einem statischen Feld. Nun ist weiter das Verhältnis der Intensitäten der beiden Lichtwellen gleich dem Verhältnis der Quadrate ihrer elektrischen Feldstärken. Ist I 9 die Intensität der resultierenden Welle im Punkt P und / 0 die Intensität, die eine Teilwelle in diesem Punkt erzeugte, falls sie nur allein wirkte, so ist (45.8) lo

Berücksichtigt man Gl. 45.6c, so ergibt sich: Ie = 4/ 0 cos 2 ß = I cos 2 ß.

(45.9)

Somit variiert die Intensität der resultierenden Welle in einem Punkt P von Null (für einen Punkt, für den zum Beispiel ( = 2ß) = n ist), bis /, was gerade das Vierfache der Intensität einer der Einzelwellen ist (dies ist zum Beispiel für (j> ( = 2ß) = 0 der Fall). Wir wollen Ig als Funktion des Winkels 6 bestimmen (Abbn. 45.5 und 45.6). Die Phasendifferenz hängt mit der Wegdifferenz Stb zusammen. Ist Stb = Xß, so ist = n; für S1b = X ist (j> = 2n usw. Dies läßt auf den Zusammenhang schließen: Phasendifferenz

Wegdifferenz =



X

'

= y (rfsinfl), oder mit Gl. 45.6 b schließlich: ß = 0/2 = ^ sin 0. A

(45.10)

Den gewünschten Ausdruck für I g erhalten wir, wenn wir dies in Gl. 45.9 einsetzen. Wir stellen die Ergebnisse für die Interferenz am Doppelspalt noch einmal zusammen: Ee = E cosß

(45.11a)

Ie = I cos 2 ß

(45.11b)

ß(=(j)/2) = ^ s i n 0 .

(45.11c)

A

Um die Lage der Intensitätsmaxima zu finden, setzen wir in Gl. 45.11b ß

=

mn,

m =

0, 1, 2, ...

Mit Gl. 45.11 c führt dies zu d sin0 = mX, m = 0, 1,2, ... (Maxima),

45.4 Überlagerung von harmonischen Wellen

1339

(2 Quellenkohärent) 4/o(= I m ) s 2 I 0 (2 Quellen~r inkohärent) - f ~ - / 0 ( 1 Quelle)

sin 6 (siehe Gl. 45.11c) m (Gl. 45.1)

Maxima

m (Gl. 45.2)

Minima

Abb. 45.9 Die Intensitätsverteilung bei der Interferenz am Doppelspalt. Der dickgedruckte Doppelpfeil beim zentralen Maximum zeigt die Halbwertsbreite an. Die Abbildung ist unter der Voraussetzung gezeichnet worden, daß die beiden interferierenden Wellen den zentralen Bereich des Schirms gleichmäßig ausleuchten, d. h. daß I 0 unabhängig vom Ort ist.

die in Abschn. 45.1 hergeleitete Beziehung (Gl. 45.1). Um die Lage der Intensitätsminima zu finden, schreiben wir Tid sin 0 = (m + A

„ ,

.

^

.

m = 0, 1,2, ... (Minima),

und das ist die oben hergeleitete Gl. 45.2. In Abb. 45.9 zeigt das Intensitätsmuster für die Interferenz am Doppelspalt. Die durchgezogene horizontale Gerade gibt I 0 an. Sie beschreibt die (gleichmäßige) Intensitätsverteilung auf dem Schirm, wenn einer der Spalte abgedeckt wird. Wären die beiden Quellen inkohärent, so wäre die Intensitätsverteilung gleich 2/ 0 . Dies wird durch die punktierte horizontale Gerade angedeutet. Weil Energie durch den Interferenzprozeß weder erzeugt noch vernichtet werden kann, erwarten wir für den Fall, daß die beiden Quellen kohärent sind, auf dem Schirm nur eine Umverteilung. Deshalb sollte wie bei inkohärenten Quellen die mittlere Intensität des Interferenzmusters gleich 210 sein. Das folgt aber sofort, wenn wir in Gl. 45.11 b cos 2 ß durch 1 /2 ersetzen und uns daran erinnern, daß / = 4/ 0 ist. Von der Tatsache, daß der Mittelwert des Quadrats eines Cosinusoder Sinusterms über eine oder mehrere Halbperioden gleich 1 /2 ist, haben wir in diesem Buch schon wiederholt Gebrauch gemacht.

45.4 Überlagerung von harmonischen Wellen Im vorangegangenen Abschnitt behandelten wir die Überlagerung zweier harmonischer Wellenerregungen, nämlich Et = E0 sin cot

(45.3)

E2 = E0 sin (cot + (/>),

(45.4)

und

1340

45 Interferenz

die dieselbe Kreisfrequenz co und Amplitude E0 haben, jedoch einen Phasenunterschied aufweisen. In diesem Fall konnte das Ergebnis leicht auf algebraischem Wege gefunden werden. In den folgenden Kapiteln wird es wiederholt darum gehen, eine größere Zahl von Wellen bzw. Schwingungen mit infinitesimalen Amplituden zu superponieren. Die analytischen Methoden sind in solchen Fällen etwas schwieriger. Es gibt aber ein einfaches graphisches Verfahren, das wir vorstellen wollen, indem wir die Beziehung Gl. 45.11 a noch einmal herleiten. Eine Sinusschwingung wie die der Gl. 45.3 kann durch einen rotierenden Pfeil oder Vektor graphisch dargestellt werden. In Abb. 45.10 a möge sich ein Vektor mit dem Betrag E0 im Gegenzeigersinn mit der Kreisfrequenz co um den Ursprung drehen. Vor allem in der Elektrotechnik ist hierfür der Name Zeiger üblich, siehe Abschn. 39.2. Die Wellenerregung bzw. Schwingung E1 selbst wird dann durch die Projektion dieses Zeigers auf die Vertikale repräsentiert.

Abb. 45.10 (a) Darstellung einer zeitlich veränderlichen Wellenerregung E1 durch einen Zeiger, (b) Entsprechende Darstellung von zwei Wellenerregungen El und E2, zwischen denen eine Phasendifferenz besteht. Diese beiden Zeiger können die beiden Wellen bei einem Doppelspaltversuch repräsentieren, s. Gin. 45.3 und 45.4. (c) Eine alternative Darstellungsmöglichkeit.

Die zweite Schwingung E2, die dieselbe Amplitude und Kreisfrequenz aufweist, aber in bezug auf E t um in der Phase verschoben ist, kann entsprechend als die Projektion eines zweiten Zeigers repräsentiert werden, der dieselbe Länge wie der erste Zeiger hat und mit diesem den Winkel einschließt. Wie wir der Abbildung entnehmen können, ist dann die Summe E der beiden Teilschwingungen Ey und E2 gleich der Summe der Projektionen der beiden Zeiger auf die vertikale Achse. Das wird noch klarer, wenn wir wie in Abb. 45.10c die beiden Pfeile aneinander antragen und die gesamte Figur sich um den Ursprung im Gegenzeigersinn drehen lassen. In Abb. 45.10c kann E auch als die Projektion eines Zeigers mit der Länge Ee angesehen werden, der sich als die Vektorsumme der beiden Zeiger mit der Länge E0 ergibt. Wir stellen fest, daß die (algebraische) Summe der Projektionen der beiden Zeiger gleich der Projektion der (Vektor-)Summe dieser Zeiger ist. In der Optik ist man in den meisten Fällen nur an der Amplitude Ee der resultierenden Wellenerregung und nicht an ihrer zeitlichen Änderung interessiert. Das liegt daran, daß die Frequenz des sichtbaren Lichts viel zu groß ist, als daß das Auge oder die gebräuch-

45.4 Überlagerung von harmonischen Wellen

1341

liehen Meßinstrumente seine rasche zeitliche Veränderlichkeit registrieren könnten. So beträgt zum Beispiel die Frequenz des Natriumlichts (X = 589 nm) v ( = co/2n) = 5.1 x 10 14 Hz. Die Drehung der Zeiger brauchen wir deshalb im allgemeinen nicht zu betrachten, es genügt, wenn wir den Betrag des resultierenden Zeigers ermitteln. Abb. 45.11 a zeigt die Zeiger für den Versuch am Doppelspalt zum Zeitpunkt 1 = 0 (man vergleiche dies mit der Abb. 45.10c). Wir sehen, daß Ee = 2E0

cos ß

= E cos

ß.

E0

-0-

Eo

-O i -Oi

(b)

Abb. 45.11 (a) Konstruktion zur Ermittlung der Amplitude Ee für zwei Wellen mit der Amplitude E0 und der Phasendifferenz . (b) Das Maximum der Amplitude tritt für 4> = 0 auf und hat den Wert

Da der Außenwinkel (j) gleich der Summe der beiden nichtanliegenden Innenwinkel (ß + ß) ist, gilt ß =

ß,

und das ist genau das früher auf algebraischem Wege erhaltene Ergebnis (siehe Gin. 45.11a und 45.11c). Wenn wir nach dieser Methode die Resultierende von mehr als zwei Sinusschwingungen ermitteln wollen, so haben wir allgemein wie folgt vorzugehen: 1. Wir konstruieren die Zeiger, die die einzelnen zu addierenden Funktionen repräsentieren, und setzen sie unter Beachtung der Phasenbeziehungen aneinander. 2. Wir konstruieren die Vektorsumme dieses Zuges. Ihre Länge liefert die Amplitude der resultierenden Schwingung. Der Winkel zwischen dem Summenvektor und dem ersten Zeiger ist gleich der Phasendifferenz der resultierenden Schwingung in bezug auf die erste Teilschwingung. Die Projektion des Summenzeigers auf die vertikale Achse liefert den zeitlichen Verlauf der resultierenden Schwingung.

Beispiel 3 Man ermittle auf graphischem Wege die Resultierende der folgenden Teilschwingungen: E t = 10 sin®/ E2 = 10 sin (co/ + 15°) E3 = 10 sin (cot + 30°) £ 4 = 10 sin (cot + 45°).

1342

45 Interferenz

Die Abb. 45.12, in der die Länge von E0 gerade 10 Einheiten beträgt, zeigt die aneinander angetragenen Zeiger, die die vorgegebenen vier Funktionen repräsentieren. Ihre Vektorsumme wird graphisch bestimmt. Sie hat eine Länge ER von 38 Einheiten und schließt mit dem ersten Zeiger einen Winkel 0 = 23° ein. Mit anderen Worten ist E(t) = E1 + E2 + E3 + Ei = 3S sin (wt + 23°). Man überprüfe dieses Ergebnis, indem man die Resultierende auf trigonometrischem Wege ermittelt.

45.5 Interferenz an dünnen Schichten Die Farben von Seifenblasen, Ölflecken und anderen dünnen Filmen oder Schichten sind das Ergebnis von Interferenzvorgängen. Abb. 45.13 zeigt Interferenzeffekte an einer vertikalen dünnen Haut aus Seifenwasser, die mit monochromatischem Licht beleuchtet wird. In der Abb. 45.14 fallt von einer ausgedehnten Quelle S monochromatisches Licht auf einen Film mit der Dicke d und der Brechzahl n. Das Auge blicke auf die Stelle a. Vom Punkt P der Lichtquelle gehen zwei, durch einen einfachen bzw. einen Doppelpfeil gekennzeichnete Strahlen so aus, daß sie nach dem Passieren des Punktes a ins Auge gelangen. Diese Strahlen durchlaufen unterschiedliche Wege, da der eine an der Unterseite des Filmes reflektiert wird, der andere dagegen an seiner Oberseite. Je nach dem Interferenzverhalten der beiden von a ausgehenden Wellen wird die Stelle a dem Auge

45.5 Interferenz an dünnen Schichten

1343

Abb. 45.13 Seifenhaut in einer Drahtschleife im reflektierten Licht. Der obere schwarze Bereich ist durch das Herabsinken der Flüssigkeit so dünn, daß zwischen dem an der Vorderseite und dem an der Rückseite der Haut reflektierten Licht Auslöschung stattfindet. Wir werden sehen, daß sich diese beiden Wellen in der Phase um 180° unterscheiden.

Abb. 45.14 Interferenz durch Reflexion an einer dünnen Schicht bei Verwendung einer ausgedehnten Lichtquelle S

1344

45 Interferenz

entweder dunkel oder hell erscheinen. Diese Wellen sind kohärent, da sie beide demselben Punkt P entstammen. Schaut das Auge auf eine andere Stelle des Filmes, zum Beispiel auf d , so m u ß das ins Auge gelangende Licht von einem anderen Punkt P der Lichtquelle ausgehen. Dies wird in der Abbildung durch die gestrichelten Linien angedeutet. Bei fast senkrechtem Einfall (der Einfallswinkel 9 ist annähernd Null) ist die geometrische Wegdifferenz zwischen den beiden von P ausgehenden Strahlen näherungsweise gleich 2d. Wir könnten daher vermuten, daß die in der N ä h e der Stelle a reflektierte resultierende Welle ein Maximum annimmt, wenn der Abstand 2d gleich einem ganzzahligen Vielfachen der Wellenlänge ist. Aus zwei G r ü n d e n ist dies jedoch nicht richtig. Zunächst ist festzustellen, d a ß wir es hier mit zwei verschiedenen Wellenlängen zu tun haben, der Wellenlänge X in Luft und der Wellenlänge Xn in der Schicht. Wir haben es also mit optischen Weglängen und nicht mit geometrischen zu tun und müssen für unsere Überlegung Xn wählen. Zwischen Xn und X besteht dabei der Zusammenhang (s. Gl. 43.12 b): Xn = X/n.

(45.12)

U m uns den zweiten Punkt plausibel zu machen, wollen wir annehmen, d a ß die Schicht so dünn ist, daß 2d sehr viel kleiner als eine Wellenlänge ist. Die Phasendifferenz zwischen den beiden Wellen wäre dann fast Null, und der Film müßte bei Reflexion hell erscheinen. Tatsächlich ist ein solcher Bereich aber dunkel. M a n erkennt dies an der Abb. 45.13, bei der die Schwerkraft zu einer keilförmigen Dicke der H a u t führt, die im oberen Bereich extrem d ü n n ist. Der dunkle Teil nimmt an Ausdehnung zu, je weiter die Wasserhaut nach unten abläuft. U m dieses Phänomen erklären zu können, müssen wir annehmen, d a ß einer der beiden Strahlen in der Abb. 45.14 entweder bei der Reflexion an der Grenzfläche Luft-Film oder beim Durchgang durch den Film eine plötzliche Phasenänderung von n ( = 180°) erfährt. Wie sich herausstellt, geschieht dies bei dem Strahl, der an der Oberseite des Films reflektiert wird. Der andere Strahl erleidet weder beim Durchgang noch bei der Reflexion an der Unterseite eine abrupte Phasenänderung. In Abschn. 19.9 diskutierten wir die Phasenänderungen bei der Reflexion von transversalen Seilwellen. In Erweiterung dieser Überlegungen betrachten wir ein Seil, das aus zwei miteinander verbundenen Teilen mit unterschiedlichen Massenbelägen (Masse durch Länge) besteht (Abb. 45.15) und einer bestimmten Spannung ausgesetzt ist. Bewegt sich in Abb. 45.15 a ein Puls nach rechts auf die Verbindungsstelle zu, so entstehen ein reflektierter und ein transmittierter Puls, wobei der reflektierte Puls mit dem einfallenden in Phase ist. Abb. 45.15 b zeigt die andere Situation, in der der einfallende Puls in

!ingangspuls/\

Eingangspuls/\

O-

reflektierter P u l s / \

(a)

/\

O

-O

reflektierte^ Puls

/\

(b)

Abb. 45.15 Phasenänderungen an der Verbindungsstelle zweier Seile mit unterschiedlichen Massenbelägen. Der einfallende Puls ist (a) im schweren Teil und (b) im leichten Teil.

45.5 Interferenz an dünnen Schichten

1345

dem Teil mit dem geringeren Massenbelag verläuft. In diesem Fall unterscheidet sich der reflektierte Puls vom einfallenden in der Phase um n ( = 180°), der transmittierte Puls ist dagegen beidesmal in Phase mit dem einfallenden. Abb. 45.15 a legt die Analogie nahe, daß eine Lichtwelle von Glas auf eine Grenzfläche läuft, jenseits der sich ein optisch dünneres Medium (also eines mit einer geringeren Brechzahl), wie zum Beispiel Luft, befindet. Entsprechend gehörte zur Abb. 45.15 b der Fall, bei dem Licht von Luft auf Glas trifft. Die Verhältnisse lassen sich dann so zusammenfassen: Tritt Reflexion an einer Grenzfläche auf,jenseits der das Medium eine kleinere Brechzahl aufweist, so erfährt die reflektierte Welle keine Phasenänderung, ist die Brechzahl des Mediums jenseits der Grenzfläche dagegen größer, so erleidet die reflektierte Welle einen Phasensprung von JI*. Die transmittierte Welle ändert in beiden Fällen ihre Phase nicht. Die Überlagerung der beiden Strahlen in Abb. 45.14 führt somit - bei senkrechtem Einfall - zu einem Intensitätsm. Es ist Phasendifferenz _ Wegdifferenz k 2k oder A = ( ^ j (Ax sin 0),

(46.3)

worin Ax sin 6, wie aus dem herausgehobenen Teil der Abbildung ersichtlich, der Gangunterschied der Strahlen ist, die vom oberen Ende benachbarter Streifen ausgehen. Also überlagern sich N Vektoren in P, die dieselbe Amplitude AE0, dieselbe Frequenz und zu ihrem Nachbarn jeweils dieselbe Phasenverschiebung A aufweisen. Wir fragen nach der resultierenden Amplitude Ee in Abhängigkeit von A, d. h. für die verschiedenen, durch den Winkel 6 gegebenen Punkte P auf dem Schirm C (s. Gl. 46.3). Die Antwort

1368

46 Beugung

erhalten wir, wenn wir, wie in Abschn. 45.4 beschrieben, die einzelnen Wellen durch Zeiger repräsentieren und die Länge des resultierenden Zeigers ermitteln. Im Zentrum der Beugungsfigur ist 9 und damit die Phasendifferenz zwischen benachbarten Streifen gleich Null (s. Gl. 46.3). In diesem Fall werden die einzelnen Zeiger wie in Abb. 46.7 a einfach in gleicher Richtung aneinandergelegt, und die Amplitude der resultierenden Welle hat ihren maximalen Wert E. Hierzu gehört die Mitte des zentralen Maximums. Gehen wir zu einem von Null verschiedenen Wert von 6 über, so nimmt auch (s. wieder Gl. 46.3) A(j) einen bestimmten Wert ungleich Null an. Die zu den Einzelwellen gehörenden Zeiger werden dann wie in Abb. 46.7b addiert, und die resultierende Amplitude Ee wird kleiner als in Abb. 46.7 a. Man beachte dagegen, daß die Länge des von den kurzen Zeigern gebildeten „Bogens" in beiden Abbildungen dieselbe ist. Wird 9 weiter vergrößert, so erreichen wir schließlich eine Situation, wie sie in Abb. 46.7c wiedergegeben ist: Die Spitze des letzten Pfeils stößt an den Fuß des ersten. Die resultierende Amplitude ist jetzt gleich Null. Wir gelangen zum ersten Minimum. Zwischen dem vom oberen Rand des Spalts ausgehenden Strahl (1 in Abb. 46.7 c) und dem von der Spaltmitte ausgehenden ( j TV in Abb. 46.7c) ist der Phasenunterschied 180°. Dies stimmt mit Abb. 46.4 überein, die sich auch auf das erste Minimum bezieht. Mit weiter wachsendem 9 wächst auch die Phasendifferenz, und die Kette der Einzelzeiger rollt sich um einen Winkel größer als 360° auf, s. Abb. 46.7d, die zum ersten Maximum neben dem zentralen Maximum gehört. Dieses Nebenmaximum ist viel kleiner als das zentrale. Hierzu erinnern wir uns daran, daß die Zeiger Ee in Abb. 46.7 die Amplituden der Welle repräsentieren und nicht ihre Intensität. Um die zugehörigen relativen Intensitäten zu erhalten, müssen die Amplituden zuerst quadriert werden (s. Gl. 45.7).

Ee=0

(a)

AE0

(c)

(b) Abb. 46.7 Bedingungen bei (a) dem zentralen Maximum, (b) einer Stelle in der Nähe des zentralen Maximums, (c) dem ersten Minimum und (d) dem ersten Nebenmaximum für die Beugung am Einzelspalt. Bei der Abbildung ist N = 18 wie in Abb. 46.6.

46.4 Beugung am Spalt - quantitative Behandlung

1369

46.4 Beugung am Spalt - quantitative Behandlung In Abb. 46.8 veranschaulicht der „Bogen" aus kleinen Pfeilen die Zeiger, die mit Amplitude und Phase die auf einen beliebigen Punkt P des Schirms C in Abb. 46.6 treffenden Einzelwellen repräsentieren. Die resultierende Amplitude ist Ee. Verfeinern wir die Unterteilung des Spalts und gehen zu infinitesimalen Streifen mit der Breite dx über, so schmiegen sich die kleinen Pfeile mehr und mehr dem Kreisbogen mit dem in der Abbildung angegebenen Radius R an. Die Länge des Bogens ist gleich E, also gleich der Amplitude in der Mitte der Beugungsfigur. Der Winkel (f> im unteren Teil der Abb. 46.8 ist gleich der Phasendifferenz zwischen den infinitesimalen Vektoren am linken und am rechten Ende des Bogens E. ist also gerade der Phasenunterschied zwischen Strahlen vom oberen und vom unteren Rand des Spalts aus Abb. 46.6. Aus der Geometrie der Abb. 46.8 lesen wir ab, daß Eae = 2R sin

4> 2

Im Bogenmaß ist = E/R. Setzen wir dies ein, so erhalten wir: r> E . En6 = - r ^ sin — 4>l 2 2

oder Ee = E * ™ OL

(46.4)

a = 4>/2.

(46.5)

mit

tuation entspricht der der Abb. 46.7 b.

1370

46 Beugung

Zwischen *Uti

, i;?

f äff

4

1 c

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SW - t.«»»»f i^ .vjkj» * anac quonmm oculis R , , n< iltk v. I ii fumaiur linea reila A i> pro ipillitudine jus punctum B /ir in fundo, dividaturque !iut

finus

anguli C

Abb. 48.10 Die beiden von einem Calcit-Kristall erzeugten, um 90° zueinander polarisierten Bilder. Der Kristall liegt auf einer Seite aus Huygens Buch „Opera Reliqua", in dem er das Phänomen der Doppelbrechung beschrieb.

In Abb. 48.10 liegt ein polierter Calcit-Kristall (CaC0 3 ) auf einer Buchseite. Das Bild erscheint doppelt und beweist somit die optische Anisotropie des Materials. Abb. 48.11 zeigt, wie ein unpolarisierter Lichtstrahl rechtwinklig auf die Oberfläche eines CalcitKristalls trifft und dann in zwei Strahlen aufspaltet. Dieses Phänomen nennt man Doppelbrechung. Untersucht man diese beiden Strahlen mit einem Polarisator, so stellt man fest, daß sie beide linear polarisiert sind, wobei ihre Schwingungsebenen senkrecht aufeinander stehen. Es war Huygens, der dies im Jahre 1678 als erster entdeckte. Zur Untersuchung des Polarisationszustands der in der Abbildung mit o bzw. ao gekennzeichneten Strahlen benutzte er einen zweiten Calcit-Kristall. Führt man jetzt Experimente unter verschiedenen Einfallswinkeln aus, so verhält sich der eine, in Abb. 48.11 mit o bezeichnete Strahl, so, wie es das Brechungsgesetz für den Übergang in ein isotropes Medium voraussagt. Er heißt deshalb der ordentliche Strahl. Dagegen gehorcht der zweite, der außerordentliche Strahl dem Brechungsgesetz nicht. So ist in Abb. 48.11 der Einfallswinkel gleich Null, im Widerspruch zum Brechungsgesetz ist aber für den ao-Strahl der Brechungswinkel von Null verschieden. Im allgemeinen liegt der außerordentliche Strahl nicht einmal in der Einfallsebene. Diesen Unterschied hinsichtlich des Brechungsgesetzes, den die zum o- bzw. zum ao-Strahl gehörenden Wellen zeigen, kann man auf folgende Weise erklären: 1. Die o- Welle verläuft im Kristall in alle Richtungen mit derselben Geschwindigkeit va. Der Kristall hat mit anderen Worten nur eine einzige Brechzahl n0 wie ein isotroper Festkörper. 2. Für die ao-Welle ändert sich die Geschwindigkeit mit der Richtung von va auf einen (für Calcit) größeren Wert vao. Anders ausgedrückt variiert die Brechzahl, definiert als das Verhältnis c/v, mit der Richtung zwischen n0 und einem kleineren Wert nao.

48.4 Doppelbrechung

1425

Abb. 48.11 Ein unpolarisiertes Lichtbündel fallt durch einen Calcit-Kristall und wird in zwei Bündel zerlegt, die rechtwinklig zueinander polarisiert sind.

Die Größen n0 und nao heißen die Hauptbrechzahlen des Kristalls. Aufgabe 12 geht auf die Möglichkeit, sie zu messen, ein. Für sechs doppelbrechende Kristalle sind diese Brechzahlen in Tabelle 48.1 angegeben. Bei drei von ihnen ist die ao- Welle langsamer, bei den drei anderen schneller als die o- Welle. Einige doppelbrechende Kristalle (Glimmer, Topas usw.) sind optisch komplexer als Calcit und erfordern für eine vollständige Beschreibung ihrer optischen Eigenschaften drei Hauptbrechzahlen. Kristalle mit kubischer Struktur (s. Abb. 47.13) sind optisch isotrop und verlangen die Angabe von nur einer Brechzahl. Tabelle 48.1

Hauptbrechzahlen einiger doppelbrechender Kristalle (für Natriumlicht, X = 589 nm)

Kristall

Formel

"o

"aO

"ao - "o

Eis Quarz Wurtzit Calcit Dolomit Siderit

H2O Si02 ZnS CaC02 CaC03 • MgC03 FeC03

1.309 1.541 2.356 1.658 1.681 1.875

1.313 1.553 2.378 1.486 1.500 1.635

+0.004 +0.012 + 0.022 -0.172 -0.181 -0.240

1426

48 Polarisation

Abb. 48.12 Die von einer Punktquelle S in einem Calcit-Kristall erzeugten Huygensschen Wellenflächen. Durch die Punkte und Striche sind für drei ordentliche und drei außerordentliche Strahlen die Polarisationszustände angedeutet. Man beachte, daß im allgemeinen (siehe Strahl Sb) die die Polarisationsrichtung anzeigenden Striche auf den außerordentlichen Strahlen nicht senkrecht stehen.

Das Geschwindigkeitsverhalten der beiden in Calcit verlaufenden Wellen wird in Abb. 48.12 zusammengefaßt. Von einer gedachten punktförmigen Lichtquelle S im Kristall breiten sich zwei Wellenflächen aus. Die zur o-Welle gehörende Fläche ist eine Kugel, wie wir es erwarten, wenn das Medium isotrop ist. Die Fläche der ao- Welle ist ein Rotationsellipsoid um eine für den Kristall charakteristische Richtung, die man die optische Achse nennt. Die beiden Wellenflächen repräsentieren Licht mit verschiedenen Polarisationszuständen. Betrachten wir zunächst nur die in der Ebene von Abb. 48.12 liegenden Strahlen, dann ist die Polarisationsrichtung (a) für die o-Strahlen senkrecht zu dieser Ebene, wie es durch die Punkte angedeutet ist, und liegt (b) für die ao-Strahlen in dieser Ebene, symbolisiert durch die kurzen Striche. Am Ende dieses Abschnitts werden wir die Polarisationszustände ausführlicher beschreiben. Abb. 48.13 zeigt, wie bei einem typischen Calcit-Kristall die Lage der optischen Achse ermittelt werden kann. Die Kanten dieses Kristalls können eine beliebige Länge aufweisen, die Winkel jedoch, unter denen sie zusammenstoßen, nehmen nur die beiden Werte 78° 05' oder 101° 55' an. Die optische Achse findet man, indem man in einer der beiden „stumpfen" Ecken, in denen also drei stumpfe Winkel aufeinandertreffen, eine Gerade errichtet, die mit den Kristallkanten den gleichen Winkel einschließt. Jede zu dieser Geraden parallele Gerade repräsentiert die optische Achse ebenfalls, oder anders ausgedrückt, die optische Achse ist eine für den Kristall charakteristische Richtung. Wir können die Ausbreitung von Lichtwellen in doppelbrechenden Kristallen mit Hilfe des Prinzips von Huygens beschreiben. Abb. 48.14a zeigt den speziellen Fall, bei dem unpolarisiertes Licht senkrecht auf eine Calcit-Platte fallt, die aus einem Kristall so herausgeschnitten wurde, daß die optische Achse senkrecht zur Oberfläche steht. Wir betrachten eine Wellenfront, die zur Zeit t = 0 mit der Kristalloberfläche zusammenfällt. Nach Huygens gehen von jedem Punkt dieser Fläche zwei Elementarwellen der Art aus, wie sie in Abb. 48.12 skizziert sind. Die Tangentialebene an diese Elementarwellen be-

48.4 Doppelbrechung

1427

Abb. 48.13 Ein Calcit-Kristall; es ist a = 78° und ß = 101° 55'.

stimmt die neue Lage der Wellenfront zu einer späteren Zeit t. Der einfallende Strahl in Abb. 48.14 a tritt mit der Geschwindigkeit v0 in den Kristall ein, ohne eine Ablenkung zu erfahren. Der aus der Platte austretende Strahl wird dieselbe Polarisation wie der einfallende haben. Die Calcit-Platte verhält sich in diesem besonderen Fall wie ein isotropes Material, und es gibt keine Unterscheidung zwischen den ordentlichen und den außerordentlichen Wellen. In Abb. 48.14 b sehen wir zwei Ansichten eines anderen Spezialfalls, bei dem unpolarisiertes Licht senkrecht auf eine Platte fallt, die so geschnitten wurde, daß die optische Achse parallel zur Oberfläche liegt. Auch in diesem Fall tritt der Strahl in die Platte ein, ohne abgelenkt zu werden. Doch können wir jetzt die o- und die ao- Wellen identifizieren, da sie mit den voneinander verschiedenen Geschwindigkeiten v0 und vao durch den Kristall gehen. Diese Wellen sind rechtwinklig zueinander polarisiert. Einige doppelbrechende Kristalle zeigen eine Eigenschaft, die man Dichroismus nennt. Darunter versteht man die Erscheinung, daß eine der beiden Polarisationskomponenten stark absorbiert wird, während die andere mit nur geringen Verlusten durch den Kristall hindurchgeht. Auf dem Dichroismus, in Abb. 48.15 ist er in einer Skizze illustriert, beruht die Wirkung der handelsüblichen Polaroidfilter. Bei ihnen sind viele kleine Kristalle mit zueinander parallelen optischen Achsen in Kunststoff eingebettet. Der Effekt ist der gleiche, wie wenn man es mit einem einzigen großen Kristall zu tun hätte.

Abb. 48.14c gibt wieder, wie unpolarisiertes Licht senkrecht auf eine Calcit-Platte fallt, die so geschnitten ist, daß ihre optische Achse mit der Kristalloberfläche einen beliebigen Winkel einschließt. Jetzt entstehen (wie bei Abb. 48.11) zwei räumlich auseinandertretende Strahlen. Sie durchqueren den Kristall mit unterschiedlicher Geschwindigkeit: Die zum o-Strahl gehörende Welle hat die Geschwindigkeit v0 und die zum ao-Strahl gehörende eine Geschwindigkeit zwischen v0 und vao. Man beachte, daß der Strahl xa den kürzesten optischen Weg repräsentiert, auf dem die Lichtenergie von x zur aoWellenfront gelangt. Entlang irgendeines anderen Strahls, insbesondere entlang des Strahls xb, wäre eine längere Zeit erforderlich. Dies folgt aus der Richtungsabhängigkeit

1428

48 Polarisation

Abb. 48.14 Auf Platten, die aus einem Calcit-Kristall geschnitten wurden, fallt unter senkrechter Inzidenz Licht ein. Die Huygensschen Elementarwellen sind jeweils Teile der durch Drehung um die optische Achse entstehenden Figur (s. Abb. 48.13). (a) Es tritt weder Doppelbrechung noch ein Unterschied in den Geschwindigkeiten auf. (b) Keine Doppelbrechung, aber ein Geschwindigkeitsunterschied, (c) Doppelbrechung und verschiedene Geschwindigkeiten, (d) Wie (c), wobei jetzt die Polarisationszustände und die austretenden Strahlen angezeigt sind.

der Geschwindigkeit der ao-Welle.* Abb. 48.14d bezieht sich auf denselben Fall wie Abb. 48.14c. Sie zeigt wie Abb. 48.11 die aus der Platte austretenden Strahlen und deutet an, daß die beiden, die Platte verlassenden Bündel senkrecht zueinander polarisiert sind. Wir wollen versuchen, das Phänomen der Doppelbrechung von der Atomstruktur anisotroper Kristalle her zu verstehen. Das Licht breitet sich im Kristall durch die Wirkung der schwingenden E- Vektoren auf die Kristallelektronen aus. Diese Elektronen, die durch elektrostatische Kräfte gebunden sind, werden bei einer Auslenkung aus ihrer Gleichgewichtslage in erzwungene Schwingungen um die Gleichgewichtslage versetzt, und zwar in Richtung des erregenden Feldes der * Es empfiehlt sich, den Abschn. 43.6 über das Fermatsche Prinzip zu lesen, falls man dies noch nicht getan hat.

48.4 Doppelbrechung

1429

unpolarisiertes Licht

linear polarisiertes Licht

Abb. 48.15 Absorption einer Polarisationskomponente in einem dichroitischen Kristall der Art, wie sie bei der Herstellung von Polarisationsfiltern gebraucht werden.

Lichtwelle. Die Stärke der rücktreibenden Kräfte kann wie bei einem einfachen harmonischen Oszillator durch eine Richtgröße k gemessen werden (s. Kapitel 15, Gl. 15.4) Bei optisch isotropen Kristallen ist die Richtgröße k für alle Verschiebungsrichtungen der Elektronen aus ihrer Gleichgewichtslage dieselbe. Bei doppelbrechenden Kristallen ändert sich k jedoch mit der Richtung. Für Verschiebungen in einer Ebene senkrecht zur optischen Achse hat k den konstanten Wert k0, gleichgültig in welche Richtung innerhalb dieser Ebene die Auslenkung erfolgt. Für Verschiebungen parallel zur optischen Achse hat k den (bei Calcit) größeren Wert kao. * Man beachte dabei, daß die Wellengeschwindigkeit in einem Kristall durch die Richtung bestimmt wird, in der der E- Vektor schwingt, und nicht durch die Ausbreitungsrichtung der Welle. Es sind die transversalen Schwingungen des E-Vektors, die die rücktreibenden Kräfte ins Spiel bringen und damit die Wellengeschwindigkeit bestimmen. Man beachte weiter, daß die Welle umso schneller ist, je stärker die rücktreibende Kraft, d. h. je größer k ist. Für Seilwellen zum Beispiel ist die rücktreibende Kraft für die transversalen Auslenkungen durch die Spannkraft F im Seil bestimmt. Gl. 19.12 zeigt, daß eine Vergrößerung von F zu einer höheren Wellengeschwindigkeit v führt. Als ein eindimensionales mechanisches Analogon für die Doppelbrechung kann eine lange und schwere, an einem Ende aufgehängte „Schneekette" zumindest für den Fall dienen (Abb. 48.16), bei dem die a- und die ao-Wellen wie in Abb. 48.14b senkrecht zur optischen Achse verlaufen. * Bei doppelbrechenden Kristallen mit nao > n0 (s. Tab. 48.1) ist k für Verschiebungen parallel zur optischen Achse kleiner als für Auslenkungen senkrecht dazu. Hat ein Kristall drei Hauptbrechzahlen, so hat er auch drei Hauptrichtgrößen. Derartige Kristalle besitzen zwei optische Achsen und heißen darum optisch zweiachsig. Die in Tab. 48.1 aufgeführten Kristalle haben nur eine optische Achse, man nennt sie optisch einachsig.

1430

48 Polarisation

Abb. 48.16 Zwei Ansichten eines eindimensionalen mechanischen Modells für die Doppelbrechung.

Versetzt man das obere Ende der Kette, wie in Abb. 48.16 a angezeigt, in Schwingungen, so wandert eine transversale Welle mit einer bestimmten Geschwindigkeit die Kette entlang. Auch wenn die Aufhängung wie in Abb. 48.16b in einer dazu senkrechten Richtung bewegt wird, breitet sich eine transversale Welle aus, aber mit einer anderen Geschwindigkeit. Denn in diesem Fall ist die rücktreibende Kraft stärker als bei der ersten Welle, in der durch Abb. 48.16b angezeigten Ebene ist die Kette starrer als in der dazu senkrechten Ebene der Abb. 48.16 a. Die zweite Welle hat also eine höhere Geschwindigkeit. In der Sprache der Optik würden wir sagen, die Geschwindigkeit einer transversalen Welle hängt von der Orientierung ihrer Schwingungsebene ab. Wenn wir das obere Ende der Kette in zufallige Schwingungen versetzen, so kann die Wellenbewegung in einem beliebigen Punkt der Kette als eine Summe aus zwei Wellen beschrieben werden, die zueinander senkrecht polarisiert sind und verschiedene Geschwindigkeiten besitzen. Dies entspricht genau der in Abb. 48.14b dargestellten Situation. Für Wellen, die sich parallel zur optischen Achse ausbreiten (Abb. 48.14a), oder für Wellen in einem optisch isotropen Material ist das geeignete mechanische Analogon eine einfache schwere Kette, die man an ihrem einen Ende aufhängt. Gleichgültig wie man dieses Ende in Schwingungen versetzt, gibt es nur eine Ausbreitungsgeschwindigkeit. Entlang einer solchen Kette sind die rücktreibenden Kräfte für alle Orientierungen der Schwingungsebene der fortschreitenden Wellen dieselben. Mit diesen Überlegungen können wir die Polarisationszustände des Lichts, die wir in Abb. 48.12 durch die doppelte Wellenfläche beschrieben haben, etwas besser verstehen. Bei der (Kugel-)Fläche der o- Welle müssen die E- Vektoren überall senkrecht zur optischen Achse schwingen. Wenn dies so ist, hat die Richtgröße überall denselben Wert k0, und die o- Wellen bewegen sich in allen Richtungen mit derselben Geschwindigkeit. Etwas genauer gilt für einen von S nach der dreidimensional

48.5 Zirkulare Polarisation

1431

als Kugel zu denkenden o-Fläche gezogenen Strahl (Abb. 48.12), daß die Schwingungen der EVektoren stets rechtwinklig zu der von diesem Strahl und der optischen Achse aufgespannten Ebene sind. Damit werden diese Schwingungen immer rechtwinklig zur optischen Achse sein. Für das ao-Ellipsoid haben die E- Vektoren im allgemeinen eine zur optischen Achse parallele Komponente. Für Strahlen wie Sa in Abb. 48.12 oder für die außerordentlichen Strahlen in Abb. 48.14b verlaufen die Schwingungen des Ii-Feldes gänzlich parallel zu dieser Achse. So wirkt eine (bei Calcit) relativ starke Richtgröße kat), und die Geschwindigkeit vao wird relativ hoch sein. Für einen außerordentlichen Strahl, wie zum Beispiel Sb in Abb. 48.12, ist die Parallelkomponente der ^-Schwingungen kleiner als 100%, so daß die zugehörige Geschwindigkeit kleiner als vao ist. Für den Strahl Sc in Abb. 48.12 ist die Parallelkomponente Null, d.h. der Unterschied zwischen ordentlichem und außerordentlichem Strahl verschwindet.

48.5 Zirkulare Polarisation Auf ein Calcit-Plättchen mit der optischen Achse parallel zur Oberfläche falle senkrecht linear polarisiertes Licht mit der Kreisfrequenz tu ( = 2nv) ein (Abb. 48.17). Die beiden den Kristall verlassenden Wellen sind zueinander rechtwinklig polarisiert und haben, falls die Schwingungsebene der einfallenden Welle mit der optischen Achse einen Winkel von 45° einschließt, die gleichen Amplituden. Da die Wellen das Plättchen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durchlaufen, werden sie beim Verlassen des Kristalls eine Phasendifferenz aufweisen. Wird die Dicke des Plättchens gerade so gewählt, daß (für eine bestimmte Frequenz des Lichts) = 90° ist, so nennt man es ein Lambda- ViertelBlättchen. Das austretende Licht ist dann zirkulär polarisiert.

' ' linear polarisiertes y " Licht

Abb. 48.17 Linear polarisiertes Licht fallt auf eine doppelbrechende Platte der Dicke x, deren optische Achse parallel zur Oberfläche liegt. Die Schwingungsebene des einfallenden Lichts schließt mit der optischen Achse einen Winkel von 45° ein.

In Abschn. 15.7 sahen wir, daß wir zwei rechtwinklig zueinander schwingende Wellen, die sich in der Phase um 90° unterscheiden, auch darstellen können als die Projektionen eines Vektors, der sich mit der Kreisfrequenz a> um die Ausbreitungsrichtung als Achse dreht. Diese beiden Beschreibungen sind vollständig äquivalent. Abb. 48.18 klärt den Zusammenhang.

1432

48 Polarisation X

y

z

5

6 7

8

Abb. 48.18 (a) Zwei zueinander rechtwinklig linear polarisierte Wellen gleicher Amplitude bewegen sich in z-Richtung. In der Phase unterscheiden sie sich um 90°, beim Maximum der einen ist die andere gerade Null, (b) Der resultierende Vektor für verschiedene Stellen auf der z-Achse. Man beachte, daß er sich im Uhrzeigersinn bewegt.

Beispiel 3 Ein Quarzkristall soll für Natriumlicht (A = 589 nm) als Lambda-Viertel-Plättchen Verwendung finden. Wie dick muß er sein? Die Geschwindigkeiten der beiden durch das Plättchen gehenden Wellen erhält man aus den beiden Hauptbrechzahlen in Tab. 48.1 (nao = 1.553 und n0 = 1.541). Ist x die unbekannte Dicke des Plättchens, so ist die Anzahl der Wellenlängen im Plättchen für die erste Welle: N

ao = Xßao =

XnJX,

worin Xao die Wellenlänge der außerordentlichen Welle im Kristall und X die Wellenlänge in Luft bezeichnen. Entsprechend gilt für die zweite Welle: N0 = xjX0 =

xnJX,

wobei X0 die Wellenlänge der ordentlichen Welle im Kristall ist. Die Differenz Nao — N0 muß ein Viertel sein: 4 = J ("ao -

n0).

Damit erhalten wir für die Plättchendicke: x =

X

589 nm

4 («„„-«„)

(4X1.553 - 1.541)

= 0.012 mm.

48.5 Zirkulare Polarisation

1433

Das Plättchen ist sehr dünn. Lambda-Viertel-Plättchen stellt man meist aus Glimmer her, wobei man sich die korrekte Dicke durch Probieren verschafft.

Beispiel 4 Ein Bündel zirkulär polarisierten Lichts fällt auf eine polarisierende Platte. M a n beschreibe das austretende Bündel. Beim Eintritt in die Platte kann das zirkulär polarisierte Licht durch die Komponenten Ex — E sin cot Ey = E cos cot beschrieben werden, wobei x und y zwei beliebige zueinander senkrechte Achsen bezeichnen. Die Beziehungen stellen den Sachverhalt korrekt dar, daß eine zirkulär polarisierte Welle äquivalent zu zwei senkrecht zueinander linear polarisierten Wellen mit gleicher Amplitude und einem Phasenunterschied von 90° ist. Die resultierende Amplitude in der zirkulär polarisierten einfallenden Welle ist Ezp = ]/E\ + E) = ]/E2

(sin 2 cot + cos 2 cot) = E.

Dies Ergebnis war zu erwarten, wenn man an die Beschreibung der zirkulär polarisierten Welle durch einen um die Ausbreitungsrichtung rotierenden Vektor denkt. Für die resultierende Intensität des einfallenden Bündels erhalten wir: (48.4) Schließt die Polarisationsrichtung der Platte mit der x-Achse den Winkel 9 ein (Abb. 48.19), so ist der Momentanwert der aus der Platte gelangenden linear polarisierten Welle: E= Ey sin 0 + Ex cos 6 = E cos cot sin 9 + E sin cot cos 9 = E sin(w? + 9).

X

Abb. 48.19 Auf einen Polarisator fallt zirkulär polarisiertes Licht. Ex und Ey sind die Momentanwerte der beiden Komponenten, £ ihr Maximum.

1434

48 Polarisation

Die zugehörige Intensität ist wiederum proportional zum Quadrat der Feldstärke E: I~E2

sin2(cot + 0).

Das Auge und auch andere Meßinstrumente registrieren nur die mittlere Intensität /. Um sie zu erhalten, muß man sin2 (cot + 0) durch seinen Mittelwert über eine oder mehrere Perioden ersetzen, d.h. durch den Wert 1/2: / ~ j E2. Der Vergleich mit Gl. 48.4 zeigt, daß das Einbringen einer polarisierenden Platte die Intensität auf die Hälfte reduziert. Da der Winkel 0 nicht mehr auftritt, spielt die Orientierung der Platte keine Rolle. Das ist auch zu erwarten, da bei einer zirkulär polarisierten Welle alle Richtungen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung gleichwertig sind. Schiebt man eine polarisierende Platte in einen unpolarisierten Strahl, so zeigt sich genau derselbe Effekt. Mit einem einfachen Polarisator kann man also unpolarisiertes Licht nicht von zirkulär polarisiertem unterscheiden.

Beispiel 5 Wie kann man zeigen, daß ein Lichtbündel zirkulär polarisiert ist? Man füge in das Bündel ein Lambda-Viertel-Plättchen ein. Falls das Bündel zirkulär polarisiert ist, haben seine beiden Komponenten einen Phasenunterschied von 90°. Das Plättchen führt zu einer weiteren Phasenverschiebung von + 90°, so daß sich insgesamt eine Phasendifferenz von Null oder 180° ergibt. In beiden Fällen wird das Licht dann linear polarisiert sein und könnte durch einen drehbaren Polarisator vollständig ausgelöscht werden. Muß das Lambda-Viertel-Plättchen bei diesem Test eine bestimmte Orientierung haben?

Beispiel 6 Auf ein Lambda-Viertel-Plättchen aus Calcit fällt eine linear polarisierte Lichtwelle mit der Amplitude E0. Der Winkel zwischen der Schwingungsebene des Lichts und der optischen Achse des Plättchens beträgt 45°. Die y-Achse liege in Richtung der optischen Achse (Abb. 48.20). Welchen Drehsinn hat der elektrische Feldstärkevektor des aus dem Plättchen austretenden zirkulär polarisierten Strahls? Die Ausbreitungsrichtung weise aus der Zeichenebene heraus. Die zur optischen Achse parallele Feldkomponente (die außerordentliche Welle) kann beim Verlassen des Plättchens in der Form dargestellt werden: 1 E = (E0 cos 45°) sin cot = — E0 sin cot = E sin cot. j/2 Die rechtwinklig zur optischen Achse schwingende ordentliche Welle ist entsprechend: Ex = (E0 sin 45°) sin (cot - 90°) =

1/2

£ 0 cos cot = —E cos cot,

wobei die Phasenverschiebung um 90° auf die Wirkung des Lambda-Viertel-Plättchens zurückgeht. Ex erreicht sein Maximum eine viertel Periode später als Ey. Um über die Drehrichtung entscheiden zu können, bestimmen wir den Ort der Pfeilspitze des rotierenden Feldstärkevektors für t = 0 und t = tl, wobei ty so gewählt wird, daß der Winkel coi,

48.6 Drehimpuls des Lichts \y

v

(a)

1435

\y

(b)

Abb. 48.20 Linear polarisiertes Licht fällt von hinten auf ein Lambda-Viertel-Plättchen, das so orientiert ist, daß das aus der Papierebene heraustretende Licht zirkulär polarisiert ist. In diesem Fall dreht sich für einen auf die Lichtquelle blickenden Beobachter der elektrische Feldstärkevektor im Uhrzeigersinn.

klein ist. Für t = 0 erhalten wir (s. Abb. 48.20 a): Ey = 0 und Ex=

-E.

Für t = tt ergibt sich für die Koordinaten der Pfeilspitze näherungsweise: Ey = E sin wt1 « £wtl, Ex = — E coscuij x — E. Abb. 48.20 b zeigt, daß der Vektor, der das aus dem Plättchen gelangende zirkulär polarisierte Licht repräsentiert, sich im Uhrzeigersinn dreht. Man hat vereinbart, das Licht dann rechtszirkular polarisiert zu nennen. Dabei blickt der Beobachter stets auf die Lichtquelle. Wird die Schwingungsebene des einfallenden Lichts in Abb. 48.20 um + 90° oder — 90° gedreht, so ist das aus dem Plättchen austretende Licht linkszirkular polarisiert.

48.6 Drehimpuls des Lichts Lichtwellen können in Übereinstimmung mit der klassischen Elektrodynamik, der Quantentheorie und dem Experiment auf einen absorbierenden Schirm oder einen Spiegel Impuls übertragen. Die Möglichkeit, zirkulär polarisiertes Licht zu erzeugen, läßt vermuten, daß Licht auch einen Drehimpuls besitzt. Dies ist tatsächlich der Fall und wird sowohl von der klassischen Elektrodynamik als auch von der Quantenphysik vorausgesagt. Den experimentellen Beweis lieferte 1936 Richard A. Beth, indem er zeigte, daß ein doppelbrechendes Plättchen ein Drehmoment erfahrt, wenn in ihm zirkulär polarisiertes Licht erzeugt wird. Der Drehimpuls des Lichts spielt für das Verständnis der Emission von Licht durch Atome und von y-Strahlung durch Atomkerne eine wesentliche Rolle. Wenn Licht beim Verlassen des Atoms einen bestimmten Drehimpulsbetrag mit sich führt, muß sich der Drehimpuls des zurückbleibenden Atoms um genau den gleichen Betrag ändern, weil sonst der Drehimpuls des abgeschlossenen Systems Atom plus Licht nicht erhalten bliebe.

1436

48 Polarisation

Klassische Physik und Quantentheorie sagen voraus, daß bei der vollständigen Absorption von zirkulär polarisiertem Licht durch ein Objekt auf dieses ein Drehimpuls von der Größe L = El co

(48.5)

übertragen wird, wobei E der Betrag der absorbierten Energie und w die Kreisfrequenz des Lichts bezeichnen. Man überprüfe, daß die Dimensionen in dieser Gleichung stimmen.

48.7 Streuung des Lichts Fällt eine Lichtwelle auf einen durchsichtigen Festkörper, so veranlaßt die zeitlich veränderliche elektrische Feldstärke die Elektronen in diesem Körper zu Schwingungen. Die durch das Medium laufende Welle ist die Resultierende aus der einfallenden Welle und der von den oszillierenden Elektronen ausgesandten Strahlung. In Richtung des einfallenden Strahls hat die Intensität dieser Resultierenden ein Maximum, seitlich davon fällt sie rasch ab. Das Fehlen einer seitlichen Streuung beruht auf der Tatsache, daß die oszillierenden Ladungen kooperativ bzw. kohärent wirken. Geht Licht durch ein Gas, so stellt man ein viel höheres Maß an Seitwärtsstreuung fest. In diesem Fall sind die oszillierenden Elektronen durch relativ große Abstände voneinander getrennt und nicht an eine starre Struktur gebunden. Sie wirken darum unabhängig voneinander, und die Auslöschung der Strahlung seitlich zur Vorwärtsrichtung wird weniger wahrscheinlich. Das an einem Gas seitwärts gestreute Licht kann vollständig oder partiell polarisiert sein, selbst wenn das einfallende Licht unpolarisiert ist. In Abb. 48.21 bewegt sich ein unpolarisiertes Bündel von unten nach oben und trifft bei a auf ein Gasatom. Durch den elektrischen Anteil der einfallenden Welle geraten die Elektronen bei a in Schwingungen. Ihre Bewegung ist zu zwei oszillierenden Dipolen äquivalent, deren Achsen in der Abbil-

Abb. 48.21 Durch Streuung an einem Gasmolekül in a wird Licht entweder partiell (c und d) oder vollständig (b) polarisiert.

48.7 Streuung des Lichts

1437

dung durch den Doppelpfeil und den Punkt bei a angedeutet sind. Nun strahlt ein schwingender Dipol in seiner Längsrichtung nicht. Daher wird ein Beobachter in b von dem Dipol keine Strahlung empfangen, der durch den Doppelpfeil bei a dargestellt wird, sondern ausschließlich Strahlung, die nur von dem durch den Punkt repräsentierten Dipol ausgesandt wird. Diese Strahlung ist linear polarisiert. Die Schwingungsebene geht durch die Gerade ab und steht senkrecht auf der Abbildungsebene. Beobachter in c und d empfangen partiell polarisiertes Licht, da der durch den Pfeil dargestellte Dipol jetzt auch in diese Richtungen strahlt. Dagegen zeigt das transmittierte Licht ebenso wie das rückwärts gestreute keinerlei Polarisationseffekte, weil in diesen Richtungen beide Dipole bei a gleichermaßen strahlen. Ein bekanntes Beispiel für diese Erscheinung ist die Streuung des Sonnenlichts an den Molekülen der Erdatmosphäre. Gäbe es keine Atmosphäre, so wäre der Himmel schwarz, es sei denn, man blickte direkt in die Sonne. Dies wurde durch Messungen von bemannten und unbemannten Raumschiffen oberhalb der Atmosphäre bestätigt. Mit einem Polarisator kann man leicht nachweisen, daß das von einem wolkenlosen Himmel kommende Licht zumindest teilweise polarisiert ist. In der Polarforschung nutzt man diese Tatsache beim sogenannten Solarkompaß aus, mit dem man aus der Polarisation des gestreuten Sonnenlichts die Richtung bestimmt. Bekanntlich sind in diesen Regionen Magnetkompasse nicht besonders sinnvoll. Von Bienen weiß man, daß sie sich bei ihrem Flug an der Polarisation des Himmelslichts orientieren. Warum ist nun das an der Atmosphäre gestreute Licht überwiegend blau und das von der Sonne direkt empfangene Licht - vor allem bei Sonnenuntergang - rot? Für die Streuung des Lichts hängt der Wirkungsquerschnitt eines Atoms oder Moleküls von der Wellenlänge ab und ist für das blaue Licht größer als für das rote. Wenn das direkte Sonnenlicht uns erreicht, ist seine blaue Komponente zum größten Teil gestreut, fehlt also weitgehend, und die Sonne erscheint rötlich. Das wird insbesondere am Abend oder auch am Morgen deutlich, weil dann der Weg durch die Atmosphäre länger ist als in den Mittagsstunden. Man kann sich die Tatsache, daß der Wirkungsquerschnitt für das blaue Licht höher ist als für das rote, plausibel machen. In einem Atom oder Molekül ist ein Elektron durch starke rücktreibende Kräfte gebunden. Es hat eine definierte Eigenfrequenz, ähnlich wie ein Körper mit einer kleinen Masse, der im Raum an Federn aufgehängt ist. Die Eigenfrequenz des Elektrons liegt in der Größenordnung der Frequenzen des violetten oder ultravioletten Lichts. Fällt nun auf derartig gebundene Elektronen Licht, so setzt es erzwungene Schwingungen in Gang, und zwar mit der Frequenz des einfallenden Lichtbündels. Bei einem mechanischen System sind die Amplituden der erzwungenen Schwingung umso größer, je näher die Frequenz der Störkraft bei der Eigenfrequenz des schwingenden Systems liegt. Beim Licht ist die (höhere) Frequenz des blauen Lichts näher an der Eigenfrequenz des Elektrons als die (niedrigere) Frequenz des roten Lichts. Daher ist zu erwarten, daß das blaue Licht die Elektronenschwingungen wirksamer anregt und damit stärker gestreut wird.

1438

48 Polarisation

48.8 Zweifache Streuung Als 1898 die Röntgenstrahlen entdeckt wurden, spekulierte man viel darüber, ob es sich um Wellen oder um Teilchen handelte. 1906 gelang Charles Glover Barkla (1877-1944) mit Hilfe eines Polarisationsexperiments der Nachweis, daß Röntgenstrahlen transversale Wellen sind. Trifft unpolarisierte Röntgenstrahlung auf einen streuenden Block Sl (Abb. 48.22), so versetzt sie die Elektronen in Schwingungen. Nach den Überlegungen des vorigen Abschnitts sind die in Richtung des zweiten Blocks gestreuten Strahlen linear polarisiert (in der Abbildung ist dies durch die Pfeile angedeutet). Man untersucht nun die an diesem zweiten Block S2 gestreute Strahlung mit einem Detektor D, den man in einer Ebene senkrecht zur Verbindungsgeraden der beiden Blöcke herumführt. Die Elektronen schwingen zueinander parallel, und die Intensität der von ihnen ausgesandten Strahlung wird an den Stellen ihr Maximum bzw. ihr Minimum haben, die in der Abbildung angegeben sind. Trägt man die Detektoranzeige als Funktion des Winkels 0 auf, so bestätigt sich die Hypothese, daß Röntgenstrahlen transversale Wellen sind. Wären sie dagegen longitudinale Wellen oder Teilchen, so könnte man das Versuchsergebnis keinesfalls so einfach verstehen. Mit dem Experiment von Barkla konnte nachgewiesen werden, daß die Röntgenstrahlung Teil des elektromagnetischen Spektrums ist. Wir werden später erfahren, daß Teilchenstrahlen (aus Elektronen, Protonen, Pionen oder anderen Elementarteilchen) auch als Wellen angesehen werden können. Für die Untersuchung ihrer Polarisationseigenschaften werden häufig Streutechniken (einschließlich der Zweifachstreuung) eingesetzt.

Abb. 48.22 Das Experiment von Barkla zum Nachweis der Transversalität der Röntgenstrahlen.

Fragen 1. Licht von gewöhnlichen Lichtquellen ist unpolarisiert. Kennen Sie eine Lichtquelle, die polarisiertes Licht emittiert? 2. Warum haben Sonnenbrillen, die aus polarisierendem Material hergestellt sind, gegenüber den nur auf einfachen Absorptionseffekten beruhenden einen großen Vorteil? 3. Unpolarisiertes Licht fallt auf zwei Platten aus polarisierendem Material, die so ausgerichtet sind, daß kein Licht durchgelassen wird. Kann Licht hindurchgehen, wenn ein dritter Polarisator zwischen sie gebracht wird?

Fragen

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4. In den frühen fünfziger Jahren waren 3D-Filme sehr populär. Die Kinobesucher trugen polarisierende Brillen, und vor die dazu benötigten zwei Projektoren wurde je eine Platte aus polarisierendem Material angebracht. Man erkläre, wie das System funktioniert. Können Sie sich einige Probleme vorstellen, die zur baldigen Aufgabe dieses 3D-Systems führten? 5. Ein Drahtgitter, das aus einer Reihe parallel zueinander angeordneter Drähte besteht, kann einen durchgehenden unpolarisierten Strahl elektromagnetischer Wellen polarisieren. Man erkläre, warum (a) der Drahtdurchmesser und der Abstand zwischen den Drähten wesentlich kleiner als die Wellenlänge der einfallenden Strahlung sein müssen, um effektive Polarisation zu erhalten, und warum (b) bei der durchgehenden Strahlkomponente der elektrische Vektor in der senkrecht zu den Drähten verlaufenden Richtung schwingt. 6. Das Brewster-Gesetz bestimmt den Polarisationswinkel bei Reflexion an einem Dielektrikum. Eine plausible Interpretation für das Fehlen der n-Komponente bei diesem Winkel ist, daß diese Komponente die Ladungen im Dielektrikum zu Schwingungen parallel zum reflektierten Strahl anregt und dadurch in dieser Richtung keine Strahlung erzeugt wird. Man kommentiere diese Erklärung. 7. Kann Polarisation durch Reflexion an einer Grenzfläche erreicht werden, wenn das Licht aus der Richtung des Mediums mit der höheren Brechzahl (z. B. von Glas nach Luft) einfallt? 8. Man überlege einen Weg, um die Polarisationsrichtung einer Polarisationsfolie zu bestimmen. 9. Ist die optische Achse eines doppelbrechenden Kristalls einfach eine Gerade oder eine Richtung im Kristall? Hat sie einen Richtungssinn wie ein Pfeil? Was wissen Sie über die charakteristische Richtung einer Polarisationsfolie? 10. Aus Tab. 48.1 ist ersichtlich, daß Eis doppelbrechend ist. Warum können wir nicht zwei Bilder eines Objekts sehen, wenn wir es durch einen Eiswürfel betrachten? 11. Kann man durch Rekombination des o- und ao-Strahls, die bei der Doppelbrechung eines Einfallsstrahls unpolarisierten Lichts an Calcit in Abb. 48.11 entstehen, Interferenzeffekte erhalten? Begründen Sie ihre Antwort! 12. Man vergleiche in Tab. 48.1 die Stoffe Calcit und Quarz. Wäre ein Lambda-Viertel-Blättchen aus Calcit dicker als aus Quarz? 13. Bewegt sich die ao- Welle in doppelbrechenden Kristallen immer mit einer Geschwindigkeit von clnj 14. Man beschreibe qualitativ, was in den Abbn. 48.14a und 48.14b passiert, wenn der einfallende Strahl nicht unter einem Winkel von Null auf den Kristall trifft. Der Einfallsstrahl liege dabei in der Abbildungsebene. 15. Man beschreibe eine Möglichkeit zur Bestimmung der optischen Achse in einem LambdaViertel-Blättchen. 16. Man beschreibe das durchgehende Licht, wenn linear polarisiertes Licht auf ein LambdaViertel-Blättchen fallt, wobei die Schwingungsebene mit der Blättchenachse den Winkel (a) 0° und (b) 90° bildet, (c) Wenn der Winkel beliebig ist, wird das durchgehende Licht elliptisch polarisiert genannt. Man beschreibe solches Licht. 17. Wie identifizieren Sie folgende Objekte? (a) Eine Scheibe aus Grauglas, (b) eine Platte aus polarisierendem Material, (c) ein Lambda-Viertel-Blättchen, (d) ein Lambda-Halbe-Blättchen (s. Aufgabe 14). 18. Kann ein linear polarisierter Lichtstrahl durch die Summe von zwei zirkulär polarisierten Strahlen entgegengesetzter Drehrichtung dargestellt werden? Welche Wirkung hätte eine Phasenänderung einer der zirkulär polarisierten Komponenten auf den resultierenden Strahl? 19. Wie kann rechtszirkular polarisiertes Licht in linkszirkular polarisiertes Licht umgewandelt werden? 20. Kann (a) ein Radarstrahl und (b) eine Schallwelle in Luft zirkulär polarisiert sein? 21. Wie kann man experimentell nachweisen, daß ein Lichtstrahl unpolarisiert, linear polarisiert oder zirkulär polarisiert ist? 22. Ein paralleles Lichtbündel wird durch ein Objekt absorbiert. Unter welchen Umständen wird (a) Impuls und (b) Drehimpuls auf das Objekt übertragen?

1440

48 Polarisation

23. Beobachtet man einen klaren Himmel durch ein Polarisationsfilter, so ändert sich die Lichtintensität um einen Faktor zwei, wenn man das Filter dreht. Die Intensitätsänderung tritt nicht ein, wenn man eine Wolke durch dieses Filter betrachtet. Finden Sie dafür eine Erklärung? 24. 1949 wurde entdeckt, daß Licht von entfernten Sternen unserer Milchstraße schwach linear polarisiert ist. Dabei liegt die bevorzugte Schwingungsebene parallel zur Milchstraßenebene. Die Ursache dafür ist wahrscheinlich anisotrope Streuung des Sternenlichts an längsgestreckter und leicht ausgerichteter interstellarer Materie. Falls die Längsachse ihrer Bestandteile parallel zu den Feldlinien des interstellaren Magnetfeldes ausgerichtet ist und falls sie elektromagnetische Wellen wie schwingende Elektronen in einer Radioantenne absorbiert und ausstrahlt, welche Richtung hat dann das Magnetfeld bezüglich der Milchstraßenebene?

Aufgaben Abschnitt 48.1 1. Man beweise, daß zwei linear polarisierte Lichtwellen gleicher Amplitude, deren Schwingungsebenen senkrecht aufeinanderstehen, keine Interferenzeffekte zeigen können. (Hinweis: Man beweise, daß die Intensität der resultierenden Lichtwelle im Mittel über eine oder mehrere Schwingungsperioden unabhängig von der Phasendifferenz beider Wellen ist.) Abschnitt 48.2 2. Unpolarisiertes Licht fallt auf zwei übereinanderliegende Platten aus polarisierendem Material. Wie groß muß der Winkel zwischen den Polarisationsrichtungen der beiden Platten sein, damit die Intensität des durchgehenden Lichts (a) ein Drittel der maximalen Intensität des hindurchgehenden Strahls oder (b) ein Drittel der Intensität des Einfallsstrahls ist? Man nehme an, daß die Polarisationsplatten ideal sind, das bedeutet, daß sie die Intensität des unpolarisierten Lichts um genau 50 % reduzieren. 3. Ein Strahl linear polarisierten Lichts trifft auf zwei Polarisationsfilter. Der Winkel zwischen Einfallsstrahl und der Polarisationsrichtung des einen Filters ist 6 und der des anderen Filters 90°. Man bestimme den Winkel 6 für den Fall, daß die Intensität des durchgehenden Strahls 1/10 von der des einfallenden Strahls beträgt. Antwort: 20° oder 70°. 4. Ein unpolarisierter Lichtstrahl fallt auf einen Satz von vier Polarisationsplatten. Sie sind so angeordnet, daß die Polarisationsrichtung jeder Platte gegenüber der vorhergehenden um 30° im Uhrzeigersinn gedreht ist. Welchen Bruchteil der Einfallsintensität hat der durchgehende Strahl? 5. Ein Lichtstrahl besteht aus einer Mischung von linear polarisiertem und unpolarisiertem Licht. Läßt man ihn durch eine Polarisationsfolie gehen, so kann die Intensität des durchgehenden Strahls in Abhängigkeit von der Orientierung der Folie um den Faktor fünf variiert werden. Man bestimme die relative Intensität der beiden Komponenten des Einfallstrahls. Antwort: 2/3 linear polarisiert, 1/3 unpolarisiert. 6. Partiell polarisiertes Licht (Mischung aus unpolarisiertem und linear polarisiertem Licht) kann durch zwei linear polarisierte Strahlen von ungleicher Intensität dargestellt werden. / sei die Intensität in Richtung der x-Achse, i in Richtung der y- Achse, die Phasendifferenz sei beliebig. Der Polarisationsgrad ist definiert als /> = (/— / ) / ( / + /). (a) Tritt partiell polarisiertes Licht durch eine Polarisationsfolie, deren charakteristische Polarisationsrichtung mit der x-Achse den Winkel 6 einschließt, so zeige man, daß für die Intensität des durchgehenden Lichts gilt:

Aufgaben _

1441

1 + p cos 20

*

1+P



(b) Ergeben sich für p = 1 und p = 0 die erwarteten Ergebnisse? 7. Die Polarisationsebene von linear polarisiertem Licht soll um 90° gedreht werden, (a) Wie erreicht man dies unter alleiniger Verwendung von Polarisationsfolien? (b) Wieviele Folien sind erforderlich, damit der gesamte Intensitätsverlust geringer als 5 % ist? Man setze ideale Polarisationsfolien voraus. Antwort: 48. Abschnitt 48.3 8. (a) Bei welchem Einfallswinkel ist das von Wasser reflektierte Licht vollständig polarisiert? (b) Hängt dieser Winkel von der Wellenlänge des Lichts ab? 9. Man berechne den Bereich der Polarisationswinkel für weißes Licht, das auf Quarzglas fällt. Man benutze die Werte von Abb. 43.2 und verwende die Wellenlängengrenzen 400 und 700 nm. Antwort: 55°30' bis 55°46'. Abschnitt 48.4 10. Linear polarisiertes Licht der Wellenlänge 525 nm trifft senkrecht auf eine Fläche eines Wurtzit-Kristalls, die parallel zur optischen Achse verläuft. Welches ist die kleinstmögliche Dicke des Kristalls, wenn bei der Vereinigung des o- und ao-Strahls linear polarisiertes Licht entsteht? (s.Tab. 48.1) 11. Ein schmales Bündel unpolarisierten Lichts fallt auf einen Calcit-Kristall, dessen optische Achse wie in Abb. 48.23 verläuft, (a) Man berechne für t = 1.0 cm und ö e = 45° den senkrechten Abstand zwischen den Strahlen x und y. (b) Welcher Strahl ist der o- und welcher der ao-Strahl? (c) Wie sind die austretenden Strahlen polarisiert? (d) Man beschreibe, was passiert, wenn man den Einfallsstrahl durch einen Polarisator gehen läßt, den man dreht. (Hinweis: Innerhalb des Kristalls schwingt der E- Vektor des einen Strahls immer senkrecht und der des

einfallender Strahl

Strahl x

Abb. 48.23 Zu Aufgabe 11

1442

48 Polarisation

anderen Strahls immer parallel zur optischen Achse. Die zwei Strahlen werden durch die Brechzahlen n0 und nao in dieser Ebene beschrieben; sie gehorchen dem Brechungsgesetz.) Antwort: (a) 0.49 mm; (b) x ist der o-, y- der ao-Strahl; (c) f l i e g t im Strahl y in der Zeichenebene, E im Strahl x senkrecht dazu; (d) Bei jeder Drehung um 90° wird abwechselnd der eine und der andere Strahl ausgelöscht. 12. Ein Prisma aus Calcit ist so geschnitten, daß die optische Achse parallel zur Prismenkante wie in Abb. 48.24 liegt. Man beschreibe, wie ein solches Prisma zur Messung der zwei Hauptbrechzahlen von Calcit benutzt werden kann. (Hinweis: s. Hinweis in Aufgabe 11, s. auch Beispiel 3, Kapitel 43)

' optische Achse

/

Abb. 48.24 Zu Aufgabe 12 13. Wie dick muß ein Glimmerblättchen sein, um für gelbes Licht (X = 589 nm) als LambdaViertel-Blättchen zu wirken? Glimmer spaltet so, daß die zugehörigen Brechzahlen für den Durchgang unter rechtem Winkel zur Spaltebene 1.6049 und 1.6117 sind. Antwort: 0.022 mm. Abschnitt 48.5 14. Welche Wirkung hat ein Lambda-Halbe-Blättchen (das ist ein Blättchen von der doppelten Dicke eines Lambda-Viertel-Blättchens) auf (a) linear polarisiertes Licht (die Schwingungsebene liege unter einem Winkel von 45° zur optischen Achse des Blättchens), (b) zirkulär polarisiertes Licht und (c) unpolarisiertes Licht. 15. Man beschreibe den Polarisationszustand, der durch die folgenden Sätze von Gleichungen beschrieben wird: (a) Ex = E sin (kz — cot), Ey = E cos (kz — cot), (b) Ex = E cos (kz — wt),

(c) Ex = E sin (kz — cot), Ey = — E sin (kz — cot).

Ey = E cos ^kz — cot + ^ , Antwort: Unter der Voraussetzung, daß ein rechtshändiges Koordinatensystem verwendet wird: (a) zirkulär, mit Blick auf die Lichtquelle entgegen dem Uhrzeigersinn, (b) elliptisch, entgegen dem Uhrzeigersinn, Hauptachse der Ellipse in Richtung y = x, (c) linear, in Richtung y= - x . 16. Ein Polarisationsfilter und ein Lambda-Viertel-Blättchen sind so aneinandergeklebt, daß beim Durchgang von Licht passender Wellenlänge in der einen Richtung (Fläche A der Lichtquelle abgewandt) eine glänzende Münze sichtbar wird, beim Durchgang in der anderen Richtung (Fläche A auf der Seite der Lichtquelle) die Münze unsichtbar ist. (a) Welche Komponente liegt auf der Fläche AI (b) Wie ist die relative Orientierung der Komponenten?

Aufgaben

1443

Abschnitt 48.6 17. Man zeige, daß in einem parallelen Bündel aus zirkulär polarisiertem Licht die Drehimpulsdichte (Drehimpuls durch Volumen) Lv gegeben ist durch

wobei P die Leistung durch die Querschnittsfläche des Strahls ist. Man gehe von Gl. 48.5 aus. 18. Ein paralleles Bündel zirkulär polarisierten Lichts mit der Intensität 100 W wird durch ein Objekt absorbiert, (a) In welcher Rate wird dabei Drehimpuls auf das Objekt übertragen? (b) Nach welcher Zeit hätte ein (frei um seine Achse rotierendes) Objekt eine Winkelgeschwindigkeit von 1.0 Umdrehungen durch Sekunde, wenn es aus einer flachen Scheibe mit dem Durchmesser 5.0 mm und der Masse 1.0 x 10~ 2 g besteht? Die Wellenlänge sei 500 nm.

49 Licht und Quantenphysik

49.1 Ein neuer Zugang Bis jetzt haben wir Strahlung - worunter wir nicht nur das sichtbare Licht, sondern das gesamte elektromagnetische Spektrum verstanden - unter den Überschriften Ausbreitung, Reflexion, Brechung, Interferenz, Beugung und Polarisation untersucht. Wir konnten alle diese Phänomene verstehen, indem wir die Strahlung als eine (elektromagnetische) Welle behandelten, die den Maxwellschen Gleichungen genügt. Die experimentelle Bestätigung dieser Vorstellung ist überaus überzeugend. Nun bewegen wir uns in eine ganz andere Richtung und gehen auf Experimente ein, die nur unter der Annahme zu erklären sind, daß sich die Strahlung wie ein Teilchenstrom verhält. Dem kann man entgegenhalten, daß das Teilchen- und das Wellenbild sich so grundsätzlich unterscheiden, daß ihre gemeinsame Anwendung auf die elektromagnetische Strahlung unmöglich erscheint. Wir werden diese Frage erst in Abschn. 50.12 besprechen, weil wir zunächst auf die sehr zwingenden experimentellen Hinweise eingehen wollen, die für den Teilchencharakter der Strahlung sprechen. Dabei betreten wir das Reich der Quantenphysik, eine der Grundlagen unseres modernen Weltbildes.

49.2 Wärmestrahlung und Quanten Die meisten Gegenstände sind für uns sichtbar, weil an ihnen das Licht reflektiert wird. Bei genügend hohen Temperaturen jedoch leuchten sie von selbst: Sie beginnen zu glühen. Weißglühende Drähte und Leuchtfeuer sind hierfür bekannte Beispiele (s. Abb. 49.1). Wir erkennen diese Gegenstände durch das von ihnen emittierte sichtbare Licht, doch genügt bereits ein kurzer Aufenthalt in der Nähe eines Feuers, um der Feststellung Glauben zu schenken, daß es auch einen nicht geringen Anteil an Infrarotstrahlung aussendet. Es ist eine merkwürdige historische Tatsache, daß die Quantenphysik gerade bei der Untersuchung der Strahlung heißer Körper ihren Ausgangspunkt fand. Gibt ein Körper aufgrund seiner Temperatur Strahlung ab, so spricht man von Wärmestrahlung. Jeder Körper emittiert aber nicht nur derartige Strahlung, sondern er absorbiert sie auch aus seiner Umgebung. Ist ein Körper wärmer als seine Umgebung, so emittiert er mehr Strahlung, als er absorbiert, wobei er sich abkühlt. Normalerweise gelangt er mit seiner Umgebung in ein thermisches Gleichgewicht. Darunter versteht

49.2 Wärmestrahlung und Quanten

1445

Abb. 49.1 Studenten bei der Beobachtung thermischer Strahlung. Die Grundlagen der modernen Quantenphysik wurden bei der Untersuchung derartiger Strahlung unter Laborbedingungen geschaffen.

man einen Zustand, bei dem die Absorption und die Emission der Strahlung gleich groß sind. Das Spektrum der Wärmestrahlung eines heißen Festkörpers ist kontinuierlich und in seinem Verlauf stark von der Temperatur abhängig. Bei einer stetigen Temperaturerhöhung eines solchen Körpers stellen wir zwei Dinge fest: (1) Je höher die Temperatur ist, umso mehr Wärmestrahlung wird emittiert - zunächst bemerkt man den Körper nur schwach, schließlich glüht er hell; (2) je höher die Temperatur, desto kürzer ist die Wellenlänge des Spektralbereichs, für den die Intensität der Strahlung am intensivsten ist - die vorherrschende Farbe des Körpers verändert sich von einem matten Rot über ein helles Gelb-Orange zu bläulicher „Weißglut". Da die Spektraleigenschaften von der Temperatur abhängen, können wir umgekehrt diese aus der emittierten Strahlung abschätzen, zum Beispiel bei einem glühenden Stahlblock oder einem Stern. Das Auge sieht vornehmlich die Farbe, die innerhalb des sichtbaren Bereichs am intensivsten ausgesendet wird. Die von einem heißen Körper emittierte Strahlung hängt nicht nur von der Temperatur, sondern auch vom Material ab, aus dem der Körper besteht, weiter von seiner Form und der Beschaffenheit seiner Oberfläche. So emittiert zum Beispiel bei 2000 °C eine polierte ebene Wolframoberfläche eine Strahlung (genauer Strahlungsenergiedichte)

1446

49 Licht und Quantenphysik

von 23.5 W/cm 2 , eine entsprechende Molybdänfläche jedoch nur 19.2 W/cm 2 . In beiden Fällen wächst die Strahlungsleistung, wenn die Oberfläche etwas angerauht wird. Andere Unterschiede ergeben sich, wenn wir die Abhängigkeit der emittierten Strahlung von den Wellenlängen messen. Man kann diese Beobachtungen nur schwer oder gar nicht verstehen, wenn man von einfacheren physikalischen Vorstellungen ausgeht. Die Situation erinnert uns an die Schwierigkeiten beim Verständnis der Eigenschaften realer Gase, wenn man ein einfaches Atommodell zugrunde legt. Beim „Gasproblem" entwickelte man das Modell des idealen Gases. Beim „Strahlungsproblem" kann man ähnlich vorgehen und einen „idealen Strahler" einführen, bei dem das Spektrum der emittierten Wärmestrahlung nur von der Temperatur des Strahlers und nicht von seinem Material, seiner Oberfläche oder anderen Faktoren abhängt. Wir können uns einen derartigen idealen Strahler tatsächlich verschaffen, indem wir in einem Körper einen kleinen Hohlraum anbringen, dessen Wände wir auf gleicher Temperatur halten. Bohren wir durch die Wand ein kleines Loch, so kann eine Probe der Strahlung aus dem Innern des Hohlraums entweichen und im Labor untersucht werden. Es stellt sich heraus, daß diese sogenannte Hohlraumstrahlung ein sehr einfaches Spektrum besitzt, dessen Eigenschaften ausschließlich von der Temperatur der Hohlraumwände abhängen, gleichgültig, aus welchem Material diese bestehen oder welche Form oder Größe sie zeigen. Die Hohlraumstrahlung (Strahlung in einem Kasten) hilft beim Verständnis der Natur der Wärmestrahlung auf die gleiche Weise wie das Modell des idealen Gases (Materie in einem Kasten) bei der Beschreibung von gasförmiger Materie. In Abb. 49.2 ist als Beispiel für einen Hohlraumstrahler ein dünnwandiges zylindrisches Rohr von etwa 1 mm Durchmesser abgebildet, das von einem Strom durchflössen und dadurch zur Weißglut gebracht wird. Aus der Abbildung ist ersichtlich, daß die aus dem kleinen Loch in der Wandung emittierte Strahlung wesentlich intensiver ist als die vom Äußeren der Wände ausgehende Strahlung, obwohl die Temperaturen der Außenund der Innenwand mehr oder weniger gleich sind. Für die Hohlraumstrahlung gelten drei - im Experiment eindeutig nachgewiesene und

Abb. 49.2 Ein weißglühendes Wolframrohr, in dessen Wand ein kleines Loch gebohrt wurde. Die aus diesem Loch kommende Strahlung ist Hohlraumstrahlung.

49.2 Wärmestrahlung und Quanten

1447

miteinander zusammenhängende - Gesetzmäßigkeiten, die von einer Strahlungstheorie in jedem Falle erklärt werden müssen: 1. Das Stefan-Boltzmannsche Gesetz. Die von der Flächeneinheit der Hohlraumöffnung nach vorn ausgesandte, über alle Wellenlängen summierte spezifische Ausstrahlung M{T) ist proportional zur vierten Potenz der Temperatur T: M(T) = oT4.

(49.1a)

Darin ist o ( = 5.670 x 10" 8 W/(m 2 K 4 )) eine universelle Konstante. Sie heißt die StefanBoltzmann-Konstante. Damit erhält M die Dimension W/m 2 , d. h. die einer Strahlungsenergiedichte. Die Strahlung realer Körper ist stets geringer als die des Hohlraumstrahlers. Wir bringen dies zum Ausdruck, indem wir Gl. 49.1 a verallgemeinern: M = soT4.

(49.1b)

£ ist eine dimensionslose Konstante und heißt der (Gesamt-)Emissionsgrad (des Materials der Wandung). Dieser hat nur für den Hohlraumstrahler den Wert Eins, für die Oberfläche realer Körper ist er immer kleiner als Eins und in den meisten Fällen temperaturabhängig. 2. Die spektrale spezifische Ausstrahlung. Die spektrale spezifische Ausstrahlung Mx(X, T) beschreibt die Wellenlängenabhängigkeit der Hohlraumstrahlung bei festgehaltener Temperatur. Sie ist so definiert, daß das Produkt Mx{X,T) dX die je Fläche ausgesandte Strahlungsleistung ist, die im Wellenlängenband zwischen X und X + dX liegt. Die gesamte spezifische Ausstrahlung ergibt sich dann durch Integration von Mx über den gesamten Wellenlängenbereich: 00 M(T) = I Mx(X,T)dX

"i

(T = const.)

(49.2)

Abb. 49.3 gibt die spektrale Verteilung der Hohlraumstrahlung für verschiedene Werte der Temperatur wieder. Wir sehen wegen Gl. 49.2, daß wir die Gesamtstrahlungsleistung M{T) als den Flächeninhalt unter der zum entsprechenden Wert von T gehörenden Kurve deuten können. Wir erkennen außerdem, daß mit steigender Temperatur die Gesamtstrahlungsleistung wächst, so wie es Gl. 49.1 a aussagt. 3. Das Wiensche Verschiebungsgesetz. Abb. 49.3 zeigt, daß die Wellenlänge Amax, für die die spektrale spezifische Strahlung jeweils ein Maximum hat, mit steigender Temperatur abnimmt. Wilhelm Wien (1864-1928) konnte auf der Basis der klassischen Theorie zeigen, daß das Produkt A max reine universelle Konstante ist. Man mißt den Wert A m a x r = 2898 n m K . Diese Beziehung heißt das Wiensche Verschiebungsgesetz.

(49.3)

1448

49 Licht und Quantenphysik

Wellenlänge/um

Abb. 49.3 Verlauf der spektralen spezifischen Ausstrahlung für vier verschiedene Temperaturen. Man beachte, daß sich das Maximum für steigende Temperatur zu kleineren Wellenlängen verschiebt.

Beispiel 1 Welche Temperaturen herrschen auf einem Stern? Die „Oberflächen" von Sternen sind keine scharfen Begrenzungen wie etwa die Erdoberfläche. Der überwiegende Teil der Strahlung, die ein Stern aussendet, ist in einem ungefähren thermischen Gleichgewicht mit den heißen Gasen aus den äußeren Schichten des Sterns. Daher kann man das Sternenlicht als Hohlraumstrahlung behandeln, ohne dabei einen allzu großen Fehler zu begehen. Die folgende Aufstellung gibt die Wellenlängen an, für die die spektrale spezifische Ausstrahlung jeweils ihr Maximum annimmt: Stern

max

240 nm Sirius Sonne 500 nm Beteigeuze 850 nm

Farbe blauweiß gelb rot

(a) Wie hoch sind die Oberflächentemperaturen dieser Sterne? Wir finden nach Gl. 49.3 für den Sirius: T = (2898 um • K/240 nm)(1000 nm/1 |im) = 12000 K. Entsprechend erhalten wir für die Temperatur der Sonne und des Beteigeuze 5800 K bzw. 3400 K. Mit 5800 K besitzt die Sonnenoberfläche nahezu eine Temperatur, für die der größte Teil der Strahlung gerade im sichtbaren Bereich des Spektrums liegt. Dies läßt vermuten, daß sich das menschliche Auge im Laufe der Evolution mit seiner Empfindlichkeit den Wellenlängen angepaßt hat, die in der Sonnenstrahlung mit der höchsten Intensität vertreten sind.

49.3 Das Plancksche Strahlungsgesetz

1449

(b) Wie groß ist für diese drei Sterne die spezifische Ausstrahlung? Das Stefan-Boltzmann-Gesetz (Gl. 49.1a) ergibt für den Sirius: M = oT* = (5.67 x 10" 8 W/m 2 • K 4 )(12000 K) 4 = 1.2 x 109 W/m 2 = 120 kW/cm 2 . Für die Sonne ergibt sich entsprechend 6.4 kW/cm 2 und für den Beteigeuze 0.767 kW/cm 2 . (c) Der Radius der Sonne ist 7.0 x 108 m, der Radius des Beteigeuze ist mehr als 500 mal größer, er beträgt 4.0 x 10 11 m. Wie groß ist die Leuchtkraft L dieser Sterne (als Leuchtkraft wird die Strahlungsleistung bezeichnet), die von ihrer Oberfläche insgesamt abgegeben wird? L erhalten wir, indem wir die spezifische Ausstrahlung mit dem Wert für die Oberfläche des jeweiligen Sterns multiplizieren. Für die Sonne ergibt sich: L = M(4nr2) = (6.4 kW/cm 2 )(4ji)(700 x 108 cm) 2 = 3.9 x 10 26 W. Für den Beteigeuze erhält man 1.5 x 10 31 W. Dieser 38000 mal höhere Wert ergibt sich trotz der niedrigen Oberflächentemperatur wegen der enormen Größe dieses „Roten Riesen". Dem normalen Beobachter erscheinen die Sterne gar nicht so farbig, wie sie tatsächlich leuchten. Das liegt daran, daß die Empfindlichkeit der für das Farbsehen verantwortlichen Zäpfchen in der Dämmerung nur gering ist („Des Nachts sind alle Katzen grau"). Sonst würde der Nachthimmel auf uns einen sehr bunten Eindruck machen.

49.3 Das Plancksche Strahlungsgesetz Kann man eine einfache Beziehung aus Grundprinzipien so herleiten, daß sie die experimentelle Spektralverteilung der Hohlraumstrahlung, also die Kurven der Abb. 49.3, richtig beschreibt? Im September 1900 gab es gleich zwei Formeln. Eine erste, die ursprünglich auf Lord Rayleigh zurückging, wurde später auf rein klassischer Grundlage von Einstein hergeleitet und durch James Jeans modifiziert. Leider gab dieses Strahlungsgesetz von Rayleigh-Jeans den experimentellen Kurvenverlauf nur für den Grenzfall sehr langer Wellen einigermaßen zutreffend wieder, ansonsten lieferte sie nicht einmal das (endliche) Maximum der Kurven. Abb. 49.4 zeigt für eine Hohlraumstrahlung bei 2000 K die von Rayleigh-Jeans angegebene spektrale Verteilung der spezifischen Ausstrahlung. Gute Übereinstimmung mit den Meßergebnissen findet man erst bei Wellenlängen, die sehr viel größer als 50 |xm sind, ein Bereich, der weit außerhalb der Abbildung liegt. Trotzdem ist das Rayleigh-Jeanssche Strahlungsgesetz die beste Formel, die man auf klassischer Grundlage angeben kann. Wilhelm Wien entwickelte ebenfalls einen theoretischen Ausdruck für die Spektralverteilung der Hohlraumstrahlung. Seine Formel (siehe ebenfalls Abb. 49.4) ist viel besser. Für kurze Wellenlängen paßt sie gut auf die experimentellen Kurven, liefert auch die (im Endlichen liegenden) Maxima, zeigt dafür aber am langwelligen Ende des Spektrums eine merkliche Abweichung. Dieses Wiensche Strahlungsgesetz fußte jedoch auf einer Annahme, mit der er eine Analogie zwischen den Strahlungskurven und der Maxwellschen Geschwindigkeitsverteilung für die Moleküle eines idealen Gases herstellte und die nicht mehr so ohne weiteres in die klassische Physik einzuordnen war. Wir haben somit zwei Strahlungsgesetze, von denen das eine mit der Erfahrung für

1450

49 Licht und Quantenphysik

2

3

4

Wellenlänge/um

Abb. 49.4 Die durchgezogene Kurve zeigt den experimentell ermittelten Verlauf der spektralen spezifischen Ausstrahlung für Hohlraumstrahlung bei 2000 K. Die gestrichelten Kurven geben den Verlauf nach dem klassischen Rayleigh-Jeans-Gesetz und dem Wienschen Gesetz wieder.

lange und das andere für kurze Wellen übereinstimmt. Max Planck war es, der versuchte, in einer „verbesserten Spektralgleichung" beide Gesetze in Einklang zu bringen. Am 19. Oktober 1900 berichtete er vor der Physikalischen Gesellschaft in Berlin und schlug als „eine glücklich erratene Interpolationsformel" das folgende Strahlungsgesetz vor: M,ß,T)

=

p

(49.4)

worin a und b zwei Konstanten bezeichnen, mit denen man die Formel an die experimentellen Daten anpassen kann. Damit war sie aber zunächst nur eine empirische und theoretisch noch nicht begründete Aussage. Abb. 49.5 veranschaulicht den Verlauf des Gesetzes und seine ausgezeichnete Übereinstimmung mit den Versuchsergebnissen. „Nach ein paar Wochen der angestrengtesten Arbeit seines Lebens" gelang es Planck, seine - leicht veränderte - Formel aus einfachen Annahmen herzuleiten. Das Ergebnis trug er am 14. Dezember 1900 vor, wiederum vor der Physikalischen Gesellschaft in Berlin. Das heute nach ihm benannte Gesetz hatte jetzt die Form: M^,T)=

2n c2h 15

1

QhcßkT_v

(49.5)

Darin sind die beiden disponiblen Konstanten a und b durch Terme ersetzt worden, in denen zwei neue Konstanten auftreten, nämlich die Boltzmann-Konstante k und eine bis dahin unbekannte Konstante h, die heute die Planck-Konstante genannt wird. Die Größe c schließlich ist die Vakuumlichtgeschwindigkeit. Indem Planck die Gl. 49.5 an die experimentellen Daten anpaßte, konnte er für k und h Werte angeben, die bis auf etwa ein Prozent mit den heute gültigen Werten übereinstimmen:

49.4 Die Quantisierung der Energie

0

2

4 Wellenlänge/jun

1451

6

Abb. 49.5 Das Plancksche Strahlungsgesetz und die experimentellen Daten für einen Hohlraumstrahier von 1595 K.

Boltzmann-Konstante k = 1.381 x 10" 2 3 J/K und Planck-Konstante h = 6.626 x 10" 3 4 Js.

49.4 Die Quantisierung der Energie Wir wenden uns nun den Annahmen zu, die Planck der Herleitung seines Strahlungsgesetzes zugrunde legte, und gehen dabei vor allem auf die Bedeutung der Konstanten h ein. Diese Annahmen waren zunächst weder Plancks Zeitgenossen noch ihm selbst (wie er später bestätigte) klar. Erst etwa sechs bis sieben Jahre nachdem Planck seine Theorie ein erstes Mal vorgestellt hatte, begann man seine Grundvoraussetzung, die Quantisierung der Energie, zu verstehen. Planck gelangte zu dem nach ihm benannten Strahlungsgesetz, indem er die Wechselwirkung der Strahlung in einem Hohlraum mit den Atomen analysierte, die die Wände des Hohlraums bildeten. Er nahm an, daß diese Atome sich wie winzige Oszillatoren verhalten, von denen jeder seine charakteristische Schwingungsfrequenz besitzt. Diese Oszillatoren strahlen Energie in den Hohlraum und absorbieren Energie aus ihm. Es sollte möglich sein, die Eigenschaften der Hohlraumstrahlung aus den Eigenschaften der Oszillatoren herzuleiten, die diese Strahlung erzeugen. Klassisch ist die Energie dieser elementaren Oszillatoren eine kontinuierlich veränderliche Größe. Für makroskopische Oszillatoren, wie dem Faden- oder dem Federpendel, nehmen wir dies als gesichert an. Es stellt sich jedoch heraus, daß zur Herleitung des Planckschen Strahlungsgesetzes eine radikal andere Annahme notwendig ist: Für einen atomaren Oszillator mit der Frequenz v kann die Energie E nicht beliebige Werte annehmen, sondern nur solche aus einer diskreten Folge. Diese ist gegeben durch die Beziehung:

1452

49 Licht und Quantenphysik E = nhv,

n = 1,2,3,...

(49.6)

Hier wird die Planck-Konstante h das erste Mal eingeführt. Man sagt, die Energie eines atomaren Oszillators sei quantisiert, und nennt die ganze Zahl n eine Quantenzahl. Nach Gl. 49.6 sind die erlaubten Energieniveaus eines Oszillators äquidistant und haben voneinander einen Abstand hv, siehe Abb. 49.6. Die Annahme einer Energiequantisierung ist in der Tat radikal, und Planck selbst wehrte sich über viele Jahre dagegen, sie zu akzeptieren. In seinen eigenen Worten: „Durch mehrere Jahre hindurch machte ich immer wieder Versuche, das Wirkungsquantum [das ist die Konstante h] irgendwie in das System der klassischen Physik einzubauen. Aber es ist mir das nicht gelungen." Max von Laue, der 1914 den Nobelpreis erhielt und ein Schüler Plancks war, schrieb: „Nach 1900 bemühte sich Planck über viele Jahre, die Lücke zwischen der älteren und der Quantenphysik zu überbrücken, wenn nicht zu schließen. Die Anstrengung ging fehl, ihr Wert bestand dennoch darin, daß sie aufs überzeugendste bewies, daß die beiden nicht vereint werden können." Bei einem makroskopischen Oszillator, wie zum Beispiel einem Pendel, würde man kaum auf die Idee kommen, von einer Quantisierung der Energie zu reden. Man glaubt fest daran, daß ein solches Pendel mitjeder vernünftigen Gesamtenergie schwingen kann und nicht nur mit bestimmten ausgewählten Energiestufen. Wenn Reibung die Amplitude verringert, so scheint es, daß die Energiedissipation stetig erfolgt und keineswegs in „Sprüngen" oder „Quanten". Diese Alltagserfahrung ist dennoch kein Grund, die Vorstellung einer Energiequantisierung als eine Verletzung des „gesunden Menschenverstands" zu verwerfen. Die Planck-Konstante ist so klein, daß die in Rede stehenden „Energiesprünge" mit den üblichen Methoden nicht festgestellt werden können. Auf ein gewöhnliches Pendel wie auf makroskopische Systeme allgemein wendet man die Quantentheorie nicht an; hier leistet die klassische Theorie ihren Dienst. Historisch versuchte man den Zusammenhang zwischen beiden Theorien durch das Korrespon-

-20 •15

-5 -4

• 10

-3

:kT

- 2

-1 10

15 Frequenz/10 1

20

25

Hz

Abb. 49.6 Energieniveaus für atomare Oszillatoren bei drei verschiedenen Frequenzen. Für einige Niveaus sind die Quantenzahlen angegeben. Rechts ist die Größe von kT, der mittleren Energie eines klassischen Oszillators bei 2000 K, eingezeichnet.

49.4 Die Quantisierung der Energie

1453

denzprinzip herzustellen. Man verwendete es in verschiedener Bedeutung. Eine Formulierung lautete: Soweit die klassische Theorie vom Experiment bestätigt wird, muß die Quantentheorie asymptotisch mit der klassischen Theorie übereinstimmen. Mit den beiden folgenden Beispielen wollen wir dies ein wenig erläutern.

Beispiel 2 Ein schwingendes Federpendel. Ein Körper mit der Masse 300 g ist an einer Feder mit der Richtgröße k = 3 N/m befestigt und schwingt mit der Amplitude A = 10 cm. Man nehme an, daß man dieses System als einen quantenmechanischen Oszillator behandeln kann, und ermittle (a) den Abstand zwischen benachbarten Energieniveaus und (b) die zu den Schwingungen gehörende Quantenzahl. (a) Die Frequenz der Schwingung ergibt sich nach Gl. 15.11 zu: v=

1 , fk 1 , /3N/m „ . / - = i r - l h r ^ r - = 0.50s" 1 . 2n y m 2n \ 0.3 kg

Die Gesamtenergie E des Systems ist (vgl. Gl. 7.8): E=~kA2

= ^(3 N/mX0.1 m) 2 = 0.015 J.

Wenn die Amplitude der Schwingung aufgrund der Reibung kleiner wird, würde die Quantentheorie eine Abnahme der Energie in „Sprüngen" vorhersagen, deren Größe durch AE = hv — (6.63 x 10~ 34 Js)(0.50 s" = 3.3 x 1 0 - 3 4 J gegeben ist. Wir erhalten damit für das Verhältnis der Energieänderung zur Gesamtenergie: AE

3.3 x 1 0 - 3 4 J = 2 x 10~ 32 . 0.015 J

Energiemessungen mit einer derartigen Genauigkeit gibt es nicht. Die Quantensprünge dieses Oszillators wären zu klein, als daß man sie nachweisen könnte. Das Problem kann vollständig mit den Methoden der klassischen Mechanik behandelt werden, (b) Aus Gl. 49.6, der Quantisierungsregel, ergibt sich: E 0.015 J " ~ Äv = 3.3 x 10~ 34 J

=

,

.. 10 >

also eine sehr große Zahl. Das Korrespondenzprinzip drückt man daher auch in der folgenden Form aus: Aussagen der Quantentheorie müssen mit denen der klassischen Theorie für den Grenzfall großer Quantenzahlen übereinstimmen.

Der hier beschriebene Sachverhalt wurde häufig so interpretiert: Für makroskopische Oszillatoren ist eine Quantisierung der Energie nicht feststellbar. Die Planck-Konstante ist so klein, daß die diskreten Energieänderungen nicht nachgewiesen werden können.

1454

49 Licht und Quantenphysik

Genausowenig kann man mit der Bewegung seiner Hand zeigen, daß die Luft aus Molekülen besteht. In diesem Sinne könnte die Planck-Konstante, soweit es sich um klassische Systeme handelt, gleich Null gesetzt werden. Tatsächlich gelangt man von den Gesetzen und Formeln der Quantentheorie zu ihrem klassischen Grenzfall, indem man in ihnen h gegen Null gehen läßt. Mit einiger Vorsicht kann man hierin eine Analogie zur Relativitätstheorie sehen, aus der sich die Gesetze der klassischen (Newtonschen) Mechanik dadurch ergeben, daß man die Vakuumlichtgeschwindigkeit c gegen Unendlich gehen läßt.

Beispiel 3 Der klassische Grenzfall des Planckschen Strahlungsgesetzes. Abb. 49.4 läßt vermuten, daß das Plancksche Strahlungsgesetz (Gl. 49.5) für große Wellenlängen in das klassische Strahlungsgesetz von Rayleigh-Jeans übergeht. Auf welchen Ausdruck reduziert sich für X oo das Plancksche Gesetz? Setzen wir im Exponenten x = hc/XkT, so wird aus Gl. 49.5: M/A,T)=

2nc2h 5

1 , ~e*—l

(T = const.).

Geht X -*• oo, so geht x -* 0. Entwickeln wir ex nach Taylor (siehe Anhang I):

so können wir für kleine x setzen: e

x

-l»x.

Damit erhalten wir: Mx(X,T) :

2nc2h 1

fXkT\ 2nc2h {XkT\ X5

2nckT

\

Man beachte, daß in dieser Näherung großer Wellenlängen die Planck-Konstante h herausfällt. Das Ergebnis ist tatsächlich der von Rayleigh-Jeans angegebene klassische Ausdruck für die spektrale spezifische Ausstrahlung.

Warum gelangt man nun beim Übergang zu großen Wellenlängen in den Bereich der klassischen Physik? Die Antwort liegt darin, daß bei wachsender Wellenlänge die Frequenz abnimmt und damit auch das Energiequantum ( = hv) kleiner wird. Um zu entscheiden, ob man es mit einem klassischen oder mit einem quantenmechanischen Fall zu tun hat, muß man diese Energiegröße hv mit k T vergleichen, der mittleren Translationsenergie eines Teilchens bei der Temperatur T. Ist hv kT, so ist die „Quantenstruktur" der Energie nicht nachweisbar und wir befinden uns im klassischen Gebiet. Zusammenfassend halten wir fest, daß wir die Bedingung hv-^kTerfüllen, wenn v 0 oder X oo, bzw. r - > o o geht.

49.5 Energiequantisierung und die Wärmekapazität von Festkörpern

1455

49.5 Energiequantisierung und die Wärmekapazität von Festkörpern Es brauchte Jahre, bis man begann, die Energiequantisierung zu akzeptieren, für eine so radikal neue Idee kein ungewöhnliches Schicksal. Der Grund ist leicht zu sehen. Bei den Systemen, deren Energien als erste quantisiert wurden, handelt es sich um hypothetische „Oszillatoren", die Planck eingeführt hatte, um die Wände eines Hohlraumstrahlers beschreiben zu können. Tatsächlich gibt es derartig einfache eindimensionale harmonische Oszillatoren nicht. Die Atome, aus denen die Wände bestehen, haben einen wesentlich komplizierteren Aufbau. Welche Bedeutung das Konzept der Energiequantisierung hat, begann man erst nach 1907 zu erkennen, als Einstein zeigte, daß man die gleichen Vorstellungen, die beim Strahlungsproblem so erfolgreich waren, auch für die Lösung einer ganz anderen Frage anwenden konnte. Es ging dabei um die spezifische Wärmekapazität fester Körper. Wie wir sehen werden, handelt es sich in diesem Fall um die allgemein bekannten realen Atome, deren Energien zu quantisieren waren. Führt man einem festen Körper mit der Masse Meine Wärmemenge Q zu, und erfahrt er dabei eine Temperaturerhöhung AT, so definiert man die spezifische Wärmekapazität (bei konstantem Volumen) durch (vgl. Gl. 22.1): =

(49.7)

Erfolgt die Wärmezufuhr unter solchen Bedingungen, daß das Volumen des Körpers konstant bleibt, so bleiben die Abstände der Atome ungeändert, und die hinzugefügte Energie tritt allein als Schwingungsenergie der um ihre festen Gitterplätze oszillierenden Atome auf. Wählt man außerdem als Masseneinheit die molare Masse, bezieht also auf die Stoffmenge n, so hat man es beim Vergleich verschiedener Stoffe immer mit derselben Anzahl von Atomen zu tun. Man spricht in diesem Fall von der molaren Wärmekapazität Cv = Q/(nAT) (vgl. Abschn. 23.7). Tab. 49.1 gibt für einige Festkörper die molare Wärmekapazität bei Zimmertemperatur an. Man erkennt eine bestimmte Regelmäßigkeit, auf die 1819 Dulong und Petit als erste hinwiesen: Es ist die nach ihnen benannte Dulong-Petitsche Regel. Danach haben, bis auf wenige Ausnahmen, alle Festkörper eine molare Wärmekapazität von etwa 25 J/(mol K). Wesentlich darunter liegende Werte nannte man damals „anomal". Tabelle 49.1

Die molare Wärmekapazität einiger Festkörper*

Festkörper

Cv in J/mol K

Festkörper

Cv in J/mol K

Aluminium Beryllium Bismut Bor Cadmium Kohlenstoff (Diamant)

23

Kupfer Gold Blei Platin Silber Wolfram

24 25 25 25 24 24

11 25 13 25 6

* Alle Messungen wurden bei Raumtemperatur durchgeführt. Drei „anomale" Werte wurden zur Verdeutlichung nach rechts versetzt.

1456

49 Licht und Quantenphysik Grenzwert

25

0

200

400 / K

600

800

Abb. 49.7 Molare Wärmekapazitäten dreier Festkörper in Abhängigkeit von der Temperatur

In Abb. 49.7 ist die molare Wärmekapazität von Blei, Aluminium und Beryllium in Abhängigkeit von der Temperatur aufgetragen. Wir sehen, daß sich CV für alle drei Elemente bei hohen Temperaturen demselben Grenzwert nähert. Das sich Beryllium in Tab. 49.1 als „anomal" zeigt, ist einfach Ausdruck der Tatsache, daß für dieses Element die Zimmertemperatur nicht als sehr hohe Temperatur angesehen werden kann. Welche Aussagen macht die klassische Physik über die molare Wärmekapazität eines Festkörpers? In einem Festkörper sind die Atome in einem dreidimensionalen Gitter angeordnet. Jedes Atom ist durch elektromagnetische Kräfte an seinen Gitterplatz gebunden und schwingt um diese Gleichgewichtslage mit einer Amplitude, die mit wachsender Temperatur größer wird. Es verhält sich wie ein winziges räumliches Federpendel, besitzt also drei Freiheitsgrade. Der klassische Gleichverteilungssatz (vgl. Abschn. 23.8) ordnet jedem Freiheitsgrad eine (aus kinetischer und potentieller Energie bestehende) Gesamtenergie der Größe kT zu. Die stoffmengenbezogene (molare) Energie ist dann: u = (3 kT)(NA) = 3 RT,

(49.8)

worin NA die Avogadro-Konstante und R die universelle Gaskonstante bezeichnen. Wird - wie vorausgesetzt - das Volumen des Festkörpers konstant gehalten, so können wir in Gl. 49.7 Q/m durch die Änderung der molaren inneren Energie Au ersetzen. Damit ist CV = Au/AT oder im Grenzübergang:

Mit Gl. 49.8 erhalten wir schließlich: C v = ¿ ( 3 Ä 7 0 = 3 R. dT

(49.10)

49.5 Energiequantisierung und die Wärmekapazität von Festkörpern

1457

Nach der klassischen Theorie ist also die molare Wärmekapazität konstant, für alle Substanzen dieselbe und von der Temperatur unabhängig. Wegen R = 8.31 J/(mol K) ist ihr Wert Cv = 24.9 J/(mol K). Dies stimmt mit dem Grenzwert bei hohen Temperaturen sehr gut überein. Dagegen erhalten wir überhaupt keinen Aufschluß über die Veränderlichkeit bei niedrigeren Temperaturen, wie sie die Abb. 49.7 so deutlich zeigt. Welche Aussage macht nun die Quantentheorie? Einstein nahm an, daß die Energien der atomaren Oszillatoren im Festkörper nach Gl. 49.6 gequantelt sind, und ordnete jedem Oszillator eine mittlere Energie pro Freiheitsgrad zu, die jetzt nicht mehr durch hv gegeben war, sondern durch:

Dies ist derselbe Ausdruck, den Planck für die mittlere Energie der Oszillatoren beim Problem der Hohlraumstrahlung benutzt hatte. In Gl. 49.11 ist v eine dem schwingenden Atom zuzuordnende Eigenfrequenz, die Einstein als disponible Konstante offen ließ. Die molare Energie erhalten wir, indem wir diesen Ausdruck mit 3 multiplizieren, um den drei Freiheitsgraden Rechnung zu tragen, und mit der Avogadro-Konstante. Differentiation (s. Gl. 49.9) gibt dann: CV(T) = 3R(hv/kT)2

hv/kT (gftv/fcr_1)2

.

(49.12)

Das ist Einsteins Vorhersage für die molare Wärmekapazität eines Festkörpers. In Beispiel 4 zeigen wir, daß der Ausdruck bei hohen Temperaturen in den klassischen Wert 3R übergeht. In Gl. 49.12 gibt es nur einen offenen Parameter, die Oszillatorfrequenz v. Gewöhnlich erfaßt man diese in der (für den jeweiligen Stoff) charakteristischen Einstein-Temperatur 0E (= hv/k). Diese kann man so wählen, daß die Einsteinsche Gleichung die experimentellen Daten ziemlich gut wiedergibt. Kleine Abweichungen findet man für niedrige Temperaturen. Von diesen wußte man aber noch nichts, als Einstein seine Theorie vorschlug. Einstein hatte bei seiner Überlegung - wahrscheinlich absichtlich - die allzu einfache Annahme gemacht, daß die Schwingungen eines Atoms nicht von den Oszillationen seiner Nachbarn beeinflußt würden. Im Jahre 1912 verbesserte der holländische Physiker Peter Debye die Einsteinsche Theorie, indem er die Wechselwirkung der atomaren Oszillatoren mit ihrer Umgebung berücksichtigte. Abb. 49.8 zeigt für eine Reihe von Festkörpern die ausgezeichnete Übereinstimmung der Debyeschen Theorie mit dem Experiment. Dabei ist die Temperatur auf die sogenannte DebyeTemperatur 0D bezogen, die für jeden Stoff einen anderen Wert hat. Bei geeigneter Wahl dieses Werts fallen die experimentell ermittelten Punkte genau auf die theoretische Kurve. Dies ist als ein großer Erfolg der Quantentheorie anzusehen.

Beispiel 4 Die Einsteinsche Beziehung für die Wärmekapazität - klassischer Grenzfall. Man zeige, daß der von Einstein angegebene quantentheoretische Ausdruck für die molare Wärmekapazität (Gl. 49.12) für T -> oo in den klassischen Ausdruck (Gl. 49.10) übergeht.

1458

49 Licht und Quantenphysik Klassische Theorie

25
D, die für jede Substanz einen charakteristischen Wert besitzt, aufgetragen.

Setzen wir x =

hv/kT,

so können wir die Einsteinsche Beziehung in der Form schreiben: CV(T)

= 3 Rx2

(e'-l)2'

(V = const.)

Für T-* oo geht x gegen Null, so daß die Näherungen e*=l+;t+ — ...«1 2!

und

e* — 1 « x

gerechtfertigt sind. Dann wird aber: CV(T)

x (3R)x2

-^ = 3R

Das ist die Vorhersage der klassischen Physik. Wiederum „verschwindet" bei diesem Übergang die Planck-Konstante h, d. h. sie tritt in der klassischen Beziehung nicht auf. Warum sollte der Einsteinsche Ausdruck für hohe Temperaturen in die klassische Beziehung übergehen? Die Begründung ist dieselbe wie wir sie im Anschluß an das Beispiel 3 besprochen haben. Einstein machte die Voraussetzung, daß die atomaren Oszillatoren in einem Festkörper nur mit einer einzigen festen Frequenz v schwingen, die für die jeweilige Substanz charakteristisch ist. Für hohe Temperaturen wird dann hv < 1 0 " 1 9 J ) ( r 6 ^ j ) = 21eVDie Flußdichte R, mit der die Photonen auf die Platte treffen, ist dann:

Ä ^ =

4 1 X l

^

/ ( m 2 s )

= 1.9xl0^s.

Selbst bei dieser geringen Lichtintensität ( « 1 |xW/cm2) ist die Photonenrate sehr groß: In der Sekunde fallen 1010 Photonen auf 1 mm2. Es ist kein Wunder, daß wir die Quantelung des Lichts normalerweise nicht beobachten. Genauso ist wegen der geringen Größe der Atome die Teilchennatur der Materie nicht ohne weiteres festzustellen.

49.8 Der Compton-Effekt Unser erstes Beispiel für die Wechselwirkung von Strahlung und Materie war die Hohlraumstrahlung, die vor allem im infraroten Teil des Spektrums liegt. Der Photoeffekt, unser zweites Beispiel, tritt vornehmlich bei sichtbarem und ultraviolettem Licht auf. In diesem Abschnitt gehen wir auf den Compton-Effekt ein. Hier spielen sich die entscheidenden Experimente in den Bereichen der Röntgen- und der y-Strahlung ab. Den Grundgedanken des Compton-Effekts kann man leicht verstehen, wenn man sich vorstellt, daß Photonen und Elektronen wie Billardkugeln aufeinanderstoßen. Dabei müssen wir neben der Energie der Photonen auch ihren Impuls in Rechnung stellen, den wir bei unseren bisherigen Überlegungen noch nicht benötigten. Wir hatten erwähnt, daß die quantentheoretische Analyse des Problems der spezifischen Wärmekapazität fester Körper die Zeitgenossen Einsteins nicht überzeugen konnte. Das gilt auch für die von Compton vorgeschlagene Deutung des nach ihm benannten Effekts. An die Realität von Photonen, also Lichtkorpuskeln, mochte man nicht glauben. Im Jahre 1923 ließ Arthur Holly Compton (1892-1962) an der Washington University of St. Louis monochromatische Röntgenstrahlung, die Wellenlänge war also scharf definiert, auf einen aus Graphit bestehender Streuer S fallen (Abb. 49.12). Dabei wurde für verschiedene Winkel die Intensität der gestreuten Röntgenstrahlung in Abhängigkeit von der Wellenlänge gemessen. Die Ergebnisse sind in Abb. 49.13 wiedergegeben. Wir erkennen, daß die Streuintensitäten bei zwei Wellenlängen ein Maximum aufweisen, obwohl der einfallende Strahl im wesentlichen nur eine Wellenlänge X enthält. Das eine Maximum liegt bei dieser Wellenlänge, das andere bei der um einen bestimmten Betrag AI größeren Wellenlänge X. Diese sogenannte Compton- Verschiebung AX ändert sich mit dem Winkel, unter dem die gestreuten Röntgenstrahlen beobachtet werden. Beschreibt man die Röntgenstrahlung als eine elektromagnetische Welle, so kann das

1466

49 Licht und Quantenphysik einfallende Röntgenstrahlen

X II Spalte

gestreute 'Röntgenstrahlen

Kl/ v

Röntgen strahlen durch Bragg-Reflexionn

\\ Abb. 49.12 Zur Versuchsanordnung von Compton

70

75 Wellenlänge/pm

Abb. 49.13 Comptons experimentelle Ergebnisse für vier verschiedene Werte des Streuwinkels (p. (1 pm = 1 Pikometer = 10" 1 2 m).

49.8 Der Compton-Effekt

1467

Auftreten einer gestreuten Welle mit der Wellenlänge X nicht erklärt werden. In diesem Bild veranlaßt die einfallende Welle mit der Frequenz v die Elektronen im Streuer zu Schwingungen mit derselben Frequenz. Diese wirken wie kleine Senderantennen, d. h. sie strahlen elektromagnetische Wellen aus, die wiederum die Frequenz v und damit dieselbe Wellenlänge wie die einfallende Welle besitzen. Nach Compton müssen wir annehmen, daß das Röntgenlicht aus Photonen mit der Energie E(= hv) besteht, die nach Art von Billardkugeln an den freien Elektronen des Graphitblocks Stöße erfahren. Die gestreute Strahlung besteht dann einfach aus den den Streuer verlassenden „Rückstoßphotonen". Da das einfallende Photon beim Stoß an das Elektron Energie abgibt, muß das gestreute Photon eine niedrigere Energie E aufweisen, d.h. aber auch eine niedrigere Frequenz v' ( = E'/h) und damit eine größere Wellenlänge k' (= c/v'). Eine zumindest qualitative Deutung der Frequenzverschiebung wäre somit gegeben. Man beachte, wie sehr dieses Teilchenmodell der Röntgenstreuung sich von den Aussagen im Wellenbild unterscheidet. Wir wollen jetzt einen einzelnen Elektron-Photon-Stoß quantitativ untersuchen. Wir betrachten (s. Abb. 49.14) einen Stoß zwischen einem Photon und einem Elektron, von dem wir annehmen wollen, daß es anfänglich in Ruhe und nahezu frei, also nicht an die Atome des Streuers gebunden ist. Wir wenden auf diesen Stoß den Energieerhaltungssatz an. Da die Rückstoßelektronen eine Geschwindigkeit besitzen können, deren Betrag gegenüber der Lichtgeschwindigkeit nicht mehr als klein angesehen werden kann, müssen wir für die kinetische Energie des Elektrons den relativistischen Ausdruck verwenden. Die Gesamtenergie bleibt erhalten, und wir können schreiben:

Photon

•AAr»

Elektron v= 0

(fi)

(b) Abb. 49.14 (a) Ein P h o t o n der Wellenlänge X trifft auf ein ruhendes Elektron, (b) D a s Photon wird unter dem Winkel q> mit einer größeren Wellenlänge X' gestreut. Das Elektron bewegt sich danach mit der Geschwindigkeit v in die Richtung 6.

1468

49 Licht und Quantenphysik

hv = hv' + im — m0)c2. Hierin ist (s. Gl. 8.21) der zweite Term auf der rechten Seite die kinetische Energie des Elektrons nach dem Stoß, wenn m die relativistische Masse und m0 die Ruhemasse dieses Teilchens bedeuten. Setzen wir c/X für v (und c/X' für v') und ersetzen die Masse m nach Gl. 8.20, so erhalten wir: hc

hc

,/

1

A

Wir wenden uns nun dem (vektoriellen) Impulserhaltungssatz zu. Hierzu brauchen wir einen Ausdruck für den Impuls des Photons. Wie wir in Abschn. 42.2 sahen, tritt bei der Absorption einer Energie E aus einem einfallenden Lichtstrahl stets auch eine Impulsübertragung vom Betrag £/c auf das absorbierende Objekt auf. Im Korpuskelbild stellen wir uns vor, daß dieser Impuls den einzelnen Photonen zuzuordnen ist. Jedes Photon transportiert einen Impuls vom Betrag p = hv/c, wenn hv die Photonenergie ist. Mit c/v = X gilt dann: E hv h p= - = - =1. c c X

,,„ (49.19)

Der relativistische Ausdruck für den Impuls des Elektrons ist durch Gl. 9.13 gegeben: = P

m0v ] / l — (v/c)2

Für die x- bzw. die ^-Komponente erhalten wir: T = ^cosq>+ . v a A' y\

m V

°

-Wey

cos9,

0 = 4 s i n q > - , m°V sin6. X 1/1-(v/c)2

(49.20)

(49.21)

Unser Ziel ist die Bestimmung der Wellenlängen Verschiebung A/ ( = X' — A) für die gestreuten Photonen. Beim Experiment von Compton wurden die Rückstoßelektronen im Graphitblock nicht beobachtet. Von den fünf Variablen X, X', v, (p und 6 können wir zwei aus den drei Gin. 49.18,49.20 und 49.21 eliminieren. Wir wählen die Größen v und 9, die sich auf das Elektron beziehen, und gelangen von den drei Gleichungen zu einer Beziehung zwischen den verbleibenden Veränderlichen. Nach Durchführung der einzelnen Rechenschritte (s. Aufgabe 57) erhalten wir das einfache Ergebnis: AA = X' - X = — (1 - cos q>). m0c

(49.22)

Die Compton-Verschiebung AX hängt also nicht von der anfanglichen Wellenlänge X, sondern nur vom Streuwinkel q> ab. Gl. 49.22 gibt innerhalb der Meßgenauigkeit die experimentellen Ergebnisse der Abb. 49.13 richtig wieder. AX variiert zwischen dem Wert

49.8 Der Compton-Effekt

1469

Null (für

= 90°, so ergibt sich für die Verschiebung: A2 = =

m0c

(1 — cos



einfallender

|

Strahl 1

(a)

Abb. 50.7 (a) Eine Anordnung zur Erzeugung eines Beugungsmusters an einer geraden Kante (£)• (b) Das Muster auf dem Schirm P, wenn sichtbares Licht einfällt, (c) für den Fall, daß das einfallende Bündel aus Elektronen besteht.

50.3 Überprüfung der de Broglieschen Hypothese

1501

welche durch einen Elektronenstrahl hervorgerufen wurde. Ohne Zweifel haben wir es in beiden Fällen mit einer Beugungserscheinung zu tun. Heute sieht man die Wellennatur der Materie als gesichert an. Beugungsexperimente mit Elektronen- oder Neutronenstrahlen gehören zu den gebräuchlichen Untersuchungsmethoden, wenn es um die Struktur von festen Körpern oder Flüssigkeiten geht. Sie ergänzen damit die Röntgenstrahlverfahren. Elektronenstrahlen sind nicht so durchdringend wie die Röntgenstrahlung und eignen sich daher besonders für Oberflächenuntersuchungen. Darüber hinaus ist die Wechselwirkung der Röntgenstrahlen mit den Elektronen eines Targets verhältnismäßig groß, so daß die Lokalisierung leichter Atome - insbesondere von Wasserstoff - nicht leicht ist. Hier ist der Einsatz von Neutronenstrahlen günstiger, da diese vor allem mit dem Kern des Atoms in Wechselwirkung treten. So zeigt zum Beispiel Abb. 50.8 die Struktur von festem Benzol, wie sie sich aufgrund von Neutronenbeugungsuntersuchungen ergibt. Die sechs Kohlenstoffatome (durchgezogene Linien), die den bekannten Benzolring ergeben, sind ebenso zu erkennen wie die an sie gebundenen Wasserstoffatome (gestrichelte Linien).

\

\

/

Abb. 50.8 Die Atomstruktur von festem Benzol, wie sie mit Methoden der Neutronenbeugung ermittelt wurde. Der bekannte Benzolring ist deutlich zu erkennen.

Beispiel 2 Neutronenbeugung. Ein Kernreaktor stellt eine sehr effiziente „Neutronenfabrik" dar. Bringt man in der Schutzwand eines solchen Reaktors eine mit Graphit ausgefüllte zylindrische Öffnung an (Abb. 50.9), so können die Neutronen aus diesem als Kollimator wirkenden Zylinder aus dem Reaktorkern ins Labor gelangen. Durch die vielen Stöße mit den Kohlenstoffatomen sind die Neutronen mit diesen im thermischen Gleichgewicht. Diese thermischen Neutronen (auch langsame Neutronen genannt, vgl. Abschn. 55.2) haben eine kontinuierliche Geschwindigkeitsverteilung, und damit ist auch ihre de Broglie-Wellenlänge kontinuierlich veränderlich. Die Rechnung zeigt, daß der Neutronenstrahl für die Wellenlänge

X max

h 1/5mkT

1502

50 Wellennatur der Materie Reaktorinneres

Schutzwand Graphite

e

-

Abb. 50.9 Die Draufsicht einer Anordnung zur Neutronenbeugung. Die aus dem Graphitmantel austretenden Neutronen besitzen eine bestimmte Energieverteilung. Nach der Bragg-Reflexion am Kristall ist das Neutronenbündel monoenergetisch.

am intensivsten ist (m = 1,68 x 10 27 kg ist die Masse des Neutrons, k die Boltzmann-Konstante und T x 300 K die Temperatur, bei der die Neutronen im thermischen Gleichgewicht sind). a) Wie groß ist A max* Setzen wir die angegebenen Werte ein, so ergibt sich: h

6.63 x l O - 3 4 Js —

1/5(1.68 x 10" 2 7 kg)(1.38 x 10" 2 3 J/K)(300 K) = 113 pm.

(b) Der Neutronenstrahl falle auf einen Calcitkristall, der so geschnitten ist, daß die um 303 pm auseinanderliegenden Atomebenen parallel zur Kristalloberfläche sind (siehe Abb. 50.9). Für welchen Winkel 6 in bezug auf die Oberfläche entsteht ein reflektierter Strahl erster Ordnung mit der Wellenlänge X max? Man beachte, daß der Strahl erster Ordnung im Gegensatz zum einfallenden Strahl nur eine einzige Wellenlänge hat. Ein reflektierter Strahl tritt für solche Winkel auf, für die das Braggsche Gesetz erfüllt ist (s. Abschn. 47.6). Es muß also sein: nk = 2dsm6,

n= 1 , 2 , 3 , . . .

Damit erhalten wir: . . nX . (1) (113 pm) 0 = arcsin — = arcsin ———— 2d (2) (303 pm) = arcsin 0.187 = 10.8°. Ein monoenergetischer reflektierter Strahl wird für jeden Winkel 6 entstehen, falls nur der einfallende Strahl die passende Wellenlänge enthält. Maximale Intensität erhält man dagegen für einen Winkel von 10.8°. Der reflektierte Strahl ist für die Strukturuntersuchung von Festkörpern geeignet. Die in Abb. 50.8 gezeigte Benzolstruktur hat man auf diese Weise erhalten.

50.4 Wellen, Wellenpakete und Teilchen Wie wir gesehen haben, gibt es starke Anhaltspunkte dafür, daß im atomaren Bereich die Materie Welleneigenschaften aufweist. Genauso überzeugende Beweise kann man aber auch für ihren Teilchencharakter anführen. Die beiden Bilder stehen zunächst im

50.4 Wellen, Wellenpakete und Teilchen

1503

X

—I M>

(a)

(0 c

AK = 0

© c

(b)

0

0.5*0

1.0 K0

1-5*0

K

Abb. 50.10 (a) Eine harmonische Welle zur Zeit t = 0. (b) Zur Welle gehört eine eindeutige Wellenzahl

(=

o)-

Widerspruch zueinander: Während ein Teilchen in Raum und Zeit lokalisiert ist, breitet sich eine (harmonische) Welle raum-zeitlich unbegrenzt aus. Wir wollen sehen, ob wir dennoch diese beiden Vorstellungen in Übereinstimmung bringen können, indem wir durch Überlagerung von Wellen ein in Raum und Zeit abgegrenztes und damit teilchenartiges Gebilde konstruieren. Die folgenden Überlegungen gelten für jede Art von Wellen, also für Wasserwellen, Schallwellen und elektromagnetische Wellen ebenso wie für Materiewellen. 1. Räumliche Lokalisierung einer Welle. In Abb. 50.10 a sehen wir den „Schnappschuß" einer harmonischen Welle zu einem beliebigen Zeitpunkt, etwa für t = 0. Diese Welle dehnt sich von x = — oo bis x = + oo aus, hat eine scharf definierte Wellenlänge 1 0 und damit auch eine scharf definierte Wellenzahl x0 ( = 1/1 0 ), s. Abb. 50.10 b.* An dieser Welle ist nichts zu erkennen, was auf eine Lokalisierung im Raum schließen ließe und was wir mit dem Begriff „Teilchen" in Verbindung bringen könnten. Wäre, anders ausgedrückt, in Abb. 50.10 a ein Teilchen „versteckt", so wäre die Unsicherheit Ax seiner Lage auf der x-Achse unendlich groß. Wie wir in Abschn. 19.4 gesehen haben, ist es mathematisch möglich, jede nur gewünschte Wellenform zu konstruieren, indem man Sinuswellen mit den passenden Wellenzahlen, Amplituden und Phasen überlagert. Abb. 50.11 a zeigt ein Wellenpaket (oder auch Wellengruppe), das auf diese Weise entstanden sein kann. Hier werden unendlich viele harmonische Wellen so addiert, daß ein Wellenzug der Länge Ax entsteht. Außerhalb dieses Intervalls löschen sich die Wellen durch destruktive Interferenz aus. Wir haben damit eine gewisse Lokalisierung erreicht, doch enthält dieses Wellenpaket nicht nur eine Wellenzahl x 0 , sondern eine um x 0 zentrierte Verteilung von Wellenzahlen, zu denen jeweils (harmonische) Wellen mit unterschiedlicher Intensität gehören (s.Abb. 50.11b). Mit Ax (Abb. 50.11 b) bezeichnen wir das ungefähre Maß für die Breite der Verteilung * Die Wellenzahl x darf nicht mit der Kreiswellenzahl k ( = 2it/A) verwechselt werden, s. Gl. 19.9.

1504

50 Wellennatur der Materie

AAMA

(a)

- A x -

Intensität

0.5 k0

0.6 K0

0.7 K0

0.9 Kg

1.0«o

1-1*0

1.2*0

1.4 KQ

1.5 KQ

Wellenzahl * ( = 1 / X )

(b)

Abb. 50.11 (a) Ein Wellenpaket mit der Breite Ax zur Zeit t = 0. (b) Die Intensitätsverteilung der verschiedenen harmonischen Komponenten, aus denen sich das Paket zusammensetzt.

der Wellenzahlen, die an der Konstruktion des Wellenpakets der Abb. 50.11 a beteiligt sind. Wir liegen dann mit der Vermutung nicht falsch, daß diese Breite des Wellenzahlenbereichs umso größer ist, je konzentrierter das Wellenpaket, d. h. je kleiner das Intervall Ax ist. Ist wie in Abb. 50.10a die Welle unendlich ausgedehnt (Ax -»• oo), so gibt es nur eine Wellenzahl, d.h. Ax ist gleich Null. Das andere Extrem wäre ein sehr scharfes Wellenpaket (Ax 0). Hierzu gehört aber eine sehr breite Verteilung der Wellenzahlen (Ax -> oo). Allgemein wächst, wie man zeigen kann, Ax, wenn Ax kleiner wird, und umgekehrt. Dabei erweist sich der Zusammenhang als sehr einfach. Es gilt nämlich ungefähr (wir wollen hier nur den Grundgedanken erläutern und auf eine genaue Rechnung verzichten): Ax-Axxi.

(50.3)

2. Zeitliche ,,Lokalisierung" einer Welle. Ein Teilchen kann man auch hinsichtlich der Zeit „lokalisieren". Wenn wir in Abb. 50.10a die Raumvariable x durch die Zeitvariable t (und die Wellenlänge 10 durch die Periodendauer T0) ersetzen, so stellt die Kurve die zeitliche Änderung der (harmonischen) Welle in einem festen Punkt, zum Beispiel an der Stelle jc = 0, dar. Wie vorhin enthält die (harmonische) Welle keinerlei Information, die auf eine Lokalisierung (jetzt in der Zeit) und damit vielleicht auf etwas schließen läßt, dem man den Charakter eines Teilchens zuschreiben könnte. Wie beim Raum so können wir auch hinsichtlich der Zeit ein Wellenpaket konstruieren. Die Abb. 50.11 a kann dies illustrieren, wenn wir in ihr x durch t und die Wellenzahl

50.5 Die Heisenbergschen Unschärferelationen

1505

x 0 durch die Frequenz v0 ersetzen. Der Zusammenhang zwischen der Dauer At unseres neuen Wellenpakets und dem Frequenzbereich Av, der für den Aufbau dieses Pakets ungefähr gebraucht wird, ist in Analogie zu Gl. 50.3: A/-Av«l.

(50.4)

Diese Beziehung hat viele praktische Anwendungen. So erfolgt heute die Informationsübertragung, sei es beim Telefon, beim Radar, bei der Datenspeicherung in Computern oder anderswo, in Form von Impulsen. Dabei sollten die elektronischen Verstärker, durch die diese Impulse gehen, für den gesamten Bereich der Frequenzen empfindlich sein, der für den Aufbau der Impulse erforderlich ist. Nach Gl. 50.4 muß die (Frequenz-) Bandbreite des Verstärkers, wie man sich ausdrückt, umso größer sein, je kürzer der Impuls ist, und umgekehrt. Andererseits sollte jedoch diese Bandbreite nicht größer als notwendig sein, da sonst das im Übertragungskanal stets vorhandene elektronische Rauschen unnötig verstärkt würde.

Beispiel 3 Entwurf eines Radarempfängers. Eine Radaranlage sendet 0.15 ns lange Impulse mit einer Wellenlänge von 1,2 cm aus. (a) Auf welche mittlere Frequenz sollte der Empfänger abgestimmt sein? (b) Welche Bandbreite sollte er haben? (a) Die Frequenz ist 0

'

A0

=

^ i ^ s

0.012 m

= 2.5xl0lOHz

= 25GHz.

(b) Die Bandbreite erhält man näherungsweise aus Gl. 50.4:

1

1

Av « — = , = 6.7 x 106 Hz = 6.7 MHz. At 0.15 x 10 s Erstreckt sich die Empfindlichkeit des Empfängers nicht über diesen Bereich, so würde die Form des ausgesandten Radarimpulses verzerrt werden. Falls andererseits die Empfängerbandbreite wesentlich größer als der angegebene Wert ist, so würden die „Rausch"-frequenzen verstärkt und damit der Nachweis schwacher Signale erschwert.

50.5 Die Heisenbergschen Unschärferelationen Gl. 50.3 gilt für alle Arten von Wellen. Wir wenden sie auf Materiewellen an. Für die darin auftretende Größe Ax schreiben wir:

Hierbei haben wir A mit der de Broglie-Wellenlänge des Teilchens identifiziert und diese durch hjpx ersetzt. Mit dem Index weisen wir daraufhin, daß wir es mit einer Bewegung

1506

50 Wellennatur der Materie

nur in x-Richtung zu tun haben. Setzen wir das Ergebnis in Gl. 50.3 ein, so erhalten wir:

oder Apx • Ax x, h. Diese Beziehung können wir verallgemeinern, wenn wir daran denken, daß der Impuls ein Vektor ist: Apx • Ax k h, Apy • Ay x h, Apz • Az x h.

(50.5)

Die Gleichungen 50.5 stellen eine Form der Heisenbergschen Unschärfebeziehungen dar. Sie wurden im Jahre 1927 von Werner Heisenberg hergeleitet. Man kann sie folgendermaßen interpretieren: Es ist nicht möglich, gleichzeitig Ort und Impuls eines Teilchens mit unbegrenzter Genauigkeit zu bestimmen. Hiernach kann man den Ort eines Teilchens im Prinzip so genau bestimmen, wie man es nur will. Je weiter man jedoch in diese Richtung geht, umso unbestimmter wird die Angabe des Impulses, und umgekehrt. Anders ausgedrückt können korrespondierende Ungenauigkeiten, wie etwa Ax und Apx, nicht gleichzeitig Null sein. Sobald man versucht, seine Meßanordnung so zu verändern, daß die Unschärfe der einen Größe geringer wird, vergrößert sich die Ungenauigkeit der anderen automatisch so, daß das Produkt der beiden Unscharfen konstant gleich h bleibt. Wiederum tritt die Planck-Konstante auf und zeigt uns, daß wir uns im Bereich der Quantenmechanik befinden. Diese Einschränkungen haben mit praktischen Meßproblemen überhaupt nichts zu tun. Bei den Gin. 50.5 wird vorausgesetzt, daß es sich um ideale Meßinstrumente handelt. Die tatsächlichen Meßungenauigkeiten sind stets größer.* Wenn wir bei der Beschreibung von Objekten, wie zum Beispiel Elektronen, das Wort „Teilchen" verwenden, so verbinden wir damit die Vorstellung eines nahezu punktförmigen Gebildes. Dieses bewegt sich auf einer bestimmten Bahn, und sein Ort und sein Impuls sind in jedem Augenblick wohldefiniert. Eine derartige Vorstellung ist nichts weiter als eine Verallgemeinerung und Ausweitung unserer alltäglichen Erfahrungen mit Gegenständen, die wir sehen und anfassen können. Wir müssen jedoch nach allem, was wir gesagt haben, die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß ein solches Bild jenseits der durch die Unschärferelationen gesetzten Grenzen seine Gültigkeit verliert. Die Quantenwelt gehört nicht zu unserer unmittelbaren Erfahrung, und wir müssen auf neue Denkweisen vorbereitet sein.

* Das (ungefähre) Gleichheitszeichen in Gl. 50.5 wird darum oft durch ein „ > "-Zeichen ersetzt. In einigen Formulierungen steht für h auch h/2n oder h/4%. Die entscheidende Aussage besteht darin, daß das Produkt aus Orts- und Impulsunschärfe nicht gleich Null sein kann, wie man es in der klassischen Mechanik für möglich hält. Wir begnügen uns hier mit der Feststellung, daß die Größenordnung des Produkts durch die Planck-Konstante bestimmt ist, und verzichten auf weitere Details.

50.5 Die Heisenbergschen Unschärferelationen

1507

Abb. 50.12 Nicht immer ist Physik so ernst.

Beispiel 4 Ein Elektron. Ein freies 10-eV-Elektron bewegt sich mit der Geschwindigkeit 1.88 x 106 m/s in x-Richtung. Wir wollen annehmen, daß wir die Geschwindigkeit auf 1 % genau messen können. Mit welcher Genauigkeit kann man gleichzeitig den Ort des Elektrons messen? Der Impuls des Elektrons ist px = mVx = (9.11 x 10" 3 1 kg) (1.88 x 106 m/s) = 1.71 x l O " 2 4 kgm/s. Die Impulsunschärfe Apx ist dann 1.71 x 10~ 2 6 kgm/s. Für die Unsicherheit der Ortsangabe ergibt sich nach Gl. 50.5: Ax ~

h 6.63 x 10~ 3 4 Js — = —„„ r = 40nm, Ap x 1.71 x l O " 2 6 kgm/s

was ungefähr dem 200fachen eines Atomdurchmessers entspricht. Bei der gegebenen Impulsunschärfe ist eine genauere Ortsangabe für das Elektron grundsätzlich nicht möglich.

Beispiel 5 Ein Golfball. Ein Golfball habe eine Masse von 45 g und bewege sich mit einer Geschwindigkeit von 40 m/s. Diese sei mit einer Genauigkeit von 1 % gemessen. Falls es einen Sinn machte, die Unschärferelationen auf diesen makroskopischen Fall anzuwenden, wie groß wäre dann die minimale Ortsunschärfe? Wir rechnen wie in Beispiel 4 und erhalten jetzt: Ax « 4 x 10" 3 2 m. Das ist eine Länge, die etwa 10 17 mal kleiner ist als der Durchmesser eines Atomkerns. Die Unschärfebeziehungen lieferten

1508

50 Wellennatur der Materie

also bei makroskopischen Objekten für die Genauigkeit der Ortsmessung keine sinnvolle Grenze. Es wäre also unmöglich, durch die Beobachtung der Bewegung von Golfbällen auf die Unschärfebeziehungen zu stoßen (und damit letztlich auf den Doppelcharakter der Materie).

50.6 Die Unschärferelationen - ein Fallbeispiel In einem Spezialfall wollen wir uns mit den Heisenbergschen Unschärferelationen etwas genauer befassen. Wir betrachten ein Elektronenbündel, das sich mit der Geschwindigkeit v0 nach oben bewegt (Abb. 50.13), und stellen uns die Aufgabe, für ein Elektron aus diesem Bündel gleichzeitig die Position x in horizontaler Richtung und die Geschwindigkeitskomponente vx zu messen. Falls wir eine Anordnung finden, mit der wir diese beiden Größen gleichzeitig beliebig genau messen können, so hätten wir die Unschärfebeziehungen widerlegt. Zur Messung von x bringen wir in das Bündel einen Schirm A, in dem sich ein Spalt mit der Breite Ax befindet. Passiert ein Elektron diesen Spalt, so können wir sagen, daß wir die Horizontalkomponente des Elektronenorts mit der Genauigkeit Ax wissen. Durch Verengung des Spalts können wir die Meßgenauigkeit beliebig steigern. Bei diesem Vorgehen geschieht jedoch etwas, womit wir zunächst nicht gerechnet haben. Die Welleneigenschaften des Elektronenbündels führen dazu, daß das Bündel beim Durchgang durch den Spalt gebeugt wird und damit auffächert. Wenn wir in B

einfallende Welle

t Abb. 50.13 Ein auf den Schirm fallendes Elektronenbündel wird am Spalt A gebeugt. Bei enger werdendem Spalt wird die Beugungsfigur breiter, und umgekehrt.

50.6 Die Unschärferelationen - ein Fallbeispiel

1509

einen Schirm von geeigneter Empfindlichkeit aufstellen, so entsteht auf ihm das typische Interferenzmuster für den Einzelspalt. Elektronen, die die linke Hälfte dieser Beugungsfigur bilden, müssen sich (einige schneller, andere langsamer) nach links bewegt haben, die Elektronen, die die rechte Hälfte der Beugungsfigur erzeugen, müssen entsprechend nach rechts geflogen sein. Selbst wenn wegen der Symmetrie der Anordnung der Mittelwert von vx gleich Null ist, so haben doch einzelne Elektronen eine von Null verschiedene Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung. Damit ein Elektron unter dem Winkel 6 gerade im ersten Minimum der Beugungsfigur anlangt, muß es eine bestimmte Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung besitzen (s. Abb. 50.13). Wir wollen sie - etwas willkürlich - als Maß für die Geschwindigkeitsunschärfe Avx wählen. Das erste Minimum des Beugungsmusters ist durch Gl. 46.1 gegeben (sinflj = X/Ax). Wenn 6 1 genügend klein ist, so können wir sin 9 1 durch den Winkel ö x (im Bogenmaß) ersetzen, und erhalten: « X/Ax. Damit das erste Minimum erreicht wird, muß gelten: 0! «

Avjv0.

Aus diesen Beziehungen erhalten wir durch Eliminieren von 0j: Avx • Ax & Xv0. Nun ist die de Broglie-Wellenlänge X des Elektrons gleich hjp bzw. hjmv0, womit sich schließlich ergibt: Apx • Ax x h. Das ist gerade die Unschärferelation für die x-Komponente der Elektronenbewegung. Als exakt erweist sich die Übereinstimmung nur deshalb, weil wir Apx entsprechend definiert haben (s. Fußnote auf Seite 1506). Wir wollen sehen, wie sich das Unschärfeprinzip in diesem Fall auswirkt. Wenn wir die horizontale Position des Elektrons festzulegen versuchen, müssen wir den Spalt verengen. Dies führt aber zu einer Verbreiterung der Beugungsfigur, also zu einer Vergrößerung von Apx. Soll umgekehrt die Horizontalkomponente des Impulses genau bestimmt werden, so müssen wir auf irgendeine Weise die Winkelverbreiterung des Beugungsmusters verringern. Die einzige Möglichkeit hierzu ist eine Verbreiterung des Spalts, was wiederum unweigerlich eine größere Unsicherheit bei der Angabe der horizontalen Position des Elektrons zur Folge hat. Trotz vieler Bemühungen ist es nicht gelungen, eine Versuchsanordnung anzugeben, mit der man diese Beschränkungen umgehen könnte.

1510

50 Wellennatur der Materie

50.7 Eine weitere Unschärferelation Bis jetzt haben wir uns nur mit den Wellenlängen von Materiewellen befaßt und nichts über ihre Frequenzen gesagt. Nach de Broglie hängt die Frequenz v einer Materiewelle mit der Energie E des zugehörigen Teilchens über die Beziehung E = hv zusammen. Es ist die gleiche Beziehung, die Einstein angegeben hatte, als er für die Strahlung das Photonenmodell vorschlug. Setzen wir sie in Gl. 50.4 ein, so erhalten wir eine weitere Unschärferelation. Aufgrund der Einsteinschen Gleichung führt die Unschärfe in der Frequenz einer Materiewelle zu einer Energieunschärfe des zugehörigen Teilchens. Es ist danach: Av = AE/h. Setzen wir dies in Gl. 50.4 ein, so erhalten wir: AE-Atx

h,

(50.6)

womit die Unschärfen zweier anderer Größen miteinander in Zusammenhang gebracht werden. In Worten besagt Gl. 50.6: Will man während eines Zeitintervalls At die Energie E eines Systems AE = h/At.

messen,

so ist die Meßunsicherheit

wenigstens

in der

Größenordnung

So wohnt allen Energiemessungen grundsätzlich eine bestimmte Unsicherheit inne, es sei denn, es stünde für die Messung eine unendlich große Zeitspanne zur Verfügung. Bei einem Atom zum Beispiel besitzt der Grundzustand eine wohlbestimmte Energie, weil sich das Atom normalerweise unendlich lange in diesem Zustand aufhält. Dagegen sind die Energien aller angeregten Zustände weniger genau bestimmt, da das Atom - früher oder später - spontan in einen Zustand niedrigerer Energie übergehen wird. Für eine Energiemessung steht im Mittel nur eine gewisse Zeitspanne At zur Verfügung, so daß die Unsicherheit bei der Angabe des Energiewerts wenigstens in der Größenordnung h/At liegt.

Beispiel 6 Ein neues Teilchen. 1974 wurde gleichzeitig und unabhängig an den großen Beschleunigern des Brookhaven National Laboratoriums und der Stanford Universität ein wichtiges neues Teilchen entdeckt. Dieses Teilchen ist mehr als dreimal so schwer wie ein Proton. Seine Ruhemasse wurde zu 3097 MeV mit einer Unsicherheit von nur 0.063 MeV gemessen. Von einem derartig schweren Teilchen wird erwartet, daß es in extrem kurzer Zeit in leichtere Teilchen zerfällt. Wie groß ist das mittlere Zeitintervall zwischen Erzeugung und Zerfall dieses kurzlebigen Teilchens? Die Antwort ergibt sich aus der Unschärfebeziehung Gl. 50.6. Stellt man diese nach At um, so wird A/ «

h 6.63 x 10~ 3 4 Js „ _ , = ~ 7 x 10 n s 13 AE (0.063 MeV)(l .60 x 10 ~ J/MeV)

Nach gewöhnlichen Maßstäben ist dies eine sehr kurze Zeitspanne, doch waren die Experimentatoren von ihrer Länge überrascht bzw. darüber, daß die Ruheenergie so scharf definiert war. Nach der Theorie hätte dieses J/tp-Teilchen sehr viel schneller zerfallen müssen. Einem der beteiligten Physiker kam es vor, wie „wenn Cleopatra bei einer Fahrt auf dem Nil einen Kieselstein über Bord geworfen hätte, und dieser sei bis heute noch nicht einmal auf der Wasseroberfläche angekommen". Das Teilchen erwies sich als so bedeutsam, daß die Leiter der beiden Gruppen, Burton

50.8 Wellenfunktion und Schrödinger-Gleichung

1511

Richter (der es das ^-Teilchen nannte) und Samuel Ting (er wählte die Bezeichnung J-Teilchen), für seine Entdeckung 1976 den Nobelpreis bekamen. Wie hier in diesem Beispiel wird die Unschärfebeziehung Gl. 50.6 allgemein verwendet, um die Lebensdauer angeregter Zustände von Molekülen, Atomen und instabilen Elementarteilchen zu bestimmen.

50.8 Wellenfunktion und Schrödinger-Gleichung Wenn wir die Tatsache akzeptieren, daß die Materie im Bereich der Mikrophysik Welleneigenschaften zeigt, so bleibt die Frage, woraus diese Welle „besteht", durch wessen raum-zeitliches Verhalten sie konstituiert wird. Bei einer schwingenden Saite können wir die Wellenerregung durch die transversale Verschiebung y darstellen. Bei Schallwellen können wir die Druckdifferenzp wählen und bei elektromagnetischen Wellen den Feldstärkevektor E. Für Materiewellen führen wir die Wellenfunktion W ein. Dabei kann es sich um ein Proton handeln, das das evakuierte Rohr eines Teilchenbeschleunigers durchfliegt, um ein Leitungselektron in einem Kupferdraht oder aber um ein Elektron, das sich um den Kern eines Wasserstoffatoms bewegt. Kennen wir für jedes dieser Probleme die Wellenfunktion f (x, y, z, t) in jedem Raumpunkt und zu jedem Zeitpunkt, so haben wir damit auch die Information, die wir überhaupt über das betreffende Teilchen erhalten können. Bevor wir uns mit der physikalischen Bedeutung der Wellenfunktion befassen, wollen wir auf eine Frage eingehen, die mit der Strahlung und nicht mit der Materie zu tun hat. Im freien Raum breite sich eine ebene elektromagnetische Welle aus. Nach Maxwell können wir uns eine solche Welle als eine Anordnung von elektrischen und magnetischen Feldern vorstellen, die sich in Raum und Zeit ändern, oder nach Einstein als ein Bündel von Photonen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Beim ersten Bild ist die Strahlungsflußdichte (Leistung geteilt durch Fläche), mit der die Welle Energie transportiert, proportional zu E2, wobei E die Amplitude der elektrischen Feldstärke ist. Beim zweiten Bild ist die Strahlungsflußdichte proportional zur mittleren Photonenanzahldichte, wobei jedes Photon die Energie hv besitzt. Wir erkennen hier einen Zusammenhang zwischen dem Wellen- und dem Teilchenbild der Strahlung, auf den Einstein zuerst hinwies. Danach ist die elektrische Feldintensität ein direktes Maß für die mittlere Photonenanzahldichte. Hieran knüpfte Max Born an. Nach ihm soll das Quadrat der Wellenfunktion ein M a ß für die mittlere Teilchenanzahldichte des Bündels sein. N u n gibt es aber bei vielen Problemen, wie zum Beispiel der Struktur des Wasserstoffatoms, nur ein einziges Elektron. Welchen Sinn hat es dann, von einer „mittleren Teilchenanzahldichte" zu sprechen? In solchen Fällen sollte nach Born das Quadrat der Wellenfunktion* als eine Wahrscheinlichkeitsdichte interpretiert werden: Ist also dV das Volumenelement in

* Im allgemeinen ist die Wellenfunktion V eine komplexe Größe, d. h. es kommt die imaginäre Einheit i = |/— 1 ins Spiel. Unter f 2 (wir sollten genauer | *P\2 schreiben) ist dann das Quadrat des Absolutbetrages von V zu verstehen. Dieses ist stets reell. Eine physikalische Deutung erhält allein das Quadrat von KP, nicht die Wellenfunktion selbst.

1512

50 Wellennatur der Materie

einem Punkt mit den Koordinaten x, y, z, so ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Teilchen zur Zeit t in diesem Volumenelement gefunden wird, proportional zu f2dV. Wir halten fest, daß der hier geschilderte Zusammenhang zwischen der Wellenfunktion und dem ihm zugeordneten Teilchen statistisch zu verstehen ist, wir sprechen nur von der Wahrscheinlichkeit, das Teilchen in einem bestimmten Volumenelement zu finden. Auch in der klassischen Physik befaßt man sich mit Teilchen auf einer statistischen Grundlage (siehe die Kapitel 23 und 24), doch sind dort die statistischen Methoden nur Hilfsmittel, um mit großen Teilchenzahlen arbeiten zu können. In der Quantenmechanik scheint dagegen das statistische Verhalten eine durch die Unschärferelationen bestimmte Eigenschaft der Natur selbst zu sein. Diese aber setzen, wie wir gesehen haben, der Bedeutung des Begriffs „Teilchen" eine Grenze. Die Wahrscheinlichkeit dafür, das Teilchen irgendwo zu finden, muß gleich Eins sein (das entspricht der Gewißheit). Dies bedeutet: f 2 dV = 1

(Normierungsbedingung),

(50.7)

wobei die Integration über den gesamten Raum erfolgt. Eine Wellenfunktion zu normieren heißt, sie mit einem Faktor so zu multiplizieren, daß die Gl. 50.7 erfüllt ist. Es ergibt sich somit eine offensichtliche Frage: Wenn die Wellenfunktion die gesamte Information enthält, die wir über ein Teilchen haben können, wie können wir sie dann für ein gegebenes Problem ermitteln? Saitenschwingungen und Schallwellen gehorchen letztlich den Gesetzen der Newtonschen Mechanik. Elektromagnetische Wellen unterliegen den Maxwellschen Gleichungen. Welcher Gleichung genügt die Wellenfunktion? Angeregt vom Konzept der de Broglieschen Materiewellen entwickelte im Jahre 1926 Erwin Schrödinger folgenden Gedankengang: Die geometrische Optik handelt von Strahlen und der Bewegung des Lichts entlang gerader Linien. Sie erwies sich dann als ein Spezialfall der viel allgemeineren Wellenoptik. Auch die Newtonsche Mechanik kennt „Strahlen " (die Trajektorien) und die geradlinige Bewegung (vonfreien Teilchen). Könnte auch sie sich als Spezialfall einer allgemeineren - aber bis jetzt noch nicht entdeckten Wellenmechanik erweisen? Auf der Grundlage dieser Analogie entwickelte Schrödinger seine Theorie. In ihrem Zentrum steht die Schrödinger-Gleichung, die für eine große Anzahl von Problemen das raum-zeitliche Verhalten der Wellenfunktion W regiert. Die Schrödinger-Gleichung ist die Grundlage der Atomphysik, so wie es die Newtonsche Bewegungsgleichung in der klassischen Mechanik oder die Maxwellschen Gleichungen in der Elektrodynamik sind.* Im folgenden Abschnitt werden wir ein wichtiges Problem wellenmechanisch behandeln. Es geht dabei um ein Teilchen, daß sich in einem Potentialtopf befindet, aus dem es nie herauskommen dürfte.

Die Schrödinger-Gleichung für ein Teilchen der Masse m, das sich in einem Potentialfeld U bewegt, ist eine partielle Differentialgleichung. Für eine eindimensionale Bewegung längs der jc-Achse lautet sie:

h2 d2w(x, t) ~2m

9x

2

ow(x, t) +

^'Qvfr'fl

=

frj"^

50.9 Ein Teilchen in einem Potentialtopf

1513

50.9 Ein Teilchen in einem Potentialtopf Wir betrachten ein Teilchen - es soll sich um ein Elektron handeln das durch äußere Kräfte gezwungen wird, sich in einem Raumbereich von endlicher Ausdehnung aufzuhalten. Atome sind Beispiele für derartige Elektronenfallen. Wir wollen nur den eindimensionalen Fall behandeln und von der Vorrichtung ausgehen, wie sie in Abb. 50.14a skizziert ist. Es ist eine makroskopische Anordnung, die heutige Technologie erlaubt aber die Herstellung von festen „Topfstrukturen", bei denen die Ausdehnung l aus Abb. 50.14 a nur wenige Atomdurchmesser beträgt. Derartige Strukturen werden in der Praxis häufig verwendet, so zum Beispiel bei der Lichtwellenübertragung oder als optische logische Schalter. Abb. 50.14b zeigt den zur Anordnung in Abb. 50.14a gehörenden Potentialverlauf U(x). Solange sich das Elektron im Innern des Topfes aufhält, ist es kräftefrei. Sobald es jedoch an die beiden Wände gerät, erfahrt es eine starke, nach innen weisende Kraft (nach Gl. 8.7 ist diese gleich — dU/dx). Ist die Gesamtenergie £ des Elektrons kleiner als U0, so kann das Elektron nach der klassischen Mechanik den inneren Bereich nicht verlassen. Es ist im Potentialtopf gefangen. y 1

(a) U(x)

u)

(b) Abb. 50.14 (a) Eine Anordnung, mit der ein Elektron in einem Bereich der Länge / auf der x-Achse eingeschlossen werden kann, (b) D a s Potential U(x) des Elektrons in Abhängigkeit von seiner Lage. In der Praxis sind die Ecken der Kurve etwas abgerundet und die „senkrechten" Wände leicht nach außen geneigt.

1514

50 Wellennatur der Materie

Unsere Aufgabe ist es, die Bewegung des Elektrons in diesem Potentialtopf in der Sprache der Wellenmechanik zu beschreiben. Damit begeben wir uns bereits an die Lösung des Wasserstoffproblems, da sich auch beim Wasserstoffatom das Elektron in einem Potentialtopf befindet. Dieser hat allerdings eine andere Gestalt als die in Abb. 50.14b angegebene. Da wir es mit einem eindimensionalen Problem zu tun haben, hängt die Wellenfunktion außer von der Zeit t nur noch von x ab. Weiter setzen wir voraus, daß die Wellenfunktion in faktorisierter Form geschrieben werden kann: V(x,t)

=

(50.8)

V(x)F(t),

worin der erste Faktor die räumliche Abhängigkeit der Wellenfunktion und der zweite ihre Zeitabhängigkeit beschreibt*. In diesem Buch werden wir uns ausschließlich für das räumliche Verhalten der Wellenfunktion interessieren, also hier für ip (x). Als erstes betrachten wir den Fall, daß der Potentialtopf unendlich tief ist, d. h. daß U0 -»• oo. Es zeigt sich, daß in diesem Fall die Schrödinger-Gleichung mathematisch genau dieselbe ist wie die klassische Differentialgleichung für eine Saite der Länge /, die an ihren Enden fest eingespannt ist. Wenn wir also die Lösung dieser Gleichung kennen, brauchen wir lediglich die Auslenkung >>(x) der schwingenden Saite durch die Wellenfunktion \p (x) zu ersetzen. In Abschn. 19.3 sahen wir, daß bei einer unendlich langen Saite Wellen mit einer beliebigen Wellenlänge möglich sind. Hat die Saite dagegen eine endliche Länge / und ist an ihren Enden fest eingespannt, so existieren (s. Abschn. 19.9) nur für eine diskrete Folge von Wellenlängen Lösungen (d.h. stehende Wellen wie in Abb. 19.17). Man beachte, wie die örtliche Verteilung der Saitenbewegung unmittelbar zur (klassischen) Quantisierung dieser Bewegung führt. Für eine gespannte Saite der Länge l sind die Wellenlängen erlaubt, für die gilt: = ^

» = 1,2,3,...

(50.9)

Nur dann nämlich sind an den Enden der Saite Knoten, d. h. Punkte möglich, in denen sich die Saite nicht bewegt. Die Auslenkung ist dann in einem beliebigen Punkt der Saite (s. Gl. 19.18 b): yn(x)

= y

sin k„x

0 < x < /,

worin kn die Kreiswellenzahl 2nß„ und y die Amplitude der Saitenschwingung bedeuten. Für x < 0 und für x > 0 ist die Auslenkung y(x) = 0. Wir erhalten somit: yn{x) = y sin ^

n = 1, 2, 3, ...

(50.10)

Wie es sein muß, ist y„(x) an den Stellen x = 0 und x = l für jedes n gleich Null. Abb. 50.15 * Diese Voraussetzung ist für fast alle quantenmechanischen Probleme gerechtfertigt. F(t) erweist sich als eine komplexe Größe, deren Absolutbetrag gleich Eins ist. Damit sind dann bei den von uns behandelten Problemen ¡V]2 und \ip\2 identisch.

50.9 Ein Teilchen in einem Potentialtopf

1515

71 = ^Tl 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 i N l Abb. 50.15 Die Abbildung stellt sowohl die Schwingungen einer gespannten Saite (s. Gl. 50.10), als auch die Wellenfunktion eines Elektrons im Potentialtopf dar. Gezeigt werden die drei niedrigsten Zustände sowie ein höherer.

zeigt die Bilder von yn(x) für die drei niedrigsten Schwingungsmoden sowie für einen höheren Modus. Gehen wir zu unserem ursprünglichen Problem über, so können wir wegen Gl. 50.1 für den Impuls des Elektrons in einem unendlich tiefen Potentialtopf schreiben: Pn =

h nh I = 2 i '

n = 1, 2, 3, ...,

wobei wir die Wellenlänge aus Gl. 50.9 mit der de Broglie-Wellenlänge des Elektrons identifiziert haben. Da das Elektron nur kinetische Energie besitzt, bekommen wir weiter: =

2m„

=

8mj2'

« = 1,2,3,...,

(50.11)

worin me die Elektronenmasse bedeutet und n sich als eine Quantenzahl darstellt: Die Energie des eingefangenen Elektrons ist quantisiert. Zur Wellenfunktion für das Elektron gelangen wir, indem wir in Gl. 50.10 >>„(*) durch tp n (x) ersetzen. Somit sind die Kurven in Abb. 50.15 auch die Bilder der Wellenfunktionen für die verschiedenen stationären Zustände des Elektrons. Uns interessiert aber das Quadrat der Wellenfunktion, weil dieses uns sagt, wo das Elektron wahrscheinlich zu finden ist. Mit Gl. 50.10 ist das Quadrat der Wellenfunktion (oder die Wahrscheinlichkeitsdichte Pn(x), wie wir im folgenden sagen werden): pn(x) = t p l ( x ) = A„ sin 2 (nnx/l).

(50.12)

1516

50 Wellennatur der Materie

Abb. 50.16 Die durchgezogenen Kurven zeigen die Wahrscheinlichkeitsdichte P(x) für vier verschiedene Werte der Quantenzahl n. Man vergleiche dies mit Abb. 50.15, in der die Wellenfunktionen für diese vier Fälle dargestellt ist. Die gestrichelten Kurven geben die Vorhersagen der klassischen Physik wieder.

An ist dabei eine Konstante. Für die vier erlaubten Zustände aus Abb. 50.15 zeigt Abb. 50.16 den Verlauf von Pn(x). Mit der Angabe der Energien (Gl. 50.11) und der Wahrscheinlichkeitsdichten (Gl. 50.12) ist das Problem des unendlich tiefen Potentialtopfes im wesentlichen gelöst. Wir wollen hier aber noch auf drei Gesichtspunkte genauer eingehen. 1. Das Elektron kann im Potentialtopf nicht im Zustand der Ruhe sein. Der Zustand mit der niedrigsten Energie, der Grundzustand des Elektrons, gehört zur Quantenzahl n = 1. Die niedrigste Energie ist größer als Null. Dieses überraschende - weil klassisch überhaupt nicht zu erwartende - Ergebnis ist eine unmittelbare Folge des Unschärfeprinzips. Dies erkennen wir, wenn wir die Orts- und Impulsunschärfe für das Elektron abschätzen. Für die Ortsunschärfe nehmen wir näherungsweise an, daß sie gleich der Breite / des Potentialtopfes ist: Ax x l. Was läßt sich über die Unschärfe des Impulses sagen? Zunächst könnte man vermuten, daß dieser im Grundzustand deswegen wohlbestimmt ist, weil nach Gl. 50.11 die Energie einen wohlbestimmten Wert hat (man müßte diese Gleichung nur nach p t umstellen). Bei dieser Überlegung bliebe jedoch der Vektorcharakter des Impulses unberücksichtigt. Durch Gl. 50.11 ist allein der Betrag des Impulses eindeutig gegeben, während man über seine Richtung nichts weiß. Wenn bei der Hin- und Herbewegung des Elektrons zwischen den Potentialwänden der Impuls gemessen würde, so würde man mit gleicher Wahrscheinlichkeit die Werte + px wie — px finden. Als ein grobes Maß für die Impulsunschärfe kann man darum Apx x px — ( — px) = 2px wählen. Die Unschärferelation Gl. 50.5 liefert dann: Apx • Ax x h

oder

was für den Impuls ergibt:

(2p x ) • (/) « h,

50.9 Ein Teilchen in einem Potentialtopf

1517

Px*hßl. Da die Gesamtenergie des Elektrons in unserem Fall gleich der kinetischen Energie ist, erhalten wir mit diesem Wert für den Impuls:

2me

8 mf

Das ist genau der Ausdruck, der sich ergibt, wenn wir in Gl. 50.11 für n = 1 setzen. Es liegt an der von uns getroffenen Definition von Ax und Ap x , daß die Übereinstimmung exakt ist, siehe die Fußnote auf Seite 1506. Wir erkennen, daß diese sogenannte Nullpunktsenergie eine direkte Folge der Unschärfebeziehungen ist. 2. Das Elektron hält sich in bestimmten Bereichen des Potentialtopfes länger als in anderen auf. Wir haben es hier mit einem eindimensionalen System zu tun. Das Volumenelement reduziert sich zu einem Linienelement, so daß Pn(x)dx die Wahrscheinlichkeit dafür ist, das Elektron im Intervall von x bis x + dx zu finden. Die Abb. 50.16 zeigt, daß man im Grundzustand (n = 1) das Elektron mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit in der Mitte des Potentialtopfes finden wird als an seinen Rändern. Wiederum steht dieses Ergebnis in scharfem Widerspruch zu den Aussagen der klassischen Mechanik. Nach der klassischen Theorie sollten die Positionen innerhalb des Topfes alle gleich wahrscheinlich sein, wie wir es in Abb. 50.16 durch die horizontalen Linien andeuten. Übrigens hat, wie es die Normierungsbedingung Gl. 50.7 verlangt, die Fläche unter der quantenmechanischen wie unter der klassischen Kurve jeweils den Wert Eins. Für Zustände mit höheren Quantenzahlen - also mit höherer Energie - wird die Verteilung des Elektrons über den Potentialtopf immer gleichmäßiger, und das quantenmechanische Ergebnis geht in die klassische Vorhersage über, so wie es das Korrespondenzprinzip erfordert. Man könnte es als störend empfinden, daß es auch bei großen Quantenzahlen noch Punkte gibt, für die die Wahrscheinlichkeitsdichte gleich Null ist. Wie kann ein Elektron durch solch einen Punkt gelangen? Im Wellenbild tritt eine derartige Schwierigkeit nicht auf. Hier sind diese Punkte einfach die Schwingungsknoten von stehenden Wellen (siehe etwa die Abb. 19.17). Wenn wir andererseits das Elektron als Teilchen behandeln, so ist das nur in den von den Unschärferelationen gegebenen Grenzen erlaubt. Es zeigt sich (s. Aufgabe 35), daß die Unsicherheit der Position des Elektrons ungefähr gleich dem Abstand zweier benachbarter Knoten in dem betreffenden Zustand ist. Damit ist der Begriff des „Teilchens" so unscharf definiert, daß sich die aufgeworfene Frage als gegenstandslos erweist.

3. Das Elektron kann aus dem Potentialtopf gelangen. Wenn wir den realistischeren Fall behandeln, bei dem der Potentialtopf von endlicher Tiefe ist, so stoßen wir auf eine weitere Überraschung. In Abb. 50.17 vergleichen wir zwei Töpfe mit derselben Breite ( = 2 x 10 ~ 1 0 m, die ungefähre Größe eines schweren Atoms), von denen der eine unendlich tief ist und der andere nur eine Tiefe von 20 eV aufweist. Um die erlaubten Energien und die zugehörigen Wahrscheinlichkeitsdichten für ein Potential mit endlicher Tiefe zu finden, müßte man auf die strenge Behandlung der Schrödinger-Gleichung eingehen. Ohne Beweis führen wir hier nur die Ergebnisse für den Grundzustand an. In Abb. 50.17 ist angegeben, daß die Energie des Grundzustands für den Topf mit endlicher Tiefe wesentlich geringer ( = 4.45 eV) ist als die für den unendlich tiefen Topf ( = 9.41 eV). Wir können dies mit einem Blick auf die Bilder der Wahrscheinlichkeits-

1518

50 Wellennatur der Materie

,

(a)

endlich tiefer Potentialtopf

(b)

Abb. 50.17 Ein unendlich tiefer und ein endlich tiefer Potentialtopf ( = 20 eV). Beide haben dieselbe Breite / ( = 2 x 10" 1 0 m). Es werden die Energien El und die Wahrscheinlichkeitsdichten P(x) für die Grundzustände verglichen.

dichten in Abb. 50.17 erklären. Für den unendlich tiefen Topf paßt genau eine halbe de Broglie-Wellenlänge zwischen die Wände. Für den endlich tiefen Topf dagegen ist die entsprechende de Broglie-Wellenlänge zu groß, als daß sie in den Topf könnte; sie erstreckt sich auch außerhalb der Wände. Wenn aber für das endliche Potential die de Broglie-Wellenlänge größer ist, so muß der Impuls ( = h/X) kleiner sein. Damit ist aber auch die Energie geringer. Die (exponentiell abfallenden) Teile der Wahrscheinlichkeitskurve außerhalb des Topfes (Abb. 50.17 b) bedeuten, daß es eine von Null verschiedene Wahrscheinlichkeit dafür gibt, das Elektron auch außerhalb des Topfes zu finden. Diese Kurve wurde gemäß Gl. 50.7 so normiert, daß die Fläche unter ihr den Wert Eins hat. Die Fläche unter den Kurventeilen außerhalb des Topfes hat den Wert 0.074. Mißt man also den Ort des Elektrons, so findet man es in 7.4% der Fälle außerhalb der Potentialwände. Wie kann ein Elektron, dessen Gesamtenergie nur 4.45 eV beträgt, durch eine Potentialwand von 20 eV Tiefe gelangen? Klassisch ist das unmöglich. Es wäre etwa so, wie wenn ein Gummibärchen in einer geschlossenen Schachtel steckte, und dieses Bärchen würde sich manchmal (also nicht immer) außerhalb der Schachtel materialisieren. Einen

50.9 Ein Teilchen in einem Potentialtopf

1519

derartigen Vorgang als „unmöglich" zu bezeichnen, ist sicher angebracht. Elektronen sind jedoch keine Gummibärchen. Ihr Verhalten ist klassisch nicht zu erklären, da sie den quantenmechanischen Gesetzen unterliegen. Wie kann man dieses Quantenphänomen verstehen? Wiederum hilft uns das Unschärfeprinzip. Beim unendlich tiefen Potentialtopf hatten wir angenommen, daß die Ortsunschärfe für das Elektron im Innern dieses Topfes ungefähr gleich der Breite / des Topfes war: Ax « l. Hieraus ergab sich für die Impulsunschärfe Apx « 2 p x . Für ein endliches Potential ist - wie wir eben gesehen haben - der Impuls des Elektrons kleiner als für den Fall des unendlich tiefen Potentials. Dann muß aber die Ortsunschärfe im Grundzustand größer sein. Damit ist aber bei einem endlichen Potential die Unsicherheit fiir den Ort des Elektrons größer als die Breite des Topfes, und wir sollten nicht überrascht sein, wenn wir das Elektron von Zeit zu Zeit auch außerhalb des Topfes finden.

Beispiel 7 Ein Elektron in einem Potentialtopf. Wir betrachten ein Elektron, daß durch elektrische Kräfte in einen unendlich tiefen Potentialtopf mit der Breite / = 100 pm eingeschlossen ist (das entspricht grob dem Durchmesser eines Atoms). Welche Energien ergeben sich für die drei niedrigsten Zustände und welche Energie für den Zustand zu n = 15? Aus Gl. 50.11 erhalten wir mit n = 1: h> (6.63 x 10" 3 4 Js) 2 K> 8mf (8)(9.11 x 10~ 31 kg)(100 x 10~ 12 m) 2 18 = 2.28 x 10" J = 14.2 eV. Die Energien der anderen Zustände (n = 2, 3 und 15) sind 2 2 xl4.2eV, 3 2 x l 4 . 2 e V und 152 x 14.2 eV bzw. 56.8 eV, 128 eV und 3200 eV.

Beispiel 8 Ein eingeschlossenes Staubteilchen. Wir betrachten ein Staubteilchen mit einer Masse von 1 |xg, das sich zwischen zwei Wänden mit einem Abstand von 0.1 mm hin und her bewegt. Dies geschieht so langsam, daß das Teilchen für das einmalige Zurücklegen dieser Strecke 100 s braucht. Welche Quantenzahl würde zu dieser Bewegung gehören? Die Energie des Teilchens ist: £ k = ' m i ) 2 = i ( l x 1 0 - 9 kg)(l x 1 0 - 6 m/s)2 = 5 x l 0 " 2 2 J. Löst man nach n auf, so ergibt sich: n = | / 8 mE = |/(8)(10 - 9 kg)(5 x 10" 2 2 J)[(l x 10~4 m)/(6.63 x 10" 3 4 Js)] « 3xl014.

1520

50 Wellennatur der Materie

Das ist eine sehr große Zahl. Es ist unmöglich, experimentell zwischen « = 3 x l 0 1 4 und n = 3 x 10 14 + 1 zu unterscheiden. Deshalb wäre eine Quantennatur bei dieser Bewegung nie feststellbar. Bei einem Vergleich mit dem vorhergehenden Beispiel sehen wir, daß das Staubteilchen trotz seiner geringen Masse und Energie gegenüber dem Elektron immer noch als ein makroskopisches Objekt behandelt werden muß. Selbst wenn die Quantenmechanik auf dieses Teilchen anwendbar wäre, so erhielten wir Ergebnisse, die sich von denen der klassischen Physik nicht unterscheiden würden: Wir wären im Gültigkeitsbereich des Korrespondenzprinzips.

Beispiel 9 Normierung der Wahrscheinlichkeitsdichte. Man bestimme die Normierungskonstante A„ in Gl. 50.12. Für das hier vorliegende eindimensionale Problem lautet die Normierungsbedingung (s. Gl. 50.7):

i

'p„(x)ch: = 1, o

worin / die Breite des Potentialtopfes angibt. Nach Einsetzen von P„(x) aus Gl. 50.12 erhält man: sin2 ( ^ y j xdx = 1.

A„

(50.13)

Dieses Integral ist leicht auszuwerten, wenn man eine neue Variable substituiert. Man setzt: 6-

(

nn\

Es wird dann: / / \

/n\

(\\

""

0

= 1.

Hieraus ergibt sich schließlich für An: An = 2II. Die Normierungskonstante hängt also nicht von n ab und ist für alle Zustände des Systems dieselbe.

Beispiel 10 Wo hält sich das Elektron auf? Ein Elektron sei in einem unendlich tiefen Potentialtopf der Breite / eingeschlossen. Wie groß ist der Zeitanteil, bei dem sich das Elektron im mittleren Drittel des Topfes aufhält? Die Wahrscheinlichkeitsdichte für den Grundzustand, d.h. für n = 1, ist nach Gl. 50.12 und unter Berücksichtigung des Ergebnisses aus dem vorangegangenen Beispiel: ?l{x) =

(?)

Si 2

" (?)

50.10 Das Wasserstoffatom

1521

Integrieren wir dies über die gesamte Topfbreite, so erhalten wir den Wert Eins. Wir suchen die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für das Intervall von //3 bis 21 ß:

f

/2\ f 2 '/ 3

f2'/3

sin2

=L

/n\

v)xdx

Die Auswertung (wie im vorangegangenen Beispiel) ergibt: / = 0.61. Im Grundzustand verbringt also das Elektron 61 % der Zeit im mittleren Drittel des Topfes und etwa 2 0 % in den beiden äußeren Dritteln (0.20 + 0.61 + 0.20 « 1). N a c h der klassischen Physik müßte sich das Elektron in jedem Drittel der Potentialbreite genau ein Drittel der Zeit aufhalten. Man vergleiche dieses Ergebnis noch einmal mit der Bildkurve für die Wahrscheinlichkeitsdichte im Grundzustand (Abb. 50.17).

50.10 Das Wasserstoffatom Bei den beiden im vorstehenden Abschnitt behandelten Beispielen war das Problem durch die Angabe des Potentialverlaufs festgelegt. Beim Wasserstoffatom ist die Wechselwirkung zwischen dem Elektron und dem Proton (als Atomkern) durch das Coulombsche Gesetz gegeben. Die zugehörige Potentialfunktion hatten wir in Kapitel 29 kennengelernt. Nach Gl. 29.13 gilt: l _ e

2

E0

(50.14)

r ist hierin der Abstand zwischen Elektron und Proton. Setzt man diesen Ausdruck für das Potential in die Schrödinger-Gleichung ein, so erhält man nach Ausführung der nötigen mathematischen Schritte eine Beziehung für die Energien der erlaubten stationären Zustände und für die Wellenfunktionen, die diese Zustände beschreiben. Es stellt sich dabei heraus, daß die Beziehung für die Energieniveaus exakt mit dem Ausdruck übereinstimmt, den Bohr mit seiner Theorie hergeleitet hatte. Wir wollen uns auf den Grundzustand des WasserstofFatoms konzentrieren, d. h. auf den Zustand mit der niedrigsten Energie. Die Wellenfunktion für den Grundzustand hängt nur vom Abstand r zwischen Elektron und Proton ab. Sie lautet: tp(r) = ^ L = e - " " ° ,

(50.15)

wobei a0 den Bohr-Radius bezeichnet. Diese Wellenfunktion zeigt also Kugelsymmetrie, sie hängt nur vom Betrag des Ortsvektors r und nicht von seiner Richtung ab. Das ist deshalb nicht überraschend, weil das Coulomb-Potential diese Symmetrie ebenfalls besitzt. Das Atom sieht also im Grundzustand wie eine Billardkugel nach allen Richtungen gleich aus.

1522

50 Wellennatur der Materie

Quadrieren wir die (reelle) Wellenfunktion, so erhalten wir die Wahrscheinlichkeitsdichte. v 2 ( r ) d F g i b t die Wahrscheinlichkeit an, das Elektron in einem Volumenelement zu finden, dessen Lage durch den Ortsvektor r gegeben ist. Wir erhalten: rp2(r) = ^ e - 2 r / a o . naf,

(50.16)

In Abb. 50.18 a wird diese statistische Verteilung des Elektronenorts durch eine „Punktwolke" um den Atomkern mit nach außen abnehmender Dichte veranschaulicht. Zusätzlich ist ein Kreis mit dem Bohr-Radius eingezeichnet. Für die Angabe des Elektronenorts ist eine andere Größe, die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte Pr(r), nützlicher. Diese ist so definiert, daß Pt(r)dr die Wahrscheinlichkeit dafür angibt, daß man das Elektron in einer Kugelschale mit den Radien r und r + dr findet. Das Volumen dieser Schale ist 4nr2dr, so daß wir schreiben können: PT(r)dr = rp2(r)dV =

ip2(r)(4nr2)dr,

was mit Gl. 50.17 schließlich ergibt: Pr(r) =

V

2

(r) (4nr2) = 4 r 2 e " 2r ' a °. «o

(50.17)

Den Verlauf zeigt Abb. 50.18 b. Das Maximum von PT(r) liegt gerade bei r = a0 (siehe Beispiel 11). In der Wellenmechanik sprechen wir nicht mehr von einer Bahn, die das Elektron um den Kern beschreibt und deren Radius im Grundzustand gleich a0 ist. Vielmehr sagen wir, die Wahrscheinlichkeit, das Elektron in diesem Abstand vom Kern zu finden, ist größer als für irgendeinen anderen Abstand, sei er größer oder geringer. In der Abb. 50.18 b ist zusätzlich der sogenannte 90%-Radius eingetragen. Er bestimmt eine Kugel um den Kern, in der man bei Ortsmessungen das Elektron mit einer Wahr-

te.)

(b)

Abb. 50.18 (a) Veranschaulichung der Wahrscheinlichkeitsdichte für den Grundzusumd des Wasserstoffatoms als „Punkthaufen", Gl. 50.16. (b) Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte, Gl. 50.17. Das Dreieck markiert die Lage des Maximums bei r — a0. Die mit 90% bezeichnete Linie verweist auf den Radius der 90 %-„Wahrscheinlichkeitskugel".

50.11 Der Tunneleffekt

1523

scheinlichkeit von 90% antreffen kann. Die Wahrscheinlichkeit dafür, das Elektron außerhalb dieser Kugel zu finden, beträgt dann nur 10%. Die Frage nach der Größe des Wasserstoffatoms ist demnach nicht mehr so einfach zu beantworten. Zwar könnte man dafür den Bohr-Radius angeben, doch würde man bei Messungen des Elektronenorts in 68 % der Fälle (s. Aufgabe 46) dieses in einem größeren Abstand vom Kern finden. Zweckmäßiger ist die Angabe der „90 %-Wahrscheinlichkeitskugel". Diese hat einen Radius von 2.7 a0. Eine genauere Antwort ist grundsätzlich nicht möglich. Die Wellenmechanik löst auch ein anderes Problem, das in der klassischen Physik nicht erklärt werden konnte. Es geht hierbei um die Frage, weshalb ein Atom in seinen stationären Zuständen nicht strahlt und somit seine Energie behält. Wir erinnern uns, daß Bohr die Existenz derartiger stationärer Zustände einfach postuliert hatte. Im Wellenbild erscheint das Atom als eine Wahrscheinlichkeitswolke (um den Kern). Sieht man diese als eine kontinuierliche Verteilung bewegter Ladungselemente an, so kann man zeigen, daß diese nicht nach außen strahlt, also der Zustand stabil bleibt.

Beispiel 11 Wo hält sich das Elektron am wahrscheinlichsten auf? Man zeige, daß das Maximum der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte bei r = a0 liegt (a0 ist der Bohr-Radius). Man kann die Rechnung etwas vereinfachen, indem man r durch die Größe a0x ersetzt (x ist dann eine dimensionslose Variable). Die Beziehung Gl. 50.17 lautet dann: PT(r)dr = Pr(x)dx =

4x2e~2xdx.

Differentiation ergibt (man beachte die Produktregel): dPJdx = 4x2e~2x(— 2) +

4e'2x(2x)

= 8x(l — x)e~2x. Die notwendige Bedingung für das Vorliegen eines Maximums ist das Verschwinden dieser Ableitung. Wir erhalten tatsächlich x = 1, also r = a0, denn wie wir am Kurvenverlauf (Abb. 50.18b) erkennen, liegt für x = 0 und für x -» oo kein Maximum vor.

50.11 Der Tunneleffekt In Abschn. 50.9 sahen wir, daß für ein in einen Potentialtopf (von endlicher Tiefe) eingeschlossenes Elektron die Wahrscheinlichkeit von Null verschieden war, es bei einer Ortsmessung auch außerhalb dieses Topfes zu finden. Ein hiermit verwandtes quantenmechanisches Phänomen ist die Durchquerung einer Barriere, die im klassischen Sinn für das Teilchen undurchdringlich sein sollte. Dieser Tunneleffekt tritt wiederum nur bei Elektronen und anderen leichten Teilchen auf. Er hat große praktische Bedeutung. Abb. 50.19 a zeigt eine solche Barriere, also einen (Potential-)Wall mit der Höhe U0 und der Dicke /. Von links nähert sich ein Elektron mit der Gesamtenergie E. Klassisch gesehen würde das Elektron unter Erhalt seiner Energie am Wall reflektiert werden, weil

1524

50 Wellennatur der Materie

m ••H • 6 10 CD>

CD 6) & c£J ß U

l-

» *—-Ä

• l'i>

4 t

(a)

mm • Q

l

X

(b) Abb. 50.19 (a) Ein Teilchen mit der Gesamtenergie E trifft auf einen Wall der Höhe U0. I (Amplitude gleich Eins) repräsentiert das einfallende Teilchen, R und T sind der Reflexions- bzw. der Transmissionskoeffizienten. (b) Der Verlauf der Wahrscheinlichkeitsdichte P(x).

E< U0 ist. Die Wellenmechanik sagt dagegen voraus, daß es dem Elektron möglich ist, den Wall zu „durchtunneln" und seinen Weg nach rechts fortzusetzen. Zur Beschreibung dieses Vorgangs führt man den Reflexionskoeffizienten R und den Transmissionskoeffizienten T ein, wobei die Summe dieser beiden Größen gleich Eins ist. Ist zum Beispiel T = 0.05, so würden im Mittel von 100 Elektronen fünf den Wall passieren, während die anderen 95 reflektiert würden. Abb. 50.19 b gibt die Wahrscheinlichkeitsdichte für diesen Vorgang wieder. Links vom Wall hat die reflektierte Materiewelle eine kleinere Amplitude als die auf den Wall einfallende Welle, so daß es keinen Punkt gibt, bei dem die Auslöschung vollständig ist. Innerhalb der Barriere fallt die Welle exponentiell ab (so wie sie es außerhalb des Potentialtopfes in Abb. 50.17 b tat). Rechts vom Wall ergibt sich eine fortschreitende Welle mit reduzierter Amplitude. Aus der Schrödinger-Gleichung können wir herleiten, daß der Transmissionskoeffizient gegeben ist durch Txe~2kl,

(50.18)

worin k eine Abkürzung ist für h = j / ^ ^ o ~

^

Diese Beziehung ist nur eine Näherung für Wälle, die entweder so hoch und/oder so dick sind, daß der Transmissionskoeffizient Tklein ist (T 1). Gl. 50.18 zeigt aber bereits die wesentlichen Züge des Tunneleffekts.

50.11 Der Tunneleffekt

1525

Der Wert des Transmissionskoeffizienten hängt empfindlich von der Dicke l des Walls und dem Faktor k ab, der sich wiederum mit der Masse m des Teilchens und der Höhe U0 des Potentialwalls ändert. Nach Gl. 50.18 wird der Transmissionskoeffizient mit wachsender Dicke oder steigender Potentialhöhe kleiner. Dies ist nach dem Korrespondenzprinzip zu erwarten. Er nimmt aber auch ab, wenn die Masse des Teilchens größer wird, vernachlässigbar klein wäre er für ein Gummibärchen. Auch dies steht in Übereinstimmung mit dem Korrespondenzprinzip. Auf quantitative Aussagen gehen wir in Beispiel 12 ein. Barrieren und Wellen. Es ist in der klassischen Physik nichts Ungewöhnliches, wenn Wellen Barrieren oder Hindernisse durchdringen. Nur bei Materiewellen, wo wir zusätzlich an das dazugehörige Teilchen denken, zeigt sich ein nichtklassisches Verhalten. Nach Abb. 50.20 a falle eine elektromagnetische Welle (sichtbares Licht) so auf eine an Luft grenzende Fläche, daß Totalreflexion auftritt. Bei der Behandlung dieses Vorgangs in Abschn. 43.5 waren wir davon ausgegangen, daß in den Bereich jenseits der Trennfläche kein Licht eintritt. Diese Annahme ist aber nur in der geometrischen Optik gerechtfertigt, die, wie wir gesehen haben, nur eine Näherung der allgemeineren Wellenoptik darstellt. In ähnlicher Weise kann man die Newtonsche Mechanik als den Grenzfall der Wellenmechanik interpretieren. Eine wellenoptische Untersuchung der Totalreflexion zeigt, daß die Welle doch ins optisch dünnere Medium eintritt, und zwar in der Größenordnung von wenigen Wellenlängen. Anschaulich und mit einiger Vorsicht könnte man den Sachverhalt so ausdrücken, daß ein Eindringen in diesen Bereich notwendig ist, damit die Welle die Existenz der Grenzfläche überhaupt „merkt". Bringen wir wie in Abb. 50.20b parallel zur Grenzfläche ein zweites Prisma an, so beträgt die Dicke der Luftschicht zwischen den Prismen nur wenige Wellenlängen. Dann kann die einfallende Welle diese „Barriere durchtunneln" und es entsteht eine transmittierte Welle T. Dabei wird auf Kosten dieser transmittierten Welle die Intensität der reflektierten Welle R reduziert. Die Parallele zum quantenmechanischen Tunneleffekt ist streng. Während es sich in dem einen Fall um eine elektromagnetische Welle handelt, die den Maxwellschen Gleichungen genügt, so in dem anderen um eine Materiewelle, der die Schrödinger-Gleichung zugrunde liegt. Man kann das Phänomen auf einfache Weise mit einem Wasserglas überprüfen. Blickt man von oben ins Glas auf seine Seitenwand, und zwar unter einem solchen Winkel, daß

Abb. 50.20 (a) Ein Lichtbündel erfahrt an der Grenzfläche G l a s - L u f t Totalreflexion, (b) Das Bündel tunnelt durch die schmale Luftlücke und erzeugt ein transmittiertes Bündel T. Die Intensität des reflektierten Bündels R ' wird entsprechend reduziert.

1526

50 Wellennatur der Materie

das ins Auge gelangende Licht an dieser Wand total reflektiert wurde, so wird diese Wand silbrig erscheinen. Preßt man dagegen einen (angefeuchteten) Finger gegen die Außenseite des Glases, so kann man die Furchen der Fingerkuppe sehen, weil sich dort die Verhältnisse einstellen, die wir an Hand von Abb. 50.20 b geschildert haben. Dabei sind die Täler zwischen den Rippen des Abdrucks immer noch so weit von der Glaswand entfernt, daß hier Totalreflexion herrscht. Das Phänomen der Abb. 50.20 b kann auch in einer größeren Dimension demonstriert werden, indem man mit Mikrowellen und Prismen aus Paraffin arbeitet. In diesem Falle betragen die Wellenlängen einige Zentimeter, so daß der Abstand zwischen den Prismen in derselben Größenordnung sein darf. Einige Beispiele für den Tunneleffekt. Der Tunneleffekt bei Materiewellen ist in der Natur ein wichtiges Phänomen. Er hat viele praktische Anwendungen. Nimmt man als ein einfaches Beispiel einen Kupferdraht, schneidet ihn durch und verknotet die Enden wieder, so kann ein Strom durch ihn fließen, obwohl die Drahtenden von einer dünnen, isolierenden Kupferoxidschicht bedeckt sind: Die Elektronen können diese (extrem dünne) Schicht aufgrund des Tunneleffekts passieren. Ein anderes Beispiel ist das Innere der Sonne, in dem durch thermonukleare Fusionsprozesse die Sonnenenergie entsteht. Dabei verschmelzen leichtere zu schwereren Kernen. Wenn etwa zwei Protonen mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderstoßen, so müssen sie sehr nahe zusammenkommen, damit die stark anziehenden Kernkräfte die Fusion in Gang setzen. Nun werden die Protonen aber durch die abstoßende CoulombKraft verlangsamt, sie sind durch eine Coulomb-Barriere voneinander getrennt. Die Wahrscheinlichkeit für eine Fusion hängt daher in kritischer Weise von der Fähigkeit der Protonen ab, diese Barriere zu durchtunneln. Ohne den Tunneleffekt würde die Sonne in sich zusammenstürzen. Die Emission (positiv geladener) Alpha-Teilchen aus radioaktiven Kernen und der spontane Zerfall schwerer Nuklide in zwei große Fragmente sind weitere natürliche Vorgänge, bei denen der Tunneleffekt eine Rolle spielt. Unter den praktischen Anwendungen ist als erstes die Tunneldiode zu nennen. Bei ihr wird durch eine bestimmte Anordnung der (Tunnel-)Strom der Elektronen dadurch anund ausgeschaltet, daß man die Höhe der Barriere verändert. Es ergeben sich äußerst kurze Schaltzeiten von 10" 1 1 s oder 10 ps. Der Physik-Nobelpreis des Jahres 1973 wurde an Leo Esaki, Ivar Giaever und Brian Josephson für ihre Arbeiten zum Tunneleffekt bei Halbleitern und Supraleitern vergeben. Beim Raster-Tunnel-Mikroskop wird eine feine Metallnadel rasterförmig (ähnlich wie bei einem Fernsehbild) in einem Abstand von etwa 1 nm über die abzubildende OberfläMetallnadelspitze

Probenoberfläche

Abb. 50.21 Bei einem Raster-Tunnel-Mikroskop fahrt eine Nadel über die Oberfläche einer Probe.

50.11 Der Tunneleffekt

1527

Abb. 50.22 Die Oberfläche einer Siliciumprobe, wie sie sich aus der Untersuchung mit einem RasterTunnel-Mikroskop ergibt.

che geführt (Abb. 50.21). Aus dem Objekt tunneln Elektronen durch die Lücke zwischen Oberfläche und Nadel. Der dabei entstehende „Tunnelstrom" hängt sehr empfindlich (exponentiell) vom Abstand zwischen Nadelspitze und Oberfläche ab. Durch Rückkopplung mit der Nadelführung erreicht man, daß der Tunnelstrom und damit der Nadelabstand beim Abtasten konstant bleibt. Zeichnet man nun die für die Bewegung der Nadel verantwortliche Regelspannung über der Horizontalebene auf, so erhält man ein dreidimensionales Rasterbild der zu untersuchenden Oberfläche. Abb. 50.22 zeigt das Ergebnis für eine Siliciumoberfläche. Die „Beulen" weisen auf einzelne Siliciumatome hin. Es ist gelungen, Strukturen bis zu einem Hundertstel eines Atomdurchmessers aufzulösen.

Beispiel 12 Durchtunneln einer Barriere. Ein Elektron mit einer Gesamtenergie E = 5 eV fallt auf einen Potentialwall, dessen Höhe U0 = 6 eV beträgt (siehe Abb. 50.19 a). Die Breite des Walls sei / = 0.70 nm. (a) Welche de Broglie-Wellenlänge hat das Elektron? Da die potentielle Energie des Elektrons vor Erreichen der Barriere gleich Null ist, ist die Gesamtenergie gleich der kinetischen Energie des Elektrons. Rechnen wir wie in Beispiel 1 b, so erhalten wir für die de Broglie-Wellenlänge k = 0.55 nm. Damit beträgt die Breite des Walls ungefähr das 1.3fache der de Broglie-Wellenlänge (0.70 nm/0.55 nm x 1.3). (b) Welcher Transmissionskoeffizient ergibt sich mit Gl. 50.18? Wir haben

1528

50 Wellennatur der Materie ^Tn^Uo-E)

k

_ i/87t 2 (9.11 x l 0 ~ 3 1 kg)(6eV — 5eV)(1.60x 10~ 1 9 J/eV) ~ \ (6.63 x l 0 ~ 3 4 Js) 2 = 5.12 x 10 9 m " 1 . kl ist dann (5.12 x 10 9 m " r )(700 x 1 0 " 1 2 m) oder 3.58, und der Transmissionskoeffizient somit T= e~2kl = e " 2 x 3 - 5 8 = 7.7 x 1 0 - 4 . Von jeweils 100000 Elektronen tunneln nur 77 durch den Potentialwall. (c) Welcher Transmissionskoeffizient ergibt sich, wenn man die Breite des Walls auf 0.30 nm verringert? Man errechnet jetzt den Wert T = 0.10. Die dünnere Barriere ist wesentlich leichter zu durchtunneln. (d) Wie verändert sich der Transmissionskoeffizient bei Fall (b), wenn die Wallhöhe auf 7 eV vergrößert wird? Man erhält T = 5.9x 10~ 5 . Das Durchtunneln wird mit wachsender Höhe schwerer. (e) Welchen Transmissionskoeffizienten erhielte man im Fall (b), wenn das einfallende Teilchen ein Proton wäre? Führt man die Rechnung in (b) aus, nachdem man den Wert für die Elektronenmasse durch die des Protons ( = 1.67 x 1 0 " 2 7 kg) ersetzt hat, so ergibt sich für T = 10~ 1 3 0 . Für dieses etwa tausendmal schwerere Elementarteilchen wird der Transmissionskoeffizient bereits verschwindend klein. Es macht wenig Sinn, das Phänomen des Tunneleffekts bei einem makroskopischen Körper erwarten zu wollen.

50.12 Wellen und Teilchen Wir w e n d e n uns jetzt der Frage zu, wie es möglich ist, daß ein Elektron (oder ein P h o t o n ) sich unter bestimmten U m s t ä n d e n wie ein Teilchen u n d bei anderen Bedingungen wie eine Welle verhält. In Tab. 50.1 sind noch einmal Experimente aufgeführt, mit denen m a n diesen Dualismus v o n Strahlung und Materie nachweisen kann. D i e bildlichen Vorstellungen, die wir mit den Begriffen „Welle" und „Teilchen" verknüpfen, entstammen unserer Alltagserfahrung mit makroskopischen Objekten (wie Meereswellen oder Tennisbällen). Im Grunde ist es ein glücklicher U m s t a n d , daß wir

Tabelle 50.1 Ausgewählte Experimente für den Nachweis der dualen Welle-Teilchen-Natur von Materie und Strahlung Materie

Strahlung

Wellennatur

Elektronenbeugungsversuch von Davisson und Germer (Abschn. 50.3)

Youngscher DoppelspaltInterferenzversuch (Abschn. 45.1)

Teilchennatur

Messung von e/m des Elektrons von J.J.Thomson (Abschn. 33.8)

Compton-Effekt (Abschn. 49.8)

50.12 Wellen und Teilchen

1529

diese Konzepte auf den atomaren Bereich erweitern und auf Größen wie das Elektron anwenden können, obwohl wir nie in der Lage sein werden, ein Elektron zu sehen oder anzufassen. Grundsätzlich unmöglich ist es aber, ein einziges konkretes Bild zu entwerfen, das die wesentlichen Züge einer Welle und eines Teilchens gleichzeitig enthält. Der Physiker und Wissenschaftsjournalist Paul Davies drückte dies einmal so aus: „Ein Wellen-Teilchen kann man sich nicht bildlich vorstellen, also versuchen Sie es erst gar nicht." Was kann man aber stattdessen tun? Einen Weg zeigte Niels Bohr, der nicht nur bei der Entwicklung der Quantenmechanik eine wesentliche Rolle spielte, sondern auch als Philosoph wichtige Beiträge lieferte. Er formulierte das Komplementaritätsprinzip: Für die vollständige Beschreibung einer Quantengröße sind sowohl der Wellen- als auch der Teilchenaspekt erforderlich. Bei einem Experiment zeigen kann sich jedoch jeweils nur ein Aspekt. Welcher von den beiden auftritt, das hängt von der Art des Experiments ab. Die Frage nach der Natur eines Laserstrahls zum Beispiel kann man erst beantworten, wenn man mit ihm auf irgendeine Weise in Wechselwirkung tritt. Bringt man in seinen Weg ein Beugungsgitter, so wird er sich als ein Wellenfeld zeigen. Verwendet man ihn in einer photoelektrischen Anordnung wie der aus Abb. 49.9, so muß man ihn als einen Teilchenstrom (Photonen) beschreiben, um die Messungen befriedigend interpretieren zu können. Es gelingt jedoch nicht, ein einzelnes Experiment anzugeben, bei dem der Strahl zur selben Zeit als eine Welle und als ein Teilchen angesehen werden muß. Man mag bemängeln, daß man je nach Art des Experiments zwischen dem einen oder dem

Abb. 50.23 Niels Bohrs Wappen. Die lateinischen Worte bedeuten: Gegensätze sind komplementär. (American Institute of Physics, Niels Bohr Library, Margarethe Bohr Collection.)

1530

50 Wellennatur der Materie

einfallen-

der ElektronenStrahl

..klick" Elektronen ' detektor

T/

Abb. 50.24 Ein Elektronenstrahl fallt auf den Doppelspalt in einem Schirm A und erzeugt auf dem Schirm B Interferenzstreifen. Man kann B durch einen Elektronendetektor ersetzen, den man, wie angezeigt, auf- und abwärts bewegt.

anderen Bild wählen muß, doch werden auf diese Weise Widersprüche vermieden, die sich bei einer gleichzeitigen Verwendung beider Bilder ergeben. Bohr hielt das Komplementaritätsprinzip für so grundlegend, daß er es auch auf andere Bereiche wie Biologie und Ethik auszudehnen suchte. Welche Bedeutung er ihm beimaß, illustriert das in Abb. 50.23 wiedergegebene Wappen. Komplementarität - ein Beispiel. Wir wollen versuchen, ein Experiment anzugeben, bei dem sich der Wellen- und der Teilchenaspekt gleichzeitig zeigen müssen. In Abb. 50.24 fallt ein Elektronenstrahl auf einen Doppelspalt in einem Schirm A und erzeugt auf dem Schirm B ein Muster von Interferenzstreifen. Das ist ein überzeugender Beweis für die Wellennatur des einfallenden Elektronenstrahls. Nun ersetzen wir den Schirm B durch einen kleinen Elektronendetektor, der so beschaffen ist, daß immer dann, wenn ein Elektron auf ihn fallt, ein akustisches Signal, ein „Klick" ertönt. Derartige Signale treten tatsächlich auf. Bewegen wir den Detektor in Abb. 50.24 auf und ab, so können wir die Klickrate in Abhängigkeit von der Position des Detektors auftragen, der Verlauf dieser Kurve entspricht gerade der Intensitätsverteilung des Interferenzmusters. Haben wir damit nicht gleichzeitig Wellen- und Teilchencharakter nachgewiesen? Wir sehen die Streifen (die Welle) und wir hören die Klicks (das Teilchen). Wir haben es nicht. Ein „Klick" allein ist kein ausreichendes Zeichen dafür, daß wir es mit einem Teilchen zu tun haben. Das Teilchenkonzept setzt die Vorstellung einer Flugbahn und eines Massenpunktes voraus, der sich auf einer Bahn bewegt. Wir müssen zumindest sagen können, durch welchen der beiden Spalte im Schirm A das Elektron gegangen ist, das anschließend im Detektor einen Klick hervorruft. Im Prinzip könnten wir vor jeden Spalt einen sehr schmalen Detektor plazieren, der beim Durchgang eines Elektrons ein elektronisches Signal erzeugt. Wir könnten dann versuchen, jeden Klick, das Signal für die Ankunft auf dem Schirm B, mit einem Signal für den Spaltdurchgang in Beziehung zu setzen, und hätten auf diese Weise für das betreffende Elektron seine Bahn identifiziert. Sobald wir eine derartige Anordnung jedoch verwirklichen, erleben wir eine Überraschung: Die Interferenzstreifen sind verschwunden. Beim Durchgang durch die Spaltde-

50.12 Wellen und Teilchen

1531

tektoren werden die Elektronen so beeinflußt, daß die Interferenzfigur zerstört wird. Zwar haben wir nun die Teilchennatur des Elektrons nachgewiesen, aber seine Wellennatur tritt nicht in Erscheinung. Wir können unser Gedankenexperiment auch umkehren. Wenn wir mit einem Experiment beginnen, das die Elektronen als Teilchen zeigt, und die Anordnung dann verändern, um den Wellencharakter hervortreten zu lassen, so werden wir stets feststellen, daß der Hinweis auf Teilchen verschwunden ist. Zu denselben Konsequenzen gelangen wir, wenn wir den Elektronenstrahl in Abb. 50.24 durch ein Lichtbündel ersetzen. Die Lösung eines Quantenrätsels. Zu Beginn dieses Kapitels stellten wir die Frage, wie die aus winzigen Blasen bestehenden Spuren in Abb. 50.1, die doch so offensichtlich den Durchgang eines schnellen geladenen Teilchens durch die Kammer zeigen, mit Wellen in Beziehung gebracht werden können. In unserem Gedankenexperiment (s. Abb. 50.24) ergeben sich die Streifen auf dem Schirm B durch die abwechselnde konstruktive und destruktive Interferenz der von den beiden Spalten im Schirm A ausgehenden (Materie-)Elementarwellen. Diese können wir als „Führungswellen" ansehen, deren Zusammenhang mit dem Teilchen darin besteht, daß das Absolutquadrat der zugehörigen Wellenfunktion in einem Punkt die Wahr(a)

(b)

(c)

Abb. 50.25 Computersimulation für den allmählichen Aufbau von Interferenzstreifen, wenn Elektronen auf den Schirm B der Abb. 50.24 fallen. In (a) sind etwa 30 Elektronen, in (b) ungefähr 1000 und in (c) etwa 10 000 auf dem Schirm angekommen. Die Wahrscheinlichkeitsdichte der Materiewelle bestimmt, an welcher Stelle des Schirms dies geschieht.

1532

50 Wellennatur der Materie

scheinlichkeitsdichte dafür angibt, das Teilchen in einem Volumenelement um diesen Punkt zu finden. So werden sich die Elektronen an den Stellen häufen, an denen diese Wahrscheinlichkeitsamplitude groß ist, und man wird an den Orten nur wenige Elektronen nachweisen, für die sie klein ist. Diese Überlegungen gelten auch, wenn die Intensität des einfallenden Strahls so gering ist, daß der Rechnung nach - im Mittel - in einer bestimmten Zeitspanne nur ein Elektron die Meßanordnung passiert. Man könnte dann vermuten, daß die Interferenzstreifen verschwinden müßten, weil dieses eine Elektron entweder durch den einen oder durch den anderen Spalt gegangen sein muß. Schließlich könnte ja das Elektron nicht mit sich selbst interferieren. Das Experiment zeigt aber, daß auch jetzt noch die Streifen entstehen. Sie bilden sich langsam, indem ein Elektron nach dem anderen auf den Schirm B trifft. Selbst unter diesen Bedingungen geht die zugehörige Materiewelle durch beide Spalte, und es ist diese Welle, die bestimmt, wo mit welcher Wahrscheinlichkeit die Elektronen auf dem Schirm B anlangen. Abb. 50.25 zeigt in einer Computersimulation, wie bei einem schwachen einfallenden Strahl die Beugungsstreifen nach und nach entstehen. Damit sind wir in der Lage, die anfanglich gestellte Frage zu beantworten. Wir betrachten Abb. 50.26, in der ein Elektron im Punkt / erzeugt und im Punkt Fnachgewiesen wird. Wie durchquert „es" den Raum zwischen diesen beiden Punkten? Im Sinne der Quantenmechanik durchläuft die zugehörige Materiewelle - die Abbildung deutet dies an - mit gleicher Wahrscheinlichkeit alle möglichen Wege zwischen den Punkten. Doch nur auf der geradlinigen Verbindung zwischen diesen Punkten addieren sich diese Wellen konstruktiv. Damit ist die Wahrscheinlichkeit groß, das Teilchen auf dieser Verbindungsstrecke zu finden, falls man es nachzuweisen sucht. Man kann weiter zeigen, daß außerhalb dieser Strecke die Wellen sich gegenseitig auslöschen, und zwar umso ausgeprägter, je schwerer das Teilchen ist. Dies ist der Zusammenhang zwischen den Teilchenbahnen der Newtonschen Mechanik und den zugehörigen Materiewellen, und auf dieser Basis können wir die Spuren in Abb. 50.1 wellentheoretisch deuten.

und F und löschen sich auf den anderen möglichen Wegen gegenseitig aus.

Fragen 1. Warum tritt die Wellennatur der Materie in unserer Alltagserfahrung nicht deutlicher in Erscheinung? 2. Erhalten wir das klassische Ergebnis für Materieteilchen, wenn wir in der de Broglie-Formel (A = h/mv) m -* oo gehen lassen?

Fragen

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3. Ein Elektron und ein Neutron haben die gleiche kinetische Energie. Welches Teilchen hat die kürzere de Broglie-Wellenlänge? 4. Kann die mit einem Teilchen verknüpfte de Broglie-Wellenlänge kleiner als die Dimension des Teilchens sein? Kann sie größer sein? 5. Warum konnten Davisson und Germer mit Sicherheit behaupten, daß der „54-eV"-Peak in Abb. 50.4 ein Beugungsmaximum erster Ordnung, das heißt für m = 1 in Gl. 50.2, darstellt? 6 . In einer Wiederholung des Thomson-Versuches zur Messung von e/m für das Elektron (s. Abschn. 33.8) wird ein 10 keV-Elektronenstrahl beim Durchgang durch einen 0.5 mm breiten Spalt kollimiert. Warum wird der Strahlcharakter nicht durch Beugung der Elektronenwelle an diesem Spalt zerstört? 7. Aus dem Wellenverhalten von Elektronen ergibt sich die Möglichkeit für die Konstruktion eines Elektronenmikroskops, (a) Wie kann man einen Elektronenstrahl fokussieren? (b) Welche Vorteile hat ein Elektronenmikroskop gegenüber einem Lichtmikroskop? (c) Warum baut man kein Protonen- oder Neutronenmikroskop? 8 . Wie geht die Wellennatur der Materie in Aufbau und Betrieb eines Elektronenmikroskops ein? Ergeben Elektronenbeugungsexperimente andere Informationen über Kristalle als Röntgen9. beugungs- oder Neutronenbeugungsversuche? Man nenne Beispiele. In Abb. 50.6 sind die Beugungsringe von Röntgenstrahlen gesprenkelt, während die von Elek10. tronenstrahlen gleichmäßig sind. Warum ist das so? Elektromagnetische Wellen können Seewasser durchdringen, wenn ihre Frequenz hinreichend 11. niedrig ist. Dies ist die Grundlage eines Projektes zur Kommunikation unter Wasser. Eine Schwierigkeit dabei ergibt sich aus der Tatsache, daß bei niedriger werdender Frequenz die Übertragungszeit immer länger wird (z. B. für Morsezeichen). Können Sie erklären, warum das so ist? 12. (a) Man gebe Beispiele dafür, wie der Meßprozeß das zu messende System stört, (b) Können die Störungen im voraus durch geeignete Berechnungen berücksichtigt werden? 13. Warum ist das Heisenbergsche Unschärfeprinzip in unserer täglichen Erfahrung nicht beobachtbar? 14. Sie messen mit einem Manometer den Luftdruck im Autoreifen. Dabei entweicht ein wenig Luft aus dem Reifen, so daß Sie durch den Meßprozeß die zu messende Eigenschaft verändern. Ist dies ein Beispiel für das Heisenbergsche Unschärfeprinzip? 15. Warum verletzt das Konzept der Bohrschen Elektronenbahnen das Unschärfeprinzip? 16. Verschiedene Forschergruppen bemühen sich, Gravitationswellen nachzuweisen, die vielleicht vom Milchstraßenzentrum herkommen und beim Durchqueren von massiven Objekten in ihnen kleine Verzerrungen verursachen sollten. Sie versuchen dabei, Verschiebungen von « 1 0 - 2 1 m (der Protonenradius ist « 10~ 1 5 m,also um das Millionenfache größer)zu messen. Beschränkt das Unschärfeprinzip die Präzision, mit der diese Messung ausgeführt werden kann? 17. Abb. 50.16 zeigt, daß für n = 3 die Wahrscheinlichkeitsdichte für ein Teilchen in einem Potentialtopfan zwei Punkten Null ist. Wie kann das Teilchen durch diese Punkte jemals hindurchgelangen? 18. „In einem atomaren System kann die Energie des Grundzustandes genau bekannt sein, die Energien der angeregten Zustände sind jedoch immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet." Können Sie diese Behauptung auf der Grundlage des Unschärfeprinzips erklären? 19. „Ist ein Elektron räumlich lokalisiert, so wird sein Impuls unbestimmt, ist es in der Zeit lokalisiert, so wird seine Energie unbestimmt." Erklären Sie diese Behauptung mit dem Heisenbergschen Unschärfeprinzip, und beschreiben Sie einige „Gedankenexperimente" für Ihre Beweisführung. 20, Man diskutiere die Analogie zwischen (a) Wellenoptik -»• geometrische Optik und (b) Wellenmechanik klassische Mechanik. 2 1 . Die Größe ip (x), die Amplitude der Materiewelle, wird Wellenfunktion genannt. Welche Beziehung besteht zwischen dieser Größe und den Teilchen, die die Materiewelle bilden?

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50 Wellennatur der Materie

22. Man diskutiere Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen einer Materie- und einer elektromagnetischen Welle. 23. Eine stehende Welle kann als Überlagerung von zwei fortschreitenden Wellen angesehen werden. Kann dies auf ein Teilchen, das in einem Potentialtopf eingefangen ist, übertragen werden? Mit Hilfe der Bewegung des Elektrons versuche man eine Deutung. 24. Gl. 50.11 gibt die erlaubten Energien für ein Teilchen an, das in einem Potentialtopf eingeschlossen ist. Man überzeuge sich selbst, daß mit steigendem n die Energieniveaus immer weiter auseinanderliegen. Wie kann dies möglich sein? Das Korrespondenzprinzip scheint zu fordern, daß sie näher aneinanderrücken, wenn n ansteigt, bis das Kontinuum erreicht ist. 25. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für den Fall n = 1, daß ein in einem Potentialtopf befindliches Teilchen sich in einem Volumenelement an einer Wand des Potentialtopfes befindet? 26. Welche Dimension hat P„(x) in Abb. 50.16? Wie groß ist der Wert der klassischen Wahrscheinlichkeitsdichte, die die waagerechten Linien angeben? Welchen Wert haben die Flächen unter den Kurven? Man vergleiche sie mit der Fläche unter der waagerechten Linie. Alle Fragen können durch Betrachtung von Abb. 50.16 beantwortet werden. 27. Wie würde in Abb. 50.16 die Kurve von P„(x) für n = 100 aussehen? Man beweise, daß diese Kurve angenähert gleich den klassischen Vorhersagen für n -» oo ist. 28. In Abschn. 50.9 lösten wir das wellenmechanische Problem eines Teilchens, das in einem unendlich tiefen Potentialtopf eingeschlossen ist, ohne dabei die Schrödinger-Gleichung anzuschreiben. Warum ist dies möglich? 29. Welche Beziehung besteht zwischen der Wellenfunktion tp{r) und der Wahrscheinlichkeitsdichte P{r) für das Wasserstoffatom? In welchen Einheiten werden diese Größen ausgedrückt? Welche Werte haben sie im Zentrum eines Atoms im Grundzustand? 30. Wieso können die Voraussagen der Wellenmechanik so exakt sein, obwohl wir über die Position des Elektrons nur statistische Angaben besitzen? 31. Abb. 50.18 zeigt, daß das Quadrat der Wellenfunktion für das Elektron im Wasserstoffatom im Zentrum des Atoms sehr groß wird, die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte jedoch in diesem Punkt Null ist. Beide Größen beziehen sich auf die Wahrscheinlichkeit, das Elektron an diesem Ort anzutreffen. Worin besteht dieser (scheinbare) Widerspruch? 32. Wir haben gesehen, daß der Tunneleffekt bei Materie- und elektromagnetischen Wellen auftritt. Kommt er auch bei Wasser- oder Schallwellen vor? 33. Man kommentiere folgende Behauptung: „Ein Teilchen kann während des „Durchtunnelns" eines Potentialwalls nicht beobachtet werden, so daß die Aussage keinen Sinn ergibt, daß dieser Vorgang tatsächlich vorkommt." 34. Man gebe Beispiele für den Tunneleffekt in Natur und Technik. 35. Ein Proton und ein Deuteron mit einer Energie von jeweils 3 MeV versuchen, eine rechteckige Potentialbarriere von 10 MeV Höhe zu durchdringen. Für welches Teilchen ist die Wahrscheinlichkeit dafür größer? Man gebe eine qualitative Erklärung. 36. Worin unterscheiden sich Elektronen und Photonen, wenn sie beide als Teilchen angesehen werden können? 37. Ein Laserstrahl wird im Laboratorium untersucht. Zunächst wird er durch ein Beugungsgitter geschickt. Man beobachtet ein Spektrum und schließt daraus, daß es sich um eine Welle handelt. Bringt man stattdessen eine Metallfläche in den Strahl, so beobachtet man den Austritt von Photoelektronen und erklärt ihn zu einem Teilchen(Photonen)strahl. Was kann man über den Laserstrahl aussagen, wenn man ihm nichts in den Weg stellt? 38. Man formuliere und diskutiere (a) das Korrespondenzprinzip, (b) das Unschärfeprinzip und (c) das Komplementaritätsprinzip. 39. Warum rechnet man in Abb. 50.24 damit, daß man von den Spalten ausgehende Elektronen über einen Bereich verteilt auf dem Schirm beobachten kann? Warum treffen sie nicht alle am gleichen Ort auf? In welcher Beziehung steht Ihre Antwort zum Komplementaritätsprinzip? 40. Wieviele Experimente können Sie aufzählen, die die Wellennatur des Lichts, die Teilchennatur des Lichts, die Wellennatur der Materie und die Teilchennatur der Materie bestätigen?

Aufgaben

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Aufgaben Abschnitt 50.1 1. Man leite die häufig verwendete (nichtrelativistische) Beziehung zwischen der de Broglie-Wellenlänge X eines Elektrons (in Ä) und dem Beschleunigungspotential U (in Volt) her: ¿ = 1/150 /U. (1 A = 1 0 " l o m = lOOpm) 2. Teilchen, die sich im thermischen Gleichgewicht mit ihrer Umgebung befinden, haben eine mittlere kinetische Energie von (3/2) kT. Wie groß ist die Wellenlänge eines Wasserstoffatoms, das sich mit einer der mittleren kinetischen Energie bei 20 °C entsprechenden Geschwindigkeit bewegt? Man gebe die Lösung sowohl in SI-Einheiten als auch in Einheiten des Bohr-Radius a0 an. 3. Die de-Broglie-Wellenlänge eines Protons ist 1.0 x 10" 1 3 m. (a) Wie groß ist die Geschwindigkeit des Protons, und (b) welches elektrische Potential beschleunigt es auf diese Geschwindigkeit? Antwort: (a) 4.0 x 10® m/s; (b) 82 kV. 4. Eine Kugel bewegt sich mit 1000 m/s. (a) Welcher Wellenlänge entspricht diese Geschwindigkeit? (b) Warum zeigt sich die Wellennatur der Kugel nicht durch Beugungseffekte? 5. (a) Photonen und Elektronen bewegen sich im freien Raum mit Wellenlängen von 1.0 nm. Wie groß sind Photonenenergie und kinetische Energie des Elektrons? (b) Man wiederhole die Rechnung für eine Wellenlänge von 1.0 fm. Antwort: (a) 1240 eV, 1.50 eV; (b) 1.24 GeV, 1.24 GeV. 6. Ein Photon und ein Elektron haben im freien Raum die gleiche Energie von 1.0 eV. Wie groß sind ihre Wellenlängen? (b) Wie groß sind die Wellenlängen für eine Energie von 1.0 GeV? 7. Die Existenz des Atomkernes wurde 1911 von Ernest Rutherford nachgewiesen. Er folgerte dies aus Versuchsergebnissen über die Streuung von a-Teilchen beim Durchgang durch dünne Folien, z. B. aus Gold, (a) Was haben die a-Teilchen für eine Wellenlänge, wenn ihre kinetische Energie 7.5 MeV beträgt? (b) Wurde bei der Interpretation der Experimente die Wellennatur der einfallenden a-Teilchen berücksichtigt? Die Masse eines a-Teilchens ist 4.00 u und seine kleinste Entfernung zum Kernzentrum betrug ca. 30 fm. (Die Wellennatur der Materie wurde erst mehr als ein Jahrzehnt nach den ersten Rutherfordschen Versuchen postuliert.) Antwort: (a) 5.2 fm. 8. Neutronen haben im thermischen Gleichgewicht eine mittlere kinetische Energie von (3/2) kT. (a) Wie groß ist sie für T = 300 K? (b) Wie groß ist die entsprechende de Broglie-Wellenlänge? 9. Man betrachte einen mit Helium gefüllten Ballon bei Normtemperatur und Normdruck, (a) Wie groß ist unter diesen Bedingungen die mittlere de Broglie-Wellenlänge der Heliumatome verglichen mit dem mittleren Abstand der Atome untereinander? Die mittlere kinetische Energie eines Atoms ist (3/2) kT. (b) Können die Moleküle unter diesen Bedingungen als kleine Teilchen behandelt werden? 10. Ein 20-GeV-Elektronenbeschleuniger (1 GeV = 10® eV) erzeugt einen Elektronenstrahl von so kleiner Wellenlänge, daß er zur detaillierten Untersuchung der Kernstruktur durch Streuung geeignet ist. Wie groß ist diese Wellenlänge? Ist sie vergleichbar mit der Größe eines mittleren Atomkernes? (Bei dieser Energie muß man die relativistische Beziehung zwischen Impuls und Energie, p = E/c, verwenden. Es ist dies dieselbe Beziehung, wie wir sie für Licht (Gl. 42.2) verwendet haben, und sie gilt, wenn die kinetische Energie eines Teilchens wie in diesem Fall viel größer als seine Ruheenergie m0c2 ist. Der Radius eines Kernes von mittlerer Masse ist ca. 5 fm oder 5 x 10" 1 5 m.) Antwort: 0.062 fm. 11. Das Auflösungsvermögen eines Mikroskops ist allein durch die Wellenlänge des verwendeten Lichts begrenzt. Der kleinste Abstand, der noch aufgelöst werden kann, ist ungefähr gleich der Wellenlänge. Wollen wir uns Einzelheiten in einem Atom „ansehen", das einen Durchmesser

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50 Wellennatur der Materie

von 100 p m hat, so bedeutet das, daß wir Abstände von ca. 10 p m noch getrennt wahrnehmen müssen, (a) Wie groß m u ß die minimale Energie der Elektronen sein, wenn man ein Elektronenmikroskop benutzt? (b) Welche minimale Energie müssen die Photonen eines Lichtmikroskops haben? (c) Welches Mikroskop ist für diese Untersuchung geeigneter und warum? 12. Welche Spannung m u ß an ein Elektronenmikroskop angelegt werden, um die Elektronen so zu beschleunigen, daß das Mikroskop das gleiche maximale Auflösungsvermögen hat wie ein 1 OO-keV-Gammastrahlenmikroskop? Antwort: 9.7 kV. Abschnitt 50.2 13. N a c h dem Korrespondenzprinzip erwarten wir beim Bohrschen A t o m für n -* oo klassische Ergebnisse, deshalb müßte die de-Broglie-Wellenlänge des Elektrons (ein Quantenergebnis) mit größer werdendem Bohr-Radius und damit steigendem n immer kleiner werden. Wir erwarten, daß Xjr -> 0 für n-* oo. M a n zeige, daß das richtig ist. Abschnitt 50.3 14. Unter welchem Winkel (a) treten im Versuch v o n Davisson und Germer Beugungsstrahlen zweiter und dritter Ordnung auf, die dem starken M a x i m u m der Abb. 50.4 c entsprechen, und unter welchem Winkel (b) erscheint der Beugungsstrahl erster Ordnung, wenn die Beschleunigungsspannung v o n 54 auf 60 V erhöht wird? D e r Experimentator kann den Kristall beliebig drehen. Antwort: (a) D i e Strahlen treten nicht auf; (b) 59°. 15. Ein Kaliumchloridkristall ist so geschnitten, daß die Netzebenen mit einem Abstand v o n 314 p m parallel zur Oberfläche verlaufen. Unter einem Einfallswinkel 0 wird ein Beugungspeak erster Ordnung erzeugt. M a n bestimme 6, wenn der Einfallsstrahl (a) ein 40-keV-Röntgenstrahl und (b) ein Elektronenstrahl der kinetischen Energie 40 keV ist. (Hinweis: Bei diesen relativ hohen Energien kann die Ablenkung des Elektronenstrahls an der Kristalloberfläche vernachlässigt und seine Beugung in Analogie zur Röntgenbeugung behandelt werden, s. Abschn. 47.5.) 16. Ein Neutronenkristallspektrometer verwendet Netzebenen mit dem Abstand 73.2 p m in einem Berylliumkristall. Wie groß m u ß der Bragg-Winkel 9 sein, so daß nur Neutronen der Energie £ k = 4.0 eV reflektiert werden? M a n berücksichtige nur Reflexion erster Ordnung. Antwort: 5.6°. 17. Ein Strahl thermischer Neutronen aus einem Kernreaktor fällt unter dem Einfallswinkel 0 auf einen Calciumfluoridkristall. D e r Netzebenenabstand für atomare Schichten parallel zur Oberfläche ist 54.64 pm. Der Strahl maximaler Intensität hat die de Broglie-Wellenlänge 11.00 pm. Für welche Werte v o n 6 treten die ersten drei Ordnungen der Bragg-Reflexion auf? (Hinweis: Neutronen sind als neutrale Teilchen keinen elektrischen Kräften unterworfen und werden beim Durchgang von Kristallflächen nicht gebrochen. Deshalb können sie bei der Beugung wie Röntgenstrahlen behandelt werden, s. Beispiel 2 und Abschn. 47.5).

Abschnitt 50.4 18. Unter Verwendung einer rotierenden Reintonblende hören Sie den 540-Hz-Ton einer Standardstimmgabel für 0.1 s. Wie groß ist annähernd die Frequenzbreite für diesen akustischen Impuls? Antwort: 10 Hz. 19. D a s Signal einer Fernsehstation enthält Impulse der Breite At x 1 0 " 8 s. Warum ist es nicht durchführbar, Fernsehen im AM-Bereich zu übertragen?

Aufgaben

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Abschnitt 50.5 20. Ein „Photonen"mikroskop wird zur Ortsbestimmung eines Elektrons im Atom mit einer Genauigkeit von 10 pm verwendet. Wie groß ist dabei die minimale Unscharfe des Elektronenimpulses? Antwort: 3.6 x 107 m/s. 21. Die Ortsunschärfe eines Elektrons ist mit 50 pm gegeben. Dies entspricht ungefähr dem Radius der ersten Bohrschen Elektronenbahn in Wasserstoff. Wie groß ist seine Impulsunschärfe? 22. Wir möchten die Bewegung von Elektronen auf Atombahnen mit Photonen ausreichend kurzer Wellenlänge, k < 10 pm, in einem Mikroskop untersuchen, (a) Wie groß müßte die Energie der Photonen sein? (b) Wieviel Energie würde dieses Photon auf ein freies Elektron im Compton-Stoß übertragen? (c) Was sagt dies über die Möglichkeit aus, ein atomares Elektron an zwei oder mehr Punkten auf seiner Bahn zu „beobachten"? Antwort: (a) 124 keV; (b) 40.5 keV. 23. Man stelle sich ein Handballspiel in einem Universum vor, wo die Planck-Konstante 0.6 J • s ist. Wie groß wäre die Unsicherheit bei der Ortsbestimmung eines 0.5 kg schweren Handballs, der sich bei einer Geschwindigkeit von 20 m/s mit einer Unschärfe von 1 m/s bewegt? Warum wäre es schwer, den Ball zu fangen? 24. Man schätze die Energie eines Neutrons der Masse « 10~ 27 kg, das sich frei, aber auf den Kernbereich begrenzt, durch einen Kern vom Durchmesser « 10" 1 4 m bewegt. (Die Lösung gibt ungefähr die Energie eines Neutrons im tiefsten Energiezustand eines typischen Kernes an.) Antwort: 8 MeV. 25. Man zeige, daß die Unschärfe der Geschwindigkeitsbestimmung gleich der Geschwindigkeit eines Teilchens ist, wenn die Unschärfe der Ortsbestimmung gleich seiner de Broglie-Wellenlänge ist.

Abschnitt 50.7 26. Die Lebensdauer eines Elektrons im Zustand n = 2 in Wasserstoff ist ca. 10 ~ 8 s, bevor es in den Grundzustand übergeht. Wie groß ist die Energieunschärfe des Zustandes n = 2? Man vergleiche sie mit der Energie dieses Zustandes. Antwort: 4.1 x 10" 7 eV, E2 = - 3.4 eV. 27. Ein Kern im angeregten Zustand strahlt beim Übergang zum Grundzustand y-Strahlung. Wie groß ist die Energieunschärfe dieser y-Photonen, wenn die mittlere Lebensdauer des angeregten Zustandes ca. 10" 1 2 s beträgt? 28. Ein Atom im angeregten Zustand hat eine Lebensdauer von 1.2 x 10~ 8 s, in einem zweiten angeregten Zustand beträgt sie 2.3 x 10" 8 s. Wie groß ist die Energieunschärfe eines Photons, das beim Elektronenübergang zwischen diesen Zuständen emittiert wird? Antwort: 5.2xlO" 7 eV.

Abschnitt 50.9 29. Ein Teilchen ist zwischen den starren Wänden eines Potentialtopfes eingeschlossen, die einen Abstand l voneinander haben. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß es sich im Abstand 7/3 von einer der Wände aufhält für (a) n = 1, (b) n = 2, (c) n = 3 und (d) unter Voraussetzungen der klassischen Physik? 30. (a) Ein Proton oder (b) ein Elektron ist in einem eindimensionalen Potentialtopf von 100 pm Länge eingeschlossen. Wie groß ist die minimale Energie, die es haben kann? Antwort: (a) 0.021 eV; (b) 38 eV.

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50 Wellennatur der Materie

31. Ein Teilchen befindet sich zwischen den starren Wänden eines Potentialtopfes bei x = 0 und x = l. Für den vierten erlaubten Energiezustand (a) zeichne man das Diagramm für die Wahrscheinlichkeitsdichte für die Teilchenposition, (b) berechne man die angenäherte Wahrscheinlichkeit, das Teilchen innerhalb Ax = 0.0003 l aufzufinden, für x = //8 und x = 3//16. Man überprüfe an dem Diagramm, ob die Ergebnisse sinnvoll sind. {Hinweis: Integration ist nicht notwendig.) 32. Wo liegen die Maxima und Minima der Wahrscheinlichkeitsdichte für ein Teilchen, das sich in einem unendlich tiefen Potentialtopf der Länge l im Zustand n befindet? Antwort: x = Nlßn, N = 1, 3, 5, ... (n - 1), jc = Nl/n, N = 0, 1, 2, ... n. 33. Man betrachte ein Elektron in einem unendlich tiefen Potentialtopf der Länge 100 pm. Es befinde sich im Zustand n = 15 wie in Abb. 50.16. Wie groß ist (a) seine Energie, (b) seine Impulsunschärfe und (c) seine Ortsunschärfe? 34. (a) Man beweise, daß für ein Teilchen, das sich zwischen starren Wänden eines Potentialtopfes befindet, die Entfernung s„ zwischen benachbarten Minima der Wahrscheinlichkeitsdichte Pn(x) gegeben ist durch sn = l/n. (b) Man beweise, daß die Ortsunschärfe Ax dieses Teilchens nach der Unschärferelation gleich Ax x sn ist. (Hinweis: Bei Anwendung dieser Relation setze man die Impulsunschärfe Apx gleich 2px, s. Abschn. 50.9.) (c) Unter Verwendung der obigen Ergebnisse zeige man, daß man den Ort des Teilchens mit steigendem n immer präziser bestimmen kann. Die Punkte für Pn(x) = 0 sind jedoch experimentell nicht zu ermitteln. 35. In Beispiel 7 sind die Elektronenenergien exakt durch die Größe des Potentialtopfes bestimmt. Wie ist das damit vereinbar, daß die Ortsunschärfe 100 pm nicht überschreiten kann, und damit nach dem Unschärfeprinzip die Impulsunschärfe entsprechend groß ist? 36. (a) Man bestimme näherungsweise die niedrigste erlaubte Energie für ein Elektron, das in einem Atomkern eingeschlossen ist (Durchmesser ca. 1.4 x 10 _ 1 4 m). (b) Man vergleiche diesen Wert mit den wenigen MeV für die Bindungsenergien von Protonen und Neutronen im Atomkern. Ist zu erwarten, daß man ein Elektron im Kern antrifft? Antwort: (a) 1900 MeV. 37. (a) Wie groß ist der Energieabstand zwischen den zwei niedrigsten Energieniveaus für einen Argonatome enthaltenden Behälter von 20 cm Kantenlänge? (b) Man vergleiche dieses Ergebnis mit der thermischen Energie von Argonatomen bei 300 K. (c) Bei welcher Temperatur sind beide Werte gleich? Zur Vereinfachung nehme man an, daß die Argonatome in einem eindimensionalen Potentialtopf der Länge 20 cm gefangen sind. Die molare Masse von Argon ist 39.9 g/mol. 38. Man berechne die Energiedifferenz zwischen benachbarten Energieniveaus eines Teilchens, das in einem eindimensionalen Potentialtopf unendlicher Tiefe eingeschlossen ist. Antwort: (2n + 1 )/w2. Abschnitt 50.10 39. Man berechne für den Grundzustand des Wasserstoffatoms die Wellenfunktion yi(r), das Quadrat dieser Größe y2(r) und die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte P(r) für die Positionen (a) r = 0 und (b) r = a0. Man erkläre die Bedeutung dieser Größen. 40. Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte kann für das Wasserstoffatom im Grundzustand geschrieben werden in der Form P(x) = bx2e ~ 2x, worin x das dimensionslose Verhältnis r/a0 und b eine Konstante sind, (a) Welcher Wert für b folgt aus Gl. 50.17? (b) Man zeige, daß mit diesem Wert von b der Ausdruck richtig normiert ist (s. Beispiel 9). Antwort: (a) 4/a 0 . 41. Man bestimme für das Wasserstoffatom im Grundzustand den Radius der Kugel, innerhalb der die Wahrscheinlichkeit, das Elektron anzutreffen, 99 % beträgt. 42. In Atomen gibt es eine endliche, wenn auch sehr kleine Wahrscheinlichkeit dafür, ein beliebiges Bahnelektron im Kern vorzufinden. So zerfallen tatsächlich einige unstabile Kerne unter Elek-

Aufgaben

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troneneinfang. Man schätze die Wahrscheinlichkeit, das Elektron des Wasserstoffatoms im Kern vorzufinden unter der Annahme, daß das Proton eine Kugel vom Radius l . l x l 0 ~ 1 5 m ist und die Wellenfunktion für das Elektron bis in das Protonenzentrum erhalten bleibt. Antwort: 1.2 x 10" 1 4 . 43. Für das Wasserstoffatom bestimme man das Verhältnis der Wahrscheinlichkeiten, das Elektron beim Bohr-Radius bzw. beim doppelten Bohr-Radius zu finden. 44. Man zeige für den Grundzustand des Wasserstoffatoms, daß die Wahrscheinlichkeit P(r), das Elektron in einer Kugel mit dem Radius r anzutreffen, gegeben ist durch P(r) = 1 - e " 2 x ( l + 2x +

2x2),

worin x = r/a0 eine dimensionslose Zahl ist. Liefert dieser Ausdruck die erwarteten Werte für (a) r = 0 und (b) r = oo? (c) Man unterscheide genau zwischen der Bedeutung dieses Ausdrucks und dem in Gl. 50.17. 45. Wie groß ist die wellenmechanische Wahrscheinlichkeit dafür, das Elektron im Grundzustand des Wasserstoffatoms außerhalb einer Kugel mit dem Bohr-Radius a 0 anzutreffen?

Abschnitt 50.11 46. Man betrachte eine Potentialbarriere wie die der Abb. 50.19 a, deren Höhe 6 e V und deren Breite / 0.7 nm betragen. Welche Energie muß ein Elektron haben, um sie mit der Wahrscheinlichkeit 1 : 1 0 0 0 zu durchdringen? Antwort: 5.07 eV. 47. Ein Proton und ein Deuteron (Teilchen gleicher Ladung und doppelter Masse eines Protons) treffen auf eine Potentialbarriere der Höhe 10 MeV und der Dicke 1 0 ' 1 4 m. Man bestimme ihre Durchdringungswahrscheinlichkeit, wenn beide die Energie 3 MeV haben. 48. Welche prozentuale Änderung des Transmissionskoeffizienten ergibt sich im Beispiel 12 beim Durchtunneln einer Potentialbarriere für den Anstieg von 1 % (a) der Barrierenhöhe, (b) der Barrierendicke und (c) der Energie des einfallenden Elektrons? Antwort: (a) - 2 1 % ; (b) - 7 . 2 % ; (c) + 18%. 49. In Beispiel 12 falle ein Protonenstrahl der Energie 5 eV mit einem Fluß, der einem Strom von 1000 A äquivalent ist, auf die Potentialbarriere. Wie lange müßten Sie - im Mittel - warten, bis ein Proton hindurchgekommen ist? Wie dick ist der Potentialwall in de Broglie-Wellenlängen des einfallenden Protons?

51 Die Struktur der Atome

51.1 Wie sieht ein Atom aus? Seitdem wir wissen, daß die Materie aus Atomen aufgebaut ist, lautet die grundlegende Frage: „Wie sieht ein Atom aus?" Ziel dieses Kapitels ist die Beantwortung dieser Frage mit Hilfe der Wellenmechanik. Wir können die Verbindung von Atomen zu Molekülen und Festkörpern nicht eher verstehen, bis wir die Struktur des Einzelatoms kennen. Sowohl die Chemie als auch die Festkörperphysik stützen sich auf dieses Fundament. Am Anfang unserer Untersuchungen steht das Wasserstoffatom. Es ist mit nur einem Elektron das einfachste Atom und hat als Baustein des Wassers und aller organischer Verbindungen große Bedeutung. Die Materie des Universums besteht zu 90 % aus Wasserstoff. Aus der Kenntnis des Wasserstoffatoms können wir auf alle Mehrelektronenatome schließen, besonders auf solche - Natrium ist ein Beispiel - , die neben einer oder mehreren gefüllten Elektronenschalen auf der äußersten Schale auch nur ein Elektron (Valenzelektron) aufweisen. Es hat sich herausgestellt, daß die Quantenzahlen für den Zustand eines Wasserstoffatoms ebenso für die Beschreibung^eifes anderen Atoms mit einem Einzelelektron auf der äußeren Schale - zum Beispiel bei Vanadium oder Plutonium - herangezogen werden können, und dies unabhängig von der Gesamtelektronenzahl. Damit ist der Aufbau des Periodensystems der Elemente - als Grundlage der Chemie - vollständig aus der Wellenmechanik erklärbar. Für den Physiker ist das Wasserstoffatom deshalb von so großer Bedeutung, weil es sich wegen seiner Einfachheit als Prüfstein für Theorien über den Aufbau der Materie besonders eignet. Eine Theorie, die das Wasserstoffatom nicht zu erklären vermag, wird komplexere Atome erst recht nicht beschreiben können.

51.2 Das Wasserstoffatom und die Schrödinger-Gleichung Abb. 51.1 zeigt symbolisch, wie man ein beliebiges Problem der Elektronenbewegung mit Hilfe der Wellenmechanik löst. Dabei ist der „input" die Information, die zur Definition des Problems benötigt wird. In der klassischen Mechanik wird ein Problem definiert, indem man die am Massenpunkt angreifende Kraft angibt. In der Wellenmechanik tritt an ihre Stelle die potentielle Energie. Beide Größen stehen miteinander in Beziehung, und wir können (wie in Abschn. 8.3 behandelt) die eine aus der anderen herleiten. Beim Wasserstoffatom erhalten wir die Kraft, die vom zentralen Proton (positiv gela-

51.2 Das Wasserstoffatom und die Schrödinger-Gleichung

1541

Schrödinger-Gleichung Potentialfunktion I

Input

/

Ptd. 1926

Output Wellenfunktionen —»-•< Quantenzahlen [Energien

Abb. 51.1 Zur Schrödinger-Gleichung: Für eine eindimensionale Bewegung lautet sie:

h2 2m

d2¥(x,t) dx2

U(x,

t) = ih

8 « h.

(z-Komponente).

(51.11)

(j> ist der Winkel für die Rotation um die z-Achse in Abb. 51.5. Aus Gl. 51.7 kann man entnehmen, daß Lz genau bekannt ist, wenn die Quantenzahl m, angegeben ist. Daraus folgt, daß AL 2 , die Unschärfe von Lz, Null sein muß. Dann muß nach Gl. 51.11 gefordert werden, daß Atp —• oo; dies bedeutet, daß man keine Information über den Winkel des präzedierenden Bahndrehimpulsvektors L zur z-Achse hat. Bekannt ist der Betrag von L und seine Projektion Lz auf die z-Achse und nichts anderes. Aus den Aussagen über die Richtungsquantelung könnte man den Schluß ziehen, daß die z-Achse gegenüber der x- und der y- Achse bevorzugt ist. Man kann jedoch als Quantisierungsachse ebensogut die x-Achse (oder y-Achse) wählen; es ist einfach Konvention, die z-Achse zu nehmen. Was einem tatsächlich zu denken geben sollte, ist die Tatsache, daß es für das Atom gleichgültig bleibt, welche Bezugsachse wir ihm von außen aufzwingen. Wenn man beispielsweise das Atom in ein Magnetfeld bringt und in einem Experiment die Richtung seiner Quantisierungsachse mißt, so wird man immer finden, daß diese Richtung mit der des Feldes zusammenfällt. Dies bleibt so, auch wenn wir diese Richtung vollkommen willkürlich gewählt haben. Wieder einmal zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen Meßprozeß und dem gemessenen Objekt.

Beispiel 2 Richtungsquantelung und Korrespondenzprinzip. Man bestimme das Minimum von 6 in Abb. 51.5 für / = 1, IO2, IO3, 104 und 109. Man erhält das Minimum von 9, wenn man in Gl. 51.9 m, = l setzt. Es ergibt sich = arccos

1 1/V + Ï )

-1/2

: arccos 1 +

Daraus ist ersichtlich, daß 6 -* arccos 1 = 0 , wenn / -> oo. Das entspricht genau dem Ergebnis, das wir vom Korrespondenzprinzip erwarten. Setzt man für / die obigen Werte ein, so ergibt sich:

1 102 103 104 109

45.0° 5.7° 1.8° 0.57° 0.0018°

Für ein makroskopisches Objekt wie für einen Kreisel oder eine Schallplatte wäre / wesentlich größer als 109, und 0min wäre so nahe bei Null, daß der Unterschied nicht mehr meßbar wäre. Man erkennt, daß bei immer größer werdenden Drehimpulsen von kreisenden Objekten die wellenmechanische Richtungsquantelung allmählich in die kontinuierliche Verteilung der klassischen Mechanik übergeht. Außerdem sieht man, daß das Korrespondenzprinzip tatsächlich greift.

51 Die Struktur der Atome

1550 Beispiel 3

Richtungsquantelung. Für n = 4 bestimme man (a) den erlaubten Maximalwert von /, (b) den Betrag des entsprechenden Drehimpulses (c) die Anzahl der Projektionen des Drehimpulsvektors auf die z-Achse, (d) die Größe der maximalen z-Komponente und (e) den kleinsten Winkel zwischen Drehimpulsvektor und z-Achse. (a) Aus Gl. 51.6 erhalten wir n — 1 oder 3 für den größten erlaubten Wert für /. (b) Aus Gl. 51.5 erhalten wir durch Einsetzen dieser Werte L = ]//(/+

\)(hßn)

= 1 / 3 ( 3 + 1 ) ( 6 . 6 3 x 1 0 " 3 4 JS)/(2TI)

= 3.66 x

10-34

Js.

In der Praxis werden atomare Drehimpulse selten in SI-Einheiten angegeben. Üblicherweise würde dieses Ergebnis einfach ]/l2h oder 3.46 h lauten, s. (d) unten. (c) Die Anzahl der Projektionen des Drehimpulsvektors auf die z-Achse ist gleich der Anzahl der erlaubten Werte der magnetischen Quantenzahl mt. Wir erhalten sie aus Gl. 51.8 mit 2 / + 1, also 2 x 3 + 1 oder 7. (d) Die größte z-Komponente erhält man aus Gl. 51.7, indem man für m, den größten Wert einsetzt. Dieser ist nach Gl. 51.8 gleich /, so daß man erhält: Lz = l(h/2n) = (3)(6.63 x 10" 3 4 Js)/(2rt) = 3.17 x 1 0 - 3 4 Js. Man sieht durch Vergleich mit (b), daß dieser Wert kleiner als der des Betrags vom Drehimpulsvektor ist, so wie es sein muß. Entsprechend der Anmerkung unter (b) würde dieser Wert einfach mit 3 h angegeben. Wenn wir vom Drehimpuls sprechen, meinen wir tatsächlich fast immer den Maximalwert seiner z-Komponente. Der Betrag des Drehimpulses tritt in quantenmechanischen Berechnungen selten auf und ist nur selten gegeben. (e) Den kleinstmöglichen Winkel zwischen Drehimpulsvektor und z-Achse bekommt man aus Gl. 51.9 mit m, = l. Wir erhalten 0 = arccos [ . . . ] [ / / ] / / ( / + 1 ) ] = arccos [3/j/3 (3 +1)] = arccos 0.866 = 30°. Der Drehimpulsvektor kann keinen kleineren Winkel zur z-Achse einnehmen als diesen.

51.5 Der Stern-Gerlach-Versuch Die Richtungsquantelung, nach der die Projektion des atomaren Bahndrehimpulses L oder des magnetischem Moments (i auf eine ausgewählte Achse nur bestimmte diskrete Werte annehmen kann, ist nach klassischem Verständnis nur schwer zu akzeptieren. Trotzdem wurde sie mehrere Jahre vor der Entwicklung der Wellenmechanik theoretisch (von Wolfgang Pauli) vorausgesagt und experimentell (1922 von Otto Stern und Walther Gerlach) bestätigt.

51.5 Der Stern-Gerlach-Versuch

1551

Ofen

Glasplatte

Abb. 51.6 Die Versuchsapparatur von Stern und Gerlach zur Darstellung der Richtungsquantelung.

Abb. 51.6 zeigt die Versuchsanordnung von Stern und Gerlach. In einem elektrisch betriebenen Ofen wird Silber verdampft. Die Silberatome gelangen durch ein kleines Loch im Ofen in das Vakuum und werden (sie sind elektrisch neutral, besitzen aber ein magnetisches Moment) zu einem Strahl mit engem Querschnitt ausgeblendet, indem sie den Schlitz eines Schirmes passieren. Der gebündelte Strahl durchfliegt die Pole eines Elektromagneten und wird schließlich auf einer Glasplatte aufgefangen. Oft wird bei Experimenten ein homogenes Magnetfeld benötigt. Für diesen Versuch werden die Polschuhe jedoch so geformt, daß ein möglichst inhomogenes Feld erzeugt wird. Der Atomstrahl bewegt sich sehr nahe an der scharfen V-förmigen Kante des oberen Polschuhs vorbei, wo die Inhomogenität des Magnetfeldes am größten ist. Dipol in einem inhomogenen Magnetfeld. Wir werden nun zunächst die Frage beantworten, welche Kräfte auf einen magnetischen Dipol im Magnetfeld wirken, sei es nun homogen oder inhomogen. Abb. 51.7 a zeigt einen Dipol mit dem magnetischen Moment p, der den Winkel 0 zu den Feldlinien eines homogenen Magnetfeldes einnimmt. Wir können uns den Dipol als sehr kleinen Stabmagneten vorstellen, dessen magnetisches Moment p vom Süd- zum Nordpol zeigt (nach Konvention, vgl. Abschn. 37.1). Wir nehmen an, daß die Kräfte nur an den Polen konzentriert angreifen, wie in der Abbildung zu sehen ist. Für das homogene Magnetfeld ist die nach oben wirkende Kraft genauso groß wie die nach unten wirkende, so daß sich beide Kräfte aufheben, unabhängig von der Orientierung des Dipols im Feld. Die resultierende Kraft ist also Null. Abb. 51.7 b zeigt die Situation im inhomogenen Feld. Hier haben die Aufwärts- und Abwärtskraft nicht die gleiche Größe, da sich die Pole in Feldern verschiedener Stärke befinden. Die resultierende Kraft hängt in Betrag und Richtung von der Orientierung des Dipols, also von 0 ab. In Abb. 51.7b ist die resultierende Kraft nach oben, in Abb. 51.7 c nach unten gerichtet. So werden die Silberatome des Strahls von Abb. 51.6, während sie durch den Elektromagneten fließen, mehr oder weniger nach oben oder unten abgelenkt in Abhängigkeit von der Orientierung ihrer magnetischen Momente im Magnetfeld. Wir berechnen nun die ablenkende Kraft quantitativ. Die potentielle magnetische Energie eines Dipols in einem Magnetfeld B ist durch Gl. 33.12 gegeben: EJß)=-p-B

= - O i cos 0)B.

1552

51 Die Struktur der Atome

\ F

=0

tF,«s (b)

(a)

iF,„ (c) Abb. 51.7 Darstellung eines magnetischen Dipols als kleiner Stabmagnet mit zwei Polen (a) im homogenen Magnetfeld und (b, c) im inhomogenen Magnetfeld. Die resultierende Kraft Fres ist Null in (a), zeigt nach oben in (b) und zeigt nach unten in (c).

Wir verfolgen den Weg der Silberatome in dem Strahl durch den Elektromagneten der Abb. 51.6 parallel zur Kante des Südpols. Aus der Symmetrie folgt (s. auch Abb. 51.7 b), daß das Magnetfeld dort keine x- oder ^-Komponente hat, das heißt, es ist B = Bz. Wegen /¿cos 6 = ¡iz kann die obige Gleichung geschrieben werden als Em(6)

= -

iizBz.

(51.12)

Die resultierende Kraft, die auf das Atom wirkt, ist nach Gl. 8.7 Fz = — (d£ m /dz) oder mit Gl. 51.12

51.5 Der Stern-Gerlach-Versuch

Fz = n,(dBJdz).

1553 (51.13)

Man beachte, daß die ablenkende Kraft nur durch den Gradienten des Magnetfeldes und nicht von der Größe des Feldes selbst bestimmt wird. In Abb. 51.7b und 51.7c wächst Bz mit wachsendem z, so daß der Gradient positiv ist. Also hängt das Vorzeichen der ablenkenden Kraft Fz in Gl. 51.13 vom Vorzeichen von /iz ab. Wenn ¡iz positiv ist (wie in Abb. 51.7b), wird das Atom nach oben, ist es negativ (Abb. 51,7c) nach unten abgelenkt. Eine Schwierigkeit bleibt bestehen. Wenn sich die einzelnen Atome im Strahl wie winzige Stabmagnete verhalten, warum richten sie sich nicht einfach alle nach dem Magnetfeld aus? Warum zeigen sie teilweise sogar in die entgegengesetzte Richtung? Die Antwort darauf ist, daß die Atome nicht nur ein magnetisches Moment, sondern auch einen Drehimpuls haben. Sie präzedieren deshalb um die Feldrichtung (s. Abb. 51.5). Genauso fallt ein Kreisel, wenn man ihn schräg zum Gravitationsfeld der Erde hinstellt und er sich nicht dreht, einfach um. In Abschn. 13.2 haben wir gesehen, daß er um diese Richtung präzediert, sobald er sich dreht. Dies bewirkt sein Drehmoment.

Experimentelle Ergebnisse. Wenn der Elektromagnet in Abb. 51.6 ausgeschaltet ist (oder mit sehr geringer Leistung arbeitet), werden die Atome nicht abgelenkt, und der Strahl markiert auf der Glasplatte einen schmalen Strich. Bei eingeschaltetem Elektromagneten, wenn also stark ablenkende Kräfte auftreten, gibt es zwei Möglichkeiten, je nachdem ob Richtungsquantelung auftritt oder nicht. Ohne Richtungsquantelung ist die Winkelverteilung des Drehimpulsvektors bezüglich der Magnetfeldrichtung kontinuierlich. Die Werte von n z in Gl. 51.13 haben eine kontinuierliche Verteilung, einige positiv und einige negativ. Der Atomstrahl wird einfach breiter. Tritt andererseits Richtungsquantelung auf, so erhält man eine diskrete Menge von Hz-Werten, d.h. auch für Fz in Gl. 15.13 erhält man keine kontinuierlichen Werte, und der Strahl wird in eine Anzahl diskreter Komponenten aufgespalten. Abb. 51.8 zeigt das Ergebnis. Der Strahl wird nicht verbreitert, sondern spaltet in zwei Strahlen auf. Es tritt Richtungsquantelung auf.' Stern und Gerlach beendeten ihren Bericht darüber mit den Worten: „Wir erblicken in diesen Ergebnissen den direkten experimentellen Nachweis der Richtungsquantelung im Magnetfeld".

Beispiel 4 Der Stern-Gerlach-Versuch. In einem Experiment nach der Stern-Gerlach-Methode betrug der Magnetfeldgradient dBJdz am Atomstrahl 1.4 T/mm, die Bahnlänge h des Strahls im Magneten 3.5 cm. Die Temperatur des „Ofens" für die Verdampfung des Silbers war so eingestellt, daß die wahrscheinlichste Geschwindigkeit v der Atome 750 m/s betrug. Man bestimme den Abstand der zwei abgelenkten Strahlen, nachdem sie den Magneten verlassen haben, s. Abb. 51.8 b. Die Masse M des Silberatoms ist 1.8 x 10" 2 5 kg, und sein magnetisches Moment ¡iz ist 1 Bohr-Magneton ( = 9.28 x l O " 2 4 J/T). Die Beschleunigung der Silberatome während des Durchgangs durch den Elektromagneten ist gegeben durch (s. Gl. 51.13) Fz _ M

ß2(dßjdz) M

1554

51 Die Struktur der Atome

(a)

(b)

Abb. 51.8 Ergebnisse des Stern-Gerlach-Versuchs: Der Silberniederschlag auf der Glasplatte (a) ohne Magnetfeld und (b) mit Magnetfeld. Der Strahl ist durch die Wirkung des Magnetfeldes in zwei Teilstrahlen aufgespaltet. Die senkrechte Skala rechts hat die Länge von 1 mm.

Die vertikale Ablenkung jeder der beiden Strahlen durch den Magneten ist

M

v

so daß ßMBJdz)h 2 Mv2 _ (9.28 x 1(T 2 4 J/T)(1.4x 103 T/m)(3.5 x IQ"2 m) 2 ~ (1.8 x 10~ 2 5 kg)(750m/s) 2 -4 = 1.6 x 1 0 m = 0.16mm.

d =

Dies ist die Größenordnung der Aufspaltung, wie sie in Abb. 51.8 b zu sehen ist (man beachte die Skala).

51.6 Der Spin des Elektrons In früheren Abschnitten haben wir bereits darauf hingewiesen, daß über den Drehimpuls mehr als bisher gesagt werden muß. Man betrachte das Ergebnis des Stern-GerlachVersuchs: Wie in Abb. 51.8 gezeigt, wird der Silberatomstrahl durch den Elektromagneten in zwei Strahlen aufgespaltet, also in eine gerade Anzahl. Ein Blick auf Abb. 51.4 zeigt aber, daß die Anzahl erlaubter Projektionen (das ist die Anzahl der Werte von m,) immer ungeradzahlig ist. Aus Gl. 51.8 ersieht man, daß diese Anzahl gerade 21 + 1 ist, also ungeradzahlig, denn / ist eine ganze Zahl. Um auf die Zahl zwei zu kommen, müßte / = ? sein; dies ist für die Bahndrehimpulsquantenzahl aber nicht möglich, wie Gl. 51.6 zeigt.

51.6 Der Spin des Elektrons

1555

Frage: „Existiert vielleicht im Wasserstoffatom noch eine andere Art Drehimpuls, der eine halbzahlige Quantenzahl möglich macht?" Antwort: „Ja, es ist der Eigendrehimpuls des Elektrons, der Spindrehimpuls, oder kurz sein Spin." Der Elektronenspin kann folgende z-Komponenten haben Sz = msh-,

(51.14)

die Spinquantenzahl ms kann nur die Werte + \ und — \ aufweisen. Wir benutzen das Symbol S für den Eigendrehimpuls, den Spin, um ihn vom Bahndrehimpuls L unterscheiden zu können. Nun können wir die Aufspaltung in zwei Strahlen im Stern-Gerlach-Versuch verstehen. Das Silberatom hat 47 Elektronen. 46 davon ordnen sich paarweise so an, daß ihr resultierender Drehimpuls Null ist. Das verbleibende Elektron befindet sich im Zustand L = 0, so daß der ganze Drehimpuls des Silberatoms nur aus dem Spin dieses einzelnen Valenzelektrons besteht. Aus Gl. 51.14 sieht man, daß der Drehimpulsvektor nur zwei Möglichkeiten der Ausrichtung hat, entweder in Richtung oder entgegen der Richtung des Magnetfelds; so entstehen die zwei Strahlen. Zur Zeit des Stern-Gerlach-Versuchs gab es noch andere Unstimmigkeiten zwischen Theorie und Experiment. So zeigten beispielsweise die Linien des Wasserstoffspektrums, wenn man sie mit einem Spektroskop hoher Auflösung beobachtete, eine Feinstruktur. Sie ist durch die Schrödingersche Wellenmechanik nicht erklärbar. Wolfgang Pauli (s. Abb. 51.9) erklärte dies durch eine zusätzliche vierte Quantenzahl, doch blieb die Natur dieser neuen Quantenzahl noch ein Rätsel. 1925 jedoch schlugen zwei junge niederländische Forscher (George Uhlenbeck und Samuel Goudsmit) zwei Jahre nach ihrer Promotion an der Universität von Leiden den Begriff des Elektronenspins für die Interpretation von Paulis neuer Quantenzahl vor. Wir kommen nun zum Vektor des magnetischen Moments /is, der mit dem Elektronenspin verbunden ist. Um sicher zu gehen, daß wir ihn nicht mit dem verwechseln, der durch den Bahndrehimpuls verursacht wird und den wir bisher mit ft bezeichneten, versehen wir letzteren mit dem Index /, schreiben also /t,. Eine Fülle experimenteller Daten berechtigt uns zu der Annahme, daß die Projektionen von fis auf die z-Achse gegeben sind durch HSiZ = - 2msiiB,

(51.15)

worin fiB das Bohr-Magneton ist. Wir vergleichen sie mit denen, die mit dem Bahndrehimpuls zusammenhängen (Gl. 51.10), und schreiben jetzt (51.10) Man beachte den Faktor 2. Er bedeutet, daß der Spindrehimpuls bei der Erzeugung von Magnetismus zweimal so effektiv wie der Bahndrehimpuls ist. Diesen Faktor 2 vermuteten Uhlenbeck und Goudsmit bereits, als sie den Elektronenspin einführten. Die Wellenmechanik Schrödingers sagt nichts über den Elektronenspin aus. Dies hat seinen Grund darin, daß die Schrödinger-Gleichung nicht die Relativitätstheorie berücksichtigt. Als der englische theoretische Physiker P. A. M. Dirac (1902-1984) eine relativistische Quantentheorie des Elektrons entwickelte, ergaben sich der Spinbegriff und die Spinquantenzahl auf natürliche Weise. Um

1556

51 Die Struktur der Atome

Abb. 51.9 Wolfgang Pauli und Niels Bohr bei der Beobachtung eines Kreisels, der sich eine Zeitlang dreht, auf den Kopf stellt und weiterdreht. Sie warten wohl auf die „Spinumklappung".

den Spin zu berücksichtigen, müssen wir den Schrödinger-Computer der Abb. 51.1 durch einen Dirac-Computer ersetzen. Die vollständige Theorie des Elektrons und seiner Wechselwirkungen, Quantenelektrodynamik (oder QED) benannt, ergibt, daß der Faktor 2 der Gl. 51.15 ein wenig, und zwar um ä 0.1 %, größer als 2 ist. Diese Vorhersage wird durch das Experiment voll bestätigt. Die Werte des Faktors sind: theoretisch berechnet experimentell bestimmt

2.002 319 304 76, 2.002 319 304 82.

Die beiden Zahlen unterscheiden sich nur in den letzten beiden Stellen. „Großartig" ist kein zu übertriebenes Wort, um diese Übereinstimmung zu beschreiben. Man könnte versucht sein, den Spin und die Bahnbewegung des Elektrons im Wasserstoffatom mit der Erdrotation und der Bewegung der Erde um die Sonne zu vergleichen. Obwohl von Nutzen, ist diese Analogie jedoch nur oberflächlich. Für die Erde sind die beiden Drehimpulse für die Rotation und die Bahnbewegung von gleicher Natur; sie werden lediglich in Bezug auf einen unterschiedlichen Koordinatenursprung gemessen. Spin und Bahnbewegung des Elektrons sind jedoch wesentlich voneinander verschieden, wie der Faktor 2 demonstriert.

51.7 Wissenschaft, Technologie und Spin

1557

Der Spin des Elektrons ist ebenso wie seine Ladung und Ruhemasse eine charakteristische Eigenschaft des Elektrons, unabhängig davon, ob es Teil eines Atoms oder ein freies Teilchen ist. Neutronen und Protonen (und Quarks, aus denen sie bestehen) haben ebenfalls einen Spin von gemessen in Einheiten von h. Den gleichen Spin hat das Neutrino, ein nicht stabiles Teilchen, das das Buch, in dem Sie gerade lesen, mit einer Anzahlrate von Milliarden durch Sekunde durchströmt. Der Spin scheint die einzige Eigenschaft des Neutrinos zu sein, die nicht den Wert Null hat. Die meisten Kerne haben entweder ganzzahligen oder halbzahligen Spin. Sogar dem Photon kann man einen Spin zuordnen (den Spin 1 in ^-Einheiten). Ist ein Lichtstrahl zirkulär polarisiert, stellen wir ihn uns als Photonenstrahl mit ausgerichteten Spins vor. Fällt ein solcher Strahl auf einen absorbierenden Schirm, so kann er tatsächlich auf diesen ein meßbares Drehmoment ausüben. Der Spin spielt in der Atom-, Kern- und Festkörperphysik eine große Rolle und liefert ein wesentliches Ordnungsprinzip bei der Untersuchung der Elementarteilchen. Tatsächlich ist eine der ersten Fragen, die bei einem neuen Elementarteilchen gestellt wird: „Welchen Spin hat es?"

51.7 Wissenschaft, Technologie und Spin Die meisten Entdeckungen in der Grundlagenforschung finden früher oder später Anwendung in der Technologie. Beispielsweise entdeckte Wilhelm Röntgen am 8. November 1895 in seinem Physiklabor an der Universität Würzburg die Röntgenstrahlen. Weniger als drei Monate danach wurde der gebrochene Arm eines Schlittschuhläufers, der auf dem zugefrorenen Connecticutfluß gestürzt war, am Dartmouth College geröntgt - das war die erste medizinische Anwendung der Röntgenstrahlen in Amerika. Beim Spin dauerte es von der Entdeckung bis zur Anwendung länger. Man betrachte ein Proton, das sich in einem Wassertropfen befindet. Es hat wie das Elektron den Spin \ in Einheiten von h. Sein magnetisches Moment /i p kann zwei quantisierte Orientierungen bezüglich des Magnetfelds B einnehmen, wie Abb. 51.10a zeigt.* Diese zwei Positionen unterscheiden sich in der Energie durch 2fi p B; das ist die Arbeit, die geleistet werden muß, um das magnetische Moment /i p im Magnetfeld umzuklappen. Wenn ein Tropfen Wasser, der das Proton enthält, einem elektromagnetischen Wechselfeld der Frequenz v ausgesetzt wird, so können Übergänge zwischen den beiden Orientierungen von fip - Spinumklappung genannt - erfolgen. Dafür muß gelten: hv = 2npB.

(51.16)

Das bedeutet, daß die Energie der Photonen aus dem elektromagnetischem Wechselfeld gerade gleich der Energiedifferenz zwischen den Spinorientierungen sein muß. (Man erinnere sich an Abschn. 37.7, wo wir die klassische Analyse einer Spinumklappung in Analogie zu einem rotierenden Kreisel machten.) Für die Spinumklappung gibt es zwei Möglichkeiten (entweder von oben nach unten oder umgekehrt) mit der gleichen Wahrscheinlichkeit. Wenn sich aber der Wassertropfen im thermischen Gleichgewicht befindet, so wird der niedrigere Energiezustand der Pro* Spindrehimpuls ( = j h) und magnetisches Moment ( = fip) beziehen sich wie üblich auf die maximale Projektion dieser Größen auf die z-Achse und nicht auf ihren Betrag.

1558

51 Die Struktur der Atome

t t >.» t t «

1 Z^pB

(b) Abb. 51.10 (a) Ein Proton mit dem Spin j in Einheiten von h kann in einem äußeren Magnetfeld eine von zwei quantisierten Orientierungen besitzen, (b) Wenn Gl. 51.16 erfüllt ist, können die Protonen von einer in die andere Orientierung umklappen.

tonenspins stärker als der höhere Energiezustand besetzt sein, wie die Punkte in Abb. 51.10b andeuten. Dies bedeutet, daß aus dem elektromagnetischen Feld Energie absorbiert wird. Abb. 37.22 zeigt eine solche Absorptionskurve, die bei relativ geringer Auflösung erhalten wurde. Untersuchungen über die magnetische Resonanz, die bei hoher Auflösung durchgeführt wurden, lieferten die Erkenntnis, daß der Faktor B in Gl. 51.16 nicht das äußere angelegte Feld 2?äuß sein kann, sondern daß dieses Feld durch kleine lokale innere Felder Blok der Elektronen und Kerne in den Molekülen - von denen das Proton ein Teil ist modifiziert ist. So können wir Gl. 51.16 umschreiben zu hv = 2 nJBlok +

(51.17)

Biuß).

In der Praxis ist es üblich, die Frequenz v des elektromagnetischen Oszillators festzuhalten und 5ä u ß zu verändern, bis Gl. 51.17 erfüllt ist und ein Absorptionspeak auftritt. A b b . 51.11 zeigt ein sogenanntes kernmagnetisches

Resonanzspektrum

(NMR-Spek-

trum) für Ethanol, dessen Formel CH 3 —CH 2 —OH geschrieben werden kann. Die verschiedenen Resonanzpeaks repräsentieren Spinumklappungen der Protonen. Sie erfolgen bei verschiedenen Werten von 5 ä u ß, da die Umgebung der Protonen innerhalb des Ethanolmoleküls verschieden ist. Das Spektrum in Abb. 51.11 ist unverwechselbar für Ethanol, deshalb ist die kernmagnetische Resonanzmethode von großem Wert für analytische Untersuchungen in der organischen Chemie. Geräte für die Messung der kernmagnetischen Resonanz sind kommerziell zu erhalten und in vielen Laboratorien der Welt zu finden. Die Spintechnologie wird auch für medizinische diagnostische Aufnahmen verwendet. Die Protonen befinden sich in den verschiedenen Organen und Geweben des menschlichen Körpers in unterschiedlichen lokalen Magnetfeldern. Wird der Körper oder ein Teil von ihm einem starken äußeren magnetischen Feld ausgesetzt, können diese Unterschiede durch Spinumklapptechniken und Computerunterstützung wie eine Röntgenaufnahme sichtbar gemacht werden. Abb. 51.12 zeigt zum Beispiel den Quer-

51.7 Wissenschaft, Technologie und Spin 1

i

i

i

1559

r

o

O) LU

O t ffi

CH 3 -Gruppe CH 2 -Gruppe OH-Gruppe

Ä

«u0

Abb. 51.11 Kernmagnetisches Resonanzspektrum von Ethanol: Alle Absorptionslinien sind eine Folge der Protonenspinumklappung. Die drei Gruppen von Linien entsprechen, wie angegeben, den Protonen in der OH-, CH 2 - bzw. CH 3 -Gruppe im Molekül. Die Länge der horizontalen Skala in der Abbildung beträgt merklich weniger als 1 0 ~ 4 T ( = 1 Gauß).

Abb. 51.12 Querschnitt eines menschlichen Kopfes, der durch Spinumklapptechnik aufgenommen wurde. Die Aufnahme zeigt anatomische und funktionelle Details, die durch Röntgenaufnahmen nicht sichtbar werden.

1560

51 Die Struktur der Atome

schnitt eines menschlichen Kopfes, der mit dieser Methode aufgenommen wurde. Sie ist eine hervorragende Ergänzung der Röntgenmethode und wurde 50 Jahre nach der Entdeckung des Spins entwickelt.

Beispiel 5 Spinumklappung beim Proton. Ein Wassertropfen befindet sich in einem Magnetfeld der Flußdichte 1.8 T. Er wird einem elektromagnetischen Wechselfeld mit einer Frequenz ausgesetzt, bei der in den Protonen der Spin umklappt. Wie groß muß diese Frequenz sein? Wie groß ist die Wellenlänge? Das magnetische Moment des Protons ist 1.41 x 10 ~ 2 6 J/T. Man vernachlässige lokale Magnetfelder in der Probe. Aus Gl. 51.16 ergibt sich

2fipB _ 2(1.41 x 10" 2 6 J/T)(1.8 T) 6 . 6 3 x 1 0 " 3 4 Js

~

= 7.66 x 10 7 Hz = 76.6 MHz. Diese Frequenz liegt im Kurzwellenbereich. Die entsprechende Wellenlänge ist 3 x 10 8 m/s

c v

=

7.66 x 10 7 Hz

=

m

"

Man beachte, daß das magnetische Moment des Protons ( = 1.4 x 10 ~ 2 6 J/T) ca. 650mal kleiner als das des Elektrons ist ( = 9.27 x 10 ~ 2 4 J/T). So ist auch allgemein das kernmagnetische Moment um ungefähr diesen Faktor kleiner als das magnetische Moment des Atoms.

51.8 Ordnung der Energiezustände des Wasserstoffatoms Wir kennen nun die vier Quantenzahlen, die die stationären Zustände des Wasserstoffatoms definieren, und wir haben sie physikalisch interpretiert. Im Falle des Elektronenspins zeigen sich die Grenzen der Schrödinger-Gleichung und die umfassendere Bedeutung der Dirac-Gleichung. Unsere nächste Aufgabe besteht darin, die Energiezustände des Wasserstoffatoms zu ordnen. Man betrachte zunächst die Hauptquantenzahl n. Alle Zustände mit dem gleichen Wert von n haben die gleiche Energie, und man sagt, daß die Elektronen mit gleicher Hauptquantenzahl eine Schale bilden. Aus Gl. 51.4 kann man erkennen, daß die Zahl der möglichen Werte von / für ein vorgegebenes n gerade gleich n ist. Also gibt es für n = 3 drei Werte für l ( = 0, 1 und 2). Die Schalen können nun weiter unterteilt werden in Unterschalen mit dem gleichen Wert für die Bahndrehimpuls-Quantenzahl l. Die Schale, die zu n = 3 gehört, besteht somit aus drei Unterschalen, die alle Elektronen mit der gleichen Energie, aber verschiedenem Drehimpuls enthalten. Die Unterschalen weisen ebenfalls Entartung auf, je nach Orientierung des Drehim-

1561

51.8 Ordnung der Energiezustände des Wasserstoffatoms

pulsvektors. Gl. 51.6 zeigt, daß für ein gegebenes l für ml 21 + 1 Werte möglich sind. Für unser Beispiel heißt das, daß die Unterschale mit 1 = 2 fünf ( = 2 x 2 + 1) und mit / = 1 und l = 0 drei Zustände bzw. einen Zustand enthält. In der Schale mit n = 3 addiert sich das zu insgesamt neun ( = 5 + 3 + 1) Zuständen. Die Spinquantenzahl ms verdoppelt die Anzahl der Energiezustände. Jede Kombination von n, l und ml erlaubt noch Zustände mit ms = + \ oder ms = — \ und macht dadurch aus einem Zustand zwei. In unserer Schale mit n = 3 befinden sich somit 18 statt 9 Zustände. Tab. 51.2 ist eine Zusammenstellung dieser Klassifikation des Wasserstoffatoms nach Schalen und Unterschalen. Die Besetzungszahlen in der unteren Reihe der Tab. 51.2 (2, 8 und 18) sind gleich der Anzahl der Elemente in den horizontalen Perioden des Periodensystems der Elemente. Wie Anhang E zeigt, enthält die 1. Periode zwei, die 2. und 3. Periode je acht und die 4. und 5. Periode je 18 Elemente. In Kapitel 52 werden wir ausführlich darstellen, wie sich die Ordnung im Periodensystem aus der Wellenmechanik ergibt. Mehrelektronenatome. Am Anfang dieses Kapitels haben wir beschrieben, wie die Potentialfunktion des Wasserstoffatoms (Gl. 51.1) in die Schrödinger-Gleichung eingesetzt wird, und deren Lösung die Quantenzahlen und Wellenfunktionen liefert. Alle bisherigen Ergebnisse sind nur auf das Wasserstoffatom anwendbar. Wie sieht es nun bei anderen Atomen aus? Für Atome mit mehr als einem Elektron kann die Potentialfunktion, die in die Schrödinger-Gleichung eingesetzt werden muß, hoffnungslos kompliziert werden, da die Coulomb-Wechselwirkung zwischen vielen Teilchen berücksichtigt werden muß. Zum Beispiel gehen bei Neon, das aus dem Kern und zehn Elektronen zusammengesetzt ist, die Coulomb-Wechselwirkungen von ungefähr 2 x 107 unabhängigen Ladungspaaren in die Rechnung ein. Bei dieser Komplexität ist eine genaue Lösung der Schrödinger-Gleichung nicht mehr möglich, und man muß Näherungs- und numerische Methoden finden. Trotzdem war die Arbeit nicht vergeblich. Es zeigt sich nämlich, daß die Zustände eines Elektrons im Mehrelektronenatom genau durch die gleiche Folge von Quantenzahlen beschrieben werden können wie beim Wasserstoffatom. Energie und Wellenfunktionen sind unterschiedlich, aber Schema und Klassifikation der Zustände in Schalen und Unterschalen bleiben unverändert - ein äußerst nützlicher Umstand. Tabelle 51.2 Zustände des Wasserstoffatoms*

n

2

1

3

l

0

0

1

0

1

2

m,

0

0

0, + 1

0

0, ± 1

0, + 1 , ± 2

i

ms Besetzung der Unterschalen

2

Besetzung der Schalen

2

* nur bis n = 3

1

1 2

1

—1 6 8



2

l

1

l

l

—T.

—7.

6

10 18

1562

51 Die Struktur der Atome

Das Wasserstoffatom enthält nur ein Elektron, so daß von allen Zuständen, die in Tab. 51.2 aufgelistet sind (und auch die weiteren für n > 3), nur einer besetzt sein kann. Die restlichen Zustände sind leer. Im Vielelektronenatom können wir so viele Zustände besetzen, wie wir Elektronen zur Verfügung haben. Wenn wir die Elektronen auf die verschiedenen Zustände in einem solchen Atom verteilen wollen, müssen wir das Paulische Ausschließungsprinzip berücksichtigen. Es besagt, daß kein Zustand mit mehr als einem Elektron besetzt werden darf. Wenn diese Regel nicht bestünde, würden alle Elektronen eines Mehrelektronenatoms auf die Schale mit n = 1 fallen, und die Welt wäre nicht das, was sie ist. Wir werden dieses bedeutende Ausschließungsprinzip genauer in Abschn. 52.4 behandeln. Wie sieht es bei Neon mit zehn Elektronen aus? Zwei von ihnen besetzen die Schale mit n = 1 und füllen sie vollständig. Die verbleibenden acht Elektronen befinden sich in der Schale mit n = 2. Sie enthält zwei Teilschalen entsprechend 1 = 0 und / = 1. Sie werden durch die acht Elektronen gerade aufgefüllt. So sind die Elektronen des Neonatoms im niedrigsten Energiezustand auf drei gefüllten Teilschalen angeordnet. In einer gefüllten Teilschale sind alle zulässigen Projektionen von Bahn- und Spindrehimpulsvektoren vorhanden und heben sich im ganzen Atom gegenseitig auf. Resultierender Drehimpuls und dementsprechend auch resultierendes magnetisches Moment sind Null. Wie uns bekannt ist, ist Neon (mit seinen gefüllten Teilschalen) chemisch inaktiv. Nach Neon folgt Natrium mit elf Elektronen. Zehn von ihnen bilden einen neonähnlichen Rumpf, das verbleibende Elektron befindet sich im Zustand n = 3 und / = 0. In einer ersten Näherung kann man sich vorstellen, daß der Natriumkern (mit der Ladung 11 e) teilweise durch den neonähnlichen Rumpf (mit der Ladung — 10 e) abgeschirmt wird, so daß eine reduzierte Zentralladung die Bewegung des äußeren Elektrons bestimmt. Dieses einzelne, relativ lose gebundene Valenzelektron liefert somit den Gesamtdrehimpuls und das gesamte magnetische Moment des Natriumatoms. Beispiel 6 Anzahl der Zustände fiir n = 4. Eine Schale ist durch die Hauptquantenzahl n = 4 definiert, (a) Wie viele Unterschalen enthält sie? (b) Wie sind die einzelnen Unterschalen besetzt? (c) Wie ist die Schale besetzt? (a) Für n = 4 sind die erlaubten Werte von / nach Gl. 51.6 0,1,2 und 3. Dies sind insgesamt vier Werte in Übereinstimmung mit der Tatsache, daß die Zahl der erlaubten Werte von / für ein bestimmtes n gleich n ist. Jeder Wert von n definiert eine Schale und jeder Wert von l eine Unterschale in ihr. Damit enthält die Schale mit n = 4 vier Unterschalen. (b) Die Besetzung einer Unterschale ist durch 2(21 + 1) gegeben, wobei der Faktor 2 durch die zwei zulässigen Werte der Spinquantenzahl herrührt. So ergibt sich für die Besetzung der verschiedenen Unterschalen: l

2(2/+1)

0 1 2 3

2 6 10 14

51.9 Der Grundzustand des Wasserstoffatoms

1563

(c) Die Besetzung für die Schale n = 4 findet man durch Addition der Besetzung der Unterschalen. Nach obiger Tabelle ergibt dies 2 + 6 + 10 + 14 = 32. 32 ist auch die Zahl der Elemente in der 6. Reihe des Periodensystems (vgl. Anhang E). Man überprüfe, daß ganz allgemein die Besetzung einer Schale, die durch die Hauptquantenzahl n definiert ist, 2n 2 beträgt. In unserem Beispiel mit n = 4 wäre das 2 x 4 2 = 32, wie es auch berechnet wurde.

51.9 Der Grundzustand des Wasserstoffatoms Wir haben diesen Zustand des Wasserstoffatoms schon in Abschn. 50.10 behandelt. Wir stellen die gefundenen Ergebnisse in Tab. 51.3 zusammen. Tabelle 51.3

Der Grundzustand des Wasserstoffatoms*

Größe

Symbol

Wellenfunktion

xp(r)

Wahrscheinlichkeitsdichte

xp2(r)

radiale Wahrscheinlichkeitsdichte

P,(r)

Gleichung

Funktion 1 e

-r/« 0

]/näl 1

e

-2r,„„

KOS 4 2 -2r/a J_ al

r e

0

50.15

50.16

50.17

* s. Abschn. 50.10

In Abschn. 50.10 wurde noch nichts über die Rolle des Elektronenspins im Grundzustand des Wasserstoffatoms ausgesagt. Wie wir aus Tab. 51.2 ersehen, gibt es für die Schale n = 1 im Wasserstoffatom zwei Zustände entsprechend den zwei erlaubten Werten ( ± i) der Spinquantenzahl ms. Diese zwei Zustände haben jedoch exakt die gleiche Energie, und bei einem isolierten Atom gibt es keine Möglichkeit, sie experimentell zu erkennen. Man stelle sich das Atom im Grundzustand am besten so vor, daß es - im Durchschnitt - die Hälfte der Zeit im Zustand mit ms = + ^ und die halbe Zeit im Zustand mit ms = — \ zubringt. Energie und Wahrscheinlichkeitsdichte der Abb. 50.18 b sind für beide Zustände gleich. Um die beiden Zustände der zwei Spinorientierungen tatsächlich zu unterscheiden, muß man das Atom in ein äußeres Magnetfeld bringen. Dies liefert nicht nur eine natürliche Bezugsachse für die Ausrichtung des Spindrehimpulsvektors (und dem entsprechenden Vektor des magnetischen Moments), sondern spaltet auch die zwei Zustände energetisch auf. Dies ist genau das, was im Stern-Gerlach-Versuch passierte.

1564

51 Die Struktur der Atome

51.10 Der erste angeregte Zustand des Wasserstoffatoms Der in der Energie nächsthöhere Zustand über dem Grundzustand wird erster angeregter Zustand genannt. Wenn man n = 2 in Gl. 51.2 einsetzt, erhält man — 3.40 eV. Aus Tab. 51.2 ist erkenntlich, daß die Schale n = 2 zwei Unterschalen, entsprechend zu / = 0 und 1 = 1 , enthält. Unterschale mit n = 2 und 1 = 0. Die Wellenfunktion für diesen Zustand ist (2 - r/a0)e~r,2ao,

tp200(r) =

(51.18)

in der der Index 200 die Folge der Quantenzahlen n = 2,1 = 0 und ml = 0 angibt. Dieser Zustand ist genauso wie der Grundzustand von sphärischer Symmetrie, da er nur eine Funktion von r ist. Die Wahrscheinlichkeitsdichte tp 2 (r) und die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte PT(r) sind gegeben durch (51.19) bzw. — ) e" r/fl °.

(51.20)

a

o )

Abb. 51.13 a ist ein „Punktdiagramm" der Gl. 51.19, Abb. 51.13 b die Kurve der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte. Man beachte, daß sie zwei Maxima besitzt und bei r = 2a0 Null ist; dies zeigt auch Gl. 51.20. Die Bemerkungen über den Spin am Ende von Abschn. 51.9 gelten hier genauso.

(a)

(b) 2

Abb. 51.13 (a) Wahrscheinlichkeitsdichte v> (r) für den Zustand des Wasserstoffatoms mit n = 2 und 1 = 0. Der Kreisradius beträgt 4 Bohr-Radien. (b) Radiale Wahrscheinlichkeitsdichte Pr (r) für den gleichen Zustand.

51.10 Der erste angeregte Zustand des Wasserstoffatöms

1565

Dieser Zustand ist von sphärischer Symmetrie. Sein Drehimpuls ist \ in Einheiten von h und resultiert ganz aus dem Elektronenspin. Unterschale mit n = 2 und / = 1. Die Zustände dieser Unterschale besitzen einen Bahndrehimpuls; seine z-Komponenten werden durch ml h gegeben, wobei m, die Werte 0 oder ± 1 annehmen kann. Die Wellenfunktionen für die drei Zustände haben keine sphärische Symmetrie. Neben r hängen sie vom Winkel d ab, wie in Abb. 51.14a definiert. Abb. 51.14a zeigt „Punktdiagramme" der drei Wahrscheinlichkeitsdichten \p\t _ j (r, ö)> Vi io ( f , 0) und ipi i +! (r, 6). Wie üblich geben die Indizes in Reihenfolge die Quantenzahlen n, l und m, wieder. Alle drei Diagramme zeigen Rotationssymmetrie um die z-Achse; die Diagramme für ml — — 1 und mt = + 1 sind identisch. Da die Potentialfunktion, die wir in die Schrödinger-Gleichung einsetzen, nur von r abhängt, ist das Fehlen der sphärischen Symmetrie in Abb. 51,14a überraschend. Bildet

c

z

z

d

z

M

un

...

mt-

-1

m

i

=0

m

r-

= +1

(a)

(b)

Abb. 51.14 (a) Wahrscheinlichkeitsdichten des Wasserstoffatoms im Zustand mit n = 2, l = 1 und mh wie angezeigt. Alle drei Abbildungen sind rotationssymmetrisch bezüglich der z-Achse. (b) Radiale Wahrscheinlichkeitsdichte Pr (r) für die Teilschale desselben Atoms mit n = 2 und / = 1. Man beachte das Maximum bei 4 Bohr-Radien.

1566

51 Die Struktur der Atome

das Elektron im Zustand mit w = 2, / = 1 und m, = 0 tatsächlich eine derartige Wolke um die z-Achse unter Ausschluß der Äquatorebene? Wer entscheidet, in welche Richtung die z-Achse zeigt? Man findet eine Antwort aus der Tatsache, daß die drei Zustände die gleiche Energie besitzen und ohne Magnetfeld experimentell nicht unterschieden werden können. Im Durchschnitt befindet sich das Atom ein Drittel der Zeit in jedem der drei Zustände, die in Abb. 51.14 a zu sehen sind. Auf dieser Grundlage kann man eine mit Gewichten versehene mittlere Wahrscheinlichkeitsdichte für die ganze Unterschale berechnen. Das Ergebnis ist v l i t o = Ö ) v l i - 1 M ) + (i)v!io(r, 0) + (i)vl 1 + 1 (r,0) 1 , 96jiag

(51.21)

Der Index an der Wahrscheinlichkeitsdichte gibt die Werte von n ( = 2) und / ( = 1) an. Man beachte, daß die Winkelvariable 6 beim Endergebnis herausgefallen ist. Die Wahrscheinlichkeitsdichte für die ganze Unterschale hängt also nur von r ab und hat sphärische Symmetrie, wie wir es erwartet haben. Das bedeutet, daß bei Überlagerung der drei zylindrisch symmetrischen Punktdiagramme der Abb. 51.14a das resultierende (dreidimensionale) Punktdiagramm von sphärischer Symmetrie ist. Wenn wir wie in Abschn. 51.9 vorgehen, erhalten wir nun für die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte dieser Unterschale W

= Viitoilw2) 1 r4 Q-r/ao 24a50

(51.22)

Sie ist in Abb. 51.14b aufgetragen. Man beachte, daß das Maximum der Verteilung bei r = 4a0 gerade gleich dem Radius der zweiten Bohrschen Umlaufbahn (s. Gl. 49.31) ist. Zusätzliches zum Spin. Im Wasserstoffatomzustand mit / = 1 gibt es sowohl Bahn- als auch Eigendrehimpuls. Wie findet man aus ihrer Kombination den Gesamtdrehimpuls des Atoms? Die Quantenzahl / ( = 1) beschreibt den Bahndrehimpuls L und s ( = den Spin S. Für den Gesamtdrehimpuls J führen wir die Gesamtdrehimpuls-Quantenzahl j ein. Sie stehen in folgender Beziehung zueinander (vgl. Gl. 51.5) J=]/j(j+l)h. Die zwei möglichen Werte für j sind in diesem Fall j=l

+s=

= |

(parallel)

und j = l — s = 1—2 = 2,

(antiparallel),

wobei s die Spindrehimpuls-Quantenzahl ist. Es ist dieser Gesamtdrehimpuls, der im Magnetfeld 2j + 1 quantisierte Positionen einnimmt. Zustände mit j = \ haben so 2 x (§) + 1 oder vier Positionen, solche mit j = \ 2 x (z) + 1 oder zwei Positionen. Tab. 51.2 zeigt, daß die Unterschale mit / = 1 sechsfach entartet ist, wie wir eben berechnet haben. Vier der Zustände haben j = § und die anderen zwei j =

51.11 Untersuchung des Atoms in einem Magnetfeld

1567

Die beiden Werte von j entsprechen der parallelen und antiparallelen Kombination von Bahndrehimpuls- und Spinvektor. Gleichzeitig erfolgt die Kombination der mit ihnen verbundenen Vektoren der magnetischen Momente. Wir stellen fest, daß zwei Stabmagneten durch verschiedene geometrische Anordnung unterschiedliche Energien besitzen. Das bedeutet, daß sich die vier Zustände mit j = \ von den zwei Zuständen mit 7 = 2 energetisch unterscheiden. Da j — § zwei winzigen Magneten entspricht, die parallel zueinander angeordnet sind, hat dieses Niveau die höhere Energie. In dieser Weise ist die Entartung der Unterschale / = 1 partiell aufgehoben; ihre sechs Zustände sind auf zwei Energieniveaus verteilt. Im Wasserstoffatom wurden diese zwei Niveaus, obgleich sie sehr dicht beieinander liegen, sehr genau experimentell ermittelt. Das charakteristische gelbe Licht einer Natriumflamme besteht wegen der zwei Zustände des Valenzelektrons ebenfalls aus zwei dicht beieinanderliegenden Wellenlängen, wie Abb. 51.15 zeigt. Diese bekannte Natriumdoppellinie haben Sie vielleicht schon einmal durch ein Spektroskop beobachten können.

2j+l 4

n = 3, £ = 1

2

E c in

O Oll 00 00 in

E c

C vJ O IT)l O l 00 m

n = 3,/=0-

Abb. 51.15 Diese drei Energieniveaus erklären das Zustandekommen der bekannten Natrium-Doppellinie. Die Energiedifferenz zwischen den beiden oberen Niveaus ist nur 1/1000 der Energiedifferenz zwischen diesen und dem unteren Niveau. Rechts neben den Niveaus sind die Gesamtdrehimpulsquantenzahl j und der Entartungsgrad (= 2j + 1) angegeben.

51.11 Untersuchung des Atoms in einem Magnetfeld Michael Faraday war davon überzeugt, daß die Spektrallinien von emittiertem Licht durch ein starkes Magnetfeld verändert werden. Faradays Intuition ging selten fehl, und am 12. März 1862 im Alter von 70 Jahren machte er dieses Experiment. Leider erfahren wir aus seinen Notizen: „Nicht die kleinste Spur des Effektes ... wurde beobachtet." Es lag jedoch an seiner Apparatur, daß ihm dieses schwierige Experiment keinen Erfolg brachte. Ungefähr 30 Jahre später wiederholte der niederländische Physiker Pieter Zeeman (1865-1943) das Experiment von Faraday mit einer empfindlicheren Anordnung. Er konnte nachweisen, daß Faraday recht hatte. Abb. 51.16 zeigt, wie jede Spektrallinie in einem sehr starken Magnetfeld in verschiedene Komponenten aufspaltet. Die Atomspektren für sich stellten die Physiker bereits vor schwierige Probleme. Nun verwies der sogenannte Zeeman-Effekt auf neue, unerwartete Eigenschaften des Atoms. Untersuchungen dieses Effekts spielten bei der Aufklärung der Atomstruktur eine große

1568

51 Die Struktur der Atome Magnet aus

1

1

aus

Abb. 51.16 Der Zeeman-Effekt bei Rhodium. Die obere und untere Aufnahme zeigen einen Teil des Spektrums bei ausgeschaltetem Elektromagneten, die mittlere Aufnahme die Linienaufspaltung bei eingeschaltetem Elektromagneten.

Rolle und lieferten Daten für die Prüfung der Wellenmechanik. Es gehört zu den großen Erfolgen der Wellenmechanik, daß sowohl die Anzahl der Zeeman-Linien als auch ihre Intensitäten und relativen Abstände in der Wellenlänge, ja sogar die Art der Polarisation der einzelnen Linien von ihr richtig vorausgesagt werden. Mit Hilfe des Zeeman-Effekts können Astronomen aus der Linienaufspaltung auf die Stärke von Magnetfeldern auf der Sonnenoberfläche, auf Sternoberflächen und im interstellarem Raum unserer Galaxis schließen. Abb. 51.17 zeigt zum Beispiel ein typisches Magnetogramm der Sonne, das aus der Zeeman-Aufspaltung des von ihr emittierten Lichtes durch den Oberflächenmagnetismus entsteht. Zeeman erhielt zusammen mit H. A. Lorentz, der den Effekt klassisch interpretierte, 1902 den Nobelpreis - er war der zweite, der den Nobelpreis für Physik erhielt. L. Pearce Williams, der Biograph von Faraday, schreibt: „Es wird die Leistung Zeemans nicht

Abb. 51.17 Ein Magnetogramm der Sonne auf der Grundlage des Zeeman-Effekts.

51.11 Untersuchung des Atoms in einem Magnetfeld

1569

mindern, wenn man unterstellt, daß der Zeeman-Effekt Faradays letzte Entdeckung war." Bei Betrachtung einer Spektrallinie kann man nicht sagen, in wieviele Zeeman-Komponenten sie im Magnetfeld aufspalten wird. In Abb. 51.16 sehen die vier Linien oben und unten in der Abbildung beispielsweise ziemlich gleich aus. Die Anzahl ihrer Zeeman-Komponenten ist jedoch von rechts nach links 4, 8, 4 und 10. Wie kommt es zu diesen Zahlen? Jede Spektrallinie repräsentiert einen Übergang zwischen zwei Niveaus. Wenn die Linie durch Wirkung eines Magnetfeldes in verschiedene Wellenlängen aufspaltet, so muß das bedeuten, daß ein Niveau oder beide in Energiekomponenten aufspalten. Betrachten wir zum Beispiel die Komponente des Natriumdubletts, deren Wellenlänge 588.995 nm beträgt und links in Abb. 51.15 zu sehen ist. Bringt man eine Natriumflamme in ein Magnetfeld, so spaltet diese Einzellinie in sechs nahe beieinander liegende Wellenlängenkomponenten auf. Abb. 51.18 liefert uns die Erklärung. Befindet sich das Natriumatom in dem Zustand, der durch das obere Niveau in Abb. 51.18a repräsentiert wird, hat es die Gesamtdrehimpulsquantenzahl j = § und (wie

Magnet aus

Magnet an A Efí

._ 3

J 2

A£|

_4 2

3

J

¿í

AEi(= &EV) 2

Wellenlänge

(a)

I I I I I I Wellenlänge

(b)

Abb. 51.18 (a) Die für eine Linie des Natriumdubletts verantwortlichen Niveaus, (b) Die Aufspaltung dieser Linien entsprechend ihrer Entartung durch ein angelegtes Magnetfeld. Aus einer Spektrallinie werden sechs dicht beieinanderliegende Linien.

1570

51 Die Struktur der Atome

immer) ein damit verbundenes magnetisches Moment. In einem Magnetfeld kann der Vektor des magnetischen Moments vier ( = 2j+ 1) raumquantisierte Orientierungen einnehmen, so daß das Einzelniveau in vier Niveaus aufspaltet; jedes von ihnen wird durch die magnetische Quantenzahl rrij identifiziert, wie Abb. 51.18 b zeigt. In gleicher Weise spaltet das niedrigere Niveau (mit j = in zwei ( = 2j 4- 1) Komponenten auf. Wenn wir alle möglichen Übergänge zwischen den oberen und unteren Niveaus in Abb. 51.18 b aufzeichnen, so kommen wir auf acht Zeeman-Komponenten. Doch sagt die Wellenmechanik voraus, daß zwei dieser Übergänge (Können Sie sie angeben?) nicht auftreten. Die Anzahl der beobachteten Übergänge ist tatsächlich nur sechs. Berechnung der Niveauaufspaltungen. Um die Wellenlängen der Zeeman-Komponenten zu erhalten, müssen wir zuerst die Energiedifferenzen zwischen den Niveaus bestimmen, zwischen denen die Übergänge erfolgen. Die Energiedifferenzen AE3/2 und AE L/2 , wie sie Abb. 51.18 b zeigt, verallgemeinert AEJ geschrieben, entsprechen der Energie, um einen magnetischen Dipol in einem Magnetfeld der Stärke B zu drehen. So ist AEJ = 2fijB,

(51.23)

worin fij das magnetische Moment ist. Nun brauchen wir den Wert des magnetischen Moments fij. Dies ist eine komplizierte Aufgabe, da Bahnbewegung und Spinbewegung sich bei der Erzeugung von Magnetismus in ihrer Wirksamkeit (um den Faktor 2) unterscheiden. Wir berücksichtigen dies, indem wir schreiben: ßj = mB>

(51.24)

worin das Bohr-Magneton und g (einfach g-Faktor genannt) eine Zahl ist, deren Wert von der Art des Drehimpulses abhängt. Rührt der Drehimpuls vollständig von der Bahnbewegung her, so wird j gleich / und damit g = 1, wie Gl. 51.10 implizit zeigt. Wird andererseits der Drehimpuls nur durch den Spin erzeugt, ist j gleich s und somit g = 2 (s. Gl. 51.15). Im allgemeinen setzt sich der Drehimpuls aus beiden zusammen und muß nach einer wellenmechanischen Formel berechnet werden, s. Aufgabe 35. Ohne Beweis geben wir den g-Faktor für den oberen und unteren Zustand in Abb. 51.18b mit 3 bzw. 2 an. Der zweite Wert ist selbstverständlich, da dieser Zustand dem Grundzustand des Wasserstoffatoms gleich ist mit / = 0. Nur der Spin des Valenzelektrons von Natrium liefert den Drehimpuls, und somit ist g = 2. Aus den Gin. 51.23 und 51.24 ergibt sich AEJ = 2gjfiBB

(51.25)

für die gesuchte Größe. Das Energieintervall zwischen benachbarten Niveaus A£ ben können wir leicht linden, indem wir diese Größe durch 2 j dividieren, der Anzahl solcher Intervalle. Das liefert uns A£ben=g/V?,

(51.26)

Es ist sofort ersichtlich, daß diese Gleichung für das untere Niveau von Abb. 51.18 b das richtige Ergebnis liefert ( = 2 HBB). Da hier der Drehimpuls allein durch den Spin gegeben ist, ist g = 2.

Fragen

1571

Beispiel 7 Aufspaltung in Zeeman-Niveaus. Eine Natriumdampflampe wird in ein Magnetfeld von 2.5 T gebracht. Wie groß sind die Energieabstände zwischen benachbarten Niveaus für (a) die obere und (b) die untere Gruppe der Niveaus in Abb. 51.18 b? (a) Für das obere Niveau (s. Abb.) ist der g-Faktor f , und Gl. 51.26 liefert &E0 = gnBB = (t)(5.79 x 10" 5 eV/T)(2.5 T) = 1.93 x 1 0 - 4 eV, worin der Index „O" für obere Niveaugruppe steht. (b) Die gleiche Rechnung für das Energieintervall zwischen den zwei unteren Niveaus in Abb. 51.18b (mit g = 2) liefert AEV = 2.89 x 1 0 - 4 eV. Zum Vergleich beträgt die Energiedifferenz zwischen den Niveaus von Abb. 51.18a, deren Übergang die Emissionslinie 589 nm liefert, AE = hv = h(cß) _ (4.14 x 10~ 15 eVs)(3 x 108 m/s) (589 x 10" 9 m) = 2.11 eV. Also beträgt der Abstand der in einem Magnetfeld von 2.5 T aufgespalteten Niveaus ca. den lOOOOsten Teil der Energieniveauabstände. Der Zeeman-Effekt ist nicht einfach zu beobachten. Zeeman selbst stellte zunächst eher eine Verbreiterung der Linie, denn das Aufspalten in Komponenten fest.

Fragen 1. Wenn die Bohrsche Theorie und die Wellenmechanik für die Energiezustände des Wasserstoffatoms (s. Gl. 51.12) die gleichen Ergebnisse liefern, wozu brauchen wir dann die wesentlich kompliziertere Wellenmechanik? 2. Man vergleiche die Bohrsche Theorie und die Wellenmechanik. Worin stimmen sie überein, worin unterscheiden sie sich? 3. Wie kann man in einem Laboratorium beobachten, daß ein Atom einen Drehimpuls und ein magnetisches Moment besitzt? 4. Man rechtfertige die Behauptung, daß beim Einstein-de-Haas-Effekt der Drehimpuls des Eisenstabes erhalten bleiben muß, wenn er plötzlich magnetisiert wird. 5. Im Einstein-de-Haas-Versuch (s. Beispiel 1) kann man beweisen, daß die Periodendauer der Zylinderrotation nur vom Zylinderradius und beispielsweise nicht von seiner Höhe abhängt. Welche Voraussetzungen müssen gemacht werden, um den Ausdruck für die Rotationsperiodendauer abzuleiten? 6. Man überzeuge sich davon, daß die Richtungen der Pfeile in Abb. 51.3 b, die die Richtung des Stroms in der Magnetspule, des Magnetfeldes, des atomaren Drehimpulses und der Rotation des Zylinders angeben, miteinander konsistent sind. 7. Liefert der Einstein-de-Haas-Effekt irgendeinen Hinweis auf die Quantisierung des Drehimpulses?

1572

51 Die Struktur der Atome

8. Warum kann man bei einem rotierenden Kreisel keine Richtungsquantelung beobachten? 9. Der Drehimpuls des Elektrons im Wasserstoffatom ist quantisiert. Warum ist der Impuls nicht auch quantisiert? (Hinweis: Man berücksichtige die Folgerungen aus dem Unschärfeprinzip.) 10. Der Drehimpuls ist ein Vektor, und man erwartet, daß er durch drei Quantenzahlen entsprechend den drei Raumkomponenten eines Vektors beschrieben wird. Stattdessen charakterisieren ihn im Atom nur zwei Quantenzahlen. Erklärung! 11. Im Stern-Gerlach-Versuch wird ein Strahl neutraler Silberatome benutzt. Welchen Ursprung haben die Kraft und das Drehmoment, die auf die Atome wirken? Wie wird das Atom durch sie beeinflußt? 12. Gibt es in einer Stern-Gerlach-Apparatur eine Magnetfeld-Anordnung, bei der das Magnetfeld entlang des Strahls Null, jedoch der Feldgradient von Null verschieden ist? Wenn ja, entwerfe man einen Elektromagneten, der diesen Aufbau erzeugt. 13. Wodurch wird die Anzahl der Teilstrahlen bestimmt, in die der Strahl neutraler Atome im Stern-Gerlach-Versuch aufgespaltet wird? 14. Die Silberatome sind im Stern-Gerlach-Versuch von Beispiel 4 ungeladen. Man nehme an, daß ein Silberatom durch Verlust eines Elektrons in der Apparatur zu einem Silberion wird. Von welcher Art und relativer Größe wären die Kräfte, die auf das Atom wirken (a) vor und (b) nach der Ionisation? 15. Wie kommt man zu der Schlußfolgerung, daß die magnetische Spinquantenzahl ms nur die Werte ± j annehmen kann? Welche Art von Experimenten stützt diese Behauptung? 16. Warum haben das magnetische Moment des Elektrons und sein Spin entgegengesetzte Richtungen? 17. Man diskutiere die Brauchbarkeit einer Analogie zwischen der rotierenden Erde in ihrer Umlaufbahn um die Sonne und einem Elektron mit Spin, das sich um ein Proton im Wasserstoffatom bewegt. 18. In Abschn. 51.6 wurde gesagt, daß ein Strahl zirkular-polarisierten Lichts, der als Strahl von Photonen mit ausgerichteten Spins betrachtet wird, auf einen absorbierenden Schirm ein Drehmoment ausüben kann. Man entwickle die Analogie zum Einstein-de-Haas-Versuch. 19. Man vergleiche und unterscheide die Aufnahmemethode mit Röntgenstrahlen und mit kernmagnetischer Resonanz. 20. „Wenn der Drehimpuls des Elektrons im Atom nicht quantisiert wäre, wäre das Periodensystem der Elemente nicht so, wie es ist." Man diskutiere diese Behauptung. 21. Wie würden sich die Eigenschaften von Helium ändern, wenn das Elektron keinen Spin hätte, d. h. wenn die maßgeblichen Quantenzahlen nur n, l und m, wären? 22. Wir behaupten, daß die Anzahl der Quantenzahlen, die die Bewegung des Elektrons im Wasserstoffatom vollständig beschreiben, gleich der Anzahl von Freiheitsgraden ist, die das Elektron besitzt. Wie viele sind es? Wie kann man dies begründen? 23. Man definiere und unterscheide Wellenfunktion, Wahrscheinlichkeitsdichte und radiale Wahrscheinlichkeitsdichte. 24. Welches sind die Dimensionen und SI-Einheiten der Wellenfunktion, der Wahrscheinlichkeitsdichte und der radialen Wahrscheinlichkeitsdichte? Sind diese Dimensionen zu erwarten? 25. Im Zustand des Wasserstoffatoms mit l = 1 können Spin- und Bahndrehimpulsvektor parallel oder antiparallel zueinander stehen. Wann ist die Energie höher und warum? 26. Wie kann man sich erklären, daß die Wahrscheinlichkeitsdichte für den Zustand des Wasserstoffatoms mit n = 2 und l = 0 ein Maximum bei r = 0 hat, während die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte dort Null ist? Siehe Abb. 51.13. 27. Abb. 51.14a zeigt die drei Wahrscheinlichkeitsdichten für das Wasserstoffatom mit n = 2 und 1 = 1 . Wodurch wird die Raumrichtung bestimmt, die wir als z-Achse wählen? 28. Man betrachte die drei „Punktdiagramme" der Wahrscheinlichkeitsdichten in Abb. 51.14; jedes von ihnen ist rotations-symmetrisch zur z-Achse. Gibt es einen Zusammenhang zwischen ihnen und dem halbklassischen Vektormodell des Atoms (Abb. 51.5) für / = 1?

Aufgaben

1573

29. Mit Hilfe des Heisenbergschen Unschärfeprinzips zeige man, daß die Wahrscheinlichkeitsdichten im Zustand 1 = 2 zylindrische Symmetrie um die z-Achse besitzen. 30. Man erkläre, wie die Wechselwirkung zwischen Spin- und Bahnbewegung des Valenzelektrons in Natrium zur Aufspaltung der Spektrallinien in die bekannte Natrium-Doppellinie führt (s. Abb. 51.15). 31. Warum erfolgt die Aufspaltung der oberen und unteren Gruppe der Energieniveaus in Abb. 51.18 unterschiedlich, wenn ein äußeres Magnetfeld angelegt wird? 32. Wir haben experimentell ermittelt, daß die Effektivität zur Erzeugung von Magnetismus beim Spin zweimal so groß ist wie beim Bahndrehimpuls. Wie hängt das mit der Anzahl der ZeemanKomponenten zusammen, die durch ein äußeres Magnetfeld beim Natrium-Dublett entstehen (s. Abb. 51.18)? 33. Man beschreibe den Zeeman-Effekt für den Fall, daß es keine Richtungsquantelung gäbe, und für den Fall, daß es keinen Elektronenspin gäbe.

Aufgaben Abschnitt 51.2 1. Ein Elektron hat von einem Proton den Abstand von einem Bohr-Radius und die Gesamtenergie von + 5.0 eV. Wie groß ist (a) seine potentielle Energie Ep und (b) seine kinetische Energie Ekl (c) Wie groß wäre die kinetische Energie dieses Elektrons, wenn sein Abstand vom Proton bei unveränderter Gesamtenergie E sehr groß würde? (d) Man beschreibe diesen Zustand des Wasserstoffatoms. Kann ihm eine Quantenzahl zugeordnet werden? Antwort: (a) - 2 7 . 2 e V ; (b) 32.2 eV; (c) 5.0 eV; (d) ungebunden; nein. Abschnitt 51.3 2. Man zeige, daß pB = 9.274 x 10" 2 4 J/T = 5.788 x 1 0 - 5 eV/T, wie in Gl. 51.4 behauptet wird. 3. Man zeige, daß das magnetische Moment des Elektrons in verschiedenen Bohr-Bahnen gegeben ist durch = W B.

worin fiB das Bohr-Magneton und n = 1, 2, 3, ... sind. Abschnitt 51.4 4. Man berechne und tabelliere die erlaubten Werte von Lz, pz und 0 für ein Wasserstoffatom im Zustand mit / = 3. Außerdem bestimme man die Beträge von L und fi. 5. Man betrachte die Beziehung

eine gute Näherung ist, indem man beide Seiten obiger Gleichung in eine Reihe entwickelt (s.

1574

51 Die Struktur der Atome

Anhang I). 0min wird im Bogenmaß ausgedrückt, (b) Man zeige die Gültigkeit dieser Näherungsformel für die fünf Werte von / in Beispiel 2. (c) Man erweitere die Tabelle in Beispiel 2 durch die Werte von 0 min für l = 105,10® und 107. (d) Aufweiche rechnerischen Schwierigkeiten würde man stoßen, wenn man nicht die obige Näherungsformel für große /-Werte zur Ermittlung von 0 min anwenden würde? Antwort: (c) 0.18°, 0.057°, 0.018°. 6. Von den drei Komponenten von L ist eine, Lz, entsprechend Gl. 51.7 quantisiert. Unter Berücksichtigung der Einschränkung durch die beiden Gin. 51.5 und 51.6 zeige man, daß man über die beiden anderen Komponenten von L nicht mehr aussagen kann als (.L2x + L2yyi2 = [/(/+ 1

)-m2yi2h.

Man beachte, daß diese zwei Komponenten nicht getrennt quantisiert sind. Außerdem zeige man, daß /fc10-

- Linie

5-

Lß La 0•

L M N

Abb. 52.3 Energieniveau-Diagramm für Molybdänatome. Es zeigt die Übergänge des charakteristischen Röntgenspektrums. (Alle Niveaus mit Ausnahme des K-Niveaus enthalten eine Anzahl dicht beieinanderliegender Komponenten, die in der Abbildung nicht dargestellt sind.)

Die Übergänge K a und K^ in Abb. 52.3 sind der Ursprung für die zwei Peaks in Abb. 52.1. Zum Beispiel entsteht die Ka-Linie, wenn ein Elektron aus der L-Schale von Molybdän - man bewege sich im Energieniveau-Diagramm aufwärts - das Loch in der K-Schale auffüllt. Das ist genau dasselbe, als wenn man sagt, daß ein Loch - man bewege sich abwärts im Diagramm - von der K-Schale in die L-Schale rückt. Es ist einfacher, die Bahn eines einzelnen Lochs zu verfolgen als die der 41 Elektronen im ionisierten Molybdän, die es ausfüllen können. Deshalb sind die Pfeile in Abb. 52.3 in Richtung von Lochübergängen gezeichnet. Bei der Ermittlung der Ordnungszahlen machte Moseley charakteristische Röntgenaufnahmen von allen Elementen, die er finden konnte. Er fand 38, die er als Antikathode in einer evakuierten Röntgenröhre eigener Bauweise dem Elektronenbombardement aussetzte. Er bestimmte die Wellenlänge einer Anzahl charakteristischer Linien durch die in Abschn. 47.5 beschriebene Kristallbeugung. Er fand schließlich Regelmäßigkeiten in den Spektren der Elemente, wenn er sie in der Reihenfolge des Periodensystems untersuchte. Insbesondere ergab sich beim Auftragen der Quadratwurzel der Linienfrequenz, beispielsweise der K a -Linie ( = j/v = |/c/1), über der Position des entsprechenden Elements im Periodensystem eine Gerade. Abb. 52.4 zeigt einen Teil seiner Daten. Wir werden weiter unten sehen, warum dieses Vorgehen sinnvoll und warum eine Gerade zu erwarten ist. Moseleys Schlußfolgerung aus diesen Untersuchungen war:

1582

52 Atomphysik: ausgewählte Themen

10 20 30 40 Nummer des Elements im Periodensystem

50

Abb. 52.4 Moseley-Diagramm der Ka-Linie aus dem charakteristischen Röntgenspektrum von 21 Elementen. Die Frequenz v wurde aus Meßwerten der Wellenlänge berechnet.

Wir haben hier einen Beweis, daß sich im Atom eine fundamentale Größe befindet, die wächst, wenn wir Stufe für Stufe von einem Element zum anderen weitergehen. Diese Größe kann nur die Ladung des zentralen Atomkernes sein.

Moseleys Leistung ist umso höher zu schätzen, wenn man sich den damaligen Kenntnisstand über die Atomstruktur (1913) vor Augen hält. Das Kernmodell des Atoms war gerade zwei Jahre früher von Rutherford vorgeschlagen worden. Über die Größe der Kernladung oder die Anordnung der Elektronen im Atom war wenig bekannt. Die erste Veröffentlichung Bohrs über die Atomstruktur erfolgte im gleichen Jahr. Der Platz der Elemente im Periodensystem war zu dieser Zeit durch ihr Atomgewicht bestimmt worden, obwohl in einigen Fällen eine Umordnung mit Rücksicht auf die chemischen Eigenschaften nötig wurde. Die Tabelle hatte verschiedene leere Plätze, und überraschend viele Wissenschaftler erhoben den Anspruch, ein neues Element entdeckt zu haben. Die Seltenen Erden waren ihrer chemischen Ähnlichkeit wegen noch nicht richtig eingeordnet. Es ist leicht einzusehen, warum das charakteristische Röntgenspektrum eine so beeindruckende Ordnung der Elemente ermöglicht, das optische Spektrum aber nicht. Der Schlüssel für die Identität eines Elements ist die Ladung seines Kernes. Sie bestimmt die Anzahl der Elektronen im Atom und so seine chemischen und physikalischen Eigenschaften. Gold ist Gold und nichts anderes, weil seine Atome eine Kernladung von + 19e haben. Hätte es eine Ladungseinheit mehr, so wäre es nicht Gold, sondern Quecksilber, hätte es eine weniger, wäre es Platin. Die Elektronen in der K-Schale, die für die

52.2 Röntgenstrahlen und die Ordnung der Elemente

1583

Entstehung des charakteristischen Röntgenspektrums so eine große Rolle spielen, liegen sehr dicht am Kern und sind empfindliche Sonden für seine Ladung. Das optische Spektrum entsteht durch Übergänge der Valenzelektronen. Diese Elektronen sind vom Kern durch die verbleibenden Z — 1 Elektronen stark abgeschirmt und deshalb für die Bestimmung der Kernladung ungeeignet. Die Bohrsche Theorie und das Moseley-Diagramm: Man kann das Moseley-Diagramm mit Hilfe der Bohrschen Theorie der Atomstruktur erklären. Es mag überraschen, daß diese Theorie, die gute Ergebnisse für Wasserstoff ergibt, beim nächsten Element in der Reihe, dem Helium, aber bereits versagt, bei ihrer Anwendung auf die inneren Elektronen schwerer Atome eine so ausgezeichnete erste Näherung liefert. Wenigstens teilweise hat dies seinen Grund in der zufalligen Aufhebung von Fehlern. Man betrachte ein Elektron in der L-Schale eines Atoms, das gerade einen Übergang in die K-Schale vollzieht und dabei ein K a -Röntgenphoton emittiert. Auf dieses Elektron wirkt die Kernladung Ze, jedoch wird die Wirkung durch die Ladung — e des verbleibenden K-Elektrons abgeschirmt. Teilweise dadurch und teilweise durch die Umordnung in der Elektronenwolke als Ganzes wird die effektive Kernladungszahl für den Übergang Z — b mit bx 1. Bohrs Formel für die Strahlungsfrequenz beim Übergang zwischen zwei beliebigen Niveaus in wasserstoffahnlichen Atomen ist v = ^ItegF" T -1 --2)l m-

(49.23,29)

Für den K a -Übergang in Abb. 52.3 muß Z durch Z — b ersetzt und 1 für m und 2 für n eingesetzt werden. Das ergibt m.e4 / 1 V

1 \ ,,,

= 8 M F - 2 V

( Z

~

b )

-

Zieht man die Quadratwurzel auf beiden Seiten, so wird V

'3m,e4\112 \32elh

(Z-b),

(52.2)

was in der Form geschrieben werden kann: J/v = aZ - ab,

(52.3)

worin b k 1 und a als Abkürzung für den linken Faktor in Gl. 52.2 eine Konstante ist. Gl. 52.3 beschreibt eine Gerade in Übereinstimmung mit den experimentellen Daten der Abb. 52.4. Wird das Diagramm auf höhere Ordnungszahlen ausgedehnt, so erfolgt jedoch eine Abweichung von einer Geraden; die Kurve ist leicht nach oben gekrümmt. Trotzdem ist die quantitative Übereinstimmung mit der Bohrschen Theorie überraschend gut, wie Beispiel 2 zeigen wird.

1584

52 Atomphysik: ausgewählte Themen

Beispiel 1 Die Grenzwellenlänge: Man berechne die Wellenlänge Amin für das kontinuierliche Röntgenspektrum, das beim Beschuß eines Molybdäntargets mit Elektronen von 35 keV, wie in Abb. 52.1, emittiert wird. Aus Gl. 52.1 haben wir _ hc _ (4.14 x 10" 1 5 eYs) (3.00 x 108 m/s) min

(35.0 x 103 eV)

~7Ü~ = 3.54x 1 0

-11

m = 35.4 pm.

Dieses Ergebnis stimmt mit dem experimentell ermittelten der Abb. 52.1, gekennzeichnet durch den abwärts gerichteten Pfeil, überein. Man beachte, daß Gl. 52.1 keine Größe enthält, die sich auf das Targetmaterial bezieht. Für ein gegebenes Beschleunigungspotential erhält man unabhängig vom Material des Targets die gleiche Grenzwellenlänge.

Beispiel 2 Das Moseley-Diagramm. Man berechne die Größe a in Gl. 52.3 und vergleiche sie mit der Steigung der gemessenen Geraden in Abb. 52.4. Aus den Gin. 52.2 und 52.3 entnehmen wir

= { 3 m ' e *Y 1 2 a

-\32elh3) _

| / 3 (9.11 x I Q ' 3 1 kg) 1/2 (1.60x 10~ 19 C) 2 4j/2 (8.85 x 10" 1 2 F/m)(6.63 x 10" 3 4 Js) 3/2

= 4.95 x 107 Hz 1/2 . Unter Benutzung des Dreiecks hgj der Abb. 52.4 liefert die sorgfältige Messung (l

hg

- 9 4 - » f ) X 1 1 \ ° 9 H Z ' / 2 = 4.96x 107 Hz 1 ' 2 (40-11)

Dieser Wert stimmt mit dem von der Bohrschen Theorie vorausgesagten innerhalb der Meßungenauigkeit überein. Man beachte außerdem, daß der Abschnitt b in Abb. 52.4 tatsächlich « 1 ist, wie es die obigen Überlegungen erwarten ließen. Die Übereinstimmung mit der Bohrschen Theorie ist für andere Röntgenlinien, die von weiter vom Kern entfernten Elektronenübergängen herrühren, lange nicht so gut. Hier muß man auf wellenmechanische Berechnungen zurückgreifen.

Beispiel 3 Bestimmung unbekannter Elemente. Ein Cobalttarget wird mit Elektronen beschossen und die Wellenlänge seiner charakteristischen Linien gemessen. Dabei wird ein zweites, schwächeres charakteristisches Spektrum gefunden, das durch Verunreinigungen des Targets verursacht wurde. Die Wellenlängen der K-Linien sind 178.9 pm (Cobalt) und 143.5 pm (Verunreinigung). Woraus besteht die Verunreinigung?

52.3 Aufbau der Atome

1585

Wir verwenden für beide Stoffe die Gl. 52.3. Wir setzen v = c/X (und b = 1) und erhalten so und Durch Division folgt

Einsetzen der Werte ergibt 1 /l 78.9 pm _ Z x - 1 \ 143.5 pm ~~ 2 7 - 1 ' Für das unbekannte Element erhält man Z„ = 30.0. Ein Blick auf das Periodensystem der Elemente identifiziert die Verunreinigung als Zink.

52.3 Aufbau der Atome Im vorangegangenen Abschnitt wurde gezeigt, wie man jedem Element durch Messung seiner charakteristischen Röntgenlinien eine Ordnungszahl zuordnen und so nach einem logischen Prinzip in einer Reihe anordnen kann. In diesem Abschnitt gehen wir einen Schritt weiter. Wir werden mit Hilfe der Wellenmechanik versuchen, die Aufteilung dieser Reihe auf die horizontalen Zeilen (Perioden) des Periodensystems zu erklären. Dabei stellt sich heraus, daß jedes Detail des Periodensystems (s. Anhang E) erklärt werden kann, so u. a. (1) die Anzahl der Elemente in den sieben Perioden, (2) die Ähnlichkeit der chemischen Eigenschaften der Elemente in den verschiedenen senkrechten Spalten (Gruppen) - beispielsweise Alkalimetalle und Edelgase - und (3) die Existenz der Lanthanoide, das sind Elementreihen, die alle in ein Kästchen des Systems hineingehören. Durch bestimmte Prinzipien ergänzt, erklärt die Wellenmechanik jedes Merkmal des Periodensystems und damit im wesentlichen die gesamte Chemie. Wir wollen dies verdeutlichen, indem wir für jedes der mehr als 100 Elemente ein typisches Atom konstruieren. Als Ausgangsmaterial nehmen wir Kerne, die durch ihre Ladung + Ze und eine entsprechende Masse charakterisiert sind, wobei Z alle ganzen Zahlen von 1 bis über 100 annimmt. Außerdem wollen wir Z Elektronen zu jedem Kern addieren, so daß neutrale Atome im Grundzustand entstehen. Dies wird nur zum Erfolg führen, wenn wir die folgenden drei Prinzipien für den Atomaufbau beachten: 1. Die Quantenzahlen. Das Elektron im Wasserstoffatom kann sich - um eine Möglichkeit zu nennen - in einem Zustand befinden, der durch die Quantenzahlen n = 2, / = 1, m, = + 1 und w s = — 3 beschrieben wird. Nun kann auch ein bestimmtes Elektron in einem anderen Atom, sagen wir Zirkonium, durch den gleichen Satz von Quantenzahlen bestimmt sein. Trotzdem kann man nicht sagen, daß sich die beiden

1586

52 Atomphysik: ausgewählte Themen

Elektronen auf die gleiche Weise bewegen. Wenn sie auch alle Quantenzahlen gemeinsam haben, so ist das Potential, in dem sie sich befinden - und somit ihre Wellenfunktion - ganz verschieden. Im ersten Prinzip stellt man fest: Die Quantenzahlen für das Wasserstoffatom können zur Beschreibung von Elektronenzuständen undfür die Zuordnung der Elektronen in Schalen und Unterschalen für jedes beliebige Atom verwendet werden, unabhängig davon, wieviele Elektronen es enthält. Darüber hinaus bleiben die Beschränkungen für die Quantenzahlen, wie sie in Abschn.51.8 diskutiert wurden, in Kraft. 2. Paulisches Ausschließungsprinzip. Dieses Prinzip wurde 1925 von dem in Österreich geborenen Physiker Wolfgang Pauli aufgestellt. Es sagt allgemein aus, daß sich zwei Elektronen zur gleichen Zeit nicht im gleichen Bewegungszustand befinden können. Genauer ausgedrückt: In einem Mehrelektronenatom kann nie mehr als ein Elektron in einem bestimmten Quantenzustand sein. Würde dieses Prinzip nicht gelten, so würden sich alle Elektronen in der K-Schale ansammeln, und die Chemie würde so nicht existieren. Sie wären nicht da, um diesen Satz zu lesen, und wir nicht, um diesen Satz zu schreiben. Das Paulische Ausschließungsprinzip ist keine triviale Aussage. 3. Prinzip minimaler Energie. Wenn wir die Unterschalen mit Elektronen auffüllen, stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge wir dies tun müssen. Die Antwort lautet: Ist eine Unterschale gefüllt, so füge man das nächste Elektron in die leere Unterschale, bei der das Atom den niedrigsten Energiezustand einnimmt. Andernfalls würden wir kein Atom erhalten, das sich in seinem Grundzustand befindet. Die Unterschale minimaler Energie kann mit Hilfe der folgenden Regel bestimmt werden: In einem Mehrelektronenatom wächst die Energie einer Unterschale für eine gegebene Hauptquantenzahl n mit wachsendem l. Tab. 52.1 hilft uns, diese Regel zu erklären. Wir betrachten zuerst ein Wasserstoffatom, dessen einziges Elektron sich im Zustand mit n = 4 befindet. Dafür sind vier Werte für l erlaubt, nämlich 0,1, 2 und 3. In einem richtigen Einelektronenatom - wie Wasserstoff- hängt die Energie überhaupt nicht von /, sondern allein von n ab. Sie ist gegeben durch (49.30)

Tabelle 52.1

Energieniveaus für Elektronen mit n = 4 für drei verschiedene Atome

Nebenquantenzahl

0 1 2 3

Energie in eV Wasserstoff* Z = 1

„Blei"** Z = 82

Blei*** Z = 82

-0,85 -0,85 -0,85 -0,85

-5720 -5720 -5720 -5720

-890 -710 -420 -140

* Ein neutrales Atom, s. Gl. 49.30 ** Ein hypothetisches Einelektronenatom mit Z = 82, s. Gl. 49.30 *** Ein neutrales Bleiatom (Z = 82), experimentelle Daten

52.3 Aufbau der Atome

1587

Man erinnere sich, daß diese Beziehung nicht nur durch die Bohrsche Theorie, sondern auch durch die Wellenmechanik vorausgesagt wird. Setzt man Z = 1 und n = 4 in die Gleichung ein, so erhält man für Wasserstoff E = —0.85 eV, wie Tab. 52.1 zeigt. Wir betrachten nun einen Bleikern (Z = 82), um den nur ein einzelnes Elektron kreist, und zwar wieder im Zustand mit n = 4. Gl. 49.30 hat auch für dieses (wenn auch sehr verschiedene) Einelektronenatom Gültigkeit. Wiederum unabhängig von / ergibt die Tab. 52.1 für Z = 82 und n = 4 die Energie E = — 5720 eV. Es überrascht nicht, daß das Einzelelektron in diesem „Atom" eine wesentlich niedrigere Energie besitzt (das bedeutet, es hat eine viel höhere Bindungsenergie) als das Elektron in Wasserstoff. Es bewegt sich im Feld eines Kernes mit der Ladung + 82 e\ dadurch wird es sehr dicht an diesen Kern herangezogen; der äquivalente Bohr-Radius (s. Gl. 49.32) ist 82mal kleiner als der für Wasserstoff. Schließlich konstruieren wir ein normales, neutrales Bleiatom, indem wir die fehlenden 81 Elektronen „anbringen". Für die äußersten oder Valenzelektronen ist in Blei n = 6, so daß sich ein Elektron mit n = 4 etwa in der Mitte der um den Kern verschmierten Elektronenwolke befindet. Gl. 49.30 gilt nicht mehr für dieses Mehrelektronenatom, doch können wir die Energien für die vier Unterschalen mit n = 4 experimentell durch Röntgenuntersuchungen ermitteln. Ihre Näherungswerte sind in der letzten Spalte von Tab. 52.1 zu sehen. Wir erkennen sofort, daß sie energetisch höher liegen (d. h. die Bindungsenergien sind kleiner) als für das hypothetische Einelektronen-Blei-„Atom" und daß sie sich für verschiedene / unterscheiden, wie die Regel für die minimale Energie voraussagt. Daß die Elektronen in Blei schwächer gebunden sind, wenn die ganze Elektronenwolke vorhanden ist, folgt daraus, daß sie vom Kern durch einen Teil dieser Wolke elektrisch abgeschirmt werden (s. Beispiel 2, Kap. 28). Auf ein typisches Elektron mit n = 4 wirkt nicht die ganze positive Kernladung; sie wird durch die negative Ladung der Elektronenwolke reduziert, die zwischen dem Kern und dem effektiven Radius des betreffenden Elektrons liegt. Was nun die Änderung der Energie mit l angeht, wollen wir fragen, wie eine Bahn mit / = 0 im Bohrschen Bild aussehen würde. Hätten die Elektronen tatsächlich keinen Bahndrehimpuls, so würden sie auf einer geraden Strecke oszillieren, die direkt durch den Kern führt. Dies ist natürlich nicht möglich. Die äquivalente wellenmechanische Vorstellung ist die, daß ein Elektron mit / = 0 einen größeren Teil seiner Zeit in der Nähe des Kerns verbringt als ein Elektron mit höheren /-Werten. Solche Elektronen würden im Mittel eine höhere effektive Kernladung ,spüren' und wären fester gebunden; sie würden sich in einem niedrigeren Energiezustand befinden, so wie es das Prinzip minimaler Energie und die Tab. 52.1 voraussagen. Hierzu sehen wir noch einmal die Abb. 51.13 an, die den Zustand n = 2 und / = 0 von Wasserstoff zeigt. Bei diesem Zustand ist deutlich zu erkennen, daß sich das Elektron häufiger in der Nähe des Kerns aufhält - man beachte das kleinere Maximum.

1588

52 Atomphysik: ausgewählte Themen

52.4 Aufbau des Periodensystems der Elemente Die Abb. 52.5 zeigt, wie sich das Periodensystem aufbaut, wenn man die drei Regeln aus dem vorigen Abschnitt beachtet. Die Energie wächst in dieser Abbildung in Aufwärtsrichtung. Zustände mit gleichen /-Werten sind der Übersichtlichkeit halber versetzt abgebildet. Bevor wir uns näher mit diesem System befassen, müssen wir für die Bahndrehimpulsquantenzahl / eine Notation (die wir noch nicht benutzt haben) einführen. Aus historischen Gründen werden die Werte von / durch folgende Buchstabenäquivalente angegeben: / Symbol

0 1 2 3 4 5... s p d f g h ...

In dieser allgemein üblichen Bezeichnung wird ein Zustand mit n = 1 und / = 0 als lsZustand, ein Zustand mit n = 4 und / = 3 als 4f-Zustand bezeichnet usw. Die Abhängigkeit der Energie von / ist ein bestimmendes Merkmal der Abb. 52.5. Man betrachte z. B. die Folge der Zustände 4s, 4p, 4d und 4f. Sie liegen in der Reihenfolge wachsender Energie, wie es das Prinzip minimaler Energie fordert. Die Zustände 4f liegen sogar oberhalb der Zustände 5s und 5p in der nächsten Schale. Mit einer Schale meinen wir eine Gruppe von Zuständen, die energetisch dicht beieinander liegen und deren Stabilität besonders groß ist, wenn diese Zustände vollständig besetzt sind. Beim Wasserstoffatom (bei dem die Energie nur von der Hauptquantenzahl n abhängt) bestimmen wir die Schalen durch den Wert dieser Quantenzahl. In Mehrelektronenatomen müssen wir nun feststellen, daß die Hauptquantenzahl allein kein ausreichender Indikator ist. Abb. 52.5 zeigt, daß die Schale, die mit 6 bezeichnet wurde und die der sechsten Periode des Periodensystems entspricht, tatsächlich alle 6s- und 6p-Zustände enthält, jedoch außerdem noch alle 4f- und 5d-Zustände. Außerdem befinden sich die 6d-Zustände überhaupt nicht darin, sondern in der darüberliegenden Schale. Wenn wir in Abb. 52.5 bei Wasserstoff beginnen und der gestrichelten Linie folgen, können wir den Aufbau der sieben Perioden des Systems erkennen: Jede Periode beginnt mit einem Alkalimetall und endet mit einem Edelgas. Man betrachte wieder die lange sechste Periode, in der am Anfang das Alkalimetall Caesium (Z = 55) und am Ende das Edelgas Radon (Z = 86) steht. Wie die gestrichelte Linie angibt, ist hier die Reihenfolge, in der die Teilschalen aufgefüllt werden, 6s, 4f, 5d und 3p. Die sechste Periode enthält eine Serie von 15 Elementen, die im Periodensystem der Elemente in Anhang E am unteren Ende getrennt aufgeführt sind. Es sind die sogenannten Lanthanoide oder Seltenerd-Metalle. Ihre chemischen Eigenschaften sind untereinander so ähnlich, daß alle in einem einzelnen Kästchen des Periodensystems zusammengefaßt sind. Die Ähnlichkeit kommt dadurch zustande, daß die Teilschale 4f tief innerhalb der Elektronenwolke aufgefüllt wird, während ein äußerer Schirm von einem oder zwei 6s-Valenzelektronen unverändert bleibt. Diese äußeren Elektronen bestimmen aber die chemischen Eigenschaften eines Atoms.

1589

52.4 Aufbau des Periodensystems der Elemente

M 89

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o-.ie. •cTTTT •• 9/ 98199 1001C1 io:

''{*• l

Perioden

W Rf Ol IF PI Au I, H. n !2 73 74 73 76 77 78 79 80 lisi

Pr | NOftnlsmlc«GdP" Oy IHo 6j; 62163 64 [65 66167

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ti82iaà[S4|85| n iT.T^]irii3jTin

70

1=3 (14 Zustande)

5jlJ -•[ sn'Ì st tTTTI Nd Tr Ri» Rh 9, v ! ?,< » 40, 41 42 43 44 45 46

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Co 48

4» p' A 3113213; 134135

Si Ti V Cr Mn Fl Cd N. ¡Viri 24 28 T - 1-1 22 Sii 25 26 2? » 3 0 f - • 19

i«2

(10 Zustände)

! 3

rrn [ Edelgas« l (am Ende def Penoderv

i-i

iLU

(6 Zustande)

{2 Zustände)

Abb. 52.5 Wenn man bei Wasserstoff unten beginnt und der gestrichelten Linie folgt, so durchläuft man nacheinander die sieben Perioden des Periodensystems der Elemente. Jede Periode beginnt mit einem Alkalimetall (Li, Na, K, Rb, Cs, Fr) und endet mit einem Edelgas (He, Ne, Ar, Kr, Xe, Ra).

1590

52 Atomphysik: ausgewählte Themen

Beispiel 4

Elektronenkonfigurationen, (a) Man bestimme aus Abb. 52.5 die Unterschalen, in denen sich die Elektronen im Xenonatom befinden. Xenon (Z = 54) ist ein Edelgas. Folgen wir vom Wasserstoff (Z = 1 ) aus der gestrichelten Linie in Abb 52.5 bis zum Xenon, so können wir schreiben: 1 s 2 2s 2 2p 6 3s 2 3p 6 4s 2 3d 1 °4p 6 5s 2 4d 1 °5p 6 . Eine solche Auflistung wird Elektronenkonfiguration des betreffenden Elements genannt. Die hochgestellten Zahlen geben die Anzahl der Elektronen in den entsprechenden Unterschalen an. Man beachte, daß die Addition dieser Zahlen die Ordnungszahl 54 von Xenon ergibt. Ein s-Zustand (/ = 0) kann zwei Elektronen aufnehmen, ein p-Zustand (/ = 1) sechs und ein d-Zustand (/ = 2) zehn, s. Tab. 51.2. So sind alle Unterschalen von Xenon ganz gefüllt, wie Abb. 52.5 bestätigt. Die Ionisierungsenergie von Xenon, das ist die Energie, um ein Elektron aus seiner gefüllten 5p-Unterschale ( = 12.2 eV) zu entfernen, ist relativ groß. (b) Wie sieht die Elektronenkonfiguration von Caesium (Z = 55) aus? Caesium ist im Periodensystem das nächste Element nach Xenon und steht eine Reihe darunter. Wir verfahren wie oben und können schreiben: [Xeßs 1 , worin [Xe] einfach die Abkürzung für die Xenon-Elektronenkonfiguration ist, wie sie oben steht. Caesium, ein Alkalimetall, besitzt somit ein einzelnes 6s-Elektron außerhalb eines xenonähnlichen Rumpfes. Wegen dieses schwach gebundenen Valenzelektrons ist Caesium chemisch aktiv und verbindet sich leicht mit vielen anderen Elementen. Seine Ionisierungsenergie ( = 3.89 eV) ist relativ niedrig. Doch ist die Energie zur Ablösung eines zweiten Elektrons von Caesium (=25.1 eV) sehr groß; dieses Elektron muß aus dem fest verbundenen Xenonrumpf herausgerissen werden.

0

10

20

30

40 50 0 El. Befindet sich ein System solcher Atome bei einer Temperatur Tim thermischen Gleichgewicht, so ist das Verhältnis der Zustandsbesetzungen gegeben durch (s. Gl. 52.6) I i

_

e~(E2-EOIkT

"i worin k ( = 8.63 x 10" 5 eV/K) die Boltzmann-Konstante ist. In einem speziellen atomaren System sei E2 — E1 = 1.0 eV. (a) Man berechne n 2 /«i bei Raumtemperatur (T = 300 K). Der kleine Wert unseres Ergebnisses zeigt, welch geringfügige Rolle thermische Anregung bei der Besetzung des oberen Zustandes spielt, (b) Bei welcher Temperatur wären 0.01 % der Atome im höheren Energiezustand? Antwort: (a) 10" 1 7 ; (b) 1260 K. Abschnitt 52.7 37. Die Spiegel im Laser der Abb. 52.13 bilden einen Hohlraum, in dem stehende Wellen von Laserlicht aufgebaut werden. Wie groß ist der Abstand der Wellenlänge von benachbarten erlaubten Betriebsmoden um 533 nm? Die Spiegel sind 8 cm voneinander entfernt. 38. Eine Besetzungsinversion für zwei Niveaus wird oft beschrieben, indem man dem System eine negative Kelvin-Temperatur zuordnet. Man zeige, daß eine negative Temperatur tatsächlich einer Inversion entspricht. Welche negative Temperatur würde das System in Beispiel 5 beschreiben, wenn die Besetzung des oberen die des unteren Niveaus um 10 % übersteigt? Antwort: - 2.75 x 105 K. 39. Der NOVA-Laser am Lawrence Livermore National Laboratory wird für thermonukleare Fusionsexperimente verwendet (s. Abb. 52.8 und Abschn. 55.10). Sein Strahl wird in Nanosekunden-Pulsen mit Energien zwischen 0.1 und 1 MJ auf ein Target von flüssigem Deuterium und Tritium (Isotope von Wasserstoff) gerichtet, wobei dieses erhitzt wird und seine Dichte steigt, (a) Man nehme an, daß gleichzeitig zwei Laserpulse von 150 J aus entgegengesetzter Richtung auf eine Kugel mit dem Radius 1.0 mm auftreffen, die 4.0 [ig Brennstoff enthält. Man schätze den maximalen Druck auf die Kugel bei einer Dauer des Pulses von 3 ns und vollständiger Absorption. (Zur Vereinfachung nehme man an, daß der Puls gleichmäßig auf eine Fläche von jt (1.0 mm 2 ) wirkt; man verwende Gl. 42.2 a.) (b) Wenn 1 % der Energie zur Aufheizung ausgenutzt wird, wie heiß wird dann der Brennstoff? Der Brennstoff bestehe nur aus Deuterium mit der relativen Atommasse 2. 40. Das aktive Medium eines speziellen Rubinlasers (A = 694.4 nm) ist ein synthetischer Rubinkristall von 6.0 cm Länge und 1.0 cm Durchmesser. Der Kristall ist an einem Ende versilbert und - um einen austretenden Strahl zu erhalten - am anderen Ende nur partiell versilbert, (a) Man

Aufgaben

1607

betrachte den Kristall als einen optischen Resonanzhohlraum in Analogie zu einer geschlossenen Orgelpfeife und berechne die Modenzahl von stehenden Wellen in Richtung der Kristallachse. (b) Um welchen Betrag Av müßte sich die Strahlfrequenz verschieben, um diese Zahl um Eins zu erhöhen? Man zeige, daß Av gerade das Inverse der Zeitdauer ist, die das Licht für den Hin- und Rückweg auf der Kristallachse braucht, (c) Wie groß ist die entsprechende Frequenzverschiebung Av/v infolge Brechung? Die Brechzahl ist 1.75. Antwort: (a) 3.0 x 105; (b) 1430 MHz; (c) 3.3 x 10~ 6 : das ist gerade das Inverse von (a).

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

53.1 Die Eigenschaften von Festkörpern Wir haben gesehen, wie gut sich die Wellenmechanik bei ihren Aussagen über einzelne Atome bewährt. An einem umfassenden Beispiel wollen wir jetzt zeigen, daß sie ebenfalls Ausgezeichnetes leistet, wenn wir sie auf Festkörper anwenden. Bei einem Festkörper gibt es sehr viele Eigenschaften, die wir untersuchen können. Ist er z. B. transparent? Kann man ihn zu dünnem Blech verarbeiten? Für welche Arten von Wellen und bei welchen Geschwindigkeiten ist er durchlässig? Hat er interessante magnetische Eigenschaften? Ist er ein guter Wärmeleiter? Was für eine Kristallstruktur hat er? Hat er spezielle Oberflächeneigenschaften? ... Wir wollen nur eine einzige Frage herausgreifen: „Durch welche Mechanismen wird ein Festkörper elektrisch leitend oder nichtleitend?" Nach diesem Gesichtspunkt werden Festkörper in Leiter, Halbleiter und Isolatoren eingeteilt. Unter den Elementen sind Kupfer, Silicium bzw. Schwefel Beispiele für die jeweilige Kategorie. Abb. 53.1 vermittelt einen Eindruck, wie sich während der letzten 250 Jahre das Verständnis der elektrischen Leitung in Festkörpern entwickelt hat. Die obere Figur ist kein Stuntman, sondern eine Demonstration von Stephen Gray (1666 -1736) dafür, daß der menschliche Körper ein Leiter für Elektrizität ist. Stephen Gray erkannte als erster den Unterschied zwischen Leitern und Isolatoren und klassifizierte Festkörper auf dieser Grundlage. Abb. 53.1 b zeigt einen von den AT & T-Bell-Laboratories entwickelten Megabitchip. Obgleich er kleiner als ein Fünfpfennigstück ist, kann er über eine Million Bits Information speichern. Ohne die Wellenmechanik wäre dieser Fortschritt nicht möglich gewesen.

53.2 Leitungselektronen in Metallen Ein isoliertes Kupferatom hat 29 Elektronen. In festem Kupfer werden 28 von ihnen durch elektromagnetische Kräfte dicht an ihren Gitterplätzen festgehalten und können sich nicht frei durch den Festkörper bewegen. Das verbleibende eine Elektron ist dagegen frei beweglich. Legt man eine Spannungsquelle an den Enden eines Kupferdrahtes an, so sind es diese Leitungselektronen (eines pro Atom), die den Stromfluß im Draht ausmachen. In Abschn. 31.4 behandelten wir dieses Problem vom Standpunkt der klassischen Physik, indem wir die Leitungselektronen in einem Metallwürfel mit Gasatomen, die

53.2 Leitungselektronen in Metallen

1609

Abb. 53.1 (a) Ein Experiment von Stephen Gray: Es zeigt, daß der menschliche Körper ein elektrischer Leiter ist. (b) Ein Computer-Speicherchip: Er kann über eine Million Bits Information speichern.

sich in einem quaderförmigen Kasten befinden, verglichen. Unter Verwendung dieses Elektronengasmodells leiteten wir einen Ausdruck für den spezifischen Widerstand eines Metalls ab. Er ist (s. Gl. 31.14)

1610

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

mit der Masse m und der Ladung e des Elektrons, n ist die Anzahldichte der Leitungselektronen und T die mittlere Zeit zwischen zwei Stößen, die ein Elektron im klassischen freien Elektronengas erfährt. Wir zeigten in Abschn. 31.4, daß T im wesentlichen konstant ist, unabhängig davon, ob in dem Würfel durch Anlegen einer äußeren EMK ein elektrisches Feld besteht oder nicht. So ist der spezifische Widerstand g unabhängig vom angelegten elektrischen Feld - oder mit anderen Worten - die Metalle gehorchen dem Ohmschen Gesetz. Obwohl diese Herleitung des Ohmschen Gesetzes für die klassische Physik einen Erfolg darstellt, hat das Modell seine Grenzen. Bei ihren Aussagen über die Wärmekapazität von Metallen ergibt die klassische Theorie keine Übereinstimmung mit den Experimenten. Hier führt erst die Wellenmechanik weiter - ohne sie ist Festkörperphysik nicht denkbar. Der erste Schritt bei der Behandlung eines wellenmechanischen Problems ist die Angabe der potentiellen Energie des Teilchens - hier eines einzelnen Leitungselektrons - als Funktion seiner Lage. Wir beginnen mit der einfachsten Annahme, daß die potentielle Energie für alle Punkte innerhalb der kubischen Metallprobe Null und für alle Punkte außerhalb unendlich groß ist. Die quasifreien Elektronen werden wie ein Elektronengas behandelt, nur daß dieses nicht klassischen, sondern Quantengesetzen unterworfen ist. Dieser Potentialverlauf erinnert uns an das Problem eines Elektrons in einem unendlich tiefen Potentialtopf, das wir in Abschn. 50.9 lösten. Man beachte jedoch zwei Unterschiede: Das hier angeschnittene Problem ist dreidimensional, und die Dimensionen des Topfes sind makroskopisch. Wir repräsentieren ein einzelnes Leitungselektron, das in einem Metallwürfel gefangen ist, durch eine (stehende) Materiewelle ip (r), in der r ein Ortsvektor ist, und stellen die Bedingung, daß die Wahrscheinlichkeitsdichte \p2(r) an der Oberfläche und außerhalb des Würfels Null ist. Damit haben wir berücksichtigt, daß das Elektron tatsächlich im Metallwürfel eingefangen ist. Die Abb. 50.15 und 50.16 zeigen, daß wir im eindimensionalen Fall genauso vorgingen. Unterliegt die Wellenfunktion diesen Randbedingungen, so liefert die SchrödingerGleichung wiederum das Ergebnis, daß die Gesamtenergie E des Elektrons quantisiert ist. Es gibt aber einen großen Unterschied. Da der Metallwürfel im Vergleich zu den atomaren Dimensionen sehr groß ist, kann man eine sehr große Anzahl stehender Materiewellen, die den Randbedingungen genügen, in seinem Volumen realisieren, und die erlaubten Elektronenenergien liegen extrem dicht beieinander. In Beispiel 1 wird gezeigt, daß es für einen Würfel von 1 cm Kantenlänge nicht weniger als « 10 22 quantisierte Zustände gibt, deren Energien zwischen E = 5 eV und E = 6 eV liegen! Man vergleiche dies mit der begrenzten Anzahl von weit auseinanderstehenden Niveaus, die Abb.49.19 z.B. für das Wässerstoffatom zeigt. Zur Behandlung dieser riesigen Anzahl von Zuständen sind statistische Methoden nötig. An die Stelle der Frage „Welche Energie hat dieser Zustand?" muß die Frage treten" Wieviele Zustände haben Energien, die im Bereich von E bis E + dE liegen?" Wir haben derartige Situationen schon früher angetroffen. Beispielsweise erkannten wir bei der Beschreibung von Molekülgeschwindigkeiten eines idealen Gases in Ab-

53.2 Leitungselektronen in Metallen

1611

sehn. 24.2, daß man nur mit der Fragestellung weiterkam: „Wie viele Moleküle haben Geschwindigkeiten, die im Bereich zwischen v und v + dt> liegen?" Die Anzahldichte der Zustände (Anzahl durch Volumen des Festkörpers) für die Leitungselektronen, deren Energie im Bereich E bis E + dE liegt, kann mit n(E)dE ausgedrückt werden; n{E) ist eine Funktion, die Zustandsdichte genannt wird. Es kann gezeigt werden, daß sie für das freie (Quanten-)Elektronengas gegeben ist durch _ 8]/2TIm3/2

n{E) =

E1/2.

(53.2)

Wir halten fest, daß wir zu diesem Zeitpunkt nur die Zustände zählen, die ein einzelnes Leistungselektron annehmen kann. Im folgenden Abschnitt werden wir etwas über die Besetzung solcher Zustände erfahren. Abb. 53.2a ist der Graph der Gl. 53.2. Man beachte, daß die Beziehung keine Abhängigkeit vom Material der verwendeten Probe zeigt. Welche stehenden Wellen in einen Würfel passen, ist danach ein rein geometrisches Problem. Man mag sich fragen, warum man die Quantisierung nicht einfach vergißt und eine kontinuierliche Energieverteilung annimmt, da doch die Energien der erlaubten Zustände so dicht beieinander liegen. Wie der nächste Abschnitt zeigen wird, beruht die Antwort auf der Tatsache, daß das Paulische Ausschließungsprinzip für alle Elektronen gilt, seien es Bahnelektronen in einem Atom oder Leitungselektronen im Metall. Zwar trete j im Metall sehr viele Zustände auf, doch gibt es auch sehr viele Leitungselektronen, die sie besetzen können, und das Paulische Prinzip erlaubt nur die Besetzung eines jeden Zustands mit einem einzigen Elektron. Wenn wir also die Quantennatur der Leitungselektronenenergie auch nicht unmittelbar nachweisen können, so bleibt die Quantisierung doch ein zentraler Punkt in den Überlegungen und hat weitreichende Konsequen-

0.4

0.8 1.2 1.6 n(E)j10" m"3 eV' 1 (a)

0.4

0.8

1.2

1.6

n(Eì/ìQ" m"3 eV~' (b)

Abb. 53.2 (a) Zustandsdichte n (E) als Funktion der Energie E. Der Punkt zeigt einen in Beispiel 1 berechneten Wert, (b) n (E) für Kupfer. Alle Leitungselektronen füllen die Zustände (bei T = 0) bis zu einer Energie EF ( = 7.0 eV), der Fermi-Energie.

1612

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Beispiel 1 Anzahl der erlaubten Zustände. Wie viele Zustände gibt es für die Leitungselektronen in einem Kupferwürfel der Kantenlänge 1 cm im Energieintervall von E = 5.00 eV bis E = 5.01 eV? Die Leitungselektronen mögen sich wie ein (Quanten-)Elektronengas verhalten. Das Energieintervall ist so klein, daß wir Gl. 53.2 anwenden können mit E = 5 eV und AE = dE = 0.01 eV. Wir haben dann 8j/2i

3/2

_ (8|/27t)(9.11 x I Q ' 3 1 kg) 3/2 (5 eV) 1/2 (1.6 x 10" 1 9 J/eV) 1/2 (6.63 x 10~ 4 Js) 3 46 _3 _1 = 9.48 x 1 0 m J = 1.52 x 1 0 2 8 m _ 3 e V _ 1 . Dieses Ergebnis erscheint als Punkt auf dem Diagramm der Abb. 53.2a. Man beachte, daß die Energie zum Einsetzen in Gl. 53.2 in Joule ausgedrückt werden muß, obwohl wir das Endergebnis in Elektronvolt wünschen. Die Anzahl N der Zustände im Energiebereich von E = 5.00 eV bis E = 5.01 eV im ganzen Würfel mit der Kantenlänge a ist dann N — n(ß)AEa3 = (1.52x 10 2 8 m- 3 eV _ 1 )(0.01 eV)(l x 10" 2 m) 3 = 1.52 xlO 2 0 . Den mittleren Energieabstand AEbcn zwischen benachbarten Niveaus um E = 5 eV erhält man leicht zu AE

0.01 eV





,„

Wir stellen fest, daß sich selbst in diesem engen Energieband sehr viele Zustände befinden und daß sie sehr dicht beieinander liegen. Die Ergebnisse sind sowohl unabhängig vom Material der Probe als auch von ihrer Form. Eine andere Form mit dem gleichen Volumen würde das gleiche Ergebnis liefern. Wichtig ist lediglich die Annahme, daß sich die Leitungselektronen wie ein freies (Quanten-)Elektronengas verhalten. Das entspricht der Annahme, daß ihre potentielle Energie konstant ist - wir haben sie für alle Punkte innerhalb der Probe Null gesetzt. Diese Annahme ist für reale Metalle nicht richtig. Trotzdem bleibt das wesentliche Ergebnis bestehen: Für die Leitungselektronen in Metallen gibt es sehr viele Zustände, die in der Energie sehr dicht beeinander liegen.

53.3 Besetzung der erlaubten Zustände Nachdem wir nun die Anzahl der Zustände kennen, wollen wir sie in Gedanken mit Elektronen besetzen. Wir sind diesen Weg bereits in Abschn. 52.3 beim Aufbau des Periodensystems der Elemente gegangen. Dabei kam das Paulische Ausschließungsprinzip zum Tragen, nach dem ein gegebener Zustand nur durch ein Elektron besetzt werden kann. Die gleiche Bedeutung hat dieses Prinzip für das jetzige Problem.

53.3 Besetzung der erlaubten Zustände

1613

Wir betrachten zunächst die Besetzung am absoluten Nullpunkt. Dort befindet sich die Probe in ihrem niedrigsten Energiezustand, und wir erreichen ihn, indem wir die Leitungselektronen auf die unbesetzten Zustände niedrigster Energie verteilen. Abb. 53.2b zeigt das Vorgehen. Der unter diesen Bedingungen am höchsten besetzte Zustand wird Fermi-Niveau genannt und seine Energie, in Abb. 53.2 b mit EF angegeben, die Fermi-Energie. Am absoluten Nullpunkt sind alle Zustände mit Energien unter diesem Wert besetzt und alle Zustände mit höheren Energien leer. Unter der Bedingung, daß sich die Leitungselektronen in Kupfer wie ein freies Elektronengas verhalten, ist seine Fermi-Energie 7.0 eV. Man erhält die Fermi-Energie eines Metalles durch Addieren (Integration) der besetzten Zustände in Abb. 53.2b zwischen den Grenzen E = 0 und E = EF. Das Ergebnis muß gleich n sein, der Anzahldichte der Leitungselektronen für das Metall. Wir haben (53.3) Man beachte, daß n in Abb. 53.2b durch den schattierten Bereich repräsentiert wird. Ein Blick auf Abb. 53.2b widerlegt sofort die irrige Annahme, daß am absoluten Nullpunkt jede Bewegung aufhört. Wegen des Paulischen Ausschließungsprinzips treten Energien von Null bis zur Fermi-Energie auf. Die mittlere Energie ist für die Bedingungen der Abb. 53.2b ungefähr 4.2 eV. Zum Vergleich dazu ist die mittlere kinetische Translationsenergie eines Moleküls im idealen Gas bei Raumtemperatur nur 0.025 eV. Die Leitungselektronen in einem Metall haben am absoluten Nullpunkt sehr viel Energie. Es ist offensichtlich, daß die Moleküle eines Gases bei gewöhnlichen Temperaturen ein anderes Verhalten zeigen als die Leitungselektronen eines Metalls. Gasmoleküle gehorchen der (klassischen) Maxwell-Boltzmann-Statistik und Leitungselektronen der (quantenmechanischen)FermiDirac-Statistik. Das Wort „Statistik" bezieht sich hier auf Regeln für das Abzählen von Teilchen. Beispielsweise nimmt man in der Maxwell-Boltzmann-Statistik an, daß man identische Teilchen auseinanderhalten kann, in der Fermi-Dirac-Statistik dagegen, daß dies nicht möglich ist. Während das Paulische Ausschließungsprinzip in der Maxwell-Boltzmann-Statistik keine Rolle spielt, ist es bei der Fermi-Dirac-Statistik - wie wir gesehen haben - wesentlich.

Was passiert mit der Elektronenverteilung in Abb. 53.2 b, wenn die Temperatur ansteigt? Die kurze Antwort lautet, daß nur wenig passiert, dieses Wenige aber von großer Bedeutung ist. Abb. 53.3 c zeigt, wie die Verteilung der Abb. 53.2b bei T = 1000 K aussehen würde; das ist eine Temperatur, bei der die Metallprobe in eitern dunklen Raum hell glühen würde. Im Vergleich mit Abb. 53.2b sieht man, wie wenig sich geändert hat. Einige Elektronen haben ihre Energie von etwas unter der Fermi-Energie (Bereich 1 in Abb. 53.3c) bis etwas über die Fermi-Energie (Bereich 2) angehoben. Die mittlere Energie ist daher nur ein wenig größer als beim absoluten Nullpunkt. Dies steht wieder in starkem Kontrast zum Verhalten eines idealen Gases, bei dem die mittlere kinetische Energie der Moleküle proportional zur Temperatur ist. Der Vergleich der Diagramme bei T = 0 und T = 1000 K zeigt weiter, daß sich der Temperaturanstieg nur bei Elektronen auswirkt, deren Energie in der Nähe der FermiEnergie liegt. Der große Rest der Elektronen bleibt davon unberührt, ihr Vorrat an Energie ist effektiv festgelegt.

1614

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

»JEJ/m ' eV

1

Abb. 53.3 (a) Zustandsdichte n (E) als Funktion der Energie E. (b) Fermi-Dirac-Wahrscheinlichkeitsfunktion (Gl. 53.5) für T = 0 und T= 1000 K ( c ) Anzahldichte der besetzten Zustände n b (E) als Funktion der Energie £ für T = 1000 K. Der Punkt zeigt den in Beispiel 4c berechneten Wert.

Wir wollen untersuchen, warum das so ist. In Abb. 53.3c wird die Größe kTangegeben; sie ist ein aus der thermischen Bewegung stammendes Maß für die Energie. Ihr Wert ist bei 1000 K nur 0.086 eV. Die Elektronen können durch thermische Bewegung allein ihre Energie nur um wenige Vielfache dieses relativ kleinen Betrages ändern. Wegen des Ausschließungsprinzips haben nur Elektronen, deren Energie in der Nähe der FermiEnergie liegt, die Möglichkeit, leere Zustände in ihrer Nachbarschaft durch thermische Übergänge zu erreichen. Ein Elektron mit einer Energie von beispielsweise 2 eV kann weder Energie verlieren noch gewinnen, da alle dicht genug daneben liegenden Zustände bereits besetzt sind. Poetisch ausgedrückt kann man sagen, daß thermische Bewegung nur kleine Wellen auf dem Fermi-See erzeugen kann; in seiner unermeßlichen Tiefe bleibt er ungestört. Wir wollen nunmehr formal zeigen, wie die Verteilung der Abb. 53.3c zustandekommt. Wir beginnen mit der Kurve der Zustandsdichte, die in Abb. 53.3 a zu sehen ist.

53.3 Besetzung der erlaubten Zustände

1615

Sie gibt die Energieverteilung der unbesetzten Zustände für ein freies (Quanten-)Elektronengas wieder. Wir müssen nun jede Energie durch den Faktor p(E) mit einem Gewicht versehen, um die Wahrscheinlichkeit für die Besetzung eines Zustandes dieser Energie zu erhalten. Der Wert für p(E) muß von Eins (mit Sicherheit besetzt) bis Null (mit Sicherheit unbesetzt) reichen. Die Dichte der besetzten Zustände, nb(E) erhält man aus dem Produkt beider Größen: n b ( £ ) = n(E)p{E).

(53.4)

Bei Vergleich der Abbn. 53.2a und 53.2b ist ersichtlich, daß die Funktion p(E) am absoluten Nullpunkt gleich Eins für E < EF und gleich Null für E> EF sein muß. Dies wird durch die mit T = 0 markierte Rechteckstufe in Abb. 53.3 b beschrieben. Es kann gezeigt werden, daß für p(E), die sogenannte Fermi-Dirac- Verteilungsfunktion, gilt P (

E

) =

e,kT +

i

(53-5)

.

worin EF die Fermi-Energie ist. Diese Gleichung wird auf der Grundlage der FermiDirac-Statistik hergeleitet, die wir oben kurz erwähnten. Ein Diagramm von p(E) für T = 1000 K ist in Abb. 53.3 b gezeigt. Wir wollen nun Gl. 53.5 genauer betrachten. Zuerst stellen wir fest, daß sie für T = 0 tatsächlich die Rechteckkurve der Abb. 53.3b liefert. Der Exponent (E — EF)/kT in Gl. 53.5 nähert sich — oo für r - > 0 und E < EF, aber + co für E > EF. Im ersten Fall wird p{E) = 1 und im zweiten Fall p{E) = 0, wie es gefordert war. Gl. 53.5 zeigt auch, daß nicht die Größe E, sondern E-EF, das Energieintervall zwischen E und der Fermi-Energie, von Bedeutung ist. Weiter erkennen wir, daß p{E) wegen der Exponentialfunktion im Nenner von Gl. 53.5 sehr empfindlich gegenüber kleinen Änderungen von E-EF ist. Damit wird bestätigt, daß nur Elektronen, deren Energie in der Nähe der Fermi-Energie liegt, eine aktive Rolle spielen. Wie wir sehen werden, wird die erste Frage, die bei der Untersuchung von Elektronen in Festkörpern auftritt - seien es Leiter, Halbleiter oder Isolatoren - lauten:" Wo liegt auf der Energieskala das Fermi-Niveau?"

Beispiel 2 Berechnung der Fermi-Energie. Man berechne die Fermi-Energie für Kupfer; die Anzahldichte der Leitungselektronen (s. Beispiel 2, Kapitel 31) sei 8.4x 1 0 2 8 m - 3 . Aus Gin. 53.2 und 53.3 folgt n =

rE-

n(E)dE=

81/271 M3'2 V



• « f i ^ l . Auflösung nach EF ergibt

CEF

I

E^dE

1616

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

8/w \ n ) 28 (6.63 x 10~ 34 Js) 2 "(3)8.5 x l 0 m -3-12/3 = 1.12 x I O - 1 8 J = 7.0 eV. (8) (9.11 x 10" kg)

(53.6)

Beispiel 3 Die Fermi-Dirac- Verteilungsfunktion: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für die Besetzung eines Zustandes, dessen Energie (a) 0.1 eV über der Fermi-Energie, (b) 0.1 eV unterhalb der FermiEnergie und (c) auf gleichem Niveau wie die Fermi-Energie liegt? Die Temperatur sei 800 K. (a) Der (dimensionslose) Exponent in Gl. 53.5 ist E-Ev kT

0.1 eV (8.62 x 10~ 5 eV/K) (800 K)

145

Setzt man diesen Wert in Gl. 53.5 ein, so wird

Die Besetzungswahrscheinlichkeit für diesen Zustand ist also 19%. (b) Für eine 0.1 eV unterhalb der Fermi-Energie liegende Energie hat der Exponent in Gl. 53.5 denselben numerischen Wert wie für die darüberliegende Energie, nur ist er negativ. So wird />(£-) =

e

-ii

+ 1

=0-81-

Die Besetzungswahrscheinlichkeit für diesen Zustand ist 81 %. Für Zustände mit Energien unterhalb der Fermi-Energie ist man oft mehr daran interessiert, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie nicht besetzt sind. Das ist natürlich gerade 1 -p{E) und in diesem Fall 19 %. Ein unbesetzter Zustand in einer Umgebung von meist besetzten Zuständen wird Loch genannt. Wir werden später sehen, welchen Nutzen dieser Begriff hat. (c) Für E = EF ist der Exponent in Gl. 53.5 Null, und man erhält =

e°TT

=

ITT

=

°'50'

Man beachte, daß dieses Ergebnis nicht von der Temperatur abhängt. Außerdem ist bemerkenswert, daß keins der drei Ergebnisse vom Wert der Fermi-Energie, sondern nur von der Energiedifferenz zwischen Fermi-Energie und Zustandsenergie abhängt.

Beispiel 4 Die Energieverteilung der Leitungselektronen: (a) Man bestimme für Kupfer bei 1000 K die Energie, bei der die Wahrscheinlichkeit für die Besetzung eines Leitungselektronenzustands 90 % ist. (Man nehme an, daß sich die Leitungselektronen in Kupfer wie ein freies Elektronengas verhalten mit einer Fermie-Energie von 7.0 eV.) Einsetzen in Gl. 53.5 liefert

53.4 Der spezifische Widerstand von Metallen />(£) =

+ 1

1617

= 0.9,

worin AE = E-EF ist. Daraus errechnen wir AE/kT = — 2.20 und damit wird A E = - 2 . 2 0 k T = — (2.20)(8.62 x 10" 5 eV/K)(1000K) = - 0.19 eV. Für Kupfer mit EF = 7.0 eV erhalten wir E = EF + AE = 7.0 eV-0.19 eV = 6.8 eV. (b) Wie groß ist die Energieverteilung n(E) von unbesetzten Zuständen für diese Energie? Die Berechnung wie in Beispiel 1 für E= 6.8eV liefert n(E) = 1.8x 1 0 2 8 m " 3 e V - 1 . (c) Wie groß ist die Energieverteilung der besetzten Zustände nb(E) für diese Energie? Aus Gl. 53.5 erhalten wir wieder für E = 6.8 eV

nb(E) = n{E)p(E)

= (1.8 x 1 0 2 8 m ~ 3 eV _1 )(0.90) = 1.6x 1 0 2 8 m - 3 e V - 1 .

Dieses Ergebnis erscheint als Punkt auf dem Diagramm der Abb. 53.3c.

53.4 Der spezifische Widerstand von Metallen Das quantenmechanische Modell eines freien Elektronengases führt zum gleichen Ausdruck für den spezifischen elektrischen Widerstand von Metallen (Gl. 53.1), den wir in Abschn. 31.4 unter Verwendung des (klassischen) Elektronengasmodells hergeleitet haben. Der Leitungsmechanismus ist jedoch jetzt klarer. Obgleich alle Leitungselektronen am Leitungsprozeß teilnehmen, sehen wir nun, daß nur Elektronen mit Energien in der Nähe der Fermi-Energie Stöße ausführen können, die den spezifischen Widerstand erklären. Nur solche Elektronen haben in der Energie nahe darüber liegende, nicht besetzte Zustände, auf die sie sich verteilen können. (Dieselben Elektronen sind übrigens auch verantwortlich für die Übertragung von Energie auf das Gitter, die wir früher Joulesche Wärme nannten.) Alle diese Elektronen bewegen sich mit annähernd gleicher Geschwindigkeit vF, die wir Fermi-Geschwindigkeit nennen. In Beispiel 5 zeigen wir, daß die Fermi-Geschwindigkeit - das ist die mittlere Geschwindigkeit für Leitungselektronen zwischen zwei Stößen - für Kupfer bei Raumtemperatur 1.6x10® m/s beträgt; das ist kein unbedeutender Teil der Lichtgeschwindigkeit. Die mittlere Zeit T zwischen zwei Stößen ist dann 2.5 x 10~ 14 s und die mittlere freie Weglänge » 41 nm; das ist ungefähr 150 mal der Abstand benachbarter Gitterplätze in Kupfer. Man mag überrascht sein, daß sich bei Raumtemperatur ein Leitungselektron so weit durch ein Kupfergitter bewegen kann, ohne die Gitterteilchen aufzuheizen. Bei niedrigeren Temperaturen für die der spezifische Widerstand geringer ist - bewegt es sich sogar noch weiter. Es ist eine sicher unerwartete Voraussage der Wellenmechanik, daß ein perfekt periodisches Gitter am absoluten Nullpunkt für Leitungselektronen vollkommen transparent wird. Dort findet kein einziger Stoß statt.

1618

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Es gibt aber keine perfekt periodischen Gitter. Leere Gitterplätze und Verunreinigungsatome sind immer vorhanden, auch wenn wir uns noch so bemühen, sie zu entfernen. Ferner schwingt das Gitter bei Temperaturen über dem absoluten Nullpunkt, und auch diese Bewegungen stören die Periodizität des Gitters. Bei Raumtemperatur sind die „Stöße", von denen wir sprachen, hauptsächlich Wechselwirkungen zwischen den Leitungselektronen und den Gitterschwingungen.

Beispiel 5 Ein Leitungselektron in Kupfer. Die Fermi-Energie von Kupfer sei 7.0 eV. (a) Wie groß ist die Geschwindigkeit eines Leitungselektrons bei diesem Betrag der kinetischen Energie? In diesem Abschnitt haben wir angenommen, daß sich die Leitungselektronen in einem Bereich bewegen, in dem ihre potentielle Energie Null ist. Damit ist ihre gesamte Energie kinetische Energie, und für E = EF können wir schreiben: Ef = ?mvF, worin vF die Fermi-Geschwindigkeit ist. Lösen wir nach vF auf, so wird

= 1.6x10® m/s. Man darf diese Geschwindigkeit nicht mit der Driftgeschwindigkeit der Leitungselektronen verwechseln, die in der Größenordnung von 10~ 4 m/s liegt und damit um einen Faktor von ca. lO 10 kleiner ist. Wie wir in Abschn. 31.1 ausführlicher erklärten, ist die Driftgeschwindigkeit die mittlere Geschwindigkeit, mit der die Elektronen tatsächlich durch einen Leiter driften, wenn ein elektrisches Feld angelegt wird; die Fermi-Geschwindigkeit ist dagegen ihre mittlere Geschwindigkeit zwischen zwei Stößen. (b) Der spezifische Widerstand von Kupfer bei Raumtemperatur ist 1.7 x 10 ~ 8 £2 m. Wie groß ist die mittlere Zeit T zwischen zwei Stößen aus Gl. 53.1? Auflösung der Gl. 53.1 nach T ergibt m ne2Q

9.11 x l O - 3 1 kg (8.5 x 1 0 m ) (1.60 x 10 - 1 9 C) 2 (1.7 x 1 0 _ 8 f i m ) = 2.5 x 10 _ 1 4 s. 28

-3

(c) Welche mittlere freie Weglänge T ergibt sich aus den Resultaten von (a) und (b)? Wir haben = (1.6 x 106 m/s) (2.5 x 10" 1 4 s) = 4.1 x 1 0 _ 8 m = 41 nm.

T= oFr

Im Kupfergitter liegen die Zentren benachbarter Gitterplätze 0.26 nm weit auseinander. Damit kann sich ein typisches Leitungselektron bei Raumtemperatur eine beträchtliche Strecke durch ein Kupfergitter bewegen, ohne einen Stoß zu erleiden.

53.5 Energiebänder und Energielücken

1619

53.5 Energiebänder und Energielücken Abb. 53.4 a zeigt den Potentialverlauf, den wir zur Beschreibung eines Leitungselektrons in Metallen verwendet haben. Dieses Modell ist nicht ganz richtig. Zum Beispiel könnte ein Elektron infolge der unendlich hohen Potentialbarriere nie aus dem Inneren der Probe durch seine Oberfläche nach außen dringen, und wir wissen, daß dies nicht stimmt. Bei Erhöhung der Temperatur können Elektronen aus einem Metall „verdampfen", wie beim Heizdraht einer Vakuumröhre (thermische Emission). Auch können sie durch Licht von ausreichend hoher Frequenz aus einer Metalloberfläche „herausgeschlagen" werden (photoelektrischer Effekt). Abb. 53.4b zeigt, daß wir dieser Schwierigkeit begegnen können, wenn wir den Potentialsprung an der Oberfläche endlich machen. Wir machen die gleiche realistische Korrektur (s. Abb. 50.17) für das Elektron, das in einem eindimensionalen Topf atomarer Größe gefangen ist. Die Größe in Abb. 53.4 b ist die Austrittsspannung des Metalls. Sie ist so definiert, daß e (p die nötige Minimalenergie darstellt, um ein Elektron aus der Probe zu entfernen. Wir bringen bei dieser Gelegenheit die Energieskala mit der des Wasserstoffatoms in Übereinstimmung. Dazu wählen wir für E = 0 das Niveau, auf dem sich ein Elektron außerhalb der Probe in Ruhe befindet. Dies ist möglich, weil die potentielle Energie immer eine beliebige additive Konstante enthält und wir es mehr mit Änderungen der Gesamtenergie AE als mit der Energie E selbst zu tun haben. Bei unserer neuen Energieskala ist die Gesamtenergie der Elektronen in der Probe negativ, wie es auch für das Wasserstoffatom üblich ist. Der weit größere Fehler im Potentialverlauf der Abb. 53.4b ist der, daß die potentielle Energie des Leitungselektrons über das ganze Volumen der Probe konstant ist. Damit wird der Tatsache nicht Rechnung getragen, daß sich die Leitungselektronen an einer Reihe von positiv geladenen Gitterteilchen vorbeibewegen. Es ist bemerkenswert, daß wir über den spezifischen Widerstand der Metalle bisher so viel herausbekommen haben, ohne die Potentialänderung durch die das Gitter bildende Ionenrümpfe in Rechnung zu stellen. Wir waren jedoch nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, warum Kupfer ein Leiter und Diamant ein Nichtleiter ist. Berücksichtigen wir die Gitterperiodizität, so können wir auf diese und weitergehende Fragen eine Antwort geben. Abb. 53.4c zeigt eine Potentialkurve unter Berücksichtigung der Gitterteilchen. Durch Einsetzen dieses neuen Potentialverlaufs - oder besser einer Näherung davon - in die Schrödinger-Gleichung erhält man interessante neue Erkenntnisse. Wie Abb. 53.4 c zeigt, sind die erlaubten Zustände nun in Energiebändern zusammengefaßt. Dazwischen liegen Energielücken, in denen keine Zustände existieren. Man beachte, daß sich nur Elektronen, die sich gerade unterhalb des Fermi-Niveaus befinden, durch das Gitter frei bewegen können, Elektronen mit niedrigerer Energie, die Rumpfelektronen, dagegen nicht. Wir werden nun versuchen, die Energiebänder und -lücken pysikalisch zu deuten. Der Abstand zwischen benachbarten Gitterplätzen in Kupfer ist 0.27 nm. Betrachtet man dagegen zwei Kupferatome, die einen viel größeren Abstand voneinander haben, z. B. 50 nm, so daß man sie als „isoliert" ansehen kann (s. Abb. 53.5 a), kann man den 29 Elektronen in jedem Atom die Niveaus der Abb. 53.5b zuordnen. Wir bringen nun die beiden Atome näher zusammen, so daß ein außenliegendes Elektron in beiden Atomen durch Kräfte, die das andere Atom ausübt, leicht beeinflußt wird. In der Sprache der Wellenmechanik heißt das, daß sich ihre Wellenfunktionen

1620

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Fermi Energie

Ferrru Energie

Energiclucke Energieband

(c) Abb. 53.4 (a) Potentialverlauf der Leitungselektronen in einem Metall nach dem Modell des freien Elektronengases, (b) Ein realistischerer Verlauf mit einem endlichen Potentialsprung an der Oberfläche, (c) Potentialenergie-Kurve unter Berücksichtigung der Gitterteilchen. Die Kurve ist ein eindimensionaler Schnitt entlang einer Verbindungslinie von Gitterteilchen.

53.5 Energiebänder und Energielücken

1621

r

d

(a)

4p

JUL MSJL

4s 3rf • 3p

3s 2p 2s • besetzt

ls

* leer

(b) Abb. 53.5 (a) Zwei neutrale Kupferatome mit dem Durchmesser d im Abstand r mit r > d. (b) D i e Zuordnung der Elektronen im Grundzustand zu den Energieniveaus ist für beide voneinander unabhängigen A t o m e gleich. D i e Energieskala ist nur symbolisch.

überlappen. Ohne Beweis führen wir an, daß man die Überlappungsfunktionen auf zwei voneinander unabhängige Weisen kombinieren kann. Dies führt zu zwei Zuständen, die sich energetisch (wenig) unterscheiden. Anders ausgedrückt bedeutet das: Wenn sich zwei Atome „berühren", so spalten ihre Energieniveaus in je zwei Niveaus auf. Da die Überlappung für die äußeren Elektronen stärker ist, ist auch die Energieaufspaltung für sie größer als für die inneren Elektronen.

1622

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Erweitern wir diesen Prozeß auf N Kupferatome, die ein Gitter bilden, so spalten die Niveaus der isolierten Atome in je N Niveaus des Festkörpers auf. So bildet sich aus dem ls-Niveau des Atoms das ls-Band des Festkörpers usw. In Abb. 53.6 ist das veranschaulicht. Aus dieser Sicht sind auch die verbotenen Energielücken nicht schwer zu verstehen, da sie von der Niveaustruktur des isolierten Atoms her bekannt sind. So ist tatsächlich richtig, was Niels Bohr sagte, lange bevor die Wellenmechanik die Energielücken entdeckte: „Ich nehme an, daß die Atome, ohne zu strahlen, in einem diskreten Satz stationärer Zustände von definierter Energie existieren können, dazwischenliegende Energiezustände sind verboten."

E-0

t

(O Dl UJ C

1

2

4

Anzahl der Atome

•••

N



Abb. 53.6 Rücken die Atome zu einem Gitter zusammen, so spalten die Energieniveaus der isolierten Atome auf, so daß Bänder dicht beieinander liegender Niveaus entstehen. Für den gezeigten Fall überlappen zwei Energiebänder.

53.6 Leiter, Isolatoren und Halbleiter

1623

53.6 Leiter, Isolatoren und Halbleiter Abb. 53.7 a gibt die Bänderstruktur eines Leiters, wie z. B. Kupfer, wieder. Ihr Hauptmerkmal ist, daß das energiereichste Elektronen enthaltende Band nur teilweise mit Elektronen besetzt ist. Oberhalb des Fermi-Niveaus gibt es leere Zustände, so daß bei Anlegen eines elektrischen Feldes alle Elektronen dieses Energiebandes in — E-Richtung Impulszuwachs erfahren können und ein elektrischer Strom entsteht. Die vollständig besetzten, niedriger liegenden Energiebänder tragen zum Leitungsprozeß nichts bei. Abb. 53.7b repräsentiert einen Isolator. Sein energiereichstes, Elektronen enthaltendes Band ist vollständig besetzt, und die unmittelbar darüberliegende Energielücke verbotener Zustände, in der Abbildung mit El bezeichnet, ist sehr breit. „Sehr breit" bedeutet E,$> kT, so daß die Wahrscheinlichkeit vernachlässigbar klein ist, daß ein Elektron durch thermische Anregung in das darüberliegende leere Energieband gelangt. So besteht keine Möglichkeit für die Elektronen, auf ein angelegtes elektrisches Feld zu reagieren, und es fließt kein Strom. Kohlenstoff in Form von Diamant ist ein ausgezeichneter Isolator. Seine Energielücke beträgt 5.5 eV, das ist mehr als das 200fache des Wertes von kT bei RaumtemperaEin Halbleiter ist in Abb. 53.7c dargestellt. Er unterscheidet sich vom Isolator durch eine schmalere Energielücke, so daß durch thermische Anregung über sie hinweg Elektronen in ausreichendem Umfang bei Raumtemperatur in das darüberliegende Energieband gelangen können. Durch das Hinüberwechseln der Elektronen in das (fast leere) Leitungsband werden im darunterliegenden (fast vollbesetzten) Valenzband ebenso viele leere Zustände oder Löcher erzeugt. Silicium ist der Prototyp eines Halbleiters. Es hat dieselbe Kristallstruktur wie Diamant, doch ist die Breite der Energielücke ( = 1 . 1 eV) wesentlich geringer. Am absoluten Nullpunkt sind alle Halbleiter Isolatoren, weil dann keine thermische Anregung erfolgen kann. Bei jeder höheren Temperatur ist die Wahrscheinlichkeit für die Überwindung der Energielücke empfindlich von deren Breite abhängig. Deshalb ist die Unterscheidung von Halbleitern und Isolatoren ziemlich willkürlich. Diamant {El = 5.5 eV) und

Leitungsband

» E, 1—

® Ol

Leiter

(a)

r Isolator (b)

Valenz • band I

Halbleiter (c)

Abb. 53.7 Eine idealisierte Darstellung der Energiebänder für (a) einen Leiter, (b) einen Isolator und (c) einen Halbleiter. Das schwarze Dreieck zeigt das Fermi-Niveau für den Leiter an.

1624

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Silicium (Et = 1.1 eV) wird man jedoch, ohne zu zögern, als Isolator bzw. Halbleiter bezeichnen.

53.7 Weitere Eigenschaften von Halbleitern Die stürmische Entwicklung der Mikroelektronik, die in unserem Leben eine große Rolle spielt, basiert auf Halbleitern. Deshalb ist es wichtig, mehr von ihnen zu wissen. In Tab. 53.1 werden einige elektrische Eigenschaften des Halbleiters Silicium mit denen des Leiters Kupfer verglichen. Wir werden nun die in der Tabelle aufgeführten Eigenschaften der Reihe nach behandeln. 1. Anzahldichte n der Ladungsträger. Kupfer hat eine um den Faktor ca. 10 1 3 größere Anzahldichte von Ladungsträgern als Silicium. Bei Kupfer sind die Ladungsträger Leitungselektronen, und zwar ein Elektron pro Atom. Abb. 53.7c zeigt, daß Silicium am absoluten Nullpunkt überhaupt keine Ladungsträger besitzt. Bei Raumtemperatur und darauf beziehen sich die Werte der Tab. 53.1 - entstehen Ladungsträger dadurch, daß im thermischen Gleichgewicht durch thermische Anregung eine bestimmte (sehr kleine) Anzahl von Elektronen ins Leitungsband gelangt und dabei die gleiche Anzahl von leeren Zuständen (Löchern) im Valenzband verursacht. Die Löcher im Valenzband eines Halbleiters sind ebenfalls Ladungsträger, da sie eine gewisse Beweglichkeit der Elektronen in diesem Band ermöglichen. Befindet sich der Halbleiter in einem elektrischen Feld, so driften die negativ geladenen Elektronen im Valenzband in die Richtung von — ¿'und damit die Löcher in die Richtung von + E. Die Löcher zeigen ein Verhalten wie Teilchen mit der Ladung + e, und so werden wir sie im folgenden betrachten. Die Leitung durch Löcher ist für die Wirkungsweise von Halbleitern von großer Bedeutung. Der Begriff eines wanderndes Loches ist vergleichbar mit Luftblasen, die langsam in einem Teich aufwärts steigen. Verhalten sie sich nicht in jeder Hinsicht wie Wassertropfen mit negativer Masse? Ist es nicht leichter, die Bewegung der aufsteigenden Blasen zu analysieren als die des abwärtsströmenden Wassers, das sie umgibt? 2. Spezifischer Widerstand q. Der spezifische Widerstand von Silicium ist bei Raumtemperatur beträchtlich höher als der von Kupfer, und zwar um einen Faktor « 10 11 . Für beide Elemente wird er aus Gl. 53.1 bestimmt. Aus dieser Gleichung ist ersichtlich, daß der spezifische Widerstand ansteigt, wenn n, die Anzahldichte der Ladungsträger, Tabelle 53.1

Einige elektrische Eigenschaften von Kupfer und Silicium*

Leitungsart Anzahldichte der Ladungsträger** n in m - 3 spezifischer Widerstand q in ß m Temperaturkoeffizient des spezifischen Widerstands a in K - 1 * Alle Werte beziehen sich auf Zimmertemperatur ** Elektronen und Löcher bei Silicium

Kupfer

Silicium

Leiter 9 x 10 28 2 x 10~ 8

Halbleiter 1 1 x l O,16 3 3 x 10

+ 4 x 10~ 3

— 70 x 10~ 3

53.8 Dotierung von Halbleitern

1625

fallt. Der große Unterschied im spezifischen Widerstand zwischen Kupfer und Silicium kann durch den großen Unterschied von n erklärt werden. (Die mittlere Stoßzeit T ist für beide Elemente auch verschieden, doch ist der Einfluß auf den Widerstand gegenüber der Ladungsträgerdifferenz verschwindend klein.) Der Vollständigkeit halber merken wir an, daß der spezifische Widerstand eines guten Isolators (z.B. Quarzglas oder Diamant) größer als 10 2 O Qm sein kann; er ist damit ungefähr 10 28 mal größer als der von Kupfer bei Raumtemperatur. Wahrscheinlich gibt es keine andere physikalische Eigenschaft, die einen so großen Bereich umfaßt. 3. Temperaturkoeffizient 0). Das rührt daher, daß bei steigenden Temperaturen Stöße häufiger auftreten und dadurch x in Gl. 53.1 kleiner wird. Für Metalle ist die Anzahldichte der Ladungsträger n in dieser Gleichung unabhängig von der Temperatur. Dagegen sinkt der spezifische Widerstand von Silicium (und anderen Halbleitern) mit steigender Temperatur (dg/dT < 0), da die Anzahldichte der Ladungsträger n in Gl. 53.1 mit der Temperatur stark ansteigt. Die für Metalle beschriebene Abnahme von T gilt auch für Halbleiter, doch ist der Einfluß auf den Widerstand gegenüber dem starken Anstieg der Ladungsträgerdichte vernachlässigbar. Im Laboratorium kann man einen Halbleiter an seinem großen spezifischen Widerstand und insbesondere an dem großen und negativen Temperaturkoeffizienten a im Vergleich zu den entsprechenden Werten für Metalle erkennen.

53.8 Dotierung von Halbleitern Die vielseitige Verwendung von Halbleitern kann wesentlich durch das Einbringen einer kleinen Anzahl geeigneter Fremdatome (es klingt abwertend, wenn man sie Verunreinigungen nennt) in das Halbleitergitter verbessert werden. Diesen Prozeß nennt man Dotierung. Im Unterschied zum undotierten eigenleitenden Halbleiter heißt er Störstel/en-Halbleiter. Im wesentlichen verwendet man heute für alle Halbleiter-Bauelemente störstellenleitendes Material. Abb. 53.8a ist die zweidimensionale Darstellung des Gitters von reinem Siliciumatom. Jedes Siliciumatom geht mit seinen vier benachbarten Atomen eine Zweielektronenbindung ein. Diese an der Bindung beteiligten Elektronen bilden das Valenzband der Probe. In Abb. 53.8b ist eines der Siliciumatome (Wertigkeit 4) durch ein Phosphoratom (Wertigkeit 5) ersetzt. Das überzählige Elektron ist lose am Phosphor-Ionenrumpf gebunden, wie Abb. 53.8 b zeigt. Dieses Elektron kann wesentlich leichter durch thermische Anregung in das Leitungsband gelangen als die Siliciumvalenzelektronen. Das Phosphoratom wird Donator genannt (lat. donare = geben), weil es leicht ein Elektron in das Leitungsband abgeben kann. Das Überschuß-Elektron der Abb. 53.8b

1626

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Jil

(a)

• /

A

kl

(b)

Abb. 53.8 (a) Eine zweidimensionale Darstellung des Siliciumgitters. Jedes Silicium-Ion geht mit seinen vier benachbarten Atomen eine Zweielektronenbindung ein. Die Punkte veranschaulichen die Valenzelektronen. (b) Ein Phosphoratom mit 5 Valenzelektronen ersetzt ein Siliciumatom (mit 4 Valenzelektronen) und wird zum Donatoratom. (c) Ein durch ein Aluminiumatom (mit 3 Valenzelektronen) ersetztes Siliciumatom ist ein Akzeptoratom.

kann im Bändermodell als lokalisiertes Donator-Niveau wie in Abb. 53.9a dargestellt werden. Es ist durch die Energielücke Ed vom Leitungsband getrennt, wobei Ed E,. Durch den kontrollierten Einbau von Donatoratomen ist es möglich, die Elektronenanzahldichte im Leitungsband stark zu vergrößern. Mit Donatoratomen dotierte Halbleiter nennt man n-leitend; n steht für negativ, da negative Ladungsträger gegenüber positiven in der Überzahl sind. Negative Ladungsträger, die Majoritätsträger, sind die Elektronen im Leitungsband, positive Ladungsträger, die Minoritätsträger, die Löcher im Valenzband. Abb. 53.8c zeigt ein Siliciumgitter, in dem ein Siliciumatom (Wertigkeit 4) durch ein Aluminiumatom (Wertigkeit 3).ersetzt wurde. Wegen des fehlenden Elektrons kann das Aluminium einem benachbarten Siliciumatom leicht ein Elektron wegnehmen, so daß ein Loch oder Defektelektron im Valenzband entsteht.

53.8 Dotierung von Halbleitern

1627

Leitungsband i t * *»«* » i ' i ' t v « ' « t

L





(a)

_t

L

(b)

Abb. 53.9 (a) Ein n-leitender Halbleiter. Die Donatorniveaus liefern Elektronen (Majoritätsträger) in das Leitungsband. Im Valenzband befinden sich eine kleine Anzahl von Löchern (Minoritätsträger), (b) p-leitender Halbleiter. Die Akzeptorniveaus liefern Löcher (Majoritätsträger) ins Valenzband. Im Leitungsband befinden sich nur wenige Elektronen (Minoritätsträger).

Das Aluminiumatom wird Akzeptor genannt (lat. accipere = aufnehmen), da es leicht ein Elektron vom Valenzband aufnehmen kann. Das Akzeptor-Niveau im Energiebänder-Modell zeigt die Abb. 53.9 b. Es ist vom Valenzband durch die Energielücke £ a getrennt, wobei EA Et. Die Anzahl von Defektelektronen und damit die Leitfähigkeit kann durch Kontrolle der Akzeptorkonzentration stark erhöht werden. Mit Akzeptoren dotierte Halbleiter heißen p-leitend, da positive Ladungsträger im Überschuß für die Leitung verantwortlich sind. In p-leitenden Halbleitern sind die Majoritätsträger die Löcher im Valenzband und die Minoritätsträger die Elektronen im Leitungsband. Tab. 53.2 führt die Eigenschaften eines typischen n-leitenden und eines typischen p-leitenden Halbleiters auf. Insbesondere beachte man, daß die Donator- und Akzeptor-Ionen, obgleich geladen, keine Ladungsträger sind, da sie bei normalen Temperaturen auf den Gitterplätzen festgehalten werden.

Tabelle 53.2

Zwei typische Störstellenhalbleiter

Basismaterial Dotierungsmaterial Dotierungstyp Halbleitertyp Wertigkeit des Dotierungselements* Energielücke** Majoritäts träger Minoritätsträger Ionenladung des Dotierungselements***

Silicium Phosphor Donator n-leitend 5 ( = 4 + 1) 45meV Elektronen Löcher +e

* Die Wertigkeit von Silicium ist 4. ** 1 meV = 10" 3 eV, die Energielücke in reinem Silicium ist 1,1 eV. *** Das Dotierungs-Ion ist kein Ladungsträger, es bleibt auf dem Gitterplatz.

Silicium Aluminium Akzeptor p-leitend 3 (=4-1) 57meV Löcher Elektronen —e

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53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Beispiel 6 Dotierung eines Siliciumgitters. Die Anzahldichte der Leitungselektronen in reinem Silicium bei Raumtemperatur ist ca. 10 1 6 m" 3 . Welcher Bruchteil der Siliciumatome muß durch Phosphoratome ersetzt werden, damit diese Anzahldichte um den Faktor eine Million (10 6 ) ansteigt? (Man nehme an, daß bei Raumtemperatur jedes Phosphoratom durch thermische Anregung ionisiert wird, also sein Überschuß-Elektron an das Leitungsband abgibt.) Die Anzahldichte der Phosphoratome muß ungefähr (10 1 6 m~ 3 ) (10 6 ) oder ss 1 0 2 2 m ~ 3 sein. Die Anzahldichte der Siliciumatome in reinem Silicium erhält man aus Sl

M

mit NA = Avogadro-Konstante, Q ( = 2330 kg/m 3 ) = Dichte von Silicium und M ( = 28.1 g/ mol) = molare Masse von Silicium. Eingesetzt ergibt das

"

Si

(6.02 x IQ 23 mol" 1 ) (2330 kg/m 3 ) 0.0281 kg/mol

2g 5X1U

3 m

'

und das Verhältnis aus beiden Anzahldichten ist die gesuchte Größe: n«

5 x 1028m~3 1022m"

; 5 x 10®.

Wir sehen, daß die Anzahldichte der Elektronen im Leitungsband um den Faktor 106 ansteigt, wenn nur eines von fimf Millionen Siliciumatomen durch ein Phosphoratom ersetzt wird. Wie kommt es, daß eine so geringe Phosphorkonzentration einen so großen Einfluß hat? Es liegt daran, daß reines Silicium bei Raumtemperatur nur sehr wenige Leitungselektronen aufweist. Vergleicht man die Anzahldichte der Leitungselektronen - « 1 0 1 6 m ~ 3 vor der Dotierung und 10 2 2 m~ 3 nach der Dotierung - mit der von Kupfer, nämlich ss 10 2 9 m~ 3 (s. Tab. 53.1), so bleibt sie bei dieser Dotierung noch weit unterhalb der eines typischen Metalls.

Beispiel 7 Bindungsenergie und Bahnradius des Überschuß-Elektrons eines Donators. Unter der Annahme, daß das Überschuß-Elektron in einem Phosphor-Donatoratom in einer Bohrschen Bahn um das zentrale Phosphor-Ion wie in Abb. 53.8b kreist, berechne man (a) die Bindungsenergie und (b) den Bahnradius dieses Elektrons, (a) Der Ausdruck für die Bindungsenergie in der Bohrschen Theorie ist mZ2e4

1 (49-30)

Wir setzen n = 1, da wir am Grundzustand des Donators interessiert sind, und Z = 1, da das Elektron ein Ion der resultierenden Ladung + e umkreist. Die obige Gl. 49.30 wurde für ein wasserstoffahnliches Atom abgeleitet, dessen umlaufendes Elektron sich im Vakuum bewegt. In diesem Fall bewegt es sich jedoch durch ein Siliciumgitter. Dadurch wird die elektrostatische Kraft um einen Faktor s r , die Permittivitätszahl von Silicium, reduziert. Quantitativ wird dies berücksichtigt, indem wir im Coulombschen Gesetz e 0 durch ETE0 ersetzen. Machen wir dasselbe in Gl. 49.30, so wird

53.9 pn-Übergänge

1629

worin der Faktor in der Klammer gerade 13.6 eV, die Bindungsenergie des Wasserstoffatoms, ist. Für Silicium ist er = 12, so daß Eh =

13.6 eV

* 0.09 eV = 90 meV.

Dieses Ergebnis stimmt in der Größenordnung mit dem Wert von 45 meV aus Tab. 53.2 überein. (b) Der Bahnradius errechnet sich aus Gl. 49.32. Substitution wie oben ergibt

Der Faktor in der Klammer ist der Bohr-Radius (= 52.9 pm). r = (12)(52.9 pm) ^ 600 pm. Das sind ca. zehn Atomradien, groß genug, um die Behandlung des Siliciumgitters als Kontinuum zu rechtfertigen. Anmerkung: In beiden Gleichungen müßten wir die Elektronenmasse m durch eine effektive Elektronenmasse mc{{ ersetzen, um teilweise die Periodizität des Siliciumgitterpotentials zu berücksichtigen. Dadurch würden sich die berechneten Werte für die Bindungsenergie und den Bahnradius verringern bzw. vergrößern. Beide Korrekturen führen zu besserer Übereinstimmung mit experimentellen Werten.

53.9 pn-Übergänge In den nächsten Abschnitten werden wir einige häufig verwendete Halbleiterelemente beschreiben, wie Halbleiter-Gleichrichter, Leuchtdioden und Transistoren. Es gibt eine Vielzahl solcher elektronischen Elemente, die wir auswählen könnten. Mit der heutigen Technologie ist es möglich, für ganz spezielle Nutzungen „maßgeschneiderte" komplexe Halbleiterbausteine zu entwickeln; das Spezialgebiet, das sich damit befaßt, heißt Halbleitertechnik. Im wesentlichen bestehen alle Halbleiterbausteine aus einem oder mehreren sogenannten pn-Übergängen. Um den Mechanismus auch des einfachsten Halbleiterelements zu verstehen, müssen wir uns zuerst mit diesen pn-Übergängen und ihren Eigenschaften befassen. Was ist ein pn-Übergang? Wenn man eine hypothetische Schnittfläche durch einen reinen halbleitenden Kristall, z. B. aus Silicium, legt und die eine Seite mit Donatoratomen (es wird n-leitendes Material erzeugt) und die andere Seite mit Akzeptoratomen (es wird p-leitendes Material erzeugt) dotiert, so haben wir an der Grenzfläche einen pnÜbergang hergestellt. In der Praxis werden pn-Übergänge hergestellt, indem man z. B. zunächst von n-leitendem Material ausgeht. Dieses entsteht durch Zugabe der Donatoratome zu geschmolzenem Silicium, aus dem der Kristall gezogen wird. Die Akzeptoratome diffundieren in diese feste Probe in einem

1630

53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Spezialofen bei hohen Temperaturen bis zu einer bestimmten (kontrollierbaren) Tiefe ein und überkompensieren dabei die Donatoratome. Bei der Untersuchung des pn-Übergangs gehen wir von der idealisierenden Annahme aus, daß die Grenzfläche zwischen n- und p-leitendem Material eine wohldefinierte Ebene ist; in der Praxis ist dies aber ein allmählich ineinander übergehender Bereich.

Abb. 53.10a zeigt einen pn-Übergang, wie man ihn sich im Augenblick seiner Entstehung vorstellt; es sind nur die Majoritätsträger angegeben. Im n-leitenden Material überwiegen Elektronen, im p-leitenden Material Löcher als Ladungsträger. Wir wollen zunächst nur das Verhalten der Elektronen am Übergang untersuchen. Elektronen, die sich dicht am Übergang befinden, werden aus dem gleichen Grund durch ihn hindurchdiffundieren, aus dem Gasmoleküle durch eine permeable Membran in ein dahinterliegendes Vakuum diffundieren. Diese in Abb. 53.10 a von rechts nach links diffundierenden Elektronen werden sich mit den Löchern auf der anderen Seite des Übergangs vereinigen. Jeder dieser Diffusions-Rekombinations-Prozesse erzeugt auf der rechten Seite der Grenzfläche eine positive und auf der linken Seite eine negative Ladung.

| Löcher £

Elektronen

—I

(b)

¿0

K

U(x) Sil

J l ~

\

(c

> nl'dHft

| (d) Abb. 53.10 (a) Ein pn-Übergang zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Es sind nur die Majoritätsträger angegeben, (b) Entstehung einer Raumladungszone durch Diffusion der Majoritätsträger (c) Die Raumladung verursacht eine Kontaktpotentialdifferenz und ein elektrisches Feld an der Grenzfläche des pn-Übergangs. (d) Der Diffusionsstrom der Majoritätsträger wird durch den Driftstrom der Minoritätsträger in entgegengesetzter Richtung aufgehoben.

53.9 pn-Übergänge

1631

(Die nicht beweglichen Ladungen, die in der Nähe der Grenzfläche liegen - und durch sie getrennt werden - , sind die Donator- und Akzeptor-Ionen. Normalerweise werden sie durch die (entgegengesetzten) Ladungen der beweglichen Ladungsträger kompensiert. Diffundieren diese aber durch die Grenzfläche, so ist die Ladung der Ionen nicht mehr vollständig kompensiert.)

Dadurch wird quer zur Grenzschicht eine Potentialdifferenz aufgebaut, wie Abb. 53.10c zeigt. Im Zusammenhang mit dieser Potentialdifferenz (nach Gl. 29.15: E = — dU/dx) entsteht ein inneres elektrisches Feld E0 durch die Grenzfläche, wie Abb. 53.10c zeigt. Das Feld übt auf ein Elektron eine Kraft aus, die seiner Diffusionsbewegung entgegengerichtet ist. Mit anderen Worten: Das von rechts nach links in Abb. 53.10b diffundierende Elektron muß so energiereich sein, daß es die Potentialschwelle - dargestellt in Abb. 53.10 c - überwinden kann. Während die Elektronen in Abb. 53.10 a von rechts nach links diffundieren, diffundieren die Löcher von links nach rechts. Jeder kann sich vorstellen, daß beide Bewegungen genau die gleiche Wirkung haben. Auf beiden Seiten der Grenzfläche wird eine Raumladung aufgebaut und dadurch eine Potentialdifferenz und ein elektrisches Feld E0 erzeugt. Die Bewegung beider Ladungsträger liefert einen Strom, dessen Richtung nach der üblichen Konvention in Abb. 53.10 a von links nach rechts verläuft. Dieser Strom wird Diffusionsstrom genannt und mit / diff bezeichnet. Es ist natürlich nicht möglich, daß eine isoliert liegende Siliciumprobe unendlich lange von einem Strom durchflössen wird. Es muß etwas geben, was ihn zum Stillstand bringt oder ihn kompensiert. Um herauszufinden, was das ist, wollen wir die Minoritätsträger betrachten. Wie aus Abb. 53.9 und Tab. 53.2 ersichtlich ist, gibt es in n-leitendem Material neben den Majoritätsträgern, den Elektronen, auch einige Löcher, die Minoritätsträger. Entsprechend gibt es in p-leitendem Material auch einige Elektronen als Minoritätsträger neben den Majoritätsträgern, den Löchern. Obwohl das elektrische Feld in Abb. 53.10c so wirkt, daß die Bewegung der Majoritätsträger gehemmt wird - sie müssen die Potentialbarriere hinauflaufen - werden die Minoritätsträger beschleunigt, d. h. sie laufen den Potentialwall hinunter, seien es Elektronen oder Löcher. Wird ein Elektron in der Nähe der Grenzfläche durch thermische Anregung vom Valenzband in das Leitungsband des p-leitenden Materials gehoben, so driftet es unter dem Einfluß des elektrischen Feldes E0 stetig von links nach rechts durch die Grenzfläche. Ebenso driftet ein in n-leitendem Material erzeugtes Loch in entgegengesetzte Richtung. Der Raumladungsbereich in Abb. 53.10b wird durch diesen Bereich effektiv von Ladungsträgern freigeräumt und wird aus diesem Grunde Verarmungszone genannt. Der durch die Bewegung der Minoritätsträger erzeugte Strom heißt Driftstrom 7 drift und verläuft in entgegengesetzter Richtung wie der Diffusionsstrom. Im Gleichgewicht kompensieren sich beide Ströme, wie Abb. 53.10d zeigt. So entsteht im Gleichgewicht durch einen pn-Übergang eine Kontaktpotentialdifferenz U0. Der Diffusionsstrom 7 diff , der über den pn-Übergang in die Richtung von p nach n verläuft, kompensiert sich mit dem in entgegengesetzter Richtung laufenden Driftstrom 7 drift . In der ladungsträgerverarmten Zone befindet sich ein elektrisches Feld E0 der Breite d0.

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53 Elektrische Leitung in Festkörpern

Beispiel 8 Untersuchung der Verarmungszone. Ein pn-Übergang auf Siliciumbasis hat die gleiche Anzahldichte n0 von Donatoren und Akzeptoren. Seine Verarmungszone der Breite d ist symmetrisch zur Grenzfläche, wie Abb. 53.11 a zeigt. (a) Man leite einen Ausdruck für £ m a x , das Maximum der elektrischen Feldstärke in der Verarmungszone, her. Außerhalb des Verarmungsbereichs wird das elektrische Feld im n- und p-leitenden Material Null gesetzt. Das Feld zeigt in der Zone von rechts nach links und hat aus Symmetriegründen sein Maximum in der Mitte des Bereichs, s. Abb. 53.11b. Auf die in Abb. 53.11 a gezeigte, geschlossene Fläche (Gaußsche Fläche), wenden wir das Gaußsche Gesetz an, nämlich (30.17) worin £r ( = 12) die Permittivitätszahl von Silicium und