Patria Caelestis: Die eschatologische Dimension der Theologie Gregors des Großen 3161506006, 9783161506000, 9783161513602

Die Lehre des ersten Mönchs auf dem Papstthron, Gregors I., genannt der Große, übte einen maßgeblichen Einfluss auf die

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Patria Caelestis: Die eschatologische Dimension der Theologie Gregors des Großen
 3161506006, 9783161506000, 9783161513602

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Werkabkürzungen
Einleitung
Kapitel I. Die Zeitumstände
1. Politische Geschichte
1.1 Die Rückeroberung Italiens
1.2 Die Invasion der Langobarden
1.3 Das Interregnum
1.4 Die Gründung des Exarchats
1.5 Die Wiederbegründung des langobardischen Königtums
1.6 Italien, ... sub Langobardorum iugo captiua
1.7 Die weitere Gestaltung des Verhältnisses zwischen Rom und Byzanz
2. Sozialgeschichte
2.1 Die byzantinische Verwaltung in Italien
2.2 Die Position der Kirche
2.3 Die Folgen der langobardischen Eroberung
3. Gregors soziale Aktivitäten
Kapitel II. Senectus mundi
1. Die Vorzeichen des nahenden Weltendes
2. Das Greisenalter der Welt
3. Die Grundlage der eschatologischen Überlegungen
4. Die Eindringlichkeit der eschatologischen Predigt Gregors
5. Die eschatologische Perspektive Gregors
Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung
1. Konsequenzen der Ursünde
2. Sub specie aeternitatis
3. Abkehr von der Welt
3.1 Verwandschaftsverhältnis
3.2 Der alte/neue Mensch
3.3 Weltabkehr und Schriftverständniss
3.4 Die Arche Noahs
3.5 Lasterkataloge
3.6 Exemplum angelorum
3.7 Exempla sanctorum
3.8 Exemplum Christi
4. Der Zug in die Innerlichkeit
5. Bona temporalia
5.1 Nichts begehren
5.2 Qui potest
5.3 Die heilsamen Widrigkeiten
6. Vana transitoria
7. Der Pilgercharakter des irdischen Lebens
8. Die persönlichen Erfahrungen
Kapitel IV. Caeleste desiderium
1. Die Quelle der Sehnsucht
2. Die Sehnsucht – das Irdische
2.1 Die Sehnsucht – die Bedrängnis
3. Die brennende Sehnsucht
4. Die Dynamik der Sehnsucht
4.1 Die erfüllte Sehnsucht
4.2 Die Sehnsucht – die patria caelestis
5. Die Konsequenzen der Sehnsucht
6. Die hingehaltene Sehnsucht
7. Die Sehnsucht als Kennzeichen der Vollkommenheit
Kapitel V: Die Annäherung an die patria caelestis
1. Die „Rückkehr“ zur patria caelestis
2. Christus als der mediator Dei et hominum
2.1 Passio Christi
2.2 Die Auferstehung Christi
2.3 Christus magister
2.4 Die Verkündigung der patria caelestis
3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren
3.1 Die Heilige Schrift in der Theologie Gregors
3.2 Der Vermittlungscharakter der Heiligen Schrift
3.3 Die Herablassung Gottes in der Heiligen Schrift
3.4 Imitatio Christi
3.5 Imitatio Christi humilis
3.6 Imitatio passionis Christi
3.7 Die imitatio als die Realisierung der similitudo
3.8 Conversio
4. Spiritalis intelligentia
5. Die Diskussion mit dem Patriarchen Eutychios
Kapitel VI. Patria caelestis
1. Caelestis communio
2. Die unvollkommene Gemeinschaft
3. Die Kontemplation in der patria caelestis
4. Die himmlische Seinsweise
Zusammenfassung
Bibliographie
– Quellen
– Sekundärliteratur
– Hilfsmittel
Register
1. Stellenregister
a) Altes und Neues Testament
b) Antike Autoren
2. Namenregister
a) Antike Namen
b) Moderne Namen
3. Sachregister

Citation preview

Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Herausgeber/Editors Christoph Markschies (Berlin) · Martin Wallraff (Basel) Christian Wildberg (Princeton) Beirat/Advisory Board Peter Brown (Princeton) · Susanna Elm (Berkeley) Johannes Hahn (Münster) · Emanuela Prinzivalli (Rom) Jörg Rüpke (Erfurt)

61

Rade Kisić

Patria Caelestis Die eschatologische Dimension der Theologie Gregors des Großen

Mohr Siebeck

Rade Kisic´, geboren 1977; 1997–2004 Studium der Orthodoxen Theologie in Belgrad; 2010 Promotion an der Katholisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster.

e-ISBN PDF 978-3-16-151360-2 ISBN 978-3-16-150600-0 ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Via quippe est uita praesens, qua ad patriam tendimus.

Vorwort Das vorliegende Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im Sommersemester 2010 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen worden ist. An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. Alfons Fürst, ganz herzlich bedanken. Ohne die vielfältige Unterstützung, die ich während meines Promotionsstudiums von seiner Seite erfahren habe, wäre die Abfassung dieses Werkes nicht möglich gewesen. Ihm verdanke ich auch zahlreiche Denkanstöße und eine hervorragende Betreuung der Arbeit. Zusammen mit seiner Familie hat er dazu beigetragen, dass mein Promotionsaufenthalt in Münster nicht nur wissenschaftlich fruchtbar, sondern auch auf persönlicher Ebene sehr angenehm war. Für die Begleitung meines Promotionsstudiums sowie für die sorgfältige Lektüre dieser Arbeit und die Erstellung des Zweitgutachtens möchte ich Prof. Dr. Thomas Bremer meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Weiterhin gilt mein besonderer Dank allen, die diese Arbeit zur Korrektur gelesen und dabei wertvolle inhaltliche Hinweise geliefert haben: Dr. Christine Mühlenkamp, Christian Hengstermann, Stefan Klug, Michael Eismann, Boris Saviü. Bei denen, die hier nicht namentlich erwähnt werden konnten, bedanke ich mich vielmals für Ihre Unterstützung und Hilfe. Für die wissenschaftliche Unterstützung und Hilfe gilt mein Dank auch den Professoren der Orthodox-Theologischen Fakultät der Universität Belgrad. Diese Arbeit konnte nur entstehen, weil ich während des Promotionsstudiums vom Hilfswerk Renovabis finanziell gefördert wurde, dem ich an dieser Stelle auch für den großzügigen Druckkostenzuschuss aufs herzlichste danke. Der Universität Münster sei für die Gewährung des Promotionsabschlussstipendiums ebenfalls Dank ausgesprochen. Allen, die mich während des Promotionsstudiums unterstützt haben, gebührt mein größter Dank: meiner Heimatdiözese Zahumlje-Herzegowina, dem Religionsministerium Serbiens, der Serbisch-Orthodoxen Kirchengemeinde in Dubrovnik, der Serbisch-Orthodoxen Kirchengemeinde in Osnabrück, der GriechischOrthodoxen Kirchengemeinde des Hl. Nikolaos zu Darmstadt sowie dem Ostkirchlichen Institut Regensburg.

VIII

Vorwort

Für die Aufnahme des vorliegenden Bandes in die Reihe „Studien und Texte zu Antike und Christentum“ gilt mein sehr herzlicher Dank Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies, Prof. Dr. Martin Wallraff und Prof. Dr. Christian Wildberg. Professor Wallraff sei ebenso ganz besonders dafür gedankt, dass er mir wertvolle Hinweise für die Überarbeitung gegeben hat. An dieser Stelle gestehe ich gerne, dass ich mich über die Publikation meiner Arbeit in der STAC-Reihe sehr freue. Den herzlichsten Dank schulde ich Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Frau Tanja Mix vom Verlag Mohr Siebeck für Ihre geduldige und tatkräftige Unterstützung bei der Drucklegung und Veröffentlichung dieses Buches. Gewidmet sei das Buch meiner Familie, die, wenngleich aus der Ferne, alle Phasen meines Promotionsstudiums miterlebt hat.

Belgrad, im März 2011

Rade Kisiü

Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................ VII Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XIII Einleitung ................................................................................................. 1

Kapitel I. Die Zeitumstände ............................................................... 7 1. Politische Geschichte ........................................................................... 7 1.1 Die Rückeroberung Italiens............................................................ 7 1.2 Die Invasion der Langobarden ....................................................... 9 1.3 Das Interregnum .......................................................................... 14 1.4 Die Gründung des Exarchats ........................................................ 16 1.5 Die Wiederbegründung des langobardischen Königtums .............. 17 1.6 Italien, ... sub Langobardorum iugo captiua................................. 23 1.7 Die weitere Gestaltung des Verhältnisses zwischen Rom und Byzanz .......................................................... 37 2. Sozialgeschichte ................................................................................ 39 2.1 Die byzantinische Verwaltung in Italien ...................................... 39 2.2 Die Position der Kirche ................................................................ 43 2.3 Die Folgen der langobardischen Eroberung .................................. 45 3. Gregors soziale Aktivitäten ................................................................ 47

Kapitel II. Senectus mundi ............................................................... 53 1. Die Vorzeichen des nahenden Weltendes .................................................. 54 2. Das Greisenalter der Welt .................................................................. 55 3. Die Grundlage der eschatologischen Überlegungen ............................ 57 4. Die Eindringlichkeit der eschatologischen Predigt Gregors ................ 58 5. Die eschatologische Perspektive Gregors................................................... 60

X

Inhaltsverzeichnis

Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung ................. 63 1. Konsequenzen der Ursünde ................................................................ 63 2. Sub specie aeternitatis ....................................................................... 69 3. Abkehr von der Welt .......................................................................... 71 3.1 Verwandschaftsverhältnis ............................................................ 73 3.2 Der alte/neue Mensch .................................................................. 74 3.3 Weltabkehr und Schriftverständniss ............................................. 76 3.4 Die Arche Noahs ......................................................................... 77 3.5 Lasterkataloge ............................................................................. 78 3.6 Exemplum angelorum .................................................................. 79 3.7 Exempla sanctorum...................................................................... 80 3.8 Exemplum Christi ........................................................................ 83 4. Der Zug in die Innerlichkeit ............................................................... 84 5. Bona temporalia ................................................................................ 89 5.1 Nichts begehren ........................................................................... 94 5.2 Qui potest .................................................................................... 96 5.3 Die heilsamen Widrigkeiten ......................................................... 98 6. Vana transitoria ............................................................................... 104 7. Der Pilgercharakter des irdischen Lebens ......................................... 107 8. Die persönlichen Erfahrungen .......................................................... 110

Kapitel IV. Caeleste desiderium ................................................... 117 1. Die Quelle der Sehnsucht ................................................................. 118 2. Die Sehnsucht – das Irdische ............................................................ 121 2.1 Die Sehnsucht – die Bedrängnis ................................................. 123 3. Die brennende Sehnsucht ................................................................. 126 4. Die Dynamik der Sehnsucht ............................................................. 129 4.1 Die erfüllte Sehnsucht ................................................................ 130 4.2 Die Sehnsucht – die patria caelestis .......................................... 132 5. Die Konsequenzen der Sehnsucht ..................................................... 134 6. Die hingehaltene Sehnsucht ............................................................. 137 7. Die Sehnsucht als Kennzeichen der Vollkommenheit ............................. 138

Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis .................. 143 1. Die „Rückkehr“ zur patria caelestis ................................................. 143 2. Christus als der mediator Dei et hominum ........................................ 146 2.1 Passio Christi ............................................................................ 161

Inhaltsverzeichnis

XI

2.2 Die Auferstehung Christi ........................................................... 166 2.3 Christus magister....................................................................... 173 2.4 Die Verkündigung der patria caelestis ....................................... 178 3. Der Vermittlungscharakter des Sichtbaren ....................................... 181 3.1 Die Heilige Schrift in der Theologie Gregors ............................. 185 3.2 Der Vermittlungscharakter der Heiligen Schrift ......................... 188 3.3 Die Herablassung Gottes in der Heiligen Schrift ......................... 194 3.4 Imitatio Christi .......................................................................... 196 3.5 Imitatio Christi humilis .............................................................. 202 3.6 Imitatio passionis Christi ........................................................... 206 3.7 Die imitatio als die Realisierung der similitudo .......................... 212 3.8 Conversio .................................................................................. 215 4. Spiritalis intelligentia ...................................................................... 220 5. Die Diskussion mit dem Patriarchen Eutychios ................................ 233

Kapitel VI. Patria caelestis ........................................................... 239 1. Caelestis communio ......................................................................... 2. Die unvollkommene Gemeinschaft ................................................... 3. Die Kontemplation in der patria caelestis ........................................ 4. Die himmlische Seinsweise ..............................................................

239 242 245 248

Zusammenfassung................................................................................ 255 Bibliographie ....................................................................................... – Quellen ............................................................................................ – Sekundärliteratur.............................................................................. – Hilfsmittel ........................................................................................

267 267 270 278

Register ............................................................................................... 1. Stellenregister .................................................................................. 2. Namenregister .................................................................................. 3. Sachregister .....................................................................................

279 279 286 288

Abkürzungsverzeichnis CCL CCG

Corpus Christianorum series Latina Corpus Christianorum series Graeca

Andere Abkürzungen richten sich nach SCHWERTNER, S., Theologische Realenzyklopädie, Abkürzungsverzeichnis, 2. überarb. und erw. Aufl., Berlin 1994.

Werkabkürzungen AMBROSIUS bon. mort.

De bono mortis

AUGUSTINUS civ. conf. doct. christ. en. in Ps. epist. Gen. ad litt. in Ioh. evang. tract. serm. trin. ver. rel.

De civitate dei Confessiones De doctrina christiana Enarrationes in Psalmos Epistulae De Genesi ad litteram In Iohannis Evangelium tractatus Sermones De Trinitate De vera religione

CYPRIAN mort.

De mortalitate

CYRILL VON J ERUSALEM myst. cat. Mystagogicae catecheses GREGOR DER GROSSE dial. epist. in cant. in euang. in Ezech. moral. past.

Dialoge Registrum epistolarum Expositiones in canticum canticorum Homiliae in Evangelia Homiliae in Hiezechihelem prophetam Moralia in Iob Regula pastoralis

XIV

Abkürzungsverzeichnis

GREGOR DER GROSSE bzw. PIERRE DE CAVA expos. in I Reg. Expositiones in librum primum Regum GREGORIUS NYSSENUS bapt.

De baptismo

H IERONYMUS epist. in Danielem in Hiez.

Epistulae Commentariorum in Danielem Commentariorum in Hiezechielem

IRENÄUS VON LYON haer.

Adversus Haereses

MAXIMUS CONFESSOR quaest. ad Thal.

Quaestiones ad Thalassium

LEO I serm.

Sermones

ORIGENES in Cant. comm.

Commentarium in Canticum Canticorum

TERTULLIAN spect.

De spectaculis

Einleitung Via quippe est uita praesens, qua ad patriam tendimus.1 Die Anführung unter den egregii doctores ecclesiae zusammen mit Ambrosius, Augustinus, Hieronymus durch Papst Bonifaz VIII. (1294–1303) verdankt Gregor I. diesem einfachen Gedanken gewiss nicht, ebenso wenig, dass er in die Geschichte mit dem Beinamen „der Große“ eingegangen ist. Schon lange, bevor Gregor die Bühne der Welt betrat, war diese Vorstellung ein Teil des patristischen Gedankenguts und wurde daher von den Kirchenvätern in verschiedener Hinsicht expliziert,2 so dass in dieser Hinsicht von keiner besonderen Originalität der Theologie Gregors gesprochen werden kann. Es stellt sich nun natürlich die Frage, warum ich gerade diesem Gedanken einen Ehrenplatz zuweise bzw. warum ich ihn als Impuls für die Beschäftigung mit der Lehre Gregors empfinde. Der Grund dafür ist, dass in diesem Gedanken drei Elemente enthalten sind, die Gregors Weltverständnis offensichtlich zum Ausdruck bringen: die via (bzw. die vita praesens), tendimus (tendere) und die patria. Im ersten Satz via quippe est uita praesens charakterisierte der Papst sein Verständnis vom irdischen Leben. Dieses Leben stellt also in Gregors Konzeption vor allem den Weg dar, auf dem sich der Mensch zur patria, die in diesem Kontext als die patria caelestis zu lesen ist, begibt (tendere). In diesem Leben strengt sich (tendere) der Mensch an, um dieses ersehnte Ziel bzw. die patria zu erreichen. Allein aufgrund dieser Betrachtungsweise deutet sich ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der via (der irdischen Existenz) und der patria (der himmlischen Existenz) an. Diese Spannung wird zusätzlich gesteigert, wenn diese Termini einer sprachlichinhaltlichen Analyse unterzogen werden. Warum bezeichnete Gregor das irdische Leben bloß als via und die eschatologische Vollendung als patria? Mehr noch: Spiegelt Gregors Darstellung des Verhältnisses zwischen via und patria sein Verständnis des Verhältnisses zwischen temporalis und aeternus wider? Inwiefern lassen sich daraus weiterhin Folgerungen für Gregors Verständnis der Heilsgeschichte ziehen?

1 2

Moral. XXIII, 24, 46 (CCL 143B, 1179). Vgl. z. B. AUGUSTINUS, doctr. christ. I, 4, 4 (CCL 32, 8).

2

Einleitung

Die Erläuterung dieser Fragen wird in der vorliegenden Arbeit nicht nur aus einer streng theologisch-spirituellen Perspektive unternommen werden. Eine derartige Abhandlung dieses Themas würde dem Theologieverständnis Gregors nicht gerecht. Vielmehr werden in dieser Studie alle Aspekte des Lebens Gregors herangezogen. Es sollen nicht nur seine theologischen Ansichten untersucht werden, sondern auch seine Zeit und sein Leben. Es stellt sich die Frage, ob sich Gregors Bezeichnung des irdischen Lebens als via mit den konkreten Zeitumständen in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts in Verbindung bringen lässt. All diese Aspekte dürften Gregors Theologieverständnis bzw. in concreto seinen Standpunkt in Bezug auf diese Fragen mitgeformt haben. Gregor war kein großer systematischer Denker und christlicher Wissenschaftler, wie wir es von den Kirchenvätern aus der patristischen Epoche kennen. Seine Zeit forderte von ihm im Vergleich zu Augustinus nicht Disputationen mit heidnischen Philosophen und weniger die Verteidigung der christlichen Wahrheiten vor Häretikern. Der Papst musste sich auch nicht in dem Maße um die rein theoretischen Erörterungen der christlichen Dogmen kümmern, wie dies die Väter der Ökumenischen Konzile vor ihm getan hatten. Seine theologische Leistung konzentrierte sich vor allem auf die Entfaltung des zu ihm gekommenen christlichen Gedankenguts in seiner Kirchengemeinde. Als Vorsteher der christlichen Gemeinde mühte er sich um die Umsetzung der christlichen Postulate in den Lebensprinzipien, die zur geistigen Erbauung seiner Gemeinde und aller Christen dienen sollten. In dieser Hinsicht wurde Gregor treffend als „Theologian of Christian Experience“ charakterisiert.3 Der Katheder Gregors war der Ambo. Die Mehrheit seiner Werke bilden die Bibelauslegungen, die Gregor entweder im engeren Kreise (Expositiones in Canticum Canticorum, Moralia in Iob, Homiliae in Hiezechihelem Prophetam) oder vor der ganzen Kirchenversammlung (Homiliae in Evangelia) vortrug.4 Wenngleich die formelle (exegetische) Grundlage fehlt, dürfen zu dieser Gruppe seiner Werke auch die Dialoge wegen ihres katechetischen Charakters gezählt werden. Die Untersuchung der Schriftauslegung Gregors war das Thema mehrerer Studien.5 Stephan Kessler beschäf3

Vgl. CLARK, St. Gregory the Great. Theologian of Christian Experience. Auch die wahrscheinlich verlorenen Werke Gregors (die Kommentare zum Heptateuch, den Sprichwörtern und den Propheten), die Gregor selbst erwähnt, gehen auf seine exegetische Tätigkeit zurück. Vgl. epist. XII, 6 (CCL 140A, 975): Praeterea quia isdem carissimus quondam filius meus Claudius aliqua me loquente de prouerbiis, de canticis canticorum, de prophetis, de libris quoque regum et de eptatico audierat, quae ego scripto tradere prae infirmitate non potui, ipse ea suo sensu dictauit, ne obliuione deperirent, ut apto tempore haec eadem mihi inferret et emendatius dictarentur. 5 Vgl. u. a. HOFMANN, Die geistige Auslegung der Schrift bei Gregor dem Großen; MCCLURE, Gregory the Great: Exegesis and Audience. In dieser Einleitung wird eine 4

Einleitung

3

tigte sich mittels eines theologischen Interpretation der Ezechielhomilien mit Gregors Auslegungsprinzipien6, während Susanne Müller Gregors Auslegung des Hohenliedes präsentierte7. Durch die Untersuchung der exegetischen und homiletischen Werke Gregors stellt Michael Fiedrowicz das Kirchenverständnis Gregors des Großen dar, wobei er in seiner Studie auch viele andere Aspekte der Lehre Gregors berücksichtigt.8 In seinen exegetischen Werken präsentierte sich Gregor als vor allem spiritueller Denker, der eine der monastischen Spiritualität nahe stehende Theologie entwarf, die sich jedoch auf die innerhalb der Kirchengemeinde auszuübende Spiritualität richtet. Eine ganze Forschungsrichtung beschäftigt sich vor allem mit den spirituellen Aspekten seiner Theologie.9 Die Ansätze für eine intensivere Beschäftigung mit dieser Dimension der Theologie Gregors lieferten besonders die Studien von Robert Gillet10 und Claude Dagens11. Dabei entfaltete Dagens das von Paul Aubin12 entwickelte Modell von „intériorité“ und „extériorité“ weiter. In die Studien, die Gregor vor allem als spirituellen Denker und Mystiker verstehen,13 reiht sich weiterhin die Studie „Contemplatio als Missio“ von Mirjam Schambeck ein, die vor allem der Bedeutung der Kontemplation in der Lehre Gregors nachgeht.14 In diesem Kontext soll schließlich auf die bemerkenswerte Studie von Carole Straw hingewiesen werden, die das Prinzip der Komplementarität in Gregors typischen Gegensätzen (innen – außen, Geist Auswahl der Sekundärliteratur vorgestellt. Für die ausführlichere Darstellung der Forschungsgeschichte und der dazu gehörenden Sekundärliteratur vgl. GRESCHAT, Die Moralia in Job, 1–9; MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 1–9. Diesen Darstellungen soll von den neueren größeren Werken noch hinzugezählt werden: H ESTER, Eschatology and Pain in St. Gregory the Great. 6 Vgl. KESSLER, Gregor der Große. Eine Darstellung der exegetischen Methode Gregors bietet auch KESSLER, Präsenz und Verwendung der Heiligen Schrift bei Gregor dem Großen. 7 Vgl. MÜLLER, „fervorem discamus amoris“. Für Gregors Exegese des Hohenliedes vgl. auch RECCHIA, L’esegesi di Gregorio Magno al Cantico di Cantici. 8 Vgl. FIEDROWICZ, Das Kirchenverständnis Gregors des Großen. 9 Hiermit folge ich der von GRESCHAT, Die Moralia in Job, 3–9 vorgenommenen Unterscheidung. 10 Vgl. G ILLET, Introduction; G ILLET, Spiritualité et place du moine dans l’église selon saint Grégoire le Grand. 11 Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand. 12 Vgl. AUBIN, Intériorité et extériorité dans les Moralia in Job de S. Grégoire le Grand. 13 Vgl. u. a. WEBER, Hauptfragen; LIEBLANG, Grundfragen. 14 Vgl. SCHAMBECK, Contemplatio als Missio. Gregors Lehre von der Kontemplation war auch das Thema mehrerer Artikel im deutschsprachigen Raum: SCHAMBECK, Sich in Gott einwurzeln und so Welt gestalten; KESSLER, Monastische Mystik auf biblischer Grundlage; LUISLAMPE, Kontemplation als schauende Aufmerksamkeit für Gott; ELLINGER , „Habitare secum – Wohnen in sich selbst“.

4

Einleitung

– Fleisch) ausarbeitete und den Opfergedanken ins Zentrum der Theologie Gregors stellte.15 Neben der Berücksichtigung seiner spirituellen Lehre wird auch in dem für diese Arbeit notwendigen Maß die Rolle Gregors als Kirchenoberhaupt in die Betrachtung miteinbezogen.16 Die Quelle für die Untersuchung dieser Dimension der Persönlichkeit Gregors stellt vor allem das Registrum epistolarum dar, das seine Verwaltungstätigkeit widerspiegelt. Die programmatischen Ansätze von Gregors Bischofverständnis wurden in der berühmten Regula pastoralis entworfen, die zu Gregors Lebzeiten weite Verbreitung fand und bereits 602 ins Griechische übersetzt wurde.17 Die doppelte Betrachtungsweise der Persönlichkeit Gregors drückt passend der anonyme Verfasser der Grabinschrift Gregors im Atrium der altrömischen St. Peters-Basilika durch die Bezeichnungen Pastor und Consul Dei aus.18 In die Kirchengeschichte ging Gregor nämlich sowohl als Kirchenlehrer als auch als fähiger Kirchenverwalter ein, wobei diese Rollen in der Forschungsgeschichte unterschiedlich bewertet und akzentuiert wurden. Im Gegensatz zur Forschungsrichtung, die in Gregor vor allem den spirituellen Kirchenlehrer sah, konzentrierten sich die anderen Forscher auf die Untersuchung von Gregors kirchenpolitischen Aktivitäten. Für diese letzte Forschungsrichtung ist u. a. die Studie von Jeffrey Richards repräsentativ, in der hauptsächlich die kirchenpolitischen Aktivitäten des Papstes dargestellt sind.19 Von den Studien, die einen Mittelweg zwischen diesen beiden Forschungsrichtungen gehen und Gregor sowohl als den pastor als auch als den consul Dei darstellen, soll insbesondere auf die Studie von Robert Markus hingewiesen werden, der die „beiden Rollen“ Gregors vor dem historischen Hintergrund entfaltete, sowie auf Studie von Frederick H. Dudden.20 In diese Gruppe kann noch die Studie von Katharina Greschat eingeordnet werden, die sich im Vergleich zu Markus jedoch weniger mit dem historischen Kontext beschäftigte und einen christologisch-ekklesiologischen Kommentar der Moralia in Iob vorlegte.21 15

Für die Kritik an dieser Stellungnahme vgl. G RESCHAT, Die Moralia in Job, 4f; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 11–13. 16 Die Theorie und Praxis von Gregors Führungsverständnis wird in M ÜLLER, Führung im Denken und Handeln dargestellt. Diese Studie erschien jedoch zu spät, um in dieser Arbeit eingehender berücksichtigt zu werden. 17 Vgl. MODESTO, Gregor der Große, 43. Über die Regula pastoralis vgl. FLORYSZCZAK, Die Regula Pastoralis Gregors der Großen. 18 Über die Grabinschrift vgl. SANDERS, L’épitaphe de Grégoire le Grand: banalité ou message? 19 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große. 20 Vgl. MARKUS, Gregory the Great; DUDDEN, Gregory the Great. 21 Vgl. GRESCHAT, Die Moralia in Job.

Einleitung

5

Nach diesem Mittelweg in der Forschung zur Theologie Gregors richtet sich auch die vorliegende Studie. Hinsichtlich des Themas dieser Arbeit bleibt die Literatur eher dürftig. Kleinere Ansätze für die Betonung der eschatologischen Orientierung der Theologie Gregors können stellenweise gefunden werden, eine ausführlichere Studie aber fehlt. Dem Thema dieser Arbeit steht am meisten die unlängst erschienene Abhandlung von Kevin Hester nahe. Hester legt einen Kommentar der Moralia in Iob vor, in dem er die Erfahrung des Leidens und die Eschatologie als Hauptthemen dieses Werkes Gregors betrachtet.22 Im weiteren Sinne des Themas der vorliegenden Studie darf wiederum auf das Buch von Claude Dagens hingewiesen werden.23 Die Studie von Nikolaus Hill dagegen bietet eine traditionelle Darstellung der eschatologischen Themen in der Theologie Gregors, so dass sie für diese Arbeit von keiner größeren Relevanz ist.24 In der vorliegenden Studie werden alle Werke Gregors berücksichtigt: Die Hoheliedauslegung, die Moralia, die Pastoralregel, die Evangelienhomilien, die Dialoge, die Ezechielhomilie und das Briefregister. Nach dem heutigen Forschungsstand ist der Kommentar zum ersten Königsbuch kein authentisches Werk Gregors. Adalbert de Vogüé konnte zeigen, dass es sich hier um eine Abhandlung aus dem XII. Jahrhundert handelt, die vom Abt Pierre de Cava angefertigt wurde.25 Aus diesem Grunde wurde dieses Werk in dieser Studie nicht berücksichtigt.26

22

Vgl. HESTER, Eschatology and Pain, 99f. Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand. 24 Vgl. HILL, Die Eschatologie Gregors des Grossen. 25 Vgl. VOGÜÉ, L’auteur du Commentaire; VOGÜÉ, La Glossa Ordinaria. Die Diskussion um die Authentizität dauert freilich an. CLARK vertritt die partielle Authentizität dieses Werkes. Vgl. CLARK, Authorship of the commentary in 1 Regnum; CLARK, The unmasking of the pseudo-Gregorian Commentary on Kings. Vgl. dazu auch MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 7 (Anm. 36). 26 Mit der gleichen Begründung berücksichtigte MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 7, dieses Werk auch nicht. 23

Kapitel I

Die Zeitumstände 1. Politische Geschichte 1.1 Die Rückeroberung Italiens Als Justinian I. (527–565) nach dem Tod seines Onkels, Kaiser Justins I. (518–527), selbst Alleinherrscher geworden war, stellte er alle Kräfte des byzantinischen Reiches in den Dienst der großen Mission, das römische Reich in früherer Macht wiederherzustellen und unter dem Zeichen des Christentums zu vereinigen. Die trotz der getrennten Verwaltung immer noch lebendig gebliebene „Idee der Reichseinheit“1 verschaffte ihm die für diese Mission notwendige theoretische Grundlage. Die Bevölkerung der beiden Reichshälften betrachtete sich immer noch als echte Römer. Die Territorien des römischen Reiches galten als sein ewiges und unbestrittenes Besitztum, auch wenn sie in verschiedenen Epochen von nichtrömischen Herrschern regiert wurden. Eine solche fremde Regierung wurde aber, ganz gleich, ob es sich um das vom Kaiser delegierte Regierungsrecht (z. B. im Fall der Föderiertenverträge) oder um die Eroberung durch die Barbaren handelte, immer als eine vorläufige, außerordentliche Situation verstanden, die als solche nur vorübergehend als annehmbar galt. Die byzantinischen Kaiser, die sich als rechtmäßige Nachfolger der römischen Kaiser betrachteten, fühlten sich dazu verpflichtet, die Universalität des römischen Kaiserreiches und das römische Erbe zu restaurieren. Der römische Kaiser galt nach wie vor als das Oberhaupt des gesamten römischen Orbis.2 Eine wichtige Rolle in dieser kaiserlichen Ideologie spielte das Selbstverständnis des Kaisers als des Herrschers der christlichen Ökumene. Seit Konstantin dem Großen fühlten sich die Kaiser als Stellvertreter Gottes auf Erden, und es war über ein Jahrtausend ihre vornehmste Aufgabe, die Interessen der Kirche zu verteidigen, die Streitigkeiten innerhalb der Kirche zu schlichten, und, was besonders wichtig war, für die Einheit der Orthodoxie einzutreten.3 Als christlicher Herrscher war der Kaiser dazu berufen, sich 1

Vgl. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 44. Vgl. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 44. 3 Vgl. HUNGER, Das byzantinische Herrscherbild, 341. 2

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Kapitel I. Die Zeitumstände

gegen die Häretiker einzusetzen.4 Es war sogar seine heilige Mission, das römische Reich von den Barbaren und Häretikern zu befreien, um das Imperium als ein römisches und orthodox-christliches Kaiserreich wiederherzustellen.5 In den Dienst der renovatio imperii stellte Justinian sowohl seine Innenpolitik als auch seine Außenpolitik. Der von Justin I. vollzogene religionspolitische Kurswechsel, der wahrscheinlich von Justinian inspiriert war, sich gegen die Monophysiten richtete und für die Beendigung des Akakios-Schismas eintrat, bereitete das Reich auf die großen politischen Aufgaben im Westen vor.6 Die Eroberungspolitik im Westen erforderte ein Einvernehmen mit der römischen Kirche. Daher musste Justinian eine antimonophysitische Einstellung annehmen, wenngleich dies die alte Abneigung Ägyptens und Syriens gegen das byzantinische Zentrum vertiefte. Im Osten schloss Justinian, da die militärischen Kräfte für einen Zweifrontenkrieg nicht ausreichten, im Jahr 532 den „ewigen“ Friedensvertrag mit dem Sassanidenreich ab, um sich ganz auf die Kriegsführung im Westen konzentrieren zu können. Da er der Auffassung war, dass die germanischen Nachfolgestaaten auf dem alten Reichsboden wenig stabil seien,7 begann er, seinen Plan der Rückeroberung des Westens umzusetzen. Der byzantinische Feldherr Belisar warf 533 in kürzester Zeit das Vandalenreich in Nordafrika nieder. Nach diesem Erfolg hielt Justinian die Zeit für Italien für gekommen. Schon 530 kam es wegen der Gebietsverletzung, die das gotische Heer während des Krieges gegen die Gepiden begangen hatte, zu Spannungen im Verhältnis zwischen dem Reich und den Goten.8 Das war ein zusätzlicher Anlass für die schon beschlossene militärische Aktion gegen die Goten in Italien. Als Rächer der ermordeten Königin Amalasyntha auftretend,9 entsandte Justinian seinen Feldherrn Belisar nach Italien. Die byzantinische Flotte hatte rasch Erfolg, 536 fiel Neapel, und bald darauf wurde der Usurpator Theodahad ermordet. Im Dezember 536 zog Belisar in die ewige Stadt Rom ein. Als das als uneinnehmbar geltende Ravenna10 den Byzantinern 540 seine Tore geöffnet hatte, nahm der 4

Aus diesem Grund wurde die neuplatonische Akademie von Athen 529 geschlossen. Vgl. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 45. 6 Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 215. 7 Vgl. MAIER, Byzanz, 70. 8 Vgl. W OLFRAM, Die Goten, 334f. 9 Die Gotenkönigin Amalasyntha, die die rechtmäßige gotische Thronfolgerin und außerdem die Verbündete von Byzanz war, wurde von ihrem Mitregenten Theodahad auf einer Insel des Bolsena-Sees ermordet. Vgl. WOLFRAM, Die Goten, 338; GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 164; P OHL, Die Völkerwanderung, 148; SCHUMANN, Geschichte Italiens, 16. 10 Ravenna war einerseits rings von Sümpfen umgeben, anderseits aber konnte es vom Meer her mit Waren versorgt werden. Vgl. S IEDLMAYER, Geschichte Italiens, 30. 5

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kaiserlicher Heerführer den Gotenkönig Witiges (536–540), den Nachfolger Theodahads auf dem gotischen Thron, und dessen ganze Familie mit sich nach Byzanz. Nach offizieller byzantinischer Auffassung wurde Italien von da ab wieder unmittelbar dem Reich angegliedert.11 Der Krieg setzte sich aber weiter fort. Nach kurzer Verwirrung wurde Totila zum Gotenkönig gewählt (541–552) und begann in ganz Italien einen erbitterten Kampf gegen die byzantinische Herrschaft. Die militärische Präsenz der Byzantiner in Italien wurde zu diesem Zeitpunkt aufgrund der neuen sassanidischen Offensive im Osten wesentlich geschwächt.12 Deswegen hatten die Goten wieder Erfolg und Belisar wurde mehrfach geschlagen. Erst 555 wurde der Widerstand der Goten von „dem genialen Strategen und verschlagenen Diplomaten“13 Narses gebrochen, als sich die letzte Gotenfestung in Italien ergab.14 Damit war der fast zwanzigjährige Krieg in Italien beendet und die Vorhaben Justinians wurden, wenn auch unvollständig, verwirklicht. Die von dem Kaiser eingeleiteten Maßnahmen zum Aufbau des Landes nach dem Krieg waren jedoch nicht von großem Erfolg gekrönt. Das Zeitalter Justinians bedeutete nicht, wie dieser es wollte, den Anfang einer neuen Ära, sondern vielmehr das Ende der spätantiken Epoche. Die Restaurierung des ehemaligen römischen Reiches war seine Leitidee, die er nur flüchtig auszukosten vermochte, ehe die raue Wirklichkeit die Träume einer Erneuerung verdrängte.15 Die Eroberungen im Westen, häufige Unruhen und Kriege im Osten, innenpolitische Probleme, Pest und Steuerdruck stellten für das Reich, das am Anfang der Regierungszeit Justinians zweifellos einen Aufschwung erlebt hatte, eine übermäßige Last dar, die es kaum zu tragen vermochte. Am Ende seiner Regierung herrschte er über ein innerlich erschöpftes, wirtschaftlich und finanziell völlig zerrüttetes Reich. Die gefährlichen Folgen der Politik Justinians hatten aber seine Nachfolger zu tragen; und Maier bemerkt zu Recht, dass die Kehrseite und Konsequenzen seiner Politik sich erst unter seinen Nachfolgern voll enthüllten.16 1.2 Die Invasion der Langobarden Kaum fünfzehn Jahre nach der Wiederherstellung der kaiserlichen Reichsherrschaft wurde die byzantinische Regierung in Italien auf eine erste ernsthafte Probe gestellt. An den nördlichen Grenzen der Provinz, die im11

Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 42. Vgl. POHL, Die Völkerwanderung, 149; M AIER, Byzanz, 71. 13 OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 46. 14 Vgl. SCHUMANN, Geschichte Italiens, 15. 15 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 13. 16 Vgl. MAIER, Byzanz, 72. 12

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mer noch an den Auswirkungen eines fast zwei Jahrzehnte geführten zerstörerischen Krieges litt, erschien am 1. April 568 ein neues Volk, die Langobarden, „die Spätlinge der Völkerwanderung“17. Die Langobarden waren ein Volk germanischer Herkunft, das in Pannonien lebte und in sog. farae organisiert war. Die fara18 stellte die vor allem auf verwandtschaftlichen Beziehungen beruhende Gemeinschaft dar, die neben den Kriegern auch ihre Frauen und das gesamte nicht waffenfähige Volk, also etwa auch Sklaven, umfasste.19 Als Lebensgemeinschaft eines Wandervolkes20 war die fara dazu verpflichtet, den inneren Frieden in der Gruppe zu bewahren, die Lebensmittel und das Viehfutter heranzuschaffen und für den Unterhalt der Priester zu sorgen.21 Neben verwandtschaftlichen Bindungen spielten auch gefolgschaftliche Komponenten eine gewisse Rolle für die Struktur der fara. Die Anführer solcher Fahrverbände, die über mehr oder weniger beträchtliche finanzielle Mittel verfügten und sehr wahrscheinlich außerdem großes Ansehen genossen, nahmen bei Abwanderung weniger mächtige und reiche Krieger in ihrer Gemeinschaft auf.22 Wenn es zum Kampf kam, gingen alle Männer einer fara zusammen in die Schlacht und auch bei der Ansiedlung blieb ein Fahrverband beisammen.23 Mehrere solche Gemeinschaften gehörten einem Herzog (dux), der die Verwaltung eines Teiles des Königtums ausübte und, als der neben dem König wichtigste Träger der Herrschaft, bei der Königserhebung auf der Heeresversammlung eine besondere Stellung einnahm. So organisiert, drang dieses Volk 568 in die venetische Ebene ein.24 Die Langobarden befanden sich dabei nicht zum ersten Mal in Italien. Im Jahre 552 waren 5500 langobardische Krieger im Heer des byzantinischen Feldherren Narses gewesen, der bei Busta Gallorum in Umbrien den ostgotischen König Totila endgültig besiegte.25 Dieses Mal aber kamen sie, von dem Druck übermächtiger Nachbarn, insbesondere der Awaren, veranlasst, weder als Föderierte noch als Teil der kaiserlichen Truppen, sondern als 17

EWIG, Die Langobarden und Italien, 152. Nach dem langobardischen Wort für Sippensiedlungen heißen heute noch etliche Ortschaften Italiens „Fara“. Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 35. 19 Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 47. 20 Vgl. POHL, Die Völkerwanderung, 192. 21 Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 254. 22 Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 48. 23 Vgl. REINHARDT, Geschichte Italiens, 16. 24 Die römische Bevölkerung floh in panischer Angst in die schützenden Lagunen. Daher verdankt Venedig der langobardischen Landnahme seine Entstehung. Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 34. 25 Außerdem kämpften langobardische Hilfstruppen im Osten mit den Byzantinern gegen die Perser. Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 47; POHL, Die Völkerwanderung, 194. 18

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Feinde und Eroberer. In diesem Punkt unterschied sich die Langobardenherrschaft in Italien wesentlich von der der Ostgoten. Das langobardische Heer, das neben Langobarden Krieger aus vielen anderen Völkern des Donaugebietes umfasste und von 20000 Sachsen verstärkt wurde,26 eroberte unter der Führung des Königs Alboin (ca. 560– 572) ohne große Schwierigkeiten mehrere Städte Norditaliens. Der byzantinische Widerstand war schwach und konzentrierte sich wohl auf die befestigten Städte, die dennoch schnell in die Hände der Eindringlinge fielen, so dass schon 568 Aquileja, Vicenza und Verona, die alte Königsstadt Theoderichs des Großen, für das byzantinische Reich verloren waren. Im Jahre 569 fiel die ehemalige Provinzhauptstadt Mailand, und Alboin legte sich den Titel „König von Italien“ bei. Nur Pavia leistete den Langobarden zähen Widerstand. Die Belagerung dauerte drei Jahre und erst 572 wurde Pavia erstürmt. Inzwischen eroberte das Heer Alboins die Toskana, so dass 572 ganz Oberitalien und die gesamte Toskana den Langobarden gehörten. Von Oberitalien aus wurde jetzt die Unterwerfung des übrigen Teils der Halbinsel unternommen. Nach Mittel- und Süditalien zogen dennoch nur einzelne, mehr oder weniger selbstständig vorgehende Truppen unter Führung von Herzögen. In Kämpfen entstanden hier vor allem zwei wichtige langobardische Territorien: die Herzogtümer Spoleto und Benevent. Dann plötzlich, als König Alboin den Gipfel seines Ruhmes erreicht hatte, wurde er ca. 572 nach der langobardischen Überlieferung von seiner Frau Rosamunda ermordet.27 Von den Herzögen und der Volksversammlung wurde der Herzog Kleph als neuer langobardischer König auf den Thron erhoben, der selbst auch innerhalb von eineinhalb Jahren von einem seiner Gefolgsleute ermordet wurde. Nach seinem Tod entschieden sich die Langobardenführer dagegen, einen neuen König zu wählen. Stattdessen teilten sie das eroberte Land in 36 Einzelherzogtümer auf und regierten selbstständig. Zehn Jahre lang gab es keinen Langobardenkönig in Italien; diese Zeit wurde von den heutigen Historikern mit dem Terminus interregnum bezeichnet.28 Als das langobardische Königtum im Jahr 574 erlosch, war schon die Hälfte Italiens fest in der Hand der Langobarden. Sie beherrschten den größten Teil Norditaliens mit Ausnahme der Küstengebiete von Ligurien (mit dem Zentrum Genua), von Istrien-Venetien (mit dem Zentrum Grado) und der Aemilia (mit dem Zentrum Ravenna und der Pentapolis). In der 26

Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 47; SIEDLMAYER, Geschichte Italiens,

51. 27

Vgl. R ICHARDS, Gregor der Große, 17; P OHL, Die Völkerwanderung, 199; J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 35f. 28 Vgl. REINHARDT, Geschichte Italiens, 16; J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 37.

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Region der Suburbicaria befanden sich zwei mächtige und bedeutende Herzogtümer, nämlich Spoleto und Benevent,29 so dass den Byzantinern ein beträchtlicher Teil Mittelitaliens entrissen war. Das byzantinische Reich konnte nur eine Reihe von Küstenenklaven behalten,30 die nur über die Seewege miteinander verbunden waren. Rom und Ravenna waren die wichtigsten der Städte, die immer noch zum byzantinischen Reich gehörten und die Reichsidee verfochten. Wie konnte das alles passieren? Die schnelle Eroberung großer Teile Italiens lässt sich nicht einfach erklären. Es gab wahrscheinlich mehrere Gründe für die erstaunlichen Anfangserfolge der Langobarden. Die byzantinische Regierung in der Provinz scheint auf die Invasion der Langobarden völlig unvorbereitet gewesen zu sein. In Anbetracht der Tatsache, dass die byzantinische Armee, die 645.000 Mann hätte zählen sollen, am Ende der Regierung Justinians kaum noch 150.000 Soldaten aufbieten konnte,31 kann man mit Recht vermuten, dass Italien nur mit einer sehr schwachen Besatzung versehen war. Sicher war es auch entscheidend, dass der erfahrene Feldherr Narses nicht mehr Militärgouverneur in Ravenna war. Die allgemeine italienische Unzufriedenheit mit seiner Regierung führte dazu, dass Narses bei Kaiser Justin II. (565–578) in Ungnade fiel. Aus diesem Grund wurde er nach sechzehnjährigem Dienst als Statthalter 567 von seinem Kommando abberufen.32 Diese Abberufung ließ das wahrscheinlich unbegründete Gerücht entstehen, Narses habe, sich für die Absetzung rächend, in verräterischer Weise die Langobarden, ehemalige Verbündete, nach Italien gerufen. Der zweite Grund waren vermutlich die Perserkriege, die Byzanz im Osten führte. Wegen dieser Kriege vermochte Byzanz der Invasion der Langobarden militärisch nicht entgegenzutreten. Erst im Jahre 574, als Kaiser Justin II. zusehends einem unheilbaren Siechtum verfallen war33 und der fähige General Tiberius Konstantin die Regentschaft übernommen hatte, versuchte das Reich seine schwierige Position in Italien zu verbessern. Im folgenden Jahr wurde ein Heer unter dem Kommando des Kuropalaten Baduarius, eines Schwiegersohns Justins II., nach Italien entsandt,

29

Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 18; REINHARDT, Geschichte Italiens, 17. Die Langobarden verfügten weder zu diesem Zeitpunkt noch später über eine Kriegsflotte, auf die die Byzantiner sich ihrerseits stark stützten. 31 Vgl. B ROWN, Die Entstehung des christlichen Europa, 151; P ITZ, Die griechischrömische Ökumene, 250. 32 Die Absetzung Narses’ gründete sich möglicherweise auch auf die Barbarenpolitik des neuen Kaisers Justin II., der meinte, dass militärische Stärke, nicht Verträge und Jahrgelder die Grenzen des Reiches schützen sollten. Vgl. POHL, Die Völkerwanderung, 195. 33 Vgl. W IRTH, Grundzüge der byzantinischen Geschichte, 43. 30

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doch es erlitt eine bittere Niederlage. 34 Nach dieser Katastrophe war Byzanz eine gewisse Zeit nicht mehr in der Lage, im Westen erneut militärisch einzugreifen, so dass sich die Bewohner Italiens bei der Verteidigung des Landes auf eigene Kräfte verlassen mussten. Der dritte und wahrscheinlich wichtigste Grund dürfte die allgemeine Schwächung Italiens gewesen sein. Das immer noch an den Folgen des Gotenkrieges leidende Land konnte den Eindringlingen kaum nennenswerten Widerstand leisten. Es stellt sich auch hier die Frage, ob und in welchem Maß die von bleierner Kriegsmüdigkeit befallene Bevölkerung sich dafür einsetzen mochte, das byzantinische „Ausbeutungssystem im Lande“35 zu verteidigen. Es ist anzunehmen, dass die byzantinische Regierungspolitik bei den Römern eine gewisse Abneigung verursacht hatte;36 dennoch sollte die Bedeutung dieser Tatsache im Fall der Verteidigung Italiens nicht überschätzt werden. Man nimmt an, dass die Bevölkerung gleichwohl ihre ganze Kraft für die Verteidigung des Landes aufbot, nicht um die byzantinische Staatsordnung zu erhalten, sondern um das eigene Leben zu retten, da sich die Langobarden schnell als grausame und rücksichtslose Krieger erwiesen.37 Die Entschlossenheit des Volkes bei der Verteidigung Italiens bezeugt außerdem die lange Belagerung Pavias. Die Widerstandskraft der Bevölkerung wurde zusätzlich durch die neuen Ausbrüche der Pest geschwächt, die Italien Mitte der sechziger und Anfang der siebziger Jahre des 6. Jahrhunderts heimsuchte und das ohnehin bereits entvölkerte Land noch weiter verwüstete.38 Das „Zusammenwirken“ der Pest und der Langobarden erwähnt Gregor der Große, als er die Situation in der Stadt Aquinum beschreibt:

34

Vgl. ZAKYTHINOS, Byzantinische Geschichte 324–1071, 56. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 34. 36 Vgl. REINHARDT, Geschichte Italiens, 14: „Widerstand gegen den von Byzanz bzw. seinen verlängerten Armen in Italien ausgehenden fiskalischen Druck formiert sich daher vorrangig unter den Eliten. Mit deren wohlwollender Duldung oder sogar Unterstützung dürften somit in den nächsten Jahrhunderten die Eroberer rechnen, die diese Zwangsabschöpfung reduzieren – sofern sie eine entsprechende Zurückhaltung mit einem Minimum an Zivilisiertheit und Bereitschaft zur Assimilation verbinden.“ Vgl. auch P OHL, Die Völkerwanderung, 150f. 37 Gregor der Große erwähnte mehrmals in seinen Werken die Grausamkeit der Langobarden. Ein Beispiel dafür bietet eine Geschichte in den Dialogen (dial. III, 28 [FUNK, BKV2 3, 159]): „Als zur selben Zeit die Langobarden ungefähr vierhundert Gefangene gemacht hatten ... so kam es, daß die Feinde, die sie gefangengenommen hatten, voll des heftigsten Zornes alle mit dem Schwerte niedermachten ...“. Vgl. noch dazu dial. I, 4 (FUNK, BKV2 3, 22). 38 Diese Ausbrüche der Pest und ihre Folgen erwähnte Gregor in den Dialogen (dial. IV, 26 [FUNK, BKV2 3, 219]): „Bei dem großen Sterben ferner, das vor drei Jahren die Stadt ganz verödete...“ 35

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Kapitel I. Die Zeitumstände „Noch zu dessen Lebzeiten wurde die gesamte Einwohnerschaft der Stadt durch das Schwert der Barbaren und durch eine schreckliche Pest so verringert, dass es nach seinem Tode weder jemand gab, der Bischof werden konnte, noch jemand, für den er es hätte werden sollen.“39

Die Pest wurde diesmal von einer schweren Hungersnot begleitet, die verheerend auf Italien wirkte. Dem Liber Pontificalis zufolge ergaben sich viele Städte den Angreifern aus Hungersnot.40 Man kann weiter vermuten, dass die neuen Eroberer bei den gerade erst unterworfenen Goten, die zweifellos nach dem Zerbrechen des ostgotischen Königtums in Italien geblieben waren, und insbesondere bei denjenigen, die als Hilfstruppen in das oströmische Heer eingegliedert worden waren, auf keinen großen Widerstand stießen.41 Es ist genauso möglich, dass die Goten, wie Jarnut meint, Verrat an dem verhassten Kaisertum übten und etwa die Tore belagerter Städte öffneten.42 Unter Berücksichtigung der allgemeinen soziopolitischen Situation in Italien während des Einbruchs der Langobarden stellt man fest, dass den Eindringlingen die Eroberung des Landes nicht allzu schwer gefallen sein dürfte. Die byzantinische Regierung geriet aus allen Fugen, mit wenigen schon erwähnten Ausnahmen. Die durch Pestepidemien, Hungersnöte und Steuerdruck bedrängte Bevölkerung war zweifellos nicht imstande, die letzten Spuren des römischen Staates und der antiken Kultur zu erhalten. Der Triumph der Barbaren im Westen schien unvermeidlich zu sein. 1.3 Das Interregnum Das Ende des ostgotischen Königtums bedeutete aber nicht das Ende des Krieges in Italien. Wenngleich sich die anfängliche Stoßkraft der Langobarden schon erschöpft hatte,43 setzten sie doch ihre Expansion fort und eroberten die wichtigsten Städte an der Via Aemilia sowie Piacenza, Reggio, Modena und Mantua. Im Jahre 579 belagerte der mächtige Langobardenherzog Farawald von Spoleto Rom. Während der Belagerung starb Papst Benedikt I. und sein Nachfolger Pelagius II. wurde wegen der bedrohlichen Situation am 30. Juli 579 geweiht, ohne die Bestätigung des Kaisers abzuwarten.44 Die Stadt behauptete sich, Farawald zog sich in nördlicher 39

Dial. III, 8 (FUNK, BKV2 3, 120). Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 19. 41 MARKUS schreibt dazu, dass die Überreste des gotischen Heeres den Byzantinern fast bis zur Invasion der Langobarden Widerstand leisteten. Vgl. M ARKUS, Gregory the Great, 4. 42 Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 35. 43 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 18. 44 Vgl. P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 892; GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 247. 40

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Richtung zurück und eroberte die Hafenstadt Classis.45 In dieser Zeit zerstörte der Heerführer Zotto von Benevent auch das Kloster Monte Cassino, dessen Mönche nach Rom flohen, wohin sie das Originalexemplar der Regel des hl. Benedikt mitbrachten.46 Papst Pelagius stellte ihnen eine Notunterkunft neben der Lateranbasilika bereit, wo sie das erste benediktinische Kloster Roms gründeten.47 Die erste Periode der langobardischen Geschichte (568–584)48 und insbesondere das königslose Jahrzehnt waren für die römische Bevölkerung der eroberten Gebiete die härtesten Jahre. Man kann mehrere Kennzeichen nennen, welche die langobardische Herrschaft in dieser Periode bestimmten. Zuerst kamen die Langobarden in Italien nicht als Föderierte wie einst die Ostgoten, sondern als Eroberer. Die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen, die Besitzverhältnisse der römischen Bevölkerung bedeuteten ihnen nichts.49 Sie hielten nichts von irgendeiner römischen Institution. Sie bemühten sich nicht, sich wenigstens den Anschein der Bewahrung der römischen Staatsordnung zu geben. Als Eroberer verteilten sie das eroberte Land unter sich und erließen eigene Gesetze, die von da an für alle gelten sollten. Die einheimische Bevölkerung hatte den rechtlichen Status von Unterworfenen und dem entsprechend geringe bürgerliche Rechte. Es gab keine öffentlichen römischen Organe mehr. Die ganze Verwaltung war langobardisch. Auf den Aufbau eines Staates, der die Mehrheit der unterworfenen Römer integrieren konnte, waren die Langobarden anfangs nicht bedacht. Eine für die Geschichte Italiens zu dieser Zeit überaus bedeutsame Tatsache bestand darin, dass die Langobardenmacht selbst kein geschlossenes Ganzes war.50 Neben dem König standen Herzöge, die zwar dem König theoretisch unterworfen blieben, aber in Wirklichkeit sehr oft auf eigene Faust Politik betrieben und, was besonders etwas später der Fall war, oft Bündnisse mit den Feinden eingingen. Dies galt besonders für die mächtigen Herzöge von Spoleto und Benevent in Süditalien oder auch für den Herzog von Friaul, die meist, im Gegensatz zu den Herzögen, die vom König in ihr Amt eingesetzt worden waren, als Führer bedeutender Truppen45

Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 20. Das Datum dieses Ereignisses ist unsicher. GREGOROVIUS gibt das Jahr 580 an, während P ITZ, DEMANDT und ANGENENDT die Zerstörung auf 577 datieren. Man kann nur mit Sicherheit sagen, dass das Kloster zwischen 570 und 590 zerstört wurde. Vgl. G REGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 246; P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 255; RICHARDS, Gregor der Große, 20; DEMANDT, Die Spätantike, 461; ANGENENDT, Das Frühmittelalter, 105. 47 Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 247. 48 Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 53. 49 Vgl. REINHARDT, Geschichte Italiens, 15f. 50 Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 52. 46

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verbände auch ohne königliche Mitwirkung in ihre Stellung gelangt waren. Es hing von jedem einzelnen Langobardenkönig ab, von seiner Macht und seinen persönlichen Fähigkeiten, in welchem Maß er auch in diesen Herzogtümern einen Herrschaftsanspruch erheben konnte. 1.4 Die Gründung des Exarchats Die Herrscher von Byzanz mussten den Verfall der eben erst zurückeroberten Provinz untätig mit ansehen. Sie waren durch Krisen im Osten und in den Balkanländern ganz in Anspruch genommen und konnten keine zusätzlichen Truppen für die italienische Kriegsfront entbehren. Die militärischen Kräfte, die ihnen in Italien zur Verfügung standen, genügten nur für die Instandhaltung weniger Enklaven, die die erste Welle des langobardischen Einbruchs überlebt hatten. Einen beträchtlichen Teil des Landes konnten die Byzantiner nur in Süditalien retten. Für diese immer noch unter byzantinischer Verwaltung stehenden Gebiete blieben die Langobarden allerdings eine ständig drohende Gefahr. Außerdem waren diese Territorien auch häufigen Plünderungen ausgesetzt. Deswegen versuchten die Römer den byzantinischen Kaiser zu einer größeren Beteiligung an dem Krieg in Italien anzuregen, indem sie 577 eine starke diplomatische Mission, die von dem rangältesten überlebenden Mitglied des Senats, dem Patrizier Pamphronius, angeführt wurde, nach Konstantinopel sandten. Das Geld (216 000 solidi), das die Gesandten auf ihrer Mission mitgenommen hatten, um die Kosten für die zusätzliche Truppen, die Italien notwendig gebraucht hatte, zu bestreiten, lehnte der Kaiser jedoch ab. Er riet gleichzeitig, mit dem Geld dissidente langobardische Herzöge oder die Franken zu bestechen und auf diese Weise ihre Hilfe in der Zukunft zu sichern.51 Als die Römer sich der Tatsache bewusst wurden, dass sie in der näheren Zukunft keine Hilfe von den Byzantinern würden erwarten können, wandten sie sich an den Frankenkönig und versuchten ihn zu bewegen, ihnen Beistand zu leisten. Aber auch diese Initiative blieb zunächst ohne Erfolg. Die Franken handelten erst später, als sie durch die häufigen langobardischen Raubzüge in den südlichen Teilen des Frankenreiches dazu provoziert wurden. In dieser Situation ergriff Kaiser Maurikios (582–602) organisatorische Maßnahmen, um die Verteidigung der byzantinischen Territorien zu verstärken und die dortigen Besitztümer des Reiches zu retten, soweit sie noch zu retten waren.52 Da es strategisch unmöglich war, die Grenzen der übrig gebliebenen Territorien gegen die regellosen Streifzüge der Langobarden 51

Vgl. R ICHARDS, Gregor der Große, 19; FISCHER, Gregor der Große und Byzanz,

52

Vgl. ZAKYTHINOS, Byzantinische Geschichte 324–1071, 56.

91.

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mit dem römischen Bewegungsheer zu verteidigen, und ebenso nicht mehr möglich war, die Steuern von den immer wieder von den Feinden ausgeplünderten Bauern einzutreiben, entschloss sich der Kaiser dazu, das Verwaltungssystem im ganzen Land auf jenes System umzustellen, das bis dahin nur an den Militärgrenzen (limites) in Gebrauch war.53 Der Kaiser wandelte folglich die Provinz Italien zum Exarchat um, in eine militarisierte Grenzprovinz. Der ehemalige Präfekt von Italien wurde in den Rang eines Exarchen erhoben, der die politische und militärische Gewalt zugleich ausübte54 und dazu weitreichende Befugnisse hatte. Er war von nun an sowohl Militärkommandant als auch Zivilgouverneur. Die byzantinischen Soldaten wurden in den Städten und Kastellen, die sie zu verteidigen hatten, angesiedelt und damit sesshaft gemacht. Auf diese Weise entstanden die einheimischen Milizen (sog. Bauernmilizen), die prinzipiell selbst in der Provinz ausgehoben und entweder von dem kaiserlichen Befehlshaber oder von den Grundbesitzern befehligt wurden. Im Westen schuf der Kaiser, der durch dieses System der Verwaltung die Überreste der justinianischen Eroberungen zu retten suchte, zwei Exarchate, das Exarchat von Ravenna und das von Karthago. Die Errichtung der beiden Exarchate „eröffnete die Epoche der Militarisierung der byzantinischen Verwaltung“55 und wurde zum Vorbild der späteren Themenverfassung – „Thema“ war die Bezeichnung für jede auf diese Weise organisierte Provinz.56 1.5 Die Wiederbegründung des langobardischen Königtums Der Zustand innerer Aufsplitterung der langobardischen Macht während des Interregnums kam zweifellos den Byzantinern zugute, die darin eine gute Möglichkeit sahen, die Langobarden mit einer Gegenoffensive wieder von der Halbinsel zu verdrängen. Nachdem der erste Versuch 575 blutig gescheitert war, wagten die Oströmer nicht, erneut den Langobarden militärisch entgegenzutreten. Allerdings hatten sie immer noch im Osten gegen die Perser zu kämpfen. Aber dort, wo ihre Militärmacht versagt hatte, erwies das byzantinische Geld seine Wirksamkeit. Zahlreiche duces, unter anderen auch die Herzöge von Parma, Reggio und Piacenza,57 ließen sich mit seiner Hilfe dazu bewegen, die byzantinische Oberhoheit anzuerken53

Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 284. Hier wurde das diokletianisch-konstantinische Prinzip einer Trennung der militärischen und zivilen Gewalten in den Provinzen aufgegeben. Jede Provinz hatte früher einen praeses als Leiter der Beamtenschaft und einen dux als Anführer der Soldaten. Vgl. DEMANDT, Der Fall Roms, 24; Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 39. 55 OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 57. 56 Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 39. 57 Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 37. 54

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nen und sich als Föderierte in der Dienst des Kaisers zu stellen. Um das Jahr 585 ging der Langobardenherzog Droctulf zur kaiserlichen Seite über und eroberte später die für das Reich wichtige Hafenstadt Classis zurück.58 Vor allem aber suchte die byzantinische Diplomatie die Tatsache auszunutzen, dass zwischen Langobarden und Franken erbitterte Feindschaft bestand. Seit 569 drangen die Langobarden fast jedes Jahr in die südlichen Teile des Frankenreichs ein und plünderten insbesondere die Provence.59 Durch das Fehlen einer politischen Einheit im Frankenreich wurden die Franken anfangs daran gehindert, zum entschlossenen Gegenangriff überzugehen. Erst 584, nachdem der austrasische König Childebert und Kaiser Maurikios ein Bündnis geschlossen hatten,60 drangen sie mit einem starken Heer über die Alpen vor. Um einen offenen Kampf zu vermeiden, zogen sich die Langobarden in die befestigten Städte zurück, und schließlich unterwarfen sie sich der fränkischen Oberherrschaft, ohne einen beträchtlichen Verlust an Menschen und Territorien – einiger Grenzregionen ungeachtet61 – erleiden zu müssen. So kam es, gegen den Willen des byzantinischen Kaisers, zu einem Friedensvertrag zwischen den Langobarden und dem Frankenkönig Childebert, der sich danach mit seinem Heer zurückzog. Wenn auch dieser erste ernsthafte Angriff der Franken gegen die Langobardenmacht in Italien den Langobarden keine allzu schweren Schäden zugefügt hatte, sahen sich die Herzöge in einer sehr bedrohlichen Situation. Die äußere Bedrohung, einerseits von den Franken, andererseits von den Byzantinern, die gerade in dieser Zeit das Exarchat gegründet und damit ihr neuerwachtes Interesse an der Apenninhalbinsel gezeigt hatten, ließ in den Langobarden allmählich die Erkenntnis des völligen inneren Zerfalls des ehemaligen langobardischen Königtums reifen. Im Jahre 584 vergegenwärtigten sich die Langobarden endlich die Tatsache, dass sie sich ohne Führung durch einen gemeinsamen starken König nicht würden behaupten können.62 Aus diesem Grund kamen die Herzöge darin überein, wieder einen neuen König zu wählen. Eine Mehrheit von ihnen wählte den jungen Krieger Authari, den Sohn des ermordeten Königs Kleph, zum König, wobei der Frankenkönig als der neue Oberherr möglicherweise seine Zustimmung gab. Für die materielle Ausstattung des Königtums brachten 58

Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 20. Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 38. 60 Der Kaiser Maurikios bezahlte dabei dem König Childebert 50 000 solidi, damit dieser die Langobarden angriff. Die Hilfe der Franken erwarb sich der byzantinische Kaiser noch dreimal mit Geldzahlungen (587, 588, 590). Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 20. 61 Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 39. 62 Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 255. 59

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die Herzöge beträchtliche Opfer, indem jeder auf die Hälfte seines Vermögens zugunsten des neuen Königs verzichtete.63 Dass die Langobarden bei der Wiederherstellung des Königtums die richtige Entscheidung getroffen hatten, erwies sich schon im nächsten Jahr, als die in Italien eingedrungenen austrasischen Truppen vom neuen Langobardenkönig zurückgeschlagen wurden. Diese Niederlage der Franken veranlasste den eben zum Exarchen von Ravenna ernannten General Smaragdus, mit den Langobarden zum ersten Mal formell einen Waffenstillstand auf drei Jahre abzuschließen.64 Nach Ablauf des Waffenstillstandes setzten sich die Kämpfe in Italien fort. Authari eroberte die Isola Comacina im Comer See, die wichtigste den Byzantinern im Alpengebiet verbliebene Festung, während der Exarch mit Hilfe des Langobardenherzogs Droctulf die Hafenstadt Classis zurückeroberte. Vor allem wegen innerer Auseinandersetzungen bemühten sich die Franken gleichzeitig, den Frieden mit den Langobarden zu halten. So kam es sogar zu einer Verlobung zwischen Authari und Childeberts II. Schwester Chlodoswinda, die aber später, wegen des politischen Kurswechsels am Frankenhof, scheiterte. Nach dem gescheiterten Versuch, eine fränkische Prinzessin zu heiraten und damit einen Keil zwischen Franken und Byzantiner zu treiben, wandte sich der Langobardenkönig dem Herzog Garibald von Bayern zu, der der fränkischen Oberherrschaft zu entkommen strebte. Das neue Bündnis zwischen Bayern und Langobarden wurde durch die Heirat Autharis mit Theodelinda,65 der Tochter des Bayernherzogs, die katholisch getauft war, gefestigt. Auf diese Weise hofften die beiden Herrscher einen starken militärischen Verband zu gründen, der den Franken (bzw. den Byzantinern) erfolgreich entgegentreten könnte. Andererseits rüsteten sich die Oströmer und die Franken erneut für eine abgestimmte Offensive gegen die Langobarden. 590 sahen sie sich endlich in der Lage, ein so gewagtes Unternehmen einzuleiten. Die Ankunft des neuen Exarchen in Ravenna führte eine Wende im italienischen Krieg herbei. Der geisteskrank gewordene Exarch Smaragdus wurde nämlich 589 durch Romanus (589–596/597) ersetzt. Auch die Kriegsereignisse im Osten kamen dem Exarchen zugute. In einem persischen Bürgerkrieg 590– 591 gelang es dem byzantinischen Kaiser Maurikios, seinen Kandidaten, den jungen König Chosroes II., durchzusetzen.66 Anschließend konnten die Byzantiner diesen Erfolg weiter ausnutzen, indem sie einen Friedensver63

Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 37. Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 40. 65 Theodelinda war mit dem Merowinger Childebert verlobt, als sie 598 nach Italien floh und Authari heiratete. Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 286. 66 Vgl. HALDON, Das byzantinische Reich, 31f; Vgl. ZAKYTHINOS, Byzantinische Geschichte 324–1071, 51; W IRTH, Grundzüge der byzantinischen Geschichte, 43. 64

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trag, der überdies die Rückgabe von byzantinischen Territorien und Festungen einschloss, mit dem persischen Reich abschlossen. Darüber hinaus konnte der Kaiser schließlich die Truppen für die gefährdete BalkanHalbinsel und Italien besorgen. Er schickte den langobardischen Söldnerführer Nordulf und seine Truppen, die bisher im Osten gedient hatten, nach Italien, wo sie sich unter das Kommando des Exarchen Romanus stellten. Nachdem die Pläne für einen gemeinsamen Angriff mit den Franken vereinbart worden waren, begann die byzantinisch-fränkische Offensive. Die Hauptziele der über die Alpen in Italien eingedrungenen Franken waren Mailand und Verona, die neben Pavia die wichtigsten Städte in Norditalien waren.67 Die Franken eroberten und zerstörten mehrere Festungen, so dass die Langobarden sich in den verbliebenen Städten verschanzen mussten. Der Exarch andererseits begann sofort den eigenen Angriff im Po-Tal und eroberte Mantua, Modena und Altinum (im Veneto) zurück. Mehrere Langobardenherzöge übergaben die Städte, die bisher unter ihrem Kommando gestanden hatten,68 und schlossen sich dem byzantinischen Heer an. Trotz der beachtlichen Siege, die sowohl die Oströmer als auch die Franken errungen hatten, gelang es den Verbündeten nicht, die erwartete Vereinigung beider Heere zustande zu bringen. Deswegen gelang es ihnen ebenfalls nicht, den Langobarden eine vernichtende Niederlage beizubringen. Wenn auch die Franken viele Festungen zerstört hatten, erwies es sich als unmöglich, die Langobarden in einer regelrechten Schlacht zu stellen, weil sie sich wieder einmal69 in die befestigten Städte zurückgezogen hatten. Authari selbst blieb in Pavia verschanzt. Diese defensive Taktik erwies sich tatsächlich als erfolgreich. Der fränkische Befehlshaber, Herzog Chedin, dessen Heer sich durch Sommerhitze, Epidemien und Hunger nach drei Monaten in einem beträchtlich geschwächten Zustand befand, schloss deshalb einen langfristigen Friedensvertrag mit Authari und zog sich aus Italien zurück, wobei die Franken immer noch mehrere Festungen besetzten.70 Nach dem Rückzug der Franken wurde auch den Byzantinern klar, dass sie allein die Langobarden aus Italien nicht vertreiben konnten. Der Exarch schrieb verbittert an König Childebert und beklagte sich, er sei imstande gewesen, sich mit dem fränkischen Heer zu vereinigen, wenn sie nur etwas mehr Geduld gehabt hätten.71 Er versuchte den König zu ermuti67

Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 41. Unter anderen wurden auch die oben erwähnten Städte Parma, Reggio und Piacenza übergeben. Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 21. 69 Nach einer ähnlichen Taktik gingen sie schon im Jahre 584 vor, als sie von den Franken angegriffen worden waren. 70 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 22. 71 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 22. 68

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gen, ein neues Heer nach Italien zu entsenden, das zusammen mit der byzantinischen Armee den Langobarden eine entscheidende Niederlage beibringen sollte. Aber der Frankenkönig beabsichtigte nicht, sich schon wieder in einen Krieg hineinziehen zu lassen. Stattdessen schloss er 591 mit den Langobarden einen Friedensvertrag ab, und dadurch gestalteten sich die Beziehungen zwischen beiden germanischen Völkern für längere Zeit friedlich. Kurz nachdem Authari sein Königtum, wenn auch unter Gebietsverlust, gerettet hatte, starb er plötzlich am 5. September 590 in Pavia, möglicherweise an Gift. Aber wahrscheinlicher ist es, dass er ein Opfer der Pest wurde, die wieder einmal in Italien ausgebrochen war.72 Nach seinem Tod wurden Faktoren sichtbar, die auf Dauer die Geschichte Italiens wesentlich beeinflussten. Zuerst war es den Langobarden nicht gelungen, ganz Italien zu beherrschen. Andererseits konnten die Byzantiner und die Franken sie auch nicht von der Halbinsel vertreiben. Dadurch zerfiel Italien in zwei Teile, grob gesagt in einen langobardischen Norden und einen byzantinischen Süden.73 Nicht nur das Land, sondern auch die Langobardenmacht war in sich gespalten. Die mächtigen Herzöge, besonders die von Benevent und Spoleto, trieben mehr und mehr auf eigene Faust Politik und gehorchten dem König nur gelegentlich, und zwar nur dann, wenn der König imstande war, seinen Herrschaftsanspruch durchzusetzen. Diese innere Spaltung erschwerte den Langobarden die Verteidigung der eroberten Territorien und, was besonders wichtig war, die Gründung eines stabilen Staatswesens. Gerade auf diesem Feld machte Authari die für die Zukunft des langobardischen Staates entscheidenden Fortschritte. Während seiner Regierungszeit entwickelte er eine Innenpolitik, durch die er die Langobarden, die bisher als mehr oder weniger gut organisierte Räuberbande gelebt hatten, in ein staatsbildendes Volk zu verwandeln strebte. Nach den Jahren bloßer Gewalttätigkeit wollte er nun die langobardische Macht als festgeordnetes Staatswesen konstituieren.74 Mit der Annahme des römischen Titels Flavius75 zeigte er offensichtlich, dass er die Tradition des römischen Reiches – wenn auch ohne Byzanz – wieder aufnehmen wollte. Damit suchte er überdies, seinen römischen Untertanen gegenüber eine gewisse Legitimität zu gewinnen. Einen Punkt dürfte man hier nicht übersehen: Authari erwies sich als gewillt, die ihm fast völlig fremden römischen spätantiken Formen anzunehmen und den Aufbau eines Staates, der die Mehrheit der unterworfenen Römer integrieren sollte, aufzunehmen. Unter Authari beendete man überdies die regellose Ausplünde72

Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 42; RICHARDS, Gregor der Große, 22. Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 42. 74 Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 54. 75 Dieser Titel wurde auch von den früheren ostgermanischen Herrschern in Italien Odoaker und Theoderich angenommen. 73

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rung der Römer. Er führte eine fest und verbindlich geregelte Aufteilung der abgabepflichtigen römischen Bevölkerung und ihrer Güter auf die Langobarden durch.76 All diese von Authari durchgeführten Maßnahmen bedeuteten eine umständliche Annäherung an das politische und wirtschaftliche Gefüge, das für das römische Reich bezeichnend gewesen war. Die von Authari zur Konsolidierung der Langobardenmacht in Italien durchgeführten Reformen vollendete sein Nachfolger auf dem Thron der Langobardenkönige, der Herzog von Turin, Agilulf (590–616). Im Herbst 590 wurde er zum König gewählt und im Mai des nächsten Jahres in Mailand von einer Volksversammlung in den althergebrachten Formen offiziell zum König erhoben.77 Agilulf heiratete Theodelinda, die Witwe seines Vorgängers. Ungefähr zur selben Zeit gingen die zwei großen Herzogtümer Spoleto und Benevent an zwei aktive Anführer, Ariulf (591–601) bzw. an den von dem neuen König selbst ins Amt eingesetzten Arichis (591– 641).78 Im Verein mit diesen Herzögen war Agilulf entschlossen, die Eroberungspolitik Autharis fortzusetzen. Um dies zu können, bemühte sich Agilulf zuerst, den inneren Frieden im Königreich zu sichern. Er wollte die Langobarden in Italien einigen, damit sie den Byzantinern stärker entgegentreten könnten. Zahlreiche Herzöge jedoch, besonders diejenigen, die sich 590 den Byzantinern und Franken angeschlossen hatten, wollten die Herrschaft Agilulfs nicht anerkennen. Der neue König besiegte in der ersten Hälfte seiner Regierungszeit viele von ihnen und ließ sie hinrichten.79 Auf diese Weise gelang es Agilulf, seine innere Position wesentlich zu stärken. Nach außen hin führte er Friedensverhandlungen mit den austrasischen Franken zu Ende, die schon Authari aufgenommen hatte, wofür er allerdings einen Tribut zahlen und die fränkische Oberhoheit anerkennen musste.80 Der Absicherung nach außen diente auch das Bündnis mit den Awaren, das Agilulf etwas später schloss. Diese Absicherungen der eigenen Herrschaft gestatteten dem König, die Eroberungspolitik wieder aufzunehmen. Während der langobardischen Vorbereitungen für die Fortsetzung des Krieges befanden sich Rom und ganz Italien in einer sehr schwierigen Situation. Die ohnehin schwierigen Lebensbedingungen verschlechterten sich dramatisch durch große Überschwemmungen, denen ein neuer Ausbruch der Pest folgte. Eines der ersten Opfer der Pest in Rom war Papst Pelagius II., der am 7. Februar 590 in Rom starb. Ebenso wie bei der Wahl von Pelagius war nun der päpstliche Thron in einer Zeit der Krise vakant 76

Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 40. Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 42. 78 Vgl. P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 903. 79 Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 43. 80 Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 43. 77

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geworden.81 Bei der darauf folgenden Wahl wandte sich der Klerus und das Volk einstimmig an Gregor, der trotz seines Widerstands82 bald als Papst inthronisiert wurde. Die Entvölkerung Roms und Italiens einerseits und die Zahl der Feinde andererseits waren zu dieser Zeit so furchtbar, dass der neugewählte Papst Gregor (3. Septembar 590–12. März 604) bald nach seinem Amtsantritt in einem Brief schrieb: ... non Romanorum sed Langobardorum episcopus factus sum ...83. 1.6 Italien, ... sub Langobardorum iugo captiua84 Die Zeit zwischen 590 und 603 ist dadurch charakterisiert, dass die Langobarden an allen Fronten aggressiv gegen die Byzantiner vorgingen. Insbesondere in Mittel- und Süditalien kämpften sie erfolgreich unter der Führung des Königs oder der Herzöge von Benevent und Spoleto. Schon 592 erschien Herzog Ariulf vor den Toren Roms, nachdem er viele Leute umgebracht oder verstümmelt und die Umgebung gebrandschatzt hatte.85 Gregor der Große, der infolge der Anstrengungen ans Bett gefesselt war, teilte dies dem Bischof Johannes von Ravenna mit, und bat, der Exarch von Ravenna als Repräsentant des Kaisers möge ihn bevollmächtigen, einen Waffenstillstand auszuhandeln.86 Er wollte nicht eigenmächtig handeln, sondern verstand sich lediglich als Verhandlungsbeauftragter, als Vermittler des Exarchen. Gregor charakterisierte die Lage Roms passend mit der Frage: ... destituta ab omnibus ciuitas, si pacem non habet, quomodo subsistet?87 Nachdem seine Bemühungen beim Exarchen erfolglos geblieben waren, entschloss sich Gregor, auf eigene Faust Politik zu machen, und 81

Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 49. Vgl. epist. I, 29 (CCL 140, 36): Hoc autem quod me ad episcopatus ordinem cognoscitis peruenisse, si me diligitis, plangite; quia tantae hic huius mundi occupationes sunt, uti per episcopatus ordinem paene ab amore Dei me uideam esse separatum. Vgl. auch epist. I, 30 (CCL 140, 37): Sed contra amorem non modice contristor, quia quietem me quaerere cognouistis et ad inquietudinem perduxistis. 83 Epist. I, 30 (CCL 140, 37). Hierzu schreibt HALLER, Das Papsttum, 300: „Nicht mehr als dreiundzwanzig Bischöfe umgeben den Papst auf der Synode des Jahres 595, etwa der dritte oder vierte Teil der Schar, die sich hundert Jahre früher zu versammeln pflegte, und mit Ausnahme von vieren sind es lauter nächste Nachbarn.“ 84 Epist. V, 36 (CCL 140, 305). 85 Vgl. epist. II, 38 (CCL 140, 122f): Eo tempore, quo Ariulfus ad Romanam urbem ueniens alios occidit, alios detruncauit, tanta maestitia affectus sum, ut in coli molestiam caderem. Vgl. auch SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 21. 86 Aus diesem Brief schließt man, dass es dem Papst nicht gestattet war, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Vgl. epist. II, 38 (CCL 140, 123): Peccatis ergo hoc meis reputo, quia iste, qui nunc interest, et pugnare contra inimicos nostros dissimulat et nos facere pacem uetat … 87 Epist. II, 38 (CCL 140, 123). 82

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versuchte, einen Sonderwaffenstillstand mit den Langobarden abzuschließen.88 Obwohl die Friedensverhandlungen mit Ariulf an den unmöglichen Forderungen,89 die er gestellt hatte, scheiterten, zog sich der Langobardenherzog mit seinen Truppen unerwartet zurück. Aber im folgenden Jahr drohte Rom eine noch größere Gefahr, als König Agilulf selbst den Po überschritt, um Rom zu belagern.90 In einer seiner Homilien über das Buch Ezechiel, die Gregorovius treffend als „Leichenrede ... am Grabe Roms“ bezeichnete,91 schildert Gregor die trostlose Lage Roms bzw. Italiens in jenen Tagen: „Was ist es schon, frage ich, was einem in dieser Welt gefallen mag? Überall nehmen wir Trauer wahr, von überall her hören wir Wehklagen. Städte sind zerstört, Heerlager verwüstet, ganze Landstriche entvölkert, und das Land ist zur Einöde geworden. Kein Einheimischer ist auf den Äckern geblieben, kaum ein Bewohner in den Städten, und diese kleinen Überreste des Menschengeschlechtes werden noch immer Tag für Tag ohne Unterlass gepeinigt ... Ihr seht ja, was aus der Stadt Rom geworden ist, die einst die Herrin der Welt gewesen sein soll. Vielfältig wundgerieben durch unermessliche Leiden, durch die Verzweiflung der Bürger, den Ansturm der Feinde und zahllose Ruinen ... Siehe, alle Mächtigen dieser Welt sind aus dieser Stadt hinweggerafft ... Siehe, die Völker sind untergegangen ... Wo ist der Senat? Wo das Volk? ... Es fehlt der Senat und das Volk ging zugrunde, und in den wenigen, die da sind, nehmen die Schmerzen und Seufzer täglich um ein vielfaches zu, und so brennt gleichsam das leere Rom! Aber was reden wir da von den Menschen, wo doch die Ruinen überhandnehmen und wir sehen, wie die Häuser der Stadt zerfallen ... Siehe, verlassen ist die Stadt, siehe, in die Staub getreten, siehe von Seufzern niedergebeugt.“92

Man kann nur vermuten, wie dieses furchtbare Gemälde des Zustands von Rom auf die Zuhörer wirkte. Als aber Agilulf bis vor die Tore Roms vorgestoßen war, unterbrach Gregor seine Predigten über Ezechiel.93 88 Vgl. F ISCHER, Gregor der Große und Byzanz, 78; CASPAR, Geschichte des Papsttums, 472. 89 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 473. 90 Vgl. in Ezech. II, praef. (CCL 142, 205): Et quidem uoluntati uestrae me parere necesse est, sed duo sunt quae hac in re perturbant animum meum … Aliud, quod iam Agilulphum Langobardorum regem ad obsidionem nostram summopere festinantem Padum transisse cognouimus. 91 Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 259: „Sie war die Leichenrede, die der Bischof am Grabe Roms hielt, und dieser Bischof war der edelste Patriot, der letzte Abkomme eines alten, erlauchten Römergeschlechts.“ 92 In Ezech. II, 6, 23f (B ÜRKE, CMe 21, 373–375); Vgl. noch epist. III, 29 (CCL 140, 175); in euang. I, 17, 16 (FC 28/1, 296–298). 93 Vgl. in Ezech. II, 10, 24 (CCL 142, 397): Ecce haec, ut, Domino largiente, potuimus, coram uobis fratres carissimi, rimati sumus. Nemo autem me reprehendat, si post haec alocutione cessauero, quia, sicut omnes cernitis, nostrae tribulationes excreuerunt: undique gladiis circumfusi sumus, undique imminens mortis periculum timemus. Alii, detruncatis ad nos manibus redeunt, alii capti, alii interempti nuntiantur. Iam cogor linguam ab expositione retinere, quia taedet animam meam uitae meae. Iam nullus in me

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Agilulf belagerte Rom, aber ohne allzu viel Nachdruck dabei auszuüben. Denn wie hätte ihm die entvölkerte, mit sehr schwacher Besatzung versehene Stadt widerstehen können?94 Was einzig der Stadt und der Umgebung helfen konnte, war der Frieden. Nachdem die angeforderte Hilfe des Exarchen ausgeblieben war, entschloss sich Gregor von sich aus dazu,95 angesichts der hungerleidenden Bevölkerung mit Agilulf Friedensverhandlungen zu beginnen. Obwohl die Stadt für die Angreifer offen dalag, gelang es Gregor, gegen Zusage eines jährlichen Tributs von 500 Pfund Gold, den er aus der päpstlichen Kasse auszuzahlen hatte, den König zur Aufgabe der Belagerung zu bewegen. Außerdem, was noch wichtiger war, willigte König Agilulf in einen Waffenstillstand ein.96 Dieses Abkommen, mit dem sich auch der höchste kaiserliche Beamte in Rom einverstanden erklärt hatte, wurde vom Exarchen nochmals entschieden abgelehnt. Die eigenmächtigen Friedensverhandlungen des Papstes erschienen Romanus wenn nicht als Hochverrat, so doch bestimmt als Kompetenzüberschreitung.97 Der Exarch und Kaiser Maurikios boykottierten ständig die Bemühungen Gregors um einen Separatfrieden, „da man – und dies verkomplizierte die Situation erheblich – unterschiedliche strategische Konzepte verfolgte“98. Während der Kaiser einen endgültigen Sieg über die Langobarden und dadurch einen dauernden und stabilen Frieden anstrebte und wahrscheinlich noch dazu fürchtete, „mit Nachgiebigkeit die Langobarden zu neuen Forderungen zu ermutigen“,99 wollte Gregor jede Gelegenheit nutzen, um einen Friedensschluss mit den Langobarden einzuleiten und dadurch die bedrängte Lage des Landes zu verbessern. Es ist offensichtlich, dass der Papst und der Kaiser samt nahezu allen byzantinischen Beamten die gesamte Situation in Italien aus unterschiedlicher Perspektive beurteilten. Kann man die Erregung des Papstes aus der bedrohlichen Situation in Rom heraus begreifen, so muss andererseits auch die Haltung des Exarchen gerecht beurteilt werden. sacri eloquii studium requirat, quia uersa est in luctum cithara mea, et organum meum in uocem flentium. Iam cordis oculus in mysteriorum discussione non uigilat, quia dormitauit anima mea prae taedio. Iam minus lectio animo dulcis est, quia oblitus sum manducare panem meum a uoce gemitus mei. Cui autem uiuere non licet, de Scripturae sacrae sensibus loqui mystica qualiter libet? Vgl. auch RICHÉ, Gregor der Große, 41. 94 Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 259. 95 Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 54. 96 Vgl. SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 22. 97 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 473; MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 206. 98 JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom (590–604), 119. 99 FISCHER, Gregor der Große und Byzanz, 78.

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Kapitel I. Die Zeitumstände „Wenn er dem Gesamtproblem der langobardischen Invasion strategisch beikommen wollte, so musste er seine Streitkräfte zusammenhalten und nach einem großen Plane einsetzen, konnte sie aber nicht, jeder Wendung der Kriegslage an einer Stelle, und sei es selbst in Rom, nachgebend verzetteln.“100

Sogar der Abzug eines Teils der in Rom stationierten Truppen nach Perugia, den Gregor scharf kritisierte,101 war taktisch durchaus gerechtfertigt, denn nur wenn die Verbindungslinien nach Ravenna militärisch gesichert waren, konnte man Rom überhaupt irgendwelche Hilfe bringen.102 So darf man nicht aufgrund der Untätigkeit des Exarchen den Schluss ziehen, dass Italien vom byzantinischen Reich an die Langobarden ausgeliefert wurde. Wie wenig Kaiser Maurikios geneigt war, auf den einstigen westlichen Teil des Reiches zu verzichten, zeigt das Testament, das er im Jahre 597 verfasste. Es sah die Teilung der Herrschaft unter die beiden Söhne vor, wobei der älteste Sohn Theodosios in Konstantinopel über die östlichen Gebiete und der zweite Sohn Tiberios in Rom, das wieder Kaiserresidenz werden sollte, über die westlichen herrschen sollte.103 Mit diesem Testament legte der Kaiser auch seine Pläne für Italien offen. Die Idee der Wiederherstellung des weströmischen Reiches sah offensichtlich keine Möglichkeit eines ruhigen Zusammenlebens mit den Langobarden vor. Eine Dauerfriedenspolitik gegenüber den Langobarden konnte damit nicht in Frage kommen.104 Trotz der offenkundigen Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise, wie man den Krieg gegen die Langobarden führen sollte, versuchte Gregor mehrmals den Exarchen Romanus, mit dem er sich offensichtlich schlecht verstand,105 zu einem Friedensschluss zu bewegen.106 Er wandte sich in diesem Sinne an Kaiser Maurikios, den er seit langem persönlich kannte und mit dem er so gute Beziehungen gepflegt hatte, dass er während seiner Zeit als Apokrisiar in Konstantinopel Pate des ersten Sohnes des Herrschers geworden war.107 Der Kaiser, der offenbar durch den Exar100

CASPAR, Geschichte des Papsttums, 473. Vgl. epist. V, 36 (CCL 140, 306): Ut Perusia teneretur, Roma relicta est. 102 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 473. 103 Vgl. SCHUMANN, Geschichte Italiens, 18; P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 284; OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 57. 104 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 487. 105 Zusätzlich belastet wurde das Verhältniss zwischen dem Papst und dem Exarchen durch die Weise, wie Bischof Maximus von Salona, dessen Kandidatur Gregor ausdrücklich verboten hatte, mit Unterstützung des Exarchen ins Bischofsamt gewählt wurde. Vgl. epist. V, 6 (CCL 140, 271f); epist. V, 39 (CCL 140, 317f); R ICHARDS, Gregor der Große, 210–214; FISCHER, Gregor der Große und Byzanz, 68–77. 106 Vgl. epist. II, 38 (CCL 140, 124); epist. IV, 2 (CCL 140, 218f); epist. V, 34 (CCL 140, 301f). 107 Vgl. STUHLFATH, Gregor I. der Große, 40; FRAISSE-COUÉ, Gregor der Große und der Osten, 937. 101

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chen über die Vorgänge unterrichtet worden war, reagierte jedoch heftig und machte dem Papst in einem Brief schwere Vorwürfe. Er nannte ihn „einfältig“ (simplex), weil er sich von den listigen Feinden hatte täuschen lassen und geglaubt habe, Ariulf von Spoleto sei zu einem ehrlichen Frieden mit dem römischen Staat bereit gewesen. Die Getreideversorgung Roms sei, dem Kaiser zufolge, auch nicht reibungslos durchgeführt worden, was die Verteidigung natürlich erschwert habe. Die kaiserlichen Beamten in Rom wurden ebenso heftig vom Kaiser getadelt, weil sie auf die Verhandlungen mit den Langobarden eingegangen waren. In dem für ihn sehr charakteristischen Schreiben vom Juni 595 wies Gregor würdevoll die Klage des Kaisers zurück. „Von mir wird nun in dem allerhöchsten kaiserlichen Erlasse gesagt, ich hätte mich von der Schlauheit des Ariulph täuschen lassen, und ohne Erwähnung der Klugheit wird mir Einfalt zugeschrieben, woraus ohne Zweifel ersichtlich ist, dass man mich einen Thoren schelte. Daß ich Dies bin, gebe ich selbst zu. Würde Ew. Frömmigkeit es nicht sagen, die Thatsachen würden es schreien. Wäre ich kein Thor gewesen, so hätte ich mich nie dazu herbeigelassen, Das zu ertragen, was ich hier unter den Schwertern der Langobarden zu erleiden habe.“108

Gregor beklagte weiter, dass der Kaiser falsch über die tatsächliche Situation in Italien unterrichtet worden sei: „Da man mir aber nicht glaubt, was ich von Ariulph versicherte, dass er nämlich von ganzem Herzen bereit sei, sich mit dem Römerreich zu vergleichen, so werde ich auch der Lüge bezichtigt. Wäre ich auch nicht Bischof, so wüßte ich doch, dass es für einen Bischof eine schwere Beleidigung ist, wenn man ihn, den Diener der Wahrheit, für einen Lügner hält. Längst weiß ich, daß man dem Nordulf sowie auch dem Leo 109 mehr geglaubt hat als mir. Auch jetzt schenkt man Denen, die man gerade vor sich hat, mehr Glauben als meinen Versicherungen. Würde nicht das Joch der Eroberung jeden Augenblick noch schwerer auf meinem Lande110 lasten, so würde ich gerne zu der mir zugefügten Schmach und Verspottung schweigen. Aber Dies macht mir großen Kummer, daß aus demselben Grunde, aus welchem ich den Vorwurf der Lüge zu ertragen habe, Italien alle Tage als unter dem Joch der Langobarden befindlich bezeichnet wird. Und während man meinen Vorstellungen in Nichts Glauben beimißt, wachsen die Streitkräfte in’s Ungeheure. Dies jedoch bemerkte ich dem allerfrömmsten Kaiser: Möge er von mir alles Schlechte denken, wo es sich aber um den Vorteil des Reiches und um die Rettung Italiens handelt, möge er nicht leicht jedem Beliebigen das kai-

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Epist. V, 36 (KRANZFELDER, BKV1 27, 268). Nordulf war der langobardische Parteigänger des Exarchen, während Leo der sizilische Exkonsul war. Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 479. 110 „Mein Land“ sagt der Papst sicher im Sinne von „Heimat“. Wegen dieser Ausdrucksweise sollte man ihm keine Machtansprüche zuschreiben. Vgl. SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 22. Hierzu schreibt CASPAR, dass solche Äußerungen Gregors, die außerdem nur in diesem Schreiben vorkommen, bewusst oder unbewusst von neuem jene Grenze zwischen lateinischem Westen und griechischem Osten zogen. Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 482. 109

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Kapitel I. Die Zeitumstände serliche Ohr leihen, sondern mehr den Thatsachen als den Worten Glauben schenken.“111

Die mit dem Langobarden aufgenommenen Friedensverhandlungen rechtfertigte der Papst mit dem Notstand, in der sich Rom und besonders die Umgebung befunden hatten, indem er schreibt: „Ein schwerer Schlag war nach diesem112 das Eintreffen Agilulfs, wobei ich mit eigenen Augen sehen mußte, wie die Römer Hunden gleich mit Stricken am Halse zusammengekoppelt zum Verkaufe nach Frankreich geführt wurden.“113

Das Verhalten der tapferen Beamten, des Präfekten Gregorius und des Feldherren (magister militum) Castorius, die „den mühevollsten Wachtdienst für die Stadt während der Belagerung durchzumachen hatten und nur nach all’ Diesem von schwerer kaiserlicher Ungnade getroffen sind“, lobte er hoch und erklärte dem Kaiser, dass man in Rom keinen größeren Vorrat an Getreide aufbewahren könne.114 So sehr sich Gregor in diesem Brief bemühte, einen herkömmlichen ehrerbietigen Stil gegenüber dem Kaiser Majestät zu bewahren, so freimütig wies er andererseits die Schmähung zurück, die ihm als dem Bischof, als dem Diener Gottes, zugefügt worden war115: „Über Bischöfe möge aber unser Gebieter nicht so voreilig gemäß seiner Weltherrschaft zürnen, sondern um Dessen willen, dessen Diener sie sind, mit vorzüglicher Umsicht so seine Herrschaft über sie ausüben, dass er ihnen auch die schuldige Ehrfurcht zu Theil werden läßt.“116

Heftige Erbitterung Gregors entlud sich ganz offen in diesem Brief. Die Unzufriedenheit des Papstes gründete sich auf die Tatsache, dass der Kaiser, obwohl er sich ausdrücklich zum Kampf gegen die Langobarden bekannte hatte, kaum handelte. Schon früher hatte die politische und religiöse Lage in Italien zu Spannungen zwischen dem Papst und dem Kaiser geführt. Als Gregor in Absprache mit Maurikios dem Schisma von Aqui-

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Epist. V, 36 (KRANZFELDER, BKV1 27, 268f). Hier sind der gebrochene Frieden mit Ariulf und der Abzug der Soldaten nach Perugia gemeint. 113 Epist. V, 36 (KRANZFELDER, BKV1 27, 271). 114 Epist. V, 36 (KRANZFELDER, BKV1 27, 271). 115 Vgl. SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 23; FISCHER, Gregor der Große und Byzanz, 81f. Hierzu bemerkt CASPAR treffend, dass in diesem Brief der ganze Gregor ist. „Der Mönch neigte vor den Vorwürfen des kaiserlichen Schreibens in persönlicher Demut das Haupt, aber er erhob sich“, schreibt CASPAR, „gegen das, was er in ihnen als eine Verunglimpfung des Priesterstandes empfand.“ Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 481. 116 Epist. V, 36 (KRANZFELDER, BKV1 27, 269). 112

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leja117 ein Ende setzen wollte, appellierten die dissidenten Bischöfe an den Kaiser, der aus Angst, sie könnten sich den Langobarden zuwenden, Gregor gebeten hatte, auf weitere Maßnahmen gegen jene Bischöfe zu verzichten.118 Der Papst unterwarf sich hier dem Wunsch des Kaisers, wenn auch widerwillig, was in einem Brief an Bischof Johannes von Ravenna ganz offensichtlich ist.119 Als aber 592 der Kaiser das Gesetz erließ, demgemäß der Übertritt von Soldaten ins Kloster und von Zivilbeamten in ein kirchliches Amt verboten wurde, protestierte der Papst heftig.120 Die Krise von 595, als Gregor vom Kaiser getadelt wurde, verstärkte sich in demselben Jahr, als der Streit zwischen Gregor und Johannes dem Faster um den Titel des ökumenischen Patriarchen ausbrach.121 Aus diesen Ereignissen kann man entnehmen, dass die Beziehungen Gregors zu Maurikios äußerst spannungsvoll waren, und wahrscheinlich blieb dies so bis zum Ende der Regierungszeit des Kaisers.122 Gab diese Krise den Ausschlag, dass sich Gregor von diesem Zeitpunkt an, enttäuscht vom Kaiser, mehr den westlichen Königreichen zuwandte? Was man aus dem Briefregister des Papstes erfahren kann, ist, dass sich der Briefwechsel mit den germanischen Herrschern seit 595 intensivierte.123 Das Verhältnis zwischen dem Papst und dem Kaiser spiegelte jedenfalls das Verhältnis zwischen Italien und dem byzantinischen Reich wider. Das Verhältnis Gregors zu den kaiserlichen Beamten in Italien entbehrte ebenfalls nicht einer ständigen Spannung. Die nach wie vor schlechten Beziehungen zwischen Gregor dem Großen und dem Exarchen Romanus erreichten im Jahre 594 einen Tiefpunkt; der Papst schrieb an den Bischof Sebastian von Sirmium: „Was wir ..., heiligster Bruder, in diesem Lande von der Person Eures Freundes, des Herrn Romanus, erleiden, das können wir gar nicht mit Worten ausdrücken. Ich sage nur kurz, daß seine Bosheit gegen uns über das Langobardenschwert geht, so dass die Feinde, die uns tödten, wohlwollender erscheinen als die Reichsbeamten, die uns

117

Vgl. BECK, Der Dreikapitelstreit und das 5. allgemeine Konzil, 30–37; P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 910f; MARAVAL, Die Religionspolitik unter Justinian I, 421–461. 118 Vgl. epist. IV, 2 (CCL 140, 218f); epist. IV, 4 (CCL 140, 220f); epist. I, 16 (CCL 140, 16); FRAISSE-COUÉ, Gregor der Große und der Osten, 938. 119 Vgl. epist. II, 38 (CCL 140, 124). 120 Vgl. epist. III, 61 (CCL 140, 209–211); epist. III, 64 (CCL 140, 214f); RICHARDS, Gregor der Große, 224–229. 121 Vgl. epist. V, 37 (CCL 140, 308–311); epist. V, 39 (CCL 140, 314–318); epist. V, 41 (CCL 140, 320–325); epist. V, 44 (CCL 140, 329–337). 122 Vgl. FRAISSE-COUÉ, Gregor der Große und der Osten, 941. 123 Vgl. P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 899.

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Kapitel I. Die Zeitumstände durch ihre Bosheit, ihre Erpressungen und ausgedachte Hinterlist zu Grunde richten.“124

Ungeachtet der Enttäuschungen, die er von Konstantinopel und von Ravenna erfahren hatte, setzte der Papst seine Friedensbemühungen fort. Gregor bemühte sich um Verständigung mit den Langobarden „im doppelten Sinn eines Dauerfriedens“, schreibt Caspar, „und einer katholischen Annäherung.“125 Dieser zweite Anlass für seine Bemühungen wird ihm wahrscheinlich sehr wichtig gewesen sein. Die Langobarden waren nämlich schon früher größtenteils christianisiert, gehörten aber nicht der katholischen Kirche an, sondern dem sog. arianischen Bekenntnis. Zu Beginn seines Pontifikats hatte Gregor daran gedacht, die Langobarden dazu zu bewegen, zum katholischen Glauben überzutreten. Er forderte die Bischöfe Italiens 591 dazu auf, den Langobarden ohne Unterlass das ewige Leben zu verkündigen, damit sie veranlasst würden, ihre Kinder katholisch taufen zu lassen.126 Solche Anweisungen findet man später bei Gregor aber nicht mehr. Vermutlich war ihm klar geworden, dass die Langobarden die katholische Kirche in Italien mehr als eine byzantinische Kirche betrachteten, weswegen jeder Versuch ihrer Bekehrung zum Scheitern verurteilt war.127 Kurz vor seiner Antwort an den Kaiser ließ Gregor den Exarchen erneut über mögliche Friedensverhandlungen informieren. „Wisset also“, so schreibt er an Severus, den Sekretär des Exarchen, im Mai 595, „daß der Langobarden König Agilulf den Abschluß eines allgemeinen Friedens nicht verweigert, vorausgesetzt, dass der Herr Patrizier [der Exarch Romanus] ihm ein Schiedsgericht gestatte. Denn er klagt, daß noch zur Friedenszeit ihm Vieles in seinem Gebiet zugefügt worden sei. Wie er aber für sich Genugthuung fordert, wenn das Schiedsgericht einen Grund hierzu findet, so verspricht er auch, auf jede Weise Genugthuung zu leisten, wenn sich herausstellen sollte, daß während des Friedens von seiner Seite Eingriffe geschehen seien.“128

Das Verlangen des Langobardenkönigs hielt Gregor für durchaus berechtigt und bat, auf die Einwilligung des Exarchen in jeder Weise hinzuwirken, damit ein allgemeiner Frieden129 abgeschlossen werden könnte. Falls Romanus jedoch darauf nicht eingehen wollte, legte der Papst offen:

124

Epist. V, 40 (KRANZFELDER, BKV1 27, 276); Vgl. auch R ICHÉ, Gregor der Große,

42. 125

CASPAR, Geschichte des Papsttums, 477. Vgl. epist. I, 17 (CCL 140, 16f). 127 Vgl. P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 904. 128 Epist. V, 34 (KRANZFELDER, BKV1 27, 263). 129 Vgl. epist. V, 34 (CCL 140, 301f). 126

1. Politische Geschichte

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„Sollte er nicht zustimmen wollen, so verspricht Agilulf, mit Uns einen Separatfrieden abschließen zu wollen; aber Wir wissen, dass dann die verschiedenen Inseln und andere Gebiete ohne Zweifel zu Grunde gerichtet werden.“ 130

Im Brief steht trotzdem nicht klar, dass Gregor bereit war, eine solche specialis pax anzunehmen. Es ist bei diesen Verhandlungen bemerkenswert, dass Agilulf sich offensichtlich an Gregor, nicht aber an den Exarchen wandte. Ob dies ein Beweis des hohen Ansehens war, das der Papst in den Augen der Langobarden damals genoss, wie Fischer meint,131 oder ob Agilulf versuchte, dadurch die schon bestehende Zwietracht zwischen dem Papst und dem Exarchen zu vertiefen, kann man nur vermuten. Ein gewisses Ansehen bei den Langobarden genoss der Papst jedenfalls; dies kann man aus seiner lebhaften Korrespondenz mit der Königin Theodelinda erschließen. Dass diese neueste päpstliche Friedensinitiative wiederum auf wenig Verständnis in Ravenna stieß, war bei der politischen Einstellung des Romanus vorauszusetzen. Solange er Exarch war, blieben die päpstlichen Bemühungen erfolglos. An der Gesamtlinie der kaiserlichen Politik – kein Paktieren mit den Langobarden – hielt Romanus fest.132 Erst nachdem der Exarch im Jahre 596 gestorben war, versuchte Gregor wieder, die Friedensaktivitäten in beträchtlichem Umfang aufzunehmen. Dieses Mal gelang es dem Papst endlich trotz mannigfaltiger Schwierigkeiten, die vor allem die Herzöge von Benevent und Spoleto machten,133 mit Hilfe des neuen Exarchen Kallinikus, der im Frühling 597 das Amt übernommen hatte, einen Friedensvertrag mit dem Langobardenkönig im Herbst 598 zustande zu bringen. Die Forderung Agilulfs, dass auch der Papst persönlich den Vertrag unterzeichnet sollte, lehnte Gregor entschieden mit der Begründung ab, er verstehe sich lediglich als Bittsteller (petitor) und Mittler (medius) zwischen dem Exarchen und den Langobarden. Außerdem wollte er sich offensichtlich nicht zum Mitverantwortlichen dieses Vertrags machen.134 Dagegen war er bereit, einen Laien, einen Bischof oder 130

Epist. V, 34 (KRANZFELDER, BKV1 27, 263f). Vgl. FISCHER, Gregor der Große und Byzanz, 86f. 132 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 483; MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 315. 133 Vgl. SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 23; CASPAR, Geschichte des Papsttums, 484f. 134 Vgl. epist. IX, 44 (CCL 140A, 603): A subscriptione tamen abstinere praeuidimus, ne nos, qui inter eum et excellentissimum filium nostrum domnum exarchum petitores sumus et medii, si quid forte clam sublatum fuerit, falli in aliquid uideamur et nostra ei promissio in dubium ueniat et, si qua de futuro, quod absit, necessitas fuerit, occasionem inueniat, qualiter nostrae petitioni consentire non debeat. Vgl. auch J ENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom, 128; FISCHER, Gregor der Große und Byzanz, 89; CASPAR, Geschichte des Papsttums, 485. 131

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Kapitel I. Die Zeitumstände

einen Archidiakon unterschreiben zu lassen.135 Seine Befriedigung über den schließlich errungenen Frieden drückte Gregor in seinen Briefen an Agilulf und Theodelinde aus.136 Dem Langobardenkönig schrieb er: „Wir danken Ew. Excellenz, weil Ihr unsere Bitte erhört und, wie Wir von Euch nicht anders erwartet haben, einen Frieden abgeschlossen habt, welcher beiden Teilen zum Nutzen gereichen soll. Darum haben wir die Klugheit und Milde Ew. Excellenz viel gelobt, weil Ihr durch Eure Friedensliebe Eure Liebe zu Gott, dem Urheber des Friedens, bewiesen habt.“137

An den König richtete Gregor überdies auch die dringende Bitte, er möge seinen Feldherrn befehlen, „daß sie diesen Frieden gemäß des gegebenen Versprechens ohne Rückhalt aufrecht erhalten und keine Veranlassung suchen, aus welcher Streit oder Unzufriedenheit entstehen könnte.“138 Die Langobardenkönigin Theodelinda begrüßte der Papst „mit väterlicher Liebe“139 sehr herzlich mit den Worten „erlauchteste Tochter“ (excellentissima filia)140 und ermahnte sie zugleich, „bei Euerm erlauchtesten Gemahl dahin zu wirken, daß er ein Bündnis mit dem christlichen Staate nicht verschmähe.“141 Der abgeschlossene Friede war zunächst nur auf ein Jahr befristet. Entgegen den Erwartungen des Papstes142 wurde der Waffenstillstand weiter um einige Jahre verlängert. Gebrochen wurde jedoch der Friede 602, als Kallinikus die inneren Schwierigkeiten des Langobardenreiches ausnutzen wollte und die Stadt Parma angriff,143 wo ihm Agilulfs Tochter und Schwiegersohn in die Hand fielen. Agilulf dagegen eroberte Padua, und dadurch wurde die Verbindung zwischen Ravenna und Istrien gefährdet.144 Der Krieg brach erneut aus, und Gregor schrieb wieder über die Gefahr durch die Langobarden.145

135 Vgl. epist. IX, 44 (CCL 140A, 603): Sed si tantum est, gloriosum fratrem nostrum uel unum de episcopis aut certe archidiaconem subscribere faciemus. 136 Vgl. epist. IX, 66 (CCL 140A, 621f); epist. IX, 68 (CCL 140A, 624). 137 Epist. IX, 66 (KRANZFELDER, BKV1 27, 451). 138 Epist. IX, 66 (KRANZFELDER, BKV1 27, 452). 139 Epist. IX, 68 (KRANZFELDER, BKV1 27, 453). 140 Epist. IX, 68 (KRANZFELDER, BKV1 27, 453); epist. IX, 68 (CCL 140A, 624). 141 Epist. IX, 68 (KRANZFELDER, BKV1 27, 453). 142 Vgl. epist. IX, 196 (CCL 140A, 752): Quia uero non minorem de uobis, quam de nobis sollicitudinem gerimus, hoc quoque pariter indicandum curauimus, quod finita hac pace Agilulfus Langobardorum rex pacem non faciat. 143 Vgl. P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 904. 144 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 487; MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 413. 145 Vgl. epist. XII, 16 (CCL 140A, 990): Quia inter gladiis Langobardorum quos sustineo ...

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Dann aber brachte der Regierungswechsel in Konstantinopel einen Umschwung in der Außenpolitik des byzantinischen Reiches und damit auch in der Langobardenfrage.146 Kaiser Maurikios wurde vom Heer gestürzt und Phokas, ein Offizier aus den an der Donau operierenden Truppen, mit Zustimmung des Senats zum Kaiser ausgerufen. Die Gründe für den Umsturz sind zahlreich, sei es der große Steuerdruck, die ungenügenden und unregelmäßigen Soldauszahlungen, die offene Unzufriedenheit des Heeres oder die sich ständig verschärfenden sozialen und religiösen Gegensätze.147 Der Regierungswechsel bedeutete aber nicht das Ende der Krise im byzantinischen Reich. Ganz im Gegenteil: Auf die Ermordung des gestürzten Maurikios und seiner Söhne folgte eine Welle von Massenhinrichtungen, meist der Aristokratie, die sich der Tyrannenherrschaft des Phokas (23. November 602–3. Oktober 610) widersetzt hatte.148 Bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in den Provinzen führten zur außenpolitischen Katastrophe.149 Die Ermordung des Maurikios nahm bald der persische König Chosroes II. als Vorwand, um einen neuen Krieg gegen Byzanz anzufangen, auf den das Reich nicht vorbereitet war. Die Verteidigung des Balkans brach nun endgültig zusammen. Die ganze Regierungszeit des neuen Kaisers war von inneren Unruhen, Verfolgungen und Grausamkeiten und von äußeren Bedrohungen erfüllt.150 Phokas war, wie Caspar sehr drastisch zusammenfasst, ein „blutbefleckter Mörder, dazu der unfähigste, lasterhafteste und feigste aller byzantinischen Kaiser.“151 „Nur an einer Stelle“, so schreibt Ostrogorsky, „fand Phokas Anklang: in Rom.“152 Seine betont romfreundliche Politik wurde in Rom nach vielen Jahren dauerhafter Auseinandersetzungen mit Konstantinopel sehr erfreut begrüßt. Eine auf dem römischen Forum errichtete Säule, deren Inschriften den byzantinischen Tyrannen glorifizieren, stellt ein Denkmal der besonderen Gunst dar, die Phokas in Rom genoss.153 Auch der Papst zeigte sich, trotz aller seiner Verbindungen zur kaiserlichen Familie des Maurikios, 146 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 487; MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 397. 147 Vgl. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 59f; NORWICH, Byzanz, 150f. 148 Vgl. W IRTH, Grundzüge der byzantinischen Geschichte, 46; HALDON, Das byzantinische Reich, 32. 149 Vgl. MAIER, Byzanz, 76. 150 Vgl. ZAKYTHINOS, Byzantinische Geschichte 324–1071, 57. 151 CASPAR, Geschichte des Papsttums, 489; Vgl. noch GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 268f: „Der mannhafte Kaiser Maurikios ... war einem Militäraufstande zum Opfer gefallen, und eins der verruchtesten Ungeheuer, welche die byzantinische Geschichte kennt, hatte den Thron bestiegen.“ 152 OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 60. 153 Vgl. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 60; GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 42; MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 397.

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Kapitel I. Die Zeitumstände

dem neuen Kaiser gegenüber höchst freundlich. Kurz nachdem er die von Kaiser Phokas und Kaiserin Leontina übersandten Bildnisse (sog. laurata)154 feierlich entgegengenommen hatte, schrieb Gregor seinen ersten Brief an den neuen Kaiser.155 Hinter den zur Begrüßung eines neuen Herrschers üblichen diplomatischen Floskeln schimmert durch, wie enttäuscht Gregor von der Regierung des Maurikios gewesen war: „Denn nach der unbegreiflichen Anordnung des allmächtigen Gottes wechseln die Geschichte im sterblichen Leben, und bisweilen, wenn die Sünden Vieler eine Bestrafung erfordern, wird einer erhöht, durch dessen Härte der Nacken der Unterthanen unter das Joch der Trübsal gebeugt wird, was wir längere Zeit hindurch zu Unserm Schmerze erfahren haben ... ‚Es freue sich der Himmel, und es frohlockte die Erde‘156 und es athme auf die ganze Bevölkerung des Reiches, welche bisher so schwer bedrückt war.“157

Gregor beklagt weiter die Zustände unter der Regierung des früheren Kaisers und spricht zugleich seine besten Hoffnungen hinsichtlich der neuen Regierung aus. Er legt dem Kaiser aber auch nahe, welche Anforderungen ein gerechter Herrscher erfüllen soll. Aufgrund des sehr freundlichen Tons dieses Briefes haben viele schweren Anstoß an Gregor genommen.158 Man sollte dabei jedoch beachten, dass man über Phokas, außer der von ihm veranlassten grausamen Hinrichtung der kaiserlichen Familie, noch nichts Böses wusste. Andererseits bleibt die Frage offen, wie gut Gregor über das wahre Gesicht des Phokas und überhaupt über die Ereignisse in Konstantinopel informiert war. Die diplomatischen Höflichkeiten, die auch im nächsten Brief Gregors an Phokas erscheinen,159 gehören überdies dem Schreibstil der Antike an, der in der Korrespondenz mit Herrschern verwendet wurde. Der wichtigste Grund für ein solches Schreiben Gregors dürften jedoch die augenblicklichen Bedürfnisse Roms und Italiens gewesen sein. Wenige Monate nach dem ersten Schreiben ließ Gregor den Kaiser durch einen 154

Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 269. Vgl. FRAISSE-COUÉ, Gregor der Große und der Osten, 941. 156 Ps 95, 11. 157 Epist. XIII, 32 (KRANZFELDER, BKV1 27, 668f). Wenn dies auch zweifellos in erster Linie über Maurikios gesagt wurde, bemerkt K RANZFELDER, konnte es doch auch als Warnung für Phokas gelten. 158 Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 269: „Gregor mußte im Grund seiner Seele einen Kaiser verabscheuen, der unter Blutströmen sich der Herrschaft bemächtigt hatte; aber die Politik zwang ihn, unterwürfige Glückwünsche an Phokas und Leontina zu schreiben ... Diese Briefe kann man nur mit Scham lesen; sie sind die einzige dunkle Stelle im Leben des großen Mannes und haben sich zu seinem eigenen Nachteil erhalten, wie sich zur Unehre Roms die Ehrensäule des Phokas auf dem Forum erhalten hat.“ Vgl. noch R ICHARDS, Gregor der Große, 233; HALLER, Das Papsttum, 300; CASPAR, Geschichte des Papsttums, 489; MODESTO, Gregor der Große, 231–233. 159 Vgl. epist. XIII, 39 (CCL 140A, 1042f). 155

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neuen Brief160 wissen, dass er eiligst einen neuen Apokrisiar an den Hof schicken und damit die während der letzten Zeit des Maurikios und während der Thronwirren unterbrochene diplomatische Verbindung wieder aufnehmen wollte. Der Apokrisiar sollte Phokas über die Ereignisse in Italien informieren. Der neue Kaiser stellte für den Papst selbstverständlich eine neue Hoffnung dar. Einen Herrscher, der sich den italienischen Angelegenheiten endlich widmen wollte, brauchte das Land dringend. Ein hoffnungsvolles Anzeichen in diesem Sinne war die Ernennung des Smaragdus, der schon früher dieses Amt ausgeübt hatte, zum neuen Exarchen in Ravenna. Mit der Anstellung eines Mannes zum Exarchen, den Gregor schon kannte und der früher die harte Politik gegen die istrischen Schismatiker betrieben hatte, war der Papst natürlich zufrieden.161 Bald darauf konnte Gregor im Dezember 603, kurz vor seinem Tod, in einem Schreiben an die Langobardenkönigin Theodelinda dem König Agilulf seinen Dank für den soeben abgeschlossenen Frieden übersenden.162 Der geschlossene Friede beschleunigte die schon in Gang befindliche neue Gestaltung des Verhältnisses zwischen der römischen Kirche und dem Langobardenkönigtum. König Agiluf bemühte sich seinerseits ständig, seine römischen Untertanen enger an das Königtum zu binden. Da die Kirche in Italien die einzige stabil gebliebene Institution war, die Ansehen bei der ganzen Bevölkerung genoss, strebte er, vermutlich unter dem Einfluss der Königin Theodelinda, danach, eine gewisse Annäherung an die katholische Kirche zustande zu bringen. Diesen Zweck verfolgend, erstattete er einen Teil des geraubten Kirchengutes zurück und erlaubte dazu einigen Bischöfen, in ihre Diözesen zurückzukehren. Er verlegte auch seine Residenz aus der gotischen Königsstadt Verona in die ehemalige kaiserliche Residenz Mailand, setzte sich für den Aufbau dieser Stadt ein und förderte überdies die Restauration der Mailänder Kirchen.163 Königin Theodelinda, die eifrig für den Schutz und dann für die Ausbreitung des Christentums tätig war, erwirkte, dass der König dem irischen Missionar und Klosterreformer Kolumban große Hilfe bei der Gründung des Klosters Bobbio im westlichen Oberitalien leistete.164 Die Verhältnisse zwischen dem langobardischen Königtum und der Kirche wurden im Laufe der Zeit immer besser. König Agilulf war der erste Langobardenkönig, der sich 160

Vgl. epist. XIII, 39 (CCL 140A, 1042f). Vgl. epist. XIII, 34 (CCL 140A, 1035f). 162 Vgl. epist. XIV, 12 (CCL 140A, 1083): Paterna praeterea caritate soluentes salutationis officium, petimus ut excellentissimo filio nostro regi coniugi uestro pro nobis de facta pace gratias referatis atque eius animum, sicut consuistis, ad pacem et de futuro per omnia prouocetis, quatenus mercedem populi innocentis, qui in scandalo perire potest, ante conspectum Dei inter multa bona quae agitis inuenire possitis. 163 Vgl. EWIG, Die Langobarden und Italien, 157f. 164 Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 56. 161

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Kapitel I. Die Zeitumstände

selbst als gratia Dei ... rex totius Italiae bezeichnete165 und damit das Bewusstsein eines christlichen Herrschers zeigte. Die katholische Kirche kam diesen Bestrebungen des langobardischen Königspaares ganz sicher gern entgegen. Welcher Grad der Annäherung zwischen der Kirche und den Langobardenherrschern am Anfang des siebten Jahrhunderts bereits erreicht worden war, zeigte sich darin, dass der Langobardenkönig seinen ersten Sohn katholisch taufen ließ. In demselben Brief an Königin Theodelinda, in dem Gregor sich für den abgeschlossenen Frieden bedankte, äußerte er zuerst seine Freude über die Geburt des langobardischen Thronfolgers und danach über die katholische Taufe des Kindes, die ihm gewiss persönlich sehr wichtig war.166 Für Gregor bedeutete die katholische Taufe167 des Prinzen Adaloald einen bedeutenden Erfolg, den Lohn seiner unablässigen Bemühungen für den Frieden und das Zusammenleben mit den Langobarden. „Wenn ich, ihr Diener, gewollt hätte, mich ausgerechnet in den Tod der Langobarden einzumischen“, schrieb der Papst dem Diakon Sabinianus schon im Jahre 594, „hätte das Volk der Langobarden weder einen König noch Herzöge noch Grafen und wäre in höchster Verwirrung gespalten. Aber weil ich Gott fürchte, scheue ich mich, mich in den Tod irgendeines Menschen einzumischen.“ 168

Wahrscheinlich hoffte der Papst, wenn die Langobarden von einem katholischen König hätten geführt werden, dann würde alsbald das ganze Volk zum katholischen Glauben übertreten, wie es schon in Spanien bei den Westgoten der Fall gewesen war.169 Die Hoffnungen des Papstes erwiesen 165

Vgl. J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 46. Vgl. epist. XIV, 12 (CCL 140A, 1082): Scripta quae ad nos dudum a Genuensibus partibus transmisistis gaudii uestri nos fecere participem, propter quod omnipotentis Dei gratia et filium uobis donatum et, quod ualde est excellentiae uestrae laudabile, catholicae eum fidei cognouimus sociatum. Nec enim de christianitate uestra aliud credendum fuerat, nisi id studere uos, ut quem diuino munere suscepistis, catholicae rectitudinis auxilio muniretis, ut et redemptor noster familiarem te suam famulam cognosceret et Langobardorum genti nouum regem in timore suo feliciter enutriret. Vnde oramus omnipotentem Deum ut et uos in mandatorum suorum uia custodiat et eundem excellentissimum filium nostrum Adalouualdum in suo faciat amore proficere, quatenus, sicut hic inter homines iam magnus est, sic quoque et bonis actibus ante Dei nostri oculos sit gloriosus. 167 EWIG behauptet, dass der Langobardenprinz schismatisch-katholisch getauft wurde, d. h. dass Adaloald von den Anhängern des schismatischen Patriarchats getauft wurde. Vgl. EWIG, Die Langobarden und Italien, 158. 168 Vgl. epist. V, 6 (CCL 140, 272): Si ego seruus eorum in morte uel Langobardorum me miscere uoluissem, hodie Langobardorum gens nec regem nec duces nec comites haberet atque in summa confusione esset diuisa; sed quia Deum timeo, in morte cuiuslibet hominis me miscere formido. 169 Vgl. epist. I, 41 (CCL 140, 47–49); Vgl. auch RICHARDS, Gregor der Große, 216; P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 919. 166

1. Politische Geschichte

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sich tatsächlich etwas später als berechtigt, als gegen Ende des siebten Jahrhunderts die Katholisierung des ganzen Langobardenvolkes vollendet wurde – „der konfessionelle Trennungsstrich [zwischen den Römern und den Langobarden] war damit ausgelöscht.“170 1.7 Die weitere Gestaltung des Verhältnisses zwischen Rom und Byzanz Der errungene Frieden mit den Langobarden war die einzige politische Unterstützung für Italien seitens des neuen Kaisers, die Gregor erleben sollte. Die Krise, die Phokas zwar wahrscheinlich nicht allein verursacht, jedenfalls aber beschleunigt hatte, bedeutete den Anfang einer neuen Ära in der byzantinischen und damit auch römischen Geschichte. Mit den Jahren der Anarchie unter Phokas endete die Geschichte des spätrömischen bzw. frühbyzantinischen Staates171 und beginnt die byzantinische Geschichte im eigentlichen Sinn. Aus dieser Krise geht Byzanz als ein mittelalterliches griechisches Kaiserreich hervor.172 Aus der Perspektive Italiens bedeutete dies den Anfang einer Periode des allmählichen Verzichts der Byzantiner auf die Herrschaft im ehemaligen Kernland des Reiches.173 Diese Entwicklung ermöglichte andererseits Italien, abgesehen von den byzantinischen Enklaven, ein mehr oder weniger von dem Reich unabhängiges Leben zu führen. Wenn auch das byzantinische Reich erst 680 auf der Grundlage des Status quo einen „ewigen“ Frieden mit den Langobarden abschloss, kann man rückblickend feststellen, dass Maurikios der letzte Kaiser war, der geglaubt hatte, die Langobarden aus Italien vertreiben zu können.174 Während aber die Annäherungsbestrebungen zwischen der römischen Kirche und den Langobarden immer größer wurden, lockerte sich im Laufe der Zeit die Verbindung zwischen Rom und dem Osten mehr und mehr. Die Tatsache, dass die Bindung der oströmischen Herrschaft zu Italien derart lose war, lässt sich nur zum Teil mit der räumlichen Trennung erklären.175 Gerade die Verwaltungsreformen, die Maurikios durchgeführt hatte, um die byzantinische Herrschaft in Italien zu verstärken, hatten einen beträchtlichen Nachteil: sie „wurden nun die Fermente der Ausbildung eines provinziellen Selbstverständnisses.“176 Den neuen Anordnungen gemäß stützte sich die Landesverteidigung völlig auf die einheimische Bevölke170

SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 58. Vgl. MAIER, Byzanz, 76. 172 Vgl. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 62. 173 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 490. 174 Vgl. SCHUMANN, Geschichte Italiens, 18; J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 171

44. 175 176

GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 38f. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 39.

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Kapitel I. Die Zeitumstände

rung. Die wichtigsten militärischen Formationen in der Provinz Italien wurden die sesshaften einheimischen Milizen, die aus der römischen Bevölkerung rekrutiert wurden. Sehr bald sollte es fraglich werden, wem die angesiedelten Soldaten eher gehorchen, ihren bischöflichen oder anderen Landherren, an die sie verpachtet waren, oder den kaiserlichen Befehlshabern.177 Es war selbstverständlich, dass die Befehlsgewalt über diese militärischen Einheiten überwiegend den Großgrundbesitzern zufiel, weil durch sie die Soldaten organisiert wurden, während die byzantinischen Kommandanten schrittweise in den Hintergrund traten. Die Grundbesitzer behaupteten dieses militärische Amt „als oberste lokale Gewalt auch in erblicher Folge: der Feudaladel beginnt zu entstehen“;178 er hatte wenig mit den Resten der byzantinischen Verwaltung im Land zu tun. Die neuen politischen Machtverhältnisse im Westen veranlassten die katholische Kirche, sich intensiver mit den Königreichen der westlichen Völker zu beschäftigen. Bereits Gregor der Große stand mit vielen germanischen Königen in Briefwechsel und bemühte sich darum, mit ihnen gute Beziehungen zu pflegen. Mit dem Entschluss, Missionare nach England zu schicken, geschah es zum ersten Mal, dass sich ein Papst die Mission jenseits der Reichsgrenzen zur Aufgabe machte. Wenn auch Gregor dabei ausschließlich auf die Ausbreitung des Christentums bedacht war,179 kündigte sich eine neue Richtung der päpstlichen Politik im Westen an. Die Annäherung Roms an die Franken begann sich ebenso bereits unter Gregor abzuzeichnen.180 Offizielle Kontakte des Papstes zum Westgotenreich kamen kurz vor 599 zustande. Von besonderer Bedeutung war, dass sich die Franken, die Westgoten und schließlich die Langobarden dem Katholizismus öffneten. Die Herrscher dieser Völker waren längst nicht mehr „Barbarenkönige“, sondern christliche Herrscher, wenn dies auch mit einem gewissen Vorbehalt anzunehmen war. Einem schwachen, mit vielen inneren und äußeren Problemen belasteten Byzanz standen die neuen starken westlichen Königreiche gegenüber, die ihre jeweilige Machtbasis zu erweitern suchten. Auch Gregor der Große bemerkte, dass man keine große politische oder militärische Unterstützung von den Byzantinern erwarten konnte. Die byzantinischen Kaiser waren mit den Problemen im Osten ganz in Anspruch genommen, so dass sie in Italien nur auf die Aufrechterhaltung ihrer verbliebenen Territorien bedacht waren. 177 178

Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 285. S IEDLMAYER, Geschichte Italiens, 30; Vgl. noch REINHARDT, Geschichte Italiens,

17. 179

Vgl. HALLER, Das Papsttum, 303; Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 235–256. Vgl. P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 922–926; RICHÉ, Gregor der Große, 101. 180

2. Sozialgeschichte

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Außerdem lockerten sich die Bindungen zwischen der römischen Kirche und der östlichen Kirche allmählich. Die christologischen Streitigkeiten im Osten, die Rivalität zwischen Rom und Konstantinopel, die Versuche Roms, auf kirchliche Probleme im Osten Einfluss zu nehmen, bewirkten, dass sie sich gegenseitig immer mehr misstrauten.181 Die Spannungen zwischen Papsttum und oströmischem Reich verschärften sich mit der Zeit. Eine entscheidende Zäsur erfolgte, als sich die ständig von den Langobarden bedrohten Päpste schließlich nicht mehr an die byzantinischen Herrscher wandten, sondern an die Frankenkönige. Papst Stephan II. suchte im Jahre 745 beim fränkischen König Pippin Hilfe gegen den Langobardenkönig Aistulf und stellte damit Rom unter Pippins Schutz.182 Dadurch blieb diese Stadt für alle Zeiten außerhalb der Grenzen des Romäerreiches, obwohl dieses ihr seinen Name verdankte.

2. Sozialgeschichte 2.1 Die byzantinische Verwaltung in Italien Nach der letzten Blüte der antiken Kultur in Italien während der Herrschaft Theoderichs des Großen, die natürlicherweise mit einem friedlichen und sicheren Ablauf des alltäglichen Lebens verbunden war, kam eine der schwersten Zeiten italienischer Geschichte.183 „Die Erschöpfung und das Elend Roms konnte zu keiner Zeit,“ schreibt dazu Gregorovius, „selbst nicht in der Periode des sogenannten Exils der Päpste zu Avignon, größer sein als nach der Beendigung des Gotenkriegs.“184

Das nach 78 Jahren von den Goten befreite Italien befand sich in einem mitleiderregenden Zustand. Zunächst waren es die Kriegsereignisse selbst, die zu großen Zerstörungen und zu Verlusten an Menschen geführt hatten. Fast jede größere Stadt, besonders gut befestigte Städte, hatten eine oder 181

In dem Brief an den Comes Narses (epist. VI, 14 [CCL 140, 383f]) schrieb Gregor über die Konzilsdokumente, die ihm von Narses gesendet wurden: Sicut Chalcedonensis synodus in uno loco ab ecclesia Constantinopolitana falsata est, sicut aliud et in Ephesina synodo factum est ... Romani autem codices multo ueriores sunt quam Graeci, quia nos uestra sicut non acumina, ita nec imposturas habemus. Vgl. noch epist. V, 37 (CCL 140, 308–311); epist. V, 45 (CCL 140, 337f); GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 283. 182 Vgl. RICHÉ, Gregor der Große, 101. 183 Vgl. MARKUS, Gregory the Great, 3: „The fifty years before he [sc. Gregory the Great] became bishop of Rome was a period of insecurity unparalleled in Roman history, certainly since the ‚crisis of the third century‘.“ 184 GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 225. Vgl. auch SOTINEL, Emperors and Popes, 284.

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mehrere Belagerungen aushalten müssen.185 Bei dauerhaften Belagerungen wurden Wasserleitungen und überhaupt die ganze Infrastruktur von den feindlichen Truppen systematisch zerstört. Die einheimische Bevölkerung der kapitulierenden Städte war den siegreichen Armeen nach den Belagerungen oft auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Die blutige Rache der Feinde war keine Ausnahme, etwa wie im Fall von Mailand, das bis auf die Grundmauern zerstört wurde.186 Die Zivilbevölkerung in Norditalien war ständigen Plünderungen der von den Goten zu Hilfe gerufenen Franken und Burgunder ausgesetzt. Häufig wurde das Volk auch in die Sklaverei verschleppt.187 Dazu kamen Hungersnöte und Epidemien, die, auf die Spuren des Krieges folgend, ganze Landschaften zu Einöden machten.188 Im Jahr 543 erreichte die Pest zum ersten Mal den Westen.189 Diese bisher im Abendland fast unbekannte Krankheit verwüstete in etwa zehn aufeinanderfolgenden Wellen Italien und Frankreich, gewöhnlich mit einer Unterbrechung von mehreren Jahren zwischen den Ausbrüchen.190 Die nahezu ganz zugrunde gegangene Wirtschaft in Italien litt durch den Menschenmangel zusätzlich. Das Land soll nach verbreiteter Schätzung mindestens ein Drittel seiner mehr als fünf Millionen Einwohner verloren haben.191 Rom, einst die größte Stadt des Reiches mit knapp einer Million Einwohner192, dürfte nach dem Krieg nur noch etwa 30–40000 Bewohner gehabt haben.193 Die Stadt wurde während des Gotenkrieges in einem relativ kurzen Zeitraum fünfmal erobert.194 Durch die Zerstörung der Aquädukte und die Unterbrechung der öffentlichen Austeilungen der Lebensmittel war Rom praktisch unbewohnbar geworden, und ein großer Teil der überlebenden Menschen verließ die Stadt. Die Senatoren, der alte römische Adel und die anderen, die es sich leisten konnten, wanderten nach Osten, meist nach Konstantinopel, aus. Die alte aurelianische Stadtmauer aus dem dritten Jahrhundert n. Chr. umfasste jetzt verlassene Gebäude, wilde Gärten, leere Straßen, Trümmer. Zur Verbesserung der Lebensverhältnisse und zur Neuordnung der Verwaltung Italiens erließ Kaiser Justinian im Jahre 554 die sogenannte Pragmatische Sanktion, die die unmittelbare Reichsherrschaft über Italien offi185

Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 242. Vgl. POHL, Die Völkerwanderung, 150. 187 Vgl. POHL, Die Völkerwanderung, 150. 188 Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 225. 189 Vgl. HORDEN, Mediterranean Plague, 135. 190 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 23–25. 191 Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 225; HORDEN, Mediterranean Plague, 153–156. 192 Vgl. DEMANDT, Die Spätantike, 377. 193 Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 46. 194 Vgl. MODESTO, Gregor der Große, 10. 186

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ziell wiederherstellte. Diesem Gesetz gemäß wurde die neue kaiserliche Verwaltungsstruktur anstelle der traditionellen römischen eingerichtet, und durch ein neues Gesetz wurde die zwischen 528 und 534 in Konstantinopel geschaffene römische Gesetzessammlung, das Corpus iuris civilis, in Italien eingeführt.195 Die neue Verwaltung bekam ihren Sitz in Ravenna, erhielt griechische Beamte und einen Militärgouverneur196 an der Spitze. Die römische Verwaltungsstruktur war im jahrelangen Krieg fast völlig zugrunde gegangen. 541 gibt es zum letzten Mal einen Jahreskonsul in Rom.197 Der Senat verschwand erst gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts aus der Geschichte, aber schon nach dem Krieg hatten verarmte Senatoren kaum mehr Einfluss auf die Verwaltung des Landes. Eine Tatsache darf in dieser Neuordnung der von Byzanz durchgeführten Regierungspolitik Italiens nicht übersehen werden. Das ehemalige Kernland des römischen Reiches wurde im sechsten Jahrhundert (wenn nicht schon früher198) „Provinz Italien“, und so wurde es von kaiserlichen Beamten, sowohl von denjenigen in Konstantinopel als auch von den Neuangestellten in Italien, regiert.199 Sie war nicht mehr Kernland, sondern eine unter vielen Provinzen. Ob die einheimische römische Bevölkerung Italiens sich dieser wesentlichen Änderung des politischen Status des Landes bewusst war, kann man nicht mit Sicherheit beurteilen. Es steht aber fest, dass ein großer Teil der Bevölkerung bald nach der Befreiung mit der byzantinischen Herrschaft unzufrieden war, was gewiss teilweise auf der schlechten ökonomischen Lage Italiens in der Nachkriegszeit beruht. Der Preis der justinianischen Eroberungen war eine völlige finanzielle Erschöpfung des Reiches.200 Durch erhöhte Steuereinnahmen versuchte die byzantinische Regierung, die enormen Kriegskosten möglichst bald zu ersetzen. Von solchen Maßnahmen waren besonders die neueroberten Länder betroffen, die durch die dauerhaften Kriege entsetzlich verheert wa195

Vgl. SCHUMANN, Geschichte Italiens, 17. Der Militärgouverneur in Ravenna bekam später den Titel „Exarch“. Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 14. 197 Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 42; GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 165. 198 Vgl. REINHARDT, Geschichte Italiens, 13: „In der Spätantike, vor allem seit den schweren Reichskrisen des 3. Jahrhunderts n. Chr., hatte Italien seinen uralten Vorrang als Kernland des römischen Imperiums eingebüßt. Die Verlagerung der Hauptstadt an den Bosporus, nach Byzanz, im Jahr 330 ist symbolischer Ausdruck dafür, daß Rom und mit ihm Italien den Rang des mythischen Zentrums und die Funktion des politischen Mittelpunkts verloren haben.“ 199 Die Stellung der byzantinischen Kaiser gegenüber Italien und den ganzen Westen überhaupt illustriert gut die Tatsache, dass selbst Justinian, der letzte lateinsprechende Herrscher eines römischen Reiches, der die renovatio imperii als höchstes Ziel seiner Regierung gesetzt hatte, nie die alte Hauptstadt seines Reiches besuchte. 200 Vgl. OSTROGORSKY, Byzantinische Geschichte, 49. 196

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Kapitel I. Die Zeitumstände

ren.201 Es scheint aber, dass sie deswegen keine Steuernachlässe bekamen. Außerdem setzten die kaiserlichen Angestellten die offizielle Steuerpolitik hart durch. Der für Italien zuständige Steuereintreiber, der Logothet Alexander, erhielt nicht zufällig den Beinamen „die Schere“, weil er vielerlei Möglichkeiten fand, die Steuern zu erhöhen und einzutreiben.202 Im Übrigen galt der byzantinische Verwaltungsgrundsatz, dass sich jede Provinz finanziell durch eigene Steuern zu erhalten habe und überdies den festgesetzten Beitrag an den Kaiserhof abliefern musste.203 Italien war aber nach dem Krieg völlig verwüstet und sah sich kaum mehr in der Lage, die Last der Steuern und der neuen Bürokratie zu tragen.204 Andererseits finden sich in der Pragmatischen Sanktion einige Bestimmungen zugunsten Roms. Justinian ordnete an, dass die öffentlichen Austeilungen an das römische Volk fortgesetzt werden müssten.205 Die Professoren der Grammatik, der Beredsamkeit und des Rechts sollten weiterhin ihre Honorare aus der Staatskasse erhalten. Der Kaiser zeigte auch für die öffentlichen Gebäude seine Aufmerksamkeit, indem er befahl, dass die gewohnten Leistungen oder Privilegien der Stadt Rom, sei es zur Wiederherstellung der öffentlichen Gebäude oder für das Flussbett des Tibers, für den Markt, für den Hafen Roms, für die Herstellung der Wasserleitungen, bestehen bleiben sollten.206 Wie viel davon realisiert wurde und ob man dies nur als wohlwollende Wünsche betrachten soll, ist schwierig zu sagen. Wahrscheinlich entstand in dieser Nachkriegszeit kein großes Bauwerk. Bis heute sind nur zwei Inschriften auf einer Brücke erhalten geblieben, die Zeugnis von der Bautätigkeit des Narses, des neuen Militärgouverneurs Italiens, ablegen. Gregorovius merkt an, dass der verbale Pomp der Inschriften bei der Geringfügigkeit des Werkes, einer kleinen Brücke über einen kleinen Fluss, für die Epoche bezeichnend sei.207

201

Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 29. Vgl. POHL, Die Völkerwanderung, 146. 203 Dabei wurde die getreidereiche, vom Krieg kaum mitgenommene Provinz Sizilien dem Kaiser unmittelbar unterstellt. Vgl. SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 44; GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 31f. 204 Vgl. HALDON, Das byzantinische Reich, 30. 205 Die kostenlose Kornspende der Regierung (annona) wurde bis Anfang des siebten Jahrhunderts fortgeführt. Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 95. 206 Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 227. 207 Eine dieser Inschriften lautet: „Unter der Regierung Unseres Herrn, des allerfrömmsten und immer triumphierenden Justinianus, Vaters des Vaterlandes und Augustus, in seinem 39. Jahre, hat Narses, der ruhmvolle Mann, Expraepositus des heiligen Palasts, Exkonsul und Patricius, nach dem Sieg über die Goten, nachdem er ihre Könige mit bewunderswürdiger Schnelligkeit im offenen Kampf überwunden und niedergestreckt und die Freiheit der Stadt und ganz Italiens wiederhergestellt hatte, die Brücke der Salarischen Straße, welche von dem schändlichen Tyrannen Totila bis aufs Wasser zerstört 202

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Die politische und wirtschaftliche Lage Italiens wurde durch die Angliederung an das römische (bzw. byzantinische) Reich nicht wesentlich verbessert. Der schlechte Zustand, in dem sich das ganze Reich befand, spiegelte sich natürlich noch stärker in diesem verheerten Land wider. Die goldene Zeit der Antike, als die Apenninhalbinsel das Kernland des mächtigen Kaisertums war, war unwiederbringlich dahin. Italien hatte längst den Gipfel ihres Ruhmes überschritten. Die byzantinische Rückeroberung stellte womöglich noch mehr als die gotische Invasion für Italien eine Zäsur dar und untergrub die antike Ordnung.208 Daher kann man rückblickend „mit gutem Grund sagen, dass im sechsten Jahrhundert für Italien die Antike zu Ende ging“209. 2.2 Die Position der Kirche Zu den bemerkenswertesten Besonderheiten der Neuordnung Justinians gehörte die auf die Kirche übertragene Verantwortung für die Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung. Die Kirche fing in dieser Zeit an, ein Aufsichtsamt auszuüben. Der Episkopat hatte von da an die Aufsicht über Maß und Gewicht; er sollte für gerechte Preise sorgen und außerdem hatte er großen Einfluss auf die Wahl der kaiserlichen Beamten, deren Arbeit danach von den lokalen Bischöfen kontrolliert wurde.210 Wenn auch Bischöfe schon früher gezwungen gewesen waren, politische Aufgaben zu übernehmen,211 und schon seit dem vierten Jahrhundert allmählich in staatlichöffentliche Bereiche einbezogen worden waren,212 stellte doch dieses Amt eine neue Aufgabe für die Kirche dar. Justinian machte die Bischöfe zu gesetzlichen Autoritäten, und durch den Einfluss auf alle Zweige der weltlichen Verwaltung übernahm die Kirche die Verantwortung sowohl für den sicheren Ablauf des täglichen Lebens als auch für die politischen Angelegenheiten des Landes. Das ganze öffentliche Leben Italiens wurde in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts von der Kirche beherrscht und durchdrungen. Im Laufe der Zeit, da die byzantinische Gewalt immer schwächer wurde, gingen die Funktionen der staatlichen Organe eine nach der anderen auf die römische Kirche über.213 worden war, unter Reinigung des Flussbettes in besseren Stand gesetzt und erneuert.“ Vgl. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 232. 208 Vgl. POHL, Die Völkerwanderung, 150. 209 GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 29. 210 Vgl. GOEZ, Grundzüge der Geschichte Italiens, 29; GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 227. 211 Ein Beispiel dafür ist die Mission Leos des Großen bei Hunnen und Vandalen. Vgl. S IEDLMAYER, Geschichte Italiens, 44. 212 Vgl. JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom, 111f. 213 Hier liegen die Anfänge des Kirchenstaats in Italien. Vgl. SCHUMANN, Geschichte Italiens, 22–26.

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Kapitel I. Die Zeitumstände

Was hat den byzantinischen Kaiser dazu veranlasst, der römischen Kirche eine solche Vormachtstellung zuzuteilen? Es gab mehrere Gründe dafür. Zuerst hatte Justinian kaum eine andere Wahl. Der Senatorenstand war in Auflösung begriffen. Die neuen Beamten, die für die gewöhnliche staatliche und kommunale Verwaltung nötig waren, stellten für Italien eine zusätzliche Bürde dar, die das verheerte und finanziell völlig erschöpfte Land nicht tragen konnte. Deswegen stützte sich Justinan auf die bereits existierende kirchliche Hierarchie, die er als Beistand seiner Beamten ansah. Die meisten Städte besaßen einen Bischof und oft mehrere Priester, die in der Lage waren, bedeutende öffentliche Funktionen zu übernehmen. Dabei spielte die Tatsache, dass die Bischöfe des ganzen Landes auf den römischen Papst angewiesen waren und diesem unterstellt waren, eine beträchtliche Rolle. Solche zentralistischen Verhältnisse in der Kirche kamen dem Kaiser gewiss zugute. Daher wurde der Papst Ansprechpartner des Kaisers in allen möglichen öffentlichen Angelegenheiten, egal ob es um die staatliche Getreideversorgung oder um die Verproviantierung der in Rom stationierten kaiserlichen Truppen ging. Die Vertretung der Interessen des italienischen Volkes fiel dem Papst allein zu.214 Sein Ansehen und seine moralische Autorität machten ihn deutlich zu derjenigen Person, an die sich unterdrückte Provinzbewohner wandten. Aufgrund solcher Aufgaben wurde der Papst schließlich in alle möglichen öffentlichen Angelegenheiten hineingezogen.215 Außerdem wurde der Kaiser bei der Wiederherstellung geordneter Verhältnisse mit Hilfe der römischen Kirche nicht zuletzt von ihrer wirtschaftlichen Macht beeinflusst. Der kirchliche Landbesitz (das sog. Patrimonium) – besonders in Mittel- und Süditalien und Sizilien – wurde der umfangreichste, den es in Italien gab.216 Die schon vorhandenen und keinesfalls unbeträchtlichen kirchlichen Güter217 vermehrten sich in der zweiten 214 Die Militärgouverneure in Ravenna (und andere kaiserliche Beamte) waren oft gefühllos in den sozialen und politischen Angelegenheiten, die das Volk unmittelbar betrafen. Sie strebten danach, die kaiserliche Politik hart und kompromisslos durchzuführen, und deswegen nahmen sie häufig Anstoß an gewissen Handlungen der Päpste. Vgl. JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom, 120; RICHARDS, Gregor der Große, 93; epist. V, 40 (CCL 140, 318–320); epist. I, 2 (CCL 140, 2f); epist. I, 47 (CCL 140, 61); epist. I, 59 (CCL 140, 70f); epist. V, 38 (CCL 140, 312–314); epist. XIV, 2 (CCL 140A, 1066–1069). 215 Vgl. epist. 1, 7 (CCL 140, 9): Quibus autem hoc in loco terrenarum rerum tumultibus premor, explere uerbis nequeo, quod tamen colligere ex breuitate epistulae potestis ...; SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 20. 216 Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums, 323–339; SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 48; SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 17; REINHARDT, Geschichte Italiens, 14. 217 Vgl. JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom, 109f.: „Die Anerkennung der Kirche als corpus im juristischen Sinne (a. 321) eröffnete die Möglichkeit, Legate zu

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Hälfte des sechsten Jahrhunderts schnell, besonders durch private Schenkungen.218 Als die einzige im allgemeinen Zusammenbruch des sechsten Jahrhunderts erhalten gebliebene Institution übte die Kirche große Anziehungskraft auf die Zeitgenossen aus. Viele von ihnen vermachten ihren Besitz der Kirche und widmeten sich dem klösterlichen Leben oder traten auf eine andere Weise in den Dienst der Kirche. Ein treffendes Zeugnis dafür ist die Gründung zwölf benediktinischer Klöster in Italien in einem relativ kurzen Zeitabschnitt.219 Gregor der Große erwähnt in seinen Werken häufig die Menschen, die alles Weltliche aufgaben, damit sie sich stets nur um das Himmlische kümmern konnten. Die Vermehrung der Patrimonia wurde überdies dadurch vorangetrieben, dass alle Güter der arianischen Kirche in Italien nach dem Zusammenbruch des ostgotischen Königreichs der römischen Kirche zufielen. Auf dieser Grundlage wurde die Kirche trotz aller schweren Verluste, die natürlich auch sie während des Gotenkrieges erlitten hatte, infolge umfangreicher Schenkungen bald zu einem der ersten Latifundienbesitzer Italiens. Die katholische Kirche „wurde zur einzigen Institution des öffentlichen Lebens“, urteilt Siedlmayer, „die im allgemeinen Niedergang Italiens im Aufstieg begriffen war“220. 2.3 Die Folgen der langobardischen Eroberung Der Einbruch der Langobarden und der Anfang eines neuen Krieges brachten neues Unheil über das immer noch an den Folgen des Gotenkrieges leidende Land. Während der Eroberung zeichneten sich die langobardischen Krieger durch besondere Grausamkeit aus. Viele Angehörige der römischen Oberschicht wurden während des Einmarsches der Feinde, insbesondere aber während des Interregnums entweder ermordet oder vertrieben. Ihre Ländereien eigneten sich die langobardischen Herzöge oder die Anführer der farae an. Die auf ihren Latifundien verbliebenen Großgrundbesitzer „mussten den umherziehenden Farae zu ihrem Unterhalt nach dem spätantiken Einquartierungsmodell der ‚hospitalitas‘ ein Drittel der ihnen zufließenden Ernteerträge

empfangen, d. h. Grundbesitz auszubilden, mit der Folge, dass sich die einzelnen Kirchen fortan – sei es durch private oder staatliche Schenkungen, sei es durch eigenen Erwerb – allmählich zu Grundbesitzern mit teils beträchtlichem Vermögen entwickelten.“ 218 Einige Schenkungen erwähnte Gregor der Große in seinen Briefen; z. B. schenkten Kaiser Maurikios und seine Schwester, Prinzessin Theoktista, dreißig Pfund Gold; eine römische Adelige Rusticiana schenkte zehn Pfund Gold. Vgl. epist. V, 30 (CCL 140, 297); epist. VII, 23 (CCL 140, 477); epist. VIII, 22 (CCL 140A, 542). 219 Vgl. ANGENENDT, Das Frühmittelalter, 104. 220 SIEDLMAYER, Geschichte Italiens, 48.

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Kapitel I. Die Zeitumstände abliefern, sie verloren also einerseits ein wesentliches Privileg, ihre Steuerfreiheit, andererseits bewahrten sie ihr Eigentum“221.

Nicht nur der römische Adel ging jetzt fast völlig zugrunde, sondern auch viele Kirchen und Klöster wurden zerstört und ihrer Güter beraubt. Die kirchliche Organisation in den eroberten Territorien wurde fast zunichte gemacht. Dutzende der kleinen Bistümer gingen unter: Allein im Herzogtum Benevent waren es 47, im Herzogtum Spoleto 34 Diözesen.222 Die Bischöfe, Priester und Mönche flohen vor den Eindringlingen. Der Erzbischof von Aquileja floh mit seinen Klerikern in die Lagunenstadt Grado, der Mailänder nach Genua.223 Gregor der Große erwähnt in einem Brief dreitausend nach Rom geflüchtete Nonnen, für deren Unterhalt er sorgen musste.224 Die Disziplinlosigkeit des langobardischen Heeres machte der römischen Bevölkerung das Leben noch schwerer. Das langobardische Heer war ein polyethnischer Verband, der als solcher kaum von einem Anführer kontrolliert werden konnte. Die ganz auf Raub und Beute fixierten langobardischen Krieger zogen umher, plünderten und brandschatzten. Zu all dem Unheil, das die schonungslosen Plünderungszüge der Langobarden über Rom und Italien gebracht hatten, kam in den Jahren 589 und 590 ein neues Unglück.225 Außergewöhnliche Überschwemmungen verwüsteten Norditalien. Im Herbst 589 erreichten sie Rom. Nach schweren Regenfällen trat der Tiber über die Ufer, überschwemmte die Umgebung und zerstörte dabei Getreidespeicher der römischen Kirche226 und mehrere Gotteshäuser.227 Die Folge der Überschwemmungen war eine furchtbare Pestepidemie, die nicht nur Rom, sondern auch die anderen Städte, die von 221

J ARNUT, Geschichte der Langobarden, 49. Vgl. RICHÉ, Gregor der Große, 43. 223 Vgl. P ITZ, Die griechisch-römische Ökumene, 255. 224 Vgl. epist. VII, 23 (CCL 140, 477): De medietate uero ancillis Dei, quas uos Graeca lingua monastrias dicitis, lectisternia emere disposui, quia in lectis suis graui nuditate in huius urbis uehentissimo frigore laborant. Quae in hac urbe multae sunt. Nam iuxta notitiam qua dispensantur tria milia repperiuntur. Et quidem de sancti Petri apostolorum principis rebus octoginta annuas libras accipiunt. 225 Vgl. SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 15. 226 Dadurch wurde die Getreideversorgung der Stadt, die fast ausschließlich in Händen der Kirche war, wesentlich erschwert, und eine Hungersnot herrschte in der verödeten Stadt. Aus diesem Grund schrieb Gregor der Große an Justin, den Prätor Siziliens, und forderte ihn auf, die neue Sendung des Getreides möglichst schnell abzuliefern. Vgl. epist. I, 2 (CCL 140, 2f); GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, 256; SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 17; J ENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom (590–604), 116. 227 Vgl. STUHLFATH, Gregor I. der Große, 56; P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 894. 222

3. Gregors soziale Aktivitäten

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der Überschwemmung heimgesucht worden waren, entvölkerte. Bis September 591 hatte die Pest schon Narnia und 592–593 die Ostküste, von einer außerordentlichen Dürre begleitet, erreicht, wo sie Ravenna und Istrien verwüstete.228 Der schreckliche Zustand Roms gab Gregor dem Großen den Stoff zu seiner ersten Evangelienhomilie.229 Die trübsinnigen Zukunftsaussichten des Papstes befanden sich im Einklang mit dem Zustand, in dem die Kirche tatsächlich war, als er deren Verwaltung übernahm. In seinem Brief an den Bischof Johannes beklagte er sich bei seinem Freund über die Situation, in der sich die Kirche in Italien befand: „... weil ich Unwürdiger und Schwacher ein altes und von den Wellen arg mitgenommenes Schiff übernommen habe (von allen Seiten dringen ja die Wellen ein, und vom täglichen, heftigen Sturm gepeitscht ächzen schiffbrüchig die morschen Bretter) ...“230.

3. Gregors soziale Aktivitäten Die in der ersten Evangelienhomilie angeführten Bilder,231 mit denen Gregor die schwierige Lage Roms beschreibt, darf man nicht als Übertreibungen verstehen. Wenn auch die verheerende Seuche in Rom allmählich ein Ende nehmen mochte, dauerte die Not und Bedrängnis der römischen Bevölkerung an. Ihre Zahl wurde durch die vor den Langobarden Geflohenen beträchtlich vermehrt. Die byzantinische Zivilbehörde in Rom war nicht imstande, die ihnen obliegende Fürsorge für die Bevölkerung wahrzunehmen. Ihre Befugnisse übernahm allmählich, in Übereinstimmung mit der Reform des Verwaltungssystems, die Militärverwaltung, die aber angesichts des kaum unterbrochenen Kriegszustandes mit den Langobarden andere Sorgen hatte.232 So fiel dem Papst die Aufgabe der Verwaltung Roms (großenteils auch der von ganz Italien) zu. Die Vielfalt der außerkirchlichen Aktivitäten Gregors ergibt sich aus mehreren Faktoren, wobei vor allem auf folgende hinzuweisen ist: auf die herausgehobene Position des Papstes am Ende des sechsten Jahrhunderts, auf den allmählichen Funktionswandel des Bischofsamtes, auf die beson228

Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 24. Vgl. in euang. I, 1, 1 (FC 28/1, 50–52). Die Homilie wurde auf den 12. 11. 590 datiert. Vgl. auch in euang. I, 1, 5 (FC 28/1, 58–60); dial. II, 15 (FUNK, BKV2 3, 75). 230 Epist. I, 4 (KRANZFELDER, BKV1 27, 18); Vgl. noch in euang. II, 28, 3 (FC 28/2, 524–526): Ubique mors, ubique luctus, ubique desolatio, undique percutimur, undique amaritudinibus replemur … 231 Vgl. in euang. I, 1, 1 (FC 28/1, 50–52f). 232 Vgl. SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 16. 229

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Kapitel I. Die Zeitumstände

dere politisch-militärische Situation, auf die persönlichen Verwaltungsfähigkeiten Gregors und die Verwaltungserfahrung, die er vorher als Stadtpräfekt233 gesammelt hatte.234 Die administrativen und organisatorischen Kenntnisse Gregors kamen besonders in der Stadtverwaltung zum Ausdruck. Seit dem Anfang seiner Amtszeit kümmerte sich der Papst um die Versorgung Roms und übte faktisch das Amt des praefectus annonae aus.235 Da die staatlichen Getreidelieferungen oft unregelmäßig und unzureichend waren, weswegen Gregor gelegentlich Auseinandersetzungen mit den kaiserlichen Behörden hatte236, war die Stadtversorgung immer mehr auf die Einkünfte aus den Patrimonien angewiesen, und die Kirche wurde als die Quelle der Lebensmittelversorgung betrachtet.237 Um die Ertragsfähigkeit der Patrimonien zu steigern und dadurch den großen Bedarf an Lebensmitteln zu decken, setzte Gregor die von Papst Pelagius II. eingeführten Reformen des kirchlichen Besitzes fort. Den größeren Patrimonien setzte er einen rector – meist Personen aus dem Subdiakonatskollegium –, den kleineren einen defensor oder einen notarius vor, die überdies mit verschiedenen Aufgaben versehen wurden.238 Zusätzlich zur Getreideversorgung der Stadt, die durch die kostenlosen Kornspenden der Kirche ermöglicht wurde, war der Papst mit der Wasserversorgung Roms betraut. Trotz der Anordnung der Pragmatischen Sanktion, die die Ernennung eines für die Wasserleitungen zuständigen Angestellten (comes formarum) vorsah, waren die Wasserleitungen schändlich vernachlässigt und von völligem Zerfall bedroht.239 Deswegen empfahl Gregor für dieses Amt eindringlich den vir clarissimus Augustus, der sich mit ihrer Reparatur befassen sollte.240 Die karitative Tätigkeit der römischen Kirche, die von Gregor zum ersten Mal in ein System gebracht worden war, erschöpfte sich nicht nur in 233

Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 39f. Vgl. JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom (590–604), 141–145. 235 Erst 599 erscheint wieder ein kaiserlicher Verwalter der staatlichen Getreidespeicher. Vgl. epist. IX, 116 (CCL 140A, 669): Cyridano, cui imperator curam sitonici commiserat … 236 Vgl. epist. I, 2 (CCL 140, 2f); epist. IX, 31 (CCL 140A, 591f). 237 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 95f. 238 Vgl. MARKUS, Gregory the Great, 113f: „The staff of defensores, and to a lesser extent of the lower rank of notarii, provided a pool of dedicated persons on which the pope could draw for carrying out a variety of tasks. They could be sent on special missions, sometimes of a difficult or delicate nature, sometimes with the pope’s detailed brief; they could serve the pope as his ambassadors.“ Vgl. auch JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom (590–604), 140f. 239 Vgl. epist. XII, 6 (CCL 140A, 976f): Nam sic despiciuntur atque negleguntur formae ipsae, ut, nisi maior sollicitudo fuerit, intra paucum tempus omnino depereant. Vgl. noch RICHARDS, Gregor der Große, 96. 240 Vgl. epist. XII, 6 (CCL 140A, 976f). 234

3. Gregors soziale Aktivitäten

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den regelmäßigen Kornspenden. Sie umfasste auch das Almosen (verschiedenster Art, je nach den individuellen Bedürfnissen der Bevölkerung)241 und den Loskauf von Gefangenen. Das Almosengeben betrachtete Gregor als Hauptzweck der kirchlichen Finanzen. Nach alter Tradition (sog. quadripartitum) wurden die Einkünfte der römischen Kirche in vier Teile eingeteilt, wobei ein Teil für Almosen bestimmt war.242 Die konsequente Durchführung dieses Prinzips verlangte er von allen Bischöfen. Die Einkünfte der Kirche reichten aber nicht aus, um die durch die Langobardeneinmärsche verursachten sozialen und wirtschaftlichen Probleme anzugehen. Den Verkauf der Kirchengeräte, wie er gelegentlich von geflüchteten Klerikern vorgenommen wurde, billigte Gregor jedoch nicht. Er bemühte sich, das veräußerte kirchliche Eigentum zurückzuerwerben, und erlegte solchen Klerikern eine Buße auf.243 Nur wenn es nötig war, Geld für den Loskauf von Gefangenen aufzubringen, billigte der Papst den Verkauf von Kirchengeräten.244 Er forderte die Bischöfe stets auf, nicht nur die Katholiken der eigenen, sondern auch fremder Diözesen loszukaufen; diejenigen, die sich selbst losgekauft hatten, sollten entschädigt werden.245 Wie sehr Gregor sich den Aktivitäten im karitativen und sozialen Umfeld widmete, was man aus seinen zahlreichen Briefen erfahren kann, so wenig beschäftigte er sich mit den Bauunternehmungen, die sich zu seiner Zeit hauptsächlich auf die Kirche des hl. Petrus beschränkten. Dies gründet sich einerseits auf der dem Papst gewärtigen schwierigen soziopolitischen Situation, andererseits beruht seine geringere Bautätigkeit wahrscheinlich nicht zuletzt auf seiner Weltsicht.246 Ohne das Bauen völlig zu vernachlässigen, lag sein Hauptinteresse doch bei den Menschen, und er bot all seine Kräfte dafür auf, „Seelen zu gewinnen“.247 Gregors Einbindung in weltliche Tätigkeiten beschränkte sich nicht nur auf die zivile Verwaltung, sondern dehnte sich auch auf den Militärbereich aus. Durch Kriege im Osten gebunden und finanziell überfordert,248 ver241

Vgl. epist. I, 23 (CCL 140, 21); epist. I, 44 (CCL 140, 58); epist. I, 65 (CCL 140, 74f); epist. II, 3 (CCL 140, 91f); epist. V, 35 (CCL 140, 302f); epist. II, 38 (CCL 140, 122–125); epist. IX, 109 (CCL 140A, 661f); epist. X, 12 (CCL 140A, 838f); epist. I, 37 (CCL 140, 44); epist. I, 57 (CCL 140, 69); JOHANNES DIACONUS, Vita Gregorii, 26, 28. 242 Vgl. SEPPELT, Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter, 20. 243 Vgl. epist. I, 66 (CCL 140, 75f); epist. IX, 94 (CCL 140A, 648). 244 Vgl. epist. VII, 13 (CCL 140, 462f); epist. VII, 35 (CCL 140, 498f). 245 Vgl. epist. III, 40 (CCL 140, 185f); Vgl. epist. IV, 17 (CCL 140, 235f); Vgl. epist. IX, 52 (CCL 140A, 610); RICHARDS, Gregor der Große, 106. 246 Siehe das Kapitel Senectus Mundi. 247 Vgl. P AULUS DIACONUS, Vita Gregorii, 16. 248 Dass Italien einen ständigen finanziellen Aderlass für das Reich bedeutet, geht eindeutig aus einigen Briefen Gregors hervor. Vgl. epist. V, 38 (CCL 140, 312–314f); epist. V, 39 (CCL 140, 314–318).

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Kapitel I. Die Zeitumstände

mochte der Kaiser nicht, Italien und Rom ausreichend vor den Langobarden zu schützen, weder mit Soldaten noch mit Geldmitteln. Außerdem drängten das Fehlen eines aktiven Gouverneurs in der Stadt und die meist passive Rolle des Exarchen bei der Verteidigung Roms den Papst unweigerlich in die Mitte des Geschehens und zwangen ihn, sowohl die finanziellen Mittel249 als auch die der römischen Kirche verfügbaren menschlichen Kräfte für die Interessen des Reiches einzusetzen.250 Er selbst spielte zwangsläufig stets eine führende Rolle „bei der Aushandlung von Verträgen und Waffenstillständen, bei der Besoldung der Truppen, bei der Leitung der militärischen Aktionen von Reichsgenerälen, sogar bei der Ernennung einstweiliger Befehlshaber für die bedrohten Außenposten“. 251

Nicht nur informierte er die byzantinischen Generäle über die gegnerischen Bewegungen, sondern er legte ihnen auch eine entsprechende Strategie nahe.252 Die kaiserlichen Truppen, die zur Abwehr der Feinde in Rom zur Verfügung standen, waren der Zahl nach unzureichend, durch die ständigen Kämpfe zermürbt und nicht in der Lage, die Mauern ausreichend zu bewachen,253 so dass der Papst die Klöster dazu verpflichtete, Männer für die Bewachung der Stadtmauern abzustellen.254 Da der Sold zudem nur unregelmäßig gezahlt wurde, waren die Soldaten einigermaßen unzuverlässig. In der Meuterei des byzantinischen Heeres, das in Rom stationiert war, sah Gregor eine ernsthafte Bedrohung für die Stadt selbst, wie er damals an Paulus Scholasticus schrieb: „ ... denn ohne Unterlaß werden wir von Feindesschwert durchbohrt. Aber noch schwerer drückt uns die innere Gefahr der Meuterei im Heere“255.

Der Aufgabenbereich der römischen Päpste, der sich der Pragmatischen Sanktion Justinians gemäß in den fünfziger Jahren wesentlich ausgedehnt 249 Vgl. epist. V, 39 (CCL 140, 317): Et tamen haec ecclesia, quae uno eodemque tempore clericis, monasteriis, pauperibus, populo atque insuper Langobardis tam multa indesinenter expendit … 250 Gregor befasste sich ebenso mit den Verteidigungseinrichtungen für Korsika, Sardinien und Kampanien. Vgl. epist. VII, 3 (CCL 140, 445f); epist. VIII, 19 (CCL 140A, 539); epist. IX, 11 (CCL 140A, 572f). 251 R ICHARDS, Gregor der Große, 93; Vgl. noch epist. II,10 (CCL 140, 97) 252 Vgl. epist. II, 4 (CCL 140, 92f); epist. II, 27 (CCL 140, 113f); P IETRI, Gregor der Große und der lateinischen Westen, 903. 253 Vgl. epist. II, 38 (CCL 140, 123): Miles de Romana urbe tultus est ... Theodosiaci uero qui hic remanserunt, rogam non accipientes, uix ad murorum quidem custodiam se accommodant … 254 Vgl. epist. IX, 207 (CCL 140A, 766f). 255 Epist. I, 3 (KRANZFELDER, BKV1 27, 17); Vgl. noch epist. I, 3 (CCL 140, 4): Quia hostilibus gladiis foris sine cessatione confodimur, sed seditione militum interno periculo grauius urguemur. Vgl. epist. V, 30 (CCL 140, 296f); epist. X, 5 (CCL 140A, 831f).

3. Gregors soziale Aktivitäten

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hatte, wurde proportional zur Verringerung der kaiserlichen Gewalt immer größer. Gegen Ende des sechsten Jahrhunderts, als Gregor Papst wurde, „konnte es“, meint Jenal, „durchaus zu den Aufgaben eines Bischofs gehören, Kontrolle auszuüben über die Finanz- und Justizbehörden der ‚civitas‘, über die öffentliche Arbeiten, über den Besitz der Stadt, die Verteidigungssysteme, die Milizen und anderes mehr“256.

Diese Bürde weltlicher Verpflichtungen, die den Päpsten auferlegt wurde, erwähnt Gregor häufig in seinen Werken, klagend, dass diese Aufgaben ihn von seiner Hauptaufgabe im seelsorgerischen und geistlichen Bereich ablenkten.257 Es ist jedoch wichtig zu unterstreichen, dass Gregor nichts von all dem übernahm, um dadurch die päpstliche Macht zu vergrößern, sondern weil er durch die äußere Notwendigkeit dazu gezwungen wurde.258 Die Inschrift auf dem Grab Gregors, die sich im Atrium der altrömischen St. Peters-Basilika befand, schildert in wenigen Worten das umfassende Wirken Gregors und ist zugleich ein Lob für seinen unaufhörlichen Einsatz für die Kirche: „Den Hunger besiegte er durch Speisung, Kälte durch Kleidung. Seelen schütze er mit heiliger Weisung vor dem Feinde. Handelnd erfüllte er, was er verkündigend lehrte, um ein Beispiel zu sein, das in mystischen Worten sprach. Von Barmherzigkeit geleitet, bekehrte er die Angeln zu Christus, und gewann für den Glauben neue Scharen aus jenem Volk. Darauf zielte deine Mühe, darauf dein Einsatz,

256 JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom (590–604), 113. Vgl. noch in euang. I, 1, 1 (FC 28/1, 294): Ecce iam pene nulla est seculi actio, quam non sacerdotes administrent. 257 Vgl. in Ezech. I, 11, 6 (CCL 142, 171): At postquam cordis humerum sarcinae pastorali supposui, colligere se ad semetipsum assidue non potest animus, quia ad multa partitur. Cogor namque modo Ecclesiarum, modo monasteriorum causas discutere, saepe singulorum uitas actusque pensare. Modo quaedam ciuium negotia sustinere, modo de irruentibus barbarorum gladiis gemere, et commiso gregi insidiantes lupos timere. Modo rerum curam sumere, ne desint subsidia eis ipsis quibus disciplinae regula tenetur, modo raptores quosdam aequanimiter perpeti, modo eis sub studio seruatae caritatis obuiare. Cum itaque ad tot et tanta cogitanda scissa ac dilaniata mens ducitur, quando ad semetipsam redeat, ut totam se in praedicatione colligat, et a proferendi uerbi ministerio non recedat? 258 Vgl. epist. VII, 5 (CCL 140, 450): Quisquis enim est in loco regiminis, aliquando necesse habet etiam terrena cogitare et exteriorum quoque curam gerere, ut grex commissus ualeat ad ea quae sibi sunt explenda subsistere. Sed magnopere semper prouidendum est ne haec eadem cura modum transeat, ut, cum ad cor licenter admittitur, nimis excrescere non permittatur. Vgl. auch in Ezech. I, 11, 6 (CCL 142, 171f).

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Kapitel I. Die Zeitumstände darauf dein Sorgen als Hirt, daß du dem Herrn der Herde reichsten Gewinn brächtest.“259

259

Übers. von FIEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 7.

Kapitel II

Senectus mundi Die turbulenten politischen und gesellschaftlichen Umstände sowie die Naturkatastrophen, von denen Italien im sechsten Jahrhundert heimgesucht worden war, beeinflussten wesentlich die Weltsicht Gregors. Er sah die Welt um sich herum in einem Zustand völliger Auflösung: „Was wir da vom Jammer der Stadt Rom sagen, das geschieht, wie wir wissen, in allen Staatswesen der Welt. Die einen Gegenden sind infolge von Naturkatastrophen verödet, andere durch das Schwert verwüstet, andere von Hungersnöten heimgesucht, wieder andere durch Erdbeben verschlungen.“1

Dadurch gelangte er zu der Erkenntnis, dass die in der Heiligen Schrift vorausgesagten apokalyptischen Zustände eingetreten seien. In der ersten Evangelienhomilie zeigt sich deutlich Gregors Weltsicht: „Da unser Herr und Erlöser“, sagte Gregor, „wünscht, uns, geliebte Brüder, bereit zu finden, kündet er an,2 welche Übel der Welt in ihrem Greisenalter folgen werden, um unsere Liebe zu ihr zu unterdrücken. Er enthüllt, welch gewaltige Erschütterungen ihrem nahenden Ende vorausgehen werden ... Denn dieser Lesung des heiligen Evangeliums, die ihr, meine Brüder, soeben gehört habt, schickte der Herr kurz zuvor voraus: ‚Volk wird sich gegen Volk erheben und Reich gegen Reich; und starke Erdbeben wird es überall geben, Pest und Hungersnot‘ (Lk 21,10f). Und nach einigen Einschüben fügte er hinzu, was ihr soeben gehört habt: ‚Es wird Zeichen geben an Sonne, Mond und Sternen, und auf Erden wird Verwirrung unter den Völkern herrschen angesichts des Brausens des Meeres und der Wogen‘ (Lk 21,25). Von all dem sehen wir, wie es zum Teil tatsächlich schon eingetreten ist, von anderem fürchten wir, daß es in naher Zukunft hereinbrechen wird. Denn daß sich Volk gegen Volk erhebt und deren Drangsal die Erde heimsucht, nehmen wir in unseren Zeiten schon mehr wahr, als daß wir es in Büchern lesen. Ihr wißt, wie häufig wir schon von anderen Gegenden vernahmen, daß ein Erdbeben zahllose Städte einstürzen läßt. Unaufhörlich müssen wir Pestepidemien erdulden. Zwar sehen wir bislang noch keinerlei Zeichen an Sonne, Mond und Sternen, doch daß dies nicht mehr allzuweit entfernt ist, können wir aus klimatischen Veränderungen schließen. Immerhin haben wir, schon bevor Italien dem heidnischen Schwert ausgeliefert wurde, am Himmel feurige Schlachtreihen erblickt, sogar funkelndes Blut, welches später als das der Menschheit vergossen wurde. Ein außergewöhnliches Aufbrausen des Meeres und der Wogen ist bislang nicht eingetreten. Da sich aber viel Angekündigtes schon erfüllt hat, besteht kein Zweifel, daß auch

1 2

In Ezech. II, 6, 24 (B ÜRKE, CMe 21, 375). Dies bezieht sich auf das vorher vorgelesene Evangelium.

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Kapitel II. Senectus mundi das Wenige, das noch aussteht, folgt, bietet doch das Eintreten der vergangenen Ereignisse die Gewähr für das noch Kommende“. 3

1. Die Vorzeichen des nahenden Weltendes Gregor machte also keinen Hehl daraus, dass er die Vorzeichen des Weltendes für gekommen hielt. Im achten Jahrhundert schreibt sein Biograph Johannes Diaconus, dass Gregor in all seinen Worten und Taten den Jüngsten Tag und das kommende Gericht als unmittelbar bevorstehend ansah.4 Alle Katastrophen seiner eigenen Welt betrachtete der Papst als Beweise dafür, dass die Menschheitsgeschichte am Höhepunkt angelangt ist. „Aber in diesem Land, in dem wir leben“, schrieb Gregor, „verkündigt die Welt ihr Ende schon nicht mehr, sondern zeigt es bereits.“5 Bei Gregor wird nicht nur Italien allgemein, sondern besonders die Stadt Rom in die eschatologische Betrachtung mit einbezogen.6 Die urbs verstand Gregor schlechthin als Paradigma für die Zivilisation7 und die ganze Ökumene.8 Der mitleiderregende Zustand Roms zu dieser Zeit findet in den Werken Gregors mehrmals Ausdruck. Mit einem Geier, dem Flaum und Federn abgefallen sind und dessen Glatze schon den ganzen Körper überzieht, verglich er beeindruckend die einstige Herrin der Welt.9 Obwohl der Papst keinesfalls provinzgebundenen Denkens und Handelns beschuldigt werden sollte, sieht man in seinen Werken einen echten Römer, dessen Christianitas von einer starken Romanitas auf Schritt und Tritt gefolgt wird. Ohne seinen universalen Blick einzubüßen, ist er immer ein Mensch seiner Zeit und sehr stark in seiner Heimat, der Stadt Rom verwurzelt. Der Zertrümmerung des Römischen Imperiums schrieb Gregor jedoch keine spezielle eschatologische Bedeutung (wie z. B. Hieronymus)10 zu; vielmehr betrachtete er den Erdkreis als ein Ganzes, in dem sich die Heilsgeschichte abspielt. Andererseits scheute er sich nicht, in seiner unmittelba3

In euang. I, 1, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 51–53); Vgl. noch in euang. I, 1, 5 (FC 28/1, 58–60). 4 Vgl. J OHANNES DIACONUS, Sancti Gregorii Magni vita (PL 75, 214): Igitur in omnibus suis dictis vel operibus, Gregorius imminentem futurae retributionis diem ultimum perpendebat … 5 Dial. III, 38 (FUNK, BKV2 3, 184). 6 Vgl. HILL, Die Eschatologie Gregors des Grossen, 28. 7 Vgl. RICHARDS, Gregor der Große, 62. 8 Vgl. in Ezech. II, 6, 23 (CCL 142, 312f). 9 Vgl. in Ezech. II, 6, 23 (CCL 142, 312f). 10 Vgl. HIERONYMUS, in Danielem II, 7c, 8 (CCL 75A, 844): Ergo dicamus quod omnes scriptores ecclesiastici tradiderunt: in consummatione mundi, quando regnum destruendum est Romanorum, decem futuros reges qui orbem romanum inter se diuidant …

2. Das Greisenalter der Welt

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ren Umgebung „die Zeichen der Zeit“ zu erkennen und in den Ezechielhomilien einige Weissagungen des Propheten auf Rom zu beziehen11. Die apokalyptische Interpretation der äußeren Umstände war jedoch kein Spezifikum Gregors. Mit dem allmählichen Verfall der römischen Welt nahm das Interesse an apokalyptischen Spekulationen immer mehr zu, und Naturkatastrophen sowie militärische Niederlagen wurden als Vorzeichen der Wiederkunft Christi interpretiert.12 Je nach den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen gewinnen bzw. verlieren solche Spekulationen an Intensität. Cyprian von Karthago, der Zeuge von politischen und innerkirchlichen Krisen, der Pest (252–254) und von Christenverfolgungen gewesen war, schrieb: „Siehe, die Welt schwankt und sinkt und bekundet ihren Verfall nicht mehr durch das Alter, sondern durch das Ende aller Dinge.“13 Inmitten der Barbareneinfälle warnte Hieronymus, der die Gefahr für Rom ahnte14 und den Umsturz der römischen Welt vor Augen hatte15, die Witwe Ageruchia, „dass der Antichrist naht.“16 Andererseits steht ebenfalls fest, dass über die apokalyptische Interpretation der politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen bei kirchlichen Autoren kein Konsens besteht. So vermied Augustinus, obwohl auch er nicht am zukünftigen Auftreten einiger Vorzeichen zweifelte,17 die die Ankunft des Herrn ankündigen, apokalyptische Spekulationen, die sich auf irdische Ereignisse beziehen. Da Vorzeichen, die den apokalyptischen ähneln, immer wieder auftreten, sollte man nicht versuchen, die Zeit des letzten Tages zu errechnen.18

2. Das Greisenalter der Welt Die Bedrängnisse seiner Zeit lösten bei Gregor die Vorstellung aus, die Welt sei alt.19 11

Vgl. in Ezech. II, 6, 22–24 (CCL 142, 310–313). Vgl. auch DALEY, The Hope of the early Church, 124. 13 Vgl. CYPRIAN, mort. 25 (CCL 3A, 30): Mundus ecce nutat et labitur et ruinam sui non iam senectute rerum sed fine testatur. 14 Vgl. HIERONYMUS, epist. 123, 16 (CSEL 56, 94): Quid saluum est, si Roma perit? 15 Vgl. HIERONYMUS, epist. 60, 16 (CSEL 54, 571): Romanus orbis ruit … 16 HIERONYMUS, epist. 123, 15 (SCHADE, BKV2 16, 209). 17 Vgl. AUGUSTINUS, civ. XX, 1 (CCL 48, 699f); AUGUSTINUS, epist. 199, 46–51 (PL 33, 921–924). 18 Vgl. AUGUSTINUS, epist. 199, 34f (PL 33, 917f). 19 In welchem Maß das Geschichtsverständnis Gregors unter dem Einfluss der alten römischen Sitte, die Geschichte in sieben Zeitalter einzuteilen, steht, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, obschon ihm diese Lehre bekannt war. Vgl. in Ezech. II, 8, 5 (CCL 142, 339): In quo uidelicet die omne hoc tempus finitur quod septem diebus euoluitur, et 12

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Kapitel II. Senectus mundi „Seht, schon ist die Welt in sich verdorrt ...“, predigt er im Jahre 592, „überall ist Tod, überall Trauer, überall Verwüstung, von allen Seiten treffen uns Schläge, von allen Seiten werden wir mit Bitternissen erfüllt.“20

Wie der einst junge Körper im Greisenalter allmählich seine Kraft verliert, so wird die Welt, in früheren Jahren stark und voll blühenden Lebens, nun „durch ihr Greisenalter niedergedrückt und sozusagen durch zunehmende Beschwerden zum nahen Tod gedrängt“21. Der stoische Gedanke von der alternden Welt war in der Antike weit verbreitet und bei christlichen und heidnischen Autoren gleichermaßen bekannt, so etwa auch bei Horaz (65–8 v.Chr).22 Ambrosius von Mailand schrieb, dass die Welt alt geworden sei und ihre Lebenskraft verloren habe.23 Das Ende der alt gewordenen Welt und alles Weltlichen in einem gemeinsamen Brand sah Tertullian in naher Zukunft liegen.24 Das traditionelle Motiv der senectus mundi25 in der lateinischen Literatur findet sein Echo auch in den Werken des Augustinus. Im Jahr der Einnahme Roms durch Alarich (410) sagte Augustinus in einer Predigt, dass man sich nicht darüber wundern solle, dass die Welt schwach werde. Die Welt altere und sei voller Unglück.26 Aus dieser Perspektive stellt sich natürlich die Frage, ob das Thema senectus mundi in der Konzeption Gregors lediglich ein aus der patristischen Tradition entliehener Topos war oder ob dieses Thema am Ende des sechsten Jahrhundert mindestens teilweise auf den konkreten historischen Verhältnissen basierte. Aufgrund der Artefakte konnte Ward-Perkins in quia autem post septem dies sequitur, iure octauus appellatur. Vgl. auch moral. XV, 61, 72 (CCL 143A, 797). Als mögliche Inspirationsquelle vgl. AUGUSTINUS, civ. XXII, 30 (CCL 47, 865f). 20 In euang. II, 28, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 525–527). 21 In euang. I, 1, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 61). 22 Vgl. KÖTTING, Endzeitprognosen zwischen Lactantius und Augustinus, 14–28. 23 Vgl. AMBROSIUS, bon. mort. 10, 46 (CSEL 32/1, 742): Conparauit enim utero mulieris partus saeculi huius, quoniam fortiores sunt qui in iuuentute uirtutis nati sunt, infirmiores qui in tempore senectutis. defecit enim multitudine generationis hoc saeculum tamquam uulua generantis et tamquam senescens creatura robur iuuentutis suae uelut marcenti iam uirium suarum uigore deponit. 24 Vgl. TERTULLIAN, spect. 30, 2 (CCL 1, 252): At enim supersunt alia spectatula, ille ultimus et perpetuus iudicii dies, ille nationibus insperatus, ille derisus, cum tanta saeculi uetustas et tot eius natiuitates uno igni haurientur. 25 Vgl. DALEY, The Hope of the early Church, 98. 26 Weiter in dieser Predigt vergleicht Augustinus die Beschwerden im menschlichen Alter mit dem Unglück der Welt (ähnlich GREGOR, in euang. I, 1, 5). Vgl. AUGUSTINUS, serm. 81, 8 (PL 38, 504): Miraris quia deficit mundus? mirare quia senuit mundus. Homo est, nascitur, crescit, senescit. Querelae multae in senecta: tussis, pituita, lippitudo, anxietudo, lassitudo inest. Ergo senuit homo; querelis plenus est: senuit mundus; pressuris plenus est. Parum tibi praestitit Deus, quia in senectute mundi misit tibi Christum, ut tunc te reficiat, quando cuncta deficiunt.

3. Die Grundlage der eschatologischen Überlegungen

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seiner Studie „Der Untergang des römischen Reiches und das Ende der Zivilisation“ einen allgemeinen Zerfall des sozialen und wirtschaftlichen Systems des weströmischen Reiches im 5. und 6. Jahrhundert beweisen.27 Dieser Niedergang wurde in allen Bereichen des sozialen Lebens offensichtlich. Dies stellt auch Markus besonders hinsichtlich der intellektuellen antiken Kultur fest.28 Wenngleich auf diese Problematik hier nicht tiefer einzugehen ist, lässt sich in Anbetracht der politischen und gesellschaftlichen Umstände feststellen, dass Gregor den Topos der senectus mundi nicht nur aus der Tradition, sondern auch (und vielleicht vor allem) aus seiner Lebenserfahrung herleitete.

3. Die Grundlage der eschatologischen Überlegungen Für Gregor bot offensichtlich die politische und gesellschaftliche Bedrängnis seiner Zeit den Hauptanstoß zu eschatologischen Überlegungen, wobei die Ursprünge dieser Gedanken primär in der Heiligen Schrift, aber auch im christlichen Endzeitbewusstsein29 und in einer langen lateinischen Tradition zu suchen sind. Die Zeitumstände in Italien (und in der ganzen Welt ebenso30) sind nicht als Ursache, sondern eher als Anlass der eschatologischen Spekulationen Gregors zu betrachten. „Sehet, schon erblicken wir, wie alles auf der Welt zu Grunde geht,“ schreibt Gregor 593 in einem Brief an Kleriker in Mailand, „wovon wir aus der hl. Schrift wissen, daß es zu Grunde gehen wird ... Wir haben also jene Leiden der Welt vor Augen, von denen wir längst hörten, daß sie kommen würden, und schon sind diese Landplagen uns gleichsam selbst zu einer Schrift geworden.“31

An König Aetelbert von Kent schrieb er, dass man aus den Worten des allmächtigen Herrn in der Heiligen Schrift ersehe, dass das Ende der gegenwärtigen Welt schon nahe sei.32 In der Auslegung des Gleichnisses vom großen Gastmahl (Lk 14,16–24) hielt er die Stunde des Gastmahles bzw. das Ende der Welt für bereits gegenwärtig: 27

Vgl. W ARD-PERKINS, Der Untergang des römischen Reiches. Vgl. MARKUS, The End of the Ancient Christianity, 222. 29 Vgl. in euang. II, 25, 6 (FC 28/2, 460). 30 Vgl. epist. V, 37 (CCL 140, 309): Ecce cuncta in Europae partibus barbarorum iuri sunt tradita, destructae urbes, euersa castra, depopulatae prouinciae; nullus terram cultor inhabitat; saeuiunt et dominantur cotidie in nece fidelium cultores idolorum … Vgl. noch in Ezech. I, 9, 9 (CCL 142, 127f). 31 Epist. III, 29 (KRANZFELDER, BKV1 27, 152f). 32 Vgl. epist. XI, 37 (CCL 140A, 931): Praeterea scire uestram gloriam uolumus quia, sicut in scriptura sacra ex uerbis Domini omnipotentis agnoscimus, praesentis mundi iam terminus iuxta est et sanctorum regnum uenturum est, quod nullo umquam poterit fine terminari. 28

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Kapitel II. Senectus mundi „Was ist die Stunde des Gastmahles anderes als das Ende der Welt? In der leben wir nämlich, wie schon Paulus bezeugt, wenn er sagt: ‚Wir sind die, über die das Ende der Zeiten gekommen ist‘ (vgl. 1 Kor 10,11).“33

Alle biblischen apokalyptischen Prophezeiungen sah Gregor in Erfüllung gehen34 und scheute sich nicht, die Bibel als das Buch, das von Gegenwärtigem spricht, anzusehen.35 Nicht nur auf die Prophezeiungen der Bibel, sondern auch auf die der Heiligen wies Gregor hin, wenn er das Schicksal der Welt betrachtete. Die plötzlichen Wirbelstürme, die „die Gefüge der Jahreszeiten durcheinanderbringen“ und deren Kommen der Herr ebenso ankündigt,36 fand Gregor vom heiligen Benedikt vorausgesagt. Die Worte dieses „Mannes Gottes“ angesichts des Einzugs des Königs Totila in Rom und des Untergangs der Stadt überliefert Gregor in den Dialogen: „‚Rom wird nicht von Kriegsvölkern zerstört werden, sondern von Ungewittern, Blitz, Stürmen und von Erdbeben schrecklich heimgesucht werden und kraftlos dahinsinken‘.“37 „Das Dunkel dieser Weissagung,“ schrieb der Papst weiter, „ist uns bereits sonnenklar geworden, da wir sehen, wie in der Stadt die Mauern zerstört werden, die Häuser zerfallen, wie die Kirchen vom Sturmwind verwüstet werden, und es mit anschauen müssen, wie die Häuser vom hohen Alter baufällig werden und da und dort zusammenstürzen.“38

Dass „das Ende alles Fleisches kommt“, wurde auch dem Bischof Redemptus, mit dem Gregor eng befreundet war, seitens des heiligen Märtyrers Eutychius offenbart.39

4. Die Eindringlichkeit der eschatologischen Predigt Gregors Da die Werke des Papstes offensichtlich zahlreiche Hinweise auf das „unmittelbar“ bevorstehende Ende der Welt enthalten, müssen solche Aussagen umso aufmerksamer betrachtet werden. „Dass die Zeit sich dem Ende dieses gegenwärtigen Zeitalters zubewegt“40, unterlag für Gregor keinem 33

Vgl. in euang. II, 36, 2 (FC 28/2, 712). Vgl. epist. V, 44 (CCL 140, 333): Certe olim clamatur per apostolum: Filioli, nouissima hora est, secundum quod ueritas praedixit. Pestilentia et gladius per mundum saeuit, gentes insurgunt gentibus, terrae concutitur orbis, urbes cum habitatoribus suis terra dehiscente sorbentur. Omnia quae praedicta sunt fiunt. 35 Über die drei Zeiten der Weissagung bei Gregor vgl. in Ezech. I, 1, 1–14 (CCL 142, 5–12). 36 Vgl. in euang. II, 35, 1 (FC 28/2, 688). 37 Dial. II, 15 (FUNK, BKV2 3, 75). 38 Dial. II, 15 (FUNK, BKV2 3, 75). 39 Vgl. dial. III, 38 (BKV2 3, 183). 40 Moral. XXXV, 15, 35 (CCL 143B, 1797). 34

4. Die Eindringlichkeit der eschatologischen Predigt Gregors

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Zweifel.41 Der Untergang ist ohnehin Frucht der Welt, und das Ende der Welt beruht auf ihrer eigenen Ordnung.42 Die Zeichen der Erschütterung der Ordnung der materiellen Welt kündigen also die Nähe des Endes an, „Vorboten des kommenden Zornes“43 sind da; jedoch hielt Gregor die Zeit der Wiederkehr „des ewigen Richters“44 noch nicht für gekommen. Noch viele Drangsale müssen nach den Kriegen und Aufständen folgen, „um die letzte Drangsal ohne Ende ankündigen zu können.“45 Wann aber der Erlöser der Menschheit wiederkommt, wusste Gregor nicht, wie er selbst einräumte, weil es der Wille Gottes ist, dass die letzte Stunde den Menschen unbekannt bleibt (Mt 25, 13).46 Diese Zurückhaltung des Papstes im Hinblick auf den Tag des Kommens Christi ist hier besonders hervorzuheben, weil die Dringlichkeit seiner Warnungen vor dem Endgericht den Leser irreführen könnte. Obwohl ihn das Bewusstsein der Endzeit nie verließ, scheute sich der Papst, dieses Ereignis zeitlich näher zu bestimmen, sondern verschob es auf eine ungewisse Zukunft. Evans bemerkt dabei mit Recht, dass sich die eschatologische Konzeption Gregors von der des Augustinus, der das Ende der Welt als eine relativ ferne Zukunft betrachtet, leicht unterscheidet,47 wobei die bewusste ignorantia Gregors nicht zu übersehen ist. Der strenge Richter wartet noch immer, wie der Papst meinte, und so predigte er in den Evangelienhomilien, dass seine Zeitgenossen „eine sichere Zeitspanne von der Vergeltung der letzten Bestrafung zu trennen scheint“.48 Dem herannahenden Weltende gehen noch viele Dinge voraus, die noch nicht vorgekommen sind, schrieb Gregor im Jahre 601 an König Aetelbert, „doch werden diese nicht alle in unseren Tagen eintreten, sondern nach unseren Tagen folgen.“49 41 Vgl. epist. IV, 23 (CCL 140, 241): Ecce enim mundum hunc quam uicinus finis urguet aspicitis. 42 Vgl. in euang. I, 1, 3 (FC 28/1, 58): Quibus profecto verbis ostenditur, quia fructus mundi ruina est. Ad hoc enim crescit, ut cadat. Vg. auch in euang. II, 35, 2 (FC 28/2, 690). 43 In euang. I, 1, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/, 63). 44 In euang. I, 1, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/, 63). 45 In euang. II, 35, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 687). 46 Vgl. in euang. I, 13, 6 (FC 28/1, 220); moral. I praef. 10, 21 (CCL 143, 23): Recte autem afflictio quidem beati Iob dicitur sed quantitas temporis in eius afflictione reticetur, quia sanctae Ecclesiae in hac uita tribulatio cernitur, sed quando hic tempore conterenda atque differenda sit ignoratur. Vgl. auch in euang. I, 12, 6 (FC 28/1, 204): Semper ergo extremum diem debemus metuere, quem numquam possumus praevidere. 47 Vgl. EVANS, The Thought of Gregory the Great, 43. Vgl. auch MARKUS, Saeculum. 48 Vgl. in euang. II, 39, 7 (FC 28/2, 820–822). 49 Vgl. epist. XI, 37 (CCL 140A, 931): Appropiquante autem eodem mundi termino multa imminent quae antea non fuerunt, uidelicet immutationes aeris terroresque de caelo et contra ordinationem temporum tempestates, bella, fames, pestilentiae, terrae

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Kapitel II. Senectus mundi

Die Äußerungen Gregors in diesem Brief samt der in einem Brief aus dem Jahr 600 (X, 20) betrachtet Hill als eine gewisse Abschwächung der sonst dringenden Hinweise auf das unmittelbare Bevorstehen des Weltendes und bringt dies mit der Verbesserung der politischen und gesellschaftlichen Situation in Italien in den letzten Jahren des Pontifikats des Papstes in Verbindung.50 Aber angesichts der Tatsache, dass sich ähnliche Aussagen bei Gregor bereits in den Evangelienhomilien (590/92) finden, und angesichts der Grundanschauung Gregors dürfte eine so kurzfristige Änderung der politischen Situation kaum eine größere Rolle in der allgemeinen eschatologischen Konzeption des Papstes spielen. Andererseits steht fest, dass sich die jeweiligen Zeitumstände stark in den Werken Gregors widerspiegeln.51 Die Eindringlichkeit der eschatologischen Predigt Gregors, die sein ganzes Wirken und seine Werke charakteristisch prägt, ist überwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) pastoral motiviert. Die zahlreichen Hinweise auf den Jüngsten Tag und die Aufzählung der Schrecken des Endgerichts dienen nur einem einzigen Zweck: Sie sollten seine Zuhörer (bzw. Leser) zur Bekehrung bewegen. „Wir sagen dies, geliebte Brüder,“ sagte Gregor, nachdem er über die letzten Tage der Menschengeschichte gepredigt hatte, „deswegen, damit euer Sinn wachsam werde im Bemühen um die Vorsicht, damit er nicht aus Sorglosigkeit schläfrig, nicht aus Unwissenheit nachlässig werde, sondern ihn stets Furcht besorgt mache ...“.52

Den Auslegungen der apokalyptischen Prophezeiungen folgen in der Regel bei Gregor Aufrufe zur Umkehr. Damit wird deutlich, dass das Anliegen Gregors bei der Auslegung der letzten Dinge letztlich immer der Aufruf zur Umkehr ist.53

5. Die eschatologische Perspektive Gregors Der eigentliche Sinn der eschatologisch orientierten Lehre Gregors findet sich nicht in der Ankündigung des Weltendes und der ihm vorausgehenden Drangsale, von denen die Welt heimgesucht wird, sondern in der Ankündimotus per loca. Quae tamen non omnia nostris diebus uentura sunt, sed post nostros dies omnia subsequentur. 50 Vgl. HILL, Die Eschatologie Gregors des Grossen, 32f. 51 Das beste Beispiel dafür stellen gewiss die Ezechielhomilien dar. Vgl. z. B. in Ezech. II, 6, 22f (CCL 142, 310–313); in Ezech. II, praef. (CCL 142, 205); in Ezech. II, 10, 24. (CCL 142, 397f). 52 In euang. I, 1, 2 (FC 28/1, 55). 53 Vgl. z. B. in Ezech. II, 6, 24 (CCL 142, 313); dial. III, 38 (BKV2 3, 184); epist. III, 29 (BKV1 27, 152–154).

5. Die eschatologische Perspektive Gregors

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gung des Anbrechens eines neuen Reiches, des Himmelreiches, wo die Feier derer stattfindet, die von der Mühsal ihres irdischen Lebens heimkehren.54 Die Welt, „die durch so viele Erschütterungen zermürbt von ihrer Herrlichkeit herabgesunken ist,“ predigt der Papst, „zeigt uns sozusagen schon aus der Nähe ein anderes Reich, das folgen wird.“55 Das ist die eigentliche Botschaft der Verkündigung Gregors – die Botschaft von der patria caelestis. Der Papst beabsichtigt nicht, wegen des herannahenden Weltendes unter seinen Hörern Trübsal und pessimistische Stimmung zu verbreiten, sondern auf die Schönheiten des ewigen Lebens, auf die Freude der himmlischen Heimat zu verweisen. Die apokalyptischen Vorstellungen sollten bei den Gläubigen keinen Kummer, sondern Freude hervorrufen. Diese Welt vergeht, die Plagen häufen sich, die Schrecken des Gerichts offenbaren sich. Lasst aber euer Herz frohlocken, so fordert Gregor die Christen auf, „denn die Welt vergeht, deren Freunde ihr nicht seid, naht die Erlösung, nach der ihr verlangt.“56 Man findet folglich bei Gregor kein beklemmendes Bild der Welt in ihren letzten Tagen. In seinen Werken herrscht keinesfalls das Gefühl von Ausweglosigkeit, wenn auch die Lektüre seiner Predigten, aufgrund der zahlreichen Beschreibungen der erbärmlichen Lage ihrer Zuhörer, auf den ersten Blick das Gegenteil nahelegen könnte. Die Geschichte dieser vergänglichen Welt endet in der Ewigkeit des Himmelreiches, die Pilgerschaft auf der Erde endet in der Ruhe der himmlischen Heimat.57 Aus der Perspektive des Ewigen betrachtet Gregor alles Zeitliche,58 so dass es für ihn seinen Sinn und seine Erfüllung erst im Ewigen findet. Gerade deswegen ist seine Weltsicht letztendlich optimistisch, weil er bei der Betrachtung des Vergehens der irdischen Welt das Herankommen der patria caelestis sieht.

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Vgl. in euang. I, 14, 5 (FC 28/1, 232). In euang. I, 4, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 95). 56 In euang. I, 1, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 55). Vgl. auch moral. XIII, 24, 27 (CCL 143A, 684). 57 Vgl. in euang. II, 37, 1 (FC 28/2, 740–742); in cant. 1 (CCL 144, 3); in euang. II, 35, 1 (FC 28/2, 688). 58 Vgl. moral. VII, 12, 27 (CCL 143, 400f); moral. XXVI, 29, 55 (CCL 143B, 1308f); moral. XXVI, 30, 56 (CCL 143B, 1309). 55

Kapitel III

Loslösung von der Diesseitsorientierung „Vor uns liegt ja das Ewige, hinter uns das Zeitliche, jenes erreichen wir im Vorwärtsschreiten, dieses lassen wir gleichsam hinter dem Rücken, indem wir es aufgeben.“1

Die Reflexionen Gregors über die irdische Welt wirken für den heutigen Leser zunächst fremd, aber der besondere Nachdruck, mit dem der Papst seine Zeitgenossen zu Entsagung von der Welt aufforderte, lässt kaum jemanden gleichgültig. Einerseits die sich auflösende Welt, andererseits die Bestimmung des Menschen vor Augen habend, regte Gregor die Gläubigen unaufhörlich an, sich von der irdischen Welt zu lösen und ihre Diesseitsorientierung aufzugeben. Bevor man allerdings auf das Thema der Abwendung von der Welt eingeht, muss erörtert werden, wie die Welt beschaffen war, von der Gregor eben diese Abwendung forderte, d. h. wie er den Menschen und die Welt nach dem Sündenfall betrachtete.

1. Konsequenzen der Ursünde2 Gregors Verständnis der Ursünde3 lässt sich treffend als Verlust der wahren Ausrichtung des Lebens bezeichnen. Indem der Mensch seine schöpfungsgemäße Bestimmung4 mittels des freien Willens5 in der paradiesischen Gemeinschaft nicht verwirklichen wollte, wandte er sich von seinem Schöpfer ab. Anstatt durch Gehorsam (bzw. Demut) gegenüber Gott in die 1

In Ezech. I, 3, 17 (B ÜRKE, CMe 21, 76). Dieses Thema soll hier nur in Grundzügen, d. h. nur insofern es für das bessere Verständnis des vorliegenden Kapitels nötig ist, dargestellt werden. Für die ausführlichere Abhandlung des Themas vgl. S TRAW, Gregory the Great, 107–127; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 83–101; FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 85–89; WEBER, Hauptfragen, 224–230; LIEBLANG, Grundfragen, 31–34; B AASTEN, Pride According to Gregory the Great, 55–69. 3 Die wesentlichen Elemente seiner Lehre über den Sündenfall entnahm Gregor offensichtlich der Theologie Augustins. Vgl. darüber GRESCHAT, Die Moralia in Job, 85–99. Hierin sind die Ausführungen Gregors über den Sündenfall denen des Augustinus gegenübergestellt. 4 Vgl. moral. VIII, 18, 34 (CCL 143, 406); in euang. II, 31, 7 (FC 28/2, 588). 5 Vgl. moral. IV, 28, 54 (CCL 143, 198f); moral. XV, 26, 31 (CCL 143A, 768). 2

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

patria caelestis eingeführt zu werden und auf diese Weise seine potenzielle Unsterblichkeit zu realisieren,6 versuchte Adam in hochmütiger Nachahmung des Teufels7 die Gottähnlichkeit aus eigener Kraft zu erreichen.8 Dieser Versuch zeitigte tiefgreifende Konsequenzen für die menschliche Existenz nach dem Sündenfall. Die menschliche Natur verlor die stabilitas, von der der Mensch vorher gekennzeichnet war,9 und ihr wurden mutabilitas und corruptio zueigen.10 Die letzte Konsequenz der mutabilitas und corruptio stellt gewiss die Sterblichkeit dar.11 Jedoch manifestiert sich dieser Mangel an stabilitas ebenso in vielen anderen Hinsichten. Vor der Ursünde war der Mensch imstande, stante mente zur höchsten Kontemplation zu gelangen, und keine Verderbnis konnte ihn von der Liebe zum Schöpfer trennen. Nach dem Sündenfall fiel er aber infolge des Verlustes der ingenita standi soliditas12 von der Liebe zu Gott auf sich selbst zurück und verlor die Möglichkeit der Kontemplation.13 Diese Abwendung von der Liebe zum Schöpfer führte zu einer weiteren Degeneration des Menschen. So konnte er nunmehr nicht in sich selbst beständig verbleiben, sondern sank, von der Macht der lubrica mutabilitas14 ergriffen,

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Vgl. moral. IV, 28, 54 (CCL 143, 198): Ad hoc in paradiso homo positus fuerat, ut si se ad conditoris sui oboedientiam uinculis caritatis astringeret, ad caelestem angelorum patriam quandoque sine carnis morte transiret. Sic namque immortalis est conditus, ut tamen si peccaret et mori posset; et sic mortalis est conditus ut si non peccaret, etiam non mori posset; atque ex merito liberi arbitrii beatitudinem illius regionis attingeret in qua uel peccare, uel mori non posset. 7 Vgl. moral. XXIX, 8, 18 (CCL 143B, 1446). 8 Vgl. moral. III, 14, 26 (CCL 143, 131f). Vgl. auch GRESCHAT, Die Moralia in Job, 86f. 9 Vgl. darüber STRAW, Gregory the Great, 78f. 10 Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 213): Vanitati quippe creatura non uolens subditur quia homo, qui ingenitae constantiae statum uolens deseruit, pressus iustae mortalitatis pondere, nolens mutabilitatis suae corruptioni seruit. Im Gegensatz zu den Engeln, denen als Geschöpfen nur mutabilitas zum Wesen gehört, kennzeichnen den gefallenen Menschen andererseits corruptio und mutabilitas. Vgl. GRESCHAT, Die Moralia in Job, 91f. 11 Vgl. moral. XXV, 6, 9 (CCL 143B, 1235); moral. XI, 50, 68 (CCL 143A, 624f). 12 Vgl. darüber LIEBLANG, Grundfragen, 29–31. 13 Vgl. moral. VIII, 10, 19 (CCL 143, 395): Ad hoc namque homo conditus fuerat ut stante mente, in arcem se contemplationis erigeret, et nulla hunc corruptio a conditoris sui amore declinaret. Sed in eo quod ab ingenita standi soliditate uoluntatis pedem ad culpam mouit a dilectione conditoris in semetipsum protinus cecidit; moral. XXXIV, 21, 40 (CCL 143B, 1761f). Im Hintergrund steht offensichtlich die augustinische Unterscheidung zwischen amor Dei und amor sui. Vgl. auch moral. V, 29, 52 (CCL 143, 253f). 14 Vgl. darüber STRAW, Gregory the Great, 107–127.

1. Konsequenzen der Ursünde

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unter seinen bisherigen Stand ab, so dass er nun paradoxerweise im Gegensatz zum eigentlichen Selbst steht.15 Diesen Zustand der Verfallenheit schilderte Gregor ähnlich in den Evangelienhomilien anhand der Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11– 32). Der jüngere Sohn sank durch ausschweifende und unreine Gedanken unter sich selbst hinab und entfernte sich weit vom eigenen Ich.16 Er wurde also aus sich hinausgeführt. Jedoch wurde er nicht durch die Gnade der Beschauung über sich erhoben (wie die Heiligen), sondern stürzte durch die falsche Ausrichtung des Lebens ab.17 Neben der äußeren Seite der mutabilitas, deren Folge schließlich der Tod ist, hat der Mensch in diesem Leben ebenso die innere Seite der mutabilitas, die an der infirmitas des menschlichen Willens deutlich wird, zu ertragen.18 Der geschwächte Wille als konkreter Ausdruck der infirmitas trachtet ständig nach den vergänglichen Dingen und hält den gefallenen Menschen von der urspünglichen stabilitas fern.19 Von den abwechselnden Wünschen hin und her getrieben, vermag der Mensch nunmehr nicht, sich dauerhaft in Kontemplation auf Gott auszurichten.20 Die ganze irdische Existenz des Menschen überhaupt steht unter dem Zeichen der Unbeständigkeit, die in verschiedenen Hinsichten zutage tritt.21 Nach dem Sündenfall nahm Gott dem Menschen überdies das Vermögen der Gotteserkenntnis und verbarg sich vor dem Menschen in der Finsternis.22 Der Mensch verlor die lux invisibilium, „die Fähigkeit, die Wahr15 Vgl. moral. VIII, 10, 19 (CCL 143, 395): Amorem uero Dei, ueram scilicet stationis arcem deserens, nec in se consistere potuit, quia, lubricae mutabilitatis impulsu, infra se per corruptionem proruens, etiam a semetipso dissensit; dial. IV, 1 (FUNK, BKV2 3, 185): „durch die Sünde kam er [sc. Adam] ganz von sich selbst ...“ 16 Vgl. dial. II, 3 (BKV2 3, 58); in euang. II, 36, 7 (FC 28/2, 722). 17 Vgl. in euang. II, 36, 7 (FC 28/2, 722). Vgl. auch moral. X, 25, 44 (CCL 143, 568). 18 Vgl. auch GRESCHAT, Die Moralia in Job, 91; STRAW, Gregory the Great, 79. 19 Vgl. moral. XX, 14, 36 (CCL 143A, 1029). 20 Vgl. moral. VIII, 6, 8 (CCL 143, 386); moral. VIII, 10, 19 (CCL 143, 395f): Qui nunc, quia conditionis suae soliditate non figitur, alternantis semper desiderii motu uariatur, ut et quietus actionem desideret et occupatus ad otium anhelet. Quia enim fixa mens stare cum potuit noluit, stare iam non ualet etiam cum uolet. Conditoris quippe sui contemplationem deserens, salutis suae fortitudinem perdidit et quolibet posita, semper aegra alium locum quaerit. Varietatem ergo humanae mentis exprimens dicat: Si dormiero dicam: Quando surgam? Et rursum exspectabo uesperam. Ac si aperte diceret: Nil percetum menti sufficit quia ipsum qui uere sufficere potuit, amisit. In somno namque surrectionem desidero, in surrectione uesperam exspecto, quia et quietus exercitium actionis appeto et exercitatus otium quietis quaero. 21 Vgl. darüber STRAW, Gregory the Great, 107–109. 22 Vgl. moral. V, 7, 12 (CCL 143, 227): Auctor enim noster, quia nobis in hoc exsilio deiectis, lucem suae uisionis abstulit, sese nostris oculis quasi in tenebrarum latibulo abscondit.

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

heit in ihrer Reinheit und vollen Geistigkeit zu schauen“23. Darüber hinaus konnte er nunmehr auch sich selbst nicht wahrhaftig erkennen, weil er erst aus seiner Bezogenheit auf Gott die Möglichkeit der Selbsterkenntnis geschöpft hatte.24 Je mehr der Mensch für die innere Schau erblindete, desto mehr zerstreute er sich nach außen.25 Daher kam es dazu, dass der Mensch völlig dem Äußeren verfiel und sein Erkenntnisvermögen nach außen richtete. Die Unkenntnis Gottes sowie der geistigen Realitäten26 verursachte auch, dass er sich, stets von den körperhaften, irdischen Dingen umgeben, nunmehr ausschließlich mit dem, was mit den körperlichen Augen zu erfassen ist, befasste. Infolgedessen büßte er weiter an der Feinheit seiner inneren Einsicht ein. Der Mensch konnte sich nicht mehr zu den höchsten Dingen emporheben, so dass er gerne unter den niedrigen blieb.27 Er ergab sich ganz der Liebe zu den sichtbaren Dingen und wandte sich mithin von der

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LIEBLANG, Grundfragen, 33. Vgl. dial. IV, 1 (FUNK, BKV2 3, 185): „Der Mensch war nämlich im Paradiese gewohnt, Gottes Wort zu lauschen und reinen Herzen in erhabenen Gesichten mit den heiligen Engeln zu verkehren. Als er aber in dieses Elend herabsank, entfernte er sich auch von dem Lichte der Seele, das ihn bisher erfüllt hatte.“ Vgl. auch moral. XXXV, 17, 43 (CCL 143B, 1804): Homo namque quasi dies ex conditione claruit, quia hunc auctor suus ingenitae innocentiae splendore respersit. Sed sponte sua ad peccati tenebras lapsus, quia ueritatis lucem deseruit, quasi in nocte se erroris abscondit, quia alias dicitur secutus umbram; W EBER, Hauptfragen, 226: „Er [sc. der Mensch] wurde mit geistiger Blindheit geschlagen, wurde unfähig, das göttliche Licht zu schauen, seinen Schöpfer zu betrachten und die geistige Wirklichkeit einer körperlosen Welt zu erfassen.“ 24 Vgl. moral. XI, 42, 58 (CCL 143A, 618). Vgl. auch moral. XX, 14, 37 (CCL 143A, 1029f). 25 Vgl. moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261): Humana quippe anima primorum hominum uitio a paradisi gaudiis expulsa, lucem inuisibilium perdidit et totam se in amorem uisibilium fudit; tantoque ab interna speculatione caecata est quanto foras deformiter sparsa. Über die theologische und philosophische Tradition, die diese These Gregors beeinflusst dürfte, vgl. SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 89f. 26 Vgl. dial. IV, 1 (FUNK, BKV2 3, 185): „Die fleischlichen Menschen aber, die diese unsichtbare Welt nicht aus Erfahrung kennen, zweifeln, ob das auch wirklich existiere, was sie mit ihrem leiblichen Augen nicht sehen können.“ (Gregor unterstrich dabei, dass sich dies nicht auf Adam, der die unmittelbare Erfahrung des Paradieses hatte, anwenden lässt.) Anschließend schilderte Gregor dies anschaulich mit der Geschichte über eine Frau, die ihr Kind, das in einem finsteren Kerker geboren und aufgezogen wurde, kaum von der Wirklichkeit einer anderen Welt überzeugen kann. Vgl. auch moral. III, 26, 50 (CCL 143, 146). 27 Vgl. moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261): Unde fit ut nulla nouerit nisi ea quae corporeis oculis, ut ita dixerim, palpando cognoscit … Et quia iam erigere ad summa se non ualet in his infirma libenter iacet. Vgl. auch moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 212); in euang. II, 40, 2 (FC 28/2, 842).

1. Konsequenzen der Ursünde

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Liebe zu Gott ab. Indem er sein Herz dem Geschaffenen unterwarf, kehrte er folglich dem eigenen Schöpfer den Rücken.28 Dieser Hang zum Irdischen wurde besonders durch den Antagonismus zwischen Geist und Fleisch vorangetrieben. Durch die Ursünde wurde nämlich die ursprüngliche Harmonie von Geist und Fleisch zerstört. Der menschliche Geist, der dem Ratschluss Gottes nach über den Leib herrschen sollte, vermochte seine schöpfungsgemäße Bestimmung nicht mehr zu erfüllen, weil er sich infolge der corruptio den irdischen, sichtbaren Dingen ergeben und damit die Möglichkeit der Kontemplation wesentlich ruiniert hatte.29 Nachdem er Gott den Gehorsam verweigert hatte, erfuhr er weiterhin mit Recht den Ungehorsam des Fleisches gegenüber sich selbst.30 Seither muss der Geist mit dem Fleisch harte Kämpfe führen, wenn er sich lediglich vorübergehend zum Himmlischen emporheben will.31 Wenn der Mensch das göttliche Gebot beachtet hätte, wäre er auch im Fleisch vergeistigt worden. Stattdessen ist er aufgrund der Sünde geradezu im Geist fleischlich geworden.32 Den Körper betrachtete Gregor also als Hindernis für den Aufstieg des Menschen zu Gott.33 Diese These explizierte der Papst überdies im Hinblick auf die Beschaffenheit des menschlichen Körpers. Selbst aus Himmlischem und Irdischem, aus Wasser und Tierischem, d. h. aus den sichtbaren, körperhaften Dingen bestehend, lenkt der Körper seit der Ursünde den

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Vgl. moral. III, 9, 15 (CCL 143, 124): Amore enim praesentium ab auctoris nostri dilectione recessimus et peruersa mens dum dilectioni creaturae se subdidit, a creatoris societate disiunxit.Vgl. auch in euang. II, 31, 7 (FC 28/2, 588): Contemplatus namque, quod ad supernam lucem intuendam homo conditus fuerat, sed peccatis exigentibus foras missus, mentis suae tenebras portat, superna non appetit, infirmis intendit, coelestia nequaquam desiderat, terrena semper in animo versat … 29 Vgl. moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261); moral. VIII, 32, 53 (CCL 143, 424); moral. XXX, 16, 54 (CCL 143B, 1528); moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 212): Coacta erigitur, libens iacet, ab infirmis uix leuatur, et tamen eleuata protinus labitur. 30 Vgl. moral. XXVI, 17, 28 (CCL 143B, 1286f). Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 116f. 31 Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 212): Annon duro molestiae uinculo ligantur quos cum accensus spiritus ad sinum pacis intimae pleno desiderio pertrahat, feruenti certamine caro perturbat? Quae etsi iam ante faciem uelut ex aduerso acie errecta non obuiat, adhuc tamen a mentis dorso quasi captiua submurmurat; et quamuis timendo sed tamen turpi strepitu in corde speciem pulchrae quietis foedat. 32 Vgl. moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261): Homo enim, qui si praeceptum seruare uoluisset, etiam carne spiritalis futurus erat, peccando factus est etiam mente carnalis … 33 Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 213): Hic itaque electi molestia uincti sunt, quia adhuc corruptionis suae poena deprimuntur. Sed cum corruptibili carne exuimur, quasi ab his quibus nunc astringimur, molestiae uinculis relaxamur. Praesentari namque iam Deo cupimus sed adhuc mortalis corporis obligatione praepedimur. Vgl. auch moral. XI, 48, 64 (CCL 143A, 622).

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

Geist vom Inneren ab und bindet ihn an das Äußere, Sichtbare.34 In diesem Licht betrachtete Gregor ebenso die sich ständig abwechselnden körperlichen Bedürfnisse, die er als die Folgen der Ursünde bzw. als Folgen der corruptio ansah. Dass man dauernd für seinen Körper Sorge tragen muss, bezeichnete er als Sklaverei der eigenen Verderbtheit. Aber auch die Erwählten, die alle Versuchungen des Fleisches vortrefflich bewältigen, müssen während des sterblichen Lebens den äußeren physischen Bedürfnissen nachgehen, weil diese erst im Jenseits verschwinden werden.35 Obschon diese necessaria, die Gregor auch als flagella peccati bezeichnet, auf der Erde unausweichlich sind, dürfte man sich ihnen nur in gebotenem Maß widmen, damit der Mensch nicht infolge seiner Sorge um das Niedrige bzw. Irdische von der Kontemplation des Himmlischen abgebracht wird.36 Die Reflexionen Gregors über den Körper spiegeln ganz klar die asketische Tradition, von der er sich in diesem Fall offensichtlich inspirieren ließ, wider. Aus den Ausführungen des Papstes über den Leib ersieht man deutlich, dass Körper und sündhafte Vergnügungen nach dem Sündenfall unzertrennlich miteinander verbunden sind. Infolgedessen überrascht wenig, dass Gregor, anderes als Augustinus, primär den Antagonismus zwischen Seele und Leib bzw. die körperlichen Sinne als Quell der Sünde überhaupt ansah.37 Die abweisende Haltung Gregors gegenüber dem Körper38 beruht unter anderem gewiss auf der Tatsache, dass der Körper den Menschen belästigt und ihn an die irdische Welt bindet.39 34

Vgl. moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261): Corpus quippe est caeli, terrae, aquarum, animalium cunctarumque rerum uisibilium, quas indesinenter intuetur, in quibus dum totam se delectata mens proicit, ab internae intellegentiae subtilitate grossescit. Vgl. auch moral. VI, 15, 18 (CCL 143, 296); moral. XIV, 15, 17 (CCL 143A, 707f). 35 Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 212f): Qui [sc. electi] his exceptis, ea etiam uincula sustinent quae grauis exterius necessitas astringit. Esurire quippe sitire, lassescere, uincula corruptionis sunt, quae scilicet solui nequeunt, nisi cum in illa immortalitatis gloria nostra mortalitas permutatur. Replemus etenim refectionibus corpus ne extenuatum deficiat; extenuamus abstinentia ne nos repletum premat. Vegetamus hoc motibus ne situ immobilitatis intereat; sed citius hoc collocando sistimus ne ipsa sua uegetatione succumbat. Adiumento hoc uestium tegimus ne frigus interimat, et quaesita adiumenta proicimus ne calor exurat. Tot igitur diuersitatibus occurentes quid agimus nisi curruptibilitati seruimus, ut saltim multiplicitas impensi obsequii corpus sustineat, quod anxietas infirmae mutabilitatis grauat? Vgl. auch moral. VIII, 32, 53 (CCL 143, 423f); Vgl. auch in euang. II, 31, 7 (FC 28/2, 588–590). 36 Vgl. moral. XIII, 32, 36 (CCL 143A, 688); moral. VIII, 30, 50 (CCL 143, 421f). Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 125f. 37 Vgl. moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261). Vgl. darüber STRAW, Gregory the Great, 111f und 133. 38 Vgl. darüber STRAW, Gregory the Great, 43–46. Vgl. auch in Ezech. II, 1, 16 (CCL 142, 221): Nos quoque cum iam claustra carnis despicere, mortalitatis nostrae angustias per immortalitatis desiderium transire … 39 Vgl. moral. XIX, 6, 12 (CCL 143A, 964).

2. Sub specie aeternitatis

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Diese letzte Behauptung korrespondiert vollkommen mit der Grundhaltung des Papstes gegenüber der irdischen Welt. Das Leben in dieser Welt nach dem Sündenfall betrachtete Gregor als latente Gefahr für die Menschen, die nach dem Himmlischen streben. Das Irdische bietet sich stets als der Stolperstein für den gefallenen Menschen, der ohnehin die Tendenz zur sichtbaren Welt besitzt. Die notwendige Beschäftigung mit dem Irdischen droht permanent, den Menschen völlig in die Hinfälligkeit des zeitlichen Lebens hineinzuziehen.40 Infolgedessen überrascht überhaupt nicht, dass Gregor die mönchische Zurückgezogenheit als die Grundlage eines wahrhaftigen geistlichen Lebens oftmals lobt. Damit ist allerdings das letzte Urteil über Gregors Verständnis der irdischen Welt noch nicht gesprochen. Obschon dies etwas später zur Sprache kommen soll, sei hierzu knapp erwähnt, dass die Kontemplation der irdischen Welt gemäß dem Prinzip per visibilia ad invisibilia eine Art Leiter zu Gott darstellen kann.41 Die Komplexität der Betrachtung der irdischen Welt kann also bei Gregor keinesfalls durch die bloß antithetisch gestellten Postulate ausgedrückt werden, obschon die Intensität gewisser Ausführungen Gregors zu einer solchen Annahme Anlass geben könnte. Vielmehr ergibt sich die Weltbetrachtung Gregors als das Zusammenspiel verschiedener Motive, die jedoch nicht in gleicher Weise akzentuiert wurden. Um das Weltverständnis Gregors deshalb zutreffend erfassen zu können, muss stets die Intention der verschiedenen Ausführungen berücksichtigt werden, die selbstverständlich wiederum die Auswahl der Motive bedingt. Für die Weltbeurteilung des Papstes sowie für das Thema der Loslösung von der Diesseitsorientierung muss unbedingt die Perspektive, aus der Gregor die Schöpfung betrachtete, in Erwägung gezogen werden. Infolgedessen soll nun die Frage des Betrachtungswinkels des Papstes erläutert werden.

2. Sub specie aeternitatis Die Reflexionen des Papstes über die Welt schließen also eine gefallene Welt ein, die nach dem Sündenfall zur gottwidrigen Welt wurde. Der Ausgangspunkt dieser Reflexionen ist dabei aber nicht die gefallene Welt, sondern der Ort, an dem der Mensch dem Ratschluss Gottes nach leben sollte und wo die Erwählten am Ende der Geschichte leben werden, d. h. 40

Vgl. z. B. past. 2, 7 (FUNK, BKV2 4, 113): „Man [Hierin sind die Seelsorger gemeint] muß sich also zwar zuweilen aus Mitleid zeitlichen Geschäften unterziehen, niemals darf man sie aber aus Neigung suchen, weil sie sonst das Herz, das eine solche Vorliebe für sie hat, beschweren, es mit ihrem Gewicht erdrücken und von den himmlischen Dingen weg ganz in den Abgrund hinabziehen.“ 41 Vgl. moral. XV, 46, 52 (CCL 143A, 781).

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

die himmlische Heimat bzw. die eschatologisch vollendete Welt. Die Komplexität des irdischen Lebens und Wirken des Menschen sowie der ganzen Kirche lässt sich also nur aus der eschatologischen Perspektive richtig erschließen.42 Um das Weltverständnis Gregors richtig beurteilen zu können, muss man eben diese Betrachtungsweise ständig vor Augen haben. Die eschatologische Perspektive stellte den einzigen Maßstab dar, an dem sich Gregor orientierte. Alles Irdische betrachtete der Papst ausschließlich in seiner Beziehung zum Himmlischen und zog daraus letztlich das Urteil darüber. Die richtige Einstellung gegenüber dem Zeitlichen kann man deshalb nur der Erkenntnis des Ewigen entnehmen. Die Weltbeurteilung steht darüber hinaus im Zusammenhang mit der Zweckbestimmung des Menschen. Der Mensch wurde zur Kontemplation seines Schöpfers erschaffen, um sein Antlitz stets zu suchen und in der Feier seiner Liebe zu verharren.43 Die gesamte irdische Existenz des Menschen sah Gregor als dadurch bestimmt an. Durch diese Erkenntnis gestaltet sich sein Verhältnis zum Irdischen sowie seine Bewertung der vergänglichen zeitlichen Dinge. Das menschliche Handeln auf Erden sollte folglich ebenso die ewige Bestimmung des Menschen widerspiegeln. Angesichts dessen kam bei Gregor häufig der Hinweis auf den „Tag unseres Scheidens“ zur Sprache.44 Das Bewusstsein der unausweichlichen Sterblichkeit hat nicht nur moralische, sondern auch epistemologische Konsequenzen. Indem der Tod dem Irdischen unausweichlich ein Ende setzt, verändert sich dementsprechend die Wahrnehmung der zeitlichen Dinge. Aus dem folgenden Zitat lässt sich deutlich erkennen, inwiefern die Sterblichkeit die Bewertung der irdischen Dinge beeinflusst: „Wer also schon Ewiges erkannt hat, für dessen Geist mögen zeitliche Früchte ihren Wert verlieren. Wir wollen solche Früchte erbringen, die bleiben. Wir wollen solche Früchte erbringen, die, wenn der Tod alles zunichte macht, gerade im Tod ihren Anfang nehmen.“45

Obschon der Mensch auf der Erde immer noch an die Dimension des Irdischen und der Zeit gebunden ist, soll er das Endliche als begrenzt und vergänglich wahrnehmen, wozu er durch die göttliche Gnade imstande ist.46 Die Kriterien für die wahre Erkenntnis soll man, indem man auf das Zu42

Vgl. moral. XIII, 24, 27 (CCL 143A, 684); moral. XIII, 7, 9 (CCL 143A, 673); moral. XX, 5, 12 (CCL 143A, 1010). 43 Vgl. moral. VII, 2, 2 (CCL 143, 335). 44 In euang. II, 39, 8 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 827). 45 In euang. II, 27, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 509). Vgl. noch moral. VII, 29, 38 (CCL 143, 363); moral. X, 23, 41 (CCL 143, 566f); moral. XI, 30, 42 (CCL 143A, 609); epist. I, 2 (CCL 140, 2f). 46 Vgl. dial. II, 35 (BKV2 3, 101f).

3. Abkehr von der Welt

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künftige vorausblickt, demnach auf dem Unvergänglichen bzw. Ewigen aufstellen.47 Aus dieser Erfahrung muss man weiterhin die Erkenntnis des Zeitlichen schöpfen.48

3. Abkehr von der Welt Aus dem Blickwinkel, aus dem Gregor die Welt betrachtete, deutet sich bereits einer der Gedanken an, die sein ganzes Opus durchzieht: Abwendung von der irdischen Welt. Schon ein flüchtiger Blick in seine Werke lässt die Bedeutung, die Gregor diesem Thema beimaß, erkennen. Die Weltentsagung betrachtete er als conditio sine qua non für die Rückkehr zur himmlischen Welt. Es gilt aber zunächst auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs „Welt“ bei Gregor hinzuweisen. Einerseits stimmt in der Regel die Behauptung Rudmanns, dass die „Welt“ (mundus, saeculum) bei Gregor im mönchischen Umkreis immer als Gegenbegriff dem Kloster, dem mönchischen Leben gegenüberstehe.49 Andererseits, wenn auch die Richtigkeit dieser Behauptung nicht in Frage zu stellen ist,50 benutzte Gregor den Begriff „Welt“ überwiegend als Gegensatz zur künftigen Welt, d. h. die irdische Welt stellt den Antipoden zur patria caelestis dar.51 Eine präzise Differenzierung zwischen den beiden Aspekten dieses Begriffs findet man in den Schriften Gregors nicht. Wenn es um die Abkehr von der Welt geht, ist die „Welt“ jedoch meist als die irdische, vergängliche Welt zu verstehen. Dementsprechend sind nicht nur Mönche, sondern vielmehr alle Gläubigen zur Abkehr von der Welt aufgerufen. Die Lehre Gregors von der Weltentsagung berücksichtigt also alle Menschen bzw. die ganze Kirche; sie ist nicht nur Einigen vorbehalten.52 47

Vgl. in euang. II, 39, 7 (FC 28/2, 822): Nulla nos prosperitatis transitoriae laetitia dissolvat, nec mentis nostrae oculos ea quae sunt transitoria obstruant, nec coecos ad ignem ducant. 48 Vgl. moral. VIII, 12, 27 (CCL 143, 400f). 49 RUDMANN gibt eine weitere Differenzierung des Begriffs an: „Es ist wohl zu beachten, dass Gregor ‚mundus‘ in doppelter Bedeutung gebraucht: einmal im physischen Sinn als Außenwelt ... dann auch im moralischen (johanneischen, paulinischen) Sinn.“ Vgl. RUDMANN, Mönchtum und kirchlicher Dienst, 33.148. 50 Vgl. z. B. epist. I, 5 (CCL 140, 5): Miror autem quod in me collatas dudum continentias uestras ex hac moderna pastoralis officii continentia distraxistis, in qua sub colore episcopatus ad saeculum sum reductus, in qua tantis terrae curis inseruio, quantis me in uita laica nequaquam deseruisse reminiscor. 51 Vgl. in euang. II, 24, 4 (FC 28/2, 430–434). 52 Dasselbe könnte für die gesamte Theologie Gregors gesagt werden. Vgl. L ECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen, 37.

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung „Was müssen wir da, geliebte Brüder,“ predigte Gregor in der 36. Evangelienhomilie, die großenteils dem Verhältnis zum Irdischen gewidmet ist, „anderes tun als alles verlassen, die Sorgen dieser Welt hintansetzen, in Sehnsucht allein nach dem Ewigen glühen?“53

Die Weltentsagung (d. h. die Bekehrung) ist die Antwort des Menschen auf die Einladung Gottes zum ewigen Gastmahl.54 Damit man zu diesem Gastmahl gelangt, muss man das Himmlische mehr als das Irdische lieben, sich mehr mit den geistigen als mit den materiellen Dingen beschäftigen.55 Alle irdische Begierde muss der Mensch fliehen und sich an nichts auf der Erde erfreuen lassen, weil er den Vater im Himmel hat.56 Sonst, wenn die Ausrichtung des Lebens auf das Himmlische nicht vollzogen wird, gerät man in Gefahr, auf das Diesseits orientiert zu bleiben und damit seine wahre Bestimmung zu verfehlen. Anhand des Beispiels der eingeladenen Gäste aus dem Gleichnis vom Festmahl (Lk 14, 16–24) legte Gregor dar, auf welche Weise der Mensch am Irdischen haftet.57 Der erste Gast, der sich wegen des gekauften Landguts, das ein Sinnbild für irdischen Besitz darstellt, bei dem reichen Mann entschuldigen lässt, denkt wegen des Besitzes nur an Äußeres und gibt sich der Habgier hin. Unter den fünf Ochsengespannen versteht man die fünf leiblichen Sinne, die vom Inneren geschieden nur Äußeres wahrnehmen können. Sie trachten also danach, fremdes Leben zu erforschen, ohne sich selbst zu kennen. So ist der zweite Gast durch die Neugierde bestimmt. Der dritte lehnt die Einladung einfach ab, weil er sich eine Frau, unter der man die fleischliche Lust versteht, genommen hat. „Zum ewigen Abendmahl lädt uns also der höchste Hausherr ein“, sagte Gregor anschließend, „doch wenn der eine der Habgier, der andere der Neugierde, der dritte der fleischlichen Lust ergeben ist, dann entschuldigen sich auf einmal alle Verworfenen.“58

Ein entscheidender Unterschied zwischen denen, die sich weigern, zum Abendmahl des Herrn zu kommen, und den Armen und Schwachen, den Blinden und Lahmen, die der Einladung Gottes folgen, stellt die Demut und nicht die persönliche Gerechtigkeit dar. Die ihrem eigenen Urteil nach Armen und Schwachen wurden von Gott erwählt, weil die Hochmütigen, die die bereitete Nahrung des Lebens verschmähten, der Einladung Gottes 53

In euang. II, 36, 10 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 733). Vgl. in euang. II, 36, 2 (FC 28/2, 712–714); in euang. II, 36, 4 (FC 28/2, 718): Nam dum cuilibet perverse agenti dicimus, „Convertere, Deum sequere, mundum relinque“: ubi hunc nisi ad dominicam coenam vocamus? 55 Vgl. in euang. II, 36, 4 (FC 28/2, 716). 56 Vgl. in euang. II, 29, 11 (FC 28/2, 546). 57 Vgl. in euang. II, 36, 4–5 (FC 28/2, 716–720). 58 In euang. II, 36, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 721). 54

3. Abkehr von der Welt

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nicht folgen wollten. Die Demut verband Gregor weiterhin mit der Loslösung von der Welt.59 Die Armen und Schwachen, die aus eigener Erfahrung vom Elend des Menschen wissen, setzten alle ihre Hoffnung auf Gott, während sich die anderen, die über das Irdische nachsinnen, im Stolz erheben. Alle Eingeladenen sind also ohnehin Sünder, aber „die hochmütigen Sünder werden verworfen, damit die demütigen Sünder erwählt werden.“60 3.1 Verwandschaftsverhältnis Die Abwendung von der Welt schließt zudem eine Dimension mit ein, die Gregor in mancher Hinsicht der mönchischen Spiritualität entnehmen dürfte. Die Aussage des Apostels Paulus über das eigene Leben61 projizierte der Papst auf die Beziehungen zum Nächsten und hob hervor, dass, obwohl jeder Widersacher in dieser Welt zu lieben sei, derjenige, den man als Widersacher auf dem Weg zu Gott erduldet, nicht geliebt werden dürfe, „selbst wenn er ein Verwandter ist.“62 Der Mensch, der auf dem Weg zu Gott vorwärts schreite und das Ewige begehre, dürfe sich nicht von denen, die ihm durch leibliche Verwandschaft verbunden sind, verleiten lassen. Je mehr einer infolgedessen seine Bindung an Vater, an Mutter, an Frau, an Kinder aufgebe, desto besser vermöge er Gott zu erkennen. Diejenigen, die den Menschen vom Weg zu Gott abwenden wollen, solle man sozusagen im Hass lieben. Hassen, indem man auf sie nicht hört, lieben, indem man in ihnen seine Nächsten sieht.63 Die verwandschaftlichen Bindungen als solche schadeten dem Menschen jedoch grundsätzlich nicht, wenn er imstande sei, sie richtig zu lenken bzw. zu unterdrücken. Sonst laufe man Gefahr, die richtige Ausrichtung des Geistes zu verlieren.64 „Die Nächsten sind also zu lieben, allen ist die Liebe zu erweisen, Verwandten und Freunden, doch darf man sich nicht um dieser Liebe willen von der Liebe zu Gott abbringen lassen.“65

In derselben Homilie veranschaulichte Gregor seine Aussagen anschließend mit einer bildhaften Szene aus dem ersten Buch Samuel (1 Sam 6, 10–12), die darüber hinaus ein treffendes Beispiel für den Umgang Gre-

59

Vgl. auch LECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen, 39. In euang. II, 36, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 723). 61 Vgl. Apg 21, 13: „Ich bin bereit, mich in Jerusalem für den Namen Jesu, des Herrn, fesseln zu lassen und sogar zu sterben“; Apg 20, 24: „Aber ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen.“ 62 In euang. II, 37, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 745). 63 Vgl. in euang. II, 37, 2 (FC 28/2, 742–744). Vgl. auch moral. VII, 30, 40 (CCL 143B, 364f). 64 Vgl. in euang. II, 37, 3 (FC 28/2, 744–746). 65 In euang. II, 37, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 747). 60

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

gors mit dem Bibeltext bietet.66 Solch anschaulicher Erzählungen, die in den Werken des Papstes gelegentlich vorkommen, bediente er sich einerseits zur Bekräftigung eigener Gedanken durch biblische Stellen bzw. Bilder. Andererseits wollte er seinen Zuhörern die geistige Lehre durch die Anwendung von aus dem alltäglichen Leben bekannten Szenen vertraut machen und ihnen die komplizierten Zusammenhänge in einprägsamer Form darstellen.67 So verglich Gregor diesbezüglich die Gläubigen in der Kirche mit den säugenden Kühen, die einem Wagen, auf den die Bundeslade des Herrn auf dem Rückweg ins Land der Israeliten gesetzt war, vorgespannt waren. Da die Kühe ihre Kälber zu Hause zurückgelassen hatten, brüllten sie dauernd unterwegs, folgten aber dennoch genau der Straße und wichen weder rechts noch links ab. Diese Kühe bezeichnen in der Auslegung des Papstes die Gläubigen, die, indem sie „die Gebote der Heiligen Schrift betrachten, gleichsam die aufgeladene Bundeslade Gottes tragen“.68 Den Schwerpunkt dieser Geschichte stellte für Gregor die Tatsache dar, dass die säugenden Kühe zwar klagend, jedoch aber mitten auf der Straße nach Bet-Schemesch, d. h. nach dem „Haus der Sonne“, zogen. Den exemplarischen Charakter dieses Verhaltens unterstrich er besonders vor seiner Hörerschaft. Letztendlich resümierte der Papst den moralischen Sinn dieser Geschichte mit den Worten: „Wenn wir also zur Stätte der ewigen Sonne streben, ist es in der Tat angemessen, dass wir nicht aufgrund verwandschaftlicher Zuneigung vom Weg Gottes abweichen.“69

3.2 Der alte/neue Mensch Das Thema der Abwendung von der Welt findet häufig seinen Ausdruck in Gregors Werken, gelegentlich auch in ganz unterschiedlichen Kontexten. Eben dadurch aber lässt sich die aufgestellte Behauptung, dass der Papst der Abkehr von der irdischen Welt als dem Fundament eines anständigen Lebenswandels große Bedeutung beimaß, untersuchen. In einem Abschnitt, in dem Gregor die Nichtigkeit des äußeren Gehabes, das von keiner Umkehr der inneren Gesinnung begleitet ist, reflektierte, stellte er den Lebenswandel des neuen Menschen dem des alten gegenüber.70 Zum Lebenswandel des neuen Menschen, der die früheren Fehler ausrottet und die neue Schöpfung wird, gehört also: „die gegenwärtige Welt verachten, die vergänglichen Dingen nicht lieben, den Sinn in herzli66

Vgl. in euang. II, 37, 4 (FC 28/2, 746–748). Vgl. FIEDROWICZ, Einleitung, 29–33. 68 In euang. II, 37, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 747). 69 In euang. II, 37, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 747). 70 Vgl. in Ezech. I, 10, 8–13 (CCL 142, 148–150). 67

3. Abkehr von der Welt

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cher Demut Gott und dem Nächsten zuwenden.“71 Den alten Menschen charakterisierte hingegen so: „nach den Dingen der gegenwärtigen Welt trachten, das Vergängliche begehrlich lieben, den Geist zum Stolz erheben.“72 Auf eine analoge Gedankenkette stößt man erneut am Anfang der fünften Ezechielhomilie.73 Anhand des Verses: „Sie [sc. die Lebewesen] gingen, wohin der Geist sie trieb, und änderten beim Gehen ihre Richtung nicht“ (Ez 1, 12) bemerkte Gregor, dass in den Verworfenen und in den Erwählten verschiedene Antriebe (impetus) wirksam sind. Anschließend analysierte er die Beschaffenheit der jeweiligen Antriebe. Dem Antrieb des Fleisches, der die Verworfenen kennzeichnet, entstammen entsprechend: „Irdisches lieben, Zeitliches dem Ewigen vorziehen, äußere Güter nicht nur zum nötigen Gebrauch, vielmehr zur Befriedigung der Begierlichkeit benützen, sich am Feind zu rächen trachten.“74

Dagegen kennzeichnet den Antrieb des Geistes, der in den Auserwählten wirksam ist: „Himmlisches lieben, Irdisches verachten, die vergänglichen Dinge nicht zum bloßen Genuss, sondern zum unerlässlichen Gebrauch verwenden, über den Tod des Feindes trauern.“75

Ob der Vorrang, den der Gedanke der Loslösung von der Welt in diesen Aufzählungen hat, eher dem Zufall oder der Absicht des Papstes zuzuschreiben ist, ist bezüglich unseres Themas nicht von entscheidendem Belang. Viel wichtiger ist es, dass Gregor die Weltabkehr als das Unterscheidungsmerkmal zwischen den Erwählten und den Verworfenen hinstellte.76 Die nicht zu übersehende antithetische Gegenüberstellung der Begriffe „die vergänglichen Dinge nicht lieben“ – „das Vergängliche begehrlich lieben“ bzw. „Irdisches lieben“ – „Himmlisches lieben“ bezeugt, in welch 71

In Ezech. I, 10, 9 (B ÜRKE, CMe 21, 191). In Ezech. I, 10, 10 (B ÜRKE, CMe 21, 191). 73 Vgl. in Ezech. I, 5, 2–5 (CCL 142, 57–59). 74 In Ezech. I, 5, 2 (B ÜRKE, CMe 21, 90). 75 In Ezech. I, 5, 2 (B ÜRKE, CMe 21, 90). 76 Vgl. moral. I, 25, 34 (CCL 143, 43): Nam sunt nonnulli qui uitam suam negligunt et dum transitoria appetunt, dum aeterna uel non intellegunt, uel intellecta contemnunt … At contra electorum mentes dum cuncta transitoria nulla esse conspiciunt, et quam sint conditae exquirunt. Vgl. auch moral. VI, 13, 16 (CCL 143, 294f); in euang. II, 27, 4 (FC 28/2, 506): Ecce electi Dei carnem domant, spiritum roborant, daemonibus imperant, virtutibus coruscant, praesentia despiciunt, aeternam patriam cum voce moribus praedicant: eam etiam moriendo diligunt, atque ad illam per tormenta pertingunt; moral. VIII, 30, 50 (CCL 143, 421): Ecce enim electorum mens iam terrena desideria subicit; iam cuncta quae considerat praeterire transcendit …; moral. XVII, 13, 19 (CCL 143A, 863); moral. XXX, 5, 20 (CCL 143B, 1504). 72

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

unversöhnlichen Verhältnis die Weltabkehr und die Weltverfallenheit zueinander stehen und als solche die Existenz des Menschen charakterisieren. 3.3 Weltabkehr und Schriftverständniss In diesem Zusammenhang brachte Gregor die Reue bzw. die Änderung der Gesinnung gegenüber dem Irdischen als Voraussetzung des wahrhaftigen Schriftverständnisses zur Sprache. Vor dem Hintergrund der Exegese von Ez 3, 1–3 und Hag 1, 5–6 reflektierte er die wechselseitige Beziehung zwischen der Weltabkehr und dem Verständnis des heiligen Wortes. So hob der Papst die Notwendigkeit der Weltentsagung für die volkommene und heilbringende Erfassung des Wortes Gottes hervor. Der Mensch, der beim Lesen oder Hören der himmlischen Weisungen vieles erkennt, aber die Loslösung vom Irdischen nicht vollzieht, vermag das Wort Gottes nicht innerlich zu bewahren. Er isst die Buchrolle wie der Prophet Ezechiel und wird dennoch nicht satt, weil er irdischen Gewinn und Ruhm begehrt. Er trinkt, indem er das Ohr dem Wort der Verkündigung zuwendet, wird jedoch nicht berauscht, weil er dem Irdischen anhängt.77 „Wer sich daher dem Studium des Wortes Gottes widmet,“ klärte Gregor auf, „aber nach den Dingen dieser Welt begehrt, der trinkt und wird nicht berauscht. Wäre er wirklich berauscht worden, hätte er sicherlich seine Gesinnung geändert, so dass er nicht mehr nach Irdischem trachtet und die vergänglichen Nichtigkeiten, denen seine Zuneigung gegolten hatte, nicht mehr liebt.“78

Einen solchen Menschen stellte Gregor denen, deren Hören des Wortes der Verkündigung von einer Verwandlung des Lebenswandelns begleitet wird, gegenüber: „Oft beobachten wir, wie sich manche mit ganzer Aufmerksamkeit dem Studium der heiligen Lesung widmen und aus den Worten des Herrn erkennen, in wie vielem sie gefehlt haben; wie sie sich mit Tränen zermartern, von unaufhörlichem Schmerz geplagt werden, sich an keiner Lustbarkeit dieser Welt ergötzen, so dass ihnen das gegenwärtige Leben zur Last und selbst das Tageslicht zum Ekel wird.“79

Nur die also, die das Fundament der Weltentsagung errichtet haben, vermögen die Gebote des Lebens zu erfassen, und deren Leib wird durch das Essen der heiligen Buchrolle erfüllt. Infolgedessen sind sie ebenso imstande, die Darlegung des heiligen Wortes an die Mitmenschen weiterzugeben und dadurch zur Erbauung der Kirche beizutragen, weil ihr Handeln und ihre Verkündigung in vollende77

Vgl. in Ezech. I, 10, 7 (CCL 142, 147f). In Ezech. I, 10, 7 (B ÜRKE, CMe 21, 190). Vgl. auch in Ezech. I, 12, 19 (CCL 142, 194): Quidam enim uerbum audientes non audiunt, quoniam aurem ad sacrum eloquium ponunt, sed cor a mundi desideriis non euellunt. 79 In Ezech. I, 10, 11 (B ÜRKE, CMe 21, 192). 78

3. Abkehr von der Welt

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tem Einklang stehen.80 Durch ihren beispielhaften Lebenswandel, durch den sie den anderen ermahnend erziehen, bekräftigen sie ihre eigenen Worte der heiligen Verkündigung.81 Schließlich weist Gregor wiederum auf die Ausrichtung auf das Himmlische als die essenzielle Vorausetzung für die Botschaft von der Weltabkehr hin, indem er sagt: „Zur Predigt trägt das Bewusstsein heiliger Liebe mehr bei als alle Redekunst, und wenn der Prediger Himmlisches liebt, liest er aus seinem Inneren, wie er andere von der Verachtung des Irdischen überzeugte.“82

3.4 Die Arche Noahs Mit realistischem Blick erkannte der Papst jedoch, dass nur wenige das Ideal der Weltentsagung vollkommen in ihrem Leben verwirklichen. Solche gehören zum obersten Teil der Arche Noahs, in der die heilige Kirche vorgebildet wird, so Gregor in einer Ezechielhomilie.83 Anhand der Geschichte über die Arche Noahs nahm der Papst nämlich eine dreiteilige, hierarchisch geordnete Gliederung der Kirche mit Christus als dem Haupt vor. Im unteren, geräumigen Teil der Arche weilt die Mehrheit, d. h. die fleischlich Gesinnten, die von vielen irdischen Begierden getrieben sind und dem Erwerb der irdischen Dinge nachjagen.84 Da die Kirche auf deren Bekehrung dennoch geduldig wartet, werden diese Menschen von ihr immer noch ertragen. Andere wieder führen einen christlichen Lebenswandel und befolgen die göttlichen Gebote in allem Tun und Denken.85 Solche, die im erhabeneren Teil weilen, sind allerdings bereits wenige, und somit verengt sich die Arche. 80

Die Notwendigkeit des vorbildlichen Lebens der praedicatores unterstrich Gregor in seinen Werken wiederholt. Vgl. in euang. I, 17, 18 (FC 28/1, 300): Timeamus haec, fratres, conveniat actioni nostrae ipsum ministerium nostrum. De peccatorum nostrorum relaxatione quotidie cogitemus, ne nostra vita peccato obligata remaneat, per quam omnipotens Deus quotidie alios solvit; in Ezech. II, 9, 15 (CCL 142, 368): Recte autem cum reflexa intrinsecus mensarum labia dicuntur, additur quoque per circuitum, ut non in una qualibet se parte considerent, atque alias in semetipsos perpendere praetermittant, sed ubique semetipsos inspiciant, et, in quantum praeualent, studeant singula opere implere quae docent, ne si praedicantes facere bona dissimulant, sui uastatores sint cultores alieni; past. 1, 2 (BKV2 4, 66–68). Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 147–150. 81 Vgl. in Ezech. I, 10, 12f (CCL 142, 149f). 82 In Ezech. I, 10, 13 (B ÜRKE, CMe 21, 193). 83 Vgl. in Ezech. II, 4, 16–18 (CCL 142, 270f). 84 Vgl. in Ezech. II, 4, 17 (CCL 142, 270f): Videmus etenim multos intra eiusdem sanctae Ecclesiae sinum in superbia erigi, in carnis uoluptate dissolui, acquirendis terrenis rebus inhiare, imperante auaritia maria transire, deseruire iracundiae, iurgiis uacare, proximos quos praeualent laedere. 85 Vgl. in Ezech. II, 4, 17 (CCL 142, 271): Videmus alios iam aliena non quaerere, illatam iniuriam aequanimiter portare, rebus propriis esse contentos, humiliter uiuere.

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung „Noch andere sehen wir auch das verlassen, was sie besitzen, der Sorge um irdische Dinge keinen Raum geben, die Feinde lieben, das Fleisch vor allen Wollüsten im Zaum halten, alle Triebregungen dem Urteil des Verstandes unterwerfen und in himmlischem Verlangen auf den Fittichen der Beschauung emporschweben.“86

Diese sehr seltenen Menschen befinden sich in Gregors pyramidenförmiger Vorstellung von der Kirche unmittelbar unter dem Urheber und Erlöser der heiligen Kirche, der völlig sündlos ist und „zu dem hin und durch den alle voranschreiten, die sich als Sünder wissen.“87 Die Weltabkehr wird also bei Gregor nicht nur auf die individuelle Spiritualität bezogen, sondern dieses Thema besitzt auch einen gewissen Platz in seiner ekklesiologischen Konzeption. So taucht die Weltabkehr in seiner Betrachtung der ecclesia permixta88 auf, wobei die Loslösung von der irdischen Welt erneut als eines der Unterscheidungsmerkmale zwischen boni und mali gilt. Es lässt sich ebenso auf die antithetische Gegenüberstellung zwischen den verschiedenen Gliedern der Kirche hinweisen, d. h. zwischen den Menschen, die „dem Erwerb irdischer Dinge nachjagen“ und die zu dem unteren Teil der Arche gehören, und den Menschen, die „der Sorge um irdische Dinge keinen Raum geben“89 und für welche der obere Teil vorherbestimmt ist. Die eigentliche Botschaft dieses einprägsamen Bildes dürfte also das Folgende sein: Wer sich dem Irdischen hingibt, bleibt dem Irdischen verhaftet und vermag aufgrund dessen nicht zum Himmlischen emporzusteigen. 3.5 Lasterkataloge Obschon der Papst sich selbst offensichtlich wohl bewusst war, dass nur wenige in der Lage sind, sich völlig vom Irdischen abzuwenden, wurde er nicht müde, seine Gläubigen ständig vor der Weltverfallenheit zu warnen. Solchen Appellen begegnet man wiederholt in seinen Werken innerhalb der sog. Lasterkataloge.90 So wandte sich der Papst in einem Panegyrikus 86

In Ezech. II, 4, 17 (B ÜRKE, CMe 21, 333). In Ezech. II, 4, 17 (B ÜRKE, CMe 21, 334). Vgl. auch in Ezech. II, 3, 13 (CCL 142, 245f); moral. V, 28, 50 (CCL 143, 252): Et quoniam ualde in humano genere pauci sunt qui a desideriorum temporalium sorde purgati ... 88 Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 281–283; GRESCHAT, Die Moralia in Job, 110–116. 89 In Ezech. II, 4, 17 (B ÜRKE, CMe 21, 333). 90 Vgl. WEBER, Hauptfragen, 241: „Die einzelnen Sünden beschreibt Gregor selten. Dafür behandelt er mit Vorliebe die verschiedenen Laster, die er immer und immer wieder aufzählt. Für Gregor ist das Laster die Sünde der Gewohnheit, aber zugleich auch der Ursprung der einzelnen Sünden. Und gerade dieser Gesichtspunkt, dass die Laster die Wurzeln sind, die Sünden aber die Sprösslinge der Laster, ist Gregor überaus vertraut. Gregor bringt auch die einzelnen Laster miteinander in Beziehung, sei es in kleineren Einheiten oder in größeren Gruppen.“ 87

3. Abkehr von der Welt

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über die römische Märtyrerin Felicitas an die Kirchengemeinde mit den nachdrücklichen Worten: „Die Liebe zu Dingen dieser Welt möge uns nicht überwinden, Hochmut nicht aufgeblasen machen, Zorn nicht zerreißen, Unzucht nicht besudeln, Neid nicht verzehren.“91

Die göttlichen Gebote stellen die Kriterien des engelgleichen Lebens auf, und man sollte sich, diesen Geboten folgend, von nichts Unreinem beflecken lassen, damit man wiederum den Engeln gleichgestellt werden kann.92 Da aber die Menschen sogar „Götter“ genannt wurden, verteidigt der Mensch durch die Aufrechterhaltung dieser Gebote eben seine göttliche Würde gegen die Laster. Die Weltentsagung dürfte dementsprechend berechtigterweise mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus verknüpfte Gregor in seiner Darstellung der sieben Hauptlaster bestimmt nicht umsonst die Liebe zur irdischen Welt und Selbstliebe mit dem Hass auf Gott. Dadurch legte er offen, dass sich nur die, die auf das Irdische verzichten, Gott in jeder Hinsicht hingeben können.93 Damit verwirklichen sie ihre Gottebenbildlichkeit und werden von den Engeln als Mitbürger anerkannt. 3.6 Exemplum angelorum Vor dem Hintergrund der Idee der himmlischen Gemeinschaft der Engel und der Menschen, die Gregor wahrscheinlich in Anlehnung an Dionysius Areopagita entfaltete, reflektierte er in der 34. Evangelienhomilie eingehend über die himmlischen Rangordnungen der seligen Geister und brachte diese mit den verschiedenen Lebensformen der einzelnen Menschen in Verbindung.94 Anhand der Heiligen Schrift stellte der Papst die These auf, dass die Beziehungen zwischen den Engel ob der Verschiedenheit der Gaben bzw. des Dienstes hierarchisch geordnet sind. Der höchste Rang unter der Schar der Engel kommt den Seraphim zu, die eine einzigartige Annäherung an den Schöpfer genießen und in unvergleichlicher Liebe erglühen.

91

In euang. I, 3, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 88). Vgl. in euang. I, 8, 2 (FC 28/1, 146): Curemus ergo, fratres carissimi, ne qua nos immunditia polluat, qui in aeterna praescientia et Dei cives, et angelis eius aequales sumus. Vindicemus moribus dignitatem nostram, nulla nos luxuria inquinet, nulla nos turpis cogitatio accuset, non malitia mentem mordeat, non invidiae rubigo consumat, non elatio inflet, non ambitio per terrena oblectamenta dilaniet, non ira inflammet. 93 Vgl. moral. XXXI, 45, 88 (CCL 143B, 1610): De luxuria, caecitas mentis, inconsideratio, inconstantia, praecipitatio, amor sui, odium Dei, affectus praesentis saeculi, horror autem uel desperatio futuri generatur. Vgl. auch. moral. IV, 30, 57 (CCL 143, 201f). 94 Vgl. in euang. II, 34, 7–14 (FC 28/2, 652–672). 92

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

Die Vielfältigkeit der Gaben bzw. Lebensformen der verschiedenen Chöre der Engel verknüpfte Gregor mit den verschiedenen Lebensformen der Menschen, indem er erwog, dass die Menschen, die im irdischen Leben zur patria caelestis zurückkehren, die Lebensformen der Engel, die in der Nähe Gottes ewig verweilen, nachahmen sollten. In Anbetracht der Ähnlichkeit der Lebensformen werden einige Menschen den entsprechenden Chören der himmlischen Geister zugerechnet. Welche Menschen werden jetzt dem erhabensten Chor der Seraphim zugeordnet, d. h. welchen Lebenswandel muss man führen, um die Herrlichkeit Gottes unmittelbar schauen zu dürfen? „Es gibt einige“, predigt der Papst, „die, von der Glut himmlischer Kontemplation entflammt, sich einzig in der Sehnsucht nach ihrem Schöpfer verzehren, nichts mehr in dieser Welt begehren, allein in der Liebe zur Ewigkeit Erfüllung finden, alles Irdische von sich weisen, alles Zeitliche geistig übersteigen, lieben und glühen, in ihrer Glut Ruhe finden ... Wie soll ich sie anders nennen als ‚Serafim‘ ...“95

Nur solche Menschen also, die die Loslösung von der Welt vollkommen vollzogen haben, werden dem Chor der Seraphim zugerechnet und Gottes Antlitz unmittelbar schauen. 3.7 Exempla sanctorum Um den Zuhörern bzw. Lesern seine Ausführungen zur geistigen Lehre näher zu bringen sowie deren moralische Schwerpunkte in anschaulicher Weise zu unterstreichen, bediente sich Gregor gerne der konkreten Geschichten aus dem Leben der Heiligen. Die Anwendung der exempla in seinen theologischen Reflexionen ist beim Papst offensichtlich pastoral motiviert und dient zur Erbauung der Kirche.96 Dies wird besonders aus dem Gedanken Gregors, dass man Christus über die Heiligen findet, offensichtlich.97 Die Heiligen verglich der Papst mit dem Morgenstern, der die 95

Vgl. in euang. II, 34, 11 (FC 28/2, 666–668). Vgl. in Ezech. II, 1, 7 (CCL 142, 213): Caelestis ciuitatis aedificium ille intrat, qui in sancta Ecclesia bonorum uias imitando considerat; in euang. II, 35, 7 (FC 28/2, 700): Non abs re arbitror, fratres carissimi, si unum vobis exemplum servandae patientiae ad aedificationem loquar. Vgl. auch in Ezech. I, 5, 6f (CCL 142, 59f): Quisquis enim carbonem tangit, inscenditur, quia qui sancto uiro adhaeret, ex eius assiduitate uisionis, usu locutionis, exemplo operis accipit ut accendatur in amorem ueritatis, peccatorum suorum tenebras fugiat, in desiderio lucis exardescat, et iam per uerum amorem ardeat, qui prius in iniquitate tantum mortuus, quantum frigidus iacebat ... Hi autem qui et exempla uirtutum praerogant, et lumen boni operis per uitam et uerbum itinerantibus demonstrant, iure lampades appellantur, quia et per ardorem desiderii, et per flammam uerbi, a peccatorum cordibus erroris tenebras expellunt; in euang. II, 25, 2 (FC 28/2, 446); in euang. II, 25, 10 (FC 28/2, 468); in euang. I, 15, 5 (FC 28/1, 248–250); in euang. II, 36, 13 (FC 28/2, 736–738). 97 Vgl. moral. XVIII, 49, 80 (CCL 143A, 944). 96

3. Abkehr von der Welt

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Helligkeit der Sonne bzw. Christus ankündigt.98 Gregors Reflexionen hinsichtlich der exempla sanctorum beinhalten immer den Bezug auf Christus, der selbst Vorbild der Heiligen ist. Infolgedessen darf man sagen, dass die imitatio sanctorum letztendlich auf die imitatio Christi zurückzuführen ist.99 In der Praefatio des ersten Buches der Dialoge,100 die der Beschreibung des Lebenswandels der heiligen Menschen in Italien, besonders des heiligen Benedikts, gewidmet sind, fasste der Papst die Nützlichkeit solcher Erzählungen zusammen: „Denn bei der Schriftauslegung sehen wir, wie die Tugend erworben und bewahrt wird; aus der Erzählung der Wunder aber erkennen wir, wie die erworbene und bewahrte Tugend sich offenbart. Auch werden manche eher durch Beispiele als durch Lehren zur Liebe zum himmlischen Vaterlande entflammt. Es entspringt sogar in der Regel aus der Erzählung der Väterbeispiele für den Zuhörer ein doppelter Nutzen, insofern er nämlich durch den Vergleich mit den Vorfahren zur Liebe zum künftigen Leben angeeifert wird und zugleich in seiner Selbsteinschätzung sich gedemütigt findet, wenn er Größeres an anderen wahrnimmt.“ 101

Aus dem Leben der heiligen Väter lässt sich auch die Bedeutung der Frohbotschaft, die man in dem Buch der Heiligen Schrift erkennen sollte, entnehmen.102 Eine weitere Nützlichkeit dieser exemplarischen Erzählungen fand Gregor im Anschuss an den Apostel Paulus in der Belehrung der Einfältigen: „Jene [die Weisen] bringen meistens Vernunftbeweise zur Bekehrung, diese [die Einfältigen] werden eher durch Beispiele zur Besserung geführt.“103

98

Vgl. moral. praef. VI, 13 (CCL 143, 18f). Vgl. darüber auch B ALSAVICH, The Witness, 102; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 132f. 100 Im Westen fand dieses Buch im Mittelalter die weiteste Verbreitung. Die Berühmtheit des Buches im Osten bezeugt allein die Tatsache, dass Gregor selbst in der Orthodoxen Kirche vornehmlich alsȱᗽɀɇɍɑīȡȘȖȩȡȚȠȢᚾǻȚȐȜȠȖȠȢ bekannt ist. Über die Rezeption Gregors im Westen und Osten vgl. MODESTO, Gregor der Große, 297–359. 101 Dial. I, praef. (FUNK, BKV2 3, 3). Vgl. auch in euang. I, 12, 7 (FC 28/1, 206–208); in euang. I, 19, 7 (FC 28/1, 332–338); in euang. II, 34, 18 (FC 28/2, 678–682); in euang. II, 35, 8 (FC 28/2, 700–702); in euang. II, 38, 15f (FC 28/2, 796–804); in euang. II, 39, 10 (FC 28/2, 828–830); in Ezech. II, 10, 19 (CCL 142, 394f). 102 Vgl. in Ezech. I, 10, 38 (CCL 142, 163): Illorum [sc. sanctorum Patrum] quippe nobis action apperit hoc quod in suis praedicationibus pagina Testamentorum dicit. Vgl. auch moral. V, 6, 10 (CCL 143, 225): Quia sapientiam perquirentes, cum sacrae scripturae paginas uoluimus, cum exempla praecedentium perscrutamur … 103 Past. 3, 6 (FUNK, BKV2 4, 142). Danach fuhr Gregor fort: „Für jene [sc. die Weisen] ist es gut, wenn sie in ihren eigenen Schlingen gefangen werden; für diese [die Einfältigen] reicht es bisweilen schon hin, zu erfahren, was andere Lobenswürdiges tun.“ 99

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

Dadurch lässt sich durchaus eine Parallele zwischen den exempla sanctorum und den Kirchenfresken, die in der östlichen Tradition häufig als das Evangelium für die Ungebildeten bezeichnet worden sind, aufweisen. Häufig führte also Gregor den Gläubigen die Vorbilder der Heiligen vor Augen, die eine völlige Abkehr von der Welt vollzogen, um sich unablässig nur dem Himmlischen widmen zu können. Ihr Lebenswandel erscheint bei Gregor als Inbegriff des Ideals der Loslösung von der Diesseitsorientierung.104 „Da wir also, geliebte Brüder,“ sagte Gregor in der 5. Evangelienhomilie, „das Geburtsfest des seligen Apostels Andreas feiern, müssen wir nachahmen, was wir verehren. Das Fest zeige unsere gehorsame Hingabe in gewandeltem Sinn.“ 105

Die heiligen Apostel Petrus und Andreas verließen ihre Netze bzw. ihren gesamten Besitz nur auf ein einziges Wort des Herrn hin, obwohl sie ihn weder Wunder wirken sahen noch die Worte über die ewige Vergeltung hörten. Der Mensch hingegen, obschon er Zeuge zahlreicher Wunder Gottes ist, von vielen Heimsuchungen bedrängt ist, die Prophezeiungen des Herrn in Erfüllung gehen sieht, weist es von sich, dem Ruf Christi zu folgen, und will nicht freiwillig aufgeben, was er unfreiwillig täglich verliert.106 In diesem Kontext kommen bei Gregor wiederum die historischen Umstände als Ansporn für die Entfaltung der geistigen Lehre zur Geltung. Früher, als alle irdischen Reiche in voller Blüte standen, war es äußerst schwer, das unsichtbare Himmelreich und die Abkehr von der Welt zu verkünden und sich dem Ewigen zu widmen.107 Jedoch traten die heiligen Nereus und Achilleus so eine blühende Welt nieder und zogen das Unsichtbare dem Sichtbaren vor. „Es gab langes Leben,“ predigte der Papst weiter am Grab der erwähnten Heiligen, „beständiges Wohlergehen, materiellen Überfluß, Fruchtbarkeit in der Nachkommenschaft, Ruhe in anhaltendem Frieden; und dennoch, obwohl die Welt in sich selbst blühte, war sie schon in ihren Herzen verdorrt. Seht, schon ist die Welt in sich verdorrt, aber noch blüht sie in unserem Herzen.“108

Obschon die zusammenstürzende Welt lediglich selbst auf Gott verweist, haftet der Mensch beständig an ihr. Der Untergang der Welt verkündet dennoch, dass diese irdische Welt nicht geliebt werden darf. Umso leichter 104

Vgl. in euang. I, 11, 3 (FC 28/1, 184): Nec enim sancta haec, cuius hodie natalitia celebramus, mori pro Deo potuisset in corpore, si prius a terrenis desideriis mortua non fuisset in mente. Vgl. auch in euang. I, 3, 4 (FC 28/1, 88): Haec [sc. beata Felicitas] ad regnum etiam per ferrum exiit, nihilque esse quod obsistebat, aestimavit. 105 In euang. I, 5, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 109). 106 Vgl. in euang. I, 5, 1 (FC 28/1, 102). 107 Vgl. in euang. I, 4, 2 (FC 28/1, 94). 108 In euang. II, 28, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 525).

3. Abkehr von der Welt

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sollte es folglich dem Menschen fallen, sich von der leidenschftlichen Liebe zur Welt zu lösen, indem er alles schon zerstört sieht.109 3.8 Exemplum Christi Die zentrale Bedeutung in Gregors soteriologischer Konzeption der exempla kommt gewiss dem exemplum Christi zu. Obschon dieses Thema etwas später zur Sprache kommen wird, sei mit wenigen Worten darauf hingewiesen, was das Thema der Weltabkehr anbelangt. In der Menschwerdung erschien Christus sichtbar, um das Unsichtbare zu offenbaren und uns durch sein Beispiel zu verwandeln.110 Durch den exemplarischen Charakter des Inkarnationsgeschehens wies Gott den Menschen auf den Weg zum ewigen Leben,111 indem er eine neue Ordnung bzw. Lebensweise, anhand derer der Mensch sich von der Diesseitsorientierung loslösen sollte, aufstellte. Alle Annehmlichkeiten des gegenwärtigen Lebens vermied Christus, verschmähte Wohlergehen, nahm aber die Schmach freiwillig auf sich. So mied er, was die anderen erstreben, und erstrebte, was die anderen mieden.112 Um mit Gregor zu sprechen: „Denn als er kam, lehrte er uns, die vergänglichen Güter zu verachten und die zeitlichen Übel nicht zu fürchten. So hat er Schmähungen nicht gescheut, Unrecht erduldet, den Tod nicht gefürchtet ... Durch diese Beispiele wollte er uns auf nichts anderes hinweisen, als dass wir die Widrigkeiten dieser Welt nicht zu fürchten und deren Annehmlichkeiten zu meiden hätten; denn zumeist nehmen deren Güter die Seele mehr gefangen als deren Übel sie beunruhigen.“113

Indem Gott diese neue Perspektive der Lebensführung dem blinden Menschen gab, lehrte er ihn beispielhaft, dass dieses Leben nur wegen des an-

109

Vgl. in euang. I, 4, 2 (FC 28/1, 94). Vgl. in Ezech. II, 4, 20 (CCL 142, 272f). 111 Vgl. in euang. II, 32, 6 (FC 28/2, 606–608): Pensemus facta Veritatis, ut videamus quo iacent nostrae pravitatis actiones. Si enim membra summi capitis sumus, imitari eum cui connectimur, debemus; in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 28–30). 112 Vgl. moral. XXX, 24, 69 (CCL 143B, 1538): Homo quippe inter homines factus, usum tenere hominum noluit. Idcirco namque inter nos homo factus est, ut non solum nos sanguine fuso redimeret, sed etiam ostenso exemplo commutaret. In conuersatione igitur nostra et ueniendo alia inuenit, et uiuendo alia docuit. Studebant enim omnes superba Adam stirpe progeniti, prospera uitae praesentis appetere, aduersa deuitare, opprobria fugere, gloriam sequi. Venit inter eos incarnatus Dominus aduersa appetens, prospera spernens, opprobria amplectens, gloriam fugiens. Nam cum Iudaei illum regem sibi constituere uoluissent, fieri rex refugit. Cum uero eum interficere molirentur, sponte ad crucis patibulum uenit. Fugit ergo quod omnes appetunt, appetiit quod omnes fugiunt. 113 In Ezech. II, 2, 6 (B ÜRKE, CMe 21, 287). 110

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

deren ewigen zu ertragen ist. Somit wird Christus selbst zum exemplum imitationis.114

4. Der Zug in die Innerlichkeit Die Weltabkehr und die Loslösung von der Diesseitsorientierung werden weiterhin durch die Abwendung vom Äußeren und Ausrichtung nach dem Inneren vollzogen. Da der Mensch die schöpfungsgemäße Ausrichtung des Lebens im Sündenfall verlor, braucht er nun einen umgekehrten Prozess, durch den er erneut die Sehnsucht nach der verlorenen Glückseligkeit zu entflammen vermag und der das Voranschreiten der Seele im kontemplativen Leben ermöglicht. Demgemäß soll der Mensch, der damals dem Äußeren verfallen ist, jetzt mit allem, was äußerlich ist, brechen.115 Der darniederliegende Mensch benötigt also eine Art spiritueller Leiter, damit er zu sich selbst und zu Gott zurückkehren kann. Den Anfang dieser Rückkehr setzt er gewiss durch die Loslösung vom Diesseits, weil er sich nach dem Sündenfall in einem Zustand der Weltverfallenheit befindet. Durch die Aufgabe aller Äußerlichkeiten „macht [die Seele] sich gleichsam eine Art Leiter, mittels derer sie von den äußeren Dingen aufsteigend in sich selbst hineingeht und dann von sich weg zum Schöpfer hinaufstrebt.“116

Ähnlich schildert der Papst die Stufen des Aufstiegs in der Ezechielhomilie: „Der erste Schritt besteht daher darin, dass die Seele sich in sich selbst sammelt, der zweite, dass sie sich in dieser Sammlung wahrnimmt, der dritte, dass sie sich über sich selbst hinausschwingt und sich unverwandten Blickes der Schau des unsichtbaren Schöpfers hingibt.“117

Die Reihenfolge dieser Schritte spiegelt genau in umgekehrter Weise den Abfall des Menschen von Gott wider. Dies bringt ebenso das Verständnis der Erlösung als Rückkehr, das bei Gregor vorkommt, zum Ausdruck.

114

Vgl. moral. XXX, 24, 69 (CCL 143B, 1538): Sed dum fugit quod omnes appetunt, appetiit quod omnes fugiunt, fecit quod omnes mirarentur, ut et mortuus ipse resurgaret et morte sua alios de morte resuscitaret … Exemplo suo nos docens quod haec uita quam ante mortem ducimus non propter se amanda sit, sed propter alteram toleranda. Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 132. 115 Vgl. in euang. I, 10, 7 (FC 28/1, 176–178); moral. VI, 37, 58 (CCL 143, 328f). 116 Vgl. moral. V, 34, 62 (CCL 143, 261): Hoc autem modo quasi quamdam scalam sibi exhibet semetipsam per quam ab exterioribus ascendendo in se transeat, et a se in auctorem tendeat. 117 In Ezech. II, 5, 9 (B ÜRKE, CMe 21, 343).

4. Der Zug in die Innerlichkeit

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Wenn der Papst die Erlösung des Menschen reflektierte, sprach er nämlich häufig von einem Rückkehr in „unser Land“ bzw. ins Paradies.118 Dieses Emporsteigen verläuft jedoch nicht ohne Schwierigkeiten, weil die menschliche Natur durch den Sündenfall wesentlich geschwächt wurde. Deshalb unterstrich Gregor die Unausweichlichkeit der harten Kämpfe beim Emporsteigen auf die geistige Leiter, die die Seele durchzustehen hat, um sich selbst frei von körperlichen Bildern betrachten zu können: „Doch kann sie sich auf keine Weise in sich selbst sammeln, wenn sie nicht zuvor gelernt hat, die Vorstellungen irdischer und himmlischer Bilder vom Auge des Geistes zu entfernen und all das abzuweisen und mit Füßen zu treten, was immer ihr aus dem körperlichen Gehör, Gesicht, Geruch, Getast und Geschmack in den Sinn kommt. Sie soll sich innerlich so zu sehen trachten, wie sie sich ohne all dies vorfindet. Solange sie an derartiges denkt, wälzt sie gleichsam die Schattenbilder der Körperwelt in ihrem Inneren herum. All das ist also mit trennender Hand aus den Augen des Geistes zu entfernen, indem sich die Seele so betrachtet, wie sie unterhalb Gottes, aber oberhalb der Körperwelt geschaffen wurde.“119

Den Gewinn, der die Frucht dieser geistigen Anstrengungen ist, lobte der Papst sehr, weil nur dadurch die Seele das Ewige zu betrachten vermag.120 In seiner Auslegung des Hohenliedes stellte Gregor wiederum eine Art Leiter zur Betrachtung Gottes heraus, wo ebenso der Loslösung vom Irdischen die Schlüsselrolle zukommt: „Das erste ist doch, die Sitten zu formen; dann geht es darum, alles, was da ist, so zu erachten, als ob es nicht wäre, an dritter Stelle aber folgt, mit feiner Genauigkeit des Herzens auf das Himmlische und Innere zu schauen. Durch diese Abstufung der Bücher [des Salomon]121 machte man gleichsam eine Art Leiter zur Betrachtung Gottes: so daß, während zuerst das Ehrenhafte dieser Zeit gut getan, danach das Ehrenhafte dieser Zeit auch verachtet, zum Schluß jedoch das Innerste Gottes geschaut wird.“ 122

118

Vgl. in euang. I, 10, 7 (FC 28/1, 176). In Ezech. II, 5, 9 (BÜRKE, CMe 21, 343f). Vgl. auch moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261): Cum uero miris conatibus ab his exsurgere nititur, magnum ualde est si ad cognitionem suam, repressa corporali specie, anima perducatur; moral. VI, 37, 59 (CCL 143, 329); moral. XXIII, 21, 42 (CCL 143A, 1176); moral. XXX, 10, 39 (CCL 143B, 1518f); in Ezech. II, 1, 18 (CCL 142, 223). 120 Vgl. moral. V, 34, 61f (CCL 143, 261f): Ut semetipsam sine corporea imagine cogitet et cogitando se, uiam sibi usque ad considerandam aeternitatis substantiam paret … Cum enim corporeas imagines deserit, in semetipsam mens ueniens non modicum ascendit. 121 Damit sind die drei Bücher des Salomon (das Buch der Sprichwörter, das Buch Kohelet und das Hohelied), die der Papst mit drei Lebensordnungen (die moralische, die natürliche und die kontemplative) verbindet, gemeint. 122 In cant. 9 (FRANK, CMe 29, 101f). Die gleiche Interpretation der salomonischen Bücher befindet sich bei ORIGENES, in Cant. comm., prologus (GCS 8, 75): Generales disciplinae … tres sunt, quas Graeci ethicam, physicam, enopticen appellarunt; has nos dicere possumus moralem, naturalem, inspectivam. 119

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

Man muss sich demnach von aller Weltverfallenheit lösen und sich in jeder Hinsicht auf das Himmlische ausrichten,123 um die Voraussetzungen für die Verinnerlichung zu schaffen. Man muss, mit Gregors Worten, aufhören, gegenüber der Welt zu leben. Der Mensch stirbt aber gegenüber dieser Welt erst dann, wenn er jegliches irdische Verlangen abtötet und seine Gedanken nunmehr nicht im Weltlichen schweifen lässt. Daraufhin findet man Zuflucht im Versteck der inneren Kontemplation, die das Grab für den Verstand darstellt, wo die Seele, die alle äußere Beunruhigung von sich abweist, versteckt weilt.124 Darüber hinaus enthüllt Gott in höherem Grad die Innerlichkeit denjenigen, die sich sorgfältig von der Außenwelt reinigen.125 Das Motiv des stufenartigen Fortschritts des Menschen findet offensichtlich häufig sein Echo in der Theologie Gregors. So reflektierte der Papst in seiner Auslegung des Ezechielbuches (40, 31) das achtstufige Emporsteigen des Menschen zu den inneren Toren, die er mit den Glaubenslehrern der Kirche identifizierte. Die Loslösung vom Diesseits setzte der Papst hierin dem Aufstieg auf die höchste achte Stufe, die die Mysterien des kontemplativen Lebens bezeichnet, voraus: „Zu den Toren des geistigen Bauwerks führen sieben Stufen, sofern die Lehrmeister ihren Jüngern die Furcht des Herrn, Frömmigkeit und Wissenschaft, Stärke und Rat, Einsicht und Weisheit predigen. Wenn sie aber vorschreiben, dass man alles verlassen, nichts in dieser Welt lieben, an nichts in Leidenschaft festhalten, sich in der Betrachtung des himmlischen Vaterlandes widmen solle, und dazu raten, in dessen Mysterien seine Seligkeit zu finden, dann fügen sie die achte Stufe hinzu und weisen auf den Weg nach innen.“126

Auf diese achte Stufe wies Christus selbst den reichen Mann (Mt 19, 20), der sich eben auf der siebten Stufe befand. Dennoch stieg er nicht hinauf, weil er sich nicht von jeglichen zeitlichen Gütern loslösen wollte. In sei-

123

Vgl. moral. XXII, 16, 35 (CCL 143A, 1117): Hinc etiam Habacuc dicit: Super custodiam meam stabo. Stat quippe super custodiam suam, qui per sollertiam disciplinae terrenis desideriis non succumbit, sed supereminet, ut dum semper stantem appetit aeternitatem, infra sit ei omne quod transit. 124 Vgl. moral. V, 6, 9 (CCL 143, 224f): Sicut enim sepulcrum locus est quo absonditur corpus, ita diuina contemplatio quoddam sepulcrum mentis est quo absconditur anima. Quasi enim huic adhuc mundo uiuimus, cum mente in eum foras uagamur; sed mortui in sepulcro abscondimur, cum mortificati exterius in secreto internae contemplationis celamur … ut exstinctus mundo lateat et cunctis exteriorum rerum perturbationibus intra sinum se animi amoris abscondat. Vgl. auch moral. XVIII, 54, 89 (CCL 143A, 952). 125 Vgl. moral. III, 30, 59 (CCL 143, 151): Tanto magis Dominus interiora denuntiat, quanto se studiosius homines ab exterioribus purgant. 126 In Ezech. II, 8, 4 (B ÜRKE, CMe 21, 403f).

4. Der Zug in die Innerlichkeit

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nem Inneren wurde er also dadurch eng, indem er sich aufgrund seiner Güter im Äußeren zu sehr ausgeweitet hatte.127 Die Heiligen dagegen besteigen in ihrem beispielhaften Leben gerade diese achte Stufe, d. h. sie folgen dem Gebot Christi mit ganzem Herzen. Sie töten jedes Verlangen nach dem Irdischen ab und weisen das Getöse der weltlichen Gedanken von sich ab. Da sie die Gesamtheit der vergänglichen Dinge verachten, leiden sie nicht an den widerspenstigen Gedanken, die im Irdischen wurzeln. In ihrer Ausrichtung auf die ewige Heimat genießen sie die große Ruhe im Herzen. Sie errichten sich also eine Einöde, in der sie sich ohne Rücksicht auf das Irdische nur nach dem Ewigen sehnen, indem sie den Lärm des irdischen Begehrens aus dem Herzen vertrieben.128 Die Verinnerlichung des Menschen verknüpfte Gregor auch mit der Erkenntnis Gottes bzw. die Erkenntnis Gottes erachtete Gregor als von der Loslösung vom Irdischen bedingt. Der Mensch flieht vor der Menge der irdischen Begierden in die große Einöde, die sich in seinem eigenen Inneren befindet. Dort findet er Zuflucht vor dem Tumult der weltlichen Geschäfte und die Ruhe des Geistes, wo er Gott umso klarer zu erkennen vermag, je mehr er sich mit ihm allein befindet.129 Was hier für die Erkenntnis Gottes gesagt wurde, lässt sich ebenso für das Gebet behaupten. Die Menschen, die sich täglich mit vielen irdischen Dingen beschäftigen, vermögen kaum all die Bilder dieser Dinge aus den geistigen Augen zu vertreiben. Infolgedessen, obschon die Seele zur Zerknirschung gebracht wird, lähmen die körperlichen Bilder den Willen zur Zerknirschung im Gebet.130

127

Vgl. in euang. II, 37, 6 (FC 28/2, 750). Vgl. moral. IV, 30, 58 (CCL 143, 203): Sancti uiri quia nihil huius mundi appetunt, nullis procul dubio in corde tumultibus premuntur. Omnes quippe inordinatos desideriorum motus a cubili cordis manu sanctae considerationis eiciunt et quia transitoria cuncta despiciunt, ex his nascentes cogitationum insolentias non patiuntur. Solam namque aeternam patriam appetunt; et quia nulla huius mundi diligunt, magna mentis tranquillitate perfruuntur. Vnde recte dicitur: Aedificant sibi solitudines. Solitudines quippe aedificare, est a secreto cordis terrenorum desideriorum tumultus expellere et una intentione aeternae patriae in amorem intimae quietis anhelare. 129 Vgl. moral. IV, 30, 58 (CCL 143, 203): A frequentia quippe terrenorum desideriorum fugerat, ad magnam uidelicet solitudinem semetipsum, ubi eo tutius nil extraneum conspiceret quo incompetens nil amaret. A tumultu rerum temporalium magnum quoddam secessum petierat quietam mentem in qua tanto purius Deum cerneret, quanto hunc cum se solo solum inueniret. 130 Vgl. in Ezech. I, 8, 13 (CCL 142, 108). 128

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung „Was wir nach außen hin willentlich getan haben, das erleiden wir jetzt innerlich gegen unseren Willen, und bestimmte gedankliche Vorstellungen zerstreuen mit ihren körperlichen Bildern den Geist, dass er sich im Gebet nicht recht sammeln kann.“131

In diesen Kampf um die Wiederherstellung der richtigen Ausrichtung des Lebens, d. h. der Ausrichtung nach dem Inneren bzw. nach dem Himmlischen, tritt der Mensch jedoch nicht allein. Wohl wissend um menschliche Schwachheit nach dem Sündenfall bzw. der Abwesenheit der soliditas standi, die früher bewirkte, dass der Mensch stante mente in der Kontemplation Gottes verweilen konnte,132 legte Gregor den Akzent darauf, dass kein Mensch aus eigener Kraft bzw. ohne die göttlichen Gnade fähig sei, das Irdische zu verachten und das Himmlische zu lieben.133 Im permanenten Voranschreiten zur patria caelestis ist man also auf den Beistand Gottes angewiesen.134 Diesbezüglich hob der Papst insbesondere die Rolle des Heiligen Geistes in der Heilsökonomie hervor. „Denn der Heilige Geist, der das Herz erfüllt, versetzt es durch das Wohlgefallen an ewigen Dingen in Bitterkeit gegenüber den zeitlichen. Süß sind dem Menschen die irdischen Dinge, doch nur dem, der die Freuden an den himmlischen noch nicht verkostet hat, denn je weniger einer die ewigen Dinge begreift, desto zufriedener ist er mit den zeitlichen. Wer jedoch die Süßigkeit der himmlischen Belohnungen, die lobsingenden Engelchöre, die unbegreifliche Schau der Heiligen Dreifaltigkeit im Mund des Herzens verkostet hat: je süßer ihm all das innerlich Geschaute geworden ist, desto mehr wird ihm alles, was er äußerlich erduldet, in Bitterkeit verwandelt.“135

So nämlich betrachtet Gregor das Wirken des Heiligen Geistes in der Heilsordnung angesichts der Loslösung vom Diesseits. Wenn ein Mensch vom Heiligen Geist erfüllt ist, sehnt er sich nach dem Ewigen „und tritt alles Irdische voll Verachtung mit Füßen.“136 Je mehr einer in der Erkenntnis der himmlischen Dinge voranschreitet, desto mehr verschmäht er es, seine Seele den irdischen zu unterwerfen. Der Heilige Geist wird auch „Feuer“ genannt, weil er die Herzen der fleischlich Gesinnten entflammt und bewirkt, dass sie die Begierden dieser Welt aufgeben und zu Gottes Liebe entbrennen.137 Das sind in gleicher 131

In Ezech. I, 8, 13 (B ÜRKE, CMe 21, 146). Vgl. LIEBLANG, Grundfragen, 34f. 133 Vgl. in Ezech. I, 10, 44 (CCL 142, 167): Nam quando homo ex sua uirtute sufficiat terrena despicere, caelestia amare, pacem cum Deo quaerere, secum rixam subire, in cogitatione semetipsum reprehendere, et gemitibus punire? Nullus haec agere nisi quem diuina gratia roborauerit ualet. 134 Vgl. in euang. II, 36, 13 (FC 28/2, 738). 135 In Ezech. I, 10, 43 (B ÜRKE, CMe 21, 212). 136 In Ezech. I, 10, 43 (B ÜRKE, CMe 21, 213). 137 Vgl. in euang. II, 30, 5 (FC 28/2, 560). Vgl. auch moral. IX, 53, 80 (CCL 143, 511f); moral. XXVII, 16, 32 (CCL 143B, 1354f); moral. V, 28, 50 (CCL 143, 252): Potest etiam per uerbum absconditum, allocutio intimae aspirationis intellegi; de qua 132

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Weise die Kennzeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes und die Kennzeichen der Zugehörigkeit zu Gott, wie Gregor in Anlehnung an den Apostel Paulus (Röm 8, 9) sagte. Durch die Prüfung der eigenen Werke vermag folglich jeder Mensch zu erkennen, ob er von diesem Geist erfüllt ist und ob er zum ewigen Mahl Gottes gelangen wird, weil man bereits aus dem Gegenwärtigen erkennen kann, was ihm in der Zukunft zuteil werden kann.138 Anschließend schildert der Papst die Wirkung des Heiligen Geistes: „Bedenkt, wer der Geist Christi ist. Doch jener, der bewirkt, Freunde und Feinde zu lieben, Irdisches zu verachten, nach dem Himmlischen zu erglühen, das Fleisch wegen der Laster abzutöten, das Herz in den Begierden zu zügeln!“ 139

Auf diese Weise betrachtete Gregor in seiner soteriologischen Konzeption die Wirkung des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist löst also von der Weltverfallenheit und von der Diesseitsorientierung und lenkt die Gläubigen auf das Himmlische hin, indem er in ihnen die Sehnsucht nach der patria caelestis entflammt.

5. Bona temporalia Im Hinblick auf Gregors Reflexionen über die irdische Welt lässt sich bereits seine Auffassung von den bona temporalia andeuten. Die Grundhaltung des Papstes gegenüber den bona temporalia lässt sich mit seinen eigenen Worten so beschreiben: Relinquat ergo omnia, qui potest.140 Der erste Teil dieser Maxime (relinquat ergo omnia) lässt sich ohnehin mit der Doktrin Gregors über die Loslösung von der Diesseitsorientierung in Einklang bringen. Damit man die Ausrichtung nach dem Himmlischen, was den einzigen wahren Sinn der menschlichen Existenz darstellt, in diesem Leben verwirklichen kann, gilt es nämlich als unausweichlich, die richtige Haltung gegenüber dem Irdischen einzunehmen. In Hinsicht darauf ließ der Papst keinen Zweifel daran, wie mit den bona temporalia umzugehen ist. „Lernt also, Brüder, alles Zeitliche zu verachten, lernt, vergängliche Ehre geringzuschätzen, ewige Herrlichkeit zu lieben.“141 So forderte Gregor seine Zeitgenossen am Ende der letzten Evangelienhomilie Ioannes dicit: Vnctio eius docet uos de omnibus. Quae nimirium aspiratio humanam mentem contigendo subleuat et temporales cogitationes deprimens, aeternis hanc desideriis inflammat ut nihil ei iam, nisi quae superna sunt, libeat et cuncta quae inferius de humana perstrepunt corruptione contemnat. 138 Vgl. in euang. II, 24, 6 (FC 28/2, 438). 139 In euang. II, 24, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 439). 140 In euang. II, 37, 10 (FC 28/2, 762). 141 In euang. II, 40, 12 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 869–871).

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auf und ließ dadurch seine Auffassung von dem Verhältnis zu den irdischen Dingen deutlich werden. Die irdischen Güter gleichen dem Reiseproviant auf dem Pilgerweg dieses vergänglichen Lebens. Infolge ihres provisorischen Charakters darf man sie nicht zum Hindernis auf dem Weg zur himmlischen Heimat werden lassen. Der Mensch soll diese Gaben stattdessen zum Anlass nehmen, auf die Suche nach dem Geber zu gehen.142 Eben aus diesem Grund wurde dem Volk Israel bei der Befreiung aus Ägypten das Land der Verheißung versprochen.143 Gott reicht dem Menschen das Sichtbare bzw. etwas, was unmittelbar erfasst werden kann, damit er den Glauben des Menschen an das Unsichtbare, an dessen Existenz man glaubt, dadurch befestigt. „Indem also der allmächtige Gott Irdisches schenkt, überzeugt er vom Himmlischen, damit das Volk durch den Empfang des Sichtbaren lernte, das zu erhoffen, was es in keiner Weise zu sehen vermochte, und im Hinblick auf das Unsichtbare umso sicherer würde, je mehr es sich auf eine sichtbare Verheißung stützen konnte, die seiner Hoffnung Gewissheit verlieh.“144

Weltliche Erfolge145 sollen als Tröstungen in der Trübsal, nicht aber als endgültiger Lohn betrachtet werden. Infolgedessen soll der Mensch seinen Geist vom Streben nach dem Glück dieser Welt abziehen und sein Wohlleben aus der Liebe zur jenseitigen Welt einschränken. Sonst „macht man sich aus dem Glück in diesem vergänglichen Leben eine Gelegenheit zu ewigem Tode.“146 Der Mensch gerät in Gefahr, seine gottgegebene Bestimmung zu verspielen, wenn er dem Irdischen verfällt bzw. wenn er die Grundlage seiner Existenz auf das Irdische stellt. Der reiche Mann aus der Evangelienperikope (Lk 16, 19–31) verfehlt sich folglich, indem er völlig diesseitsorientiert das Himmlische aus den Augen verliert. Er wurde deswegen verurteilt, „weil er sich in schlimmer Weise an die empfangenen Dinge verloren hatte.“147 Gregor legte überdies besonders den Akzent darauf, dass die ver142

Vgl. past. 3, 26 (BKV2 4, 217f). Vgl. past. 3, 26 (FUNK, BKV2 4, 219): „Darum wurde dem Volk Israel das Land Kanaan verheißen, um es zur Hoffnung auf ewige Güter zu vermögen. Denn das rohe Volk hätte den Verheißungen Gottes in Bezug auf etwas Ferneliegendes nicht geglaubt, wenn es von dem Verheißenden nicht etwas Naheliegendes empfangen hätte. Damit also sein Glaube an das Ewige gefestigt werde, wird es nicht bloß von der Hoffnung auf Erfüllung, sondern auch von der Erfüllung auf Hoffnung hingewiesen.“ 144 In euang. II, 32, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 611). 145 Das Streben nach irdischem Gewinn und Ruhm wird hier im Zusammenhang mit dem Verhältnis zu den irdischen Gütern betrachtet, was aufgrund der Werke Gregors durchaus berechtigt ist. 146 Past. 3, 26 (FUNK, BKV2 4, 217). 147 In euang. II, 40, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 845–847). Vgl. auch in Ezech. II, 7, 2 (CCL 142, 316f). 143

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gänglichen äußeren Güter dem Reichen angesichts seiner ewigen Verdammnis als Ausgleich für einige gute Taten, die er auf der Erde vollbracht hatte, gegeben wurden.148 Hierbei ist besonders zu beachten, dass die irdischen Güter an sich bzw. der Besitz dieser Güter nicht a priori als etwas Sündhaftes missbilligt werden, sondern nur der Missbrauch der empfangenen Gaben, sei er nun aus Überheblichkeit, Geiz oder Essgier motiviert – das gilt hier gleichviel –, wurde seitens des Papstes verurteilt.149 Gregor sagte darüber ausdrücklich: „Auch die Gerechten können hier nämlich Gutes haben, aber es nicht als Ausgleich empfangen, denn da sie Besseres, das heißt Ewiges, erstreben, erscheint in ihrem Urteil alles vorhandene Gute in keiner Weise als solches, da sie in ewiger Sehnsucht glühen. Obwohl der Prophet David, der von den Schätzen des Reiches und vielerlei Huldigung umgeben war, all dies als notwendige Güter betrachtete, glühte er deshalb im Verlangen nach einem einzigartigen Gut, als er sprach: ‚Mein Gut aber ist, Gott verbunden zu sein‘.“150

Hier liegt also nach Gregors Auffassung der Stolperstein.151 Der Mensch, der sich in vergänglicher Zeit freut, genießt das Gegenwärtige und erblickt aufgrund dessen nicht das Künftige. Ein solcher Mensch, der den irdischen Gelüsten und den gegenwärtigen Dingen ergeben ist, vermeidet es sogar, auf das Künftige vorauszublicken, weil dadurch seine Freude an den vergänglichen Dingen im Hinblick auf die endgültige Bestrafung gestört wird.152 Deshalb betonte der Papst häufig den provisorischen Charakter des

148

Vgl. in euang. II, 40, 6 (FC 28/2, 854); moral. V, 1, 1 (CCL 143, 218f). Vgl. in euang. II, 40, 2–5 (FC 28/2, 836–852). 150 In euang. II, 40, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 843). Vgl. auch moral. V, 2, 2 (CCL 143, 219): Quia enim per sancti uiri ita prosperitatem saeculi despicientes calcant, sicut et aduersitatem eius calcantes tolerant per magnam mentis celsitudinem mundi sibi et aduersa et prospera substernentes dicunt: Sicut tenebrae eius, ita et lumen eius. Ac si apertius dicant: Sicut intentionis nostrae fortitudinem eius tristia non premunt, ita hanc nec blanda corrumpunt. 151 Vgl. auch moral. V, 1, 1 (CCL 143, 219): Sciunt [sc. sancti uiri] namque quia mens dum blanda occupatione premitur, aliquando libens ad exteriora deriuatur. Sciunt quia saepe sic hanc clandestina cogitatio decipit ut quomodo permutetur ignoret. Pensant autem quae sint aeterna bona quae cupiunt et cognoscunt quam nihil sit omne quod blandum temporaliter arridet; cunctaque huius mundi prospera mens eorum eo aegre tolerat, quo supernae felicitatis est amore sauciata tantoque magis in praesentis dulcedinis aspernatione erigitur, quanto hanc conspicit quia furtiue sibi in aeternae gloriae despectu blanditur. 152 Vgl. in euang. II, 39, 3 (FC 28/2, 812–814). Vgl. auch in euang. I, 15, 3 (FC 28/1, 244): Notandum vero est, quod exponens Dominus dicit, quia solicitudines, et voluptates, et divitiae soffocant verbum. Soffocant enim, quia importunis cogitationibus suis guttur mentis strangulant: et dum bonum desiderium intrare ad cor non sinunt, quasi aditum flatus vitalis necant. 149

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Irdischen. Er ermahnte auch jene, die in ihren zeitlichen Unternehmungen Glück haben, „sie sollten, wenn alles nach Wunsch geht, des Gebers nicht vergessen, sondern die Gaben wohl betrachten, damit sie nicht das Pilgern statt des Vaterlandes lieben, nicht die Verkehrsmittel zu Hindernissen für die Ankunft machen, nicht aus Lust am nächtlichen Mondenschein den Blick von der Sonnenhelle abwenden.“153

Folglich hat derjenige, der das Wort der Verkündigung von der ewigen Heimat hört, obschon er vergängliches Glück genießt, doch keinen Grund zur Freude, weil er des ewigen Glückes immer noch entbehrt.154 Er begehrt infolge der Sinnesänderung nicht irdischen Gewinn und Ruhm.155 Im Gegenteil, „wer nämlich die Lieblichkeit des himmlischen Lebens, soweit es irgend möglich ist, vollkommen erkannt hat, der gibt alles, was er auf Erden geliebt hat, mit Freude auf; im Vergleich zu ihr wird alles wertlos; er verzichtet auf seinen Besitz, verteilt, was er anhäufte; sein Geist entbrennt für das Himmlische; nichts Irdisches macht mehr Freude, unschön erscheint alles, was an irdischer Schönheit gefiel, da allein der Glanz der kostbaren Perle [sc. des Himmelreiches] im Geist erstrahlt.“156

Das ist also die Perspektive Gregors, die eschatologische Perspektive, die Perspektive der patria caelestis, aus der der Papst alles Irdische betrachtete und bewertete. Eben darum behauptete er anschließend, dass die Liebe zum ewigen Leben den Hang zur materiellen Welt tötet und denjenigen, der von dieser Liebe restlos verschlungen ist, „sozusagen unempfindsam für äußeres irdisches Verlangen“ macht.157 Von diesem Standpunkt aus kritisierte der Papst die Menschen, die sich unaufhörlich mit ganzem Herzen um die nötigen irdischen Dinge (necessaria) sorgen. Obschon sie sich nichts Sündhaftes wünschen, verfehlen sie sich, indem sie, ihrem subjektiven Bedürfnis folgend, dies fortgesetzt begehren und sich dadurch dem Irdischen unterwerfen.158 Im Gegenteil dazu beschreibt der Papst bildhaft, auf welche Weise man in diesem Leben zum Himmlischen voranschreitet: „Denn darin besteht der Unterschied zwischen einem irdischen und einem himmlischen Bauwerk, dass man das irdische Bauwerk errichtet, indem man die Mittel sammelt, das himmlische jedoch, indem man die Mittel verteilt. Zu jenem beschaffen wir

153

Past. 3, 26 (FUNK, BKV2 4, 217). Vgl. past. 3, 26 (BKV2 4, 218). 155 Vgl. in Ezech. I, 10, 7 (CCL 142, 147f). 156 In euang. I, 11, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 183–185). 157 In euang. I, 11, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 185). 158 Vgl. moral. IV, 30, 57 (CCL 143, 202f). Vgl. auch in euang. II, 32, 5 (FC 28/2, 604). 154

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die Mittel, wenn wir sammeln, was wir nicht haben; zu diesem beschaffen wir die Mittel, wenn wir verlassen, was wir haben.“159

Das ist der Weg der Vollkommenheit, der zur patria caelestis führt. Der Reiche (Mt 19, 16–22) vermag in seinem Streben nach der ewigen Heimat diesen Weg nicht zu beschreiten, weil er seinen beträchtlichen Besitz nicht aufgeben will. Er weigert sich, die irdischen Güter zu verlassen, die man sowieso auf dem Weg dieses Lebens verliert.160 Gleichermaßen kritisierte der Papst die Menschen, die die weltlichen Erfolge und Ehren allen anderem vorziehen. In der Auslegung des Ezechielbuches (3, 7) identifizierte er solche Menschen mit den Israeliten, die eine trotzige Stirn und ein verstocktes Herz hatten.161 Ebenso haben diese Menschen, von der Liebe zu irdischen Dingen völlig besiegt, eine abgestumpfte Stirn, weil sie sich stets im Irdischen abplagen. Obschon sie aufgrund der Anstrengung die eigene Schwäche wohl fühlen, weichen sie von den weltlichen Tätigkeiten nicht ab, so dass die Müdigkeit ihnen sogar noch Genugtuung ist. Solche beschreibt Gregor anschließend folgendermaßen: „So ist gewissen irregeleiteten Leuten nichts unangenehmer, als wenn ihnen verweigert wird, sich in den Geschäften dieser Welt abzumühen. Manche, von weltlicher Geschäftigkeit ferngehalten, flehen darum, dorthin zurückkehren zu dürfen, bitten, ihnen diese Last wieder aufzubürden, und meinen, die Zurückgezogenheit bedeutete eine ernste Gefahr für sie.“162

Auf diese Gefahr wies der Papst fast mit den gleichen Worten ebenfalls die Bischöfe hin.163 Obwohl sie dazu aufgerufen sind, sich mit den irdischen Angelegenheiten zu beschäftigen, sollten sie immerhin auf der Hut sein, den zeitlichen Dingen nicht völlig nachzugehen. 159

In euang. II, 37, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 751). Vgl. in euang. II, 40, 12 (FC 28/2, 868–870); in euang. I, 5, 1 (FC 28/1, 102); in euang. I, 15, 1 (FC 28/1, 240): Quas bene hoc in loco, alio evangelista attestante, nequaquam Dominus divitias, sed fallaces divitias appellat. Fallaces enim sunt, quae nobiscum diu permanere non possunt: fallaces sunt, quae mentis nostrae inopiam non expellunt. 161 Vgl. in Ezech. I, 10, 16 (CCL 142, 151f). 162 In Ezech. I, 10, 16 (B ÜRKE, CMe 21, 195). 163 Vgl. past. 2, 7 (FUNK, BKV2 4, 109f): „Manchmal hat es nämlich den Anschein, als würden Seelenhirten ganz darauf vergessen, daß sie um der Seelen der Brüder willen zu Vorstehern gemacht wurden, so sehr hängen sie ihr Herz an die zeitlichen Geschäfte; gibt es gerade solche Geschäfte, so erledigen sie dieselben mit Wonne; gibt es keine, so suchen sie solche und grübeln Tag und Nacht in aufgeregten Gedanken darüber nach. Müssen sie einmal, weil die Gelegenheit fehlt, in dieser Beziehung sich ruhig verhalten, so werden sie durch diese Ruhe ganz müde und matt. Denn es ist ihnen eine Lust, von Geschäften schier erdrückt zu werden, und sie halten es für eine Last, wenn sie mit zeitlichen Geschäften nichts zu tun haben.“ 160

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5.1 Nichts begehren Die Forderung nach Weltabkehr beschränkte Gregor allerdings nicht auf die materiellen Dinge. Vielmehr betonte er den Verzicht auf das Verlangen nach dem Irdischen allgemein. Die Loslösung von dieser Welt vollzieht folglich derjenige vollkommen, der nicht nur auf den Besitz, sondern auch auf die irdischen Begierden verzichtet. Die heiligen Apostel Petrus und Andreas verließen auf ein gebietendes Wort des Herrn hin ihr ganzes Eigentum und verdienten damit das himmlische Reich. Hierin ist immerhin nicht der äußere Wert dessen, was aufgegeben wurde, sondern vornehmlich die innere Gesinnung der Apostel zu beachten. Zusammen mit ihren Netzen und dem Boot sagten sie sich von dem Verlangen, irgendetwas ihr eigen zu nennen, los.164 Infolgedessen ermunterte Gregor die Gläubigen: „Viel, meine Brüder, gebt ihr auf, wenn ihr auf irdisches Verlangen verzichtet. Denn unsere noch so geringen äußeren Gaben genügen dem Herrn. Er schaut nämlich auf das Herz, nicht auf die Sache; auch erwägt er nicht, wieviel ihm zum Opfer gebracht wird, sondern aus welcher Gesinnung heraus ... Es gibt zwar keinen festen Preisanschlag, doch kostet das Reich Gottes soviel, wie du besitzt.“165

Die innere Gesinnung beherzigt also Gott, nicht die äußeren Gaben. Deshalb kann sich auch der Mensch, der Gott nichts Äußeres darzubringen vermag, durch das Opfer des Herzens mit Gott angemessen versöhnen. Nichts Wertvolleres kann er auf dem Altar des Herzens Gott zum Opfer bringen als den guten Willen, den der Papst als ein gerechtes Verhältnis gegenüber dem Nächsten verstand.166 Im Hinblick darauf behauptete er überdies, dass das Opfer des guten Willens unerlässlich die völlige Weltabkehr voraussetzte: „Doch wird dieses Opfer guten Willens niemals vollkommen dargebracht, wenn nicht das Begehren nach dieser Welt vollständig aufgegeben wird.“167

Das Begehren nach dem Irdischen sah der Papst als Auslöser des Neides an, der mit dem guten Willen notwendig in Zwiespalt steht. Um also den Nächsten vollkommen lieben zu können, darf man in dieser Welt nichts begehren. Damit entwickelt der Papst zwei im Grunde genommen aufeinander bezogene Behauptungen, d. h. sowohl derjenige, der Äußeres be164

Vgl. in euang. I, 5, 1f (FC 28/1, 102–104). In euang. I, 5, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 105). 166 Vgl. in euang. I, 5, 3 (FC 28/1, 106): Voluntas autem bona est, sic adversa alterius sicut nostra pertimescere; sic de prosperitate proximi, sicut de nostro profecu gratulari; aliena damna, nostra credere; aliena lucra, nostra deputare; amicum non propter mundum, sed propter Deum diligere; inimicum etiam amando tolerare; nulli quod pati non vis, facere: nulli quod tibi iuste impendi desideras, denegare; necessitati proximi non solum iuxta vires concurrere, sed prodesse etiam ultra vires velle. 167 In euang. I, 5, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 109). 165

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sitzt, als auch derjenige, der Gott den guten Willen zum Opfer bringt, muss das Begehren nach dieser Welt vollständig aufgeben, um sich auf die ewige Heimat vorzubereiten. Die Weltabkehr bezog Gregor ebenso auf die wahrhaftige Erkenntnis des Menschen. Hierin verknüpfte der Papst den Hochmut und die Weltverfallenheit. Die Hochmütigen vermögen den Menschen aufgrund seines Menschseins bzw. seiner Natur, durch die er nach dem Bild Gottes erschaffen ist, nicht richtig hochzuschätzen. Sie beachten vielmehr eher das Äußere, das den Menschen umgibt, d. h. die weltlichen Ehrenstellungen und Reichtümer. Ein solches Verhalten kritisiert Christus beispielhaft, indem er dem Knecht des Hauptmanns durch seine Anwesenheit Beistand leistet, wohingegen er dem Sohn des königlichen Beamten den erbetenen Besuch verweigerte.168 Deshalb verlangte Gregor, im Nächsten nicht die vergänglichen Güter dieser Welt zu verehren, sondern das Wesentliche an ihm, d.h. dass er nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Um dieses aber zu erreichen, muss man jeglichen Hochmut ablegen. Deshalb predigte Gregor: „Laßt uns also geringschätzen, wenn wir etwas Gutes tun, keines unserer Werke mache uns aufgeblasen, nicht materieller Überfluß, nicht Ruhm soll uns überheblich machen.“169

Für das Thema der Weltabkehr lässt sich also eindeutig feststellen, dass der Papst die Weltentsagung bzw. die Demut der wahren Erkenntnis des Menschen voraussetzte. In Hinsicht darauf dürfte man überdies zwei antithetische Begriffspaare festlegen, die das Verhältnis zwischen der Weltabkehr und der Erkenntnis des Menschen ausdrücken: Weltverfallenheit – falsche Erkenntnis bzw. Erkenntnis des Äußeren (Vergänglichen) und Weltabkehr – wahre Erkenntnis bzw. Erkentnis des Inneren (Ewigen). Das Aufgeben der irdischen Begierden bezeichnete Gregor in Übereinstimmung mit dem traditionellen Sprachgebrauch als das spirituelle Martyrium.170 Man unterscheidet nämlich zwischen zwei Arten des Martyriums, einem Martyrium in Geist und Tat gleichzeitig, wenn man in der Zeit der Verfolgung sein Leben hingibt, und einem im Geist, wenn man in der Zeit des Friedens mit seinen Begierden bricht.171 Dementsprechend rief der Papst seine Zeitgenossen dazu auf, ihre fleischlichen Begierden im Herzen

168

Vgl. in euang. II, 28, 1f (FC 28/2, 518–524). In euang. II, 28, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 525). 170 Vgl. in euang. II, 32, 5 (FC 28/2, 604). Die irdischen Begierden sind hier in ihrem weitesten Sinne zu betrachten, d. h. sie schließen das Begehren nach den irdischen Dingen, fleischliche Begierden, Hass, Hochmütigkeit usw. ein. 171 Vgl. in euang. II, 35, 7 (FC 28/2, 698–700); in euang. II, 27, 3 (FC 28/2, 502). Darüberhinaus gibt Gregor eine weitere Differenzierung zwischen dem öffentlichen und verborgenen Martyrium. 169

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

mit dem Schwert des Geistes zu töten.172 Obschon die Kirche nicht verfolgt wird, vermag jeder ein Martyrium im Geist, d. h. in einer nur ihm bekannten Gesinnung zu vollziehen. Ein solches Martyrium erlitt gemäß dem Wort des Herrn der Apostel Johannes, der alle Nachstellungen des bösen Feindes erduldete, seinen Widersacher auf dieser Welt liebte, allen fleischlichen Begierden widersagte und auch dadurch, dass er sich innerlich Gott als Opfer darbrachte, in Friedenszeiten der Kirche Märtyrer wurde.173 5.2 Qui potest Dieser Teil der oben aufgestellten Maxime (Relinquat ergo omnia, qui potest174) bringt die Ausgewogenheit Gregors bezüglich des Verhältnisses gegenüber den irdischen Dingen zum Ausdruck. Obwohl die recht radikale Forderung nach der Weltabkehr einen anderen Eindruck erwecken könnte, verliert der Papst nicht die Balance175 zwischen Weltentsagung und Leben in dieser Welt. So zeigt Gregor in seinen Werken gelegentlich, dass er sich wohl bewusst ist, dass man während dieses vergänglichen Lebens alles Irdische kaum zu verlassen vermag: „Ich möchte euch ermahnen, alles zu verlassen, doch wage ich es nicht.“176 Anschließend fügte er aber hinzu, wie dann mit dem Irdischen umzugehen ist: „Wenn ihr nicht alles Weltliche verlassen könnt, dann haltet an dem, was der Welt gehört, in der Weise fest, dass ihr dadurch dennoch nicht in der Welt festgehalten werdet, dass eine irdische Sache besessen wird, nicht in Besitz nimmt, dass euer Besitz unter der Herrschaft eures Geistes stehe, damit nicht euer Geist eher von den Dingen besessen werde, wenn er sich von der Liebe zu irdischen Dingen einnehmen lässt. Etwas Zeitliches werde also gebraucht, etwas Ewiges werde ersehnt; das Zeitliche sei für die Reise genutzt, das Ewige werde als Ziel ersehnt.“177

Hierin liegt der Schlüssel zu Gregors Verständnis der bona temporalia. Die irdischen Güter sind dem Menschen auf dem Weg zur himmlischen Heimat von Gott zum Gebrauch gegeben.178 Infolgedessen darf man sein

172

Vgl. in euang. I, 3, 4 (FC 28/1, 88). Vgl. dial. III, 26 (BKV2 3, 157f). 174 In euang. II, 37, 10 (FC 28/2, 762). 175 Über die consideratio, die Balance zwischen Aktion und Kontemplation, vgl. EVANS, The Thought of Gregory the Great, 19–25. 176 In euang. II, 36, 11 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 733). Hierin betont Gregor, dass die Leute, die ein eheliches Leben führen, im Gegensatz zu den Mönchen eine völlige Abkehr von den irdischen Dingen nicht vollziehen können. Vgl. in euang. I, 17, 18 (FC 28/1, 300–302); in Ezech. II, 1, 7 (CCL 142, 213f); in Ezech. II, 1, 18 (CCL 142, 223); in Ezech. II, 4, 5 (CCL 142, 261f); in Ezech. II, 7, 2 (CCL 142, 316f). 177 In euang. II, 36, 11 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 733). 178 Vgl. in Ezech. II, 7, 17 (CCL 142, 331): Si enim aeternitatem diligimus, cuncta temporalia in usu, non in affectu possidemus. 173

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Herz nicht von ihnen beherrschen lassen, d. h. man darf sie nicht „mit Sünde zu besitzen begehren.“179 Gregor zog aus der Auslegung einiger Verse des Ersten Korintherbriefes (7, 29–33) den Schluss, dass die eigentliche Bewertung des Irdischen erst aus ihrem Bezug zum Himmlischen hervorgeht.180 Dementsprechend lässt sich dem Zeitlichen eindeutig eine subalterne Stellung gegenüber dem Ewigen zuschreiben. Weder die Pflichten des Fleisches noch die zeitlichen Verluste noch die Freude über die zeitlichen Güter dürfen also den Menschen von der Sehnsucht nach dem Ewigen ablenken. Alles Irdische ist dem Menschen gegeben, um seine irdische Existenz zu vollziehen, keinesfalls um ersehnt zu werden. Wenn man mit dem Irdischen gerecht umgeht, d. h. es nicht sündhaft begehrt, kann man auch daraus den ewigen Lohn erwerben, wie Gregor in der beispielhaften Erzählung vom Comes Theophanius bezeugte. Da er bei der Ausübung seines Amtes für Irdisches und Zeitliches nicht aus Neigung, sondern aus Pflichtgefühl sorgte, wurde er von Gott auch durch Wunder verherrlicht.181 Hierin relativierte Gregor allerdings nicht seine grundsätzliche Forderung nach der Weltentsagung, sondern stellte diese Forderung aus einer anderen Perspektive dar. Die Notwendigkeiten (necessaria) dieser Welt sollten so verwendet werden, dass man ihnen nicht geistig verfällt. Anders gesagt, sich von der Welt loszulösen heißt nicht „nichts besitzen“, sondern „nichts mit Begehren besitzen“. Um mit Gregor zu sprechen: „Wenn ihr nämlich nichts mehr in dieser Welt liebend besitzt, habt ihr sogar besitzend alles verlassen.“182 Erst diese Perspektive erschließt die ganze Fülle der Lehre Gregors von den bona temporalia, und es wird darauf hingewiesɟn, wie diese Lehre im konkreten irdischen Leben umgesetzt werden kann. Die praktischen Konsequenzen des ausgewogenen Verhältnisses des Papstes gegenüber den irdischen Dingen lassen sich vorzüglich aus der karitativen Tätigkeit der Kirche, die er selbst stark förderte, ablesen. Da der Klerus den Hauptträger der Diakonie darstellte, bemühte sich Gregor, eine vorsichtige Balance zwischen der Forderung nach der Weltabkehr und der Sorge für die Welt herauszuarbeiten. Den praedicatores legte er ans Herz, dass sie sich um das irdische Leben der Gläubigen, soweit es notwendig ist, besorgt zeigen müssen. Wer das Amt eines Vorgesetzten übernimmt, soll zuweilen aus Mitgefühl mit dem Nächsten die vergänglichen Dingen in Anspruch nehmen, um sich dadurch der Bedürftigen zu erbarmen.183 Dies sah der Papst als eine der Aufgaben des aktiven Lebens an: 179

In euang. II, 36, 12 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 735). Vgl. in euang. II, 36, 12 (FC 28/2, 734–736). 181 Vgl. in euang. II, 36, 13 (FC 28/2, 736–738). 182 In euang. II, 37, 10 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 763–765). 183 Vgl. in Ezech. II, 1, 7 (CCL 142, 213f). 180

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung „dem Hungernden Brot zu geben, ... jedem einzelnen das ihm Zuträgliche zukommen lassen und dafür Vorkehrung treffen, dass die uns Anvertrauten das zum Leben Notwendige haben.“184

Der Vorsteher muss also einerseits für das Äußere sorgen, andererseits darf er diesen Sorgen nicht allzusehr anhängen und in irdischen Geschäften ganz aufgehen.185 Die praedicatores sollen sich auf solche Weise mit dem Irdischen beschäftigen, dass sie nicht nach ihm trachten, sondern ausschließlich die Bedürfnisse des Nächsten erfüllen. Anders gesagt, die praedicatores dürfen sich den vergänglichen Dingen nicht aus Begier unterwerfen, sondern sich ausschließlich um des Nächsten willen den weltlichen Tätigkeiten in angemessenem Umfang zuwenden.186 Aus dieser Sichtweise lässt sich eindeutig erkennen, dass der Impuls für die sozialen Aktivitäten der Kirche nicht im Diesseits zu suchen ist. Die Sicherung der irdischen Existenz geschieht nicht um ihrer selbst willen, und der irdische Wohlstand ist nicht von entscheidendem Belang. Erst in der eschatologischen Orientierung der Kirche findet man die Grundlage für ihre karitative irdische Tätigkeit.187 Durch ihre karitative Tätigkeit gibt die Kirche dem Menschen die nötige „Unterstützung“ auf seinem Pilgerweg in die himmlische Heimat. Deshalb kann der wahre Sinn der eschatologisch inspirierten sozialen Aktivität nur im Zusammenhang mit der Verkündigung der ewigen Heimat bzw. in der Interaktion von Aktion und Kontemplation begriffen werden.188 5.3 Die heilsamen Widrigkeiten Da aus den bisherigen Ausführungen klar geworden ist, dass der Papst den irdischen Reichtum als potenzielle Gefahr für den Menschen betrachtete, soll nun das Gegenteil des Reichtums in Betracht gezogen werden, d. h. es soll darüber nachgedacht werden, inwiefern die Armut die Loslösung von der Diesseitsorientierung unterstützt. In demselben Kontext lässt sich auch der heilspädagogische Charakter der verschiedenen Widrigkeiten dieser Welt genauer ins Auge fassen, weil sowohl die Armut als auch die irdische Bedrängnis, mittels derer Gott den gefallenen Menschen in Richtung der patria caelestis lenkt, als die flagella Dei verstanden werden dürfen. Das Verhältnis des Papstes zu den vergänglichen Dingen kann man als Entsagung gegenüber dem Irdischen charakterisieren. In diesem Sinne pre184

In Ezech. II, 2, 8 (B ÜRKE, CMe 21, 288). Vgl. past. 2, 7 (BKV2 4, 109–116); epist. I, 24 (CCL 140, 31): Et quidem quisquis regendis fratribus praeest, uacare funditus a curis exterioribus non potest, sed tamen curandum magnopere est ne ab his immoderate deprimatur. 186 Vgl. in Ezech. II, 1, 7 (CCL 142, 213f); in Ezech. I, 11, 4 (CCL 142, 170f). 187 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 208. 188 Vgl. past. 2, 7 (BKV2 4, 113f). 185

5. Bona temporalia

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digte Gregor, dass der Mensch, der die Vollkommenheit erstrebt, allem, was zu dieser Welt gehört, entsagen soll.189 Deshalb kann man zu Recht behaupten, dass selbst die Armut samt den Widrigkeiten dieser Welt, von denen der Mensch getroffen wird, ihm auf dem Weg der Vollkommenheit hilft. Im Hinblick darauf reflektierte sie Gregor weiter und arbeitete ihre heilspädagogischen Aspekte heraus.190 Grundsätzlich verstand Gregor die Armut folgendermaßen: Je weniger man in dieser Welt besitzt, woran man sich erfreuen kann, umso schneller hört man auf das Wort Gottes. Dass die Armen und Schwachen, die Blinden und Lahmen die Einladung zum Gastmahl des Herrn annahmen (Lk 14, 16–24), führte der Papst gerade darauf zurück.191 Infolge ihrer Armut, die der Papst auch als „Wächterin der Demut“192 bezeichnete, hielt diese Menschen nichts Materielles in der Welt, so dass sie sich umso leichter von ihr loslösen konnten. Den Mangel an Irdischem erwähnte Gregor darüber hinaus als den Ansporn dafür, dass der jüngere Sohn (Lk 15, 17) zur Besinnung kommt: „Weit hatte er sich von sich selbst entfernt, als er sündigte. Und wenn er nicht gehungert hätte, wäre er nicht zu sich zurückgekehrt, denn erst nachdem er an irdischen Dingen Mangel litt, begann er sich zu besinnen, was er an geistigen verloren hatte.“193

Der äußere Druck bewirkt also, dass der Sohn zu sich selbst kommt. Im Hintergrund dieser Ausführung steht offensichtlich die These Gregors, dass die äußere Bedrängnis zur Verinnerlichung des im Äußeren zerstreuten Menschen führen kann.194 Das Verhältnis zwischen der Verinnerlichung und der äußeren Bedrängnis explizierte Gregor eingehender anhand des Beispiels Ijobs. Indem Ijob den gesamten irdischen Besitz, seine Kinder und schließlich Gesundheit einbüßte, wurde seine Hinwendung ins Innere bzw. zu Gott noch intensi-

189

Vgl. in euang. II, 40, 9 (FC 28/2, 860): Minus est enim quidquid per legem dicitur, quam hoc quod per Dominum iubetur. Illa enim dari decimas praecipit; Redemptor vero noster ab his qui perfectionem sequuntur, omnia dimitti iubet. Illa peccata carnis resecat; Redemptor vero noster illicitas cogitationes etiam damnat; in Ezech. II, 9, 2 (CCL 142, 356–358). 190 Vgl. in Ezech. II, 7, 18 (CCL 142, 331): Multa portant, sed in uia breui magna est nobis in hoc itinere socia paupertas, quae animum non angustat, cum deest terrena substantia de qua aeterno iudici rationes ponamus. Liberius ad patriam tendimus, quia quasi in uia pondere caremus. 191 Vgl. in euang. II, 36, 7 (FC 28/2, 722). 192 Vgl. dial. I, 9 (BKV2 3, 31). 193 In euang. II, 36, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 723). 194 Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 279f.

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

ver.195 Von jeglichem äußerlichem Glück dieses Lebens losgelöst, wurde Ijob in seinem Inneren reicher.196 Das Leiden im Äußeren vermochte nicht die Innerlichkeit Ijobs zu beeinträchtigen. „Unterdessen wollen wir, den heiligen Mann betrachten, der von äußeren Dingen völlig leer, aber voll mit Gott im Inneren ist.“197 In Anlehnung an 2 Kor 4, 7 („Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen“) unterstrich Gregor die oben aufgestellte Behauptung, indem er sagte, dass bei Ijob der innere Schatz unversehrt geblieben sei, obschon das Tongefäß einen Riss im Äußeren erlitten habe.198 Gregor war sich jedoch selbst wohl bewusst, dass solche Standhaftigkeit sowohl im Übel als auch im Wohlergehen wie die des Ijob in dieser vergänglichen Welt eher eine Ausnahme darstellt. Infolgedessen hob der Papst, indem er die Neigung der Seele zur Verderbnis vor Augen hat, hervor, dass die Widrigkeiten in dieser Welt vor dem Glück zu bevorzugen seien bzw. dass man vielmehr irdisches Glück als Unglück befürchten solle.199 Durch das Glück und die irdische Macht wird häufig das Herz mit Hochmut befleckt, während der Schmerz die Seele reinigt und demütigt. Beim Glück vergisst sich der Mensch, während er im Unglück, obschon widerwillig, sorgfältig an sich selbst und seine Taten denkt.200 Dies erläuterte der Papst anhand der Beispiele von Saul, David und Salomon. Saul, der sich zuerst für unwürdig hielt, wurde, sobald er die Regierung übernommen hatte, übermütig und verlangte von anderen Ehrenbezeugungen.201 Als Untertan fürchtete sich David aus Gerechtigkeitsliebe, den 195

Vgl. moral. VII, 35, 52 (CCL 143, 372). Vgl. moral. III, 8, 12 (CCL 143, 121): In utrisque ergo contra beatum Iob se uehementer exercuit. Nam prius patrifamilias intulit damna rerum, orbauit patrem morte filiorum, percussit incolumen putredine uulnerum. Sed quia putrescentem foras, sanum adhuc interius stare conspexit; et quem exterius nudum reddidit, hunc interius ditiorem fieri per exhibitam laudem conditoris inuidit; callide cogitans pensat quod contra se athleta Dei unde premitur, inde subleuatur, uictusque ad subtilia tentandi argumenta conuertitur. Vgl. auch moral. XXIX, 17, 31 (CCL 143B, 1454): Nam plerumque eos exterius inopia humiliat, poenae cruciatus angustat, sed tamen inter haec semper interior fortitudo usque ad speranda caelestia dilatat; moral. VI, 16, 24 (CCL 143, 300). 197 Vgl. moral. III, 9, 15 (CCL 143, 123): Inter haec igitur sanctum uirum intueri libet, foras rebus uacuum, intrinsecus Deo plenum. 198 Vgl. moral. III, 9, 15 (CCL 143, 123f): Paulus cum in seipso diuitas sapientiae internae conspiceret seque ipsum exterius esse corruptibile corpus uideret, ait: Habemus thesaurum istum in uasis fictilibus. Ecce in beato Iob uas fictile scissuras ulcerum exterius sensit; sed hic thesaurus interius integer mansit. 199 Vgl. moral. V, 1, 1 (CCL 143, 219): Vnde fit ut sancti uiri magis in hoc mundo prospera quam aduersa formident. Über das richtige Verhältnis zwischen prosperitas und adversitas vgl. STRAW, Gregory the Great, 238–241. 200 Vgl. past. 1, 3 (BKV2 4, 69). 201 Vgl. past. 1, 3 (BKV2 4, 69). 196

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Gegner zu töten, während er als König, zu Wollust verleitet, einen seiner Krieger umbringen ließ.202 Salomon fiel trotz seiner großen Weisheit in Abgötterei, weil ihm jegliche Mühsal dieses Lebens fernblieb.203 Alle drei wurden also durch Gottes Wahl für ihren Dienst vorbereitet, dennoch unterlagen sie den irdischen Begierden und gerieten damit in Schuld. Im Hinblick darauf betont der Papst mit Nachdruck, dass es Reichtum, Macht und Ehre aus dem Weg zu gehen gelte, weil keiner im Besitz dieser Dinge ohne große Gefahr und Mühe gerettet werden könne.204 In all den Widrigkeiten, von denen der Mensch, der nach den Gütern dieser Welt trachtet oder zeitlichen Ruhm zu erlangen sucht, heimgesucht wird, erkannte Gregor die göttliche Vorsehung.205 Der Mensch wird auf der Erde notwendigerweise mit verschiedenen Widerwärtigkeiten konfrontiert, die in erster Linie im Kontext einer umfassenden heilsgeschichtlichen Konzeption zu betrachten sind.206 Alle Widrigkeiten des gegenwärtigen Lebens sah der Papst dementsprechend als Kennzeichen der göttlichen Gnade an.207 Der irdischen Trübsal schrieb er überdies eine läuternde Funktion zu: „Wer also vollkommen die Fehler überwinden will, muss sich bemühen, demütig die Heimsuchungen zu erdulden, um später um so reiner vor den Richter zu treten, je mehr ihn nun das Feuer der Drangsal vom Rost läutert.“208

202

Vgl. past. 3, 26 (BKV2 4, 220); past. 1, 3 (BKV2 4, 69). Vgl. past. 3, 26 (BKV2 4, 221). 204 Vgl. past. 3, 26 (BKV2 4, 220f). 205 Vgl. in euang. I, 17, 18 (FC 28/1, 298–300): Nullo modo: nam ipse eas, sicut per prophetam pollicitus est, per semetipsum pascit: omnesque quos praeordinavit ad vitam, flagellorum stimulis, compunctionis spiritu erudit. 206 Vgl. moral. XXVI, 16, 26 (CCL 143B, 1284): Quia enim ad aeterna gaudia redire non possumus, nisi per temporalia detrimenta, tota scripturae sacrae intentio est ut spes manentis laetitiae nos inter haec transitoria aduersa corroboret; moral. X, 19, 36 (CCL 143, 563). 207 Vgl. past. 3, 26 (FUNK, BKV2 4, 220): „Diejenigen hingegen, welche zwar nach den Gütern dieser Welt Verlangen tragen, aber von Ungemach und Widerwärtigkeit dabei verfolgt werden, sollen in Erwägung ziehen, wie gnadenvoll der Herr und Lenker aller Dinge über sie wacht, wenn er ihren Wünschen nicht entgegenkommt.“ 208 In euang. I, 15, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 247). Vgl. auch in euang. II, 40, 6 (FC 28/2, 854): Rursumque dum de Lazaro dicitur, quia recepit mala, profecto monstratur et Lazarus habuisse malum aliquod, quod purgaretur. Sed mala Lazari purgavit ignis inopiae, et bona divitis remuneravit felicitas transeuntis vitae. Illum paupertas afflixit et tersit, istum abundantia remuneravit et repulit. Quicumque ego bene in hoc seculo habetis, cum vos bona egisse recolitis, valde de ipsis pertimescite, ne concessa vobis prosperitas eorundem remuneratio sit bonorum. Et cum quoslibet pauperes nonnulla reprehensibilia perpetrare conspicitis, nolite despicere, nolite desperare: quia fortasse quod superfluitas tenuissimae pravitatis inquinat, caminus paupertatis purgat; in euang. II, 37, 9 203

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

Durch die Heimsuchungen endeckt man die eigene Unvollkommenheit, von der man ohne Bedrängnis kaum eine Ahnung zu haben vermag. Man gibt hiernach die täuschende Selbstsicherheit (bzw. den Hochmut) auf, die sonst die Folge der Sorglosigkeit darstellt, und geht damit aus den Widrigkeiten neu gestärkt heraus.209 Da Gott vor allem die ewige Rettung des Menschen vor Augen hat, lässt er gelegentlich zu, dass die der Liebe zu dieser Welt ergebenen Menschen gewisse Heimsuchungen ertragen.210 So behauptete Gregor in Anlehnung an den Propheten Hosea (Hos 2, 7–9), dass der mit Dornen und Mauern umzäunte Weg die Seele, die entweder den Ruhm dieser Welt sucht oder sich an fleischlichen Vergnügen weidet, zu Gott führt.211 Die harten Hindernisse, die sich den menschlichen Begierden entgegenstellen, nötigen den Menschen, zum Schöpfer zurückzukehren.212 Deshalb bezeichnete Gregor solche Hindernisse als „heilsame Widrigkeiten“ und resümierte abschließend: „Denn nachdem wir in dieser Welt nicht erlangen können, was wir wollen, nachdem wir in irdischen Begierden infolge ihrer unmöglichen Erfüllung müde werden, rufen wir uns Gott wieder ins Bewusstsein, und es beginnt zu gefallen, der zunächst missfiel; und der, dessen Gebote uns bitter waren, wird in der Erinnerung plötzlich angenehm; und die sündige Seele, die versuchte, Ehebrecherin zu sein, es aber nicht in offener Tat vermochte, entschließt sich, eine treue Gemahlin zu sein.“213

Deshalb identifizierte Gregor irdische Widrigkeiten mit dem Becher der Reinigung, dessen unangenehme, aber heilbringende Wirkung er hervor(FC 28/2, 758); moral. XX, 24, 51 (CCL 143A, 1041); moral. XVIII, 26, 40 (CCL 143A, 911). 209 Vgl. in Ezech. II, 7, 12 (CCL 142, 325f); moral. XIX, 6, 12 (CCL 143A, 964). 210 Vgl. past. 3, 26 (FUNK, BKV2 4, 220): „Wenn ihnen [sc. den Menschen] also das gegenwärtige Leben manche Enttäuschungen und manche Demütigung bringt, so sollen sie darin einen Grund erblicken, dass sie sich umso mehr auf das Erbe der ewigen Glückseligkeit freuen dürfen. Denn wenn die göttliche Vorsehung nicht ihre Rettung für die Ewigkeit im Auge hätte, würde sie sie jetzt nicht in so strenge Zucht nehmen.“ 211 Vgl. in euang. II, 36, 9 (FC 28/2, 728–730). 212 Vgl. moral. II, 14, 23 (CCL 143, 74): Pia etenim mens cum se aduersa ab hominibus perpeti conspicit, in diuinae gratiae consolatione requiescit; cumque temptationum procellas increscere extrinsecus uiderit, secessum spei dominicae appetens, intra conscientiae portum fugit. 213 In euang. II, 36, 9 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 731). Vgl. auch moral. V, 40, 72 (CCL 143, 271f): Et sunt nonnulli qui bona uitae praesentis diligunt sed tamen haec nullatenus assequuntur; qui rebus temporalibus totis desideriis inhiant, mundi gloriam quaerunt sed adipisci nequaquam possunt. Hos, ut ita dixerim, cor ad mundum pertrahit, mundus ad cor repellit. Nam saepe contingit ut ipsis suiis aduersitatibus fracti ad mentem redeant et in semetipsis reuersi considerent, quam sint inania quae quaerebant seseque pro tam stulto desiderio protinus ad lamentum uertant. Et tanto ualentius aeterna desiderent, quando se stultius laborasse pro temporalibus dolent.

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hob: „Die Bitterkeit des Bechers mißfällt zwar, doch ist die durch die Bitterkeit wiederherzustellende Gesundheit angenehm.“214 Erst durch den bitteren Kelch gelangt man also zur Herrlichkeit.215 In Gregors Ausführungen über die heilbringende Wirkung des Leidens wird nicht nur das individuelle Heil des Menschen, sondern ebenso die Erbauung der Kirche in den Blick genommen. Die Seelen der Erwählten werden nämlich mit Hammerschlägen, d. h. mit den Bedrängnissen auf der Erde behauen, um als vollkommene und behauene Steine nach Verdienst an der richtigen Stelle der Kirche im Himmel eingefügt zu werden.216 Indem seine Bürger in dieser Welt der Pilgerschaft mit Geißeln geschlagen und von Trübsalen heimgesucht werden, erfolgt die Erbauung des himmlischen Jerusalems, welches das Sinnbild der Kirche darstellt.217 Die Trübsal, aus der man offensichtlich Nutzen ziehen kann, hielt Gregor in diesem Leben für unerlässlich.218 Die Widrigkeiten lassen schließlich auf der Erde nicht nach, sondern vermehren sich sogar, je vollständiger man das Ideal der Weltabkehr verwirklicht: „Denn wenn die Liebe unseres Herzens von der gegenwärtigen Welt ablässt, wächst der Widerstand dieser Welt.“219 Die gegenwärtigen Widrigkeiten lösen also die Menschen von der Weltverfallenheit und lenken sie in Richtung der ewigen Heimat. Darin sieht Gregor hauptsächlich ihre heilspädagogische Funktion. Den Gläubigen kann diese Trübsal aber nur dann von Nutzen sein, wenn sie sie demütig und mit Geduld ertragen: 214

In euang. I, 3, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 87). Vgl. in euang. II, 27, 4 (FC 28/2, 504): Si mens vestra appetit quod demulcet, prius bibite quod dolet. Sic sic per amarum poculum confectionis pervenitur ad gaudium salutis. 216 Vgl. moral. XXXIV, 12, 23 (CCL 143B, 1748f): Rursum per malleum percussio caelestis exprimitur, quod Salomone templum aedificante signatur, cum dicitur: Domus autem cum aedificaretur, lapidibus dedolatis atque perfectis aedificata est; et malleus et securis et omne ferramentum non sunt audita in domo, cum aedificaretur. Quid enim domus illa nisi santam Ecclesiam, quam in caelestibus Dominus inhabitat, figurabat? Et cuius aedificationem electorum animae, quasi quidam expoliti lapides deferuntur. Quae cum aedificatur in caelis, nullus illic iam disciplinae malleus resonat, quia dolati atque perfecti illuc lapides ducimur, ut locis iuxta meritum congruis disponamur. Hic etenim foris tundimur ut illuc sine reprehensione ueniamus. 217 Vgl. in Ezech. II, 1, 5 (CCL 142, 210f); moral. XXIII, 24, 46 (CCL 143B, 1179); moral. III, 22, 42 (CCL 143, 142). Über die ekklesiale Dimension der Heilspädagogik vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 279–281. 218 Vgl. in Ezech. I, 12, 25 (CCL 142, 198): In qua enim iam pacis uisio describitur, ei necesse est ut tentationum bella nuntientur. Nam ut ualeat ad illa pacis gaudia aeterna pertingere, hanc hic procul dubio oportet tribulationum certamina multa sustinere; moral. X, 19, 36 (CCL 143, 563). 219 In euang. I, 15, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 247). 215

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

„Doch bringen sie [die Menschen] gemäß dem Wort des Herrn Frucht in Geduld, denn wenn sie die Heimsuchungen demütig empfangen, werden sie nach den Heimsuchungen in die ewige himmlische Ruhe aufgenommen.“220

Durch das Erdulden des irdischen Leidens wächst die Kirche also allmählich heran und richtet dadurch ihren Sinn gegenüber der Bedrängnis dieser Welt voller Hoffnung auf das Himmlische.221

6. Vana transitoria „Verachten wir alles Gegenwärtige, denn wertlos ist, was vergehen kann. Eine Schande sei es, zu lieben, was bekanntlich schnell zugrundegeht.“222

Ähnliche Gedanken durchziehen alle Reflexionen Gregors über das Irdische und bringen zugleich die Grundlage seiner Lehre von der Weltabkehr ans Licht. Die Erforschung der Werke Gregors ergibt nämlich eindeutig, dass die Gründe für die Ablehnung der irdischen Welt unter anderem auch in ihrer Vergänglichkeit zu suchen sind.223 Aus der eschatologischen Perspektive betrachtet stellt sich nämlich im Hinblick auf die irdischen Dinge von selbst die Frage: Warum an etwas festhalten, was nur von kurzem Bestand ist? Die erste Erfahrung, die man aus der Betrachtung dieser Welt ziehen kann, bezieht sich zwangsläufig auf die permanente Wandelbarkeit des Irdischen. Alles begreift man hier in Bewegung. Diese Ansicht lässt sich auf die irdischen Güter, auf das Leben des Menschen, auf den menschlichen Körper und auf das Irdische im weitesten Sinne beziehen. Infolgedessen wird das menschliche Leben hier vor allem als eine ständige Metamorphose begriffen: „Wenn wir den Lauf dieses Lebens mit Aufmerksamkeit betrachten, so finden wir Nichts in demselben fest, Nichts unveränderlich ...“224 Selbst das natürlich angeborene Wachsen zeugt von der mutabilitas des Menschen, durch die er zum Sterben getrieben wird.225 Diese Flüchtig220

In euang. I, 15, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 247). Vgl. moral. XX, 19, 45 (CCL 143A, 1036): Sed scit sancta Ecclesia in passionibus crescere, atque inter opprobria honorabilem uitam tenere; scit nec de aduersis deici, nec de prosperis gloriari; nouit contra prospera mentem sua in deiectione sternere; nouit contra aduersa animum ad spem superni culminis exaltare … Vgl. auch moral. III, 24, 47 (CCL 143, 145). 222 In euang. I, 3, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 89). 223 Vgl. darüber auch WEBER, Hauptfragen, 116–128. 224 Epist. III, 51 (KRANZFELDER, BKV1 27, 162). 225 Vgl. moral. XI, 50, 68 (CCL 143A, 624–626): Et quia per momenta homo cotidie compellitur ad mortem, recte adiungitur: Et fugit uelut umbra et numquam in eodem statu permanet … Bene autem dicitur: Et numquam in eodem statu permanet, quia dum infantia ad pueritiam, pueritia ad adolescentiam, adolescentia ad iuuentutem, iuuentus 221

6. Vana transitoria

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keit des irdischen Lebens schildert Gregor gern mit einer Vielfalt von Beispielen aus der Natur bzw. aus dem Alltag.226 In Anlehnung an die antike Tradition wies Gregor auf die existenzielle Unbeständigkeit dessen hin, was dem Prozess der Veränderung unterliegt: „Bedenkt also, dass nichtig ist, was in der Zeit abläuft. Das Ende der zeitlichen Dinge beweist, wie nichtig das ist, was vergehen konnte. Der Zusammenbruch der Dinge zeigt, dass etwas Vergängliches auch damals fast nichts war, als es zu bestehen schien.“227

Dass alles Irdische unter dem Zeichen der Vergänglichkeit steht, wurde vom Papst dementsprechend häufig mit besonderem Nachdruck betont. Die materielle Existenz ist nämlich unausweichlich mit der Veränderlichkeit verknüpft. Alles Irdische hört im Prozess der mutabilitas auf, das zu sein, was es früher gewesen ist, und wird etwas anderes, was es früher nicht war. Die letzte Konsequenz dieser Veränderungen stellt der Tod dar.228 Häufig reflektiert der Papst die Vergänglichkeit des menschlichen Körpers, was in mancher Hinsicht gewiss auf seine mönchisch-asketische Einstellung zurückzuführen ist. So hob er hervor, dass der Mensch nach dem Sündenfall auf der Erde „im vergänglichen Fleische“229 weilt. Diese Vergänglichkeit des menschlichen Leibes bezeichnete der Papst als „Misthaufen“230. Aus dieser fruchtlosen und schändlichen Vergänglichkeit des Fleisches wird die Seele erst im Tod herausgeführt, „dann ist gewiß für sie der Winter vorüber, weil die Erstarrung des gegenwärtigen Lebens gewichen ist.“231 Die Sterblichkeit stellt also einerseits die natürliche Folge der mutabilitas dar, andererseits wird der Mensch erst durch das Sterben von der mutabilitas befreit. Diese Vergänglichkeit und die damit verbundene Zeitlichkeit vermag einer, der die Kenntnis vom Ewigen hat, nur mühselig zu ertragen.232 Die ad senectutem, senectus transit ad mortem, in cursu uitae praesentis ipsis suis augmentis ad detrimenta impellitur; et inde semper deficit unde se proficere in spatium uitae credit … Quia igitur homo uelut flos nascitur et conteritur, quia sicut umbra fugit, atque in statu suo numquam permanet … 226 Vgl. darüber WEBER, Hauptfragen, 120–123. 227 In euang. II, 28, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 527). 228 Vgl. moral. XXV, 6, 9 (CCL 143B, 1235): Omnis namque immutatio uelut quaedam mortis imitatio est. Id enim quod mutat quasi ab eo quod erat interficit, ut desinat esse quod fuit, et incipiat esse quod non fuit. 229 In Ezech. I, 7, 18 (B ÜRKE, CMe 21, 131). 230 In euang. II, 40, 12 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 869). 231 In Ezech. II, 4, 15 (B ÜRKE, CMe 21, 331). Vgl. auch in euang. II, 37, 9 (FC 28/2, 762): Quo tenso, spiritum emisit, sicque sancta illa anima ad gaudia aeterna perveniens, a carnis corruptione soluta est. 232 Vgl. moral. IV, 1, 4 (CCL 143, 166): Qui igitur diem iam aeternitatis uidet, aegre diem suae mortalitatis sustinet; moral. VI, 13, 16 (CCL 143, 294f).

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

Erwählten erkennen die Nichtigkeit der vergänglichen Dinge und erdulden deshalb klagend die irdische Verbannung in ihrer Suche nach Gott.233 Dasselbe behauptete Gregor gleichermaßen für die Kirche: „Solange die heilige Kirche ein Leben der Vergänglichkeit führt, läßt sie nicht davon ab, die Gebrechen ihrer Unbeständigkeit zu beklagen.“234

Gregors Reflexionen über die Vergänglichkeit der Welt entbehren offensichtlich nicht der eschatologischen Perspektive. Die Aussagen über die Vergänglichkeit des Irdischen verknüpfte der Papst in der Regel mit Hinweisen auf die Beständigkeit des Himmlischen. In diesem Licht legte er die Evangelienperikope vom Fischfang des Apostels Petrus (Joh 21, 1–14) aus. Petrus zieht nämlich das mit Fischen gefüllte Netz aus dem Meer ans feste Ufer, d. h. mit der Stimme heiliger Verkündigung zeigt er den noch im Gewoge der gegenwärtigen Welt weilenden Gläubigen die Beständigkeit der ewigen Heimat.235 Die mutabilitas des irdischen Lebens konfrontierte Gregor anderenorts direkt mit der stabilitas des Ewigen: „Zwei Leben gab es nämlich, eines davon kannten wir, das andere kannten wir nicht; eines ist sterblich, das andere unsterblich: das eine gehört der Vergänglichkeit, das andere der Unvergänglichkeit, das eine dem Tod, das andere der Auferstehung.“236

Solange man in diesem vergänglichen Leben weilt, kann man also die ewige Unvergänglichkeit noch nicht deutlich wahrnehmen.237 Infolgedessen legte Gregor die Worte Ijobs: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin“ (Ijob 3, 3), folgendermaßen aus: „Warum wird über den Tag der Geburt gelästert, wenn nicht, um offen zu sagen: Es mögen die Tage der Vergänglichkeit vergehen und das Licht der Ewigkeit hervorbrechen.“238

In Anbetracht all dieser Beispiele lässt sich gewiss behaupten, dass der eigentliche Sinn der Ausführungen Gregors über die mutabilitas nicht in ihnen selbst zu suchen ist, sondern eher in der Ankündigung der stabilitas. 233

Vgl. moral. I, 25, 34 (CCL 143, 43f). Moral. VIII, 10, 19 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 27). 235 Vgl. in euang. II, 24, 4 (FC 28/2, 430–432). Vgl. auch in euang. I, 11, 4 (FC 28/1, 186): Sancta Ecclesia sagenae comparatur, quia et piscatoribus est commissa, et per eam quisque ad aeternum regnum a praesentis seculi fluctibus trahitur, ne in aeternae mortis profunda mergatur ... Quam educunt, et secus littus sedent: quia sicut mare seculum, ita seculi finem significat littus maris. 236 In euang. II, 21, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 383). 237 Vgl. moral. IV, 1, 4 (CCL 143, 166): Quod quamdiu nos in hac nostrae mutabilitatis corruptione retinet, aeternitatis nobis incommutabilitas non apparet. 238 Vgl. moral. IV, 1, 4 (CCL 143, 166): Quid est ergo diei natiuitatis maledicere nisi aperte dicere: Dies mutabilitatis pereat et lumen aeternitatis erumpat. 234

7. Der Pilgercharakter des irdischen Lebens

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Mit anderen Worten: Gregor versucht nicht, die Kenntnis der Gläubigen von der Vergänglichkeit des Irdischen zu vertiefen, sondern ihnen von der Unvergänglichkeit des Himmlischen Kunde zu geben bzw. sie auf die letztendliche Unbeständigkeit der irdischen Dinge hinzuweisen. Dies lässt sich treffend aus seinen ausschließlich pastoral motivierten Äußerungen über die Vergänglichkeit des Irdischen erkennen: „Seht, alles was ihr tut, vergeht, und ohne dass es irgendeinen Aufschub gäbe, eilt ihr täglich zum Endgericht, ob ihr es wollt oder nicht. Warum wird also geliebt, was man verlassen muß? Warum wird das vernachlässigt, wohin man gelangt?“239

7. Der Pilgercharakter des irdischen Lebens Um die irdische Existenz des Menschen zu bezeichen, bedient sich Gregor gerne des in der kirchlichen Tradition verbreiteten Bildes der Pilgerschaft des irdischen Lebens.240 Nachdem der Mensch das Paradies, das der Ursprung aller Menschen ist und das Gregor mit dem Mutterschoß vergleicht,241 verloren hat, befindet er sich im Exil dieser Zeit, das eine leidvolle Erfahrung darstellt.242 Gregor weist nachdrücklich darauf hin, dass eine solche menschliche Existenz, die mit der Sterblichkeit verbunden ist, nicht der ursprünglichen, eigentlichen Intention Gottes entspricht. Durch die Zerstörung seines Verhältnisses zu Gott ist der Mensch in die nächtliche Finsternis dieser Weltzeit geraten.243 „Nachdem das Menschengeschlecht aus den Freuden des Paradieses vertrieben worden ist,“ schreibt Gregor, „kommt es in diese Pilgerschaft des gegenwärtigen Lebens und hat dabei ein Herz, das blind für geistliche Einsicht ist.“244

Der Mensch befindet sich im gegenwärtigen Leben zwischen dem verlorenen und dem noch zu erlangenden Paradies. Dieses irdische Leben ist also 239

In euang. I, 15, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 243). Vgl. auch epist. V, 16 (CCL 140, 283): Vnde necesse est ut Deum in omne quod gerimus attendamus, peritura et temporalia contemnamus atque ad aeternitatis bona cordis desiderium dirigamus; in euang. II, 39, 8 (FC 28/2, 822): Quid ergo esse nobis de praesentibus ad delectationem debet, quando cunctis simul transeuntibus, non valet transire quod imminet? Quando et hoc funditus finitur, quod diligitur: et illud incipitur, ubi dolor nunquam finitur? 240 Vgl. z. B. AUGUSTINUS, doct. christ. I, 4, 4 (CCL 32, 8): Sic in huius mortalitatis uita peregrinantes a domino, si redire in patriam uolumus, ubi beate esse possimus …; AUGUSTINUS, in Ioh. evang. tract. 124, 5 (CCL 36, 684f). 241 Vgl. moral. IV, 12, 22 (CCL 143, 178): Quod unicuique homini: uenter est matris, hoc uniuerso humano generi exstitit habitatio illa summa paradisi. 242 Vgl. moral. VII, 2, 2 (CCL 143, 335–337); moral. VII, 3, 3 (CCL 143, 337); moral. V, 2, 2 (CCL 143, 219). 243 Vgl. moral. XVI, 64, 78 (CCL 143A, 844f); moral. IX, 8, 8 (CCL 143, 461). 244 In cant. 1 (FRANK, CMe 29, 93).

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

ein Weg, auf dem sich der Mensch in die wahre Heimat, in die patria caelestis, begibt.245 Das Streben des Menschen nach dem Anteil der Erwählten wird erst in der wahren Heimat belohnt. Erst dort wird der Pilger „mit der Speise unvergänglicher Ewigkeit genährt.“246 Erst dort wird der Mensch „die inneren Freuden des immer blühenden Paradieses“247 genießen. Die Häufigkeit, mit der Gregor den Gedanken der Pilgerschaft zum Ausdruck bringt, gelegentlich anhand gewisser Schlüsselworte aus der Bibel,248 lässt sich gewiss auf die cura animarum zurückführen. Alle Menschen sind in das Elend dieser Pilgerschaft hineingeboren und können ihrer Mühsal nicht entrinnen. Aufgrund der geistigen Blindheit verlieren einige jedoch den Pilgercharakter des gegenwärtigen Lebens aus den Augen.249 Sie vergessen, dass sie hier, wohin sie nur vorübergehend kamen, keinen festen Stand haben und dass eben dieses unser Leben ein tägliches Abschiednehmen vom Leben ist.250 „Nie sehnen sie sich nach der Schau der ewigen Heimat, verharren vielmehr dort, wohin sie verbannt sind, lieben anstelle der Heimat die Verbannung, die sie erdulden, und in der ihnen auferlegten Blindheit frohlocken sie, als stünden sie im hellsten Licht.“251

Indem man sich auf dem schlüpfrigen Boden der Zeitlichkeit befindet und ein Leben der Vergänglichkeit führt,252 besteht fortwährend die Gefahr, das Gespür für die unvergängliche Welt zu verlieren und seine ewige Bestimmung zu vergessen. Aber gerade diesem schlüpfrigen Boden der Zeitlichkeit und der damit verbundenen Passion schreibt Gregor einen Erinnerungscharakter zu. Das Leiden am Mangel dieser Zeit lässt sich folglich seit der Ursünde nicht vermeiden, aber die göttliche Heilspädagogik bedient sich dieses Leidens als des bitteren Bechers der Reinigung,253 um den

245 Vgl. in euang. I, 11, 1 (FC 28/1, 182): In praesenti etenim vita quasi in via sumus, qua ad patriam pergimus; in euang. I, 1, 3 (FC 28/1, 56): Quid est vita mortalis nisi via?; moral. XXIII, 24, 47 (CCL 143B, 1179): Via quippe est uita praesens, qua ad patriam tendimus; epist. IX, 218 (CCL 140A, 782). 246 In euang. I, 14, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 233). 247 In euang. I, 14, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 233). 248 Vgl. moral. XVIII, 30, 48 (CCL 143A, 916f); moral. XXVI, 35, 64 (CCL 143B, 1315). 249 Vgl. moral. XI, 49, 66 (CCL 143A, 624); moral. VII, 2, 2 (CCL 143, 406). 250 Vgl. moral. XI, 50, 68 (CCL 143A, 625): Fixum etenim statum hic habere non possumus ubi transituri uenimus; atque hoc ipsum nostrum uiuere, cotidie a uita transire est. 251 Moral. I, 25, 34 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 28). 252 Vgl. moral. VIII, 10, 19 (CCL 143, 395). 253 Vgl. in euang. I, 3, 3 (FC 28/1, 86).

7. Der Pilgercharakter des irdischen Lebens

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Menschen ihre wahre Bestimmung, den Himmelsbürgern zugesellt zu werden, vor Augen zu halten. Das Bild der Pilgerschaft bezog Gregor überdies nicht nur auf die individuelle, sondern auch auf die ekklesiologische Ebene, d. h. nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch die Kirche insgesamt sah er als auf dem Pilgerweg des irdischen Lebens befindlich an, dessen Vollendung die patria caelestis darstellt.254 Als das pilgernde Volk betrachtete Gregor „die Schar der Erwählten, die sich in diesem Leben als verbannt erachten und mit der ganzen Kraft ihres Herzens nach der himmlischen Heimat verlangen.“255 Aus diesem Grund verstand er die Kirche in dieser Welt vornehmlich als ecclesia peregrina.256 Obwohl sich die Aussagen Gregors über den Anfang der Existenz der Kirche kaum in Einklang bringen lassen, ändert dies nichts an seinen Überlegungen anlässlich der letzten Bestimmung der Kirche: Der wahre Ort der Kirche ist nicht diese irdische Welt, sondern die patria caelestis. Zwei Hauptthesen lassen sich nämlich in Gregors Reflexionen über den Anbeginn der Kirche erkennen: Zuerst sah Gregor die Kirche als seit dem Weltbeginn oder seit Abel bestehend an.257 Der Formel sancta electorum ecclesia in antiquum statum restauranda zufolge ist es ebenso berechtigt, die Existenz der Kirche schon mit dem Paradies in Verbindung zu bringen.258 Andererseits betrachtete Gregor die Kirche als in der Zeit Christi grundge254

Der Subjektwechsel von der Seele zur Kirche, der in Gregors exegetischen Werken oft anzutreffen ist, lässt die Anwendung des exegetischen Prinzips ecclesia vel anima bei der Auswertung der einzelnen Aussagen Gregors legitim erscheinen. Vgl. dazu die gut begründete Erklärung in F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 51–56. Vgl. noch: in Ezech. II, 2, 15 (CCL 142, 235): Omnipotens Deus, qui nec in magnis tenditur, nec in minimis angustatur, sic de tota simul Ecclesia loquitur ac si de una anima loquatur. Et saepe quod ab eo de una anima dicitur nil obstat, si de tota simul Ecclesia intellegatur; in Ezech. II, 4, 15 (CCL 142, 269): Siue enim sancta Ecclesia, seu unaquaeque electa anima, caelesti sponso est amica per amorem, columba per spiritum, formosa per morum pulchritudinem. Angesichts des Pilgercharakters der Kirche vgl. auch AUGUSTINUS, civ. XVIII, 51 (CCL 48, 650): Sic in hoc saeculo, in his diebus malis non solum a tempore corporalis praesentiae Christi et apostolorum eius, sed ab ipso Abel, quem primum iustum impius frater occidit, et deinceps usque in huius saeculi finem inter persecutiones mundi et consolationes Dei peregrinando procurrit ecclesia. 255 Moral. XVIII, 30, 48 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 29). 256 Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 107–124. 257 Vgl. in cant. 12 (CCL 144, 14): Ponamus ante oculos omne genus humanum ab exordio mundi usque ad finem mundi, totam uidelicet ecclesiam, unam esse sponsam...; moral. III, 17, 22 (CCL 143, 135); epist. V, 44 (CCL 140, 332); in euang. I, 19, 1 (FC 28/1, 320): Qui habet vineam, universalem scilicet Ecclesiam, quae ab Abel iusto usque ad ultimum electum, qui in fine mundi nasciturus est, quot sanctos protulit, quasi tot palmites misit. 258 Vgl. moral. XXVII, 26, 49 (CCL 143B, 1368).

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

legt, sei es in der Menschenwerdung oder im Kreuzestod Jesu, sei es einfach, dass der Anbeginn der Kirche zur Zeit Jesu oder der Apostel gesetzt wird.259 Die eschatologische Konzeption der Kirche ist dagegen bei Gregor eindeutig. „Die heilige Kirche hat zwei Leben, das eine, das sie in der Zeit führt, das andere, das sie in Ewigkeit empfängt, das eine, in dem sie sich auf Erden abmüht, das andere, in dem sie den Lohn im Himmel erhält.“260

Die Kirche vergleicht Gregor mit einer Arche, die, nachdem die Wogen dieses Lebens veschwunden sind, in die himmlische Heimat kommen wird.261 „Dort ist die schöne Feier derer, die von der tristen Mühsal dieser Pilgerschaft heimkehren.“262

8. Die persönlichen Erfahrungen Im Zusammenhang mit dem Thema der Abwendung von der Welt sollen nun am Ende dieses Kapitels die persönliche Perspektive Gregors auf dieses Thema bzw. seine persönlichen Erfahrungen, die seine Beschäftigung mit der Theologie nachhaltig geprägt haben, besprochen werden. Obschon darüber, dass die Theologie des Papstes nicht ohne den historischen Kontext richtig zu bewerten ist, in der bisherigen Forschung zu Gregor ein weitgehender Konsens besteht, wurde die Verbindung zwischen den Zeitumständen bzw. dem Leben und der Theologie Gregors häufig nicht ausreichend berücksichtigt.263 Aber gerade dieser Zusammenhang darf nicht aus den Augen verloren werden, wenn man Gregors Beitrag zum patristischen Zeitalter fundiert darstellen möchte. Losgelöst aus ihrem historischen Kontext kann also die Lehre des Papstes nicht gerecht beurteilt bzw.

259 Vgl. in Ezech. I, 6, 15 (CCL 142, 75): Vt enim pauca de multis loquar, quid est quod Adam dormiente Eua producitur, nisi quod moriente Christo Ecclesia formatur?; in Ezech. II, 4, 17 (CCL 142, 271): In uno ergo cubito consummatur arca, quia unus est Auctor et Redemptor sanctae Ecclesiae sine peccato, ad quem et per quem omnes proficiunt, qui se esse peccatores nouerunt; moral. XIX, 28, 51 (CCL 143A, 977); moral. XVIII, 31, 50 (CCL 143A, 918); in euang. II, 29, 4 (FC 28/2, 534); in Ezech. II, 3, 14 (CCL 142, 246); in Ezech. II, 3, 17 (CCL 142, 249f). Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 110. 260 In Ezech. II, 10, 4 (B ÜRKE, CMe 21, 449). 261 Vgl. epist. XI, 28 (CCL 140A, 914): Quae profecto arca cessante diluuio in monte requieuit, quia huius uitae corruptione cessante, cum malorum operum fluctus transierint, in caelesti patria sancta ecclesia uelut in excelso monte requiescit. 262 In euang. I, 14, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 233–235). 263 Vgl. darüber GRESCHAT, Die Moralia in Job, 3–9.

8. Die persönlichen Erfahrungen

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verstanden werden. In dieser Hinsicht ähnelt Gregor offensichtlich seinem großen Vorgänger Augustinus. Die Zeitumstände am Ende des sechsten bzw. am Anfang des siebten Jahrhunderts wurden bereits im ersten Kapitel hinlänglich vorgestellt, so dass im weiteren Verlauf dieser Arbeit nur noch auf einige Stellen in Gregors Werken hingewiesen werden soll, die eine bessere Erörterung seiner Theologie aus seiner persönlichen Perspektive ermöglichen. Daher werden nun einige Auszüge aus den Werken des Papstes vorgestellt, die das Verhältnis zwischen der Predigt von der Weltabkehr und seiner eigenen Lebenserfahrung begreiflich machen können. Im Widmungsbrief der Moralia an Leander von Sevilla, mit dem Gregor seit der Zeit, die er in Konstantinopel als Apokrisiar verbrachte, befreundet war, gab der Papst offen zu, dass ihn die Hingabe an das Weltliche lange Zeit hinderte, sich dem Ewigen vollkommen zu widmen: „Lange hatte ich die Gnade der Bekehrung von mir gewiesen, und selbst nachdem ich vom göttlichen Verlangen angehaucht wurde, hielt ich es für besser, weltlich aufzutreten. Es offenbarte sich mir damals schon etwas von der Liebe zum Ewigen, wonach ich mich sehnte, aber die eingewachsene Gewohnheit hatte obsiegt, so dass ich den äußeren Lebenswandel nicht änderte. Und obwohl es mich bis dahin dazu gedrängt hatte, der gegenwärtigen Welt nur dem äußeren Schein nach eifrig zu dienen, begannen mir aus dieser Welt vielfältige Sorgen zu entspringen, so dass ich in ihr nicht nur zum Schein, sondern, schwerwiegender, im Geist festgehalten wurde. Endlich, all dies bekümmert fliehend, steuerte ich den Hafen des Klosters an, und nachdem ich alles Weltliche, es als unnütz erachtend, zurückgelassen hatte, bin ich dem Schiffbruch des Lebens nackt entkommen.“ 264

Die Ruhe des beschaulichen Lebens im Kloster genoss der Papst jedoch nicht zu lange, weil er im Jahr 579 die Diakonatsweihe empfing und bald darauf nach Konstantinopel entsandt wurde. Im eben zitierten Brief beklagte Gregor dies, indem er schrieb, dass er als Apokrisiar erneut „in die Flut weltlicher Geschäfte“265 geraten sei, nun aber „scheinbar im Gewand des kirchlichen Standes.“266 Seine mönchische Bruderschaft, die ihn in Konstantinopel begleitet hatte, brachte ihm jedoch eine gewisse Erholung von den alltäglichen Tätigkeiten: „Ich erachte es als durch göttlichen Ratschluss geschehen, dass ich durch ihr [sc. dasjenige von lieben Brüdern] Beispiel wie mit einem Anker-Tau an das sichere Ufer des Gebets gebunden wurde, während ich unablässlich unter den Stößen weltlicher Geschäfte schlingerte. In ihre Gemeinschaft nämlich flüchtete ich gleichsam wie in den

264

Moral. epist. ad Leandrum 1 (übers. von MICHEL, Wo das Lamm watet, 73). Moral. epist. ad Leandrum 1 (übers. von MICHEL, Wo das Lamm watet, 74). 266 Moral. epist. ad Leandrum 1 (übers. von MICHEL, Wo das Lamm watet, 74). 265

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Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

Schutz eines sicheren Hafens in einer Bucht vor den Wirbeln und Wogen der öffentlichen Tätigkeiten.“267

Die unerwünschte Ernennung zum Papst brachte für Gregor eine neue Bürde weltlicher Geschäfte mit sich. In der praefatio des ersten Buches der Dialoge beschrieb er seine tiefe Betrübnis darüber: „Meine arme, von der Arbeitslast verwundete Seele denkt zurück, wie glücklich sie einst im Kloster war, wie alles Hinfällige weit unter ihr lag, wie sie alles Wandelbare hoch überragte, wie sie nur an Himmlisches zu denken gewöhnt war ... Jetzt aber muss sie sich wegen des Hirtenamtes mit den Anliegen der Weltleute befassen und sich, nachdem sie eine so herrliche Ruhe genossen, mit dem Staube irdischer Beschäftigung bedecken lassen. Und wenn sie sich durch das Eingehen auf so viele Fragen nach außen zerstreut hat, kehrt sie, wenn sie wieder dem Innerlichen sich zuwendet, geschwächt zurück ... Bisweilen aber kommt zur Steigerung meines Schmerzes noch hinzu, dass mir das Leben einiger Männer ins Gedächtnis zurückgerufen wird, die der heutigen Welt ganz und gar Lebewohl gesagt haben. Wenn ich dann die Höhe, auf der diese Männer wandelten, betrachte, da erkenne ich, wie tief ich stehe.“268

Aus diesem Passus lässt sich wie aus einem Kompendium nahezu die gesamte Lehre des Papstes von der Loslösung von der Welt ablesen. Die Beschäftigung mit dem Irdischen hindert den Menschen an seinem Aufstieg zum Himmlischen und lässt ihn schließlich sich selbst bzw. seiner Innerlichkeit entfremden. Wer dann auf der Höhe der Heiligen wandeln möchte, muss alles Hinfällige, alles Wandelbare, alles Äußere entschieden von sich abweisen und sich dem Innerlichen bzw. dem Himmlischen zuwenden. Gregors Lehre über die Abwendung von der Welt und seine Weltsicht überhaupt wurde besonders durch seinen Gesundheitszustand geprägt. Bereits vor seinem Amtsantritt berichtete Gregor im Brief an Leandrum, in dem er die Umstände bei der Entstehung der Moralia in Iob schilderte, von seiner durch Krankheit geschwächten Gesundheit: „Viele Jahre lang werde ich immer wieder von Leibschmerzen gepeinigt, jede Stunde, jeden Augenblick ermüde ich wegen eines Magenübels, und ich hechle unter zwar leichten, aber immer wieder aufkommenden Fieberschüben ... Und vielleicht war dies der Ratschluss der göttlichen Vorsehung, dass ich Geplagter die Plagen Jobs auslegen sollte und den gepeinigten Geist durch jene Pein besser empfinden lerne.“269

267

Moral. epist. ad Leandrum 1 (übers. von MICHEL, Wo das Lamm watet, 74). Dial. I, praef. (FUNK, BKV2 3, 1f). Vgl. auch in Ezech. I, 11, 5f (CCL 142, 171f); epist. I, 5 (CCL 140, 5f): Sed repente a rerum uertice temptationis huius turbine impulsus ad timores pauoresque corrui, quia, etsi mihi nil timeo, eis tamen qui mihi commisi sunt multum formido. Vndique causarum fluctibus quatior ac tempestatibus deprimor, ita ut recte dicam: Veni in altitudinem maris et tempestas demersit me. Redire post causas ad cor desidero, sed uanis ab eo cogitationum tumultibus exclusus redire non possum. 269 Moral. epist. ad Leandrum 5 (übers. von MICHEL, Wo das Lamm watet, 82). 268

8. Die persönlichen Erfahrungen

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In den Dialogen beklagte Gregor, dass ihm der schlechte Gesundheitszustand sogar das Fasten zu Ostern unmöglich machte.270 Die mit der Übernahme des Pontifikats verknüpften täglichen Anstrengungen, sowie Gregors asketische Lebensweise bewirkten, dass seine körperlichen Beschwerden im Laufe der Zeit zunahmen und ihn bei der Ausübung seines Amtes ernsthaft behinderten271, bis er schließlich seit 598 meistens bettlägerig war. Seine Briefe vom Jahre 598 bis 604 liefern dabei Zeugnisse seiner Krankheitsgeschichte auf eine eindrucksvolle Art und Weise.272 Gregors Gesundheitszustand beeinflusste nicht nur die Ausübung seiner pastoralen Aktivitäten, sondern auch seine Weltsicht.273 Die irdische Welt bzw. der Körper stellte für den kranken Papst nur die auferlegte Bürde dar, die der Mensch zu ertragen hat. Infolge der Krankheiten verblasste Gregors Interesse für das Irdische, während sich sein Blick für das Himmlische verschärfte. Der Papst schrieb: „Je härter ich von den gegenwärtigen Leiden niedergedrückt werde, desto zuversichtlicher atme ich auf in der Hoffnung auf die Ewigkeit.“274

Die Loslösung von dieser Welt und vom menschlichen Körper wünschte sich Gregor so sehr, dass er dem Patriarchen Eulogius von Alexandrien schrieb: 270 Vgl. dial. III, 33 (FUNK, BKV2 3, 169): „Als ich nämlich einmal, während ich noch im Kloster war, schneidende Schmerzen in den Eingeweiden hatte und wegen heftiger Beklemmungen – die Ärzte nennen diese Erscheinung mit einem griechischen Wort Synkope – von Stunde zu Stunde dem Ende näher zu kommen schien, da wäre ich wohl gestorben, wenn die Brüder mich nicht oft und oft mit Speise gestärkt hätten. So nahte das Osterfest; und da ich am hochheiligen Karsamstag, an dem alle, sogar die kleinen Kinder fasten, das Fasten nicht halten konnte, nahm meine Schwäche noch zu, mehr aus Traurigkeit als aus Krankheit.“ 271 Vgl. epist. X, 14 (CCL 140A, 840f): Transacto anno suauissima sanctitatis uestrae scripta suscepi, quibus pro aegritudinis meae nimietate respondere nunc usque non ualui. Ecce enim iam biennium paene expletur, quod lectulo teneor tantisque podagrae doloribus affligor, ut uix in diebus festis usque ad horarum trium spatium surgere ualeam missarum solemnia celebrare. Mox autem cum graui depellor dolore decumbere, ut cruciatum meum possim gemitu interrumpente tolerare. Qui dolor interdum mihi lentus est, interdum nimius, sed neque ita lentus, ut recedat, neque ita nimius, ut interficiat. Vnde fit ut, qui cotidie in morte sum, cotidie repellar a morte. 272 Vgl. darüber ausführlicher R ICHARDS, Gregor der Große, 53–55. 273 In diesem Lichte schreibt LECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen, 33: „Die Krankheit des hl. Gregor ist eines der großen Ereignisse in der Geschichte der Spiritualität; denn sie bestimmt zu einem Teil seine Lehre, sie gibt ihr einen Zug zum Menschlichen und Maßvollen, eine überzeugende Kraft, und daher rührt ihr Einfluss: das Elend des Menschen ist für ihn nicht nur eine theoretische Feststellung, er hat es an sich selbst erfahren um den Preis einer Empfindsamkeit, die durch die Nöte eines jeden Tages verschärft und gesteigert wurde.“ 274 Moral. epist. ad Leandrum 5 (übers. von MICHEL, Wo das Lamm watet, 82).

114

Kapitel III. Loslösung von der Diesseitsorientierung

„Kein Wunder, dass ich schwerer Sünder lange im Gefängnis dieses verweslichen Leibes eingeschlossen bleiben muss! So sehe ich mich gezwungen, auszurufen: ‚Führe heraus aus dem Gefängnis meine Seele, damit sie deinen Namen preise!‘ Weil ich aber mit meinem Gebete dies noch nicht zu erlangen verdiene, so bitte ich Ew. Heiligkeit, mir die Hilfe Eures Gebetes angedeihen zu lassen und mich von der Last meiner Sünden und des verweslichen Leibes zu befreien, damit ich zu der Euch wohlbekannten Freiheit der Kinder Gottes gelange.“275

Vor diesem Hintergrund bekommen nun Gregors Aufrufe zur Weltentsagung eine neue inhaltliche Färbung. Seine Lehre von der Abwendung von der Welt beruhrt offensichtlich nicht nur auf der rein denkerischen Leistung, sondern auch auf der Empirie. Selbst zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen, zwischen actio und contemplatio ausgespannt, sah Gregor klar, welche Gefahr die Beschäftigung mit dem Weltlichen für die wahre Bestimmung des Menschen birgt. Der Hang zum Irdischen, der aus solcher Beschäftigung leicht entsteht, lähmt den Menschen in seinem Streben nach der patria caelestis und lässt ihn schließlich völlig dem Diesseitigen verfallen. In dieser Hinsicht trug zur Formung der Lehre über die Loslösung von der Diesseitsorientierung sein Erleben wahrscheinlich nicht viel weniger bei als die gesamte theologische Tradition, in der sich Gregor bewegte, sowie die Heilige Schrift. Das konsequente Aufzeigen dieser Problematik ist gewiss auf seine Erfahrung der Unvereinbarkeit der Liebe zu Gott und der Liebe zur Welt zurückzuführen. Der Papst predigte offen: „Der Herr ruht also in jenen Herzen, die die Liebe zur gegenwärtigen Welt nicht entflammt ...“276

Die Loslösung von der Welt stellte also für Gregor das Charakteristikum des christlichen Lebens schlechthin dar. Er betrachtete die Weltentsagung nicht als eine „Tugend“ unter anderen, vielmehr ist sie eine Grundhaltung, die das ganze Tun und Denken des Menschen charakterisiert, entweder im positiven oder im negativen Sinne, d. h. diese Grundhaltung als solche definiert fundamental die existenzielle Lebensorientierung des Menschen, sei es zum Iridischen, sei es zum Himmlischen. Infolgedessen behauptete der Papst, dass man erst durch die Aufgabe des Weltlichen die Voraussetzung für den Aufstieg zum Himmlischen erfüllt. Gregor fasste dies mit folgenden Worten zusammen: „... die, welche im Herzen zu Himmlischem aufsteigen, die Niederungen dieser Welt verlassen und auf dem Berggipfel des Geistes stehen.“277

275

Epist. X, 14 (KRANZFELDER, BKV1 27, 533). In euang. II, 33, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 633). 277 In Ezech. I, 12, 1 (B ÜRKE, CMe 21, 236). 276

8. Die persönlichen Erfahrungen

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Die eigentliche Botschaft der Loslösung von der Diesseitsorientierung erschöpft sich bei Gregor jedoch gewiss nicht in der Forderung nach Weltabkehr, sondern erst in der Ankündigung der patria caelestis. „Wenn ich zur Weltverachtung ermahne, komme ich, euch zum Gastmahl Gottes einzuladen.“278

Die Einladung zum ewigen Gastmahl Gottes steht also hinter Gregors Aufruf zur Weltentsagung und drückt den eigentlichen Sinn der Aufgabe des Weltlichen aus, die offensichtlich ihre Erfüllung erst in der Hingabe an das Himmlische findet. Die Loslösung vom Diesseits stellt dementsprechend nur eine Voraussetzung für die Verwirklichung der Orientierung auf das Jenseits dar: „Diejenigen werden also beim letzten Mahl von der Gegenwart der Wahrheit gespeist, die jetzt im Streben nach Vollkommenheit das Irdische übersteigen, die sich nicht von der Liebe zu dieser Welt fesseln lassen und in denen die Welt trotz all ihrer sich aufdrängenden Versuchungen dennoch die aufkeimende Sehnsucht nicht auszulöschen vermag.“279

Hierin brachte Gregor ein weiteres Charakteristikum seiner Theologie zur Sprache, das es im nächsten Kapitel dieser Arbeit zu erläutern gilt: die Sehnsucht nach dem Himmlischen.

278 279

In euang. II, 36, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 715). In euang. II, 24, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 437–439).

Kapitel IV

Caeleste desiderium Wenn das Charakteristikum der summa theologiae Gregors mit einem einzigen Begriff zum Ausdruck gebracht werden sollte, wäre „Sehnsucht“ gewiss die erste Wahl. Der Grund dafür liegt in der eschatologischen Ausrichtung der Theologie Gregors. Die akzentuierte Jenseitsorientierung des Papstes findet ihr Echo gerade im caeleste desiderium. Die Jenseitsorientierung manifestiert sich nämlich im irdischen Leben als Sehnsucht nach dem Himmlischen. Deshalb nimmt die Sehnsucht einen so zentralen Platz in der Spiritualität Gregors ein. Nicht umsonst wurde Gregor von Leclercq als der „Lehrer der Sehnsucht“ bezeichnet.1 Das Thema der Sehnsucht durchzieht die gesamte Spiritualität des Papstes. Ungeachtet dessen, ob man sich mit Gregors Soteriologie, Christologie oder Pneumatologie beschäftigt, kommt man schlechthin am Thema der Sehnsucht nicht vorbei. Eben deswegen stellt es sich als kaum umsetzbar heraus, die Sehnsucht als ein besonderes Kapitel der Spiritualität Gregors, das darüber hinaus heutzutage eher der monastischen Prägung des Papstes zugeschrieben werden würde, zu analysieren, ohne dabei die gesamte Lehre Gregors in Betracht zu ziehen. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle die Bedeutung und der Ort der Sehnsucht in der Theologie Gregors aus den verschiedenen Perspektiven erschlossen werden, sei es vor dem Hintergrund des Verhältnisses zum Irdischen, sei es aus der Relation der Sehnsucht und der Nächstenliebe. Besondere Aufmerksamkeit soll auch der Umsetzung der Sehnsucht ins konkrete Menschenleben und deren Konsequenzen gewidmet werden, weil Gregor die Sehnsucht vor allem aus der Perspektive des subjektiven Erlebens herausarbeitete. Die Grundlage solch eines Vorhaben liegt eigentlich darin, dass man die Sehnsucht beim Papst nicht als ein mehr oder weniger autonomes „Gefühl“ oder „Intention“ erfassen kann. Ein solches Bemühen wäre schlechthin falsch. Gregor schrieb selbst keine eigenen theologischen Abhandlungen, was für sein Theologieverständnis aufschlussreich sein kann. Man muss deshalb versuchen, den „Sitz im Leben“ der Sehnsucht innerhalb der Theologie Gregors zu erforschen. Erst aus dem gesamten Kontext der Heilsgeschichte kann man dem

1

Vgl. LECLERCQ, Wissenschaft, 34. Vgl. auch FIEDROWICZ, Einleitung, 35f.

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Kapitel IV. Caeleste desiderium

Sehnsuchtsverständnis Gregors auf die Spur kommen. Diese These stellt den Ausgangspunkt des vorliegenden Kapitels dar.

1. Die Quelle der Sehnsucht Die Grundlage der Sehnsucht nach dem Himmlischen verband Gregor mit dem Schöpfungsakt. Die von Gott im Schöpfungsakt gegebene Bestimmung prägt wesentlich die Existenz des Menschen und wird damit auch die Quelle der Sehnsucht. Der Mensch wurde nämlich nach dem Ebenbild Gottes2 zur Kontemplation seines Schöpfers erschaffen, damit er sein Antlitz immer sucht und in der Feier seiner Liebe verharrt.3 Durch die Ursünde gab er aber die Ebenbildlichkeit Gottes auf.4 Der Mensch verlor dadurch die Möglichkeit der beständigen Kontemplation und wurde aus den Freuden des Paradieses vertrieben.5 2 SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 74 (Anm. 323) findet eine kausale Verbindung zwischen der Erschaffung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes und der Sehnsucht nach Gott: „Die Erschaffung des Menschen ad imaginem Dei impliziert den Gedanken, dass der Mensch Gott sucht, um in ihm seine Vollendung zu finden.“ Vgl. dazu auch W EBER, Hauptfragen, 114: „Gottes Ebenbild aber, wie es in der vernünftigen Natur des Menschen zum Ausdruck kommt, ist Grundlage und Ausgangspunkt der göttlichen Berufung des Menschen zum ewigen Leben.“ 3 Vgl. moral. VIII, 18, 34 (CCL 143, 406): Ad contemplandum quippe Creatorem homo conditus fuerat ut eius semper speciem quaereret, atque in sollemnitate illius amoris habitaret. 4 Das beschrieb der Papst anschaulich in der Auslegung des Gleichnisses von der verlorenen Drachme. Vgl. in euang. II, 34, 6 (FC 28/2, 650): Et quia imago exprimitur in drachma, mulier drachmam perdidit: quando homo, qui conditus ad imaginem Dei fuerat, peccando a similitudine sui Conditoris recessit. Gregors Aussagen hinsichtlich des Verlustes der Ebenbildlichkeit sind nicht ganz konsequent. Infolgedessen bemerkt W EBER, Hauptfragen, 113: „Bei sorgfältigem Vergleich der Texte und genauer Beachtung des Zusammenhanges wie der auszulegenden Schriftstelle mag man überdies zu der Auffassung kommen, dass Gregor, wenn er von einem Verlust der natürlichen Gottähnlichkeit spricht, nicht so sehr den ganzen Menschen als vielmehr dessen Leib im Auge hat, der durch die Sünde jene besondere Teilnahme an der göttlichen Ebenbildlichkeit der Seele verloren hat, die ihn vor dem tödlichen Zerfalle schützte.“ Gregors Aussagen von dem Verlust der Ebenbildlichkeit sollen tatsächlich relativiert werden bzw. sie sollen vor dem Hintergrund der gesamten Lehre Gregors gelesen werden. Darüber hinaus ist es eher unwahrscheinlich, dass Gregor in dieser Frage von der patristischen Tradition abweicht. Augustinus behauptete explizit, dass das Bild Gottes im Menschen immer vorhanden ist. Vgl. AUGUSTINUS, trin. XIV, 4, 6 (CCL 50A, 428). In seiner Lehre wurde Gregor möglicherweise von Irenäus von Lyon beeinflusst, der auch von einer Wiedererlangung des Bildes und der Ähnlichkeit Gottes im Erlösungswerk Christi sprach. Vgl. IRENÄUS, haer. III, 18, 1 (FC 8/3, 220): Ut quod perdideramus in Adam, id est secundum imaginem et similitudinem esse Dei, hoc in Christo Iesu reciperemus. 5 Vgl. in cant 1 (CCL 144, 3); in euang. II, 34, 6 (FC 28/2, 650).

1. Die Quelle der Sehnsucht

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Die ganze irdische Existenz des Menschen nach dem Sündenfall betrachtete Gregor als von einer Tendenz zur Wiedererlangung des paradiesischen Zustandes gekennzeichnet. Diese Tendenz bringt er mit dem Terminus „Sehnsucht“ (desiderium) nach dem Himmlischen zum Ausdruck. In Gregors heilsgeschichtlicher Konzeption spielt die Sehnsucht eine außerordentlich große Rolle. Die Sehnsucht nach dem Himmlischen bzw. die Sehnsucht nach Gott6 ist für den Papst die irdische Lebensweise der Erwählten.7 Auf der Erde konstituiert sie das Verhältnis des Menschen zu Gott bzw. sie selbst stellt dieses Verhältnis dar, in dem angesichts seiner wahren eschatologischen Bestimmung der aus dem Paradies vertriebene Mensch gegenüber seinem Schöpfer stehen soll. Die Sehnsucht stellt demnach die konkrete Bejahung der Jenseitsorientierung des Menschen dar, der sich im Exil dieses Lebens auf das Himmlische ausrichtet. Infolgedessen beschreibt Leclercq Gregors Verständnis der Sehnsucht folgendermaßen: „Hier auf der Erde ist die Sehnsucht die eigentliche Form der Liebe; in ihr findet der Christ die Freude Gottes und die Vereinigung mit dem verherrlichten Herrn.“8

Infolgedessen geben die Bemühungen um die Entfaltung bzw. das Erleben der Sehnsucht dem irdischen Leben des Menschen ein besonderes Gepräge. Solchen Bemühungen des Menschen im Erleben der Sehnsucht kommt Gott entgegen. Diese Überlegung korrespondiert mit der These Gregors, dass der Mensch auf der Erde völlig auf den Beistand Gottes angewiesen ist.9 Diesbezüglich reflektierte der Papst oft die Rolle Christi im Erleben der Sehnsucht. Grundsätzlich behauptete Gregor, dass Christus selbst dem Menschen die Sehnsucht nach dem Himmlischen verleiht.10 Anhand des Beispiels von Maria von Magdala explizierte er weiterhin, dass Christus den Menschen innerlich zu sich zieht.11 Maria suchte den Herrn äußerlich, während er sie lehrte, ihn innerlich zu suchen.12 Hierin zeichnet sich bereits der Platz der Sehnsucht in der soteriologischen Konzeption Gregors ab. Noch expliziter beschrieb der Papst dies in den Ezechielhomilien, indem er die Sehnsucht mit dem soteriologischen Werk Christi unmittelbar verband. Durch die innere Sehnsucht entfacht Christus nämlich den Men6 Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, wird weiterhin der Begriff „Sehnsucht“, wenn nicht anders angegeben ist, in seinem positiven Sinne, d. h. als die Sehnsucht nach dem Himmlischen bzw. nach Gott gebraucht. 7 Vgl. moral. I, 25, 34 (CCL 143, 43); in euang. II, 24, 6 (FC 28/2, 438–440). 8 LECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen, 42. 9 Vgl. in euang. II, 36, 13 (FC 28/2, 738); in Ezech. I, 10, 44 (CCL 142, 166f). 10 Vgl. in euang. II, 29, 11 (FC 28/2, 548). 11 Vgl. in euang. II, 33, 1 (FC 28/2, 618); moral. XVI, 27, 33 (CCL 143A, 818). 12 Vgl. in euang. II, 25, 5 (FC 28/2, 456).

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schen zu seiner Liebe und leitet ihn somit zur himmlischen Heimat. Die durch die Sehnsucht entzündete Liebe lässt den Menschen den irdischen Dingen nicht mehr anhängen und lenkt ihn auf das Himmlische hin.13 In Hinsicht auf diese Geschichte sind in Gregors Sehnsuchtsverständnis vor allem zwei Aspekte hervorzuheben. Zuerst wird Christus als der Urheber der Sehnsucht angesehen. Durch die Sehnsucht zieht er wiederum den Mensch zu sich und richtet ihn auf die patria caelestis hin. Es wird damit besonders die aktive Rolle Christi im Erleben der Sehnsucht betont, d. h. Christus wird nicht nur als Urheber des Verlangens, sondern als aktiver Mitwirkender begriffen, der an der Führung zur endgültigen Erfüllung der Sehnsucht Anteil nimmt. Eine besondere Funktion im Erleben der Sehnsucht schrieb Gregor dem Heiligen Geist zu. Da dies bereits im vorigen Kapitel erläutert wurde, sei hier nur darauf hingewiesen, dass der Papst die Rolle des Heiligen Geistes in erster Linie in der Entfachung der Sehnsucht sah. In Hinsicht darauf ist insbesondere Gregors Terminologie, mit der er diese Wirkung der Heiligen Geistes charakterisiert, spannungsreich. Der Geist lässt die Menschen in der Sehnsucht nach dem Himmlischen erglühen (pro coelestibus aestuari).14 Der Heilige Geist unterdrückt irdische Gedanken im menschlichen Geist und „entzündet ihn durch die Sehnsucht nach dem Ewigen“ (aeternis hanc desideriis inflammat).15 Jeden, der von diesem Geist erfüllt ist, „zündet er mit der Sehnsucht nach den unsichtbaren Dingen an“ (ad desideranda inuisibilia accendit).16 Dass der Heilige Geist an Pfingsten im Feuer erschien, erklärte Gregor folgendermaßen: „Angemessen erschien also der Geist im Feuer, weil er aus jedem Herzen, das er erfüllt, die starre Kälte vertreibt und es zur Sehnsucht nach seiner Ewigkeit entflammt.“17

Diese Terminologie (aestuare, inflammare, accendere) schildert bei Gregor vor allem das persönliche Erlebnis der Sehnsucht. Insofern ist eine solche Terminologie für sein Sehnsuchtsverständnis aufschlussreich. Mit ähnlichen Worten beschrieb der Papst die Wirkung der Sehnsucht beim Menschen, was später zur Sprache kommen wird.

13

Vgl. in Ezech. II, 4, 3 (CCL 142, 259f). Vgl. in euang. II, 24, 6 (FC 28/2, 438f). 15 Moral. V, 28, 50 (CCL 143, 252). 16 Moral. V, 28, 50 (CCL 143, 252). 17 In euang. II, 30, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 561). 14

2. Die Sehnsucht – das Irdische

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2. Die Sehnsucht – das Irdische Im vorhergehenden Kapitel wurde im allgemeinen Rahmen der Relation zwischen der Diesseits- und Jenseitsorientierung mehrmals auch die Frage des Verhältnisses zwischen der Sehnsucht nach dem Himmlischen und den Sehnsüchten nach dem Irdischen18, wenn auch nur beiläufig, berücksichtigt. Infolgedessen soll nun explizit die antithetische Beziehung zwischen der Sehnsucht nach Gott und dem Am-Irdischen-Hängen bzw. Zeitlichen in Betracht gezogen werden, ohne dabei auf die ganze Problematik der Diesseits- und Jenseitsorientierung erneut einzugehen. In Gregors Reflexionen über die Sehnsucht kommt seine These von der Unvereinbarkeit der Liebe zu Gott und der Liebe zur Welt absolut zum Ausdruck. Da diese These seine ganze Lehre über die Sehnsucht durchzieht, ist die häufig auftretende komplementäre Darstellung der beiden Themenkomplexe, d. h. der Beziehungen zum Himmlischen und zum Irdischen, nicht verwunderlich. Darüber hinaus, da für Gregor als für den praktisch eingestellten Theologen hauptsächlich der konkrete Mensch in konkreter Zeit im Zentrum seiner Interessen steht, reflektierte der Papst häufig die Sehnsucht vor dem Hintergrund der irdischen Existenz des Menschen. Die Relation zwischen der Sehnsucht und dem Am-Irdischen-Hängen kann bei Gregor als doppelseitig betrachtet werden. Zuerst bindet Gregor die Entfaltung der Sehnsucht an die Bedingung der konsequent vollzogenen Abwendung von der Welt: „Nichts gebe es, was die Sehnsucht eures Herzens zurückhält, kein Gefallen an einer Sache fessele euch an diese Welt. Wird etwas Gutes geliebt, dann erfreue sich das Herz an den besseren Gütern, das heißt den himmlischen. Wird ein Übel gefürchtet, dann mögen dem Geist die ewigen Übel vorgehalten werden, damit er dem Diesseits in keiner Weise verhaftet bleibe, wenn er erkennt, dass es im Jenseits für ihn mehr zu lieben und mehr zu fürchten gibt.“19

Ausschließlich das Ewige soll als das Ziel des Lebens ersehnt werden.20 „Mit ganzer Sehnsucht strebe also die Seele nach der himmlischen Heimat, nichts begehre sie in dieser Welt, von der feststeht, dass man sie ohnehin bald verlassen muss.“21

18

SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 72, 82 merkt an, dass Gregor für die Sehnsucht nach Gott das Lexem desiderium normalerweise als Singularbegriff verwendet, während der Plural dieses Lexems meist die depravierte Sehnsucht bezeichnet. 19 In euang. II, 36, 13 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 739). 20 Vgl. in euang. II, 36, 11 (FC 28/2, 732). 21 In euang. I, 14, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 237).

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Kapitel IV. Caeleste desiderium

Mit ähnlichen Aufrufen fordert Gregor häufig die Gläubigen auf, sich nicht von den Annehmlichkeiten dieser Welt fesseln zu lassen, sondern „das Antlitz des Herzens auf die Freiheit des himmlischen Vaterlandes“22 zu richten.23 Darüber hinaus verband Gregor sehr oft in seinen Reflexionen die Abwendung vom Irdischen unmittelbar mit der Entfaltung der Sehnsucht, indem er die Weltentsagung als die Voraussetzung für die Entfaltung der Sehnsucht anführte.24 Wenn sich aber schließlich im Menschen die Sehnsucht nach Gott entfaltet, dann wird nichts mehr von dieser Welt ersehnt, d. h. alles Irdische verliert seinen Wert.25 Infolge ihrer Sehnsucht nach den ewigen Gütern halten die Heiligen alle weltlichen vergänglichen Gaben für Nichts.26 Der Mensch, der im Verlangen nach Gott brennt, „verschmäht es, sich den zeitlichen Dingen zu unterwerfen, und seufzt glühend nach den ewigen.“27 Nichts außer dem Schöpfer vermöge nunmehr solchen Menschen Freude zu bereiten.28 Nichts aus dem gegenwärtigen Leben kann den Menschen, der im Verlangen nach dem Himmlischen erglüht, den Trost leisten, „solange des Ersehnte nicht geschaut wird.“29 Der Papst betrachtete die Relation zwischen der Sehnsucht und der Leidenschaft für das Irdische überdies als wechselseitig. Je mehr man nämlich in der Sehnsucht nach den himmlischen Wohnungen erglüht, desto schwächer wird allmählich die Leidenschaft für diese Welt.30 Das Voranschreiten in der Liebe zu Gott lässt im Menschen die Liebe zur irdischen Welt nachlassen. Wenn ein Mensch folglich vollkommen von der Liebe zu Gott er22 23

In Ezech. II, 1, 18 (B ÜRKE, CMe 21, 281). Vgl. z. B. in euang. II, 36, 10 (FC 28/2, 732); in euang. I, 11, 1 (FC 28/1, 180–

182). 24

Vgl. z. B. moral. V, 28, 50 (CCL 143, 252f). Vgl. in euang. I, 11, 2 (FC 28/1, 182–184). 26 Vgl. moral. V, 1, 1 (CCL 143, 219): Pensant [sc. sancti uiri] autem quae sint aeterna bona quae cupiunt cognoscunt quam nihil sit omne quod blandum temporaliter arridet. 27 In Ezech. I, 10, 43 (B ÜRKE, CMe 21, 213). Vgl. auch moral. V, 2, 2 (CCL 143, 219f); in euang. II, 34, 5 (FC 28/2, 648–650): Contemnunt [sc. iusti] visibilia, invisibilibus accenduntur ... 28 Vgl. in euang. II, 25, 2 (FC 28/2, 448–450); in Ezech. II, 3, 8 (CCL 142, 242); moral. I, 25, 34 (CCL 143, 43): Cumque eorum [sc. electorum] satisfactioni nil extra Deum sufficit … 29 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 449). 30 Vgl. moral. IV, 33, 67 (CCL 143, 210): Qui uero in auctoris sui amore roborantur quo magis in concupita Dei fortitudine conualescunt, eo a propria uirtute deficiunt, et quo robustius aeterna appetunt eo a temporalibus salubri defectione lassantur … Qui enim ad appetenda aeternitatis atria accenditur, dignum profecto est ut ab hoc temporalitatis amore lassetur, ut tanto frigescat ab studio saeculi, quanto surgit ardentior in amorem Dei. Quem scilicet si perfecte arripit, mundum etiam plene derelinquit … Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 75f. 25

2. Die Sehnsucht – das Irdische

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griffen würde, müsste er konsequenterweise der Welt in dem für das irdische Leben angemessenen Maß völlig absagen. In diesem Licht rief Gregor die Mitmenschen auf: „Lasst uns in der Sehnsucht über alles hinaussteigen ...“31 Vollkomme Hingabe an das Himmlische lässt bei Gregor in diesem Kontext den leiblichen Tod als begehrenswert erscheinen.32 Der Mensch vermag nämlich die Enge der Sterblichkeit auf Erden nicht zu überwinden bzw. sich selbst vollständig auf das Ewige auszurichten.33 Obschon die Seele oft in der Schau des Göttlichen entrückt wird, „sinkt sie wieder abwärts und wird, von der Fessel ihrer Strafwürdigkeit gebunden, festgehalten.“34 Deswegen ist das Streben nach der Überwindung der Konsequenzen der Sterblichkeit und somit das Streben nach den Freuden der wahren Freiheit in der himmlischen Heimat für Gregor der Inhalt oder der Kern des irdischen Lebens des Menschen. Zur Illustration der Befreiung von der Sterblichkeit wurde von Gregor die Befreiung der Hebräer aus Ägypten herangezogen. Wie die aus der ägyptischen Knechtschaft befreiten Hebräer die Wolkensäule erblickten und Gott anbeteten, so sollen die Menschen auf der Erde nach der Freiheit des erhabenen Lichtes streben und den Wonnen der himmlischen Heimat entgegenseufzen.35 Sie sollen demnach diesem Leben im Geist den Rücken wenden und „das Antlitz des Herzens voller Sehnsucht“36 dem Tod entgegenrichten, weil der Mensch erst im Tod die Enge der Sterblichkeit überwinden und dadurch ins Freie gelangen kann. 2.1 Die Sehnsucht – die Bedrängnis Um das Verhältnis zwischen der Sehnsucht und dem Irdischen vollständig darzulegen, muss noch ein Thema, das bereits beiläufig angesprochen wurde, hier in Betracht gezogen werden: das Verhältnis zwischen der Sehnsucht und der irdischen Bedrängnis, bzw. es muss erläutert werden, inwiefern die politische und gesellschaftliche Bedrängnis seiner Zeit einen Einfluss auf sein Sehnsuchtsverständnis ausübt. Es wurde nämlich im vorigen Kapitel gezeigt, dass die irdische Bedrängnis die Abwendung von dieser Welt fördert. Angesichts von Gregors Sehnsuchtverständnis soll nun 31

In Ezech. II, 10, 21 (B ÜRKE, CMe 21, 464). Vgl. moral. V, 4, 5f (CCL 143, 222): Desiderant [sc. sancti uiri] quippe mortificare se funditus atque ab omni uita gloriae temporalis exstinguere … Sic quippe mortificari appetunt, ut iam perfecte si liceat, conditoris sui faciem contemplentur; in Ezech. II, 3, 10 (CCL 142, 243); in Ezech. II, 7, 11 (CCL 142, 324f); dial. I, praef. (FUNK, BKV2 3, 1). 33 Vgl. in Ezech. II, 1, 16 (CCL 142, 220–222). 34 In Ezech. II, 1, 17 (B ÜRKE, CMe 21, 279). 35 Vgl. in Ezech. II, 1, 16f (CCL 142, 220–223). 36 In Ezech. II, 1, 16 (B ÜRKE, CMe 21, 279). 32

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Kapitel IV. Caeleste desiderium

die Frage gestellt werden, inwiefern die Bedrängnis das Erleben der Sehnsucht beeinflusst. Die Antwort auf diese Frage korrespondiert natürlich mit Gregors grundlegender These, dass alle Widrigkeiten des gegenwärtigen Lebens als Kennzeichen der göttlichen Gnade zu betrachten sind. Infolgedessen sah der Papst die Bedrängnis im Hinblick auf die Sehnsucht als das Zeichen der göttlichen Vorsehung an. Solche von Gott zugelassene irdische Bedrängnis bewirkt, dass sich die Sehnsucht nach dem Himmlischen entfaltet: „So geschieht es durch die wunderbare Fügung Gottes, dass das Herz der Gerechten, je größere Widrigkeiten es in dieser Welt erleidet, desto begieriger danach dürstet, das Antlitz seines Schöpfers zu schauen.“37

Die Bedrängnis hat in Gregors Sehnsuchtsverständnis eine heilspädagogische Funktion. Damit man nämlich die Verbannung dieses irdischen Exils nicht aus den Augen verliert, mischt Gott die Heimsuchungen unter seine Gaben in diesem Leben. Dadurch erkennt man alle Bitternis des Irdischen und sehnt sich umso mehr nach dem Himmlischen.38 Den irdischen Heimsuchungen stellte Gregor die Feinde gegenüber, deren Wirken er selbst in jeder Hinsicht in turbulenten Zeitumständen des sechsten Jahrhunderts zu spüren bekam. Indem die Feinde den Gerechten Gewalt antun, veranlassen sie sie dazu, dem Himmlischen desto entschlossener entgegenzueilen. Als biblisches Paradigma für diese These führte der Papst die Sklaverei des jüdischen Volkes in Ägypten an. Das bereits an die Sklaverei gewöhnte Volk wurde einerseits durch die Verheißungen des Moses, andererseits durch die Übel dazu getrieben, sich ins gelobte Land zu bewegen.39 Dieses biblische Bild sah Gregor auch in seiner eigenen Zeit verwirklicht und fuhr anschließend fort: „Solches geschieht täglich, wenn nach Verkündigung des himmlischen Lohnes den Gottlosen gestattet wird, gegen die Erwählten zu wüten, so dass wir zumindest durch die heftige Drangsal zum Land der Verheißung getrieben werden, wenn wir nicht schon auf den Ruf hin ausziehen wollen. Und dieses Land Ägypten, das heißt das gegenwärtige Leben, das uns schmeichelnd bedrängt, soll uns durch Drangsal helfen. Wenn es uns begünstigt, dann richtet es uns unter dem Joch der Knechtschaft zugrunde, zeigt uns aber den Weg der Freiheit, wenn es uns kreuzigt.“40

In der Tatsache, dass die Erwählten, die nach der Heimat verlangen, sowohl von Gott durch Liebe gerufen als auch von der gegenwärtigen Welt 37

Moral. XVI, 26, 32 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 218). 38 Vgl. in Ezech. II, 4, 3 (CCL 142, 260). 39 Vgl. moral. XXVI, 13, 21 (CCL 143B, 1280). 40 Moral. XXVI, 13, 21(übers. von FIEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 219).

2. Die Sehnsucht – das Irdische

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selbst durch Bedrängnis zurückgestoßen werden, sah Gregor die wunderbare Anordnung Gottes. Einerseits gerufen, andererseits gedrängt, vermögen die Menschen sich leichter von der Neigung zur irdischen Welt zu lösen und die Sehnsucht auf die letzten Dinge auszurichten.41 Es fällt auf, wie Gregor in dieser Ausführung alles Irdische als dem Himmlischen dienlich betrachtete. Alles, was dem Menschen in diesem Leben zustößt, vermag ein Wegweiser zur patria caelestis zu sein. Glück und Unglück, Freunde und Feinde, Wohlstand und Bedrängnis bereiten den Menschen für seine wahre Bestimmung vor. Nichts ist dem Menschen gegeben, was ihm den Weg zum Himmlischen versperren sollte. Allein der richtigen Einstellung gegenüber dem Irdischen bedarf man, um dieses Ziel des Lebens zu verwirklichen. Gregors Darstellung des Verhältnisses zwischen Sehnsucht und Bedrängnis entspricht im allgemeinen Rahmen seinen Reflexionen über die Unausweichlichkeit des Leidens auf Erden. Dem Mönch Narses schrieb Gregor in Anlehnung an den Apostel Paulus (2 Tim 3, 12 und 1 Thess 2, 1), dass man die irdischen Widrigkeiten nicht vermeiden kann. Daraus vermag der Mensch aber Nutzen für sein geistiges Leben zu ziehen, indem er durch die Widrigkeiten seine Sehnsucht nach Gott vermehrt. Dies schilderte der Papst anschaulich mit dem Bild der Ernte, die üppiger ausfällt, wenn die Kälte auf sie einwirkt, und mit dem Bild des Feuers, dessen Flamme durch den Hauch des Windes noch höher lodert.42 Es liegt Gregor am Herzen zu betonen, dass die Sehnsucht der Erwählten aus der Bedrängnis neue Kraft empfängt und dadurch noch intensiver wird.43 Ein gewisser Anteil des persönlichen Erlebnisses ist in dieser Ausführung kaum zu übersehen. Die Überlegung der Relation zwischen der Sehnsucht und dem Irdischen bietet einen passenden Hintergrund für eine ergänzende Deutung des allgemeinen Einflusses der Zeitumstände auf die Theologie Gregors. Aufgrund von Gregors Sehnsuchtsverständnis lässt sich nämlich der Ausgangspunkt seiner Lehre von der Abwendung von der Welt wiederum genauer betrachten. Wenn man auch die Grundlage seiner weltflüchtigen Spi41 Vgl. epist. IX, 218 (CCL 140A, 782): Et qui suspirat ad patriam, ei tormentum est peregrinationis locus, etiam si blandus esse uideatur. Vobis autem, qui patriam quaeritis, inter suspiria quae habetis etiam gemitus audio humanae oppressionis exsurgere. Quod mira omnipotentis Dei dispositione agitur, ut, dum ueritas per amorem uocat, mundus praesens a se ipsum animum uestrum per tribulationes quas ingerit repellat tantoque facilius ab amore huius saeculi mens exeat, quanto et impellitur, dum uacatur. 42 Vgl. epist. VII, 27 (CCL 140, 484): Vnde necesse est ut se inter aduersa strictius accingat, ut desiderium ad amorem Dei atque studium bonae admonitionis ipsa plus aduersitas augeat. Sic semina messium gelu cooperta fertilius germinant; sic ignis flatu premitur, ut crescat. 43 Vgl. moral. XXVI, 14, 24 (CCL 143B, 1282).

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ritualität und seiner Forderung nach Weltentsagung in gewisser Hinsicht vielleicht in den turbulenten Zeitumständen suchen könnte, kann davon im Fall der Sehnsucht keine Rede sein, weil das Fundament der Sehnsucht nicht bloß in der Weltflucht gesehen werden kann. Die Sehnsucht nach dem Himmlischen stellt so sehr eine unentbehrliche Komponente der christlichen Spiritualität dar, dass man ihre Wurzeln nicht bloß in historischen Umständen suchen kann. Dasselbe gilt für die Weltabkehr. In seiner eschatologisch orientierten Predigt betrachtete Gregor die Abwendung von der Welt als den ersten Schritt auf dem Weg zum Himmel. Diesen Schritt muss der Mensch ungeachtet aller irdischen Annehmlichkeiten oder Unannehmlichkeiten machen und somit den Weg der Erlösung betreten. Die irdischen Lebensverhältnisse prägen andererseits sicherlich die Spiritualität bzw. die spezifische Ausübung der Spiritualität in bestimmtem Maß und auf bestimmte Weise. Die gesamte Lehre Gregors stellt gewiss das beste Beispiel dafür dar. Die Auswahl gewisser Themen und ihr häufiges Vorkommen bzw. die Intensität einiger Ausführungen spiegeln zweifellos sein Leben und seine Zeit wider. An diesem Punkt ist freilich auch nach der Originalität der spirituellen Ausrichtung Gregors zu fragen. Dennoch ist es von Belang zu akzentuieren, dass man angesichts der Zeitumstände nur über gewisse Impulse, Anregungen in der Theologie des Papstes spekulieren kann. Die Fundamente seiner Spiritualität bleiben weitgehend von allen äußeren Umständen unangetastet.

3. Die brennende Sehnsucht In Anlehnung an Ex 33, 8 beschreibt Gregor die Situation der Menschen, die von der Sehnsucht erfasst sind. Die Menschen, die die Augen des Geistes44 auf das Himmlische ausrichten und das Ewige verlangen, stehen hier nicht ganz in der Höhle des irdischen Lebens, sondern unter dem Eingang der Höhle. Sie warten auf die Erlangung der ewigen Freuden.45 Jedoch auch für solche Menschen stellt das Verbleiben auf der Erde nur Schmerz dar: „Es schmerzt die Seele, dass sie hier ist, wo sie in Schwachheit darniederliegt, und noch nicht dort, wo sie durch die Erleuchtung kräftig erstarkt und das Auge des Geistes nicht mehr zu den Finsternissen der Sterblichkeit zurückwendet.“46

44

Über die Theorie der geistigen Sinnlichkeit bei Origenes vgl. HENGSTERMANN, Einleitung, 126–129. 45 Vgl. in Ezech. II, 1, 17f (CCL 142, 222f). 46 In Ezech. II, 2, 1 (B ÜRKE, CMe 21, 282).

3. Die brennende Sehnsucht

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Zu diesem Schluss, der gewiss nicht lediglich auf seine theologischen Überlegungen, sondern auch auf die damaligen Zeitumstände zurückzuführen ist, kommt der Papst in seinen Werken auffallend häufig. In diesem Kontext bringt Gregor gelegentlich Sehnsucht und Bitterkeit des irdischen Lebens in Verbindung.47 Man darf nach Gregor den Schluss ziehen, dass aus der Sehnsucht nach dem Himmlischen der Schmerz entsteht. Der Mensch, schreibt der Papst, der mit ganzer Sehnsucht nach der patria caelestis strebt, wird hier „in der Sehnsucht von süßen Tränen gepeinigt.“48 Die Heiligen, die die Augen des Geistes auf die erhabenen Dinge ausrichten, beweinen infolgedessen bitter das Exil dieses Lebens.49 Diesen Gedanken explizierte der Papst weiterhin, indem er schrieb, dass die Seelen aller Erwählten mit der Bitterkeit erfüllt seien, weil sie entweder ihre Sünden weinend betrauern oder die Tatsache, dass sie den Freuden der ewigen Heimat noch immer fern sind, beklagen.50 Solange man das Ersehnte noch nicht vor Augen hat, ist das ganze Leben von Trauer erfüllt.51 „Der Herz ist wehmütig gestimmt, selbst das Licht ist ihm zuwider.“52 Jedoch schilderte Gregor die Trauer und die Tränen, die die Sehnsucht nach dem Himmlischen auslöst, ausgesprochen positiv. Er sprach von süßen Tränen bzw. von der Bitterkeit des irdischen Lebens, die allein im Exil dieses Lebens dem Menschen gefällt.53 Christus weckt in uns die Sehnsucht, die „wonnevoll quält, süß peinigt und mit freudiger Trauer erfüllt.“54 Zur Illustration der Terminologie des Erlebens der Sehnsucht bei Gregor sollen noch einige Audrücke in Betracht gezogen werden. In Anleh47

Vgl. in Ezech. I, 10, 43 (CCL 142, 165f). In Ezech. II, 2, 1 (B ÜRKE, CMe 21, 282). 49 Vgl. moral. V, 2, 2 (CCL 143, 219f): Lux enim miseris datur quando hi qui sublimia contemplantes, esse se in hac peregrinatione miseros agnoscunt, claritatem transitoriae prosperitatis accipiunt. Et cum ualde defleant quia tarde ad patriam redeunt, tolerare insuper honoris onera compelluntur; in Ezech. I, 10, 39 (CCL 142, 163f); in Ezech. II, 10, 21 (CCL 142, 395): Dura eis apparet seruitus, longitudo peregrinationis suae. Regem in decore suo uidere desiderant, et flere cotidie ex eius amore non cessant. 50 Vgl. moral. V, 3, 3 (CCL 143, 220): In amaritudine quippe animae sunt omnes electi, quia uel punire flendo non desinunt quae delinquerunt, uel graui se maerore afficiunt, quia longe huc a facie conditoris proiecti, adhuc in aeternae patriae gaudiis non sunt. 51 Vgl. in Ezech. II, 2, 1 (CCL 142, 225): Hinc itaque, hinc ardor nascitur in mente, luctus oboritur ex ardore. Et quia inhaerere caelestibus necdum ualet, feruore suo in lacrimis fessa requiescit. Vgl. auch in euang. II, 25, 2 (FC 28/2, 448). 52 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 449–451). 53 Vgl. in Ezech. II, 2, 1 (CCL 142, 225); in Ezech. I, 10, 43 (CCL 142, 165f). Vgl. auch moral. V, 8, 14 (CCL 143, 227): Luctu enim suo anima pascitur, cum ad superna gaudia flendo subleuatur, et intus quidem doloris sui gemitus tolerat; sed eo refectionis pabulum percipit quo uis amoris per lacrimas emanat. 54 In Ezech. II, 4, 3 (B ÜRKE, CMe 21, 321). 48

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Kapitel IV. Caeleste desiderium

nung an Hld 2, 5 („Ich bin verwundet von der Liebe“) predigte der Papst in Hinsicht auf das Erleben der Sehnsucht von der Liebeswunde, die durch die glühende Sehnsucht im Herzen entsteht.55 Wenn das Herz nämlich durch die Sehnsucht zu brennen beginnt, dann wird es vom Feuer der Liebe zerschmolzen.56 Bei der Beschreibung des Freudenfestes der Erwählten im Himmelreich forderte Gregor die Zuhörer auf: „Entzünden wir also unser Verlangen, Brüder, der Glaube erwärme sich wieder für das, was er glaubt, unsere Sehnsucht möge nach dem Himmlischen entbrennen.“57

Solange sie noch auf der Erde verbleiben, müssen die Gläubigen, ähnlich wie die Heiligen, die im heiligen Verlangen nach Gott erglühen, in der Sehnsucht „in Liebesflammen entbrennen.“58 Gregor benutzte ein einprägsames Vokabular, wenn er den Menschen das Wirken der Sehnsucht vermitteln wollte. So schilderte er anschaulich die Menschen, die in ihrem Verlangen nach Christus erglühen, als die von den Liebespfeilen Durchbohrten. Die ihnen dadurch zugefügte Liebeswunde betrachtete der Papst als heilbringend: „Schlecht steht es um die Gesundheit des Herzens, das den Schmerz dieser Wunde nicht kennt. Wenn jedoch die Seele in himmlischem Verlangen aufzuseufzen und die Liebeswunde zu fühlen beginnt, schöpft sie Gesundheit aus der Wunde, an welcher sie zuvor zu ihrem Heil erkrankt war.“59

Die erwähnten Stellen bezeugen, dass die Sehnsucht nach dem Himmlischen für Gregor ein lebendiges Gefühl ist, das die ganze Existenz des Menschen wesentlich definiert. Der von der Sehnsucht erfüllte Mensch „seufzt und glüht und atmet und ängstigt sich jenem entgegen, den er liebt.“60 Solch große Lebendigkeit der Sprache, die vor allem in den Moralia und den Homilien vorkommt, enthüllt Gregor als einen herausragenden Mystiker, dessen Ausführungen gewiss auf eigenen Erfahrungen basieren.61 Gerade diese Tatsache, dass seine Überlegungen bezüglich der Sehn55 Vgl. in euang. II, 25, 2 (FC 28/2, 448). Vgl. auch moral. V, 1, 1 (CCL 143, 219): Cunctaque huius mundi prospera mens eorum [sc. sanctorum uirorum] eo aegre tolerat, quo supernae felicitatis est amore sauciata. 56 Vgl. in euang. II, 25, 2 (FC 28/2, 448). 57 Vgl. in euang. I, 14, 6 (FC 28/1, 234). 58 In Ezech. II, 10, 21 (BÜRKE, CMe 21, 464). Vgl. auch moral. V, 7, 12 (CCL 143, 226); in Ezech. II, 4, 3 (CCL 142, 259f). 59 In Ezech. II, 3, 8 (B ÜRKE, CMe 21, 301). 60 In Ezech. II, 3, 8 (B ÜRKE, CMe 21, 301). 61 Vgl. z. B. dial. I, praef. (FUNK, BKV2 3, 1): „Meine arme, von der Arbeitslast verwundete Seele denkt zurück, wie glücklich sie einst im Kloster war, wie alles Hinfällige weit unter ihr lag, wie sie alles Wandelbare hoch überragte, wie sie nur an Himmlisches zu denken gewohnt war und wie sie, wenngleich im Körper zurückgehalten, doch die Grenzen des Fleisches in der Betrachtung überschritt, wie sie sogar den Tod, den doch

4. Die Dynamik der Sehnsucht

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sucht einerseits aus der mystischen Tradition, andererseits aus seiner Erfahrung geschöpft sind, verleiht den Beschreibungen des Verlangens nach der patria caelestis sowie seiner konkreten Manifestationen im irdischen Leben einen äußerst lebhaften Ausdruck.

4. Die Dynamik der Sehnsucht Die Überlegungen des Papstes über die Sehnsucht treten häufig in Verbindung mit Motiven des Exils und der Pilgerschaft des Menschen auf. Die oben aufgestellte Behauptung, dass der Papst die Sehnsucht häufig vor dem Hintergrund der irdischen Existenz des Menschen reflektierte, kommt dementsprechend hier vollkommen zum Ausdruck. Deshalb lässt sich gerade aus diesem Gedankenbündel das Sehnsuchtsverständnis Gregors richtig erfassen und anschließend die Funktion der Sehnsucht in der Heilsordnung beurteilen. Die irdische Existenz betrachtete Gregor als einen Weg, auf dem man sich zur patria caelestis, d. h. zu seiner wahren Heimat, begibt.62 Dementsprechend sollte sich der Mensch, der auf das Himmlische ausgerichtet ist, auf der Erde als Pilger bzw. als Reisender63 verstehen. Die Erwählten, die die Nichtigkeit des Vergänglichen erkennen, eilen dem Ewigen, für das sie erschaffen wurden, entgegen. Nichts außer Gott selbst genügt solchen Menschen. Aus diesem Grund beklagen sie die Plagen des irdischen Exils und sehnen sich mit dem ganzen Herzen nach der himmlischen Heimat.64 In Anlehnung an den Apostel Paulus (Hebr 11, 13; 2 Kor 5, 6f; Phil 1, 21– 23) hob der Papst hervor, dass sich die Erwählten für Fremde und Gäste auf der Erde halten.65 Infolgedessen akzentuierte er häufig den Pilgercharakter des irdischen Lebens. Das Wissen darum lässt im Menschen die Sehnsucht nach einem anderen, wahren Leben bzw. nach dem Leben im Himmel entbrennen. Diese Gesinnung zeigt, dass sich jeder der Erwählten, obschon er immer noch durch den Leib in der Welt festgehalten wird, im Geist über die Welt erhebt, und „der Stachel seiner Liebe treibt ihn uner-

fast alle als eine Strafe empfinden, lieber gewann als den Eingang zum Leben und als Lohn für ihre Mühen.“ 62 Vgl. moral. XXIII, 24, 47 (CCL 143B, 1179): Via quippe est uita praesens, qua ad patriam tendimus. 63 Vgl. moral. XV, 57, 68 (CCL 143A, 792). 64 Vgl. moral. I, 25, 34 (CCL 143, 43): Electorum mentes dum cuncta transitoria nulla esse conspiciunt, et quam sint conditae exquirunt. Cumque eorum satisfactioni nil extra Deum sufficit; moral. III, 27, 53 (CCL 143, 147f); moral. V, 8, 14 (CCL 143, 227). 65 Vgl. moral. XVIII, 30, 48 (CCL 143A, 916f).

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mündlich der himmlischen Heimat entgegen.“66 Diese Liebe, die den Menschen auf diesem Weg des gegenwärtigen Lebens zu eschatologischer Vollendung zieht, ist gerade die Sehnsucht nach dem Himmlischen bzw. die Sehnsucht nach Gott, in dessen Gemeinschaft der Mensch seine wahre Existenz ausschließlich verwirklichen kann. Auf diese Weise gestaltet sich die verwirklichte Sehnsuch im irdischen Leben als die Suche nach Gott.67 Dies explizierte Gregor anhand der Verse des Hohenliedes (Hld 3, 1–4): „Wir suchen den Geliebten nämlich auf dem Lager, wenn wir in der noch so kurzen Ruhezeit des gegenwärtigen Lebens voller Sehnsucht nach unserem Erlöser verlangen.“68

Man sucht den Erlöser in der Kirche, indem er „die heilige Kirche der Erwählten mit suchendem Geist“69 durcheilt. Interessanterweise sucht man aber auch außerhalb der Kirche, bei denen, die auf den breiten Wegen wandeln, „da es sogar im weltlichen Leben einige gibt, die in ihrem tugendhaften Handeln etwas Nachahmenswertes besitzen.“70 In diese allumfassende Darstellung des menschlichen Lebens als des Suchens nach dem Erlöser bezog Gregor auch die Kirchenväter ein. Die Kirchenväter, die der Papst mit den Wächtern der Stadt aus dem Hohenlied (Hld 3, 3) identifiziert und die den Bestand der Kirche hüten, treffen den Suchenden und eilen ihm zu Hilfe, indem sie ihn entweder durch ihr Wort oder durch ihre Schriften belehren. Am Ende dieses Suchens findet der Mensch den Erlöser.71 „Wenn man also an den Wächtern vorübergeht, wird der Geliebte gefunden, denn wenn wir die Propheten und Apostel unter ihm stehen sehen, betrachten wir ihn, wie er, dem Wesen nach Gott, über dem Menschen steht.“72

4.1 Die erfüllte Sehnsucht Die von der Sehnsucht vorangetriebene Suche kommt in der Begegnung mit Gott zur Erfüllung. Angesichts der Verwirklichung der Sehnsucht sind bei Gregor zwei Aspekte zu unterscheiden. Die Kontemplation Gottes als die Erfüllung der Sehnsucht nach dem Angesicht Gottes kann einerseits 66

Moral. I, 25, 34 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 29). 67 Vgl. moral. XVIII, 30, 48 (CCL 143A, 916f). Vgl. darüber auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 76–81. 68 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 447). 69 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 447). 70 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 447). 71 Eine ähnliche Darstellung des Suchens bietet Gregor in moral. XXVII, 2, 3 (CCL 143B, 1332). Vgl. darüber auch M ÜLLER, Fervorem, 166–170. 72 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 448).

4. Die Dynamik der Sehnsucht

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bereits im irdischen Leben per speculum et in aenigmate73 zustandekommen. Jedoch ist diese Kontemplation infolge des Verlustes der ingenita standi soliditas immer nur von kurzer Dauer. Der Geist versucht in der Kontemplation über sich selbst aufzusteigen. Dennoch zieht ihn die Schwäche des Fleisches wieder herab.74 In einer Erläuterung des Wechselverhältnisses des aktiven und kontemplativen Lebens fasst Gregor zusammen: „Wenn wir uns nun vom tätigen zum beschaulichen Lebewesen aufschwingen, vermag der Geist nicht lange in der Beschauung zu verharren; denn die Seele, die alles vom Ewigen Erschaubare in Spiegel und Gleichnis wahrnimmt und gleichsam in flüchtigem Vorübergehen erblickt, wird von diesem so unermeßlichen Erhobensein durch ihre eigene Schwachheit zurückgestoßen und fällt auf sich selbst zurück.“ 75

Als Haupthindernis für das Verharren in der Kontemplation betrachtete der Papst also das Gewicht der menschlichen Daseinsweise, die von Hinfälligkeit und Schwachheit gekennzeichnet ist.76 Aber auch eine solche zeitweilige Kontemplation hinterlässt Spuren. Nach dem Kontemplationsgeschehen kehrt der Mensch zu guten Werken zurück, „er labt sich an der Erinnerung der Süßigkeit Gottes und wird äußerlich von frommen Verrichtungen, innerlich von heiligem Verlangen genährt.“77 Gerade diese Erinnerung bzw. die Sehnsucht, die daraus entsteht, ruft nämlich eine neue Sehnsucht hervor, wiederum zu den Höhen der Beschauung aufzusteigen.78 In diesem Sinne erläuterte Gregor auch den Unterschied zwischen den leiblichen und geistigen Freuden. Die leiblichen Freuden entfachen ein starkes Verlangen, wenn man sie nicht besitzt. Nach deren Genuss werden sie dem Menschen aber infolge der Sättigung bald zuwider. Die geistigen Freuden erscheinen dagegen erst nach dem Genuss begehrenswert, obschon sie davor abstoßend wirken können. Bei den leiblichen ist das Verlangen lieb, während bei den Geistigen die Erfahrung gefällt. „Bei jenen erzeugt das Verlangen Sättigung, die Sättigung Überdruß; bei diesen aber bewirkt das Verlangen Sättigung, die Sättigung neues Verlangen. Geistige Freuden vermehren ja die Sehnsucht im Geist, während sie sättigen, denn je mehr man ihren

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In Ezech. I, 5, 12 (CCL 142, 63). Vgl. moral. VIII, 30, 50 (CCL 143, 421): Sed quia adhuc corpus quod corrumpitur aggrauat animam, inhaerere diu luci non ualet quam raptim uidet. Ipsa quippe carnis infirmitas transcendentem se animam retrahit atque ad cogitanda ima ac necessaria suspirantem reducit. 75 In Ezech. I, 5, 12 (B ÜRKE, CMe 21, 96). 76 Vgl. in Ezech. I, 5, 13 (CCL 142, 64); in Ezech. I, 12, 13 (CCL 142, 190). 77 In Ezech. I, 5, 12 (B ÜRKE, CMe 21, 96). 78 Vgl. moral. X, 15, 31 (CCL 143, 559f); moral. XV, 47, 53 (CCL 143A, 781f). 74

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Wohlgeschmack verkostet, desto mehr erkennt man, was noch begieriger geliebt werden soll.“79

Auf die Relation von Kontemplation und Sehnsucht übertragen, lässt sich daraus entnehmen, dass sich die Sehnsucht nach der Kontemplation gerade durch deren Erlebnis steigert. Diese beiden Phänomene stehen offensichtlich in einem Wechselverhältnis zueinander und als solche bestimmen sie das irdische Leben der Erwählten, die die Sehnsucht und die Kontemplation im irdischen Leben in dauerndem Wechsel begreifen. Die Akzentuierung dieser kontinuierlichen Abwechslung von Sehnsucht und Kontemplation verleiht Gregors Sehnsuchtsverständnis einen außerordentlich dynamischen Zug. Die Sehnsucht lässt sich dementsprechend als Triebkraft verstehen, die den Menschen auf die Kontemplation hin bewegt. Die erlebte Kontemplation löst erneut die gesteigerte Sehnsucht aus, die wiederum auf ihre Erfüllung in Beschauung zielt. Somit ist die Aufeinanderfolge der beiden Phänomene von einem Dynamismus gekennzeichnet, der letztendlich auf das Eschaton hin ausgerichtet ist. Auf diese Weise begriffen, stellt das ganze irdische Leben der Erwählten ein Gehen bzw. ein Voranschreiten zur patria caelestis dar.80 4.2 Die Sehnsucht – die patria caelestis Die endgültige Erfüllung der Sehnsucht, d. h. die Möglichkeit der andauernden Kontemplation, realisiert sich also erst in der himmlischen Heimat. Infolgedessen stellt schließlich die patria caelestis bzw. die eschatologische Vollendung das wahre Objekt der Sehnsucht dar. Die Hinweise darauf sind in Gregors Werken nicht zu übersehen. So schrieb Gregor, dass man auf der Erde nach der Freiheit des erhabenen Lichtes strebt und den Wonnen des himmlischen Vaterlandes entgegenseufzt.81 Da die patria caelestis die einzige wahre Heimat des Menschen darstellt, soll man seine Sehnsucht vollkommen Christus und der himmlischen Gemeinschaft zuwenden.82 Der Mensch soll hier lernen, „mit ganzer Sehnsucht nach der Teilnahme an den Hymnen singenden Engelchören zu streben, den Bürgern des Himmels beigesellt zu werden und sich im Anblick Gottes ewiger Unvergänglichkeit zu erfreuen.“83

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In euang. II, 36, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 711). Vgl. in euang. I, 14, 6 (FC 28/1, 234); in Ezech. I, 5, 12 (CCL 142, 64). 81 Vgl. in Ezech. II, 1, 16 (CCL 142, 221): Nos quoque cum iam claustra carnis despicere, mortalitatis nostrae angustias per immortalitatis desiderium transire, ad supernae lucis libertatem tendere, ad caelestis patriae gaudia anhelare … 82 Vgl. in Ezech. II, 1, 18 (CCL 142, 223). 83 In Ezech. II, 2, 8 (B ÜRKE, CMe 21, 288). 80

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Das kontemplative Leben, das seinen Anfang in der gegenwärtigen Zeit nimmt, wird erst in der patria caelestis, in der Gottesschau, vollendet werden.84 Es steht offensichtlich fest, dass die Sehnsucht bei Gregor immer auf die letzten Dinge hin ausgerichtet ist und dass die wahre Sehnsucht eigentlich die Sehnsucht nach der patria caelestis ist. Gregors Reflexionen hinsichtlich des Erlebens der Sehnsucht in der patria caelestis sind aber ausgesprochen interessant. Man könnte denken, dass die Sehnsucht in der himmlischen Heimat, wo die ungehinderte Kontemplation auftritt, ihr Ende findet, weil das Verlangte erreicht ist. Die endgültige Erfüllung der Sehnsucht eliminiert jedoch bei Gregor die Sehnsucht als solche nicht. Die Sehnsucht bleibt permanent ein Aspekt der paradiesischen Lebensweise der Erwählten und der Engel. Dies erläutert der Papst am Beispiel der Engelexistenz. Die Kontemplation der Engel schließt die Sehnsucht nach derselben Kontemplation mit ein. Die Engel sehen nämlich Gott und sehnen sich zugleich, ihn zu sehen. Sie dürsten nach seiner Schau und schauen ihn.85 Als Resultat ihrer Kontemplation, an der sie sich sättigen, kommt aber nicht der Überdruss, weil die Sattheit stets von der Sehnsucht begleitet und angefeuert wird, auch wenn sie satt sind. Andererseits sehnen sich die Engel ohne Mühe, weil die Sehnsucht stets von der Sattheit begleitet wird. Das Charakteristikum der Sehnsucht der Engel besteht also darin, dass sie mit keiner Furcht einhergeht, weil sie mit der Kontemplation verbunden ist.86 Es ist hierin also angesichts des Themas des Kapitels zu akzentuieren, dass die Sehnsucht nicht nur die Komponente der zeitlichen, sondern auch der ewigen Existenz darstellt. Auf die anthropologische Ebene übertragen, dürfte man daraus erschließen, dass die Sehnsucht eine angeborene Komponente der menschlichen Existenz darstellt, die als solche ungeachtet der Erbsünde dem Menschen eigen ist. Wenn der Papst die Aufeinanderfolge von Sehnsucht und Kontemplation und ihre gegenseitige Steigerung auch auf die auf der Erde erlebte Sehnsucht anwendet, ist schließlich die Abwesenheit dieser Furcht bzw. Mühe in der Sehnsucht das Kennzeichen des zukünftigen Verlangens. In84

In Ezech. II, 2, 9 (CCL 142, 231): Cum praesenti ergo saeculo uita aufertur actiua, contemplatiua autem hic incipitur, ut in caelesti patria perficiatur, quia amoris ignis qui hic ardere inchoat, cum ipsum quem amat uiderit, in amore ipsius amplius ignescet. Contemplatiua ergo uita minime aufertur, quia subtracta praesentis saeculi luce perficitur. 85 Vgl. moral. XVIII, 54, 91 (CCL 143A, 953f): Deum quippe angeli et uident, et uidere desiderant; et intueri sitiunt et intuentur. 86 Vgl. moral. XVIII, 54, 91 (CCL 143A, 954): Ne enim sit in desiderio anxietas, desiderantes satiantur; ne autem sit in satietate fastidium, satiati desiderant. Et desiderant igitur sine labore, quia desiderium satietas comitatur; et satiantur sine fastidio, quia ipsa satietas ex desiderio semper accenditur. Vgl. auch in Ezech. I, 8, 15 (CCL 142, 108f): Quantum in eis [sc. angelis] sit desiderium uisionis Dei cum satietate, et quanda satietas cum desiderio. In quibus nec desiderium poenam generat, nec satietas fastidium parit.

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folgedessen stellt gerade die Überwindung dieser Hindernisse in der Kontemplation bei Gregor das Ziel der Heilsgeschichte dar. Dass der Mensch in der patria caelestis dieser mühelosen Sehnsucht teilhaftig wird, bezeugte Gregor anschließend: „So werden wir auch sein, wenn wir zur Quelle des Lebens gekommen sind. Es wird uns auf erfreuliche Weise zugleich Durst und Sattheit bedrängen. Aber dem Durst fehlt die Not; der Sattheit Überdruss. Und dürstend werden wir uns sättigen und nach Sättigung dürsten. Wir werden also Gott schauen.“87

5. Die Konsequenzen der Sehnsucht Obschon die letztendliche Erfüllung der Sehnsucht dem kommenden Reich Gottes vorbehalten ist, lässt Gott den Menschen bereits im Akt der Sehnsucht die Verbindung zu ihm spüren. Den in der Liebe nach der Gottesschau dürstenden Menschen charakterisiert der Papst als bereits im Verlangen mit Gott und Engel verbunden.88 Dadurch erhält man bereits eine Ahnung von der himmlischen Gemeinschaft, obschon man noch nicht imstande ist, an der engelgleichen Gottesschau teilzunehmen.89 Solche Aussagen des Papstes bezeugen, dass die Sehnsucht selbst dem Menschen einen Vorgeschmack der patria caelestis bietet.90 Obschon sie ihre vollkommene Erfüllung erst im Eschaton findet, vermag der Mensch ihre „Früchte“ bereits auf der Erde zu genießen.91 Die Sehnsucht zielt zwar auf das Zukünftige hin, doch manifestieren sich ihre Konsequenzen auch im gegenwärtigen Leben der Erwählten. Es wurde bereits gesagt, dass alles Irdische in der Sehnsucht seinen Wert verliert. Das heißt jedoch nicht, dass die Sehnsucht nach dem Himmlischen das Irdische bzw. das irdische Leben des Menschen ganz unbeachtet lässt. Die Sehnsucht bewegt den Menschen auf das Eschaton hin, bringt ihn aber nicht aus dieser Welt völlig heraus bzw. macht ihn nicht dieser Welt gegenüber vollkommen unempfindlich. Diese Komponente des Sehnsuchtsverständnisses Gregors darf nicht übersehen werden. Die Sehnsucht als konkreter Ausdruck der Jenseitsorientierung bringt bei Gregor also keine Diesseitsvergessenheit hervor. Infolge der grundsätzlichen eschatologischen Ausrichtung der Sehnsucht zeigt gerade sein Sehnsuchtsverständnis 87

Vgl. moral. XVIII, 54, 91 (CCL 143A, 954): Sic quoque et nos erimus quando ad ipsum fontem uitae uenerimus. Erit nobis delectabiliter impressa sitis simul atque satietas. Sed longe abest a siti necessitas, longe a satietate fastidium, quia et sitientes satiabimur, et satiari sitiemus. Videbimus igitur Deum … 88 Vgl. in Ezech. II, 3, 12 (CCL 142, 244); in euang. I, 2, 1 (FC 28/1, 66). 89 Vgl. moral. XVII, 13, 19 (CCL 143A, 863); in euang. II, 21, 7 (FC 28/2, 388). 90 Vgl. darüber auch FIEDROWICZ, Einleitung, 37. 91 Vgl. in euang. II, 27, 4 (FC 28/2, 504).

5. Die Konsequenzen der Sehnsucht

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Gregor als den Menschen, der mit beiden Füßen auf der Erde steht, d. h. als den Menschen, dessen eschatologische Ausrichtung Konsequenzen für die Existenz auf Erden beinhaltet. Auf diese Problematik wurde bereits im vorherigen Kapitel dieser Arbeit hingewiesen, hier wird lediglich die Relation zwischen der Sehnsucht und der Nächstenliebe aufgezeigt. Gregors Konzeption der Sehnsucht schließt die Pflicht der Nächstenliebe mit ein. Doppeltgefärbter Scharlach (Ex 28, 5) wird bei ihm zum biblischen Symbol des Verhältnisses von Gottes- und Nächstenliebe. In den Anordnungen des Mose, dass der Zierat des Hohenpriesters mit zweimal eingefärbtem Scharlach zu versehen ist bzw. dass zweimal eingefärbter Scharlach in die Teppiche des heiligen Zeltes eingewebt werden sollte, sah der Papst den Ausdruck der beiden Gebote der Liebe.92 Aufgrund seiner feurigen Farbe symbolisiert der Scharlach die Liebe. Damit aber die Liebe der Erwählten doppelt gefärbt sein kann, müssen sich die Erwählten nach Gott sehnen, ohne dabei die Liebe zu den Nächsten zu vernachlässigen, sie müssen den Nächsten Hilfe leisten, ohne dass sie Gott gegenüber, zu dem sie eilen, gleichgültig werden.93 Dies resümierte der Papst mit den Worten: „Wir müssen also sowohl die lieben, mit denen wir leben, als uns auch mit ganzem Verlangen nach dem sehnen, in dem wir wahrhaft leben.“94

Dieselbe These explizierte Gregor anhand von Ezechiels Beschreibung des Mauervorsprungs des Tores der Vorhalle (Ez 40, 9). Die Vorhalle identifiziert der Papst in seiner allegorischen Auslegung mit dem Himmelreich. Im Ausmaß des Mauervorsprungs, das zwei Ellen beträgt, sah er folglich die ideale Beschaffenheit des irdischen Lebens, die dem Menschen den Zutritt zur Vorhalle bzw. zum Himmelreich ermöglicht. Dieses Maß von zwei Ellen erreicht ausschließlich das Leben derjenigen, die auf der Erde die Gottes- und die Nächstenliebe bewahren.95 Dies erklärte Gregor für die wahre Liebe. Die Liebe, die weniger als zwei Ellen misst, d. h. einzig die Liebe zu Gott oder einzig die Liebe zum Nächsten, betrachtete der Papst als mangelhaft, weil sie den Menschen nicht in die ewige Ruhe einführen kann.96 Die Nächstenliebe findet ebenso ihren Platz in Gregors Reflexionen über die Verzögerung der endgültigen Erfüllung der Sehnsucht. Der einzige Trost für diejenigen, die sich in ihrer eschatologischen Ausrichtung nach dem Ende des gegenwärtigen Lebens bzw. nach dem Erlangen der Gottesschau sehnen, stellt gerade die Sorge um den Fortschritt des Nächs92

Vgl. in Ezech. II, 4, 3 (CCL 142, 259f); in euang. II, 38, 10 (FC 28/2, 784–786). Vgl. in euang. II, 38, 10 (FC 28/2, 786). 94 In Ezech. II, 4, 3 (B ÜRKE, CMe 21, 320). 95 Vgl. in Ezech. II, 4, 3 (CCL 142, 259f). Vgl. auch in euang. II, 38, 10 (FC 28/2, 784–786). 96 Vgl. in Ezech. II, 4, 3 (CCL 142, 259f). Vgl. auch in euang. II, 30, 10 (FC 28/2, 572–576). 93

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ten dar. Die pastorale Motivation dieser These liegt auf der Hand. Die Tröstung der Erwählten ist nicht gering, wenn sie sehen, dass durch sie viele andere hinzugewonnen werden.97 Man sieht deutlich, dass Gregors Konzeption der Sehnsucht nicht nur eine individuelle, sondern auch eine klare ekklesiologische Dimension besitzt.98 In seiner Sehnsucht nach der patria caelestis wandert man durch dieses Leben nicht allein zum Himmelreich. Man ist darin stets auch auf den Nächsten angewiesen.99 Der Mensch kommt erst als ein Teil der kirchlichen Gemeinschaft der eschatologischen Vollendung näher. Die ganze Kirche als communio schreitet also auf der Erde zur patria caelestis voran. In den Ezechielhomilien predigte Gregor entsprechend von der heiligen Kirche, die sich nach dem unverhüllten Anblick Christi sehnt.100 Da die Kirche Gott liebt und dessen Schönheit zu schauen begehrt, wird sie infolge ihrer Liebessehnsucht den Engeln ähnlich.101 Die Zuwendung zum Nächsten im Erleben der Sehnsucht und die ekklesiale Dimension der Sehnsucht zeigen den Papst vor allem als kirchlichen Amtsträger, der das Thema der Sehnsucht innerhalb der Grenzen der christlichen Spiritualität, die sich auf alle Gläubigen bezieht, herausarbeitete. Obschon eben dieses Thema den Ansatzpunkt für die Entfaltung einer der monastischen Spiritualität zuneigenden Theologie bieten dürfte, verliert der Papst das Heil der gesamten communio nie aus den Augen. Trotz des von der monastischen Theologie und Terminologie geprägten Sehnsuchtsverständnisses zeigt sich Gregor hierin als ein Bischof der konkreten Kirchengemeinde bzw. nicht als ein von der Welt abgeschnittener Eremit. Hierin ist u. a. das Charakteristikum des Sehnsuchtsverständnisses Gregors zu suchen. Diese klare ekklesiale Dimension bezeugt, dass Gregor das Voranschreiten der gesamten Kirchengemeinde auch in Sehnsucht im Blick hat, obschon er sich selbst wohl bewusst ist, dass nicht alle Menschen der communio für die Erfahrung des Verlangens zugänglich sind.

97 Vgl. in Ezech. II, 3, 9 (CCL 142, 242): Menti autem sponsum suum fortiter amanti, de mora uitae praesentis una solet esse consolatio, si per hoc quod ipsa ab eius uisione differtur, aliorum animae eius uerbo proficiant et ad caelestem sponsum amoris facibus inardescant … Sed est, ut dixi, non parua consolatio, si cum feruens anima differtur, per eam multae colliguntur, ut tarde eum cum multis uideat, quem sola uidere citius uolebat; in Ezech. II, 3, 11 (CCL 142, 243f). 98 Vgl. darüber auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 184f. 99 Vgl. in euang. I, 6, 6 (FC 28/1, 122): In quantum vos profecisse pensatis, etiam vobiscum alios trahite: in via Dei socios habere desiderate. 100 Vgl. in Ezech. II, 1, 15 (CCL 142, 219); in Ezech. II, 10, 22 (CCL 142, 396). 101 Vgl. in Ezech. I, 8, 6 (CCL 142, 104f); moral. XXIX, 2, 2–4 (CCL 143B, 1435f).

6. Die hingehaltene Sehnsucht

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6. Die hingehaltene Sehnsucht Wenn die zeitweilige Erfüllung der Sehnsucht auf der Erde bereits Konsequenzen in sich birgt, dann bleibt ebenso der Aufschub der endgültigen Kontemplation in Gregors Verständnis der Heilsgeschichte nicht fruchtlos. In der verzögerten Erfüllung der Sehnsucht bzw. in der Ausdehnung der Suche nach Gott sah Gregor nämlich einen Zweck. Die Verzögerung der Begegnung trägt dazu bei, dass sich die Sehnsucht in der Suche vervielfacht.102 Als biblisches Paradigma dieser Behauptung führte der Papst die Braut des Hohenliedes (Hld 3, 1f) und Maria von Magdala an. Die Braut, die gemäß dem Prinzip ecclesia vel anima als Sinnbild sowohl der einzelnen Seele als auch der Kirche verstanden werden kann, bleibt trotz der ergebnislosen Suche beharrlich darin und findet schließlich den Bräutigam, der sich vorerst versteckt, damit er umso inbrüstiger gesucht wird.103 Maria von Magdala suchte den Herrn unter Tränen und brannte vor Sehnsucht, so dass sie sich vom Grab des Herrn nicht entfernen wollte, selbst als die Apostel fortgingen.104 Infolge der gesteigerten Sehnsucht wollte sie sich das Grab erneut ansehen, weil es einem Liebenden nicht genügt, „ein einziges Mal geschaut zu haben, da die Macht der Liebe die Achtsamkeit in der Suche vervielfacht.“105 Die Suche Marias wird anschließend durch die Begegnung mit dem Herrn belohnt. Am Ende dieser beiden Erzählungen zog Gregor das Fazit: „Zunächst wird er gesucht, ohne dass er sich finden lässt, um später, wenn er gefunden ist, um so entschiedener festgehalten zu werden. Heilige Sehnsucht steigert sich nämlich [...] durch die Verzögerung. Wenn sie jedoch durch die Verzögerung nachlässt, war es keine Sehnsucht. Von dieser Liebe war entbrannt, wer immer zur Wahrheit gelangen konnte.“106

In dieser Auslegung treten vor allem zwei Punkte hervor. Zuerst machte Gregor die Beharrlichkeit zum konstituierenden Element der Sehnsucht, indem er die Wahrhaftigkeit der nachlassenden Sehnsucht bestritt. Die hingehaltene Sehnsucht bewirke auch, dass sich das Innere der Seele im 102

Vgl. moral. V, 4, 6 (CCL 143, 222): Sed eorum desiderium differtur ut proficiat; et tarditatis suae sinu nutritur ut crescat. 103 Vgl. in euang. II, 25, 2 (FC 28/2, 446–448); in Ezech. II, 7, 11 (CCL 142, 324f); moral. V, 4, 6 (CCL 143, 222f): Vnde bene sponsa in sponsi sui desiderio anhelans clamat: In lectulo meo per noctes quaesiui quem diligit anima mea; quaesiui illum et non inueni. Abscondit se sponsus cum quaeritur ut non inuentus ardentius quaeratur; et differtur quarens sponsa ne inueniat, ut tarditate sua capacior reddita, multiplicius quandoque inueniat quod quaerebat; moral. XXVII, 2, 4 (CCL 143B, 1332f). 104 Vgl. in euang. II, 25, 1 (FC 28/2, 444). 105 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 445). 106 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 449). Vgl. auch in euang. II, 22, 5 (FC 28/2, 398–400).

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Kapitel IV. Caeleste desiderium

himmlischen Verlangen ausdehne, so dass der Mensch in der Kontemplation offener bzw. aufnahmefähiger werde.107 Dies entspricht einem Gedanken des Papstes, in dem er die Sehnsucht mit der Erkenntnis Gottes verknüpfte. In seiner Beschreibung der Begegnung Marias mit Christus predigte der Papst: „Und es geschah, dass die hingehaltene Sehnsucht sich steigerte und die gesteigerte Sehnsucht fassen konnte, was sie gefunden hatte.“108

Die gesteigerte Sehnsucht ermöglicht es Maria also, den auferstandenen Herrn zu erkennen. In derselben Homilie erwähnt Gregor aber weiterhin die Liebe Marias als das Fundament der Erkenntnis, die jedoch erst durch die entfachte Sehnsucht, die wiederum die Liebe wachsen lässt, zur Erfüllung kommt.109 Es ist also noch ein weiterer Aspekt dieser Geschichten zu betonen: der pädagogische. Die Beharrlichkeit Marias in der Sehnsucht führte Gregor den Gläubigen als ein nachahmenswertes Beispiel vor Augen. Darüber hinaus zeichnete der Papst Maria von Magdala als Prototyp des sehnsuchtsvollen Menschen.110 In Anbetracht dieser Erzählung sowie der gesamten Lehre Gregors von der Sehnsucht nach dem Himmlischen wird deutlich, dass die Liebe zu Gott und die Sehnsucht nach ihm in der Theologie des Papstes in gewissem Grad synonym betrachtet werden dürfen, weil er häufig mit den beiden Begriffen dasselbe Phänomen zum Ausdruck bringt. Ein Versuch der konsequenten Unterscheidung dieser Begriffe wäre dementsprechend künstlich und irreführend.111

7. Die Sehnsucht als Kennzeichen der Vollkommenheit Die Bedeutung, die Gregor der Sehnsucht nach dem Himmlischen innerhalb der christlichen Spiritualität beimisst, lässt sich insbesondere aus seinen Reflexionen über die Verschiedenartigkeit der Gläubigen ablesen. Aus pastoraler Motivation heraus explizierte der Papst die Verschiedenheit der Lebensweisen bzw. der Gnadengaben der zur Kirchengemeinde gehörenden Menschen. In diesen Gliederungen spielt beim Papst die Sehnsucht nach dem Himmlischen eine zentrale Rolle. Die eschatologisch orientierte 107

Vgl. moral. V, 4, 6 (CCL 143, 222f); in Ezech. II, 7, 11 (CCL 142, 324f); moral. XVI, 27, 33 (CCL 143A, 818). 108 In euang. II, 25, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 447). 109 Vgl. in euang. II, 25, 4 (FC 28/2, 454). 110 Vgl. SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 74, Anm. 322. 111 Ich stimme der These CASEYS, Spiritual desire, 313 zu, der diese beiden Begriffe als sinnähnliche betrachtet. Eine entsprechende Auffassung scheint LECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen, 42, zu haben. Dagegen CATRY, Parole de Dieu, 89f.

7. Die Sehnsucht als Kennzeichen der Vollkommenheit

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Theologie Gregors lässt gerade die Sehnsucht nach der patria caelestis zum Kriterium der Vollkommenheit innerhalb der Kirche werden. Gregors Reflexionen über die Existenzweise der Menschen in der Kirche umfassen in der Regel zwei Kategorien ein: die Schwachen und die Vollkommenen. Als die Schwachen charakterisierte der Papst die Menschen, die trotz ihrer unbestrittenen Kirchenzugehörigkeit der Diesseitsorientierung verhaftet bleiben. Die Abwesenheit der vollkommenen Abwendung von der Welt löst bei solchen Menschen einen Mangel an Gottesliebe aus.112 Zur Illustration ihrer Lage zog Gregor die Antithese intus – foris heran. Die Diesseitsorientierung der Unvollkommenen hat zu Folge, dass sie unter dem Vorzeichen der leiblichen Sinne leben.113 Von den fünf äußeren Sinnen niedergehalten, vermögen sie sich nicht zu mystischer Einsicht aufzuschwingen.114 Als biblische Symbole des Glaubens der Anfänger (inchoantium) führte Gregor die Halle an, die sich im Inneren befindet, aber trotzdem nach außen blickt (Ez 40, 37).115 Als Hauptmangel dieser Kategorie betrachtete der Papst die unzulängliche Ausrichtung auf das Jenseits bzw. die fehlende Sehnsucht nach der patria caelestis, die notwendigerweise als Folge der Veräußerlichung auftritt. Obschon die Unvollkommenen die äußeren Werke in Liebe verrichten, lernen sie nicht, „in inniger Liebe zu himmlischen Verlangen zu erglühen“.116 Darüber hinaus brachte Gregor das Fehlen der Gaben der Wunder, der Verkündigung und der Prophezeiung als weitere Unzulänglichkeiten solcher Menschen vor.117 Jedoch lässt der Papst nicht davon ab, ihre wahre und fraglose Kirchenzugehörigkeit zu betonen.118 Die Gottes- und Nächstenliebe und die guten Werke lassen sie zum geistigen Bauwerk bzw. zur Kirche gehören: „Obwohl sie noch nicht zu den geistigen Gnadengaben gelangt sind, wo sich die Seele zu vollkommenem Tun beziehungsweise zu glühender Beschauung aufschwingt, lassen sie doch von der Gottes- und Nächstenliebe nicht ab, soweit ihre geistige Fas-

112

Vgl. in Ezech. II, 3, 12 (CCL 142, 244). Vgl. in Ezech. II, 8, 11 (CCL 142, 344f). 114 Vgl. in Ezech. II, 3, 12 (CCL 142, 244). 115 Vgl. in Ezech. II, 8, 11f (CCL 142, 344f). 116 In Ezech. II, 3, 12 (B ÜRKE, CMe 21, 304). 117 Vgl. in Ezech. II, 3, 13 (CCL 142, 245f). 118 Vgl. in Ezech. II, 8, 11 (CCL 142, 344f): Sed tamen exterius respicientes, intus sunt, quia etsi sensus corporeos intellegendo transcendere nesciunt, fidem tamen atque caritatem humiliter tenent. Et intus ergo sunt in spiritali aedificio per amorem, et quasi foris respiciunt per simplicitatem; in Ezech. II, 3, 15 (CCL 142, 247): Et qui in uirtutibus infirmantur, si ipse bona quae possunt facere cum caritate non neglegant, a Dei aedificio alieni non sunt; moral. I, 14, 20 (CCL 143, 34). 113

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Kapitel IV. Caeleste desiderium

sungskraft ausreicht. So geschieht es, dass auch sie, obzwar an einer geringeren Stelle, ihren Platz in der Architektur der heiligen Kirche einnehmen.“119

Die Vollkommenen zeichnet hingegen all das aus, was beim Anfänger nur mangelhaft vorhanden ist.120 Gregor akzentuierte besonders die Jenseitsorientierung und die daraus hervorgehende Sehnsucht nach dem Himmlischen als Kennzeichen der Vollkommenen. Die verschiedenen Gnadengaben wie z. B. Prophetie, Wunderwirken und Enthaltsamkeit werden den einzelnen zugeteilt, wobei der „gemeinsame Nenner“ aller gerade das caeleste desiderium darstellt. Infolgedessen predigte der Papst, dass die Vollkommenen „in glühender Liebe nach der Schau Gottes dürsten“.121 Während der Glaube der Anfänger durch die Halle bezeichnet wird, die nach außen blickt, symbolisiert die innere Halle den Glauben der Vollkommenen (fides perfectorum).122 Eine solche zugegebenermaßen plastische Darstellung der Kirche wirft sofort eine durchaus nachvollziehbare Frage auf: Sprach Gregor hierin von einer, modern gesprochen, „Zweiklassengesellschaft“ innerhalb der Kirche? Die kürzeste Antwort darauf wäre: Nein. Diese von der pastoralen Erfahrung abgeleiteten Kategorien (schwach/vollkommen) stellen nämlich keine definitiven Positionen dar, geschweige denn, dass man von Prädestination sprechen könnte. Gemeint sind vielmehr die einzelnen Stadien einer spirituellen Genese innerhalb der Kirche.123 Hierin kommt wiederum Gregors Verständnis des irdischen Lebens als eines Weges zur patria caelestis zum Ausdruck. Das ganze menschliche Leben ist von Dynamik markiert, weil der Mensch durch den allmählichen Fortschritt in Tugenden zur Vollkommenheit und somit zur himmlischen Heimat voranschreitet.124 In der communio mit den Vollkommenen vollziehen diesen Fortschritt also auch die Menschen, die Gregor als Schwache bzw. Anfänger bezeichnete, und beseitigen dadurch ihre noch bestehende Unvollkommenheit.125 119

In Ezech. II, 3, 13 (B ÜRKE, CMe 21, 304f). Vgl. auch in Ezech. II, 4, 17 (CCL 143,

270f). 120 121

Vgl. in Ezech. II, 9, 12 (CCL 142, 365f). In Ezech. II, 3, 12 (B ÜRKE, CMe 21, 303f). Vgl. auch moral. I, 25, 34 (CCL 143,

43). 122

Vgl. in Ezech. II, 8, 11f (CCL 142, 345). Vgl. darüber ausführlicher FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 180–182. 124 Vgl. in Ezech. II, 3, 3 (CCL 142, 238): Siue enim in cognitione Mediatoris Dei et hominum, hominis Christi Iesu, seu in scientia diuini eloquii, seu in ipsa fide quam de illo accepimus, quibusdam gradibus ad altiora incrementa peruenimus. Nemo enim repente fit summus, sed in bona conuersatione a minimis quisque inchoat, ut ad magna perueniat; in Ezech. II, 3, 3–5 (CCL 142, 238–240); in euang. I, 5, 4 (FC 28/1, 108–110); in euang. II, 31, 8 (FC 28/2, 590–592). 125 Vgl. in Ezech. II, 3, 12 (CCL 142, 244f): Dum inter eos sunt qui spiritu amoris feruent, uelut manentes inter thalamos in fidei constructione proficiunt, et a mensura caelestis aedificii disiuncti non sunt. Nam et paulisper se ab appetitu corporalium sensu123

7. Die Sehnsucht als Kennzeichen der Vollkommenheit

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Es muss betont werden, dass diese Kategorien (schwach/vollkommen) als Bezeichnungen des jeweiligen Entwicklungsstandes auf dem Stufenweg des spirituellen Lebens zu verstehen sind. Die Hauptrolle bei der Ausarbeitung dieser Kategorien spielt gewiss das caeleste desiderium, das in gleicher Weise das ausschlaggebende Kennzeichen des spirituellen Fortschritts darstellt und als solches im Zentrum gregorianischer Spiritualität steht.

um abstrahunt, et dilatato mentis spatio, imitantes caritatem quam conspiciunt, hinc inde ad thalamos extenduntur.

Kapitel V

Die Annäherung an die patria caelestis Wenn das caeleste desiderium den Inhalt des irdischen Lebens der Christen darstellen soll, dann wird die diesseitige Existenz des Menschen in Gregors Konzeption vor allem als Annäherung an die patria caeletis betrachtet. In diesem Kapitel soll daher untersucht werden, wie der Papst diese Annäherung verstand bzw. auf welche Art und Weise diese Annäherung stattfindet. Da dieser Weg der Erlösung dem Menschen durch Christus eröffnet wurde, wird hier zuerst das soteriologische Werk Christi dargestellt. Anschließend wird insbesondere vor dem Hintergrund der Antithese temporalis – aeternus der Weg der individuellen Erlösung des Menschen betrachtet.

1. Die „Rückkehr“ zur patria caelestis Bereits die flüchtige Analyse von Gregors Terminologie, mit der die Entwicklung der Heilsgeschichte ausgedrückt wird, offenbart, dass die Heilsgeschichte in der Theologie Gregors häufig als ein Prozess der Rückkehr gedacht wird. Die soteriologische Sprache Gregors wird nämlich von Termini wie Rückkehr, Rückführung, Erneuerung, Wiederherstellung sowie zurückkehren (redire), wiederherstellen (restaurare) usw. beherrscht. Diese Begriffe sind nicht zufällig gewählt, vielmehr spiegeln sie Gregors grundlegende Konzeption des Heilsverständnisses. Zudem wird durch die Wortwahl die Verwurzelung der Denkweise Gregors in der patristischen Soteriologie bezeugt. Das Bild der Rückkehr zum Paradies ist in der Tradition der Kirche früh aufgegriffen und häufig expliziert worden. Von Gregors Vertrautheit mit diesem Gedankengut darf man hier ausgehen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern Gregors Konzeption der Rückkehr von diesem Gedankengut beeinflusst wurde bzw. was Gregor unter der Vorstellung der Rückkehr zum Paradies verstand. Soll Gregors Rede von der Rückkehr aus der Perspektive der irenäischen Identifizierung des Paradieses mit der Kirche betrachtet werden? Irenäus von Lyon schrieb nämlich: „Die Kirche ist näm-

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

lich als Paradies in dieser Welt gepflanzt“1. Dieser Gedankenrichtung folgte offensichtlich Gregor von Nyssa, wenn er in den Taufkatechesen die Taufe als die Rückkehr zum Paradies bezeichnete: „Du [sc. Täufling] bist außerhalb des Paradieses, Katechumene, Gefährte Adams, unseres Stammvaters. Da dir aber nun das Tor offensteht, so tritt dort ein, woher du gekommen bist.“2

Oder soll Gregors These der Rückkehr aus der Perspektive der geistigen Rückkehr zum ursprünglichen Paradieseszustand verstanden werden? Dieses Rückkehrverständnis wurzelt tief in der frühchristlichen Theologie. Infolgedessen, so Ladner, hat besonders seit der Entwicklung der christlichen Gnosis in der Schule von Alexandrien der Begriff des voreschatologischen Paradieses einen mystisch-asketischen Charakter angenommen und wird demgemäß die Rückkehr zum Paradies das Ziel eines Prozesses geistiger Reinigung, durch den der Seele die ursprüngliche Integrität Adams zurückgegeben wird.3 Darüberhinaus ist für das Thema der eschatologischen Orientierung der Theologie Gregors vor allem die Bewertung von Gregors Aussagen vom adamitischen Paradies und von der patria caelestis von Belang bzw. es stellt sich die Frage, in welcher Relation die Rückkehr zum Paradies und die Ausrichtung auf die patria caelestis stehen. Gregors Ansichten über die eben gestellten Fragen wirken oft nicht konsistent. Die fehlende systematische Ausführung seiner Lehre, die uneinheitliche Terminologie sowie die von der Absicht der Predigt stark bedingte Begrifflichkeit verkompliziert die Frage nach dem Rückkehr-Gedanken im Erlösungsgeschehen zusätzlich. Die Vielfalt von Gregors Aussagen über die Rückkehr lässt sich jedoch auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die wegweisende Äußerung darf daher sein: „Der wahre Ort des Menschen, nicht im räumlichen Sinn, war der Schöpfer selbst, der ihn erschuf, damit er in ihm Bestand habe.“4

Aus dieser Aussage geht eindeutig hervor, dass das Paradies im Grunde genommen der Ort der Präsenz Gottes ist. Insofern stellt sich die Problematik der Rückkehr zum Paradies als nicht existent dar, wenn stattdessen die Rückkehr zu Gott in Betracht gezogen wird. Die Rückkehr zum Paradies soll also als die Rückkehr zu Gott verstanden werden, dessen Präsenz

1 IRENÄUS, haer. V, 20, 2 (BROX, FC 8/5, 159). Diese Identifizierung wurde von mehreren anderen Kirchenvätern weiter entfaltet. Vgl. dazu WULF, Geistiges Leben, 23. 2 GREGORIUS NYSSENUS, bapt. (PG 46, 417 CD – Übersetzung in WULF, Geistiges Leben, 24). Ähnlich CYRILL VON JERUSALEM, myst. cat. (FC 7, 106). 3 Vgl. LADNER, G., Erneuerung, 255. 4 Moral. VIII, 19, 35 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 51). Vgl. auch in euang. I, 10, 7 (FC 28/1, 176): Regio quippe nostra paradisus est.

1. Die „Rückkehr“ zur patria caelestis

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sich der Mensch im adamitischen Paradies bewusst wurde bzw. in der patria caelestis bewusst sein wird. Diese These kann als Rahmen für das Verständnis von Gregors Aussagen über die Rückkehr angesehen werden. Damit wird die eschatologische Orientierung von Gregors Theologie nicht in Frage gestellt, weil die vollkommene communio mit Gott, welche die wahre Erfüllung des adamitischen Paradieses darstellt, eigentlich in der patria caelestis zustande kommt. Diese Feststellung bedeutet jedoch nicht, dass Gregor das adamitische Paradies und die patria caelestis als identisch ansah. Trotz der spärlich ausgeführten Unterscheidungen zwischen dem Paradies als dem Ursprungsort des Menschen und der eschatologischen Vollendung in der patria caelestis lässt sich behaupten, dass Gregor zwischen den beiden doch unterschied.5 Fiedrowicz gibt einen Text an, in dem der ursprüngliche Heilszustand klar von der eschatologischen Vollendung abgrenzt wird, ohne jedoch die theologische Unterscheidung eingehender zu entfalten.6 In diesem Abschnitt explizierte Gregor, „dass [der] auf die Erde verwiesene, von der himmlischen Heimat infolge seiner Schuld weit weg verbannte Mensch nicht nur zum Stand seines ursprünglichen Erschaffenseins zurückgeführt, sondern noch herrlicher erhöht wird, damit er, der das Paradies verlor, den Himmel wiedererlangt; und dass ihm nicht nur sein Vergehen nicht mehr vorgeworfen wird, sondern dass ihm die Gaben nach der Schuld noch reichlicher zuteil werden.“7

Hier wird nicht nur eine klare begriffliche Differenzierung vorgenommen, sondern die Erhabenheit der himmlischen Heimat im Vergleich zum adamitischen Paradies hervorgehoben. Von den Ausführungen dieses Textabschnitts abgesehen, unterscheidet der Papst zwischen dem paradisus und der patria caelestis, wenn er den paradisus als Ausgangspunkt der Menschengeschichte betrachtete, dem dem Heilsplan Gottes nach die Vollendung in der patria caelestis folgen soll.8 Demnach kann mit Recht behauptet werden, dass Gregor zwischen dem Ursprungsort des Menschen und der eschatologischen Vollendung unterscheidet, obschon die konsequente be5

Vgl. darüber F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 85f, 89f. Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 90. 7 Moral. XXVII, 15, 30 (CCL 143B, 1353f – Übersetzung nach F IEDROWICZ in GREGOR , Von der Sehnsucht der Kirche, 56): Quod homo in terra editus, atque a caelesti patria exigentibus meritis longe damnatus, non solum ad statum conditionis reducitur, sed etiam gloriosius exaltatur, ut qui paradisum perdidit caelum recipiat; et non solum hunc debiti sui reatus non teneat, sed huic post culpam dona cumulatius excrescant. Darüber hinaus spieglt sich in diesem Abschnitt Gregors Freiheit bei der Benutzung der Termini patria caelestis, paradisus, caelum wider. 8 Vgl. moral. IV, 28, 54 (CCL 143, 198): Ad hoc in paradiso homo positus fuerat, ut si se ad conditoris sui oboedientiam uinculis caritatis astringeret, ad caelestem angelorum patriam quandoque sine carnis morte transiret. 6

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

griffliche Differenzierung häufig fehlt. Diese Unterscheidung präsentiert Gregor zudem als Vertreter der besonders für die westliche Patristik charakteristischen Konzeption einer renovatio in melius.9 Angesichts der grundlegenden eschatologischen Orientierung von Gregors Theologie stellt sich weiterhin die Frage nach dem Ursprung dieser deutlichen Betonung des Gedankens der Rückkehr in der soteriologischen Terminologie. Jedenfalls wäre es falsch, diese Betonung ausschließlich auf den Einfluss der patristischen Tradition zu reduzieren. Ihre Grundlage ist vor allem in Gregors Menschen- und Weltverständnis zu suchen. Der Papst als pastoral geprägter Theologe betrachtete den Menschen und die gegenwärtige Welt in erster Linie aus der Perspektive des Sündenfalls. Die gesamte Heilsgeschichte dachte er stets vor dem Hintergrund der Schöpfung. Die Tatsache des Sündenfalls bzw. des Verlassens des Paradieses als des wahren Orts des Menschen brachte Gregor dazu, unermündlich zur Rückkehr ins Paradies bzw. zu Gott aufzufordern. Das Thema der Rückkehr beherrscht die gesamte Lehre Gregors. Diese Auffassung des Papstes bedingt seine Terminologie, die den Sinn der Heilsgeschichte in seiner Lehre zum Ausdruck bringt. Trotz solcher Ausdrucksweise soll jedoch die Wiedererlangung der ursprünglichen Berufung des Menschen nicht in der Rekonstruktion des Urzustandes, sondern in der eschatologischen Vollendung gesucht werden.

2. Christus als der mediator Dei et hominum Die Betonung des Rückkehr-Gedankens in der soteriologischen Terminologie kommt eigens in Gregors Explikationen des heilsgeschichtlichen Wirkens Christi zum Ausdruck. Das soteriologische Wirken Christi betrachtete Gregor nämlich vor allem als einen Prozess der Wiederherstellung. Christus hebt die Konsequenzen des Sündenfalls auf und stellt die Gemeinschaft des Menschen mit Gott und mit den Engeln wieder her. Die programmatischen Aussagen, die die seiner Soteriologie zugrunde liegende Perspektive erkennen lassen, dürften sein: „Deswegen ist ja Gott Fleisch geworden, um uns in den Glauben einzuführen und zum Glanz seiner Schau zurückzuleiten“10 und „Gottes Werk ist es, die von ihm geschaffenen Seelen wieder zu sammeln und zu den Freuden des ewigen Lichtes zurückzuführen.“11

9

Über die renovatio in melius vgl. LADNER, Erneuerung, 259–261. In Ezech. II, 1, 16 (B ÜRKE, CMe 21, 278). 11 In Ezech. II, 4, 20 (B ÜRKE, CMe 21, 335). 10

2. Christus als der mediator Dei et hominum

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Angesichts dieser Aussagen kann man mit Fiedrowicz feststellen, dass der tiefste Sinn der Heilsgeschichte in der Rückführung des Menschen zu seiner ursprünglichen Bestimmung der Gottesschau liegt.12 Diese Konzeption legte der Papst exemplarisch in der Auslegung des Verses nec reuertetur ultra in domum suam, neque cognoscet eum amplius locus eius (Ijob 7, 10) dar. Im Sündenfall verließ der Mensch den Ort der Präsenz Gottes, an dem er seine wahre Bestimmung, d. h. die immerwährende Anschauung des Schöpfers, zu verwirklichen imstande war, und ließ von der Liebe zum Schöpfer ab.13 Zur Erlösung des gefallenen Menschen offenbarte sich Gott in leiblicher Weise und „ging [...] selbst den Spuren seines Flüchtlings nach, damit der Mensch den Ort, den er verlassen hatte, wiedererlangte.“14 Demselben Gedankengang folgte Gregor in den Auslegungen der Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme (Lk 15, 1–10).15 In diesen ideenreichen Darlegungen entfaltete der Papst seine Konzeption des Christus als des pastor, der sich in der Inkarnation die menschliche Natur zu Eigen macht. Da die Vollkommenheit der himmlischen Gemeinschaft durch den verlorengegangenen Menschen beschädigt wurde, sucht Christus den verlorenen Menschen auf der Erde, damit die vollkommene Zahl der vernunftbegabten Geschöpfe (sc. Engel und Menschen) wiederhergestellt werde. Christus als Erlöser findet das verlorene Schaf bzw. den Menschen und kehrt zum himmlischen Reich zurück.16 Die Beschreibung des nachfolgenden Freudenfestes des Erlösers und der Engel schloss Gregor mit dem Satz, in dem er wiederum die Erlösung des Menschen mit dem Rückkehrgedanken verknüpfte:

12

F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 384 stellt für Gregors Ekklesiologie fest: „Die Rückkehr der Menschheit zur ursprünglichen Bestimmung der Gottesschau in Gemeinschaft mit den Engeln, die heilsgeschichtliche Konstituierung der ‚superna civitas ex angelis et hominibus‘ darf als Zentralgedanke des Kirchenverständnisses Gregors betrachtet werden.“ 13 Vgl. moral. VIII, 18, 34 (CCL 143, 406): Ad contemplandum quippe Creatorem homo conditus fuerat ut eius semper speciem quaereret, atque in sollemnitate illius amoris habitaret. Sed extra se per inoboedientiam missus, mentis suae locum perdidit quia, tenebrosis itineribus sparsus, ab inhabitatione ueri luminis elongauit; moral. VIII, 19, 35 (CCL 143, 406): Quem nimirum locum tunc homo deseruit cum, seductoris uerba audiens, a Conditoris amore discessit. 14 Moral. VIII, 19, 35 (übersetzt von FIEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 51). 15 Für die ekklesiologische Relevanz von Gregors Auslegung der beiden Gleichnisse vgl. F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 79–82. Über die patristische Auslegungstradition der Gleichnisse vgl. P ETERSEN, Greek influence upon Gregory the Great’s Exegesis of Luke 15, 1–10 in Homelia in Evangelium II, 34. 16 Vgl. in euang. II, 34, 3 (FC 28/2, 644–646). Vgl. dazu auch in Ezech. II, 1, 8 (CCL 142, 214).

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

„Werden wir einmal zum Himmel zurückgeführt, dann bringen wir sein [sc. Christi] Freudenfest zur Vollendung.“17

Der reversible Charakter des Erlösungsakts Christi wird gleichermaßen durch die Auslegung des Gleichnisses von der verlorenen Drachme hervorgehoben. Christus bzw. die Weisheit Gottes (Dei sapientia), die durch die Frau sinnbildlich dargestellt wird, verlor den Menschen, als dieser durch die Ursünde die Ebenbildlichkeit Gottes aufgab.18 Stärker als in der ersten Auslegung setzte Gregor hier den Akzent auf die pädagogische Relevanz der Inkarnation Christi für die Erlösung des Menschen. In dieser Auslegung wird weiterhin Wert auf die Notwendigkeit des aktiven menschlichen Handels, der sich hinsichtlich des Menschen in der Umkehr seiner Lebenseinstellung manifestiert, im Erlösungsgeschehen gelegt. In der Auslegung des Gleichnisses vom verlorenen Schaf wird die Rolle des Menschen im Erlösungsakt eher passiv dargestellt. Der inkarnierte Christus sucht den Menschen, der in Gregors Interpretation auf den Erlöser wartet bzw. von ihm gefunden wird. Im Gleichnis von der verlorenen Drachme wird dagegen durch den Akt der Inkarnation Gottes das Menschengewissen aufgerüttelt und der Mensch zum Gesinnungswandel bewegt. Der Text der von Gregor benutzten Bibelrezension selbst bietet dem Papst durch die Worte eversio und everto den passenden Anhaltspunkt für die erwähnte Akzentuierung der Umkehr.19 Dass gerade die Umkehr den Weg der Erlösung darstellt, sagte der Papst explizit: „Nachdem also das Haus umgekehrt wurde, wird die Drachme gefunden, weil im Menschen die Ebenbildlichkeit mit dem Schöpfer infolge des beunruhigten Gewissens wiederhergestellt wird.“20

Diesen Aspekt der Wiederherstellung im soteriologischen Wirken Christi kann man in vielen Erörterungen des Papstes erkennen. Die Inkarnation Christi betrachtete Gregor als die Eröffnung des Weges der Erneuerung für den gefallenen Menschen. Wie Gott in der creatio ex nihilo Gutes schafft, argumentierte Gregor, so kann Gottes Sohn durch seine Inkarnation verdorbenes Gutes wiederherstellen. In diesem Kontext wird weiterhin die Differenz zwischen dem Fall des Menschen und dem Fall der Engel erläutert. Obschon beide infolge des Stolzes die eingeborene Gerechtigkeit eingebüßt haben, sah der Papst den Menschen wegen der Schwachheit des Fleisches als benachteiligt und in gewissem Sinne zum Abfallen neigend an. Aus dieser These leitete Gregor die Intention Christi zur Erlösung bzw. 17

In euang. II, 34, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 647). Vgl. in euang. II, 34, 6 (FC 28/2, 650). 19 Vgl. in euang. II, 34, 6 (FC 28/2, 650): Sequitur: „Aut quae mulier habens drachmas decem, et si perdiderit drachmam unam, nonne accendit lucernam, et evertit domum, et quaerit diligenter donec inveniat drachmam quam perdiderat?“ 20 In euang. II, 34, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 653). 18

2. Christus als der mediator Dei et hominum

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zur Erneuerung des Menschen und nicht zur Erlösung der Engel ab, weil der Mensch zumindest partiell wegen seiner Körperlichkeit abfiel.21 Infolgedessen wurde der Mensch beim Kommen Christi zum Licht der Buße zurückgeführt, wohingegen der gefallene Engel zwar auch zum Licht der Erneuerung zurückgerufen wurde, jedoch ohne Aussicht auf Bekehrung und Vergebung.22 Hinsichtlich dieser Explikation soll auf einige Punkte hingewiesen werden. Zuerst kommt der Wiederherstellungscharakter des Erlösungsgeschehens in den Ausführungen dieses Abschnitts der Moralia eigens zum Ausdruck. Er wurde besonders durch den Satz Misertus ergo creator ut redimeret, illam [sc. caro] ad se debuit reducere23 hervorgehoben. Die Intensität dieser Betonung der Rückkehr ist aber offensichtlich vom Kontext des Textes beeinflusst. Gregor erläutert hier nämlich den Sündenfall sowohl des Menschen als auch der Engel und folglich drängen sich solche Rückkehrgedanken sozusagen von selbst auf. Eine solche Argumentationsweise ist bei Gregor keine Einzelerscheinung, vielmehr stellt sie ein typisches Gedankengerüst dar. Diese Feststellung relativiert nicht das Vorkommen der in diesem Abschnitt enthaltenen Rückkehrgedanken. Schließlich ist für das Thema dieses Kapitels gewiss die Tatsache, dass die Erlösung bzw. die Rückkehr oder die Erneuerung des Menschen durch die Inkarnation Christi ermöglicht wurde, von entscheidendem Belang. Aus dem gerade analysierten Abschnitt der Moralia ist darüberhinaus der Kontext der Darlegung des Inkarnationsereignisses abzulesen. Dem Thema der Inkarnation bzw. den christologischen Fragen generell widmete sich Gregor hauptsächlich aus der Perspektive der Soteriologie. Sein Hauptinteresse galt den Konsequenzen des Inkarnationsgeschehens für die menschliche Existenz bzw. für die Existenz der gesamten Schöpfung. Gleichzeitig zeigte er wenig Interesse für die theoretischen Erläuterungen der Inkarnation Christi. Angesichts seines Beitrags zum patristischen Gedankengut stellt Schambeck deshalb treffend fest: 21

Vgl. moral. IV, 3, 8 (CCL 143, 168): Omnipotens Deus sicut ex nihilo bona facere potuit, ita cum uoluit, per incarnationis suae mysterium etiam perdita bona reparauit. Duas uero ad intellegendum se creaturas fecerat, angelicam uidelicet et humanam; utramque uero superbia perculit atque ab statu ingenitae rectitudinis fregit. Sed una tegmen carnis habuit, alia uero nil infirmum de carne gestauit. Angelus namque solummodo spiritus, homo uero est spiritus et caro. Misertus ergo creator ut redimeret, illam ad se debuit reducere quam in perpetratione culpae ex infirmitate aliquid constat habuisse; et eo altius debuit apostatam angelum repellere quo cum a persistendi fortitudine corruit, nil infirmum ex carne gestauit. 22 Vgl. moral. IV, 3, 8 (CCL 143, 169): Quia ergo humanum genus ad lucem paenitentiae Redemptoris aduentu reducitur, apostata uero angelus ad restaurationis lucem nulla spe ueniae, nulla conuersionis emendatione reuocatur. 23 Vgl. moral. IV, 3, 8 (CCL 143, 168).

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

„Gregors Originalität liegt nämlich nicht darin, die Christologie neu zu denken, sondern sie für die Anthropologie auszulegen.“24

Hinsichtlich der patristischen Tradition sind in Gregors Explikationen der Inkarnation, die er aus der Perspektive der Wiederherstellung entfaltete, die Ähnlichkeiten mit Irenäus von Lyon festzustellen. In gleicher Weise wie Gregor stellte Irenäus die Menschwerdung Christi vor den Hintergrund der Schöpfung und betrachtete die Erlösung vor allem als die Rückkehr.25 Im Anschluss an die Behauptung der ewigen Existenz des Sohnes Gottes schrieb Irenäus, dass der Erlöser am Ende der Zeiten das Fleisch annahm und leidensfähiger Mensch wurde, damit der Mensch das in Adam verlorene Bild und Gleichnis Gottes zurückerhielt.26 Ähnlich wie Gregor schrieb Irenäus die Heilsinitiative Gott zu und akzentuierte die Notwendigkeit der Vereinigung mit Gott als Garantie der Unsterblichkeit. Infolgedessen wird die vermittelnde Rolle Christi als mediator Dei et hominum hervorgehoben: „Denn ‚der Mittler zwischen Gott und den Menschen‘ (1 Tim 2, 5) mußte die zwei durch seine Zugehörigkeit zu beiden zur Freundschaft und Eintracht bringen und machen, dass sowohl Gott den Menschen annahm als auch der Mensch sich Gott hingab. Auf welcher Grundlage konnten wir die Annahme an Sohnes Statt erlangen (vgl. Gal 4, 5), wenn wir nicht durch den Sohn diese verwandtschaftliche Beziehung zu ihm von ihm bekommen hätten und wenn sein Wort nicht Gemeinschaft mit uns aufgenommen hätte, indem es Fleisch wurde (vgl. Joh 1, 14)? Darum durchlebte es auch jede Altersstufe, indem es allen die Gemeinschaft mit Gott wiederherstellte.“27

In dieser Erläuterung gilt es vor allem, auf die soteriologische Notwendigkeit der Inkarnation Christi hinzuweisen. Gerade aus diesem soteriologischen Blickwinkel betrachtete Gregor auch die Funktion Christi als mediator Dei et hominum28. Im Anschluss an den Apostel Paulus (1 Tim 2, 5) entfaltete der Papst die Theologie der vermittelnden Rolle Christi aus der Perspektive der Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Gott und dem 24 SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 103. Diese These bezieht MCGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, 71 auf die gesamte in den Moralia explizierte Lehre Gregors: „In den Moralia beschäftigte er sich nicht so sehr mit den metaphysischen Implikationen des Christentums, vielmehr mit den praktischen Auswirkungen der großen Mysterien, vor allem Christi und der Kirche, auf den individuellen Glauben.“ 25 Vgl. über Irenäus’ Sichtweise WILKEN, The Spirit of Early Christian Thought, 66f. 26 Vgl. IRENÄUS, haer. III, 18, 1 (FC 8/3, 220): Ostendimus enim quia non tunc coepit filius Dei, exsistens semper apud patrem; sed quando incarnatus et homo factus, longam hominum expositionem in seipso recapitulavit, in compendio nobis salutem praestans, ut quod perdideramus in Adam, id est secundum imaginem et similitudinem esse Dei, hoc in Christo Iesu reciperemus. 27 IRENÄUS, haer. III, 18, 7 (BROX, FC 8/3, 233–235). 28 CATRY, Parole de Dieu, 133, stellt fest, dass Gregor in seinen Werken die Bezeichnung Mediator Dei et hominum mehr als fünfzig Mal verwendete.

2. Christus als der mediator Dei et hominum

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Menschen. Die Inkarnation Christi wird somit in dieser Konzeption der Meilenstein für die Erlösung des Menschen. Nach dem Sündenfall befand sich der sterbliche und sündige Mensch weit entfernt vom unsterblichen und gerechten Gott. Als der Mittler zwischen dem Menschen und Gott erschien Christus, der mit dem Menschen die Sterblichkeit des Fleisches und mit Gott die Gerechtigkeit teilte. Die vermittelnde Funktion Christi besteht darin, dass er in sich selbst die Hoheit Gottes mit der Erniedrigung des Menschen verbunden hat. Indem er die ruinierte Relation zwischen Gott und dem Menschen wiederherstellte, wurde der Menschensohn die via redeundi für den Menschen.29 Diese Funktion des mediator Dei et hominum explizierte Gregor auf verschiedenen Ebenen. Christi Vermittlerrolle schließt nicht nur die Relation zwischen Gott und Mensch, sondern auch die Dichotomie der gesamten geschaffenen Welt ein. In Christus wurde die negative Dimension der Dichotomie der Zeit und der Ewigkeit, der Erde und des Himmels, des Geistes und des Körpers aufgehoben.30 Der Sohn Gottes, der dem Vater und dem Heiligen Geist gleichewig ist, erschien durch die Inkarnation in der Geschichte und wurde in der Kategorie der Zeit eingeschrieben. Infolgedessen kann über die zwei Geburten Christi gesprochen werden: einmal vom Vater in der Ewigkeit ohne Mutter und wiederum von der Mutter in der Zeit ohne Vater.31 Als der Gottmensch umfasst Christus jedoch diese beiden Dimensionen, sodass er sowohl als Ewiger als auch als Zeitlicher charakterisiert werden kann. In dieser Begegnung der Zeit und der Ewigkeit wird die Zeit nicht bloß ausgelöscht, sondern ihre negative Dimension, die als die Folge des Sündenfalls aufgetreten war, gleichsam durchgestrichen. Auf diese Weise werden die Zeit und die Ewigkeit nicht mehr als absolute Gegensätze begriffen, sondern die Zeit selbst wird von der Ewigkeit gekennzeichnet.32

29 Vgl. moral. XXII, 17, 42 (CCL 143A, 1122): Longe quippe distabamus a iusto et immortali, nos mortales et iniusti. Sed inter immortalem iustum et nos mortales iniustos apparuit Mediator Dei et hominum mortalis et iustus, qui et mortem haberet cum hominibus, et iustitiam cum Deo; ut quia per ima nostra longe distabamus a summis, in seipso uno iungeret ima cum summis, atque ex eo nobis uia redeundi fieret, quo summis suis ima nostra copularet. 30 Vgl. dazu STRAW, Gregory the Great, 150f. 31 Vgl. moral. XXIX, 1, 1 (CCL 143B, 1434): Natus igitur ex Patre sine tempore, ex matre nasci est dignatus in tempore. Vgl. auch moral. XVIII, 52, 85 (CCL 143A, 949): Ipse ante saecula de Patre sine matre, ipse in fine saeculorum de matre sine patre; in euang. I, 7, 3 (FC 28/1, 132–134): Nam qui per matrem in tempore nascitur, sine tempore est a Patre generatus; in Ezech. I, 8, 24 (CCL 142, 115). 32 Vgl. moral. XXIX, 1f, 1f (CCL 143B, 1434f). Näheres bei SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 104–106.

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Vor dem Hintergrund der Vermittlertätigkeit legte Gregor seine gesamte Konzeption des soteriologischen Wirkens Christi dar. Gregors Verständnis dieser Vermittlertätigkeit offenbart, dass der Erlösungsakt Christi kosmische Dimensionen besitzt. In diesem Lichte legte der Papst Eph 1, 9f aus: „In ihm wird wiederhergestellt, was auf Erden ist, wenn die Sünder zur Gerechtigkeit umkehren. In ihm wird wiederhergestellt, was im Himmel ist, wenn die Menschen demütig zurückkehren, von wo die abgefallenen Engel in ihrem Stolz herabgestürzt sind.“33

Diesem restauratio-Prozess wurde der Mensch, die Materie und die ganze Welt im Kommen Christi ausgesetzt. Durch ihn wurde also die Relation zwischen dem Menschen und Gott wieder hergestellt und die himmlische Gemeinschaft der Engel und der Menschen restauriert. Diese restaurative Perspektive verknüpft sich bei Gregor mit der These, dass in Christus alles vereinigt wurde, sodass dem Erlösungsakt Christi universale Bedeutung zukommt. In Christus erfuhren Mensch und Welt einen Neuanfang innerhalb der Heilsgeschichte. Hinsichtlich dessen sind die Parallelen mit der Rekapitulationslehre des Irenäus von Lyon offensichtlich.34 Den biblischen Terminus ᙳɋȽɈɂɔȽɉȽᚶɘɐɇɑ (Eph 1, 10) explizierte Irenäus in dem Sinne, dass Christus als mediator Dei et hominum die Heilsgeschichte des Menschen rekapituliert und somit dem Menschen die Erlösungsmöglichkeit eröffnet.35 Die Lehre Gregors über die Vereinigung des Menschen mit Gott bzw. des Irdischen mit dem Himmlischen im Erlöser wird weiterhin in sakramentalen Vollzügen gedacht. Die Manifestation der Einheit des Jenseits und des Diesseits sah der Papst in der Eucharistie als vollbracht an. In diesem Mysterium heiliger Darbringung wird der unsterbliche und unvergängliche Gott für das Heil des Menschen geopfert.36 Gregors Feststellung, dass in diesem Mysterium der Tod des eingeborenen Sohnes für den Menschen gegenwärtig wird, weist auf die fortdauernde Aktualität der Erfahrung der Synthese des Diesseits und des Jenseits in der Eucharistie hin.37 Diese Synthese erläuterte Gregor folgendermaßen:

33

Moral. XXXI, 49, 99 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 55). 34 Vgl. dazu SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 124. 35 Über die Rekapitulations-Lehre des Irenäus von Lyon vgl. OSBORN, Irenaeus of Lyons, 97–142. 36 Vgl. dial. IV, 58 (BKV2 3, 270). 37 Vgl. dial. IV, 58 (FUNK, BKV2 3, 270): „Denn wenn er auch [sc. Christus] auferstanden ist und nicht mehr stirbt und der Tod keine Gewalt mehr über ihn hat, so wird er auch in seinem unsterblichen und unverweslichen Leben in dem Geheimnis des heiligen Opfers aufs neue für uns dargebracht ...“

2. Christus als der mediator Dei et hominum

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„Denn wer von den Gläubigen möchte daran zweifeln, dass gerade in der Opferstunde auf die Stimme des Priesters hin die Himmel sich auftun, dass bei diesem Geheimnis die Chöre der Engel zugegen sind, dass Oben und Unten sich verbindet, dass Himmel und Erde sich vereinigt, Sichtbares und Unsichtbares eins wird?“38

Das Fundament dieser Vereinigung liegt in der Inkarnation des Sohnes Gottes. Der universale Charakter des Inkarnationsaktes wird durch das Christusbekenntnis der gesamten Materie hervorgehoben. In der Auslegung der Geburt Jesu (Mt 2, 1–12) predigte Gregor, dass alle irdischen Elemente das Kommen ihres Schöpfers bezeugten.39 Das bedeutet, dass Gott in seiner Menschwerdung der ganzen Welt offenbart wurde.40 Im Zentrum des soteriologischen Wirkens Christi steht jedoch der Akteur des Sündenfalls, d. h. der Mensch. Soteriologisch motiviert erläuterte Gregor deswegen, dass Christus die Menschennatur annahm bzw. gerade Mensch werden musste, weil er den Menschen durch die Wiederherstellung retten wollte.41 Das biblische Bild der äußeren Mauer (Ez 40, 5) deutete Gregor auf den fleischgewordenen Herrn hin, indem er behauptete, dass der Eingeborene des Vaters in der Erlösung im Außen war, um den Menschen im Inneren aufzurichten und zu schützen.42 Die Inkarnation des Sohnes eröffnet dem Menschen schließlich die eschatologische Perspektive der Existenz in der patria caelestis. Die Volkszählung unter dem Kaiser Augustus interpretierte Gregor typologisch: „Hier zeigt sich ganz deutlich, dass jener im Fleische erschien, um seine Erwählten in der Ewigkeit einzuschreiben.“43

38

Dial. IV, 58 (FUNK, BKV2 3, 270). Vgl. in euang. I, 10, 2 (FC 28/1, 166–168): Omnia quippe elementa auctoren suum venisse testata sunt. Ut enim de eis quiddam usu humano loquar: Deum hunc coeli esse cognoverunt, quia protinus stellam miserunt. Mare cognovit, quia sub plantis eius se calcabile praebuit. Terra cognovit, quia eo moriente contremuit. Sol cognouit, quia luci suae radios abscondit. Saxa et parietes cognoverunt, quia tempore mortis eius scissa sunt. 40 Vgl. in Ezech. I, 8, 26 (CCL 142, 116). 41 Vgl. moral. IV, 7, 12 (CCL 143, 171): Idcirco namque Redemptor noster non angelus, sed homo factus est quia hoc procul dubio fieri debuit quod redemit; ut … hominem in semetipso apprehendendo repararet. 42 Vgl. in Ezech. II, 2, 5 (CCL 142, 228): Iste etenim murus incarnatus, uidelicet Dominus, murus nobis non esset si forinsecus non fuisset, quia intus nos non protegeret si exterius non appareret. Sed neque hoc negligenter praetereundum est, quod idem murus positus dicitur in circuitu domus undique. Domus quippe Dei non solum angeli sancti … Sed etiam sumus, quorum mentes inhabitare dignatur. Et murus iste undique in circuitu domus est, quia Vnigenitus Patris, qui sursum est firmiras angelorum, ipse deorsum factus est redemptio hominum. Illis fortitudo ne cadant, nobis adiutorium ut surgamus post casum. 43 In euang. I, 8, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 143). 39

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Die Begriffsbestimmung Betlehems als „Haus des Brotes“ gab Gregor die Möglichkeit, die Inkarnation Christi als Kräftigung des Geistes der Erwählten durch die innere Sättigung zu explizieren. Auf die weitere sakramentale Entfaltung dieses Gedankens ging der Papst hier jedoch nicht ein.44 Die Inkarnation Christi betrachtete Gregor also fast ausschließlich aus der soteriologischen Perspektive. In Hinsicht darauf wird die Menschwerdung Christi häufig als Kenosis beschrieben. Christus hat die Übel menschlicher Schwachheit auf sich genommen, damit er dem Menschen die Güter seiner Herrlichkeit zeige.45 Gregors Aussagen zur Menschwerdung Christi deuten immer auf die ontologische Fremdheit dessen hin, was der Sohn Gottes aufnehmen musste, um sein Erlösungswerk vollbringen zu können. Die Geburt Jesu auf der Reise bzw. nicht im Elternhaus kündet davon, dass er hinsichtlich seiner göttlichen Natur durch die Menschheit in der Fremde geboren wurde. Die Erscheinung des ewig Bleibenden als Zeitlicher bedeutet für den Erlöser das Fremde, wohin er hinabstieg.46 Diese Fremdheit wird besonders das Thema in Gregors Erläuterungen der passio Christi. In der Bibelstelle Vt faciat opus suum, alienum opus eius, ut operetur opus suum, peregrinum est opus eius ab eo (Jes 28, 21) sah Gregor die Schilderung des soteriologischen Werkes Christi. Die Rückführung der von ihm geschaffenen Seelen zu den Freuden des ewigen Lichtes war das eigentliche Werk Gottes. Zur Vollendung dieses Werkes musste der Eingeborene des Vaters jedoch die Geißelung, die Kreuzigung, die Tötung und das Begrabenwerden erdulden. All das gebührt dem sündigen Menschen und nicht Christus. Der menschgewordene Gott ließ sich jedoch herab, indem er wie ein sündiger Mensch gezüchtigt wurde, um dem Menschen die Erlösung zu gewähren. Um sein eigenes Werk zu vollbringen, hat er ein fremdes Werk auf sich genommen.47 Alle ähnlichen kenotischen Aussagen Gregors zielen in der Regel auf die Hervorhebung der Demut Christi und sind außerdem auch pädagogisch geprägt. Durch den betonten kenotischen Charakter des Inkarnationsgeschehens hob Gregor die Liebe Gottes 44

Vgl. in euang. I, 8, 1 (FC 28/1, 142). Vgl. in Ezech. II, 4, 19 (CCL 142, 272): Et per hoc quod infirmitatis nostrae mala pertulit, suae nobis potentiae et claritatis bona monstrauit. 46 Vgl. in euang. I, 8, 1 (FC 28/1, 142). 47 Vgl. in Ezech. II, 4, 20 (CCL 142, 272f): Opus etenim Deo est animas quas creauit colligere, et ad aeternae lucis gaudia reuocare. Flagellari autem atque sputis illini, crucifigi, mori, ac sepeliri, non hoc in sua substantia opus Dei est, sed opus hominis peccatoris, qui haec omnia meruit per peccatum … Vt ergo faciat opus suum, alienum opus eius, et ut operatur opus suum, peregrinum est opus eius ab eo, quia incarnatus Deus, ut nos ad suam iustitiam colligeret, dignatus pro nobis est tamquam peccator homo uapulare. Et alienum opus fecit ut faceret proprium, quia per hoc quod infirmans mala nostra sustinuit, nos qui creatura illius sumus, ad fortitudinis suae gloriam perduxit. 45

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gegenüber dem gefallenen Menschen hervor und fordert die Mitmenschen zur würdigen Antwort auf diese Liebe Gottes auf. Die soteriologische Konzeption der Inkarnation Christi beinhaltet bei Gregor auch eine klare pneumatologische Komponente.48 Wenn in der Inkarnation Christi der Weg der Erlösung eröffnet wurde und jedem Menschen das ewige Heil Gottes zugänglich wurde, dann wird diese Erlösungsmöglichkeit mithilfe des Heiligen Geistes für jeden einzelnen Menschen konkretisiert. Gregor schrieb: „Bedenkt, geliebte Brüder, wie bedeutend nach der Menschwerdung des eingeborenen Gottessohnes die heutige Festfeier der Herabkunft des Heiligen Geistes ist. Denn ebenso wie jene ist auch diese ehrwürdig. Bei jener hat Gott, in sich selbst bleibend, den Menschen angenommen, bei dieser jedoch haben die Menschen den von oben herabkommenden Gott aufgenommen. Bei jener ist Gott der Natur nach Mensch geworden, bei dieser sind die Menschen durch die Adoption Götter geworden.“49

Die Adoption des Menschen geschieht durch die Mitwirkung des Heiligen Geistes. Entsprechend erläuterte Gregor, dass dem Menschen der Zugang zum himmlischen Leben durch die siebenfältige Gnade des Heiligen Geistes aufgetan wird.50 In Anlehnung an die mystische Bedeutung der Zahl Sieben, die die Vollkommenheit bezeichnet, sah der Papst die siebenfältige Gnade als die Voraussetzung der ewigen Ruhe in der patria caelestis.51 Diese Aussage wird auch ekklesiologisch relevant, indem Gregor akzentuierte, dass die Kirche das himmlische Leben nicht durch sich selbst, sondern durch den Heiligen Geist besitzt.52 Bereits diese Thesen deuten darauf hin, dass der Papst die Bedeutung des heilsgeschichtlichen Wirkens des Heligen Geistes hauptsächlich in der Entfachung der Sehnsucht nach dem Himmlischen und demnach in der Gestaltung der eschatologischen Orientierung des Menschen sah.53 Der Heilige Geist setzt das Erlösungswerk des mediator Dei et hominum fort und entfacht in den Erwählten die Liebe 48

Für die Lehre Gregors über den Heiligen Geist vgl. D UDDEN, Gregory the Great 2, 347–358. 49 In euang. II, 30, 9 (FC 28/2, 571–573). 50 Vgl. in Ezech. II, 7, 7 (CCL 142, 320): Septem gradibus ad portam ascenditur, quia per sancti Spiritus septiformem gratiam aditus nobis uitae caelestis aperitur. 51 Vgl. in euang. II, 24, 6 (FC 28/2, 436–438): Cur cum septem discipulis ultimum convivium celebrat, nisi quod eos tantummodo, qui septiformi gratia sancti Spiritus pleni sunt, futuros secum in aeterna reflectione denunciat? Septem quoque diebus omne hoc tempus evolvitur: ut saepe septenario numero perfectio designatur … Quisquis namque ille est, quem nunc Spiritus iste non reparat, profecto ab illa aeterni convivii refectione ieiunat. 52 Vgl. moral. XVIII, 53, 87 (CCL 143A, 950): Sancta Ecclesia caelestem vitam naturaliter non habet sed superueniente Spiritu. Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 99. 53 Vgl. in euang. II, 24, 6 (FC 28/2, 436–438); moral. V, 28, 50 (CCL 143, 252f).

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nach den unsichtbaren Dingen.54 Der unsichtbare Sohn Gottes wurde also um des Menschen willen in der Inkarnation sichtbar, um den Menschen mithilfe des unsichtbaren Parakleten wiederum zum Unsichtbaren emporzuheben. Wenn auch die Anmerkung Schambecks, dass Gregor hinsichtlich der Inkarnation der ontologischen Konzeption des Athanasius nicht nahe steht, grundsätzlich stimmt,55 findet man bei Gregor doch Erläuterungen, in denen er die ontologischen Konsequenzen der Menschwerdung Christi anthropologisch entfaltete, wenn auch oft in metaphorischer Redeweise. In Auslegung von Ez 40, 3 erläuterte der Papst, weshalb der Anblick des mediator Dei et hominum mit dem des Erzes verglichen werde. Das Bild des Erzes als eines vielfältig klingenden Metalls verknüpft Gregor mit dem Bild des eingeborenen Sohnes, der durch „die Annahme unserer Menschheit alles mit der Herrlichkeit seiner Majestät durchtönte.“56 Die ontologischen Konsequenzen der Rolle Christi als des mediator Dei et hominum entfaltete Gregor auch in der Auslegung von Ez 1, 4. Hier schilderte der Papst die Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur im Menschensohn, indem er sie mit dem Element electrum, in dem Gold und Silber gemischt sind, verglich.57 Wie die Vereinigung des Silbers mit dem Gold das Silber heller leuchten lässt, so wird die Menschennatur durch die Vereinigung mit der göttlichen Natur erhöht.58 Die Konstatierung, dass die Leuchtkraft des Goldes in dieser Vereinigung abnehme, deutete Gregor als die göttliche Anpassung an die menschliche Auffassungskraft: „Denn wenn jene unveränderliche Natur, die in sich verharrend alles erneuert, sich uns hätte offenbaren wollen, so wie sie ist, hätte sie uns mit ihrem Feuerblitz viel eher in Brand gesteckt als wiederhergestellt. Doch Gott hat den Lichtschimmer seiner Größe unseren Augen angepasst, so dass, während sein Glanz für uns abgeschwächt wurde, unsere Schwachheit aufgrund der Ähnlichkeit mit ihm in seinem Licht aufstrahlte

54

Vgl. moral. V, 28, 50 (CCL 143, 252): Sicut enim isdem Paraclitus, id est post Mediatoris ascensum, alius humani generis consolator in semetipso inuisibilis est, ita omnem quem repleuerit, ad desideranda inuisibilia accendit; moral. XXVII, 16, 32 (CCL 143B, 1354f). 55 Vgl. SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 123f. 56 In Ezech. II, 1, 9 (B ÜRKE, CMe 21, 271). 57 Vgl. in Ezech. I, 2, 14 (CCL 142, 25f). Vgl. auch in Ezech. I, 8, 25 (CCL 142, 115f); moral. XXVIII, 1, 5 (CCL 143B, 1397f). 58 Vgl. in Ezech. I, 2, 14 (CCL 142, 25): Quid electri species, nisi Christus Iesus Mediator Dei et hominum designatur? Electrum quippe ex auro et argento est. In electro dum aurum argentumque miscetur, argentum ad claritatem crescit, aurum uero a suo fulgore pallescit. Illud ad claritatem proficit, hoc a claritate temperatur.

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und durch die empfangene Gnade, um mich so auszudrücken, die Farbe ihres Äußeren änderte.“59

Der Akzent dieser Auslegung liegt offensichtlich nicht auf der dogmatischen Erläuterung der Inkarnation, sondern auf der Schilderung der soteriologischen Perspektive der Menschwerdung Christi, die durch die für Gregors Soteriologie typischen Termini innovare bzw. renovare zum Ausdruck gebracht wird. Indem die Menschennatur im eingeborenen Sohn Gottes mit der göttlichen Natur vereinigt ist, wurde der Mensch erneuert und wiederhergestellt. Obschon die metaphorische Redeweise des Papstes in dem gerade zitierten Abschnitt der Ezechielhomilie den Schluss nahelegen kann, dass Christus beim Inkarnationsgeschehen seine Gottheit verringerte,60 betonte der Papst häufig, dass Christus durch die Annahme der Menschengestalt weder seine göttliche Natur verringerte noch seine göttliche Natur seine Menschheit auf irgendeine Weise verschlang.61 Indem er sich um des Menschen willen erniedrigte, wurde er sichtbar und nahm die forma servi auf sich, ohne dass dadurch eine seiner beiden Naturen beschädigt bzw. benachteiligt wurde.62 Im inkarnierten Logos treten nämlich beide Naturen in eine absolut neue Beziehung, wobei die beiden in ihrem Wesen unverändert bleiben. Aus der Perspektive der Person Christi wird diese neue Relation zwischen Gottheit und Menschheit zu einer Konstante. Gott tritt unwiderruflich in die Geschichte ein, was zur Folge hat, dass die Geschichte die Ausdrucksweise für die Existenz Gottes wird. Die Konkretisierung und die Kontinuität dieser neuen Relation zwischen Mensch und Gott in Christus sah Gregor im Verhältnis zwischen Christus als Haupt und der Kirche als Körper Christi.63 Diese Perspektive stellt den Hintergrund für die Auslegung der Bibelstelle dar: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ (Apg 9, 4). Die Identifikation Christi mit der Kirche betrachtete Gregor als Selbstvergewisserung des Kommens Gottes in der Geschichte und seiner untrennbaren Gemeinschaft mit dem Men59

In Ezech. I, 2, 14 (B ÜRKE, CMe 21, 59). Hinsichtlich dessen vgl. besonders moral. XXVIII, 1, 5 (CCL 143B, 1398): Quia enim uirtute diuinitatis eius tot miraculis humanitas fulsit, ex auro creuit argentum; et quod per carnem Deus cognosci potuit quodque per carnem tot aduersa tolerauit, quasi ex argento temperatum est aurum. 61 Vgl. moral. II, 23, 42 (CCL 143, 85): Nec maiestati iniuriam intulit assumpta humilitas carnis, quia et ut seruanda susciperet nec tamen habita permutaret, nec diuina humanitate minuit, nec humana diuinitate consumpsit. Vgl. auch in euang. II, 30, 9 (FC 28/2, 570). 62 Vgl. dazu GRESCHAT, Die Moralia in Job, 170f, die auf die Ähnlichkeiten der christologischen Sprache Gregors mit der des Papstes Leo hinweist. 63 Vgl. moral. IV, 11, 18 (CCL 143, 175): Sicut autem isdem Redemptor noster una persona est cum congregatione bonorum, ipse namque caput est corporis et nos huius capitis corpus … 60

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

schen. Diese Gemeinschaft Gottes und des Menschen manifestiert sich in der Zeit auf zweifache Weise. Das Haupt und der Körper seien in der Liebe innig verbunden, sodass Christus immer noch durch seinen Leib auf der Erde leide, wie der Leib in seinem Haupt schon jetzt im Himmel triumphiere. Dass das Leiden der Kirche auch Christus berührt, sah Gregor durch die oben angeführten Worten Christi als bestätigt an. Zudem bezeugen die Worte des Paulus: „Ich ergänze in meinem Leib, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1, 24), dass der Schmerz der Kirchenmitglieder auch der Schmerz Christi ist.64 Alle Kirchenmitglieder sind der Leib Christi. Metaphorisch verglich Gregor den Erlöser des Menschengeschlechtes mit dem Bild des menschlichen Körpers. Die heiligen Apostel, die Christus nahestanden, identifizierte der Papst mit der Brust. Die ihnen nachfolgenden Märtyrer hängen wie die Arme mit der Brust zusammen. Die pastores und doctores, die durch ihre guten Werke mit Christus verbunden sind, sind wie die Hände an den Armen.65 Diese Ausführung Gregors unterstreicht die ontologische Einheit zwischen Christus und den Gläubigen, die sich weiterhin im Himmel manifestiert, wo die auserwählten Seelen mit dem Sohn Gottes als seine Glieder verbunden werden.66 In diesem Sinne predigte Gregor: „Unser Erlöser, in welchem ja kein Fortschritt stattfindet, wächst noch immer täglich in seinen Gliedern.“67 Solcher Dynamismus charakterisiert also die in Christus neugegründete Relation zwischen Gott und dem Menschen.68 Diese Ausführung entfaltete Gregor weiterhin nicht auf der rein christologischen Ebene. Sein Hauptanliegen lag vielmehr in der Begründung der Gewissheit der Erlösung für den Menschen durch das Beispiel Christi, mit dem jeder Mensch im Leib Christi bzw. in der Kirche vereinigt ist. Im diesem Lichte predigte der Papst: 64

Vgl. auch moral. VI, 1, 1 (CCL 143, 284f). Vgl. in Ezech. I, 6, 8 (CCL 142, 71). 66 Vgl. in Ezech. I, 6, 8 (CCL 142, 71): Hoc uero omne corpus Redemptoris nostri cotidie per nexus et coniunctiones subministratur in caelo, quia cum ad eum illuc electae animae ducuntur, ei sua membra colligantur. 67 In Ezech. I, 6, 8 (B ÜRKE, CMe 21, 106). 68 Vgl. moral. III, 13, 25 (CCL 143, 130): Quia nimirum et Dominus multa adhuc per corpus quod nos sumus, patitur et iam corpus eius, id est Ecclesia, de suo capite, uidelicet Domino, in caelo gloriatur. Ita nunc passiones exprimi eiusdem capitis debent ut ostendatur quam multa etiam in suo corpore sustinet. Si enim caput nostrum tormenta nostra non tangerent, nequaquam afflictis membris persecutori suo etiam de caelo clamaret: Saule, Saule, quid me persequeris? Si cruciatus nostri eius poenae non essent, conuersus afflictusque Paulus minime diceret: Suppleo ea quae desunt passionum Christi, in carne mea. Et tamen resurrectione iam sui capitis exaltatus dicit: Qui nos conresuscitauit et consedere fecit in caelestibus. Nempe hunc in terra persecutionum tormenta constrinxerant, sed poenarum suarum ponderibus pressus, ecce iam per gloriam capitis in caelo residebat. 65

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„Wenn wir also Glieder unseres Erlösers sind, dürfen wir das für uns erwarten, wovon feststeht, dass es an unserem Haupt geschehen ist.“69

Darüber hinaus wird die irdische Bedrängnis der Kirche dem Leiden Christi gleichgesetzt, so dass das irdische Leiden aus dieser Perspektive Bestandteil des Erlösungsgeschehens ist. Die Tragweite einer solchen Gleichsetzung wird vor dem Hintergrund des historischen Kontextes mehr als deutlich. Beispiele für die metaphorische Erläuterung des Geheimnisses Christi sind in Gregors Werken häufig zu finden. In einer solchen Metapher legte der Papst dar, auf welche Art die antithetische Relation zwischen Seele und Körper, die als die Folge des Sündenfalls auftrat, durch die Inkarnation wiederum in die richtige Ordnung gebracht wurde. In dieser ungewöhnlichen Metapher bediente sich Gregor des Bildes eines Reiters auf dem Pferd, indem er das Verhältnis zwischen der Seele und dem Körper mit dem Verhältnis zwischen Reiter und Pferd verglich. Wie der Reiter das Pferd lenkt, so regiert bei Gregor – gemäß dem damals allgemein geltenden anthropologischen Prinzip – die Seele den Körper. Im Inkarnationsakt schuf der Logos sich solch einen beseelten Körper im Schoß der Jungfrau und dann bestieg (ascendit) er den Reiter (eques) bzw. die Seele. Die Seele unterwarf sich willentlich dem göttlichen Logos, und dadurch hatte dieser den ganzen Reiter inne, weil er nicht nur die regierende Seele, sondern auch den Körper an sich band.70 In dieser Auslegung Gregors treten einige für seine Christologie und Anthropologie grundlegende Thesen hervor. Im Vordergrund steht vor allem die vermittelnde Rolle der Seele im Inkarnationsakt.71 Die Seele betrachtete der Papst als Mittlerin, über die der göttliche Logos die menschliche Natur annimmt. Indem der Sohn Gottes durch die Vermittlung des regierenden Teils des Menschenkörpers Mensch wurde, wird der Logos zum führenden Prinzip im Menschensohn. Somit wird die Korrektur der depravierten existenziellen Ausrichtung des Menschen möglich. Statt zum Irdischen bzw. Zeitlichen kehrt der Mensch zum Himmlischen bzw. Ewigen zurück. Hinsichtlich der Antithese temporalis – aeternus stellt sich hier 69 In euang. II, 21, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 385). Vgl. auch moral. XXVII, 15, 29 (CCL 143B, 1352). 70 Vgl. moral. XXXI, 23, 42 (CCL 143B, 1578): Nam custodita unitate personae ualet intellegi, quia Verbum Dei tunc equitem ascendit, quando animatam carnem sibi intra uterum uirginis condidit. Tunc equitem ascendit, quando humanam animam propriae carni praesidentem, diuino cultui semetipsum creando subiugauit. Carnem quippe diuinitas anima mediante suscepit; et per hoc totum simul equitem tenuit, quia in semetipso non solum illam quae regebatur, sed hanc etiam quae regebat astrinxit. 71 Die vermittelnde Rolle der Seele wird auch in der Metapher erläutert, in der der Inkarnationsakt mit dem Errichten eines Hauses verglichen wird. Vgl. moral. XXXIII, 20, 32 (CCL 143Ⱥ, 1701). Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 113f.

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also eindeutig heraus, dass das Fundament der conversio von temporalis zu aeternus im Inkarnationsgeschehen gelegt wurde. Die Reflexionen der conversio von temporalis zu aeternus bilden das Grundgerüst der Soteriologie Gregors. Die Unterwerfung der menschlichen Seele unter den göttlichen Logos stellt einen Akt des freien Willens dar. Der menschliche Wille wird hierbei weder durch Unterdrückung unterworfen noch ist er verloren gegangen, sondern er hängt dem göttlichen Logos so sehr an, dass sich in Christus beide Willen als einer manifestieren.72 Aus diesem Grunde wurde es Satan unmöglich, Christus in Versuchung zu bringen, obwohl es ihm gestattet wurde, den Menschensohn zu versuchen. Der mediator Dei et hominum konnte all dies ertragen, weil er durch die göttliche stabilitas die der menschlichen Natur angeborene mutabilitas überwinden konnte. Wenngleich sich in seinem Verhalten die Schwäche der angenommenen menschlichen Natur äußerlich manifestierte, beherrschte er in seiner göttlichen Macht diese Nachgiebigkeit der menschlichen Natur gegenüber innerlich absolut.73 Diese Erläuterung des Papstes zeigt weiterhin, dass der menschliche Wille in der Person Christi auch tätig ist bzw. dass der menschliche Wille nicht seine eigene Identität verliert. Hinsichtlich des Gottmenschen sprach Gregor vielmehr von einer Harmonie der göttlichen und der menschlichen Natur.74 Die Göttlichkeit und die Menschlichkeit verwirklichen sich in Christus zugleich, sodass Christus sowohl als Gott mit dem Vater der Geber als auch als Mensch der Empfänger ist.75 Der Aspekt der Wiederherstellung im Erlösungsgeschehen wird durch die Unterwerfung des menschlichen Willens unter den göttlichen Logos 72

Anders STRAW, Gregory the Great, 165: „Technically, the free will and separate mind of Christ exist because his submission to God is voluntary. Yet the soul is so perfectly obedient and subject to the Logos that it ceases to have its own identity.“ 73 Vgl. moral. III, 16, 30 (CCL 143, 134f): Neque enim sicut nos qui puri homines sumus, irruente saepe temptatione concutimur, ita Redemptoris nostri anima temptationis est necessitate turbata. Hostis namque noster etsi in excelsum montem eum permissus assumpsit, si daturum se regna mundi perhibuit, si quasi in pane uertendos lapides ostendit, mentem tamen mediatoris Dei et hominum tentatione quassare non ualuit. Sic enim dignatus est haec exterius cuncta suspicere, ut tamen eius mens interius diuinitati sua inhaerens inconcussa permaneret. Qui et si quando turbatus spiritu infremuisse dicitur, ipse diuinitus disponebat quantum ipse humanitus turbaretur, immutabiliter omnibus praesidens et semetipsum mutabilem in satisfactione infirmitatis ostendens. Quietus ergo in semetipso manens, disposuit quidquid pro ostendenda humanitate quam susceperat, etiam turbulentus fecit. Diese Betonung der inneren stabilitas brachte Gregor den Vorwurf des Doketismus ein. Vgl. dazu DUDDEN, Gregory the Great II, 329–335. Diese These von DUDDEN kritisierte LEBON, Le prétendu docétisme. 74 Vgl. dazu STRAW, Gregory the Great, 166. 75 Vgl. moral. II, 37, 60 (CCL 143, 97): Redemptor noster per hoc quod Deus est cum Patre dat omnia; per hoc uero quod homo est a Patre accipit inter omnia.

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auch betont, indem in Christus der Ungehorsam des ersten Menschen korrigiert wurde. Der Weg des Gehorsams und die Gemeinschaft mit Gott wird für den Menschen das Mittel zur Überwindung der sündigen mutabilitas bzw. das Mittel zur Erreichung der stabilitas. Auf dieser These gründet die moralische Belehrung Gregors. Wenn durch die Inkarnation Gottes der Weg zur Erlösung eröffnet und der Mensch auf die eschatologische Dimension der Wirklichkeit hingewiesen wurde, dann stellen der Gehorsam und die Gemeinschaft mit Gott die Art und Weise dar, in der der Mensch diesen Weg der Erlösung geht. Hinsichtlich des metaphorischen Bildes Christi als das eines Reiters soll schließlich auf einen weiteren Sachverhalt hingewiesen werden. Durch die Behauptung, dass Christus sowohl die menschliche Seele als auch den Leib annahm, unterstrich der Papst die Gesamtheit der menschlichen Natur in Christus. Die Annahme der ganzen menschlichen Natur stellt bei Gregor eine soteriologische Notwendigkeit dar, weil nur das von Christus Angenommene gerettet werden kann. Darüber hinaus stellte sich Gregor durch die These, dass Christus die ganze menschliche Natur angenommen hat, gegen die Häretiker,76 die die Annahme einer menschlichen Seele durch Jesus verwarfen. Wenngleich die menschliche Seele dem göttlichen Logos unterworfen wurde, stellte Gregor die Existenz der menschlichen Seele in Christus nicht in Frage. 2.1 Passio Christi Neben der Inkarnation erläuterte Gregor die Vermittlertätigkeit Christi hauptsächlich anhand des Motivs der passio Christi. Wenngleich der Papst das ganze irdische Leben des Erlösers aus der kenotischen Perspektive betrachtete, kommt diese Perspektive in ihrer Fülle in Gregors Überlegungen zur soteriologischen Bedeutung des Leidens Christi zum Ausdruck. Christus „hat Schläge erduldet, um zu heilen, hat Schimpf und Spott ertragen, um von ewiger Schande zu befreien, ist gestorben, um lebendig zu machen.“77

Den Sohn Gottes bezeichnete Gregor als den Lebensspender, der durch seinen Tod dem Menschen ein reiches Leben schenkt.78 Grundsätzlich betrachtete der Papst den Kreuzestod Christi als Opfer für die Erlösung des Menschen. Im Sündenfall brachte der Widersacher den Menschen in der Person des Stammvaters freiwillig zu Fall, und seitdem

76

Vgl. über die häretischen Lehren W ILLIAMS, Jesus Christus, 732–734. In Ezech. II, 4, 20 (B ÜRKE, CMe 21, 335). 78 Vgl. in Ezech. II, 4, 20 (CCL 142, 272): Agamus ergo gratias uiuificanti et mortuo, et ideo amplius uiuificanti, quia mortuo. 77

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wurde der Mensch zum Schuldner des Todes.79 Diese Schuld des Menschen konnte ausschließlich durch ein Opfer getilgt werden. Vernunftlose Tiere waren jedoch kein würdiges Opfer für ein vernunftbegabtes Lebewesen bzw. für den Menschen. Da aber andererseits alle Menschen mit der Schuld des Todes befleckt wurden, vermag nur der Menschensohn dieses Opfer darzubringen, weil er durch die Geburt von der Jungfrau frei von jeglicher Sünde war.80 Um mit Gregor zu sprechen: „Deshalb kam Gottes Sohn um unseretwillen in den Schoß einer Jungfrau und wurde dort für uns Mensch. Von diesem Schoß empfing er die Natur, nicht aber die Schuld. Er vollbrachte für uns das Opfer, machte seinen Leib für die Sünde zur sündelosen Opfergabe, die aufgrund ihrer Menschlichkeit zu sterben, aufgrund ihrer Gerechtigkeit [uns] zu reinigen fähig war.“81

Wenngleich der mediator Dei et hominum selbst keine Schuld hatte, musste er die Schuld des gefallenen Menschen auf sich nehmen, um den Menschen vom Tod zu befreien.82 Auf diese Weise wurde durch Christus den Erwählten der Aufstieg auf den Gipfel der Gerechtigkeit ermöglicht, weil jener, der über allem herrscht, die Strafe der Ungerechtigkeit verbüßte.83 Der Erlöser unterzog sich freiwillig dem Leiden, um mit seinem Blut die Beschmutzung der menschlichen Sünde abzuwaschen.84 79

Vgl. moral. XVII, 30, 46 (CCL 143A, 877f): Ipse namque diabolus in illa nos parentis primi radice supplantans, sub captiuitate sua quasi iuste tenuit hominem qui libero arbitrio conditus, ei iniusta suadenti consensit. Ad uitam namque conditus in libertate propriae uoluntatis, sponte sua factus est debitor mortis. 80 Über die Verbreitung dieses Gedankens in der patristischen Tradition vgl. SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 120f. 81 Moral. XVII, 30, 46 (übers. von FIEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 53). Vgl. auch moral. I, 24, 32 (CCL 143, 42f): Cunctis diebus Iob sacrificium offerre non cessat, quia sine intermissione pro nobis holocaustum Redemptor immolat, qui sine cessatione Patri suam pro nobis incarnationem demonstrat. Ipsa quippe eius incarnatio nostrae emundationis oblatio est cumque se hominem ostendit, delicta hominis interueniens diluit. Et humanitatis suae mysterio perenne sacrificium immolat quia et haec sunt aeterna quae mundat. 82 Vgl. moral. III, 14, 26 (CCL 143, 132): Alius namque ad paradisum conditus, diuinae potentiae similitudinem superbe rapere uoluit, sed tamen culpam huius superbiae sine culpa Mediator exsoluit. Vgl. auch in Ezech. I, 7, 10 (CCL 142, 89): Inter homines enim perfectus homo factus est unicus Dei Filius, qui sua peccata non habuit, sed spinas nostrae nequitiae suscepit atque usque ad passionem pro nobis humiliari dignatus est, et in semetipso ignem tribulationis nostrae suscipere. 83 Vgl. moral. III, 14, 27 (CCL 143, 132): Ut eo electa omnia ad culmen iustitae surgerent; quo is qui est super omnia damna iniustitiae nostrae sustineret. 84 Vgl. moral. III, 14, 27 (CCL 143, 132): Venit itaque sine uitio; qui se subiceret sponte tormento, ut debita nostrae iniquitati supplicia eo reos suos iuste amitterent, quo hunc a semetipsis liberum iniuste tenuissent. Frustra ergo et non frustra afflictus est qui in se quidem admissa non habuit, sed cruore proprio reatus nostri maculam tersit. Vgl. auch moral. IV, 14, 31 (CCL 143, 183f).

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Das Opfer Christi betrachtete Gregor auch als das sühnende Opfer, durch welches das seit dem Sündenfall depravierte Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen wieder in Ordnung gebracht wurde. Die Erläuterung dieser These führte der Papst mit der Bibelstelle Cum sis iustus, iuste omnia disponis; eum quoque qui non debet puniri condemnas (Weish 12, 15) ein. Hinsichtlich des Sohnes Gottes stellte Gregor die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, wenn der Unschuldige bestraft wird. Der mediator Dei et hominum war keines Vergehens schuldig, und trotzdem akzeptierte er die unverdiente Schuld, damit er den Menschen vom verdienten Tod befreien konnte. Die Gerechtigkeit Gottes sah der Papst paradoxerweise gerade darin verwirklicht, dass durch die Bestrafung des Gerechten Gott alle Ungerechten von der Schuld befreite.85 Aus diesem Grund wird das Opfer Christi von Gregor als sühnendes Opfer charakterisiert, weil dadurch die Relation zwischen Gott und dem Menschen korrigiert wurde. Dieses Opfer ermöglicht die Erneuerung des Verhältnisses zwischen Gott und Menschen, das aber bereits in der Inkarnation Christi erneut grundgelegt wurde. Der dritte Kontext, in dem Gregor das Opfer Christi erläuterte, stellt die in der patristischen Tradion weit verbreitete Theorie von Triumph Christi86 über den Teufel dar. Der Papst erläuterte, dass der Teufel seit dem Sündenfall den Menschen mit Recht gefangen hielt.87 Im Erlösungswerk Christi wurde der Mensch aus dieser Gefangenschaft befreit. Diese, modern gesprochen, Befreiungsaktion schildert Gregor mit einem Bild, das auf Gregor von Nyssa zurückgeht und von Rufinus überliefert wurde.88 Als Ansporn für die Entfaltung dieser Erläuterung diente Gregor die Bibelstelle „Kannst du etwa den Leviatan am Angelhaken fangen?“ (Ijob 40, 20 Vg.).89 Diese Stelle wird der Ausgangspunkt für die Entfaltung der Überlistungstheorie, nach der der Teufel von Christus getäuscht wurde, genauso 85 Vgl. moral. III, 14, 27 (CCL 143, 132): Sed pensandum est quomodo iustus sit et omnia iuste disponat si eum qui non debet puniri, condemnet. Mediator etenim noster puniri pro semetipso non debuit quia nullum culpae contagium perpetrauit. Sed si ipse indebitam non susciperet numquam nos a debita morte liberaret. Pater ergo cum iustus sit, iustum puniens, omnia iuste disponit quia per hoc cuncta iustificat quod eum qui sine peccato est, pro peccatoribus damnat; moral. XX, 36, 69 (CCL 143B, 1054). Vgl. auch F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 97. 86 Vgl. dazu WERBICK, Soteriologie, 146–150; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 125–127. 87 Vgl. moral. II, 22, 41 (CCL 143, 84): Ab Adam quippe, ante aduentum Domini, omnes post se gentium nationes traxit... Tantoque latius in mundo uagatus est quanto a reatu quisque illius liber per omnia inuentus non est; in euang. II, 26, 9 (FC 28/2, 488); in euang. II, 39, 8 (FC 28/2, 824); moral. XVII, 30, 46f (CCL 143, 877–879). 88 Vgl. dazu RIVIÈRE, Le Dogme de la rédemption après saint Augustin; STRAW, Gregory the Great, 155. 89 Vgl. in euang. II, 25, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 463).

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wie er selbst den ersten Menschen einst überlistete.90 Da der Leviatan „ihre Zugabe“ heißt, identifizierte Gregor ihn mit dem Verschlinger der Menschheit, der dem Menschen durch die Verheißung der Zugabe der Göttlichkeit seine Unsterblichkeit nahm. Die passende Antwort auf diese Überlistung des Leviatans kam in der Inkarnation und in der passio Christi, als der Teufel von Gott mit der Angel gefangen wurde: „Bei einer Angel ist nun der Köder sichtbar, der Haken verborgen. Der allmächtige Vater hat ihn also mit der Angel gefangen, da er zu dessen Tötung seinen eingeborenen Sohn Fleisch werden ließ, damit in ihm das leidensfähige Fleisch gesehen und zugleich die leidensunfähige Gottheit nicht gesehen werden konnte. Als jene Schlange an ihn durch die Hände der Verfolger in den Köder des Leibes biss, durchbohrte sie der Haken der Gottheit.“91

Die Erläuterung dieser Überlistung gründete der Papst auf die Komplexität der Person Christi. Die menschliche Natur Christi stellte den vom Teufel begehrten Köder des Fleisches dar, weil der Leviatan im leidensfähigen Erlöser nur den Menschen Jesus erkannte. Wenngleich der Teufel in Christus infolge der Wundertaten anfangs Gott erkannt hatte, zweifelte er später an seiner Gottheit, als er ihn als einen Leidensfähigen sah. Durch die Menschheit bzw. durch die offenkundige Schwäche wurde der Verschlinger angezogen, während sein Rachen durch die Gottheit bzw. durch die verborgene Stärke durchbohrt wurde. In seiner Vermessenheit versuchte er also, über den sündenfreien Menschensohn die unverdiente Strafe des Todes zu verhängen, und wurde dabei vom Haken der Gottheit durchbohrt. Auf diese Weise wurde der Mensch aus der Gefangenschaft des Teufels befreit, weil der Teufel durch den Angriff auf Christus alle Sterblichen, die er zu Recht festhielt, verlor.92 Dieser Versuch des Teufels hatte nicht nur den Verlust der Erwählten bewirkt, sondern führte auch zur Stärkung des Geistes der Erwählten im Glauben durch den Kreuzestod Christi.93 90

Vgl. in euang. II, 25, 8 (FC 28/2, 462). In euang. II, 25, 8 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 463). Vgl. auch in euang. II, 39, 8 (FC 28/2, 824): Sed idcirco illos vel post rapere, vel prius tenere non potuit, quia eos ille a debitis suis eripuit, qui pro nobis sine debito mortis debitum solvit: ut nos ideo sub iure hostis nostri debita nostra non teneant; quia pro nobis Mediator Dei et hominum homo Christus Iesus gratuito reddidit quod non debebat; moral. XXXIII, 15, 31 (CCL 143B, 1700f); moral. XXXIII, 9f, 17f (CCL 143B, 1687–1689). 92 Vgl. in euang. II, 25, 8 (FC 28/2, 462–464): Prius vero eum in miraculis Deum cognoverat, sed de cognitione sua ad dubitationem cecidit, quando hunc passibilem vidit… Ibi quippe inerat humanitas, quae ad se devoratorem ducerat; ibi divinitas, quae perforaret: ibi aperta infirmitas, quae provocaret; ibi occulta virtus, quae raptoris faucem transfigeret. In hamo igitur captus est, quia inde interiit, unde momordit. Et quos iure tenebat mortales, perdidit: quia eum, in quo ius non habuit, morte appetere immortalem praesumpsit. Vgl. auch moral. XVII, 30, 47 (CCL 143A, 878f). 93 Vgl. auch moral. III, 16, 31 (CCL 143, 135): Et cum satan ad feriendam Redemptoris carnem permittitur ab anima separatur; quia cum corpus eius ad passionem accipit, 91

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Der gemeinsame Nenner aller drei Perspektiven, aus denen Gregor das Opfer Christi betrachtete, ist die Feststellung, dass die Erlösung des Menschen ausschließlich durch das Leiden Christi ermöglicht wurde. Nichts anderes oder kein anderer konnte zur Erlösung des Menschen geopfert werden. In allen Darstellungen wird deshalb vom Papst die Einzigartigkeit der Person Christi und seine Unfehlbarkeit hervorgehoben. Mit der Betonung der absoluten Unschuld Christi und seiner freiwilligen Annahme der unverdienten Strafe gehen die Demut Christi und der exemplarische Charakter des Opfers Christi einher.94 Der Entfaltung der Lehre vom Opfer Christi folgt demnach der Aufruf zu Zerknirschung und zur imitatio Christi in dieser Hinsicht. Auf dieser Grundlage basiert weiterhin die Originalität des Erlösungswerkes Christi, das kein anderer Mensch vollbringen konnte. Wenngleich der Akzent dieser Darstellungen nicht auf der Entfaltung der christologischen Lehre liegt, bildet die Lehre von der zwei Naturen Christi stets den dogmatischen Hintergrund von Gregors Erläuterung der passio Christi. Bei der Darstellung der Christologie Gregors soll besonders auf die Relation der zwei Naturen Christi hingewiesen werden. Wenngleich in Christus das Leiden seiner menschlichen Natur vorbehalten bleibt, liegt die soteriologische Bedeutung in seiner göttlichen Natur. In der menschlichen Natur vermochte er zu sterben. In seiner göttlichen Natur vermochte er die menschliche Natur zu retten.95 Gregor betonte, dass Christus in seiner göttlichen Natur leidensunfähig und unwandelbar bleib, obschon er in seiner menschlichen Natur starb.96 Der Erlöser nahm den Tod seiner menschlichen Natur auf sich und überwand ihn in seiner göttlichen Natur.97 Wenn die Heilgeschichte aus dem Kontext des Opfers Christi betrachtet wird, stellt sich die Frage, ob ausschließlich durch das Opfer Christi die Erlösung des Menschen möglich war. Daraus ergibt sich eine weitere rein hypotetische Frage: ob es zur Inkarnation Christi ohne den Sündenfall des Menschen gekommen wäre. Gregors Auffassung hinsichtlich dieser Fragen

electos eius a iure suae potestatis amittit; cumque illius caro per crucem moritur, horum mens contra tentamenta solidatur. 94 Vgl. in euang. II, 21, 7 (FC 28/1, 384): Qui si de cruce tunc descenderet, nimirum insultantibus cedens, virtutem nobis patientiae non demonstraret. 95 Vgl. moral. VI, 20, 35 (CCL 143, 310). 96 Vgl. auch in Ezech. I, 7, 10 (CCL 142, 89): Sed arsit et non arsit, quia et ex humilitate est mortuus, et tamen immortalis ex diuinitate permansit. Suscepit a nobis unde sacrificium fieret pro nobis, et tamen impassibilis atque incommutabilis permansit in propriis, ut nos commutaret a nostris. 97 Vgl. moral. VI, 20, 35 (CCL 143, 310): Redemptor noster et uires gentilium, et linguas Iudaeorum moriendo ex humanitate pertulit sed ex diuinitatis suae potentia resurgendo superauit.

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ist nicht ganz konsequent. In den Ezechielhomilien formuliert Gregor die Bedingtheit der Inkarnation Christi folgendermaßen: „Wäre nämlich Gott, vor aller Zeit gleich ewig mit dem Vater, nicht Mensch geworden in der Zeit, wann vermöchte der zeitliche Mensch Ewiges zu verkosten?“98

Obschon diese Aussage Gregors auf die Inkarnation Christi als den Teil des ewigen Heilsplanes Gottes, der vom Sündenfall des Menschen unabhängig war,99 deuten konnte, verweist die häufige kausale Verbindung zwischen der Inkarnation und dem Sündenfall auf die Betrachtungsweise Gregors, in der die Inkarnation Christi direkt durch den Sündenfall Adams hervorgerufen wurde.100 Entsprechend schrieb der Papst, dass der zweite Adam nicht im Fleische gestorben wäre, wenn der erste Adam von Satan nicht zum Tod gebracht würde.101 Gregors Ansichten hinsichtlich der soteriologischen Nowendigkeit des Leidens Christi scheinen auch eindeutig zu sein. Gregor behauptete: „Der Rost der Schuld kann nicht gereinigt werden, außer durch das Feuer der Qual.“102 Andererseits findet man bei Gregor Aussagen, die betonen, dass Gott den gefallenen Menschen auf eine andere Art und Weise hätte retten können. Der barmherzige Gott entschloss sich jedoch aus Mitleid mit den Menschen, sich in der Zeit zu offenbaren und das Leiden und den Kreuzestod anzunehmen.103 Es wäre allerdings überflüssig zu versuchen, diese Thesen Gregors in Einklang zu bringen. Solche kleinen Unklarheiten lassen sich in Gregors Lehre gelegentlich finden. Je nach Intention und Kontext bei der Entfaltung seiner Lehre setzte Gregor verschiedene Akzente, indem er einige Aspekte der Heilsgeschichte betonte, andere hingegen vernachlässigte. 2.2 Die Auferstehung Christi Wenngleich die Erläuterungen des soteriologischen Wirkens Christi bei Gregor meist um die Themen der Inkarnation und der passio Christi kreisen, finden sich in seinen Werken auch Hinweise, die sein Auferstehungsverständnis ans Licht bringen. Es muss vorausgeschickt werden, dass jegli98

In Ezech. I, 5, 16 (B ÜRKE, CMe 21, 100). Solcher Ansicht war MAXIMUS CONFESSOR, quaest. ad Thal. 60 (CCG 22, 72–83). 100 Vgl. dazu auch moral. XXXV, 14, 28 (CCL 143B, 1792): Vnde et primus homo praeceptum quod seruaret accepit, cui se si uellet oboediens subdere, ad aeternam beatitudinem sine labore perueniret. 101 Vgl. moral. III, 14, 26 (CCL 143, 131): Nisi enim Adam primum per uoluntarium uitium in animae mortem traxisset, Adam secundus sine uitio in carnis mortem uoluntariam non ueniret. 102 Vgl. moral. III, 14, 27 (CCL 143, 132): Rubigo quippe uitii purgari non potuit nisi igne tormenti. 103 Vgl. moral. XX, 36, 69 (CCL 143A, 1054f); moral. XXXIV, 23, 54 (CCL 143B, 1770f). Vgl. dazu STRAW, Gregory the Great, 171f. 99

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che strenge Unterscheidung der soteriologischen Konsequenzen der Auferstehung Christi von den Konsequenzen der Inkarnation und des Opfers Christi falsch wäre. In Gregors Theologie besitzt das ganze Leben bzw. das gesamte Erlösungswerk Christi soteriologische Bedeutung. In den Erläuterungen des Papstes vermischen sich häufig diese Themenkomplexe, und es wäre nicht richtig zu versuchen, sie auseinander zu halten. Wie die Inkarnation und die passio Christi betrachtete der Papst die Auferstehung vor allem aus der soteriologisch-anthropologischen Perspektive. Vor diesem Hintergrund entfaltete Gregor seine Auferstehungslehre, in der einige Themen häufiger vorkommen. Den Akt der Auferstehung Christi sah Gregor als die Befreiung der Erwählten aus dem Totenreich an. In der Auferstehung zerstörte Christus die Kerker des Totenreiches und öffnete dem Menschen die Pforten des Himmelreiches.104 Dieses Geschehen fand der Papst im Richterbuch (16, 1–3) vorausgesehen, indem er Simson als Typos für den Erlöser betrachtete.105 Als die Philister die Ankunft Simsons bemerkten, schlossen sie Gaza mit einer Belagerung ein, stellten Wachen auf und dachten, dass sie Simson gefangen hätten. Dieses Bild bezeichnet bei Gregor die Aufstellung der Wächter am Grab Christi. Um Mitternacht entkam Simson jedoch, trug sogar das Stadttor hinweg und stieg auf den Gipfel des Berges. Analog entkam Christus aus dem Totenreich vor Tagesanbruch und zerstörte den Kerker des Totenreiches. Er stieg auf den Gipfel, indem er in seiner Auffahrt zum Himmel vordrang.106 In seiner Auferstehung vernichtete er den Tod und zog alle Erwählten an sich, sodass keiner von ihnen im Totenreich zurückblieb. Gregor betonte jedoch, dass ausschließlich die Erwählten die Erlösung durch die Auferstehung Christi fanden. Die Verworfenen waren der Erlösung nicht teilhaftig und blieben im Totenreich.107 Diese These entfaltete Gregor offensichtlich im Anschluss an die Erläuterung des Opfers Christi. Wenn durch die passio Christi den Menschen der Weg zu Gott eröffnet wurde, indem sie in Christus der Macht des Teufels entrissen und mit Gott versöhnt wurden, dann wurde ihnen in der Auferstehung der Zugang zum Himmel gewährt. Die soteriologische Bedeu104

Vgl. in euang. II, 22, 6 (FC 28/2, 402). Vgl. in euang. II, 21, 7 (FC 28/2, 386–388). 106 Vgl. in euang. II, 21, 7 (FC 28/2, 386–388): Samson vero media nocte non solum exiit, sed etiam portas tulit: quia videlicet Redemptor noster ante lucem resurgens, non solum liber de inferno exiit, sed et ipsa etiam inferni claustra destruxit. Portas tulit, et montis verticem subiit: quia resurgendo claustra inferni abstulit, et ascendendo coelorum regna penetravit. 107 Vgl. in euang. II, 22, 6 (FC 28/2, 400): Omnia etenim traxit, qui de electis suis apud inferos nullum reliquit. Omnia abstulit, utique electa. Neque enim infideles quosque et pro suis criminibus aeternis suppliciis deditos ad veniam Dominus resurgendo reparavit; sed illos ex inferni claustris rapuit, quos suos in fide et actibus recognovit. 105

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tung der Auferstehung Christi brachte der Papst oft mit der Perspektive der eschatologischen Existenzweise in der patria caelestis in Verbindung. So predigte er, dass die Gebrechlichkeit des menschlichen Fleisches durch die Herrlichkeit der Auferstehung Christi verwandelt wurde.108 Auf diese Weise wurde der seiner Natur nach vergängliche menschliche Körper durch die Gnade Gottes unvergänglich gemacht, was zur Folge hatte, dass der Menschenkörper zur eschatologischen Existenz fähig wurde. Infolgedessen charakterisierte Gregor die Auferstehung des Fleisches als eine neue Geburt sowohl der Erwählten als auch der Kirche. Durch diese Geburt werden die Erwählten erhoben, um der Kontemplation des ewigen Lichtes teilhaftig zu werden.109 In Anlehnung an den Vers Minuisti eum paulo minus ab angelis (Ps 8, 6) sah der Papst Christus in der Inkarnation infolge seiner Menschheit als den Engeln untergeordnet an. Nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt steht der Menschensohn aber an der Spitze sämtlicher Engelmächte.110 Das Leitmotiv dieser Aussage, dass Christus in seiner Menschheit den Engeln unterworfen war, soll nicht in christologischer Entfaltung des Verhältnisses zwischen Gottheit und Menschheit in Christus gesucht werden.111 Die Grundlage für diese Behauptung fand der Papst im kenotischen Charakter der Inkarnation. Als Gottmensch stand Christus seiner Mächtigkeit nach über den Engeln.112 Gregors Interesse liegt hier eigentlich in der Betonung der soteriologischen Relevanz der Auferstehung Christi für die menschliche Natur. Infolgedessen behauptete er, dass Christus in der Auferstehung auch seine Menschheit über die Majestät der Erzengel stellte.113 Abstei-

108 Vgl. in Ezech. II, 1, 9 (CCL 142, 214f): Quid est ergo quod aspectus Mediatoris Dei et hominum speciei comparatur aeris, nisi hoc, quod aperte nouimus, quia unigenitus Filius, formam serui accipiens, fragilitatem carnis humanae per resurrectionis suae gloriam uertit in aeternitatem, quia in eo caro facta est iam sine fine durabilis? 109 Vgl. moral. IV, 25, 46 (CCL 143, 191f): Ortus uero aurorae est illa noua natiuitas resurrectionis qua sancta Ecclesia etiam carne suscitata oritur ad contemplandum lumen aeternitatis. Si enim ipsa carnis nostrae resurrectio quasi quaedam natiuitas non esset, de ea Veritas non dixisset: In regeneratione, cum sederit Filius hominis in sede maiestatis suae. Esse ergo hanc ortum uidit, quam regenerationem uocauit. 110 Vgl. in Ezech. I, 8, 23 (CCL 142, 114). 111 Vgl. in Ezech. I, 8, 23 (CCL 142, 114): Firmamentum ergo sub throno, et homo super thronum est, quia per humanae assumptionem naturae et ipse est sub angelis natus, et ipse super angelos exaltatus. Qui et priusquam per resurrectionis exaltaretur gloriam, diuinitate super angelos fuit; sed tamen angelis, ut dictum est, humanitate minoratus, ex qua et morti subiacuit. 112 Vgl. in Ezech. I, 8, 24 (CCL 142, 115). 113 Vgl. in Ezech. I, 8, 23 (CCL 142, 114): At postquam mortem resurgendo calcauit, humanitatem suam etiam maiestatibus archangelorum superposuit.

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gend nahm Christus die menschliche Natur an, die unterhalb der Engel anzusiedeln ist, und aufsteigend erhob er sie über die Engel.114 Diese Erläuterungen des Papstes legen die ontologischen Konsequenzen der Auferstehung Christi für die menschliche Natur dar. Den biblischen Beleg für seine These fand Gregor in Röm 8, 21f.115 Durch sein williges Vergehen verließ der Mensch den ingenitae constantiae status und unterwarf sich unfreiwillig der mutabilitatis corruptio. Die Verderbtheit und Vergänglichkeit des menschlichen Körpers fesseln die Erwählten, die sich nach der Präsenz Gottes sehnen.116 Die Erlösung von dieser corruptio des menschlichen Körpers verwirklicht sich endgültig erst in der Auferstehung.117 Der Bedeutung der Auferstehung schrieb der Papst auch universale Züge zu, indem er die Erlösung der ganzen Schöpfung als von der Auferstehung des Menschen bedingt verstand.118 Diese Erlösungsmöglichkeit ist dem Menschen in Christus eröffnet, der die angenommene menschliche Natur durch seine göttliche Kraft verwandelte und von der corruptio befreite.119 Sterbend in der Gebrechlichkeit des menschlichen Fleisches, erstand er vom Tod ohne diese Gebrechlichkeit.120 Gregor predigte explizit: „Er hat uns ein Beispiel gegeben, damit wir glauben, dass am Jüngsten Tag mit unserem Leib das geschehen werde, was wir am Tag der Auferstehung als an seinem Leib geschehen erkannt haben.“121

Die eschatologische Perspektive der Auferstehung Christi kommt auch durch die Betonung des Wiederherstellung-Gedankens in diesem Geschehen zum Ausdruck. Gregor predigte zum Osterfest: 114

Vgl. in Ezech. I, 8, 23 (CCL 142, 114). Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 213). 116 Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 213): Vanitati quippe creatura non uolens subditur quia homo, qui ingenitae constantiae statum uolens deseruit, pressus iustae mortalitatis pondere, nolens mutabilitatis suae corruptioni seruit… Hic itaque electi molestia uincti sunt quia adhuc corruptionis suae poena deprimuntur. Sed cum corruptibili carne exuimur, quasi ab his quibus nunc astringimur, moelestiae uinculis relaxamur. Praesentari namque iam Deo cupimus sed adhuc mortalis corporis obligatione praepedimur. 117 Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 213): Haec autem uincula quia certissime rumpenda in resurrectione conspexerat…; in Ezech. I, 7, 19 (CCL 142, 95): Sed quia per resurrectionis suae gloriam ex ipsa sua corruptione in incorruptionis uirtutem conualuit, quasi crystalli more ex aqua duruit, ut in illo et haec eadem natura esset, et in ipsa iam quae fuerat corruptionis mutabilitas non esset. Aqua ergo in crystallum uersa est, quando corruptionis eius infirmitas per resurrectionem suam ad incorruptionis est firmitatem mutata. 118 Vgl. moral. IV, 34, 68 (CCL 143, 213): Sed creatura haec tunc a seruitute corruptionis eripitur cum ad filiorum Dei gloriam incorrupta resurgendo subleuatur. 119 Vgl. GRESCHAT, Die Moralia in Job, 147. 120 Vgl. moral. III, 18, 33 (CCL 143, 136): Quo per infirmitatem moriens a morte sine infirmitate surrexit. 121 In Ezech. II, 8, 5 (B ÜRKE, CMe 21, 405). 115

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

„Jene Auferstehung unseres Erlösers war ja unser Fest, weil er uns zu Unsterblichkeit zurückführte; sie was ebenso das Fest der Engel, weil er deren Zahl wieder vollständig machte, als er uns zum Himmlischen zurückief. Bei seinem und unserem Fest erschien also der Engel in weißen Gewändern, denn wenn wir durch die Auferstehung des Herrn zur oberen Welt zurückgeführt werden, dann werden die Verluste der himmlischen Heimat wieder ausgeglichen.“122

Diese Entfaltung zeigt passend den Aspekt der Wiederherstellung in der Auferstehungslehre Gregors. Der soteriologische Prozess, der in der Inkarnation Christi in Gang gesetzt wurde, findet seine Erfüllung in der Auferstehung. Gregor schrieb: „Dazu erschien der Herr im Fleisch, dass er das Leben des Menschen durch sein Mahnen antreibe, durch das Beispiel, das er ihm gab, anfeuere, durch seinen Tod freikaufe und durch seine Auferstehung wiederherstelle.“123

In der Inkarnation wurde die menschliche Natur von Gott angenommen. In der Auferstehung wurde der Mensch zur oberen Welt zurückgeführt.124 Angesichts von Gregors Verständnis der Heilsgeschichte als eines Prozesses der Wiederherstellung kann die Auferstehung also anschaulich als das Finale der Heilsgeschichte bezeichnet werden. Durch die Auferstehung wird das Ziel der Heilsgeschichte ereicht: der Mensch vereinigt mit den Engeln in der Kontemplation Gottes.125 Dieses Ziel, das im Christus erreicht wurde, verstand der Papst nicht als bloße Wiederherstellung des ursprünglichen Paradieszustandes. In Anlehnung an die patristische Tradition126 behauptete er, dass der Mensch in Christus nicht nur zu seinem ursprünglichen Zustand zurückgeführt, sondern noch herrlicher erhöht wurde.127 Der mediator Dei et hominum kam zum Ausgleich der durch den Abfall einiger Engel verursachten Minderung der himmlischen Gemeinschaft der Engel. Durch die erlöste Menschheit wurde aber nicht nur der Verlust in der Engelwelt ersetzt, sondern das Maß der patria caelestis überreich erfüllt.128

122

In euang. II, 21, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 379). Vgl. moral. XXI, 6, 11(CCL 143A, 1073): Ad hoc itaque Dominus apparuit in carne, ut humanam uitam admonendo excitaret, exempla praebendo accenderet, moriendo redimeret, resurgendo repararet. 124 Vgl. auch in euang. II, 25, 7 (FC 28/2, 460): Atque ideo exaltavit caput; quia hoc quod moriendo in sepulcro posuit, resurgendo super angelos elevavit. 125 Vgl. in euang. I, 8, 2 (FC 28/2, 144–146). 126 Vgl. z. B. LEO I, serm. 73 (PL 54, 396 C). 127 Vgl. moral. XXVII, 15, 30 (CCL 143B, 1353f). 128 Vgl. moral. XXXI, 49, 99 (CCL 143B, 1618): Hanc praeruptionem restituere Mediator uenit ut redempto humano genere illa angelica damna sarciret, et mensuram caelestis patriae locupletius fortasse cumularet. Der gleiche Gedanke (jedoch in einem spezifischen Kontext) befindet sich bei AUGUSTINUS, civ. XXII, 1 (CCL 47, 807). 123

2. Christus als der mediator Dei et hominum

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Die Auferstehung Christi betrachtete Gregor weiter aus der pädagogischen Perspektive.129 In der 22. Evangelienhomilie, die am Osterfest gehalten wurde, fasste Gregor den pädagogischen Sinn der Auferstehung Christi folgendermaßen zusammen: „Durch diese Festfeier ist uns ja das Beispiel der Auferstehung gegebenen, die Hoffnung auf die himmlische Heimat erschloßen und von der Herrlichkeit des himmlischen Reiches schon ein Vorgeschmack gegeben.“130

Diese pädagogische Absicht korrespondiert dem katechetischen Theologieverständnis Gregors. Die Auferstehung Christi stellt hier die Grundlage des Auferstehungsglaubens des Menschen bzw. der Kirche dar. Gregor erläuterte, dass Christus in die Welt kam, um den Menschen zur himmlischen Heimat zu berufen.131 Wegen der depravierten Erkenntnismöglichkeit des Menschen und seiner Diesseitsorientierung vollzog Christus das Erlösungswerk, indem er durch das eigene Leben das Fundament des Glaubens aufstellte. Hinsichtlich der Auferstehung formulierte Gregor diese These folgendermaßen: „Wenn er also uns, die wir das sterbliche Leben kennen, die Auferstehung des Fleisches verheißen hätte, jedoch ohne sie uns sichtbar zu zeigen, wer hätte seinen Verheißungen geglaubt? Daher wurde er Mensch und erschien im Fleisch, ließ sich herab, aus freiem Willen zu sterben, erstand aufgrund seiner Macht und zeigte uns durch sein Beispiel, was er uns als Lohn verhieß.“132

In seiner Auferstehung zeigte Christus uns als erster die Herrlichkeit der ewigen Heimat.133 Diese pädagogische Dimension des Auferstehungsaktes entfaltete Gregor besonders in der Auslegung der Worte Ijobs: Scio enim quod Redemptor meus uiuat (Ijob 19, 25).134 Die Auferstehung des Herrn wird in dieser Konzeption das Fundament des Auferstehungsglaubens bzw. das Unterpfand der Auferstehung des einzelnen Menschen und der Kirche.135 Die Relation Haupt – Leib wurde hier von Gregor herangezogen, um die Gewissheit der Auferstehung der Glieder Christi anhand des Bei129 Die pädagogische Absicht der Auferstehung Christi unterstreicht M ÜLLER-ABELS, „Scio enim quod redemptor meus vivat“, 453, ohne dass sie dabei auf die anderen Aspekte der Auferstehungslehre Gregors eingeht. 130 In euang. II, 22, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 401). Vgl. auch moral. VI, 20, 35 (CCL 143, 310); in Ezech. II, 2, 6 (CCL 142, 229): Ostendit [sc. Christus] resurrectionem ut nos resurgere posse crederemus. 131 Vgl. in Ezech. II, 2, 6 (CCL 142, 229): Quia enim uocare nos ad caelestem patriam uenit [sc. Christus] … 132 In euang. II, 21, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 385). Vgl. auch moral. XXVII, 15, 29 (CCL 143B, 1352); moral. XXX, 24, 69 (CCL 143B, 1538). 133 Vgl. in Ezech. II, 8, 5 (CCL 142, 339). 134 Vgl. moral. XIV, 54,67 – 55,71 (CCL 143A, 739–743); Vgl. darüber auch GRESCHAT, Die Moralia in Job, 145–148. 135 Vgl. moral. XIII, 24, 27 (CCL 143A, 684).

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spiels der Auferstehung des Erlösers zu untermauern. Indem Christus als Haupt am dritten Tag auferstand, zeigte er, was an seinem Leib bzw. der Kirche geschehen wird.136 Gregors Akzentuierung der Wahrheit der Auferstehung Christi kann gewiss pastoral erklärt werden. Diese Motivation lässt sich unmissverständlich in den Ezechielhomilien erkennen, in denen der Papst die Skepsis gegenüber der Auferstehung des Fleisches scharf kritisierte.137 Zu diesem pastoral-pädagogischen Horizont der Auferstehungslehre gehört noch ein weiterer Gedanke, den Gregor vor dem Hintergrund der Antithese temporalis – aeternus entfaltete. Der Auferstehungsglaube wird nicht nur das Fundament der Gewissheit der eschatologischen Existenz, sondern wird zum Prisma, durch das die irdische Existenz des Menschen sowie der irdische Geschichtsablauf zu betrachten sind. Die Gewissheit der eschatologischen Dimension des Lebens lässt das irdische Leben bzw. die irdischen Ereignisse in anderem Lichte erscheinen. Diese These entfaltete der Papst auf individuellem und ekklesiologischem Niveau, wobei die Grundidee in beiden Fällen gleich ist. Die irdische Existenz der Kirche und besonders die Widrigkeiten, mit denen die Kirche auf der Erde konfrontiert ist, sollen nach Gregor aus der eschatologischen Perspektive beurteilt werden. Die Perspektive der ewigen Vollendung und der Verherrlichung ihres Erlösers lässt das irdische Martyrium der Kirche als sinnvoll erscheinen, indem die Kirche die Widrigkeiten des irdischen Lebens erträgt, um durch die himmlische Gnade zur ewigen Belohnung zu gelangen. Auf diesem Weg zur patria caelestis stellt der Auferstehungsglaube die Quelle der begründeten Hoffnung und einen Vorgeschmack der Herrlichkeit des Himmlischen Reiches dar. Auf der Erde erleidet die Kirche das Vergängliche in der Erwartung des Ewigen.138 Diese eschatologische Auferstehungsperspektive bringt bei Gregor den provisorischen Charakter der irdischen Existenz zum Ausdruck. Die Bedeutung 136

Vgl. moral. XIV, 55, 68 (CCL 143A, 740): Quia uidelicet resurrectionem quam in se ostendit in nobis etiam quandoque facturus est. Resurrectionem quippe quam in se ostendit nobis promisit, quia sui capitis gloriam sequuntur membra. Redemptor ergo noster suscepit mortem, ne mori timeremus. Ostendit resurrectionem ut nos resurgere posse confidamus… Dum ergo die tertio resurrexit, quid in eius corpore, id est Ecclesia, sequatur, ostendit. Exemplo quippe monstrauit quod promisit in praemio, ut sicut ipsum resurrexisse fideles agnoscerent, ita in seipsis in fine mundi resurrectionis praemia sperarent. Vgl. auch moral. XIII, 24, 27 (CCL 143A, 684). 137 Vgl. in Ezech. II, 8, 6 (CCL 142, 339); in euang. II, 26, 12 (FC 28/2, 492). 138 Vgl. moral. XIII, 24, 27 (CCL 143A, 684): Sancta namque Ecclesia idcirco aduersa uitae praesentis tolerat ut hanc superna gratia ad praemia aeterna perducat. Carnis suae mortem despicit quia resurrectionis gloriae intendit. Et transitoria sunt quae patitur, perpetua quae praestolatur. De quibus nimirum bonis perpetuis dubietatem non habet, quia fidele iam testimonium Redemptoris sui gloriam tenet. Vgl. auch in euang. II, 22, 6 (FC 28/2, 401).

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der Auferstehungsperspektive vor dem Hintergrund der irdischen Drangsal fasste er folgendermaßen zusammen: „Wenn daher das gläubige Volk Widriges erleidet, wenn es von harter Drangsal müde wird, muss es den Sinn auf die Hoffnung künftiger Herrlichkeit richten und in dem Vertrauen auf die Auferstehung seines Erlösers sprechen: Siehe, im Himmel lebt mein Zeuge und mein Bürge in den Höhen (Ijob 16, 20).“139

2.3 Christus magister Die soteriologische Rolle Christi betrachtete Gregor aus zwei Perspektiven.140 Christus ist einerseits der Erlöser, der durch die Inkarnation, passio und Auferstehung die menschliche Natur von der corruptio des Fleisches befreit und für den Menschen die eschatologische Existenz wieder zugänglich macht. Andererseits ist Christus der Lehrer, der menschliches depraviertes Wissen und seine daraus folgende Diesseitsorientierung korrigiert und ihn auf das Himmlische hinweist.141 Diese lehrende Rolle Christi kommt weiterhin auf zweifache Weise zum Ausdruck. Zum einen lehrt der Erlöser den Menschen durch seine Existenzweise bzw. durch seinen Lebenswandel und durch seine Werke. Diese sozusagen eher passive Lehrweise Christi findet die Antwort des Menschen in der Konzeption der imitatio Christi. Die andere Lehrweise Christi stellt seine Verkündigung dar, durch die der Mensch unmittelbar belehrt wird.142 Analog zum oben dargestellten pädagogischen Sinn des Auferstehungsgeschehens besitzen alle Heilsereignisse des Lebens Christi ihre pädagogische Dimension. In diesem Lichte schrieb der Papst, dass in der Inkarnation Christi dem Menschen neues Wissen gereicht wurde.143 Durch die irdische Existenz des Erlösers wird der Mensch über die eschatologische Existenz belehrt. Gregor erläuterte, dass es zwei Arten des Lebens gibt: sterbliches und unsterbliches bzw. vergängliches und unvergängliches. Das sterbliche Leben vor dem Tod wurde jedem Menschen noch vor dem Kommen Christi bekannt, während das unsterbliche der Mensch nicht kannte. Indem der mediator Dei et hominum in die Welt kam, nahm er vergängliches Le-

139

Moral. XIII, 24, 27 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 54). 140 Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 156f. 141 Vgl. past. 1, 3 (BKV2 4, 68f). 142 Vgl. in euang. I, 17, 1 (FC 28/1, 266); in euang. I, 18, 4 (FC 28/1, 314). 143 Vgl. z. B. moral. II, 34, 56 (CCL 143, 94): Sed quia exspectatus uenit, ueniens noua docuit docens mira exercuit, mira faciens praua tolerauit; in cant. 13 (CCL 144, 16).

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

ben an und offenbarte unvergängliches.144 In seinem Tod ertrug Christus das irdische Leben, das dem Menschen bekannt war. In seiner Auferstehung offenbarte er das himmlische Leben, das der Mensch suchen soll.145 Am Beispiel des eigenen Lebens lehrt der Erlöser den Menschen die Vorzüglichkeit des himmlischen Lebens im Vergleich zum irdischen.146 An anderer Stelle stellte der Papst die pädagogische Relevanz des Kreuzestodes, der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi in einer Reihe dar. Durch den Tod Christi wird der Mensch von der Angst vor dem Tod befreit. In der Auferstehung des Erlösers wird bei dem Menschen das Vertrauen in das Leben geweckt. Durch die Himmelfahrt Christi wird der Mensch dazu bewegt, sich des Erbes der patria caelestis zu rühmen und seine Hoffnung auf die eschatologische Existenz zu setzen.147 Das Motiv des Christus magister erläuterte der Papst aufgrund fast jeden Aspektes des heilsgeschichtlichen Werkes Christi. Der gemeinsame Nenner all dieser Explikationen basiert auf der Antithese temporalis – aeternus. Der Sohn Gottes kommt in die Geschichte, d. h. er wird fassbar innerhalb dieser irdischen Welt. Gleichzeitig durchbricht er aber die Grenzen dieser Welt, und aus der irdischen Welt hinaus weist er auf die himmlische hin. Sich in der Zeit befindend, lehrt er den Menschen von der Ewigkeit. Der Papst predigte: „Wir haben durch den Tod, die Auferstehung und die Himmelfahrt unseres Erlösers die ewigen Freuden kennengelernt.“148

Das Erlösungswerk Christi stellt in Gregors Konzeption auch den Schlüssel für das Bibelverständnis dar. Das versiegelte Buch aus der Apokalypse des Johannes (Offb 5) konnte ausschließlich durch Christus geöffnet wer-

144

Vgl. in euang. II, 21, 6 (FC 28/2, 382): Duae etenim vitae erant, quarum unam novimus, alteram nesciebamus. Una quippe mortalis est, altera immortalis: una corruptionis, altera incorruptionis: una mortis, altera resurrectionis. Sed venit Mediator Dei et hominum homo Christus Iesus, suscepit unam, et ostendit alteram. Vgl. auch moral. XXX, 24, 69 (CCL 143B, 1538). 145 Vgl. moral. XXX, 24, 69 (CCL 143B, 1538): Venit per carnem Dominus, et dum suscepit unam, alteram demonstrauit. Dum hanc nobis cognitam suscepit, illam quae nobis est incognita ostendit. Moriendo quippe uitam exercuit quam tenemus, resurgendo aperuit quam quaeremus; in euang. II, 21, 6 (FC 28/2, 384): Unam pertulit moriendo, et ostendit alteram resurgendo. 146 Vgl. moral. XXX, 24, 69 (CCL 143B, 1538): Exemplo suo nos docens quod haec uita quam ante mortem ducimus non propter se amanda sit, sed propter alteram toleranda. 147 Vgl. moral. XXVII, 15, 29 (CCL 143B, 1352): Vnde et moriendo docuit mortem non metui, resurgendo de uita confidi, ascendendo de caelestis patriae hereditate gloriari, ut quo caput praeisse conspiciunt, illuc se subsequi et membra gratulentur. 148 In Ezech. II, 1, 18 (B ÜRKE, CMe 21, 280f).

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den, weil gerade durch sein Leben der Sinn der Heiligen Schrift erfasst werden konnte: „Was anderes ist unter diesem Buche zu verstehen als die Heilige Schrift? Unser Erlöser allein hat sie geöffnet, da er durch seine Menschwerdung, durch seinen Tod, durch seine Auferstehung und Himmelfahrt alle Geheimnisse offenbar gemacht hat, die in ihr verschlossen waren.“149

Im Christus wird also dem Menschen der Sinn der irdischen Existenz und seine wahre eschatologische Bestimmung erschlossen und ihm der Sinn der Heiligen Schrift, die den Weg zur patria caelestis weist,150 begreiflich gemacht. Dass dem Menschen im Leben Christi gerade die Perspektive der eschatologischen Existenz in der himmlischen Heimat nahe gebracht wird, lässt sich an Gregors Auslegung der Auferstehung Christi ablesen: „Seht, in der Auferstehung unseres Schöpfers haben wir seine Diener, die Engel, als unsere Mitbürger erkannt. Lasst uns also zu jener großen Festfeier dieser Bürger eilen.“151

Die Rolle Christi als Lehrer entfaltete der Papst vor dem Hintergrund der These der menschlichen Unwissenheit, die als die Folge des Sündenfalls auftrat.152 Diese Unwissenheit manifestiert sich praktisch als Diesseitsorientierung und Ignoranz gegenüber der eschatologischen Realität.153 An diesem Punkt knüpfte Gregor seine Christus magister-Konzeption an. Christus erlöst den Menschen, indem er die Konsequenzen des Sündenfalls heilt. Hinsichtlich der Konzeption Christus magister heißt es, dass Christus die menschliche Unwissenheit bzw. seine Diesseitsorientierung heilt, indem er ihm das heilsbringende Wissen von der eschatologischen Dimension des Lebens bringt. Die Verknüpfung der Bilder des Belehrens und des Heilens befindet sich bei Gregor in der Auslegung der Geschichte von der Heilung eines Blinden bei Jericho (Lk 18, 35–43).154 Um seinen fleischlich gesinnten Jüngern Einsicht in die Worte über die Auferstehung zu gewähren, vollzieht Christus ein Wunder, indem er einem Blinden das Augenlicht zurückgibt. Durch dieses Wunder sollen die Jünger, die die Worte des himmlischen Mysteriums nicht verstehen können, im Glauben gestärkt 149

Dial. IV, 42 (BKV2 3, 250). Vgl. dazu KESSLER, Gregor der Große, 211: „Für Gregor ist die kontemplative Versenkung in die Worte der Schrift der bevorzugte Weg zur Wiederherstellung des paradiesischen Menschen, der sich durch eine unmittelbare Gottesbeziehung und die Fähigkeit, bei sich selbst zu bleiben, auszeichnet.“ 151 In euang. II, 21, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 389). 152 Vgl. darüber LIEBLANG, Grundfragen, 31–34; STRAW, Gregory the Great, 107– 127. 153 Vgl. moral. VII, 25, 31 (CCL 143, 355); moral. VII, 30, 45 (CCL 143, 368f); moral. X, 23, 41 (CCL 143, 566f); moral. XVI, 64, 78 (CCL 143A, 844f). 154 Vgl. in euang. I, 2, 1 (FC 28/1, 64–66). 150

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

werden. Gemäß seinem Verständnis von mysterium findet Gregor in diesem Ereignis neben dem äußeren geschichtlichen Sinn auch eine innere verborgene Bedeutung. Er predigte: „Seht, wer dieser Blinde ist, rein historisch genommen, wissen wir nicht; als Mysterium genommen, wissen wir hingegen, wessen Sinnbild er ist. Jener Blinde ist ja die ganze Menschheit, die in ihrem Stammvater aus den Freuden des Paradieses vertrieben wurde und, ohne die Herrlichkeit des himmlischen Lichtes mehr zu kennen, die Finsternis ihrer Verdammnis erleidet. Doch sie wird durch die Gegenwart ihres Erlösers erleuchtet, um die Freuden des inneren Lichtes schon mittels der Sehnsucht zu schauen und auf dem Weg des Lebens mit den Schritten guter Werke voranzuschreiten.“155

Der Blinde symbolisiert in der Interpretation Gregors die ganze Menschheit, die seit dem Sündenfall blind ist, weil sie das unvergängliche Licht nicht kennt. Im Erlösungswerk Christi kehrt die Menschheit, die sich in der Blindheit der Pilgerschaft des irdischen Lebens befindet,156 zum verlorenen ewigen Licht zurück.157 Das dem Blinden zurückgegebene Augenlicht legte Gregor allegorisch aus und erläuterte die Natur dieses Lichtes im Blick auf die pädagogische Relevanz des Ereignisses der Blindenheilung: „Das Licht wollen wir vom Herrn erbitten. Aber nicht dasjenige Bild, das auf einen bestimmten Ort beschränkt, das in der Zeit begrenzt, das durch die Unterbrechung der Nacht unbeständig ist und das wir zusammen mit den Tieren erblicken; vielmehr wollen wir dasjenige Licht erbitten, das wir allein mit den Engeln schauen können, das weder in einem Anfang noch durch ein Ende auf eine Grenze stößt.“158

Durch die Heilung durch den Erlöser wurde also der blinden Menschheit das geistige Licht der Kontemplation gereicht.159 In der Auslegung von Joh 9, 6 wird die Blindenheilung mit der Eröffnung der Möglichkeit der Kontemplation identifiziert, wenngleich diese irdische Kontemplation infolge der corruptio eingeschränkt ist.160 Die Blindenheilung bedeutet weiterhin, 155

In euang. I, 2, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 67). Vgl. in euang. I, 2, 8 (FC 28/1, 74). 157 Vgl. in euang. I, 2, 2 (FC 28/1, 66): Dum igitur Conditor noster appropinquat Iericho, coecus ad lumen redit: quia dum divinitas defectum nostrae carnis suscepit, humanum genus lumen, quod amiserat, recepit. Unde enim Deus humana patitur, inde homo ab divina sublevatur. 158 In euang. I, 2, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 73–75). 159 Vgl. moral. XVII, 15, 30 (CCL 143B, 1353). 160 Vgl. moral. VIII, 30, 49 (CCL 143, 420f): Vnde et Redemptor ueniens saliuam luto miscuit et caeci nati oculos reparauit; quia superna gratia carnalem cogitationem nostram per admixtionem suae contemplationis irradiat et ab originali caecitate hominem ad intellectum reformam. Vgl. darüber auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 151f. In dieselbe Richtung denkt F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 95: „Dieses neue Licht ist jedoch nicht rein symbolisch zu verstehen, sondern bedeutet die gnadenhaft ermöglichte Kontemplation, die, wenn auch zeitlich begrenzt, mit der paradiesischen Gotteserkenntnis Adams identisch ist.“ 156

2. Christus als der mediator Dei et hominum

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dass dem Menschen der Zugang zur Gotteserkenntnis bzw. zur geistigen Schau wieder geöffnet ist.161 Diese Möglichkeit der zeitweiligen Kontemplation,162 die in ihrer Natur mit der paradiesischen Gotteserkenntnis Adams identisch ist, bewegt in Gregors Konzeption den Menschen auf die Verwirklichung der andauernden Kontemplation in der patria caelestis hin. Auf diese Weise heilt Christus als Gott die Blindheit des Menschen,163 indem er ihm die geistigen Augen für die Kontemplation wieder öffnet und ihn auf seine von Gott zugedachte eschatologische Bestimmung hinweist. Der Erlöser belehrt den Menschen dadurch, dass er ihm die menschliche Diesseitsverfallenheit vor Augen führt und ihm gleichzeitig die Möglichkeit der Befreiung von dieser Diesseitsverfallenheit bietet, indem er ihn auf das himmlische Reich bzw. auf das Jenseits ausrichtet. Dieser Verknüpfung der Konzeption Christus magister mit der Verkündigung Christi vom Himmelreich kann man in vielen Ausführungen des Papstes nachgehen. In der Auslegung der Geschichte von der Erscheinung des auferstandenen Erlösers am See (Joh 21, 1–4) betonte der Papst die Diskrepanz zwischen der irdischen Welt, derer Sinnbild die Wogen des Sees darstellen, und der himmlischen Welt, die durch das feste Ufer symbolisiert wird.164 Der Standort (sc. das Ufer des Sees) des Erlösers wurde 161

Vgl. dazu LIEBLANG, Grundfragen, 37: „Daher mischte auch der Erlöser Speichel mit Lehm und stellte damit das Augenlicht des Blindgeborenen wieder her (Jo. 9, 6), weil die himmlische Gnade unser fleischliches Denken durch die Beimischung ihrer contemplatio verklärt und dadurch den Menschen von der angeborenen Blindheit zur geistigen Schau wiederherstellt.“ 162 Vgl. moral. V, 7, 13 (CCL 143, 227): Vnde fit plerumque ut in ipsis piis fletibus illa interni gaudii claritas erumpat; et mens quae in torpore prius caeca iacuerat, ad inspectionem fulgoris intimi suspiriis uegetata conualescant. Vgl. auch GRESCHAT, Die Moralia in Job, 161. 163 In dieser Auslegung der Blindenheilung erläuterte der Papst das Verhältnis der Gottheit und der Menschheit in Christus anhand der Handlungen des Stehens und Vorübergehens, indem er das Stehen mit der Gottheit und das Vorübergehen mit der Menschheit Christi identifizierte. Vgl. in euang. I, 2, 6 (FC 28/1, 70–72): Clamantem etenim coecum Iesus transiens audivit, sed stans miraculum illuminationis exhibuit. Transire namque humanitatis est, stare divinitatis. Per humanitatem quippe habuit nasci, crescere, mori, resurgere, de loco ad locum venire. Quia ergo in divinitate mutabilitas non est, atque hoc ipsum mutari, transire est: profecto ille transitus ex carne est, non ex divinitate. Per divinitatem vero ei semper stare est: quia ubique praesens, nec per motum venit, nec per motum recedit. Coecum igitur clamantem Dominus transiens audit, stans illuminat, quia per humanitatem suam vocibus nostrae coecitatis compatiendo misertus est, sed lumen nobis gratiae per divinitatis potentiam infudit. Eine eingehende Ausführung dieser These befindet sich in moral. V, 34, 63 (CCL 143, 262f). Vgl. darüber SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 106f; GRESCHAT, Die Moralia in Job, 158f. 164 Vg. in euang. II, 24, 2 (FC 28/2, 426–428): Quaeri etiam potest, cur discipulis in mari laborantibus post resurrectionem suam Dominus in litore stetit, qui ante resurrectionem suam coram discipulis in fluctibus maris ambulavit? Cuius rei ratio festine co-

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

bei Gregor zum Hinweis auf die himmlische Welt, in der sich Christus nach der Auferstehung befindet, während sich die Apostel noch in der irdischen Weltzeit bzw. im Gewoge des Sees befanden.165 Durch das mysterium seiner Auferstehung wies Christus hier auf die eschatologische Existenz hin, die der Bedrängnis (bzw. den Wogen) der irdischen Welt fern ist.166 2.4 Die Verkündigung der patria caelestis Die Belehrung Christi findet ihre Fortsetzung in der Verkündigung der Apostel.167 Zuvor wurden aber die Apostel selbst von Christus belehrt, und unter dem Einfluss der himmlischen Gnade wandelten sich ihre Herzen zur Standhaftigkeit der Verkündiger. Durch die Abwendung vom Irdischen erlangten die Apostel innere Festigkeit und richteten sich nach dem Wesentlichen aus, so dass sie sich, auf Erden befindend, der Verkündigung der himmlischen Welt widmeten.168 Diese auf das Eschatologische hin orientierte Verkündigung wird von Gregor explizit betont, wenn er die Rolle des Apostels Petrus als des Verkündigers der Kirche169 schildert: „Da uns also der Verkündiger der Kirche vom Gewoge dieser Welt trennt, muss gerade Petrus das mit Fischen gefüllte Netz an Land ziehen. Er zieht nämlich die Fische ans feste Ufer, da er mit der Stimme heiliger Verkündigung den Gläubigen die Beständigkeit der ewigen Heimat zeigt.“170

gnoscitur, si ipsa quae tunc inerat causa pensetur. Quid enim mare nisi praesens seculum signat, quod se causarum tumultibus et undis vitae corruptibilis illidit? Quid per soliditatem litoris, nisi illa perpetuitas quietis aeternae figuratur? 165 Vgl. in euang. II, 24, 2 (FC 28/2, 428): Quia ergo discipuli adhuc fluctibus mortalis vitae inerant; in mari laborabant. Quia autem Redemptor noster iam corruptionem carnis excesserat, post resurrectionem suam in litore stabat. 166 Vgl. in euang. II, 24, 2 (FC 28/2, 428). 167 Vgl. moral. XXVII, 12, 22 (CCL 143B, 1346): Per haec nimirum uerba praedicatorum, id est guttas nubium, per haec fulgura miraculorum Deus populos iudicat, quia eorum corda territa ad paenitentiam uocat. Über die praedicatores als den Christus prolongatus vgl. GRESCHAT, Die Moralia in Job, 187–190. 168 Vgl. moral. XXVII, 41f, 68–70 (CCL 143B, 227); in euang. II, 30, 8 (FC 28/2, 568–570); in Ezech. I, 10, 25 (CCL 142, 157). Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 132. 169 Über die Vorrangstellung des Apostel Petrus unter den Aposteln vgl. in euang. II, 24, 4 (FC 28/2, 430): Iam credo quod vestra caritas advertat, quid est quod Petrus rete ad terram trahit. Ipsi quippe sancta Ecclesia est commissa, ipsi specialiter dicitur: „Simon Ioannis amas me? Pasce oves meas.“; moral. XIV, 50, 58 (CCL 143A, 994); epist. V, 37 (CCL 140, 309); epist. V, 44 (CCL 140, 332): Certe Petrus, apostolorum primus, membrum sanctae et uniuersalis ecclesiae est. Über die Rolle des Apostels Petrus in der Kirche besonders hinsichtlich des Primats vgl. MODESTO, Gregor der Große. 170 In euang. II, 24, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 431–433). Vgl. auch in euang. I, 11, 4 (FC 28/1, 186): Sancta Ecclesia sagenae comparatur, quia et piscatoribus est commissa,

2. Christus als der mediator Dei et hominum

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Die in Gregors Theologie immer wieder auftretende Kontrastierung der irdischen und himmlischen Welt bewirkt, dass er die Aufgaben des Verkündigers171 darin sah, den Menschen auf die patria caelestis hin auszurichten. Um diese Aufgabe zu vollenden, muss aber der Verkündiger nicht nur mit dem Wort, sondern auch mit dem eigenen Leben die existenzielle Ausrichtung auf das Jenseits verkünden. Die Verse des Ezechielbuches: „Und sie funkelten so, wie glühendes Erz leuchtet“172 (Ez 1, 7) übertrug Gregor auf das Leben der Glaubensboten, indem der betont, dass ihr Leben wie das Erz glühen und klingen soll: glühen in der Sehnsucht nach dem Himmlischen und klingen im Wort der Predigt. Die Worte der Verkündiger sind wie Funken aus dem glühenden Erz, weil sie die Herzen der Hörenden in Flammen setzen.173 Das caeleste desiderium und das Erleben der himmlischen Herrlichkeit werden in Gregors Konzeption die Auslöser der Verkündigung, wenngleich sowohl die Sehnsucht als auch die himmlische Herrlichkeit nicht mit menschlichen Worten zu fassen sind.174 Obschon in der Verkündigung also nur wenig von der Herrlichkeit des himmlischen Reiches vermittelt werden kann, werden durch solche Worte die Hörenden mithilfe der Gnade Gottes von der Gottesliebe und von der Sehnsucht nach der patria caelestis entflammt.175 Eine analoge Darstellung befindet sich in der Ezechielhomilie, in der Gregor die Kontemplation und die Verkündigung in Verbindung brachte. Diese Erörterung stellt die klassische Entfaltung der gregorianischen These von der actio – contemplatio dar.176 Die Kontemplation der Verkündiger, in der sie sich aufschwingen und ihren Geist in der Liebe zur himmlischen Heimat festigen, wird zur Quelle der Verkündigung, wenn sie vom Gewicht der menschlichen Daseinsweise beschwert auf sich selbst zurückfallen. Durch dieses Erlebnis der Kontemplation angespornt, verkünden sie

er per eam quisque ad aeternum regnum a praesentis saeculi fluctibus trahitur, ne in aeternae mortis profunda mergatur. 171 Über Gregors Verständnis der Person des Verkündigers vgl. E VANS, The Thought of Gregory the Great, 80–86; FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 146–152. 172 Übersetzung in in Ezech. I, 3, 5 (B ÜRKE, CMe 21, 68). 173 Vgl. in Ezech. I, 3, 5 (CCL 142, 35). 174 Vgl. in Ezech. I, 3, 5 (CCL 142, 35): Considerandum quoque est quod scintillae subtiles ualde et tenues sunt, quia cum predicatores sancti de caelesti patria loquuntur, non tantum ualent aperire uerbo quantum possunt ardere desiderio. Ex eorum ergo lingua quasi quaedam ad nos scintillae ueniunt, quia de caelesti patria in eorum uoce uix tenue aliquid cognoscitur, quod tamen ab eis non tenuiter amatur. Neque enim caelestem gloriam aut tantum uidere sufficiunt quantum est, aut tantum loqui praeualent quantum uident. Vgl. auch in Ezech. II, 7, 10 (CCL 142, 323f). 175 Vgl. in Ezech. I, 3, 5 (CCL 142, 35f). 176 Über das Verständnis der Relation von actio und contemplatio vgl. EVANS, The Thought of Gregory the Great, 105–111.

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

das Geschaute und entflammen die Herzen der Hörenden zur Liebe zur patria caelestis.177 Wenn der Inhalt der Belehrung Christi vor allem im Hinweis auf das Reich Gottes bzw. in der Erläuterung der Erlösungsmöglichkeit besteht, stellt sich die Frage, inwiefern dieser Inhalt in Gregors Konzeption die Verkündigung der Apostel und später den ganzen ordo praedicatorum charakterisiert. Allein aus den hier geschilderten Beispielen der Aufgaben der Verkündiger zeigt sich deutlich, dass die patria caelestis und der Weg zur patria caelestis bzw. die Erlösung des Menschen das Wesen der Verkündigung bilden.178 In der Nachahmung Christi öffnen die Verkündiger dem Blinden die Augen, indem sie ihm die Botschaft von der himmlischen Heimat als der wahren Bestimmung mitteilen. In diesem Lichte schrieb der Papst: „Die Heilige Schrift pflegt die Verkündiger der Kirche häufig als Engel zu bezeichnen, weil sie die Herrlichkeit der himmlischen Heimat kundtun.“179

Solches Verkündigungsverständnis prägt folglich auch Gregors Verkündigung selbst. Die Homilien des Papstes sowie seine vor allem exegetischen Werke bezeugen, dass er die Nachricht von der kommenden himmlischen Heimat und die Notwendigkeit der Vorbereitung auf dieses Geschehen als das eigentliche Ziel der Verkündigung betrachtete. In der 17. Evangelienhomilie, die vor der Versammlung der Bischöfe gehalten wurde,180 kritisierte der Papst die Beschäftigung mit weltlichen Geschäften, weil dadurch die Verkündigung des Himmlischen beeinträchtigt wird: „Für den, der das Verkündigungsamt übernimmt, ist es demnach nicht angemessen, die Last weltlicher Beschäftigungen zu tragen, damit ihn dies nicht so belaste, dass er sich zur Verkündigung des Himmlischen nicht mehr zu erheben vermag.“ 181

177 Vgl. in Ezech. I, 5, 13 (CCL 142, 64): Quia sancti uiri cum ad superna contemplanda euolant, cum primitias sui spiritus in caelestis patriae amore ligant, sed grauati humanae conuersationis pondere ad semetipsos redeunt, bona caelestia quae saltem per speculum contemplari potuerunt, fratribus denuntiant eorumque animos in amorem intimae claritatis accendunt, quam nec uidere sicut est, nec loqui praeualent sicut uiderunt. Loquentes autem uerbis suis corda audientium feriunt et incendunt. Vgl. auch in Ezech. I, 5, 6 (CCL 142, 59). 178 Die patria caelestis als die zentrale Botschaft der Verkündigung sieht F IEDROWICZ vor allem als das Charakteristikum der nachapostolischen Zeit, wobei er allerdings eine innerliche Kohärenz zwischen einer christozentrischen Verkündigung der alttestamentlichen und apostolischen Zeit und der patria caelestis-Thematik der nachapostolischen Periode findet. Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 137–141. 179 Moral. XXXIV, 7, 14 (übers. von FIEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 83). Vgl. auch in Ezech. I, 12, 23 (CCL 142, 196f). 180 Vgl. FIEDROWICZ, FC 28/1, 268, Anm. 1. 181 In euang. I, 17, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 275).

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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Wenngleich diese Forderung des Papstes hinsichtlich der Aufgaben der kirchlichen Führung im sechsten Jahrhundert eher der Theorie zuzuschreiben ist, zeigt sie Gregors Verständnis des Verkündigungsamtes bzw. seine Sicht des Objektes der Verkündigung. Einen ganz persönlichen Bezug auf das Verkündigungsamt nimmt der Papst in der Auslegung des Gleichnisses vom Festmahl (Lk 14, 16–24).182 Gregor identifizierte den Stand der Verkündiger und sich selbst mit dem Knecht, der von seinem Herrn geschickt wurde, um die Menschen zum Abendmahl bzw. zum ewigen Mahl Gottes am Ende der Zeit einzuladen.183 Die grundsätzliche eschatologische Orientierung der Verkündigung wird aus den Worten Gregors deutlich, wenn er als das Ziel der Predigt den geistigen Gewinn bzw. die Vervielfachung der Bürger der himmlischen Heimat definiert.184 Aus diesem Grunde schildert er häufig in seinen Predigten die Herrlichkeit des himmlischen Reiches, um die Hörenden zur Hinwendung zur patria caelestis zu bewegen.185

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren Gregors großes Misstrauen gegenüber dem Irdischen bzw. gegenüber der Materie war bereits Gegenstand mehrerer Beiträge der bisherigen Gregorforschung.186 Gewiss unter dem Einfluss der monastisch-asketischen Spiritualität äußerte der Papst häufig seine Bedenken gegen die materielle Welt und besonders gegen den menschlichen Körper. Umso erstaunlicher dürfte die Tatsache sein, dass das Prinzip per visibilia ad invisibilia in der Theologie Gregors einen breiten Raum einnimmt. Gregor behauptete grundsätzlich, dass man die Spuren der göttlichen Kraft in der Schöpfung feststellen kann.187 Hier schöpfte der Papst aus dem antiken christlichen Gedankengut, wo diese Idee sowohl im Westen als auch im Osten breit entfaltet wurde.188 Gregor wusste also um eine Offenbarungsdimension des Ge-

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Vgl. in euang. II, 36, 2 (FC 28/2, 712–714). Vgl. in euang. II, 36, 2 (FC 28/2, 712): Sed quis per hunc servum, qui a patrefamilias ad invitandum mittitur, nisi praedicatorum ordo designatur? 184 Vgl. in Ezech. II, 10, 16 (CCL 142, 391). 185 Vgl. z. B. in euang. I, 12, 4 (FC 28/1, 200–202); in euang. I, 14, 5f (FC 28/1, 232– 236); in euang. II, 37, 1 (FC 28/2, 740–742). 186 Vgl. STRAW, Gregory the Great, 39–46. 187 Vgl. in Ezech. II, 5, 10 (CCL 142, 283). 188 Vgl. moral. XXVI, 12, 17 (CCL 143B, 1278): Vestigia quippe creatoris nostri sunt mira opera uisibilis creaturae. Ipsum namque adhuc uidere non possumus, sed iam ad eius uisionem tendimus, si eum in his quae fecit miramur. Vgl. auch moral. XVI, 33, 41 (CCL 143A, 824); AUGUSTINUS, in Ioh. evang. tract. CXI, 2 (CCL 36, 630). 183

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

schaffenen und dachte darüber nach, dass Gott sich schließlich auch im Irdischen bzw. Sichtbaren offenbart.189 Ein solches Wirken Gottes sah Gregor als hauptsächlich vom Erkenntnisvermögen des gefallenen Menschen bedingt an.190 Nach dem Sündenfall verlor der Mensch allmählich die Möglichkeit der Gotteserkenntnis und wandte sich danach zunehmend den körperhaften, irdischen Dingen zu, d.h. dem, was er mit den körperlichen Sinnen wahrnehmen konnte.191 Der Verlust der spiritalis intelligentia verursachte die geistige Blindheit des Menschen und das Verhaftetsein an das Irdische. Gregor erklärte gerne, dass der Mensch wegen des Sichtbaren vom Unsichtbaren abfiel. Analog seinem Verständnis der Erlösung als Rückkehr betrachtete es der Papst nun als folgerichtig, dass man sich bemüht, durch das Sichtbare wiederum zum Unsichtbaren emporzusteigen.192 Die Basis dieses Bemühens betrachtete Gregor als bereits vorhanden, weil in der ganzen Welt die Zeichen des Wirkens Gottes zu finden sind.193 In metaphorischer Redeweise behauptete der Papst, dass alle Geschöpfe durch ihre Gestalt den Schöpfungsakt Gottes verkünden.194 Darüber hinaus sah der Papst das Geschaffene bzw. die Welt und die Geschöpfe als ein 189 Ähnlich AUGUSTINUS, doctr. christ. I, 4, 4 (CCL 32, 8): Ut iniuisibilia dei per ea, quae facta sunt, intellecta conspiciantur, hoc est, ut de corporalibus temporalibusque rebus aeterna et spiritalia capiamus. 190 Vgl. darüber auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 90–92. 191 Vgl. moral. V, 34, 61 (CCL 143, 261); in euang. II, 30, 10 (FC 28/2, 572): Nulla enim visibilia cogitat [sc. mens], eaque et cum non agit, eorum imagines introrsus trahit: dumque in imaginibus corporeis iacet, surgere ad incorporea non valet. Unde fit, ut tanto deterius Creatorem nesciat, quanto in cogitatione sua familiarius corpoream creaturam portat. 192 Vgl. moral. XXVI, 12, 18 (CCL 143B, 1278f): Quia enim ab inuisibilibus per uisibilia cecidimus, dignum est ut ad inuisibilia ipsis rursus uisibilibus innitamur … 193 Vgl. moral. XXVI, 12, 18 (CCL 143B, 1277f). 194 Vgl. moral. XI, 4, 6 (CCL 143A, 588): Iumenta uel uolatilia, terram uel pisces requirimus, dum consideramus quae nobis concorditer respondent, quod cuncta Dominus fecerit; quia dum nostris oculis suas species ingerunt, se a semetipsis non esse testantur. Eo ipso enim quod creata sunt, per ostensam speciem creatori suo quasi uocem confessionis reddunt; qui quia omnia condidit qualiter etiam debeant administrari disponit. Dieser Gedanke Gregors scheint von Augustinus beeinflusst zu sein: vgl. AUGUSTINUS, conf. X, 6, 9f (CCL 27, 159f). Angesichts dieser These findet MARKUS, Gregory the Great, 48–50 eine subtile Differenz zwischen Gregor und Augustinus. Während für Gregor der Schöpfungsakt Gottes durch Betrachtung des Geschaffenen allen Menschen offensichtlich ist, erschließt sich die schöpferische Tätigkeit Gottes für Augustin ausschließlich durch die aktive Reflexion der Geschöpfe. Vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 49: „This difference between the two men is surely related, at some obscure but deep level, to their different ways of regarding signs: Augustine’s of the solidity of signs and the irretrievably sign-bound nature of human living has no equivalent in Gregory; for him the signified was much more directly accessible.”

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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Ganzes an, das, obwohl durch den Sündenfall aus der ursprünglichen Ordnung gebracht, noch immer die Prinzipien der Einheit aufzeigt.195 Durch die Kontemplation dieser Welt, d. h. durch die Kontemplation der Weltordnung und der Weltkausalität, vermag man etwas über den Schöpfer und über sich selbst zu erfahren.196 Dieses Prinzip fasst Gregor zusammen: „Bei einem unkörperlichen Sachverhalt wollen wir uns eines Vergleiches aus der körperlichen Welt bedienen.“197

Auch auf die Gotteserkenntnis wandte er diese These an. Man vermag nämlich in gewissem Grad zur Gotteserkentnis zu gelangen, indem man Gott mit dem Geschaffenen vergleicht bzw. kontrastiert.198 Das stellt die Grundlage für die Behauptung Gregors dar, dass der Weg zu Gott über die Betrachtung des Geschaffenen führt.199 In der Auslegung von Mt 13, 44–52 explizierte der Papst die Methode des Vergleichs: „Das Himmelreich, geliebte Brüder, wird deswegen mit irdischen Dingen verglichen, damit sich der Geist vom Bekannten zum Unbekannten erhebe, sich durch ein Beispiel der sichtbaren Welt zum Unsichtbaren aufschwinge und durch das ihm aus lebendiger Erfahrung vertraute gleichsam erglühe, um mittels dessen, was er als Bekanntes zu lieben versteht, auch das Unbekannte lieben zu lernen.“200

Wenn man die Antithese temporalis – aeternus auf diese Erkenntnismethode Gregors bezieht, dann darf man daraus schließen, dass Gregor stets danach trachtet, im Zeitlichen das Symbol des Ewigen wahrzunehmen. In diesem Lichte betrachtete der Papst das Osterfest. In der 26. Evangelienhomilie, die 591 am Samstag nach Ostern gehalten wurde201, hob Gregor den Vergänglichkeitscharakter jeder irdischen Festfeier hervor. Andererseits brachte er diese irdische Festfeier mit der himmlischen in Verbindung, indem er sagte: „Ein Schatten der künftigen Festfeier ist die gegenwärtige Festfeier.“202 Diese kausale Relation zwischen den beiden Festfeiern spiegelt Gregors Verständnis der Antithese temporalis – aeternus wider. Es folgt daraus, dass das präsente Dasein lediglich ein Schatten der noch nicht existierenden Wirklichkeit bzw. der kommenden Wirklichkeit ist. Das Existenzfundament des Existierenden wird also in das noch nicht Existierende gesetzt. Ein solches Verständnis der Relation zwischen dem 195

Vgl. darüber auch STRAW, Gregory the Great, 47f. Vgl. moral. XV, 46, 52 (CCL 143A, 781). Vgl. darüber STRAW, Gregory the Great, 28–34. 197 In euang. II, 30, 10 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 572). 198 Vgl. moral. XVI, 8, 12 (CCL 143A, 805). 199 Vgl. moral. XXVI, 12, 18 (CCL 143B, 1278): Viae quippe ad Creatorem sunt opera considerata creaturae … 200 In euang. I, 11, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 181–183). 201 Vgl. CHAVASSE, Aménagements liturgiques à Rome, 97. 202 In euang. II, 26, 10 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 491). 196

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Zeitlichen und dem Ewigen stellt ein Charakteristikum der Theologie Gregors dar, das immer wieder aus verschiedenen Perspektiven entfaltet und erläutert wird. Demgemäß predigte Gregor hinsichtlich der Osterfeier, dass der Mensch die gegenwärtige Festfeier jährlich begeht, um zu jener immerwährenden geführt zu werden.203 In diesem Kontext erwähnte Gregor auch das caeleste desiderium, das das Spannungsverhältnis zwischen temporalis und aeternus prägt und auf das Ewige hin auflöst. Die zeitliche Festfeier geschieht zu regelmäßigen Zeiten, damit im Menschen die Sehnsucht nach der ewigen Festfeier wieder und wieder entfacht wird. In Hinsicht auf diese Problematik brachte der Papst am Ende dieser Erläuterung auch sein Verständnis des irdischen Lebens zum Ausdruck: „Durch die Teilnahme an der zeitlichen Freude soll also das Herz zu glühendem Verlangen nach den ewigen Freuden entfacht werden, um dann mit wahrer Freude in der Heimat genießen zu können, was auf dem Wege nur an schattenhafter Freude betrachtet werden kann.“204

Das Zeitliche bzw. das Irdische als solches vermag folglich nicht die Wahrheit in sich selbst zu bergen. Jedoch können die Indizien der Wahrheit in ihm einbegriffen sein, und es kann den Menschen auf die letztendliche Realisierung seiner wahren Existenz hinweisen. Dagens stellt deshalb treffend fest, dass Gregor die Problematik per visibilia ad invisibilia mit der Terminologie von Interiorität und Exteriorität verband.205 Gregor betonte jedoch, dass das Sichtbare ausschließlich die Erwählten nach dem Unsichtbaren treibt, wobei es die Verworfenen an sich selbst fesselt.206 Die Erwählten strecken sich nämlich nach dem Unsichtbaren aus und bleiben nicht am Sichtbaren hängen. Die Tendenz, von einer Realität zu einer anderen hinüberzuschreiten, charakterisiert Gregors Theologie. Die Belege für diese Tendenz sind in Geschichtsdeutung, Hagiographie und Bibelauslegung zu finden. So betrachtete der Papst die Weltgeschichte nicht bloß als eine Folge der akzi203

Vgl. in euang. II, 26, 10 (FC 28/2, 490). In euang. II, 26, 10 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 491). 205 Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 165–204. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 91f führt die Ansätze Dagens in Bezug auf die Ekklesiologie weiter: „Auch hinsichtlich der Ekklesiologie Gregors ... ist diese Antithese bedeutsam, da es ihm im Blick auf die Kirche besonders darauf ankommt, nicht in der Sphäre der Exteriorität, das heißt bei einer rein empirischen Wahrnehmung ihrer äußeren Gestalt stehenzubleiben. Vielmehr gilt es auch hinsichtlich der Kirche zur wahren Interiorität zurückzufinden, das heißt deren innere Dimension zu entdecken, die sich allein der spiritalis intelligentia erschließt.“ 206 Vgl. moral. XXX, 5, 20 (CCL 143B, 1504f): Omne enim uisibile quod in hac uita reprobos figit, hoc electos ad alia impellit, quia dum bona quae facta sunt, respiciunt, in eum a quo facta sunt inardescunt, tantoque praestantius amant, quanto illum hoc quod ipse bonum condidit, praeire considerant. 204

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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dentell auftretenden Ereignisse. Darin wies er immer auf die Vorsehung Gottes hin, die alles auf das Endziel der Geschichte hin steuert. Durch die Zeitumstände kann sich die Gunst oder der Zorn Gottes gegenüber dem Menschen manifestieren. Ein Geschehen vermag jemanden von der Vorsehung Gottes zu belehren oder ihn auf die Vergänglichkeit des Irdischen hinzuweisen.207 Deshalb wurde die pädagogische Funktion des Geschehens vom Papst besonders akzentuiert. In diesem Licht betrachtete Gregor auch die Ereignisse seiner Zeit. Er war bemüht, den Mitmenschen hinter der Oberfläche der Bedrängnis auf die innere Intention Gottes hinzuweisen und auf diese Weise den Ablauf der Geschichte als teleologisch darzustellen.208 In den äußeren Ereignissen versuchte Gregor also eine innere Kausalität bzw. ein Mysterium zu finden. Analog deutete Gregor die Wunder Christi, die er als historische Gegebenheiten betrachtete: „Die Wunder unseres Herrn und Erlösers sind nun aber in folgender Weise aufzufassen, geliebte Brüder: Zunächst muss man glauben, dass sie in Wirklichkeit geschehen sind, zugleich aber weisen sie uns durch ihre innere Bedeutung auf etwas anderes hin. Seine Werke offenbaren uns etwas durch den Machterweis, durch das Mysterium aber sagen sie noch etwas anderes.“209

Obschon eine solche Geschichtsdeutung angesichts der Zeitumstände des sechsten Jahrhunderts auch als von der Notlage diktiert verstanden werden darf, betrachtete Gregor den Geschichtsablauf teleologisch. Man soll demnach die Geschichte stets vor dem Hintergrund des Eschatons interpretieren, wo der Geschichtsablauf sein Ende und seine Erfüllung findet. 3.1 Die Heilige Schrift in der Theologie Gregors Die oben erwähnte Tendenz in der Theologie Gregors, von einer Realität zu einer anderen hinüberzuschreiten, zeigt sich besonders gut an der Exegese der Heiligen Schrift. Bevor jedoch auf diese These eingegangen wird, soll zuerst die Bedeutung der Bibel für Gregors Theologie knapp skizziert werden.210 Die Bibel steht für Gregor im Zentrum seiner Theologie und

207

Vgl. dial. III, 36 (BKV2 3, 174f). Vgl. in euang. I, 10, 4 (FC 28/1, 170); moral. XIII, 24, 27 (CCL 143A, 684): Fidelis itaque populus cum aduersa patitur, cum duris tribulationibus fatigatur, ad spem sequentis gloriae mentem erigat et de Redemptoris sui resurrectione confidens, dicat: Ecce enim in caelo testis meus et conscius meus in excelsis. 209 In euang. I, 2, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 66). 210 Vgl. darüber ausführlicher SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 178f, 183–186; KESSLER, Gregor der Große, 217–222; KESSLER, Präsenz und Verwendung der Heiligen Schrift. 208

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

prägt seine Lehre wesentlich.211 Für Gregor als praktisch eingestellten Theologen ist die Bibelauslegung in der communio ebenso Impuls zur Entfaltung der Lehre, die wiederum ganz auf die innerhalb der communio auszuübende Spiritualität gerichtet ist.212 Es ist demnach gewiss kein Zufall, dass fast alle Werke Gregors auf die Bibelauslegung zurückgehen. Aber auch die Argumentationsweise in den nicht-exegetischen Werken bzw. in der Regula Pastoralis und in den Dialogen213 zeigt Gregors Vertrautheit und Verankerung in der Bibel, die für ihn das letztendliche Kriterium der Wahrheit ist.214 Gerade diese Perspektive ist für das Thema dieses Kapitels von Belang. Die Bibel stellte für Gregor vor allem die unausschöpfliche Quelle der Offenbarung Gottes dar. In der Schrift sah der Papst „große Schätze von Weisheit und Berge von Bedeutungen“215. Die Relation zwischen der Bibel und der weltlichen Wissenschaft brachte Gregor eindeutig und bündig zum Ausdruck: „Die Heilige Schrift übersteigt alles Wissen und Lehren ohne Gleichen.“216 Durch die Heilige Schrift gelangt man zur Erkenntnis Christi und mittels der richtigen Auslegung zur Erkenntnis der unsichtbaren Dinge.217 Mittels der Heiligen Schrift kommt die Kommunikation Gottes mit dem Menschen zustande. Andererseits wird der Mensch dadurch ange-

211

In Hinsicht darauf stellt KESSLER, Gregor der Große, 220 treffend fest: „Ohne die vielfältigen kulturellen Quellen der Bildung Gregors und die Einflüsse der altchristlichen Literatur zu leugnen, ist mit Raoul Manselli festzuhalten, dass die Rolle der Bibel in seinem Werk so bestimmend wird, dass sie die anderen Elemente übertrifft.“ 212 Vgl. in Ezech. I, 10, 7 (CCL 142, 147f). 213 Das Registrum Epistolarum zähle ich hier nicht zu den Werken Gregors im engeren Sinne, weil es konzeptuell und intentional von den anderen Werken absolut verschieden ist. 214 Vgl. dazu J UDIC, La Bible. KESSLER, Präsenz und Verwendung der Heiligen Schrift, 26 sieht in den Dialogen die aktuelle und lokale Fortsetzung der biblischen Heilsgeschichte und weist auf die gleichen Interpretationsprinzipien bei der Bibel und in den Dialogen hin: „Deswegen bedeutet für Gregor eine Heiligenvita eine volkstümliche Form der Schriftinterpretation für die Christen, die keinen Zugang zur Bibel haben; denn tatsächlich verwendet er in den Wunderberichten die gleiche Auslegungsmethode wie in seinem ausdrücklichen Schriftkommentaren oder Predigten. Trotz des weniger biblischen Inhalts dieser Heiligenlegenden der Dialogi spielt die Heilige Schrift eine außerordentliche hermeneutische Rolle.“ 215 In Ezech. I, 6, 13 (B ÜRKE, CMe 21, 109). Vgl. auch in cant. 5 (CCL 144, 7). 216 Vgl. moral. XX, 1, 1 (CCL 143A, 1003): Quamuis omnem scientiam atque doctrinam scriptura sacra sine aliqua comparatione transcendat … 217 Vgl. in Ezech. II, 5, 3 (CCL 142, 277): Sed etiam Scripturam sacram, quae nobis eandem ipsam fidem in Redemptoris nostri intellectum aperit, non immerito portam accipimus, quia, ea ut oportet cognita, ad intellegenda inuisibilia intramus. Vgl. auch in Ezech. I, 2, 18 (CCL 142, 27f).

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spornt, durch die Auslegung in das mysterium der Schrift einzudringen und die Geheimnisse Gottes zu ergründen.218 In Anlehnung an 2 Petr 1, 19 und Ps 118, 105 verglich Gregor die Heilige Schrift mit dem Licht: „Die Schrift ist uns in den Dunkelheiten des gegenwärtigen Lebens zu einer Leuchte auf dem Weg geworden.“219 In Hinsicht auf die Bibel akzentuierte er besonders die Autorschaft Gottes und betonte, dass die Heilige Schrift dem Menschen zur Befreiung vom Tod gereicht wurde.220 Durch die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe schenkt die Schrift dem Menschen, der bisher in Sünden tot darniederlag, das Leben.221 Die Bedeutung der Heiligen Schrift in der Theologie Gregors kann man offensichtlich kaum überbewerten. Infolge des Offenbarungs- und Vermittlungscharakters der Schrift akzentuiert der Papst häufig die Wichtigkeit der ständigen Auseinandersetzung mit der Schrift im alltäglichen Leben der Gläubigen. Die Träger der kirchlichen Funktionen müssen sich insbesondere der Bibellektüre widmen und täglich die Vorschriften des heiligen Wortes meditieren.222 In seinen Briefen findet man Hinweise darauf, dass Gregor die Bibellektüre als das Fundament der christlichen Spiritualität aller Gläubigen ansah. Als repräsentatives Beispiel dafür diene der Satz aus dem vielfach zitierten Brief an Theodoros, den kaiserlichen Arzt: Disce cor Dei in uerbis Dei.223 Diese Reflexionen Gregors gehen gewiss auf die in den monastischen Kreisen bekannte Praxis der lectio divina zurück.224 Zu Gregors Lebzeiten war das alltägliche meditative Lesen der Bibel in den mönchischen Kreisen bereits verbreitet. Die Spuren der auf diese Weise entwickelten Bibelkultur sind in Gregors Werken nicht zu übersehen. Das Hauptinteresse einer solchen Beschäftigung mit der Heiligen Schrift stellt die Erlangung der geistigen Einsicht in das Gotteswort und des damit verbundenen persönlichen Fortschritts im geistigen Leben dar. Die an diese Praxis anknüpfende mit218 SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 185f definiert dies als den indikatorischen und appellativen Charakter der Heiligen Schrift. 219 In Ezech. I, 7, 17 (B ÜRKE, CMe 21, 129f). Zur Bezeichnung der Heiligen Schrift benutzte Gregor eine Vielzahl von Naturmetaphern. Vgl. darüber MCGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, 72f. 220 Vgl. in Ezech. I, 7, 16 (CCL 142, 93): Quod idcirco secundo dicitur uitae spiritus in rotis esse, quia Scripturae sacrae duo sunt Testamenta, quae utraque Dei spiritus scribi uoluit, ut nos ab animae morte liberaret; in Ezech. I, 7, 17 (CCL 142, 94). 221 Vgl. in Ezech. I, 7, 16 (CCL 142, 93). 222 Vgl. darüber past. 2, 11 (BKV2 4, 127–129); epist. II, 44 (CCL 140, 135). 223 Epist. V, 46 (CCL 140, 340). Vgl. MCGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, 74; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 185f. 224 Vgl. darüber VOGÜÉ, Die tägliche Lesung; KESSLER, Gregor der Große, 246–252; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 203–205.

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telalterliche lectio divina zielte im Vergleich zur Scholastik weniger auf die intellektuelle Durchdringung des Textes der Bibel als auf seine existenzielle Dimension.225 Im Hinblick darauf sind Gregors Impulse für die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift identisch mit denen aus der mittelalterlichen monastischen Exegese.226 Aus dieser Perspektive ist es völlig nachvollziehbar, warum die Werke Gregors maßgeblichen Einfluss auf die Exegese227 und auf die gesamte Theologie des Mittelalters nahmen.228 Darüber hinaus kann man im Nachhinein behaupten, dass die praktisch orientierte und katechetisch geprägte Theologie Gregors mühelos ihre natürliche Fortsetzung im Mittelalter erfahren hat. Diese existenzielle Dimension der Bibellesung kann exemplarisch anhand eines Abschnitts der Ezechielhomilien dargestellt werden. Dort schilderte der Papst den Aufstieg, der dem Menschen durch die Kontemplation der Bibel ermöglicht wird. Anfangs wird man durch die Anweisungen für das Verhalten belehrt und durch die exempla der Heiligen zur Nachahmung veranlasst. Nachdem der Mensch im Äußeren die guten Werke vollbringt, wendet er sich zur mystischen Einsicht der inneren Kontemplation.229 Anschließend unterstrich Gregor wiederum die Bedeutung der Bibel als der Schrift Gottes: „Ich bitte euch, geliebte Brüder, bemüht euch um die Betrachtung der Worte Gottes, verachtet nicht die Schriften unseres Schöpfers, die zu uns gesendet worden sind. Gar vieles ist in ihnen, was die Seele zur Liebesglut anregt, damit sie in der Kälte ihrer Sündhaftigkeit nicht erstarre.“ 230

3.2 Der Vermittlungscharakter der Heiligen Schrift Am Anfang dieses Kapitels wurde gesagt, dass es für Gregors Theologieund Weltverständnis ausschlaggebend ist, nicht bei äußeren Erscheinungsformen stehen zu bleiben, sondern den inneren Zusammenhang der Dinge

225

Vgl. HÄRDELIN, Monastische Theologie, 403; KESSLER, Gregor der Große, 249. Vgl. darüber HÄRDELIN, Monastische Theologie, 404: „In der älteren Tradition aber war die lectio divina eben eine meditative Lesung der heiligen Schriften sowie zusätzlich der Väterauslegungen. Wichtig ist es hier, den Zweck dieser Lesung nach klassisch-monastischer Auffassung zu beachten: sicher wollte man verstehen; denn man kann nicht lieben, was man nicht kennt. Aber im Grunde handelt sich darum, durch diese Lesung Gott zu finden, um in der Liebe zu ihm belebt zu werden und seine Süße zu kosten.“ 227 In diesem Lichte spricht LUBAC, Exégèse médiévale, 1.2, 537–548, von „moyen âge grégorien“. 228 Papst Bonifaz VIII. (1294–1303) fügt Gregor als den vierten Lateiner den egregii doctores ecclesiae (neben Augustinus, Ambrosius und Hieronymus) bei. Vgl. darüber MODESTO, Gregor der Große, 315–319. 229 Vgl. in Ezech. II, 3, 18 (CCL 142, 250). 230 In Ezech. II, 3, 18 (B ÜRKE, CMe 21, 310). 226

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zu erforschen. Die praktische Umsetzung dieses Prinzips findet man zudem in der Schriftauslegung.231 Gregors programmatische Aussagen über die Exegese schließen drei Schriftsinne ein: den historisch-wörtlichen, den allegorisch-typologischen und den moralisch-kontemplativen Sinn.232 Der historisch-wörtliche Schriftsinn stellt nach Gregors Verständnis die Grundlage der Auslegung dar.233 Die geistige Interpretationsweise betrachtete der Papst allerdings als den Aufbau dieser wörtlichen Auslegung. Die Rechtfertigung der geistigen Auslegung fand Gregor in der Vorgehensweise Christi, der selber seine Geschichte im übertragenen Sinne auslegte.234 Darüber hinaus macht nach Gregors Meinung Christus das Alte Testament, das „er in fleischlichem Verständnis vorfand, in geistigem Sinn begreifbar,“235 so dass nunmehr das Alte Testament durch seinen geistigen Sinn zusammen mit dem Neuen das Ewige Testament bildet, das bis zum Ende der Welt unwandelbar besteht.236 Selbst die Existenz Christi wird zum Schlüssel des Verständnisses der Heiligen Schrift. Christus ist der Löwe vom Stamme Juda, der das versiegelte Buch aus der Apokalypse des Johannes geöffnet hat, indem er durch sein Leiden und seine Auferstehung alle seine Geheimnisse er-

231

Über die Schriftauslegung bei Gregor vgl. KESSLER, Gregor der Große, 191–216; HOFMANN, Geistige Auslegung. 232 Vgl. moral. epist. ad Leandrum 3 (CCL 143, 4): Nam primum quidem fundamenta historiae ponimus; deinde per significationem typicam in arcem fidei fabricam mentis erigimus; ad extremum quoque per moralitatis gratiam, quasi superducto aedificium colore uestimus. 233 Vgl. in euang. II, 40, 1 (FC 28/2, 836): In verbis sacri eloquii, fratres carissimi, prius servanda est veritas historiae, et postmodum requirenda spiritalis intelligentia allegoriae. Tunc namque allegoriae fructus suaviter carpitur, cum prius per historiam in veritatis radice solidatur; in euang. I, 2, 1 (FC 28/1, 64–66); moral. VI, 1, 2 (CCL 143, 285); moral. I, 37, 57 (CCL 143, 58); in Ezech. I, 6, 7 (CCL 142, 70). 234 Vgl. in euang. I, 15, 1 (FC 28/1, 240): Unde et idem Dominus per semetipsum dignatus est exponere quod dicebat, ut sciatis rerum significationes quaerere in iis etiam, quae per semetipsum noluit explanare. Exponendo ergo quod dixit, figurate se loqui innotuit: quatenus certos vos redderet, cum vobis nostra fragilitas verborum illius figuras aperiret. Vgl. auch in Ezech. I, 7, 17 (CCL 142, 94): Quia ergo omnipotens Deus ad salutem nostram sanctorum Testamentorum dicta et ipse creauit, et ipse aperuit … 235 In Ezech. I, 6, 17 (B ÜRKE, CMe 21, 112). Vgl. auch in Ezech. I, 9, 29 (CCL 142, 139): Inuolutus itaque liber expanditur, quando hoc quod obscure prolatum fuerat, per latitudinem intellectus aperitur. Hunc inuolutum librum Veritas expandit quando in discipulis egit quod scriptum est: Tunc aperuit illis sensum, ut intellegerent Scripturas. 236 Vgl. in Ezech. I, 6, 17 (CCL 142, 77): Sed cum Redemptor noster in mundum uenit, hoc spiritaliter fecit intellegi, quod carnaliter inuenit teneri. Itaque dum spiritaliter littera eius intellegitur, omnis in eo illa carnalis exhibitio uiuificatur. Testamentum uero Nouum etiam per Testamenti Veteris paginas Testamentum aeternum appellatum est, quia intellectus illius numquam mutatur.

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schloss.237 Dies schafft die Grundlage der geistigen Interpretation des Alten Testaments bzw. die Grundlage für Gregors Verständnis der concordantia testamentorum238 und für seine These, dass beide Testamente eine ununterbrochene Einheit bilden, in deren Mitte Christus steht.239 Obschon der Papst die historische Sinnebene nie unterschätzte, vollzog er in der Praxis normalerweise schnell den Übergang vom wörtlichen zum geistigen Schriftsinn, sei es zum allegorisch-typologischen, sei es zum moralisch-kontemplativen.240 Dies ist vor allem der Einsicht Gregors zu verdanken, dass man die Fülle der Bedeutung der Heiligen Schrift bzw. die Mysterien der Schrift erst durch die geistige Auslegung zu erlangen vermag.241 Ohne die Ebene der Geschichte zu vernachlässigen, dachte also der Papst, dass man zur Ebene der Allegorie hinüberschreiten muss, um das nur dem geistigen Verständnis erreichbare mysterium der Schrift zu erschließen.242 Dies ist auch der Fall, wenn der Text im buchstäblichen Verständnis offensichtliche Widersprüche enthält. Die Widersprüche auf der

237

Vgl. in Ezech. II, 4, 19 (CCL 142, 272): Agamus ergo gratias uni, qui cuncta quae de eo in sacro eloquio scripta sunt opere impleuit, ut quae intellegi audita non poterant, uisa panderentur … Signatum ergo librum, sicut in Iohannis Apocalypsi legitur, quem aperire et legere nullus poterat, leo de tribu Iuda aperuit, quia omnia eius nobis mysteria in sua passione ac resurrectione patefecit. Vgl. auch dial. IV, 42 (BKV2 3, 250). 238 Über die Theologie der concordantia testamentorum vgl. DE LUBAC, Exégèse médiévale 1/1, 328–355; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 189–191. Über deren christologischen Dimension vgl. KESSLER, Gregor der Große, 225–234. 239 Vgl. dazu auch in Ezech. I, 6, 15 (CCL 142, 75f): Quid est quod in tabernaculo propitiatorium fieri iubetur, super quod duo Cherubim, unum a sumitate una, et alterum a summitate alia, ex auro mundissimo ponuntur expandentes alas et operientes oraculum, qui se mutuo respiciunt uerbis uultibus in propitiatorium, nisi quod utraque Testamenta ita sibi in Mediatore Dei et hominum congruunt, et quod unum signat, hoc alterum exhibeat. Vgl. auch in Ezech. I, 6, 12 (CCL 142, 73): Quod in Testamenti ueteris littera Testamentorum nouum latuit per allegoriam; in euang. II, 25, 3 (FC 28/2, 451–453); in euang. I, 11, 5 (FC 28/1, 189). 240 Vgl. in Ezech. II, 10, 3 (CCL 142, 380). 241 Vgl. in euang. II, 22, 2 (FC 28/2, 392); moral. XVIII, 1, 1 (CCL 143A, 886): Plerumque in sacro eloquio sic nonnulla mystica describuntur ut tamen iuxta narrationem historicam prolata uideantur. Sed saepe dicta talia in eadem historica narratione permixta sunt, per quae superficies historiae cuncta cassetur; quae dum nil historicum resonant, aliud in eis inquirere lectorem cogunt. His enim dictis quae aperta credimus, cum interiecta aliqua obscurius inuenimus, quasi quibusdam stimulis pungimur, ut ad aliqua altius intellegenda uigilemus et obscurius prolata sentiamus, et etiam quae aperte dicta putauimus. 242 MCGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, 74, Anm. 56 stellt fest, dass Gregor das Adjektiv mysticus fast ausschließlich als Bezeichnung des verborgenen Sinnes der Bibel benutzt.

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historischen Schriftebene betrachtete der Papst als Impuls zur geistigen Durchdringung des Textes.243 Das Erlangen dieses geistigen Schriftverständnisses ist die eigentliche Aufgabe der Exegese.244 Dies ist jedoch nur innerhalb der Kirche möglich; nur dort gewährt der Heilige Geist den Gläubigen ein solches Verständnis. Aus diesem Grunde bleibt das geistige Schriftverständnis den Häretikern verschlossen, weil sie ausschließlich das Äußere der Schrift erfassen können, ohne dabei in die Tiefe der Schrift einzudringen.245 Darüber hinaus machte Gregor deswegen reichen Gebrauch von der geistigen Auslegung, weil ihm diese Methode einen größeren Spielraum für die Belehrung der Gläubigen bot, was für den Papst das Ziel der Exegese darstellte. Infolgedessen bemühte er sich speziell auf dem Feld der moralischen Interpretation, die sich in seiner Konzeption auf die Vervollkommnung der Lebenspraxis der Gläubigen bezieht.246 Die Überlegenheit der allegorischen Auslegung bei Gregor wird exemplarisch in einem Abschnitt der Ezechielhomilien deutlich, in dem der Papst seine bibelhermeneutischen Überlegungen in einem weiteren Kontext präsentierte. Anhand der Auslegung der Buchrolle Ezechiels (Ez 2, 9) setzte er die allegorische Auslegung mit dem Unsichtbaren bzw. Himmlischen in Beziehung: „Das Buch der Heiligen Schrift ist nämlich innen allegorisch, außen historisch geschrieben. Innen zum geistigen Verständnis, außen im einfachen buchstäblichen Sinn denen angepaßt, die noch die Schwächeren sind. Innen, sofern es Unsichtbares verheißt, außen, sofern es in der Richtigkeit seiner Vorschriften das Sichtbare ordnet. Innen, sofern es Himmlisches ankündigt, außen, sofern es vorschreibt, die irdischen Dinge, verächtlich wie sie sind, entweder nur zum Gebrauch zu nützen oder um der Begehrlichkeit willen zu fliehen.“247

Angesichts der gesamten heilsgeschichtlichen Konzeption Gregors geht die untergeordnete Stellung der wörtlichen Auslegung aus diesem Abschnitt eindeutig hervor. Die antithetische Gegenüberstellung der Termini Allego243

Vgl. moral. IV, praef. 1 (CCL 143, 158): Qui textum considerat et sensum sacrae locutionis ignorat, non tam se eruditione instruit quam ambiguitate confundit quia nonnumquam sibi litterae uerba contradicunt; sed dum, a semetipsis per contrarietatem dissidunt, lectorem ad intellegentiam ueritatis mittunt. Vgl. auch in Ezech. II, 1, 3 (CCL 142, 208). 244 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 31–34. 245 Vgl. moral. XX, 9, 20 (CCL 143A, 1018). 246 Vgl. in Ezech. II, 2, 1 (CCL 142, 225): Ea itaque doctrinae sermone, largiente Deo, proferenda sunt quae uitam audientium moresque componunt; moral. XX, 27, 56 (CCL 143A, 1044f). Vgl. dazu FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 51–56. Hier wird bei Gregor der Einfluss der origenistischen Auslegungstradition offensichtlich. Vgl. darüber HOFMANN, Geistige Auslegung, 44–49; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 179–183. 247 In Ezech. I, 9, 30 (B ÜRKE, CMe 21, 182).

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rie – Innen – Unsichtbares – Himmlisches und historische Auslegung – Außen – Sichtbares – Irdisches fasst Gregors Verständnis der Schriftauslegung zusammen und bezeugt unmissverständlich den Primat der geistigen Auslegung. Darüber hinaus treten in dieser Auslegung von Ez 2, 9 zwei Punkte hervor. Zuerst wird die exegetische Praxis des Papstes theoretisch dargelegt. Obschon Gregor nämlich drei Schriftsinne kannte und sie in seinen programmatischen Aussagen angab, vertritt er in seiner Auslegungspraxis meist eine Zweiteilung von wörtlichem und geistigem Sinn.248 Diese Zweiteilung basiert nicht nur auf den praktischen Bedingungen, sondern auch auf der Antithese intus – foris.249 Analog zu Gregors Auffasung, dass das Voranschreiten im geistigen Leben die Hinwendung zum Inneren bedeutet, stellt das Voranschreiten im Bibelverständnis einen Übergang vom äußeren historischen zum inneren allegorischen Schriftsinn dar. In Hinsicht auf das Thema des Kapitels muss jedoch wiederum auf den Vermittlungscharakter des Buchstabens bzw. des wörtlichen Schriftsinnes hingewiesen werden. Die Relevanz des Buchstabens unterstrich Gregor, indem er behauptete, dass man zur Allegorie durch den wörtlichen Sinn hinstrebt und gelangt. Über die äußere Schwelle des Tempeltores, die die Buchstaben symbolisiert, gelangt man zur inneren Schwelle der Allegorie.250 Gregor sagte explizit, „dass durch das äußere Geschehen der Geist innerlich bewegt wird.“251 Das Fundament der Bewegung zum Inneren bzw. zum Unsichtbaren stellt also das Tun im Äußeren dar. Die Analogie dieser Deutung zum Spannungsverhältnis zwischen actio und contemplatio ist unverkennbar. Die Tätigkeit im Äußeren bzw. die Darlegung des wörtlichen Schriftsinnes schafft die Voraussetzungen für die Kontemplation bzw. für das Erlangen des geistigen Sinnes.

248 Vgl. in euang. II, 40, 1 (FC 28/2, 836). Vgl. darüber HOFMANN, Geistige Auslegung, 7–15. 249 Vgl. KESSLER, Gregor der Große, 210: „Der zweigliederigen Auslegung liegt als Strukturprinzip die das ganze Schaffen Gregors durchziehende Dialektik von ‚innen‘ und ‚außen‘ zugrunde (intus – foris; intra – extra; interior – exterior usw.). Wie Gregor in allen Bereichen seines praktischen Lebens zwischen dem Innenbereich der Kontemplation und dem Außen der aktiven Tätigkeit unterscheidet, so ist auch seine Exegese von dieser Antithetik durchzogen.“ Vgl. darüber auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 233–244. 250 Vgl. in Ezech. II, 3, 18 (CCL 142, 250). 251 In Ezech. II, 3, 18 (B ÜRKE, CMe 21, 310).

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Auf der historischen Sinnebene findet man die moralische Unterweisung und die Beispiele der Heiligen, die im Leben zu üben bzw. nachzuahmen sind.252 „Und nachdem wir durch immer deutlichere Vorschriften und Vorbilder der Gerechten in guten Werken geübt sind, lenken wir, soweit wir’s vermögen, die Schritte des Geistes zur inneren Schwelle, das heißt zur mystischen Einsicht der inneren Beschauung.“253

In diesem Lichte ist auch die hagiographische Tätigkeit des Papstes zu betrachen. Nicht die Historizität im engeren Sinne, sondern die moralische Belehrung der Leser und der Hinweis auf eine andere Dimension des Lebens charakterisieren die Bemühungen des Papstes bei der Verfassung der Dialoge. Erst in der praktischen Anwendung des Gelesenen und in der Entfachung der Liebe zur patria caelestis findet die Hagiographie Gregors ihren eigentlichen Sinn.254 Im ersten Kapitel der Hoheliedauslegung ging Gregor auf die Rolle der Allegorie in seiner heilsgeschichtlichen Konzeption ausführlicher ein. Am Anfang dieser Auslegung setzte Gregor voraus, dass der Mensch nach dem Sündenfall ein für die geistige Einsicht blindes Herz hat.255 Aus diesem Grunde bedient sich Gott in seiner Rede der dunklen Andeutungen, um den Menschen durch die bekannten Dinge zu der ihm unbekannten Liebe zu bewegen.256 An diesen Gedanken knüpfte der Papst die Funktion der Allegorie an: „Denn die Allegorie baut für die Seele, die weit von Gott entfernt ist, sozusagen eine Art Hebewerk, damit sie durch jenes zu Gott erhoben wird. Durch den Einschub dunkler Andeutungen nimmt die Seele, während sie in den Worten etwas Bestimmtes erkennt, was ihr vertraut ist, im Sinn der Worte wahr, was ihr nicht vertraut ist, und wird durch irdische Worte von der Erde getrennt.“257

Es ist offensichtlich, dass diese Deutung dem Prinzip per visibilia ad invisibilia völlig analog ist, was darüber hinaus die kurze Darstellung der Schriftauslegung Gregors im Kontext dieses Kapitels berechtigt. 252

Vgl. in Ezech. I, 3, 4 (CCL 142, 35): Et modo bona facta patrum praecedentium, sicut iuxta litteram inueniunt, imitantur, modo quaedam, quae iuxta historiam imitanda non sunt, spiritaliter intellegunt, et ad prouectum tendunt. 253 In Ezech. II, 3, 18 (B ÜRKE, CMe 21, 310). 254 Vgl. dial. I, praef. ( BKV2 3, 3f); moral. praef. II, 4 (CCL 143, 10f). 255 Vgl. auch moral. XXXI, 49, 99 (CCL 143B, 1618f). 256 Vgl. in cant. 1 (CCL 144, 3): Postquam a paradisi gaudiis expulsum est genus humanum, in istam peregrinationem uitae praesentis ueniens caecum cor ab spiritali intellectu habet. Cui caeco cordi si diceretur uoce divina: ‚Sequere deum‘ uel ‚Dilige deum‘, sicut ei in lege dictum est, semel foris missum et per torporem infidelitatis frigidum non caperet, quod audiret. Idcirco per quaedam enigmata sermo diuinus animae torpenti et frigidae loquitur et de rebus, quas nouit, latenter insinuat ei amorem. 257 In cant. 2 (FRANK, CMe 29, 93).

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Im Lichte eines solchen Allegorieverständnisses betrachtete der Papst die Anwendung der Worte der irdischen Liebe im Hohenlied. Durch diesen Gebrauch beabsichtigt Gott, den Menschen auf eine andere Realität hinzuweisen. Deshalb darf der Mensch beim Vernehmen der Worte der äußeren Liebe nicht bloß in der Wahrnehmung des Äußeren verbleiben. Er soll dagegen mittels der Allegorie in den äußeren Worten den inneren Sinn suchen und auf diese Weise sozusagen außerhalb des Körpers geraten.258 Anschließend beschrieb Gregor bildhaft das Spannungsverhältnis zwischen dem Buchstaben und dem Geist. Der Geist gleicht dem Weizen, der von der Spreu, d. h. dem Buchstaben bedeckt ist. Den Menschen forderte der Papst dazu auf, die Spreu den Zugtieren vorzuwerfen und den Weizen des Geistes zu genießen.259 Es ist offensichtlich, dass hier Buchstabe und Geist im Gegensatz zueinander stehen. Das Wechselverhältnis zwischen dem wörtlichen und allegorischen Schriftsinn präsentiert Gregor überdies in einem breiten Spektrum, das von der Harmonie über die Unterschiedlichkeit bis zur gegenseitigen Feindschaft reicht.260 Die Betonung einzelner Perspektiven dieses Verhältnisses wird in der Regel vom Text und von der Auslegungsabsicht Gregors bedingt. 3.3 Die Herablassung Gottes in der Heiligen Schrift In dem gerade analysierten Abschnitt der Hoheliedauslegung kommt noch ein Thema zur Sprache, das für das Verständnis des Prinzips per visibilia ad invisibilia von großem Belang ist. Es handelt sich um die Herablassung Gottes. Gregor bestand nämlich darauf, dass die Komunikationsweise per visibilia ad invisibilia erst durch die condescensio Gottes ermöglicht wird. Hintergrund dieses Gedankens ist die in der patristischen Theologie verbreitete These, dass die Herablassung Gottes bzw. seine Menschenwerdung das unerlässliche Fundament der Erlösung des Menschen ist. Infolgedessen entfaltete der Papst gerne den Gedanken, dass Gott herabgestiegen ist, um den Menschen zu sich zu bringen:

258 Vgl. in cant. 4 (CCL 144, 4): Hoc autem nobis sollerter intuendum est, ne cum uerba exterioris amoris audimus, ad exteriora sentienda remaneamus et machina, quae ponitur ut leuet, ipsa magis opprimat ne leuemur. Debemus enim in uerbis istis corporeis, in uerbis exterioribus, quidquid interius est quaerere et, loquentes de corpore, quasi extra corpus fieri. 259 Vgl. in cant. 4 (CCL 144, 5): Littera occidit, scriptum est, spiritus autem uiuificat. Sic enim littera cooperit spiritum, sicut palea tegit frumentum. Sed iumentorum est paleis uesci, hominum frumentis. Qui ergo humana ratione utitur, iumentorum paleas abiciat et frumenta spiritus edere festinet. 260 Vgl. moral. XXI, 1, 1 (CCL 143A, 1063). Vgl. darüber H OFMANN, Geistige Auslegung, 41–44.

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„Doch der allmächtige Gott, der uns zu dem Seinigen zieht, beugt sich zu uns hernieder; um uns das Hohe nahezubringen, steigt er zu unserer Niedrigkeit herab, so dass die Kleinen, von bekannten Dingen ernährt, sich zu der Suche nach den unbekannten erheben. Indem sie von dem, der weit über ihnen steht, einiges aus der Nähe vernehmen, vermögen sie einige Schritte zu ihm zu tun.“261

Ein solches Handeln Gottes stellt die Anpassung an die neue Seinslage des gefallenen Menschen dar.262 Durch den Sündenfall verlor nämlich die Kommunikation des Menschen mit Gott ihre Ordnung.263 Infolgedessen verändert sich notwendigerweise die Kommunikationsweise Gottes mit dem Menschen.264 Gott offenbart sich dem Menschen nunmehr langsam und sukzessiv,265 und nicht mehr unmittelbar, sondern indirekt. Auf der Ebene der Schriftauslegung wird dies besonders in der Symbolsprache der Bibel offensichtlich. Angesichts der gestörten Fassungskraft des Menschen bedient sich Gott in der Heiligen Schrift einer Sprache, von der der Mensch die unmittelbarste Erfahrung besitzt, obwohl solche Sprache gelegentlich Gottes unwürdig zu sein scheint. Durch die zeitlichen Worte wird das Ewige schrittweise angekündigt, so dass sich der an das Zeitliche gewöhnte Mensch allmählich zum Ewigen bewegt. 266 Dies exemplifizierte Gregor an den im Hohenlied gebrauchten Worten der irdischen Liebe. Durch diese Worte beabsichtigt Gott nämlich, die matte Seele wieder zu erwärmen und sie zur himmlischen Liebe anzuregen.267 Das Hohelied sei also demgemäß immer auf Gott bzw. auf das Verhältnis zwischen der Seele (oder der Kirche) und Gott hin zu deuten, behauptete Gregor, und stellte sich somit in eine lange Reihe der im Hinblick auf die Interpretation des Hohenliedes gleichgesinnten Kirchenväter.268 Gregor akzentuierte, dass eine solche Ausdrucksweise keinesfalls verlacht werden dürfe, sondern dass darin die große Barmherzigkeit Gottes zu erkennen sei.269 Der Papst fasste dies anschließend zusammen: 261 Moral. XXXII, 5, 7 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 31). Vgl. auch moral. XX, 32, 63 (CCL 143A, 1048–1050). 262 Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 90f. 263 Vgl. moral. IV, 25, 46 (CCL 143, 191f). 264 Vgl. moral. XXIII, 1, 7 (CCL 143B, 1148f). 265 Vgl. darüber GRESCHAT, Die Moralia in Job, 186f. 266 Vgl. moral. II, 20, 35 (CCL 143, 81). Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 188. 267 Vgl. in cant. 3 (CCL 144, 4): Hinc est enim, quod in hoc libro, qui in Canticis canticorum conscriptus est, amoris quasi corporei uerba ponuntur: ut a torpore suo anima per sermones suae consuetudinis refricata recalescat et per uerba amoris, qui infra est, excitetur ad amorem, qui supra est. 268 Über die Auslegungsgeschichte in der patristischen Zeit vgl. K ÖPF, Hoheslied, 508–509. 269 Vgl. in cant. 3 (CCL 144, 4): Nominantur enim in hoc libro oscula, nominantur ubera, nominantur genae, nominantur femora; in quibus uerbis non irridenda est sacra

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„Doch wodurch er sich im Sprechen erniedrigt, dadurch erhöht er uns im Verstehen; denn aus den Ausdrücken dieser Liebe lernen wir, mit welcher Kraft wir in der Liebe zur Gottheit erglühen sollen.“ 270

Um dem Verständnisvermögen des Menschen näher zu kommen, werden in der Heiligen Schrift angesichts der Existenz Gottes auch zahlreiche Anthropomorphismen verwendet.271 Infolgedessen findet man Aussagen vom Zorn Gottes,272 von der Erinnerung Gottes usw.273 Diese Attribute bezeichnen jedoch nicht die Natur Gottes, sondern seine Wirkung im Äußeren.274 Wenngleich der Mensch durch das Nachdenken über diese Attribute etwas über Gott zu erschließen vermag, unterstrich Gregor einerseits die Begrenztheit, andererseits die Eigenart solcher Termini, wenn sie die Existenzweise Gottes beschreiben sollen. Die auch im Evangelium gebräuchliche Aussage von der Güte Gottes bezeichnete der Papst demnach als wesensmäßige Eigenschaft Gottes. Viele sind nuncupative gut, aber ausschließlich Gott ist essentialiter gut, d. h. er ist „nicht durch eine hinzukommende Gabe“ gut.275 In den Evangelienhomilien explizierte Gregor dieses Verhältnis zwischen nuncupative und essentialiter auch anhand des Namens Jesu: „Jesus wird in der lateinischen Sprache mit ‚Heilbringer‘, das heißt mit ‚Heiland‘ übersetzt. Nun konnten damals jedoch viele ‚Jesus‘ genannt werden, doch nicht wesensmäßig [substantialiter], sondern nur dem Namen nach [nuncupative].“276

Die condescensio Dei in die Sprache der Heiligen Schrift sah Gregor als soteriologische Notwendigkeit an. Andererseits vergaß er nicht, die Einzigartigkeit Gottes zu akzentuieren. Trotz dieser Aussageweise der Schrift soll man also die absolute Transzendenz Gottes vor Augen haben. 3.4 Imitatio Christi Das Prinzip per visibilia ad invisibilia verknüpft Gregor auch mit dem Erlösungswerk Christi. Als eine der Dimensionen des Inkarnationsgeschedescriptio, sed maior dei misericordia consideranda est; quia, dum membra corporis nominat et sic ad amorem uocat, notandum est quam mirabiliter nobiscum et misericorditer operatur, qui, ut cor nostrum ad instigationem sacri amoris accenderet, usque ad turpis amoris nostri uerba distendit. 270 In cant. 3 (FRANK, CMe 29, 94). 271 Vgl. darüber EVANS, The Thought of Gregory the Great, 38–40. 272 Vgl. moral. XX, 32, 63 (CCL 143A, 1049). 273 Vgl. moral. XII, 2, 2 (CCL 143A, 628f). Vgl. auch moral. II, 10, 18 (CCL 143, 70f). 274 Vgl. EVANS, The Thought of Gregory the Great, 39. 275 In euang. I, 14, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 224). 276 Vgl. auch in euang. II, 21, 4 (FC 28/2, 381). Vgl. auch EVANS, The Thought of Gregory the Great, 40.

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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hens hob der Papst besonders das Sichtbarwerden des Erlösers hervor. Analog zu seiner Auslegung der Heiligen Schrift sah Gregor darin die Anpassung Gottes an die Seinslage des gefallenen Menschen.277 Das depravierte Erkenntnisvermögen des Menschen erforderte die Menschwerdung Christi, damit man Gott, der ihm in seiner Gottheit immer unfassbar bleibt, in seiner Menschheit begreifen kann.278 In der Hoheliedauslegung explizierte Gregor diese These eingehender anhand des Verses: „Köstlich ist der Duft deiner Salben, dein Name hingegossenes Salböl; darum lieben dich die Mädchen“ (Hld 1, 3). Mit den Mädchen identifizierte der Papst in diesem Kontext die schwache menschliche Natur im Gegensatz zu den Ordnungen der Engel. Das hingegossene Salböl stellt die Kenntnis vom Erlöser dar, die Christus selbst nach außen goss. Damit machte er es möglich, dass er von den aufgrund ihrer menschlichen Natur schwachen Seelen geliebt wird. Die durch keine Gebrechlichkeit besiegten Engel bedürfen aber dieser äußerlichen Offenbarung des Herrn nicht, weil sie ihn auch dort sehen und lieben, wo er am Stand seiner Gottheit festhält.279 Auf die entsprechende Gegenüberstellung der Menschen und der Engel stößt man häufig bei Gregor. In der Regel liegt die Intention dabei nicht im Hinweis auf die Überlegenheit der Engelnatur, sondern im Hinweis auf die Schwachheit der gefallenen menschlichen Natur, die als solche der Heilung bedarf. Infolgedessen stellt der Papst hier das Sichtbarwerden bei der Inkarnation Christi als direkt vom Bedürfnis des Menschen bedingt dar.280 Exemplarisch fasst Gregor seine Ansichten darüber in einem Abschnitt der Moralia zusammen: „Der lasterhafte Mensch konnte nämlich allein von Gott gebessert werden, doch musste der, der besserte, sichtbar sein, um dadurch, dass er eine Gestalt zur Nachahmung darbot, das frühere Leben der Bosheit ändern zu können. Indes war Gott für den Menschen unsichtbar; daher ist er Mensch geworden, so dass man ihn zu sehen ver277 Vgl. in Ezech. I, 2, 14 (CCL 142, 25f). Ähnliche Explikationen der Inkarnation Christi findet man bei IRENÄUS, haer. IV, 38, 1 (FC 8/4, 332–334): Et propter hoc dominus noster in novissimis temporibus, recapitulans in semetipso omnia, venit ad nos, non quomodo ipse poterat, sed quomodo illum nos videre poteramus. Ipse enim in sua inenarrabili gloria ad nos venire poterat, sed nos magnitudinem gloriae ipsius portare non poteramus. 278 Vgl. moral. XVII, 27, 39 (CCL 143A, 874); moral. XIX, 30, 53 (CCL 143A, 997). Vgl. auch GRESCHAT, Die Moralia in Job, 170f. 279 Vgl. in cant. 23 (CCL 144, 24): Dicatur ergo: Vnguentum effusum est nomen tuum: ideo adulescentulae dilexerunt te. Id est: ‚Quia per incarnationem tuam notitiam tuam exterius effudisti, idcirco infirmae animae natura humana diligere praeualent. Illae quippe uirtutes summae quasi aetates iuuenales etiam ibi te diligunt, ubi fusus non es: quia et ibi te uident, ubi in statu diuinitatis tuae contines.‘ 280 Vgl. in cant. 23 (CCL 144, 24): ‚Qui ergo ab illis summis ordinibus quasi a iuuenalibus aetatibus etiam non fusus uideris, exterius propter homines funderis: ut etiam ab adulescentulis, id est ab infirmis mentibus, diligaris.‘

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mochte. So erschien der gerechte und unsichtbare Gott als uns ähnlicher, sichtbarer Mensch, um für uns, sichtbar dank der Ähnlichkeit, mittels der Gerechtigkeit zu sorgen und unserer Krankheit, während er in Wahrheit der Lage unseres Geschlechtes glich, kraft seiner Kunstfertigkeit entgegenzutreten.“281

Da der Mensch also die Weisheit des Herrn in ihrer Göttlichkeit nicht zu erfassen vermag, soll er sie in ihrer Inkarnation erkennen können.282 Angesichts des Prinzips per visibilia ad invisibilia betrachtete der Papst darüber hinaus die Menschwerdung Christi als Symbol und Offenbarung des Unsichtbaren.283 Aus diesem Grunde wurde das Inkarnationsgeschehen von Gregor prägnant als „die Verkündigung der Fleischwerdung“ (praedicatio incarnationis)284 bezeichnet. Durch diese Verkündigung wurde der Mensch erlöst und wurde ihm die eschatologische Perspektive seiner Existenz nahegebracht. Das ganze Leben und Wirken Christi besitzt in der Konzeption Gregors soteriologische Bedeutung. Durch die Verkündigung und durch den exemplarischen Charakter seines Lebens lehrt Christus die Kirche und lenkt sie dadurch auf die patria caelestis hin.285 Den Sinn der Inkarnation fand der Papst also auch in der Offenbarung der richtigen Lebensweise und somit in der Errichtung des exemplum imitationis.286 Diese These wurzelt in der langen Tradition sowohl des Westens als auch des Ostens.287 Gregor ak-

281

Vgl. moral. XXIV, 2, 2 (CCL 143B, 1189f): Vitiosus enim homo corrigi non poterat nisi per Deum. Videri autem debuit qui corrigebat, ut praebendo imitationis formam, anteactae malitiae mutaret uitam. Sed uideri ab homine non poterat Deus; homo ergo factus est, ut uideri potuisset. Iustus igitur atque inuisibilis Deus, apparuit similis nobis homo uisibilis, ut dum uidetur ex simili, curaret ex iusto; et dum ueritate generis concordat conditioni, uitute artis obuiaret aegritudini. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 171. 282 Vgl. in cant. 13 (CCL 144, 15): Quam enim in diuinitate sua capere minime poteramus, in incarnatione eius agnosceremus. 283 Vgl. in Ezech. II, 4, 20 (CCL 142, 272). 284 In cant. 13 (CCL 144, 16). 285 Vgl. in euang. I, 17, 1 (FC 28/1, 266): Dominus et Salvator noster, fratres carissimi, aliquando nos sermonibus, aliquando vero operibus admonet. Ipsa etenim facta eius, praecepta sunt: quia dum aliquid tacitus facit, quid agere debeamus, innotescit. Vgl. auch in Ezech. II, 1, 10 (CCL 142, 217): In se enim ostendit omne quod docuit; in euang. I, 18, 4 (FC 28/1, 314); in euang. I, 14, 1 (FC 28/1, 224); moral. I, 13, 17 (CCL 143, 32f). 286 Vgl. past. 1, 3 (FUNK, BKV2 4, 68): „Aber weil er im Fleische gekommen war, nicht nur um uns durch sein Leiden zu erlösen, sondern auch um uns durch seinen Wandel zu belehren, wollte er seinen Jüngern ein Beispiel geben ...“; in Ezech. II, 2, 6 (CCL 142, 229): Qui ergo nos exemplo suo de omnibus instruxit, murus nobis per circuitum et undique factus est; moral. XXIX, 1, 1 (CCL 143B, 1434). 287 Vgl. z. B. AUGUSTINUS, civ. VIII, 17 (CCL 47, 235): Religionis summa imitari quem colis. Vgl. darüber T INSLEY, The Imitation of God in Christ; GEERLINGS, Christus

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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zentuierte, dass alle irdischen Taten Christi den Erwählten zur Nachahmung dargeboten wurden.288 Aus diesem Grunde konnten die Werke des Erlösers trotz seines Befehls den zwei Blinden aus der Evangeliengeschichte nicht verschwiegen werden, weil durch diese Werke die Belehrung der Gläubigen erfolgen soll.289 Obschon Gregors Konzeption des exemplum Christi deutliche Anlehnungen an die gleiche Konzeption Augustins aufweist, akzentuierte der Papst die hervorgehobene kausale Verbindung zwischen dem Glauben und den exempla nicht im gleichen Maß wie Augustinus. Das ganze Leben Christi wird auch bei Augustinus zum exemplum imitationis. Die Belehrung der Gläubigen erfolgt jedoch erst mithilfe des adiutorium Dei, das bei Augustinus die unentbehrliche Basis für die Auffassung sowohl des exemplum Christi als auch der exempla sanctorum darstellt.290 Diese Idee Augustins fand bei Gregor hinsichtlich der Exemplumlehre nicht so große Resonanz, obschon er angesichts des Prinzips per visibilia ad invisibilia die Rolle der Gnade Gottes unterstrich.291 Die imitatio Christi spielt in der Soteriologie Gregors eine besondere Rolle. Dies ist einerseits dem Einfluss der monastischen Spiritualität auf die Theologie des Papstes, andererseits seiner Akzentuierung des persönlichen Mitwirkens des Menschen im Erlösungsgeschehen zu verdanken.292 In der Auslegung der Evangeliengeschichte über die Heilung des Blinden ordnete der Papst die imitatio Christi in seine soteriologische Konzeption ein: „Wenn wir also, geliebte Brüder, die Blindheit unserer Pilgerschaft schon erkennen, wenn wir schon durch den Glauben an das Mysterium unseres Erlösers am Wege sitzen, wenn wir durch tägliches Gebet von unserem Schöpfer das Licht erbitten, wenn wir dieses Licht schon geistig schauen und dadurch nach der Blindheit erleuchtet worden sind, dann wollen wir Jesus im Handeln nachfolgen, den wir schon geistig erExemplum, 146–228; GRESCHAT, Die Moralia in Job, 172f; SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 133f. 288 Vgl. dial. I, 9 (FUNK, BKV2 3, 33f): „Unser Erlöser hat alles, was er in seinem sterblichen Leibe tat, uns als ein Beispiel für unser Handeln aufgestellt, so dass wir nach dem Maße unserer Kraft in seine Fußstapfen treten und ohne anzustoßen den Lebensweg, der jetzt unsere Aufgabe ist, wandeln können.“ Die analoge These erläuterte AUGUSTINUS, ver. rel., XVII, 32 (CCL 32, 207): Tota itaque uita eius [sc. Christi] in terris per hominem, quem suscipere dignatus est, disciplina morum fuit. Vgl. auch GRESCHAT, Die Moralia in Job, 173. 289 Vgl. dial. I, 9 (BKV2 3, 33f). 290 Vgl. darüber GEERLINGS, Christus Exemplum, 225–227. 291 Analog reflektierte Gregor den Beistand Gottes für das Allegorieverständnis in der Heiligen Schrift. Vgl. in Ezech. II, 3, 17 (CCL 142, 249f). 292 Vgl. darüber auch STRAW, Gregory the Great, 158–161; 179. Das persönliche Mitwirken des Gläubigen sieht F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 99f in der Soteriologie Gregors als besonders betont an.

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kennen. Geben wir acht, wohin er geht, und bleiben wir durch Nachahmung auf seinen Spuren. Derjenige nämlich folgt Jesus nach, der ihn nachahmt.“293

Diese Reihenfolge der Geschehnisse schildert den subjektiven Erlösungsakt, dessen grundlegendes Element offensichtlich die imitatio Christi darstellt. Andererseits ist die imitatio der Ausfluss und zugleich die konkrete Bejahung der objektiven Erlösung. Infolgedessen brachte Gregor in der Auslegung von Ex 12, 9 und 1 Kor 11, 3 den Glauben an Christus und die imitatio Christi in Verbindung. Dem Gebot Gottes, dass das Paschalamm komplett verzehrt werden muss, folgt der Mensch, indem er das Haupt isst, d. h. die Gottheit Christi im Glauben annimmt, und die Füße verzehrt, d. h. die Fußspuren seiner Menschheit liebend und nachahmend aufspürt.294 Die Forderung zur Nachahmung im ethischen Bereich wurde in dieser Arbeit bereits erwähnt. In Hinsicht darauf hob Gregor grundsätzlich Christi Ablehnung der prospera und seine freiwilige Annahme der irdischen aduersa hervor. Christus ließ sich nicht zum König machen, sondern wählte freiwillig den Tod am Kreuz. Alle Herrscherwürde lehnte er ab und nahm die schmachvolle Todesstrafe auf sich.295 Durch diese der gewöhnlichen Menschenordnung entgegengesetzte Lebensweise konstituierte der Erlöser das exemplum für das Leben des Menschen.296 Diese Lebensweise Christi betrachtete Gregor als Offenbarung des ewigen Lebens und als Berufung zur patria caelestis.297 Infolgedessen kann man mit Fiedrowicz feststellen, dass für Gregor das ganze irdische Leben des Erlösers einen Verweis auf das wahre Leben in der himmlischen Heimat darstellt.298 Bevor auf die für Gregors Theologie charakteristischen Formen der imitatio Christi eingegangen wird, soll noch die theoretische Grundlage der Nachahmung erläutert werden. Die Forderung der imitatio Christi gründete Gregor vor allem auf die Deutung des paulinischen Bildes der Kirche als des Leibes Christi (Eph 4, 15; Kol 1, 24).299 Die Kirche als den Leib Chris293

In euang. I, 2, 8 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 74–76). Vgl. in euang. II, 22, 8 (FC 28/2, 408–410). 295 Vgl. past. 1, 3 (BKV2 4, 68f). 296 Vgl. moral. I, 13, 17 (CCL 143, 32f); moral. XV, 45, 51 (CCL 143A, 780): Quia enim uia Dei in hac uita humilitas fuit, ipse hic Deus Dominus redemptor noster ad probra, ad contumelias, ad passionem uenit et aduersa huius mundi aequanimiter pertulit, prospera fortiter uitauit, ut et prospera doceret aeternae uitae appeti et aduersa praesentis uitae non formidari. 297 Vgl. moral. XXVII, 15, 29 (CCL 143B, 1352): Vnde et moriendo docuit mortem non metui, resurgendo de uita confidi, ascendendo de caelestis patriae hereditate gloriari, ut quo caput praeisse conspiciunt, illuc se subsequi et membra gratulentur; in Ezech. II, 2, 6 (CCL 142, 228f); moral. XXIX, 14, 26 (CCL 143B, 1451); moral. XXX, 24, 69 (CCL 143B, 1538). 298 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 95. 299 Vgl. moral. praef. VI, 14 (CCL 143, 19): Sed quia Redemptor noster unam se personam cum sancta Ecclesia quam assumpsit, exibuit – de ipso enim dicitur: Qui est caput 294

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ti betrachtete der Papst als dazu aufgerufen, die irdische Lebensweise ihres Hauptes nachzuahmen. Gregor schrieb: „Wenn wir nämlich die Glieder des höchsten Hauptes sind, müssen wir den nachahmen, dem wir verbunden sind.“300

Diese Verbindung zwischen Christus und der Kirche diente Gregor als das Fundament nicht nur für die Entfaltung der Lehre von der imitatio, sondern auch für die Darlegung seiner Ekklesiologie.301 Gregors Akzentuierung des engen Verhältnisses zwischen Christus und der Kirche lässt die imitatio Christi als die natürliche Konsequenz dieses Verhältnisses erscheinen. Die Nachahmung des Erlösers ist also in Gregors soteriologischer Konzeption nicht bloß das Produkt des Gebotes, sondern wurzelt in der ontologischen Relation zwischen Christus (dem Haupt) und der Kirche (seinem Leib). Gregors Konzeption der imitatio beinhaltete jedoch nicht nur die schlichte Nachahmung der irdischen Lebensweise Christi. Vielmehr meinte der Papst, dass die Kirche als Leib Christi alle Instanzen seines Lebens (Erniedrigung, Passion, Auferstehung, Verherrlichung) durchgeht, d. h. der Leib folgt seinem Haupt in allem nach. Infolgedessen muss man, um die Darlegung von Gregors Konzeption der imitatio vollständig zu erläutern, auch deren eschatologische Dimension berücksichtigen, weil die höchstmögliche Ähnlichkeit mit Christus erst in der patria caelestis erfolgen kann. Die imitatio Christi hat also Konsequenzen für das Jenseits, da sie der similitudo Christi vorausgeht und in ihr ihre endgültige Erfüllung findet. Darüber hinaus stellt allein die Existenzweise Christi das Exemplum der Belehrung der Kirche dar.302 Gregor erläuterte das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur in Christus analog der Antithese intus – foris und erschloss daraus die Belehrung bzw. das exemplum imitationis für den Menschen. Der Papst erläuterte, dass Christus infolge seiner göttlichen Natur in seinem Inneren trotz aller irdischen Versuchungen ruhig blieb, obschon er als Mensch im Äußeren unter den Versuchungen litt. Da er innerlich an seiner Gottheit festhielt, konnte er die Schwäche der angenommenen Menschheit gefasst demonstrieren.303

omnium nostrum. Et de Ecclesia eius scriptum est: Corpus Christi, quod est Ecclesia – … Vgl. auch moral. XXVIII, 10, 22f (CCL 143B, 1413f); in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 29f). 300 In euang. II, 32, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 607–609) 301 Über die Relation zwischen Christus und der Kirche vgl. z. B. moral. IV, 11, 18 (CCL 143, 175). 302 Vgl. darüber ausführlicher GRESCHAT, Die Moralia in Job, 155–163. 303 Vgl. moral. III, 16, 30 (CCL 143, 135). Über die Gregors Verwendung des augustinischen Interioritätsprinzips in diesem Zusammenhang vgl. F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 277f.

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3.5 Imitatio Christi humilis Obwohl die imitatio Christi das ganze Menschenleben kennzeichnen soll, kann man bei Gregor zwei Motive hervorheben, die er in Hinsicht auf die imitatio besonders betonte. Es handelt sich um die imitatio Christi humilis304 und die imitatio passionis Christi. Die besondere Akzentuierung dieser Motive ist auf ihre Bedeutung in der soteriologischen Konzeption des Papstes zurückzuführen. Den Hochmut Satans betrachtete der Papst als die Ursache des Sündenfalls des Menschen. Infolgedessen brauchte der gefallene Mensch nun die Demut Christi als das Mittel zur Erlösung.305 Gregor kontrastierte hier besonders den Hochmut des Menschen, der, zum Leben im Paradies geschaffen, die Ähnlichkeit der göttlichen Macht an sich reißen wollte, und die Demut Christi, der, obschon selbst unschuldig, diesen Hochmut des ersten Menschen abbezahlte.306 In diesem Licht bezeichnete der Papst Christus als den caelestis medicus, der für jedes einzelne Gebrechen des alten Lebens das entsprechende Heilmittel anwendet. So stellt der Erlöser seine Neuheit dem alten Leben entgegen bzw. die Demut dem Hochmut entgegen.307 Die Bedeutung der Demut und ihrer Verkörperung in Christus fasste Gregor zusammen: „Wie groß ist also die Tugend der Demut, wenn sich derjenige, der überaus groß ist, nur um sie wahrhaft zu lehren, bis zur Passion gering gemacht hat.“308

Dieses Zitat aus den Moralia in Iob zeigt, dass der Papst das ganze irdische Leben Christi als exemplum der Demut betrachtete. Die Inkarnation bzw. die Annahme der forma infirmitatis nostrae sowie die passio Christi

304

In Hinsicht darauf darf Gregor u. a. von Augustinus inspiriert war. Vgl. AUGUSTIin Ioh. evang. tract. 55, 7 (CCL 36, 466): Tanta est quippe humanae humilitatis utilitas, ut eam suo commendaret exemplo etiam diuina sublimitas. Vgl. darüber auch F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 95f, der angesichts dieser Fragestellung auch die Abhängigkeit Gregors von Cassian feststellt. 305 Vgl. moral. XXXIV, 23, 54 (CCL 143B, 1770f). 306 Vgl. moral. III, 14, 26 (CCL 143, 132): Alius namque ad paradisum conditus, diuinae potentiae similitudinem superbe rapere uoluit, sed tamen culpam huius superbiae sine culpa Mediator exsoluit. 307 Vgl. in euang. II, 32, 1 (FC 28/2, 594–596): Vitae etenim nostrae veteri in vitiis enutritae contrarietatem opposuit novitatis suae. Quid enim vetus, quid carnalis homo noverat, nisi sua retinere, aliena rapere, si posset; concupiscere, si non posset? Sed coelestis medicus singulis quibusque vitiis obviantia adhibet medicamenta. Nam sicut arte medicinae calida frigidis, frigida calidis curantur: ita Dominus noster contraria opposuit preadicamenta peccatis; ut lubricis continentiam, tenacibus largitatem, iracundis mansuetudinem, elatis praeciperet humilitatem. Vgl. auch in euang. II, 25, 2 (FC 28/2, 448); FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 95f. 308 Moral. XXXIV, 23, 54 (übers. von FIEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 135). NUS,

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stellen nämlich den Ausdruck der tiefsten Demut des Erlösers dar.309 Diese kenotische Perspektive prägt Gregors Auffassung von der Inkarnation Christi besonders. Obschon Gregor nicht übersieht, dass die Materie als Schöpfung Gottes in sich selbst gut ist, fallen seine negativen Charakterisierungen des Menschenkörpers und der Körperlichkeit überhaupt sofort ins Auge, wenngleich man die Tatsache beachten muss, dass der Papst dabei an die gefallene Natur dachte. In diesem Lichte charakterisierte er den menschlichen Körper, den Christus im Inkarnationsgeschehen annahm: „Wer wüßte nicht, dass Schuhe aus toten Tieren gefertigt werden. Als nun der Herr im Fleisch kam, erschien er sozusagen als beschuht, da er in seiner Göttlichkeit den Leichnam unserer Vergänglichkeit annahm.“310

Den mediator Dei et hominum beschrieb Gregor ferner als Geier, der von der Höhe seiner Gottheit das cadauer mortalitatis nostrae betrachtete und sich dann herabließ. Er wird in der forma serui311 sichtbar, um dem Menschen die Erlösungsperspektive zu eröffnen.312 Die Kenosis als Aussageweise für das Erlösungsgeschehen313 und für die ganze irdische Existenz Christi prägt die gesamte Christologie Gregors. Infolgedesssen legte der Papst den Vers: „So tat Ijob jedes Mal“ (Ijob 1, 5) auch christologisch aus und verdeutlichte, dass sich Christus in der Inkarnation zugunsten des Menschen unaufhörlich opfert.314 All diese und sinnähnliche Ausagen Gregors, in denen die Kenosis Christi hervorgehoben wird, beschreiben den soteriologischen Aspekt der Demut im Erlösungsgeschehen Christi, der nunmehr notwendigerweise ein Bestandteil der subjektiven Erlösung jedes Menschen wird. Die Demut war für Gregor viel mehr als eine der christlichen Tugenden. Sie wurde vom Papst als „Mutter und Lehrerin aller Tugenden“ bezeich309

Vgl. moral. XXXIV, 23, 54 (CCL 143B, 1770f): Ad hoc namque unigenitus Dei Filius formam infirmitatis nostrae suscepit, ad hoc inuisibilis, non solum uisibilis, sed etiam despectus apparuit, ad hoc contumeliarum ludibria, irrisionum opprobria, passionum tormenta tolerauit, ut superbum non esse hominem doceret humilis Deus. 310 In euang. I, 7, 3 (FC 28/1, 135). Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 153f. 311 Vgl. moral. II, 23, 42 (CCL 143, 85). 312 Vgl. moral. XVIII, 34, 54 (CCL 143A, 921): Recte ergo mediator Dei et hominum redemptor noster uulturis appellatione signatur, qui manens in altitudine diuinitatis suae, quasi a quodam uolatu sublimi cadauer mortalitatis nostrae conspexit in infirmis, et sese de caelestibus ad ima submisit. 313 Vgl. darüber auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 144–149. 314 Vgl. moral. I, 24, 32 (CCL 143, 42f): Cunctis diebus Iob sacrificium offere non cessat, quia sine intermissione pro nobis holocaustum Redemptor immolat, qui sine cessatione Patri suam pro nobis incarnationem demonstrat. Ipse quippe eius incarnatio nostrae emundationis oblatio est cumque se hominem ostendit, delicta hominis interueniens diluit. Et humanitatis suae mysterio perenne sacrificium immolat quia et haec sunt aeterna quae mundat. Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 172f.

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net.315 Auf die imitatio Christi gegründet, stellt sie die Voraussetzung für den Aufstieg des Menschen zu Gott dar.316 Die vielfältigen Manifestationen der Demut im Leben der Gläubigen beschrieb Gregor in seinen Werken häufig. Man findet bei ihm kaum einen Aspekt des geistigen Lebens, der nicht von der Demut geprägt ist.317 Zum Folgenden werden deswegen nur einige Aspekte der Demutslehre Gregors berücksichtigt, die für das Thema des Kapitels von Belang sind. Die für das Denken Gregors charakteristische Verknüpfung von Demut, imitatio und persönlichem Mitwirken findet man in seiner Auslegung von Ijob 1, 20 und Ex 13, 21. Durch das exemplum imitationis werden diejenigen Gläubigen im irdischen Leben vom Erlöser geführt, die ihre Sündhaftigkeit bekannten und auf diese Weise Demut übten.318 Diese Erläuterung übertrug der Papst auch auf das alttestamentliche Israel. Dem einst auserwählten Volk entzog Gott die Sakramente des Gesetzes und wandte sich den Heiden zu, die ihre Ungerechtigkeit einräumten.319 Die Notwendigkeit der tätigen Demut brachte Gregor also in Zusammenhang mit der imitatio Christi. Anschließend behauptete der Papst, dass Christus die Gläubigen durch die Inkarnation die Demut lehrt. Gregor schrieb bildhaft, dass der Erlöser „die Gebete der Demut in die, die an ihn glaubten, eingoss“.320 Durch sein Verhalten bezeugte Christus seine Lehre. In der forma serui, unterwarf sich der Erlöser demnach im Gebet dem Vater, obschon er ihm ebenbürtig ist.321 Dieses Verhalten Christi akzentuierte der Papst als Mus315

Vgl. moral. XXIII, 13, 24 (CCL 143B, 1162): Humilitatem namque quae magistra est omnium materque uirtutum …; moral. XXXIV, 23, 51 (CCL 143B, 1769). Vgl. auch W EBER, Hauptfragen, 219–222. 316 Vgl. moral. XV, 45, 51 (CCL 143A, 779f); moral. VIII, 47, 80 (CCL 143, 44f); moral. XVII, 7, 9 (CCL 143A, 855f); in euang. I, 7, 4 (FC 28/1, 138). Vgl. darüber SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 233f. 317 Vgl. darüber SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 234–239. 318 Vgl. moral. II, 35, 57 (CCL 143, 95): Hinc et columna nubis quae in eremo populum praeibat, splendore ignis non in die sed in nocte radiabat, quia uidelicet Redemptor noster, suae conuersationis exemplo, ducatum sequentibus praestans de iustitia sua confidentibus nulla luce claruit. 319 Vgl. moral. II, 35, 57 (CCL 143, 95): Mediator igitur noster quasi detonso capite in terram corruit quia Iudaeam deserens, dum sacramenta sua ab eius sacerdotio abstulit, ad notitiam gentium uenit. Capillos enim a capite rasit quia sacramenta legis ab illo primo suo sacerdotio sustulit; et in terram corruit quia saluandis se peccatoribus dedit; dumque eos qui sibi iusti uidebantur deseruit hos qui se iniustos et nouerant et fatebantur, assumpsit. 320 Vgl. moral. II, 35, 58 (CCL 143, 96): Bene autem dicitur quod corruens adorauit quia dum ipse humilitatem carnis suspecit, in se credentibus uota humilitatis infudit. 321 Vgl. moral. II, 35, 58 (CCL 143, 96): Neque enim petit qui aequalis est, sed postulare dicitur quia nimirum quos repleuerit, postulantes facit; quamuis hoc et in semetipso Redemptor noster ostendit qui Patrem etiam dum passioni propinquaret, exorauit. Quid enim mirum si in forma serui exorando se Patri subdidit, in qua etiam manus peccantium

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ter der Demut und als exemplum imitationis für alle Menschen.322 An dieser Deutung Gregors lässt sich das für Gregors Theologie typische Wechselverhältnis zwischen der Hilfe Gottes und dem persönlichen Beitrag des Menschen im Erlösungsgeschehen ablesen. Die Inkarnation Gottes stellt den Impuls dar, auf den der Mensch antworten soll, um weiterhin von Gott auf seine eschatologische Bestimmung hin geführt zu werden. Die Akzentuierung des persönlichen Mitwirkens ist bei Gregor unmissverständlich auf die pastoralen Anliegen zurückzuführen. Im ganzen irdischen Leben des Erlösers findet Gregor Beispiele für die Demut Christi, die den Gläubigen zur Nachahmung vor Augen geführt wurden. Christi Verhalten gegenüber den ihm zugefügten Schmähungen verstand der Papst als das Exemplum der Sanftmut.323 In der Auslegung von Joh 8, 59 lobte der Papst, dass Gott dem Zorn der Hochmütigen demütig auswich. Somit stellt Christus das exemplum zur Nachahmung dar: „In der Nachahmung Gottes ist es nämlich ruhmvoller, Unrecht stillschweigend zu fliehen als durch Erwiderung zu besiegen.“324

Gregor betonte, dass die heiligen Lehrer der Kirche in all ihrem Tun darauf bedacht sind, die Demut zu bewahren.325 Die imitatio Christi humilis begrenzte der Papst nicht nur auf einzelne Aspekte des Menschenlebens. Vielmehr stellt das ganze Leben Jesu das exemplum imitationis für die komplette irdische Existenz der Gläubigen dar.326 In Gregors soteriologischer Konzeption bleibt die Bedeutung der Demut jedoch nicht ausschließlich an die Sphäre des persönlichen Voranschreitens zur patria caelestis gebunden. Die Demut wird das Kriterium der Kirchenzugehörigkeit und besitzt damit ekklesiologische Bezüge.327 Ohne an Augustinus direkt anzuknüpfen, entfaltete Gregor nämlich die Theorie vom usque ad mortis extrema tolerauit? Diese heilsgeschichtliche Existenzweise des Sohnes Gottes soll jedoch nicht auf die Subsistenzweise des Logos in der Trinität übertragen werden. Zu einem anderen Schluss kommt SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 145: „Selbst wenn Gregor nicht explizit darauf eingeht, weisen diese Gedanken doch darauf hin, dass Gregor den Gehorsam des Sohnes nicht nur als Weise des Seins versteht, die durch das Erlösungsgeschehen ausgelöst wurde. Der Gehorsam des Sohnes als Ausdruck für den Weg der Entäußerung verweist auf die Subsistenzweise des Logos in der Trinität, die sich auch hier schon als Gehorsam bzw. Kenosis vollzieht.“ 322 Vgl. moral. II, 24, 43 (CCL 143, 86). 323 Vgl. in euang. I, 18, 2 (FC 28/1, 308–310). 324 In euang. I, 18, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 315). 325 Vgl. in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 29): In omni quod fortiter agunt [sc. praedicatores sancti], humilitatem tota intentione custodiunt, sed per Redemptorem nostrum dicitur: Discite a me, quia mitis sum, et humilis corde. 326 Vgl dazu auch STRAW, Gregory the Great, 172: „All Christ’s life – not just his death upon the Cross – is exemplary of his Passion, his humility and sacrifice.“ 327 Vgl. auch in euang. I, 20, 14 (FC 28/1, 370).

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corpus Christi/corpus diaboli, deren Fundament die imitatio Christi bzw. die imitatio diaboli ist.328 Der Kirche, d. h. der Gemeinschaft der Erwählten samt den Engeln, deren Haupt Christus ist, stellte der Papst das corpus diaboli, d. h. die Gesamtheit der Verworfenen, deren Haupt der Teufel ist, entgegen.329 Die Kriterien der Zugehörigkeit zu einem der beiden corpora sah der Papst als durch die Nachahmung des Hauptes begründet an. So vollziehen diejenigen die imitatio Christi, die dem corpus Christi gehören. Angesichts dessen akzentuierte der Papst besonders die Nachahmung der Demut Christi als das Wesensmerkmal der Kirche, wogegen die Verworfenen dem Teufel in stolzer Überheblichkeit folgen.330 Neben anderen Unterschieden zwischen den beiden corpora, die Gregor gelegentlich auf antithetische Weise analog darstellte, ist es infolge des Themas dieser Arbeit von Belang, ihre entgegengesetzten Lebensorientierungen zu betonen.331 Während die Kirche auf ihre eschatologische Vollendung in der patria caelestis hin orientiert ist, bleibt das corpus diaboli dem Irdischen bzw. der Diesseitsorientierung verhaftet.332 3.6 Imitatio passionis Christi Das zweite Motiv, das Gregors Konzeption der imitatio beherrscht, stellt die imitatio passionis Christi dar. Dieses Motiv ist eng mit der imitatio Christi humilis verknüpft und bildet zusammen mit der Nachahmung der Demut Christi den Kontext, innerhalb dessen Gregor seine Lehre über die imitatio Christi am häufigsten entfaltete. Man kann jedoch, ohne eine solche Abgrenzung vorzunehmen, mit Recht behaupten, dass das Thema der imitatio passionis Christi häufiger und ausführlicher entfaltet wurde. Die Gründe dafür sind zweierlei. Dazu ist zuerst auf die Rolle der passio Christi in der Theologie Gregors hinzuweisen. Allein die Häufigkeit der Reflexionen des Papstes über das Leiden Christi bringt die Bedeutung, die Gregor diesem Thema beimaß, zum Ausdruck. Grundsätzlich betrachtete Gregor das Leiden Christi auf der Erde als wesentliche Komponente der Erlösung und akzentuierte dementsprechend die Relevanz des persönlichen Erlebens des Leides, besonders hinsichtlich der imitatio Christi. 328

Vgl. AUGUSTINUS, civ. XIV, 13 (CCL 48, 435). Vgl. darüber auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 96f, 263–266, der die gedankliche Kohärenz zwischen Augustinus und Gregor feststellt. 329 Vgl. moral. IV, 11, 18 (CCL 143, 175); in euang. I, 16, 1 (FC 28/1, 254): Certe iniquorum omnium caput diabolus est, et huius capitis membra sunt omnes iniqui; in euang. II, 38, 14 (FC 28/2, 794). 330 Vgl. moral. XXXIV, 23, 56 (CCL 143B, 1772); moral. XXIX, 7, 15 (CCL 143B, 1444); moral. XXXIV, 23, 55 (CCL 143B, 1772). 331 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 264–266. 332 Vgl. moral. XXXIV, 4, 8 (CCL 143B, 1739).

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Als zweiter Grund für den besonderen Platz der imitatio passionis Christi in der Theologie Gregors dürfen die Zeitumstände und die persönlichen Erfahrungen Gregors gelten.333 Ohne in eine Überbewertung der Wichtigkeit des historischen Kontextes zu verfallen, kann man feststellen, dass Gregor, täglich mit Leid und Bedrängnis konfrontiert, die imitatio passionis Christi vor dem Hintergrund der Zeitumstände reflektierte. Im Abschnitt der Ezechielhomilien, in dem der Papst die gesamte Weltgeschichte in sieben Tage teilte, parallelisierte er die passio Christi und das Leiden der Kirchengemeinde: „Und die wahre Passion und die wahre Auferstehung unseres Erlösers haben eine sinnbildliche Bedeutung für seinen Leib in den Tagen seines Leidens. Denn am sechsten Wochentag hat er gelitten, am Sabbat im Grabe geruht, und am Sonntag ist er vom Tod erstanden. Für uns ist das gegenwärtige Leben noch der sechste Wochentag, da es in Schmerzen zugebracht wird und sich in Bedrängnisses abquält. Am Sabbat ruhen wir sozusagen im Grab, da wir nach dem leiblichen Tod Ruhe finden für die Seele. Am Sonntage aber, dem dritten nach der Passion und wie gesagt dem achten in der Reihenfolge, auferstehen wir dem Leibe nach vom Tod und werden in der Verherrlichung der Seele auch mit dem Leib in der Freude sein. Was also unser Erlöser an sich selbst vollbracht hat, ist ein wahrhaftiges Vorzeichen für uns, wonach das Leid am sechsten, die Ruhe am siebten und die Herrlichkeit am achten Tag auch uns beschieden sein soll.“334

In diesem inhaltsreichen Abschnitt treten besonders zwei Gedanken hervor. Das Leiden, dem die Gläubigen auf der Erde ausgesetzt sind, stellt sozusagen das Abbild der passio Christi dar.335 Die Kirche ist in der Nachahmung Gottes dazu aufgerufen, die irdische Bedrängnis zu erdulden. Diese These ordnet einerseits die irdische Bedrängnis der Kirche in eine allumfassende soteriologische Konzeption ein, andererseits wird sie zur Tröstung für die leidenden Kirchenmitglieder. Darüberhinaus findet man in Gregors Werken häufig so etwas wie „Apologien des irdischen Leidens“, nicht nur hinsichtlich der imitatio Christi, die die Unausweichlichkeit der irdischen Leiden hervorheben. Besondere Erwähnung verdient in diesem Kontext auch die körperliche Schwäche des Papstes, unter der er fast das ganze Leben litt und die seine Weltsicht gewiss hinlänglich mitprägte.336 Von Kummer umgeben, bemühte sich Gregor, pastoral motiviert, dem Volk die irdische Passion als Bestandteil des Heilsplans Gottes darzustellen und dabei auf die eschatologische Perspektive des Lebens hinzuweisen. Dies lässt sich passend aus dem gerade zitierten Abschnitt ablesen. Nach dem sechsten bzw. siebten Wochentag kommt der achte, nach der Passion 333

Vgl. darüber auch B ALSAVICH, The Witness, 103–105. In Ezech. II, 4, 2 (B ÜRKE, CMe 21, 319). 335 Vgl. auch moral. XXIX, 30, 65 (CCL 143B, 1480); moral. XXXI, 18, 33 (CCL 143B, 1574). 336 Vgl. dial. III, 33 (BKV2 3, 169f). 334

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kommt die Auferstehung, die Herrlichkeit.337 Obwohl also die passio eine große Rolle in der Theologie Gregors spielt, bleibt nicht der Aufruf zur passio, sondern vielmehr der Hinweis auf die patria caelestis die letzte Instanz seiner Lehre der imitatio passionis Christi.338 Gerade diese eschatologische Perspektive legt den Sinn in die passio hinein, ohne dass dabei die Bedeutung der passio in der Heilsgeschichte heruntergespielt wird. Die Nachahmung der Kenosis Christi bleibt der Weg der Erlösung des Menschen. Angesichts der angegebenen Motive wird es einsichtig, weshalb Gregor der passio und der damit verbundenen imitatio passionis Christi solch große Bedeutung zumaß. Das soteriologische Wirken Jesu ist für Gregor eng mit der passio Christi verbunden, obschon der Papst die passio Christi nicht als den einzigen Weg der Erlösung des Menschen betrachtete.339 Jesus nahm jedoch den Weg der Kenosis auf sich, um den Menschen zu erheben.340 Der Papst betonte, dass Christus auf die Erde kam, um zu leiden.341 Selbst die Inkarnation Christi betrachtete er als das Opfer zur Erlösung des Menschen. Das ganze irdische Leben Jesu steht unter dem Zeichen seiner Opferung für den Menschen.342 Zur Illustration dieser These zog Gregor das biblische Bild des gebratenen Fisches (Joh 21, 9.13 und Lk 24, 42) heran. Im gebratenen Fisch sah Gregor ein Symbol für den leidenden Mittler zwischen Gott und dem Menschen: „Er [sc. Christus] ließ sich nämlich herab, in den Wassern der Menschheit verborgen zu bleiben, er wollte gefangen werden in der Schlinge unseres Todes, wurde gleichsam in der Bedrängnis gebraten zur Zeit seiner Passion.“343

In der Pastoralregel unterstrich der Papst, dass Christus im Fleische kam, nicht nur um den Menschen durch sein Leiden zu erlösen, sondern auch um durch das Leiden das Leitbild des irdischen Lebens abzustecken.344 Diese These explizierte Gregor in Anlehnung an 1 Petr 2, 21ff und Hebr 12, 1f. Der Herr erschien im Fleische, um durch die Gewährung des exemplum imitationis den Menschen zu erhöhen und um ihn durch das ei-

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Vgl. in Ezech. II, 4, 2 (CCL 142, 257f). Vgl. in euang. II, 24, 5 (FC 28/2, 436). 339 Vgl. moral. XX, 36, 69 (CCL 143A, 1054f); moral. XXXIV, 23, 54 (CCL 143B, 1770f). Vgl. darüber auch STRAW, Gregory the Great, 171f. 340 Vgl. in Ezech. I, 5, 16 (CCL 142, 66): Bona enim nostra eius sunt opera, cuius uisceribus non suffecit ut nos erigeret, nisi et semetipsum pro nobis inclinaret. 341 Vgl. in euang. I, 18, 4 (FC 28/1, 314): Sed quia pati venerat [sc. Christus] ... 342 Vgl. moral. I, 24, 32 (CCL 143, 175). 343 In euang. II, 24, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 435). 344 Vgl. past. 1, 3 (BKV2 4, 68f). 338

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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gene Sterben zu retten.345 Infolgedessen sind die ihm nachfolgenden Menschen dazu aufgerufen, sich in der imitatio Christi in diesem Leben der passio zu unterziehen. Der Papst betrachtete dies als den Weg der Heiligkeit.346 Gregor betonte, dass diejenigen Christus nachfolgen, die im eigenen Leben seine irdische Lebensweise und seine passio nachahmen.347 Die Bedrängnis dieser Welt kann man jedenfalls auf verschiedene Weise erfahren. Als Nachfolger Christi kann man auf zweifache Weise das Kreuz auf sich nehmen: „entweder indem man durch Enthaltsamkeit den Leib kasteit oder indem man durch Mitgefühl mit dem Nächsten die Seele betrübt sein läßt.“348

Die passio wurde also von Gregor nicht rein äußerlich verstanden, sondern beinhaltete ebenso die geistige Einstellung des Menschen.349 Die imitatio Christi stellt kein isoliertes Kapitel der Spiritualität Gregors dar. Sie ist vielmehr in seine gesamte soteriologische Konzeption eingegliedert und mit konkreten Manifestationen des spirituellen Lebens verbunden. Im vorangegangenen Abschnitt wurde offensichtlich, dass die imitatio Christi das Motiv für jegliche Askese bietet. Die Demut als das Fundament des geistigen Lebens findet ihre Quelle in der Nachahmung des Erlösers. Den in dieser Welt Leidenden führte Gregor die passio Christi vor Augen, und anhand des exemplum Christi akzentuierte er die Tugend der Geduld im Leid.350 Die Demut Christi bei seiner passio war dermaßen groß, dass der Teufel an dessen Gottheit zweifelte, als er den Erlöser leiden sah.351 Die pastoralen Züge in dieser Verknüpfung von Passion und 345 Vgl. moral. XXI, 6, 11 (CCL 143A, 1073): Ad hoc itaque Dominus apparuit in carne, ut humanam uitam admonendo excitaret, exempla praebendo accenderet, moriendo redimeret, resurgendo repararet. 346 Vgl. moral. XVII, 7, 9 (CCL 143A, 855f). Vgl. auch WEBER, Hauptfragen, 82. 347 Vgl. in euang. II, 24, 5 (FC 28/2, 436): Quod si vigilanter inspicimus, nobis quoque qualiter ad imitandum congruat videmus. Sic enim sua Redemptor indicat, ut imitationis viam nobis sequentibus sternat. 348 In euang. II, 32, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 601). Vgl. auch in euang. II, 37, 5 (FC 28/2, 748). 349 Vgl. moral. III, 30, 59 (CCL 143, 151f): Quem alium signat petra nisi eum de quo per Paulum dicitur: Petra autem erat Christus. Carnes ergo super petram ponimus, cum corpus nostrum in Christi imitatione cruciamus. Ius etiam carnium desuper fundit qui in conuersatione Christi ipsas a se etiam carnales cogitationes exinanit. Quasi enim res ex carne liquida in petra funditur, quando mens et a cogitationum carnalium fluxu uacuatur. 350 Vgl. past. 3, 12 (BKV2 4, 164f). 351 Vgl. moral. II, 24, 43 (CCL 143, 86): Antiquus hostis Redemptorem humani generis debellatorem suum in mundum uenisse cognouit, unde per obsessum hominem in euangelio dicitur: Quid nobis et tibi Fili Dei? Venisti huc ante tempus torquere nos. Qui tamen prius cum hunc passibilem cerneret cum posse mortalia perpeti humanitatis

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Demut sind bei Gregor in diesem Kontext nicht zu übersehen. Christi demütige Annahme der Passion stellte der Papst seinen Mitmenschen in den turbulenten Umständen des sechsten Jahrhunderts als exemplum imitationis vor Augen. Mit Recht darf man also Gregors Konzeption der imitatio passionis Christi nicht nur auf seine theologischen Spekulationen, sondern auch auf die Zeitumstände und seine pastoralen Intentionen zurückführen. Auch die bei Gregor nur bescheiden entfaltete Sakramententheologie352 findet ihr Echo in Gregors Konzeption der imitatio Christi. Die imitatio passionis Christi brachte der Papst nämlich mit der Eucharistie in Verbindung. Das Gebot Gottes in Ex 12, 7 erörterte er in mystischer Weise folgendermaßen: „An beide Türpfosten ist nämlich das Blut des Lammes gestrichen, wenn das Sakrament seiner Passion mit dem Munde zur Erlösung aufgenommen und mit aufmerksamem Sinn auch zur Nachahmung erwogen wird. Denn wer das Blut seines Erlösers so empfängt, dass er seine Passion nicht nachahmen will, hat das Blut an den einen Türpfosten gestrichen, das auch noch an die Oberschwelle der Häuser zu streichen ist.“353

Gregor betonte also, dass das sacramentum dominicae passionis in den Gläubigen nicht untätig sein darf bzw. dass das Leben der Gläubigen in der imitatio Christi mit diesem Sakrament in Einklang stehen muss.354 Wer das Sakrament der Passion des Erlösers empfängt, darf sich dem Sakrament nicht durch einen verkehrten Lebenswandel widersetzen.355 Diese Verknüpfung von Eucharistie und aktivem Leben in der Nachahmung Christi korrespondiert mit Gregors Akzentuierung des subjektiven Charakters der Erlösung. Darüber hinaus fällt in die Zeit Gregors die allmähliche Entstehung der missa specialis, entweder in Form der Votivmesse für die Verstorbenen oder für die Lebenden.356 Mit seiner betont eschatologischen Orientierung gab der Papst den Anstoß besonders zur Entwicklung der Votivmessen für die Verstorbenen.357 Die Nützlichkeit solcher Gottesdienste legte Gregor anhand der Erzählungen hauptsächlich im vierten Buch der Dialoge dar.358 Diese vor allem auf den subjektiven Bedürfnissen der Gläubigen orientierten Messen offenbaren eine ausgesprochen individuelle Dimension der Spiritualität, die bei Gregor ihr Echo in der Betonung des uideret, omne quod de eius diuinitate suspicatus est, ei fastu suae superbiae in dubium uenit. Vgl. auch moral. XXXIV, 23, 55 (CCL 143B, 1770f). 352 Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 141–146. 353 In euang. II, 22, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 403–405). Vgl. auch dial. IV, 59 (BKV2 3, 270f). 354 Vgl. moral. XIII, 23, 26 (CCL 143A, 683); in euang. II, 37, 9 (FC 28/2, 756). Vgl. auch GRESCHAT, Die Moralia in Job, 177f. 355 Vgl. in euang. II, 22, 8 (FC 28/2, 406). 356 Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 144f. 357 Vgl. darüber VOGEL, Deux conséquences. 358 Vgl. dial. IV, 55 (BKV2 3, 263–267); dial. IV, 57f (BKV2 3, 267–270).

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subjektiven Charakters der Erlösung und darunter auch in der imitatio Christi findet. In Hinsicht darauf sind überdies die Einflüsse der monastischen Theologie nicht zu unterschätzen. Man darf Gregor jedoch nicht allzu schnell eine ausschließliche Individualisierung der christlichen Spiritualität vorhalten, wenngleich eine Tendenz zum Reflektieren des persönlichen Vorankommens in seiner Theologie festzustellen ist. Die Konzeption der imitatio Christi beschränkte Gregor jedoch nicht nur auf das Gebiet der persönlichen Spiritualität, sondern schrieb ihr auch ekklesiologische Implikationen zu. Zwischen der Sendung Christi durch den Vater und der Sendung des Apostels durch Christus sah Gregor eine kausale Beziehung. Wegen der Erlösung der Welt sandte der Vater seinen lieben Sohn zur Passion in diese Welt. Analog sandte Christus die erwählten Apostel zur Passio in die Welt, obwohl er sie liebte.359 Diese Überlegungen Gregors deuten auf die Bestimmung der Kirche und vor allem der praedicatores hin, die der Papst offensichtlich als besonders von der passio geprägt sah. Die ekklesiologische Perspektive der imitatio passionis Christi entfaltete der Papst angesichts der Relation Haupt – Leib: „Da alle Erwählten Glieder ihres höchsten Hauptes sind, folgen sie somit ihrem Haupt auch im Leiden.“360

Infolgedessen charakterisiert die passio eigentlich das Leben der ganzen Kirche. Dies betonte Gregor ausdrücklich, als er schrieb, dass die Passion der Kirche bereits mit dem Blut Abels begann.361 Die Teilhabe an der passio Christi stellte der Papst weiterhin als das Kriterium der Kirchenzugehörigkeit bzw. der Einheit zwischen Christus und den Gläubigen dar. Hieran wird die ekklesiologische Relevanz der imitatio passionis Christi ersichtlich. Die Passion verbindet Christus und die Kirche.362 Infolgedessen behauptete der Papst, dass alle Gläubigen, die in der Welt Drangsal erlitten, die Glieder des Erlösers sind. Abel erwies sich als Glied Christi, weil er den Tod der Erlösers nicht nur durch ein Opfer, sondern auch durch sein Sterben ankündigte.363 Die passio der Gläubigen korreliert in Gregors sote359

Vgl. in euang. II, 26, 2 (FC 28/2, 474). In euang. II, 35, 3 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 693). 361 Vgl. in Ezech. II, 3, 16 (CCL 142, 248). Die Bedrängnis der Kirche auf der Erden reflektierte Gregor häufig. Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 233–274. 362 Vgl. darüber HESTER, Eschatology and Pain, 99f. 363 Vgl. moral. III, 17, 32 (CCL 143, 135f): Nullus in hac uita electorum uenit qui non huius hostis aduersa sustinuit. Membra autem nostri Redemptoris exstiterunt, etiam qui ab ipso mundi exordio, dum pie uiuunt, crudelia passi sunt. An non huius membrum Abel se esse perhibuit, qui eius mortem de quo scriptum est: Sicut agnus coram tondente se obmutescet et non aperiet os suum; non solum placens in sacrificio sed etiam moriens tacendo signauit? 360

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

riologischer Konzeption mit der passio Christi dadurch, dass die passio der Gläubigen vor der Inkarnation des Erlösers die Ankündigung der passio Christi bzw. die passio nach der Inkarnation die imitatio passionis Christi darstellt.364 Darüber hinaus wurde diese Korrelation von Gregor unterstrichen, indem er anhand der Szene der Paulusbekehrung (Apg 9, 4) erläuterte, dass der Herr selbst immer noch durch seinen Leib leidet, wobei andererseits die Kirche durch ihr Haupt schon im Himmel triumphiert.365 Ein solches Bild des irdischen Leidens, verknüpft mit der klaren eschatologischen Perspektive der Erlösung, bringt Gregors Verständnis der passio und somit der imitatio passionis Christi zum Ausdruck. In der imitatio passionis Christi wird die Einheit zwischen Christus und der Kirche auf der Erde zum Ausdruck gebracht und somit diese imitatio-Konzeption auch ekklesiologisch relevant. 3.7 Die imitatio als die Realisierung der similitudo Obschon im Vorhergehenden mehrmals auf die eschatologische Perspektive der imitatio Christi hingewiesen worden ist, wird die eschatologische Orientierung von Gregors Konzeption der imitatio gerade mit Blick auf seine Lehre von der similitudo Christi deutlich erkennbar. Der Weg der imitatio Christi stellte für Gregor den Weg der Verwirklichung der similitudo Christi dar. Diese These Gregors stellt in der patristischen Tradition keine Neuheit dar. Die grundlegenden Elemente dieser Lehre sind bereits bei Augustinus vorhanden.366 Exemplarisch erläutert der Papst diese These in der zweiten Ezechielhomilie. In Anlehnung an den 1. Korintherbrief (15, 47. 49) führte er aus, dass der Mensch zur Ähnlichkeit mit Christus durch die Nachahmung des Lebens des Erlösers gelangt.367 Obschon die Bemühungen um das Voranschreiten in der imitatio Christi vor allem dem irdischen Leben des Menschen vorbehalten sind, ist die dadurch erlangte similitudo keinesfalls auf das Diesseits beschränkt. Um Gregors Thesen über die similitudo Christi plausibel darzustellen, muss man beim Papst zwischen der irdischen (diesseitigen) und der eschatologischen (jenseitigen) similitudo Christi unterscheiden.

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Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 233. Vgl. moral. III, 13, 25 (CCL 143, 130): Quia nimirum et Dominus multa adhuc per corpus quod nos sumus, patitur et iam corpus eius, id est Ecclesia, de suo capite, uidelicet Domino, in caelo gloriatur … Si enim caput nostrum tormenta nostra non tangerent, nequaquam afflictis membris persecutori suo etiam de caelo clamaret: Saule, Saule, quid me persequeris? 366 Vgl. AUGUSTINUS, en. in Ps. 119, 1 (CCL 40, 1776f). 367 Vgl. in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 28f). 365

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Die irdische similitudo Christi gehört zum ethischen Bereich des Lebens. Durch die Beachtung der Gebote und die Nachahmung der Werke Jesu wird das irdische Leben des Menschen dem Leben des Erlösers ähnlich. Vor dem Hintergrund der ontologischen Relation Haupt – Leib Christi führt Gregor die Tugenden im vortrefflichen Leben der praedicatores auf die exempla aus dem Leben des Erlösers zurück.368 In der Auslegung von Ez 1, 5 erläuterte der Papst, dass sich die Menschenähnlichkeit der vier Lebewesen auf Christus bezieht. Dem Erlöser, der die Quelle der Heiligkeit und jeglicher Tugenden ist, trachten die Lebewesen, die das Sinnbild aller Christen darstellen,369 ähnlich zu sein und somit heilig zu werden. Gregor hob hervor, dass die similitudo Christi den einzigen Weg der Heiligkeit für den Menschen darstellt.370 Als konkrete Beispiele der Menschen, deren Bestreben auf die Nachahmung des Erlösers gerichtet ist, führte der Papst den Apostel Paulus und interessanterweise den alttestamentlichen Propheten bzw. den Verfasser der Psalmen an.371 Obwohl die unmittelbare Verbindung des Psalmisten mit der imitatio Christi überrascht, sah Gregor trotzdem keinen Widerspruch darin, weil Christus in Gregors soteriologischer Konzeption in der Mitte der gesamten Heilgeschichte steht.372 Infolgedessen wird die imitatio Christi im weiteren Sinne auch für die Zeit vor der Inkarnation des Erlösers geltend gemacht. Der Weg der imitatio stellt für Gregor vor allem den Weg der Erneuerung des gefallenen Menschen dar.373 Die in diesem Leben verwirklichte Ähnlichkeit mit Christus ist immerhin auf ihre definitive Erfüllung in der 368

Vgl. in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 29): Plangunt autem uitam delinquentium praedicatores sancti, sed de ipso nostro capite scriptum est, quia fleuit super Hierusalem … Persecutores quoque suos diligunt praedicatores sancti, sed ipse Auctor omnium ac Redemptor in passione positus, pro persecutoribus intercedit, dicens: Pater, ignosce illis, quia nesciunt quid faciunt. Membra sua ponunt in passione pro fratribus, sed pro electorum uita usque ad mortem se tradidit Auctor uitae. 369 Vgl. in Ezech. I, 2, 18 (CCL 142, 27). 370 Vgl. in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 28): Haec itaque animalia ut surgere ad sanctitatis uirtutem ualeant, ad huius hominis similitudinem tendunt. Sancta enim non essent, si huius hominis similitudinem non haberent; quicquid in eis de uisceribus pietatis, quicquid de mansuetudine spiritus, quicquid de zelo rectitudinis, quicquid de custodia humilitatis, quicquid de feruore caritatis est, hoc ab ipso fonte misericordiae, ab ipsa radice masuetudinis, ab ipsa uirtute iustitiae, id est a Mediatore Dei et hominum Deo Domino traxerunt. 371 Vgl. in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 28–30): Huius se hominis [sc. Christi] similitudinem habere egregius praedicator ostendit, dicens: Imitatores mei estote, sicut et ego Christi … Ad huius similitudinem hominis surgere festinabat propheta, cum diceret: In mandatis tuis me exercebor, et considerabo uias tuas. 372 Vgl. in Ezech. II, 3, 16 (CCL 142, 247f); moral. XIX, 15, 24 (CCL 143A, 975f); moral. XXIX, 31, 68–70 (CCL 143B, 1481–1483). 373 Vgl. in Ezech. I, 2, 19 (CCL 142, 30).

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eschatologischen similitudo hin orientiert, weil erst die eschatologische Gestalt der Menschenexistenz die vollständige Eneuerung des Menschen bedeutet. Um mit Gregor zu sprechen: „Von dieser Ähnlichkeit, die jetzt in unserem Leben zutage tritt, gelangen wir dereinst zur Ähnlichkeit der Herrlichkeit.“374

Die endgültige Verwirklichung der similitudo ist also erst in der patria caelestis zu erreichen. Wie sich diese eschatologische similitudo zuträgt, exemplifizierte Gregor anhand der von ihm häufig durchdachen Antithese mutabilitas (des Menschen) – stabilitas (Gottes). Als das Charakteristikum der irdischen Existenz des Menschen akzentuierte Gregor nämlich die mutabilitas.375 Die Existenzweise Gottes schließt dagegen jede Veränderung bzw. die daraus folgende Vergänglichkeit aus.376 Der Mensch wird der similitudo Dei teilhaftig, indem ihm in der patria calestis die durch die Gnade Gottes erworbene stabilitas zuteil wird. Diese stabilitas ist keine wesensmäßige stabilitas Gottes, aber durch sie vermag der Mensch die ihm angeborene mutabilitas in der Gemeinschaft mit Gott zu überwinden. Die Erlösung des Menschen bzw. die Heilung dieser mangelhaften irdischen Existenz des Menschen vollzieht sich also nach Gregor in der similitudo Christi. Diese eschatologische similitudo Christi, die sich u. a. als Überwindung der menschlichen mutabilitas manifestiert, erfolgt in der paradiesischen Kontemplation Gottes: „Indem wir die Wahrheit seiner [sc. Gottes] Natur schauen, werden wir, von unserer Veränderlichkeit befreit, in Ewigkeit wandellos feststehen. Wir werden an der Unveränderlichkeit dessen teilhaben, den wir schauen, denn in der Schau des Lebens entrinnen wir dem Tod, und in der Schau der Unveränderlichkeit übersteigen wir unsere Wandelbarkeit.“377

Die Gewährung des Seins des Menschen realisiert sich also in der Teilhabe an der Unvergänglichkeit Gottes. Der Mensch ist samt den Engeln nach dem Ebendbild Gottes geschaffen, weil ihm dem Heilsplan Gottes nach die andauernde Existenz zuteil werden soll.378 Gregor betonte demnach häufig, dass ausschließlich Gott die Quelle der Unvergänglichkeit ist und dass der Mensch nur in der communio mit Gott seine angeborene mutabilitas überwinden kann. Dies gilt gleichermaßen für die Engelnatur, der als geschaffen ebenso die mutabilitas zu eigen ist. Jedoch verbleiben die Engel be374

In Ezech. I, 2, 20 (B ÜRKE, CMe 21, 64f). Vgl. moral. V, 34, 63 (CCL 143, 262): Omnis quippe creatura quia ex nihilo facta est, et per semetipsam ad nihilum tendit, non stare habet sed defluere. 376 Vgl. moral. V, 34, 62 (CCL 143, 262); epist. III, 51 (CCL, 140 196f). 377 In Ezech. I, 2, 20 (B ÜRKE, CMe 21, 64). Vgl. ähnlich IRENÄUS, haer. IV, 38, 3 (FC 8/4, 340): Deus enim est qui habet videri, visio autem Dei efficax est incorruptelae, „incorruptela vero proximum facit esse Deo.“ 378 Vgl. in euang. II, 34, 8 (FC 28/2, 652). 375

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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ständig in ihrem Zustand, indem sie in der Kontemplation Gottes verharren.379 Durch die immerwährende Kontemplation des Unwandelbaren sind die Engel selbst in Unwandelbarkeit verwandelt worden.380 Anhand des Beispiels des Satans erläuterte Gregor, dass Engel ausschließlich durch die Nachahmung Gottes bzw. durch die Teilhabe an der Erhabenheit Gottes der Erhabenheit teilhaftig werden konnten. Der Satan verlor jedoch die similitudo mit Gott, weil er nicht mit Gott verbunden bleiben wollte.381 Infolgedessen betonte der Papst die Gemeinschaft mit Gott als den einzigen Weg der Erlösung aller Geschöpfe. Durch die similitudo Christi und durch die empfangene Gnade wird die Schwachheit der menschlichen Natur verändert und erneuert.382 Diese durch Christus hervorgebrachte Erneuerung schließt zum Schluss auch den Menschenkörper ein. In Anlehnung an den Apostel Paulus (Phil 3, 20f) erläutert der Papst, dass in der patria caelestis die Körper der Erwählten der Herrlichkeit des Herrenkörpers gleichgestaltet sein werden. Diese Gleichgestaltung erfolgt aber nicht von Natur aus, sondern sie werden dieser Ähnlichkeit mit dem Körper Christi aufgrund der Gnade teilhaftig werden.383 Anschließend resümierte Gregor wiederum den Weg von der irdischen zur eschatologischen similitudo Christi: „Weil also die Ähnlichkeit mit seinem Leben jetzt im Leben der Auserwählten zutage tritt, worauf in der Auferstehung die Ähnlichkeit mit dem Ewigen im Geiste folgt, da wir ihn schauen, so wie er ist, und weil die Ähnlichkeit mit ihm auch unsere Leiber betrifft, wird von den heiligen Lebewesen gesagt: ‚Sie hatten Menschenähnlichkeit.‘“384

3.8 Conversio Die Lehre von der Umkehr, die in der Auslegung des Gleichnisses von der verlorenen Drachme angedeutet wurde, stellt einen Meilenstein der Spiri379

Vgl. moral. V, 38, 68 (CCL 143, 267): Natura angelica etsi contemplationi auctoris inhaerendo in statu suo immutabiliter permanet. 380 Vgl. in Ezech. I, 8, 15 (CCL 142, 109): Quomodo inhaerendo beatudini sint beati, quomodo contemplando semper aeternitatem sint aeterni, quomodo coniuncti uero lumini facti sint lux, quomodo aspicientes semper incommutabilem mutati sint in incommutabilitatem. 381 Vgl. moral. XXXIV, 21, 40 (CCL 143B, 1761f): Cuius eo ipso similitudinem perdidit, quo esse ei superbe similis in celsitudine concupiuit. Qui enim caritataem eius imitari debuit subditus, ambiit eius celsitudinem; et hoc quod imitari poterat, amisit elatus. 382 Vgl. in Ezech. I, 2, 14 (CCL 142, 25f). 383 Vgl. in Ezech. I, 2, 21 (CCL 142, 30f): Erunt ergo tunc electorum corpora claritati Dominici corporis configurata, quae etsi aequalitatem gloriae eius non habent per naturam, similitudinem tamen configurationis eius habebunt per gratiam. 384 In Ezech. I, 2, 21 (B ÜRKE, CMe 21, 65).

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

tualität Gregors dar.385 Die conversio explizierte Gregor auf verschiedenen Ebenen. Die conversio von der irdischen Welt zur himmlischen Heimat wurde in der vorliegenden Arbeit bereits ausführlich dargestellt. Die Antithese intus – foris, die in der bisherigen Gregor-Forschung das Objekt mehrerer Untersuchungen wurde, und die dazu gehörende Umkehr vom Äußeren zum Inneren markierten signifikant die Lehre Gregors. Als pastoral geprägter Theologe widmete sich der Papst besonders der conversio als der inneren Hinwendung des Menschen von der Sünde zur Gerechtigkeit.386 Das theologische Fundament für die Erläuterung dieser Ebene der conversio stellt bei Gregor die Lehre von der compunctio dar. Diese Lehre, die vor allem im Osten beheimatet war, entfaltete der Papst wie kein westlicher Theologe vor ihm.387 Die in erster Linie in den monastischen Kreisen verbreitete Doktrin von der compunctio machte der Papst zu einem zentralen Begriff nicht nur seiner, sondern auch der gesamten lateinischen Spiritualität. Aus diesem Grund wurde er als doctor compunctionis bezeichnet.388 Die Bedeutung, die der Papst diesem Thema beimaß, wurzelt in der Komplexität des Begriffs der compunctio bzw. in Gregors Verständnis dieses Begriffs. Zur Erläuerung der compunctio zog der Papst in den Ezechielhomilien das alttestamentliche Bild von zwei Altären im Bundeszelt (Ex 39, 37–39; 40, 5. 24–25) heran. Der erzerne Altar, der von Kupfererz überzogen wurde, stand im Vorhof. Auf ihm wurden Fleischstücke verbrannt. In Gregors Auslegung symbolisiert dieser Altar die Menschen, die, von der Furcht angespornt, ihre fleischlichen Werke beklagen. Vor der Bundeslade stand jedoch der goldene Altar, auf dem Räucherwerk angezündet wurde. Dieser Alter symbolisiert die von den fleischlichen Lastern freien Menschen.389 Solche Menschen charakterisierte Gregor folgendermaßen: „Ihre Reuetränen sind Ausdruck brennender Liebesglut, sie halten sich den Lohn des himmlischen Vaterlandes vor die Augen des Herzens und verlangen, bei jenen Bürgern droben zu sein. Hart erscheint ihnen die Knechtschaft, die lange Dauer ihrer Pil385

SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 239 charakterisiert den Ort der Lehre Gregors von der Umkehr innerhalb der westlichen Tradition folgendermaßen: „Einer der wichtigsten Beiträge Gregors zur Spiritualität des Abendlands ist seine Lehre von der Umkehr, die der Compunctio entspringt.“ 386 Da diese Form der conversio (besonders von der spirituellen Seite) bereits bei SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 239–258 dargestellt ist, werde ich meine Abhandlung auf das Wesentliche bzw. auf das für diese Arbeit Notwendige reduzieren. 387 Die Beliebtheit der Theologie Gregors des Großen im Osten führt LECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen, 35 gerade auf die Tatsache zurück, dass Gregors Lehre von der compunctio in allem der des Ostens entsprach. Über die Lehre von der compunctio im Osten vgl. HAUSHERR, I., Penthos. 388 Vgl. MCGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, 85f. 389 Vgl. in Ezech. II, 10, 20f (CCL 142, 394f).

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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gerschaft. Sie sehnen sich, den König in seinem Glanz zu sehen, und hören nicht auf, aus Liebe zu ihm täglich Tränen zu vergießen.“390

Man kann die gerade zitierte Textstelle der Lehre Gregors vom caeleste desiderium zuschreiben. Bei Gregor beinhaltet der Reuebegriff offensichtlich nicht nur die Reue wegen der begangenen Sünden bzw. das Bereuen des eigenen Schuldbewusstseins, sondern auch die compunctio aus dem Verlangen nach der patria caelestis.391 Diese zweite Komponente der compunctio bzw. compunctio amoris stellt im Grunde genommen die Sehnsucht nach dem Himmlischen dar. Somit bekommt Gregors Reuebegriff eine neue Qualität, die wiederum im perfekten Einklang mit seiner fundamentalen eschatologischen Orientierung steht. Infolgedessen charakterisiert McGinn die Bezeichnung Gregors als doctor compunctionis treffend: „Gregor ist doctor compunctionis wegen seines Sinns für das totale Ungenügen aller irdischen Güter vor der Fülle des Himmelreichs“392.

Gerade dieser Sinn macht die Bedeutung der compunctio amoris aus, die dem heutigen Reuebegriff so fern ist. Die Problematik der individuellen compunctio erläuterte der Papst eingehender innerhalb der Beschreibungen des spirituellen Fortschritts der Seele. Im Sinne einer inneren Entwicklung beweint man zuerst die eigene Sündhaftigkeit aus Furcht vor der ewigen Pein (sc. compunctio timoris), dann aber wird die Seele ganz von der Liebe zu himmlischen Freuden erfüllt und beweint die Trennung von der caelestis communio (sc. compunctio amoris).393 Analog zu dieser Unterscheidung der compunctio machte 390

In Ezech. II, 10, 21 (B ÜRKE, CMe 21, 464). Vgl. auch CASEY, Spiritual Desire, 309: „Compunction is, therefore, a dual sensitivity. It places before us both the reality of our sinful condition and the urgency of our desire to be possessed totally by God.“ An anderer Stelle arbeitete Gregor die vierstufige Grundlage der compunctio aus, die jedoch auf die zwei oben angegebenen Motive zurückgeht. Vgl. moral. XXIII, 21, 41 (CCL 143B, 1175): Quattuor quippe sunt qualitates quibus iusti uiri anima in compunctione uehementer afficitur, cum aut malorum suorum reminiscitur, considerans ubi fuit; aut iudiciorum Dei sententiam metuens et secum quaerens, cogitat ubi erit; aut cum mala uitae praesentis sollerter attendens, maerens considerat ubi est, aut cum bona supernae patriae contemplatur, quae quia necdum adipiscitur, lugens conspicit ubi non est. 392 MCGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, 86. 393 Vgl. dial. III, 34 (FUNK, BKV2 3, 170f): „Man unterscheidet aber hauptsächlich zwei Arten von Zerknirschung, weil die nach Gott sich sehnende Seele zuerst aus Furcht und dann aus Liebe Reue empfindet. Zuerst nämlich vergießt sie Tränen, weil sie bei der Erinnerung an ihre Sünden sich wegen dieser vor ewiger Pein fürchtet. Wenn aber durch lange Trauer und Angst die Furcht sich verloren hat, entsteht aus der zuversichtlichen Annahme der Verzeihung ein gewisses Sicherheitsgefühl, und die Seele wird ganz von der Liebe zu den himmlischen Freuden erfüllt. Während sie früher weinte, um der Pein zu entgehen, weint sie nachher bitterlich, weil sie vom Himmelreiche getrennt ist. Denn sie betrachtet die Chöre der Engel, die Gesellschaft der seligen Geister und die Herrlich391

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Gregor eine Differenzierung zwischen den niedrigeren Tränen, die die Folge der Betrachtung der eigenen Sündhaftigkeit bzw. die Folge der Furcht vor der Höllenstrafe darstellen, und den höheren Tränen, die der Sehnsucht nach dem Himmlischen entspringen.394 Die Tränen sind in Gregors Konzeption das konstitutive Element der compunctio395; sie stellen das Kriterium für die Echtheit der compunctio dar.396 Für das Thema der conversio ist Gregors Reueverständnis von Belang, weil in diesem Kontext die compunctio bzw. insbesondere die compunctio amoris als Auslöser der Umkehr zum Ewigen auftritt. Die ursprüngliche Bedeutung des Terminus compungere (stechen, zerstechen) korrespondiert dieser Feststellung. In der Reue wird der Mensch von der Liebe zum Himmlischen durchbohrt und auf die patria caelestis hin getrieben. Die Schilderungen des Erlebnisses solcher compunctio amoris sind bei Gregor sehr anschaulich. In der oben erwähnten Auslegung der zwei Altäre schrieb der Papst: „Der goldene Altar vor dem Vorhang, auf dem das Räuchewerk verbrennt, sind die Herzen der Heiligen, die aus Liebe zu Gott in großen Tugenden auflodern, in heiligem Verlangen nach ihm erglühen, den sie, da ihr Antlitz verhüllt ist, noch nicht sehen können.“397

Diese Unmöglichkeit der unmittelbaren Erfahrung der Präsenz Gottes basiert auf der Unzulänglichkeit des irdischen Daseins des Menschen. Die Schwachheit des Fleisches (infirmitas carnis)398 bzw. die Verderbtheit des gefallenen Menschen hindern ihn an der vollkommenen conversio.399 Dennoch wird durch die compunctio amoris bzw. das caeleste desiderium das Spannungsverhältnis zwischen temporalis und aeternus auf das Ewige hin gelöst. Die conversio bleibt somit keine einmalige Handlung, sondern wird vielmehr zur dauerhaften Lebenseinstellung, die den Menschen Gott ständig näher bringt.400 keit der ewigen Anschauung Gottes. [...] So kommt es, dass die vollkommene Furchtreue die Seele zur Liebesreue bringt.“ Vgl. darüber auch in cant. 18 (CCL 144, 19–21). 394 Vgl. dial. III, 34 (FUNK, BKV2 3, 171f). 395 Vgl. moral. IV, 19, 35 (CCL 143, 185): Sed cum uehemens paenitentiae spiritus mentem occupat, omnem in ea explorationem reprehensibilis gaudii perturbat ut nihil ei iam nisi flere libeat, nihil nisi quod se terrere possit attendat. Ponit namque ante oculos illinc districtionem iustitiae, hinc meritum culpae; conspicit quo supplicio digna sit, si parcentis pietas desit, quae per lamenta praesentia ab aeterna eruere poena consueuit. 396 Vgl. SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 247. 397 In Ezech. II, 10, 21 (B ÜRKE, CMe 21, 464). 398 Vgl. in euang. I, 17, 10 (FC 28/1, 284). 399 Vgl. in Ezech. II, 10, 21 (CCL 142, 396): Inter Arcam quippe et altare uelum est, quia hoc quod nos adhuc a uisione Dei separat corruptionis nostrae obstaculum remotum non est. 400 Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 241f.

3. Der Vermittlungcharakter des Sichtbaren

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Zusammenfassend lässt sich behaupten, dass all die erwähnten conversiones (irdisches – himmlisches, intus – foris, Sünde – Gerechtigkeit) die jetzige Lage des Menschen als der ursprünglichen Menschenbestimmung fremd und demzufolge den Menschen als das erlösungsbedürftige Geschöpf Gottes offenbaren. Zugleich zeigen sie Gregors Verständnis des spirituellen Lebens als Bewegung zum Inneren, Ewigen, Himmlischen bzw. als conversio vom Äußeren, Zeitlichen, Irdischen. Diese beiden Betrachtungsweisen verflechten sich in der Theologie Gregors und resultieren im permanenten Streben nach der Wiederherstellung der ursprünglichen Schöpfungskondition des Menschen. Der Terminus „Wiederherstellung“ drückt in diesem Zusammenhang eigentlich nicht den vollen Sinn dieses Geschehens aus, weil die Fülle der kommenden patria caelestis die Verfassung des ursprünglichen Paradieszustandes in jeder Hinsicht übertrifft. Der gemeinsame Nenner aller conversiones bleibt die für das Verständnis der Theologie des Papstes grundlegende conversio von temporalis zu aeternus. Dass gerade die Elemente der Antithese temporalis – aeternus zwei Pole darstellen, zwischen denen sich die vollkommene conversio abspielt, wird darüberhinaus aus dem Widmungsbrief der Moralia deutlich. Dort beschrieb Gregor seinem Freund Leander von Sevilla seinen persönlichen Kampf um die conversio von der irdischen Welt zum caeleste desiderium.401 Bereits am Anfang des Briefes bereute der Papst, dass er die Gnade der Bekehrung infolge seiner Verwicklung in weltliche Geschäfte lange aufgeschoben habe.402 Als er sich jedoch bewusst geworden war, dass ihn die Ausübung der Funktion eines Stadtpräfekten nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich völlig okkupiere, verließ er sein Amt und alles Weltliche und ging ins Kloster, um sich dort der ersehnten Liebe zum Ewigen hingeben zu können.403 In dieser Beschreibung des persönlichen Erlebnisses der conversio stellte Gregor explizit das caeleste desiderium (oder den 401 Über die conversio Gregors vgl. DAGENS, La „conversion“ de Saint Grégoire le Grand. GRESCHAT, Feines Weizenmehl und ungenießbare Spelzen, 61–64 konstatiert: „Sowohl sprachlich als auch sachlich lehnt sich Gregors Darstellung [sc. seiner eigenen conversio] zunächst sehr eng an die Erzählung im achten Buch der augustinischen Confessiones an.“ Hingegen akzentuiert DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 294–299 die Verschiedenheit beider Darstellungen. 402 Vgl. moral. epist. ad Leandrum 1 (CCL 143, 1): Quoniam diu longeque conuersionis gratiam distuli et postquam caelesti sum desiderio afflatus, saeculari habitu contegi melius putaui. 403 Vgl. moral. epist. ad Leandrum 1 (CCL 143, 1): Aperiebatur enim mihi iam de aeternitatis amore quid quaererem, sed inolita me consuetudo deuinxerat, ne exteriorem cultum mutarem. Cumque adhuc me cogeret animus praesenti mundo quasi specie tenus deseruire, coeperunt multa contra me ex eiusdem mundi cura succrescere, ut in eo iam non specie, sed, quod est grauius, mente retinerer. Quae tandem cuncta sollicite fugiens, portum monasterii petii et relictis quae mundi sunt, ut frustra tunc credidi, ex huius uitae naufragio nudus euasi.

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

aeternitatis amor) der mundi cura (oder dem praesens mundus) gegenüber. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Polen, das in Gregors Œuvre häufig erläutert wird und das seine Gedankenwelt entscheidend prägt, markiert das Lebensdrama des Menschen. Aus diesem Grund betrifft die conversio von temporalis zu aeternus die fundamentale Lebenseinstellung, die die existenzielle Orientierung jedes Menschen (entweder zum Himmlischen oder zum Irdischen) offenbart. Man darf weiterhin konstatieren, dass alle anderen conversiones gerade die Folge dieser grundlegenden Entscheidung sind. Wenn der Mensch sein Leben auf das Himmlische ausrichtet, dann wendet er sich vom Irdischen und Äußeren ab (conversio intus – foris). Er beweint seine Sünden (compunctio timoris) und, indem er den Frevel zu vermeiden sucht, wendet er sich der Gerechtigkeit (conversio Sünde – Gerechtigkeit) zu. Von der compunctio amoris getrieben, trachtet er nach der patria caelestis, in der die conversio temporalis – aeternus ihre endgültige Vollendung findet.

4. Spiritalis intelligentia Das Verhältnis zwischen der göttlichen und menschlichen Natur im inkarnierten Erlöser erläuterte Gregor in der Regel dergestalt, dass er die Menschennatur Christi als die äußere Hülle, in der der unsichtbare Gott weilt, betrachtete.404 Demnach identifizierte der Papst den Menschenkörper Christi mit dem biblischen Bild des Kleides (Offb 19, 16).405 Die Relation zwischen den beiden Naturen wird sinnbildlich in der Auslegung des Gleichnisses von der verlorenen Drachme (Lk 15, 8–10) dargestellt. Die Leuchte deutete der Papst allegorisch auf Christus und predigte: „Die Frau entzündete jedoch eine Leuchte, weil Gottesweisheit in Menschennatur erschien. Eine Leuchte ist ja ein Licht in einer irdenen Lampe; ein Licht in einer irdenen Lampe aber ist auch die Gottheit im Fleisch.“406

Dieses Verständnis des menschgewordenen Erlösers birgt auch epistemologische Konsequenzen. In der Auslegung von Ez 40, 3 beschrieb Gregor den Erlöser als den unter dem Tor Stehenden, sodass nur seine äußerliche Seite (sc. die Menschheit) zu sehen ist, während die innere (sc. die Gottheit) verborgen bleibt.407 Die Offenbarung des Herrn ist somit immer parti404

Vgl. moral. XXXIV, 23, 54 (CCL 143B, 1770f). Vgl. in Ezech. II, 1, 9 (CCL 142, 215): Quid enim uestimentum eius est, nisi corpus quod assumpsit ex Virgine? Nec tamen aliud eius uestimentum est, atque aliud ipse. Nam nostrum quoque uestimentum caro dicitur, sed tamen ipsi nos sumus caro, qua uestimur. 406 In euang. II, 34, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 651). 407 Vgl. in Ezech. II, 1, 15 (CCL 142, 219): Redemptor itaque noster, pro nobis misericorditer incarnatus, ante humanos oculos quasi in porta stetit, quia et per humanitatem 405

4. Spiritalis intelligentia

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ell. Seine menschliche Natur offenbarte Christus im Leiden, während er seine göttliche Natur in Wundern enthüllte. Gerade diese Art der Offenbarung war ein Stolperstein für das jüdische Volk. Als sie den Erlöser, von dem sie aufgrund der Verheißung der Propheten die Befreiung erwarteten, als sterblichen Menschen erblickten, wurden sie in ihrem Unglauben verwirrt. Sie sahen ihn hungern und dürsten, müde sein und schlafen und betrachteten ihn als bloßen Menschen. Als sie ihn aber Wunder wirken sehen, hielten sie ihn für mehr als einen Menschen.408 Diese Polarität der Offenbarung des Menschensohnes erklärte Gregor dadurch, dass Christus den menschlichen Augen gezeigt habe, was er von der menschlichen sterblichen Natur angenommen hatte, während er in sich selbst unsichtbar geblieben sei, d. h. die göttliche Natur vor menschlichen Augen verborgen habe.409 Das biblische Bild dieser These fand Gregor in der Versen der Hohenliedes: „Er blickt durch die Fenster, späht durch die Gitter“ (Hld 2, 9). Gregor legte diesen Vers auf Christus hin aus, weil der Erlöser wegen des partiellen Charakters der Offenbarung dem Menschen weder ganz sichtbar noch ganz unsichtbar ist. Da Christus sowohl Göttliches als auch Menschliches vollbrachte, „schaute er wie durch Fenster, beziehungsweise Gitter, auf die Menschen, auf dass er in den Wundertaten als Gott offenbar werde und im Leiden als solcher verborgen bliebe, in seinem Leiden als Mensch und dennoch in den Wundertaten als mehr denn als bloßer Mensch anerkannt werde.“410

Die Haltung der Juden gegenüber Christus und die Verstocktheit ihrer Herzen hinsichtlich des soteriologischen Wirkens Christi erläuterte Gregor in seinen Werken mehrmals näher.411 Den Grund für dieses Verhalten gegenüber Christus fand der Papst im Unglauben der Juden. Im Allgemeinen dachte Gregor, dass der Glaube an den Erlöser Zugang zum Verständnis der Offenbarungsweise Christi verschafft, die aus der Komplexität seiner Person hervorgeht. So beschrieb er bildhaft den Geist der Israeliten als von einer großen Wolke der Unwissenheit zugedeckt. Trotz der Kenntnis des uisibilis apparuit, et sese inuisibilem in diuinitate seruauit. Vgl. auch in Ezech. II, 2, 5 (CCL 142, 228). 408 Vgl. in Ezech. II, 1, 15 (CCL 142, 219f). 409 Vgl. in Ezech. II, 1, 15 (CCL 142, 219–220): Qui enim humanis oculis hoc quod de mortali natura assumpsit ostendit, et in seipso inuisibilis permansit, in aperto se uidere quaerentibus quasi post parietem stetit, quia uidendum se manifestata maiestate non praebuit. Quasi enim post parietem stetit, qui humanitatis naturam quam assumpsit ostendit, et diuinitatis naturam humanis oculis occultauit. Vgl. auch in euang. I, 7, 3 (FC 28/1, 132): Qui inter haec mysterium annuncians [sc. Ioannes], hunc in medio hominum et stetisse asserit, et nesciri: quia per carnem Dominus apparens, et visibilis exstitit corpore, et invisibilis maiestate. 410 In Ezech. II, 1, 15 (B ÜRKE, CMe 21, 277). 411 Vgl. darüber ausführlicher FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 164–169.

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Gesetzes und der Propheten lehnten sie den erwarteten Erlöser des Menschengeschlechtes ab, weil sie infolge ihrer Sündhaftigkeit und Ungläubigkeit von Finsternis umhüllt blieben.412 Die Ursache solcher Unwissenheit über Christus sah der Papst weiterhin in der jüdischen Fixierung auf das Sichtbare an Christus, d. h. auf seine menschliche Natur, weswegen sie seine unsichtbare göttliche Natur nicht erkennen konnten.413 Diese Orientierung auf das Sichtbare bzw. Irdische wird hier als Konsequenz des fehlenden geistigen Verständnisses (die spiritalis intelligentia) verstanden.414 In diesem Lichte kommentierte Gregor, dass Judäa, obschon es auf das Licht des Erlösers wartete, sein geistiges Auge angesichts des Lichtes schloss.415 In der Auslegung des Verses: Et quasi peregrinus fui in oculis eorum (Ijob 19, 15) behauptete der Papst, dass die Synagoge infolge ihrer ausschließlich äußerlichen Wahrnehmung den Erlöser in seinem eigenen Haus als den Fremden erachtete.416 Da die Juden die sichtbare leibliche Gestalt Christi verachteten, vermochten sie nicht, zur Erkenntnis seiner unsichtbaren Herrlichkeit zu gelangen.417 Eine solche Explikation des Verhältnisses zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem hinsichtlich der Wahrnehmung des Menschensohnes stellt keine Besonderheit in der Theologie Gregors dar. Analoge Thesen findet man vor allem in seiner Erkenntnistheorie und Bibelauslegung. Der gemeinsame Nenner all dieser Erläuterungen ist die Tendenz, nicht bei der äußeren Erscheinungform zu bleibt, sondern zu versuchen, die inneren Zusammenhänge bzw. das mysterium zu erfassen. Daher verweist Fiedrowicz auf die Analogie zwischen der jüdischen Interpretation der Gestalt Jesu und der buchstäblichen Exegese der Schrift und behauptet, dass es nach Gregor in beiden Fällen bei einer carnalis intelligentia bleibt, der das Ver412 Vgl. in Ezech. I, 2, 11 (CCL 142, 23): Vnde actum est ut eorum mens magna ignorantiae suae nube tegeretur, ne hunc post inquirentes agnoscerent, quem prius et denuntiare poterant, et amare renuebant. Nam cum modo eius uirtutes et miracula, modo autem passiones aspicerent, in infidelium cordibus nubes magna ab Aquilone uenerat, quia ex peccati sui frigore propter infirmitatem passionis illius et inter signa caligabant. Vgl. auch moral. XI, 19, 30 (CCL 143A, 603). 413 Vgl. in euang. II, 22, 4 (FC 28/2, 396): Deus autem apparuit in carne, laboravit ex nostra infirmitate. Quem laborem passionis eius dum increduli viderunt, eum venerari noluerunt. Quem enim videbant carne mortalem, dedignati sunt credere immortalem esse divinitate. Vgl. auch in euang. II, 22, 3 (FC 28/2, 394–396). 414 Vgl. auch F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 166: „Den Juden fehlte die spiritalis intelligentia, um aus der Sphäre der Exteriorität zur Interiorität zu gelangen.“ 415 Vgl. moral. IV, 11, 21 (CCL 143, 178). 416 Vgl. moral. XIV, 41, 49 (CCL 143A, 727f). 417 Vgl. moral. XIV, 41, 49 (CCL 143A, 728): Peregrinus ergo in eorum oculis fuit, quia dum sola quae uidere poterant cogitabant, non ualuerunt intellegere in Domino quod uidere non poterant. Dum enim despiciunt carnem uisibilem, non peruenerunt ad inuisibilem maiestatem.

4. Spiritalis intelligentia

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ständnis des tieferen mysterium fern ist.418 Für die Durchdringung der äußerlichen und die Wahrnehmung der innerlichen Realität wird die spiritalis intelligentia benötigt. Aus diesem Grund erkannten ausschließlich die Erwählten unter den Israeliten den Erlöser, weil sie mittels der spiritalis intelligentia in ihm den menschgewordenen Gott sahen.419 Die anderen bleiben infolge ihrer carnalis sapientia bei der rein empirischen Wahrnehmung des Erlösers und sehen in ihm den bloßen Menschen Jesu. Die Aufnahme ausschließlich der äußeren Phänomene und die Unmöglichkeit der geistigen Betrachtung der inneren Realitäten werden bei Gregor zum Charakteristikum aller reprobi.420 Das Fehlen der spiritalis intelligentia verwehrt ihnen die Einsicht in das richtige Verständnis der Heilsgeschichte und in das Verständnis des Sinnes der Menschenexistenz, weshalb sie auf die Reflexion des Äußerlichen fixiert bleiben. Diesem Gedankengang folgte Gregor in seinem Nachdenken über die reprobi hinsichtlich des Prinzips per visibilia ad invisibilia. Infolge ihrer carnalis intelligentia werden sie bei der Betrachtung des Irdischen nicht zum Inneren bzw. Himmlischen erhoben, sondern bleiben an das Äußerliche bzw. Iridische verhaftet.421 Das Verhaftetsein an das Äußerliche und Irdische hob Gregor gleichermaßen hinsichtlich der Häretiker hervor. Sie verfügen nur über eine carnalis sapientia, die sie zu einem falschen Gottes- und Schriftverständnis führt. Die Kirche dagegen sucht nicht solche Weisheit, weil sie diese in der wahren geistigen Einsicht übersteigt. 422 Die Erkenntnisweise der Häretiker beruht auf der terrena intelligentia, mittels derer sie das allein im Glauben fassbare mysterium erfassen wollen.423 In diesem Sinne interpretierte Gregor ohne explizite Erwähnung der Häretiker das Gebot Gottes, dass das Fleisch des Paschalammes weder roh noch im Wasser gekocht gegessen werden darf (Ex 12, 9). Da das rohe Fleisch des Lammes die Menschheit Christi und das Wasser das menschliche Wissen darstellt, darf das Fleisch weder roh noch im Wasser gekocht gegessen werden, weil der Mensch den Erlöser weder für einen bloßen

418

Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 166. Vgl. moral. XVIII, 49, 80 (CCL 143A, 943). 420 Vgl. moral. XXXIV, 4, 8 (CCL 143B, 1739); moral. III, 25, 49 (CCL 143, 146). Vgl. darüber FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 320. 421 Vgl. moral. XXX, 5, 20 (CCL 143B, 1504f). 422 Vgl. moral. VII, 34, 50 (CCL 143, 371): Haereticorum quippe substantia carnalis sapientia, non inconuenienter accipitur, qua dum peruerse fulciuntur, quasi in uerbis se diuites ostendunt; quam eo sancta Ecclesia non quaerit quo hanc spiritali intellectu transcendit. 423 Vgl. moral. III, 25, 49 (CCL 143, 146). FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 251, macht die Originalität des gregorianischen Häresieverständnisses in der eingehenden Analyse der verfehlten Erkenntnisweise der Häretiker deutlich. 419

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Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Menschen halten noch das Geheimnis der Inkarnation mittels der menschlichen Weisheit durchforschen darf. Gregor erläuterte weiter: „Jeder nämlich, der glaubt, unser Erlöser sei bloßer Mensch, was tut er anders, als das Fleisch des Lammes roh zu essen, das er offensichtlich nicht durch das Verständnis seiner Göttlichkeit kochen wollte? Jeder jedoch, der die Mysterien seiner Menschwerdung nach menschlicher Weisheit zu ergründen versucht, will das Fleisch des Lammes im Wasser kochen, das heißt, er will das Mysterium seines Heilsplanes mittels ungebundenen Wissens durchdringen.“424

Obschon eine ausdrückliche Identifikation der Vertreter beider Auffassungen fehlt, lässt sich angesichts der oben angeführten Deutung der carnalis intelligentia auf die Juden und Häretiker verweisen.425 Im Gegensatz zu solchen falschen Auffassungen über den inkarnierten Erlöser soll die Durchforschung des Heilsplanes Gottes mit dem Beistand des Heiligen Geistes unternommen, d. h. das Fleisch des Lammes im Feuer426 geröstet gegessen werden.427 Die Gebote des Gesetzes werden in der Kirche nicht in fleischlicher Weise beachtet, sondern durch geistige Einsicht erläutert.428 Deshalb stellt ausschließlich die Kirche den Ort des wahren Verständnisses des heilsgeschichtlichen Wirkens Christi dar. Nur innerhalb der Kirche kommt man in Besitz der richtigen Erkenntnisweise Gottes und der Welt bzw. nur in der Kirche wird man der spiritalis intelligentia teilhaftig.429 Christus selbst als Haupt der Kirche verleiht der Kirche den wahren Glauben. Deshalb schrieb der Papst, „dass der Eingeborene des Vaters deshalb Fleisch geworden ist, um uns in das geistige Gebäude, das heißt in den Glauben der heiligen Kirche einzuführen“430.

Die Häretiker jeglicher Art und Lehre, die aus kirchlicher Sicht außen stehen, verfügen nicht über eine solche geistige Erkenntnisweise, sondern nur über die mens carnalis, was ihre Welt- und Kirchenanschauung notwendigerweise depraviert. 424

In euang. II, 22, 8 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 409). Die gleiche Auslegung bietet Gregor bzw. Pierre de Cava in expos. in I Reg. 2, 32 (CCL 144, 140), wo als Vertreter beider Auffassungen explizit Juden und Häretiker angeführt werden. Vgl. FC 28/2, 408, Anm. 24. 426 Der Terminus Feuer (ignis) symbolisiert bei Gregor häufig den Heiligen Geist. Vgl. z. B. in Ezech. I, 2, 12 (CCL 142, 24): Ignis enim nomine, cum per significationem dicitur, aliquando Spiritus sanctus … De bono enim igne scriptum est: Ignem ueni mittere in terram, et quid uolo, nisi ut accendatur. Ignis quippe in terram mittitur cum per ardorem sancti Spiritus afflata terrena mens a carnalibus suis desideriis concrematur. Vgl. auch in euang. II, 33, 8 (FC 28/2, 636): Aut quis per ignem, nisi Spiritus sanctus figuratur … 427 Vgl. in euang. II, 22, 8 (FC 28/2, 408). 428 Vgl. in euang. II, 33, 8 (FC 28/2, 636). 429 Vgl. moral. XXV, 12, 30 (CCL 143B, 1255). 430 In Ezech. II, 1, 16 (B ÜRKE, CMe 21, 278). 425

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Diese depravierte Erkenntnisweise ist in Gregors Konzeption nicht nur ein Charakteristikum der Häretiker im strengen Sinne des Wortes, sondern auch der Juden und aller nicht zur Kirche Gehörenden. In der Auslegung des Verses: „Denn deine Brüste sind köstlicher als Wein“ (Hld 1, 2) stellte der Papst die Weisheit des Herrn und die weltliche Weisheit gegenüber. Da der Herr seine Weisheit aus pädagogischen Gründen mithilfe des Fleisches verkünden wollte, ließ er sie in den Brüsten zu Milch werden.431 Diese Brüste Gottes identifizierte Gregor mit der demütigen Verkündigung der Fleischwerdung Christi. Im Gegensatz dazu sah der Papst die weltliche Weisheit, die dem Wein ähnelt, der den Verstand berauscht. Durch solchen Wein, der dem Verstand die Demut nimmt, sind die Philosophen berauscht, die sich durch die weltliche Weisheit über die Sitte der anderen erheben.432 Solcher stolzen saecularis sapientia gebührt die Verachtung der Kirche, die nach der demütigen Verkündigung der Fleischwerdung Christi strebt.433 Die Auslegung des Verses (Hld 1, 2) schließt Gregor mit der Akzentuierung der Überlegenheit der Kirchenverkündigung gegenüber der saecularis sapientia: „Die ganze demütige Verkündigung deiner Fleischwerdung übertrifft die überhebliche Weisheit der Welt.“434

Die Parallelen zwischen den weltlichen Philosophen und den Häretikern sind in dieser Ausführung Gregors leicht nachzuweisen. Vor allem fällt die betonte Überheblichkeit der weltlichen Philosophie ins Auge. Der Hochmut der weltlichen Philosophie und der Philosophen korrespondiert mit dem Hochmut der Häretiker, der letztendlich die Ursache der Häresie ist. Als Ausgangspunkt der Häretiker betrachtete Gregor nämlich den Hochmut und behauptete, dass die verkehrten Behauptungen und Streitigkeiten der Ketzer ihren Ursprung in der stolzen Erhebung des Herzens haben.435 Die Überheblichkeit der Häretiker sah Gregor als eine allumfassende Geis431

Vgl. in cant. 13 (CCL 144, 15f). Vgl. in cant. 16 (CCL 144, 18): Sequitur: QVIA MELIORA SVNT VBERA TVA VINO. Vbera dei sunt, sicut prius diximus, humillimae incarnationis eius. Sapientia autem saeculi quasi quoddam uinum est: debriat enim mentem, quia ab intellectu humilitatis alienam reddit. Quasi quodam uino debriantur philosophi, dum per saecularem sapientiam uulgi morem transeunt. 433 Vgl. in cant. 16 (CCL 144, 18). Diese Stellungnahme gegenüber der weltlichen Philosophie, bzw. die betonte Idee der conuersio, sowie der gesamte Themenkomplex des Hohelied-Kommentars verweisten auf die Entstehung des Kommentars in der Zeit von Gregors Aufenthalt im Kloster des Heiligen Andreas (575–579). Vgl. darüber M ÜLLER, „fervorem discamus amoris“, 237 und MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 54. 434 In cant. 16 (FRANK, CMe 29, 106). 435 Vgl. moral. III, 22, 43 (CCL 143, 142): Haereticorum quippe locus ipsa superbia est quia nisi prius in corde intumescerent, ad prauae assertionis certamina non uenirent. Ita namque malorum locus superbia sicut est e contra humilitas locus bonorum. 432

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teshaltung an, die sich in verschiedenen Formen konkretisiert. Grundsätzlich stellt der Hochmut in der Theologie Gregors den Hintergrund jeglicher Aktion der Häretiker dar. Deshalb stehen die Äußerungen des Papstes über die Ketzer häufig im Einklang mit seinen Aussagen über den Widersacher Gottes.436 In diesem Lichte schrieb er, dass die Irrlehrenden Gott verachten und sich aus Hochmut gegen die Kirche wenden.437 Ebenso wie die weltlichen Philosophen blähen sich die Häretiker in ihrem nichtigen Wissen auf und verspotten die Einfalt der Rechtgläubigen. Die heilige Kirche bemüht sich dagegen in all ihrem Wissen um die Bewahrung der Demut.438 Als besonderes Kennzeichen der Häretiker charakterisierte Gregor ihre Anmaßung vor dem Geheimnis der göttlichen Lehre.439 Mit ihrem Verstand versuchen sie die Geheimnisse Gottes bzw. die unsichtbaren und unbegreiflichen Dinge zu ergründen und die anderen darüber in stolzer Dreistigkeit zu belehren.440 Diese Kritik des überheblichen Erkenntnisstrebens beinhaltet noch eine weitere Komponente, die das Wissensverständnis Gregors verdeutlicht. Der Papst schrieb: „Sie [sc. Häretiker] suchen die Dinge zu erforschen, die ihnen nicht zu einem besseren Leben verhelfen können. Was sie erforschen, liegt weit über ihnen, und im Streben nach dem, was sie nicht erfassen können, vernachlässigen sie, das zu erkennen, was sie innerlich umzuwandeln vermöchte!“441

Diese Kritik Gregors am überheblichen Erkenntnisstreben der Häretiker basiert also nicht nur auf der Abwesenheit der Ehrfurcht vor dem Geheimnis der göttlichen Lehre, sondern auch auf der falschen Intention solchen Strebens. Statt nach dem Wissen zu streben, das zu keinem besseren Leben führen kann, sollen sich die Häretiker dem Wissen widmen, das eine innere Umwandlung herbeiführt. Aus dieser Perspektive betrachtet, bekommt 436 In Hinsicht darauf merkt F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 251 über die Nutzung des Terminus singulariter an: „Gregor akzentuiert das Thema des übersteigenden Erkenntnisstrebens dadurch in charakteristischer Weise, dass er häufig den Terminus singulariter gebraucht. Jenes Wort tauchte zunächst bei der Beschreibung des Falles Satans auf, der sich von der Gemeinschaft der übrigen Engel absonderte, es wurde aber von Gregor auch häufig zur Beschreibung von Fehlformen in der Ausübung kirchlicher und weltlicher Vollmacht und Autorität verwendet.“ 437 Vgl. moral. praef. VII, 16 (CCL 143, 21); moral. III, 22, 43 (CCL 143, 142). 438 Vgl. moral. XIV, 28, 32 (CCL 143A, 717): Habent hoc haeretici proprium ut de inani scientiae suae arrogantia inflentur, et recte credentium simplicitatem saepe derideant, et nullius esse meriti uitam humilium ducant. At contra sancta Ecclesia in omne quod ueraciter sapit sensum suum humiliter deprimit ne scientia infletur … 439 Vgl. moral. XIV, 28, 32 (CCL 143A, 717). 440 Vgl. moral. XVI, 5, 8 (CCL 143A, 802); moral. XX, 8, 18 (CCL 143A, 1016): Omnes haeretici, dum in sacro eloquio plus secreta Dei student perscrutari quam capiunt, fame sua steriles fiunt; moral. III, 22, 45 (CCL 143, 144). 441 Moral. XX, 8, 18 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 183).

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Gregors Abneigung gegen die spekulative Theologie schärfere Umrisse. Als pastoral geprägter Theologe und in diesem Sinne viel eher ein Vorsteher der Kirchengemeinde als ein „professioneller Theologe“ betrachtete der Papst die kirchliche Lehre im Lichte der inneren Auferbauung des Menschen und der Kirche. Zu diesem Ziel tragen die spekulativen theologischen und den einfachen Gläubigen häufig kaum fassbaren Feinheiten wenig bei, weswegen Gregor diese Art der häretischen Beschäftigung mit der Theologie besonders schalt. Obschon der Papst hier explizit Häretikerkritik vorbrachte, kann man daraus auch seine Haltung gegenüber dem Wissen im Allgemeinen ablesen. Deshalb sei hier in Form eines kleinen Exkurses etwas über den Standpunkt Gregors hinsichtlich der Weltweisheit erwähnt.442 Wie Gregors Verhältnis zur weltlichen Kultur in der Nachwelt meist eingeschätzt wurde, konnte kaum deutlicher ausgedrückt werden als durch die Legende, dass er die Verbrennung der Bibliothek des Palatin anordnete, um der Lektüre der heidnischen Schriften ein Ende zu setzen.443 Obschon dieser Legende die Authenzitität bereits abgesprochen wurde und Gregors Stellungnahme anders beurteilt wurde444, bleibt dieses Thema immer noch aktuell. Hinsichtlich dieser Problematik wird häufig auf Gregors Epistola Dedicatoria zu den Moralia in Iob hingewiesen. In diesem Widmungsschreiben, in dem der Papst die Entstehungsbedingungen des Werkes und die exegetischen Prinzipien wiedergab, lehnte er die Beachtung der Normen der heidnisch-antiken Rhetorik und der Regeln des Grammatikers Aelius Donatus entschieden ab: „Deshalb habe ich es verschmäht, mich an die Rhetorik zu halten, welche der äußerliche Lehrbetrieb in Szene setzt. Wie schon der Grundzug dieses Briefes zeigt, fliehe ich nicht den ‚Metacismus‘ genannten Zusammenprall [von M-Lauten], und ich meide nicht die Sprachvermengung des ‚Barbarismus‘; ich lege keinen Wert auf Stellung und Ablauf der Wörter und die Fälle der Propositionen, denn ich halte es ganz energisch für unwürdig, die Worte der himmlischen Weissagung den Regeln des Donat zu unterwerfen.“445

Aufgrund dieses Abschnitts kann Gregor die Ablehnung der antiken Bildung nicht unterstellt werden. Es geht zudem eindeutig daraus hervor, dass die Frage der Hierarchie zwischen dem weltlichen Wissen und der Autorität der Heiligen Schrift für Gregor nicht existiert. Die christliche Lehre ist 442 Für die ausführlichere Darstellung des Verhältnisses Gregors zu Bildung und Kultur vgl. KESSLER, Gregor der Große, 139–158. Die Rückschlüsse, die KESSLER aus dem Buch expos. in I Reg. zieht, sind jedoch mit Vorbehalt anzunehmen, da das Werk wahrscheinlich nicht authentisch ist. 443 Vgl. darüber B UDDENSIEG, Gregory the Great, Destroyer of Pagan Idols. 444 Vgl. z. B. DAGENS, Grégoire le Grand et la culture. 445 Moral. epist. ad Leandrum 5 (übers. von MICHEL, Wo das Lamm watet, 83).

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jedem anderen Wissen klar überlegen, so dass die Worte der himmlischen Weissagung keinen irdisch-weltlichen Regeln unterworfen sein können. Anschließend fügte Gregor selbst hinzu, dass er solche Stellungnahmen mit der Autorität der Kirchenväter begründete.446 Das zweite Kriterium, das häufig zur Charakterisierung von Gregors Verhältnis zur weltlichen Wissenschaft herangezogen wird, befindet sich in seinem Brief an den gallischen Bischof Desiderius von Vienne.447 Aus dem Brief erfährt man, dass Desiderius einem Zuhörerkreis Grammatik bzw. antike (heidnische) Werke auszulegen pflegte. Über eine solche Tätigkeit war Gregor betrübt und kritisierte sie sehr scharf, indem er unter anderem behauptete, dass sich das Lob Christi mit dem Lob des Jupiters in einem Mund nicht verträgt. Das Studium der geschwätzigen weltlichen Literatur assoziierte der Papst mit der Befleckung des Herzens durch das lästerliche Lob der Frevler.448 Diese Ausdrucksweise des Papstes lässt keinen Spielraum für Spekulationen hinsichtlich seiner Beurteilung der heidnischen Literatur und des angeblichen Auftretens des Bischofs.449 446

Vgl. Moral. epist. ad Leandrum 5 (CCL 143, 7): Neque enim haec [sc. regulae Donati] ab ullis interpretibus, in scripturae sacrae auctoritate seruata sunt. Ex qua nimirum quia nostra expositio oritur, dignum profecto est, ut quasi edita soboles speciem suae matris imitetur. Infolgedessen können die mögliche Inspirationsquelle Augustinus und Hieronymus sein. Vgl. AUGUSTINUS, doctr. christ. III, 3, 7 (CCL 32, 81); HIERONYMUS, in Hiez. V, Praef. (CCL 75, 185). Das Spannungsverhältnis zwischen der christlichen Wissenschaft und der antiken Bildung schildert Hieronymus meisterhaft in seinem Traum, in dem ihm vorgeworfen wurde, eher Ciceronianus als Christianus zu sein. Vgl. H IERONYMUS, epist. 22, 30 (CSEL 54, 189–191). Über die Haltung des Hieronymus gegenüber der antiken Bildung vgl. F ÜRST, Hieronymus, 138–144. Vgl. dazu auch WILLIAMS, The Monk and the Book. 447 Vgl. epist. XI, 34 (CCL 140A, 922f). Über Bischof Desiderius vgl. auch S CHEIBELREITER , Der Bischof in merowingischer Zeit, 59, 67. 448 Vgl. epist. XI, 34 (CCL 140A, 922): Sed post hoc peruenit ad nos quod sine uerecundia memorare non possumus, fraternitatem tuam grammaticam quibusdam exponere. Quam rem ita moleste suscepimus, ac sumus uehementius aspernati, ut ea quae prius dicta fuerant in gemitu et tristitia uerteremus, quia in uno se ore cum Iouis laudibus Christi laudes non capiunt. Et quam graue nefandumque sit episcopo canere quod nec laico religioso conueniat, ipse considera … Vnde si post hoc euidenter ea quae ad nos perlata sunt falsa esse claruerint, neque uos nugis et saecularibus litteris studere constiterit, et Deo nostro gratias agimus, qui cor uestrum maculari blasfemis nefandorum laudibus non permisit … Hinsichtlich der heidnischen Schriften findet man eine ähnliche Stellungnahme bei Isidor von Sevilla. Vgl. darüber GEMEINHARDT, Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung, 308f. 449 Gregor schrieb ausdrücklich, dass eine solche Beschäftigung mit den heidnischen Werken für einen Bischof verabscheuungswürdig (exsecrabilis) ist. Vgl. epist. XI, 34 (CCL 140A, 922): Et quamuis dilectissimus filius noster Cadidus presbyter postmodum ueniens hac de re subtiliter requisitus negauerit atque uos conatus fuerit excusare, de nostris tamen adhuc animis non recessit, quia quanto exsecrabile est hoc de sacerdote enarrari, tanto, utrum ita necne sit, districta et ueraci oportet satisfactione cognosci.

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Das bedeutet jedoch keine allgemeine Ablehnung der antiken Bildung und Wissenschaft. Gregor selbst war keineswegs der antiken Grammatik und Rhetorik sowie der Klassiker der lateinischen Literatur unkundig.450 In seinen Werken lassen sich die Elemente auffinden, die auf seine profane Ausbildung zurückzuführen sind.451 Wie die anderen Kirchenväter, die mit der Problematik der Relation der profanen Wissenschaft und der christlichen Lehre konfrontiert wurden, dachte Gregor trotz der verbalen Ablehnung der Weltweisheit in den Denkformen seiner Zeit, und seine Ausbildung stellte ihm das Instrumentarium und die Ausdrucksweise für die Entfaltung der christlichen Lehre bereit. Dies bedeutet andererseits aber auch, dass Gregor die antike säkulare Wissenschaft, die im späten sechsten Jahrhundert ohnedies im Verfall begriffen war,452 lediglich als ein Mittel zur Entfaltung der göttlichen Lehre betrachtete. Hinsichtlich des Briefes an Bischof Desiderius wird weiterhin deutlich, dass das Verhältnis Gregors gegenüber dem antiken säkularen Wissen nicht pauschalisiert werden darf. Mit anderen Worten: Die antike Weltweisheit soll nicht künstlicherweise als eine Totalität betrachtet werden. Wenn Gregor also in der Auslegungspraxis eine Position in Bezug auf die Regeln der Grammatiker einnahm und somit eine gewisse Beachtung dieser Regeln absichtlich oder unabsichtlich zugab, so untersagte er dezidiert die Lektüre heidnischer Literatur. Bei der Beurteilung der Haltung Gregors gegenüber der Weltweisheit soll noch ein weiterer Aspekt beachtet werden. Weil der Papst ein vor allem praktisch orientierter Theologe war und hinsichtlich seines Vorbehaltes gegenüber dem oben dargestellen Erkenntnisstreben der Häretiker nach Wissen, das keine innere Umwandlung herbeiführt, könnte Gregors Frage in Bezug auf die heidnische Literatur lauten: Wozu soll man sich mit den heidnischen Schriften beschäftigen? Ein Insofern bleibt weitgehend unklar, mit welcher Begründung KESSLER, Gregor der Große, 148f behauptet: „Gregor äußert sich darüber befremdet, dass ein Bischof seine pastoralen Pflichten vernachlässigt, indem er Grammatik lehrt ... Gregor ist im Falle des Desiderius dadurch alarmiert, dass er als kirchlicher Amtsträger vor einem elitären literarischen Zirkel klassische Texte interpretiert und dabei seine eigentliche pastorale Verpflichtung als Verkündiger vernachlässigt.“ Aufgrund des Briefes ist das Motiv für die Kritik Gregors nicht in der Vernachlässigung der pastoralen Pflichten (das kommt gar nicht zur Sprache!), sondern in der Lehrtätigkeit bzw. in der Beschäftigung mit solchen Schriften überhaupt zu suchen. 450 Vgl. EVANS, The Thought of Gregory the Great, 29–35; GILLET, Grégoire I. le Grand, 1391. 451 KESSLER, Gregor der Große, 152f stellt fest, dass Gregor sich bei der Exegese der Moralia in Iob an die Vorgehensweise der Grammatiker anlehnt. 452 Vgl. MARKUS, The End of the Ancient Christianity, 222: „In Western Europe the late sixth century marks a real break with the world of antiquity, closed off access to much of its intellectual culture, and even more drastically, to its ways of looking at, understanding and speaking about that world.“

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Voranschreiten im spirituellen Leben bzw. eine innere Umwandlung erreicht man in Gregors Konzeption dadurch bestimmt nicht. Ja sogar durch solche für jeden religiösen Laien (geschweige denn für den Bischof) unschickliche Praxis453 vermag man sich selbst nur geistigen Schaden zuzufügen. Obschon diese Vorstellung als allzu simplifiziert erscheinen mag, sollte man jedoch bei deren Beurteilung den ausgesprochen katechetischen Charakter der Theologie des Papstes sowie das Theologieverständnis Gregors beachten. Zusammenfassend lässt sich über Gregors Verhältnis zum antiken weltlichen Gedankengut feststellen, dass der Papst keinesfalls das weltliche Wissen im Allgemeinen ablehnte,454 zumal er einen differenzierten Gebrauch praktizierte oder mindestens eine differenzierte Haltung einnahm. Ein gewisser Vorbehalt des Papstes gegen die profane Wissenschaft, die für ihn häufig mit der Manifestation des Hochmuts korrespondiert, bleibt jedoch latent vorhanden.455 Zur Illustration dieser subalternen Stellung des säkularen Wissens sei eine Episode aus der Benediktsvita, über den Gregor im Prolog des zweiten Buches der Dialoge berichtete, herangezogen. Benedikt, der aus angesehener Familie in der Gegend von Nursia stammte, wurde zu Ausbildung und Studium nach Rom geschickt. Sein Aufenthalt in Rom war von kurzer Dauer, weil der junge Benedikt dem lästerlichen Leben der Haupstadt entfloh: „Er verschmähte also das Studium, verließ Vaterhaus und Vermögen und begehrte in dem Verlangen, Gott allein zu gefallen, das Ordenskleid. So zog er sich zurück, mit Wissen unwissend und in Weisheit ungelehrt.“456

Trotz der Stilisierung nach dem Maßstab der hagiographischen Literatur wird in diesem Bericht die Abkehr Benedikts von der sündhaften Welt und dem Weltwissen vom Papst hoch gelobt. Angesichts Gregors Betrachtung des Lebens Benedikts als eines musterhaften christlichen Lebens bekommt die Charakterisierung des jungen Benedikt als scienter nescius et sapienter indoctus457 zusätzliche Bedeutung. Eine weitere Relativierung der Wichtigkeit der weltlichen Weisheit findet sich in Gregors Darstellung des Abts Stephanus. Der Papst schilderte Stephanus als einen überaus heiligmäßigen Mann, dessen Geist trotz der Schlichtheit seiner Sprache gebildet war.458 453

Vgl. epist. XI, 34 (CCL 140A, 922f). Eine Beurteilung in dieser Richtung bietet MOORHEAD, Gregory the Great, 27: „Gregory expressed disdain for worldly knowledge“. 455 Vgl. z. B. moral. XIII, 10, 13 (CCL 143A, 676). 456 Dial. II, praef. (FUNK, BKV2 3, 50). 457 Dial. II, praef. (SC 260, 126). 458 Vgl. in euang. II, 35, 8 (FC 28/2, 700): Fuit quidam diebus nostris Stephanus nomine, pater monasterii iuxta reatinae urbis moenia constituti, vir valde sanctus, virtute patientiae singularis … Erat autem huius lingua rustica, sed docta vita. 454

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Das Objekt der Relativierung des formellen Wissens wird bei Gregor sogar die christliche Lehre schlechthin. In der Erzählung über den Priester Sanctulus aus der Provinz Nursia hob Gregor das einfältige Gemüt und die Tugendhöhe dieses ehrwürdigen Priesters hervor, der nicht einmal des Fundamentes der christlichen Wissenschaft mächtig war: „Er kannte die Gesetzesvorschriften nicht, aber weil die Erfüllung des Gesetzes die Liebe ist, so hielt er das ganze Gesetz in der Liebe Gottes und des Nächsten, und was er nach außen hin an Wissen nicht besaß, das lebte er in ihm durch die Liebe ... Stellen wir, wenn es dir recht ist, einen Vergleich an zwischen unserer ungelehrten Wissenschaft und seiner gelehrten Unwissenheit. Gerade in dem Punkt, in welchem unsere Wissenschaft darniederliegt, ragt die seinige hoch empor.“459

Die Hervorhebung der docta ignorantia des Sanctulus samt den Beispielen Benedikts und des Abtes Stephanus zeigt, dass Gregor die Bedeutung des Wissens als solches vor allem aus der soteriologischen Perspektive betrachtete. Deshalb kann man von einem heilbringenden Wissen sprechen, ohne dabei in eine Reduzierung bzw. Vereinfachung von Gregors Wissensverständnis zu verfallen. Hinsichtlich der Antithese intus – foris ist bei Gregor dieses heilbringende Wissen kein Produkt der äußeren wissenschaftlichen Beschäftigung mit weltlichen oder sogar christlichen Schriften, sondern vielmehr die Frucht der inneren Einsicht, derer der Mensch ausschließlich innerhalb der Kirche teilhaftig wird. Gregors Abgrenzung vom jüdischen Unglauben, von der carnalis sapientia der Häretiker sowie von der säkularen Wissenschaft weist auf die Kirche als auf den einzigen Ort hin, an dem dieses heilbringende Wissen erworben werden kann. Aus diesem Grund wurde bei Gregor die Einzigartigkeit des Erkenntnisvorgangs der Kirche wie auch die kirchliche Erkenntnis selbst betont. In seiner Konzeption stellt die Demut die Voraussetzung für Erkenntnis wie auch eine Erkenntnisweise dar. Durch die demütige Betrachtung der himmlischen Geheimnisse vermag der Mensch nämlich einiges davon zu ergünden.460 Das nicht Begriffene wird zum Objekt der demütigen Anbetung und soll dem Heiligen Geist überlassen werden.461 Bildhaft explizierte Gregor dies in der Auslegung des Verses: „Wenn aber am Morgen noch etwas übrig ist, dann verbrennt es im Feuer“ (Ex 12, 10), indem er predigte, dass das Übriggebliebene vom Lammfleisch dem Feuer übergeben bzw. dass das von heiligen Mysterien nicht Erfassbare der Macht des Heiligen Geis-

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Dial. III, 37 (FUNK, BKV2 3, 181). Vgl. in Ezech. II, 1, 18 (CCL 142, 223) 461 Vgl. moral. XX, 8, 19 (CCL 143A, 1017): Ad contra hi qui in sancta Ecclesia ueraciter sunt humiles et ueraciter docti, norunt de secretis caelestibus et quaedam considerata intellegere et quaedam non intellecta uenerari, ut et quae intellegunt ueneranter teneant, et quae necdum intellegunt humiliter exspectent. 460

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tes vorbehalten sein soll.462 Solches Verhalten eröffnet den Erwählten den Zugang zu den himmlischen Geheimnissen, der den Häretikern wegen ihrer hochmütigen Selbstüberschätzung verwehrt bleibt.463 Infolgedessen vermögen die Häretiker hinsichtlich der Heiligen Schrift kaum die äußere Dimension des Wortes Gottes zu erfassen, weil sie von der Wahrheit weit entfernt sind.464 Dass die spiritalis intelligentia der innerkirchlichen Erfahrung vorbehalten ist, verdeutlicht er ganz ausdrücklich: „Von der himmlischen Gnade unbelehrt, ... können sie [die Häretiker] zwar versuchen, sie [die Heilige Schrift] von außen her zu erfassen, zu ihrem inneren Sinn gelangen sie jedoch nicht, weil sie von der Gemeinschaft der universalen Kirche getrennt sind.“465

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen der Kirche und den Häretikern ist laut Gregor auf der Antithese temporalis – aeternus bzw. auf der Diesseits- oder Jenseitsorientierung gegründet. Diese Unterscheidung entfaltete Gregor vor dem Hintergrund der irdischen Bedrängnis der Kirche. Die irdische Drangsal der Kirche betrachtete der Papst als einen Bestandteil der Heilsgeschichte, durch den die Kirche geläutert zur patria caelestis voranschreitet. Dieses Verständnis des irdischen Leidens besitzen die Häretiker nicht, weil sie durch die saecularis sapientia nur die äußere Seite des Geschehens wahrnehmen und somit den eigentlichen, inneren Sinn nicht erfassen können.466 Indem sie also mit der terrena intelligentia die eschatologische Dimension der Wirklichkeit keinesfalls zu erkennen vermögen, bleiben die Häretiker stets diesseitsorientiert.467 Die eschatolo462

Vgl. in euang. II, 22, 8 (FC 28/2, 410): Sed quia valde difficile est, ut omne sacrum eloquium possit intelligi, et omne eius mysterium penetrari, recte subiungitur: „Si quid autem remanserit, igne comburetis.“ Quod ex agno remanet, igne comburimus, quando hoc, quod de mysterio incarnationis eius intelligere et penetrare non possumus, potestati sancti Spiritus humiliter reservamus: ut non superbe quis audeat vel contemnere vel denunciare quod non intelligit: sed hoc igni tradit, cum sancto Spiritui reservat. 463 Vgl. moral. XX, 8, 19 (CCL 143A, 1018): Quae plerumque humilitas ea etiam electorum sensibus aperit, quae ad intellegendum impossibilia esse uidebantur. Nam peruersae haereticorum mentes dum sibi superbe intellectum tribuunt, quasi certas dare sententias etiam de incognitis preasumunt. Vgl. auch moral. XXV, 12, 30 (CCL 143B, 1256). 464 Vgl. moral. XX, 8f, 19f (CCL 143A, 1018f). Vgl. auch moral. XVIII, 13, 20 (CCL 143A, 898). 465 Moral. XX, 9, 20 (übers. von F IEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 183). 466 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 247f. 467 Vgl. moral. III, 24, 47 (CCL 143A, 145): Haeretici quippe cum sanctae Ecclesiae facta considerant, oculos leuant, quia uidelicet ipsi in immo sunt et cum eius opera respiciunt, in alto sunt sita quae cernunt; sed tamen hanc in dolore positam non cognoscunt. Ipsa quippe appetit hic mala recipere ut possit ad aeternae remunerationis praemium purgata peruenire. Plerumque prospera metuit et disciplina eruditionis hilarescit. Hae-

5. Die Diskussion mit dem Patriarchen Eutychios

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gische Dimension, die das Verständnis der Weltgeschehnisse aus dem Blickwinkel des Glaubens ermöglicht, wird dagegen in der Kirche begreifbar. Nur die Kirche vermag die irdische Einsicht durch die spiritalis intelligentia zu übersteigen und somit dem Menschen das Heilsfundament zu verschaffen.

5. Die Diskussion mit dem Patriarchen Eutychios Wenngleich in dieser Arbeit mehrmals darauf hingewiesen wurde, dass sich Gregor mit der systematischen Theologie wenig beschäftigte, heißt das nicht, dass der Papst den christologischen Kontroversen seiner Zeit aus dem Wege ging. Die passende Illustration dafür bietet Gregors Diskussion mit dem Patriarchen Eutychios von Konstantinopel über die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes.468 Als päpstlicher Apokrisiar in Konstantinopel setzte sich Gregor mit der Behauptung des Patriarchen auseinander, dass der Auferstehungsleib impalpabile, uentis aereque subtilius sei.469 Diese These hielt Gregor für inakzeptabel, weil sie in seinen Augen die Wahrhaftigkeit der Auferstehung der Gläubigen in Frage stellt.470 Als Prolegomenon zu dieser in polemischer Form dargebotenen Auseinandersetzung problematisiert Gregor die Frage nach der Beschaffenheit des Auferstehungsleibes: „Ich glaube nämlich, dass ich auferstanden bin, doch will ich auch wissen, wie. Ich muss ja wissen, ob ich in einem anderen, womöglich sehr feinen oder ätherischen Körper auferstehe oder in dem, in dem ich sterbe. Wenn ich allerdings in einem ätherischen Körper auferstehe, so werde nicht ich es sein, der aufersteht. Denn wie soll es eine wirkliche Auferstehung sein, wenn das Fleisch nicht wirklich Fleisch ist?“471

retici igitur, quia pro magno praesentia appetunt, eam in uulneribus positam non cognoscunt. Vgl. auch moral. XV, 33, 39 (CCL 143A, 774); moral. XV, 43, 49 (CCL 143A, 779). 468 Vgl. darüber ausführlicher GRESCHAT, Die Moralia in Job, 149–155; DUVAL, La Discussion entre l’apocrisiaire Grégoire et la patriarche Eutychios; MÜLLER-ABELS, Auferstehung bei Gregor dem Großen. 469 Vgl. moral. XIV, 56, 72 (CCL 143, 743): Dum aperte pellis dicitur, omnis dubitatio uerae resurrectionis aufertur; quia non, sicut Eutychius Constantinopolitanae urbis episcopus scripsit, corpus nostrum in illa resurrectionis gloria erit imapalpabile, uentis aereque subtilius. 470 Infolgedessen merkt GRESCHAT, Die Moralia in Job, 152 treffend gegen FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 240 an, dass Gregor trotz aller Differenzen Eutychios nie als einen Häretiker bezeichnete. 471 Moral. XIV, 55, 71 (CCL 143, 743): Credo namque quia resurrecturus sim, sed uolo ut audiam qualis. Sciendum quippe mihi est, utrum in quodam alio subtili fortasse, uel aereo, an in eo quo moriar, corpore resurgam. Sed si in aereo corpore surrexero,

234

Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Diese zunächst christologisch geprägte Debatte entfaltete sich für Gregor also zu einer vornehmlich soteriologischen Problematik. In diesem Disput setzte er den Akzent auf die Tatsache, dass der Erlöser selbst in wahrem Fleisch auferstand.472 Die Versicherung des Kontinuums zwischen dem irdischen und dem auferstandenen Körper Christi ist für Gregor deswegen von Belang, weil die Auferstehung Christi das Unterpfand der Auferstehung der Kirche als des Leibes Christi darstellt.473 Eine Reihe von Bibelstellen in den Ezechielhomilien, in denen diese Fragen auch erläutert werden, offenbart das Pastoralanliegen Gregors in dieser Problematik.474 Die Kritik Gregors gegenüber denen, die an der Auferstehung des Fleisches Zweifel haben, stellt diese Darstellung dezidiert in den pastoralen Kontext.475 Dass dem Papst diese Problematik besonders am Herzen liegt, wird weiterhin aus seiner Akzentuierung der Vergeblichkeit des christlichen Glaubens ohne den festen Glauben an die Auferstehung des Fleisches deutlich.476 Wenn auch diese pastorale Motivation in der Diskussion mit dem Patriarchen nicht so explizit und ausführlich wie in den Evangelienhomilien und in den Ezechielhomilien vorhanden ist, steht doch fest, dass gerade die Pastoralsorge das Motiv Gregors für diese Diskussion war.477 Nachdem er im ersten Teil der Diskussion den gegenseitigen Austausch von Argumenten, der vor allem auf Bibelstellen basierte, dargestellt hatte, wandte sich Gregor der Präsentation der rechten Auferstehungslehre zu. Als ausschlagiam ego non ero qui resurgo. Nam quomodo est uera resurrectio, si uera esse non poterit caro? 472 Vgl. in Ezech. II, 8, 9 (CCL 142, 343); moral. XIV, 56, 73 (CCL 143, 745). 473 Vgl. in Ezech. II, 8, 6 (CCL 142, 340): Exsurrexit enim Dominus in requiem suam cum carnem suam de sepulcro suscitauit. Post hunc quoque exsurgit et arca, quia resurgit Ecclesia. 474 Vgl. in Ezech. II, 8, 6 (CCL 142, 339–341). 475 Vgl. in Ezech. II, 8, 6 (CCL 142, 339): Sed quia sermo nobis de carnis resurrectione se intulit, triste nimis et ualde lugubre est quod quosdam in Ecclesia stare, et de carnis resurrectione dubitare cognoscimus; in euang. II, 26, 12 (FC 28/2, 492): Sed quia sunt nonnulli, qui de resurrectione carnis incerti sunt, et hanc tunc rectius docemus, si etiam cordium vestrorum quaestionibus occultis occurrimus: pauca nobis de ipsa resurrectionis fide loquenda sunt. Vgl. über den pastoralen Kontext der Erläuterung über die Auferstehung MÜLLER-ABELS, Auferstehung bei Gregor dem Großen, 456–459. 476 Vgl. in Ezech. II, 8, 10 (CCL 142, 343): Qui tamen si resurrectionem carnis non credis, omnia sine causa credidisti … 477 Denselben Gedankengang verfolgt GRESCHAT, Die Moralia in Job, 155: „Gregors explizites Bekenntnis und sein Beharren auf der wahren leiblichen natura des Auferstehungsleibs Christi entspringt jedoch weniger der Engstirnigkeit eines aus dem Westen stammenden Apokrisiars, dem die Feinheiten der theologischen Diskussion in der Hauptstadt fremd geblieben sind, als wiederum auch hier dem Anliegen, sein als corpus Christi angesprochenes Auditorium mit dem Beispiel der wahrhaft leiblichen Auferstehung zu versichern.“

5. Die Diskussion mit dem Patriarchen Eutychios

235

gebenden Beweis für seine These zog er die Worte Ijobs (19, 25–27) heran: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und ich am jüngsten Tag von der Erde auferstehen werde, und ich werde wieder von meiner Haut umhüllt werden und in meinem Fleische Gott schauen. Ich selbst werde ihn schauen, und meine Augen werden ihn sehen und kein anderer.“478

Diese Aussage Ijobs lässt Gregor keinen Zweifel mehr über die wahre Natur des auferstandenen Körpers hegen: Quid ergo remanet unde possit mens nostra dubitare?479 Ijobs Glaube an die wahre Auferstehung des Körpers noch vor der Auferstehung Christi sah Gregor sogar als das Gericht für diejenigen an, die trotz des exemplum Redemptoris die wahrhaftige Auferstehung des Fleisches infrage stellen.480 Gregor kritisierte solche Menschen, die irrtümlich behaupten, dass der Auferstehungsleib untastbar und subtil sein wird. Wie soll der auferstandene unsichtbare Körper als Fleisch bezeichnet werden, wenn ein solcher Körper die substantia carnis nicht hat? Gregor erkennt darin eine ontologische Wesensverschiedenheit zwischen dem verstorbenen und dem auferstandenen Fleisch.481 Solchen Ansichten widerspricht jedoch Ijob selbst, wenn er sagt: „Ich selbst werde ihn schauen, und meine Augen werden ihn sehen und kein anderer“ (Ijob 19, 27). Anhand dieser Worte argumentierte Gregor für seine Position in dieser Diskussion und legte seine Lehre von der Auferstehung offen: „Wir aber, die wir dem Glauben des seligen Ijob anhängen und daran glauben, dass unser Erlöser nach der Auferstehung in Wahrheit einen Körper aus Fleisch und Blut hatte, bekennen, dass unser Fleisch nach der Auferstehung zugleich derselbe und ein anderer sein wird: derselbe nach der Natur, ein anderer nach der Herrlichkeit; derselbe nach der Wahrheit, ein anderer nach der Kraft. Er wird also von großer Feinheit sein, denn er wird auch unvergänglich sein. Er wird Fleisch und Blut sein, denn das Wesen der wahren Natur wird er nicht verlieren.“482

478

Übersetzung in in Ezech. II, 8, 6 (B ÜRKE, CMe 21, 405). Moral. XIV, 56, 76 (CCL 143, 745). 480 Vgl. moral. XIV, 56, 76 (CCL 143, 746): Si itaque iste uir sanctus ante effectum resurrectionis dominicae reducendam carnem in integro statu credidit, quis erit reatus nostrae dubitationis, si uera carnis resurrectio nec post exemplum creditur Redemptoris? 481 Vgl. moral. XIV, 57, 77 (CCL 143, 746): Si enim, sicut quidam errorum sequaces arbitrantur quia post resurrectionem corpus palpabile non erit sed inuisibilis corporis subtilitas caro uocabitur, quamuis substantia carnis non sit, profecto alius est qui moritur et alius qui resurgit. 482 Vgl. moral. XIV, 57, 77 (CCL 143, 746): Nos autem beati Iob fidem sequentes et Redemptoris nostri post resurrectionem corpus palpabile ueraciter credentes, fatemur carnem nostram post resurrectionem futuram et eamdem et diuersam: eamdem per naturam, diuersam per gloriam; eamdem per ueritatem, diuersam per potentiam. Erit itaque subtilis, quia et incorruptibilis. Erit palpabilis, quia non amittet essentiam ueracis naturae. Vgl. auch in Ezech. I, 7, 19 (CCL 142, 95). Ähnlich AUGUSTINUS, civ. XXII, 21 479

236

Kapitel V. Die Annäherung an die patria caelestis

Die Argumentationsweise in diesem Abschnitt zeigt erneut, wo für Gregor der Schwerpunkt der Diskussion liegt. Der Papst handelte die Tatsache der wahren Auferstehung Christi schnell ab, um seinen Zuhörern die Erläuterung über die Auferstehung des Menschen bzw. der Kirche vorzuführen. Ekklesialen Charakter bekommt diese Disskusion, indem Gregor anschließend Ijob als Typos für die Kirche betrachtete. So schrieb er Ijobs Bekenntnis zur Auferstehung gleichermaßen der Kirche zu.483 Die Worte Ijobs, d. h. Gregors Interpretation der Worte Ijobs, drücken also den Glauben der Kirche an das Wiederkommen Christi und an die wahre Auferstehung Christi und seines Leibes bzw. der Kirche aus. Andererseits untermauerte Gregor durch diese Konstellation bewusst oder unbewusst auch die eigene Position in der Diskussion mit dem Patriarchen und den anderen, die abweichende Ansichten über die Beschaffenheit des Auferstehungsleibs hatten. Noch vor diesem Bekenntnis Ijobs ließ Gregor seine Auffassungen nicht unbestätigt bleiben. In moral. XIV, 56, 74 informierte er nämlich sein Auditorium bereits über den Ausgang des Streites mit dem Patriarchen. Da sich der Streit zwischen Gregor und dem Patriarchen in die Länge zog, intervenierte der Kaiser Tiberius Konstantin selbst und rief die beiden Parteien zu sich zusammen. Nachdem der Kaiser die Auffassungen beider Kontrahenten erwogen hatte, erklärte er Gregors Ansichten für orthodox. Das Buch des Eutychios über den Auferstehungsleib ließ der Kaiser hingegen verbrennen.484 Diese Anerkennung von Seiten der staatlichen Macht wird durch eine weitere Episode aus dem Privatleben deutlich hervorgehoben. Im Anschluss berichtete Gregor, dass er und der Patriarch unmittelbar nach dem Entschluss von einer Krankeit befallen wurden. Gregor erholte sich gleich davon, Eutychios hingegen starb. Auf dem Sterbebett liegend änderte der Patriarch seine früheren Ansichten hinsichtlich des Auferstehungsleibes. In Anwesenheit von Besuchern fasste er die Haut seiner Hand an und sagte: „Ich bekenne, dass wir alle in diesem Fleisch auferstehen werden.“485 (CCL 47, 841): Erit ergo spiritui subdita caro spiritalis, sed tamen caro, non spiritus; sicut carni subditus fuit spiritus ipse carnalis, sed tamen spiritus, non caro. 483 Vgl. moral. XIV, 58, 78 (CCL 143, 747): Sed quia uenturum diem resurrectionis innotuit, iam nunc seu uoce sua, seu typo sanctae et uniuersalis Ecclesiae prauorum facta redarguit; et iudicium quod in resurrectionis diem sequitur praedicit. 484 Vgl. moral. XIV, 56, 74 (CCL 143, 745). 485 Vgl. moral. XIV, 56, 74 (CCL 143, 745): A quo ut egressi sumus, me aegritudo ualida, eumdem uero Eutychium aegritudo et mors protinus est secuta. Quo mortuo, quia paene nullus erat qui eius dicta sequeretur, dissimulaui coepta persequi, ne in fauillas uiderer uerba iaculari. Dum tamen adhuc uiueret et ego ualidissimis febribus aegrotarem, quicumque noti mei ad eum salutationis gratia pergebant, ut eorum relatione cognoui, ante eorum oculos pellem manus suae tenebat, dicens: Confiteor quia omnes in hac carne resurgemus.

5. Die Diskussion mit dem Patriarchen Eutychios

237

Dieses Bekenntnis des Patriarchen auf dem Sterbebett wirkte vermutlich sehr eindrucksvoll auf Gregors Auditorium. Auch die scheinbar nebensächliche Erwähnung, dass die Lehre des Eutychios keine Nachfolger gefunden hatte, bekräftigte die Richtigkeit der Position Gregors. Die Nachdrücklichkeit, mit der Gregor die Richtigkeit der eigenen These bewies und die sein Verhalten in dieser Debatte kennzeichnete, ist gewiss auf seine Überzeugung zurückzuführen, dass die wahre Erlösung des Menschen das Kontinuum zwischen dem irdischen und auferstandenen Körper erfordere. Die Versicherung der persönlichen Auferstehung für jedes Mitglied der Kirche ist für Gregor eine Herzensangelegenheit.486 Die Auferstehung Christi stellt das Modell der Auferstehung für jedes Mitglied der Kirche dar. In den Ezechielhomilien fasste Gregor dies so zusammen: „Er hat uns ein Beispiel gegeben, damit wir glauben, dass am Jüngsten Tag mit unserem Leib das geschehen werde, was wir am Tag der Auferstehung als an seinem Leib geschehen erkannt haben.“487

In diesem apologetischen Lichte ist also der Bericht über die Bestätigung der These Gregors durch den Kaiser und später durch den Patriarchen selbst zu betrachten. Hierin ist inbesondere das Bekenntnis des Patriarchen aussagekräftig. Diese Episode korrespondiert ähnlichen Erzählungen in den Dialogen, und sie ist vor dem Hintergrund der Perspektive der Dialoge zu deuten. Infolgedessen würde es der Absicht Gregors nicht gerecht werden, diese Geschichte bloß als eine Reihe zufälliger Ereignisse zu lesen. Vielmehr beinhaltet diese Erzählung die Vorsehung Gottes, die die Diskussion und die Kontrahenten auf die richtige Lösung des Streites hinlenkt.488 Obschon diese Dimension hier nicht explizit zur Sprache kommt, berechtigen die kontextuellen und intentionellen Ähnlichkeiten mit den Erzählungen in den Dialogen eine solche Interpretation.

486

Derselben Meinung ist MÜLLER-ABELS, Auferstehung bei Gregor dem Großen,

456. 487

In Ezech. II, 8, 5 (B ÜRKE, CMe 21, 405). Wenn auch die Positionen des Kaisers als des irdischen und Gottes als des himmlischen Schiedsrichters, wie das MÜLLER-ABELS, Auferstehung bei Gregor dem Großen, 455f, darstellt, in dieser Erzählung nicht deutlich herausgearbeitet wurden, wäre es auch nicht treffend, das Bekenntnis des Patriarchen auf das Bedürfnis nach Trost im Angesicht des Todes zu reduzieren, wie das GRESCHAT, Die Moralia in Job, 153f (Anm. 94) macht. 488

Kapitel VI

Patria caelestis In allen seinen Predigten und in seiner ganzen Lehre überhaupt wurde Gregor nie müde, die patria caelestis als das wahre Ziel und die endgültige Erfüllung des menschlichen Lebens hervorzuheben. Die gesamte Lehre des Papstes darf als ein Hinweis auf die himmlische Heimat betrachtetet werden. In der Beschäftigung mit der Theologie Gregors kommt man an diesem Thema schlechthin nicht vorbei. Der Papst betonte immer wieder, dass der Pilgerweg des irdischen Lebens der Erwählten im Himmelreich Gottes endet. Die ganze Heilsgeschichte mündet in die patria caelestis. Gregors Ausführungen über die patria caelestis sind nicht nur deswegen wichtig, weil sie einen Einblick in sein Verständnis der eschatologischen Vollendung gewähren, sondern auch, weil aus diesen Ausführungen Gregors Verständnis der irdischen Welt abgelesen werden kann. Aus diesem Grunde sollen am Ende dieser Arbeit die wesentlichen Elemente von Gregors Lehre über die patria caelestis dargestellt werden.

1. Caelestis communio Das soteriologische Wirken Christi und die dadurch ermöglichte Erlösung des Menschen finden ihre eigentliche Erfüllung in der Wiederherstellung der himmlischen Gemeinschaft zwischen den Engeln und den Menschen.1 Die von Gott ursprünglich zugedachte Bestimmung des Menschen stellt die Gemeinschaft mit den Engeln in der Kontemplation Gottes dar. Diese himmlische Gemeinschaft wurde durch den Fall eines Teils der Engel und durch den Sündenfall des Menschen aus der Ordnung gebracht.2 Seit dem Sündenfall betrachteten die Engel bzw. die Bürger des Himmels den gefallenen Menschen als einen Fremdling, der außerhalb ihrer Gemeinschaft steht.3 In der Inkarnation Gottes wurde aber die Beziehung zwischen den Engeln und den Menschen erneuert. Gregor schilderte das folgendermaßen: 1

Vgl. darüber auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 100–104. Vgl. moral. XXXI, 49, 99 (CCL 143B, 1618f). 3 Vgl. in euang. I, 8, 2 (FC 28/1, 144): Quia enim peccando extranei eramus a Deo, extraneos nos a suo consortio deputabant angeli cives Dei. 2

240

Kapitel VI. Patria caelestis

„Bevor nämlich unser Erlöser im Fleisch geboren wurde, lebten wir mit den Engeln in Zwietracht, von deren Klarheit und Reinheit wir infolge der ersten Schuld, infolge der täglichen Vergehen weit entfernt waren. ... Doch da wir unseren König erkannten, haben uns die Engel als ihre Mitbürger anerkannt. Da nämlich der König des Himmels unser irdisches Fleisch angenommen hat, verachtet jene erhabene Engelswelt unsere Schwäche nicht mehr.“4

Die menschliche Natur, die in Gregors Konzeption vor der Inkarnation Christi das Hindernis für die Gemeinschaft mit den Engeln darstellte, wurde im Erlösungsgeschehen von Christus über die Engel erhoben.5 Zur Illustration dieser These zog der Papst zwei biblische Szenen heran. Als Beispiel für das Verhältnis zwischen den Menschen und den Engeln vor der Erlösung des Menschen führte er Lot (Gen 19, 1) und Josua (Jos 5, 15) an, die sich vor den Engeln auf den Boden warfen, ohne dabei von den Engeln gehindert zu werden. Nach der Inkarnation Christi wurde Johannes (Offb 22, 9), der durch eine solche Geste dem Engel Ehre erweisen wollte, vom Engel abgehalten.6 Den Grund für solche Unterschiede im Verhalten der Engel fand der Papst in der Annahme eines menschlichen Körpers durch den Sohn Gottes in der Inkarnation: „Sie [sc. Engel] fürchten den Anblick, wie unsere Natur vor ihnen auf dem Boden liegt, die sie zunächst verachtet hatten, später jedoch noch über sich selbst erhöht sehen. Und sie wagten es nicht mehr, diese Natur wegen ihrer Schwäche als ihnen unterlegen zu verachten, die sie weit über sich am König des Himmels verehren.“7

Durch die Versöhnung mit den Engeln ist der Mensch seitdem der Gefährte der Engel.8 In Anlehnung an Lk 12, 36 hob der Papst die Bedeutung der in Christus vollzogenen Erlösung für die Wiederherstellung der caelestis communio hervor. Christus ging zur Hochzeit, indem er durch seine Auferstehung und Himmelfahrt die himmlische Schar der Engel mit sich als dem neuen Menschen vereinigte.9 Durch diesen Akt des Erlösers wurde die himmlische Gemeinschaft in ihrer Fülle erneuert, hergerichtet und die Verluste der patria caelestis ausgeglichen.10 4

In euang. I, 8, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 145). Vgl. in Ezech. I, 8, 23 (CCL 142, 114). 6 Vgl. in euang. I, 8, 2 (FC 28/1, 144). 7 In euang. I, 8, 2 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 145–147). Vgl. auch moral. XXVII, 15, 29 (CCL 143B, 1352f). Über Gregors Verständnis des Verhältnisses zwischen Menschen und Engeln vgl. auch KURZ, Gregors des Großen Lehre von den Engeln, 93–129. 8 Vgl. in euang. I, 8, 2 (FC 28/1, 144): An pacem nostram angeli redeunt, intentionem prioris discordiae postponunt: et quos prius infirmos abiectosque despexerant, iam socios venerantur. 9 Vgl. in euang. I, 13, 2 (FC 28/1, 212–214). 10 Vgl. in euang. II, 21, 2 (FC 28/2, 378); moral. XXXI, 49, 99 (CCL 143B, 1618f). Der gleiche Gedanke findet sich bei AUGUSTINUS, civ. XXII, 1 (CCL 47, 807): Qui de mortali progenie merito iusteque damnata tantum populum gratia sua colligit, ut inde 5

1. Caelestis communio

241

Der Ausgleich der Verluste der himmlischen Gemeinschaft wird zum Leitmotiv des soteriologischen Werkes Christi in Gregors Auslegung der Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme (Lk 15, 1–10). In der Auslegung des Gleichnisses vom verlorenen Schaf bezeichnete Gregor die ursprüngliche Vollkommenheit der himmlischen Gemeinschaft durch die Zahl von hundert Schafen.11 Als ein Schaf bzw. der Mensch verloren ging, suchte ihn der Erlöser auf der Erde, um die Vollkommenheit der caelestis communio wiederherzustellen.12 Die Beschreibung der Restauration dieser Gemeinschaft bzw. der Rückkehr des Menschen schloss Gregor mit der Schilderung des Freudenfestes Gottes und der Engel. Nach dem gleichen Prinzip wird das Gleichnis von der verlorenen Drachme ausgelegt, wobei in dieser Auslegung die Zusammengehörigkeit der Engel und Menschen expliziter ausgeführt wurde. Die Voraussetzungen für die Errichtung der himmlischen Gemeinschaft sind in den Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Engeln gelegen. Gregor charakterisierte Menschen und Engel als vernunftbegabte Geschöpfe, die zur Gottesschau erschaffen sind.13 Er schrieb: „Wir also und die Engel haben auf Grund dessen, dass wir vernünftig geschaffen sind, gleichsam eine Art brüderlichen Bund.“14

Das betonte der Papst zusätzlich, indem er den Menschen in der zweiten Auslegung als die zehnte Ordnung der Engel bezeichnete.15 Im Anschluss

suppleat et instauret partem, quae lapsa est angelorum, ac sic illa dilecta et superna ciuitas non fraudetur suorum numero ciuium, quin etiam fortassis et uberiore laetetur. 11 Infolge dieser ursprünglichen caelestis communio bemerkt FIEDROWICZ (FC 28/2, 646, Anm. 8) treffend: „Wenngleich die Auslegungstradition des Gleichnisses starkt von ORIGENES geprägt war und die Aussagen GREGORS wie ein fernes Echo des origenistischen Gedankens einer engelhaften Präexistenz der Menschheit klingen, so denkt GREGOR doch nur an eine Teilnahme der ersten Menschen am Leben der Engel in der Gottesschau, nicht an einen Besitz ihrer Natur.“ 12 Vgl. in euang. II, 34, 3 (FC 28/2, 644–646): Quia enim centenarius perfectus est numerus, ipse centum oves habuit, cum angelorum substantiam et hominum creavit. Sed una ovis tunc periit, quando peccando homo pascua vitae dereliquit … In deserto autem nonaginta novem oves remanserant, quando in terra Dominus unam quaerebat: quia rationalis creaturae numerus, angelorum videlicet et hominum, quae ad videndum Deum condita fuerat, pereunte homine erat imminutus, et ut perfecta summa ovium integraretur in coelo, homo perditus quaerebatur in terra. 13 Vgl. in euang. II, 34, 3 (FC 28/2, 644). 14 In cant. 40 (FRANK, CMe 29, 123). 15 Andererseits betonte der Papst auch den wesentlichen Unterschied zwischen den Naturen der Engel und der Menschen. Vgl. in cant. 23 (CCL 144, 24); moral. IV, 3, 8 (CCL 143, 168).

242

Kapitel VI. Patria caelestis

an Dionysius Areopagita gliederte Gregor die Engel in neun Engelchöre.16 Um die Zahl der Erwählten, d. h. derjenigen, die nach dem Ebenbild Gottes für die ewige Existenz geschaffen wurden, zu vollenden, wurde der Mensch als zehnte Ordnung der Engel erschaffen.17 Hinsichtlich der Zahl der Engel und der Menschen in der patria caelestis predigte der Papst in derselben Homilie, dass die Zahl der Engel zu der Zahl der Menschen in einem gewissen Verhältnis stehen werde. Die Unstimmigkeiten in Gregors Erläuterungen über das Verhältnis der Anzahl der Engel zu der der Menschen sind jedoch offensichtlich. In einer Homilie finden sich drei Angaben, die sich widersprechen: im Gleichnis vom verlorenen Schaf ist das Verhältnis 99:1; im Gleichnis von der verlorenen Drachme 9:1; in der vorliegenden Auslegung heißt es dazu: „Er bestimmte die Grenze der Völker nach der Zahl der Engel“18 (Dtn 32, 8 LXX) − 1:1.19 Angesichts all dieser unterschiedlichen Angaben lässt sich mit Recht behaupten, dass Gregor auf ein genau bestimmtes Zahlenverhältnis zwischen Engeln und Menschen im Himmelreich keinen Wert legte. Diese Verhältnisse leitete der Papst offensichtlich einfach aus dem biblischen Text ab. Der eigentliche Sinn dieser Ausführungen liegt in der Hervorhebung der Gemeinsamkeit zwischen Engeln und Menschen bzw. in dem Gedanken, dass Engel und Menschen ein Ganzes bilden.

2. Die unvollkommene Gemeinschaft Aus der anthropologischen Perspektive betrachtet, wird die Akzentuierung der Gemeinsamkeit zwischen Engel und Menschen besonders in Hinsicht auf die Bestimmung des Menschen relevant. Im irdischen Leben des Men16

Vgl. in euang. II, 34, 7 (FC 28/2, 652): Novem vero angelorum ordinem diximus: quia vedelicet esse, testante sacro eloquio, scimus angelos, archangelos, virtutes, potestates, principatus, dominatines, thronos, cherubim atque seraphim. Vgl. dazu KURZ, Gregors des Großen Lehre von den Engeln, 83–92. 17 Vgl. in euang. II, 34, 6 (FC 28/2, 652): Angelorum quippe et hominum naturam ad congnoscendum se Dominus condidit: quam dum consistere ad aeternitatem voluit, eam procul dubio ad suam similitudinem creavit. Decem vero drachmas habuit mulier: quia novem sunt ordines angelorum. Sed ut compleretur electorum numerus, homo decimus est creatus: qui a Conditore suo nec post culpam periit, quia hunc aeterna Sapientia per carnem miraculis caruscans ex lumine testae reparavit. 18 Übersetzung in in euang. II, 34, 11 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 663). 19 Vgl. in euang. II, 34, 11 (FC 28/2, 662): Quia enim superna illa civitas ex angelis et hominibus constat, ad quam tantum credimus humanum genus ascendere, quantos illic contigit electos angelos remansisse, sicut scriptum est: „Statuit terminos gentium secundum numerum angelorum Dei“ … Quia enim tanta illuc ascensura creditur multitudo hominum, quanta multitudo remansit angelorum … Vgl. auch KURZ, Gregors des Großen Lehre von den Engeln, 128 Anm. 52; in euang. II, 21, 2 (FC 28/2, 378).

2. Die unvollkommene Gemeinschaft

243

schen wird die Existenzweise der Engel das exemplum imitationis für den Menschen.20 Diese These entfaltete der Papst im Anschluss an die Auslegungen des Doppelgleichnisses in der Evangelienhomilie, wo er die Funktion der jeweiligen Stufe der Engelshierarchie pädagogisch erläuterte und diese Funktion den verschiedenen Lebensformen der Menschen zuordnete.21 Jede Engelsordnung findet ihr Pendant in der jeweiligen Lebensform des Menschen, beginnend bei Engeln, die die Glaubenswahrheiten anderen verkünden, bis zu den Seraphim, die von der Glut himmlischer Kontemplation entflammt sind. Infolgedessen verglich der Papst den Rang der Menschen, die Wunder wirken und machtvoll Zeichen vollbringen, mit dem Rang der himmlischen Mächte. Die von der großen Liebe zu Gott und Menschen Erfüllten bekommen den Lohn ihrer Verdienste unter den Scharen der Cherubim.22 Wenngleich sich die himmlische Gemeinschaft der Engel und Menschen auf der Erde auf verschiedene Weisen widerspiegelt,23 bleiben die Menschen doch in ihrer irdischen Existenz von den Engeln getrennt. Die Menschen und die Engel bilden zwar gemeinsam das gleiche Bauwerk, das Gott bewohnt, wobei aber die Engel oben und die Menschen – während ihrer irdischen Existenz – unten verbleiben.24 Diese Diskrepanz schildert der Papst weiterhin anhand des Bibelverständnisses. Obschon die ganze Heilige Schrift um des Menschen willen geschrieben wurde, bleibt dem auf der Erde pilgernden Menschen infolge seiner Blindheit einiges verschlossen, weil manche Stellen, die von den himmlischen Dingen reden, allein jenen Bürgern bzw. Engeln, die bereits in der ewigen Heimat weilen, zugänglich sind.25 Anschließend verknüpfte Gregor diese These mit dem Verbleiben in einer fernen Stadt bzw. in der patria caelestis, die dem irdischen Menschen fern bleibt: 20

Vgl. in euang. II, 34, 11 (FC 28/2, 662): Superest ut ipsi quoque homines, qui ad coelestem patriam redeunt, ex eis agminibus aliquid illuc revertentes imitentur. Distinctae namque conversationes hominum singulorum agminum ordinibus congruunt, et in eorum sortem per conversationis similitudinem deputantur. 21 Vgl. in euang. II, 34, 11 (FC 28/2, 662–666). 22 Vgl. in euang. II, 34, 11 (FC 28/2, 662–666). 23 Vgl. darüber McCLAIN, The Doctrine of Heaven, 104–106; FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 102f. 24 Vgl. in Ezech. II, 2, 15 (CCL 142, 236). 25 Vgl. in Ezech. II, 5, 3f (CCL 142, 277): Quia Scriptura sacra tota quidem propter nos scripta est, sed non tota intellegitur a nobis. Multa quippe in illa ita aperte srcipta sunt ut pascant paruulos, quaedam uero obscurioribus sententiis ut exerceant fortes, quatenus cum labore intelleca plus grata sint. Nonnulla autem ita in ea clausta sunt, ut dum ea non intellegimus, agnoscentes infirma nostrae caecitatis, ad humilitatem magis quam ad intellegentiam proficiamus. Sunt enim quaedam quae ita de caelestibus loquuntur, ut solis illis supernis ciuibus in patria sua persistentibus pateant necdumque nobis peregrinantibus reserentur.

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Kapitel VI. Patria caelestis

„Wenn einer nach einer unbekannten Stadt reist und auf dem Weg vieles über sie hört, wird er sich einiges in seinem Verstand zusammenreimen, einiges aber, da er es noch nicht sieht, gar nicht verstehen. Die Bürger hingegen, die in ihr wohnen, sehen auch, was über sie gesagt wird. Wir befinden uns also noch immer auf dem Weg und hören viel über jenes himmlische Vaterland, manches verstehen wir schon im Geist und in der Einsicht, manches, was wir nicht verstehen, verehren wir.“26

Diese Trennung zwischen Engeln und Menschen versucht der Mensch in seiner irdischen Existenz neben dem Trachten nach der Führung des engelgleichen Lebens vor allem durch die Kontemplation Gottes zu überwinden. Die kontemplative Lebensweise des Menschen, die Gregor in der Person Marias (Lk 10, 41–42) versinnbildlicht sah, schließt die Sehnsucht nach Teilnahme an den Hymnen singenden Engelchören in der Schau des Antlitzes des Schöpfers ein.27 Im kontemplativen Leben strebt der Mensch danach, den Bürgern des Himmels beigesellt zu werden und die ihm im Schöpfungsakt Gottes zugeteilte Bestimmung zu erreichen.28 Gregor predigte: „Laßt uns also zu jener großen Festfeier dieser Bürger [sc. Engel] eilen. Wir wollen uns mit ihnen durch die Sehnsucht und mit dem Herzen vereinigen, solange wir es noch nicht durch die Schau vermögen.“29

Der Mensch vermag, durch die irdische Kontemplation der Gemeinschaft der Engel partiell teilhaftig zu werden.30 26

In Ezech. II, 5, 4 (B ÜRKE, CMe 21, 339). Vgl. in Ezech. II, 2, 8f (CCL 142, 230f). Vgl. darüber K URZ, Gregors des Großen Lehre von den Engeln, 120–126. 28 Vgl. in euang. I, 15, 1 (FC 28/1, 240): Si gloriam dignitatum diligis, in illa superna angelorum curia adscribi festinate; moral. I, 31, 43 (CCL 143, 48): Tunc namque magni inter omnes Orientales efficimiur, cum eis spiritibus, qui orienti luci inhaerent, pressa carnalis corruptionis nebula, discretionis nostrae radiis in quantum possibilitas suppetit, sociamur. Vnde et per Paulum dicitur: Nostra conuersatio in caelis est. Quisquis temporalia ac defectiua sequitur, occasum petit; quisquis uero superna desiderat, quia in oriente habitet, demonstrat. Magnus ergo non inter occidentales sed inter orientales efficitur, qui non inter actiones ima et fugitiua quaerentium sed inter choros proficere supernorum ciuium conatur; in Ezech. II, 2, 8 (CCL 142, 230); in Ezech. II, 10, 21 (CCL 142, 395); moral. XVI, 27, 33 (CCL 143A, 818); moral. XXXI, 48, 98 (CCL 143B, 1618) 29 In euang. II, 21, 7 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 388). Wenngleich ähnliche Äußerungen Gregors (vgl. moral. IV, 24, 45; in Ezech. I, 8, 30–32) darauf schließen lassen, dass Gott in der irdischen Kontemplation nicht gesehen werden kann, stellt doch Gott den Gegenstand der Kontemplation dar. Vgl. darüber RAHNER, Spiritualität und Theologie der Kirchenväter, 355. 30 Vgl. moral. XXXI, 49, 99 (CCL 143B, 1619): Sed quisquis ita contemplatione rapitur, ut per diuinam gratiam subleuatus, itentionem suam iam angelorum choris interserat, et fixus in sublimibus, ab omni se infirma actione suspendat, non ei sufficit gloriam angelicae claritatis aspicere, nisi eum etiam qui est super angelos, ualeat uidere. 27

3. Die Kontemplation in der patria caelestis

245

Die irdische Existenzweise des Menschen schließt jedoch die Möglichkeit der dauerhaften und vollkommenen Kontemplation bzw. der engelgleichen Kontemplation Gottes aus.31 Gregor bediente sich des Bildes der Morgendämmerung, um den provisorischen Charakter der irdischen Kontemplation hervorzuheben.32 Das kontemplative Erlebnis im irdischen Leben des Menschen verglich der Papst weiter mit dem Kampf Jakobs gegen den Engel (Gen 32, 22–32). Der Engel wurde in Gregors Auslegung Typos für Gott, während der kämpfende Jakob das Bild der sich in der Kontemplation befindlichen Seele darstellt. Die Seele, die sich im kontemplativen Erlebnis abmüht, befindet sich in einer Art Auseinandersetzung: „Bald ist sie gleichsam überlegen, wenn sie in ihrer Einsicht und in ihrem Fühlen etwas von dem unumgrenzten Licht verkostet, bald ist sie unterlegen, wenn sie im Verkosten wieder nachlässt.“33

3. Die Kontemplation in der patria caelestis Dieser Kampf um das kontemplative Erlebnis hört erst in der patria caelestis auf. In der himmlischen Heimat wird der Mensch befähigt sein, die ihm zugeteilte Bestimmung des Lebens vollkommen zu verwirklichen. Diese Bestimmung brachte Gregor prägnant in den Moralia zum Ausdruck: „Der Mensch wurde zur Kontemplation des Schöpfers geschaffen, so dass er stets dessen Schönheit sucht und in der Erhabenheit seiner Liebe weilt.“34

Die Grundlage der Verwirklichung dieser Bestimmung ist nach dem Sündenfall im Erlösungswerk Christi gelegt. Christus führt den Menschen im Erlösungswerk von der Gestalt seiner Menschheit zur Kontemplation seiner Gottheit und ermöglicht es dem Menschen, zur Schau der Herrlichkeit

31

Vgl. in Ezech. I, 5, 12 (CCL 142, 63): Cum uero ab actiua uita ad contemplatiuam surgimus, quia diu mens stare in contemplatione non ualet, sed omne quod de aeternitate per speculum et in aenigmate conspicit, quasi furtim hoc et per transitum uidet; ipsa sua infirmitate ab immensitate tantae celsitudinis animus repulsus in semetipso relabitur. Vgl. auch moral. VIII, 30, 50 (CCL 143, 421f); in Ezech. II, 2, 14 (CCL 142, 234f). Vgl. über die Flüchtigkeit der irdischen Kontemplation BUTLER, Western Mysticism, 81f; LIEBLANG, Grundfragen, 156–160. 32 Vgl. in Ezech. I, 5, 5 (CCL 142, 58f); moral. I, 35, 49 (CCL 143, 50f). 33 In Ezech. II, 2, 12 (B ÜRKE, CMe 21, 291). 34 Vgl. moral. VIII, 18, 34 (CCL 143, 406): Ad contemplandum quippe Creatorem homo conditus fuerat ut eius semper speciem quaereret, atque in solemnitate illius amoris habitaret. Vgl. dazu auch CARLUCCIO, The Seven Steps to Spiritual Perfection, 145– 147.

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Kapitel VI. Patria caelestis

Gottes zu gelangen.35 Das wesentliche Element dieses Erlösungsgeschehens, das die Voraussetzung der vollkommenen Kontemplation in der patria caelestis darstellt, ist die Verklärung des menschlichen Körpers. Der von der sündhaften mutabilitas befreite Körper stellt nun kein Hindernis für die Kontemplation Gottes mehr dar. Auf der anderen Seite behauptet Fiedrowicz mit Recht, dass Gregor die Bedeutung des Körpers für die ewige Schau Gottes nicht näher bestimmte.36 Aufgrund von Gregors Ausführungen über die irdische Kontemplation kann man allerdings schließen, dass der Papst auch die himmlische Kontemplation als einen spirituellen Akt par excellence betrachtete, so dass die fehlende Erörterung der Rolle des Körpers in diesem Kontemplationsakt nicht verwunderlich ist. Mit dieser Frage beschäftigte sich hingegen Augustinus, indem er die Möglichkeit der vollkommenen Schau Gottes ohne den auferstandenen Körper bestritt. Augustinus fragte: „Wenn die Seelen der Verstorbenen ohne den Körper zur höchsten Seligkeit gelangen können, warum müssen sie dann bei der Auferstehung erneut mit dem Körper vereinigt werden?“37

Er erläuterte weiterhin, dass die Seele ein natürliches Bedürfnis hat, den Körper zu leiten, wozu sie eine Vereinigung mit dem Körper benötigt, um die vollkommene Dimension ihres Seins zu haben.38 Solch eine ausgearbeitete und entfaltete Erläuterung findet man bei Gregor nicht. Die Bedeutung des Körpers sah Gregor schließlich in der Steigerung der Freude der Seele, die sich nach der Auferstehung auch im Fleische in der himmlischen Gemeinschaft freuen kann.39 Gregors Hervorhebung der Gemeinschaft zwischen Engeln und Menschen, die auf der Erde nur unvollkommen realisiert wird, zielt eigentlich auf die Akzentuierung der wahren Berufung des Menschen. Die ewige Existenzweise der Engel stellt paradigmatisch die gottgewollte Existenzweise des Menschen dar. Aus diesem Grund entfaltete Gregor in enger Anlehnung an Augustinus die Vorstellung von der patria caelestis, in der

35 Vgl. in euang. I, 13, 4 (FC 28/1, 216): Vel certe Dominus nobis post iudicium transit, quia ab humanitatis forma in divinitatis suae contemplationem nos elevat. Et transire eius, est in claritatis suae speculationem nos ducere, cum eum quem in humanitate in iudicio cernimus, etiam in divinitate post iudicium videmus. 36 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 311. 37 Vgl. AUGUSTINUS, Gen. ad litt. (CSEL 28,1; 432): Quid opus sit spiritibus defunctorum corpora sua in ressurectione recipere, si potest eis etiam sine corporibus summa illa beatitudo praeberi… 38 Vgl. AUGUSTINUS, Gen. ad litt. (CSEL 28,1; 432f). Vgl. dazu auch W ILKEN, The Spirit of Early Christian Thought, 160f. 39 Vgl. dial. IV, 25 (FUNK, BKV2 3, 216).

3. Die Kontemplation in der patria caelestis

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Engel und Menschen gemeinsam das Antlitz Gottes schauen.40 Im Anschluss an die Kontrastierung des irdischen Lebens mit dem himmlischen hob der Papst die Herrlichkeit des Lebens in der himmlischen Gemeinschaft hervor: „Welche Zunge vermag hingegen auszusprechen oder welcher Verstand vermag zu erfassen, wie groß jene Freuden des himmlischen Gemeinschaftswesens sind: den Chören der Engel eingereiht zu sein, mit den seligsten Geistern im Angesicht der Herrlichkeit des Schöpfers zu stehen, das Angesicht Gottes aus nächster Nähe zu schauen, das unermeßliche Licht zu sehen, von keiner Todesfurcht geängstigt zu werden, sich über das Geschenk ewiger Unvergänglichkeit zu freuen?“41

In der Betonung dieser wiederhergestellten Zusammengehörigkeit der Engel und der Menschen ging Augustinus noch weiter, indem er von „unseren Engeln“, die dem Menschen zu Mitbürgern werden, sprach.42 Das Fundament dieser heiligen Gemeinschaft der himmlischen Bürger ist offensichtlich die gemeinsame Berufung zur Kontemplation Gottes.43 In der Auslegung der Aussage: „Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden“ (Joh 10, 9) erläuterte der Papst, dass die Weide der Erwählten bzw. die Speise der unvergänglichen Ewigkeit die Kontemplation des Antlitzes Gottes ist. Die Kontemplation Gottes identifizierte er auch mit den inneren Freuden des stets blühenden Paradieses.44 Im Unterschied zu der irdischen Kontemplation stellt in Gregors Konzeption die Kontinuität bzw. die Unendlichkeit das Hauptcharakteristikum der himmlischen Kontemplation dar. Gregors Ausführun40

Vgl. moral. XXVII, 14, 27 (CCL 143B, 1351). Über Augustinus vgl. DALEY, The Hope of the early Church, 131–150. 41 In euang. II, 37, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 741–743). Vgl. auch in euang. II, 21, 3 (FC 28/2, 378): Sed quid advenientes feminas affatur, audiamus: „Nolite expavescere.“ Ac si aperte dicat: Paveant illi, qui non amant adventum supernorum civium: pertimescant qui carnalibus desideriis pressi, ad eorum se societatem pertingere posse desperant. Vos autem cur pertimescitis, quae vestros concives videtis?; in euang. I, 9, 2 (FC 28/1, 154); in euang. II, 30, 10 (FC 28/2, 574–576). 42 Vgl. AUGUSTINUS, civ. XXII, 29 (CCL 47, 857): Sic iam uident sancti angeli, qui etiam nostri angeli dicti sunt, quia eruti de potestate tenebrarum et accepto spiritus pignore translati ad regnum Christi ad eos angelos iam coepimus pertinere, cum quibus nobis erit sancta atque dulcissima, de qua iam tot libros scripsimus, Dei ciuitas ipsa communis. Sic sunt ergo angeli nostri qui sunt angeli Dei, quem ad modum Christus Dei Christus est noster. Dei sunt, quia Deum non reliquerunt; nostri sunt, quia suos ciues nos habere coeperunt. 43 Vgl. in Ezech. I, 8, 3 (CCL 142, 102f). 44 Vgl. in euang. I, 14, 5 (FC 28/1, 232): Ingredietur quippe ad fidem, egredietur vero a fide ad speciem, a credulitate ad contemplationem: pascua autem inveniet in aeterna refectione. Oves ergo eius pascua inveniunt; quia quisquis illum corde simplici sequitur, aeternae viriditatis pabulo nutritur. Quae autem sunt istarum ovium pascua, nisi interna gaudia semper virentis paradisi? Pascua namque electorum sunt, vultus praesens Dei …

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Kapitel VI. Patria caelestis

gen über die Kontemplation in der patria caelestis kreisen stets um die kontinuierliche Schau Gottes. Die Erwählten werden in der Auferstehung die irdische Verderbnis besiegen und somit wird die Möglichkeit für die immerwährende Anschauung Gottes eröffnet. Aufgrund dessen werden die Erwählten in der himmlischen Heimat „ohne Ende lobsingen und ohne Ende den schauen, den sie loben“45.

4. Die himmlische Seinsweise Diese Kontrastierung von zeitweiliger mit dauerhafter Kontemplation Gottes exemplifiziert Gregors Verständnis vom Unterschied zwischen der irdischen und himmlischen Seinsweise. Das wesentliche Charakteristikum der irdischen Seinsweise stellt die Vergänglichkeit dar, die sich in jeder Hinsicht manifestiert. Der Körper, das Leben, die Materie und die Zeit stehen unter dem Zeichen der Vergänglichkeit. Hinsichtlich dessen schrieb Gregor an Priscus, dem Patrizier aus dem Osten: „Wenn wir den Lauf dieses Lebens mit Aufmerksamkeit betrachten, so finden wir Nichts in demselben fest, Nichts unveränderlich.“46

Das Gesetz der Veränderlichkeit zerreiße alles in dieser Welt und schließlich die Welt selbst.47 Die Erlösung von dieser Vergänglichkeit findet der Menschen in Christus bzw. durch Christus in der patria caelestis. Inmitten der historischen Umbrüche und vor dem asketischen Hintergrund der Flüchtigkeit jeglichen irdischen Erlebnisses setzte Gregor den Akzent auf die Beständigkeit der patria calestis.48 Jede Schöpfung berge in sich die Tendenz zum Vergehen.49 Ausschließlich in der Präsenz Gottes würden die Geschöpfe unvergänglich.50 Die Seinsweise in der himmlischen 45 In Ezech. I, 8, 3 (BÜRKE, CMe 21, 140). Vgl. auch in euang. II, 30, 10 (FC 28/2, 574–576): Tunc ad illam supernae frequentiae laetitiam perveniemus, de qua nunc sancti Spiritus pignus accepimus. Ad istum finem toto amore tendamus, in quo sine fine laetabimur; in euang. I, 12, 4 (FC 28/1, 202). Der Gedanke geht wohl zurück auf AUGUSTINUS, civ. XXII, 30 (CCL 47, 866). 46 Epist. III, 51 (KRANZFELDER, BKV1 27, 162). 47 Vgl. epist. III, 51 (CCL 140, 196): Dum igitur omnia in hoc mundo mutabilitatis ordo corrumpat, nec eleuari prosperis nec frangi debemus aduersis. Tota ergo mente ad illum nos conuenit anhelare, ubi quicquid est firmum permanet, ubi non mutatur aduersitate prosperitas. 48 Vgl. moral. V, 34, 62 (CCL 143, 261f). 49 Vgl. moral. V, 34, 63 (CCL 143, 262). 50 Vgl. moral. II, 20, 34 (CCL 143, 81): Neque enim in ea luce quae sine accessu ea quae eligit illustrat et sine recessu ea quae respuit deserit, defectus mutabilitatis uenit. Quia ni semetipsa manendo immutabilis, mutabilia cuncta disponit, sicque in se transeuntia condidit ut apud se transire nequaquam possint, nec tempus intus in conspectu eius

4. Die himmlische Seinsweise

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Heimat ist daher – im Gegensatz zur irdischen Existenz – von der Unveränderlichkeit gekennzeichnet. Die Möglichkeit der fortdauernden Existenz des Menschen ist in der kontinuierlichen Kontemplation Gottes fundiert, weil der Mensch seine angeborene mutabilitas in der himmlischen Kontemplation überwinden kann.51 Insofern wird die Existenzweise des Menschen der der Engel gleich sein, weil die Engel ihre Beständigkeit dadurch besitzen, dass sie in der Kontemplation Gottes verharren.52 In einem Abschnitt der Ezechielhomilie, wo der Papst den Weg von der imitatio Christi zur similitudo Christi erläuterte, hob er die Unvergänglichkeit Gottes vor dem Hintergrund der vergänglichen Existenz hervor: „Gottes Sein ist ja ewige und wandellose Dauer. Alles, was sich verändert, hört auf zu sein, was es war, und beginnt zu sein, was es nicht war. Gottes Sein aber ist ein unwandelbares Sein.“53

Gregor explizierte des Öfteren den Gedanken der Beständigkeit Gottes, um dadurch darauf aufmerksam zu machen, dass der Mensch nur durch Teilhabe an dem Unvergänglichen seine eigene Existenz bewahren kann.54 In seinen Ausführungen kontrastierte der Papst gelegentlich die Beständigkeit Gottes mit der Vergänglichkeit des Irdischen vor dem Hintergrund der konkreten Zeitumstände. In diesem Sinne legte er den Vers: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Lk 21, 33) aus. Nach der Schilderung des Übels der irdischen Welt in der Zeit der senectus mundi55 predigte Gregor: „Alles, was bei euch von Dauer ist, ist nicht ohne Veränderung bis zur Ewigkeit dauerhaft; und alles, was man bei mir vergehen sieht, hält sich unveränderlich und unvergänglich, weil mein Wort, das vergeht, unveränderlich bleibende Gedanken zum Ausdruck bringt.“56

Dass Gregors Intention bei dieser Auslegung in der Betonung der Beständigkeit des Göttlichen gegenüber der Flüchtigkeit des Zeitlichen liegt, lässt

defluit quod apud nos foras decurrit. Vnde fit ut in aeternitate eius fixa maneant ea quae non fixa exterius saeculorum uolumina emanant. 51 Vgl. in Ezech. I, 2, 20 (CCL 142, 30). 52 Vgl. in Ezech. II, 2, 15 (CCL 142, 236): Quia usque ad illam altitudinem gloriae homo perducitur, in qua solidatos se angeli laetantur. Latitudo ergo aedificii tanta est, quanta et altitudo, quia electi quique qui modo in imis laborant, quandoque illis beatissimis spiritibus non erunt inaequales; moral. V, 28, 68 (CCL 143, 267). 53 In Ezech. I, 2, 20 (B ÜRKE, CMe 21, 64). 54 Vgl. z. B. in Ezech. II, 9, 9 (CCL 142, 363f). Vgl. über die Unvergänglichkeit Gottes auch FRICKEL, Deus totus ubique simul, 33. 55 Vgl. in euang. I, 1, 1 (FC 28/1, 50–52). 56 In euang. I, 1, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 59).

250

Kapitel VI. Patria caelestis

sich aus dem Kontext ablesen, indem der Papst anschließend den Rezipienten die Trübsale ihrer eigenen Zeit vor Augen führte.57 Dass der historische Kontext – neben Augustinus – darüber hinaus auch eine Rolle in Gregors Akzentuierung der Ruhe als eines Charakteristikums der patria caelestis spielt, darf angenommen werden. In der Auslegung von Lk 12, 37 sagte der Papst: „Denn unseren Platz nehmen bedeutet, im Himmelreich zur Ruhe zu gelangen.“58 Die Ruhe des menschlichen Geistes besteht in der Kontemplation Gottes.59 Dieses Verständnis der himmlischen Heimat kommt in der Evangelienhomilie zum Ausdruck, wo der Papst die patria caelestis als den Ort der Ruhe und des Frieden zeichnete: „Dort ist die heilige Gemeinschaft der himmlischen Bürger, dort ist die sichere Festfeier, dort ist sorgenfreie Ruhe, dort ist der wahre Friede ...“60

Die heilige Kirche der Erwählten wird auch deswegen im Himmel die Ruhe genießen, weil sie keinerlei Schismen, die die irdische Existenz der Kirche beeinträchtigen, mehr ausgesetzt sein wird.61 Gregor entfaltete sein Verständnis der patria caelestis vor dem Hintergrund der Zeitumstände. Dies lässt sich daraus schließen, dass Gregors Darstellungen der Seinsweise im Reich Gottes gerade den irdischen Erfahrungen der Gläubigen seiner Zeit entgegengesetzt sind. Die Menschen, die in der Welt den Krieg zu spüren bekommen, sollen den wahren Frieden im Himmelreich erfahren. Diejenigen, die in dieser vergänglichen irdischen Welt hungern, sollen in der patria caelestis „mit der Speise der unvergänglichen Ewigkeit genährt“62 werden. Wenn sie das ewige Rom, das eigentlich die ganze Welt personifiziert, zugrundegehen sehen63, dann sollen sie ihre Hoffnung auf die wahrhaftig ewige patria caelestis setzen. Gregors Vorstellungen von der himmlischen Heimat spiegeln offensichtlich die Erwartungen der konkreten Hörerschaft wider. Andererseits sollte Gregors Verständnis der eschatologischen Vollendung nicht auf die Antithese der irdischen Erfahrungen des Menschen reduziert werden. Man kann jedenfalls behaupten, dass zumindest Gregors Ausdrucksweise (das Reden von Frieden, Ruhe) hinsichtlich der patria caelestis die Spuren seiner Zeit trägt. In Anbetracht dieser Sicht Gregors, die von Ruhe und Frieden in der patria caelestis gekennzeichnet ist, stellt sich weiter die Frage, ob die 57

Demselben Gedankengang folgt SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 161f. In euang. I, 13, 4 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 215). 59 Vgl. moral. XXXI, 49, 99 (CCL 143B, 1619). 60 In euang. II, 30, 10 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 577). 61 Vgl. in euang. II, 24, 3 (FC 28/2, 430): In ista vero piscatione et multi pisces et magni capiuntur, et rete non rumpitur: quia sancta electorum Ecclesia in continua auctoris sui pace requiescens, nullis iam dissensionibus dilaniatur. 62 In euang. I, 14, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/1, 233). 63 Vgl. dazu das beeindruckende Bild in in Ezech. II, 6, 22–24 (CCL 142, 310–313). 58

4. Die himmlische Seinsweise

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himmlische Existenzweise in Gregors Konzeption von einer gewissen Statik geprägt sein könnte. Hinsichtlich dieser Frage scheint die Stellungnahme Augustins in De civitate Dei eindeutig zu sein: „Dann werden wir stille sein und schauen, schauen und lieben, lieben und loben. Das ist’s, was dereinst sein wird, an jenem Ende ohne Ende.“64

Die Aussagen Gregors andererseits lassen einen gewissen Dynamismus in seinem Verständnis der Seinsweise in der himmlischen Heimat vermuten. Die Seinsweise der Engel beschrieb der Papst folgendermaßen: „Sie stehen der göttlichen Weisheit in dem Maße nahe, als sie sich ihr durch die Gnade beständiger Anschauung nähern.“65

Da die Natur der himmlischen Kontemplation der Menschen der der Engel gleich ist und da die Engel und die Menschen gemeinsam die caelestis communio konstituieren, dürfte diese Aussage Gregors auch auf die Seinsweise des Menschen angewendet werden können. Demnach könnte die himmlische Seinsweise als kontinuierliches Hineinwachsen in Gott durch die Kontemplation verstanden werden. Eine vielleicht von dieser These abweichende Meinung findet man bei Gregor, wo er nämlich behauptete, dass sich die Freuden der Heiligen, die auf die Kontemplation Gottes zurückgehen, im Himmelreich nicht steigern.66 Eine gewisse Dynamik im Kontemplationsgeschehen lässt sich aber doch aus Gregors Charakterisierung der Seraphim ablesen: „Da sie Gott so verbunden sind, dass zwischen ihnen und Gott keine anderen Geister stehen, glühen sie umso mehr, je näher sie ihn schauen. Ihre Glut ist in der Tat Liebe, denn je tiefer sie in die Herrlichkeit seiner Gottheit blicken, desto stärker erglühen sie in Liebe zu ihm.“67

In der Auslegung von Lev 6, 6 entfaltete Gregor dieselbe These hinsichtlich der himmlischen Seinsweise der Erwählten: „Da die Liebe in den Herzen der Erwählten unauslöschlich ist, heißt es mit Recht: Jenes Feuer ist ewig, niemals erlischt es auf dem Altar (Lev 6, 6). Niemals in der Tat erlischt das Feuer auf dem Altar, weil auch nach diesem Leben die Glut der Liebe sich in ihren Herzen noch steigert. Denn durch die ewige Kontemplation geschieht es, dass der allmächtige Gott umso tiefer geliebt wird, je länger man ihn anschaut.“68 64

AUGUSTINUS, civ. XXII, 30 (ANDRESEN, dtv 34393, 835). In euang. II, 34, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 653). 66 Vgl. moral. XXXIII, 14, 29 (CCL 143B, 1699): Et quamuis illud ex uisione dominica eorum gaudium non sit quo crescat… MCCLAIN, The Doctrine of Heaven, 75f sprich jedoch von einer Erhöhung der unwesentlichen Freude im Himmel, indem er zwischen „accidental joy“ und „essential joy“ unterscheidet. 67 In euang. II, 34, 10 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 661). 68 Moral. XXV, 7, 16 (übers. von FIEDROWICZ in GREGOR, Von der Sehnsucht der Kirche, 236). Vgl. auch moral. XVIII, 54, 91 (CCL 143A, 954): Sic quoque et nos erimus 65

252

Kapitel VI. Patria caelestis

Man darf schließlich zusammen mit Kurz feststellen, dass Gregors Aussagen über die eschatologische Vollendung genug Platz lassen, um eine Steigerung der Visio der Heiligen und Engel zu vermuten.69 Gregors Ausführungen über die caelestis communio besitzen auch einen deutlich ekklesialen Charakter.70 Die eschatologische Vollendung betrachtete der Papst als die Vereinigung der Glieder Christi, das sind sowohl Engel als auch Menschen,71 mit ihrem Haupt in der himmlischen Heimat.72 Gregor verglich die Kirche anschaulich mit der Arche, die nach der Vergänglichkeit des Irdischen in der himmlischen Heimat wie auf einem Bergesgipfel zur Ruhe kommt.73 Der ekklesiale Charakter der himmlischen Vollendung wird auch durch eine soziale Komponente hervorgehoben.74 In der himmlischen Kontemplation öffnet der Mensch sein Herz nicht nur Gott, sondern auch dem Nächsten gegenüber, so dass den himmlischen Bürgern nichts voreinander verborgen bleibt.75 In diesem Lichte erläutert Gregor, dass alle Erwählten in der patria caelestis umeinander wissen.76 Diese These begründete er mit der Teilnahme an der Kontemplation Gottes: „In gemeinsamer Klarheit schauen sie dort Gott – was sollen sie dort nicht kennen, wo sie den Allwissenden kennen?“77

Dieser Gedanke Gregors weist auf die vollkommene Einheit der caelestis communio in der Kontemplation Gottes hin.78 Die heilige Kirche erfährt ihre Vollendungsgestalt erst in der himmlischen Heimat, wo alle Erwählten wie Bausteine zusammengefügt sind, um

quando ad ipsum fontem uitae uenerimus. Erit nobis delectabiliter impressa sitis simul atque satietas. Sed longe abest a siti necessitas, longe a satietate fastidium, quia et sitientes satiabimur, et satiari sitiemus. Vgl. darüber auch F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 312. 69 Vgl. dazu KURZ, Gregors des Großen Lehre von den Engeln, 54f. 70 Die ekklesiale Dimension himmlischer Vollendung arbeitet FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 313–318 heraus. 71 Vgl. in Ezech. I, 8, 28 (CCL 142, 118): Et quia eius [sc. Christi] membra sunt electi angeli in caelo, eius membra sunt conuersi homines in terra … 72 Vgl. in Ezech. I, 8, 3 (CCL 142, 102f). Vgl. auch in euang. I, 12, 4 (FC 28/1, 202). 73 Vgl. epist. XI, 28 (CCL 140A, 914): Quae profecto arca cessante diluuio in monte requieuit, quia huius uitae corruptione cessante, cum malorum operum fluctus transierint, in caelesti patria sancta ecclesia uelut in excelso monte requiescit. 74 Vgl. dazu SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 446f; F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 314f. 75 Vgl. moral. XVIII, 48, 77f (CCL 143A, 941f). 76 Vgl. dial. IV, 33 (FUNK, BKV2 3, 231). 77 Dial. IV, 33 (FUNK, BKV2 3, 231). 78 Vgl. SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 446: „Contemplatio im Einst der Ewigkeit wird zum Ereignis, in dem sich die Einheit aller manifestiert.“

4. Die himmlische Seinsweise

253

das himmlische Jerusalem zu erbauen.79 In einer Evangelienhomilie entfaltete Gregor das umfassende Bild von der Einheit der societas supernorum civium vor dem Hintergrund der heilsgeschichtlichen Epochen. Obschon die explizite Erwähnung der ekklesialen Dimension dieser Gemeinschaft fehlt, gibt es doch keinen Grund dem folgenden Bild der patria caelestis den ekklesialen Charakter abzusprechen: „Auf dieser Weide erfreuen sich an ewiger Sättigung die, die schon den Schlingen lustvoller Zeitlichkeit entronnen sind. Dort ist die Gemeinschaft der Himmelsbewohner. Dort ist die schöne Feier derer, die von der tristen Mühsal dieser Pilgerschaft heimkehren. Dort sind die vorausschauenden Prophetenchöre, dort ist die Richterschar der Apostel, dort ist das siegreiche Heer zahlloser Märtyrer, dort umso glücklicher, je härter es hier vorfolgt wurde. Dort ist die Standhaftigkeit der Bekenner, getröstet durch den Empfang ihres Lohnes; dort sind die gläubigen Männer, deren kraftvolle Mannhaftigkeit die Weltlust nicht schwächen konnte, dort sind die heiligen Frauen, die mit der Welt ihr Geschlecht überwanden; dort sind die Kinder, die hier ihre Jahre durch ihren Lebenswandel übertrafen; dort sind die Greise, die ihr Alter hier schwächte, aber die Kraft guten Handels nicht verließ.“80

Den Hintergrund dieser Ausführungen stellt neben dem hervorgehobenen Gemeinschaftscharakter der patria caelestis auch der Gedanke von der natürlichen Zugehörigkeit des Menschen zu diesem Ort der Präsenz Gottes dar. Diese Darstellung der himmlischen Gemeinschaft schloss der Papst mit dem Aufruf an die Gläubigen: „Laßt uns also, geliebte Brüder, diese Weide suchen, auf der wir uns mit der Festversammlung so vieler Bürger freuen können.“81

79

Vgl. in Ezech. II, 1, 5 (CCL 142, 210f). In euang. I, 14, 5 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 233–235). 81 In euang. I, 14, 6 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 235). 80

Zusammenfassung Der Zusammenfassung dieser Arbeit soll ein kurzer Abschnitt über die Position Gregors innerhalb der patristischen Traditionen des Westens und des Ostens vorangestellt werden, weil dies für das umfassende Verständnis der Lehre Gregors unentbehrlich ist. In der Forschungsliteratur wird Gregor häufig als „eine Figur des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter“1 bzw. als „le pont entre l’age patristique et la culture monastique du moyen âge“ 2 verstanden. Eine anschauliche Schilderung dieser Auffassung bietet Petersen: „Gregory the Great is one of those characters who stand at a crossroads in history, beneath a signpost with arms pointing in four directions. Two of the arms, in his case, point in chronological directions: south to classical times and late antiquity; north to the Middle Ages and to modern times. The other two arms point in geographical directions: to the Greek-speaking Eastern Mediterranean area and to the Latin-speaking West, areas which will later signify the Eastern and Western churches.“3

Diese Sichtweise prägte die Beurteilung von Gregors Beitrag zum patristischen Gedankengut. Dieser wird demgemäß hauptsächlich im Tradieren der überlieferten Elemente der patristischen Theologie in die Theologie des Mittelalters gesehen.4 Diese dem Papst zugewiesene Rolle trug oft dazu bei, dass die originellen Elemente seiner Lehre wenig Beachtung fanden, sondern vielmehr Gregors Abhängigkeit von der vorangegangenen Tradition hervorgehoben wurde. Infolgedessen stellt Fiedrowicz hinsichtlich der zentralen Themen der Ekklesiologie Gregors im Rahmen der patristischen Theologie fest: „Blickt man auf die zentralen Themen, die das Kirchenverständnis widerspiegeln, dann zeigt sich, dass sie großenteils bereits in der vorangegangenen patristischen Tradition entfaltet worden waren.“5 1

GRESCHAT, Die Moralia in Job, 1. LECLERCQ, L’amour des lettres, 30. Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio als Missio, 7: „Er [sc. Gregor] vermittelte dem Mittelalter die wichtigsten patristischen Lehren und prägte mit seiner Mystik die klassische monastische Tradition bis ins zwölfte Jahrhundert.“ 3 PETERSEN, „Homo omnino Latinus“, 551. 4 Vgl. GRESCHAT, Die Moralia in Job, 1. 5 FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 349. 2

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Obschon diese Feststellung von Fiedrowicz für die ganze Lehre Gregors bezeichnend sein könnte,6 soll bei der Analyse der Theologie des Papstes auch beachtet werden, dass Gregor kein systematischer und philosophischer, sondern vielmehr ein auf die Praxis des christlichen Ethos bezogener Denker war. Das systematische Gerüst seiner Lehre lieferte ihm lediglich die Ansätze zur Entwicklung einer christlichen Ethik in Bezug auf seine Zeit und seine Welt, die er vor allem aus der eschatologischen Perspektive betrachtete. Die vor diesem Hintergrund entworfene Lehre stellt keinesfalls lediglich eine Bearbeitung der überkommenen Theologie der Kirchenväter dar. Vielmehr entwickelte der Papst seine spezifische Spiritualität und setzte eigene Akzente innerhalb der patristischen Tradition. Hinsichtlich dessen merkt Straw treffend an: „Old ideas are recombined, new emphases appear, and subtle but stubborn differences distinguish Gregory from the earlier writers who inspired him.“ 7

Bezüglich der Theologie Gregors lässt sich diese Feststellung von Straw besonders auf die lateinische Tradition beziehen. In seiner Lehre beschäftigte sich Gregor mit den aus der westlichen Tradition überkommenen Themen, die er in das Mittelalter tradierte. Gregors Beschäftigung mit der Theologie beschränkte sich jedoch nicht auf die reine Rekapitulation der Theologie der westlichen Kirchenväter. Fiedrowicz bemerkt mit Recht, dass „Gregor trotzdem das Empfangene oft nicht unverändert tradiert, sondern durchaus eigenständig modifiziert.“8 Diese These lässt sich exemplarisch anhand der Lehre Augustins erläutern. Gregors Vertrautheit mit dessen Theologie bzw. seine Verwurzelung in der Theologie Augustins wurde in der Forschung stets hervorgehoben.9 Andererseits wurden auch die signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Autoren betont.10 Gregor rezipierte die Lehre Augustins vor dem Hintergrund der eigenen Zeit und glich sie den Bedürfnissen des Verkündigungsamtes in seiner konkreten 6

Vgl. STRAW, Gregory the Great, 13: „In many ways, Gregory only articulates what is latent in earlier Christianity.“ 7 STRAW, Gregory the Great, 13. Vgl. auch ebd.: „Gregory’s spirituality is often little more than variations of tradition; yet slight changes can be of great consequence, creating new, distinctive styles. Gregory shows that the shift from late antique to medieval spirituality is gradual, a change by quantitative degrees that eventually becomes qualitative and dramatic.“ 8 F IEDROWICZ, Kirchenverständnis, 350. Anschließend gibt FIEDROWICZ Beispiele solcher Modifikation der Tradition an: ebd. 350–359. 9 Vgl. MARKUS, Gregory the Great, 40: „But in all essentials it was Augustine’s conceptual structures that shaped the world of his [sc. Gregory’s] imagination.“ D UDDEN, Gregory the Great II, 293f; FLORYSZCZAK, Die Regula Pastoralis Gregors der Großen, 100–108; FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 364–366. 10 Vgl. DUDDEN, Gregory the Great II, 294: „He [sc. Gregory] retained its superficial form, without its profound meaning.“

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Situation an.11 Nicht das Tradieren der augustinischen Theologie war also die Absicht Gregors, sondern er wollte sie für seine Zeit und für seine Mitmenschen fruchtbar machen.12 Aus diesem Grund griff Gregor aus der Tradition vor allem die Themen und die Motive auf, die zur moralischen Belehrung des Volkes hilfreich waren. Durch diese pastorale Prägung zeichnet sich Gregors Umgang mit der gesamten patristischen Tradition aus, und sie stellt den Rahmen dar, innerhalb dessen Gregors Umgang mit der Tradition zu bewerten ist. Dasselbe gilt für Gregors Verhältnis zur Theologie des Ostens. Wenngleich es eine Sinnentfremdung bedeuten dürfte, kann die von Caspar geprägte Bezeichnung „Grenzgestalt“13 für eine anschauliche Darstellung der Position Gregors zwischen der Theologie des Okzidents und der des Orients herangezogen werden. Obschon in der Forschung kein Konsens über das Ausmaß des Einflusses der östlichen Tradition auf die Lehre des Papstes besteht, ist eine gewisse Beeinflussung seines Denkens durch die Theologie des Ostens unbestritten. Hinsichtlich der Ekklesiologie meint Fiedrowicz, dass der Einfluss der östlichen Tradition auf das Kirchenverständnis Gregors gering einzuschätzen ist.14 Deutlich größeren Einfluss der Theologie des Ostens findet Straw in der gesamten Lehre des Papstes.15 Die asketische bzw. monastische Prägung Gregors führt diese Autorin u. a. auf die asketische Gesinnung der östlichen Mönche zurück, deren Lebenswandel dem Papst nicht unbekannt blieb: „This spirit of asceticism from the desert is always a silent partner in his work, leading Gregory in new directions away from Augustine and the Western Fathers.“16

In der Tat steht Gregor in seinen Ausführungen über die materielle Welt und den Menschenkörper der griechischen Tradition gelegentlich näher als der lateinischen.17 11 MARKUS, Gregory the Great, 40f betont mit Recht, dass Augustinus und Gregor in zwei verschiedenen Welten bzw. Umgebungen lebten, so dass sie in ihrer Beschäftigung mit der Theologie zwei einigermaßen verschiedene Ziele verfolgten. Vgl. auch MARKUS, The Sacred and the Secular. 12 Vgl. GRESCHAT, Die Moralia in Job, 82–84. 13 CASPAR, Geschichte des Papsttums, 408. 14 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 362. 15 Vgl. STRAW, Gregory the Great, 13f. 16 STRAW, Gregory the Great, 14. Vgl. auch ebd. 13: „He will often exhibit striking similarities with others of his era also steeped in Eastern monastic culture, such as Dorotheos of Gaza or John Climacus. This monastic sensibility, the restless vision of the athlete’s battle with the devil, left a deep impression on Gregory. Yet Gregory sees less the display of ascetic valor in the desert and more the suffering and sacrifice the monks endure in that warfare.“ 17 Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 13: „Although Augustine’s work may have served as a reference library where Gregory found authoritative definitions and images,

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Obschon die Analyse des Einflusses der östlichen Tradition auf die Lehre des Papstes nicht das Thema dieser Arbeit ist,18 seien hier einige östliche Theologen erwähnt, deren Lehre Berührungspunkte mit der Theologie des Papstes aufweist. Gregors Lehre über das Wechselverhältnis von Kontemplation und Sehnsucht zeigt eine verblüffende Ähnlichkeit mit Erläuterungen des Gregor von Nyssa über die Sehnsucht, die durch ihre Erfüllung paradoxerweise noch größer und intensiver wird.19 Die gedankliche Nähe zur Theologie dieses Kappadokiers macht weiterhin die für den Papst grundlegende Idee einer Rückkehr zum Ursprung deutlich.20 Der zweite Autor, dessen Ideen in Gregors Werken aufzufinden sind, ist Dionysius Areopagita. In Gregors Lehre von den Engeln findet Petersen die Spuren von dessen Schrift De caelesti hierarchia.21 Bei der Abfassung der Regula pastoralis bediente sich der Papst offensichtlich der Oratio de fuga sua von Gregor von Nazianz sowie möglicherweise der Schrift De sacerdotio von Johannes Chrysostomus.22 Gregors Prinzipien der Schriftauslegung und die dafür grundlegende Antithese Sichtbares – Unsichtbares zeigen Übereinstimmungen mit den exegetischen Prinzipien des Origenes.23 Die angeführten Beispiele dürften genügen, um zu zeigen, dass Gregor keinesfalls als homo omnino Latinus betrachtet werden darf. Als „Grenzgestalt“ zwischen dem Osten und dem Westen vermittelte er trotz seiner mangelnden Kenntnis der griechischen Sprache24 etwas von der östlichen Theologie an die Theologie des Westens.25 Wenngleich er im Osten großes Ansehen genoss,26 blieb sein Einfluss auf die östliche Theologie verhältGregory is often nearer the Greek tradition in his sensibilities and reads Augustine in that spirit.“ 18 Eine solche Analyse bleibt immer noch ein Desiderat. 19 Über die Lehre Gregors von Nyssa vgl. FLOROVSKI, Istoþni oci, 210f. 20 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 361: „Wenn für Gregor die Idee einer Rückkehr zum Ursprung, das heißt zur Schau Gottes, zentrale Bedeutung besaß, dann steht er in seiner konkreten Ausgestaltung dieses Gedankens Gregor von Nyssa nahe, der das origenische Schema einer Korrespondenz von Archè und Telos nicht in der vom Präexistenzgedanken belasteten Form rezipierte, sondern in modifizierter Gestalt insbesondere anhand der Parabel vom verlorenen Schaf zum Hintergrund seiner theologischen Reflexion machte.“ Die Auslegung der Parabel vom verlorenen Schaf diente auch Gregor dem Großen zur Entfaltung seiner Lehre von der Rückkehr. 21 Vgl. PETERSEN, „Homo omnino Latinus“, 541. 22 Vgl. darüber FLORYSZCZAK, Die Regula Pastoralis Gregors der Großen, 95–100. 23 Vgl. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 360f. 24 Vgl. darüber KESSLER, Gregor der Große, 158–160; PETERSEN, Did Gregory the Great know Greek?; PETERSEN, „Homo omnino Latinus“. 25 Vgl. dazu DAGENS, Grégoire le Grand et le monde oriental; KESSLER, Gregor der Große, 165: „Der Mönchspapst wurde vielmehr, trotz fortschreitender sprachlicher und geistiger Entfremdung der beiden Reichshälften, ein bedeutender Vermittler und Interpret ostkirchlicher Ideen für das sich neu formierende Europa.“ 26 Vgl. MODESTO, Gregor der Große, 298–309.

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nismäßig gering. Im Osten war Gregor vor allem als Autor der Dialoge bekannt, die sich in die dort populäre hagiographische Literatur gut einfügten. Darüber hinaus wurde ihm die Liturgie der vorgeweihten Gaben (Präsanktifikaten-Liturgie) zugeschrieben, deren Verfasser allerdings nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann.27 Hinsichtlich des Einflusses der östlichen Tradition auf die Lehre Gregors soll schließlich nicht nur punktuell auf die Parallelstellen hingewiesen werden. Die Beeinflussung durch die Theologie des Ostens kann beim Papst vor allem in seiner ausgeprägten asketischen Einstellung, deren Spuren in seiner gesamten Lehre aufzufinden sind, gesehen werden. Der asketische Hintergrund, vor dem Gregor seine Theologie entfaltete, lässt sich besonders gut in seinen Erläuterungen über das Irdische erkennen. Das irdische Leben und alles Irdische betrachtete Gregor der Große hauptsächlich vor dem Hintergrund des Sündenfalls. Indem der Mensch seine eigentliche Bestimmung verfehlt und seinen Platz am Ort der Präsenz Gottes eingebüßt hat, befindet er sich nun im Exil.28 Diese Perspektive des Exils zieht sich durch alle Überlegungen Gregors über das Irdische. Er scheute keine Mühe, um die Menschen auf die wesentliche Fremdheit dieses Exils gegenüber ihrer ursprünglichen Bestimmung hinzuweisen. Den provisorischen Charakter der irdischen Existenz hob er folglich immer wieder hervor. Daher drückt der Satz: Via quippe est uita praesens29 sein Verständnis des irdischen Lebens als einer Pilgerschaft prägnant aus.30 Solche Aussagen Gregors zielen in der Regel nicht nur auf die bloße Aufforderung zur Verachtung des Irdischen, wenngleich sich modernen Lesern diese Idee aufdrängt; vielmehr versuchte der Papst durch diese Aussagen, die Menschen auf das Himmlische hinzuweisen. Ein locus classicus für eine solche Gegenüberstellung von Irdischem und Himmlischem befindet sich in einer Evangelienhomilie: „Das zeitliche Leben, verglichen mit dem ewigen Leben, muss man eher ‚Tod‘ als ‚Leben‘ nennen. Denn was ist das tägliche Schwinden der Kräfte anderes als ein in die Länge gezogener Tod? Welche Zunge vermag hingegen auszusprechen oder welcher Verstand vermag zu erfassen, wie groß jene Freuden des himmlischen Gemeinschaftswesens sind, den Chören der Engel eingereiht zu sein ...?“31

Diese Perspektive, die sich bei Gregor mit einem asketischen Blick auf die irdische Existenz verknüpft, bedingte sein Verständnis und seine Ausdrucksweise hinsichtlich des Irdischen. Dies betrifft besonders seine Cha27

Vgl. BECK, Kirche und theologische Literatur, 243. Vgl. moral. XVIII, 30, 48 (CCL 143A, 916f). 29 Vgl. moral. XXIII, 24, 46 (CCL 143B, 1179). 30 Vgl. auch in euang. I, 11, 1 (FC 28/1, 182): In praesenti etenim vita quasi in via sumus, qua ad patriam pergimus. Vgl. dazu auch MCCLAIN, The Doctrine of Heaven, 54. 31 In euang. II, 37, 1 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 741–743). 28

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rakterisierungen der Materie bzw. der Leiblichkeit. Obschon zu beachten ist, dass Gregor meistens die gefallene Materie darstellt und sich somit der patristischen Tradition anschließt32, bleiben seine Charakterisierungen der Leiblichkeit auffällig negativ.33 So behauptete er, dass die Leiblichkeit bereits vor dem Sündenfall von der Schwachheit geprägt war.34 Die Grundlage einer solchen Auffassung von der Leiblichkeit ist vor allem in Gregors theologischen Ansichten zu suchen. Abgesehen von den Stellen, an denen er die Leiblichkeit schon seit der Schöpfung als von Schwachheit gekennzeichnet betrachtete, korrelierte in seiner antithetischen Denkweise der Leib immer mit der Zeitlichkeit bzw. mit der Vergänglichkeit.35 Der Leib und die gefallene Welt überhaupt sind in Gregors Konzeption von der Zeitlichkeit geprägt und gehören zu diesem Pol der Antithese temporalis – aeternus, die ein zentrales Element seiner Denkweise darstellt. Die gefallene Welt verband der Papst mit der mutabilitas bzw. mit der Sünde, und als solche steht die irdische Welt und darunter der Leib im klaren Gegensatz zum Himmlischen. Der provisorische Charakter des Irdischen, der in Zeitlichkeit und Vergänglichkeit zum Ausdruck kommt, führt dazu, dass jegliche Manifestation des Irdischen zur via gehört. Das Himmlische assoziierte Gregor dagegen mit der stabilitas und mit der Ewigkeit, so dass erst im Himmlischen die patria zu suchen ist. Diese antithetische Gegenüberstellung von temporalis und aeternus bzw. von via und patria relativiert notwendigerweise die Bedeutung des Irdischen und des Körpers in Gregors Theologie. In diesem Lichte sind auch die mangelnden Erläuterungen der himmlischen Existenzweise des Körpers zu betrachten. Gregor übersah zwar nicht, dass der Körper einen Bestandteil der erlösten Menschheit darstellt, beschäftigte sich aber dennoch mit dem Platz des Körpers in der patria caelestis nur vereinzelt. Im Vergleich dazu kommen die Ausführungen über die sowohl irdische als auch himmlische Kontemplation, die einen spirituellen Akt der Seele par excellence darstellt, unverhältnismäßig oft vor. In der irdischen Existenz wird der Leib von Gregor fast ausnahmslos als ein störendes Element erlebt. Als das Charakteristikum des irdischen Lebens führte er das caeleste desiderium an. In diesem Streben nach dem Himmlischen wird der Mensch vom Leib nur aufgehalten und an die Erde gefesselt. Der Leib ist schwach und besitzt eine angeborene Disposition 32

Vgl. darüber LANGEMEYER, Theologische Anthropologie, 544–547. Vgl. z. B. moral. III, 7, 10 (CCL 143, 119f); moral. III, 18, 33 (CCL 143, 136f). 34 Vgl. moral. IV, 3, 8 (CCL 143, 168); moral. XIV, 15, 17 (CCL 143A, 707f). 35 Vgl. dazu besonders DAUBERCIES, La théologie de la condition charnelle. Vgl. hinsichtlich dessen auch die Feststellung von M CGINN, Die Mystik im Abendland, Bd. 2, 82: „Wie Pierre Daubercies nahe legt, ist Gregor die zentrale Gestalt für die Entstehung eines neuen Verständnisses von caro und carnalis, das in monastischer Tradition den Gegensatz zwischen der diesseitigen und der künftigen Welt betont.“ 33

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zur Sünde. Bei der Untersuchung von Gregors Überlegungen hinsichtlich des menschlichen Leibes sollte auch seine eigene Lage mit einbezogen werden. Er war ein kranker Mann, der häufig Schwächeanfällen ausgesetzt und Zeit seines Lebens bettlägerig war. In seinen Werken beklagte er gelegentlich die eigene körperliche Schwäche, die ihm seine pastoralen Aktivitäten unmöglich machte.36 So brachten ihn sein Gesundheitszustand und sommerliches Wetter dazu, das Predigen zeitweise zu unterbrechen.37 Mit der Schwachheit des eigenen Körpers konfrontiert, entfaltete Gregor vor dem asketischen Hintergrund seine Lehre über die Leiblichkeit, in der diese vor allem mit einer negativen Konnotation versehen wurde. Die Flüchtigkeit des irdischen Kontemplationserlebnisses sah Gregor auch als durch leibliche Schwäche bedingt an. In seinen Werken bedauerte er häufig die Unmöglichkeit der vollkommenen Kontemplation auf Erden. Diese Unmöglichkeit führte Gregor aber nicht nur auf die mutabilitas des Leibes zurück, vielmehr schilderte er die irdische Lebensweise im Allgemeinen als ein Hindernis für das Voranschreiten im geistigen Leben. Die Verflechtung in die weltlichen Tätigkeiten betrachtete er als in solchem Maße störend, dass er sich der Papstwahl durch Flucht entziehen wollte. Auch nach diesem gescheiterten Versuch hörte er nicht auf, die Bürde der irdischen Geschäfte im Papstamt zu beklagen.38 Wenngleich solche Stellungnahmen Gregors vor allem auf dem Trachten nach spirituellem Leben in der mönchischen Abgeschiedenheit basierten, boten auch die Zeitumstände in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts einen Anstoß dazu. Die Erschütterungen dieser Zeit – die vergangenen Gotenkriege, die Langobardeninvasion, Hunger, Pest, Naturkatastrophen – brachten Gregor dazu, von der senectus mundi zu sprechen. Hinsichtlich dieser Arbeit wäre es nun überflüssig, auf die Diskussion über die inhaltliche Qualifizierung des Begriffs der Spätantike einzugehen.39 Für das Verständnis der Verbindung der konkreten Zeitumstände mit Gregors Anschauung vom Zeitlichen ist vor allem seine eigene Perspektive von Belang. Gregors Schilderungen der eigenen Epoche bezeugen, dass er die 36

Vgl. in euang. II, 22, 1 (FC 28/2, 390): Fractus longe molestia stomachus, diu me caritati vestrae de lectionis evangelicae expositione loqui prohibuit. Vox namque ipsa a clamoris virtute succumbit: et quia a multis audiri non valeo; loqui, fateor, inter multos erubesco. 37 Vgl. in euang. II, 34, 1 (FC 28/2, 640–642): Aestivum tempus quod corpori meo valde contrarium est, loqui me de expositione Evangelii longa mora interveniente prohibuit. 38 Vgl. z. B. dial. I, praef. (BKV2 3, 1f). 39 Vgl. dazu BROWN, The World of Late Antiquity; BROWN, The Rise of Western Christendom. Zur Diskussion vgl. W ARD-P ERKINS, Der Untergang des Römischen Reiches, 14f. Vgl. auch MÜLLER, Führung im Denken und Handeln Gregors des Großen, 17f.

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Welt, wenn nicht in einem vollständigen Verfall, dann aber doch in einem allmählichen Niedergang begriffen sah. In den Werken des Papstes lassen sich kaum Stellen finden, die eine moderne Sichtweise der Spätantike als die eines „Übergangs“ stützen würden. Diese Perspektive der Transformation in der Spätantike kann nur im Nachhinein eingenommen werden. Gregor sah dagegen, dass seine Welt, d. h. die Welt des römischen Patriziers aus dem 6. Jahrhundert, dem Untergang entgegenging.40 Diese Stimmung findet ihren Ausdruck häufig in seinen Predigten, in denen er zur Abkehr von der ohnehin untergehenden Welt auffordert. Andererseits legte er seiner Hörerschaft unaufhörlich die Perspektive der himmlischen Existenz nahe, die er vor dem Hintergrund der Zeitumstände als absolut verschieden von der irdischen Existenz darstellte. Trotz der Eindringlichkeit seiner eschatologischen Predigt war Gregor kein apokalyptischer Prediger im modernen Sinne. Vielmehr bot ihm die Bedrängnis der Zeit die Möglichkeit, die Notwendigkeit der Jenseitsorientierung bzw. die Abkehr vom Diesseits hervorzuheben. Diese eschatologische Orientierung steht immer im Hintergrund seiner Ausführungen über die Abwendung von der irdischen Welt. Er predigte: „Unbeschwerter ziehen wir dem Vaterland entgegen, wenn wir auf dem Weg der Bürde ledig sind.“41 Alle diese Elemente – die mutabilitas des Irdischen, die Schwäche des menschlichen Leibes, die Flüchtigkeit der irdischen Kontemplation, die Bedrängnis der Zeit – samt der grundsätzlich christlichen eschatologischen Orientierung tragen dazu bei, dass im Hintergrund der Theologie Gregors die Antithese temporalis – aeternus stets präsent ist. Ihre Elemente lassen sich in der gesamten Lehre Gregors verfolgen. Die Antithese wird am häufigsten durch die Gegenüberstellung der via des irdischen Lebens und der patria der himmlischen Existenz entfaltet, die der Papst in verschiedenen Kontexten und in vielen Hinsichten erläuterte. Sie prägt auch Gregors Verständnis von der Leiblichkeit, indem er die irdische Leiblichkeit vor allem als Gegensatz zur himmlischen Seinsweise betrachtete. Infolgedessen stellt Daubercies treffend fest, dass für Gregor der Gegensatz nicht zwischen dem Körper und der Seele als solchen besteht, sondern zwischen den bona temporalia und den bona caelestia.42 Das Verhältnis temporalis – aeternus betrachtete Gregor vor allem als antithetisch. Die Diesseitsorientierung und die Jenseitsorientierung als Manifestationen dieser Antithese sind einander kategorisch entgegengesetzt. Die antithetischen Ausführungen kommen besonders in seinen Erläu-

40

Diese Sichtweise entspricht vielmehr der These vom Verfall des Römischen Reiches im Westen, die W ARD-PERKINS, Der Untergang des Römischen Reiches vertritt. 41 In Ezech. II, 7, 18 (B ÜRKE, CMe 21, 395). 42 Vgl. dazu DAUBERCIES, La théologie de la condition charnelle.

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terungen der Folgen des Sündenfalls und in der Betonung der soteriologischen Notwendigkeit der eschatologischen Orientierung vor. Wenngleich die antithetische Relation von temporalis und aeternus eine Konstante in Gregors Theologie ist, denkt er im Erlösungsgeschehen diese beiden Pole als aufeinander bezogen. Da Gregor diese Antithese als Folge des Sündenfalls betrachtete, erläuterte er, dass in Christus die negative Dimension dieser Dichotomie aufgehoben wurde. Die Zeitlichkeit und Ewigkeit stehen nicht mehr in einem strengen Gegensatz, weil sie durch die vermittelnde Rolle Christi in ein antithetisches Spannungsverhältnis treten, das nun aber von einer Komplementarität43 gekennzeichnet ist. Die Antithese temporalis – aeternus wird dadurch aber nicht völlig aufgehoben, vielmehr bekommt sie eine neue Qualität bzw. eine Möglichkeit, durch Christus auf das Positive hin aufgelöst zu werden. Hinsichtlich der menschlichen Existenz bedeutet dies, dass dem zeitlichen Menschen die Erlösungsmöglichkeit in Christus dargeboten wurde. Das depravierte Verhältnis zwischen Mensch und Gott wurde in dem mediator Dei et hominum wiederhergestellt. Durch die Präsenz des Erlösers sind dem Menschen die Augen des Geistes geöffnet und ist ihm die wahre Bestimmung seiner Existenz nahe gebracht worden. Anhand der Szene der Heilung eines Blinden erläuterte der Papst, dass der bis zur Erlösung blinden Menschheit das geistige Licht der Kontemplation gereicht wurde.44 Gregor beschrieb, wie Benedikt aus dem Diesseits den Himmel schaut.45 So vermag der Mensch nunmehr ein Vorzeichen der ewigen Seligkeit in der Kontemplation Gottes zu erleben, wenngleich dieses irdische Erlebnis von der Vergänglichkeit geprägt ist. Aber auch solch ein flüchtiges Kontemplationserlebnis reicht aus, um im Menschen das caeleste desiderium zu entflammen. Durch die Kontemplation erfährt der Mensch auch die Bitterkeit des Exils, in dem er sich nach dem Sündenfall befindet. Nach dem Erlösungswerk Christi ist dem Menschen die Perspektive der himmlischen Existenz in der caelestis communio eröffnet. Sein irdisches Leben wird nun von der Sehnsucht nach seiner eigentlichen Bestimmung bzw. nach der Kontemplation Gottes in der patria caelestis erfüllt. Obgleich also dem Menschen die Erlösungsmöglichkeit potentiell offen steht, bleibt er in der irdischen Existenz immer noch der vergänglichen Zeitlichkeit unterworfen. An diesem Punkt knüpfte Gregor seine Konzeption von der irdischen Existenz des Menschen an, den er als zwischen dem Zeitlichen und dem Ewigen ausgespannt charakterisiert. Diese Lage der irdischen Menschen wird zum Auslöser des Spannungsverhältnisses zwischen 43

Über die Prinzipien der Komplementarität bei Gregor vgl. STRAW, Gregory the Great, bes. 18–20. 44 Vgl. in euang. I, 2, 1 (FC 28/1, 64–66). 45 Vgl. dial. II, 34 (FUNK, BKV2 3, 99).

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Zeit und Ewigkeit, das auf alle Erwählten auf der Erden wirkt. Durch das Erlösungsgeschehen wird die Antithese temporalis – aeternus auf eine neue Weise erfahren. Ihr Spannungsverhältnis macht nun das caeleste desiderium aus. Die Spannung zwischen der Zeit und der Ewigkeit nimmt konkrete Gestalt in der Relation zwischen der Ausrichtung auf das Ewige und den Sorgen des Menschen in dieser Welt an. Diese Konzeption interessierte den Papst besonders aus der Perspektive der praedicatores, weil er am Anfang seines Papstamtes ein Gleichgewicht zwischen dem Ewigen und dem Zeitlichen suchte. Die Antithese temporalis – aeternus spiegelt sich daher in Gregors Konzeption des Verhältnisses zwischen actio und contemplatio wider. Ebenso wie diese Antithese nach dem Erlösungsgeschehen von einer Komplementarität gekennzeichnet ist, sind auch actio und contemplatio aufeinander bezogen. Gregors Vorliebe für die kontemplative Lebensweise, die darüber hinaus der himmlischen Existenzweise korreliert, gibt unmissverständlich der höheren contemplatio den Vorzug. Gregor erläuterte, dass der Mensch als jenseitsorientiert nach der contemplatio trachtet und sich abmüht, ihr teilhaftig zu werden. Sobald er sie erreicht, vermag er aber nicht dauerhaft in ihr zu verbleiben. Innerlich von dem heiligen Verlangen genährt, sucht der Mensch den neuen Aufstieg zur Schau, der ihm durch die geringwertige actio, d. h. durch tätiges Leben in der Welt gewährt wird.46 Wenngleich sich in Gregors (vor allem früheren) Werken actio und contemplatio gegenüberstehen und die Notwendigkeit der actio in erster Linie als Störung bei der Bemühung um die contemplatio erlebt wird, erarbeitete Gregor die Konzeption der vita mixta, die eine Verbindung von actio und contemplatio darstellt. Die Doppelseitigkeit der vita mixta bzw. der actio und contemplatio kann einigermaßen aus einigen Werken Gregors abgelesen werden. Während sich Gregor in seinen exegetischen Werken (besonders in der Hoheliedauslegung) als spiritueller Denker, der der contemplatio zuneigt, präsentiert, stellt das Briefregister ein musterhaftes Beispiel der Führungstätigkeit eines kirchlichen Oberhauptes dar. Leyser merkt dazu an, es scheine, dass man sich für den einen oder für den anderen Gregor entscheiden müsse.47 Contemplatio und actio kommen aber bei Gregor zu einer fruchtbaren Korrelation. Ohne den Gregor des Briefregisters gäbe es nicht den Gregor der exegetischen Werke. Das Ideal der vita mixta vereinigt diese beiden Seiten der Persönlichkeit Gregors in einem Gesamtbild. Infolgedessen charakterisiert Rahner prägnant und treffend das Briefregister Gregors: 46

Vgl. in Ezech. I, 5, 12 (CCL 142, 62f). Vgl. LEYSER, Authority and Ascetism, 140–142. Infolgedessen schildert O’D ONNELL, The Holiness of Gregory, 62–64 karikierend vier verschiedene Gregor. Vgl. dazu auch MÜLLER, Führung im Denken und Handeln, 4. 47

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„Die Briefe sind zwar Geschäftsbriefe eines Verwaltungsmannes, aber gerade so zeigen sie, wie ein Heiliger seinen Alltag meistert.“48

Gregors eschatologische Orientierung manifestierte sich also nicht als Flucht aus der Zeit, sondern vielmehr als Engagement in der Zeit. Dieses Engagement wurde jedoch eschatologisch in dem Sinne inspiriert, dass es die Führung der Kirche bzw. des Menschen zur patria caelestis zum Ziel hat. Die patria caelestis stellt bei Gregor das endgültige Ziel aller irdischen Bemühungen des Menschen dar. Die antithetische Relation zwischen temporalis und aeternus wird in der himmlischen Heimat aufgelöst. Die Harmonie von Körper und Geist wird dort vollkommen sein, so dass der Mensch in der Gemeinschaft mit den Engeln der Kontemplation Gottes ununterbrochen teilhaftig werden kann. Gregors Schilderung der patria caelestis spiegelt gerade seine Darstellungen der mangelhaften irdischen Existenzweise wider. Aus seinen Ausführungen geht eindeutig hervor, dass jeder Makel des irdischen Lebens in der patria caelestis aufgehoben ist. In seiner umfassenden Studie über Gregors Theologie stellt Dagens treffend fest, dass im Œuvre Gregors die eschatologischen Ausführungen in aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit vorkommen.49 Die Gründe dafür sind nicht primär im Bewusstsein der senectus mundi und in der Erwartung des nahenden Weltendes zu suchen, wenngleich diese Elemente samt den Zeitumständen zur Genese einer eschatologischen Stimmung beigetragen haben. Vielmehr basiert die Betonung der eschatologischen Orientierung in Gregors Überzeugung darauf, dass die Diesseits- bzw. Jenseitsorientierung eine tiefgreifende existenzielle Einstellung darstellt, von der die persönliche Erlösung jedes Menschen abhängig ist. Vor dem Hintergrund der Antithese temporalis – aeternus betonte daher der Papst, soteriologisch motiviert, die Notwendigkeit der geistigen Ausrichtung auf die patria: „Unsere geistigen Augen sollen sich nach vorne richten, um mit aller Aufmerksamkeit auf das zu schauen, wohin wir gelangen.“50

Gregors Ausführungen über die patria caelestis sind nicht nur als Darstellungen eines schönen Ortes zu verstehen, an dem der Mensch einmal Gott unmittelbar schauen werde, der Ort aber für die irdische Existenz des Menschen nicht von Belang sei. Vielmehr stellt die himmlische Heimat einen ständigen Bezugspunkt in Gregors Betrachtungen des Menschen und des 48

RAHNER, Spiritualität und Theologie der Kirchenväter, 352. Vgl. DAGENS, Grégoire le Grand, 347: „Il ne faut pas chercher chez lui une philosophie de l’historie, une théologie des fins dernièrs on une réflexion méthodique sur l’eschatologie, mais simplement l’expression de ses convictionis par rapport à la fin des temps et aux responsabilités de l’Église en attendant le retour du Christ et l’avènement de son Royaume.“ 50 In euang. II, 36, 11 (FIEDROWICZ, FC 28/2, 733). 49

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Irdischen im Allgemeinen dar.51 Gregor schrieb die Diesseitsorientierung den Verworfenen zu, während er die Erwählten als durch eine ontologische Jenseitsorientierung gekennzeichnet ansah. Der Papst schrieb, dass der Geist der Erwählten auf das Streben nach Ewigkeit gerichtet ist.52 Diese eschatologische Orientierung beinhaltet nicht eine bloße Hoffnung auf das zweite Kommen Christi, sondern wird auch zum Kriterium für die Gestaltung des gegenwärtigen Lebens und die Beurteilung der irdischen Existenz. Für Gregor gilt, dass der Mensch aus der Erkenntnis des Zukünftigen das Gegenwärtige errichtet bzw. dass das Gegenwärtige erst aus seiner Beziehung mit dem Zukünftigen den Sinn der eigenen Existenz schöpft.

51

Demselben Gedankengang folgt FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 305–310, indem er die patria caelestis als Konvergenzpunkt der Ekklesiologie Gregors betrachtet. 52 Vgl. moral. VIII, 12, 27 (CCL 143, 400f); in euang. I, 17, 10 (FC 28/1, 284).

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Register 1. Stellenregister a) Altes und Neues Testament Gen 19,1 32,22–32

240 245

Ex 12,7 12,9 12,10 13,21 28,5 33,8 39,37–39 40,5 40,24–25

210 200, 223 231 204 135 126 216 216 216

Lev 6,6

246

Dtn 32,8 Jos 5,15

242

240

1Sam 6,10–12

73

Ijob 1,5 1,20 3,3 7,10 16,20 19,15 19,25 19,25–27

203 204 106 147 173 222 171 235

40,20

163

Ps 8,6 95,11 118,105

168 34 187

Hld 1,2 1,3 2,5 2,9 3,1–4 3,1f 3,3

225 197 128 221 130 137 130

Weish 12,15

163

Jes 28,21

154

Ez 1,4 1,5 1,7 1,12 2,9 3,1–3 40,3 40,5 40,9 40,37

156 213 179 75 191, 192 76 156, 220 153 135 139

Hos 2,7–9

102

280 Hag 1,5–6 Mt 2,1–12 13,44–52 19,16–22 19,20 25,13 Lk 10,41f 12,36 12,37 14,16–24 15,1–10 15,8–10 15,11–32 15,17 16,19–31 18,35–43 21,10f 21,25 21,33 24,42 Joh 1,14 9,6 8,59 10,9 21,1–4 21,1–14 21,9.13 Apg 9,4 Röm 8,9 8,21f 1Kor 10,11 11,3

Register 15,47.49

212

2Kor 4,7 5,6f

100 129

Gal 4,5

150

Eph 1,9f 1,10 4,15

152 152 200

Phil 1,21–23 3,20f

129 215

Kol 1,24

158, 200

1Thess 2,1

125

1Tim 2,5

150

2Tim 3,12

125

Hebr 11,13 12,1f

129 208

1Petr 2,21ff

208

2Petr 1,19

187

Offb 5 19,16 22,9

174 220 240

76

153 183 93 86 59

244 240 250 57, 72, 99, 181 147, 241 220 65 99 90 175 53 53 249 208

150 176 205 247 177 106 208

157, 212

89 169

58 200

1. Stellenregister

281

b) Antike Autoren Ambrosius De bono mortis 10,46 56 Augustinus De civitate dei XIV,13 206 XX,1 55 XXII,29 247 XXII,30 251 De doctrina christiana I,4,4 107 Enarrationes in Psalmos 119,1 212 Epistulae 199,34f 55 199,46–51 55 De Genesi ad litteram 246 In Iohannis Evangelium tractatus 55,7 202 124,5 107 Sermones 81,8 56 Cyprian De mortalitate 25

55

Dionysius Areopagita De caelesti hierarchia 258 Gregor der Große Dialoge I,praef. 81, 112, 128, 193, 261 I,9 99, 199 II,praef. 230 II,3 65 II,15 58 II,33 113, 207 II,34 263 II,35 70 III,8 14 III,26 96 III,28 13 III,34 217f III,36 185 III,37 231 III,38 54, 58

IV,1 66 IV,25 246 IV,26 13 IV,33 252 IV,42 175 IV,55 210 IV,58 152f Expositiones in canticum canticorum 1 107, 193 2 193 3 195, 196 4 194 9 85 12 109 13 198, 225 16 225 23 197, 241 40 241 Homiliae in Evangelia I,1,1 47, 54, 249 I,1,2 60 I,1,3 59, 61 I,1,4 249 I,1,5 56 I,1,6 59 I,2,1 175f, 185, 263 I,2,2 176 I,2,7 176 I,2,8 176, 200 I,3,3 103, 108 I,3,4 79, 96, 104 I,4,2 61, 82f I,5,1f 82, 94 I,5,3f 94 I,5,4 82 I,5,12 107 I,6,6 136 I,7,3 203 I,7,15 180 I,8,1 153f I,8,2 79, 170, 239f I,10,2 153 I,10,4 185 I,10,7 84f I,11,1 108, 173, 183, 259 I,11,2 92, 122 I,11,3 82 I,12,4 181

282 I,13,2 I,13,4 I,13,6 I,14,1 I,14,5 253 I,14,6 I,15,1 I,15,4 I,15,14 I,17,1 I,17,10 I,17,18 I,18,2 I,18,4 I,18,17 I,20,14 II,21,2 II,21,4 II,21,6 II,21,7 II,22,1 II,22,2 II,22,4 II,22,6 II,22,7 II,22,8 II,24,2 II,24,3 II,24,4 II,24,5 II,24,6 II,25,1 II,25,2 II,25,4 II,25,5 II,25,6 II,25,7 II,25,8 II,26,2 II,26,10 II,27,4 II,27,5 II,28,1f II,28,3 II,29,11 II,30,5 II,30,9 II,30,10 II,32,1

Register 240 246, 250 59 196 61, 108, 110, 247, 250, 121, 128, 132, 253 189, 244 103f 101 198 218 101 205 205, 208 77 205 170, 240 196 106, 159, 171, 174 165, 167, 175, 244 261 190 222 167, 171 210 200, 210, 224, 232 177f 250 71, 106, 178 208f 89, 115, 120, 155 137 122, 127f, 130, 137f 138 119 57 163, 170 164 211 183f 103, 134 70 95 56, 82, 95, 105 72, 119 88, 120 155 183, 250 202

II,32,3 209 II,32,5 95 II,32,6 83, 201 II,33,1 119 II,33,7 114 II,33,8 224 II,34,1 261 II,34,3 147f, 241 II,34,6 118, 148, 220, 242, 251 II,34,7 242 II,34,7–14 79 II,34,8 214 II,34,10 251 II,34,11 80, 242f II,35,1 58f II,35,3 211 II,35,7 95 II,35,8 230 II,36,1 132, 265 II,36,2 58, 72, 115, 181 II,36,4f 72 II,36,6 73 II,36,7 65, 99 II,36,9 102 II,36,10 72, 96, 122 II,36,11 96, 121 II,36,12 97 II,36,13 88, 97, 119, 121 II,37,1 61, 247, 259 II,37,2 73, 90 II,37,3 73 II,37,4 74 II,37,6 87, 93 II,37,9 59 II,37,10 89, 97 II,38,10 135 II,39,3 91 II,39,7 71 II,39,8 70 II,40,1 189, 192 II,40,2–5 91 II,40,3 90 II,40,6 91 II,40,9 99 II,40,12 89, 93, 105 Homiliae in Hiezechielem prophetam I,1,1–14 58 I,2,11 222 I,2,14 156f, 197, 215 I,2,18 213

1. Stellenregister I,2,19 I,2,20 I,2,21 I,3,4 I,3,5 I,3,17 I,5,2–5 I,5,5 I,5,12 I,5,13 I,5,16 I,6,8 I,6,13 I,6,15 I,6,17 I,7,10 I,7,16 I,7,17 I,7,18 I,8,3 I,8,6 I,8,13 I,8,15 I,8,23 I,8,24 I,8,26 I,8,28 I,9,30 I,10,7 I,10,8–13 I,10,9f I,10,11 I,10,12f I,10,16 I,10,38 I,10,43 I,10,44 I,11,6 I,11,16 I,12,1 I,12,25 II,praef II,1,5 II,1,7 II,1,9 II,1,15 II,1,16 II,1,17 II,1,18 II,2,1

205, 212f 214, 249 215 193 179 63 75 245 131, 245, 264 131, 180 166, 208 158 186 110, 190 189 165 187 187 105 247f, 252 136 87f 215 168f, 240 168 153 252 191 76, 92, 186 74 75 76 77 93 81 88, 122, 127 88 51 132 114 103 24 103, 253 80, 97f 156, 168, 220 136, 220f 123, 146, 224 123, 126 122, 126, 132, 174, 231 126f, 191

283

II,2,5 153 II,2,6 83, 171 II,2,8 98, 132, 244 II,2,9 132, 244 II,2,12 245 II,2,15 243, 249 II,3,3 140 II,3,8 128 II,3,9 136 II,3,12 134, 139f II,3,13 140 II,3,16 211, 213 II,3,18 188, 192f II,4,2 207f II,4,3 120, 124, 127, 135 II,4,15 105 II,4,16–18 77f II,4,19 154, 190 II,4,20 83, 146, 154, 161, 198 II,5,3 186, 243 II,5,4 244 II,5,9 84f II,5,10 181 II,6,22 55 II,6,22–24 250 II,6,23 54 II,6,23f 24, 55 II,6,24 53, 60 II,7,7 155 II,7,8 262 II,7,12 102 II,7,17 96 II,7,18 99 II,8,4 86 II,8,5 169, 171, 237 II,8,6 172, 234 II,8,9 234 II,8,10 234 II,8,11 139, 140 II,8,12 139 II,9,9 249 II,9,12 140 II,10,3 190 II,10,4 110 II,10,16 181 II,10,20f 216 II,10,21 123, 128, 217f II,10,24 24 Moralia in Iob Epist. ad Leandrum 1 111, 219

284 Epist. ad Leandrum 3 189 Epist. ad Leandrum 5 112f, 227f Praef.VI,13 81 Praef.VI,14 200 Praef.VII,16 226 I praef.10,21 59 I,13,17 200 I,24,32 203, 208 I,25,34 75, 106, 108, 119, 129f II,14,23 102 II,20,34 248 II,20,35 195 II,22,41 163 II,23,42 157, 203 II,24,43 205, 209 II,34,56 173 II,35,57 204 II,35,58 204 II,37,60 161 III,7,10 260 III,8,12 100 III,9,15 67, 100 III,13,25 158, 212 III,14,26 65, 162, 166, 202 III,14,27 162f III,16,30 160, 201 III,16,31 164 III,17,32 211 III,18,33 169 III,22,43 225 III,24,47 232 III,25,49 223 III,30,59 86, 209 IV,praef.1 191 IV,1,4 105f IV,3,8 149, 260 IV,7,12 153 IV,11,18 157, 201, 206 IV,11,21 222 IV,12,22 107 IV,19,35 218 IV,25,46 168, 195 IV,28,54 63f, 145 IV,30,57 92 IV,30,58 87 IV,33,67 122 IV,34,68 64, 67f, 169 V,1,1 91, 100, 122 V,2,2 127 V,3,3 127

Register V,4,5f V,4,6 V,6,9 V,7,12 V,7,13 V,28,50 V,34,61 V,34,62 V,34,63 V,38,68 VI,1,1 VI,20,35 VII,2,2 VII,12,27 VII,25,31 VII,34,50 VII,35,52 VIII,6,8 VIII,10,19 VIII,12,27 VIII,18,34 VIII,19,35 VIII,30,49 VIII,30,50 X,15,31 XI,4,6 XI,42,58 XI,49,66 XI,50,68 XII,2,2 XIII,10,13 XIII,23,26 XIII,24,27 XIII,32,36 XIV,28,32 XIV,41,49 XIV,55,68 XIV,55,71 XIV,56,72 XIV,56,74 XIV,56,76 XIV,57,77 XIV,58,78 XV,45,51 XV,46,52 XV,57,68 XV,61,72 XVI,5,8 XVI,8,12 XVI,26,32

123 137f 86 65 177 120, 122, 156 66f, 85, 182 84f, 214, 248 214, 248 216 158 165 70, 107 61 175 223 100 65 64f, 108 71, 266 63, 118, 147, 245 144, 147 176 131 131 182 66 108 104, 108 196 230 210 61, 70, 171f, 173 68 226 222 171 233 233 236 235 235 236 204 69, 183 129 55 226 183 125

1. Stellenregister XVI,64,78 107 XVII,7,9 209 XVII,13,19 134 XVII,15,30 176 XVII,27,39 197 XVII,30,46 162 XVIII,30,48 108f, 129f, 259 XVIII,34,54 203 XVIII,48,77f 252 XVIII,49,80 80, 223 XVIII,53,87 155 XVIII,54,91 133f XIX,6,12 68 XX,1,1 186 XX,8,18 226 XX,8,19 231f XX,9,20 191, 232 XX,14,36 65 XX,19,45 104 XX,32,63 196 XX,36,69 166, 208 XXI,1,1 194 XXI,6,11 170, 209 XXII,16,35 86 XXII,17,42 151 XXIII,1,7 195 XXIII,13,24 204 XXIII,24,46 1, 259 XXIII,24,47 129 XXIV,2,2 198 XXV,6,9 64, 105 XXV,7,16 251 XXV,12,30 224 XXVI,12,17 181 XXVI,12,18 182f XXVI,13,21 124 XXVI,14,24 125 XXVI,16,26 101 XXVI,17,28 67 XXVII,12,22 178 XXVII,14,27 247 XXVII,15,29 174, 200 XXVII,15,30 145, 170 XXVII,26,49 109 XXVII,41f,68–70 178 XXVIII,1,5 157 XXIX,1,1 151 XXIX,1f,1f 151 XXIX,8,18 64 XXIX,30,65 207

285

XXX,5,20 184, 223 XXX,24,69 83f, 174 XXXI,23,42 159 XXXI,45,88 79 XXXI,49,99 152, 170, 193, 239, 250 XXXII,5,7 195 XXXIII,14,29 251 XXXIV,4,8 206, 223 XXXIV,7,14 180 XXXIV,12,23 103 XXXIV,21,40 215 XXXIV,23,54 202f, 220 XXXIV,23,56 206 XXXV,14,28 166 XXXV,15,35 58 Registrum epistolarum I,2 46, 48 I,3 50 I,4 47 I,5 71 I,7 44 I,17 30 I,23 49 I,29 23 I,30 23 I,41 36 I,66 49 II,4 50 II,38 23, 26, 29, 50 III,29 57 III,40 49 III,51 104, 248 III,61 29 IV,2 29 IV,23 59 V,6 36 V,30 45 V,34 30 V,36 23, 26f, 28 V,37 29, 57 V,38 49 V,39 50 V,40 30 V,44 58 V,46 187 VI,14 39 VII,3 50 VII,5 51 VII,13 49 VII,23 46

286

Register

VII,27 125 IX,44 31f IX,66 32 IX,68 32 IX,116 48 IX,196 32 IX,207 50 IX,218 125 X,14 113f XI,28 110, 252 XI,34 228, 230 XI,37 57, 59 XII,6 48 XII,16 32 XIII,32 34 XIII,34 35 XIII,39 34f XIV,12 35f Regula pastoralis 1,2 77 1,3 100, 173, 198, 200, 208 2,7 69, 93, 98 2,11 187 3,6 81 3,12 209 3,26 90, 92, 101f Gregorius Nyssenus De baptismo 144

Gregor von Nazianz Oratio de fuga sua 258 Hieronymus Commentariorum in Danielem II,7c,8 54 Epistulae 60,16 55 123,15 55 123,16 55 Irenäus von Lyon Adversus Haereses III,18,1 150 III,18,7 150 V,20,2 144 Johannes Chrysostomus De sacerdotio 258 Maximus Confessor Quaestiones ad Thalassium 60 166 Leo I Sermones 73

170

Tertullian De spectaculis 30,2

56

2. Namenregister a) Antike Namen Achilleus 82 Adaloald 36 Aelius Donatus 227 Aetelbert von Kent 57, 59 Agilulf 22, 24f, 28, 30f, 32, 35 Aistulf 39 Alarich 56 Alexander, Logothet 42 Alboin 11 Amalasyntha 8 Ambrosius 1, 56 Andreas, Apostel 82, 94

Arichis 22 Ariulf 22f, 24, 27 Athanasius 156 Augustinus 1, 2, 55f, 59, 68, 111, 199, 205, 212, 246f, 250 Augustus 48 Augustus, Kaiser 153 Authari 18f, 20f, 22 Baduarius 12 Belisar 8f Benedikt 15, 58, 81, 230f, 263

2. Namenregister Benedikt I., Papst 14 Castorius 28 Chedin 20 Childebert 18f, 20 Chlodoswinda 19 Chosroes II. 19, 33 Cyprian von Karthago 55 David 91, 100 Desiderius von Vienne 228 Dionysius Areopagita 79, 242, 258 Droctulf 18f Eulogius von Alexandrien 113 Eutychios von Konstantinopel 233, 236f Eutychius 58 Ezechiel, Prophet 24, 76, 135, 191 Farawald von Spoleto 14 Felicitas 79 Garibald von Bayern 19 Gregor von Nazianz 258 Gregor von Nyssa 144, 163, 258 Gregorius, Präfekt 28 Hieronymus 1, 54f Horaz 56 Hosea 102 Ijob 99f, 106, 171, 235f Irenäus von Lyon 143, 150, 152 Jakob 245 Johannes, Apostel 96, 174, 189, 240 Johannes Chrysostomus 258 Johannes Diaconus 54 Johannes, Patriarch 29 Johannes von Ravenna 23, 29 Juda 189 Justin II. 12 Justinian I. 7f, 9, 12, 40, 42f, 44, 50 Kallinikus 31f Kleph 11,18 Kolumban 35 Leander von Sevilla 111f, 219 Leontina 34

287

Maria von Magdala 119, 137f Maurikios 16, 18f, 25f, 28f, 33f, 35, 37 Moses 124 Narses 9f, 12, 42 Narses, Mönch 125 Nereus 82 Nordulf 20 Origenes 258 Pamphronius 16 Paulus, Apostel 73, 81, 89, 125, 129, 150, 158, 212f, 215 Paulus Scholasticus 50 Pelagius II. 14, 22, 48 Petrus, Apostel 49, 82, 94, 106, 178 Phokas 33f, 35, 37 Pippin 39 Priscus 248 Redemptus 58 Romanus 19f, 25f, 29f, 31 Rosamunda 11 Rufinus 163 Sabinianus 36 Salomon 85, 100f Sanctulus 231 Saul 100 Sebastian von Sirmium 29 Simson 167 Smaragdus 19, 35 Stephanus 230f Tertullian 56 Theodahad 8f Theodelinda 19, 22, 31f, 35f Theoderich der Große 39, 11 Theodoros 187 Theodosios 26 Theophanius 97 Tiberios 26 Tiberius Konstantin 12, 236 Totila 9f, 58 Witiges 9 Zotto von Benevent 15

Register

288 b) Moderne Namen Aubin 3

Ladner 144 Leclercq 117, 119 Leyser 264

Caspar 30, 33, 257 Dagens3, 5, 184, 265 Daubercies 262 Dudden 4

Maier 9 Markus 4, 57 McGinn 217 Müller, S. 3

Evans 59 Fiedrowicz 3, 145, 147, 200, 222, 246, 255f, 257 Fischer, B. 31

Ostrogorsky 33

Gillet 3 Gregorovius 24, 39, 42 Greschat 4

Rahner 264 Richards 4 Rudmann 71

Hester 5 Hill 5, 60

Schambeck 3, 149, 156 Siedlmayer 45 Straw 3, 256f

Jarnut 14 Jenal 51 Kessler 2 Kurz 252

Petersen 255, 258

Vogüé 5 Ward-Perkins 56

3. Sachregister Abendmahl, ewiges 72, 181 actio 114, 192, 264 Ägypten 90, 123f Alexandrien 144 Almosen 49 Allegorie 192–194 Altes Testament 189f Amt 15, 29, 219 – comes formarum 48 – Bischofsamt 43, 47 – Hirtenamt 112 – Papstamt 261, 264 – praefectus annonae 48 – Verkündigungsamt 180f, 256 Anthropologie 150, 159

Antlitz 122f – Gottes 70, 118, 247 apokalyptisch 55, 58, 262 Apokrisiar 26, 111, 233 Aquileja 11, 46 Armut 98f Askese 209 Auferstehung 166–173, 207f, 233–237 Auferstehungsleib 233–237 Bautätigkeit 42, 49 Benevent 15, 21f, 46 Beschauung 65, 78, 131f Betlehem 154 Bibellektüre 187

3. Sachregister Bibelverständnis 174, 192, 243 Bibliothek des Palatin 227 Bildung 227–233 Blindheit, geistige 108, 176f, 182 Bündnis 18f, 22 Byzanz 9, 33, 37–39 carnalis intelligentia 222–224 carnalis sapientia 223, 231 Cherubim 243 Christologie 117, 150, 203 Christus – als Haupt 157f, 200f, 206 – caelestis medicus 202 – Gottmensch 151, 160, 168 – humilis 202, 205f – magister 173–177 – mediator Dei et hominum 150f, 155f, 263 – Menschensohn 156, 159f, 168 – Logos 157, 159f, 161 – via redeundi 151 communio 136, 140, 145 – caelestis communio 217, 239f, 251f compunctio – amoris 216f, 218 – timoris 217, 220 condescensio Dei 194, 196 consul Dei 4 contemplation 114, 179, 192 conversion 160, 215–220 corruption 64, 169, 173 cura animarum 108 defensor 48 Demut 99–104, 202–206, 209f Diakonatsweihe 111 Diesseits 84, 115, 152 Diesseitsorientierung 82, 173, 206 docta ignorantia 231 Ebenbild 79, 118, 242 ecclesia vel anima 137 Einöde 24, 40, 87 Einsicht 190, 223 – geistige 107, 187, 193 – innere 66, 231 – irdische 233 – mystische 139, 188 Ekklesiologie 201, 255, 257

289

Endzeitbewusstsein 57 Engel 133f, 214f, 239–242 Engelchöre 88, 132, 242 Engelnatur 197, 214 Enthaltsamkeit 140, 209 Epidemie 20, 40 Erbsünde 133 Erwählten 128f, 167f, 206 eschatologisch-e, -er, -es – Auferstehungsperspektive 172 – Ausrichtung 134f – Bedeutung 54 – Bestimmung 119, 175, 177 – Betrachtung 54 – Dimension 161, 172, 201 – Existenz 168, 172–174 – Konzeption 59f, 110 – Lehre 60 – Orientierung 98, 144f, 181 – Perspektive 70, 92, 153 – Predigt 58, 60, 262 – Überlegungen 57f – Vollendung 130, 145f, 206 – Welt 70 Eschaton 132, 134, 185 Eucharistie 152, 210 Exarch 19, 23, 25 Exarchat 16f, 18 Exegese 185, 191, 222 – monastische 188 exemplum – angelorum 79f – Christi 83f, 199, 201 – imitationis 198f, 204f, 210 – Redemtoris 235 – sanctorum 80–83 Exil 107, 127, 259 Exteriorität 184 Fasten 113 Finsternis 65, 107, 222 flagella peccati 68 Flüchtigkeit 248f – der irdischen Kontemplation 261f forma servi 157, 203 Franken 16, 18f, 20f Freiheit 114, 122f, 132 Freude 92 – der himmlischen Heimat 61, 108, 123

290 – des Paradieses 107, 118 – geistige 131 – irdische 91, 97 – leibliche 131 Freudenfest 128, 147 Friede 25f, 30–32, 35f – im Himmelreich 250 Friedensverhandlung 22, 24f, 27f Gastmahl 72, 99, 115 Gebet 87f, 204 Geburt – Christi 151, 153f, 162 Gehorsam 63, 67, 161 gegenwärtig-e, -er, -es – Dinge 91 – Festfeier 183f – Leben 107f, 187, 266 – Welt 57, 106, 146 – Widrigkeit 103 – Zeit 133 Goten 8f, 14, 40 Gotteserkenntnis 65, 177, 182f Gottesschau 134f, 147, 241 Grammatik 42, 227–229 Hagiographie 184, 193 Häretiker 161, 223–227, 231f Haupt – Leib 171, 211, 213 Hebräer 123 Heiden 204 Heimsuchung 82, 101f, 124 Heilsgeschichte 143, 146f, 170 Heilsökonomie 88 Heilspädagogik 108 heilspädagogisch-e, -er, -es – Aspekt 99 – Charakter 98 – Funktion 103, 124 Heilsplan 145, 166, 214 Herz 87, 178f, 252 Herzöge 15, 18, 45 Himmelfahrt Christi 168, 174f, 240 himmlisch-e, -er, -es – Bürger 247, 250, 252 – Dinge 88, 244 – Existenz 1, 262f – Freuden 217 – Geheimnisse 231f – Geister 80

Register – Gemeinschaft 132, 147, 239–245 – Gnade 172, 232 – Herrlichkeit 179 – Jerusalem 103, 253 – Kontemplation 243, 247, 249 – Mysterium 175 – Leben 92, 155, 174 – Liebe 195 – Lohn 124 – Reich 94, 147, 172 – Ruhe 104 – Verlangen 128, 138f – Vollendung 252 – Welt 71, 177–179 Hochmut 95, 202, 225f Hohelied 85, 130, 194f Hungersnot 14, 40, 53 imitatio Christi 199–201, 206f, 212f imitatio Christi humilis 202–206 imitatio passionis Christi 206–212 Imperium 8, 54 infirmitas 65, 218 Inkarnation 147–151, 153–157, 166 Innerlichkeit 86, 100, 112 innovare 157 Interiorität 184 intus – foris 139, 192, 219 irdisch-e, -er, -es – Angelegenheit 93 – Bedrängnis, Trübsal 101f, 123–126, 207 – Begierde 72, 77, 94f – Besitz 72, 99 – Dinge 77f, 92f, 96 – Existenz 97f, 119, 129 – Gedanken 120 – Gewinn 92 – Güter 90f, 96, 104 – Kontemplation 176, 244f, 246f – Leben 105–107, 127, 213f – Leben Christi 201–205, 208 – Leiden 104 – Liebe 194f – Reich 82 – Reichtum 98 – Verbannung 106 – Verlangen 86, 92 – Welt 74, 104, 109 Israeliten 93, 221, 223

3. Sachregister Jenseits 68, 152, 201 Jenseitsorientierung 140, 232, 262 Juden 221f, 224f Jungfrau 159, 162 Kenosis 154, 203, 208 Kirchenväter 130, 195, 228f Kloster 15, 71, 111f Konstantinopel 33f, 41, 233 Körper 67f, 104f, 246 körperlich-e, -er, -es – Augen 66 – Bedürfnisse 68 – Beschwerden 113 – Bilder 85, 87 – Schwäche 207, 261 – Sinne 68, 182 Körperlichkeit 149, 203 Krankheit 40, 112f Kreuzestod 110, 161, 174 künftig-e, -er, -es – Festfeier 183 – Herrlicheit 173 – Leben 81 – Verlangen 133 – Welt 71 Kultur – antike 14, 39, 57 – Bibelkultur 187 – weltliche 227 Langobarden 10f, 14f, 21f lectio divina 187f Leib 129, 158, 171f – Auferstehungsleib 233–237 Leiter, geistige 69, 84f Leviatan 163f Liebesflammen 128 Liebespfeilen 128 Literatur – hagiographische 230, 259 – heidnische 229 – lateinische 56, 229 – weltliche 228 lubrica mutabilitas 64 lux invisibilium 65 Mailand 20, 35, 40 Martyrium 95f, 172

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Materie 152f, 181, 248 Menschennatur 153, 156f, 220 mens carnalis 224 Militärgouverneur 12, 41f missa specialis 210 Mittelalter 188, 255f mundi cura 220 mutabilitas 64f, 105f, 214 Mystiker 3, 128 Nächstenliebe 135, 187 Naturkatastrophen 53, 55, 261 necessaria 68, 97 Niedergang 45, 57, 262 Offenbarung 186, 197f, 220f Opfer 21f, 94 – Christi 162f, 165, 208 Ostern 113, 183 paradisus 145 Paschalamm 200, 223 passio Christi 161–165, 173, 206–212 pastoral-e, -er, -es – Aktivitäten 113, 261 – Anliegen 205, 234 – Erfahrung 140 – Intention 210 – Kontext 234 – Motivation 107, 136, 234 – Prägung 146, 216, 257 – Züge 209 Pastoralsorge 234 Patrimonium 44f, 48 passio Christi 161–166, 206f, 211f Pavia 11,13,20f per visibilia ad invisibilia 69, 181, 194 Pest 13f, 22, 46f Pfingsten 120 Philosophen 2, 225f Pilgerschaft 61, 103, 107–110 Pontifikat 30, 60, 113 Pragmatische Sanktion 40, 48, 50 praedicatores 97f, 211, 213 praedicatio incarnationis 198 Propheten 55, 213, 221 Prophezeiung 58, 60, 82 quadripartitum 49

292 Ravenna 8, 17, 41 rector 48 Reinigung 102, 108, 144 renovare 157 renovatio in melius 146 reprobi 223 restauratio, Restauration 152, 241 Reue 76, 217f Rhetorik 227, 229 Rom 22–25, 40f, 54f Romanitas 54 Rückführung 147, 154 Rückkehr 71, 143–146, 241 Ruhe des Himmelreiches 61, 155, 250 saecularis sapientia 225, 232 Sakrament 204, 210 Sakramententheologie 210 Sättigung 131, 154, 253 Schöpfer 63f, 118f, 244f Schöpfungsakt 118, 182, 244 Schriftsinn – allegorisch-typologischer 135, 189f, 191f – historisch-wörtlicher 189f, 191f, 194 – moralisch-kontemplativer 189f, 191 Schriftverständnis 76, 191, 223 Schwachen 139f Seraphim 79f, 243, 251 similitudo Christi 201 – irdische 212f, 215 – eschatologische 212, 214f Sklaverei 40, 68, 124 soliditas standi 64, 88, 131 Soteriologie 146, 157, 199 Spätantike 9, 255, 261f spiritalis intelligentia 182, 220–233 Spiritualität 117, 136, 209 – individuelle, persönliche 78, 210f – monastische, mönchische 73, 181, 199 – lateinische 216 Spoleto 15, 22, 27 stabilitas 64f, 106, 214 Stadtpräfekt 48, 219 Stammvater 144, 161,176 stante mente 64, 88 Sterblichkeit 70, 123, 151 Sündenfall 64f, 84f, 146f Sündhaftigkeit 204, 217f, 222

Register Synagoge 222 temporalis – aeternus 183, 219f, 262– 265 terrena intelligentia 223, 232 Tod 162f, 167, 259 – Christi 169f, 174f Totenreich 167 Tradition 198, 212, 255 – antike 105 – asketische 68 – mystische 129 – lateinische, westliche 57, 256 – patristische 56, 150, 170 – griechische, östliche 82, 257–259 Tränen 127, 137, 217 – niedrigere 218 – höhere 218 Tugend 114, 203, 209 Typos 167, 236, 245 Überdruss 131, 133f Überheblichkeit 91, 206, 225 Umkehr 60, 74, 215f Unfehlbarkeit Christi 165 Untergang 58f, 82, 262 Unsterblichkeit 64, 150, 164 Unvergänglichkeit 106, 214, 249 Unwissenheit 175, 221f, 231 Ursünde 63f, 118, 148 Veräußerlichung 139 Vereinigung – der Naturen in Christus 156 – der Seele mit dem Körper 246 – mit Gott 150, 152, 252 Verfall 16, 55f, 262 Vergänglichkeit 104–107, 169, 214 Verherrlichung 172, 201, 207 Verinnerlichung 86f, 99 Verkündiger 178–181 Verwaltung 15–17, 43f, 47–49 Verworfenen 75, 184, 206 via 1, 259f, 262 vita mixta 264 Vollkommenheit 99, 139f, 241 Vollkommenen 139f Vorsehung Gottes 101, 185, 237 Votivmesse 210

3. Sachregister Weisheit 101 – göttliche 220, 225, 251 – weltliche 225, 227, 229f Weltabkehr 76–78, 115, 126 Weltende 54, 59–61, 265 Weltentsagung 71f, 96f, 114f Weltflucht 126 Weltgeschichte 184, 207 Weltverfallenheit 84, 95, 103 Weltsicht 49, 53, 112f Widrigkeiten 98f, 101–103, 172 Wiederherstellung 143, 219, 239f

Wille 87, 94f – freier 63, 171 – Gottes 59 – menschlicher 65, 160 Wissenschaft – weltliche, profane 186, 229f, 231 – christliche 231 Wonne 123, 132 Wunder 81f, 185, 221 Zeitlichkeit 108, 260, 263 Zerknirschung 87, 165

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