Pflastersteine: Ulmer Wege zur Nachhaltigkeit [1 ed.] 9783896448026, 9783896730299

In Arbeitsgruppen werden vorangegangene Diskussionen von renommierten Wissenschaftlern und Ulmer Bürgern zu Pflasterstei

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Pflastersteine: Ulmer Wege zur Nachhaltigkeit [1 ed.]
 9783896448026, 9783896730299

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Helge Maj er Friederike Seydel (Hrsg.)

Pflastersteine Ulmer Wege zur Nachhaltigkeit

Verlag Wissenschaft & Praxis

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Pflastersteine : Ulmer Wege zur Nachhaltigkeit / Helge Majer und Friederike Seydel (Hrsg.). - Sternenfels ; Berlin : Verl. Wiss, und Praxis, 1998 (Schriftenreihe des Ulmer Initiativkreises nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e. V. ; 4) ISBN 3-89673-029-0 NE: Majer, Helge [Hrsg.]; GT

ISBN 3-89673-029-0

© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 1998 Nußbaumweg 6, D-75447 Sternenfels Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

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Printed in Germany Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier.

Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................... 5

TEIL I: Regionale Nachhaltigkeit Ein Diskurs zwischen Wissenschaft und Praxis 1

Eine Tagung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis......................... 7 Eugen Baacke, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

2

Konzepte regionaler Nachhaltigkeit: Eine Übersicht ........................... 10 Ortwin Renn, Akademie für Technikfolgenabschätzung

3

Der regionale Ansatz: Eine Bewertung .................................................... 16 Harald Spehl, Universität Trier

4

Konzepte regionaler Tragfähigkeit..............................................................20 Hans Mohr, Akademie für Technikfolgenabschätzung

5

Nachhaltiger Konsum ...................................................................................24 Gerhard Scherhorn, Universität Hohenheim

6

Zukunftsfähige Technologien für eine Region.......................................... 29 Frieder Meyer-Krahmer, ISI Karlsruhe

7

Institutionelle Innovation I: Problemebei der Umsetzung .....................34 Oscar W. Gabriel, Universität Stuttgart

8

Institutionelle Innovation II; Mediations-basierte Runde Tische .... 39 Helge Majer, Universität Stuttgart

9

Handlungsebenen ...........................................................................................45 Carsten Stahmer, Statistisches Bundesamt Wiesbaden

10

Implementation und Evaluation umweltpolitischer Programme auf kommunaler Ebene .........................................................48 Andreas Eisen, Wissenschaftszentrum Berlin

11

Workshop „Nachhaltige Regionalentwicklung in der Region Leipzig” 52 Tomas Brückmann, Umweltbund ÖKOLÖWE Leipzig

12

Das Bauhaus und die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG).........58 Martin Krampen, Ulm

13

Arbeitsgruppe „Lebensstile”......................................................................... 81

14

Arbeitsgruppe „Technik” ............................................................................. 84

15

Arbeitsgruppe „Institutionen ”.................................................................... 86

16

Arbeitsgruppe „Ulmer Region” .................................................................. 88

17

Diskurs über konstruktive Lösungen..........................................................90

18

Diskussionsfäden ............................................................................................ 93

19

Pflastersteine für Ulm ..............................................................

95

TEIL II: Wege zur Nachhaltigkeit Bürgerinnen und Bürger gestalten Pflastersteine für Ulm Brigitte Dahlbender, Friederike Seydel

20 21

Überblick........................................................................................................... 99

Auf der Suche nach Pflastersteinen für ein nachhaltiges Ulm ein Bürgergespräch ........................................................................ 101

22

Die Auswahl der Bürger ............................................................................. 104

23

Der Weg zum Konsens - die Mediation.................................................... 106

24

Die Bürger und die städtische Umweltpolitik..........................................108

25

Zeitplan und Ablauf der Bürgerabende.................................................... 110

26

Bürgermeinung - „Energiesparen im Haushalt” ................................... 113

27

Bürgermeinung - „Energiesparen im Verkehr”..................................... 123

28

Kurzportraits der Referenten und Autorinnen........................................ 133

2

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen Teil I

Tab. 1:

Klassifikation der ökonomischen Konzepte zur Nachhaltigkeit ...........14

Tab. 2:

Instrumente der Umweltpolitik: Einsatzgebiete und vorrangige Maßnahmen ............................................................................. 15

Abb. 1:

Nachhaltiges Wirtschaften ........................................................................... 9

Abb. 2:

Mediations-basierte Runde Tische............................................................ 40

Abb. 3:

Arbeitsgruppe „Lebensstile”: Visualisierung der Ergebnisse.................. 83

Abb. 4:

Kriterien nachhaltiger Institutionen .......................................................... 87

Abb. 5:

Arbeitsgruppe „Ulmer Region”: Ideensammlung

Abb. 6:

Matrix zur Strukturierung der Diskussion ............................................... 90

Abb. 7:

Vernetzung.................................................................................................. 91

Abb. 8:

Vorschläge: Bewußtseinsbildung und Abbau vonHemmschwellen .. 92

Abb. 9:

Gesprächsfäden: Dimensionen regionaler Nachhaltigkeit...................... 94

............................. 89

Abb. 10: Pflastersteine auf dem Weg zur Nachhaltigkeit .............................. 96-97

Teil II

Abb. 11: Statistische Daten der teilnehmenden Bürger und Bürgerinnen.........105 Abb. 12: Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Haushalt (eine Auswahl)................................................. 114 Abb. 13: Die wichtigsten Themenbereiche und ihre Bewertung durch die Bürger.................................................................... 115

Abb. 14: Institutioneile, technische und im Verhalten begründete Hemmnisse für die Nutzung erneuerbarer Energie ........... 113 Abb. 15: Anregungen zur Überwindung der Hemmnisse (Ergebnis)............... 113

Abb. 16: Energiesparmaßnahmen bei der Heizung durch Eigentümer und Mieter............................................................................... 117 Abb. 17: Anregungen der Bürger mit Bewertung der effizientesten Maßnahmen beim Heizen (Ergebnis)...................................118

3

Abb. 18: Institutioneile, technische und im Verhalten begründete fördernde Einflüsse, die zur Senkung des Stromverbrauchs beitragen................. 119

Abb. 19: Anregungen der Bürger zum Stromsparen (Ergebnis)......................... 120 Abb. 20: Energiesparen im Haushalt - die zentralen Aussagen der Bürger (Ergebnis) .

120

Abb. 21: Bürgermeinung - umsetzbare Maßnahmen (Ergebnis) ....................... 121

Abb. 22: Voraussetzungen und Hilfestellungen zur Vergrößerung der Umsetzungschancen (Ergebnis)..................................... 122 Abb. 23:

Anregungender Bürger zum Energiesparen im Verkehr...............124

Abb. 24:

Anregungen der Bürger zum ÖPNV............................................... 125

Abb. 25:

Anregungender Bürger zur technischen Entwicklung beim Auto ... 125

Abb. 26:

Anregungender Bürger zur Stadtplanung ............................................. 126

Abb. 27:

Anregungen der Bürger zum Service des Handels........................ 126

Abb. 28:

Anregungender Bürger zur Information über Auto und ÖPNV ....

Abb. 29:

Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Verkehr (Ergebnis)....................................................................127-128

127

Abb. 30: Tabelle zum Eintrag der regelmäßigen Fahrten mit zwei fiktiven Beispielen................................................. 128

Abb. 31:

Ersetzbarkeit von Autofahrten ............................................................... 129

Abb. 32:

Warum werden Autofahrtennicht ersetzt ? ........................................... 131

Abb. 33: Energiesparen im Verkehr - die zentralen Aussagen der Bürger (Ergebnis)............................................................ 132

Impressum Dieses Buch wurde aus den Mitteln der •

Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden - Württemberg



Breuninger-Stiftung, Stuttgart



Stiftung Natur und Umwelt der Landesgirokasse Stuttgart

finanziell gefördert.

4

Vorwort Verstehen Sie das? „Ein hierarchisch-regulativer Politikansatz ist für nachhaltige Entwicklung verfehlt; im Kern verlangen nachhaltige Entwicklung und der Weg dorthin ein diskursiv-partizipatives Vorgehen.” Das ist wissenschaftliche Sprache. Würde man hingegen sagen, „auf dem Weg zu nachhaltiger Entwicklung müssen alle mitmachen und Verantwortung übernehmen; deshalb laßt uns eine gemeinsa­ me Sprache finden und miteinander Lösungen erarbeiten”, dann ist dies wohl ver­ ständlich, aber nicht wissenschaftlich. Der Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw) möchte die Ideen nachhaltiger Entwicklung in der Ulmer Region umsetzen. Dafür will er die gesellschaftlichen Gruppen in Ulm als Akteure zusammenbringen. Denn was nützt es, wenn die einen - vielleicht am grünen Tisch - Kluges erfinden, wovon die anderen, die etwas tun sollen, nichts wissen oder nichts verstehen? Der unw ver­ sucht, mit Runden Tischen Gespräche zu organisieren, an denen gemeinschaftliche Lösungen erarbeitet werden. Die Bad Uracher Fachtagung „Regionale Nachhaltig­ keit - Konzepte und Umsetzung” sollte solche Diskussionen ermöglichen. Wissen­ schaftler haben ihre (theoretischen) Konzeptionen vorgetragen, Bürgerinnen und Bürger haben sich damit auseinandergesetzt. Der unw führt seine Veranstaltungen selten allein durch; er suchte auch hier geeig­ nete Partner. Die mögliche Zusammenarbeit mit der Akademie für Technikfolgen­ abschätzung in Baden-Württemberg und mit der Landeszentrale für Politische Bil­ dung Baden-Württemberg stellte sich als ein Glücksfall heraus. Die Akademie lie­ ferte beste fachliche Beiträge, die Landeszentrale stellte ihr Fachwissen und das Haus auf der Alb als Tagungsstätte zur Verfügung. Warum das Haus auf der Alb? Die Bauhaustradition war hierfür entscheidend. Ver­ antwortung für Qualität und Zukunft, das ist Bauhaus und das ist (war) die Hoch­ schule für Gestaltung (hfg) in Ulm. In diese Tradition wollten wir unsere Veran­ staltung hineinstellen. Martin Krampen hat dies mit einem eindrucksvollen Beitrag in der vorliegenden Dokumentation aufgezeigt.

Wie kann man die Konzeption nachhaltiger Entwicklung an einem Nachmittag ver­ mitteln? Das Ganze konnte nur gelingen, weil sich herausragende Wissenschaftler aus ganz verschiedenen Disziplinen in höchstem Maße engagierten und fachliches Können in vorbildlicher Weise eingebracht haben. Die Bürgerinnen und Bürger, die meisten aus der Ulmer Stadtgesellschaft, haben mit kritischen und konstrukti­ ven Fragen und Beiträgen zu Klarheit und Innovation beigetragen. Zusammenge­ halten und angetrieben hat dies ein „Geist von Bad Urach”; der läßt sich nicht näher beschreiben.

5

Die Tagung wurde geplant von Oscar W. Gabriel, Helge Majer und Ortwin Renn, und dann mit der „geräuschlosen Effizienz” von Eugen Baacke durchgeführt. Die Landeszentrale für politische Bildung hat durch ihre Gastfreundschaft die Tagung erst ermöglicht. Doch viele andere haben dabei mitgeholfen, denen hiermit herzli­ cher Dank gesagt wird. Die Aufzeichnungen der Bad Uracher Tagung bilden den ersten Teil dieses Büch­ leins. Die meisten Vorträge lagen als Tonband-Aufnahmen vor und wurden in die schriftliche Form übertragen. Wenn Sie laut vor sich hinlesen, liebe Leserin und lieber Leser, dann hören Sie es noch. Frau Dr. Friederike Seydel hat sie sensibel für den vorliegenden Band zusammengestellt, finanziell unterstützt von der Akade­ mie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Hierfür herzlichen Dank Herrn Prof. Dr. Ortwin Renn von der Akademie für Technikfolgenabschät­ zung in Baden-Württemberg! Pflastersteine für Ulm sind dabei herausgekommen, Pflastersteine, die den Weg bereiten für Innovationen zu nachhaltiger Entwicklung. Heinz-Peter Lahaye gestaltete den Vortragsraum in Bad Urach mit Bildern von Kund Anka. Es sind Fotografien von Natur, Bäumen und Wald zu verschiedenen Jahreszeiten. Die Bilder haben uns in Bad Urach sehr angeregt. Allen danke ich herzlich für das große Engagement! Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Tagung waren sich einig, daß die Bad Uracher Pflastersteine, die Ergebnisse dieser Tagung, wie sie im Teil I/Kapitel 19 „Pflastersteine für Ulm” zusammengefaßt sind, als wichtige Ausgangspunkte für den weiteren Weg des unw in Ulm dienen müßten. Alle stellten sich vor, daß die Diskussion über eine nachhaltige Entwicklung der Region Ulm/Neu-Ulm weiterge­ führt und über Runde Tische in die Ulmer Bevölkerung und in die Ulmer Politik hineingetragen wird.

Und weil wir in Ulm diesen „Auftrag” aus Bad Urach im Herbst 1996 schon aufge­ nommen haben, gibt es einen zweiten Teil des vorliegenden Buches: die Ergebnis­ se der Bürgergespräche über „Energiesparen in Haushalt und Verkehr”. Im Herbst 1996 haben ein gutes Dutzend Ulmer Bürgerinnen und Bürger an acht Abenden ei­ gene Vorschläge zum Energiesparen erarbeitet und mit Brigitte Dahlbender, Helge Majer und Friederike Seydel vom unw in einem „Bürgergutachten” zusammenge­ stellt. Dieses Bürgergutachten (das wir lieber „Bürgermeinung” nennen) ist dem Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner und den Ulmer Gemeinderäten und Gemein­ derätinnen zugegangen. Die Ulmer Presse hat darüber ausführlich berichtet. Beides, die Dokumentation der Bad Uracher Tagung und das Bürgergutachten sind Pflastersteine auf dem Ulmer Weg zur Nachhaltigkeit und formen sich zum hier vorgelegten Band 4 der unw - Schriftenreihe „Pflastersteine. Ulmer Wege zur Nachhaltigkeit”. Ulm, im September 1997

6

Helge Majer, Friederike Seydel

I.

Regionale Nachhaltigkeit - Ein Diskurs zwischen Wissenschaft und Praxis

1

Eine Tagung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis Eugen Baacke, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

Eine denkwürdige Tagung in einem denkwürdigen Haus. Wenn sich Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Praxis mit Verantwortlichen und Interessierten, vor allem aus der Ulmer und Neu-Ulmer Region, zu einem Diskurs im Haus auf der Alb, der Tagungsstätte der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Würt­ temberg in Bad Urach treffen, so hat das durchaus Symbolcharakter. Die Fachta­ gung „Regionale Nachhaltigkeit - Konzepte und Umsetzung” trifft mit ihren inno­ vativen und zukunftsweisenden Ansätzen auf das einzigartige Ambiente dieses her­ ausragenden Beispiels eines Baudenkmals des Neuen Bauens, das als „Kulturdenk­ mal von besonderer Bedeutung” ins Denkmalbuch eingetragen wurde. Adolf Gustav Schneck (1883 - 1971), der das Haus auf der Alb als Erholungsheim der Deutschen Gesellschaft für Kaufmannserholungsheime DGK e.V. Wiesbaden in der Rekordzeit von nur elf Monaten von August 1929 bis Juli 1930 erbaute, ver­ wirklichte hier die von ihm mitvertretenen Grundsätze einer von funktionaler Ästhetik geprägten, sozial engagierten Architektur, die mit einfachen Mitteln zu realisieren ist. Berührungspunkte zwischen Veranstaltungsort und Inhalt sowie Zie­ len der Tagung sind unübersehbar: Die Idee einer regionalen nachhaltigen Ent­ wicklung und die hier zu diskutierenden Probleme der Umsetzung finden ihr Äqui­ valent in der funktionalistischen, progressiven Haltung der Neuen Sachlichkeit. Das Bauhaus unter Leitung von Lazio Moholy Nagy und Walter Gropius suchte auch durch die architektonische Avantgarde in den 20er Jahren nach fortschrittli­ chen Konzeptionen einer zweckorientierten Architektur, die der Formel der Moder­ ne entsprach: „Die Form folgt aus der Funktion” (Louis Sullivan: „Form follows function”). Exemplarisch dokumentiert das Haus auf der Alb Prinzipien und Inten­ tionen der modernen Architektur, die das Gesicht einer neuen Epoche prägt und den typischen Ausdruck der industriellen Gesellschaft sucht.

So nennt Adolf G. Schneck als Grundsätze einer klaren Funktionalität: •

Pathos der kargen Form;



Askese und rationale Klarheit;



Unerbittliche Strenge in der Formgebung;



Die beste Form mit einfachsten Mitteln;

7

Helge Majer, der „spiritus rector” dieser Veranstaltung, verweist in seiner Einla­ dung deutlich auf den Aspekt der Selbstbeschränkung und zeigt damit Parallelen zu den Ideen des Neuen Bauens auf: „Umgesetzt werden soll die Zielsetzung nach­ haltiger Entwicklung, die einen tiefgreifenden Strukturwandel der Wirtschaftswei­ sen und Lebensstile aller beteiligten Akteure erfordert. Wichtige Wege zu diesem Ziel bestehen darin, Rohstoffe, Energie und Fläche zu sparen und zu lernen, wie durch Kooperation und Verantwortung Veränderungen eingeleitet werden kön­ nen”.

Moderne politische Bildung

Kernbestand einer ernstzunehmenden politischen Bildung ist, daß sie sich mit kon­ troversen Themen beschäftigt und sich nicht scheut, heiße Eisen anzupacken. In den Zeiten einschneidender struktureller Veränderungen mit gravierenden gesell­ schaftspolitischen Auswirkungen helfen weder Schönredereien noch Katastro­ phenmentalität, sondern hilft nur der Mut zu neuem Denken. Die Zukunft der poli­ tischen Bildung kann nur gesichert werden, wenn versucht wird, die politische Bil­ dung der Zukunft konzeptionell zu gestalten. In diesen zwei Seminartagen soll unter den Bedingungen einer Werkstatt diskursiv und dialogisch das Konzept „sustainable development I nachhaltige Entwicklung” auf seine Reichweite unter­ sucht werden. Neuland betritt politische Bildung nicht nur in der Themenwahl, sondern auch im Kontakt mit neuen Partnern. Es gilt, mit den vorhandenen Mitteln und Möglichkei­ ten Forschungsfreude, Kreativität und innovative Ideen bei den beteiligten Akteu­ ren zu fördern und zu unterstützen. Dank deshalb an die Universität Stuttgart, die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg und den Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. und alle beteiligten Institu­ tionen und Organisationen, die dazu beigetragen haben, daß diese Fachtagung rea­ lisiert werden konnte.

Ökologie, Ökonomie, Soziales und Bildung

Ich möchte den inhaltlichen Rahmen dieses Seminars erweitern und ergänze das Zieldreieck Wirtschaftlichkeit, Umwelt- und Sozialverträglichkeit um die vierte Komponente: Bildungseffizienz. Als Zielebene tritt neben Ökonomie, Ökologie und Sozialwissenschaften das Bildungssystem. Veränderung beginnt immer in den Köpfen der Menschen. Das „neue magische Viereck” mit seinen realistischen und pragmatischen Entwicklungszielen wird ergänzt durch eine Zeitachse und eine Raumachse mit den Polen Internationalität und Regionalität und steht im Span­ nungsfeld zwischen theoretischen Erkenntnissen und praxisorientierten An­ wendungsfeldern.

8

Wenn politische Bildung die Zukunftsdebatte über „nachhaltiges Wirtschaften” ernst nimmt, muß sie die ehernen Gesetze unseres Wachstumsmythos des immer Mehr, Schneller, Höher, Weiter, Größer, einer kritischen Bestandsaufnahme unter­ ziehen. Ohne das Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie noch mehr bela­ sten und überstrapazieren zu wollen, kommt doch dieser Frage entscheidende Be­ deutung zu: Warum messen wir wirtschaftlichen Zwängen immer noch höhere Be­ deutung zu als ökologischen Notwendigkeiten? Als bescheidenen Beitrag der politischen Bildung lege ich einen Baustein (vgl. nachstehende Abbildung) auf den holprigen und mühseligen Weg der nachhaltigen Entwicklung und wünsche dieser Fachtagung fruchtbare Diskussionen, gutes Ge­ lingen und praxisrelevante Ergebnisse für das Leitbild nachhaltiger Entwicklung als Lösungsansatz für ökologische Probleme in der Region Ulm.

Nachhaltiges Wirtschaften (sustainable development)

Theorie

Praxis 1995

2005

2020

Der „Pflasterstein” Abb. 1: Nachhaltiges Wirtschaften

9

2

Konzepte regionaler Nachhaltigkeit: Eine Übersicht Ortwin Renn, Akademie für Technikfolgenabschätzung in BadenWürttemberg und Universität Stuttgart

Den Ball aufnehmen

Ich begrüße Sie alle herzlich zu dieser Arbeitstagung und möchte gleich den Pfla­ sterstein von Herrn Baacke aufgreifen. Man sollte vielleicht aus diesem magischen Viereck einen Ball machen und sich Bälle gegenseitig zuwerfen. (Ball bzw. Pfla­ sterstein wird ihm zugeworfen, fängt ihn auf.) Das ist es, was wir uns für diese Tagung vorgenommen haben. Wir wollen die Ökonomen und die Ökologen und diejenigen, die in der praktischen Arbeit vor Ort wirtschaftliche, ökologische und soziale Interessen vertreten, zusammenzubringen. Wir wollen über Nachhaltigkeit reden und nachdenken. Es geht aber nicht nur darum, in unverbindlicher Weise darüber zu reden und letztendlich darunter zu verstehen, was man will, sondern darum, daß dieses Konzept auch mit Leben gefüllt wird. Das Konzept mit Inhalt und Sinn zu füllen, das ist eine wichtige Aufgabe dieser Tagung.

Auch haben wir uns vorgenommen, aus der Analyse heraus zu überlegen, wie wir von der Situationsbeschreibung zur Synthese kommen. Wir sind engagiert im Be­ reich Nachhaltigkeit. Viele kommen aus Ulm, wo es bereits eine Plattform gibt, in der regionale Nachhaltigkeit umgesetzt werden kann. Wir hoffen, daß wir im Verlauf der nächsten Tage aus dem gemeinsamen Gespräch, dem Diskurs, wie es so schön neudeutsch heißt, persönlich etwas mitnehmen können, um den Schritt zu einer nachhaltigeren Entwicklung voranzutreiben.

Thesen

Für den folgenden Überblick über Nachhaltigkeit werde ich ein paar Punkte her­ ausgreifen. Es sind eine ganze Reihe von Nachrednern angesagt, die spezielle The­ men noch vertiefen werden. Ich möchte einige Grundthesen zum Konzept der Nachhaltigkeit vorstellen. Diese Thesen sind keine abgesegneten Aussagen, son­ dern durchaus als Diskussionsstoff gedacht. Zum Teil sind sie auch etwas provoka­ tiv formuliert, um deutlich zu machen, in welche Richtung ich mich orientieren möchte.

These Nr. 1 beschreibt das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Es besteht inzwi­ schen Einigkeit darüber, daß es darauf ankommt, die Produktivität und den imma­ teriellen Nutzengewinn von Natur und Umwelt auf Dauer zu erhalten, d.h. die Vor­ aussetzungen in der Natur so zu erhalten, daß auch zukünftige Generationen das

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Gleiche an Naturnutzung, aber auch an Naturempfinden genießen können, was wir heute für uns für selbstverständlich halten. Das ist eines der wichtigsten Ziele der Nachhaltigkeit.

Die These Nr. 2 lautet: Nachhaltigkeit ist keine Norm, die sich wissenschaftlich ab­ leiten läßt. Es wird viel darüber diskutiert, was Nachhaltigkeit im Sinne der Öko­ nomie, der Ökologie und der Sozialwissenschaften bedeutet. Alle können Beiträge leisten. Aber letztlich ist Nachhaltigkeit eine ethische Norm, die besagt, daß wir gerecht sein sollen gegenüber unseren Nachfahren. Dies hat nichts damit zu tun, was wir ökonomisch oder ökologisch erreichen wollen. Nachhaltigkeit ist letztlich die Hilfswissenschaft, die uns die Instrumente bietet, um dieser Norm zum Durch­ bruch zu verhelfen. Wenn wir die Norm von vornherein ablehnen und sagen, daß es uns egal ist, wie spätere Generationen einmal leben werden, dann ist das keine wissenschaftliche Aussage. Legitimation für Nachhaltigkeit ist nicht die Wissen­ schaft, sondern unser ethisches Empfinden. Diese ethische Norm besteht, und die Wissenschaft hilft uns, diese Norm besser zu erfüllen.

Die These Nr. 3 ist etwas provokativer. Wir verwenden in der öffentlichen Diskus­ sion häufig etwas plakative Aussagen, wie „Natur ist gefährdet” oder „das Überle­ ben der Menschheit ist gefährdet”. Ich glaube, daß wir damit die Probleme eher verschleiern als gründlich aufdecken. Denn weder die Natur als solche ist gefähr­ det, noch die Menschheit als Rasse, zumindest nicht in einem für uns überschauba­ ren Zeitraum. Was gefährdet ist, ist das menschenwürdige Leben für alle, die jetzt leben, und für die zukünftigen Generationen. Das besagt, daß es keine einfachen Lösungswege gibt für das Nachhaltigkeitsproblem. Denn es wird immer Definiti­ onsfrage sein, was menschenwürdiges Leben ausmacht, und was wir wirklich dafür brauchen. Dies wird später noch im Zusammenhang mit der Suffizienz diskutiert werden.

Meine These Nr. 4 lautet, daß wir als Menschen darauf angewiesen sind, unsere Natur, unsere Umgebung und unsere Umwelt zu gestalten. Auch hier sollten wir uns deutlich machen, daß wir weit über den natürlichen Möglichkeiten leben, die uns die Natur für ein menschenwürdiges Leben gibt. Die Umwelt ist für uns ein großer Spender von Ressourcen, auch von immateriellen Werten, aber in der Form, wie wir sie in menschlicher Arbeit gestalten. Gestaltung und Erhaltung sind zwei Dinge, die sehr eng miteinander verbunden sind.

Auch die These Nr. 5 ist provokativ. Wir haben Verantwortung sowohl gegenüber der Mitwelt als auch gegenüber der Nachwelt. Der Brundtland-Bericht und viele andere Konzepte lassen uns annehmen, daß beides miteinander so verbunden ist, daß wir gut für die Nachwelt sorgen, wenn wir gut für die Mitwelt sorgen und um­ gekehrt. Ich glaube, daß wir hier einem großen Irrtum unterliegen. Beides ist wich­ tig, aber steht sehr häufig in einem Zielkonflikt zueinander, mit dem wir leben müssen. Wir können beispielsweise eine nachhaltige Politik auf Kosten der Ärme­

11

ren, der sozial Schwächeren anstreben oder wir können eine ausgesprochene Dis­ tributionspolitik für die Ärmeren und sozial Schwächeren auf Kosten der Nachwelt anstreben. Der automatische Mechanismus der gerechten Verteilung heißt auch ge­ rechte Verteilung für die Nachwelt.

Klassifikation der ökonomischen Konzepte zur Nachhaltigkeit

Aus diesen fünf Grundthesen heraus möchte ich nun das Ziel der Nachhaltigkeit eingrenzen. In Tabelle 1 sind die drei theoretischen ökonomischen Modelle aufge­ führt. Diese sind das neoklassische Modell und Ökonomik unter evolutorischen und ökologischen Bedingungen. Das aus der Neoklassik hervorgehende Konzept der Ökoeffizienz bedeutet, produktiver mit den Ressourcen umzugehen. Pro Ein­ heit Natur, die wir entweder als Ressource oder als Senke für Umweltbelastungen nutzen, können wir sehr viel mehr an Nutzen für uns herausholen. Als einer der Hauptvertreter der Ökoeffizienz ist E.U.v.Weizsäcker zu nennen mit seinem eben veröffentlichten Buch „Faktor vier”. Seine Zielvorstellung ist es, unsere Effizienz um 75% zu erhöhen. Ob dies realistisch ist, darüber ist zu diskutieren. Effizienz ist jedoch nur ein Faktor auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Effizienzerhöhung alleine kommt dem Ziel zwar näher, kann aber nicht soviel erreichen, daß wir von einer nachhaltigen Kultur oder einer angenähert nachhaltigen Entwicklung sprechen können. Es gibt ein zweites Konzept aus der Theorie der evolutorischen Ökono­ mik, das besagt, daß zudem auch innovatorische Kräfte in der Technologie und im Bereich der Organisation freigesetzt werden müssen, die es uns erlauben, be­ stimmte Grundbedürfnisse mit neuen Methoden zu befriedigen. Das ist in gewis­ sem Sinne der Ökoeffizienz ähnlich, denn auch hier geht es um bessere Verfahren. Die innovatorische Sicht der evolutorischen Ökonomik besagt, daß es hier einer gemeinsamen Anstrengung, z.B. zusammen mit der Politik bedarf, um zu Innovationen zu kommen. Dazu bedarf es auch neuer Rahmenbedingungen. Eine dritte Sichtweise habe ich etwas pauschal mit ökologischer Ökonomik umschrie­ ben. Sie ist der Wunsch, im Rahmen einer ökologischen Betrachtung das ökono­ mische Effizienzkriterium zum Ausdruck zu bringen. Hier ist die Suffizienz (Genügsamkeit, Maß) von Bedeutung. Es gibt bestimmte Grundbedürfnisse des Menschen, z.B. nach Mobilität, nach Komfort, nach menschlicher Nähe und Wärme. Nun fragen wir uns, wie wir diese Grundbedürfnisse in einer Weise befrie­ digen können, daß dies nicht zu einem höheren Material- und Naturverbrauch führt. Können wir nicht unseren Materialeinsatz begrenzen und dennoch glücklich sein? Was immer Glück sei: wir sollten darüber nachdenken, wie weit es möglich, sinnvoll und auch umsetzbar ist, daß man mit weniger Einsatz an materiellen Gütern die Grundbedürfnisse stillen kann. Das ist es, was Suffizienz in Individuum und Gesellschaft ausmacht.

12

Instrumente der Umweltpolitik

Bei den Instrumenten ist zunächst die Ordnungspolitik mit gesetzlichen Regelun­ gen und Verordnungen zu erwähnen (vgl. Tabelle 2). Weiter gibt es die heute sehr intensiv diskutierten ökonomischen Anreize (Stichwort: Ökosteuer und Förderung von ökologischen Techniken und Produkten). Eine dritte Möglichkeit, die Sie als Ulmer natürlich kennen, sind Runde Tische und Verhandlungslösungen. Man ver­ sucht, verschiedene Gruppierungen an einen Tisch zusammenzubringen und zu überlegen, wie man gemeinsam bestimmte Probleme unter den Rahmenbedingun­ gen der Umweltverträglichkeit lösen kann. Schließlich tragen Information und Aufklärung des Einzelnen und umweltpolitische Bildung dazu bei, Problembe­ wußtsein und Motivation zu schaffen. Und diese Mittel kann man nun unterschied­ lich einsetzen. Ich habe mit der Tabelle 2 den Versuch unternommen, verschiedene Politikbereiche aufzugreifen und zu fragen, was man beispielsweise tun könnte, um die Gesundheitsgefährdung für kommende Generationen einzuschränken, Emis­ sionen einzuschränken, um Risikovorsorge zu treffen, um Übernutzung von Res­ sourcen zu verhindern oder den Arten- und Naturschutz zu verbessern. Das sind alles typische Ziele der Umweltpolitik, vor allem im Rahmen der Nachhaltigkeits­ politik. Diese Politikbereiche kann man durch verschiedene Instrumente umsetzen. Die in der Tabelle kursiv gesetzten Begriffe zeigen, wo das Schwergewicht für den jeweiligen Politikbereich liegt. Es gibt also eine große Palette von Möglichkeiten. Wir sind nicht darauf angewiesen, ein einziges Instrument zu nutzen. Es gibt viele Möglichkeiten, eine nachhaltige Wirtschaftskultur und allgemein eine nachhaltige Orientierung zu erhalten. Das sollte für einen Überblick genügen. Mir ist klar, daß man mit den Thesen und den beiden Tabellen nicht alles erklären kann. Sie haben die Möglichkeit, sich mit diesen Anregungen zu beschäftigen und sie mit in die Gruppenarbeit hineinzuneh­ men. Ich hoffe, daß wir am Ende der Tagung nicht nur Thesen haben werden, son­ dern sagen können: „Das kann ich ganz konkret für die Nachhaltigkeit tun”.

13

Tab. 1: Klassifikation der ökonomischen Konzepte zur Nachhaltigkeit Ausgangspunkt

Konzept

Anwendungsbereich

Maßnahmen

Neoklassik

Ökoeffizienz

Betrieb

• Kostentransparenz

• Least-Cost-Planning • Umwelt-Audits

• Öko-Controlling Volkswirtschaft

• Internalisierung externer

Effekte durch Ökoabgaben, Steuern, Zertifikate Evolutorische

Innovation

Technik

• Förderung umweltschonender

Technik

Ökonomik

• Anreizsysteme für

zielgerichtete

Technikentwicklung • Förderung von

Selbstorganisation und resilienten Institutionen

Organisation

• Diskursive Formen der

Kooperation

Ökologische Ökonomik

Suffizienz

Individuum

• Anreizsystem für

„Bescheidenheit”

• Verständnis von ökologischen Grenzen wecken

• Förderung von Wertew'andel

• Leitbild: Koevolution Natur

und Kultur • Soziale Vernetzung von

Initiativen

Gesellschaft

• Anreizsysteme zur

Verringerung von Stoffflüssen

14

Tab. 2: Instrumente der Umweltpolitik: Einsatzgebiete und vorrangige Maßnahmen

Politikbereiche

Gesundheits­

Ordnungspolitik

Grenz werte

gefährdung

Ökonomische

Runde Tische

Information

Anreize

Verhandlungen

Aufklärung

Reduzierung

Vermeidungs­

persönlicher

unterhalb der

strategien

Schutz

Grenzwerte (Versicherungen) Gefährdung

Grenzwerte

Reduzierung

Substitutions­

Umwelt­

lebenswichtiger

unterhalb der

strategien

bewußtsein

Stoffkreisläufe

Grenzwerte

Emission umwelt­ Stand der Technik Stetige Reduktion

Ersatz von „End of Integrierter

schädigender

the Pipe” Lösungen Umweltschutz

(Richtwerte)

Stoffe

Risikovorsorge

Grenzwerte

Reduzierung unter­ Notfallplanung

bei hohem

halb der Grenz­

Katastrophen­

werte

Notfalltraining

potential Risikovorsorge

(Technische)

Stetige Reduktion

bei geringem

Anleitungen

und Versicherung

Übernutzung

Richtwerte

Eigentum

von Ressourcen

schaffen

Risikovermeidung Gesunde Lebensweise

Schadensausmaß

Arten- und

Verbote

Naturschutz

Schutzgüter

für Habitat

Kollektive Maßnahmen des

Verhaltensregeln

Naturschutzes

Erhaltung Ge- und Verbote

Langfristkosten

Vereinbarungen Subventionen

Tierschutz

Freiwillige

Subventionen

artgerechter

Freiwillige Vereinbarungen

Tierhaltung

aller Produzenten

Auszeichnungs­ pflicht

15

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Der regionale Ansatz: Eine Bewertung Harald Spehl, Universität Trier

Exportbasis-Prinzip Ein Dogma der Ökonomie lautet, daß man eine Region dadurch entwickelt, indem man ihre Exporte stärkt. Das ist das berühmte Exportbasis-Prinzip, das Grundlage unserer regionalen Strukturpolitik in Deutschland ist. In den Gesetzen für Gemein­ schaftsaufgaben steht, daß Investitionen in solchen Branchen zu fördern sind, mit denen Arbeitsplätze in Exportbasis-Bereichen geschaffen werden. Diese Branchen umfassen das produzierende Gewerbe und den Fremdenverkehr. Branchen wie Handel oder Dienstleistungsunternehmen sind nicht zu fördern, weil diese keinen Entwicklungsimpuls in die Region tragen. Wenn Sie die Erde als Region sehen, würde das bedeuten, daß die Erde sich nicht entwickeln kann. Denn was wir hier exportieren, ist nicht der Rede wert. Trotzdem haben wir ein immenses Wachstum der Weltwirtschaft. Also muß es auch noch andere Möglichkeiten geben. Nun kann man einwerfen, das sei nur ein Wortspiel. Es geht hier ja nur um relativ kleine Re­ gionen. Aber die Frage ist tatsächlich, warum eine Region sich nur entwickeln kön­ nen soll, wenn sie mehr exportiert. Sie kann sich genauso gut dadurch entwickeln, daß sie intern etwas für ihre eigenen Bedürfnisse tut. In diesem Zusammenhang ist nicht einzusehen, warum das Dogma des Exportbasis-Prinzips beibehalten werden muß. Wir sollten es in Frage stellen. Stattdessen sollten wir nach den Zielen einer regionalen Entwicklung und den Bedürfnissen der regionalen Bevölkerung fragen. Wenn wir die Bedürfnisse auf diese Weise besser befriedigen können, dann brau­ chen wir nicht auf das Prinzip der Exportbasis-Förderung zurückzugreifen. Die Orientierung regionaler Entwicklung ausschließlich auf Export, möglichst auf Weltexport, ist also nicht zwingend. Das Gespenst der regionalen Autarkie

Es wird gesagt, daß ein Konzept nachhaltiger Regionalentwicklung uns in graue Vorzeiten und falsche Konzepte zurückführt, nämlich in den Bereich regionaler Autarkie. Die Region befaßt sich mit ihren eigenen Bedürfnissen und versucht, regional zu produzieren, statt sich international besser zu verkaufen. Aus langer Er­ fahrung wissen wir, daß Autarkie immer mit Wohlstandsverlusten verbunden war. Wenn wir beispielsweise hier oder in Trier anfangen, die Bananen und die Ananas selbst regional zu züchten, dann ist das nicht sehr sinnvoll. Die Diskussion um Weltmarktverflechtung und internationalen Handel einerseits und andererseits überhaupt keine Verflechtung und regionale Autarkie führt uns im Grunde nicht weiter. Wir müssen uns vielmehr fragen, was in einer Region produziert und ver­

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braucht werden soll und was man besser importiert. Dafür brauchen wir geeignete Kriterien. Wenn wir uns mit nachhaltiger Entwicklung auf regionaler Ebene be­ schäftigen, müssen wir alte Dogmen der Wissenschaft und der Politik neu prüfen.

Das Konzept nachhaltiger Regionalentwicklung Wie Herr Renn aufgezeigt hat, haben wir eine Diskussion über die regionale und die globale Ebene. Die einen sagen, mit dem CO2- oder dem SO2-Problem kann man auf regionaler Ebene nicht fertig werden. Wir brauchten hierzu Weltabkom­ men und wollen die Region lieber im traditionellen Sinne weiterentwickeln. Dafür hat es in den letzten zehn Jahren das Konzept der eigenständigen Regionalentwick­ lung gegeben, nach dem die Regionen versuchen, sich mit Hilfe ihrer eigenen Kräfte zu entwickeln. Die anderen sagen, wenn wir nicht alle unsere individuellen Verhaltensweisen ändern und uns einschränken, können wir die Umweltprobleme nicht bewältigen. Bringt man das Konzept der nachhaltigen Entwicklung von der Globalebene auf die Individualebene und dies dann mit dem Konzept einer eigen­ ständigen Regionalentwicklung zusammen, dann kommt man zu einem Hand­ lungsansatz auf der regionalen Ebene, dem Konzept nachhaltiger Regionalentwick­ lung. Dazu arbeiten wir in Trier seit zwei Jahren. Das Konzept nachhaltiger Regio­ nalentwicklung versucht also, die eigenständige Regionalentwicklung mit dem Nachhaltigkeitsprinzip zu kombinieren. Das bedeutet, daß wir uns fragen müssen, wo eine solche Region als Handlungsebene angesiedelt sein kann. Sie ist oberhalb der Kommune und unterhalb des Nationalstaates zu finden. Das ist nicht sehr prä­ zise und muß von Fall zu Fall festgestellt werden.

Umsetzung

Wie wird nun dieses Konzept nachhaltiger Regionalentwicklung umgesetzt, wenn man unterstellt, daß es eine solche relevante Handlungsebene zwischen Kommune und Nationalstaat gibt? Hierzu will ich drei Punkte erwähnen:



Es gibt mehr praktische Versuche, als viele von Ihnen wissen. Das ist der unw in Ulm, das sind eine ganze Reihe von Städten wie Leipzig, Dessau, Trier, Städtedreieck Wuppertal/Remscheid und kleinere Gemeinden wie Schwaförden. Dort gibt es Menschen, die sich Sorgen machen, Initiative er­ greifen und eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben. Wichtig ist es, den Erfahrungsaustausch von kommunalen und regionalen Initiativen zu organi­ sieren, damit bereits gemachte Fehler in Zukunft vermieden werden.



Ebenso wichtig für die nachhaltige Regionalentwicklung ist es, daß Theore­ tiker und Praktiker zusammenarbeiten. Dies ist meistens ein schwieriger Dialog.

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Oft entsteht der Eindruck, als sei das Konzept der nachhaltigen Regional­ entwicklung nur ein Konzept für ländliche, noch halbwegs intakte Räume. Wenn aber nach verschiedenen Prognosen bis zu den Jahren 2000-2010 80% der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten leben werden, dann müs­ sen wir Konzepte für große, dichtbesiedelte Regionen mit Industrie und Ge­ werbe entwickeln und uns fragen, ob solche Regionen überhaupt als nach­ haltige Regionen konzipierbar sind oder in welchem Verbund sie nachhaltig konzipierbar sind. Ich leite einen Arbeitskreis der Akademie für Technikfol­ genabschätzung, der versucht, ein solches Konzept für Berlin auszuarbeiten. Wenn es uns nicht gelingt, auch für Paris, Mexiko und Tokio Konzepte nachhaltiger Regionalentwicklung zu entwerfen, sondern nur für den Bayerischen Wald und die französischen Mittelgebirgsregionen, dann taugt dieses Konzept nicht als generelles Entwicklungskonzept.



Vorteile der regionalen Ebene Welche Vorteile hat ein Ansatz auf der regionalen Ebene? •

Ein Problem des Brundtland-Berichts1 von 1987 sind die Zielkonflikte, von denen Herr Renn gesprochen hat. Wenn man versucht, diese Zielkonflikte zu lösen, so ist dies auf regionaler Ebene wesentlich einfacher als auf einer Weltkonferenz wie z.B. in Berlin. Man muß dann das behandeln, was regio­ nal auch behandelbar ist.



Man spürt auf regionaler Ebene die Folgen des eigenen Tuns schneller und besser. Man versteht sehr schnell, daß auf einer begrenzten räumlichen Ska­ la die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen, größer ist. Das Engagement ist leichter, man sieht die Handlungsmöglichkeiten deutlicher und erlebt die Erfolge und die Frustrationen hautnah.

1 Der Brundtland-Bericht wurde den Vereinten Nationen im Jahre 1987 vorgelegt und beschäftigt sich mit der gemeinsamen Verantwortung der Menschen für alle, die heute und in Zukunft auf diesem Planeten Erde leben. Als Lösung wird im Bericht die Konzeption einer nachhaltigen Entwicklung („sustainable development”) vorgeschlagen. Die internationale Kommission wurde von der ehemali­ gen norwegischen Ministerpräsidentin Harlem Gro Brundtland geleitet.

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Eine Überprüfung der uns bekannten Initiativen ergibt, daß es leichter ist, auf regionaler Ebene die neuen Formen der sozialen Aktion zu praktizieren. Produzenten, Handel und Verbraucher bekommt man regional leichter an einen Tisch als auf höherer Ebene, wo die großen Verbände die Arbeit be­ hindern. Auch Politiker, Verwaltungsleute und Bürger, ebenso wie Wissen­ schaftler und Unternehmer bringt man auf regionaler Ebene leichter zusam­ men. Es geht zunächst nicht darum, einen Verein oder eine GmbH zu grün­ den, sondern es geht ums Kennenlernen und darum, etwas auszutauschen. Auch der beamtete Berater für nachhaltige Regionalentwicklung bei der Be­ zirksregierung ist nicht der Königsweg, sondern die Möglichkeit für diejeni­ gen, die etwas miteinander zu regeln haben, in ein Gespräch einzutreten. Dazu braucht man Sachverstand, Moderationshilfe und Konfliktmanage­ ment. Dafür sollte man auch Geld ausgeben.

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Konzepte regionaler Tragfähigkeit Hans Mohr, Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg

Ökonomische Definition von Tragfähigkeit Die ökonomische Tragfähigkeit ist die Eigenschaft eines Wirtschaftsraumes, eine bestimmte Bevölkerung nachhaltig zu tragen. Dazu müssen wir wissen, was nach­ haltig bedeutet. Ohne daß wir die Definition von Nachhaltigkeit2 mit einbeziehen, kommen wir zu einem falschen Resultat, da man die ökonomische Tragfähigkeit kurzfristig stark in die Höhe treiben kann. Aber das geht nicht lange gut. Ein Bei­ spiel ist die Provinz Hongkong. Sie hat die derzeit höchste bekannte Tragfähigkeit, aber nur deshalb, weil sie etwa 99% angeeignete Tragfähigkeit durch Austausch mit dem Umland und anderen Ländern nutzt. Deshalb ist in der theoretischen Öko­ logie der treffende englische Begriff der „appropriated carrying capacity”, über­ setzt „angeeignete Tragfähigkeit”, ein wichtiger zentraler Begriff. Für den Ökolo­ gen steht eher die globale Tragfähigkeit im Vordergrund, die auch häufig Gegen­ stand philosophischer Überlegungen ist. Sie ist aber für die praktische Ökologie unbrauchbar. Die globale Tragfähigkeit setzt sich zusammen aus den Tragfähigkei­ ten der einzelnen Regionen. Diese zeigen, z.B. in Form von Handel, Wechselwir­ kungen untereinander. Ökonomen und Ökologen behaupten, daß durch diese Wechselwirkung, den Handel, die Tragfähigkeit ungeheuer gesteigert wird. Dies kann man auf der ökologischen Ebene gut zeigen. Regionale Tragfähigkeit

Die regionale Tragfähigkeit ist entscheidend bestimmt durch Austauschvorgänge. Wenn wir uns die Frage nach der regionalen Tragfähigkeit in Baden-Württemberg stellen, müssen wir davon ausgehen, daß diese politisch definierte Region nur lebensfähig ist, weil sie jeden Tag eine Fülle von Tragfähigkeit importiert. Jeder Import aus anderen Teilen der Welt läßt sich quantitativ ausdrücken als ein Import von Tragfähigkeit aus anderen Regionen. Die Bananen und Ananas, die wir impor­ tieren, nehmen in ihrer Herkunftsregion bei der Produktion Land in Anspruch, das dort für andere Zwecke fehlt. Andererseits exportieren wir natürlich auch Trag­ fähigkeit in Form von Technologie und Wissen. Die sieben EU-Staaten produzie­ ren einen großen Teil der gesamten Innovation3 der Welt. Von diesen Innovationen leben auch die anderen. Die Tragfähigkeit in den afrikanischen Ländern beruht z.B. entscheidend darauf, daß Dieselkraftstoff aus Baden-Württemberg importiert wird. Hier wird schon deutlich, wie schwer es ist, den Austausch an Tragfähigkeit in einer wissenschaftlich überzeugenden Weise in Zahlen zu fassen.

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Regionale Tragfähigkeit in Baden Württemberg Nun betrachten wir die Frage der regionalen Tragfähigkeit in Baden-Württemberg. Wir, die Akademie für Technikfolgenabschätzung, haben hierfür z.B. Produktions­ faktoren4 und Aufnahmekapazitäten geprüft. Als Produktionsfaktoren haben wir Energieversorgung und Wasser angesehen, bei den Aufnahmekapazitäten den Stickstoffeintrag aus der Luft, also die Fähigkeit der Region, diesen Stoff zu ver­ kraften. Energieversorgung

Bei dem globalen Faktor der Energieversorgung hat sich gezeigt, daß wir für die Zeit bis ca. 2015 zu über 90% auf angeeignete Tragfähigkeit angewiesen sind. Mit unserer eigenen, mit technischen Mitteln erreichbaren, Energieerzeugung im Land könnten höchstens 8% der im Jahr 2015 voraussichtlich hier lebenden 10,8 Millio­ nen Menschen auskommen. Hier ist unsere Situation ökologisch hoffnungslos. Wir sind bezüglich der Energieversorgung auf jeden Fall auf angeeignete Tragfähigkeit angewiesen.

Wasserversorgung

Auch beim Wasser zeigt sich, daß wir uns, obgleich wir eine wasserreiche Region sind, in eine zumindest politisch fatale Abhängigkeit vom Fernwasser begeben haben. Etwa 4,5 Millionen Menschen in Baden-Württemberg leben von importier­ tem Wasser, in erster Linie von Alpenwasser. Auch wenn wir wollten, haben wir finanziell für absehbare Zeit nicht die Kraft, zu den eigenen Wasserquellen zurück­ zukehren. Eigentlich hätten wir genügend Wasser im Land, aber wir haben uns bereits ganz auf die Fernwasserversorgung eingestellt. Der Umstand, daß die Schweizer uns das Alpenwasser derzeit schenken, ist ökonomisch für unsere Re­ gion ein immenser Vorteil. Wir hatten kürzlich ein Gespräch in Bern, bei'dem wir erfuhren, daß daran gearbeitet wird, sich in absehbarer Zeit das Fernwasser bezah­ len zu lassen. Ich halte das für richtig und verstehe nicht, warum uns die Schweizer dieses wertvolle Wasser schenken. 2 Nachhaltigkeit kennzeichnet den langfristigen Zustand unserer Gesellschaft, in dem sich ökologi­ sche, ökonomische und soziale Faktoren in einem Gleichgewicht befinden (vgl. den Beitrag von Ort­ win Renn). Innovation steht für Einführung neuer technischer, sozialer oder institutioneller Neuerungen in Wirt­ schaft und Gesellschaft.

4 Produktionsfaktoren sind Mittel, die zur Herstellung von Sachgütern und zur Erbringung von Dienstleistungen beitragen. Die klassischen Produktionsfaktoren sind Arbeit, Boden und Kapital. Heute muß Boden durch Natur und Kapital durch Technik erweitert werden.

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Stickstoffeintrag aus der Luft

Der Faktor der Stickstoff-Tragfähigkeit ist ein streng lokaler Faktor. Man kann ihn nicht exportieren. Wir haben hier in der Region einen enorm gesteigerten Eintrag von Stickstoff aus der Luft. Unter naturnahen Bedingungen würden 0,5 kg Stickstoff/ha und Jahr in die Vegetation eingetragen. Heute fallen z.B. am Albtrauf 40 kg Stickstoff/ha und Jahr auf den Wald. Traurige Tatsache ist, daß die „critical load”, also das, was das Land an Stickstoff verkraften kann, bei etwa 12 kg/ha und Jahr liegt. Wir haben also etwa drei mal mehr Eintrag. Die klare Forderung lautet: Wir müssen den Stickstoffeintrag aus der Luft verringern, d.h. wir müssen Pro­ zesse, durch die Stickstoffverbindungen an die Luft abgegeben werden, z.B. Ver­ brennungsprozesse, Verkehr etc. verringern, sonst überziehen wir diesen Teil der Ökologie. Der Stickstoffkreislauf ist ein ganz kritischer Punkt. Wenn er gestört ist, hat dies lange Zeit Auswirkungen, weil der Stickstoff lange braucht, um wieder aus dem Boden zu verschwinden. Wir haben heute Regionen im Schwarzwald, in denen der Nitratgehalt in Vorflutern5 aus Waldgebieten, wo weit und breit keine Landwirtschaft ist, bereits bei 40 - 50mg/l liegt. Dies hat es noch nie vorher gege­ ben. Das hängt damit zusammen, daß die Forste und die naturnahen Ökosysteme in unserem Land mit Stickstoff gesättigt sind. Was eingetragen wird und über die „critical load” von 12 kg/ha und Jahr hinausgeht und daher nicht assimiliert6 wer­ den kann, fließt nach einer sehr kurzen Verweilzeit mit dem Sickerwasser und den Vorflutern ab. Wir haben dieses Ergebnis in einer größeren Studie dargestellt, die auch von der Regierung auf Bundesebene sehr ernst genommen wird.

Grenzen der Tragfähigkeit

Wir können sehr viel besser Grenzen der Tragfähigkeit festlegen als die Tragfähig­ keit in Zahlen darzulegen. Die Tragfähigkeit der Region, und damit auch die glo­ bale Tragfähigkeit, wird bestimmt durch Produktionsfaktoren auf der einen und durch die Aufnahmefähigkeit auf der anderen Seite. Die Steigerung der Produk­ tionsfaktoren war in der Vergangenheit ungeheuer. Der Homo sapiens hat in den letzten 10 000 Jahren die Tragfähigkeit der Welt, als Summe der regionalen Trag­ fähigkeiten, auf das Tausendfache gesteigert. Das ist eine unglaubliche Leistung. Dies geschah im wesentlichen durch die Umwandlung der Natur in produktive Umwelt. Die globale Tragfähigkeit am Ende des auf Sammeln und Jagen abgestell­ ten Neolithikums entsprach etwa der für fünf Millionen Menschen. Mehr Men­ schen konnten in der ihnen zugänglichen Welt und mit den damals zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren nicht leben. Um 8 000 v.Chr. war die Bevöl­ kerungsdichte so hoch, daß das Sammeln und Jagen über weite Strecken als Grundlage der Produktion nicht mehr ausreichte. Wenn einer auf die Idee kam, hinter dem nächsten Hügel einen Mammut zu jagen, konnte er ziemlich sicher sein, daß dort bereits eine Horde saß, die genau die gleiche Absicht hatte. Die Welt war

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unter den gegebenen Produktionsbedingungen voll. Unsere Vorfahren mußten diese elegante und angenehme Lebensweise aufgeben, um ihr Überleben zu sichern und sind zur Landbewirtschaftung übergegangen. Das galt auch für unsere Region. Heute umfaßt die Weltbevölkerung fünf Milliarden Menschen, und die Trag­ fähigkeit ist noch nicht ausgeschöpft. Das ist zwei Faktoren zu verdanken: Wir haben die Natur erforscht und können ihre Kräfte nutzen, und wir haben unser Wissen in Ökonomie umgesetzt.

Die Frage, die uns nun bewegt, ist, ob es so weiter gehen kann. Ist der gegenwär­ tige hohe Stand der Tragfähigkeit, den wir mit Hilfe von Wissenschaft, Technolo­ gie, Ökonomik und Erfindungsgeist aufgebaut haben, extrapolierbar auf die Zu­ kunft? Ist er zukunftsfähig? Hier haben wir aus gutem Grund Zweifel. Aus Studien, die wir in einem größeren Verbund mit den Münchner Gruppen Ziegler und Peter Dürr gemacht haben, schließen wir, daß wir auch in den relativ robusten, durch den Menschen gestalteten Ökosystemen der gemäßigten Breiten, also z.B. hier bei uns, bei Heranziehen aller Hochtechnologie auf die Dauer etwa 100 Einwohner pro km2 bewältigen können. Das würde global etwa eine Milliarde Menschen bedeuten, also der Bevölkerungsstand von 1830 zur Zeit des Biedermeier. In dieser Zeit sind unsere Vorfahren schlimm mit der Natur umgegangen. Um das Jahr 1830 waren alle Wälder in Württemberg abgeholzt. Es gab auch auf der Alb vermutlich kaum noch einen Baum, an dem man den damaligen Herzog hätte aufhängen können. Das waren Bemerkungen von Seiten der Ökologie zum Prinzip der Tragfähigkeit. Unser Land ist also bezüglich seiner Tragfähigkeit völlig in den Welthandel einge­ bunden. Wir haben nicht die geringste Chane einer Autarkie7, weil wir in erster Linie energetisch nicht in der Lage dazu sind. Wir müssen auch in Zukunft 40% unserer Produkte exportieren, weil wir sonst die Gegenleistung an importierter Tragfähigkeit nicht bezahlen können.

' Einen Bach oder Fluß, in den überschüssiges Wasser aus Regenüberlauf oder Abwasser geleitet wird, nennt man einen Vorfluter. Über ihn gelangt das Wasser in Flüsse, Seen und Meer. 6 Assimilieren heißt umwandeln der von einem Lebewesen aufgenommenen Nahrungstoffe in Kör­ persubstanz, bei Pflanzen die Überführung von anorganischen in organische Stoffe. Nehmen Pflanzen CO: aus der Luft auf, werden unter Einwirkung von Sonnenlicht, Aufnahme von Wasser und Abgabe von SauerstoffZucker und Stärke als Assimilate gebildet.

7 Wirtschaftlich autark ist ein Land, das alles selbst besitzt oder erzeugt, was es benötigt, oder das sei­ nen Bedarf auf das beschränkt, was es selbst besitzt oder erzeugt.

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Nachhaltiger Konsum Gerhard Scherhorn, Universität Hohenheim

Umweltbewußtsein und postmaterielle Werthaltung Nach allen Umfragen, egal ob es an der Betroffenheit oder am Stellenwert des Um­ weltschutzes oder am Wissen gemessen wird, sind mindestens 70% der Bevölke­ rung in der Bundesrepublik Deutschland als umweltbewußt zu betrachten. Wir können also davon ausgehen, daß es eine allgemeine Bereitschaft zu nachhaltigem Konsum gibt.

Nachhaltig möchte ich verstehen im Sinne von naturverträglich. Es gibt offensicht­ lich zwei Definitionen für nachhaltig. Von den bisherigen Referenten ist eher die anthropozentrische Definition benutzt worden, die den Menschen in den Mittel­ punkt stellt; nachhaltig im Sinne von gleichbleibendem und langfristig aufrechter­ haltbarem Einkommen für die jetzt und in Zukunft lebenden Menschen. Ich per­ sönlich ziehe die ebenfalls weit verbreitete, von Hermann Daly auf den Punkt ge­ brachte Definition vor. Danach bedeutet nachhaltiges Wirtschaften, daß wir die Absorptions- und Regenerationsfähigkeit des Ökosystems Erde und seiner einzel­ nen Regionen nicht überfordern. In diesem Sinne hat auch Herr Mohr den Begriff verstanden (vgl. Beitrag von Hans Mohr in diesem Band). Eine allgemeine Bereitschaft zu nachhaltigem Konsum ist also sicher vorhanden. Aber das bedeutet nicht viel, denn man müßte als Konsument gleichzeitig auch die Einsicht haben, daß man nicht zugleich naturverträglich und gütergebunden sein kann. Es ist nicht möglich zu sagen, „ich will etwas für die Umwelt tun und die natürliche Mitwelt nicht überfordern”, aber zugleich immer mehr Güter, immer das Neueste haben zu wollen. Das bezeichne ich als gütergebunden. Gütergebunden­ heit ist ein Merkmal postmaterieller Werthaltungen. Postmateriell heißt nicht, daß man keinen Wert mehr auf materielle Güter legt, sondern daß man von ihnen nicht abhängig ist im Sinne von Gütergebundenheit und von Positionalität, d.h. dem Be­ streben des Menschen, stets seine eigene relative Position (also die Position ge­ genüber anderen Menschen wie Nachbarn oder Kollegen) zu verbessern oder min­ destens zu verteidigen. Zu der postmatcriellen Werthaltung kommt hinzu, daß man deutlich naturverträglich und sozial eingestellt ist. Wenn ich diese Kriterien zu­ grunde lege, dann komme ich aufgrund von Umfragen zu dem Schluß, daß allen­ falls 20% der Bevölkerung postmateriell eingestellt sind. Das ist ziemlich viel. Da­ bei beziehe ich mich auf Umfragen in den alten Bundesländern. Die Frage ist nun, ob sich diese 20% für eine kollektive, gemeinschaftliche Aktion zur regionalen Nachhaltigkeit gewinnen lassen. Die Chancen hierfür stehen nach meiner Meinung nicht gut.

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Low-Cost-Hypothese

Wir wissen inzwischen, daß Umweltbewußtsein nur wenig mit Umweltverhalten zu tun hat. Auch Konsumenten mit postmaterieller Werthaltung handeln bei wei­ tem nicht in jedem Falle auch naturverträglich. Das Umweltbewußtsein wirkt sich nur selektiv in naturverträglichem Handeln aus. Der eine trennt den Müll, der andere spart Energie, manche tun beides. Dann tun sie etwas drittes nicht, d.h. sie fliegen häufiger z.B. für eine Woche nach Mauritius. Es gibt nahezu niemanden, auch nicht unter den postmateriell Eingestellten, der sich vollständig naturverträg­ lich verhält. Dazu gibt es eine inzwischen gängige Hypothese, die Low-cost-Hypothese, die etwas darüber aussagt, in welchen Fällen das vorhandene Umweltbe­ wußtsein auch tatsächlich zu naturverträglichem Handeln führt. Die Aussage lau­ tet, daß dies abhängig ist von den Kosten des Verhaltens, den Kosten im weitesten Sinne als materieller, psychischer und physischer Aufwand. Zum Beispiel ist das Umsteigen vom Auto auf den Bus mit beträchtlichem physischem und psychi­ schem Aufwand verbunden. Man muß plötzlich Fahrpläne lesen und Haltestellen kennen lernen. Das Mülltrennen bedeutet einen geringeren Aufwand als das Um­ steigen vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel. Also ist dies die Erklärung dafür, daß mehr Leute Müll trennen als auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Diese Erklärung entspricht dem, was uns in der Ökonomie nahegebracht wird, nämlich der Vorrang des privaten materiellen Nutzens. Beitrag zu Gemeinschaftsaufgaben

In unserem Handeln, wie auch in der Ökonomie, gilt, daß man seinen privaten materiellen Nutzenvorteil maximiert. Weil wir das alle verinnerlicht haben, ist die Erklärung der Low-cost-Hypothese spontan einleuchtend. Das beweist jedoch nicht, daß sie auch zutreffend ist. Das möchte ich erläutern. Nachhaltiger Konsum und naturverträgliches Konsumentenverhalten ist zunächst das Verhalten von Indi­ viduen. Man ist geneigt, an dieses Verhalten die gleichen Kriterien anzulegen, die wir an typische private Verhaltensweisen wie das Kaufen oder das Kochen anle­ gen. Umweltverhalten, also Mülltrennen oder Verkehrsmittelwahl, ist auch Indivi­ dualverhalten, aber zugleich ein Verhalten, das einen Beitrag zur kollektiven Pro­ duktion eines öffentlichen Gutes8 darstellt. Eine natürliche und gesunde Umwelt ist ein öffentliches Gut, von dessen Nutzung wir niemanden ausschließen können. Diejenigen, die sich an der pfleglichen Behandlung der Umwelt beteiligen, beteili­ gen sich an der kollektiven Produktion eines öffentlichen Gutes, also an der Erfül­ lung einer Gemeinschaftsaufgabe. Man kann also die Kosten des naturverträgliH Ein öffentliches Gut ist - im Vergleich zu einem privaten Gut - dadurch gekennzeichnet, daß nie­ mand von seiner Nutzung ausgeschlossen werden kann (es sei denn, mit hohem Aufwand an Technik und Kosten), und daß die Konsumenten in der Regel nicht um dieses Gut rivalisieren.

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chen Verhaltens auch als einen Beitrag zu einer kollektiven Aktion auffassen und die Vermeidung dieser Kosten als Free-riding9, ein Verhalten, das auf Kosten der anderen geht. Nach der Low-cost-Hypothese ist die Beteiligung an einer Gemein­ schaftsaufgabe umso größer und häufiger, je geringer der aufzuwendende Beitrag für die kollektive Aktion ist. Das ist plausibel, muß aber nicht zutreffen.

Raubbau an der Natur ist subventioniert Die Höhe des Beitrags zu einem naturverträglichen Verhalten ist abhängig von der jeweiligen gesellschaftlichen Infrastruktur. Diese enthält Signale, die uns die Ge­ sellschaft dadurch gibt, daß sie Straßen für Autos und nicht für Fußgänger gebaut hat, daß das Benzin relativ billig ist, daß die öffentlichen Verkehrsmittel so unbe­ quem eingerichtet sind. Die gesellschaftliche Infrastruktur der Industriegesellschaf­ ten ist i.a. so gewachsen, daß sie das naturzerstörende Verhalten, den Raubbau an der natürlichen Umwelt, verbilligt und dadurch den nachhaltigen Konsum verteu­ ert. •

Die Kosten des Raubbaus sind verbilligt, weil sie subventioniert werden. Der Kfz-Verkehr trägt z.B. nur ein Drittel der ihm zurechenbaren Kosten. Dies bedeutet, daß er von der Gesamtbevölkerung massiv subventioniert wird, die keineswegs identisch ist mit den Kfz-Nutzern.



Auch sind die Kosten des Raubbaus verbilligt, weil sie auf die Gesundheit und das Ökosystem abgewälzt werden. Beispiel ist die Nutzung von FCKW, die uns das Ozonloch bescheren.



Die Kosten des Raubbaus werden auf die kommenden Generationen abge­ wälzt, wie beim Abbau des Erdöls, das wir verheizen, statt es z.B. als Roh­ stoff für die Herstellung von Kunststoffen aufzusparen.

Theory of Justice Der Umstand, daß wir in einer Infrastruktur leben, die das umweltschädigende Verhalten belohnt und das umweltschonende Verhalten bestraft, führt bei umwelt­ bewußten Personen zu dem Gefühl, daß sie für nachhaltiges Verhalten bestraft und ungerecht behandelt werden. Ich beziehe mich hierbei auf eine psychologische Theorie, „die Theory of justice”. Wenn ich etwas Unbequemes, Kostspieliges oder Anstrengendes tue, habe ich die Hoffnung, daß ich dafür nicht unbedingt belohnt, aber wenigstens angemessen beachtet werde. Zumindest will ich dafür nicht be­ straft oder verachtet werden. 9 Free-riding oder “Schwarzfahren” tritt vor allem bei öffentlichen Gütern auf. Jeder Einzelne geht davon aus, daß das öffentliche Gut von der Öffentlichkeit sowieso zur Verfügung gestellt wird. Durch Free-riding läßt sich dann eigener Aufwand sparen.

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Weitere Faktoren, die umweltverträgliches Verhalten bestimmen Über das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, können sich nur wenige umwelt­ bewußte Menschen hinwegsetzen. Die Motivation, die man braucht, um sich darü­ ber hinwegzusetzen, daß man ungerecht behandelt wurde, muß die Motivation des Durchschnitts weit übersteigen. Ich konnte empirisch die Motivstruktur von Men­ schen erforschen, die etwas Besonderes tun. Wer car-sharing betreibt, ein Elektro­ auto fährt oder eine Photovoltaikanlage auf dem Dach hat, ist bei weitem stärker postmateriell eingestellt, als der Durchschnitt der Bevölkerung. 1. Natürlich spielt die Höhe des aufzuwendenden Beitrags als Restriktion eine Rolle. Man kann den Beitrag nicht aufbringen, wenn man das Geld oder die Mög­ lichkeit nicht hat, weil die Haltestelle zu weit entfernt ist. Zuerst muß also gegeben sein, daß man den Beitrag zur kollektiven Aktion aufbringen kann. Daß man dies kann, gilt für sehr viele Menschen und trotzdem tragen nur wenige dazu bei. Ob sie beitragen oder nicht, hängt von mehreren Faktoren ab, nämlich von der zentralen Grundeinstellung, insbesondere von einer postmateriellen Werthaltung und von einer schwach ausgeprägten Kontrollorientierung. Menschen, die sehr stark zu fremdbestimmtem Handeln neigen und ihre Mitmenschen und ihre natürliche Mit­ welt autoritär behandeln, werden weit weniger zu nachhaltigem Konsumverhalten motiviert sein als die, die eher selbstbestimmt motiviert sind und eine schwach aus­ geprägte Kontrollorientierung aufweisen.

2. Auch das Vorhandensein von ethischen Überzeugungen und Normen, die dem einzelnen den Beitrag zu einer kollektiven Aktion nahelegen, ist bestimmend. Diese Normen existieren noch, im Gegensatz zu dem was Ihnen ein traditioneller Ökonom dazu sagen wird. Andererseits sind jahrhundertelang die Normen, die früher den Beitrag zu Gemeinschaftsaktionen gesichert haben, immer weiter in den Hintergrund getreten, wie man am Schicksal der Allmende, der gemeinsam nutzba­ ren Viehweide zum Beispiel, beobachten kann. Trotzdem existieren diese Normen noch. Die Menschen sind heutzutage noch dazu bereit, moralisch zu handeln, sich für ihre Umwelt einzusetzen. Daran kann man anknüpfen. 3. Weiterhin gehört dazu die emotionale Freude daran, im Einklang mit anderen an einer Gemeinschaftsaufgabe zu arbeiten.

4. Auch handlungsspezifische Motive gehören dazu, z.B. das technische Interesse. Bei Leuten, die Elektroautos fahren, ist unverkennbar, daß sie dies auch aus techni­ schem Interesse tun, obwohl das nicht im Vordergrund steht.

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5. Es gehört auch dazu, daß die gesellschaftliche Falle vereitelt wird, von der man sagt, daß sie das Free-riding, das Schwarzfahren und Sich-Drücken vor Gemein­ schaftsaufgaben auslöst. Die gesellschaftliche Falle besteht in folgendem: Die Infrastruktur ist so organisiert, daß der einzelne in dem Moment, wo er etwas zu seinem eigenen Vorteil tut, nicht erkennen kann, daß er damit zu einem späteren Zeitpunkt einen gesellschaftlichen Schaden bewirkt. Dieser Zusammenhang von persönlichem momentanem Vorteil und späterem gesellschaftlichem Schaden ist nicht erkennbar. Man kann diese gesellschaftliche Falle schließen durch Informa­ tion im weitesten Sinne. Auch der Preis ist eine Information. Wenn wir es fertig­ bringen, jederzeit und sofort die Information über die längerfristigen gesellschaftli­ chen Auswirkungen eines Individualverhaltens zu liefern, dann können wir die ge­ sellschaftliche Falle, in die sonst der einzelne unfehlbar tappt, vermeiden. Dazu gehört die Information darüber, daß bei genauer Verrechnung aller gesellschaftli­ chen Kosten der industriellen Produktion der Nettowohlstand nicht mehr wächst. Diese Berechnungen liegen vor. 6. Man kann zeigen, daß die Nettowohlfahrt nicht mehr wächst, obwohl das Brut­ tosozialprodukt weiterhin ungebremst steigt. Wir arbeiten und produzieren immer weiter um den Preis, die natürliche Mitwelt stärker zu schädigen und unsere Ge­ sundheit weiter zu untergraben, aber nicht mehr, um eine erhöhte Wohlfahrt zu haben. Wenn man alles abzieht vom Sozialprodukt, was nur dazu dient, die derzei­ tige Situation aufrechtzuerhalten (Verkehrspolizei, Umweltschutz etc.) und einen angemessenen Ansatz für all das, was an nicht kompensierten Schäden (Luftver­ schmutzung etc.) entsteht, hinzufügt, dann kommt heraus, daß heute schon für sol­ che Kosten des Wohlstands die Hälfte des Bruttosozialprodukts weggeht. Wir kön­ nen demnach nur die Hälfte von dem, was wir erarbeiten, als Wohlstand genießen. Solche Informationen liegen zwar auf dem Tisch, aber nur wenige verfügen über sie, und sie sind schwierig zu verstehen. Hat man diese Zusammenhänge verstan­ den, dann ist es für den einzelnen leichter zu erkennen, daß die Nachteile des Raubbaus inzwischen größer sind als die Vorteile, die man aus einer Nische ziehen kann. Berücksichtigt man diese Faktoren, dann kann meiner Meinung nach ein gemeinsa­ mes nachhaltiges Handeln in der Region zustande kommen. Dieses Handeln kann der Vorreiter einer Veränderung der Infrastruktur sein, es kann aber die Verände­ rung der Infrastruktur nicht ersetzen. Wir dürfen nicht hoffen, daß wir durch kol­ lektive Aktionen, wie sie hier vorbereitet werden, ablenken können von der Not­ wendigkeit, die Infrastruktur zu ändern. Die kollektive Aktion kann aber dazu bei­ tragen, daß die Notwendigkeit der Änderung deutlicher wird.

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Zukunftsfähige Technologien für eine Region Frieder Meyer-Krahmer, Fraunhofer-Institut für Systemanalyse und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe

Auf Basis der verfügbaren, halbwegs seriösen Daten haben wir an unserem Institut versucht abzuschätzen, wie hoch die Schäden der Klimawirkungen sind. Wir kom­ men für die Bundesrepublik Deutschland auf einen Anteil an der Verursachung von Weltklimaschäden von etwa 600 Milliarden DM. Wir werden aber relativ gün­ stig wegkommen. Die Schäden werden andernorts auftreten, etwa in den Zonen, die in Zukunft stark verwüsten werden, und wo große Hungersnöte auftreten wer­ den. Daß sich aufgrund dieser Informationen unser Verhalten ändert, und daß da­ durch ein gesellschaftlicher Wandel angestoßen wird, möchte ich zunächst bestrei­ ten. Insofern ist für mich ein wichtiges Thema für diese Tagung: Wie erreichen wir gesellschaftlichen Wandel? Kann Technologie an sich zukunftsfähig sein?

Mein Thema ist „Zukunftsfähige Technologien für eine Region”. Zukunftsfähig hat eine ähnliche Bedeutung wie nachhaltig, nämlich keine Überstrapazierung der Res­ sourcen und der Pufferkapazität. Die Formulierung des Titels ist genau genommen unsinnig. Wissenschaft und Technologie bringen Entwicklungen und Phänomene, die sich international abspielen. Die Informationstechnik braust durch die Welt und nimmt keinerlei Rücksicht auf die Regionen, die zwar am Entstehen des Wissens beteiligt sind, wie etwa Ulm als Wissenschaftsstadt. Meistens sind die Regionen aber nur die Opfer, wo sich die Ergebnisse niederschlagen. Der Begriff der zu­ kunftsfähigen Technologie läßt sich also nicht einfach auf die Region herunterbre­ chen. Auch die Behauptung, daß Technologie zukunftsfähig sei, ist unsinnig. Tech­ nologie per se ist weder zukunftsfähig noch zukunftsunfähig. Die Auswirkungen hängen von den Anwendungsbedingungen und dem Kontext ab, in dem Technolo­ gie sich abspielt. Technologie kann Zukunft zerstören. Informationstechnik bei­ spielsweise kann für Waffensysteme verwendet werden. Technologie kann aber auch die Zukunft sichern, etwa im Sinne der Nachhaltigkeit, indem sie bestimmte Sensorensysteme verwendet, um Produktionsprozesse so zu steuern, daß die ge­ ringstmögliche Schadstoffemission entsteht. Ein praktisches Beispiel: Das ISI hat vor 15 Jahren mitgewirkt an der Erstellung der Solarsiedlung Landstuhl bei Kai­ serslautern. Es wurden 50 Häuser gebaut mit dem damals neuesten Stand der Solarenergie-Technologie und nach dem neuesten Kenntnistand der passiven Wär­ metechnik usw. Es wurde genau ermittelt, wie die Bauvorschriften geändert wer­ den müssen, damit überhaupt solche Gebäude erstellt werden können. Wichtige Fragen waren, in welcher Weise sich Architekten umorientieren müssen, wie man

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die Installateure dafür gewinnen kann, und wie die Bewohner mit den Möglichkei­ ten des Energiesparens umgehen. Wir haben 10 Jahre lang physikalische und soziologische Begleitforschung betrieben. Das Ergebnis war, daß trotz bester Tech­ nik die Energiespareffekte fast ausschließlich vom Nutzungsverhalten der Bewoh­ ner abhängen. Daran sieht man deutlich, daß Technik alleine noch keine Probleme löst. Der Erfolg hängt wesentlich von dem System ab, in das die Technik einge­ bunden ist. Meine These ist also, daß der Lösungsbeitrag der Technik begrenzt ist und erst voll zur Wirkung kommen kann, wenn eine entsprechende Verhaltensän­ derung hinzukommt. Auch muß die Technik systemar eingesetzt werden, also architektonische Planung und installationsmäßige Ausrüstung in Verbindung mit Regelungstechnik und veränderten Verhaltensweisen. Leitbilder umweltfreundlicher Technikanwendung

Für die umweltfreundliche Technikanwendung in der Wirtschaft kann man drei Leitbilder unterscheiden, wobei sich umweltfreundliche Technik von der Biotech­ nologie über Funktionstechnik bis zu Werkstoffen erstreckt.

/. Verstärkter Einsatz umweltfreundlicher Technologie In den 60er und 70er Jahren versuchte man, im wesentlichen mit staatlicher Regu­ lierung, Produktionsprozesse ökologisch durch nachgeschaltete Technologie („endof-the-pipe”) zu entschärfen. Das modernere, ökologisch bessere SteuerungsModell ist der produktionsintegrierte Umweltschutz, der bestimmte Umweltbela­ stungen und Schadstoffe erst gar nicht entstehen läßt. Das erstgenannte Leitbild (der Umwelt-Reparatur) ist aber weiterhin gültig. Wir wissen aus einer neuen Stu­ die der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, daß die nachgeschalteten oder „end-of-the-pipe”-Technologien weiterhin eine große Zu­ kunft haben werden, insbesondere bei der Produktion im Ausland. Produktionsinte­ grierte Technologien haben auch ihre Schwächen. Sie sind sehr komplex und rech­ nen sich meist nur bei neuen Produktionsanlagen. Die technischen Einsparpotentia­ le sind jedoch viel höher.

2. Erschließung von Stoffkreisläufen Diese wurde im Bereich der Produktion durch Wiederverwendung und -Verwer­ tung von Stoffen und Ressourcen begonnen, die nicht unmittelbar in das Produkt gehen. Hier sind bedeutsame Fortschritte zu verzeichnen. Es gibt Produktionspro­ zesse, in denen industrielle Wässer 14mal wiederverwendet werden können. Dies hat in den letzten Jahren erhebliche Ressourcen erspart. Dahinter steckt die Idee des geschlossenen Stoffkreislaufes. In neuerer Zeit hat diese Idee nicht nur in der Produktion Anwendung gefunden, sondern auch bei den Produkten selbst. Die Recycling-Industrie ist ja zur Zeit ein stark wachsender Wirtschaftszweig.

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3. Ganzheitliche Produktpolitik und Produktnutzung Dieses Leitmodell ist neueren Datums und setzt, wie bisher üblich, weniger an der Produktion, sondern an den Produkten selbst an. Die Produkte werden auf ihrem gesamten Lebensweg verfolgt und anschließend der Entsorgung unterworfen. Es gibt aber auch neuere Modelle, die die hängenden Kreisläufe einbeziehen, nämlich die Nutzung von Produkten z.B. durch Wiederverwendung zu verlängern. Dies liegt im Rahmen der technischen Möglichkeiten. Es müßten aber auch viele nicht­ technische Randbedingungen erfüllt werden. Wir haben hier die Tendenz, daß aus unifunktionalen multifunktionale Produkte werden. Das hat den Vorteil, daß man statt vieler einzelner Geräte mit nur einer Funktion nur noch ein Gerät mit vielen Funktionen braucht, und daß damit Ressourcen gespart werden. In der Telekom­ munikation ist dies schon z.T. verwirklicht. Eine zweite Möglichkeit, an Produkten zu sparen, besteht darin, von einer Einzelnutzung zu einer gemeinschaftlichen Nut­ zung überzugehen, z.B. beim Umstieg vom Privatauto zum car-sharing oder vom car-sharing auf das öffentliche Verkehrsmittel. Der weitestgehende Schritt ist eine Veränderung der Nutzungsformen, nämlich der Wandel vom Produktbesitz zur Produktverfügbarkeit. Wir besitzen dann keine Waschmaschine, sondern leasen diese. Damit haben wir nur noch die Inanspruchnahme einer Nutzung. Stellen Sie sich vor, Sie kümmern sich in fünf Jahren nicht mehr um Ihre Waschmaschine, sondern gehen in ein Geschäft und kaufen dreitausend Waschgänge ein. Die anbie­ tende Firma garantiert Ihnen diese Leistung. Ob Sie nun immer wieder eine neue Waschmaschine haben oder eine alte, die permanent aufgerüstet wird, darum küm­ mern Sie sich nicht. Im Energiebereich gibt es bereits solche Systeme (z.B. das Rottweiler Modell). Dieses ist ein wichtiges drittes Leitbild. Es entspricht dem be­ reits von Herrn Scherhorn angesprochenen Wechsel vom produktbezogenen zum nutzenbezogenen Gebrauch und bietet einen großen Anreiz, Technologie einzuset­ zen. Firmen werden dazu motiviert, die Lebensdauer eines Produktes zu optimie­ ren, was zu einem Wechsel von der Wegwerfgesellschaft hin zu der Orientierung führt, den vorhandenen Bestand an Produkten optimal zu nutzen.

Alle drei vorgestellten Leitbilder sind gültig und gleich wichtig. Sie lösen sich nicht gegenseitig ab, sondern verhalten sich eher komplementär, ergänzen sich al­ so. Man kann zeigen, daß es so bereits eine Reihe von Fortschritten gegeben hat. Wir wissen aber, daß es Möglichkeiten gibt, auch die Ressourceneffizienz noch zu vergrößern. Den „Faktor vier” aus dem eben erschienenen Buch von E.U.v.Weiz­ säcker halte ich für eine sehr realistische Größenordnung. Danach ist es möglich, durch den Einsatz von ressourcensparender Technik mit einem Viertel an Ressour­ cen auszukommen.

Die Leitbilder werden sehr stark durch das Umfeld bestimmt. Das erste Leitbild hängt davon ab, wie sich das Preissystem und das Verhalten der Konsumenten ver­ ändern werden. Zum Teil stehen diese ökologiefreundlichen Leitbilder auch in

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einem klaren Konflikt zueinander. Wenn es sich fortsetzt, daß die Industrie Milliar­ den Mark in Recycling-Anlagen steckt, dann wird genau diese Industrie einer der heftigsten Gegner eines Konzeptes sein, das die Lebensdauer von Produkten ver­ längert, weil dies die Anlagen überflüssig machen würde. Ich hoffe deutlich ge­ macht zu haben, daß zukunftsfähige Technologie der falsche Begriff ist. Man sollte von zukunftsfähigen System-Innovationen sprechen, die letztlich dazu führen, daß wir der Ökoeffizienz, der Innovation und der Suffizienz näherkommen. Aber selbst wenn wir alle diese Wege begehen, wissen wir nicht, ob dies ausreicht, um eine dauerhafte Nachhaltigkeit zu erreichen. Zukunftsfahige Systeminnovationen in der Region

Zum Regionalbezug kann man den von Herrn Renn vorgestellten normativen An­ satz heranziehen oder den von Herrn Spehl beschriebenen, der in der Region die besonderen Vorteile der Kommunikation und des gemeinsamen Handelns bietet. Als dritter Ansatz kommt hinzu, in Innovationen zu denken. Man kann eine inno­ vative Region als Schub für Innovationen sehen. Die Region verschafft sich dabei letztlich durch Lernen einen komparativen Vorteil für die Zukunft.

Drei Möglichkeiten für regionale Initiativen möchte ich besonders hervorheben, die die Pflastersteine auf dem Weg zur Nachhaltigkeit bilden können. 1. Es gibt erhebliche Handlungsspielräume in den Unternehmen, die Ressourcen­ produktivität und Ökoeffizienz zu erhöhen. Der unw hat in Ulm entsprechende Aktivitäten in den Unternehmen angestoßen.

2. Im kommunalen Bereich lauten die Ansatzpunkte Verkehr, Wasser, Energie sowie die Veränderung von Tarifen und Strukturen. 3. Im privaten Haushalt, den der unw bisher nur wenig ins Auge gefaßt hat, sind die Wohnraumbeheizung und der Verkehr die zentralen Punkte, an denen anzuset­ zen ist (vgl. „Bürgergutachten” im zweiten Teil dieser Publikation).

Im Technologiebereich ist es üblich, technische Großprojekte in Gang zu bringen, die häufig regional konzentriert sind. Der schnelle Brüter war regional eine wesent­ liche Initiative. Mit solchen technisch orientierten Projekten hat man schlechte Er­ fahrungen gemacht. Ein aktuelles Projekt ist die Magnetschnellbahn (Transrapid), die meines Erachtens eine der letzten großen Technologieruinen ist, die sich unser Land leisten wird. Was regional aus Sicht der Innovation interessant ist, sind sozia­ le Experimente. Diese Experimente haben einen sehr hohen Komplexitätsgrad. Wenn es um einen Wechsel vom produktorientierten Konsum hin zum nutzungso­ rientierten Konsum geht, dann ist eine Region durchaus ein geeigneter Raum, um ein solches soziales Experiment zu unternehmen. Soziale Experimente erfordern eine enge Verbindung von Unternehmen, Handel und Konsumenten, weil es darum geht, daß sich auch Haushalte in ihrem Verhalten deutlich ändern, daß Produkte in

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Dienstleistungen umgewandelt werden, und daß die Wissenschaft zu neuen techni­ schen Konzepten führt. Regionen sind einer dieser Pfade, auf denen wir die Pfla­ stersteine suchen müssen. Sie sind für soziale Innovationsexperimente ein idealer Boden.

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Institutioneile Innovation I: Probleme bei der Umsetzung Oscar W. Gabriel, Universität Stuttgart

Ich werde drei Dinge besprechen. Zunächst möchte ich ein paar Bemerkungen zu Innovationen machen, zweitens der Frage nachgehen, warum man institutioneile Innovationen braucht und drittens überlegen, wo diese möglich sind und wo es Spielräume gibt. Zum Schluß folgen noch ein paar Bemerkungen dazu, was die ge­ wünschten und die möglicherweise unerwünschten Nebeneffekte von institutionel­ ler Innovation sind. Es wird sich auch hier zeigen, daß Innovationen gut oder schlecht sein können.

Institution und Innovation Zunächst müssen wir uns Klarheit darüber verschaffen, was Institutionen sind. Sie sind soziale Gebilde, die in allen möglichen Bereichen des menschlichen Zusam­ menlebens eine Rolle spielen, und deren Aufgabe darin besteht, dem Zusammenle­ ben Ordnung und Stabilität zu geben. Zu diesem Zweck brauchen wir bestimmte Organisationsstrukturen und Regelwerke. Wenn wir von institutioneller Innovation sprechen, heißt das, daß wir die Institutionen, die Organisationsstrukturen und die Regelwerke verändern. Wir tun das in der Annahme, daß die bisherigen Institutio­ nen den ihnen zugedachten Zweck nicht mehr erfüllen. Die Institution Familie ist deshalb problematisch geworden, weil wir uns kulturell und physisch auch auf an­ dere Weise reproduzieren können. Die Institution Staat wird in Frage gestellt, weil die Formen, wie in unserer Gesellschaft Entscheidungen getroffen und durchge­ setzt werden, uns zwischenzeitlich problematisch erscheinen und wir uns fragen, ob wir nicht andere Formen der Produktion und Durchsetzung gesellschaftlicher, verbindlicher Entscheidungen haben können.

Wozu institutioneile Innovation? Hinter der Notwendigkeit institutioneller Innovation steht also die Überlegung, daß man bestimmte Ziele mit Hilfe anderer, neuer Institutionen schneller, vollständiger oder kostengünstiger erreichen kann. Darin sehe ich die Gründe für institutionelle Innovation. Dies ist ein in hohem Maße diskussionsbedürftiger Tatbestand. Die Notwendigkeit neuer Institutionen wird häufig in Frage gestellt. Die alten haben sich bewährt und bessere kennen wir nicht, wird gesagt. Man kann sich auch auf den meinem ziemlich nahekommenden Standpunkt stellen, daß institutioneile Änderungen im Grund keinen großen Effekt haben, weil die Weise, wie Probleme im menschlichen Zusammenleben gelöst werden, primär von den Wertvorstellun­

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gen, den Einstellungen und den Verhaltensweisen der Menschen abhängen, die we­ nig mit den institutioneilen Bedingungen zu tun haben. Die Forderung nach institu­ tioneller Innovation ist also nicht selbstbegründend, sondern wir müssen darüber nachdenken, zu welchem Zweck wir diese haben wollen.

Wenn ich von meinem Arbeitsgebiet, der Kommunalpolitik, ausgehe, die auch für die regionale Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielt, scheint die Notwendigkeit institutioneller Innovation auf der Hand zu liegen. In ihren Grundstrukturen sind die kommunalen Institutionen im 19. Jahrhundert geschaffen worden. Das gilt für die kommunalen Verwaltungen und für die Entscheidungsträger, die Räte. Im Übergang zum 21. Jahrhundert muß man sich die Frage stellen, ob die fast 200 Jahre alten Institutionen in der Lage sind, die Probleme von heute zu lösen. Es gibt drei Bereiche, wo die Forderung nach institutioneller Innovation naheliegt:

1. Art und Umfang der Staatstätigkeit Als die kommunalen Institutionen in Deutschland geschaffen wurden, hatten wir eine Staatsquote von 10-15%, d.h. der Staat hatte nur in begrenztem Umfang Ein­ fluß auf kommunale Entscheidungen. 2. Ordnungsaufgaben

Mit dem Ausbau des Wohlfahrtstaates ist die Ordnungsverwaltung, also Polizei, Militär, Bauaufsichtsbehörde, in vermehrtem Umfang ersetzt worden durch pla­ nende und leistende Aufgaben. Meine Vermutung ist, daß insbesondere die Bin­ nenstruktur“1 der öffentlichen Verwaltung immer noch überwiegend auf Ordnungs­ aufgaben zugeschnitten ist und in ihrem institutionellen Zuschnitt Planungs- und Leistungsaufgaben gar nicht lösen kann. Das liegt am Hierarchieprinzip, daß die öffentliche Verwaltung nach wie vor dominiert, auch wenn dies an einzelnen Stel­ len durchbrochen ist. 3. Politische Rahmenbedingungen

Die politischen Rahmenbedingungen haben sich verändert. Als man im 19. Jahr­ hundert die Institutionen der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung schuf, hatte man ein Drei-Klassen-Wahlrecht. Dieses sah zum Beispiel so aus, daß Herr Krupp in Essen ein Drittel der Stadtverordneten bestellt hat, 5% der Bevölkerung ein weiteres Drittel, und die übrigen männlichen Wahlberechtigten das letzte Drit­ tel wählten. Das entspricht nicht mehr unseren heutigen Bedingungen. Wir haben zwischenzeitlich das Wahlrecht demokratisiert. Wir haben eine Veränderung der politischen Infrastruktur. Die Parteien sitzen an den Hebeln der Macht in der Kom­ munalpolitik und nicht mehr die Honoratioren wie im 19. Jahrhundert. Auch haben wir eine professionalisierte Verwaltung anstelle der früheren ehrenamtlich arbei1(1 Binnenstruktur ist ein Begriff aus der Politikwissenschaft und Soziologie. Er beschreibt die Regeln und Organisationsprinzipien innerhalb eines Systems (z.B. Politik oder Wissenschaft) oder SubSystems (z.B. Verwaltung einer Gemeinde oder eines Wirtschaftsuntemehmens).

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tenden Verwaltung. Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen dafür, wie die politischen Institutionen auf der regionalen Ebene arbeiten und für die Diskussion über institutioneile Innovation. Wo ist institutioneile Innovation möglich?

Meine These ist, daß es einzelne Bereiche im regionalen politischen System gibt, in denen keine Spielräume mehr vorhanden sind, weil alle Innovationen schon vor­ handen sind. Es gibt andere Bereiche, in denen Innovation noch möglich ist. Ich möchte das an einigen verschiedenen Aspekten verdeutlichen. Besonders wichtig ist die Verteilung öffentlicher Aufgaben in der Bundesrepublik, wenn wir über in­ stitutionelle Innovation nachdenken. Wir haben hier ein sehr kompliziertes System, weil die Erfüllung öffentlicher Aufgaben nach drei verschiedenen Gesichtspunkten funktioniert: 1. Wir haben erstens das Territorialprinzip. Bestimmte Aufgaben werden auf der Bundes- oder Landesebene, andere auf der Kreis- und Gemeindeebene oder darun­ ter erfüllt. Daraus ergibt sich, daß das System öffentlicher Aufgaben in der Bun­ desrepublik mittlerweile so kompliziert geworden ist, daß dies selbst Fachleute nicht mehr durchschauen. Der Grund dafür ist, daß nicht eine Zuständigkeit einer Trägereinheit zugewiesen ist, sondern daß in Deutschland im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten viele Institutionen an einer Aufgabe mitwirken. Beim Beispiel Verkehrspolitk geschieht die Gesetzgebung im Bundestag und im Bundesrat, aus­ geführt werden die Gesetze von Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden. Außerdem gibt es die Gerichte, die auch auf allen drei Instanzen angesiedelt sind, und bei denen man sich beschwert, wenn einem bestimmte Entscheidungen nicht gefallen.

2. Wir haben zweitens eine materielle Gliederung der Aufgaben nach Politikfel­ dern wie Außenpolitik, Umweltpolitik, Wirtschaftspolitik etc. Natürlich haben z.B. verkehrspolitische Entscheidungen wirtschaftspolitische Voraussetzungen und Auswirkungen. Immer dann, wenn der Bundestag oder der Gemeinderat über eine Maßnahme im Bereich der Verkehrspolitik nachdenken oder entscheiden, müssen sie andere Politikfelder mit berücksichtigen. Hier liegt eine der Schwierigkeiten, wenn man über institutionelle Innovation nachdenkt. Einer der wichtigsten Diskus­ sionspunkte seit 30 Jahren ist es, das gesamte System durchschaubarer zu machen. Solange es nicht gelingt, eine klare Zuordnung von Aufgaben zu Trägern zu schaf­ fen, die für die Entscheidungsträger selbst und die Betroffenen nachvollziehbar ist, braucht man über weitergehende institutionelle Innovation nicht nachzudenken. 3. Außerdem haben wir ein funktionales Gliederungsprinzip nach Gesetzgebung, Ausführung von Gesetzen, Rechtsprechung und auch Interessenverbindungen, wenn man es aus politologischer Sicht sieht. Unser politisches System scheint ein­

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fach gegliedert zu sein. Bestimmte Einrichtungen sind für die Gesetzgebung zu­ ständig, andere für die Vorbereitung von Gesetzen, wieder andere für die Aus­ führung. In Wirklichkeit ist es viel komplizierter. Man kann heute nicht mehr sagen, das Parlament ist der Gesetzgeber. Denn im Regelfall ist es so, daß die Ge­ setze von der Ministerialbürokratie gemacht und mit Interessenverbänden ausge­ handelt werden. Das Parlament ratifiziert nur noch. Dadurch ist der Problemlö­ sungsprozeß in Deutschland eine außerordentlich komplizierte Abfolge von Phasen und Akteuren. Wenn wir den Entscheidungsprozeß in seine wichtigsten Abschnitte gliedern, dann müssen zunächst die Probleme thematisiert werden. Dann müssen Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden.

Spielräume für institutionelle Innovation In allen drei Bereichen sind die Spielräume für institutionelle Innovation sehr un­ terschiedlich, woraus sich ein unterschiedlicher Reformbedarf ergibt. Für die The­ matisierung von Problemen und die Vorbereitung der Entscheidungen sehe ich keine institutioneilen Hemmnisse. Wer an der Formulierung von Problemen mit­ wirken will, kann das im Prinzip. Die Institution steht dem nicht entgegen. Das gleiche gilt für die Vorbereitung von Entscheidungen. Hier sind also der Phantasie keine Grenzen gesetzt, man kann experimentieren. Herr Majer wird im Zusammen­ hang mit mediationsbasierten Konzepten vorstellen, wie man das macht. Völlig anders sieht es aus, was das Fällen von Entscheidungen betrifft. Hier ist alles struk­ turell vorgegeben, wir haben eine klare Kompetenzverteilung zwischen den einzel­ nen Institutionen. Daran kann man auch nicht sehr viel ändern, es sei denn man wollte das ganze System in Frage stellen.

So komme ich zu einer recht pessimistischen Bewertung institutioneller Reform­ möglichkeiten. Im Bereich Thematisierung von Entscheidungsproblemen und Ent­ scheidungsvorbereitungen halte ich institutionelle Reformen für nicht notwendig, denn man kann alles machen, was man will. Beim Fällen von Entscheidungen ist kein Spielraum, es sei denn, man will ein völlig anders strukturiertes politisches System. Hier sehe ich gewisse Schwierigkeiten, Akteure zu finden, die eine solche Reform in Gang bringen.

Fazit Zusammenfassend halte ich es für problematisch anzunehmen, daß die Beschaffen­ heit des politischen Institutionen-Systems darüber entscheidet, wie politische Ent­ scheidungsprozesse ablaufen. Meiner Ansicht nach hängt die Möglichkeit, materi­ elle politische Veränderungen durchzuführen oder eine bestimmte Politik fortzu­ führen, in erster Linie von den Einstellungen, Wertvorstellungen und Verhaltens­ weisen ab. Institutionell gibt es keine Grenzen, sich am politischen Entscheidungs­

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prozess zu beteiligen, aber es gibt gesellschaftliche Grenzen. Wir können in der politischen Praxis beobachten, daß verschiedene gesellschaftliche Gruppen unter­ schiedlich stark am politischen Entscheidungsprozess partizipieren. Eine der großen Illusionen, die man mit der partizipatorischen Öffnung der Kommunalver­ fassung verbunden hat, war, daß auch Gruppen an den politischen Prozess herange­ führt werden, die bislang nicht daran teilgenommen haben. Stattdessen haben sich die seither aktiv Beteiligten auch die neuen Formen der politischen Aktivität er­ schlossen. Politische Aktivität ist also in Deutschland und in anderen westlichen Demokratien die Domäne der Ober- und Mittelschicht. Schattschneider drückt das so aus: „Der pluralistische Himmelschor singt mit einem starken Oberschichtak­ zent”. Hier kann man durch mediationsbasierte Konzepte, die den Versuch unter­ nehmen, den Partizipantenkreis über das bestehende Maß hinaus auszudehnen, ge­ wisse institutioneile Veränderungen erreichen.

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Institutionelle Innovation II: Mediations-basierte Runde Tische Helge Majer, Universität Stuttgart

Nachhaltige Entwicklung verlangt intertemporale Gerechtigkeit

Mit dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung sollen Ökologie, Ökonomie und Sozia­ les in ein langfristiges Gleichgewicht kommen. Der Weg dorthin ist lang. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Wie kann dafür gesorgt werden, daß der Entwick­ lungspfad in die Zukunft gerecht ist, daß die Gewinner nicht allzu viel gewinnen, und die Verlierer nicht allzu viel verlieren? Auf der regionalen Ebene könnten Runde Tische, an denen von den verschiedenen Akteuren gemeinsam kooperative Lösungen erarbeitet werden, diese intertemporale Gerechtigkeit herstellen.

Intermediäre Organisationen füllen eine Institutionenlücke

Mit intermediären Organisationen wird eine Institutionenlücke ausgefüllt. Interme­ diäre Organisationen treten ein, wenn „neue Aufgaben oder ein besonders dringlicher Handlungsbedarf auf mangelndes Leistungsvermögen (oder Handlungsinteresse) vorhandener Akteure (Organisatio­ nen, Verwaltungen) stoßen. Die intermediären Organisationen ergänzen somit das Spektrum der gesellschaftlichen Akteure und wirken bei Aufgaben mit, die bisher von den traditionellen Akteuren nicht geleistet wurden, bzw. aus eigener Kraft nicht geleistet werden können” (zitiert nach: von der Heydt, 1997)".

Von der Heydt stellt als die wichtigsten Aufgaben intermediärer Organisationen heraus: •

Anstifter-Aufgaben (Initiierung, Anregung und Unterstützung),



Vermittlungsaufgaben (Moderation),



Koordinierungsaufgaben,



Qualifizierungs- und Beratungsaufgaben.

Bei allen Aufgaben geht es um Information und Kommunikation. So verschieden die Organisationsstrukturen von intermediären Organisationen, so verschieden sind die Maßnahmen, die diese Organisationen einsetzen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Eine mögliche (und wichtige) Maßnahme besteht in der Kooperation. Ein wichti-

11 Andreas von der Heydt, Verhandeln für eine bessere Zukunft. Mit Vermittlerorganisationen zur nachhaltigen Entwicklung. Bd. 3 der unw-Schriftenreihe, Sternenfels 1997

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ger Anlaß ist, Verantwortung zu übernehmen. Und eine Form, durch Kooperation Verantwortung zu übernehmen und zu organisieren, können Runde Tische sein.

Mediation als Methode für Runde Tische

Nach Fietkau stellt Mediation „eine bestimmte Form eines sozialen Entscheidungs­ prozesses dar, der sich von anderen Formen (staatlich geregelten Partizipationsver­ fahren, offenen Diskussionsrunden, Schiedsverfahren, Gerichtsverfahren usw.) un­ terscheidet. Die Hauptbesonderheit des Mediationsverfahrens besteht in der Einbe­ ziehung eines ‘Mediators’ in den Entscheidungsfindungsprozeß. Dieser hat die Aufgabe, durch die Gestaltung des Verfahrens und durch Hilfen im Kommunika­ tionsprozeß zwischen Beteiligten die Entwicklung einvernehmlicher Konflikt-

Abb. 2: Mediations-basierte Runde Tische

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lösungen zu begünstigen. Er soll hierbei weder über die Macht, Entscheidungen in. der Sache selbst, etwa i.S. eines Schiedsspruchs zu treffen, verfügen...” (Fietkau/ Weidner, 1992)12. Nach den vorliegenden Erfahrungen kann man erwarten:

„Informationsgewinn, Zuwachs an Transparenz, kompetentes Argumentieren, Ab­ grenzung konsensualer und strittiger Punkte und qualitativ bessere Problemlösung (zumindest in Teilfragen).” Nicht unbedingt erwarten sollte man: „Konsens in allen Fragen, nachhaltige Verbesserung des politischen Klimas, Ver­ fahrensbeschleunigung und Imageverbesserung und Akzeptanzerhöhung der Ak­ teure in der Öffentlichkeit” (Fietkau/Weidner, 1992)12.

Bringt man nun die Methode der Runden Tische mit den Erkenntnissen des Mediationsverfahrens zusammen, dann ergeben sich die folgenden Merkmale und Prinzi­ pien, die in einem Schema (s. Abb. 2) zusammengestellt sind (Fietkau/Weidner, 1992)12. Der Text des Schemas spricht für sich selbst. Anwendungen

Zusammensetzung und Organisation der Runden Tische hängen von einigen spezi­ fischen Bedingungen ab. Insbesondere geht es um die Frage, welche Zielsetzung die intermediäre Organisation mit dem Runden Tisch verfolgt: Will sie anstiften, vermitteln, koordinieren oder beraten? Bei allen Zielsetzungen spielt die Bera­ tungsfunktion auch eine Querschnittsrolle, denn Entscheidungsprozesse beruhen immer auf Information. Diese Zielsetzungen (anstiften, vermitteln und koordinieren) bestimmen die perso­ nelle Zusammensetzung der Runden Tische. Geht man in freier Interpretation von Ortwin Renn davon aus, daß bei einem gesellschaftlichen Diskurs immer minde­ stens drei Gruppen involviert sind: Betroffene, Experten und Handelnde oder Ver­ antwortliche, dann lassen sich die Zielsetzungen der intermediären Organisation und die Zusammensetzung der Runden Tische verknüpfen:

Dient der Runde Tisch dazu, •

eine neue Handlungsmöglichkeit zu initiieren, Maßnahmen zur Erreichung bestimmter Ziele anzustoßen, neue Projekte auf den Weg zu bringen, dann wird die Zusammensetzung des Runden Tisches eher homogen sein und

12 Fietkau, H.-J./Weidner, H., Mediationsverfahren in der Uniweltpolitik. Erfahrungen in der Bundes­ republik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parla­ ment, Heft 39/40 (1992)

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spiegelt die unterschiedlichen Verantwortungsfelder des Projekts (Handeln­ de, Verantwortliche) wieder; die Zielsetzung der intermediären Organisa­ tion besteht in der Anstifterfunktion durch Runde Tische. •

zwischen unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen in Bezug auf ein konkretes Projekt zu vermitteln, dann muß die Zusammensetzung des Tisches die heterogenen Interessen der Betroffenen wiederspiegeln; die Zielsetzung der intermediären Organisation besteht in der Vermittlungs­ funktion durch Runde Tische.



ein komplexes Problem oder Projekt zu koordinieren, dann werden Betrof­ fene, Experten und Handelnde in heterogener Zusammensetzung teilneh­ men; die Zielsetzung der intermediären Organisation besteht in der Koordi­ nierungsfunktion durch Runde Tische.

Die Beratung (Information) durch interne oder externe Experten scheint bei allen Phasen ein konstitutives Merkmal zu sein. Die Sequenz Anstiften, Vermitteln, Ko­ ordinieren ist allerdings nicht chronologisch und linear; manchmal muß nach der Vermittlung nochmals angestoßen werden. Abhängig von der generellen Zielsetzung der Runden Tische (Gesamtprojekt) er­ gibt sich ein unterschiedlicher Funktions-Mix. Soll z.B. in einem Unternehmen durch Runde Tische ein Veränderungsprozeß hin zu ökologischem Wirtschaften eingeführt werden, dann könnte die Anstifterfunktion auf der Chefebene des Unter­ nehmens ansetzen, die Vermittlungsfunktion vermischt die Mitarbeiter (Betroffe­ ne) der unterschiedlichen Unternehmenshierarchien, bei der Koordinierung treffen sich die Handelnden.

Die Rolle der Experten muß eindeutig definiert sein. Externe Experten sollten die Gespräche und Verhandlungen nicht dominieren. Das selbstorganisatorische Pro­ blemlösungspotential der Teilnehmer und Teilnehmerinnen muß aktiviert werden und immer im Vordergrund stehen. Experten sind nur für selektive Informations­ inputs zuständig.

Die Praxis Runder Tische: Das Ulmer Beispiel Der Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw) hat als intermediäre Organisation in mehreren Strategiediskussionen festgestellt, daß es sinnvoll ist, die Aktivitäten des Vereins zunächst auf drei Felder zu konzentrieren: Die Wirtschaft, die Verwaltung und die Energieversorgung. Demgemäß hat der unw in Ulm drei Runde Tische eingerichtet:



das unw-Unternehmergespräch,



die unw-Amtsleiterrunde,



den Energiewirtschaftlichen Projektrat.

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Inzwischen ist (seit Herbst 1996) ein „Bürgergespräch” hinzugekommen. Diese Runden Tische sind „intuitiv” entstanden; eine theoretische Fundierung wird jetzt erst nachgereicht. Im folgenden will ich vor dem Hintergrund der obigen Überle­ gungen ausführlich die wichtigsten Merkmale dieser Runden Tische darstellen. Bei allen drei Runden Tischen geht es dem unw zunächst um die Anstifterfunktion. Daher sind alle Runden Tische homogen mit den Verantwortlichen für den jeweili­ gen Bereich besetzt. Die Qualifizierungs- und Beratungsfunktion spielte in Form von internen und externen Experten eine gewisse Rolle.

Ein wichtiger Grundsatz des unw besteht in der Einsicht, daß



der Sinn und die Notwendigkeit von Veränderungen kommuniziert werden müssen, um die Verantwortungs- und Handlungsbereitschaft der Teilneh­ merinnen und Teilnehmer zu wecken,



Veränderungen Interessen berühren und zu Auseinandersetzungen führen können,



Auseinandersetzungen durch eine Streitkultur ge„regelt” werden sollten,



eine Streitkultur am besten auf der Basis von Vertrauen gedeiht,



Vertrauen schaffen viel Zeit und dauerndes Engagement braucht.

Sinnvermittlung und Vertrauen (wieder) zu gewinnen, das sind die handlungslei­ tenden Prinzipien für die Durchführung der Runden Tische.

Schlußbemerkung

Ein theoretisches Gerüst ist für die Durchführung von Runden Tischen sehr hilf­ reich. Damit wird eine bessere Qualität der Veranstaltungen möglich, eine wichtige Voraussetzung für kooperative Lösungen.

Die vorliegende Systematik darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Runde Tische von einem einflußreichen Umfeld (wirtschaftlich, sozial, ökologisch, stadt­ kulturell, politisch) abhängen, und daß sich die teilnehmenden Personen auch als Repräsentanten von gesellschaftlichen Gruppen oder Berufsständen fühlen. Über diese Kanäle werden Erwartungen in die Runden Tische hineingetragen, die diese vielleicht nicht erfüllen können. Dies macht die Runden Tische anfällig. Es er­ scheint mir daher wichtig, die Anpassungsfähigkeit der Gruppe am Runden Tisch durch Vertrauen, individuelle Verantwortungsbereitschaft und den Willen zur Ko­ operation zu stärken. Dies könnte „Vorschüsse” möglich machen, die später wieder eingelöst werden. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, daß alle (hier: regionalen Akteure) an einem Diskurs teilnehmen. Es wird daher in Zukunft darum gehen,

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(

1.) weitere Runde Tische mit anderen Akteuren zu organisieren und

(

2.) die einzelnen Runden Tische zusammenzubringen.

Dann werden die unterschiedlichen Interessen der Akteure deutlich werden; die Vermittlungs- und Koordinationsfunktion wird dann entscheidend.

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Handlungsebenen Carsten Stahmer, Statistisches Bundesamt Wiesbaden

Ich habe gemerkt, daß der kürzeste Beitrag den größten Beifall bekommen hat. Daran will ich mich orientieren. Ich möchte zunächst etwas über Region und Hei­ mat sagen. Ich bin in Hamburg aufgewachsen und empfinde Hamburg als meine Heimat. Meine Wohnung ist in Wiesbaden, und meine Arbeitsstätten sind in Wies­ baden und Heidelberg. Ich beteilige mich an Regionalprojekten, z.B. in Ulm und auch in Heidelberg. Das ist typisch für unsere Situation, daß wir uns nicht mehr un­ mittelbar mit unserer Heimatregion identifizieren können und uns in verschiedenen Regionen einbringen müssen. Das bedeutet: Bei der Regionalforschung müssen wir vernetzt denken und über unsere Ursprungsregion hinausschauen. Diese Überle­ gungen bestimmen meine nun folgenden Thesen, die ich kurz vorstellen möchte. Abschied von der ökologischen Kirchturmpolitik In den Anfangsjahren der Ökologiebewegung hat man die Betroffenheit der Region in den Vordergrund gerückt. Man hat überlegt, welche Umweltschäden eingetreten sind, was es an Luft-, Abfall- und Wasserproblemen gibt. Wir brauchen jedoch einen Wandel von der reinen Betroffenheit in Richtung Akteurskonzept. Wir wol­ len die Bürger ansprechen und uns überlegen, was sie in Richtung einer nachhalti­ gen und sozial- und umweltverträglichen Entwicklung tun können. Der Bürger als Akteur wird in den Vordergrund gerückt. Hierbei sind die privaten Haushalte be­ sonders wichtig.

Wir müssen Grenzüberschreitungen vornehmen Wenn wir das Akteursprinzip in den Vordergrund rücken, kommen wir automa­ tisch zum Prinzip der Verantwortung. Der Akteur ist für seine Handlung innerhalb und außerhalb der Region verantwortlich. Wenn wir die Ulmer Unternehmer an­ sprechen, dann ist es wichtig, daß wir auch die Produktionsbedingungen in anderen Teilen Deutschlands und im Ausland ansprechen. Wenn wir die privaten Haushalte ansprechen, dann müssen wir nicht nur ihr Umweltverhalten in Ulm ansprechen, sondern auch ihr Verhalten an anderen Orten und im Ausland, z.B. den Tourismus in Entwicklungsländern. Wir müssen das gesamte Spektrum der Aktivitäten berücksichtigen. Wir können also nicht nur die Auswirkungen des Verhaltens der Ulmer in der Region betrachten. Bei der Luftverschmutzung durch Heizung und Verkehrsverhalten müssen wir miteinbeziehen, welche weiträumigen und auch kli­ matischen Veränderungen das Verhalten der Bürger der Ulmer Region bewirkt.

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Kooperation im Interesse der Region

Um ein vollständiges Bild zu bekommen, müssen wir uns auch fragen, welche Auswirkungen Bürger von außerhalb der Region in der Ulmer Region hervorrufen. Beispiele dafür sind die Pendlerströme von außerhalb in die Ulmer Region. Hier kann man zusammen mit den Akteuren aus der Region überlegen, wie das Ver­ kehrssystem beschaffen sein muß, damit die Pendler nicht auf das Auto angewie­ sen sind. Wir müssen eine Form der Kooperation und Überzeugung finden, daß die Akteure außerhalb der Region auch über nachhaltige Entwicklung nachdenken. Nur wenn es uns gelingt, die Idee über das Land, die Republik und Europa sowie international auszudehnen, können wir eine allgemeine nachhaltige Entwicklung bekommen. Die Region als Insel der Seligen

Eine entscheidende Frage ist die der Güterströme zwischen den Regionen. Dies be­ zieht sich zunächst auf die Güterimporte einer Region. Wir müssen betrachten, unter welchen Bedingungen diese Güter z.B. in Entwicklungsländern produziert worden sind und müssen dies zu unserer Verantwortung hinzurechnen. Es geht also nicht nur um die Verantwortung für unsere eigenen Aktivitäten wie Energiever­ brauch oder Emissionen, sondern auch um den indirekten Verbrauch. Wenn wir ein Produkt nutzen, dann müssen wir auch die Geschichte dieses Produktes betrachten. Zur Erzeugung von Fleisch etwa werden Futtermittel importiert, die in den Ent­ wicklungsländern Land und Ressourcen verbrauchen. Diese stehen dann der ein­ heimischen Bevölkerung nicht mehr zur Verfügung. Der Müllexport ist ein weite­ res Beispiel: Der gelbe Sack im Hinterhof von Manila. Wir befriedigen unser Um­ weltbewußtsein und säubern unsere Region zu Lasten fremder Länder. Faktor Zeit

Im Rahmen der Regionalforschung müssen wir Grenzen überschreiten und die Vernetzung mit anderen Regionen betrachten. Was häufig fehlt, ist die Betrachtung der Zeitachse. Dadurch vermeiden wir die ausschließliche Konzentration auf die Gegenwart. Wir sollten uns zwingen, auch Zeiträume zu betrachten, die für uns nicht mehr überschaubar und uns nicht vertraut sind. Das Jahr 2030 zu betrachten, wie für diese Tagung vorgeschlagen, ist gedanklich schwierig, da wir nur einen Horizont von wenigen Jahren haben. Das Überschreiten der Zeit gilt sowohl im Hinblick auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft. Ich beschäftige mich zu­ nehmend mit der geschichtlichen Entwicklung der Bundesrepublik und der Regio­ nen. Welches waren die Gesetze, nach denen sich eine Region in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht entwickelt hat? Wir können daraus lernen, wie

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hoch das Entwicklungstempo einer Region war und Hinweise bekommen, wie lange die Entwicklung zur Nachhaltigkeit dauern kann. Die Vergangenheit kann Modelle liefern, wie soziale, ökologische und ökonomische Faktoren zusammenge­ wirkt haben, um eine aus unserer Sicht nachhaltige Situation hervorzubringen. Manche kennen mein Bezugsjahr 1960, von dem ich für die Bundesrepublik über­ zeugt bin, daß um diese Zeit eine nachhaltige Situation bestand. Diese haben wir aufgrund des Wirtschaftswunders überschritten. Es gab keine Staatsverschuldung, keine Arbeitslosigkeit, eine niedrige Preissteigerungsrate, keine Sozialhilfeempfän­ ger, es gab eine relativ gute Verteilung beim Einkommen. Die damaligen sozialen Verhältnisse waren nahezu vorbildlich und erscheinen uns heute unerreichbar. Das Wirtschaftsniveau war damals bei 30-40% des heutigen Standes, den heute auch Suffizienzanhänger anstreben. Wir haben einen Zustand verlassen, der aus heutiger Sicht in vielem vorbildlich war. Ähnliches gilt auch für die Region. Es ist wichtig, daß wir aus der Entwicklung der Regionen und den tatsächlichen Verhältnissen heraus versuchen zu lernen. Es ist wenig sinnvoll, vom hohen Stand der Wissen­ schaft herab Vorschläge zu machen. Die Politik der kleinen Schritte Mit der Politik der kleinen Schritte kann man am erfolgreichsten Änderungen be­ wirken, um langsam zu einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen. Wir brauchen einen langen Atem. Es ist nicht sinnvoll, nach einer kurzen Versuchsphase wieder abzubrechen. Es wäre schade, wenn dadurch der Begriff der nachhaltigen Entwick­ lung zu einer Modeerscheinung degradiert würde nach dem Motto: In den siebziger Jahren haben wir uns mit Lebensqualität beschäftigt, heute beschäftigen wir uns mit Nachhaltigkeit. Nur wenn wir lernen, daß dies ein langfristiger Prozeß ist und uns nicht entmutigen lassen, können wir Fortschritte erzielen.

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Implementation und Evaluation umweltpolitischer Programme auf kommunaler Ebene Andreas Eisen, Wissenschaftszentrum Berlin

Mit das schwierigste Thema ist die Umsetzung der Idee nachhaltiger Entwicklung. Das Bild einer Straße aus Pflastersteinen ist nicht das einer Straße, die mit großen Maschinen glatt gebaut wird, sondern einer Straße, die langsam entsteht. Gepfla­ sterte Straßen sind aber auch holprig, so wie die Umsetzung umweltpolitischer Pro­ gramme auch eher holprig gelingt. Allgemeine Handlungsregeln für die Umset­ zung, wie sie das Thema suggeriert, gibt es nicht. Das gehört mit zu diesem holpri­ gen Weg. In der Annahme, daß es Regeln für Implementation und Evaluation gibt, liegt ein großer Denkfehler, insbesondere vor dem Hintergrund des Zieles der nachhaltigen Entwicklung. Wenn man Wege zur Nachhaltigkeit beschreiten will, besteht immer die Gefahr, daß dies auf verworrene oder gar falsche Pfade führt. Die Frage, die sich hier stellt, ist grundsätzlicher Natur. Es geht nicht um die Im­ plementation fertiger Programme, sondern darum, wie die Idee der Nachhaltigkeit ein integraler Bestandteil und Grundlage regionaler politischer Entscheidungspro­ zesse werden kann und darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die vor allem die Selbstorganisationspotentiale der Region für eine nachhaltige Entwicklung fördern und nutzen können. Ich möchte im folgenden in drei Schritten vorgehen. Im ersten Schritt werde ich die vorangegangene Aussage noch erläutern, in einem zweiten Schritt möchte ich die Vor- und Nachteile der regionalen Ebene aufzeigen und drit­ tens Wege nennnen, wie man nachhaltige Entwicklung auf der regionalen Ebene fördern kann.

Umsetzung und Überprüfung des Zielerreichungsgrades umweltpolitischer Programme Die idealtypische Vorstellung eines Politikzyklus besteht in Programmentwick­ lung, Entscheidung, Implementation und Evaluation, die speziellen Akteuren zuge­ ordnet werden können. Dies ist eine Idealvorstellung, die in unserem Zusammen­ hang eher verwirrend ist. Das politische Konzept einer nachhaltigen Entwicklung hat einen offenen Zeithorizont, was mit der ständigen Veränderung des ökologi­ schen und gesellschaftlichen Umfeldes zusammenhängt. Nachhaltige Entwicklung ist kein fertiges Programm. Es ist ein ständiger Prozeß, die politischen Entscheidungs- und Umsetzungsverfahren so flexibel zu gestalten, daß die nachhaltige Ent­ wicklung gewährleistet ist. Die Idee muß institutionalisiert, im kollektiven Ge­ dächtnis der Kommune gespeichert und in den Entscheidungsgremien und der Ver­ waltung sowohl organisatorisch als auch personell verankert werden. Auch die

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wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Akteure vor Ort müssen einbe­ zogen und für die Idee der Nachhaltigkeit gewonnen werden. Dies bedeutet also einerseits eine stetige strukturelle Weiterentwicklung und Optimierung des um­ weltpolitischen Instrumentariums. Andererseits geht es um die Entwicklung und Stabilisierung einer Leitidee der nachhaltigen Entwicklung in den regionalen poli­ tischen Prozessen. Es muß sich als Leitvorstellung eine Kultur der Nachhaltigkeit entwickeln. Man sollte nicht auf den besseren Menschen warten, sondern versu­ chen, auf der institutionellen Ebene einen Wertewandel zu initiieren.

Innovationspotentiale und Restriktionen der regionalen Ebene Es sind vielfach ähnliche regionale Spezifika, die Chancen und Hindernisse der nachhaltigen Entwicklung darstellen, d.h. es kommt nicht auf die Institutionen an, sondern darauf, was daraus gemacht wird. Dies hängt mit den persönlichen und politischen Verhältnissen vor Ort zusammen. Hier müssen Ansatzpunkte für die In­ stitutionalisierung der Leitidee gefunden werden, die den unterschiedlichen regio­ nalen Verhältnissen angepaßt werden. Ich möchte die Charakteristika von Regio­ nen darstellen und die spezifischen Chancen und Innovationspotentiale sowie die Risiken und Hemmnisse bei der Etablierung eines solchen Leitbildes. Umweltpoli­ tischen Zielen stehen in der Regel konkurrierende regional- und kommunalpoliti­ sche Zielvorstellungen gegenüber. Es gibt Ziel- und Interessenkonflikte zwischen der klassischen Umweltpolitik und anderen Politikbereichen bzw. Fachverwal­ tungszweigen, aber auch zwischen Akteuren wie den Gewerbetreibenden und anderen Interessengruppen. Prinzipiell gibt es einen Konsens darüber, was Nach­ haltigkeit ist. Aber es kann nicht von einer Interessenkoalition von Umweltschutz und anderen kommunalpolitischen Bereichen wie Wirtschaftsförderung, Verkehrs­ planung etc. ausgegangen werden. Viele Untersuchungen zeigen, daß bei Zielkon­ flikten der Umweltschutz häufig den kürzeren zieht, vor allem, wo es um Gewerbe­ steuereinnahmen und Arbeitsplatzsicherung geht. Die Schwächung des Umwelt­ schutzes gegenüber konkurrierenden Zielsetzungen und Interessen lokaler Gruppen sind hinlänglich bekannt. Die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung kann so auf nahezu unüberwindbare Hindernisse stoßen. Das Beispiel Ulm zeigt jedoch, daß die Überschaubarkeit der Region, enge persönliche Verflechtungen, die Bin­ dung der Politik an lokale Interessen und die direkten Einflußmöglichkeiten von unmittelbar Betroffenen für eine Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit genutzt werden können. Hierin liegen erhebliche umweltpolitische Innovationspotentiale. Es ist demnach eine wichtige politische Aufgabe, die Stärken der Situation vor Ort für eine nachhaltige regionale Entwicklung zu nutzen und den Schwächen und Hemmnissen entgegenzuwirken. Es sind Akteurskoalitionen notwendig, die die In­ stitutionalisierung der Leitidee Nachhaltigkeit maßgeblich fordern können. Unver­ zichtbar ist es, die betroffenen Interessengruppen und die interessierte Öffentlich-

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lichkeit in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen und einen breiten Konsens über das prinzipielle Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zu induzieren. Voraus­ setzung für die Institutionalisierung der Leitidee sind Kooperation und Konsensbil­ dung. Das bedeutet die Einbeziehung unterschiedlichster Interessen und damit einer Vergrößerung des Konfliktpotentials. Die Kommunalpolitiker stehen im Mit­ telpunkt des Handlungsfeldes. Sie müssen die Leitidee in die politischen Prozesse integrieren sowie Basisinformationen, Expertenwissen und Daten zur örtlichen Situation beschaffen und zugänglich machen. Außerdem sollten sie die Rahmenbe­ dingungen für kooperative Entscheidungsprozesse schaffen, die Moderatorenrolle übernehmen und die Verfahren im Sinne der nachhaltigen Entwicklung steuern. Die einzusetzenden Instrumente beinhalten Information und Überzeugung, Ver­ handlung, ökonomische Instrumente, aber auch klassische ordnungspolitische In­ strumente, letztere dann, wenn definierte Mindeststandards zu sichern sind.

Voraussetzungen und Ansätze zur Förderung nachhaltiger Entwicklung in der Region Hier sind vor allem die Entwicklung und Institutionalisierung einer Leitidee „Nachhaltige Entwicklung” und die Schaffung einer politischen Kultur der Nach­ haltigkeit zu nennen, die für alle umweltrelevanten Entscheidungsprozesse grund­ legend sind. Stichwortartig möchte ich einige wichtige Voraussetzungen und An­ sätze, die eine solche Entwicklungsrichtung fördern, zusammenfassen:

1.

Politische Willensbildung • breite Interessen- und Akteurskoalition, die in der Lage ist, als Überzeu­ gungsgemeinschaft das Konzept Nachhaltigkeit als dominierende politi­ sche Leitidee zu institutionalisieren

• inhaltliche Rückendeckung durch Politik und Verwaltungsspitzen • Einbeziehung aller wichtigen Akteure, Öffentlichkeit • Informationsgrundlagen zu Konzepten der Nachhaltigkeit und der spezifi­ schen regionalen Situation müssen geschaffen werden

• regionalen Akteuren langfristige Vorteile gegenüber kurzfristigen Interes­ sen klarmachen, ständige Umweltberichterstattung/Umweltinformation 2.

Strukturelle und ideelle Verankerung von Nachhaltigkeit in politischen Pro­ zessen • Verbesserung der Regeln und Verfahren politischer Entscheidung • Aus- und Weiterbildung des Personals • Selbstverpflichtung durch Institutionalisierung von Leitbildern

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3.

Instrumentenmix aus Selbststeuerung, Kontextsteuerung und Detailsteue­ rung

• Information und Überzeugung • Kooperation mit allen betroffenen und relevanten Akteuren (Einbezie­ hung, Hemmnisse abbauen, Wissen nutzen) • Transparenz und Öffentlichkeit kommunalpolitischer Entscheidungs- und Planungsprozesse (politische Kontrolle durch Öffentlichkeit, Umweltgrup­ pen und Medien)

• Vorbildfunktion der Kommunen (z.B. Beschaffungswesen) • Verhandlungspotentiale bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nutzen

• ökonomische Anreize setzen (Subventionen und Abgaben; Bonus und Malus)

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Workshop „Nachhaltige Regionalentwicklung in der Region Leipzig” Tomas Brückmann, Umweltbund ÖKOLÖWE Leipzig

Umweltverbände kümmern sich um wirtschaftliche Entwicklung Der ÖKOLÖWE, Umweltbund Leipzig, versteht sich als eine der Regionalge­ schäftsstellen der GRÜNEN LIGA und gehört strukturell zur GRÜNEN LIGA Sachsen. Er ist ein unabhängiger Verein mit über 200 Mitgliedern und stellt einen Zusammenschluß von Umweltbewegten der verschiedenen Vereinigungen in der Stadt Leipzig dar, die sich schon vor der Wende für die Umwelt engagierten.

Als aktuelle Arbeitschwerpunkte gelten beim ÖKOLÖWEN nachhaltige Regional­ entwicklung, Stadtentwicklung, innerstädtischer Verkehr, Naturschutz, die Um­ weltbibliothek, der Stadtgarten, Jugendarbeit, der Tauschring und derzeit die Vor­ bereitung der FAO-Konferenz zum Schutz pflanzengenetischer Ressourcen. Die Historie des Workshops Der ÖKOLÖWE organisierte 1993/1994 einen Workshop zur „Nachhaltigen Ent­ wicklung in der Region Leipzig”. Diese Veranstaltung fand zu einem Zeitpunkt statt, als in anderen Regionen der Bundesrepublik über nachhaltige Entwicklung noch stark theoretisiert wurde. Der Workshop war so konzipiert, daß mit einer rela­ tiv großen, heterogen zusammengesetzten Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, Mitgliedern von Behörden, Parteien, Vereinen und Forschungseinrichtungen konti­ nuierlich über einen Zeitraum von einem halben Jahr an diesem Katalog gearbeitet werden konnte. Ziel der Arbeit war es, einen Katalog von Empfehlungen für eine nachhaltige Re­ gionalentwicklung zu erarbeiten, der zum Abschluß an die Regionalen Planungs­ verbände und -stellen weitergeleitet werden konnte. Leipzig - heute und gestern

Die Region kann sich derzeit sehr glücklich schätzen, daß die Stadt Leipzig und deren Umgebung sich gut entwickeln. Der Messe wurde ein neues Image und ein neues Zuhause mit anspruchsvoller Architektur gegeben. Ob sich die Milliardenin­ vestition und der Griff nach der grünen Wiese lohnen werden, wird sich zeigen.

Eine Metropole kann unserer Meinung nach nur leben, wenn ihr Umfeld Strukturen aufweist, die Ver- und Entsorgungsfunktionen in ausreichendem Maße wahrneh­ men können. Hier sehen wir ein interessantes Entwicklungspotential. So existiert

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der deindustrialisierte Südraum von Leipzig ohne erkennbare Zukunftsperspektive, und im ländlichen Stadtumland stehen zu wenig Arbeitsplätze zur Verfügung. Viele Menschen müssen täglich über viele Kilometer zu ihrem Arbeitsplatz pen­ deln und erzeugen große Verkehrsprobleme. Außerdem dominieren im Speckgürtel um die Stadt große Einkaufszentren, die vorwiegend Produkte aus fernen Regionen anbieten. Hier sehe ich unseren Ansatzpunkt. Wir vertreten die Meinung, daß eine Region nur unter Beachtung und Nutzung ihrer internen Potentiale zukunftsfähig überle­ ben kann. Dieser Ansatz nachhaltiger Regionalentwicklung setzt Schwerpunkte in der regionalen Produktion, Verarbeitung, Veredelung und Vermarktung von Lebensmitteln zur Versorgung des Zentrums und Wiederbelebung des ländlichen Raumes. Ebenso sind Baustoffe, Energien und auch Dienstleistungen vorrangig aus der Region zu nutzen und schaffen im Umland von Großstädten Arbeitsplätze. Der Workshop sollte dazu dienen, dieses Anliegen transparenter zu gestalten, es in einen gesellschaftlichen Diskussionsprozeß zu bringen und weitere Unterstützung für das Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung der Region Leipzig zu finden.

Problemanalyse Zentrale Fragen waren der Verbrauch von Energie und Ressourcen, die allgemeine Belastung der Umwelt, die Suburbanisierung und die Zunahme des Verkehrs, die Migration, die schwindende biologische Vielfalt und die Fragmentierung der Land­ schaft, aber auch die „Fremdbestimmung” der regionalen Wirtschaft und die Unsi­ cherheit der Einkommensverhältnisse.

In den Arbeitskreisen wurden Kriterien für eine regionale Nachhaltigkeit erarbeitet, die zu diesem Zeitpunkt noch sehr allgemein bleiben mußten. Beispielsweise: möglichst geschlossene regionale Stoffströme, regionale Entsorgung, der Erhalt der biologischen Artenvielfalt als Kriterien für nachhaltige Landwirtschaft oder die Versorgung mit Energie auf der Grundlage regional verfügbarer, regenerativer Energiequellen. Zielformulierung In den Facharbeitskreisen formulierte man Ziele, die eine nachhaltige Entwicklung in der Region ermöglichen sollten. Es konnten 219 Vorschläge zusammengestellt und den Teilnehmern der Workshops zur Bewertung vorgelegt werden.

Großer Zustimmung erfreuten sich Vorschläge, die positive Wirkungen für die eigene Lebensqualität vermuten ließen. So z.B., daß es eine große Vielfalt an Un­ ternehmensformen in der Region geben sollte, daß die Ver- und Entsorgung (vor allem mit Grundbedarfsgütern) in der Region zu koppeln ist, die Energie in Kreis­

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läufen statt Durchläufen zu nutzen ist, oder daß die ökologisch belastende Infra­ struktur zurückgebaut werden soll.

In geringerem Maße konsensfähig waren Vorschläge, die vollkommen neu oder unbekannt waren (Einführung von Energiekreditkarten, ...), offensichtlich an sozia­ listische Traditionen erinnerten (Entkopplung von Arbeit und Einkommen) oder nach Ansicht der Mehrheit nicht im Sinne der Nachhaltigkeit waren (randstädtische Großwohngebiete als Wohnungsangebot, grüne Welle für den Autoverkehr oder die Förderung von Golf als landschaftsentwickelnder Sportart). Echten Konfliktstoff bargen schon länger diskutierte und deshalb auch in ihren möglichen Auswirkungen bekanntere Ziele. So die Vorschläge der Verbilligung von Arbeit und der Verteuerung von Energie, Stärkung der zentralen Orte, eine fixierte Ausbreitungsgrenze für die Stadt Leipzig oder drastische Erhöhung der Transportkosten.

Konflikte Zur Frage „Stärkung zentraler Orte - ja oder nein” gab es reichlich Konfliktstoff, zumal auch Vertreter von Leipzigs „kleinen” Nachbarkommunen mitarbeiteten.

Einen weiteren Streitpunkt stellte die Frage nach regionalisierter Wirtschaftsstruk­ tur oder Exportorientierung der Region dar. Bei einer Regionalisierung ist z.B. zu erwarten, daß kleinräumige dezentrale Strukturen besser steuerbar und überlebens­ fähiger werden. Die Senkung des Transportaufwandes verspricht spürbare Um­ weltentlastungen. Außerdem ist eine stärkere Identifizierung mit der Region mög­ lich. Andererseits sind Standortvorteile, Nachteile bei einem breiten Angebotsspektrum und beim Abkoppeln von den überregionalen Marktmechanismen denkbar.

Es ergab sich, daß sich bei bestimmten Produkten eine starke Regionalisierung an­ bietet, andere besser zentral hergestellt werden. Dazwischen existiert aber eine große Grauzone. Das Regionalisierungspotential sollte daher branchenspezifisch geprüft werden.

Ergebnis des Workshops Es soll an jenen Fragen weitergearbeitet werden, die die Grundbedürfnisse der Menschen vor Ort betreffen. Die Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze ist ebenso wichtig wie die Gewährleistung einer überlebensfähigen, naturverträglichen Land­ wirtschaft im Stadtumland. Der Maßnahmenkomplex „Entwicklung von Elementen einer dezentralen Wirt­ schaftsstruktur” und „Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze” soll hier als Beispiel

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herausgegriffen werden. Als wirksam im Sinne nachhaltiger Entwicklung der Region wurden Vorschläge zur Entwicklung regionaler Arbeitsmarktstrategien, zum Aufbau regionaler Kapitalfonds oder zur Unterstützung der Vermarktung re­ gionaler Produkte eingeschätzt. Die Empfehlungen zeugen insgesamt von dem Wunsch nach einer Stärkung der regionalen Eigenheiten, der regionalen Identität und einer kleinräumigen Struktur von Wirtschaftskreisläufen.

Die entscheidenden Hemmnisse für eine Eigenständigkeit und Nachhaltigkeit der regionalen Entwicklung scheinen folgende: •

Die Einbettung der regionalen Wirtschaft in die überregionalen Finanzkreis­ läufe. Daraus resultierten Vorschläge zu regionalen Entwicklungsfonds.



Das herrschende Geldsystem mit seinem Zwang zum Wachstum negiert die Endlichkeit der Natur als Basis des Wirtschaftens. Daher auch der Vor­ schlag zur „Währungsreform”, zur Kopplung des Geldes an eine endliche Ressource, zur Einführung von CO2-Krediten, zur Etablierung von Ressour­ cen- und Emissionskonten als Basis des Geldwertes.



Dem Konzept des regionalen Wirtschaftens stehen die Ideen vom freien europäischen und freien Welthandel gegenüber. Diese beiden Ideen werden vom vorherrschenden System verfolgt und intensiv gefördert.



Ein Regionalbewußtsein als Grundlage regionalen Wirtschaftens ist noch viel zu wenig ausgeprägt. Die Identifizierung als Bundesbürger oder freier Europäer überwiegt. Ebenso ist gerade in der heutigen Zeit, die von einer angespannten Arbeitsmarktsituation geprägt ist, ein deutliches Absinken des Umweltbewußtseins zu erkennen.

Fazit Nachhaltige Entwicklung ist nicht realisierbar ohne den Prozeß des Wertewandels. Wer einmal für Bananen auf die Straße gegangen ist und nun wieder zum einhei­ mischen Gemüse zurückkehren soll, muß dafür eine bewußte Entscheidung treffen. Nachhaltige Entwicklung ist ein Prozeß der öffentlichen Diskussion und der Her­ stellung von Akzeptanz. Nachhaltige Entwicklung ist nicht eine exklusive Angelegenheit von Politikern oder Wissenschaftlern, sondern baut auf das Expertentum der Einwohner, ihr Wis­ sen und ihre Bedürfnisse.

Umsetzung der Ergebnisse Der gewerkschaftsnahe, auf Wirtschaftsberatung spezialisierte Leipziger Verein, BASIS e.V., wurde vom Regierungspräsidium beauftragt, Ergebnisse des Nachhal-

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tigkeitsworkhops umzusetzen. Das Hauptziel seiner Arbeit sollte die ’Förderung von Kooperationen mit der regionalen Wirtschaft sein, um Projekte mit Nachhal­ tigkeitscharakter anzustoßen. Fehlende Fördermittel, ablehnende Haltung eines Landrates und vereinsinterne Probleme behinderten die Arbeit. So beschränkten sich die Aktivitäten letztendlich auf ein landwirtschaftliches Projekt, das mehr als 50 km von Leipzig entfernt liegt.

Erneutes Engagement des ÖKOLÖWEN ließen im Herbst 1995 neue Kontakte zum Regierungspräsidenten aufleben. Es konnte eine Förderung von Aktivitäten zur nachhaltigen Regionalentwicklung erreicht werden. So entstand die Idee, Gedanken und Projekte der regionalen Nachhaltigkeit in das Regionalforum Leip­ zig-West einzugliedern und somit zu institutionalisieren. Ein Vorstoß in den Lenkungsausschuß des Regionalforums stieß auf Wiederhall. Vertreter des ÖKOLÖWEN werden in Kürze in den Arbeitsgruppen Finanzen, Umwelt, Energie sowie Landwirtschaft die Ideen und Ergebnisse des Workshops in das Regional­ forum einbringen. Sollte es gelingen, Ergebnisse der Workshops „Nachhaltige Regionalentwicklung” zielorientiert in das Regionalforum Westsachsen einzubrin­ gen, so könnte in Kürze mit einer praktischen Umsetzung von Projekten zu rech­ nen sein. Die Konzepte mit regional nachhaltiger Orientierung sind Bausteine für die Wirtschaftsförderung der Region.

An dieser Stelle sollen aber noch drei Projekte erwähnt werden, die durch direkte Anregung des Workshops „Nachhaltige Regionalentwicklung in der Region” ent­ standen sind. Tauschring

Knapp 70 Mitglieder tauschen bereits hier ihre Waren und Dienstleistungen. Die Angebotspalette ist breit, die lokale Währung ist der „Batzen”. Vom Urlaub auf dem Bauernhof über Sprachunterricht bis zu selbstgemachten Marmeladen und Hausmacher Leberwurst reicht das Angebot. Auch homöopathische Behandlung, Yogaunterricht und Shiatsu-Therapie sind in Leipzig für Batzen zu haben. U m weltqualitätsziele

Schon während des Workshops arbeiteten Mitarbeiter des ÖKOLÖWEN an Um­ weltqualitätszielen für Leipzig. Dieses freiwillige, innovative Planungsinstrument soll einmal Grundlage für umweltrelevante, kommunale Planungen und Entschei­ dungen in Leipzig sein. Die Umweltqualitätsziele werden als Anregungen, Meß­ latte und Prüfinstrument verstanden. Sie sollen in kürze verbindlichen Charakter durch den Beschluß der Stadtverordnetenversammlung erhalten. Die Federführung seitens der Stadtverwaltung hat dabei das Amt für Umweltschutz übernommen, das besondere Unterstützung vom Grünflächenamt und vom Referat Energie erhält.

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V ermarktungsstudie

Ein wichtiger Punkt ist die Förderung einer regionalen Produktion und Vermark­ tung landwirtschaftlicher Produkte. Von Seiten des ÖKOLÖWEN erkannte man den Bedarf an einer Untersuchung zur aktuellen regionalen Situation. Mit finanzi­ eller Unterstützung des sächsischen Landwirtschaftsministeriums wurde eine Stu­ die erstellt, die Auskunft über die gegenwärtige Situation der Produktion, Ver­ marktung und Veredelung von Agrarerzeugnissen in der Region Leipzig gibt. Zur Zeit wird an Projekten zur praktischen Umsetzung gearbeitet.

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Das Bauhaus und die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) * Martin Krampen, Ulm

12.1 Einleitung

Das Problem dieser Untersuchung war $s, Geschichte und Prinzipien zweier Insti­ tutionen zu vergleichen, die für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands (und darüber hinaus für alle westlichen Industrienationen) eine wich­ tige Rolle gespielt haben, die aber dennoch an ihrem Fortbestehen gehindert wur­ den. Welche gemeinsamen Gründe, welche Parallelen lassen sich in der kurzen Zeit des Bestehens dieser beiden Institutionen feststellen? 12.2 Das Bauhaus

12.2.1.1 Manifest und Programm des Bauhauses

Vom Staatlichen Bauhaus in Weimar wurde im April 1919 ein vierseitiges Flug­ blatt herausgegeben, das auf der Titelseite den Holzschnitt „Kathedrale” von Lyo­ nei Feininger trug und das von Gropius verfaßte Manifest und Programm des Bau­ hauses enthielt. Das Manifest lautet:

„Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Baukunst. Heute stehen sie in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie erst wieder erlöst werden können durch bewußtes Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute untereinander. Architekten, Maler und Bildhauer müssen die vielgliedrige Gestalt des Baues in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen wieder kennen und begreifen lernen, dann werden sich von selbst ihre Werke wieder mit architek­ tonischem Geist füllen, den sie in der Salonkunst verloren. Die alten Kunstschulen vermochten diese Einheit nicht zu erzeugen, wie sollten sie auch, da Kunst nicht lehrbar ist. Sie müssen wieder in der Werkstatt aufgehen. Diese nur zeichnende und malende Welt der Musterzeichner und Kunstgewerbler muß endlich wieder eine bauende werden. Wenn der junge Mensch, der Liebe zur bildnerischen Tätigkeit in sich verspürt, wieder wie einst seine Bahn damit beginnt, ein Handwerk zu erlernen, so bleibt der unproduktive „Künstler” künftig nicht mehr zu unvollkommener Kunstübung verdammt, denn seine Fertigkeit bleibt nun * Dieser Beitrag ist die wesentlich gekürzte Fassung eines Manuskripts init demselben Titel, das auf Anfrage beim unw angefordert werden kann. Wir danken Herrn Prof. Krampen, daß er diese Kurzfas­ sung genehmigt hat, obgleich dadurch viele, bisher unbekannte Details nicht berücksichtigt sind. Dies betrifft allerdings nur den ersten Teil über das Bauhaus.

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dem Handwerk erhalten, wo er Vortreffliches zu leisten vermag. Architekten, Bild­ hauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine „Kunst von Beruf’. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. Gnade des Him­ mels läßt in seltenen Lichtmomenten, die jenseits seines Wollens stehen, unbewußt Kunst aus dem Werk seiner Hände erblühen, die Grundlage des Werkmäßigen aber ist unerläßlich für jeden Künstler. Dort ist der Urquell des schöpferischen Gestal­ tens.

Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende An­ maßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errich­ ten wollte! Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zu­ kunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristalle­ nes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.” In dem auf das Manifest folgenden Programm des Bauhauses schreibt Gropius zu den Grundsätzen des Bauhauses:

„Die Schule ist Dienerin der Werkstatt, sie wird eines Tages in ihr aufgehen. Des­ halb nicht Lehrer und Schüler im Bauhaus, sondern Meister, Gesellen und Lehrlin­ ge.” Zum Umfang der Lehre heißt es: „Die Lehre im Bauhaus umfaßt alle praktischen und wissenschaftlichen Gebiete des bildnerischen Schaffens. A. Baukunst, B. Malerei, C. Bildhauerei einschließ­ lich aller handwerklichen Zweiggebiete.”

12.2.1.2 Zusammenfassung der Weimarer Periode des Bauhauses

Der Beginn des Bauhauses war durch die Berufung namhafter Künstler aus der ex­ pressionistischen Bewegung geprägt. Über die Frage der Annahme von Aufträgen an das Bauhaus kam es zu einem Konflikt zwischen Gropius und Itten, der mit dem Ausscheiden Ittens endete. Nachfolger wurden Moholy-Nagy und Albers. Van Doesburg befördert durch seine freien Malkurse eine Lösung von der Vorherr­ schaft des Expressionismus. Mit einer Hinwendung zur Industrie sollten Kunst und Technik nunmehr als eine Einheit aufgefaßt werden. Aber das Bauhaus gerät zwi­ schen die politischen Fronten und wird aufgelöst.

12.2.1.3 Die Ära Gropius in Dessau

Das staatliche Bauhaus in Weimar war durch seine Arbeiten inzwischen so bekannt geworden, daß mehrere Städte, u.a. Frankfurt a. M„ Mannheim und München, An­

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geböte zu seiner Übernahme machten. Der erfolgreichste Bewerber um die Über­ nahme war Oberbürgermeister Fritz Hesse aus Dessau. 1925 fand eine Besichti­ gung des Weimarer Bauhauses durch die Handwerkerinnung von Dessau statt. Am 24.3.1925 beschloß der Dessauer Gemeinderat die Übernahme des Bauhauses. 1926 erfolgte die Anerkennung des Bauhauses als „Hochschule für Gestaltung”, deren Trägerin die Stadt Dessau war, die aber unter staatlicher Aufsicht stand. Mit der Anerkennung als Hochschule wurde das Bauhaus den Technischen Hochschu­ len gleichgestellt. Damit fiel den ehemaligen Formmeistern der Professorentitel zu. Fortan waren die Bauhausschüler Studenten und nicht mehr Gesellen.

12.2.1.4 Die Ära Meyer in Dessau

1927 wurde schließlich doch eine Architekturabteilung ins Leben gerufen. Gropius schlug selbst für ihre Leitung den Schweizer Architekten Hannes Meyer vor. 1919 hatte dieser eine genossenschaftliche Siedlung in Freidorf bei Basel entworfen. Sein Denken und Handeln war stark durch die Genossenschaftsbewegung geprägt. Wie das Dessauer Bauhaus damals auf seine Mitglieder wirken konnte, geht aus ei­ nem Brief des Studenten Max Bill hervor, der in der Zeitschrift „Bauhaus” 1928 veröffentlicht wurde. In dem Brief heißt es: „Bevor ich an das Bauhaus kam, habe ich in Zürich an der Kunstgewerbeschule ge­ arbeitet, war aber unbefriedigt. Am Bauhaus wollte ich zunächst Architektur stu­ dieren, denn Corbusier hatte mir den Kopf verdreht. Mein Eindruck vom Bauhaus war nicht der, den ich erwartet hatte, ich war etwas enttäuscht, aber nach und nach fand ich doch, was mich eigentlich hingezogen hatte: Klarheit. ...

Das Bauhaus zu verlassen hat keinen Wert, solange es draußen so aussieht, wie es eben heute ist. Ich fasse-das Bauhaus größer, als es in Wirklichkeit ist: Picasso, Jacobi, Chaplin, Eiffel, Freud, Strawinski, Edison, usw. gehören eigentlich auch zum Bauhaus.

Bauhaus ist eine geistige, fortschrittliche Richtung, eine Gesinnung, die man Reli­ gion nennen könnte.”

Unter H. Meyer traten wichtige Veränderungen im Dessauer Bauhaus ein (die in der an Gropius orientierten Berichterstattung nicht genug gewürdigt werden). Während der Ära Gropius in Dessau war die Entwurfstätigkeit eher von funktiona­ len und ästhetischen Prinzipien geleitet gewesen. Unter Meyer traten dagegen soziale Argumente in den Vordergrund. Dem Entwurf sollte eine Bedarfsermitt­ lung vorangehen. Die Gebiete auf die es in der Architektur ankam waren für ihn: Geschlechtsleben, Schlafgewohnheit, Kleintierhaltung, Gartenkultur, Körperpfle­ ge, Wetterschutz, Wohnhygiene, Autowartung, Kochbetrieb, Erwärmung, Beson­ nung, Bedienung.

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„bauen ist nur eine Organisation: soziale, technische, ökonomische, psychische Organisation” schrieb Meyer 1928 in der Zeitschrift „Bauhaus”. Wingler (1975) ta­ delt seine Thesen als „skurrile Überspitzung”, „Leugnung des Ästhetischen” und „Reduktion auf das Praktisch-Funktionelle”.

12.2.1.5 Die Ära Mies van der Rohe und das Ende des Dessauer Bauhauses Die Wirtschaftskrise von 1929 zwang zu besonderen Sparmaßnahmen. Mies van der Rohe gelang es, die Kosten noch unter den Stand von 1926 zu senken. Dies wurde unter anderem durch Verlagerung der Aktivitäten von der Produktion auf den Unterricht erreicht. In seiner Lehre vertrat er eine Architektur als reine Form, als ästhetisches Objekt.

Über die Stimmung am Bauhaus berichtet ein Student (Wingler 1975):

„... Als wir einige Tage hier waren, sollte eine neue Studentenvertretung gewählt werden. Wir merkten nun, daß am Bauhaus zwei Parteien sind, die sich gegenseitig wie Hund und Katze bekämpfen. Auf der einen Seite die Kommunisten und Links­ gerichteten, auf der anderen Seite die Rechtsgerichteten, wo vom ‘Jugendbeweg­ ten’ bis zum Nazi alles vertreten ist. ...Das Bauhaus in Dessau ist heute eine Schule, in der Cliquenwirtschaft ist wie kaum anderswo. Von ‘freier’ Arbeitsge­ meinschaft schaffender Menschen ist absolut nichts mehr zu merken. Um acht Uhr geht man aus dem Haus, um siebzehn Uhr, nach Erledigung des Stundenplanes, wieder heim. Man kann natürlich in den einzelnen Fächern viel lernen, und teils gute Sachen. Viele sagen, daß das Bauhaus, seit es mehr wie ein Technikum ist, viel besser sei als früher. Mies ist ein fabelhafter Architekt, aber als Mensch und namentlich als Direktor ist er sehr reaktionär. Wir, der Vorkurs, sind nun drei Monate hier und haben ihn noch nie zu Gesicht bekommen, geschweige, daß er je ein Wort mit uns gesprochen hätte. Das fünfte und sechste Semester arbeitet nur bei ihm. Als Neulinge mußten wir ein Fest ‘machen’. Mies stiftete wohl zwanzig Mark, ließ sich aber nicht blicken. Es wurde getanzt und gesoffen, sonst nichts. Es ist einfach kein Leben mehr in der ganzen Bude.” 12.2.1.6 Zusammenfassung der Dessauer Periode des Bauhauses Die Tendenzen, die von den verschiedenen Direktoren des Bauhauses in Dessau vertreten wurden, lassen sich stichwortartig folgendermaßen zusammenfassen: Gropius vertrat eine Synthese von Kunst und Technik, die in der Form ihre Mani­ festation finden sollte. Politisch versuchte er einen neutralen Kurs. Meyer betonte die sozialen, funktionalen und psychologischen Werte, denen der Entwurf zu die­ nen hatte. Politisch engagierte er sich bei der Linken. Mies van der Rohe betrach­ tete die Architektur als reine Form, als ästhetische Angelegenheit. Das Bauhaus

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wurde zur Architekturakademie. Politisch versuchte er durch einen konservativen Kurs, das Bauhaus zu retten.

12.2.2 Das Bauhaus in Berlin - endgültige Schließung

Es wurden noch mehrere Rettungsversuche unternommen, um das Bauhaus in Des­ sau zu erhalten. So richteten rechtsgerichtete Bauhausstudenten ein vergebliches Schreiben an den Reichspräsidenten von Hindenburg. Landeskonservator Grote, der bei der Entlassung Meyers eine Rolle gespielt hatte, versuchte durch Einfluß­ nahme bei Größen der NSDAP das Blatt zu wenden. Als alle Versuche gescheitert waren, gab es noch Angebote von Magdeburg und Leipzig, das Bauhaus fortzuset­ zen. Aber Mies van der Rohe wollte das Bauhaus in Berlin auf privater Grundlage und nur als Architekturschule weiterführen. Mit ihm nach Berlin gingen Albers, Engemann, Hilbersheimer, Kandinsky, Peterhans, Lilly Reich, Rudelt und Scheper. Er mietete in Berlin Steglitz eine leerstehende Telefonfabrik. Für die NS-Presse blieb das Bauhaus in Berlin, was es schon in Dessau gewesen war - eine „Brut­ stätte des Bolschewismus”. Inzwischen sollte in Dessau dem Oberbürgermeister Hesse, der seit der Übersiedlung des Bauhauses von Dessau immer zum Bauhaus gehalten hatte, der Prozess gemacht werden. Dazu brauchten die Nazi-Richter den Nachweis, daß das Bauhaus ein „bolschewistisches Institut” war. Unter dem Vor­ wand, daß Material für diese Anklage mit den Akten von Dessau nach Berlin über­ führt worden sei, fand am 11.4.1933 eine Durchsuchung des Gebäudes durch die Gestapo statt und das Gebäude wurde von der Polizei versiegelt. Wieder versuch­ ten rechtsgerichtete Bauhäusler durch ein Schreiben an den Reichsminister Goeb­ bels vergebens das Bauhaus zu retten. Die Gestapo stellte Bedingungen, nach de­ nen Hilbersheimer und Kandinsky entlassen werden mußten, wenn das Bauhaus weiterbestehen sollte. Inzwischen hatte aber nach der „Machtübernahme” Hitlers die Stadt Dessau ihre vertraglichen Gehaltsfortzahlungen eingestellt, und der Be­ trieb des Bauhauses war nur noch aus Lizenzeinnahmen möglich. Am 19. Juli 1933 löste Mies van der Rohe im Beisein von Albers, Hilbersheimer, Kandinsky, Peter­ hans, Lilly Reich und Walther das Bauhaus auf und teilte diesen Beschluß der Ge­ heimen Staatspolizei und den zuständigen Verwaltungs- und Aufsichtsbehörden in Berlin mit.

12.3 Die Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm

12.3.1 Periodisierung der Entwicklung der HfG Für eine übersichtliche Zusammenfassung der Entwicklung der HfG hat der Mitbe­ gründer der HfG, Oti Aicher (1975), neun Stufen vorgeschlagen:

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1. Die Konzeptphase (1947)

2. Planung und Beginn mit Max Bill als Rektor (bis 1956) 3. Lehrplan (zur Hälfte Theorie, zur Hälfte Entwurf. Dieser Umfang wurde nie erreicht), Ausscheiden Max Bills (bis 1958)

4. Technologisches Design (bis 1960)

5. Kybernetisches Design und Positivismus (bis 1962) 6. Bestimmung des Design durch soziale Werte (bis 1964) 7. Inhaltliche Akzentsetzung (bis 1966)

8. Design komplexer Programme (bis zur Schließung 1968) 9. Das „Institut für Umweltplanung” (1969-1972)

Aichers 9 Stufen lassen sich in 3 Blöcke zusammenfassen: 1. Block (Aichers Stufen 1 und 2): Konzept, Planung und Beginn mit Max Bill als Rektor (1953-1956).

2. Block (Aichers Stufen 3 bis 5): Verwissenschaftlichung des Design und Leitung durch ein Rektoratskollegium (1957-1962). 3. Block (Aichers Stufen 6 bis 8): Inhaltliche Bestimmung durch soziale Werte, Leitung durch Rektor und Prorektor und Schließung (1963-1968).

Der Verfasser hat anhand einer Analyse der wissenschaftlichen Fächer, die an der HfG unterrichtet wurden, statistisch nachgewiesen, daß im 2. Block ein quantitati­ ver Anstieg der wissenschaftlich-technischen Fächer, im 3. Block eine Abnahme der letzteren, dafür aber eine Zunahme der sozialwissenschaftlichen Fächer an der HfG zu verzeichnen ist (Krampen 1984, 1985).

12.3.2 Planung und Beginn mit Max Bill als Rektor (1953-1956)

1949 knüpfte Inge Scholl als Leiterin der Ulmer Volkshochschule Kontakte zur Er­ richtung einer Hochschule, die den Namen ihrer von den Nazis hingerichteten Ge­ schwister Hans und Sophie Schöll tragen sollte. Zunächst wurde an eine Poli­ tikhochschule gedacht. Ihr späterer Mann, der Grafiker Oti Aicher, der durch die Plakate der Ulmer Volkshochschule bekannt geworden war, gehörte mit Inge Scholl zu den Initiatoren. Er schlug damals das Gelände am Fort Oberer Kuhberg in Ulm als Bauplatz vor, das den Nazis als Konzentrationslager gedient hatte. 1950 sagte John McCloy, der amerikanische Hohe Kommissar für die Bundesrepu­ blik Deutschland, Inge Scholl eine Summe von einer Million DM für die Errich­ tung der Geschwister-Scholl-Hochschule zu, wenn es ihr gelingen würde, ein Äquivalent dieser Summe aus deutschen Mitteln zu beschaffen. Damals wurde der

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Initiatorenkreis mit Hans Werner Richter, Max Bill und Hans Jürgen Söhring er­ weitert. Inge Scholl und Max Bill verfaßten ein erstes Arbeitsprogramm, in dem sich eine Wende vom Konzept der Politikhochschule zu einer Hochschule für Ge­ staltung abzeichnet. In dieser Wende zeigt sich der Einfluß des Dessauer Bauhaus­ studenten Max Bill. In den Jahren 1951-1952 ist Inge Aicher mit der Sammlung von Mitteln für die neue Hochschule beschäftigt. Durch politische Intrigen wird die Übergabe des Schecks von McCloy zunächst verhindert: Die Familie Scholl insgesamt war kom­ munistischer Umtriebe bezichtigt worden. In einem Gespräch von Vertretern der Initiative für die Geschwister Scholl Hochschule mit McCloy und Vertretern des amerikanischen High Commando Germany wird dieser Verdacht entkräftet. 1953 findet der erste Unterricht der Hochschule für Gestaltung in den Räumen der Ulmer Volkshochschule am Marktplatz gegenüber dem Rathaus der Stadt Ulm statt. Den ersten Teil des Kurses im Rahmen der Grundlehre unterrichtete der ehe­ malige Bauhauslehrer Walter Peterhans, der 1938 an das Illinois Institute of Tech­ nology in Chicago gegangen war. Dann folgte ein Kurs von Josef Albers, der nach Schließung des Berliner Bauhauses an das Black Mountain College und von dort nach Yale gegangen war. Gleichzeitig unterrichtet Helene Nonne-Schmidt, Klee­ schülerin und Frau des inzwischen verstorbenen Joost Schmidt Klees Farbenlehre und Zeichnen. Als einer der ersten festen Dozenten der HfG erteilt Walter Zeischegg Unterricht im technischen Zeichnen. Max Bill hielt keinen Unterricht, visi­ tierte aber von Zeit zu Zeit den Unterricht des Grundkurses im Gebäude der Volks­ hochschule.

1954 gab sich die HfG eine Rektoratsverfassung und Max Bill wurde Rektor.

Von 1954 datieren auch die ersten Ausbauentwürfe für das inzwischen errichtete Gebäude der HfG auf dem Oberen Kuhberg. Es entstanden eine Türklinke von Max Bill, ein Hocker aus der Holzwerkstätte und erste Arbeiten für die Firma Braun. Am 2. Oktober 1955 wurde das neue Gebäude der HfG mit einer Rede von Walter Gropius eröffnet. 1956 entstand der Pavillon der Stadt Ulm, aus vorgefertigten Holzelementen für die Landesgewerbeausstellung in Stuttgart zusammengesetzt. In der Architekturabteilung unterrichtet der Architekt Konrad Wachsmann vom Illi­ nois Institute of Design, Nachfolgeschule des „New Bauhaus”. 1957 gibt sich die HfG eine neue Verfassung. Sie soll nicht mehr, wie bisher, von einem Rektor autokratisch geleitet werden, sondern von einem gewählten, wech­ selnd mit drei Mitgliedern besetzten Rektoratskollegium. Max Bill verläßt die HfG.

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... Praxis

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bauhaus

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Ein Bürgergespäch ...

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12.3.3 Verwissenschaftlichung des Design (1957-1962) Nach dem Ausscheiden Bills wurde bis 1958 an einem Lehrplan gearbeitet, der die Verwissenschaftlichung der Gestaltung vorantreiben sollte. Durch Neuberufungen von reinen Wissenschaftlern ohne Designpraxis entwickelt sich die Designauffas­ sung bis 1960 in eine technologische, später (bis 1962) in eine kybernetische Rich­ tung. In den Jahren 1957 bis 1962 läßt sich ein besonderer Einfluß des Systemtheo­ retikers Horst Rittel und des Soziologen Gerd Kalow feststellen, die mehrfach Mit­ glieder des Rektoratskollegiums waren. In dieser Zeit wurde eine studentische Mit­ bestimmung etabliert. Die Arbeit in den Abteilungen Bauen (unter Leitung des Ar­ chitekten Herbert Ohl), Produktgestaltung (unter Leitung des Architekten Hans Gugelot und Bildhauers und Designers Walter Zeischegg), Visuelle Kommunikati­ on (dieser Ausdruck stammte aus dem Institut of Design, wo er von Chermayeff eingeführt worden war. Die Abteilung wurde von Oti Aicher und dem de Stijl-Maler Vordemberge Gildewart geleitet), Filmgestaltung (unter Leitung des Schriftstel­ lers und Filmemachers Alexander Kluge), und Information (unter Leitung von Max Bense), wurde von der Wissenschaftsdebatte an der HfG aber kaum betroffen. Am ehesten war ihr Einfluß in der Abteilung Information zu erkennen, in der auch Kalow unterrichtete.

12.3.4 Sozialwissenschaftliche Einflüsse (1963-1968) Die Phase von 1962 bis zur Schließung der HfG ist gekennzeichnet durch den Wechsel zu einer Rektoratsverfassung, in der dem Rektor als Stellvertreter ein Pro­ rektor zur Seite steht. Erster Rektor war Oti Aicher, Prorektor Tomas Maldonado. Maldonado war noch von Bill aus Argentinien nach Ulm geholt worden. Er hatte ein Buch über Max Bill geschrieben und war zunächst mit der Rolle, die Max Bill als Rektor spielte, einverstanden. Als linker Intellektueller konnte er aber auf die Dauer dieses Einverständnis nicht aufrecht erhalten. Während Bill einen Funktio­ nalismus in Kombination mit Formalismus vertrat, war Maldonados Denken eher durch die Sozialwissenschaften geprägt. Maldonado interessierte sich für eine Semiotik, die er durch die Sprachwissenschaftler Ferdinand De Saussure und Eric Buyssens rezipiert hatte. Die „offizielle” Semiotik der HfG wurde dagegen durch den Philosophen Max Bense vertreten: Es war die angelsächsische Semiotik, zunächst von Charles Morris (der auch schon am Institute of Design in Chicago ge­ lehrt hatte) und später von Charles Sanders Peirce, den die Mitarbeiterin Benses, Elisabeth Walter, in Auszügen übersetzt hatte. Aus einer philosophischen Systema­ tisierung von Peirce entstand die Semiotik der „Stuttgarter Schule”, die einen dog­ matischen Absolutheitsanspruch erhob und gegen die sozialwissenschaftlichen An­ sätze in der Semiotik polemisierte.

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Von den Absolventen der HfG blieben einige an der Schule und wurden, analog zu den „Jungmeistern” des Bauhauses, Assistenten oder Dozenten in den Abteilungen oder zu ständigen Mitarbeitern in den Entwicklungsgruppen. Zu ihnen gehörten Gui Bonsiepe, Herbert Lindinger, Bernd Meurer, Hans Roericht, Gunter Schmitz und Claude Schnaidt. Der Verfasser wurde zum Wintersemester 1967/68 als Do­ zent für Sozialpsychologie und Kommunikationswissenschaft berufen, erhielt aller­ dings schon März 1968 eine vorsorgliche Kündigung. 12.3.5 Finanzkrisen und Schließung der HfG

12.3.5.1 Desintegration Der Untergang der HfG vollzog sich stufenweise. Nach einem Ultimatum durch das Kultusministerium mußte die weitgehende studentische Mitbestimmung abge­ schafft werden. 1965 verselbständigte sich die bisherige Filmabteilung zu einem von der HfG unabhängigen Institut. Im gleichen Jahr, auf der Höhe des Vietnam­ krieges unterzeichnete Maldonado, der gerade Rektor war, einen Spendenaufruf für Opfer des Vietnamkrieges. Er wurde vom Ministerium ultimativ gezwungen, seine Unterschrift zurückzuziehen. 1967 verließ er Ulm. 1966 ging Oti Aicher nach München, wo ihm die Gestaltung des Erscheinungsbildes der Olympiade anver­ traut worden war. Er konnte sich kaum noch um die Abteilung Visuelle Kommuni­ kation kümmern. Deren Leitung wurde von Herbert Kapitzki übernommen.

1967 wurde der Bundeszuschuß für die HfG gestrichen. Fortan mußte sie aus­ schließlich von den durch jährliche Abstimmungen im Landtag Baden-Württem­ bergs und im Ulmer Stadtrat abhängenden Zuschüssen des Landes und der Stadt existieren. Die Einkünfte der sogenannten Entwicklungsgruppen, in denen von den Dozenten beschaffte Aufträge unter Benutzung der Werkstatteinrichtungen bear­ beitet wurden, waren zu gering, um eine Rolle zu spielen. Die Dozentengehälter betrugen übrigens monatlich 1.500 DM, eine Summe, mit der auch bei dem dama­ ligen höheren Stand der DM keine Familie unterhalten werden konnte. 1967 wurde in Berlin der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration von der Polizei erschossen. Dies war ein Signal, das die immer stärker werdende linksorientierte Politisierung der Studenten der HfG noch beschleunigte. 1968 er­ reichte die schleichende Finanzkrise der Trägerinstitution der HfG, der Geschwister-Scholl-Stiftung, ihren Höhepunkt. Den Dozenten und Angestellten der HfG wurde zum Jahresende vorsorglich gekündigt.

Mehrere Modelle zur Rettung der HfG wurden diskutiert. Das Angebot des Kultus­ ministeriums, die HfG durch Fusion mit der Ulmer Ingenieurschule zu etatisieren wurde durch eine Vollversammlung der Angehörigen der HfG abgelehnt. Durch den damaligen HfG-Dozenten Abraham Moles kam eine Verbindung zum franzö­ sischen Kultusministerium zustande. Der französische Kultusminister Andre Mal­

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raux bot an, die HfG zu übernehmen und in einem Nebengebäude des Schlosses Versailles unterzubringen. Eine Delegation der HfG fuhr nach Paris, um dort im Kultusministerium zu verhandeln. Sie geriet am 1. Mai 1968 in den Generalstreik und konnte nur mit Mühe das von Panzern umstellte Paris verlassen. Studenten und Dozenten der HfG entzweiten sich immer mehr wegen sogenannter „Privateinnahmen” der Dozenten (Heimbucher & Michels 1971). Im Oktober 1968 lehnten die Dozenten die Wiederaufnahme des Studienbetriebes ab. Im November 1968 beschließt der Landtag Baden-Württembergs die Schließung der HfG. Der damalige Ministerpräsident Filbinger sagte: „Wir wollen etwas Neues machen. Da­ zu bedarf es der Liquidation des Alten.”

Für die Gründe der Schließung der HfG sind viele Gründe genannt worden. 1985 wurde an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in der damaligen DDR eine Dissertation veröffentlicht, welche diese Multikausalität im Rahmen der „Re­ formbestrebungen” der Kultusministerien der BRD im Sinne einer größeren wirt­ schaftlichen Effektivität erklärt (Korrek 1985). Die kleine, unruhige und in ständig neuen Entwicklungen begriffene Privatschule HfG paßte nicht mehr in die Land­ schaft der Großuniversitäten unter der Kontrolle der Finanzen und der Lehrpläne der Kultusbehörden. Es ging um Stabilisierung und Berechenbarkeit, nicht um Dynamik und Innovation. Eine Etatisierung durch Anschluß an die Ulmer Fach­ hochschule für Ingenieure hätte das Dasein der HfG verlängern können, aber damit wäre ihre dynamische Entwicklung gestoppt worden. Weil die HfG diese Lösung nicht akzeptieren wollte, strangulierte sie sich finanziell: Es war Selbstmord.

12.3.5.2 Nach der Schließung

Nach Schließung der Schule hielten einige Studenten mit dem Verfasser, der als einziger Dozent geblieben war, die Gebäude und Werkstätten der HfG eine zeitlang besetzt. Da alle anderen Dozenten Ulm verlassen hatten, konnten die verblie­ benen Studenten nun eigene Projektaufträge oder ihre Diplomarbeiten bearbeiten, die der verbliebene Dozent betreute. Es wurden insgesamt noch 15 Diplomarbeiten fertiggestellt, vom Verfasser begutachtet und von der Geschwister-Scholl-Stiftung bescheinigt. Der zur jüngeren Dozentengruppe gehörende Claude Schnaidt hatte das französi­ sche Angebot weiter verfolgt und wurde schließlich von der Pariser Kunstgewerbe­ schule in der Rue d’Ulm (sic) aufgenommen. Andere gründeten in Frankfurt auf privater Basis ein Designinstitut.

Ein weiteres Angebot, die HfG zu übernehmen, kam nach ihrer Schließung von der University of Waterloo in Kanada, wurde aber nach einer Besichtigung der ge­ schlossenen Schule durch eine Delegation nicht realisiert.

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Im Laufe der nächsten Jahre betrieb vor allem die Fachhochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd eine gezielte Berufungspolitik, mit der sie ehemalige Dozenten und Studenten der HfG nach Schwäbisch Gmünd holte.

Nach der Schließung der HfG bestellte das Kultusministerium eine Kommission, welche die Fortführung der HfG untersuchen sollte. Besonders die Universität Stuttgart war an einer etatisierten Form der Fortführung interessiert. 1969 wurde auf Anregung dieser Kommission das Institut für Umweltplanung begründet, das der Universität Stuttgart angeschlossen war, aber seinen Sitz in den Gebäuden der ehemaligen HfG hatte. Dort fanden noch bis 1972 Unterrichtsveranstaltungen statt, die zum Teil von Studenten der HfG besucht wurden, die in Ulm geblieben waren. Da aber der Zusammenhang mit der HfG inhaltlich und von Seiten ihrer Dozenten so gering wie möglich gehalten wurde, ließ sich dieses Institut inhaltlich nicht mehr in einen Zusammenhang mit Bauhaus und HfG einordnen. 1972 holte die Universität Stuttgart endgültig den Etat nach Stuttgart und das Institut in Ulm wurde geschlossen. Die Gebäude der HfG, die ernsthaft durch Zerfall bedroht waren, wurden renoviert und von der Universität Ulm übernommen, die dort die psychosozialen Fächer ansiedelte.

12.4 Zusammenhänge zwischen Bauhaus und HfG 12.4.1 Das Bauhaus als Vorbild Der Zusammenhang zwischen dem Bauhaus und der HfG ist verschiedentlich be­ schrieben und auch verschieden bewertet worden. In einem Vortrag auf der Brüsse­ ler Weltausstellung 1958 betrachtete Maldonado (1958) den Zusammenhang zwi­ schen Bauhaus und HfG, der ohne Zweifel durch den Grundkurs der ersten Jahre mit Peterhans, Albers und Nonne-Schmidt gegeben war, kritisch: Der Grundkurs des Bauhauses, der durch Itten, Albers, Moholy-Nagy, Klee und Kandinski geprägt war, sollte eine „Schule des Sehens” sein und schloß sich damit dem Gedanken der pragmatischen Reformpädagogik an, die Erziehung durch Praxis, „Learning by Doing” auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Maldonado forderte dagegen eine Ver­ mittlung von Kenntnissen, die allerdings in der Praxis anwendbar sein sollten. 1963 untersucht Maldonado in einem Aufsatz mit dem Titel „Ist das Bauhaus aktu­ ell?” die Zusammenhänge des Bauhauses mit seiner Zeitgeschichte. Nach Maldo­ nados Ansicht erfolgte dessen Gründung in einer Periode der Arbeitslosigkeit und des Chaos (1919-1924), in der Gropius versucht habe, gegen dieses Chaos eine neue Ordnung zu setzen. In den Jahren des Dawes-Planes, trügerischer Prosperität, der Kredite und der Rationalisierung in der Industrie (1925-1929), habe Hannes Meyer gegen die rücksichtslose Rationalisierung soziale Inhalte gesetzt. 1930-33, in einer Zeit des erneuten Chaos und der Arbeitslosigkeit sei das Bauhaus dann endgültig geschlossen worden. Anhand dieser Periodisierung sieht Maldonado die

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Aktualität des Bauhauses als eines Vorbildes für die Notwendigkeit, im Nach­ kriegsdeutschland der Prosperität, des Wirtschaftswunders und der Rationalisie­ rung erneut soziale Akzente zu setzen. Im Anschluß an die Publikation dieses Auf­ satzes entspann sich ein längerer Briefwechsel zwischen Maldonado und Gropius, in welchem die Tendenz von Gropius deutlich wurde, auch noch nach 35 Jahren die Verdienste von Hannes Meyer zu relativieren und zu minimieren.

Ein Vergleich zwischen den drei Blöcken der HfG-Entwicklung und den Perioden des Bauhauses ergibt, daß der stärkste Zusammenhang zwischen dem Bauhaus und der HfG durch die Parallelen zwischen Dessauer Zeit unter Gropius und der An­ fangsphase der HfG mit ihrem ersten Grundkurs gegeben ist. Zwischen der Periode der Verwissenschaftlichung der HfG und den verschiedenen Phasen des Bauhauses bestehen nur geringe Zusammenhänge. Dagegen zeigt die Periode von der neuen Rektoratsverfassung bis zur Schließung der HfG wieder einen größeren Zusam­ menhang mit der Dessauer Phase des Bauhauses unter Hannes Meyer.

Unverständlich bleibt nach dieser Analyse der Zusammenhang, den die Studenten der HfG mit ihrem Flugblatt vom 19. Februar 1968 „Bauhaus Weimar Exodus 1, Hochschule für Gestaltung Ulm Exodus 2” postulieren. Die HfG ist durch ihre Ent­ wicklung von der Anfangsphase über eine Periode der Verwissenschaftlichung bis hin zum Endstadium nicht mit dem Endstadium der Weimarer Zeit zu vergleichen. Eine bessere Analogie wäre durch den Satz „Bauhaus Dessau Schließung 2, Hoch­ schule für Gestaltung Schließung 1” gegeben. In den bisherigen Veröffentlichungen über die HfG läßt sich, parallel zur Gropiusfreundlichen Berichterstattung über das Bauhaus, die mit einem Verschweigen der Verdienste Meyers einhergeht, ähnliches über die Verdienste Maldonados um die Entwicklung der Ulmer HfG beobachten. So wurden auf einem Festvortrag, den Peter von Kornatzki im Oktober 1995 zur Erinnerung an die Eröffnung des Gebäu­ des der HfG vor 40 Jahren hielt, weder Maldonado noch Aicher erwähnt.

12.4.2 Funktionalismus von Bauhaus und HfG und zukunftsorientiertes Wirtschaften Wie im Bauhaus sind auch in der HfG durch den Funktionalismus die Grundlagen des Entwerfens unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit angelegt. Zum vollen Durchbruch kommt dieser entscheidende Schritt aber erst, als es schon zu spät ist.

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift „ulm” wird ein Schema vorgeschlagen, das diesen entscheidenden Schritt vom Sozialbewußtsein zum Umweltbewußtsein dar­ stellt. Umweltgestaltung, Wissenschaft der Gestaltung, Designplanung und DesignManagement in ihrem Bezug zu den klassischen Entwurfsgebieten Städtebau, Architektur, Produktgestaltung und Visuelle Kommunikation müssen in einer um­ fassenden Umweltwissenschaft begründet werden (Bonsiepe 1986).

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In dem Symposium „Umwelt, Gestaltung und Persönlichkeit - Reflexionen 30 Jah­ re nach Gründung der Ulmer Hochschule für Gestaltung”, das 1982 in den Räumen der ehemaligen HfG stattfand und zu dem Wissenschaftler, die ehemals an der HfG gelehrt oder studiert hatten, zusammenkamen, wurde diese Konzeption diskutiert und weiterentwickelt (Krampen & Kächele 1986). Ihre eindeutige Formulierung fand diese Konzeption in den „Notizen für das Mani­ fest eines neuen Funktionalismus”, die zum 1. Mai 1985 verfaßt wurden (Krampen 1985):

„Umweltgestalterinnen! Umweltgestalter! Der Funktionalismus war eine schöpferische Antwort auf das Problem des Techno­ logie- und Materialschubes, welcher mit der Industrialisierung des letzten Jahrhun­ derts einherging. Er vertrat das Prinzip, daß die neuen Technologien und Materiali­ en rational zu verwenden seien.

Das bedeutete eine Absage an traditionelle Formen, wie sie der eklektische Histori­ zismus in Architektur und Produktform zitierte, und die Entwicklung neuer ästheti­ scher Wirkungen gerade aus den konstruktiven Möglichkeiten und Materialien, die es vorher noch nicht gegeben hatte...

Wir stehen am Beginn einer Kommunikationsrevolution, deren gesellschaftliche Konsequenzen wir noch nicht überschauen können. Den Problemen des neuen Technologieschubes, welcher mit der Elektronik, den Mikroprozessoren, den Com­ putern, der Robotik, der Gentechnik daher kommt, muß aufs Neue schöpferisch be­ gegnet werden. Wie für den alten Funktionalismus angesichts alter Technologien, gilt es nunmehr, mit den neuen Technologien fertig zu werden. Wieder bedeutet dies auch einen Verzicht auf traditionelle Formen. Für Zitate, wie die des keiner eigenen Sprache mächtigen Postmodernismus bleibt keine Zeit, wenn es zu erforschen gilt, wie sich die neuen technologischen Möglichkeiten mit der ästhetischen Gestaltung unserer Umwelt verbinden könnten. Rationale und ästhetische Verwendung der Technolo­ gien ist also dem alten und neuen Funktionalismus gemeinsam. Aber neben den Parallelen zwischen dem alten und dem neuen Funktionalismus gibt es auch tiefgreifende Unterschiede. Die Rationalität des Funktionalismus von gestern kann nicht die Rationalität des Funktionalismus von heute und schon gar nicht des schöpferischen Funktionalismus von morgen sein. Die Gestaltung neuer technischer Funktionen allein genügt nicht mehr. Die neue Rationalität stellt tech­ nische Machbarkeit unter die Kontrolle ökologischer Verträglichkeit und damit auch eines tieferen Verständnisses sozialer Verpflichtung. Nicht allein „der Mensch” mit seinen Bedürfnissen ist das rationale Maß dessen, was funktioniert. Die Ausbeutung der Natur durch die Menschen erweist sich als ebenso gefährlich und verwerflich wie die Ausbeutung der Menschen durch die

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Menschen - ja sie kommt ihr gleich, da wir Menschen ihr mit Fleisch, Blut und Gehirn angehören. Wer die Gesetze der Natur nicht richtig anwendet, schneidet sich ins eigene Fleisch.

Es kann also beim Funktionalismus nicht darum gehen, daß die Arbeit, der Stoff­ wechsel der Menschen mit der Natur, zum Giftstoffwechsel verkommt, die Nut­ zung der Erde zu ihrer Vernutzung. Während der alte Funktionalismus einzig auf Technologiedruck reagierte, akkomodiert der neue Funktionalismus auch den Naturdruck.

Der alte Funktionalismus kulminierte in „hardware”, der neue in „software”. Dem alten Funktionalismus ging es um die Gestaltung von Objekten, der neue Funktionalismus kümmert sich in erster Linie um die Gestaltung von Prozessen.

Der alte Funktionalismus war an der Materie orientiert, der neue Funktionalismus orientiert sich an der Verarbeitung von Information.

Der alte Funktionalismus ging in der Entwicklung von Objekten auf, der neue ist durch die Forschung, durch die Suche nach notwendigem Wissen bestimmt. Der alte Funktionalismus folgte der ökonomischen Logik, der neue Funktionalis­ mus ist prinzipiell ökologisch.

Der Objektorientierung des alten Funktionalismus steht im neuen Funktionalismus die Subjektorientierung, die Ausrichtung auf das Individuum, gegenüber.

Die Befangenheit des alten Funktionalismus in der Gegenwart weicht im neuen Funktionalismus einer Zukunftsorientierung. Für die Menschen aber bedeutet dies: der Wechsel von alten Lebensformen zu neuen Lebensformen in Symbiose mit der Natur.

Der Primat der positivistischen Soziologie weicht den Gesetzen kritischer Biologie. Das lineare Denken des alten'Funktionalismus weicht dem zyklischen Denken des neuen Funktionalismus.

Das Leistungsprinzip des alten Funktionalismus wird ersetzt durch das Wirkungs­ prinzip des neuen Funktionalismus: Viel erreichen mit wenig Energie... Nicht mehr das Muskelsystem, sondern das Nervensystem bestimmt die Arbeit. An die Stelle der ergonomischen Physiologie tritt Psychosomatik und Psychologie.

Die Lohnarbeit weicht sinnvoller Arbeit, Auspowerung der Erweiterung von Intel­ ligenz.

Arbeit ist nicht länger Raubbau an der Natur, sondern wird im neuen Funktionalis­ mus wieder zum Stoffwechsel mit der Natur. Der Neofunktionalismus ist Geofunktionalismus, er ist Ökofunktionalismus! (Wenn ihr es diesmal nicht begreift, ist es zu spät).

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Der Ökofunktionalismus hat zwei objektive Grenzen. Erstens kann er sich nur im Frieden entfalten. Im Falle eines Atomkrieges wird er gegenstandslos. Zweitens kann sich der Ökofunktionalismus nicht in Opposition zur emanzipatorischen Tra­ dition entwickeln. Eine Absage an die Herrschaft der Menschen über die Natur im­ pliziert eine Absage an die Herrschaft von Menschen über Menschen. Sind doch die Menschen selbst Teil der Natur.

Ulm, 1. Mai 1985

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Martin Krampen

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Arbeitsgruppe „Lebensstile” Moderation: Gerhard Scherhorn

Vorstellung der Arbeitsergebnisse: Gerhard Scherhorn Protokoll: Doris Werthmüller

In dieser Arbeitsgruppe ging es um die Frage, wie sich der industrielle Lebensstil verändern muß, um nachhaltig zu werden. Wir haben versucht, die Beantwortung dieser Frage auf die Möglichkeiten zuzuschneiden, die eine Initiative wie der unw hat. Die unserer Diskussion zugrundeliegende Struktur unterscheidet zwischen An­ sätzen, Konzepten, Modellen und Übungen.

Ansätze Ansätze können vorgeschriebene Änderungen sein, jedoch können wir die Men­ schen nicht durch Vorschriften ändern, weshalb dieser Ansatz nicht weiterverfolgt wurde. Wir haben uns konzentriert auf das Informieren und das Fragen zu ökologi­ schen Zusammenhängen. Informieren verstehen wir im weitesten Sinne, z.B. durch Kommunikation darüber, was wir ändern und worauf wir verzichten müssen, oder durch Kampagnen, Modelle und Konzepte. Aber auch die Infrastruktur enthält In­ formationen, wie etwa die Information über Unterschiede zwischen Individualver­ kehr und Öffentlichem Personennahverkehr, die zugleich Sanktionen in Form von Kosten enthalten. Aber nicht nur das Informieren ist wichtig, sondern auch das Fra­ gen. Angesprochen wurde bereits die Frageaktion von Schülern zum Energiever­ halten, wo bereits durch das Fragen Veränderungen bewirkt wurden.

Konzepte

Konzepte bekanntzumachen, auch dazu kann eine Initiative wie der unw beitragen. Die wichtigsten sind, daß sich gütergebundenes Verhalten auf die Dauer nicht mit naturverträglichem Verhalten vereinbaren läßt, daß angesichts unseres Wohlstands letztlich immaterielle Güter wichtiger als die materiellen sind, und daß es nicht oh­ ne Verzicht gehen wird, aber der Verzicht auch immer einen Gewinn enthält, der zuerst entdeckt werden muß. Modelle Als Modelle, an die man anknüpfen könnte, haben wir Beispiele aus den Bereichen Energie, Wohnen, Mobilität und Produkte gewählt. Im Bereich Energie sind das Klimabündnis, in dem die Stadt Ulm Mitglied ist, und die Stadt Rottweil mit ihren

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Aktivitäten mögliche Anknüpfungspunkte. Für die Altbausanierung in Ulm kann der unw Anstöße zu energiebewußter und umweltverträglicher Planung gegeben. Beim Stichwort Wohnen war uns das intergenerative Wohnen mit dem altersbe­ dingten Wechsel in kleinere Wohnungen in demselben Quartier wichtig, was mo­ dellmäßig in München und Bremen versucht wird. Hierbei ist uns auch der Aspekt Mobilität wichtig. Die Modelle sollten so angelegt sein, daß möglichst wenig Autoverkehr entsteht. Auch Anstöße zum car-sharing, das Heranziehen der Fahr­ radstadt Erlangen als Vorbild und Experimente im Verkehrsbereich, wie das Sper­ ren ganzer Straßen für den Autoverkehr, sind denkbar. Bei Produkten ist gemein­ schaftliches Nutzen von großen Geräten und die Förderung von Eigenarbeit anzu­ streben.

Übungen

Als Übungen schlagen wir eine Fülle von Ideen vor, die sowohl auf individueller Ebene, aber auch gemeinsam, in Gesprächen mit Politikern und in Schulen, in Frage kommen. Das Fernsehen sehen wir als eine kontinuierliche Schulung im nicht-nachhaltigen Verhalten an. Der unw könnte vermehrt Lehrer als Mitglieder und Multiplikatoren gewinnen und die Vergabe eines Ökopreises anregen. Das OECD-CERI-Programm zum umweltbezogenen Projektunterricht sollte vermehrt genutzt werden.

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Lehrerfortbildung

Abb. 3: Arbeitsgruppe „Lebensstile”: Visualisierung der Ergebnisse

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Arbeitsgruppe „Technik” Moderation:. Frieder Meyer-Kramer, Werner Kühl

Vorstellung der Arbeitsergebnisse: Peter Obert

Protokoll: Manfred Helzle Im ersten Schritt wurden von jedem Teilnehmer ein oder mehrere Vorschläge ge­ macht, welche Themen in der Arbeitsgruppe erarbeitet werden können: 1. Eigenschaften und Nutzung nachhaltiger Produkte und Konsequenzen für die Technik: a) Ökotechnik nur für Reiche?

b) Entwicklung (Ist eine nachhaltige Nutzung des Autos möglich?) c) Wozu Technik?

d) Wie läßt sich Nachfrage nach nachhaltiger Technik stimulieren? e) Anzettelbare Initiativen auf regionaler Ebene (Ulm)? 2. Wie kann Technik nachhaltige Lebensstile stützen?

3. Wie lassen sich Techniken anstoßen, die der Nachhaltigkeit dienen? 4. Techniklawine: Hin zur Nachhaltigkeit oder weg? 5. Wie kann man unsinnigen Technikeinsatz verhindern? 6. Beeinflußbarkeit der Wissensproduktion / Wissenschaft in Richtung auf Nach­ haltigkeit? Beste Nachhaltigkeits-Technik: schnelle Anwendung durch die Wirt­ schaft?

In einem Suchprozeß haben wir eine Stoffsammlung verfaßt, die auf dem Bild in einer vereinfachten blockartigen Darstellung zusammengefaßt ist: Die Technik entsteht durch Forschung und Entwicklung in Wissenschaft und Indu­ strie und andererseits durch die Nachfrage des Kunden. Wir haben uns gefragt, wie man sich in diesen beiden Bereichen verhalten muß, damit eine nachhaltige Tech­ nik entsteht. Da die Nachfrage häufig künstlich durch Werbung erzeugt wird, hat der Kunde wenig Einfluß darauf, was produziert wird. Auch eine noch so gute Be­ schreibung von nachhaltigen Produkten wird nicht zur Herstellung führen, wenn Wissenschaft und Industrie nicht entsprechende Schwerpunkte in Forschung und Entwicklung setzen.

Allgemeine Zielrichtungen zur Beeinflussung der Technikentwicklung: •

Vernetzung von verschiedenen Disziplinen



ganzheitliche Problemlösungen



Änderungen durch Anreize

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höheres Gewicht der Nachhaltigkeit in der Forschungsförderung



Ausbildung und Motivation junger Techniker für eine nachhaltige Produkti­ onsweise



Ressourcenverteuerung



Stimulierung öffentlicher und privater Nachfrage nach nachhaltigen Pro­ dukten

Was muß von Verbraucherseite getan werden, um zu nachhaltigen Produkten zu kommen? •

Information und Beratung



positive Berichterstattung in den Medien



Öffentlichkeitsarbeit durch wöchentliche Rubrik in der Presse



unw-Nachrichten öffnen für Anbieter nachhaltiger Produkte

Wo gibt es Ansatzpunkte in Ulm für den unw? •

Sichtbarmachen nachhaltig relevanter Ergebnisse der Ulmer Wissenschaft



Anstoß zur Überprüfung aller Investitionen und der Betriebsmittelbeschaf­ fung der Stadt Ulm auf Nachhaltigkeit



Umsetzung der Selbstverpflichtung der Stadt zum Klimabündnis



Überprüfung der Nachhaltigkeit beim Betrieb öffentlicher Gebäude (Ener­ gie, Heizung)



Nutzung des Machtfaktors Medien zur Durchsetzung von Nachhaltigkeits­ zielen



Modell einer nachhaltig produktiven Wissenschaft, Kooperation verschiede­ ner in Ulm angesiedelter Disziplinen

F+E in Wissenschaft und Industrie

Technik Nachfrage Kunde

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Arbeitsgruppe „Institutionen ” Moderation: Oscar W. Gabriel, Helge Majer

Vorstellung der Arbeitsergebnisse: Brigitte Dahlbender Protokoll: Brigitte Dahlbender

Die Diskussionsergebnisse in der Gruppe bieten viele Ansatzpunkte zum Handeln, jedoch kein fertiges Konzept. Schwierigkeiten gab es, den Begriff zu bestimmen. Einerseits wurde unter Institutionen ein Satz von formalen (Gesetze, Verordnun­ gen, etc.) und informellen (Sitten, Gebräuche, etc.) Regeln verstanden, andererseits Organisationen. Die Gruppe verständigte sich auf Institution als Organisation. Was also definiert die notwendige neue Institution?



Es muß eine Leitidee als Wert vorangestellt werden.



Sie muß eine definierte Organisationsstruktur haben.



Sie muß bestimmte Regeln haben. Dies sollten nicht nur gebundene Regeln wie Verordnungen, Satzungen und Gesetze sein, sondern auch ungebundene Regeln wie Sitten und Gebräuche, die noch ausgestaltbar sind.

Welche Kriterien wollen wir an zukunftsfähige, nachhaltig handelnde Institutionen stellen?



Institutionen müssen in ihren Handlungsweisen Allgemeinheit und Flexibi­ lität haben. Es darf nicht von vorneherein festgelegt sein, wie in einer be­ stimmten Situation zu handeln ist. Die Entscheidungen müssen hinterfrag­ bar und veränderbar je nach Fortschritt der Handlung sein. Transparenz und Überschaubarkeit sind Eigenschaften, die alle effektiv arbeitenden Institu­ tionen haben müssen.



Institutionen müssen kooperativ und integrativ sein. Hierunter ist zu verste­ hen, daß verschiedenste Interessengruppen mit einbezogen und integriert werden, besonders auch mit der Möglichkeit einer ganz anderen als der üblichen Handlungsweise.



Ein sehr wichtiger Punkt ist der Zeitaspekt. Was hat mein Handeln heute für Auswirkungen auf die Zukunft?



Es müssen überlebensfähige, fehlerfreundliche Institutionen sein.



Die Zielkonflikte sollten minimiert werden. Bestehen Zielkonflikte z.B. im Hinblick auf Nachhaltigkeit, und werden diese zu wenig diskutiert, so kann dies ein Grund für das Scheitern einer Idee sein.



Rechtssicherheit muß gewährleistet sein, sonst sind Verwaltungen und an­ dere Ebenen auf die Dauer nicht handlungsfähig.

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Offenheit



Lernfähigkeit



Effektivität und Effizienz.Effektiv arbeiten ist nichtnotwendigerweise effi­ zient. Hier muß dieEffizienzimHandelnvonInstitutionenüberprüftwer­ den

Eine Schwierigkeit war, zu bestimmen, wie eine solche Institution nun wirklich handelt. Es stellte sich zunächst ein eher hierarchisches Bild einer Institution her­ aus, die von Leitideen ausgeht, welche in gebundene und ungebundene Regeln ein­ geknüpft werden. Dann kommen die Organisationsmechanismen in Gang. Freiheit, Kreativität und Flexibilität bleiben also bei hierarchischer Gebundenheit auf der Strecke. Die Arbeitsgruppe erstellte einen Katalog von Kriterien zukunftsfähiger (nachhalti­ ger) Institutionen:

• flexibel

• ergebnisorientiert handelnd

• transparent

• Zielkonflikte offenlegend

• überschaubar

• (Ziel-)Konflikt minimierend

• kooperativ

• (Rechts-) Sicherheit gewährleistend

• integrativ

• offen (für diverse Interessen)

• vorsorgend (Zeit)

• lernfähig, selbstorganisationsfähig

• überlebensfähig

• wertorientiert

• fehlerfreundlich

• subsidiär

• partizipativ • effektiv

• effizient im Sinne der Nachhaltig­ keit

• rechtzeitig handelnd

• verbindlich (Ergebnisse)

Abb. 4: Kriterien nachhaltiger Institutionen

Die Arbeitsgruppe empfiehlt für die weitere Diskussion und für die Umsetzung in der Region, die Kriterienliste zu sortieren, zu werten und zu ordnen, mit dem Ziel den Institutionenbegriff weiter einzugrenzen. Danach könnte am Beispiel von Bür­ gergesprächen und „Runden Tischen” zu einem definierten Thema versucht wer­ den, diese Kriterien anzuwenden.

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Arbeitsgruppe „Ulmer Region” Moderation: Carsten Stahmer

Vorstellung der Ergebnisse: Frank Stehling Protokoll: Friederike Seydel 1. Ansatzpunkte und Pflastersteine auf dem Weg zur Nachhaltigkeit in Ulm



Wirtschaft:

Informationsvermittlung, Zusammenarbeit mit der Wissenschaft •

Wissenschaft: Kooperation mit der Wirtschaft, Ausbildung, Bewußtseinsbildung, Entwick­ lung ökologisch verträglicher regionaler Wirtschaftskreisläufe



Verwaltung: Mittler zwischen Wissenschaft, Politik und Bürgern; Anstoß zur Vernet­ zung und Kooperation verschiedener Institutionen; ökologische Betrachtung der Gesamtregion statt von Einzelprojekten (Bsp. Kiesabbau, Wasserkraft, Straßenbau, Wasserwirtschaft)



private Haushalte: Koordinierung und Förderung regionaler Anlaufstellen in der Umweltbera­ tung, Ökobilanz für Haushalte, Sensibilisierung der Bürger durch kulturelle Angebote

wichtige Bereiche in Ulm: •

Energieversorgung (regionales Energiekonzept, regenerative Rohstoffe, Kraft-Wärme-Kopplung)



Verkehr



Verbesserung der Informationsflüsse zwischen den Institutionen (Energie­ versorger, Wissenschaftsstadt, Wirtschaft, Bürger)



Einbeziehung der privaten Haushalte



Fahrzeugindustrie

2. Was können die verschiedenen Ulmer Akteure unternehmen, um ein Han­ deln mit dem Ziel regionaler Nachhaltigkeit zu fördern? Als Akteure in der Ulmer Region sind in der Arbeitsgruppe vertreten: 1. Wirtschaft (Energieversorger, Umweltberater)

2. Wissenschaft (Universität, Fachhochschule, Landesanstalt für Umweltschutz)

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3. Verwaltung (Regionalverkehr Donau-Iller)

4. private Haushalte (in Person aller Teilnehmer) 5. ein Politikvertreter fehlt Es wird die folgende Ideensammlung erstellt:

Als wichtige Überbegriffe werden Verantwortung, Kooperation, institutioneile und regionale Grenzüberschreitung gesehen.

• Ökobilanzen auch für Privatleute • Vorbilder regen an

• Nachhaltigkeitsziele schon bei der Planung

• Team erweitern

• Wer trägt die Kosten ?

• Schwerpunkt Energieversorgung

• Erfolgskontrolle nötig

• praktische Einbindung der Wissenschaftsstadt

• neue Werte - vergessene Werte

• Grenzüberschreitung auch im Beruf • ökologisch verträgliche, regionale Wirtschaftskreisläufe

• Verantwortung • Interessenskonflikte ansprechen und lösen

• erhalten - gestalten

• Regionalabgrenzung problembezogen

• Umweltprüfung für Importe

• neutrale Beratung

• Türen öffnen

• Mut schaffen

• einheimische Produktion fördern

• Eigeninitiative fördern

• Umweltlernen bei Spaß & Spiel

• Vernetzung der Informationen

• Bürgernähe bei der Umweltberatung

• Hemmschwellen überwinden

• Umweltbildung in der Schule

• Erfolge sichtbar machen

• Verständliche Sprache

• Brückenschlag nötig

• Kooperation

• Langer Atem nötig

• Umweltwissen weitertragen

• Statt Hinterhof zentraler Ort

• Vermittler fehlt

• Statt Einzellösungen ein Gesamtkonzept

Abb. 5: Arbeitsgruppe „Ulmer Region”: Ideensammlung

89

17

Diskurs über konstruktive Lösungen Moderation: Ortwin Renn

Gesucht: Pflastersteine für den Weg zur Nachhaltigkeit in der Region Ulm

Grundlage: Die Ideen aus den Arbeitsgruppen und die Vorgaben des unw zur Strukturierung der Diskussion nach Akteuren, Wegen und Eingriffsebenen (siehe nachfolgende Abbildung).

Abb. 6: Matrix zur Strukturierung der Diskussion

Ausgangspunkt der Arbeitsgruppen waren die verschiedenen Akteure, die mittels verschiedener Maßnahmen in verschiedenen Sektoren aktiv werden sollen. Akteure, Sektoren und Maßnahmen müssen untereinander vernetzt werden. Die Vernetzung kann in einem kooperativen Ansatz durch Experimente, Diskurs und Leitbilder geschehen.

90

Sektoren:

• Energie • Mobilität

. • Haushalt/Konsum

/

/

/

• Landwirtschaft • kleine + mittlere

Unternehmen

Akteure : • Haushalte (nicht nur „Verbraucher“)

/

• Verwaltung • Wissenschaft • Wirtschaft/Betriebe • Banken

• Bildungsinstitutionen/Schulen • Künstler (Visionen)

Maßnahmen:

/

• Beratung

\

• Bildung \

• Medienarbeit

\

• Runde Tische

\

• Forschung • Frageaktionen

\ \

Vernetzung (Kooperation) :

5 • Experimente • Diskurse

• Leitbilder Abb. 1: Vernetzung

91

Die vom Plenum erarbeiteten Vorschläge, die man den Überbegriffen „Bewußt­ seinsbildung” und „Hemmschwellen abbauen” unterordnen kann, sind in der fol­ genden Tabelle zusammengefaßt. Folgende Vorschläge zur Vernetzung zwischen Akteuren, Sektoren und Maßnah­ men wurden vom Plenum erarbeitet: Akteure

Sektoren

Maßnahmen

Möglichkeiten Ziele

Information 1. Bauträger, Verwaltung, Energie, Mobilität

Verhandlungsänderung Schneeballsystem

Institutionen,

durch Bewußtseins­

Betroffene, Gruppen

bildung

2 Politik, Verwaltung

Wirtschaft, Bürger

alle Sektoren in der

awareness - workshop

Szenarien zu

Regionalpolitik

mit internationaler

Veränderungen in der

Erfahrung

Region, Fördermöglich­ keit durch die EG

3. Schulen, Bildungs­ einrichtungen

4. Banken, Sparkassen

Regional politik

Energie, Mobilität,

Frageaktion

kleine und mittlere Unternehmen

OECD - CERI Programm

Haushalt, Konsum gezielte Vergabe von

Beispiel Heidelberg

Fördergeldern für nach­ Vermittler unw

haltige Projekte 5. Politik, Bürger

alle

zentrale Beratungen,

Hemmschwellen

Kopplung von Bürger­ überwinden

Wissenschaft

versammlung und Politikern, Menschen bei ihren

Bedürfnissen abholen, Pioniere einbinden 6. Haushalte, Wirtschaft

Gastronomie,

ökologische Landwirt­ regionale Vermarktung Bauernmarkt schaft

Kliniken,Institutionen

Abb. 8: Vorschläge: Bewußtseinsbildung und Abbau von Hemmschwellen

92

18

Diskussionsfäden Einführung: Helge Majer

Innovation ist der entscheidende Begriff. Innovationen sollen die Wege zur Nach­ haltigkeit pflastern, nicht nur Innovationen in der Technik, sondern auch Innovatio­ nen in neuem Verhalten und neuen Institutionen sowie im sozialen Bereich. Innovationen beinhalten alle neuen Handlungsmöglichkeiten und alle neuen Wege, etwas besser zu machen. Um Innovationen in Gang zu setzen, braucht man vier Eckpunkte: •

lernen über sich selbst und über andere



informieren über sich selbst und über andere. Dies spielt für die Aktivitäten des unw eine große Rolle. Über die Bedeutung dieses Punktes gibt es jedoch verschiedene Meinungen.



verantwortlich gestalten



kooperativ leben

In der Abbildung auf der nächsten Seite habe ich versucht, das Wesentliche zusam­ menzufassen:

Im Zentrum stehen die Adjektive, die nachhaltiges Handeln von nicht nachhalti­ gem unterscheiden können. Eine Anordnung nach der Bedeutung wird individuell sehr verschieden erfolgen. Effektiv und effizient wird für moderne, wirtschaftlich orientierte Menschen die wichtigste Rolle spielen. Partizipativ, kooperativ, integra­ tiv sind sehr wichtige Punkte für sozial agierende Menschen. Verantwortbar, vor­ sorgend, langfristig beschreiben den Zeitbezug unseres Handelns. Für mögliche Krisen in der Zukunft müssen wir gewappnet und anpassungsfähig sein. Zukunfts­ offen, ein Begriff von Gernot Graber, und überlebensfähig zu sein ist gefordert. Al­ le Innovationen im Bereich der Technik, des Verhaltens und der Institutionen müs­ sen diese Kriterien, mit unterschiedlicher Hierarchie für diese drei Bereiche, erfül­ len. Welche Aktivitäten in Technik, Verhalten und Institutionen wichtig sind, wur­ de in den Arbeitsgruppen so erarbeitet, wie es in der Grafik durch die um den Kern angeordneten Begriffe beschrieben ist und speziell für die Region Ulm vorgeschla­ gen wurde. Technik entsteht aus Wissenschaft und Forschung und wird nachge­ fragt. Für zukunftsfähige Institutionen müssen wir ein Leitbild finden; wir müssen regeln, koordinieren und organisieren. Individuelles und gemeinsames Verhalten können wir beispielsweise durch Fragen nach der Nachhaltigkeit in den Bereichen Energie, Mobilität, Wohnen und Produkte beeinflussen. Wir können güter- oder naturverbunden sein und nach immateriellen oder materiellen Gesichtspunkten handeln. Kosten und Nutzen sind jeweils abzuwägen.

93

Lernen

informieren

Technik

entsteht

wird nachgefragt

fragen

lernfähig

Kosten und

anpassungsfähig

Nutzen

zukunfts-offen

abschätzen

überlebensfähig

Leitbild finden

handeln

effektiv

regeln

(Güter/ Natur/

effizient organisieren

immateriell /

materiell)

transparent

überschaubar Verhalten

Institutionen

individuell

gemeinsam

sicher verbindlich

Energie

zielkonflikt­

Wohnen

mindernd

Mobilität Produkte

partizipativ kooperativ

integrativ

verantwortbar vorsorgend langfristig

verantwortlich gestalten

Ulm

Abb. 9: Gesprächsfäden: Dimensionen regionaler Nachhaltigkeit

94

kooperativ leben

19

Pflastersteine für Ulm Moderation: Sabine Köberle, Akademie für Technikfolgenabschätzung

19.1 Einführung

Die bisher entwickelten Gedanken und Vorgehensweisen und die gesammelten Ar­ gumente sollen nun in konkrete Schritte zusammengefaßt werden. Als wichtigstes Thema hat sich der Energiebereich herausgestellt. Ulm ist Mitglied im Klimabünd­ nis der Städte und ist damit die Verpflichtung eingegangen, bis zum Jahr 2010 die CO2-Emission um 50% zu reduzieren. Für dieses zeitlich überschaubare Ziel soll ein praktikables Konzept zur Umsetzung entwickelt werden, wie in den nächsten 15 Jahren die CO2-Emission und damit der Verbrauch an fossilen Energieträgern entsprechend reduziert werden können. Zum Verkehr liegt von Seiten der Stadt Ulm der 1995 verabschiedete Verkehrsent­ wicklungsplan vor. Zum Energieverbrauch der Haushalte und den möglichen Ein­ sparmöglichkeiten hat die Stadt ein technisches Gutachten in Auftrag gegeben. Der Schwerpunkt soll weniger auf den möglichen technischen Maßnahmen liegen als darauf, wie man innovative Ideen zur Nutzung und Ausführung an die möglichen Akteure heranträgt. Wenn darüber hinaus einzelne Personen die Verantwortung für das konkrete Vorgehen in bestimmten Bereichen übernehmen, kann man sich dem Ziel besser und schneller nähern. 19.2 Für die folgenden Akteursgruppen sollen Umsetzungsvorschläge diskutiert werden:



private Haushalte: Wie müssen sich individuelle Lebensstile und Gewohn­ heiten verändern, um diesem Ziel näher zu kommen?



Unternehmen: Was können Unternehmen beitragen?



Verwaltung: Wo sind Innovationen notwendig?



Politik: Wie sind die Rahmenbedingungen?



verschiedene Organisationen, z.B. BUND oder Ulmwelt: Wie können sie gestaltend eingreifen?



unw: Der Initiativkreis übernimmt eine Katalysatorfunktion und wirkt be­ schleunigend bei der Umsetzung der Handlungsmöglichkeiten auf den ver­ schiedenen Ebenen.

95

Verwaltung

Politik in Ulm

andere Organisationen

Problembearbeitung

•Umrüstung öffent­ licher Gebäude: Energiesparlampen

• Ausbau der solargestützten Wärmeversorgung; Bau eines Groß­ wärmespeichers

• Zusammenarbeit mit Kirchen beim Energie­ sparen

• Emotion und Ratio verbinden (Mut, sich “lächerlich” zu machen)

Solaranlagen Isoliermaßnahmen

Modellprojekte

• Dachflächen der Industrie für Solaranlagen als Auflage

• un-w-Wand am Münsterbasar, z.B. mit Präsentation von • Einzelprojekte zur Modellprojekten stetigen Anwendung • Integrierte Planung: führen Energie- / Verkehrs­ • Energiemünster Ulm vermeidung bei (Bürgerbeteiligung) Neubaugebieten • Einbindung von (Bsp. Tübingen, Psychologen, München, Freiburg) Werbefachleuten, • Altbausanierung der Theologen Münsterplatzfassade -> Ethik als Demonstrations­ objekt zur Energie­ -> “Rückenmark” einsparung • Problemträger • Bedenkenträger

• andere Poltikbe reiche • Wirtschaft

• Energieversorgung FUG: Großauftrag zur Produktion von Kollektoren • Energiesparkampagne mit Energiesparlampen (mit ökonomischen / ökologischen Vorteilen verbinden) • Bürgerdiskurs zur Agenda 21 (“WirGefühl”) anstoßen (VHS ?, Bsp. München) • Ämter, die mit Bauen zu tun haben, mit Informa­ tionen über Energie­ sparen ausrüsten • Multiplikatoren suchen: z.B. neue Bauprojekte bekannt machen, “be­ greifbar” machen

• Analog zur BiomüllKampagne: Energiekam pagne;BUND / Verwal­ tung sprechen Haushalte an • SWU/ BUND Weih­ nachtsaktion “Den Ulmern geht ein Licht auf’ • Verbraucherberatung • Schulen, CERI-Projekt, Schüler als Mediatoren

Abb. 10: Pflastersteine auf dein Weg zur Nachhaltigkeit (Ideensammlung)

96

• Kontaktaufnahme

• Zeitproblem (beim Manager) • Ortsproblem (bei den Haushalten)

unw

Haushalt/Bürger

Unternehmen

• unw spricht Firmen an, • Modellprojekte: Thema •Modellprojekte im Rahmen eines Ener­ in Betriebe und Haus­ • Information und Bera­ giespar-Projektes mit zu halte tragen tung über Energieeins­ investieren • (öffentliche) Förderung parung durch Sparkas­ • Abstraktes Ziel der COsen und Bausparkassen von Car-Sharing-Initia­ Reduktion visualisieren tiven, Gesetze ändern, bei Kreditanträgen durch Energiehappening Vorschriften • Fertigbauausstellung um (Der CO:-Ballon heute • Haushalte überzeugen Beispiele für Energie­ und im Jahr 2010) durch informierte Archi­ einsparung erweitern • Berichte in unw-Nachtekten und Handwerker • Umwelt-Beauftragter richten & Rubrik in der • “Denkzettel” für jeden (Mini-Öko-Audit) An­ Presse Haushalt (populistisch) stoß & Info durch unw • Leitfaden “Ökologi­ sches Bauen in Ulm”

Energietips (+ Politik) als Akten

• Schritte von Idee bis Fertigstellung

• Haushalte sollen über Gemeindenachrichten über die Ziele des unw informiert werden (z.B. Umwelttip soll Bürgerinnen/Bürger “inspirie­ ren”)

• Adressen, Ansprech­ partner mit Darstellung der Firmen und ihren ökologischen Leistun­ gen

(Betriebsrat)

• unw-Gespräche “Ener­ gieeinsparpotentiale” (mit Verwaltung, Hand­ werkern, Haushalten)

Abb. 10: Fortsetzung von Seite 96

19.3 Ideen für ein Umsetzungskonzept Die Stadt soll nun mit Hilfe des unw zu einem Konzept kommen, wo jeder der ein­ satzwilligen Akteure weiß, was er beitragen kann, und wo er Hilfestellung und In­ formationen bekommt. Hierbei kommt dem unw i.w. die Aufgabe des Informierens und Koordinierens zu. Nach dem Vorbild der Runden Tische kann eine Aktion ge­ plant werden, die unter Einbeziehung der Bürger das hier wiedergegebene Roh­ konzept mit einer Aufgaben- und Zeitplanung bis zum Jahr 2010 konkretisiert. Es muß geprüft werden, welche der gesammelten Ideen bereits angegangen wurden und welche noch unbearbeitet sind.

97

Schon teilweise bearbeitete oder konkret geplante Maßnahmen •

zentrale Energieberatung (durch Energieversorger, BUND, Verbraucherbe­ ratung)



Energieprojektrat unw (Ideen verbreiten)



Thermometer, CO?-Wand an frequentierter Stelle in der Stadt



unw-Ansatz nicht an Informationsübermittlung, sondern an der Botschaft und dem Sinn, sich um das Leitbild nachhaltiger Entwicklung zu bemühen

Unbearbeitete Ideen als neue Ansatzpunkte •

Bürgerforen



gezielte Aufklärung von Akteursgruppen (z.B. bei Handwerkern und Archi­ tekten)



Aufstellen von zwei Vergleichsballons: ein großer mit dem heutigen CO2Ausstoß und ein kleiner mit dem zukünftigen Ausstoß



„Wir-Gefühl” fördern: die ganze Stadt sagt ja zur Energieeinsparung in al­ len Sektoren; Verwaltung und Politiker werden mit einbezogen



Runder Tisch Ulm zur Informationsvernetzung und Kooperation



Die Ergebnisse der Uracher Arbeit von ca. 20 Interessengruppen als Zukunftsideen in die „Ideenwerkstatt 2000” der Stadt anläßlich „600 Jahre Schwörbrief’1997 einbringen



Schüler als Mediatoren (CERI - Projekt)



„begreifbare” Modelle entwickeln



bessere Zusammenarbeit zwischen Ulm und Neu-Ulm.

19.4 Umsetzungen

Die Umsetzung wird wie folgt geplant: •

eine Gruppe Information, die sich für den Informationsfluß unter den unwMitgliedern einsetzen will (Initiator Manfred Helzle)



eine Gruppe, die nach dem Vorbild des CERI-Projektes „Schüler als Media­ toren” arbeiten will (Initiatorin Ingrid Stadler)



die Organisation von Bürgerforen zum Thema „Energieeinsparung in Ver­ kehr und Haushalt”; die Ergebnisse sollen als Bürgergutachten in die Um­ weltplanung der Stadt Ulm einfließen (beteiligt sind Brigitte Dahlbender, Helge Majer, Friederike Seydel, s. Teil II dieses Bandes)

98

I

I. Wege zur Nachhaltigkeit - Bürgerinnen und Bürger gestalten Pflastersteine für Ulm Brigitte Dahlbender, Friederike Seydel *

20

Überblick

Das Bürgergespräch, ein Runder Tisch zu den Themen Energieverbrauch im Haus­ halt und im Individualverkehr, wurde durchgeführt, um aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger realisierbare Maßnahmen aus dem eigenen täglichen Erleben heraus zu erarbeiten. Ziel war es, Anregungen für andere Bürger zu geben, Ideen zur Berei­ cherung der städtischen Planungsprozesse vorzubringen und Impulse für die politi­ schen Entscheidungen im Gemeinderat zu gewinnen. Die Teilnehmer haben an den acht Abenden mit Begeisterung und großer Ausdauer daran gearbeitet, Umsetzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Als Bürgerempfehlungen zum Energiesparen wurden nur die Maßnahmen aufgenommen, die die Teilnehmer auch selbst umsetzen können und wollen. Energiesparen im Haushalt

Die zentralen Aussagen zum Energiesparen im Haushalt sind in Abb. 20 zusam­ mengefaßt. Es wurde ein ganzer Katalog von Maßnahmen aus den drei Bereichen erneuerbare Energie, Heizung und Strom vereinbart (s. Abb. 21). Die Änderung der eigenen Verhaltensweisen beim Umgang mit Energie, gestützt durch institutio­ nelle Vorgaben, standen bei der Umsetzung im Vordergrund (Abb. 22). Aus den genannten Abbildungen gehen die wesentlichen Anregungen der Bürger hervor. Energiesparen ini Verkehr Zum Energiesparen im Verkehr konnten keine herausragenden Einzelmaßnahmen erarbeitet werden. Es wurde aber eine Vielzahl von zum Teil sehr konkreten Vor­ stellungen dazu entwickelt, wie die Voraussetzungen für einen Alltag ohne Auto * Die Autorinnen danken Helge Majer für zahlreiche Vorschläge, die das Manuskript verbessern und erweitern sowie Jochen Hettmer und Kai Weinmüller für die gestalterische Arbeit.

99

geschaffen werden können. Die zentralen Aussagen hierzu sind in Abb. 33 zusam­ mengefaßt. Die Teilnehmer sahen sich nicht in der Lage, unter den jetzigen Vor­ aussetzungen auf das Auto zu verzichten. Es wurde jedoch deutlich, daß die Auto­ fahrten prinzipiell ersetzbar sind (Abb. 31 und 32). Dabei waren sich die Bürger bewußt, daß Bequemlichkeit und das Bedürfnis, den gewohnten Komfort beizube­ halten eine wesentliche Rolle spielen. Ohne institutioneile Vorgaben, die das Auto­ fahren unattraktiv und gleichzeitig die Benutzung anderer Fortbewegungsmöglich­ keiten attraktiver machen, wurden einem Umstieg weg vom Auto nur begrenzte Chancen eingeräumt.

Die Erwartungen der Bürger und Bürgerinnen an das Bürgergespräch - anregende Diskussionen, Teamarbeit und die Erarbeitung umsetzbarer Vorschläge - wurden weitgehend erfüllt. Bei den Teilnehmern wurde nach eigenen Aussagen das Inter­ esse daran geweckt, das eigene Verhalten zu ändern. Einige haben bereits erste Maßnahmen im Haushalt umgesetzt, vor allem beim Stromsparen.

Der Ablauf und die Form des Bürgergesprächs - die Mischung aus Gruppenarbeit, Diskussion im Plenum und Information, der strukturierte Ablauf und die gute Or­ ganisation - stieß bei allen Teilnehmern auf eine positive Resonanz. Sie sind der Überzeugung, daß Bürgergespräche als Keimzelle für Veränderungen dienen kön­ nen.

100

21

Auf der Suche nach Pflastersteinen für ein nachhaltiges Ulm - ein Bürgergespräch

21.1 Warum nachhaltiges Ulm? Seit der internationalen Umweltkonferenz in Rio 1992 ist nachhaltige Entwicklung („sustainable development”) nicht mehr aus der öffentlichen Diskussion wegzu­ denken. Auf dieser Konferenz haben 179 Staaten unterschrieben, daß sie die Ver­ antwortung für die zukünftigen Generationen wahrnehmen wollen. In einem Pro­ gramm fürs 21. Jahrhundert (Agenda 21) ist dargestellt, daß die Kommunen der Welt und die dort lebenden Bürgerinnen und Bürger spätestens 1996 beginnen sol­ len, ihren Teil dazu beizutragen. Dem haben schon 1994 der Deutsche Bundestag und die Konferenz der Ministerpräsidenten zugestimmt. Das bedeutet, daß auch wir in Ulm uns überlegen sollen, wie unsere Lebensstile und Wirtschaftsweisen eingerichtet werden können, damit sie unseren Kindern und Enkeln nicht die Lebensmöglichkeiten nehmen. Wir müssen versuchen, weniger Rohstoffe, Energie und Fläche zu verbrauchen und weniger Schad- und Reststoffe an Luft, Boden und Wasser abzugeben. Vor allem der Energieverbrauch gibt Anlaß zur Sorge. Wir müssen uns dringend überlegen, wie die verwendeten fossilen Energieträger Öl, Kohle und Erdgas durch unerschöpfliche Quellen ersetzt werden können. Und wir müssen Energie sparen.

21.2 Ulm - eine Bürgerstadt Ulm ist aus der Tradition heraus eine Bürgerstadt. Ulmer Bürger haben immer Ver­ antwortung für sich und das Gemeinwohl übernommen. Die Stadt feiert jedes Jahr im Sommer den Schwörmontag, der an den großen Schwörbrief als Verfassungsur­ kunde erinnert. Das 600jährige Jubiläum des großen Schwörbriefs am 26. März 1997 ist ein besonderer Anlaß und verdeutlicht das Jahrhunderte alte Bemühen der Stadtgesellschaft um Ausgleich und sozial verträgliche Entwicklung. Für die Zu­ kunft Ulms kann dies mit dauerhaftem Erfolg geschehen, wenn wir eine nachhal­ tige Stadtentwicklung anstreben, die die ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte berücksichtigt und miteinander verbindet.

Die Ulmerinnen und Ulmer wirken traditionell am städtischen Geschehen mit. Sie sind politisch wach und auch bereit, Verantwortung zu tragen. Die Bürgerent­ scheide für den Bau des Stadthauses (1987) sowie gegen die Untertunnelung und die Tiefgarage Neue Straße (1990) verdeutlichen dies in besonderer Weise. Für die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg war Ulm als Universitäts- und Wissenschaftsstadt ein geeigneter Ort, um 1995 ein Bürgerforum zum Thema Biotechnologie und Gentechnik durchzuführen.

101

21.3 Die Runden Tische des unw

unw organisiert Runde Tische

Der Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw) will diese Bürgerverantwortung wecken und fördern. Der unw will durch seine Tätigkeit Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung anstoßen. Er versucht, einen Kurswechsel hin zu nachhaltigen Wirtschaftsweisen und Lebensstilen in der Ulmer Region einzuleiten und spricht hierzu wichtige Akteursgruppen der Ulmer Stadtgesellschaft an, um in kooperativer Weise Wege zu einer nachhaltigen Zu­ kunft zu finden. Hierfür bringt der unw diese Gruppen zu Gesprächen an Runden Tischen zusammen: Manager der Wirtschaft in einem unw-Unternehmergespräch, Verantwortliche der Stadtverwaltung im unw-Amtsleitergespräch und die Ulmer Energieanbieter in einem Energiewirtschaftlichen Projektrat. Die Bürgerinnen und Bürger von Ulm sollen ebenfalls einbezogen werden und erarbeiten an einem wei­ teren Runden Tisch eine Bürgermeinung zum Thema Energiesparen in Haushalt und Verkehr. Anstoß zum Bürgergespräch

Die Initiative zum Bürgergespräch geht auf die unw-Veranstaltung in Bad Urach zurück. Dort hatten sich im Oktober 1995 Wissenschaftler, Bürgerinnen und Bür­ ger getroffen, um über Konzepte und Umsetzung von regionaler Nachhaltigkeit zu sprechen. Hierbei wurde herausgearbeitet, daß die nächste Aktivität des unw in ei­ ner Bürgerrunde bestehen soll, bei der die Themen Energieverbrauch im Haushalt und im Individualverkehr im Vordergrund stehen. Mit einem Informationsstand auf der „regeneratio”, der Ausstellung für regenerati­ ve Energie und energiebewußtes Bauen 1996, konnte der unw für das Vorhaben ’’Bürgergespräch” Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Die Stadt stellte die hierfür not­ wendige Fläche zu Verfügung. Und schließlich ein Impuls aus der Wissenschaft: die „Forschungsgruppe Zukunftsfragen” des unw hat im Auftrag des Umweltmini­ steriums Baden-Württemberg eine Studie über regionale ökologische Berichterstat­ tung erarbeitet. Darin wird die Konzeption der „Regionalen Nachhaltigkeits­ lücken” am Beispiel der Luft-Belastung durch den Ulmer Verkehr aufgezeigt. Diese Studie ist - in verständliche Sprache übersetzt - als Band 2 der unw-Schriftenreihe im Verlag Wissenschaft & Praxis erschienen.

21.4 Die Bürgerverantwortung beim Energieverbrauch An der eigenen Nase fassen: Bürgerverantwortung wahrnehmen

Das ist dann kein Problem, wenn wir darüber reden können, wie andere Menschen Energie sparen können. Anderen gute Ratschläge erteilen, das ist ein schönes Ge-

102

sellschaftsspiel. Was liegt aber näher, als sich an der eigenen Nase zu fassen und bei sich selber zu beginnen? Wer weiß denn Bescheid über die Möglichkeiten, Energie zu sparen und trotzdem gut zu leben? Am besten doch wir selber, wir, die Ulmer Bürgerinnen und Bürger. Deshalb ist es sinnvoll, daß wir uns zusammenset­ zen und über diese Fragen gemeinsam sprechen. Das, was die Runde am Tisch für sich selbst als machbar hält, kann sie dann ohne Probleme den anderen mitteilen: Bürger denken nach für Bürger.

Energieverbrauch der Haushalte ist hoch Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft von 1996 stellt der Energie­ verbrauch der Haushalte und Kleinverbraucher mit einem Anteil von ca. 45% am Gesamtenergieverbrauch neben dem Verkehr mit 28% und der Industrie mit 27% den wichtigsten Anteil dar. Es ist besonders lohnend, hier anzusetzen. Als Grundla­ ge zum Gespräch über den Energieverbrauch im Individualverkehr können auch die Nachhaltigkeitslücken13 im Verkehrsbereich herangezogen werden, wie sie die unw-Forschungsgruppe Zukunftsfragen in der o.g. Studie „Regionale Nachhaltig­ keitslücken” dargestellt hat. Andererseits haben die Bürgerinnen und Bürger selbst genug Erfahrungen und Kenntnisse darüber, wie sie Energie einsparen können. Da­ her sollen diese Fragen mit einem sog. mediations - basierten Runden Tisch (vgl. den Beitrag von H. Majer in Teil I) behandelt werden. Bürgerinnen und Bürger sol­ len für den Weg zu einem nachhaltigen Ulm Pflastersteine zusammentragen, die aus ihrer Sicht dazu beitragen, die bestehenden Nachhaltigkeitslücken beim Ener­ gieverbrauch im Haushalt und im Individualverkehr zu schließen.

13 Als Nachhaltigkeitslücke bezeichnet man z.B. die Differenz des tatsächlichen Ausstoßes von CO: zu dem aus Gründen der Nachhaltigkeit anzustrebenden Wert.

103

22

Die Auswahl der Bürger

Adressensuche Um Bürger und Bürgerinnen zur Teilnahme am Bürgergespräch zu finden, werden aus dem Ulmer Telefonbuch, das auf CD-ROM zur Verfügung steht, nach dem Zu­ fallsprinzip 447 Bürger und Bürgerinnen ausgewählt und angeschrieben. Firmen sowie abgekürzte Namen werden ausgeschieden. Den angeschriebenen Personen stehen zwei Terminblöcke für die Gespräche an jeweils sieben Abenden im Sep­ tember und Oktober 1996 oder im Oktober, November und Dezember zur Aus­ wahl. Im Anschreiben wird ausführlich begründet, welches Ziel mit dem Runden Tisch erreicht werden soll. In der Südwest-Presse und in der Schwäbischen Zeitung erscheinen Berichte über dieses Projekt. Die Auswahl dauert ca. vier Monate.

Gruppenbildung Da der unw in das Netzwerk der Stadt eingebunden ist, besteht die Hoffnung, zwei Gruppen mit je 20 Teilnehmern und Teilnehmerinnen bilden zu können. Statistisch gesehen durchaus üblich, melden sich zunächst acht Bürgerinnen und Bürger, die teilnehmen wollen. Dies entspricht einer Erfolgsquote von 2%. Nach einer Tele­ fonaktion bei den angeschriebenen Bürgerinnen und Bürgern steigt die Anzahl auf 10. Unter diesen Personen sind nach persönlicher Auskunft keine Träger politi­ scher Mandate. Um mindestens eine Gruppe von 15 Teilnehmern zu erreichen, müssen noch weitere Personen teilnehmen. Daher beschließen die Organisatoren, zusätzlich Personen aus dem weiteren Bekanntenkreis, vor allem auch die bisher unterrepräsentierten Frauen, direkt anzusprechen. In der Öffentlichkeit, in Umwelt­ verbänden oder in anderen Vereinigungen exponierte Personen werden von vorneherein ausgeschieden.

Nachdem einer der zufällig ausgewählten Bürger vor Beginn aus gesundheitlichen Gründen aussteigen muß, nehmen an den Gesprächen schließlich 10 Männer und 6 Frauen teil. Den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern wird eine Unkostenvergütung angeboten, die jedoch niemand in Anspruch nimmt. Getränke und ein kleiner Imbiß werden an den einzelnen Abenden gerne angenommen.

104

Alter, Ausbildung und Berufe der Bürgerinnen un d Bürger setzen sich wie folgt zusammen:

Altersdurchschnitt:

Berufe:

Männer 54 Jahre (davon 3 Rentner)

Assistent für Umweltberatung

Frauen 45 Jahre (davon 1 Studentin)

Logopäde Studentin der Biologie Diplomingenieur

Ausbildung:

bis mittlere Ausbildungsebene:

8 Personen

Hochschulausbildung:

8 Personen

Kaufmann Verwaltungsangestellter (Rentner) 2 Lehrerinnnen, 1 Lehrer

Hausfrau / Studium der Kunst u. Philosophie

Berufsspektrum: technisch-naturwissenschaftlich: 5 Personen

Arzt für Allgemein- u. Umweltmedizin

Lehrer:

3 Personen

Diplomingenieur (Rentner)

kaufmännische Berufe:

3 Personen

Industriekaufmann (Rentner)

Verwaltung:

1 Person

Buchhalterin

Gesundheitsbereich:

3 Personen

Kinderärztin

Planungstechniker

künstlerisch/

geisteswissenschaftlich:

1 Person

Abb. 11: Statistische Daten der teilnehmenden Bürger und Bürgerinnen

105

23

Der Weg zum Konsens - die Mediation

Mediations-basierte Runde Tische

Im Rahmen neuer Kommunikations- und Partizipationsformen erweisen sich mediations-basierte Runde Tische als geeignetes Instrument zum Konfliktmanage­ ment und zur Konsensfindung. Es handelt sich hierbei um moderierte, ergebnisori­ entierte Runde Tische, die nach einem relativ festgefügten Zeit- und Fahrplan vor­ gehen, die von einem allgemein akzeptierten Mediator oder einer Mediatorin gelei­ tet werden, und die sehr stark auf die Eigenbeteiligung der Teilnehmer und Teil­ nehmerinnen abstellen. Bei den hier beschriebenen Runden Tischen, dem Bürger­ gespräch, werden nicht verschiedene Interessengruppen zur Diskussion gebeten, sondern eine in ihren Zielen und Vorstellungen nicht einheitliche Gruppe: die Ul­ mer Bürgerinnen und Bürger. Diese sollen durch ihre Ideen den städtischen Pla­ nungsprozeß bereichern und über dieses Forum ihre Ideen in den poltischen Ent­ scheidungsprozeß einbringen. Die Regeln der Runden Tische Die Teilnehmer einigen sich auf folgende Gesprächsregeln: Keine wertenden Äußerungen; niemand darf angegriffen werden; jeder darf ausreden. Jedem Teil­ nehmer soll Raum gegeben werden, sich zu äußern. Eine ungeschriebene Regel lautet, nicht darüber zu sprechen, was andere Ulmer und Ulmerinnen tun könnten, um Energie in Haushalt und beim Verkehr zu sparen. Jeder Vorschlag muß auch von der Gruppe selbst verwirklicht werden können. Die Teilnehmer bestimmen selbst, was von den erarbeiteten Ergebnissen als Bürgermeinung nach außen gehen soll.

Die Bürger beschließen, daß im Plenum (der Großgruppe) Vereinbarungen mit ei­ ner tolerierten Mehrheit getroffen werden, d.h. Teilnehmer können sagen, daß sie zwar nicht vorbehaltlos dafür sind, aber dennoch die von mindestens 2/3 der An­ wesenden getroffene Vereinbarung als Bürgermeinung mittragen. Bei strikter Ab­ lehnung der Vereinbarung durch einen Teilnehmer kann diese jedoch nicht zu einer „Bürgerempfehlung'’ werden. Ein Ergebnis, bei dem es keine Einigung gibt, kann als Meinungsverschiedenheit in das Plenum hineingetragen werden. Im Plenum muß dieser Dissens dann diskutiert werden. Jeder Gesprächsabend wird protokol­ liert. Die Protokolle erhält jeder Teilnehmer.

Aufgciben und Aufgabenverteilung im Team Die Runden Tische werden von einem Team des unw vorbereitet und durchge­ führt: Dr. Brigitte Dahlbender, Prof. Dr. Helge Majer und Dr. Friederike Seydel.

106

Aufgaben sind: Vorbereitung der Tagesordnung, Zuhören, Äußerungen aufgreifen und helfen, sie zu verdeutlichen, keine Bewertungen abgeben und zulassen; helfen Konsense zu finden, für Gleichgewicht in der Diskussion und Einhaltung der Ge­ sprächsregeln sorgen, Hilfestellung bei der Informationssuche geben, Ergebnisse zusammenfassen und Protokolle erstellen. Prof. Helge Majer als unw-Vorsitzender gibt die Richtung vor und gestaltet die Einbettung der Bürgergespräche in die Akti­ vitäten und Ziele des unw. Dr. Brigitte Dahlbender übernimmt die schwierige Auf­ gabe der Mediatorin. Dr. Friederike Seydel organisiert die Bürgergespräche: Aus­ wahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, der Tagungsräume und Materialien, und sie sorgt für eine angemessene Gesprächsatmosphäre. In gemeinsamen Bespre­ chungen werden Ideen ausgetauscht und die Vorgehensweise für jeden Abend im voraus besprochen. Als Protokollführer stellen sich Mitglieder und Mitarbeiter des unw zur Verfügung: Hans Frieser, Dieter Meiser, Rainer Martin, Willi Kamm, Ul­ rich Lison, Joachim Bauer, Kai Weinmüller. Brigitte Dahlbender übernimmt die Endredaktion der Protokolle und erarbeitet die Tabellen. Die Gesprächsabende fin­ den jeweils dienstags von 19-22 Uhr statt. Veranstaltungsort ist der Konferenzraum des InnovationsZentrums in der Sedanstraße, das sehr gut mit öffentlichen Ver­ kehrsmitteln erreichbar ist.

107

24

Die Bürger und die städtische Umweltpolitik

Aktive Unterstützung des Ulmer Oberbürgermeisters

In Ulm und in der Region beschäftigen sich viele mit Fragen der Energieein­ sparung, Umweltpolitik und Nachhaltigkeit. Es ist wichtig, daß diese einzelnen Aktivitäten stattfinden und daß dadurch eine Vielzahl von Ideen verfügbar wird. Ebenso wichtig ist es aber, diese Aktivitäten in den Zusammmenhang einzubinden und sie wirksam werden zu lassen. Deshalb ist es sehr wichtig, daß der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner dieses erste unw-Bürgergespräch nicht nur aktiv unterstützt (er hat an zwei Veranstaltungen teilgenommen), sondern daß er auch die Weiterleitung des entstehenden Bürgergutachtens („Bürgermeinung für Bür­ ger”) fördert. OB Ivo Gönner sieht in den Bürgergesprächen des unw eine wichtige Möglichkeit zu verdeutlichen, was die Bürger einer Stadt dazu beitragen können, um eine nachhaltige Entwicklung anzustoßen. Die Stadtpolitik könne ohne die Be­ teiligung der Bürger und Bürgerinnen keine tragfähigen Entscheidungen treffen, die auch Akzeptanz finden, sagt er.

Einbettung in die Stadtpolitik Die wichtigsten Punkte der städtischen Umweltpolitik sind der Verkehrsentwick­ lungsplan (VEP), das kommunale Energiekonzept und der Ausbau der Nutzung von Solarenergie. •

Ziel des Verkehrsentwicklungsplans ist es, den Autoverkehr um 10% zu re­ duzieren und den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) um diesen Anteil zu erhöhen.



Im Rahmen des Kommunalen Energiekonzepts soll eine deutliche Verringe­ rung des Energieverbrauchs von Altbauten erreicht werden sowie bei Neu­ bauten die geltende Wärmeschutzverordnung um 30% unterschritten wer­ den. Die Einrichtung einer Energieberatungsstelle mit Beratungs- und Ver­ mittlungsangeboten für individuelle Problemstellungen ist geplant. Beteilig­ te sind Vertreter und Vertreterinnen des Handwerks, der Stadtwerke Ulm, der Fernwärme Ulm GmbH und des Amtes für Stadtökologie.



Die Stadt fördert seit 1991 Maßnahmen zur Nutzung der Solarenergie. Im Solarjahr 1996 wurden viele beispielhafte Projekte angestoßen. Die Solar­ stiftung hat 1996 die Unterstützung von Forschung, Umsetzung und Öffent­ lichkeitsarbeit aufgenommen.

108



Weitere maßgebliche Schritte der Kommune sind das Kommunale Ökoaudit und das Modell vorhaben Ökologische Stadtentwicklung. 1997 wird nach 10 Jahren wieder eine große Umweltdebatte geführt mit dem Ziel, Leitlinien im Rahmen einer lokalen Agenda 21 zu entwickeln.

„Bürgermeinung ” für die Gerne inderäte Der Gemeinderat ist für die Umsetzung seiner Umweltprojekte auf die Mithilfe und den Einfallsreichtum der Bürger angewiesen. Er möchte gerne wissen, welche Ideen die Bürgerinnen und Bürger mit Energiesparen im Haushalt und im Verkehr verbinden. Dies setzt voraus, daß Bürgerideen als Anregungen und Entscheidungs­ hilfen für die politischen Gremien strukturiert und dokumentiert werden. Es wer­ den keine neuen Erkenntnisse, Zahlen und Fakten erwartet. Und es ist auch keine Besserwisserei vorgesehen; im unw-Bürgergespräch wird nur über Möglichkeiten gesprochen, die von den Teilnehmenden selbst realisiert werden können. Der Bei­ trag des unw-Bürgergesprächs besteht darin, die Möglichkeiten und Gegebenheiten in der Stadt mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes, dem „common sense”, zu betrachten und in umsetzbare Strategien einzubringen. Damit können städtische Aktivitäten gezielter geplant werden. Zu diesem Zweck soll die vorliegende Bür­ germeinung in die Umweltdebatte des Gemeinderats eingebracht werden, die in den nächsten Monaten stattfindet.

109

25

Zeitplan und Ablauf der Bürgerabende

29.10.96: Pressekonferenz mit OB Ivo Gönner im Rathaus

Am Vormittag des 1. Abends am 29.10.1996 findet zum Auftakt eine Pressekonfe­ renz statt, an der Oberbürgermeister Ivo Gönner, Dr. Brigitte Dahlbender, Dr. Frie­ derike Seydel, zwei Pressevertreterinnen und zwei der zufällig ausgewählten Bür­ ger teilnehmen. Das Ziel der Bürgergespräche und deren Einbindung in das Um­ weltgeschehen der Stadt wird der Öffentlichkeit vorgestellt. Im April 1997 sollen die in einem „Bürgergutachten” zusammengefaßten Ergebnisse auf einer Abscnlußpressekonferenz vorgestellt werden. 29.10.96: Einführung in das Thema

Oberbürgermeister Ivo Gönner legt die Umweltaktivitäten der Stadt dar und wie die Bürgergespräche in diese eingebunden werden können. Der unw-Vorsitzende Prof. Helge Majer stellt den unw, dessen Aktivitäten und das Ziel des unw-Bürgergesprächs vor. Frau Dahlbender beschreibt ihre Rolle als unw-Mediatorin, grenzt diese Rolle von anderen Aktivitäten ab und führt in die Gesprächsregeln ein. Die Abstimmung über die Entscheidungsregeln und ein Brainstorming zu Teilnahme­ gründen und Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger beschließen den Abend. 05.11.96: Energiesparen im Haushalt 1

Im Anschluß an ein kurzes Brainstorming hält Dipl.-Ing. Armin Roth, unw-Mitglied aus Nürtingen, ein Einführungsreferat über die Problematik der CO? - Emis­ sionen und die Folgen für die Umwelt. Herr Roth stellt einen Fragebogen der BUND-Ortsgruppe in Nürtingen vor, anhand dessen jeder seine persönliche CO: Bilanz für die Bereiche Ernährung, Wohnen, Verkehr und privaten Konsum erstel­ len kann. In der anschließenden großen Diskussionsrunde werden die Ideen gesam­ melt, Oberbegriffe gebildet und bewertet. Die Rangfolge der Themen wird ermit­ telt. Durch Auszählen der Teilnehmer werden von der Moderatorin mit Zustim­ mung der Teilnehmer drei Kleingruppen gebildet, die am nächsten Gesprächsabend jeweils ein Thema bearbeiten.

12.11.96: Energiesparen im Haushalt ll

Die Kleingruppen bestimmen jeweils einen Protokollführer. Gruppe 1 wird mode­ riert von Armin Roth, Gruppe 2 von Brigitte Dahlbender, Gruppe 3 von Friederike Seydel. Die Aufgabe jeder Gruppe besteht darin, Beiträge zur Umsetzung der The­ men zu sammeln sowie Hemmnisse und fördernde Einflüsse zusammenzutragen.

HO

Ziel ist es, konkrete Vorschläge zu erarbeiten, die im Plenum diskutiert und als Bürgermeinung formuliert werden sollen. Zum Abschluß werden die Einzelergeb­ nisse kurz im Plenum vorgestellt. 19.11.96: Energiesparen im Haushalt III

Die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen werden im Plenum besprochen. Ein Vorschlag der Mediatorin, in dem die Ergebnisse der Kleingruppenarbeit zusam­ mengefaßt sind, führt zu einer ausführlichen Diskussion. Pflastersteine für die Wege zur Nachhaltigkeit beim Energiesparen im Haushalt werden zusammengetra­ gen. Die Maßnahmen für die Bürgermeinung werden aber noch nicht endgültig festgelegt. Unter Anwendung der Entscheidungsregeln werden sie am Anfang des nächsten Abends beschlossen. Auch wird eine Rangfolge der Empfehlungen aufge­ stellt. 26.11.96: Energiesparen im Verkehr I

Der zweite Themenbereich „Energiesparen im Verkehr” wird eingeleitet durch die Vorträge von Dipl.-Kfm. Ulrich Lison und Dipl.-Kfm. Joachim Bauer, beide unwMitarbeiter in der Forschungsgruppe Zukunftsfragen. Das Prinzip der „Regionalen Nachhaltigkeitslücken” wird dargestellt. Es wird begründet, warum ein nachhalti­ ger Verbrauchs- oder Belastungswert nur schwer festgelegt werden kann. An ver­ schiedenen Schadstoffen wird aufgezeigt, wie weit wir in Ulm von der Nachhaltig­ keit entfernt sind. Ein Brainstorming zum Thema Energiesparen im Verkehr legt den Grundstock für die dann folgende Diskussion. 03.12.96: Energiesparen im Verkehr II

Die Ergebnisse aus dem Brainstorming werden unter verschiedenen Gesichtspunk­ ten diskutiert und in verschiedene Maßnahmen mit entsprechenden Beispielen zu­ sammengefaßt. Es wird eine Gliederung in die verschiedenen Themenbereiche an­ gestrebt. 10.12.96: Energiesparen im Verkehr III

Die Strukturierung des letzten Abends zum Thema Verkehr durch Differenzierung in ersetzbare und nicht ersetzbare Autofahrten soll zu konkreten Aussagen und Meinungen führen.

111

18.02.97: Abschlußabend

Besprechung des Bürgergutachtens („Bürgermeinung”). Zum Abschluß des unwBürgergesprächs wird festgestellt, inwieweit die Erwartungen erfüllt wurden, und ob noch weitere Aspekte hinzugekommen sind. Im April 1997 findet eine Abschluß-Pressekonferenz statt, auf der das Bürgergut­ achten der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Es sind Oberbürgermeister Ivo Gönner, Prof. Helge Majer und Dr. Friederike Seydel, sowie Frau Dr. Spatz-Zöllner und Herr Murr als Teilnehmer des Bürgergesprächs anwesend.

112

26

Bürgermeinung - „Energiesparen im Haushalt”

26.1 Themenorientierung und Abgrenzung Ein Thema, das jeden betrifft

Zum Einstieg referiert Dipl.-Ing. Armin Roth über die Problematik der CCh-Produktion sowie deren negative Folgen für die Umwelt und den Menschen. Die CO2‘ Produktion liegt in Deutschland bei ca. 11,3 t pro Kopf und Jahr. Die privaten Haushalte sind mit ca. 45% am CO2-Ausstoß beteiligt. Das Einsparpotential in die­ sem Bereich ist groß. Herr Roth hat mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Nürtingen einen Fragebogen erarbeitet, anhand dessen jede Person und jeder Haushalt, die eigene C02-Bilanz erstellen kann, und zwar für die Bereiche Ernährung, Wohnen, Verkehr und privater Konsum. Die dort angesprochenen En­ ergiesparmöglichkeiten werden von den Teilnehmern des unw-Bürgergesprächs kritisch diskutiert. Hauptkritikpunkte sind die fehlenden Berechnungen der Wirt­ schaftlichkeit regenerativer Energien, fehlende Angaben zu Auswirkungen von verschiedenen empfohlenen Maßnahmen auf die Gesundheit (Allergien, Infekti­ onskrankheiten, Mangelerscheinungen bei Änderung der Ernährungsgewohnheiten, NOx-Produktion bei Gasherden) sowie die Unvollständigkeit der Erhebungen. Die Teilnehmer identifizieren sich sehr mit dem Thema. einige Fakten:



Die Haushalte haben einen Anteil von 45% am Gesamtenergieverbrauch.



Jeder Ulmer erzeugt durchschnittlich 11,3t CO2 im Jahr.



Ulm als Mitglied des Klimabündnisses und damit alle Ulmer sind die Verpflichtung eingegangen, ihre CO2-Emissionen (Basis 1987) bis zum Jahr 2010 auf die Hälfte zu reduzieren.

Simulation einer Energieverknappung

Ausgangspunkt der Diskussion ist folgende Situation: Es herrscht eine Energie­ krise. Sie als Bürgerin oder Bürger sind gezwungen, Ihren persönlichen Energie­ verbrauch um 50% zu reduzieren. Was würden Sie im Haushalt tun, um dies zu er­ reichen? Die Äußerungen der Gesprächsteilnehmer beziehen sich auf die gesamte Palette der Einsparmöglichkeiten. Ein großes Gewicht liegt bei der Wärmedäm­ mung, der solaren Energiegewinnung und einer Vielfalt von Verhaltensänderun­ gen. Der bewußte Umgang mit Energie und daraus resultierende Änderungen beim Heizen und in der Gerätenutzung stehen im Vordergrund (siehe Abb. 12).

113

Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Haushalt (eine Auswahl)

• Tiefkühltruhe im Urlaub abschalten

• Haushaltskleingeräte auf Handbetrieb umstellen

• Raumtemperatur der Nutzung anpassen

• Photovoltaik

• Beleuchtung reduzieren

• duschen statt baden

• Wärmedämmung

• Energiesparlampen

• Heizung reduzieren

• Wärmerückgewinnung

• mehr lokale Produkte

• Raumtemperatur absenken

• Isolierverglasung

• Wäscheberge reduzieren

• solare Wassererwärmung

• Einschränken/Verzichten

• nicht mit Strom heizen

• auf Vorrat kochen

• Geräte teilen

• nur im Winter heizen

• Nahrungsmittel der Saison

• Geschirr von Hand waschen

• weniger konsumieren

• Geschirrspül- und Waschmaschine an die

• Kühlmöbel mit verbessertem Wärmedämmung

Warmwasserleitung anschließen

anschaffen Abb. 12: Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Haushalt (eine Auswahl)

Auswahl aus der Vielfalt - ein intensiver Diskussionsprozess In einer intensiven Diskussion werden insgesamt sechs Themenbereiche herausge­ arbeitet (vgl. Abb 13). Den Teilnehmern ist es wichtig, daß drei verschiedene Ebe­ nen angesprochen sind: •

Verhaltensänderungen (Konsum, Warmwasserverbrauch, Heizungsverrin­ gerung),



technische Bedingungen (Solartechnik, Heizungstechnik)



die institutioneile Ebene (Organisationen, Fördermöglichkeiten, gesetzliche Vorschriften, Verordnungen).

Sie entscheiden sich dafür, alle drei Ebenen zu bearbeiten. Ein problematischer Punkt ist, ob mit den Begriffen Verzicht/Einschränkung gearbeitet werden kann. Die Konsumänderung wird jedoch als so wichtig angesehen, daß ein eigener The­ menbereich daraus wird. Dabei steht nicht die Askese im Vordergrund, sondern Energiesparen bei Beibehaltung der gegenwärtigen Lebensqualität. Die Teilnehmer empfehlen, den Aspekt der finanziellen Einsparungen durch Verringerung des En­ ergieverbrauchs herauszustellen. Die individuellen Gründe für Energieeinsparung spielen keine Rolle. Wichtig ist das am Ende erzielte Ergebnis für den Weg zur Nachhaltigkeit.

114

Themen

Wertung (Punkte)

Rangfolge

Umstieg auf erneuerbare Energieträger

11

1

Energieeinsparung bei Strom

7

3

- Wärmedämmung

6

4

- Warm wasser

1

5

- Heizung

8

2

Energieeinsparung durch Verzicht im Konsumbereich

8

2

Energieeinsparung bei Wärme

Abb 13: Die wichtigsten Themenbereiche und ihre Bewertung durch die Bürger

Themen für die Arbeit der Kleingruppen

Bei der Auswahl der Themen für die Kleingruppen ergibt sich, daß alle drei Grup­ pen das Thema Energiesparen beim Strom in erster Priorität, zwei Gruppen Ener­ giesparen durch Verzicht im Konsum und eine Gruppe Energiesparen durch Wär­ medämmung in zweiter Priorität wählen. Das mit den meisten Punkten als wichtig­ stes und dringlichstes Element der Energieeinsparung bewertete Thema, der Um­ stieg auf erneuerbare Energien (siehe Abb. 13), wird zunächst nicht in Betracht ge­ zogen. Die Teilnehmer begründen dies damit, daß dies ihrer Einschätzung nach eher ein institutionelles und technisches Problem ist. Nach intensiver Diskussion werden folgende drei Themen bearbeitet:



Gruppe 1: Umstieg auf erneuerbare Energie



Gruppe 2: Energieeinsparung bei der Heizung



Gruppe 3: Energieeinsparung beim Strom

Das Thema Konsumverzicht wird in die ausgewählten Themen integriert.

26.2 Ausgewählte Themenbereiche 26.2.1 Erneuerbare Energie Erneuerbare Energie - schwierige Umsetzung trotz großer Effektivität

Die größten Chancen, fossile und atomar erzeugte Energie zu ersetzen, sehen die Teilnehmer in der solaren Warmwasserbereitung, weniger bei der Photovoltaik. Windenergie, Biomasse und Wärmerückgewinnung spielen eine untergeordnete Rolle. Die mit Abstand größten Hemmnisse für den Einbau von Solaranlagen sind:

115

Rentabilität, vor allem in der zu geringen finanziellen Förderung durch Institutionen begründet zu geringer Nachdruck auf die Forschung

auf der Verhaltensseite ist das größte Problem der Zweifel an der Rentabilität und an der Effektivität der Technologie Hemmnisse: Rentabilität

institutionell technisch

zu hohe Kosten

zu geringe Förderung

Stromkosten-Struktur

kein Nachdruck auf Forschung

1

Verhalten

1

8

1 3

Zweifel an Rentabilität und Effizienz der Technologie

3

Mangelndes Bürgerengagement

1

Besitzverhältnisse

1

Platzmangel Standorteinfluß

1 1

1

1

Abb. 14: Institutionelle, technische und im Verhalten begründete Hemmnisse für die Nutzung erneuer­ barer Energie

Hinweis: Die Zahlen geben die Anzahl der Bewertungspunkte wieder.

► Ergebnis:

Anregungen zur Überwindung der Hemmnisse • Überwindung der Hemmnisse vor allem im institutionellen Bereich • wichtige Anreize zum Einbau von Solaranlagen gehen von einer veränderten Kostenstruktur beim Strompreis aus (niedrige Grundgebühren und größere Belastung des tatsächlichen Stromverbrauchs)

• Beibehaltung und eventuell weiterer Ausbau der finanziellen Förderangebote in Ulm • Zweifel an der Rentabilität durch Werbung und Öffentlichkeitsarbeit abbauen • Anreiz für Bürgerengagement durch Modellprojekte mit Bürgerbeteiligung

Abb. 15: Anregungen zur Überwindung der Hemmnisse

116

26.2.2 Heizung

Energieeinsparung durch Heizung - Verhaltensänderungen und Wärmedämmung sind wichtig Die Teilnehmer stellen die Maßnahmen in den Vordergrund, deren Umsetzung Mietern wie Eigentümern gleichermaßen möglich ist. Die Gruppe sieht Einspar­ möglichkeiten durch: •

Verhaltensänderungen wie Absenkung der Raumtemperatur und richtiges Lüften,



einfache Dämm-Maßnahmen



einen energie-effizienteren Umgang mit der Technik Technik

Verhalten

Institution

• techn. Möglichkeiten kennen (2)

• vernünftig lüften, stoßlüften (4)

• Ist/Soli-Verbrauch bewußt machen (5)

• Thermostatventile

• Räume nach Bedarf heizen (1) • bessere Energieausnutzung

• offenliegende Rohre isolieren

• wärmer anziehen

• Türen und Fenster abdichten



• Heizung optimal regulieren

• • • •

• Anreize schaffen für die Umstellung / modemisierung absenken der Raumtemperatur der Heizungsanlage Heizperiode verkürzen • keine Neuinstallation von Nachtabschaltung Elektroheizungen Raumtemperatur der Nutzung • regelmäßige Wartung der anpassen Heizung Türen schließen

Abb. 16: Energiesparmaßnahmen bei der Heizung durch Eigentümer und Mieter

Hinweis: Die Zahlen in Klammem geben die Anzahl der Bewertungspunkte wieder.

Die größten Hindernisse bei der Umsetzung dieser einfachen Maßnahmen liegen darin, daß die Menschen nicht auf den gewohnten Komfort verzichten wollen. Aber auch Gleichgültigkeit und Unwissenheit spielen eine große Rolle. Um diese Hemmnisse überwinden zu können, ist es wichtig, den Soll/Ist-Verbrauch bewußt zu machen. Vergleichbar dem Frage- und Auswertungsbogen der Stadtwerke Ulm für den Stromverbrauch wünschen sich die Bürger dies bei der Heizung. Die Überprüfung des eigenen Verbrauchs und die Möglichkeit, den Effekt von Sparmaßnahmen darzustellen, ist ein entscheidender Faktor auf dem Weg zum Energiesparen bei der Heizung.

117

Größtes Einsparpotential bei der Wärmedämmung

Den Bürgern ist bewußt, daß das größte Einsparpotential im Bereich der Wärme­ dämmung liegt. Die Umsetzung dieser Maßnahmen ist jedoch weitgehend den Eigentümern vorbehalten. Die hohen Investitionskosten können leichter mit institu­ tioneller Hilfe erbracht werden. Die wichtigsten Elemente hierbei sind Fördermaß­ nahmen und beispielgebende Projekte. ► Ergebnis:

Anregungen der Bürger mit Bewertung der effizientesten Maßnahmen beim Heizen • Wärmedämmung

(8)

• Wärmerückgewinnungsanlage

(1)

• dichtere Fenster einbauen

(1)

• Nutzung von Erdwärme

(1)

• Außenfühler installieren • vernünftiges Programmieren der Heizung

Abb. 17: Anregungen der Bürger mit Bewertung der effizientesten Maßnahmen beim Heizen

Hinweis: Die Zahlen in Klammem geben die Anzahl der Bewertungspunkte wieder.

26.2.3 Strom Energieeinsparung beim Strom - Verhaltensänderungen stehen im Vordergrund

Die Teilnehmer legen bei den Einsparmaßnahmen den Schwerpunkt auf Verhal­ tensänderungen. Dies bedeutet nicht unbedingt, daß hier auch das größte Einspar­ potential ist. Komfort und Bequemlichkeit sind große Hemmnisse bei der Umset­ zung. Strom ist nach Meinung der Bürger generell zu preiswert, aber die Kosten für die Anschaffung neuer, wenig Energie verbrauchender Geräte sind zu hoch.

118

institutionell

technisch

Verhalten

• leicht zugängliche Information (1)

• Info auf Verpackung von Elektrogeräten (1)

• Emotion / Motivation (3)

• Slogan: Strom sparen fördert Umwelt (I)

• Stromeinsparung erleben (1)

• Stromsparen soll Spaß machen

(1)

• Stromsparen/-verbrauch sinnlich erfahren (1) • Antiwerbung gegen Konsum

(1) • Energiesparen positiv besetzen (1) • Werbung für Energiesparen

(1) • objektive Beratung (1) • Information in Kindergarten und Schule (1)

• Strombugetierung (3) • Strompreis erhöhen (3) • Entscheidungsgremien mit Vertretern nächster Generation besetzen (1) • Stromsparen finanziell interessant machen (1) Abb. 18: Institutioneile, technische und im Verhalten begründete fördernde Einflüsse, die zur Senkung des Stromverbrauchs beitragen

Hinweis: Die Zahlen in Klammem geben die Anzahl der Bewertungspunkte wieder.

Fördernde Einflüsse zur Verringerung des Stromverbrauchs sind Energieverteue­ rung und Strombudgetierung. Ebenso wichtig sind leicht verständliche Informatio­ nen mit direktem Bezug zum Produkt und eine unabhängige Beratung. Der Schwerpunkt liegt zwar bei der eigenen Verhaltensänderung, aber ohne institutio­ neile Unterstützung scheint diese schwer umsetzbar zu sein.

119

► Ergebnis: Anregungen der Bürger zum Stromsparen • es bestehen große Informationsdefizite

• eine objektive Beratung könnte Stromsparen als Verhaltenselement erleichtern (Ökobilanzen von Geräten u. Energiesparlampen) • attraktive Angebote zum Stromsparen fehlen, z. B. zum Leasing von stromsparenden Geräten; Stromeinsparung veranschaulichen

• ohne Energieverteuerung werden keine Verhaltensänderungen eintreten • die Motivation zum stromsparenden Verhalten ist eine institutionelle Aufgabe

Abb. 19: Anregungen der Bürger zum Stromsparen

26.3 Bürgermeinung - Die zentralen Aussagen ► Ergebnis:

Die zentralen Aussagen der Bürger • Die übergreifende Aussage ist, daß die eigenen Verhaltensänderungen beim Energiesparen im Haushalt die tragende Rolle spielen. Sie werden jedoch ohne Unterstützung und ohne Anreize von außen nicht umgesetzt. Nach Meinung der Teilnehmer aller Kleingruppen spielen die Institutionen(hier: Organisationen wie Verwaltung, Gemeinderat, Schule, etc.) bei Veränderungen im Verhalten eine wichtige Rolle. Die Quantifizierung der Einsparpotentiale und Maßnahmen ist sehr wichtig. In der Diskussion stellt sich heraus, daß häufig technische und institutioneile Vorgaben (verbesserte Geräte, Änderungen der Kostenstruktur für Strom) als Voraussetzungen für eine persönliche Verhaltensänderung gesehen werden. • Als Problem werden die mangelnden Umsetzungsmöglichkeiten von Mietern gegenüber Eigentümern gesehen. Gerade die effektivsten Maßnahmen (Wärmedämmung, Heizungsemeuerung, Installation von Solaranlagen) sind den Eigentümern vorbehalten.

• Mieter wie Eigentümer können durch eine energiebewußte Stromnutzung Energie einsparen. • Alle Teilnehmer vereinbaren einen Katalog von Maßnahmen zum Energiesparen im Haushalt, den sie für umsetzbar halten (siehe Abb. 21). Als wichtigste Maßnahmen werden die Reduktion von Wärmeverlusten, rationelle Energienutzung, Modernisierung von Heizungsanlagen und energiebewußte Stromnutzung betrachtet. Die wichtigsten Punkte, die zur Umsetzung dieser Maßnahmen führen, sind in Abb. 22 aufgeführt. • Die Teilnehmer der Bürgergespräche haben sich bewußt für die Maßnahmen entschieden, die ein hohes Einsparpotential haben. Die Diskussion zeigt deutlich, daß dies nicht abgekoppelt von den Verhaltensänderungen in den anderen Bereichen gesehen werden darf. Nur die Verbindung mit der eigenen Verhaltensänderung führt zum Erfolg.

Abb.20: Energiesparen im Haushalt - die zentralen Aussagen der Bürger

120

Die Teilnehmer einigen sich in dem intensiven Diskussions- und Abstimmungspro­ zeß auf eine ganze Reihe von umsetzbaren Maßnahmen zur Energieeinsparung. In der nachfolgenden Tabelle sind diese Maßnahmen nach ihrer Rangfolge aufge­ führt: ► Ergebnis:

Maßnahme

Beispiele

• Reduktion von Wärme Verlusten

-Wärmedämmung -dichtere Fenster einbauen -Türen abdichten -offenliegende Rohre isolieren

• rationelle Energienutzung

-Thermostatventile -Außenfühler -gute Programmierung der Heizungsanlage -Wartung der Heizungsanlage

• Heizungsmodemisierung

-Gasheizung -neue Heizkessel -neue Heizkörper -Elektroheizung abschaffen

• Energiebewußte Stromnutzung

-kein Stand by -Wasser nicht über 6O0C erwärmen -Geschirr nicht warm vorspülen -volle Wasch- und Spülmaschinen -Gerätegemeinschaften -Kühlmöbel nicht neben Wärmequelle -Reduktion der Beleuchtungskörper

• Solaranlagen

-solare Brauchwassererwärmung -Photovoltaikanlage

• Raumtemperatur senken

-Raumtemperatur der Nutzung anpassen -Nachtabschaltung

• Stromsparende Geräte

-Spül- und Waschmaschinen mit Warmwasseranschluß -moderne Geräte -Energiesparlampen

• Stromersatz

-nicht mit Strom heizen -solare Stromerzeugunng -handbetriebene Arbeitsgeräte

• lüften

-lüften -Türen schließen

Abb. 21: Bürgermeinung - umsetzbare Maßnahmen Hinweis: Die obigen Vorschläge sind nach ihrer Rangfolge sortiert.

121

Bei den Teilnehmern herrscht Einigkeit darüber, daß alle Maßnahmen prinzipiell umgesetzt werden können. Damit aber tatsächlich der Schritt vom Wissen zum Handeln getan wird, sind sowohl eigene Aktivitäten als auch Unterstützung von Seiten der Institutionen notwendig: ► Ergebnis:

eigene Aktivität

institutionelle Aufgaben

• Bürger als Lobbyisten

• Finanzielle Förderung

• Modellprojekte mit Bürgerbeteiligung

• Modellprojekte mit Bürgerbeteiligung

• Wissen um finanzielle Einsparung

• neutrale Beratung

• Energiebilanzen

• kostendeckende Stromvergütung

• Modellprojekte

• finanzielle Förderung (Eigentümer)

• Standortbestimmung über den eigenen Verbrauch

• Änderung Kostenstruktur

• Wissen über gesundheitliche Vorteile

• Stromeinsparung erleben

• Soli/Ist-Berechnungen des indivduellen Verbrauchs

• handbetriebene Arbeitsgeräte

• Information

• Strompreis erhöhen

• Werbung

• neutrale Energieberatung • Unterricht in Kindergarten und Schule • Jugend in die Entscheidungsgremien

Abb. 22: Voraussetzungen und Hilfestellungen zur Vergrößerung der Umsetzungschancen

122

27

Bürgermeinung - „Energiesparen im Verkehr”

27.1 Themenorientierung und Abgrenzung

Zahlen und Daten zur Verkehrsentwicklung in Ulm

In dem Einführungsreferat stellen Dipl.-Kfm. Ulrich Lison und Dipl.-Kfm. Joa­ chim Bauer spezifische Daten zur aktuellen Verkehrssituation aus der Studie des unw „Regionale Nachhaltigkeitslücken” (unw-Schriftenreihe, Band 2) vor. Es lassen sich folgende Ergebnisse zusammenfassen: •

Die Kombination aus Fahrtanlaß, Wegelänge und verwendetem Verkehrs­ mittel läßt über eine sog. Determinantenstruktur Rückschlüsse auf die Ver­ ursacher des Energieverbrauchs zu.



Aus den Daten geht hervor, daß alle verkehrsbezogenen Daten in den letz­ ten Jahren angestiegen sind, was darauf hinweist, daß keine privaten oder politischen Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden. Die Ulmer Verkehrsda­ ten, gefahrene Kilometer, zugelassene Fahrzeuge, Anzahl von Parkplätzen und Verkehrsfläche haben deutlich zugenommen. Ein Umstieg auf andere Verkehrsmittel hat nicht stattgefunden.



Die Autofahrten in Ulm verteilen sich auf folgende Anlässe: 1 Aktivität 75% (davon fallen auf Freizeit 27%, Einkauf 17%, Arbeit 15%, Ausbildung 8%, Sonstige 8%); 2 Aktivitäten 15 %; mehr als 2 Aktivitäten 10%.



Für den Ulmer Binnenverkehr gilt folgende Wahl der Fortbewegung: PKWFahrer (incl. Mitfahrer) 47%, Fußgänger 30%, Radfahrer 12%, ÖPNVBenutzer 11%. Rund 30% der Fahrten sind Kurzstreckenfahrten: 22% der PKW-Fahrten haben eine Streckenlänge bis 3,2 km, 9% bis 0,9 km.

weitere Fakten: •

Der Verkehr hat einen Anteil von 28% am Gesamtenergieverbrauch



1 km Autofahrt kostet 1 DM 1t. ADAC



11 Benzin erzeugt 2,3 kg CO?



Herstellung eines Mittelklassewagens erzeugt 10t CO?

Die eigene Verhaltensweise ändern

Das Thema löst sehr intensive Diskussionen aus. Alle Teilnehmer fühlen sich in hohem Maße direkt betroffen. Die Bürger und Bürgerinnen erachten die Änderung der eigenen Verhaltensweisen als sehr wichtig und notwendig. Die Überprüfung der Fahrgründe und das Weglassen unnötiger Fahrten haben dabei eine große Be­

123

deutung. Zeitliche Unabhängigkeit, größere Beweglichkeit und geringere Ortsge­ bundenheit, vor allem beim Einkäufen und in der Freizeitgestaltung, sind für viele ein Hinderungsgrund, das eigene Verhalten zu ändern. Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Verkehr • ÖPNV benutzen

• unnötige Fahrten weglassen

• Wochenendausflüge mit der Bahn

• Fahrgemeinschaften bilden

• Fahrrad bei Kurzstrecken benutzen

• Car-Sharing

• mehr zu Fuß gehen

• Autofahrten auf Notwendigkeit prüfen

• sparsame Fahrweise

• 14-tägige Großeinkäufe

• Auto als Statussymbol ablösen

• auf Flugreisen verzichten

• auf Verhaltensänderungen hinarbeiten

• überprüfen der Fahrgründe

• Kurzstrecken vermeiden

• energiesparende Fahrweise

• Gruppentaxi nutzen

• umweltschonende Autos benutzen

Abb. 23: Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Verkehr

27.2 Wichtige Ansatzpunkte Ideenvielfalt

Ergebnis ist eine Fülle von Ideen, die sich auf die Änderung der Verhaltensweisen, technische Entwicklungen beim Auto und institutioneile Maßnahmen wie Verbes­ serungen des ÖPNV, Autofahren erschweren, bessere Informationspolitik, eine andere Stadtplanung und Angebote des Handels beziehen. 27.2.1 Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV)

Der ÖPNV muß attraktiver werden Für viele Teilnehmer sind größere Unbequemlichkeiten bei der Benutzung des ÖPNV ein Grund, doch lieber mit dem Auto zum Einkäufen in die Stadt zu fahren. Ein Bus-Shuttle, der im Ringverkehr in kurzen Abständen um die Innenstadt fährt und die Menschen schnell zu den Bushaltestellen oder Park & Ride-Plätzen bringt, ist eine wichtige Voraussetzung für den Umstieg. Da viele nur die Kosten für den Benzinverbrauch und die Parkgebühren bei einem Vergleich mit den Kosten für den ÖPNV in Rechnung stellen, werden Bus und Straßenbahn in der Regel als zu teuer eingestuft.

124

Anregungen der Bürger zum ÖPNV

• ÖPNV preiswerter machen

• besserer Service

• kostenloser Bus-Shuttle in die Innenstadt

• Bus-/Bahnnetz ausbauen

• Freifahrten bei Großveranstaltungen

• Extraspuren für den ÖPNV

• Benzinpfennig für den ÖPNV

• kürzere Taktzeiten

• Fahrpreise in Eintrittspreise integrieren

• Bedarfsstruktur für Busnetz ermitteln

• häufigere Fahrten von 23.00 - 24.00 Uhr

• kostenloser Ringverkehr im Stadtkern

• Vergütung der ÖPNV-Tickets durch den

Einzelhandel

Abb. 24: Anregungen der Bürger zum ÖPNV

27.2.2 Technische Entwicklungen beim Auto

Technische Entwicklungen beim Auto als Zusatzmaßnahme In der Diskussion wird deutlich, daß in der Entwicklung von schadstoffarmen, wenig verbrauchenden Autos eine Chance zur Verbesserung der Umweltentlastung besteht. Jedoch stehen diese Überlegungen nicht im Vordergrund. Sie werden nur als notwendige Ergänzung zu den anderen Maßnahmen gesehen. Anregungen der Bürger zur technischen Entwicklung beim Auto • Diesel mit Rußfilter

• Wasserstofftechnologie für Autos • energiesparende Autos entwickeln

• leichtere Autos bauen

Abb. 25: Anregungen der Bürger zur technischen Entwicklung beim Auto

27.2.3 Stadtplanung

Eine Stadtplanung weg vom Autoverkehr ist unverzichtbar Der Stadtplanung wird eine wesentliche Einflußnahme auf das Ausmaß des Auto­ verkehrs zugeordnet. Die Teilnehmer fordern eine Planung, die gezielt die Auto­ nutzung weniger attraktiv macht und gleichzeitig die Benutzung des Fahrrads und das Zufußgehen fördert. Außerdem ist die Serviceleistung rund ums Fahrrad zu gering. Fußwege sind selten attraktiv.

125

Das „Prinzip der kurzen Wege” (z.B. Nahversorgung, Mischung von Wohnen und Arbeiten) muß schon bei der Stadtplanung berücksichtigt werden. Anregungen der Bürger zur Stadtplanung

• Fußwege attraktiv machen

• Straßen verengen

• Bedarfsstruktur für Radwegenetz ermitteln

• Radwegenetz ausbauen

• sichere und trockene Fahrradstellplätze errichten

• bessere Radwege anlegen

• wohnortnahes Arbeiten planen

• Straßen in Wohnbereichen der Innenstadt

• attraktivere Gestaltung der Verbindungen von

Parkplätzen und Haltestellen zur Fußgängerzone

sperren

• Alleen anlegen

Abb. 26: Anregungen der Bürger zur Stadtplanung

27.2.4 Service des Handels Serviceleistungen des Einzelhandels fördern den Verzicht auf Autofahrten

Der Handel müßte vermehrt einen Frei-Haus-Lieferservice anbieten. In Gebieten ohne ausreichende Nahversorgung können mobile Läden eingerichtet werden. Der Ausbau von telefonischem Bestellservice und Teleshopping ist eine wichtige Vor­ aussetzung, um die oben beschriebenen Verhaltensänderungen auch umzusetzen. Anregungen der Bürger zum Service des Handels • Transport von Waren ins Haus • definierte Zulieferzeiten für Berufstätige • Ausbau von telefonischem Bestellservice

• Teleshopping • Lieferservice durch den Einzelhandel

Abb. 27: Anregungen der Bürger zum Service des Handels

27.2.5 Informationen zum Auto und ÖPNV Information rund ums eigene Auto ist notwendig

Informationen über die Umweltbelastungen durch das Auto erreichen die Bürger offenbar nicht in der Weise, daß es in Wissen und Handeln umgesetzt werden kann. Vielen Teilnehmern fehlt bei den Informationen die Möglichkeit, auf einfa­ che Weise den direkten Bezug zum eigenen Verhalten herzustellen.

126

Anregungen der Bürger zur Information über das Auto

• Information übersteigenden Energieverbrauch • Informationen über den persönlichen Energieverbrauch durch die Autonutzung • wahre Kosten des Autos

• CO:-Ausstoß bei Herstellung und Betrieb von Autos • regelmäßige Umweltseite in den Zeitungen, um Bewußtsein für die Umweltschäden durch das Auto zu schaffen

• Daten über Nutzungsgewohnheiten der Autofahrer veröffentlichen

Abb. 28: Anregungen der Bürger zur Information über Auto und ÖPNV

Verkehrsverminderung - nur durch Verbesserung des ÖPNV erreichbar, wenn gleichzeitig das Auto weniger attraktiv wird

Die Teilnehmer sind sich einig, daß der Umstieg auf andere Verkehrsmittel institu­ tionell erleichtert und gefördert werden muß. Die notwendigen Maßnahmen bezie­ hen sich hauptsächlich auf die Verbesserung des ÖPNV und Verringerung der Attraktivität des Autofahrens. Nur wenn neben der Verbesserung des ÖPNV die Nutzung des Autos erheblich erschwert wird, besteht ein Anreiz, auf den ÖPNV umzusteigen. Die Erhöhung des Benzinpreises wird mit Abstand am häufigsten ge­ nannt. Das Autofahren muß teurer werden und weniger bequem sein. ► Ergebnis:

Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Verkehr • Verbesserter ÖPNV:

-preiswerter -Nulltarif

-kürzere Taktzeiten -ausbauen

-Regionalzüge besser vertakten • unattraktiveres Auto:

-Benzinpreis erhöhen -Straßenbau reduzieren

-keine neuen Parkplätze bauen -wohnortnahes Arbeiten ermöglichen

127

-Tempolimit flächendeckend -Autofahren auf Preisnivau von ÖPNV heben

-Negativ-Image von Autos fördern -PKW-Nutzung erschweren

-Ortseinfahrtgebühren und Straßenbenutzungsgebühren erheben -Gelder vom Straßenbau auf ÖPNV umverteilen

Abb. 29: Anregungen der Bürger zum Energiesparen im Verkehr

Informationen erreichen die Bürger nicht Über den Ulmer ÖPNV wissen die Teilnehmer des unw-Bürgergesprächs, bei denen man ein Interesse an der Umweltproblematik voraussetzen darf, vieles nicht: Jobtickets, die freie ÖPNV-Fahrt mit der Eintrittskarte zum Ulmer Theater, verbil­ ligte Tarife und vieles andere. Ebenso meint man, daß die Kenntnisse über die tatsächlichen Kosten des Autos gering sind. Anscheinend gelingt es nicht, die In­ formationen über die Alternativen zum Auto in Ulm so an den Bürger heranzubrin­ gen, daß sie zu einem Umstieg auf Bus und Bahn führen.

27.3 Autofahrten - möglicher Ersatz und Hinderungsgründe Wir fangen bei uns selbst an

Mit dem in Abb. 30 abgebildeten Fragebogen werden persönliche Daten zur Mobi­ lität abgefragt. Die regelmäßig wiederkehrenden Autofahrten werden nach Anzahl der Kilometer hin und zurück und dem Zweck der Fahrt zusammengetragen. Dann Fahrt

km

Zweck u /e

von - bis

Ersatz Hinderungsgründe für Ersatz (12 Punkte)

hin - rück

Ulm-Böfingen-

Kommentar

DM Zeit Korn An-fort dere 10

Arbeit

e

8

Freizeit

u

Bus

8

4

Donautal

Ulm-Böfingen-

12

Sicherheit am Abend

Innenstadt

Abb. 30: Tabelle zum Eintrag der regelmäßigen Fahrten mit zwei fiktiven Beispielen.

128

wird entschieden, ob die Fahrten ersetzbar (e) oder unersetzbar (u) sind, und wo­ durch Ersatz möglich ist. Die Gründe, die die Bürger daran hindern, tatsächlich vom Auto auf ein anderes Verkehrsmittel umzusteigen (Geld, Zeit, Bequemlich­ keit, Andere) werden bewertet: Jeder Teilnehmer kann maximal 12 Punkte verge­ ben, die beliebig auf einen oder alle 4 Gründe verteilt werden können. Die Spalte Kommentar dient überwiegend dazu, die weiteren Hinderungsgründe (Andere) zu erläutern.

Autofahrten sind ersetzbar Die regelmäßigen, wöchentlichen Autofahrten von den Fahrten zur Arbeit bis hin zu den Fahrten zur Freizeitgestaltung sind bei den Teilnehmern prinzipiell ersetz­ bar (Abb. 31). Als problematisch stufen die Bürger die Einkaufsfahrten ein. Zum Transport, vor allem der Wocheneinkäufe, ist für die meisten das Auto unentbehr-

700

Arbeit

Einkauf

Freizeit

Fortbildung

Ehrenamt Zweitwohnsitz

nicht ersetzbar

ersetzbar durch:

ÖPNV

zu Fuß

Fahrrad

Mitfahrt

llllllllllll

Abb. 31: Ersetzbarkeit von Autofahrten

Hinweis: auf der senkrechten Achse sind die pro Woche zurückzulegenden Kilometer dargestellt

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lieh. Einige Bürger weisen daraufhin, daß die Einkäufe oft nicht als Extrafahrten zu rechnen sind, da sie in der Regel auf dem Rückweg von der Arbeit ohne nennens­ werten Umweg erledigt werden können. Der Service des Handels spielt eine wich­ tige Rolle (s. 28.2.4.). Warum trotzdem Autofahren?

Obwohl die Autofahrten prinzipiell als ersetzbar eingestuft werden, fahren die Bür­ ger weiterhin mit dem Auto (Abb. 32). Die Kosten für den ÖPNV spielen bei den Hinderungsgründen nur eine geringe Rolle. Bei der Fahrt zur Arbeit ist die Be­ quemlichkeit der wichtigste Hinderungsgrund. Ein weiterer Hinderungsgrund ist das persönliche Sicherheitsbedürfnis. Beim Einkauf handelt es sich überwiegend um ein Transportproblem. Entscheidender Hinderungsgrund bei den Freizeitfahrten ist der Zeitverlust. Gerade am Abend sind die ÖPNV-Verbindungen zu selten. Die Orte, an denen die Freizeit verbracht wird, wie z.B. der Sportverein, sind vom Wohnort aus oft schlecht zu erreichen. Das ÖPNV-Angebot wird hier als zu lückenhaft empfunden. Der Verzicht auf das Auto beschränkt für viele die Sponta­ neität in der Wahl der Freizeitaktiviät oder die Möglichkeit sich anders zu entschei­ den. Autofahrten zur ehrenamtlichen Tätigkeit werden übereinstimmend aus Zeit­ gründen für nicht ersetzbar gehalten. Wer Arbeit und Energie in das Ehrenamt steckt, nimmt ungern noch einen zusätzlichen Zeitaufwand in Kauf.

Freizeit - Zeit für den ÖPNV ? An einer beispielhaften Fahrt wird durchgespielt, wieviel Zeit die Bürger für eine Fahrt mit dem Bus investieren wollen. Mit dem Auto braucht man am Abend ca. 15 min von Wiblingen ins Ulmer Theater. Hin und zurück bedeutet das einen Zeit­ aufwand von 30 min für den Theaterbesuch. Die Hälfte der Teilnehmer ist bereit, doppelt so viel Zeit in die Hin- und Rückfahrt mit dem ÖPNV zu investieren. Nach intensiver Diskussion beschliessen alle Teilnehmer, daß eine Verdoppelung des Zeitaufwandes bei ÖPNV-Fahrten in die Innenstadt zur Freizeitgestaltung gegenü­ ber der Autofahrt akzeptabel ist. Die überwiegende Zahl von Teilnehmern ist nicht bereit, für die ÖPNV-Nutzung mehr Geld zu investieren, als sie für die Parkgebühren und das Benzin für die ge­ fahrenen Kilometer bei Nutzung des Autos aufwenden müßten. Der Grund ist, daß von den meisten Bürgern die Anschaffungskosten des Autos nicht berücksichtigt werden. In diesem Punkt gibt es in der Bürgerrunde keinen Konsens.

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Abb. 32: Warum werden Autofahrten nicht ersetzt ?

Hinweis: auf der senkrechten Achse sind die Bewertungspunkte dargestellt

Was ist die Nutzung des ÖPNV dem Einzelnen wert?

An die Teilnehmer wird folgende Frage gestellt: ,,Wieviel wären Sie bereit jährlich pro Person zu zahlen, wenn dadurch die ÖPNVNutzung kostenlos würde?” Als Durchschnitt werden 250 DM angegeben, der geringste Betrag liegt bei 120 DM, der höchste bei 350 DM. Für die Hälfte der Teilnehmer, die eine Zahl ge­ nannt haben, muß garantiert sein, daß das ÖPNV-Angebot sich zumindest nicht verschlechtert.

Der jährliche Kostenaufwand für den ÖPNV beträgt nach Auskunft der Stadtwerke Ulm ca. 50 Millionen DM14. Nimmt man an, daß die Ulmer Bürger ab einem Alter 14 Diese Zahl soll nur als grober Anhaltspunkt dienen, da der ÖPNV auch Neu-Ulm mitbedient. Andererseits sind die eingemeindeten Ulmer Vororte nicht berücksichtigt, da sie von privaten Busunternehmen angefahren werden.

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von 10 Jahren (102.099 Bürger am 31.12.1996) zur ÖPNV-Nutzung einen Beitrag zahlen würden, der diese Kosten deckt, so käme man auf einen Betrag von ca. 490 DM pro Person und Jahr. Soziale Belange werden nicht diskutiert. Die Teilnehmer liegen mit ihrer durchschnittlichen Beitragsbereitschaft von 250 DM deutlich unter diesem Betrag. Damit könnte die Hälfte der Kosten des ÖPNV gedeckt werden. Andererseits spielen die Kosten bei den Hinderungsgrün­ den für den Autoverzicht eine geringe Rolle (s. Abb. 32). Der Widerspruch kann im Rahmen dieses Bürgergespräches nicht mehr geklärt werden.

Bürgermeinung - Die zentralen Aussagen ► Ergebnis:

Die zentralen Aussagen der Bürger • Autofahrten sind prinzipiell ersetzbar • Ein wichtiger Hinderungsgrund, den ÖPNV zu nutzen, ist der höhere Zeitaufwand. Die ÖPNVFahrt darf höchstens doppelt so lange dauern wie eine Autofahrt. • Weitere Hinderungsgründe sind Bequemlichkeit, der Verlust an Komfort und Spontaneität, persönliche Sicherheitsaspekte und Transportprobleme. • Die Informationen über den Ulmer ÖPNV erreichen viele Bürger nicht. • Für einen Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel ist ein Zusammenspiel verschiedener Einflußgrößen notwendig:

-eigene Verhaltensänderung

-bürgernahe Informationen

-institutionelle Leistungen, die Auto fahren unattraktiver machen -gleichzeitige Verbesserung des ÖPNV-Angebotes • Der überwiegende Teil der Äußerungen bezieht sich auf institutioneile Änderungen. Ohne deren Umsetzung sind nach Meinung der Bürger die Chancen für einen Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel schlecht. Die Bürger sehen sich außerstande, Empfehlungen für andere Bürger zu formulieren, die sie selbst nicht umsetzen können.

Abb. 33: Energiesparen im Verkehr - die zentralen Aussagen der Bürger

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Kurzportraits der Referenten und Autorinnen

Baacke, Eugen, geb. 1946 in Saulgau, Studium der Germanistik und Politikwis­ senschaft an den Universitäten Tübingen und München. Seit August 1989 Leiter des Fachreferats Öffentlicher Dienst bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Schwerpunkte: Organisierte Kriminalität, Regionale Nach­ haltigkeit, Bildungs- und Kulturarbeit im ländlichen Raum, Region Oberschwaben.

Brückmann, Tomas, Diplombiologe, geb. 1964, derzeit freier Ökologe, Studium der Ökologie an der Universität Rostock, Mitglied des Bundessprecherrates der GRÜNEN LIGA und verantwortlich für den Facharbeitskreis und die Bundeskon­ taktstelle nachhaltige Regionalentwicklung, Gründungsmitglied der GRÜNEN LIGA, 1989/90 Sitz am Runden Tisch in Berlin während der Modrow-Regierung in der DDR, Mitglied der Arbeitsgruppe ökologi­ scher Gesellschaftsumbau,1990-1995 Geschäftsstellenleiter GRÜNE LIGA Rostock und zugleich Leiter des Ostseeprojektes, 1992 Mitglied des Exekutivaus­ schusses des Nationalen Komitees zur Erarbeitung des Nationalen Berichts für die UNCED-Konferenz in Rio, 1996 Mitglied des Nationalen Komitees für Nach­ haltige Entwicklung beim BMU Dahlbender, Brigitte, Dr. rer. nat., geb. 1955 in Köln, Studium für das Lehramt in Biologie und Geographie mit den Schwerpunkten Ökologie und Pflanzenphysio­ logie, Siedlungsgeographie und Klimatologie an der Universität in Köln, Promo­ tion in Botanik im Bereich Pflanzenphysiologie und Proteinbiochemie, seit 1992 pers. Referentin des Vorsitzenden des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutsch­ land (BUND), Landesverband Baden-Württemberg. Seit 1991 in Ulm ehrenamtlich beim BUND aktiv.

Eisen, Andreas, Dr. rer. soc., geb. 1965, studierte Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz, 1992 Dipl.Ver.Wiss., seit Juni 1996 Geschäftsführer des Instituts für Genossenschaftswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin. For­ schungsschwerpunkte: Umweltpolitik und Umweltverwaltung, Institutionentheorie, genossenschaftliche Kooperationsformen. Gabriel, Oscar W., Prof. Dr. rer. pol., geb. 1947, seit 1992 Professur für Poli­ tikwissenschaft und geschäftsführender Direktor des Institutes für Politikwissen­ schaft an der Universität Stuttgart.

Forschungsschwerpunkte und Publikationen: Politisches System der BRD und Analyse und Vergleich politischer Systeme (westliche Demokratien), insbesondere politische Einstellungen, Werte und Verhalten, Parteien und Wahlen, Lokale Poli­ tikforschung, Theorien und Methoden vergleichender Politikforschung. Gegenwär­ tige Forschungsprojekte: Politische Einstellungen und politisches Verhalten in

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Deutschland nach der Wiedervereinigung, Politische Kultur der Europäischen Ge­ meinschaft, Wahlen und politische Kultur in Großstadtbezirken am Beispiel von Stuttgart. Krampen, Martin, Prof., Ph.D., geb. 1928, promovierte 1962 in den Fächern Psy­ chologie und Kommunikationswissenschaft an der Michigan State University (U.S.A). Zuvor hatte er an den Universitäten Tübingen und Heidelberg Theologie und Psychologie, an der Accademia Belle Arti in Florenz Malerei und an der Hochschule für Gestaltung in Ulm Visuelle Kommunikation studiert (Diplom 1957). Er schrieb (zusammen mit Oti Aicher) Zeichensysteme der Visuellen Kom­ munikation (Stuttgart 1977), Meaning in the Urban Environment (London 1979), Icons of the Road (Amsterdam 1983), Children’s Drawings - Iconic Coding of the Environment (New York 1991) und zahlreiche Aufsätze für Enzyklopädien, Hand­ bücher und Zeitschriften. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Semiotik. Majer, Helge, Prof. Dr. rer. pol., Jg. 1941, ist seit 1979 Professor für Volkswirt­ schaftslehre an der Universität Stuttgart und leitet dort im Institut für Sozialfor­ schung die Abteilung für Wachstums- und Innovationsforschung. Seit 5.11.93 (Gründungsdatum) Vorsitzender des unw. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Qualitatives Wachstum und nachhaltige Entwicklung.

Meyer-Krahmer, Frieder, Prof. Dr. rer. pol., Leiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe und Professor an der Uni­ versität Louis Pasteur, Straßburg. Arbeitsschwerpunkte: Voraussetzungen, Ablauf und Wirkungen des technischen Wandels, Konzeption und Evaluierung staatlicher Forschungs- und Technologiepolitik, sektoraler Strukturwandel sowie Industriepo­ litik und Regionalforschung

Mohr, Hans, Prof. Dres, mult, geb. 1930, 1960-1991 Professor für Biologie an der Universität Freiburg, seit 1992 Mitglied des Vorstands der Akademie für Tech­ nikfolgenabschätzung in Stuttgart, Ehrendoktorate der Universitäten Strasbourg und Limburg (Belgien). Forschungsschwerpunkte: Molekulare Grundlagen der Entwicklung, Biologische Signalreaktionsketten, Nitratassimilation Renn, Ortwin, Prof. Dr. rer. pol., studierte Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Journalistik an der Universität Köln und am Institut für Publizistik in Rodenkir­ chen. Von 1986 - 1992 lehrte Renn an der Clark Universität in Worcester bei Boston (USA). Mitglied des Vorstandes der Akademie für Technikfolgenabschät­ zung in Baden-Württemberg und dort für den Forschungsbereich „Technik, Gesell­ schaft und Umweltökonomie” zuständig. Gleichzeitig ist er Inhaber des Lehrstuhls Soziologie II an der Universität Stuttgart.

Schwerpunkte: Risikoanalyse, Kommunikationsforschung, Umweltökonomie, Ent­ scheidungstheorie, Soziologie neuer sozialer Bewegungen, Technikfolgenabschät­ zung und Partizipationsforschung.

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Scherhorn, Gerhard, Prof. Dr. rer. pol., geb. 1930, seit 1975 Professor für Kon­ sumtheorie und Verbraucherpolitik an der Universität Hohenheim in Stuttgart, 1974-1979 Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirt­ schaftlichen Entwicklung. Seit 1995 Leiter der Abteilung „Neue Wohlstandsmo­ delle” des Wuppertal-Institutes für Klima, Umwelt und Energie. Neuere For­ schungsprojekte: Konsumentenverhalten und postmaterielle Werthaltungen (19881991), Wohlstandskosten und verantwortliches Handeln (1995-1996), Produktivität im Konsum (1996-1997). Seydel, Friederike, Dr. rer. nat., geb. 1950 in Schwäbisch Hall, Studium der Chemie und Biologie in Köln, Freiburg und München, Diplom und Promotion in Biochemie. Tätigkeiten und Schwerpunkte in den Bereichen Umwelt- und Gesund­ heitsbildung, Ernährung, Toxikologie und Altlasten. Seit 1995 aktiv beim Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. in Forschung und Ge­ schäftsführung und seit 1996 Naturschutzbeauftragte der Stadt Ulm.

Spehl, Harald, Prof. Dr. rer. pol., geb. 1940, seit 1975 Professor für Volkswirt­ schaftslehre, insbesondere Stadt- und Regionalökonomie an der Universität Trier, seit 1995 Vorsitzender TAURUS - Trierer Arbeitsgemeinschaft für Umwelt-, Regional- und Strukturforschung e.V., Insitut an der Universität.Forschungs ­ schwerpunkte: Regionale Wirtschaftspolitik, Nachhaltige Regionalentwicklung, Kooperation in der Wirtschaft, Bodeneigentum und Bodennutzung Stahmer, Carsten, Dr., Jg. 1942, Leiter der Gruppe „Input-Output-Rechnung, Vermögensrechnung, Satellitensysteme” im Statistischen Bundesamt und Lehrbe­ auftragter für Statistik an der Universität Heidelberg. Berater der Vereinten Natio­ nen bei der Entwicklung einer Integrierten Volkswirtschaftlichen und Umweltge­ samtrechnung. Zahlreiche Veröffentlichungen über volkswirtschaftliche Gesamt­ rechnungen (insbesondere Input-Output-Rechnung) und Umweltberichterstattung.

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