Die Entstehung des Unionsgedankens: Die lateinische Theologie des Hochmittelalters in der Auseinandersetzung mit dem Ritus der Ostkirche 9783050050072, 9783050037158

Una fide, diverso ritu - "Im einen Glauben, in der Verschiedenheit der Riten": Mit dieser im 12. Jahrhundert g

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Die Entstehung des Unionsgedankens: Die lateinische Theologie des Hochmittelalters in der Auseinandersetzung mit dem Ritus der Ostkirche
 9783050050072, 9783050037158

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Georgij Awakumov Die Entstehung des Unionsgedankens

Münchener Universitätsschriften Katholisch-Theologische Fakultät

Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie Herausgegeben von Michael Schmaust, Werner Dettloff, Richard Heinzmann, Ulrich Horst Band 47

Georgij Awakumov

Die Entstehung

des Unionsgedankens

Die lateinische Theologie des Hochmittelalters

in der Auseinandersetzung mit dem Ritus der Ostkirche

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Erzdiözese München und

Die Deutsche Bibliothek

Freising

CIP-Einheitsaufnahme -

Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-05-003715-6

ISSN 0580-2091 © Akademie

Das

Verlag GmbH, Berlin 2002

eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -

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Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin

Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza

Bindung: N. Klotz, Jettingen-Scheppach Gedruckt in Deutschland

Vorwort

In einem jeden Kulturkreis gibt es Bereiche des Wissens und Könnens, die, mit welcher Begründung auch immer, als fremd und für die eigene Kulturidentität als störend empfunden und dadurch aus dem gerade vorherrschenden intellektuellen Diskurs ausgegrenzt oder sogar dämonisiert werden. Nichtsdestotrotz üben diese Bereiche vielleicht gerade wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen „Kulturfremdheit" bisweilen eine besondere Faszination aus. Es gibt kaum einen Bereich der Theologiegeschichte, der in Rußland so wenig bekannt, so ungern erforscht und mit so vielen Vorurteilen behaftet ist, wie die scholastische Theologie des lateinischen Mittelalters. Eben diese Ausgangslage wükte für den Autor der vorliegenden Studie, einen gebürtigen Russen, der seine Ausbildung in russisch-orthodoxer Theologie und in klassischer Philologie in

Rußland erwarb, seit langem als Herausforderung und Ansporn, sich mit der lateinischen Scholastik zu befassen. Ich hegte seit Jahren den Wunsch, die Rolle der mittelalterlichen lateinischen Theologie für die Begegnung der östlichen und der westlichen christlichen Kulturen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dieser Wunsch gab die erste Anregung zum Thema der vorliegenden Arbeit. Ein weiteres russisches Vorurteil trug zur Entstehung des vorliegenden Buches bei, und zwar die zum großen Teil politisch motivierte Voreingenommenheit gegen die katholische Kirche des byzantinischen Ritus, gegen die „Unierten", die bisweilen als die „Erzfeinde" der Moskauer Orthodoxie angesehen werden. Die theologische und kulturelle „Anmaßung" der Unierten, für sich gleichermaßen ein „Byzantinisch-Sein" und ein „Katholisch-Sein" zu beanspruchen, wird ihnen nicht leicht verziehen. Allenthalben sind Aussagen zu hören, daß die „Kirchenunionen" der Ostslaven mit der römischen Kirche, ja selbst die bloße Existenz der „Unierten" ein „ekklesiologisches Absurdum" darstellten. Diese Vorurteile werden im Westen, auch in Deutschland, oftmals unkritisch übernommen. Das gesamte Problemfeld der „Kirchenunion" ist mit so vielen Emotionen und Befangenheiten befrachtet, daß es an der Zeit ist, mit aller gebotenen Nüchternheit den theologischen Grundlagen des Phänomens unierter katholischer Kirchen aus historischer Perspektive nachzugehen. Eben dieses Desiderat wurde zur zweiten Anregung der vorliegenden Studie. Es gab aber auch noch eine dritte Anregung, die mit dem gegenwärtigen geistigen Klima in Deutschland zusammenhängt. Bei vielen Christen hierzulande ist eine deutliche Verdrossenheit über das rituelle Leben in der Kirche spürbar. Dies führt auf der einen Seite zu einem totalen Unverständnis und einer Gleichgültigkeit gegenüber der

Vorwort

6

rituellen Dimension des Religiösen generell, auf der anderen Seite hingegen zu einem Ästhetizismus, der die „exotischen" Formen, etwa die byzantinische Liturgie, nicht mehr als lebendigen Organismus und adäquaten Ausdruck religiös-liturgischer Beheimatung empfindet, sondern lediglich als ästhetisches Kulturschauspiel, als archäologisch-volkskundliches „Happening" konsumiert. In einer solchen Atmosphäre wird die Bedeutung, die den Fragen des Ritus in der Entwicklung der Theologie gerade auch in hochaktuellen und zentralen Problemkomplexen! zukam, nicht selten verständnislos übergangen. Das vorliegende Buch stellt daher ferner einen Versuch dar, auf wichtige Sinnzusammenhänge zwischen Ritual und christlicher Existenz im Horizont historischkirchlicher Vermittlung hinzuweisen. Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2001 von der KatholischTheologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Die unmittelbare Anregung zum Thema verdanke ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Ulrich Horst OP. Er hat die Arbeit von ihren Anfängen bis zu ihrer Fertigstellung mit Rat und Tat interessiert und aufmerksam begleitet. Für die Erstellung des Zweitgutachtens sei Frau Privatdozentin Dr. Marianne Schlosser herzlich -

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gedankt.

Die Arbeit hätte nicht realisiert werden können ohne die wohlwollende Förderung zuständiger kirchlicher Entscheidungsträger, die meine Forschungen am GrabmannInstitut in München ermöglichten. An erster Stelle weiß ich mich dem Hochwürdigsten Herrn Friedrich Kardinal Wetter, Erzbischof von München und Freising, in tiefer Dankbarkeit verbunden. Herzlichst danke ich auch Herrn Msgr. Dr. Iwan Dacko, der vor neun Jahren als damaliger Generalvikar der Erzdiözese Lemberg meinen Forschungsaufenthalt in München angeregt hat; der Leitung von „Kirche in Not / Ostpriesterhilfe", welche die drei ersten Jahre der Forschung finanziell förderte; Herrn Domkapitular Dr. Lothar Waldmüller, der die Arbeit mit Interesse und Sympathie verfolgte. Die Drucklegung des Buches wurde dank des Kostenzuschusses des Erzbistums München und Freising möglich. Mein aufrichtiger Dank gilt auch mehreren Personen, die durch kritische Anregungen, hilfreiche Hinweise oder sprachliche Korrekturen zur Ausarbeitung der Studie beigetragen haben. Vor allem möchte ich hier die Herren Professoren Gerhard Podskalsky SJ (Frankfurt) und Franz Tinnefeid (München) mit Dankbarkeit erwähnen, sowie Herrn Dr. Hans-Joachim Härtel, Herrn Dipl.-Ing. (Univ.) Marcus Wandinger Obl. OSB und Herrn Lie. theol. Karl-Heinz Steinmetz. Es ist für einen Forscher ein besonderes Geschenk, wenn seine Arbeit von einem Fachgenossen mit unermüdlichem Interesse begleitet wird, der die Gabe zur Herausforderung durch Kritik und Einspruch besitzt. Ein solcher Fachgenosse und Freund war mir die Jahre hindurch Herr Dr. Thomas Prügl, derzeit Professor an der Universität Notre Dame, USA. Für seine Begleitung, seine sprachlichen Verbesserungen, seine Kritik und Ermutigung weiß ich mich ihm in besonderer Dankbarkeit verbunden. Ich freue mich, dieses Buch meiner Frau widmen zu dürfen. Ohne ihre Geduld, ihr Versttodnis und ihre Liebe wäre die Abfassung dieser Studie nicht möglich gewesen. München im Januar 2002

Georgij Awakumov

Inhalt

Einleitung. 11

Erster Teil

Die ostkirchliche Herausforderung: Konflikte und Polemiken um die Fragen des Ritus A. Der Azymenstreit. L

29

Biblische und patristische Grundlagen. 29 1. Mit welchem Brot feierte Jesus das letzte Abendmahl?. 32 2. Das ungesäuerte Brot und die „Judaizantes" in der alten Kirche. 34 Zur Terrninologie: Jüdische „Azymen" und christliches „Brot". b. Die „Judaizantes" und das Azymenverbot. c. Die Typologie der Azymen und des Sauerteigs. d. Von der Verurteilung der „Judaizantes" zur Abwertung des eucharistischen ungesäuerten Brotes. a.

3. Die

Verfestigung der eucharistischen Bräuche.

34 37 41 44 46

Azymenstreites. 50 Der politischer Hintergrund des Konflikts. 51 Der Ausbruch der Polemik. 60 Der Auslöser des Streites. 68 Die Auswirkungen auf Süditalien und Armenien. 83 Der Azymenstreit und das sog. "Schisma von 1054" in der Kirchengeschichtsschreibung. 85

II. Der Ausbruch des 1. 2. 3. 4. 5.

III. Die Polemik der Griechen 1. Ein Überblick über die byzantinische und altslavische

.

antiazymitische Literatur. a.

b.

87 87

Einleitung. 87 Werkverzeichnis zum Azymenstreit (11.-13. Jh.). 91

Inhalt

g

2. Vier Argumentationsrichtungen gegen die Azymen.103

a. Das Judaisierungsargument.103 b. Das Einsetzungsargument.107 c. Das physische/etymologische Argument.108 d. Das typologische/symbolische Argument.109

3. Theologische Schlußfolgerungen der Byzantiner.111 4. Tolerantere Ansichten: Petros von Antiocheia, Theophylaktos von Achrida, Theorianos, Demetrios Chomatenos.114

IV. Die Polemik der Lateiner.117 1. Ein Überblick über die Literatur.117 2. Die Polemik gegen das Judaisierungsargument.125 3. Die Polemik gegen das Einsetzungsargument.133 a. Christus als Erfüller des Gesetzes.133 b. Das Datum des letzten Abendmahles.140

4. Die Polemik gegen das physische/etymologische Argument.146 5. Die Polemik gegen das typologische/symbolische Argument.148

Die „unerhörten" Typologien der Byzantiner.149 b. Die biblische Typologie von Gesäuertem und Ungesäuertem.153 c. „Non significat, sed est": Die eucharistische Realpräsenz.157 a.

B. Das Problem der Wasserbeimischung.161 1. Unterschiede in der Wasserbeimischungspraxis bei Griechen, Armeniern und Lateinern.161 2. Anselm von Havelberg und der Ursprung des hrtums über die

Wasserbeimischung.172

3. Das Problem der Wasserbeimischung in der lateinischen Theologie des 12. und des 13. Jahrhunderts.188 a. Das Thema der Wasserbeirnischung ohne Bezugnahme auf die Griechen.188

b. Die lateinische Erörterung des angeblichen Fehlens der Wasserbeirrüschung bei den Griechen.192

C. Der Taufformelstreit.199 1. Der Konflikt um die Taufformel 1231/32. 199 2. Byzantinische Schriften zur Taufformel.204 3. Die lateinische Diskussion der Taufformel.207 Das Problem der Zugehörigkeit der Worte „Ego te baptizo" zur Substanz der Taufformel.207 b. Die griechische Taufformel bei hochscholastischen Autoren.212 a.

9

Inhalt Zweiter Teil zur

Die lateinischen Zugänge Eigenart der Ostkirche: Im Spannungsfeld zwischen „Zuriickfiihrung" und Union D. Die politische Dimension.221 I.

223 1. Die Zeit nach dem Konflikt von 1053/54 bis 1099.223 2. Von der Entstehung des Schismas in den Patriarchaten von Jerusalem und Antiocheia in den Jahren 1099/1100 bis 1204.234

Die Zeit vor 1204

.

II. Die Zeit nach 1204 .247 1. Von der Eroberung Konstantinopels 1204 durch die Kreuzfahrer bis

1261.247

Die Gründung des lateinischen Patriarchates von Konstantinopel.247 Papst Innozenz III.248 c. Kontroversgespräche mit den Griechen.259 d. Die Mendikanten und die Gespräche von Nikaia/Nymphaion 1234.263 e. Kulturelle Spannungen: Das ,,Azvmenmartyrium" von Zypern und andere Fälle.281 a.

b.

2. Von der Wiederherstellung der griechischen Herrschaft in Konstantinopel 1261 bis zum Zerfall der Kreuzfahrerstaaten um 1300.287

E. Die Reflexion der Lateiner.303 Einleitung: Problemfelder und Fragestellungen der theologischen Auseinandersetzung mit der ostkirchlichen Eigenart .303 I.

Theoretische Zugänge zur ostkirchlichen Eigenart.308 1. Das ekklesiologische Problemfeld.308 2. Das sakramententheologische Problemfeld.314 a. Die Analyse des sakramentalen Zeichens.314 b. Ekklesiologische Voraussetzungen des sakramententheologischen Urteils.318 c. Welcher Brauch ist „besser"?.322 3. Das kirchengeschichtliche Problemfeld.325

II. Wie soll die rituelle Eigenart der Ostkirche gehandhabt werden?.335

1. Drei Modelle: Mißbilligung, Duldung, Anerkennung.335 2. Die Schriften von 1053/54 zwischen Anerkennung und Mißbilligung.336 3. „Unterschiedliche Gewohnheiten ein Glaube": Patristische und

kanonistische Grundlagen.340 4. „Potest, sed non debet": Das Mißbilligungsmodell.346 -

Inhalt

10 5. 6.

„Quantum cum Domino possumus sustinendo": Das Duldungsmodell.353 „Diversa, non adversa": Das Anerkennungsmodell.357

Die ..Zauberformel" des 12. Jahrhunderts.357 b. Die Multiformität des Ordenslebens und die rituelle Eigenart der Ostkirche.360 c. Ein Höhepunkt des scholastischen Anerkennungsgedankens: Thomas von Aquin.368 a.

Nachwort.373 abkürzlings verzeichnis.383

Quellen- und Literaturverzeichnis.385 1. Quellen.385 a. Lateinische Quellen.385 b. Griechische Quellen.390 c. Altslavische Quellen.393

2. Literatur.393 Namensverzeichnis.419

Einleitung

An non putandi sunt isti et quamplures alii testimonio fidei probati fuisse de unitate Ecclesiae, qui licet una fide, tarnen diversis modis vivendi et diverso sacrificiorum ritu unum Deum coluerunt?

Anselm von Havelberg, Antikeimenon

I, 3

ToTg ouv Ex^tppoai Jictvra öp0ä, xoTc, bi |xf| xoioüxolc, axävöaAdv xe xai npöcraoupa. Theorianos, Briefan die Priester in Oreine Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erfuhr die konfessionelle Landkarte des

Weltchristentums eine bemerkenswerte Veränderung. Man wurde Zeuge der Rückkehr der katholischen Kirchen des byzantinischen Ritus, der sogenannten „griechischkathoüschen" oder „unierten" Kirchen, in das öffentliche Leben und Wirken Osteuropas. Nach mehr als vierzig Jahren Verfolgung und illegaler Existenz unter kommunistischer Herrschaft gewannen diese kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verbotenen und gewaltsam in die orthodoxen VemaltuJigsstrukturen eingegliederten Kirchengemeinschaften in den neuen postkommunistischen Staaten Europas einen offiziell anerkannten gesellschaftlichen Status. Dank dieser jüngsten Entwicklung wird heute auch dem „lateinischen" Westen mit neuer Aktualität bewußt, daß es Millionen von Gläubigen in „nicht-lateinischen" Ortskirchen gibt, die sich als Teil des byzantinischen Erbes und zugleich als der katholischen Kirche zugehörig verstehen. Dadurch entdeckt man wieder eine alte, aber im westlichen Kulturkreis kaum mehr bewußte Wahrheit, daß nämlich „Katholisch-Sein" nicht mit „Lateinisch-Sein" identisch ist. Man wird dadurch an eine grundlegende Eigenschaft der katholischen Kirche erinnert, die sich als Gemeinschaft kultureller Vielfalt konstituiert, als eine Gemeinschaft von „Ritus-Kirchen", die in ihrem Glauben und in ihrer Anerkennung des Bischofs von Rom als des Oberhauptes der Weltkirche einig sind, sich aber in kultureller Hinsicht voneinander unterscheiden. Die Frage, inwieweit die Vielfalt in der Kirche mit der Einheit vereinbar ist, im Grunde die Frage nach der Toleranz gegenüber fremden Kulturformen erwies sich im Laufe der Kirchengeschichte als kein leichtes Problem. Die Vorstellungen über die -

-

Einleitung

12

zulässigen Grenzen und die Tolerierbarkeit der kulturellen Vielfalt waren in der Kirche in ihren verschiedenen Epochen und Kontexten recht unterschiedlich. Letzteres wird in besonderer Weise durch die Geschichte der Spannungen und Spaltungen zwischen dem lateinischen Westen und dem byzantinischen Osten seit dem Mittelalter bestätigt. Gerade die kulturelle Verschiedenheit spielte bei diesen Spannungen eine gewichtige Rolle und wurde bisweilen zum Hauptfaktor der gegenseitigen Entfremdung. Den Kirchengemeinschaften, die voneinander abweichende Riten und Gewohnheiten pflegten, ging allmählich das Bewußtsein verloren, ein und derselben Kirche anzugehören. Einen besonders empfindlichen Bereich stellte dabei die sakramentale Praxis dar: Kleinste Divergenzen im Ritenvollzug der Sakramente boten bisweilen einen Anlaß zu gegenseitigen Vorwürfen und nährten Intoleranz. Die Streitigkeiten und Kontroversen, die auf

diesem Boden entstanden waren, forderten das Selbstbewußtsein der Kirchen sowohl im Osten als auch im Westen heraus und regten die kirchlichen Entscheidungsträger und Theologen an, nach Modellen zu suchen, die Differenzen zu bewältigen. Una fide diverso ritu („Im einen Glauben, in der Verschiedenheit der Riten"): Mit dieser im 12. Jahrhundert geprägten Formel versuchte man immer wieder bis in die frühe Neuzeit, in Form von „Kirchenunionen" das Schisma zwischen der lateinischen und der östlichen Christenheit zu heilen. Man bemühte sich, die gegenseitige Intoleranz in Kulturfragen dadurch zu überwinden, daß man sich bereit erklärte, unterschiedliche rituelle und disziplinare Kulturformen im Rahmen der einen, vom römischen Papst geleiteten und in der Einheit des Glaubens stehenden Kirche zuzulassen und anzuerkennen. Man meinte, der Wunsch, die Eigenart der Ostkirche unangetastet zu lassen, müßte eine Versöhnung zwischen den Kirchen erleichtern und ihre Einigung ermöglichen. Das Prinzip una fide diverso ritu bildete eine der wichtigsten theologischen Grundlagen, auf denen das Phänomen der „unierten" Kirchen entstand und bis heute nachwirkt. Das Wort „Kirchenunion", unio ecclesiarum, wurde erst in der Neuzeit zum festen Begriff, den man auf historisch fixierte Ereignisse wie die „Union von Lyon" 1274, die „Union von Florenz" 1439, die „Union von Brest" 1596, die „Union von Uzgorod" 1646 usw. anwendet. Man hat jedoch bereits seit dem 13. Jahrhundert die Ausdrücke wie unio Graecorum, unio Armenorum usw. gebraucht, um die Wiederherstellung der Einheit der jeweiligen Ostkirche mit Rom zu bezeichnen, wenn auch meist andere Ausdrücke wie reductio oder reversio im Gebrauch waren. Erst auf dem Konzil von Florenz im Jahre 1439 setzte sich unio als Fachterminus für die Versöhnung der Kirchen durch. In den Dokumenten des Konzils begegnet sogar der Ausdruck „die heilige Union" (unio sancta, ij äyfa ev(oaig)\ Für die Begriffsbildung wurde dadurch zweifellos ein entscheidender Schritt getan. Theorie und Praxis der Kirchenunionen mit der Ostkirche hingegen waren von Anfang an umstritten. Die Hauptforderung aller Unionen an die östliche Seite, den Primat des römischen Papstes und seine Jurisdiktion auch über die Patriarchate des Ostens anzuerkennen, stößt bei den orthodoxen Kirchen auf heftige Ableh-

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1 COD/DÖKII521.

13

Einleitung

nung. Zugleich ruft die Tatsache, daß der Abschluß der Unionen eng mit politischen Interessen und Machterwägungen der beteiligten Parteien verwoben war, Kritik hervor.

Es wird auch darauf hingewiesen, daß die in der Theorie versprochene Bewahrung der kulturellen Vielfalt in der Praxis oft nicht eingehalten wurde, was eine schleichende Latinisierung der mit Rom unierten Kirchen zur Folge hatte. Die Probleme und Schattenseiten der historischen Unionen werden dabei anachronistisch an der Meßlatte moderner ökumenischer Ideale gemessen und beurteilt. Die „Kirchenunion" erscheint in dieser Sicht als negativer Gegenpol zur „Ökumene" und zum „ökumenischen Dialog" im modernen Sinne. Theorie und Praxis der Unionen werden daher im heutigen Dialog zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche oftmals als „Uniatismus" bezeichnet2. Dieser bewußt abwertende Ausdruck bleibt inhaltlich recht vage und verstellt den Blick auf eine unvoreingenommene und historisch angemessene Bewertung der vergangenen Ereignisse und der leitenden Ideen jener Kirchenunionen. Die gewichtige Rolle, die die theologische Grundlegung der Kirchenunionen für die Bewältigimg der Kidtodifferenzen in der Kirchengeschichte gespielt hat, wird im heutigen zwischenkirchlichen Dialog vernachlässigt, und nicht selten tendenziös interpretiert. Es wird kaum darauf geachtet, daß die Unionsidee für das Mittelalter und die frühe Neuzeit in vielerlei Hinsicht eine Funktion erfüllte, die der gegenwärtigen ökumenischen Idee und Praxis an Bedeutung nicht nachsteht. Das, was heute unter dem großen Problemkreis „Ökumene" behandelt wird, sah man damals unter dem Gesichtspunkt der „Union", der Wiedervereinigung der Kirchen. Der Unionsgedanke stellt somit einen der frühesten Versuche des westlichen Denkens dar, sich mit der interkulturellen Problematik und mit den Fragen der christlichen Einheit auseinanderzusetzen. Die vorliegende Arbeit versteht sich als eine Studie zur Entstehung des Unionsgedankens. Unter dem Ausdruck „Unionsgedanke" wird im Folgenden die Gesamtheit jener theologischen Prinzipien und Ideen subsumiert, die den Unionsversuchen des Westens mit der Ostkirche im Mittelalter und in der frühen Neuzeit zugrunde lagen. Dabei handelt es sich nicht nur um jenes theologische Gut, das den historisch konkreten Texten der bekannten zwischenkirchlichen Unionsvereinbarungen entnommen werden kann, sondern auch um das zeitlich und räumlich divergierende geistige Umfeld, auf dessen Hintergrund sich die Verständigung zwischen Ost und West abspielte und das die Unionsvereinbarungen theologisch vorbereitete. Mit dem Begriff „Ostkirche" meine 2 Seit der 6.

Vollversammlung der Dialogkommission der katholischen und der orthodoxen Küche in im Freising Juni 1990 wird im Rahmen des orthodox-kathoüschen Dialogs auf Verlangen der orthodoxen Seite ausschließlich das Thema „Uniatismus" diskutiert, s. das Freisinger Dokument in: Una Sancta 45 (1990) 327-329. Die Ergebnisse dieser Diskussionen schlugen sich vor allem in dem Dokument nieder, das im Juni 1993 in Balamand, Libanon, verabschiedet wurde: Uniatismus eine überholte Unionsmethode und die derzeitige Suche nach der vollen Gemeinschaft, deutscher Text in: Una Sancta 48 (1993) 256-263. Das Wort „Uniatismus" scheint ein aus dem Westen stammender linierter Theologe Cirillo Korolevskij (Francois Charon) im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts geprägt zu haben, s.: Korolevskij [Charon], Uniatisme (1927). -

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14

Einleitung

Folgenden vor allem die griechische Kirche im byzantinischen Reich sowie ihre „Tochter-Kirchen" in den süd- und ostslavischen Ländern wie Bulgarien, Serbien und die Kiever Rus', deren Gläubige in der lateinischen theologischen Literatur mit der Sammelbezeichnung „die Griechen", Graeci, zusammengefaßt wurden3. Die Problematik der Unionen mit den altorientalischen Nationalkirchen, die infolge der Kirchenspaltungen auf den Konzilien von Ephesos 431 und von Chalkedon 451 entstanden sind, bildet einen eigenen Bereich und bleibt daher im Folgenden außer Betracht. Eine Ausnahme werden die Armenier sein, deren rituelle Eigenart eine gewisse Rolle für die lateinische Diskussion einiger griechischer Bräuche spielte. Die Arbeit konzentriert sich auf die früheste Phase der Geschichte des Unionsgedankens, deren Anfang der Ausbruch des Azymenstreites in dem Konflikt zwischen Papst Leo LX. und dem konstantinopolitanischen Patriarchen Michael Kerullarios von 1053/54 markiert und an deren Ende das Scheitern der sogenannten „Union von Lyon" 1274, der frühesten aller bekannten „Unionen" mit den Griechen, und der Verfall der Kreuzfahrerstaaten im Nahen Osten um 1300 steht. Streng genommen kann man von einem „Unionsgedanken" im Mittelalter erst dann sprechen, wenn eine klar vollzogene Kirchenspaltung zu Bewußtsein gekommen ist, die es zu überwinden gilt. Solch ein Bewußtsein setzte sich in der lateinischen Kirche erst am Anfang des 13. Jahrhunderts vollends durch. Jedoch war ich im

sich im Westen bereits in der zweiten Hälfte des 11. und im 12. Jahrhundert durchder Ungereimtheiten, Konflikte, Streitigkeiten und Kontroversen zwischen den Kirchen im klaren und um ihre Lösung besorgt, weshalb man schon zu jener Zeit gewisse theologische „Vorarbeiten" zum Unionsgedanken beobachten kann. Diese früheste Phase ist aber auch die grundlegende, die unter anderem zur Formulierung des Prinman

aus

3 Ein sprechender Beleg für diese umfassende Bedeutung des Wortes Graeci im lateinischen Hochmittelalter begegnet etwa bei dem Dominikanermissionar Ricoldo von Montecroce (*ca. 1243, "( 1320). Ricoldo teüt die christlichen Völker des Ostens in drei Gruppen ein: Die Nestorianer (Nestorini) und die Jakobiten (lacobini: eine für jene Zeit Übliche Bezeichnung für die Monophysiten) seien „christiani sed haeretici"; die Griechen (Graeci) dagegen seien den Lateinern im Glauben und in den Sitten „sehr ähnlich". Der Streit zwischen Lateinern und Griechen ist Ricoldo zufolge im Grunde genommen nicht theologischer, sondern kirchenpolitischer Art Auf die drei genannten Bezeichnungen, deren Sinngehalt in gewisser Hinsicht mit den modernen Konfessionen" vergleichbar ist, reduziert sich für den dominikanischen Orientfachmann des frühen 14. Jahrhunderts die ganze Vielfalt der christlichen Völker des Ostens. So zählen zu den lacobini ,,Armenier" und „Kopten", zu den Graeci aber neben den ethnischen Griechen auch „Russen", „Ruthenen", „Georgier", „Alanen" und „Iberer" Ricoldo von Montecroce, Libellus ad nationes orientates, ed. cit. 168: „Sunt praeterea in partibus orientis quedam alie secte vel nationes de quibus non oportet facere specialem mentionem sive tractatum quia reducuntur ad predictas. Sunt namque armeni sed hü sunt jacobini Sunt etiam copti , et hü sunt similiter jacobini. Sunt etiam georgiani, russi, yberi, alani, ruteni. Isti omnes modo pro maiori parte sunt greci". Zu Ricoldo s.: A. Dondaine, Ricoldiana. Zu Bedeutungen unterschiedhcher Völkernamen in der lateinischen Literatur des Mittelalters sowie zu Ricoldo s. auch: von den Brincken, Die Nationes christianorum orientalium.

15

Einleitung

diverso ritu entscheidend beigetragen hat. Die späteren Unionsversuche, darunter auch der Höhepunkt aller mittelalterlichen Unionsbemühungen, die Union von Florenz 1439, basierten auf den Lösungen und Modellen, die bereits in jener früheren Zeit entwickelt wurden; auch hat man aus den Fehlern und Mißerfolgen von einst Lehren gezogen. Wenn ich das bislang kaum benutzte Wort „Unionsgedanke" verwende und damit die eben skizzierten Inhalte verbinde, ist damit auch eine historisch korrekte Abgrenzung und Distanzierung von im gegenwärtigen ökumenischen Dialog herrschenden Werturteilen angestrebt. Diese Arbeit versteht sich als streng theologiegeschichtliche Studie auch wenn der Verfasser der Überzeugung ist, daß die Ergebnisse der Untersuchung nicht ohne Relevanz für das aktuelle ökumenische Gespräch sind. Der Unionsgedanke bildete sich heraus als Bewältigung jener Herausforderung, die die Eigenart der Ostküche und die damit verbundenen Konflikte und Polemiken hervorgerufen haben. Dabei stellten die Fragen des ostküchlichen Sakramentenritus nur einen Aspekt der Unionsproblematik. Das Schwergewicht des Unionsgedankens lag zweifellos im Bereich der Ekklesiologie und der Kirchenverfassung und gipfelte in der Frage des päpstlichen Primats. Eben diese letztere Frage begleitete gleichsam wie ein Schatten alle übrigen Konflikte und Streitigkeiten; von ihrer Lösung hing auch die Reflexion und das Vorgehen in anderen Bereichen ab. Den Bereich der Dogmatik beherrschte in der Zeit 1053-1300 vor allem die Frage nach dem Hervorgang des Heiligen Geistes, die sog. Filioque-Frage, der wohl berühmteste aller dogmatischen Kontroverspunkte zwischen der lateinischen und der griechischen Kirche überhaupt. Im 13. Jahrhundert kam eine weitere dogmatische Kontroverse hinzu, und zwar das Problem der Existenz des Fegfeuers, eine Frage, die zum ersten Mal 1235/36 diskutiert wurde. Im disziplinaren Bereich stießen die Lateiner auf die bei den Byzantinern praktizierte Zulassung verheüateter Kleriker zu den höheren Weihen sowie auf die Firmpraxis, da in der Ostküche das Sakrament auch von einfachen Priestern gespendet wüd und nicht ausschließlich den Bischöfen vorbehalten ist. All diese Streitfragen aus dem dogmatischen und dem disziplinaren Bereich haben ihre eigene Rolle in der Entwicklung des Unionsgedankens gespielt. Jedoch waren für die Formierung des Prinzips una fide diverso ritu die Fragen des Ritenvollzugs der Sakramente, und besonders der beiden wichtigsten Sakramente der christlichen Kirche, Taufe und Eucharistie, entscheidend. Dementsprechend steht die Sakramententheologie und -praxis, insbesondere soweit sie die beiden genannten Sakramente betrifft, im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Die Diskussion über die rituelle Eigenart der Ostküche konzentrierte sich in der lateinischen Theologie auf folgende drei sakramentale Bräuche: (1) Die griechische Praxis der Zelebration mit gesäuertem Brot, während die lateinische Kirche die Eucharistie mit ungesäuertem Brot feierte. Dies gab den Anlaß zum sogenannten „Azymenstreit", der in den Jahren 1053/54 ausbrach. (2) Die vermeintlich griechische, in Wüklichkeit aber armenische Praxis der Nichtbeimischung des Wassers bei der eucharistischen Gabenbereitung. Dieses Thema

zips una fide

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-

Einleitung

16

(3)

tauchte um die Mitte des 12. Jahrhunderts auf; seine Diskussion in der lateinischen Theologie verdankt sich einer Verwechslung der griechischen Eigenart mit der armenischen. Der griechische Wortlaut der Taufformel, der von der lateinischen Formel divergierte. Während die lateinische Kirche die Formel „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" gebrauchte, taufte man in der griechischen Kirche mit den Worten „Es wird der Knecht (bzw.: die Magd) Gottes N. im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft". Der unpersonale Ausdruck des Taufaktes sowie das Fehlen des expliziten Hinweises auf den Taufspender wurden von den Lateinern als problematisch wahrgenommen. Der Streit um diese Frage brach im Jahre 1231 aus.

Im ersten Teil der Studie (Die ostkirchliche Herausforderung: Konflikte und Polemiken um die Fragen des Ritus) wird der historische Ablauf der drei genannten Kontroversen mit den jeweiligen Argumentationen und Gegenargumentationen im Einzelnen verfolgt. Im zweiten Teil der Arbeit (Die lateinischen Zugänge zur Eigenart der Ostkirche: Im Spannungsfeld zwischen Zurückführung" und Union) wird versucht, einen Überblick über die Bewältigung dieser Problematik, zunächst in der Kirchenpolitik, dann aber in der eigentlichen Theologie zu verschaffen und die Modelle zu diskutieren, die zur Lösung der drei Streitfragen vorgeschlagen und angewendet wurden. Es wird sich im Laufe der Untersuchung zeigen, daß sich die gesamten kirchenpolitischen und theologischen Beziehungen zwischen Ost und West im Hochmittelalter in gewisser Hinsicht stets um die Streitfragen des Ritus drehten. Mögen auch aus „moderner" Sicht die drei genannten Problemkreise als gänzlich unbedeutend, ja kleinlich erscheinen, so besaßen sie für den zwischenkirchlichen Diskurs im Mittelalter nicht weniger Gewicht als dogmatische, ekklesiologische und politische Kontroversen. Mit der Aufklärung wurde es unter Historikern üblich, sich über die rituellen Streitfragen als baren Unsinn, einer soliden Betrachtung unwürdig, zu mockieren oder sie ebenso hilf- wie verständnislos zu beklagen4. Spätestens seit Husserl, besonders aber seit der Rezeption seiner Ideen bei Soziologen wie Alfred Schütz, gelten jedoch den Humanwissenschaften auch „kleinli„

4 Mit

folgenden im Geist der Epoche verfaßten elegischen Distichen eröffnete z. B. der evangelische Pastor und Theologe Johann Gottfried Hermann seine 1737 in Leipzig erschienene Studie über die Geschichte des Azymenstreites (Hermann, Historia concertationum): „Semina fermenti fermentum gignit et äuget: Pabula dissidii panis amicus habet. Turbida sie puro nascuntur flumina fönte: Datque malis magnis ianua parva viam. Detege vela, precor, rerumque hic perspice causas. Hic horrunum mores ingeniumque dole". Vgl. die bei Edward Gibbon (*1737, fl794) üblichen abschätzigen Äußerungen über die dogmatischen und liturgischen Kontroversen zwischen Lateinern und Byzantinern, s. z. B. für unser Thema: Gibbon, The Decline and Fall m 2103-2104.

17

Einleitung

Dinge, wie alltägliche Gewohnheiten und Interaktionsrituale, für höchst untersuchenswert5. Solche aus den modernen Sozialwissenschaften stammende Zugänge sind daher für das Verstehen der mittelalterlichen Geisteswelt bisweilen besser geeignet als manch gewohnter Blick aufklärerischer Prägung6. Ein ähnlicher Perspektivenwechsel kann zweifelsohne auch für Theologiegeschichte fruchtbar sein7. Hinter den für den heutigen Menschen schwer nachvollziehbaren mittelalterlichen Streitigkeiten um Details des Ritenvollzugs verstecken sich bisweilen lebenswichtige Probleme der gegenseitigen Verständigung. In den verwickelten Nuancen der diesbezüglichen theologiche"

Bedeutung des deutsch-amerikanischen Soziologen Alfred Schütz (*1899, "f"1959) für die Erforschung der gesellschaftlichen Gewohnheitswelt s. zusammenfassend die Einleitung Thomas Luckmanns in: Schütz, Das Problem der Relevanz (1971) 7-23. Grundlegend für das wissen-

5 Zur

schaftliche Verstehen solcher Themen wie die unsere s.: Schütz, Collected Papers I 287-356. Schütz selbst führte seine Methode auf die transzendentale Phänomenologie Edmund Husserls zurück, s.: ebd., I 118-139. Vgl. die Erforschung unterschiedlicher Formen der Rituale und des ritualisierten Verhaltens, die in den letzten zwei Jahrzehnten bei Religionswissenschaftlern, Ethnologen, Soziologen und Sprachwissenschaftlern besonders intensiv betrieben wird, s. z. B.: Ronald Grimes, Beginnings in Ritual Studies (Columbia, South Carolina '1982, 2. rev. Ed.: 1995); Iwar Werlen, Ritual und Sprache (Tübingen 1984); Frits Staal, Rules without Meaning (New York u. a. 1989); Caroline Humphrey / James Laidlaw, The Archetypal Actions of Ritual (1994); Jan Platvoet / Karel Van der Toorn (Hg.), Pluralism and Identity. Studies in Ritual Behavour (Leiden / New York / Köln 1995); Catherine Bell, Ritual. Perspectives and Dimensions (New York / Oxford 1997). Dt Übersetzungen einiger wichtigster Aufsätze s.: Andrea Belliger / David J. Krieger (Hg.): Ritualtheorien (Opladen / Wiesbaden 1998). 6 Dies haben in der Geschichtswissenschaft hinreichend die „Annalisten" demonstriert, s. zusammenfassend: Peter Burke, Offene Geschichte. Die Schule der „Annales (Berlin 1991). 7 Ungeachtet der blühenden Entwicklung der Liturgiewissenschaft als historischer Disziplin gilt es darauf hinzuweisen, daß die theoretische Reflexion über Natur, Funktion und Gesetze des Rituals in der zeitgenössischen Theologie trotz einiger wichtiger Anstöße wie etwa noch der Odo Casels (*1886, fl948; s. grundlegend: Casel, Das christliche Kultmysterium, '1932) den historischen Entdeckungen immer noch weit hinterherläuft. Eine Eüüadung zum Dialog zwischen Theologie und Ritualfheorie (s. Anm. 6) findet sich in: Jennings, Ritual Studies and Liturgical Theology (1987) Der Autor zieht eine Parallele zwischen der Entstehung der Ritualforschung in den Sozialwissenschaften einerseits und der Formierung der sog. Jiturgischen Theologie" (engl. liturgical theology, Lehnübersetzung aus dem Russischen ,^iHTyprirqecKoe öorocjiOBHe") unter dem Einfluß vor allem des amerikanischen orthodoxen Theologen russischer Abstammung Alexander Smeman andererseits, s. bes.: Smeman, Vvedenie (1961). Jene Theologen, die in diesem Gebiet Pionierarbeit leisteten, entwickelten ihre Ansichten in intensiver Auseinandersetzung mit der reügionsphilosophischen und -soziologischen Erforschung des Rituals, wie etwa noch der russisch"

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orthodoxe Theologe Pavel Florenskij (»1882, tT937) m seinen hervorragenden, 1917-1922 entstandenen und erst seit den 70-er Jahren aus seinem Nachlaß stückweise veröffentlichten Vorlesungen zur Theologie des Kultes, s.: Florenskij, Iz bogoslovskogo nasledija (1978); Ders., Ikonostas (1972); Ders., Filosofija kul'ta (1991).

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sehen Kontroversen verbirgt sich eine teils scharfsinnige Diskussion über grundlegende Fragen der interkulturellen Kommunikation. Die lateinische Diskussion strittiger Fragen des Ritus begann in der polemischen Literatur des 11. Jahrhunderts. Über die systematischen Werke der Früh- und Hochscholastik, die auf dieses Material ziuückgriffen, wurde die Frage nach der Ritusdifferenz ein fester Bestandteil der scholastischen Sakramententheologie überhaupt. In der Regel wurde die ostkirchliche sakramentale Praxis im Rahmen des Sakramententraktats als reale bzw. hypotethische Abweichung von der Norm des Sakramentenvollzugs betrachtet. Die vorliegende Studie wird daher die Entstehung des Unionsgedankens nicht nur anhand der für die Problematik grundlegenden und unabdingbaren polemischen Literatur sowie der diesbezüglichen päpstlichen Verlautbarungen verfolgen, sondern auch anhand der systematischen Sakramententheologie, angefangen bei den frühscholastischen Sentenzensammlungen und Summen bis hin zu den Quästionensammlungen, Sentenzenkommentaren und Summen der Hochscholastik8. Diese Akzentuierung hat ihre Gründe: Die scholastische Systematik vermittelte den allgemeingültigen Fundus des theologischen Wissens und Könnens und prägte dadurch das Bewußtsein des gebildeten Menschen des westlichen Mittelalters entscheidend. Aus Vorlesungen und Disputationen ihrer magistri schöpften die damaligen Studenten und zukünftigen Weltpriester und Ordensleute, Prälaten und Professoren ihre theologischen Grundkenntnisse, aber auch die Allgemeinplätze über die Ostkirche. Die scholastischen Ansätze konnten also nicht ohne gewichtige Folgen für das Verhalten der abendländischen Welt gegenüber der Ostkirche bleiben. In entscheidendem Maße wurde durch die scholastische 8 Zur inhaltlichen Klärung des Begriffes „scholastische Theologie" s. neuerdings: Schönberger, Was ist Scholastik? (1991); Leinsle, Einführung (1995) bes. 1-15. Grundlegend für die methodologische Erforschung der Scholastik bleibt nach wie vor die klassische Studie von Martin Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode (1909-1911), s. bes. seine klassische Definition der scholastischen Methode: I 36-37. Der Begriff „Scholastik" umfaßt eine vielseitige, komplexe Realität, die sich auf eine lange Zeitspanne von den Anfängen in den 11.-12. Jahrhunderten durch das Hoch- und Spätmittelalter bis in die Neuzeit erstreckt sowie in mehreren Literaturgattungen ihren Ausdruck findet Über die genaue Abgrenzung des Begriffes gibt es bei zeitgenössischen Forschem keine Emstimmigkeit; manche Forscher sind sogar der Ansicht, daß auf den Begriff „Scholastik" grundsätzlich zu verzichten sei (so Flasch, Einführung 38). Die vorliegende Untersuchimg geht demgegenüber von der gewissen methodischen Einheitlichkeit systematischer Theologie in der Zeit vom 12. bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert aus, in Anlehnung an Chenu, Art. Scholastik in: HthG IV 35-51; de Rijk, La philosophie au Mayen Äge (1985) 20-21, und andere. Im Folgenden konzentriert sich die vorliegende Darstellung auf die Texte, die unbestritten den „Grundstock" der theologischen Scholastik bilden, und zwar auf die theologische Systematik wie Sentenzensammlungen (Sententiae) und Summen (Summae) aus der frühscholastischen Zeit sowie Summen und Kommentare zu den Sentenzen des Petrus Lombardus aus der Zeit der Hochscholastik. Quaestiones disputatae und Quaestiones quodlibetales werden beschrankt herangezogen; andere Gattungen der theologischen Produktion der Scholastiker wie Bibelkommentare, Predigten usw. bleiben mit wenigen Ausnahmen außer Betracht.

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Problemstellung und -lösung auch die päpstliche „Ostpolitik" beeinflußt. Dies läßt sich gut am Beispiel der großen mittelalterlichen Konzilien wie des Lateranense IV, des Lugdunense II sowie des Florentinums ablesen, deren Beschlüsse über die Ostkirche ohne die Vorbereitungsarbeit der scholastischen Theologie undenkbar gewesen wären. Mehr noch: Mit gutem Grund darf man die Entstehung des Unionsgedankens und die Bildung des Prinzips una fide diverso ritu als eine typische Leistung der scholasti-

schen Rationalität ansehen. Auch wenn das Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie auf das lateinische Mittelalter gerichtet ist, ist es selbstverständlich nicht möglich, ohne Kenntnisse der byzantinischen Argumentation gegen die Lateiner zum Verständnis der lateinischen Haltung zur ostkirchlichen Eigenart zu gelangen. Daher werden wir auch die byzantinische und altslavische polemische Literatur möglichst eingehend heranziehen und diskutieren. Als Ergebnis des Vergleichs zwischen dem lateinischen und dem byzantinischen Material wird man einige fundamentale Unterschiede in der Haltung zu den Fragen des Ritus bei den Lateinern einerseits und bei den Griechen andererseits feststellen können. Dieses Resultat wird eine merkliche „Asymmetrie" in der kirchlichen Entwicklung im Westen und im Osten ans Licht bringen, die darin besteht, daß es im Gegensatz zur aktiven programmatischen Unionspolitik des Papsttums in der orthodoxen Welt fast keine Versuche gab, „unierte" Kirchen des lateinischen Ritus unter der Jurisdiktion der östlichen Patriarchate zu gründen. In dieser Hinsicht erscheint der Unionsgedanke als eine vorwiegend westliche Erscheinung, die im Osten nur von wenigen Theologen und Kirchenmännern nachvollzogen wurde. Die griechisch-lateinischen Kontroversen um die Fragen des Ritus sind seit Petrus Arcudius und Leo Allatius im 17. Jahrhundert immer wieder Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Im 20. Jahrhundert kommt in dieser Hinsicht dem umfassenden Werk von Martin Jugie eine besondere Bedeutung zu9. Speziell zur Azymenkontroverse sind die Arbeiten von Anton Michel nach wie vor von großem Wert10. Die bisherige Literatur zu jenen drei Streitfragen, die im Mittelpunkt der Arbeit stehen, wird unten in den jeweiligen Kapiteln aufgelistet und ausgewertet. Es lohnt sich jedoch, an dieser Stelle schon darauf aufmerksam zu machen, daß die theologiegeschichtliche Forschung der letzten 50 Jahre den Streitfragen um den Ritus unverhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit schenkte, verglichen mit dem Gewicht, das diesen Fragen im Mittelalter beigemessen wurde. Während das Filioque sowie der päpstliche Primat in den letzten Jahrzehnten mehrmals Gegenstand von Monographien und Studien wurden11, besitzen wir aus der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg nur eine einzige Monographie zur 9 Jugie, Theologia dogmatica christianorum orientalium, 5 Bde. 1926-1935. 10 Aufgelistet unten, S. 50 Anm. 1. 11 So z. B. zum Fikoque: Haugh, Photius and the Carolingians (1975); Marx, Filioque und Verbot (1977); Vischer (Hg.), Geist Gottes Geist Christi (1981); Papadakis, Crisis in Byzantium (1997); Stirnemann / Wilflinger (Hg.), Vom Heiligen Geist (1998); Oberdorfer, Filioque -

(2001).

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Azymenkontroverse, die jedoch der Komplexität ihres Gegenstandes nicht gerecht wird und die Erforschung dieser bedeutenden griechisch-lateinischen Streitfrage kaum voranbrachte12. Die beiden übrigen Probleme, der Taufformelstreit und die Wasserbeimischung, wurden bisher nur in kürzeren Zeitschriftenaufsätzen oder lediglich nebenbei in Monographien zu anderen Themen behandelt. Obwohl sich in der Vergangenheit zahlreiche, teils namhafte Untersuchungen mit der Geschichte der drei rituellen Streitfragen auseinandergesetzt haben, wurde doch jene spezielle Fragestellung, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht, bislang kaum berücksichtigt. In gewisser Hinsicht gehören in unser Forschungsinteresse all jene Studien, die sich der Wahrnehmung der Ostkirche und generell des byzantinischen Ostens im lateinischen Mittelalter widmen, wie die Arbeiten von Martin Arbagi13, B. EbelsHoving14 und Anna-Dorothee von den Brincken15. Das primäre Interesse der beiden ersten Arbeiten zielt jedoch nicht auf die Kulturproblematik, sondern auf allgemeinpolitische Einstellungen; die letztgenannte Studie interessiert sich zwar speziell für Kulturfragen, untersucht aber nicht die lateinische theologische Literatur oder päpstliche Verlautbarungen, sondern konzentriert sich ausschließlich auf die historiographische Literatur. In der Tat findet sich in der Forschung der letzten fünfzig Jahre wohl nur eine einzige Monographie, die in ihrer Fragestellung der unseren sehr nahe kommt. Es handelt sich um die in vieler Hinsicht bahnbrechende Studie von Wilhelm de Vries Rom und die Patriarchate des Ostens, die unter Mitarbeit von Octavian Bärlea, Josef Gill und Michael Lacko im Jahre 1963 erschien. Der zweite Teil dieser Studie, Roms Haltung zur Eigenart des Ostens, ist dem gleichen Problemkreis wie die vorliegende Arbeit gewidmet16; hier findet man einen knappen, aber inhaltsreichen Überblick zu diesem

12 13 14 15 16

Smith, And Taking Bread (1978). Arbagi, Byzantium in Latin Eyes (1969). Ebels-Hoving, Byzantium in westerse ogen (1971). von den Brincken, Die Nationes christianorum orientalium (1973). In der Einleitung skizzieren die Autoren ihre Absicht: „Es geht uns in diesem Buche nicht darum, eine Geschichte der Union der östlichen Patriarchate mit Rom zu schreiben und im einzelnen über die Phasen des Annäherungsprozesses und des endlichen Abschlusses der Union zu berichten. Unser Augenmerk richtet sich vielmehr auf die mit der Existenz einer eigenständigen Ostkirche im Rahmen der universalen Kirche gegebenen allgemeinen Probleme und auf die Art und Weise, wie Rom diese Probleme sieht und zu ihnen Stellung riimmt. Im Grunde geht es um die Frage, wie Einheit und Kathoüzität, die beide der Kirche wesentlich sind, miteinander in Einklang gebracht werden können. Bedeutet Einheit notwendig Gleichheit der liturgischen Sprache, Riten und Gebräuche, Identität des Kirchenrechts und der hierarchischen Struktur? In der Auseinandersetzung mit dem christlichen Osten stand Rom immer wieder diesen Problemen gegenüber. Es hat sie zu verschiedenen Zeiten verschieden zu lösen gesucht. Es läßt sich also eine Geschichte der Haltung Roms gegenüber dem Osten und seiner Eigenart schreiben. Wir haben versucht, dies zu tun" (de Vrtes, Rom und die Patriarchate 1-2).

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Thema fur die Zeit vom Mittelalter bis zur Gegenwart17. In der Monographie von de Vries wird jedoch das Thema ausschließlich anhand von päpstlichen Verlautbarungen also genau das, untersucht; die systematische theologische Literatur der Lateiner außer Betracht. worauf die vorliegende Studie den Schwerpunkt legt, bleibt ganz Man wundert sich vielleicht darüber, daß es bislang keinen historischen Überblick über die Problematik der ostkirchlichen kulturellen Eigenart in der systematischen Theologie der Früh- und Hochscholastik gibt. Eine Ursache dafür mag man dann erblicken, daß sich auch die theologiegeschichtliche Forschung, insofern sie sich den liturgischen Riten zuwandte, bis zum II. Vatikanum weitgehend als Kontroverstheologie verstanden hat. Spätestens seit dem Tridentinum galten aber im kontroverstheologischen Bereich die scholastischen, näherhin die thomistischen Ansätze und Problemlösungen als unbestrittener Maßstab und verbindliche Grundlage. Man sah in der scholastischen Kontroverstheologie eine überzeitlich gültige Weise der Auseinandersetzung, die keiner Revision bedürfe. Mehr noch: Die eigentliche Erforschung der ostküchlichen Theologie ist gewissermaßen aus dem Geiste der Spätscholastik geboren. Petrus Arcudius im siebzehnten Jahrhundert wie auch etwa Martin Jugie in der ersten Hälfte des zwanzigsten waren in der Welt der Scholastik ausgebildet und mit der scholastischen Methode bestens vertraut18. An einer kritischen Hinterfragung des Ursprungs und der Entwicklung der scholastischen Problemlösungen waren sie nicht interessiert. Es bedurfte erst der Einsicht in die historische Bedingtheit der scholastischen Methode, um ihre Abhängigkeiten oder Schwächen, aber auch ihre Größen und Leistungen hinreichend würdigen zu können. Erst ab der Mitte des letzten Jahrhunderts begann die kritische historische Erforschung scholastischer Einstellungen gegenüber der Ostkü-

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17 S.: de Vries, Rom und die Patriarchate 183-222. 18 Kennzeichnend ist, wie Martin Jugie in semer Theologia dogmatica christianorum orientalium (wie Anm. 9) die Sakramentenproblematik angeht Die sakramentale Praxis der Ostkirche sowie die diesbezüglichen Kontroversthemen zwischen Ost und West werden hier gänzlich nach der Gliederung eines klassischen scholastischen Sakramententraktats behandelt: De definitione, De institutione, De materia (remota et proximo). De forma. De charactere. De effectibus, De

(s. Jugie, Theologia dogmatica, Bd. 3). Dabei wird nicht beachtet, daß alle genannten Begriffe und Themen der lateinischen Sakramententheologie am Ursprung der meisten Sakramententheologischen Kontroversen zwischen der römischen und der byzantinischen Kirche im 11.-13. Jahrhundert noch in der Phase der Ausgestaltung waren und erst im Tridentinum ihre „endgültige", durch den Verfasser der Theologia dogmatica vorausgesetzte, Bedeutung bekamen, von der byzantinischen Theologie ganz zu schweigen, die vor Beginn der lateinischen theologischen Einflüsse im 14. Jahrhundert mit diesen scholastischen Begriffen gar nichts anfangen konnte. Ein ähnlicher Ansatz ist auch für Zeitgenossen Jugies charakteristisch; s. z. B.: Palkderi, Theologia dogmatica orthodoxa (1911); SpäCIL, De sacramento baptismi (1926); Oers., De SS. Eucharistia (1928-1929); Ders., De sacra infirmorum unetione (1931); Ders., De sacramentis in genere (1937); Gordillo, Compendium theologiae orientalis (1950). Zu Person und Werk des großen griechischen in Rom ausgebildeten Gelehrten Petrus Arcudius (*1562 od. 1563,1T633) s.: Podskalsky, Griechische Theologie 156-160. ministro,

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usw.

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che19.

Yves Congar steuerte wichtige Beiträge bei, aber auch bei ihm blieb das Thema mehr oder weniger am Rande seiner Studien. Er interessierte sich vor allem für die ekklesiologische Bewertung der Ostkirche, und dies nur bei einigen Vertretern der Scholastik, ohne daß eine umfassende Übersicht über das Thema erreicht wurde20. Nach dem Zweiten Vaticanum schlug das Pendel in die andere Richtung aus. Die nachkonziliare ökumenisch gesinnte Erforschung der Ostkirche entwickelte geradezu eine Aversion gegen die Scholastik, und man lastete ihr zuweilen die „Fehlentwicklungen" des lateinischen Westens gegenüber dem byzantinischen Osten an21. Daß diese letztere Haltung nicht weniger tendenziös ist und der mittelalterlichen Theologie nicht gerecht wird, möge aus der vorliegenden Studie ebenfalls ersichtlich werden. Indessen erzielte die Erforschung der mittelalterlichen scholastischen Theologie generell in den letzten fünf Jahrzehnten wichtige Fortschritte. Seitdem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Martin Jugie, Aurelio Palmieri, Theophilus Späcil und andere scholastisch geschulte Ostexperten ihre Studien publiziert hatten, erweiterte sich die Quellenbasis und die Kenntnis der mittelalterlichen Theologie erheblich. Heute sieht unser Bild von der scholastischen Systematik in vielerlei Hinsicht anders als noch vor fünf Jahrzehnten aus. Dadurch eröffnen sich auch neue Möglichkeiten für die Geschichte der ostkirchlichen Problematik. Eine ganze Reihe von scholastischen Texten, vor allem aus der Zeit der Frühscholastik, die für die Interpretation der Ostkirche von Bedeutung sind, liegen mittlerweilen ediert vor. Es seien hier vor allem erwähnt der Tractatus de sacramentis des Petrus Comestor22, der Tractatus de sacramentis des Guido von Orchelles23, die anonyme Summa Totus homo24, die Summa de sacramentis et animae consiliis des Petrus Cantor25, die Glossa super quatuor libros Sententiarum und die Quaestiones disputatae aus der vorfranziskanischen Zeit des Alexander von Haies26, 19

gab Josef Geiselmann eine flüchtige Obersicht über die Einstellungen einiger scholastischer Theologen zur Azymenfrage (Geiselmann, Die Abendmahlslehre 65-68). Die zahlreichen Untersuchungen von Anton Michel enthielten zwar viele wichtige Informationen zur Herkunft des Kontroversmaterials in der scholastischen Systematik, konzentrierten sich aber was das westliche Material anbelangt überwiegend auf Humbert von Süva Candida und seine Bedeutung für die Vorscholastik und frühere Kanonessammlungen; s. bes.: Michel, Die folgenschweren Ideen; Ders., Humbert von Silva Candida bei Gratian. Die Arbeiten von Mauricio Gordillo gehörten geistig und methodologisch noch zur Neuscholastik; zur Interpretation der Ostkirche bei scholastischen Theologen s.: Gordillo, Theologia orientalium (1960) 242-243. 271-280. S. die einschlägigen Abschnitte in: Congar, L'ecclesiologie du haut Moyen-Age (1968), bes. 319-393; Ders., Die Lehre von der Kirche (1971); Ders., Zerrissene Einheit (1959). Ein sprechendes Beispiel bietet das Buch von Hotz, Sakramente (1979), bes. 13-14. 80-86. Hg. von R. M. Martin (1937). Hg. von Damien und Odulf Van den Eynde (1953). Hg. vonH. Betti(1955). Hg. von J.-A. Dugauquier (1954-1967). Hg. von dem Bonaventura-Collegium in Quaracchi (1957 und 1960). 1933

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20 21 22 23 24 25 26

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Quaestiones de sacramentis des Wilhelm von Militona die Traktate des sog. „Normannischen Anonymus"28, die Summa Zwettlensis des Peter von Wien2*, die Quodlibeta quattuor des Roger Marston30. Die einflußreiche Summa aurea des Wilhelm von Auxerre ist erstmals kritisch ediert31. In grundlegend neuen kritischen Editionen sind weiterhin die für das Thema unerläßlichen Werke Theologia 'Summi boni' und Theologia 'Scholarium' des Peter Abaelard32, die Sententiae des Petrus Lombardus33, die

,

die Ordinatio und die Lectura tax Distinktion 11 des ersten Sentenzenbuches über den Hervorgang des Heiligen Geistes des Johannes Duns Scotus34 erschienen. Alle diese Werke enthalten beachtenswerte Stellen, an denen sich die Autoren mit der Eigenart der Ostküche auseinandersetzen. Die Möglichkeiten, die diese neueren Ergebnisse der theologischen Mediävistik bieten, wurden bisher von der Erforschung der osfküchlichen Problematik kaum wahrgenommen35. Der umfassende Anspruch dieser Studie ließe sich nicht realisieren, ohne eine gewisse Selektion des Quellenmaterials vorzunehmen. So habe ich mich für eine Untersuchung ausschließlich der gedruckten Quellen entschieden, näherhin handelt es sich um ca. 60 lateinische theologische Werke, ca. 20 päpstliche Dekretalien und Konzilsdokumente und ca. 40 griechische und altslawische Schriften, wobei das Spektrum der untersuchten Literatur sehr weit reicht: von aus aktuellem Anlaß geschriebenen Briefen über kurze polemische Pamphlete bis hin zu umfangreichen systematischen Quästionensammlungen und Summen. Dabei sind, wie bereits gesagt, viele der hier untersuchten lateinischen Texte bisher noch nie zur Erforschung der ostküchlichen Problematik herangezogen worden. Aufgrund der Entscheidung, ausschließlich gedruckte Quellen zu 27 Hg. vonC. PianaundG. Gäl (1961). 28 Hg. von Karl Pellens (1966). 29 Hg. von Nikolaus M. Häring (1977). 30 Hg. von G. L Etzkorn und I. C. Brady (1994). 31 Hg. von Jean Ribaillier (1980-1985). 32 Hg. von E. M. Buytaert und C. J. Mews (1987). 33 Hg. von Ignatius C. Brady (1971-1981). 34 Editio Vaticana, Bd. V (1959) und Bd. XW (1966). 35 Den von Byzantinisten gelegentlich unternommenen Versuchen, auf scholastische Interpretationen der ostkirchhchen Problematik hinzuweisen, mangelt es nicht selten an Kenntnissen des aktuellen Forschungsstands, sie fallen deshalb in der Regel flüchtig aus, s. z. B.: Smith, And Taking Bread 48-49, Anm. 51 und 52, wo der Autor keinen Zweifel an der Authentizität der Quarta pars der Summa fratris Alexandri erkennen läßt; oder Taft, Water into Wine 332, wo die Historizität des Disputationsberichtes im 2. und 3. Buch des Antikeimenon des Anselm von Havelberg für unbestritten erklärt wird (s. dazu unten, Kap. B 2). Man muß demgegenüber den bahnbrechenden Beitrag der Byzantinisten zur Erforschung der byzantinischen Scholastik hervorheben, s. dazu Gerhard Podskalsky, Theologie und Philosophie, bes. 180-230 (hier auch die einschlägige Literatur). Die Geschichte der scholastischen Methode in Byzanz ist jedoch ein anderes Thema, das zwar mit dem Gegenstand vorliegender Untersuchung verwandt ist, aber eine eigene Fragestellung voraussetzt

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berücksichtigen, sah ich mich gezwungen, auf eine eingehende Untersuchung des größtenteils nur handschriftlich vorliegenden kanonistischen Materials vorerst zu verzichten, obwohl man nicht vergessen darf, daß gerade der Kanonistik eine außerordentlich wichtige, vielleicht sogar führende Rolle in der Auseinandersetzung mit der ostkirchlichen rituellen Eigenart zukam. Untersucht wurden nur jene kanonistischen Werke, die bisher im Druck erschienen sind; ungedruckte kanonistische Texte wurden nur vereinzelt herangezogen, wie z. B. die für unser Thema unerläßliche Summa decretorum des Huguccio. Was die griechischen und altslawischen Texte betrifft, so liegen viele der hier untersuchten Schriften nur in schwer zugänglichen unkritischen -

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Editionen aus dem 17. bis zum 19. Jahrhundert vor. Die außerordentliche Verworrenheit der Quellenlage des byzantinischen und altslawischen Materials, die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Zuweisungen, Datierungen und Interpretationen, die in der Forschungsliteratur herrscht, veranlaßte mich, ein kommentiertes Verzeichnis der einschlägigen antilateinischen Schriften und ihrer Autoren zusammenzustellen36. Dieses Verzeichnis möge man um einen treffenden Ausdruck Horst Fuhrmanns aufzugreifen als „Ersatz für ein besseres"37 ansehen, da ein abschließendes Urteil über sämtliche Zusammenhänge und Abhängigkeiten in der byzantinischen antilateinischen Literatur ohne eine gründliche Sichtung und Auswertung aller ungedruckten Quellen nicht möglich ist. Diese letztere Arbeit bleibt jedoch eine Aufgabe der zukünftigen Forschung. Bei der Untersuchung der Kontroversen um die Fragen des Ritus gilt es, auf zwei Aspekte Rücksicht zu nehmen. Zum ersten war die Haltung des Westens gegenüber der rituellen Eigenart der Ostkirche grundsätzlich von einer ekklesiologischen Vorbedingung, nämlich von der Anerkennung des päpstlichen Primats, abhängig. Daher ist eine Interpretation des sakramententheologischen Materials ohne Berücksichtigung der ekklesiologischen Grundlagen nicht möglich. Dieser Prämisse versucht auch die vorliegende Studie gerecht zu werden. Zum zweiten stimmte die theologische Reflexion mit der Kirchenpolitik, die Unionstheorie mit der Unionspraxis nicht immer überein. Nicht selten sagte man das Eine und tat das Andere. Mehr noch: Die Theologie der unio („Einigung") widersprach bisweilen dem politischen Vorgehen der reductio („Zurückführung") und vice versa. Dies wird insbesondere am Beispiel der „Union von Lyon" 1274 ersichtlich, wobei der fehlende Wille und die Unfähigkeit der an dieser Union beteiligten kirchlichen Entscheidungsträger, sich mit den damit zusammenhängenden Kulturfragen ernsthaft auseinanderzusetzen, mit einer der sprechendsten Formulierungen der Anerkennung der ostkirchlichen Eigenart durch den größten zeitgenössischen Theologen, Thomas von Aquin, zeitlich zusammenfiel. Die Geburt und die Formierung des Unionsgedankens war schwierig, ihre Verwirklichung war mit vielen Rückschritten, Bedenken, Inkonsequenzen und Mißerfolgen verbunden. Die vorliegende Arbeit versucht, diesem Wechselspiel zwischen politischer Praxis und theologischer Reflexion -

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36 S. unten,S. 91-103. 37 Fuhrmann, Einfluß und

Verbreitung I, S. VII.

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25

indem zwischen der Union und der „Zurückfuhrung" unterschieden und die eine der anderen gegenübergestellt wird. Während die Politik mit der „Union", oder besser gesagt: „Reduktion von Lyon" 1274 in dem von uns untersuchten Zeitraum völligen Schiffbruch erlitt und erst später mit der Union von Florenz 1439 gewisse positive Ergebnisse erzielen konnte, erreichte die Theologie in ihren prominentesten Vertretern das Niveau der Anerkennung der fremden Identität, was für die mittelalterlichen Voraussetzungen und Verhältnisse gar nicht überschätzt werden kann. Eben in dieser letzteren Hinsicht zeichnet sich der mittelalterliche Unionsgedanke als ein Vorläufer der späteren neuzeitlichen Toleranzidee ab. Toleranz, Anerkennung des Anderen, Respekt vor fremden Kulturen wurde in der jüngsten Zeit zu einem beliebten Gegenstand sowohl der systematischen als auch der historischen Forschung. Die Theologie stand dabei nicht abseits38. Eine besondere Aktualität gewann dieses Thema angesichts des Ausbruches von Intoleranz in Form von interkonfessionellen und interreligiösen Konflikten am Ende des 20. Jahrhunderts sowie angesichts eines Anschwellens jenes gesellschaftlichen Phänomens, das man heute mit dem Wort „Fundamentalismus" zu bezeichnen pflegt. Auch die jüngste Multikulturalismus-Debatte in den Sozialwissenschaften regte das Interesse an der Problematik interkultureller Toleranz, Anerkennung und Verständigung an39. In den letzten Jahren wurde die Toleranz immer öfter auch als Thema der Mediävistik entdeckt, wobei sowohl die interreligiöse Toleranz als auch die Problematik der „sozialen, rechtlichen und theologischen Reaktionen auf religiöse Abweichung" ganz unterschiedlicher Art erörtert wurden40. Es wurde in den jüngsten mediävistischen Beiträgen mit Recht darauf hingewiesen, daß das Mittelalter, entgegen der herrschenden Meinung, die es für eine beinahe „ihrem Wesen nach" intolerante Epoche hält, durchaus auch tolerante Haltungen gegenüber den Fremden kannte und praktizierte41. Unter anderem wurde bereits das Thema der Kirchenunion unter dem Blickwinkel der Toleranzproblematik analysiert42, jedoch winden zugleich auch Bedenken ausgesprochen, ob die Unionsproblematik tatsächlich zum Thema „Toleranz" gerechnet werden darf oder ob sie sich für die Toleranzproblematik nicht doch zu „sperrig" erweist43. Nach dieser Ansicht sei „das Wesen der Union die Aufhebung, die Überwindung von Gegensätzen"; „Toleranz ist aber per definitionem der Versuch, Modi zu finden, um mit Gegensätzen zu leben". Die Union

Rechnung zu tragen,

38 Die philosophische und historische Literatur zur Toleranz ist uferlos; s. Literaturhinweise in: HWP X 1251-1262. Zur Toleranzproblematik im christlichen Kontext s.: Arens (Hg.), Anerkennung der Anderen (1995); Broer / Schlüter (Hg.), Christentum und Toleranz (1996). 39 S. die grundlegende Arbeit von Charles Taylor, Multiculturalism (1994). 40 S. Vortrags- und Aufsatzsammlungen: Simon (Hg.), Religiöse Devianz (1990); Nederman / Laursen (Hg.), Tolerance and Dissent (1996); Toleranz und Intoleranz im Mittelalter (1997); Patschovsky / Zimmermann (Hg.), Toleranz im Mittelalter (1998). 41 S. z. B.: Patschovsky/Zimmermann, Toleranz im Mittelalter, bes. 7-8. 12. 42 Walsh, Zwischen Mission und Dialog. 43 Patschovsky, Toleranz im Mittelalter 399^00.

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„im dialektischen Sinne auf Aufhebung der Toleranz" Wie unsere Studie darlegen möchte, war der Sinn der Unionsbestrebungen gerade nicht die Aufhebung von kulturellen Gegensätzen, sondern eben das Finden von „Modi", „um mit Gegensätdiverse- ritu interpretieren. In zen zu leben". Nur so läßt sich eben das Prinzip una fide diesem Sinn gehört der Gegenstand der vorliegenden Arbeit eindeutig in den Bereich der Vorgeschichte der Toleranz in den westlichen Gesellschaften. Die Haltung der Toleranz und in einigen seltenen Fällen sogar der Anerkennung gegenüber dem Fremden, ziele also

.

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in der von uns untersuchten Zeit keine Selbstverständlichkeit. Daher wird man in dieser Studie auch zahlreichen Zeugnissen von Intoleranz und Mißbilligung fremder Eigenart begegnen. Um so wertvoller leuchten die selteneren Fälle von toleranter und anerkennender Haltung auf. Und damit wäre für die historische Forschung und nicht zuletzt für den Dialog der Kirchen viel gewonnen.

war

44

Ebd., 400.

Erster Teil

Die ostkirchliche Herausforderung: Konflikte und Polemiken um die Fragen des Ritus

A. Der Azymenstreit

I.

Biblische und patristische Grundlagen

Der Unterschied zwischen dem östlichen und dem westlichen Christentum in der cucharistischen Praxis, der als Anlaß für den Streit um das ungesäuerte Brot diente, existiert spätestens seit dem Ausbruch des Azymenstreites um die Mitte des 11. Jahrhunderts. Wie im Mittelalter verwenden auch in der Gegenwart alle Ostkirchen, abgesehen von der armenischen und der maronitischen, in der Eucharistie Brot aus Sauerteig. Die westlichen Kirchen die römisch-katholische und in ihrem Gefolge auch die protestantischen sowie die Armenier und die Maroniten gebrauchen ungesäuertes Brot. In der römisch-katholischen Kirche ist die Verwendung von ungesäuertem Brot in c. 926 CIC 1983 vorgeschrieben, für die katholischen Ostkirchen schreibt c. 707 §1 CCEO keine konkrete Qualität des eucharistischen Brotes vor, sondern bestimmt, daß in jeder Kirche sui iuris eigene Normen bezüglich dieses Gegenstandes aufgestellt werden sollen1. In der armenischen Kirche wird die Zelebration mit ungesäuertem Brot nach einigen Angaben seit dem 7. Jahrhundert praktiziert2. Bei den Maroniten ist die Verwendung von ungesäuertem Brot aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Abschluß der Union mit Rom im 12. Jahrhundert verbunden, wenngleich die Umstände des letzteren Ereignisses weiterhin umstritten bleiben3. In allen übrigen Ostkirchen wird die Eucharistie ausIn der byzantinischen Liturgie wird die schließlich mit gesäuertem Brot -

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vollzogen4.

c. 707 §1: „circa panis eucharistici confectionem iure particulari uniuscuiusque Ecclesiae sui iuris norrnae accurate statui debent". 2 Dazu ausfühlicher s. unten, Kap. B 1. 3 ODB 1304 (Kazhdan). Hanssens, Institutiones LT/1 138 (Nr. 226), ist der Ansicht, daß das ungesäuerte Brot bei den Maroniten „a tempore immemorabili" in Gebrauch war. 4 Leon von Achrida (zu ihm s. unten, Kapitel AÜI lb, Nr. 20) nennt in der Mitte des 11. Jh. noch die „Jakobiten" (TaxcoßiTcu, 2. Brief über die Azymen, in: Pitra, Analecta VI 756) sowie die „Ägypter" (AIyüjttioi, 3. Brief über die Azymen, in: EkklAl 2/4 [1887] 152), die mit Azymen Eucharistie feiern. Anton Michel, Humbert und Kerullarios II 116, vermutet, daß unter ,Ägypter" „wohl die Kopten , nicht die Jakobiten, zu verstehen" seien; die Erwähnung der „Jakobiten" im 2. Brief des Leon scheint er übersehen zu haben. Hanssens, Institutiones U/1 136 (Nr. 223

1 CCEO

Die ostkirchliche Herausforderung

30

Verwendung der Sauerbrote durch den Ritus der Gabenbereitung Proskomidie (oder Prothesis, gr. npoaxopiörj und irpoOemc) bestätigt, wonach einzelne Handlungen des Ritus wie zum Beispiel das Herausschneiden des sog. „Lammes" aus dem Brot sowie seine Durchbohrung, aber auch die Entnahme von Partikeln zum Gedenken an die Heiligen, an die Lebenden und die Verstorbenen mit Hilfe eines besonderen liturgischen Gerätes, der sog. „Lanze" (gr. Xöyxtj), nur möglich ist, wenn aus Sauerteig hergestellte Prosphoren verwendet werden5. -

-

Als um die Mitte des 11. Jahrhunderts der Streit zwischen Griechen und Lateinern über das eucharistische Brot entflammte, faßten beide Seiten ihre jeweiligen Bräuche als völlig etabliert auf5. Dabei hielt jede Seite den eigenen Brauch für den ursprünglichen, ältesten Brauch der christlichen Kirche, der auf die Einsetzung der Eucharistie durch Jesus Christus im letzten Abendmahl zurückreiche. Zugleich wurden von beiden Parteien auch reichlich patristische Argumente herangezogen. Die Frage, welches Brot Jesus beim letzten Abendmahl verwendet hat, ist jedoch heute ebenso ungeklärt wie die

[Druckfehler: 213]); 137 (Nr. 225), hält das Zeugnis des 2. Briefes Leons, unterstützt durch das Opusculum eines „Meletios" (PG 95, 389 C) für ein Argument zugunsten des Azymengebrauchs bei den Jakobiten im 11. Jahrhundert. Die beiden SteUen des Leon bedürfen noch einer eingehenden liturgiegeschichtlichen Untersuchung. Hanssens, Institutiones liturgicae n/1 125 (Nr. 206); 139-140 (Nr. 228), zählt, neben der armenischen und maronitischen, auch die malabarische Kirche zu den Kirchen, die das ungesäuerte Brot gebrauchen. Der Gebrauch des ungesäuerten Brotes hat sich bei den Malabaren jedoch frühestens im 16. Jh. etabliert. Für die Erforschung des mittelalterlichen Azymenstreites spielt die neuzeitliche Einführung des ungesäuerten Brotes bei den Malabaren keine Rolle. 5 S.: Kallis, Liturgie 18-39. Zu den Prosphoren allgemein s.: Onasch, Lexikon 320-321. Generell zu dem Brot der Eucharistie in den Ostkirchen s.: Hanssens, Institutiones liturgicae LT/1 121-217 (Nr. 197-381); Woolley, The Bread 44-78. 6 Im Dialogus gegen die Schrift des Leon von Achrida (s. unten, Kapitel A IV 1, Nr. 1) werden als Argument gegen die Griechen einige SteUen aus einem Schreiben eines Erzbischofs von Jerusalem herangezogen, aus dem hervorgehe, daß die Kirche von Jerusalem früher mit Azymen zelebriert hat, Will 109b: „eumdem ritum divini sacrificü sanctam Hierosolymitanam ecclesiam observasse antiquitus, quem sacrosancta Romana ecclesia observare non cessat hactenus". Michael Kerullarios schreibt in seinem 1. Brief an Petros von Antiocheia, ihm werde berichtet, daß die Bischöfe von Alexandreia und Antiocheia die Gewohnheit haben, die hl. Mysterien auch mit Azymen zu feiern, Will 179a: ecttiv öti xcü ccÜToi [d. h. ö 'AXe^avöpetag Kai ö TepoooAÜucuv: Will 178a Z. 1819] öi'äfjüptov xf|v 9e£av exteaoüoi LiuoxcrycoYictv. xat quETc, ut\ ufj Tivog EÜJiopoüvTEC, ex toü jtpoxEipou, öi'ou Tf|v jiEpi toütou jipöc, EXEi'vouc, EpcöTr|oiv 3Toina6uE0a, äXXcoc. Ö£ LtnÖE ctAAoic, Jtepi toütcov GappETv exovtec, tö näv Tfjc. EpEuvqc. xfj ofj ävaxtGEUxv cryiÖTriTi, cbc. av ai)Tf| iiEpl toü npäYuaToc, äxpißcöc. e^Exdoaaa y^fopiori xfj f|ucöv uETpiorq-tL In seinem Antwortschreiben an Kerullarios (Will 189-204) erwähnt Petros diese Angelegenheit mit keinem Wort. Vgl. dazu: Hanssens, Institutiones H/1 140-141 (Nr. 229). Zum wahrscheinlichen Azymengebrauch in Jerusalem und Alexandreia zu gewissen Zeiten des liturgischen Jahres s.: Michel, Humbert und Kerullarios II 115.

31

Der Azymenstreit

Ursprünge der jeweiligen eucharistischen Bräuche in Ost und West. „Ut intelligant omnes, quam intricata sit controversia de azymo, quantis ambagibus involuta", so bestimmte Jean Mabillon im Jahre 1673 eines der Ziele seiner Untersuchung über das Brot der Eucharistie7. Die Geschichte der Verwendung von gesäuertem und ungesäuertem Brot in der Zeit vor dem Ausbruch der Azymenkontroverse ist seit Mabillon nicht viel klarer geworden trotz der Bemühungen einer ganzen Reihe von Forschern8. Umstritten ist bis auf den heutigen Tag die Frage, in welche Zeit man die Verfestigung des Gebrauchs des ungesäuerten in der lateinischen und des gesäuerten Brotes in der griechischen Kirche datieren muß. Es bleibt unklar, ob einer der beiden Bräuche der ursprüngliche war oder ob beide seit den ältesten Zeiten nebeneinander existierten. Schließlich bestehen immer noch unterschiedliche Meinungen darüber, welche Brotart Jesus beim letzten Abendmahl verwendet hat. Für eine weitere Betrachtung der Geschichte des Azymenstreites ist es ratsam, kurz die Problematik der Beschaffenheit des eucharistischen Brotes in der Zeit vor dem Beginn des Azymenstreites zu beleuchten, und zwar einen Überblick darüber zu geben, was uns heute über die Geschichte der beiden Bräuche bekannt ist, sowie auf welchem religionsgeschichtlichen Hintergrund -

sie zum Zusammenstoß miteinander um die Mitte des 11. Jahrhunderts kamen. Dies wird uns erlauben, die Problematik des mittelalterlichen Azymenstreites in eine zutreffende theologische Perspektive zu setzen.

7 Mabillon, Dissertatio de pane eucharistico 1244 D. 8 Eine gute Zusammenfassung bietet nach wie vor: DThC I 2653-2664 (Parisot). Über die Beschaffenheit des eucharistischen Brotes vor dem 11. Jh. s. (in chronologischer Reihenfolge): Sirmond, Disquisitio de azymo ('1651); Bona, Dissertatio de fermento ("1671); Mabillon, Dissertatio de pane eucharistico (' 1673); Macedo, Disquisitio theologica de ritu azymi (1673); Ciampini, Conjecturae ('1688); Lequien, De azymis (1712); Giese, Erörterung (1852) 37-111; Woolley, The Bread (1913) 1-22; DACL I 3254-3260 (Cabrol, von Parisot abhängig); Space., De SS. Eucharistia LT 125-145 (Nr. 303-338); Hanssens, Institutiones U/1 127-141 (Nr. 209229); Michel, Humbert und Kerullarios I 112-130; Geiselmann, Die Abendmahlslehre (1933) 21-41, vgl. dazu A. Michels Rezension in: ByZ 36 (1936) 117-120; ScHWErNBURG, Zum Ursprung (1934); Michel, Die Anticipation (1936); RAC 1 1056-1062 (O. Michel; der Artikel gibt nützliche Hinweise auf die jüdischen Mazzen, enthält jedoch fragwürdige Angaben zu den christlichen LT 40-47; LMA I 1318-1319 (H.-J. Schulz); Quellen); Jungmann, Missarum sollemnia Handbuch der LThK3 I 1326-1328 (Petzolt). Im Liturgiewissenschaft sind dem Problem der eucharistischen Brotes ganze zwei Zeilen, zumal mit Beschaffenheit des gesäuerten/ungesäuerten auf das 12. Jh. gelegt!) gewidmet, wird hier des irrtümlicher Datierung (der Anfang Azymenstreites 150. s.: Meyer,Eucharistie (1989)

(51962)

Die ostkirchliche Herausforderung

32

1. Mit welchem Brot feierte Jesus das letzte Abendmahl? Da die Väter und die mittelalterlichen Autoren den jeweiligen eucharistischen Brauch mit der Einsetzung der Eucharistie9 durch Jesus begründen, müssen wir einen kurzen Blick auf die Diskussion werfen, die in der exegetischen Forschung hinreichend erörtert wurde. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen steht die Frage, ob man das letzte Abendmahl Jesu als ein jüdisches Passamahl oder als eine wesentlich von dem alttestamentlichen Passaritual unterschiedene Handlung deutet. Davon hängt auch die Frage nach der Beschaffenheit des verwendeten Brotes ab, denn das Passamahl mußte nach jüdischer Vorschrift mit ungesäuertem Brot gefeiert werden. Folgt man eher der synoptischen Darstellung, nach der Jesus das letzte Abendmahl am „ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote, an dem man das Paschalamm schlachtete" (Mk 14, 12; vgl. Mt 26,17), d. h. am 14. Nisan vollzog, so mußte Jesus mit seinen Jüngern ein jüdisches Passamahl mit ungesäuertem Brot gefeiert haben10. Dagegen scheint der johanneische Bericht das Abendmahl auf den Vorabend des 13. Nisan festzusetzen, so daß das Abendmahl Jesu

von der ,Jiinsetzung der Eucharistie" sprechen, so sind wir uns der historisch-exegetischen Probleme, die eine derartige Auslegung des Verhältnisses der Eucharistie zum letzten Abendmahl Jesu mit sich zieht, voll bewußt Kollmann, Ursprung und Gestalten (1990) 33, ist der Meinung, daß „unter den an der Abendmahlsdiskussion beteiligten Exegeten ein weitreichender Konsens darüber herrscht, daß die frühchristliche Begehung einer sakramentaler Mahlfeier auf ein letztes Mahl Jesu zurückgeht und die neutestamentlichen Einsetzungsberichte zumindest im Kern authentisch sind". Das Problem des Ursprungs und der frühen Formen der christlichen Eucharistie wird dennoch bis heute kontrovers diskutiert. Vgl. dazu jüngst: McGowan, Ascetic Eucharists (1999), bes. 18-32. Für unsere Zwecke ist jedoch von entscheidender Bedeutung, daß die rnittelalterlichen Autoren kernen Zweifel an der Einsetzung der Eucharistie durch Jesus Christus gehabt haben. Bekanntlich war die Schlachtung des Osterlammes im Alten Testament am Abend des 14. Tages 10 Nisan des Monats (Aviv) des ersten Monats des jüdischen Jahres durchzuführen (Ex 12, 2-3. 6; Lev 23, 5; Num 28, 16). Am folgenden Tag, dem 15. Nisan, begann das siebentägige Fest der Ungesäuerten Brote (Mazzotfest) wovon der erste und der letzte Tag (d. h der 15. und der 21. Nisan) besondere Feiertage waren, an denen sabbatgleiche Ruhe geboten war (Ex 12, 15-16. 19; Ex 13,6-7; Lev 23, 6-8; Num 28,17-18. 25; Dtn 16, 8). Obwohl die beiden Feste das Pascha, gefeiert in der Nacht vom 14. zum 15. Nisan, und das darauffolgende siebentägige Fest der Ungesäuerten Brote sich ursprünglich voneinander unterschieden, wurden sie im Laufe der Zeit als ein einziges mehrtägiges Fest verstanden, um so mehr als ungesäuertes Brot bereits für das Passamahl am Abend des 14. Nisan vorgeschrieben war (Ex 12, 8. 18). Die besondere sakrale Bedeutung des ungesäuerten Brotes im Rahmen des Festes wurde durch einige Detaüs der alttestamentüchen Exodusgeschichte begründet (Ex 12, 39; Dtn 16,2-3). Schon mit dem Abend des 14. Nisan war den Juden aufs strengste verboten, in ihren Häusern Gesäuertes zu haben: Alles Gesäuerte mußte noch vor dem Beginn des Passamahl es aus dem Haus entfernt (weggeworfen oder verbrannt) werden (Ex 12,15. 19-20; 13, 7; Dtn 16,4).

9 Wenn wir hier und im Folgenden

-

-

-

-

33

Der Azymenstreit

noch kein jüdisches Passamahl war11. In dem letzteren Fall drängt sich die Vermutung auf, daß Jesus „normales", gesäuertes Brot verwendet haben könnte. Wie kompliziert die Frage nach dem Charakter des letzten Mahles Jesu Christi ist, bezeugt die Tatsache, daß die Streitigkeiten aus diesem Anlaß beginnend mit der patristischen Zeit bis auf den heutigen Tag nicht verstummen wollen. Auch im 20. Jahrhundert kann man unter den Neutestamentlern in dieser Frage diametral entgegengesetzte Ansichten finden. Es genügt an dieser Stelle, auf zwei Namen hinzuweisen: Wenn Hans Lietzmann eindeutig den Passacharakter des letzten Abendmahles leugnet12, dann ist Joachim Jeremias ebenso kategorisch davon überzeugt, daß das Mahl Jesu Christi nur ein jüdisches Passamahl sein konnte1 Unter den Neutestamentlern überwiegt heute dank der Forschungen von Jeremias die Ansicht, daß Jesus ein Passamahl gefeiert und folglich Azymen verwendet hat14. Diese Ansicht herrschte auch unter den Forschem des mittelalterlichen Azymenstreites vor15. Gleichwohl ist die Frage nicht definitiv entschieden. Viele Elemente der Einsetzungsberichte lassen sich nur schwer mit den jüdischen Bräuchen vereinbaren16. .

11 Das letzte Abendmahl bezieht Joh 13, 1 auf die Zeit „vor dem Paschafest". Den Tag der Verhandlung vor Püatus bestimmt Joh 19, 14 als „Rüsttag des Paschafestes". Die Juden, die Jesus zur Verhandlung zu Pilatus geführt haben, gehen nicht in das Prätorium hinein, „um nicht unrein zu werden, sondern das Paschalamm essen zu können" (Joh 18, 28): Das heißt, die Schlachtung des Osterlammes am Freitagabend stand noch bevor. 12 Lietzmann, Messe und Herrenmahl (1926)211-213. 13 Jeremias, Die Abendmahlsworte bes. 9-82; ThWNT V 898-899 (Jeremias). 14 Die exegetische Diskussion braucht hier nicht referiert zu werden. Den neuesten Forschungsstand berichtet Kollmann, Ursprung und Gestalten (1990) 17-37. Einen der jüngsten Versuche, das letzte Atendmahl Jesu als jüdische Passafeier zu identifizieren s. in: Smith, Jesus' Last Passover Meal (1993). Die gleiche Meinung vertreten meist auch die Liturgiewissenschaftler. So spricht Josef Andreas Jungmann, Missarum sollemnia U 40-41, die feste Überzeugung aus, daß „kaum ein Zweifel" bestehe, „daß Christus der Herr beim letzten Abendmahle das für das Opfermahl vorgeschriebene ungesäuerte Brot verwendet hat". 15 So sprechen sich unemgeschränkt zugunsten des paschalen Charakters des letzten Abandmahls sowie der Benutzung der Azymen durch Christus aus: Mabillon, Dissertatio 1234 D 1235 A; LeQuien, De azymis 391; Giese, Erörterung 40; Jugie, Theologia dogmatica HI 241; Späöil, De SS. Eucharistia LI 133 (Nr. 316); Michel, Humbert und Kerullarios II 113-114. Vorsichtiger sind Hanssens, Institutiones H/1 127 (Nr. 209), und Schweinburg, Zum Ursprung, bes. 607. Die

(31960),

-

Erforscher des mittelalterlichen Azymenstreites bemühen sich jedoch nicht immer um eine eingehende Analyse der Argumente zugunsten des einen oder des anderen Standpunktes. So z. B. auch der sonst sehr gründliche Anton Michel, der in dem der Azymenproblematik gewidmeten 19seitigen Abschnitt seines Hauptwerks (Humbert und Kerullarios LI 112-130) mit 8 Zeüen (S. 113-114) meinte, das Problem abschließend behandelt zu haben Ähnlich kurz (und durchaus irreführend) ist Hanssens, Institutiones H/1 127 (Nr. 209). Vgl. dagegen die ausfuhrliche Darstellung bei Späöil, De SS. Eucharistia LI 125-135 (Nr. 303-319). 16 So ist z. B. Leon-Dufour, Abendmahl und Abschiedsrede 385, der Ansicht, daß „keines der vierzehn von Jeremias vorgetragenen Argumente zugunsten des Paschamahles schlagende

Die ostkirchliche Herausforderung

34

Außerdem bleibt das Datum des letzten Abendmahls nach dem jüdischen Kalender nach wie vor nicht eindeutig geklärt17. Folglich muß auch die Verwendung von Azymen durch Jesus beim letzten Abendmahl offen bleiben, wenngleich dies wahrscheinlicher ist als die Verwendung von gesäuertem Brot. Die Frage nach dem Datum der Einsetzimg der Eucharistie durch Jesus Christus und nach dem Charakter des letzten Abendmahles mit den Jüngern wurde bereits in der alten Kirche zum Gegenstand der Diskussion, und das Mittelalter, wie aus dem weiteren zu sehen sein wird, schöpfte gerade aus diesem Gebiet einen bedeutenden Teil der Argumente im Azymenstreit18.

2. Das ungesäuerte Brot und die a.

Zur Terminologie: Jüdische

„Judaizantes" in der alten Kirche

„Azymen" und christliches „Brot"

Nicht selten begegnet man auch in der wissenschaftlichen Literatur einer unbesehenen Identifikation der Begriffe „ungesäuertes Brot" (griech. äprog o%vpog, lat. panis azymus sowie panis non fermentatus / absque fermento / sine fermento / infermentatus) und „Azymen" (griech. d£vfia, lat. azyma, substantiviertes pl. neutr.)19. Indessen konnotierte Beweiskraft" hat. Das Fehlen in den Evangelien von Hinweisen auf das Schlachten und Essen des Osterlammes, auf die Rezitation des Midrasch über den Auszug aus Ägypten und die Wanderung durch die Wüste, sowie die Verkostung aus einem gemeinsamen Kelch, und nicht aus vier Bechern, wie das durch die jüdische Tradition vorgeschrieben war, spreche eher dafür, daß das Mahl Jesu kern Paschamahl war (ebd., 246-252). RAC LT 621 (Severus) nennt noch das Aufschauen Jesu zum Himmel als ein Detaü, das mit dem alttestamenüichen Brauch keineswegs übereinstünmt. Nach TRE I 49 (Delling) bieten die „Bräuche des Judentums nicht mehr als einen Hintergrund für das besondere Handeln Jesu am letzten Abend". Leon-Dufour, ebd., 250, hat denselben Sachverhalt noch deutlicher ausgedrückt: „Allem Anschein nach geht es [in den neutestamenüichen Berichten über das letzte Abendmahl Jesu] um das jüdische Fest, also das Fest »der Ungesäuerten Brote«. In Wirklichkeit zeigt sich aber bei genauerem Hinsehen, daß dies zwar für den Rahmen zutrifft, daß aber das gefeierte Fest ganz eigentlich Jesu Fest ist: es handelt sich um sein Pascha" (Hervorhebung im Original). 17 Einer der zahlreichen Versuche, die synoptische Chronologie mit der johanneischen zu harmonisieren, ist die sog. Antizipationstheorie, nach der Jesus, als er das letzte Abendmahl am 13. Nisan, also gemäß dem Johannesevangelium, vollzog, das jüdische Pascha antizipierte, indem er es einen Tag früher als die Juden feierte. Ausführlicher zur Antizipationstheorie, die bereits in der alten Kirche und im Mittelalter eine bedeutende Rolle gespielt hat, s.: Jeremias, Die Abendmahlsworte 15; Schweinburg, Zum Ursprung 597; Michel, Die Anticipation; SpäCil, De SS. Eucharistia 128-135 (Nr. 308-319). Nach Jeremias, ebd., scheitert die Antizipationstheorie „an der Tatsache, daß eine privatim antizipierte Passafeier eine Urlmöglichkeit war". 18 Dazu ausführlich s. unten, S. 107-108 und 140-146. 19 S. besonders: LThK31 1326-1328 (Petzolt), wo erstaunlicherweise überhaupt kein Hinweis auf die Azymen des Alten Testaments gemacht wird; vgl. dagegen die korrekte Perspektive in:

35

Der Azymenstreit

Begriffen „ungesäuertes Brot" und „Azymen" durchaus unterschiedliche Sachverhalte. Die „Azymen" erinnerten an die jüdische Herkunft, wohingegen der Ausdruck „gesäuertes/ungesäuertes Brot" religiös und kultisch neutral man

im 1. Jahrtausend mit den

war.

In der christlichen Literatur der apostolischen und patristischen Zeit wurde zur Bezeichnung des eucharistischen Brotes ausschließlich das Wort dprog / panis benutzt, wozu im Notfall Attribute hinzugefügt wurden, die seine konkrete physische Eigenschaft oder eine Besonderheit seiner Form, Zubereitung usw. kennzeichneten20. Zwar wurde der Ausdruck dprog dgvpog /panis azymus /panis absque fermento usw., dem

Wortgebrauch der Septuaginta und Vulgata folgend, unter anderem auch für die Kennzeichnung des ungesäuerten Brotes der Juden verwendet, war jedoch in religiöser Hinsicht neutral. Er wurde dann benutzt, wenn man auf ungesäuertes Brot als Nahrungsmittel und nicht auf seine sakrale Bedeutung verweisen mußte21. Im Gegensatz dazu bezeichnete das Wort o%vpa / azyma fast immer die jüdischen Mazzen (friJJQ), etwa beim Fest der Ungesäuerten Brote22 als auch bei sakralem ungesäuerten Brot allgemein23, das bereits in der klassischen Latinität als panis judaicus bezeichnet wurde24. LThK11879-880 (Eberharter). Insgesamt kommt die synonyme Verwendung der Ausdrücke „Azymen" und „ungesäuertes Brot" in der Literatur der letzten zwei Jahrhunderte ziemlich oft vor, auch in den Werken, die die alttestamentliche Problematik mitberücksichtigen; so z. B. bei Gtese, Erörterung 75 u. passim; Michel, Humbert und Kerullarios LI 112-130. Vgl. dagegen die umsichtige Verwendung beider Ausdrücke in der älteren Literatur, etwa bei Mabillion, Bona, Sirmond und anderen (s. oben, Anm. 8). Die von einigen Autoren gebrauchte Neubüdung fermentata (pl. neutr., um eine Parallele zu den azyma zu schaffen, so Giese, Erörterung 37. 63)

findet in der patristischen und in der mittelalterlichen Sprache keinen Anhalt. 20 Z. B. panis quadratus, panis trifidus (s.: Jungmann, Missarum sollemnia LI 42; RAC LI 617); vgl. späterpanis infermentatus bei Hrabanus Maurus (s. unten, S. 48 Anm. 88) und panis mundissimus bei Alkuin (s. unten, S. 49 Anm. 95). 21 Isidor von Sevilla, Etymologiae üb 20, cap 2,15 (ed. cit, LI 496):,J^anis dictus quod cum omni cibo adponatur Fermentacius fermentis confectus. Azymus non fermentatus; nam Stupor; est sine fermento, sincerus. Acrozymus leviter fermentatus, quasi acroazymus". 22 Grammatikahsch ist die Verwendung des substantivierten pl. neutr. für die Bezeichnung eines Festes (sog. ,Festplural") im altgriechischen Sprachgebrauch nicht ungewöhnlich, vgl. xd eyxaivia, yeveaia, aäßßaTa, dazu s.: ThWNT LI 904; RAC I 1057; durch die VulgataTranskription ist diese Form in den lateinischen Sprachgebrauch eingegangen. 23 Zahlreiche Belege für den griechischen Sprachgebrauch in: PGL 40-41 (Art. 'dtjuuoc,', bes. unter I und 3); Sophocles 86 (Art. 'a^upoc', unter 2); für den lateinischen Sprachgebrauch in: ThesLL II 1645-1646 (Art. 'azymus', bes. 1645 Z. 63 1646 Z. 51); Blaise 108; MLW I 1299-1300, bes. 1300 Z. 3-30. Aus den in diesen Nachschlagewerken angeführten Stellen wüd ersichtlich, daß unter dem entscheidenden Einfluß des Sprachgebrauchs der LXX und der Vulgata auch in der altchristlichen Literatur die Formen a^upct und azyma sich in der Regel auf das jüdische Mazzotfest sowie auf das sakrale ungesäuerte Brot der Juden beziehen. Falls es um ein ungesäuertes Brot in einem nichtjüdischen Kontext geht, wird der Ausdruck dprog a£uu,oc, und -

Die ostkirchliche Herausforderung

36

Dieses Wort

geprägt25.

war

im

Gegensatz

zum

Ausdruck „ungesäuertes Brot" deutlich kultisch

Der Ausdruck „Azymen" meinte also in der Väterzeit in aller Regel das kultische Brot der Juden, und wurde nicht für die Beschaffenheit des christlichen Brotes herangezogen. Im eucharistischem Kontext stellte man nur das „gesäuerte" dem „ungesäuerten" Brot gegenüber. Erst im 11. Jahrhundert vollzog sich eine deutliche Verlagerung im Wortgebrauch von „ungesäuertes Brot" und „Azymen". Wenn es die Lateiner bis dahin vorzogen, den Ausdruck „Azymen" in der Anwendung auf das eucharistische Brot zu vermeiden, ließ man sich die Wortwahl der griechischen Polemik aufdrängen und akzeptierte den Ausdruck „Azymen" als ein Synonym für das eucharistische „ungesäuerte Brot". Aber auch in diesem neuen Kontext wurde das Wort „Azymen" von den Griechen weiterhin tendenziös im Sinne der jüdischen sakralen Praxis interpretiert. Erst in diesem Kontext werden die Streitigkeiten um das Wort dprog verständlich, die seit dem 11. Jahrhundert andauern. Die byzantinischen Polemiker waren der Ansicht, daß das Wort dprog ausschließlich gesäuertes Brot bezeichnen kann26. Da nun die Evangelisten bei der Beschreibung des letzten Mahles Jesu immer vom dprog und nie von den d£vpa sprechen, galt es für die griechischen mittelalterlichen Autoren als erwiesen, daß die Eucharistie mit gesäuertem Brot eingesetzt worden ist. Schon in einer der frühesten lateinischen Antwortschriften gegen die Griechen, die in Zusammenhang mit dem Konflikt von 1053/54 entstanden sind, wird darauf hingewiesen, daß dprog in der Septuaginta, wo es als Übersetzung für das hebräische OrT? verwendet wird, in einigen Fällen auch ungesäuertes Brot bedeuten kann27. Heute sprechen sich viele Forscher dafür, daß das Wort dprog ohne Unterschied sowohl für gesäuertes als auch für ungesäuertes Brot verwendet werden konnte28. Bei diesbezüglichen Schlußfolgerungen gilt es jedoch dieselbe Vorsicht wie in der Frage nach dem kultischen Charakter des letzten Abendmahles Jesu walten zu lassen.

panis azymus oder panis sine fermento /panis non fermentatus /panis infermentatus (zu den drei letzteren Ausdrücken s.: ThesLL Wl 524 Z. 63 525 Z. 43) bevorzugt Tacitus, hist. 5, 4: „raptarum frugum argumentum panis iudaicus nuüo fermento detinetur", in: -

24

ThesLL Wl 525-526. profanen antiken Latein

gibt es kein substantiviertes pl. neutr., sondern nur den Ausdruck bzw. sine fermento. S. einschlägige Stellen bei Scribonius Largus und Celsus panis panis azymus in: ThesLL U 1645 Z. 63-65; Wl 525 Z. 73-75; vgl. OLD 222. Vgl. die richtigen Beobachtungen bei Michel, Humbert und Kerullarios II 121; Michel hält aber zu unrecht die Wortform azymum für diejenige, die man „gescheut [hat], um keine judaisierenden Tendenzen anklingen zu lassen". Der Ausdruck azymum als substantiviertes sing, neutr. ist jedoch nur in ganz wenigen Einzelfällen belegt. 26 Ausführlich über die griechischen Argumente zu dem Wort apxoc, s. unten, S. 108-109. 27 S.: Will 99a Z. 42-100b Z. 2. 28 So Späcil, De SS. Eucharistia n 135 (Nr. 320); Hanssens, Institutiones H/1 128 (Nr. 211); Michel, Humbert und Kerullarios II 122.

25 Im

37

Der Azymenstreit

Kaum haltbar sind sowohl die Meinung der byzantinischen Polemiker, die glaubten, daß das Wort äpwg nur für gesäuertes Brot stehen könne, als auch der Standpunkt moderner Forscher, die annehmen, daß das Wort dprog gegenüber der gesäuerten bzw. ungesäuerten Beschaffenheit des Brotes absolut gleichgültig sei29. Der Wortgebrauch der Septuaginta und des Neuen Testaments spricht eher zugunsten der byzantinischen Auslegung als gegen sie30. Obwohl dprog bisweilen auch nur ungesäuertes Brot bedeuten kann, gilt es dennoch festzuhalten, daß die Einsetzungsberichte den (theologisch beladenen) Begriff ät,vpa vermeiden und ausschließlich von dprog berichten. Zumindest für die Zeit der Abfassung der Evangelien liegt daher die Vermutung nahe, daß man beim Einsetzungsbericht an gesäuertes Brot dachte31.

b. Die „Judaizantes" und das Azymenverbot

Erfolge der Heidenmission förderten die Emanzipierung und Abgrenzung der junvon der jüdischen Mutterreligion32. Das Verb bvödigeiv / iudaizare begegKirche gen net bereits in Gal 2,11-14, wo Petrus getadelt wird, daß er die bekehrten Heiden nötige, das alttestamentliche Gesetz zu beobachten, er sie also judaisieren" möchte. Von Ignatios von Antiocheia stammt der Satz: „Es ist absurd, Jesus Christus zu verkünden und Die

,

29 S. z. B.: Jungmann, Missarum sollemnia LT 41. 30 Für die Verwendung des Wortes ctpToc, in LXX läßt sich sagen: Es ist die gewöhnliche Bezeichnung für profanes, d. h. in der Regel gesäuertes, Brot (Gen 21,14; 28, 20; 41, 54. 55; 47, 15-17. 19; Lev 26, 26; Jos 9, 5. 12; 1 Regn 25,18; 2 Regn 16,1; Am 4, 6); es wird jedoch gelegentiich für einige Arten sakralen ungesäuerten Brotes (bes. Schaubrote) gebraucht (Ex 25,30; 1 Regn 21,6; Lev 24, 5-7). Dabei wird in der Regel das Wort ap-roc. mit näherer Bestirnmung (ctpTOi evcömoi, dpxoi Tfjc. JipoGeoEooc, dpxoi avioi) Verwendet. Das entscheidende Argument zugunsten der byzantinischen Auslegung besteht aber darin, daß es mit einer einzigen Ausnahme, die nicht als Gegenbeweis dienen kann (Dtn 16, 3, wo das Wort metaphorisch gebraucht wird), in LXX keinen einzigen Fall gibt, in dem sich das Wort dpToc, auf das ungesäuerte Brot des Festes der Ungesäuerten Brote bezieht. Substantiviertes pl. neutr. a£uu.a als Übersetzung von rrtüJSn ist hingegen die gewöhnliche Bezeichnung für die Brote am Fest der Ungesäuerten Brote. Für andere Arten von Brot wird dieses Wort fast nie gebraucht. Die Vulgata folgt in der Regel dem Gebrauch der LXX, obwohl es hier Einzelstellen gibt, wo mit dem Ausdruck panes azymi das griechische Wort d£upa wiedergegeben wird (so Ex 12, 8). Ich lasse hier jene Stellen außer Betracht, wo durch die Attribute atjupoc, / azymus, absque fermento usw. ein anderes Wort erläutert wird, etwa Xdyavov (z. B.: LXX Num 6, 19), eyxptKpiac, (z. B.: Ex 12, 39), laganum, torta (beide Worte z. B. Vulg. Num 6, 19), usw. Vgl. zum griechischen Sprachgebrauch: Battaglia, 'Artos' 62-63. 113-114. 31 So Wellhausen, Aprov exXctaev, 182; Ltetzmann, Messe und Herrenmahl 211. 32 Einen Überblick über die Problematik des Judenchristentums der Urgemeinde bietet: TRE XVTI 313-319 (Strecker, 323-324 Literatur). "

Die ostkirchliche Herausforderung

38

[gleichzeitig] zu judaisieren" Unter dem Begriff „Judaizantes" fanden sich verschiedene Gruppen und Strömungen des frühen Christentums. In der modernen Literatur unterscheidet man bisweilen zwischen den „Judenchristen", d. h. Christen jüdischer Herkunft, die nach ihrer Konversion zum christlichen Glauben fortfuhren, die alttestamentlichen Vorschriften zu beachten, und den „Judaizantes", d. h. Heidenchristen, die eine zumindest teilweise Befolgung des jüdischen Gesetzes für notwendig erachteten34. Eine der eingehendsten Widerlegungen des christlichen Judaisierens in der Patristik sind die 386-387 in Antiocheia entstandenen Predigten des Joannes Chrysostomos, die man unter dem Namen Adversus Judaeos kennt, obwohl sie in Wüklichkeit nicht gegen die Juden, sondern gegen judaisierende Christen gerichtet sind35. Im Streit gegen die Judaizantes ging es nicht um Fragen der Glaubenslehre, sondern um kultische Bräuche und Riten, die ja als Identitätsfaktoren sowohl für Christen als auch für Juden und Heiden bisweilen eine weitaus wichtigere Rolle spielten als die Lehre. Die Abgrenzung und Verurteilung der jüdischen Riten begegnet dort, wo größere Gemeinschaften von Christen und Juden auf engem Raum zusammenlebten, entsprechend häufiger als in monokulturellen Gebieten. So war im 4. Jahrhundert das Problem des Judaisierens in Syrien beträchtlich akuter als etwa in Spanien obwohl auch in Spanien des 4. Jahrhunderts Synodalbeschlüsse gegen Judaizantes bekannt sind36. Ein Konfliktfeld, das in die Kategorie des „Judaisierens" fiel, war der Osterfeststreit, der in unterschiedlichen Formen vom 2. bis zum 5. Jahrhundert dauerte. Als die früheste Form der Osterfestkontroverse kann man den Streit um die sogenannten Quartodezimaner ansehen37, die Ostern genauso wie die Juden immer am 14. Nisan feierten, unabhängig davon, auf welchen Wochentag dieses Datum fiel38. Die Frage nach dem .

-

33 Ignatios

von Antiocheia, Epistola adMagnesios 10, 3 (ed. cit. 206): aTOJtöv eariv, Tnaoüv XpioTöv XoXeTv xai louöaT^eiv. 34 Zu den „Judaizantes" s.: RAC Lfg. 146, 130-142 (Deroche); Wilken, John Chrysostom 68-94; wichtige Informationen zu den Sympathisanten jüdischer Religion und zum jüdischen Proselytismus in der Zeit bis zum 5. Jh. bei: Feldman, Jew and Gentile 342-415. Zu den Judenchristen s.: TRE XVH 310-325 (Strecker); RAC Lfg. 147,228-245 (Stemberger). 35 Zum historischen Hintergrund dieser Predigten s.: Wilken, John Chrysostom (1983). 36 So verurteüte das Konzil von Elvira (ca. 300) in can. 49 diejenigen, die von den Juden ihre Äcker segnen lassen, s.: Feldman, Jew and Gentile 380. 37 Lat. quartodecimani, gr.: TEaoapeoxaiÖExaTiTai, daraus tessarescaedecatitae dicti, quia XIV luna pascha cum Judaeis observandum contendunt bei Isidor von Sevilla, Etymologiae VHI 5, 61 (ed. cit. 1700). Dieser Text fand Eingang in das Decretum Gratiani, C. 24 q. 3 c. 39 (ed. cit 1005). Die Standardmonographie nach wie vor: Lohse, Das Passafest der Quartadecimaner (1953). 38 Eusebios von Kaisarea, 'Ioropfa ExxAnoiacmxf| V 23-25 (ed. cit, LI 66-72). Deutsche Übersetzung dieser Stelle bei Lohse, Das Passafest 10-13. Wie Eusebios von Kaisarea mitteüt, schloß um 195 Papst Viktor „die Gemeinden von ganz Asia zusammen mit den benachbarten von der einen Gemeinschaft aus, wie wenn sie heterodoxe wären; er brandmarkte sie öffentlich durch Schreiben und erklärte aU die dortigen Brüder für außerhalb der

Kirchen ganz und gar

39

Der Azymenstreit

Zeitpunkt der Osterfeier stand auch auf der Tagesordnung des Konzils von Nikaia 325, das jene verurteilte, die Pascha „gemeinsam mit den Juden" feierten39. Derselbe Vorwurf begegnet in einer der erwähnten Homilien des Joannes Chrysostomos40. Die Polemik gegen die Quartodezimaner ist für unser Thema deshalb von Interesse, weil ein zentrales Argument daraus von den mittelalterlichen griechischen Polemikern aufgegriffen werden wird: Da Jesus das letzte Abendmahl nicht am 14., sondern gemäß der johanneischen Chronologie am 13. Nisan gefeiert habe, habe er nicht das jüdische Pascha vollzogen, sondern eine neue mystische Handlung eingesetzt. Es gebe also keinen Grund, das Pascha am selben Tag wie die Juden zu feiern noch die Eucharistie mit ungesäuertem Brot zu zelebrieren. Eine der wichtigsten Quellen für die Kenntnis der Quartodezimaner, die sogenannte „Osterchronik", entstanden um 630, zieht aus der johanneischen Chronologie folgenden Schluß: Das letzte Abendmahl Jesu habe nicht gemeinsam mit den Juden und nicht nach jüdischen Vorschriften stattgefunden. Deshalb habe Jesus dabei seinen Jüngern nicht vom Opferlamm und den „Azymen", sondern vom „Brot" und dem Kelch zu kosten gegeben4 Außer dem Osterdatum gab es noch weitere Kritikpunkte, die man den Judaizantes zur Last legte. Zu diesen gehörte unter anderem die Frage nach der Bedeutung des Sabbats und die Fasttage. Der Diognetbrief nennt die Beobachtung des jüdischen Sabbats „einen lächerlichen Aberglauben"42, und Ignatios von Antiocheia ruft die Christen auf, .

39 40 41

42

Gemeinschaft stehend". Der Grund dafür bestand darin, daß die Kirchen Asiens das vorösterliche Fasten nicht am Ostersonntag beendeten, sondern immer am 14. Nisan, auf welchen Wochentag das Datum auch fiel, d. h. offensichtlich feierten sie Pascha nach dem quartodezünanischen Brauch. Aus dem Text des Eusebios kann man den Schluß ziehen, daß der Autor die scharfe Reaktion des römischen Bischofs verurteilt; er verweist auch darauf, daß viele zeitgenössische Bischöfe die Kontroverse um das unterschiedliche Osterdatum für einen Streit um einen unbedeutenden Unterschied in den Bräuchen hielten, der der Überemstimmung im Glauben nicht schaden konnte. S. bes. Eusebios, ebd., V 24 [13] (ed. cit, LI 70). Zu dieser späteren Form des Osterstreites, bei der es sich um die Berechung der eigenen Paschalie handelte, s.: LMA VI 1515-1516 (Grünbeck; jedoch ohne Hinweis auf die Quartodezimaner). Adversus iudaeos 3; dazu s.: Wilken, John Chrysostom 67-68. Chronicon Paschale, ed. cit I 409-410: öti öe oü xaTct iö' ejteteXeoev to Jtdaxa, äXkä Jipö toütou tö tujuxöv ETetaaEV öeTjtvov, öte xai ö ayiaap-ög töv atjüpxov xai f| jipoExoipaata Tfjg Eoprfjc, Eyiveto, eü pioxETCti TöTg ua0r|TaTg pETaöiöoüg oü OüuaTog oüöe atjüpuv, älX' dpTOU xai jroTnpiou. Der Gebrauch der Worte dtjuua und dpTog ist hier bemerkenswert und bestätigt unsere Ausführungen im vorigen Paragraphen. Zu dieser Stelle s.: Schweinburg, Zum Ursprung 604. Für weitere Zeugnisse antiquartodezimanischer Polemik s.: Lohse, Das Passafest 19-20. Schweinburg, Zum Ursprung 598-601, hat als erster auf die Bedeutung der antiquartodezimanschen Polemik für die Frage des gesäuerten Brotes hingewiesen. Epistola ad Diognetum 4, 1 (ed. cit 356): 'AAXä pf|v tö yz rapi Tag ßpcooEoog oütcdv \]io(poÖE£g xai Tf|v rapt toi aäßßaxa ÖEiatöaipoviav xai Tnv Tfjg rapiTopf|g äA.a£ovE£av xai tüv Tfjg vnaxEiag xai vouunvlag EipovEi'av, xaTavdA.aara xai oüÖEvög d|ia hSyov, oü

vopltja) oe xpti£elv Jiap'Epoü pa0£Tv.

Die ostkirchliche Herausforderung

40

„nicht Sabbat zu feiern, sondern gemäß dem Tag des Herrn zu leben" Als Zeichen der Abgrenzung von der jüdischen Überlieferung galt auch die Wahl der Fasttage. Wenn es bei den Pharisäern üblich war, am Montag und am Donnerstag zu fasten, so setzten die Christen den Mittwoch und den Freitag als Fasttage fest. „Damit euer Fasten nicht mit dem Fasten der Heuchler zusammenfällt", formuliert die Didache zu Beginn des 2. Jahrhunderts44. Schließlich wird auch die Teilnahme der Christen an den jüdischen Festen als besonders verwerflich gegeißelt. In den erwähnten Homilien des Joannes Chrysostomos nimmt dieser Aspekt sehr breiten Raum ein. Zu derartigen Festen gehörte natürlich auch das Fest der Ungesäuerten Brote. Der Prozeß der Abgrenzung gegenüber der jüdischen Kultpraxis fand seinen Niederschlag auch in der kirchlichen Gesetzgebung. Zu den bekanntesten Gesetzen gegen die Judaizantes zählen die sogenannten „Apostolischen Kanones", entstanden wahrscheinlich Ende des 4. Jahrhunderts in Antiocheia. Sie bilden einen Anhang zu den Constitutiones Apostolorum. Das Dokument, das sich als Werk aus apostolischer Zeit ausgab, wurde in späterer Zeit sehr einflußreich. Im Westen wurden zwar nur die ersten 50 der insgesamt 85 Kanones anerkannt45, aber in Byzanz bestätigte das Konzil in Trullo 692 die Autorität aller 85 „Apostolischen Kanones"46. Kanon 7 der „Apostolischen Kanones" droht einem Diakon, Priester oder Bischof mit Suspension, sollte er Pascha „vor der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche gemeinsam mit den Juden" feiern47. Kanon 65 unterwirft einen Kleriker der Exkommunikation, sollte er „zum Gebet in eine jüdische Synagoge" gehen48. Kanon 71 exkommuniziert einen Christen, falls er Öl in einen heidnischen Tempel oder in eine jüdische Synagoge bringt oder an ihren Festen einen Leuchter entzündet"49. Von besonderem Interesse für unser Thema ist aber Ka.

non

70:

„FaUs irgendein Bischof oder ein anderer Kleriker gemeinsam mit den Juden fasten oder gemeinsam mit ihnen Feste feiern oder [von ihnen] Gaben ihrer Feste empfangen sollte, wie zum

43 Ignatios von Antiocheia, Epist. ad Magnesios 9, 1 (ed. cit. 204): ut|x£ti aaßßanXovrec,, itXha xaTct xupiaxr|v £cövtec,. Didache 44 8, 1 (ed. cit. 320): Ai Öe vr|crreTat üulv p.f| eotcoociv tcöv ünoxpiTÖv. vTiareüouoT yäp öevripa aaßßdxtov xai neuirrn,- üueTc, Öe vncrreüaaTe TeTpdöa xai jTapaaxeufjv. 45 Unter Papst Hormisdas (514-523) wurden die Canones vom 51 bis 85 in die Liste De libris non recipiendis aufgenommen; dazu s.: Ohme, Die sogenannten „antirömischen Kanones" 312 Anm. 39. 46 Can. 2; Text in: Nedungatt / Featherstone, The Council in Trullo 64-65. In demselben Kanon verurteüte jedoch das Konzil die Constitutiones apostolorum als eine Fälschung, die einige häretische Lehren enthalte. 47 Constitutiones Apostolorum, ed. cit. LB 276. 48 Texts.: ebd., 298. 49 Texts.: ebd., 300.

41

Der Azymenstreit

Beispiel die Azymen oder etwas derartiges, der sei suspendiert. Falls das ein Laie begeht, sei er exkommuniziert''50. Demnach sollte jeder Christ, der jüdische Azymen zu sich nimmt, einer Bestrafung unterworfen sein. Als Quelle für diesen Kanon diente offensichtlich Kanon 38 der Synode von Laodikeia51, worin festgesetzt wird, daß „es sich nicht zieme, von den Juden Azymen zu empfangen oder an ihren Gottlosigkeiten teilzunehmen"52. Schließlich wiederholt bereits im 7. Jahrhundert das Konzil in Trullo in Kanon 11 erneut das Verbot, auf irgendeine Weise mit den Juden Umgang zu pflegen und deren Azymen zu essen

53

Aus der Polemik gegen Christen, die bei den Juden Azymen empfangen, darf man jedoch nicht den Schluß ziehen, daß das Verbot der jüdischen „Azymen" ein Verbot von „ungesäuertem Brot" bei der Eucharistie bedeutet. Es wäre beispielsweise falsch, in einem Text des Joannes Chrysostomos, wo die Azymen als „unrein" beschrieben werden, ein implizites Verbot des ungesäuerten Brotes bei der Eucharistie zu sehen, wie es bisweilen in der Forschungsliteratur begegnet54. Erst mit dem Ausbruch des Azymenstreites im 11. Jahrhundert erhielten Motive und Argumente der altkirchlichen Polemik gegen die Judaizantes eine neue Bedeutung, als die Byzantiner diese Argumente für ihren Kampf gegen den lateinischen Gebrauch von ungesäuertem Brot einsetzten. .

Sauerteigs Parallel zur fortschreitenden Abgrenzung gegenüber den Juden vollzog sich der Prozeß einer symbolischen Umdeutung von Handlungen und Gegenstände des jüdischen Kultes, die in den christlichen Gottesdienst keinen Eingang fanden. Man hielt die Vorc.

50

Die Typologie der Azymen und des

Ebd.,

300: Et tic, emcrxojioc. f| öexeTca ccütc&v tö rrjc.

aÜTCöv fj

aXkoc, xX.npixöc, vncnrüEi pETCi Touöai'cov fj eopTdJjei ixet' eopTfjc, £evicc, olov dEjuucc fj ti toioütov, xa0cupEio9co- ei öe

A.dixöc, äq>opi£ea9co. des Konzils ist unsicher, es wird in die Zeit zwischen 343 und 381 gelegt, s.: Jew and Gentile 399. Feldman, Didascalia 52 Funk, et Constitutiones apostolorum I 585: öti oü öeT Jiccpa tcdv Touöaiarv dtjupa XapßdvEiv fj xoivcoveiv Täte, aaEßEi'ccic. cojtcöv. 53 Nedungatt/ Featherstone, The Council in Trullo 81-82: Mnöeic. tcdv ev 'lEpccTixco Tayu-crn, fj Xdixöc., tö Jtccpä tcöv Touöaicov ccEjup.cc eoGietcd, fj toütoic. rcpoaoixEioüaöco, fj ev vöaoic, jipooxaXEioöa) xoi iaTpEtccc, jiap'ccüTcöv X.ccpßavdTa), fj ev ßccXocvEfoic, toütoic, navTEW&c, ctuXXoueoScü- eL 8e tic, toüto Jipä^ai EmxEipofn, Ei p.Ev xX.r|pixög Ein, xaOaipEioBa), e'i bi 51 Die

54

Datierung

X,aixöc, ctcpopi£jdo6co. Woolley, The Bread 10-11. Es handelt sich um eine Stelle aus Joannes Chrysostomos, De proditione Judae 2, 3: ...öpijig ncög äxdOccpTCi tö atjupcc; Jicog Jiapdvopoc, f| EopTtj; n&Q Jiäoxa Touöaixöv jiote aKk'UvQi) vüv xai ämjX.6£ tö jrvEupaTixöv Jidoxcc. Woolley zieht folgenden Schluß: Joannes „could not have said that toc ccEjupcc were äxdOapTa if he knew of unleavened bread being used in the Eucharist". Vgl. dazu Hanssens, Institutiones H/l 129 (Nr. 213).

Die ostkirchliche Herausforderung

42

schritten der Torah jedoch keineswegs für sinnlos. Sie waren nach dem Verständnis der christlichen Interpreten vorausdeutende Symbole auf Christus hin. In dieser symbolischen Auslegung erlangten gerade jene Riten des jüdischen Kultes eine positive soteriologische Bedeutung, deren wörtliche Beobachtung man umgekehrt als „Judaisieren" verurteilte. Dieser Prozeß betraf auch die christliche Interpretation des Festes der Ungesäuerten Brote und die Azymen. Das wohl früheste Beispiel für die christliche Umdeutung des Festes der Ungesäuerten Brote findet sich im Ersten Korintherbrief:

„Wißt ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? Fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja bereits ungesäuert seid! Denn auch unser Paschalamm, Christus, ist geschlachtet. Darum laßt uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauer-

teig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Lauterkeit und Wahrheit!"55.

Schlechtigkeit, sondern mit Ungesäuertem der

Der Sauerteig erhält hier eine negative Bedeutung als Symbol der Unreinheit und Sünde. Diese Deutung des Sauerteigs kommt überein mit den Warnungen Jesu „vor dem Sauerteig der Pharisäer, daß heißt vor der Heuchelei"56. Indessen wurde der Sauerteig in der neutestamentlichen und frühchristlichen Literatur nicht immer in negativem Sinne verstanden. Schon das Gleichnis Jesu, in dem das Himmelreich mit einem Sauerteig verglichen wird (Mt 13, 33; Lk 13, 20-21), stellt den Sauerteig in ein günstiges Licht. Außerdem erlaubte der antike Wortgebrauch allgemein, den „Sauerteig" als eine erhebende und begeisternde Kraft zu deuten57. So nennt Ignatios von Antiocheia Jesus Christus einen „neuen Sauerteig" und stellt ihn dem „altgewordenen schlechten Sauerteig"

55

5, 6-8: oüx oiöccxe öti umpä tfiuj] ötov xö cpüpaucc £uuöT; exxaOdpaxe xryv jiaXaidv tjüux|v, Tva qxE veov cpüpauci, xaGcöc. eoxe b%vuov xal yäp xö Jtdoxa riptuv ixvQr\ Xpiaxöc,. 1 Kor

Eopxd^coLtEV p.q ev ttiuri, JtaXcuä unÖE ev £0ut| xcoactc xai jtovqpiac, dXX'ev d^üuoic. ElXixpivEiag xai aXnOEiac,. Vulg.: „nescitis quia modicum fermentum totam massam corrumpit? Expurgate vetus fermentum, ut sitis nova consparsio sicut estis azymi, etenim pascha nostrum ürunolatus est Christus. Itaque epulemur non in fermento veteri, neque in fermento mahtiae et nequitiae, sed in azymis sinceritatis et veritatis". Lk 12, 1; vgl. Mt 16, 6 und 11-12; Mk 8, 15. Zu den Begriffen „Sauerteig" und „Ungesäuertes" im Neuen Testament s.: ThWNT B 904-908 (Windisch). S. einschlägige Stehen in: ThesLL VI/1 527 Z. 3-15. Tendenziös ist die Behauptung Anton Michel's (Humbert undKerullarios B 119 und Anm. 3), daß „der Sauerteig überwiegend in äfloxE

56 57

heidnischen und christlichen Schriften als unrein bezeichnet" wurde. Wie es aus den im ThesLL angeführten Stehen hervorgeht, konnte der Sauerteig in der heidnischen Literatur oft in der positiven symbolischen Bedeutung verwendet werden. In der christlichen Literatur steht das negative Verständnis des Sauerteigs unter dem Einfluß von 1 Kor 5. Aber auch bei den christlichen Autoren kann Sauerteig durchaus als etwas Positives gedeutet werden (vgl. dazu die nächste Seite, Anm. 59).

43

Der Azymenstreit

des Judentums gegenüber In der patristischen Literatur begegnen ferner Ausdrücke wie „Sauerteig der göttlichen Wahrheit", „Sauerteig der Jungfräulichkeit", „himmlischer Sauerteig der Güte"59. Als im Mittelalter die Azymenpolemik in aller Schärfe entbrannte, begegnet man der Ansicht, daß der Sauerteig das beseelende Prinzip, die „Seele" des Brotes darstelle60. Hier lohnt es sich, auf eine philologische Besonderheit hinzuweisen, die im mittelalterlichen Azymenstreit zu Mißverständnissen führte: Paulus gebraucht in seinen Briefen neben 1 Kor 5, 6 das Sprichwort „Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig" auch in Gal 5, 961. Die Vulgata übersetzte das Verb £vpoT („säuert") mit corrumpit („verdirbt"): Diese Besonderheit des lateinischen Textes bot den lateinischen Vätern einen weiteren Grund, im „Sauerteig" ein negatives Symbol zu sehen, was freilich für die griechischsprachigen Autoren nicht nachvollziehbar war. Wir erwähnten bereits, daß man nicht von den vielen Warnungen und Verboten, die jüdischen Azymen zu essen, auf die Verwendung von gesäuertem Brot in der Eucharistie rückschließen kann. Ebenso sagen jene patristische Stellen, welche die alttestamentlichen Azymen allegorisch umdeuten und ihnen einen neuen soteriologischen Sinn verleihen, genauso wenig über die gottesdienstliche Praxis aus. Wenn Paulus sagt, man solle feiern „mit Ungesäuertem der Lauterkeit und Wahrheit", folgt daraus noch nicht, daß die Eucharistie in der christlichen Urgemeinde mit ungesäuertem Brot vollzogen wurde62. Dasselbe gilt für eine Stelle aus Iustinos dem Märtyrer, wo die Schaubrote als Vorbilder für das eucharistische Brot gedeutet werden63, und für Beda, der das Sakrament des Leibes und Blutes Christi mit „den Azymen des Landes der Verheißung" ver.

58 Ignatios

von

Antiocheia, Epistola adMagnesios 10 (ed. cit 206): ÜJtepGeoGe oüv rhy xcotuv

EjOuiyv, evo^idaoav, xai peTaßdAeoGe de, veav Ejüiinv, ö eariv Tnooüc, Xpiaröc,. 59 Benedictas, reg. 2: „iussio [abbatis] vel doctrina fermento divinae iustistiae in diseipulorum mentibus conspargatur"; Rufinus, Orig. in num. 23, 7: „aeeepto castitatis fermento" (s.: ThesLL VI/1 527); Macarius Aegyptius, hom. 24, 4 (PG 34, 665 A): tjüpn eitoupdvioc, ävaGÖTUTOc. (s.: PGL 592). tüv jtaXaicoGeToav xai

60 Dazu ausführlicher unten, S. 109-1 IL 61 1 Kor 5, 6; vgl. Gal 5,9: uixpä tjOpn ökrv tö

cpüpapa Jjupot; Vulg.: „modicum fermentum totam corrumpit". Man kann jedoch annehmen, daß die christliche Urgemeinde zumindest einmal im Jahr die Feste massam

62

des Pascha und der Ungesäuerten Brote mit den Juden und genauso wie die Juden feierte. Das ist zumindest die Hauptthese der Monographie Lohses, der das quartodezimanische Pascha für die ursprüngliche Form der christlichen Paschafeier hält (Lohse, Das Passafest der

Quartadecimaner). Dialogus 41 (ed. cit. 138): xai f| Trjc, oepiöäAeooc. öi Jipoocpopä f| vntp tcdv xaGapitjopevcov äiiö xfjc. X&Ttpac. jipoacpepcaGai jtapaöoGeTaa, tojioc, fyv toü äprou Tfjc,

63 Iusttnos,

eüxapiaxiat;.

44

Die ostkirchliche Herausforderung

auch wenn diese beiden Stellen in der Forschung als Beweise für den eucharistischen Gebrauch von ungesäuertem Brot herangezogen wurden65.

gleicht

,

d. Von der Verurteilung der „Judaizantes" zur Abwertung des eucharistischen ungesäuerten Brotes Hatte nun die Auslegung der alttestamentlichen Azymen und ihre theologische Deutung überhaupt keinen Einfluß auf die gottesdienstliche Praxis und auf das eucharistische Brot? Man wird wohl eine enge Wechselwükung zwischen theologischer, kanonistischer und liturgischer Reflexionsebene annehmen dürfen, doch erlaubt die dürftige Quellenlage höchstens Vermutungen. Eine dieser meines Erachtens durchaus wahrscheinlichen Annahmen äußerten bereits eine Reihe von Theologen des 13. Jahrhunderts, darunter Thomas von Aquin, Bonaventura und Petrus von Tarentaise. Ihrer Meinung nach zog die griechische Kirche gesäuertes Brot in der Eucharistie deshalb vor, um der Häresie der „Judaizantes" entgegenzuwüken (Thomas nennt die Sekte der Nazoräer, Petrus die Sekte der Ebioniten als wahrscheinliche Gegner der griechischen Kirche)66. Die Scholastiker stellten sich den Wechsel der griechischen Kirche von der ihrer Meinung nach ursprünglichen Praxis, ungesäuertes Brot zu verwenden, als Folge eines Beschlusses der küchlichen Obrigkeit oder eines Konzils vor. Wenn es dafür auch keine Hinweise in den Quellen gibt, entbehrt diese Vermutung angesichts der verbreiteten Sorge der alten Kirche, sich von den „Judaizantes" zu distanzieren, nicht einer gewissen Plausibilität. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang folgendes Zeugnis über die judenchristliche Sekte der Ebioniten67 aus dem Panarion des Epiphanios von Zypern

(entstanden 374-37T68):

„Sie vollziehen [ihre] Sakramente, indem sie die kirchlichen Sakramente nachahmen, jährlich mit Azymen, und den zweiten Teil des Sakraments nur mit Wasser [ohne Wein]"69. 64 Beda Venerabilis, In Lucae evangelium expositio 22,15 (ed. cit 377): „pascha cum discipulis manducans ita dem um mane inluscente mundissima sui corporis et sanguinis mysteria in crucis altari consecrata quasi azima terrae repromissiorus imbuendis fidelibus offerat". 65 Zur Iustinos-Stelle: SpäCil, De SS. Eucharistia II 139 (Nr. 325), und Michel, Humbert und Kerullarios LI 114-115; zu der Beda-Stelle: Michel, ebd., 120. In eine korrekte Perspektive stellt dagegen die Beda-Stelle in Bezug auf die Beschaffenheit des eucharistischen Brotes Geiselmann, Die Abendmahlslehre 34-37. 66 Dazu ausführlich s. unten, S. 327-331 (mit Belegstellen). 67 Zu den beiden Bezeichnungen s.: TRE XVII 312 (Strecker). 68 Datierung nach: LMA HJ. 2068 (Hausmld). 69 Epiphanios von Zypern, Panarion 30, 16 (ed. cit. 353): uuorfjpia öi öfiGev tcXovai xcrra ufunoiv tcöv äyCcov ev tr exxXncrfg, and eviaurou eig eviaurov Öiä a£tiucov xai tö äXko uipoc, xoü uuarr|ptou öYüöaroc, udvou. Meine Obersetzung versucht absichtlich den ursprünglichen Wortlaut wiederzugeben, um die Mehrdeutigkeit des Textes sichtbar zu machen.

Der Azymenstreit

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Gegenüber der historischen Zuverlässigkeit des Epiphanios muß man bekanntlich Vorsicht walten lassen, aber gerade diese Mitteilung erfährt eine Bestätigung bei Origenes, der die Paschafeier mit Azymen „Ebionitismus" nennt70. Epiphanios spricht nicht von dem täglichen Vollzug der Eucharistie, sondern von der jährlichen Paschafeier, aber der eucharistische Kontext (xa-riz pi'pnmv twv äyiav ev rg exxAnmg, m äXXo pepog tov pvornpiov) ist offenkundig71. Man darf daraus schließen, daß Epiphanios die Verwendung von ungesäuertem Brot als ebenso schwere Verfehlung gegen die Ordnung des Sakraments betrachtet wie den Gebrauch von Wasser anstelle von Wein72. Dabei wird der Gebrauch von Azymen direkt mit der Praxis der Judenchristen (oder im weiteren Sinn der Judaizantes) in Verbindung gebracht. Die angeführte Stelle aus Epiphanios wurde in der Forschung des öfteren kommentiert: Eine Reihe von Historikern zog daraus den Schluß, daß zur Zeit des Epiphanios und in den Gebieten, wo er tätig war, gesäuertes Brot die bevorzugte eucharistische Materie darstellte73. Dabei übersah man bislang einen meines Erachtens hochinteressanten Aspekt dieser Stelle. Epiphanios stellt, soweit ich sehe, zum ersten Mal den christlichen kultischen Gebrauch des ungesäuerten Brotes in einen negativen Kontext, denn bei den Ebioniten handelt es sich eindeutig um eine christliche Sekte74. Nach Epiphanios ist nicht nur jener zu verurteilen, der an jüdischen Festen teilnimmt und Azymen von den Juden annimmt, sondern auch jener, der die christliche Eucharistie mit ungesäuertem Brot vollzieht. In demselben Sinn erfuhren die kanonischen Verbote, die jüdischen Azymen zu essen (Kanon 38 von Laodikeia, Apostolischer Kanon 70, Kanon 11 des Konzils in Trulld), eine analoge Erweiterung im Sinne eines Verbots des ungesäuerten Brotes in der christlichen Eucharistie. Ahnliches geschah mit den Kanones, welche die Paschafeier gemeinsam mit den 70 S.: RAC rV 495. Über die Ebioniten schreibt auch Irenaus von Lyon, Adversus haereses V 1, 3 (hg. A. Rousseau u. a in: SC 153, 25-28), der auch über die ausschließliche Verwendung des Wassers berichtet. 71 Die Behauptung Hanssens', Institutiones liturgicae n/1 129 (Nr. 213), daß das Zeugnis des Epiphanios nicht ad eucharistiam spectat, ist irreführend. Der Ausdruck ta. ctyia t\ Tfj eJOtXncua meint eindeutig die Eucharistie. Zum Gebrauch des Ausdrucks tö cryict s.: PGL 18. 72 Uber den eucharistischen Gebrauch des Wassers an Stelle von Wein in der alten Kirche s.: McGowan, Ascetic Eucharists 143-250. 73 Einige Forscher haben versucht, diese Stelle dahingehend zu interpretieren, daß die Azymen nicht den Gegensatz zu der christhchen Feier, sondern gerade ihre Nachahmung" bilden und Epiphanios nicht die Azymen, sondern nur den Gebrauch des Wassers ohne Wein für eine häretische Eigenschaft der ebionitischen Mysterien halte, s. Späcil, De SS. Eucharistia LT 138 (Nr. 324). Daß diese Stelle nicht in diesem Sinne verstanden werden kann, hat m. E. überzeugend schon Kardinal Bona im 17 Jh. gezeigt, s.: Bona, Epistola 1224 B-C. 74 Wie unscharf die Grenze zwischen Orthodoxie und Häresie in der alten Kirche war, gerade auch in Bezug auf Verschiedenheiten der hturgischen Praxis, stellte jüngst McGowan, Ascetic Eucharists, heraus. Auch Lohse, Das Passafest der Quartadecimaner, geht von der gleichen These aus.

46

Die ostkirchliche Herausforderung

Juden verboten. Sie wurden dahingehend erweitert, daß nicht so sehr die Teilnahme am jüdischen Pascha, sondern die christliche Paschafeier nach der jüdischen Paschalie untersagt wurde75. Wie wü sehen werden, setzte sich diese Akzentverschiebung des Verbotes, jüdische Azymen zu essen, auf das Verbot des eucharistischen ungesäuerten Brotes in der griechischen Polemik gegen das ungesäuerte Brot der Lateiner im 11. Jahrhundert fort.

3. Die

Verfestigung der eucharistischen Bräuche

Vor dem 9. Jahrhundert finden wü keinen eindeutigen Hinweis über die Beschaffenheit des eucharistischen Brotes. Rekonstruktionsversuche, wie sie seit dem 17. Jahrhundert von Liturgiehistorikern unternommen worden sind, basieren auf Vermutungen und können sich nur auf indüekte Zeugnisse in den Quellen stützen. Im Laufe der letzten drei Jahrhunderte entstand dadurch ein Repertoüe von fraglichen Quellenstellen, das von einer Studie zur anderen unterschiedliche Interpretationen erfahrt. Was schält sich als Konsens heraus? (1) In der apostolischen Zeit (1.-2. Jahrhundert) feierten die Christen mit dem Brot, das „zur Hand" war, also mit normalem, handelsüblichem Brot76, ohne sich um seine gesäuerte bzw. ungesäuerte Beschaffenheit zu kümmern77. In der patristischen Literatur begegnet der Ausdruck „gewöhnliches Brot" (äpmg xoivdg™, panis usitatus79), um damit das eucharistische Brot zu bezeichnen. Was dieser Ausdruck genau bedeutet, darüber gehen die Meinungen auseinander. Während Geiselmann dahinter nichts anderes als „gesäuertes Brot" sieht80, meint Anton Michel, daß „der Gegensatz vom »gewöhnlichen« Brot meist auch nicht Azymum, sondern »geheiligtes« Brot" war81. Michel hat insofern recht, als es für die altchristlichen Autoren wichtig war, den prinzipiellen Unterschied zwischen dem noch nicht kon75 Dazu s.: LMA VI 1515-1516 (Grünbeck). 76 LThK31 1327 (Petzolt): Urspünglich wurde „überaU das aUtägliche, häusliche Brot vom Markt oder aus den Gaben der Gläubigen genommen". 77 DThC I 2654 (Parisot): „Quant aux apötres et aux fondateurs des premieres Eglises, on doit croire qu'ils se servirent de l'element pain leve ou azyme, qui se trouvait ä leur portee dans les maisons oü se tenaient les reunions chretiennes". DACL I 3254 (Cabrol): „les apotres n'attacherent pas grande importance ä cette question et celebrerent avec le pain qu'üs avaient ä leur disposition". 78 So z. B.: Gregor vonNyssa, In diem luminum, ed. cit. 225: ö aproc, JiäXiv apTog earl tecdc, Koivög- äXA'ÖTav atitöv tö uucnTjpiov iEpoupYrjcrn,, affipaXpfjiaroO "kLyzxai te xal yvttiav. 79 Ambrosius von Mailand, De sacramentis 4,14 (ed. cit. 51-52): „Tu forte dicis: »Meus panis est usitatus«. Sed iste panis est ante verba sacramentorum; ubi accesserit consecratio, de pane fit caro Christi". 80 Geiselmann, Die Abendmahlslehre 25. Derselben Ansicht ist Woolley, The Bread 1. 81 S. Michels Rezension des Buches von Geiselmann in: ByZ 36 (1936) 120.

Der Azymenstreit

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sekrierten Brot und dem Brot, das bereits zum Leib des Herrn geworden war, zu verdeutlichen. Die Bezeichnung „gewöhnliches Brot" gab also keine Auskunft über die Zubereitung desselben. Es konnte sich je nach örtlichem Brauch sowohl um ungesäuertes als auch um gesäuertes Brot handeln, wobei letzteres doch beträchtlich

(2)

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verbreiteter war. Man darf vermuten, daß sich in der Folge in verschiedenen Gebieten ein eigener Brauch in Bezug auf das eucharistische Brot herausbilden konnte. Anton Michel versuchte die Unterschiede unter den Ortsküchen nachzuweisen und stellte den Gebrauch von ungesäuertem Brot in Alexandreia, in Jerusalem und in der westlichen Kirche, von gesäuertem Brot in Syrien und in Konstantinopel fest82. Allem seine Ergebnisse bleiben fraglich, denn in den Stellen, die er anführt, ist ausschließlich von der symbolischen Deutung der beiden Brotarten die Rede. Dagegen sahen wü bereits, daß sich eine Bevorzugung des gesäuerten Brotes besonders in jenen Gebieten nahelegte, wo die Gefahr des „Judaisierens" als besonders akut empfunden wurde. Vermutlich aus dem 6. Jahrhundert gibt es für den byzantinischen Bereich ein Zeugnis, das ausdrücklich über den Gebrauch von gesäuertem Brot in der Eucharistie spricht, nämlich eine Stelle in der dem Joannes Philoponos zugeschriebenen Schrift De paschate. Der Autor spricht sich dafür aus, daß die Eucharistie nicht mit ungesäuertem, sondern mit gesäuertem Brot gestiftet worden sei und daß das ungesäuerte Brot nicht das Zeichen des göttlichen Leibes Jesu sein könne. Dann merkt er an: „Sonst wäre es ja auch bis heute so"83. Die Authentizität dieser Schrift ist bis heute nicht geklärt. Einige Forscher datieren das Werk in viel spätere Zeit84. Daher beweist erst das Vorhandensein der Lanze in der Proskomidie die Verwendung des gesäuerten Brotes85. Da diese offenbar erst im 9. Jahrhundert eingeführt wurde86, kann auch das gesäuerte Brot erst zur selben Zeit als Opfermaterie zweifelsfrei nachgewiesen werden. Für die lateinische Küche begegnet das erste eindeutige Zeugnis zugunsten des Gebrauchs von ungesäuertem Brot in De institutione clericorum des Hrabanus Maurus, das in den Jahren 817-819 entstanden ist87. Hrabanus spricht von „ungesäuertem Brot" (panis infermentatus), das in der Eucharistie zu verwenden sei, und begründet dies mit dem alttestamenflichen Verbot, dem Herrn Gesäuertes darzu-

82 Michel, Humbert und Kerullarios 1115-121. 83 Joannes Philoponos, De paschate, ed. cit. 216: oüöe äE;up.ov äprov ävrmwiov toü löi'ou ocüu,octoc, tolq iawov uaönTaTc, eöcdxev ö Xpiaröc,. eyiveto yäp av xcri uixP1 ^Ov. 84 Dazu ausführlicher s. unten, S. 96 (Nr. 18). 85 Vgl. oben, S. 30. 86 Onasch, Lexikon 242. 321. 87 Zur Datierung s.: Hrabanus Maurus, De institutione clericorum, hg. D. Zimpel, 34.

Die ostkirchliche Herausforderung

48

Somit kann man auch im Westen erst mit dem 9. Jahrhundert verbindlich vom Gebrauch des ungesäuerten Brotes ausgehen.

bringen

.

Die Frage nach dem Alter des Gebrauchs von ungesäuertem Brot in der lateinischen Kirche wurde unter westlichen Forschern besonders lebhaft diskutiert. Diese Frage war bereits im 11. Jahrhundert durch die Behauptung der griechischen Polemiker provoziert worden, daß die römische Kirche den ursprünglichen Brauch der Kirche willkürlich geändert habe. In der Neuzeit wurde die Frage seit dem 17. Jahrhundert diskutiert. Jacques Sirmond äußerte 1651 die Ansicht, daß in der lateinischen Kirche ungesäuertes Brot erst nach der Zeit des Patriarchen Photios in Gebrauch kam, weil dieser in seiner Enzyklika Ad sedes orientates von 867, in der die Abweichungen der Lateiner vom wahren Glauben und der rechten liturgischen Praxis angeprangert werden, das ungesäuerte Brot mit keinem Wort erwähnte. Sirmond führte eine Fülle weiterer Zeugnisse an, die seine These unterstützen sollten89. Kardinal Bona schloß sich im ersten Buch seiner im Jahre 1671 herausgegebenen Studie De rebus liturgicis der Meinung Sirmonds an90. 1673 unternahm Jean Mabillon den Versuch, Sirmond zu widerlegen, indem er den Gebrauch des ungesäuerten Brotes in der lateinischen Kirche spätestens seit dem 4. Jahrhundert postulierte91. Unter dem Einfluß Mabillons korrigierte Bona seine Position, meinte indessen, daß nicht irgendeine, sondern beide Arten von Brot verwendet

wurden92.

In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts flammte mit der berühmten Studie von Geiselmann die Kontroverse neu auf, der zufolge man den Gebrauch von ungesäuertem Brot im Westen erst seit dem Ende des 8. Jahrhunderts nachweisen kann93. Anton Michel hielt dagegen, daß dies spätestens seit dem 7. Jahrhundert als bewiesen gelten darf94. Michel führte zu seinen Gunsten auch jene Texte und Beschlüsse ins Feld, die

Maurus, De institutione clericorum 1, 31 (ed cit. 332-333): ,J3rgo panem lrifermentatum, et vinum aqua mixtum, in sacramentum corporis et sanguinis Christi sanctificari oportet, quia ipsas res de se dominum testificare evangelium narrat. Quod autem panem sacrificii sine fermento esse oporteat, testatur über Leviticus, ubi commemoratur, dominum per Moysen filiis Israel ita praecipisse: »Omnis«, inquit, »oblatio, quae offertur dornino, absque fermento fiat, nec quicquam fermenti ac mellis adolebitur in sacrificio domini«. Credimus ergo et panem ülum, quem primum dominus in coena mystica in mini Stenum corporis sui consecravit, infermentatum esse, maxime cum in tempore paschae ullum fermentum cuiquam vesci, sed nec in domo habere ulli licebat, dornino ülud in lege praecipiente ac dicente, sicut Exodus testatur". Sirmond, Disquisitio de azymo (11651). Bona, Dissertatio de fermento (11671). Mabillon, Dissertatio de pane eucharistico (11673).

88 Hrabanus

89 90 91 92 Bona, Epistola. 93 Geiselmann, Die Abendmahlslehre 34-41: „Vor dem Ende des 8. Jahrhunderts laßt sich der Gebrauch der Azymen in der abendländischen Kirche nicht nachweisen". 94 Michel, Humbert und Kerullarios II 119-121: „Man wird Azymen für das 7. Jahrhundert ebenso annehmen müssen wie für das 8. und 9. Jahrhundert".

49

Der Azymenstreit

für das eucharistische Brot forderten, es müsse „rem" oder sogar „allerreüist" sein Er hielt dieses Wort für eine Bezeichnung des ungesäuerten Brotes im Gegensatz zum Sauerteig, der in der Regel als unrein gegolten habe96. Daß der Sauerteig aber auch positiv gedeutet werden konnte, haben wü oben gezeigt. Die Bezeichnung „rem" könnte auch einen Hinweis auf die Beschaffenheit des Mehls gewesen sein. Man forderte reines Mehl ohne ügendwelche Beimengungen. Angesichts der mangelhaften Qualität des Brotes im Mittelalter konnte eine solche Vorschrift rein praktische Gründe gehabt haben. Vor Hrabanus Maurus haben wü also nach wie vor kein eindeutiges Zeugnis zugunsten des ungesäuerten Brotes in der lateinischen Küche. Um zu klaren Ergebnissen zu kommen, müßte man das bekannte Quellenmaterial wesentlich erweitern. Das könnte in zwei Richtungen erfolgen: Einmal sollte man die einschlägigen Quellen, die während der letzten hundert Jahre erstmals ediert wurden, prüfen, einschließlich jener in orientalischen Sprachen wie Syrisch, Koptisch usw. Sodann müßte man auch archäologisches und ikonographisches Material heranziehen97. Der erste Weg wurde bisher nur von Hanssens in seinen Institutiones liturgicae unternommen, aber seit dem Erscheinen seines Werkes sind schon über siebzig Jahre vergangen. Den zweiten Weg beschritt für unsere Problematik bislang noch niemand. Dies zu leisten würde die Grenzen der vorliegenden Arbeit sprengen. Dieses Kapitel wollte nur auf einige Kernprobleme hinweisen, auch wenn wü auf Aspekten, die für das Verständnis des mittelalterlichen Azymenstreites besondere Bedeutung haben, länger msistierten. .

z. B. Alkuin, Epistola 137 (ed. cit. 211-212): „panis, qui in corpus Christi consecratur, absque fermento ullius alterius infecüonis debet esse mundissimus", sowie die Anweisung des 16. Konzils von Toledo, can. 6 (Mansi XLT 73B-74A): „quod non panes mundos et studio praeparatos, sed de panibus suis usibus praeparatis crustulam in rotunditatem auferant Non aliter panis proponatur nisi integer et nitidus, qui ex studio fuerit praeparatus, neque grande aliquid, sed modica tantum oblata, secundum quod consuetudo retentat".

95 So

96 Michel, Humbert und Kerullarios II 119-120. 97 Daß dieser Zugang für die Problematik des eucharistischen Brotes erfolgreich sein kann, beweist unter anderem ein interessanter Hinweis bei Jungmann, Missarum sollemnia LI 41-42.

Die ostkirchliche Herausforderung

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II. Der Ausbruch des

Azymenstreites

Der Ursprung des Azymenstreites ist unmittelbar mit jenen Ereignissen verknüpft, die als „das Schisma von 1054" in die Kirchengeschichtsbücher Eingang fanden. Bekanntlich haben in diesem Jahr die drei Legaten der römischen Kirche Kardinalbischof Humbert von Silva Candida, Kanzler Friedrich von Lothringen und Erzbischof Petrus von Amalfi den Patriarchen von Konstantinopel Michael Kerullarios mit dem Anathem belegt, als sie am 16. Juli 1054 die Exkommunikationsbulle auf den Altar der Hagia Sophia legten. Kerullarios reagierte darauf, indem er am 24. Juli eine Sitzung der ständigen Synode der griechischen Bischöfe einberief, auf der die drei päpstlichen Legaten ihrerseits exkommuniziert wurden. In dieser wechselseitigen Exkonununizierung erreichte der Streit zwischen der römischen Kurie und dem Patriarchen von Konstantinopel, der in den Jahren 1053 und 1054 ausgetragen wurde, seinen Höhepunkt. Am Anfang dieses Streites stand der Angriff der Griechen auf den Brauch der lateinischen Kirche, in der Eucharistie ungesäuertes Brot zu verwenden. Der griechisch-lateinische Konflikt in den Jahren 1053/54 war Gegenstand zahlloser Untersuchungen1. Mit dem Datum 1054 wird bis auf den heutigen Tag jener Bruch zwischen dem östlichen und dem westlichen Christentum verbunden, den man das

Sekundärliteratur verfaßten Oberblicke fast unüberschaubar genaue Rekonstruktion der Ereignisse und ihrer Motive aufgrund der Quellenbasis bemühen. Zu letzteren gehören die Arbeiten von Anton Michel, vor allem sein Hauptwerk Humbert und Kerullarios (2 Bde., 1924-1930), sowie einige für unsere Problemstellung bedeutende Aufsätze: Die „Accusatio" des Kanzlers Friedrich (1930); Verstreute Kerullarios- und Humbert-Texte (1931); Die Rechtsgültigkeit des römischen Bannes (1943/49); Schisma und Kaiserhof (1954). Ebenfalls wichtig sind: DThC X 1677-1703 (Amann, Michel Cerulaire); Jugie, Le Schisme byzantin (1941); Runciman, The Eastern Schism (1955); Petrucci, Rapporti (1973); Petrucci, Ecclesiologia (1977); Krause, Das Constitutum Constantini (1983); Tinnefeld,MichaelI. Kerullarios (1989); Kaplan, Le „schisme" de 1054 (1995). Weiterhin hilfreich: Nicol, Byzantium and the Papacy (1962); Denzler, Das sog. Morgenländische Schisma (1966). Barmin, Stolknovenie (1999). Von Bedeutung sind einschlägige Kapitel in den zusammenfassenden Darstellungen: Norden, Das Papsttum und Byzanz (1903) 2328; Every, The Byzantine Patriarchate (1962) 148-153; Jedin, Handbuch der Kirchengeschichte m (1966) 467-476 (H.-G. Beck); Beck, Geschichte (1980) 142-147; Nyssen / Schulz / Wiertz, Handbuch der Ostkirchenkunde I (1984) 94-101 (H.-J. Schulz); Hussey, The Orthodox Church (1986) 129-136. Schließlich sei auch auf die immer noch lesenswerte Untersuchungen aus dem 19. Jh. hingewiesen: Pichler, Geschichte der kirchlichen Trennung I (1864) 250-262; Hergenröther, Photius III (1869) 730-789; Brehier, Le schisme oriental (1899).

1 Während die auf der

Grundlage

von

sind, gibt es nur wenige historische Untersuchungen, die sich um die

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Der Azymenstreit

„morgenländische Schisma"2 nennt,

obwohl es dagegen ernste Einwände gibt, wovon die Rede sein Wenn wird. auch seit den Forschungen Anton Michels die Ereignisnoch se jener Jahre sehr viel besser bekannt sind, liegen dennoch viele Einzelheiten und vor allem die Handlungsmotive der Protagonisten des Streites weiterhin im Dunkeln. Das Ziel der vorliegenden Studie verbietet es, eine umfassende Beschreibung des Verlaufs der Ereignisse von 1053/54 zu geben, dennoch müssen zum Verständnis des Azymenstreites einige politische Aspekte in Erinnerung gerufen werden. 1. Der politische Hintergrund des Konflikts Heute wird allgemein anerkannt, daß der zwischenkirchliche Streit von 1054 durch einen kirchenpolitischen Interessenkonflikt zwischen Rom und Konstantinopel ausgelöst wurde, in dem der militärpolitischen Situation in Süditalien eine Schlüsselrolle zukam. Beim Versuch zu erklären, warum dieser Konflikt in solch scharfer Form vertief, werden häufig zwei Aspekte hervorgehoben. Auf der einen Seite spricht man vom Reformpapsttum des 11. Jahrhunderts „mit seinem gesteigerten Primatsverständnis"3, das nicht dulden wollte, daß im Osten die Autorität der römischen Kirche auf irgendeine Weise angezweifelt würde. Um so bereitwilliger habe es sich in den Konflikt mit den Byzantinern ziehen lassen und um so heftiger habe es auf jeden Widerspruch und jede Kritik reagiert. Auf der anderen Seite wird darauf verwiesen, welch unglückliche Rolle die impulsiven Charaktere und Temperamente der in den Ereignissen von 1053/54 füh2 Diesen umstrittenen Begriff führen bis heute Standardnachschlagewerke wie LMA VI 838-839 (Suttner), LThK3 VTl 470^174 (Bayer); vgl. auch LThK2 VLI 630-635 (Dvorndc). GelegenÜich

begegnet auch der Ausdruck „orientalisches Schisma" (z. B. in der dt. Übersetzung von Congar, Zerrissene Einheit 7-12); zum engl, und franz. Sprachgebrauch s.: Runciman, The Eastern Schism; Jugie, Le Schisme byzantin. Der Begriff ist vor allem deswegen umstritten, weü er westlich geprägt und daher der ostkkchlichen Sichtweise nicht gerecht wird. Einige neuere katholische Autoren bevorzugen es, den Ausdruck mit dem vorsichtigen „sog." zu versehen, s. z. B.: Denzler, Das sog. Morgenländische Schisma. Die Orthodoxen charakterisieren dagegen die Spaltung zwischen Rom und Konstantinopel als „abendländisches Schisma" (s.: Chomjakov, Soöinenija 67-68) oder „römisches Schisma" (s. z. B.: Karmiris, The Schism of the Roman Church, in Bezug auf Ereignisse unter Photios). In der russischen kirchenhistorischen Literatur auch bei nicht besonders ökumenisch gesinnten Autoren hat sich in der ersten Hälfte des 20. Jh. ein viel ausgewogenerer Ausdruck „pa3/j,ejieHHe nepKBett" („Spaltung der Kirchen") etabliert, s. z. B.: -

-

Lebedev, Istorija razdelenija cerkvej

(21905), obwohl bei manchen Autoren auch der Ausdruck

3anaflHofl LfepKBH ot BOCTOTHott" (,Abfall der westlichen Kirche von der östlichen") anzutreffen ist (s. in der annotierten Bibliographie bei Lebedev, ebd., 414). „omaaeHHe

Insbesondere bei Autoren, die unter dem Einfluß

3

von

Vladimir Solov'ev

(s.: Solov'ev, Der große

Streit) stehen, wird oft der Ausdruck „BejiHKHö nepKOBHtilt pacKoji" („das große Schisma") gebraucht, s. z. B.: Posnov, Istorija Christianskoj Cerkvi (1964) 527. So Bayer in: LThK3 VTJ 472.

kirchliche

Die ostkirchliche Herausforderung

52

renden Figuren, des Patriarchen von Konstantinopel Michael Kerullarios und des Kardinals Humbert, eines der engsten Mitarbeiter von Papst Leo LX., gespielt haben. Beide Aspekte sind zweifelsohne wichtig. In der Tat wandelte sich gerade um die Mitte des 11. Jahrhunderts das Selbstverständnis und das Selbstbewußtsein des Papsttums tiefgreifend, wobei Leo LX. (1049-1054) am Beginn einer Reihe von „Reformpäpsten" steht4. Auch spielten der Charakter und die Ambitionen des Michael Kerullarios (*ca. 1005/1010, fl059)5, der 1040 erfolglos für den kaiserlichen Thron kandidierte6, 1043 Patriarch wurde und sich aktiv in die kaiserliche Politik bis zu seiner Absetzung im Jahre 1058 einmischte, eine außerordentlich wichtige Rolle. Bei Kardinal Humbert7 sollte man mit Schlußfolgerungen vorsichtiger sein, denn seine Rolle im Konflikt mit den Griechen ist längst nicht so klar, wie es sich für Anton Michel darstellte, der den Konflikt zwischen Griechen und Lateinern in den Jahren 1053/54 beinahe auf den Kampf zwischen zwei Persönlichkeiten Humbert und Kerullarios zurückführte, wobei er durch großzügige Zuschreibungen einiger anonymer Texte an die beiden Hauptfiguren deren Rolle noch mehr betonte8. Die jüngste Forschung tendiert eher dahin, die überragende Rolle Humberts im Konflikt mit Byzanz in Zweifel zu ziehen9. -

4

5

6 7

8 9

-

Zu Leo LX. s.: Tellenbach, Die westliche Kirche 154-157; LMA V 1880 f. (R. Schteffer); DHP 1025-1027 (Parisse). Zu Michael Kerullarios s.: Beck, Kirche 533-534; LMA VI 601-602 (BrorKOV / Todt); ODB 1361 (Kazhdan); TRE XXLT 708-710 (Tinnefeld). Die gesamte Literatur zum „Schisma 1054" kann selbstverständlich nicht an der Person des Kerullarios vorbeikommen. Grundlegend für die Untersuchung der Tätigkeiten des Kerullarios bleiben nach wie vor die Arbeiten von Anton Michel (s. Anm. 1). Michel schreibt allerdings einige Werke Kerullarios zu unrecht zu (vgl. unten, A ILT lb, Nr. 8 und 36). Für eine Zusammenfassung der neuesten Entwicklungen in der Kerullarios-Forschung s.: Tinnefeld, Michael I. Kerullarios (1989). Zu dieser Episode s.: Tinnefeld, Michael I. Kerullarios 99. Zu Kardinal Humbert und zu den unterschiedlichen Seiten seiner Tätigkeiten gibt es zahlreiche Veröffentlichungen; vor allem sind hier wiederum die Arbeiten Anton Michels von Bedeutung (s. Anm. 1). Speziell der Behandlung der Azymenfrage durch Humbert widmet ein Kapitel seiner Studie Kandler, Die Abendmahlslehre des Kardinals Humbert (1971) 15-37; diese Arbeit ist jedoch von zweitrangiger Qualität. Eine detaüierte Übersicht über die Werke Humberts mit Beschreibungen des wichtigsten handschriftlichen Materials s.: Hoesch, Die kanonischen Quellen (1970). Kurze zusammenfassende Darstellung von Leben und Werk Humberts s.: TRE XV 682-685 (Blumenthal), sowie jungst Dischner, Humbert von Silva Candida (1996); letztere jedoch in Bezug auf die mit dem „Schisma 1054" verbundenen Schriften ziemlich oberflächlich. Kritik an den Zuschreibungsmethoden Michels s.: Krause, Das Papstwahldekret 15-23. S.: TRE XV 683-684 (Blumenthal); Dischner, Humbert 49-69, zu den im Zusammenhang mit der byzantinischen Problematik entstandenen Schriften. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß sowohl Papst Leo LX. als auch die beiden anderen Legaten, die 1054 mit Humbert nach Konstantinopel gereist und an der Exkommunikation vom 16. Juli 1054 direkt beteüigt gewesen sind, fiinreichende Möglichkeit hatten, den Verlauf der Ereignisse zu beeinflussen sowie an der

Der Azymenstreit

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Aber auch unabhängig vom Einfluß Humberts auf die Ereignisse von 1053/54 gilt: Die Schärfe des Zusammenstoßes wäre ohne ein konfliktfreudiges Temperament, bei welchem der Legaten auch immer, kaum zu erklären. Die erwähnten Aspekte sind für das Verständnis der Ereignisse von 1053/54 zweifellos von Bedeutung, allein eine Überbetonung könnte den falschen Eindruck erwekken, als ob es sich ausschließlich um einen Konflikt zwischen ambitionierten Kirchenfürsten gehandelt hätte. So gesehen wäre der Azymenstreit nur ein Instrument des politischen Kampfes gewesen, unabhängig von seinem theologischen und kulturhistorischen Inhalt. Indessen sind die politische und die kulturelle Dimension des Konflikts unlöslich miteinander verbunden. Diese wechselseitige Abhängigkeit zwischen politischen und kulturellen Faktoren gewinnt an Schärfe, blickt man auf die Lage Süditaliens im 11. Jahrhundert. Die Sonderrolle, die Süditalien bei den Beziehungen zwischen Rom und Konstantinopel spielte, ist weithin bekannt10. Hier pflegte man nachbarschaftliche Beziehungen ebenso wie permanente Konkurrenz, und zwar auf drei Ebenen. (1) In militärischer Hinsicht war Süditalien im 10. und 11. Jh. das Aufmarschgebiet vieler Mächte, vom Papsttum und dem deutschen Königtum angefangen, über die Langobarden und die Normannen, bis hin zum byzantinischen Reich und den Arabern. (2) In kirchenpolitischer Hinsicht standen sich zwei kirchliche Jurisdiktionen, die römische und die kon-

10

Abfassung der Schriften gegen die Griechen mitzuarbeiten. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei Friedrich von Lothringen, der zukünftige Papst Stephan LX. (1057-1058), der im Jahre 1054 Kanzler der römischen Kirche war, s.: LMA VLU 118-119 (R. Sctjjeffer). Kendlarios hielt ihn offenbar für den Chef der päpstlichen Legation (s.: Will 187 Z. 6-9). Kaum erforscht ist die Person und Tätigkeit des Erzbischofs Petrus von Amalfi, s.: LMA VI 1958 (Fornasari); auch er dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Schriften gegen die Griechen mitgewirkt haben. Diese Erwägungen schließen die (Mit-)Autorschaft Humberts keineswegs aus: Zumindest als Mitarbeiter an den im Zusammenhang mit der Legation 1054 entstandenen Schriften" erkennt ihn auch die neuere Forschung (TRE XV 684) an. Als „Gemeinschaftswerk der Legaten , wobei eine federführende Rolle Humberts nicht ausgeschlossen werden kann", bezeichnet jüngst Dischner den Dialogus und die Contradictio, s.: Dischner, Humbert 58. Zu den politischen Beziehungen zwischen dem Papsttum und Byzanz in Süditalien s.: Gay, L'Italie meridionale (1904); falkenhausen, Untersuchungen (1967). Zu den normannischen Eroberungen s.: Chalandon, Histoire de la domination normande (2 Bde., 1907); Jahn, Untersuchungen (1989); Bünemann, Robert Guiskard (1997). Zu den kirchüchen Aspekten ist nach wie vor unerläßlich: Rodotä, Dell'origine, progresso, e stato presente del rito greco in Italia (3 Bde., 1758-1763). Sehr hilfreich für unsere Problematik ist: Herde, Das Papsttum und die griechische Kirche (1970); Klewitz, Studien über die Wiederherstellung (1933/34); zusammenfassend s.: Laurent, L 'Eglise de l'Italie meridionale (1973). Speziell zur kfrchlichen Lage in Apulien s.: Klewitz, Zur Geschichte der Bistumsorganisation (1932/33). Weiterhin nützlich: Fortescue, The Uniate Eastern Churches (1957) 47-145 (Kapitel The Italo-Greeks in the Past), m vielfacher Hinsicht irreführend in Bezug auf die süditalienischen Verhältnisse dagegen ist Böhmer, Das Schisma von 1054 (1969), vgl. dazu unten, S. 57 Anm. 26.

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stantinopolitanische, gegenüber. (3) In kkchlich-kultureller Hinsicht fand die Zweisprachigkeit (lateinisch griechisch) ein Pendant in der liturgischen Praxis mit zwei unterschiedlichen Riten. Alle drei Aspekte tragen auf ihre Weise und untereinander verwoben dazu bei, in Süditalien ein Gewirr von politischen und kulturellen Spannungen zu erzeugen, wie sie typisch sind für Schnittpunkte kultureller Räume. Militärpolitisch betrachtet bedeutete das 11. Jahrhundert für die Byzantiner den Verlust ihrer Kontrolle über den südlichen Teil der Apennin-Halbinsel zugunsten der Entstehung eines jungen und aggressiven normannischen Staatsgebildes. Unter dem militärisch sehr erfolgreichen Kaiser Basileios II. hielt Byzanz zu Beginn des 11. Jahrhunderts auf der gesamten südlichen Apennin-Halbinsel fest Stellung". Als ab 1030 die Normannen in Italien eindrangen, versetzte dies den byzantinischen Befestigungen einen schweren Schlag. Eine ganze Reihe süditalienischer Städte ging von Byzanz zu den Normannen über. Das Papsttum wurde um 1050 zum potentiellen Bundesgenossen von Byzanz. Seine Beziehungen zu den Normannen gestalteten sich unter Papst Leo LX. feindlich. Die Versuche des Papstes, mit Hilfe des deutschen Kaisers Heinrich III. sowie des Statthalters der byzantinischen Gebiete in Süditalien, Argyros, militärischen Widerstand gegen die Normannen zu organisieren, endeten jedoch in der Schlacht bei Civitate am 18. Juni 1053 mit einer schweren Niederlage. Dabei wurde der Papst von den Normannen gefangengenommen und nach Benevent gebracht, wo er bis zum Frühjahr 1054 festgehalten wurde. Gerade in dieser Zeit suchte der Papst ein Bündnis mit dem byzantinischen Kaiser gegen die Normannen. So sandte er zu Beginn des Jahres 1054 aus Benevento ein Schreiben an den byzantinischen Kaiser Konstantinos IX. Monomachos (1042-1055) mit der Bitte um militärische Hilfe gegen das „zügellose und fremde Volk", das sich -

,,rrüt unglaublicher und unerhörter Raserei und Ehrlosigkeit, schlimmer als die Heiden, gegen die Kirchen Gottes erhebt, schonungslos das Blut der Christen vergießt und nicht wenige mit nie dagewesenen und entsetzlichen Foltern zu Tode quält; das nicht die geringste Menschenliebe zu Kindern, zu Greisen, zu Frauen zeigt; das keinen Unterschied zwischen dem Sakralen und dem Profanen macht; das die heüigen Kirchen plündert, brennt und dem Erdboden

gleichmacht"12.

Die byzantinischen Territorien in Süditalien teüten sich in der zweiten Hälfte des 10. Jh. in die Themen „Kalabrien" und „Langobardien". Das letztere, das das Territorium Apuliens umfasste, wurde um 970 in einen Katepanat und um 1040 in einen Dukat mit dem Namen TroXia umgewandelt. Sizüien ging schon im 9. Jh. an die Araber verloren. 12 Will 86b: „Dia ergo sollicitudine, qua omnibus ecclesiis debeo invigüare, videns indisciplinatam et alienem gentem incredibiü et inaudita rabie et plus quam pagana impietate adversus ecclesias Dei insurgere passim, Christianos trucidare et nonnullos novis horribihbusque tormentis usque ad defectionem animae affligere, nec infanti, aut seni, seu femineae fragilitati aliquo humanitatis respectu parcere, nec inter sanctum et profanum aliquam distantiam habere, sanctorum basüicas spoliare, incendere et ad solum usque diniere". 11

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Der Azymenstreit

Aus verschiedenen Gründen, zu denen auch der kirchliche Konflikt zwischen Byzantinern und Lateinern von 1053/54 gehörte, blieben jedoch die Versuche des Papstes erfolglos. Die Beziehungen des Papsttums zu den Normannen änderten sich auf radikale Weise fünf Jahre später, als der Führer der Normannen, Robert Guiskard, Papst Nikolaus LT. den Lehnseid leistete und vom Papst als Herzog von Apulien, Kalabrien und Sizilien (letzteres befand sich damals noch in den Händen der arabischen Muslime) belehnt wurde13. Von diesem Zeitpunkt an geriet Byzanz im Süden der ApenninHalbinsel in immer größere Isolation. 1071 fügte Robert Guiskard der byzantinischen Herrschaft in Italien durch die Eroberung von Bari den entscheidenden Schlag zu. Um 1080 war die byzantinische Administration und Herrschaft vollständig aus Süditalien verbannt14. Seit dieser Zeit war die Herrschaft der Byzantiner in Italien beendet und wurde nie wiederhergestellt1 Wichtig für das Verständnis des kirchenpolitischen Hintergrunds des Konflikts von 1053/54 ist weiterhin die vermutlich 732-733 durchgeführte Herausnahme des östlichen Illyricums, Siziliens und Kalabriens durch den byzantinischen Kaiser und Bilderfeind Leon III. aus der Jurisdiktion des Papstes und der Anschluß dieser Gebiete an das Patriarchat von Konstantinopel, mit der gleichzeitigen Abtrennung der päpstlichen Patrimonien in Süditalien und Sizilien16. Seit dieser Zeit wurde eine aktive Hellenisierung des Episkopats durchgeführt, die man etwa um die Zeit des 7. Ökumenischen Konzils 787 als abgeschlossen betrachten kann17. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts war der Episkopat von Mittel- und Südkalabrien (Sizilien war zu dieser Zeit bereits von den Arabern erobert, und das Illyricum stellt ein eigenes Thema dar, das hier nicht berührt zu werden braucht) fast zur Gänze griechisch und ordnete sich dem Patriarchen von Konstantinopel unter18. Indessen hielten die Päpste die Frage nach der Jurisdiktion der Kirche Kalabriens nicht für abgeschlossen. Die Päpste Hadrian I. (772-795) und Nikolaus I. .

13 Den Text des Lehnseids überliefert Deusdedit, Kanonessammlung, lib 3, cap 285 (ed. cit. 393394): „Ego Robertus Dei gratia et Sancti Petri dux Apuliae et Calabriae et utroque subveniente füturus Sicüiae, ab hac hora et deinceps ero fidelis sanctae Romanae Ecclesiae et apostolicae sedi et tibi domino meo Nicoiao papae". 14 Herde, Das Papsttum 5. 15 Gleichwohl pflegten die Normannen auch weiterhin intensive Beziehungen mit dem byzantinischen Reich, so daß in den ersten hundert Jahren nach der Eroberung sogar einige Beamte in Italien byzantinisch büeben, s.dazu: ODB 1493-1494 (Kazhdan). 16 Über das genaue Datum dieses Ereignisses sind die Forscher unterscruedlicher Meinung. Die einen datieren es auf die Jahre kurz nach dem bilderfeindlichen Dekret 732-733 (Anastos, The Transfer). Andere datieren es in die Zeit des Kaisers Konstantinos V. zwischen 752 und 757 (Grumel, L'annexion). Die beiden Päpste Nikolaus I. und Hadrian sehen in Leon m. den Urheber dieses Ereignisses. 17 Zur Gräzisierung der Kirche Kalabriens s.: Laurent, L'Eglise de ITtalie 11-14; Menager, La

„byzantinisation religieuse. S.: Falkenhausen, Untersuchungen "

18

147-151.

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(858-869) äußerten in ihren Briefen an die byzantinischen Herrscher die inständige Bitte, die zur Zeit des Bilderstreites abgetrennten Gebiete zurückzugeben19. Die byzantinischen Kaiser sahen jedoch keine Veranlassung, auf die Bitten der Päpste zu reagieren20. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts wandte sich Papst Leo LX. erneut dieser Problematik zu. In dem bereits erwähnten Brief an Konstantinos Monomachos von 1054, worin er um Hilfe gegen die Normannen rief, trat er an den Kaiser auch mit der Bitte heran, bei der Rückgabe der päpstlichen Patrimonien in den dem byzantinischen Kaiser unterstellten Gebieten mitzuwirken21. Obwohl sich der Papst dabei nicht mehr auf die Ereignisse während des Bilderstreites bezieht, ist die Rede selbstverständlich von Kalabrien und Sizilien. Davon, daß der Papst wie früher fortfuhr, Sizilien und Kalabrien als seine Jurisdiktionsgebiete zu betrachten und seine Patrimonien zu verwalten beanspruchte, spricht auch die Tatsache der Erhebung von Kardinal Humbert in den Rang 19 So Hadrian L in seinen Briefen

Konstantinos und Irene (785): ,Jmo et consecrationes sicut olitana constat traditio, nostrae Dioecesi existentes penitus canonice sanctae Romanae nostrae restituantur Ecclesiae, ut nequaquam schisma inter concordiam perseverare valeat sacerdotum, sicut in vestra serenissima iussione exaratum est" (CICO Fontes 1/1 589, Nr. 311). Brief Hadrians an Karl den Großen von 791: ,J>udum quippe, quanta eos pro sacris imaginibus erectioni adhortavimus, simili modo et de Dioecesi tarn archiepiscoporum, quam et episcoporum sanctae catholicae et apostolicae Romanae Ecclesiae, quae tunc cum patrimomis nostris abstulerunt, quando sacras imagines deposuerunt, commonentes, restituere eidem sanctae catholicae et apostolicae Romanae Ecclesiae quaesivimus, et nec responsum quodhbet exinde dederunt" (CICO Fontes 1/1 597, Nr. 313); Nikolaus L in seinem Schreiben an byzantinischen Kaiser Michael JH. im Jahre 860: „Praeterea Calabritanum Patrimonium Siculumque, quae nostrae ecclesiae concessa fuerunt et ea possidendo optinuit et disponendo per suos familiäres regere studuit, vestris concessionibus reddantur, quoniam ürationabile est, ut ecclesiatica possessio, unde luininaria et concinnationes Ecclesiae Dei fieri debent, terrena quavis potestate subtrahantur Inter ista et superius dicta volumus, ut consecratio Syracusano episcopo nostra a sede impendatur, ut traditio ab apsotolis instituta nullatenus nostris temporibus violetur" (CICO Fontes 1/1 604, Nr. 316). 20 Papst Hadrian beschwerte sich in einem Brief an Karl den Großen, daß der byzantinische Kaiser ihm keine Antwort gab, und drohte den Kaiser zum Häretiker zu erklären, falls er dem Papst die süditalienischen Gebiete nicht zurückgeben werde: „Unde si vestra annuerit a Deo protecta regalis excellentia, eodem adhortamur imperatore, pro sacris imaginibus in pristino statu erectione gratiam agentes et de Dioecesi sanctae nostrae Romanae Ecclesiae tarn archiepiscoporum quam episcoporum seu de patrimomis herum increpantes commonemus, ut, si noluerit ea sanctae nostrae Romanae Ecclesiae restituere, haereticum eum pro huiusmodi erroris perseverantia esse decernimus" (CICO Fontes 1/1 597, Nr. 313). Es muß berücksichtigt werden, daß es nicht nur um die Jurisdiktion im kirchenrechtlichen Sinne ging, sondern auch um die Verwaltung und Besteuerung der päpstlichen Patrimonien. 21 Will 88a: „devotissime fili et serenissime imperator, collaborare nobis dignare ad relevationem tuae matris sanctae ecclesiae, et privüegia dignitatis atque reverentiae ejus nec non patrimonia recuperanda in tuae ditionis partibus".

archiepiscoporum

seu

an

episcoporum,

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Der Azymenstreit

eines Erzbischofs von Sizilien im Jahre 1050 Die Bemühung der Päpste, die Jurisdiktion über Kalabrien und Sizilien zurückzuerlangen, erfüllte sich im Jahre 1059, als Robert Guiskard Papst Nikolaus II. unter Eid versprach, „ein Gehilfe bei der Erhaltung und Mehrung der Besitzungen des heiligen Petrus zu sein" sowie alle Kirchen in die Macht der Päpste zu übergeben, die sich auf dem von ihm eroberten Territorium befinden werden, zusammen mit all ihrem Besitz und ihren Grundstücken23. Nach der Eroberung Kalabriens durch die Normannen, die im Großen und Ganzen 1061 beendet war, erlangte das Papsttum die Jurisdiktion über die Küchen dieser Region zurück, damit begann der Prozeß der Latinisierung der Küche Kalabriens und die allmähliche Ablösung der griechischen Bischöfe durch lateinische. Der Prozeß verlief langsam und nicht eindeutig: Viele Bistümer blieben noch lange Zeit griechisch; überall existierten weiterhin beide Sprachen und Riten nachbarschaftlich nebeneinander. Allein, die neue Tendenz war vorgezeichnet und gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurden nur noch die Metropolie Santa Severina, das autokephale Erzbistum Rossano und das Bistum Gallipoli von griechischen Bischöfen verwaltet Die weitere Quelle für Spannungen zwischen Rom und Konstantinopel im 11. Jahrhundert war die küchenpolitische Situation in Apulien, einem Gebiet, das wie Kalabrien zum byzantinischen Reich gehörte, aber im Unterschied zu Kalabrien überwiegend lateinisch war. Hier dominierten, von der Terra d'Otranto abgesehen, noch seit der Zeit der Langobardenherrschaft die Lateiner, und der Episkopat war lateinisch. Gleichwohl sahen sich die lateinischen Bischöfe in ihren Beziehungen zu Rom schweren Behinderungen ausgesetzt25. Ohne Zustimmung Konstantinopels konnte kein einziger lateinischer Bischof Apuliens seine Kathedra besteigen. Obwohl im Unterschied zum kalabresischen Episkopat der apulische Episkopat formell nichts mit dem Patriarchen von Konstantinopel zu tun hatte26, nahm Konstantinopel faktisch düekten Einfluß auf die küchliche Situation in diesem Gebiet. Die Mehrheit der lateinischen Bischöfe Apuliens .

.

22 TRE XV 683 Z. 2-3. 23 Deusdedit, Kanonessammlung, üb 3, cap 285 (ed. cit. 394): „Sanctae Romanae ecclesiae tibique adiutor ero ad tenendum et acquirendum regalia Sancti Petri eiusque possessiones Omnes quoque ecclesias, quae in mea persistunt dominatione, cum earum possessionibus dimittam in tuam potestatem, et defensor ero ülarum ad fidehtatem Sanctae Romanae ecclesiae". Angesichts der Vorgeschichte des Streites um Kalabrien und Sizilien ist die Verwunderung einiger Forscher über die rechtliche Grundlage des Lehnseides unbegründet; s. z. B.: Bünemann, Robert Guiskard 41; Kawerau, Ostkirchengeschichte BT 20. 24 Zum Prozeß der Latinisierung der Kirche Kalabriens s.: Girgensohn, Dali' episopato greco; Klewitz, Studien Uber die Wiederherstellung, Falkenhausen, Untersuchungen 150-151. 25 Klewttz, Zur Geschichte 19. 26 Im Gegensatz zu den unbegründeten Behauptungen von Böhmer, Das Schisma 322-323, der meint, daß ganz Süditalien in das Patriarchat von Konstantinopel vom byzantmischen Kaiser Leon LB. eingegliedert wurde; eine ähnliche falsche Behauptung auch bei: Jedin / Latourette / Martin, Atlas zur Kirchengeschichte 26*.

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Byzanz gegenüber loyal und unterstützte die byzantinische Politik in Süditalien Einer dieser Bischöfe war der Erzbischof von Trani und Siponto Johannes, der 1053 vom byzantinischen Kaiser den Titel eines Synkellos verliehen bekam28, „ein treuer 29 byzantinischer Parteigänger", wie ihn Vera von Falkenhausen charakterisiert Zur selben Zeit, als das Papsttum seine Politik gegenüber den Normannen änderte, versuchte es auch, sich des Bischofs von Trani zu entledigen. Auf der Synode von Melfi war

.

.

von seinem Bischofssitz entfernt30. Mit dem Namen des Johannes Trani taucht auch erstmals in einem griechischen Dokument die Polemik gegen das ungesäuerte Brot der Lateiner auf. Kurz vor Ausbruch des Konflikts unternahm Papst Leo LX. im Jahr 1050 eine längere Pastoralreise durch Apulien, namentlich in jene Gegenden, die von den Normannen bereits erobert waren, mit dem Ziel der „Wiederherstellung der christlichen Religion, die, wie es schien, in dieser Region gänzlich in Verfall geraten war", aber auch „um die örtlichen Bewohner mit den Normannen zu versöhnen"31. In Siponto hielt der Papst 1050 eine Synode ab, auf der er zwei Erzbischöfe absetzte. Die Vita Leonis gibt keine genaueren Angaben, um wen es sich dabei handelte, aber die Tatsache selbst bezeugt die Maßnahmen des Papstes in Apulien. Solche Bemühungen konnten in Konstantinopel, das diese Gebiete gerade verloren hatte, auf keine Gegenliebe stoßen. Mit Apulien ist auch die Tätigkeit eines Mannes verbunden, der eine zwielichtige Rolle im Konflikt zwischen dem römischen Papst und dem Patriarchen von Konstantinopel sowie im Streit um die Azymen gespielt hatte: Argyros. Von 1051 bis 1058 war er byzantinischer Statthalter der süditalienischen Gebiete; ein Mann und Politiker, der sich zwischen der lateinischen und griechischen Welt frei bewegte, ein langobardischer Lateiner, der eine griechische Ausbildung genossen hatte und im Dienst von Byzanz stand32. Er wurde in Bari zu Beginn des 11. Jahrhunderts als Sohn des Langobarden Meies geboren, der 1009-11 und 1017-18 einen Aufstand gegen die byzantinische Herrschaft unternommen hatte. Offensichtlich als Geisel wurde Argyros noch im Kindesalter nach Konstantinopel deportiert und erhielt dort eine griechische Ausbildung: sapientia et disciplina in greco et latino usque ad unguem politus, beschrieb ihn eine

1059 wurde Johannes

von

27 Falkenhausen, Untersuchungen 151-157. 28 Ebd., 156-157; Klewitz, Zur Geschichte 54. 29 Falkenhausen, Untersuchungen 155. 30 Klewitz, Zur Geschichte 22. 31 Vita Leonis lib 2, cap 6 (PL 143, 494 B): „iter sumpsit peragraturus fines Apuliae, ut Christianam repararet religionem, quae itidem videbatur pene dispersisse, maximeque inter accolas regionis et Normannos concordiam componere satagens, quos dudum adiutores contra exteras gentes susceperant principes regni, sed tunc saevissimos tyrannos ac patriae vastatores non sponte sustinebant". 32 Argyros hatte den Titel des öoü| 'ItaXiac,, Kcdaßpiag, EixeXiac, xai nacpXayoviag inne (s.: Falkenhausen, Untersuchungen 187). Zu Argyros s.: ODB 165-166 (Brand); LMA I 925 (Falkenhausen), Falkenhausen, Untersuchungen 58-61. 187-190.

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zeitgenössische Quelle33. Er kehrte 1029 nach Bari zurück; 1042 wählten ihn die Langobarden und Normannen in der Annahme, daß er das Werk seines Vaters, die Befreiung Apuliens aus byzantinischer Abhängigkeit, fortsetzen werde, zum princeps et dux

Italiae. Aber schon im gleichen Jahr schlug sich Argyros auf die Seite Konstantinopels und schloß mit Kaiser Konstantinos Monomachos Frieden, indem er den Aufruhr ausnützte, den der Heerführer Georgios Maniakes gegen den byzantinischen Kaiser in Süditalien entfacht hatte. Als sich Argyros 1045 bis 1051 in Konstantinopel aufhielt, geriet er in Ereignisse, die unmittelbare Auswükungen auf den Konflikt von 1053/54 hatten, wie wir noch sehen werden. Argyros wollte in der Hauptstadt seine Treue gegenüber dem Kaiser beweisen, indem er an der Unterdrückung des Aufstandes des Leo Tornikios 1047 mithalf, dabei aber in Konflikt mit dem Patriarchen Michael Kerullarios geriet. Über die Ursachen dieses Konflikts weiß man sehr wenig, bekannt ist nur, daß dabei die Frage des ungesäuerten Brotes der lateinischen Eucharistie eine nicht unwichtige Rolle spielte. Kaiser Konstantinos ernannte Argyros 1051 zum Statthalter der süditalienischen Provinzen. Nach Apulien zurückgekehrt, begann er sofort, ein Waffenbündnis mit Papst Leo LX. zu suchen. Ende 1051 wurde eine Gesandtschaft nach Rom geschickt mit der Bitte um Hilfe gegen die Normannen34. Die Niederlage bei Civitate im Juni 1053 und der zu dieser Zeit entbrannte küchliche Konflikt zwischen Rom und Konstantinopel verhinderten gemeinsame Aktionen des Argyros und des Papstes. Später beschuldigte Patriarch Michael Kerullarios in seinen Briefen Argyros mehrmals, daß dieser gegen Konstantinopel Übles im Sinn hatte und sogar eine Fälschung begangen habe, als er einige päpstliche Dokumente, die an Kerullarios gerichtet waren, in einem für ihn, Argyros, günstigen Sinn umgemünzt habe35. Die Tatsache, daß Argyros im Laufe semes Lebens seine Loyalität gegenüber Byzanz einige Male geändert hat, zeigt, daß die Verdächtigungen des Patriarchen vielleicht nicht ganz unbegründet waren, aber ihn der Fälschung päpstlicher Dokumente zu bezichtigen, entbehrt jeder Grundlage. Auf dem historischen Hintergrund des Konflikts von 1053/54 gewahren wü also einerseits die erfolglosen Versuche sowohl des Papsttums als auch des byzantinischen Reiches, eine Koalition gegen die Normannen zustande zu bringen, und andererseits die Spannungen, die in Bezug auf das Problem der Jurisdiktion und der Patrimonien in Kalabrien entstanden, dazu die besondere Situation in Apulien, wo die lateinische Küche trotz päpstlicher Jurisdiktion in Abhängigkeit von Konstantinopel lebte. Neben der politischen gilt es aber, stets auch die kulturelle Rivalität im Auge zu behalten. Hier trafen über einen langen Zeitraum griechische und lateinische Sprache und Kultur aufeinander, was sich auch in einem Konkurrenzkampf der liturgischen Riten und Gebräuche niederschlug. Alle diese Faktoren trugen dazu bei, daß gerade Süditalien, genauer Apulien, zu dem Boden wurde, aus dem nicht nur der küchenpolitische Konflikt 33 Falkenhausen, Untersuchungen 58. 34 Ebd., 187, Nr. 61. 35 Will 175 Z. 3-19; 176 Z. 5-12; 185 Z. 15-16 und 21-28.

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der Jahre 1053/54, sondern auch der Kulturkorrflikt um liturgische die Azymenfrage den ersten Platz einnahm, hervorwuchsen.

Fragen, unter denen

2. Der Ausbruch der Polemik Das erste uns bekannte Dokument der griechischen Polemik gegen das ungesäuerte Brot der Lateiner ist das Schreiben des Erzbischofs Leon von Achrida an den Erzbischof Johannes von Trani, das wahrscheinlich im Frühjahr 1053 erschienen ist 6. Der Autor des Schreibens ist ein Grieche, seit 1025 Vorsteher des autokephalen Erzbistums Achrida in Bulgarien. Vor seiner Erhebung auf die bulgarische Kathedra war er Chartophylax der Hagia Sophia in Konstantinopel, d. h. einer der ersten Gehilfen des Patriarchen von Konstantinopel, der faktisch die Funktion eines Generalvikars ausübte37. Leon erhebt gegenüber seinem Adressaten und „durch ihn" gegenüber „allen Bischöfen der Franken" sowie gegenüber dem „hochwürdigsten Papst selbst"38 eine Reihe von Vorwürfen, unter denen der lateinische Brauch der Zelebration der Eucharistie mit ungesäuertem Brot die erste Stelle einnimmt. Leon von Achrida nennt das ungesäuerte Brot der lateinischen Eucharistie „Azymen" (m o%vpä) und wirft den Lateinern vor, daß sie „auf unziemliche Weise nach dem Beispiel des Mose" die Azymen beachtend sich dadurch in Gemeinschaft mit den Juden befänden39. Als jüdischer Brauch gehöre sich für Christen die Verwendung von Azymen nicht: „Die Azymen enthalten kein Gedächtnis des Herrn und verkünden seinen Tod nicht, weil sie von Mose stammen und vor eintausendsechshundert Jahren vorgeschrieben waren; durch das Neue Testament, d. h. durch das Evangelium, wurden sie abgeschafft und ihnen ein Ende gesetzt"40. Jesus Christus habe bei der Einsetzung der Eucharistie nicht die jüdischen „Azymen", sondern „Brot" benutzt. „Brot" bedeute ausschließlich „gesäuertes Brot": Die Verwendung dieses Wortes im Alten Testament in Bezug auf die Schaubrote sei nur mißbräuchlich geschehen41. Dem Hauptvorwurf bezüglich der Azymen fügt der Autor eine Reihe weiterer Beschuldigungen hinzu: Den Lateinern wird das Samstagsfasten, das mit der Beobachtung des jüdischen Sabbats gleichgesetzt wird42, angelastet sowie 36 Zu dem Brief allgemein und seiner Überlieferung s. unten, S. 97 (Nr. 20a). Die kritische Edition des Briefes fehlt bis heute. 37 Vgl. Beck, Kirche 109-111. Zu Fiinktionen des Chartophylax s. auch: ODB 415^116 (Macrtdes); LMA LI 1745-1746 (Prinzing); Darrouzes, Recherches 334-353. 38 Will 56a: Jtpög Jtdvrac. xoüc. apxicpeTc, tcdv OpdyYwv, xal Jipöc, ccütöv töv aiÖEOipcÖTCCTOv näjtav. 39 Will 56a: ÜJtopvfjaai Jiepf tc tcdv aEjüpcov xcu tcdv aaßßdTcov, 5 pcDoai'wög dcruvrnpriTCDc;

ejuteXoOvtec., airyxoivcovEiTE töiq TouöaCoic,. 40 Will 58b: Tä öe atjuucc oute avdirvncnv l%ovai toü xuptou, oöte töv Bdvaxov ccütoü

ycarayyiXkovow. 41 Will 57a Z. 2. 42 Will 58bZ. ll-59aZ. 11.

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der Genuß von Ersticktem als ein heidnischer Brauch und das Auslassen des Halleluja in den Gottesdiensten der Quadragesima44. Der Schwerpunkt liegt aber deutlich auf den Azymen. Nach der Ansicht des Autors hören die Lateiner durch die Praktizierung der falschen Bräuche auf, vollkommene Christgläubige zu sein: Sie seien weder „reine Juden", noch „reine Heiden", noch „reine Christen"4 Der Brief endet mit der Aufforderung an die Lateiner, die jüdischen und heidnischen Gewohnheiten den Juden und den Heiden zu überlassen, um dadurch „mit uns", d. h. mit den Griechen, Übereinstimmung im Glauben zu erzielen und so die eine Herde des einen Hirten zu bilden46. Der Bischof von Trani wird gebeten, das Schreiben „mehrfach dem eigenen Volk vorzulesen" und „damit er das Heil seiner Seele bewahre" anzuordnen, den Brief „in vielen Kopien abzuschreiben"47 und an die Bischöfe in Italien48 zu verschicken. Dabei solle der Bischof von Trani seine Kollegen zur Korrektur des liturgischen Brauches ermahnen. Am Ende seines Schreibens verspricht der Autor, falls der Adressat seine Bitte erfülle, ihm ein neues Schreiben zu schicken, das etwas „Größeres und Umfangreicheres" zur Vergewisserung des wahren Glaubens enthalten werde49. In seiner äußeren Form ist das Schreiben in zurückhaltendem und ehrerbietigem Ton verfaßt. Man könnte es als correctio fraterna charakterisieren50. Der Autor wendet sich an seinen Adressaten nur mit der Anrede oj ävdpcom / ävdpcoaroi tov 6eov5X und vermeidet alle schroffen Ausdrücke. Obwohl das Schreiben die „Reinheit" des Glaubens der Lateiner in Zweifel zieht und andeutet, daß die Weigerung, sich zu bessern, das Seelenheil des Adressaten gefährden werde, enthält es keine Verurteilungen ekklesiologischen Charakters der lateinische Kirche insgesamt. Von „Häresie" in Anwendung auf die „Franken" und den römischen Bischof ist in dem Schreiben nicht die Rede, auch droht der Autor nicht mit der Exkommunikation. Obwohl das Schreiben des Leon von Achrida allgemein an die „Bischöfe der Franken" und nur indirekt an den Papst appellierte, wurde es in kurzer Zeit an der Kurie des Papstes Leo LX. bekannt und ins Lateinische übersetzt. Wie es dazu kam, berichtet die .

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-

43 Will 59a Z. 17-25. Verzicht auf „Blut" setzte das Verzicht auf ..Ersticktes" (xci jrvtxTd / suffocata) voraus; s. Lev 17,10-14; vgl. Apg 15,20. 29; 21,25. 44 Will 59b Z. 7-14. 45 Will 59a-b: oute eOvixol xa6apo( etat, oute 'IouöaTot xa0apo£, oute xpioriavoi

xaGapou 46 Will 59b Z. 24-60a Z. 6. 47 MeTacrrpcKpfivai bei Will 60b Z. 2 ist zweifelsohne als UETaypacpfivai, „abgeschrieben werden", zu lesen, vgl. Michel, Schisma und Kaiserhof'385 Anm. 1. 48 Mit der Bezeichung TxaXi'a (Will 60b Z. 5) ist wohl nicht die ganze Apenrun-Halbinsel zu versthen, sondern nur das byzantinische Herrschaftsgebiet in Süditalien. 49 Will 60b Z. 9-15. 50 Vgl. die richtige Beobachtung von Smith, And Taking Bread 115. 51 Zu den Bedeutungen des Ausdrucks in der patristischen Literatur s.: PGL 141.

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Vita Leonis die älteste und zuverlässigste Quelle für den Pontifikat Leos LX., die in ihrem Hauptteil kurz nach dem Tod des Papstes entstanden ist. Dort wird erzählt, daß das Schreiben des Leon von Achrida Kardinal Humbert während seines Aufenthaltes in Trani in die Hände fiel („gezeigt wurde") und „auf seine Bemühungen hin" ins Lateinische übersetzt53 und dem Papst überbracht wurde54. Die Übersetzung ist überaus nachlässig, an vielen Stellen liest der Übersetzer den griechischen Text nicht richtig oder er versteht ihn nicht, was manchmal den Sinn des Originals sehr entstellt. Offensichtlich ließen die Griechischkenntnisse des Übersetzers zu wünschen übrig55. Außerdem nennt die Übersetzung zwei Autoren: Als Hauptverfasser wird Patriarch Michael genannt, danach erst folgt der Name des Leon von Achrida56. Die Autorschaft des Michael Kerullarios wird durch die bisher bekannten griechischen Abschriften des Schreibens nicht bestätigt und von einer ganzen Reihe von lateinischen Quellen verworfen, so daß man an eine Fälschung denken muß. Es ist nicht ganz klar, ob das Original gefälscht wurde oder ob der Name Michael erst in der lateinischen Übersetzung erschien. Die Mehrheit der Forscher neigt dazu, daß die Einfügung auf Humbert zurückgehe, der hinter dem ,

52 Die Vita Leonis ist hier offensichtlich von einer Intitulatio aus dem sog. J3riefbuch des Kardinal Humbert", Cod. Bern, lat 292 (11. Jh.), abhängig. Eine ausführliche Beschreibung der Handschrift mit der Publikation des einschlägigen Textes s.: Hoesch, Die kanonischen Quellen 11-16, der die Zusammenstellung des Kodex bis einschheßhch f. 60 auf Humbert selbst zurückführt. 53 Es ist nicht klar, ob Humbert die Übersetzung selbst angefertigt hat, oder ob er nur der Auftraggeber war: Der Ausdruck eius studio kann in beiden Bedeutungen verstanden werden. Für eine Autorschaft Humberts plädierte Anton Michel, Schisma und Kaiserhof 386 Anm. 3; seine Schlußfolgerungen über das Corpus der Werke Humberts sind jedoch insgesamt sehr zweifelhaft (vgl. oben, Anm. 8 und 9). Ich halte die Ansicht von Friedrich Thaner für glaubwürdiger, daß Humbert die griechische Sprache nicht in dem Maße beherrschte, um allein als Übersetzer zu fungieren (MGH.LL I 98 Z. 11-20). Letzteres schließt jedoch nicht aus, daß die Übersetzung von Humbert redigiert wurde und so ihre endgültige Gestalt vom ihm erhielt. 54 Die Mitteilung der Vita Leonis stimmt mit der Nachricht des „Briefbuches des Kardinals Humbert" (vgl. Anm. 52) überein, f. 25v: „Haec quidem calumnia [d. h. der Brief Leons] graeco sermone edita et Johanni Tranensi episcopo, in sugülationem omnium Latinorum directa, cum fuisset Trani exhibita Humberto, sanctae ecclesiae Silvae Candidae episcopo, in latinum est translata eius studio atque delata domino papae Leoni nono" (Zitiert nach: Hoesch, Die kanonischen Quellen 13; vgl. dazu auch: Petrucci, Rapporti 752-753). 55 Die wichtigsten Fälle, in denen der Übersetzer den Originaltext nicht verstanden oder unaufmerksam gelesen hat, sind in den Fußnoten zu der Edition Wüls angegeben. Ich fuge noch zwei Stellen hinzu, die von Will nicht vermerkt wurden: i\ jtoXAöTg laoTÜJioig („in vielen Kopien": Will 60b Z. 2-3) wird vom Übersetzer als multis similem consuetudinem habentibus (Will 64b Z. 7) rriißverstanden; ävayvoüg (Will 60a Z. 15) widergibt er als agnoscens (Will 64b Z. 5) 56 Will, 61a: „Michael, universalis patriarcha novae Romae, et Leo, archiepiscopus Achridae metropolis Bulgarorum, düecto fratri Ioanni Tranensi episcopo". ,

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Schreiben des Erzbischofs von Achrida den Patriarchen von Konstantinopel vermutete57. In jedem Fall war man an der Kurie der Überzeugung, daß der Brief letzten Endes auf den Patriarchen selbst zurückging. Das erste uns bekannte Dokument, das eine Reaktion der päpstlichen Kurie auf das Schreiben des Erzbischofs aus Bulgarien enthält, ist der Brief Leos LX. In terra pax an die „Bischöfe Michael von Konstantinopel und Leon von Achrida", der wahrscheinlich im Frühsommer 1053 entstanden ist58. Diese Epistel ist der erste von heute zwei bekannten Briefen Leos LX. an Kerullarios. Anton Michel und eine Reihe ihm folgender Forscher haben die Meinung geäußert, daß Leo LX. nicht der Autor dieses Schreibens sein kann, sondern daß man als eigentlichen Verfasser Humbert ansehen muß59. In jüngster Zeit wird eine mögliche Verfasserschaft des Kardinals vorsichtiger beurteilt60. Unabhängig davon, welchen Anteil Humbert daran hatte, steht doch zumindest die moralische Urheberschaft Leos außer Zweifel61. Die Epistel ist kein Privatbrief, sondern ein offizielles Dokument, das im Namen und offensichtlich unter Mitwirkung des Papstes abgefaßt wurde. Das päpstliche Schreiben läßt sich nicht auf eine Beurteilung der rituellen und disziplinaren Fragen ein, die Leon von Achrida aufgeworfen hatte, sondern widmet sich zur Gänze der detaillierten Begründung des päpstlichen Primates. Lediglich am Schluß stellt es eine Folgeschrift in Aussicht, die sich mit der Frage des eucharistischen Brotes auseinandersetzen werde62. Während sich dieser Aufgabe der sog. Dialogus widmen wird, befaßt sich der erste Brief, der in der handschriftlichen Überlieferung als Libellus63 bezeichnet wird, ausschließlich mit den Privilegien und Prärogativen der römischen Kirche. Der Libellus ist fünfmal umfangreicher als das Schreiben des griechischen Erzbischofs, außergewöhnlich scharf im Ton und voller Angriffe nicht nur gegen den Adressaten, sondern auch gegen griechische Küche insge-

57 So bereits Will 54. Auch Petrucci, Rapporti 252-259, und mit ihm Tinnefeld, Michael I. Kerullarios 104 Anm. 63, halten Humbert für den Autor des Zusatzes. Für die Fälschung des Originals spricht sich Smith, And Taking Bread 124-125, aus. 58 Bis heite fehlt eine kritische Edition des Briefes. Die geläufigsten Ausgaben sind Will 65-85; und PL 143, 744-769, die auf alten Drucken basieren Zu den Ausgaben und zur handschriftlichen Überlieferung s.: Krause, Das Constitutum Constantini 133-134. Zur Datierung: Michel, Humbert und Kerullarios I 54-55 Anm. 4. 59 Michel, Humbert und Kerullarios 144-53; Hoesch, Die kanonischen Quellen 27. 60 So Uta-Renate Blumenthal (TRE XV 683 Z. 38-40); Dischner, Humbert 52, 61 So auch Michel, Humbert und Kerullarios I 53: „Ihre moraüsche Zugehörigkeit zu Leo LX. als Amtsperson muß ja unbestritten bleiben". 62 Will 84b: „...atio exordio congruum censuimus respondere vestrae calumniae, quam confratribus et coepiscopis nostris Apulis scriptam ad sugiUationem nostri azymi et praedicationem vestri fermenti non dubitastis dirigere". 63 Den gleichen Titel benutzt auch die neuere Forschung. Eine eingehende theologische Analyse des Libellus findet sich bei Petrucci, Ecclesiologia (1977).

Die ostkirchliche Herausforderung

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samt64.

Die Verurteilung des ungesäuerten Brotes der Lateiner nennt der Verfasser des Briefes „eine unerhörte Frechheit", wovon „die Mutterkirche zuinnerst erschüttert wird, die christlichen Gefühle verstummen, die kirchliche Disziplin und die Wirksamkeit der heiligen Kanones zerstört und mit Füßen getreten werden"65. Der Autor will zeigen, daß jedweder Versuch, die römische Kirche zu verurteilen, sowie jeder Widerspruch gegen ihre Lehre und ihre Gebräuche ein Verstoß gegen die göttliche Ordnung sei: „Nicht gegen uns, sondern gegen den Herrn ist euer Murren"66. Der Libellus erlangte in der Wissenschaft einen hohen Bekanntheitsgrad, weil darin ein umfangreicher Auszug aus dem gefälschten Constitutum Constantini67 angeführt wird, wobei in Betracht zu ziehen ist, daß dieses in der mittelalterlichen Literatur erstmals in solchem Umfang und in einem Dokument mit programmatischer Bedeutung zitiert wird68. Das umfangreiche Zitat daraus sollte beweisen, daß dem römischen apostolischen Stuhl „das irdische und himmlische Reich" (terrenum et coeleste imperium) zukomme: Dies anzuerkennen sei für jeden Christen notwendig, also auch für die Griechen, „wenn ihr nur Christen sein oder genannt werden wollt und nicht offen was Gott verhüten möge! die Wahrheit des Evangeliums leugnet"69. Die Berufung auf das Constitutum Constantini war, wie Hans-Georg Krause gezeigt hat, vom Verfasser nicht so sehr als Stärkung der These vom Primat der römischen Kirche gedacht, sondern vielmehr als zusätzliches Argument, um die Ansprüche auf das Patrimonium Petri zu begründen. Im konkreten Fall zielte das natürlich auf die süditalienischen Patrimonien70. Den Grundgedanken des Dokuments drückt eine Passage gut aus: -

-

64 Insbesondere werden hier auf detaülierte Weise die im Osten entstandene Häresien aufgezählt (Will 68b Z. 43 71a Z. 13), um zu zeigen, daß die römische Kirche, die super petram id est Christum et super Petrum (ebd., 68b Z. 18-19) gegründet worden war, immer, im Gegensatz zur Ostkirche, den richtigen Glauben bewahrte und post Dominum Jesum caput omnium ecclesiarum Dei ist (ebd., 71a Z. 6-7)i 65 Will 67b 68a:,Jnde est totum illud, quod tandem cum indicibili contritione et gemitu cordis ac corporis effundimus, in quo omnia viscera catholicae matris concutiuntur; in quo omnes sensus Christianorum obtunduntur, in quo disciplina ecclesiastica et sanctorum vigor canonum confunditur ac calcatur". 66 Will 83a: „Nec contra nos est murmur vestrum, sed contra Dorninum". 67 Will 72b Z. 10-74aZ. 29; 74aZ. 33-44. 68 Zur Benutzung des Constitutum Constantini in Leos Brief s.: Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung LI 383-385; Krause, Das Constitutum Constantini; Tinnefeld, Michael I. Kerullarios 105-108. 69 Will 72a: „His et ahis quamplurirnis testimoruis jam vobis satisfactum esse debuit de terreno et coelesti imperio, imo de regali sacerdotio S. Romanae et apostolicae sedis, praecipue super speciali ejus dispositione in coelis, si quoquo modo Chrsitiani esse vel dici optatis, et si ipsam evangelü veritatem aperte, quod absit! non impugnatis". 70 Krause, Das Constitutum Constantini 139-140. -

-

65

Der Azymenstreit

irgendwelche Rechte gegenüber dem apostolischen Stuhl und seiner Entscheidungen herausrümmt, können wir das nicht dulden, denn ein jeder, der versucht, die Autorität und Privilegien der römischen Kirche zu vernichten oder herabzusetzen, der hat nicht nur den Umsturz und das Verderben irgendeiner [Orts-]Kirche, sondern

„Wenn irgendjemand

aus

Hochmut sich

der gesamten Christenheit im Sinn" 71.

Das erste Schreiben Leos LX. an Kerullarios wurde, wie heute die Mehrheit der Forscher glaubt, nie abgeschickt und somit in Konstantinopel nie bekannt72. Allein der scharfe polemische Ton gegen die Griechen, der im Libellus angeschlagen wurde, und vor allem die Tendenz, die Verurteilung der römischen Bräuche als Angriff auf die Prinzipien des Christentums selbst zu interpretieren, wurden in den folgenden lateinischen Dokumenten der Jahre 1053/54 beibehalten und in mancher Hinsicht sogar überboten. Im Jahr 1054 wurde eine umfangreiche und eingehende Widerlegung des Schreibens des Leon von Achrida in Form eines Dialogs zwischen einem „Römer" und einem „Konstantinopolitaner" verfaßt, worin konkrete Fragen des Ritus und der Disziplin, die Leon von Achrida in Frage gestellt hatte, auf detaillierte Weise analysiert werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies jenes Werk, das den Griechen im ersten Schreiben des Papstes an Kerullarios versprochen worden war73. Der Dialogus antwortet auf die Angriffe der Griechen unter anderem dadurch, daß er seinerseits eine Reihe von byzantinischen kirchlichen Bräuchen angreift und zum Schluß offen mit der Exkommunikation für den Fall droht, daß die Griechen weiterhin die lateinischen Bräuche ablehnen sollten und keine Buße täten74. Noch ungehaltener, manchmal bis zur Grobheit gehend, war der Ton der Contradictio, der ebenfalls im Jahr 1054 entstandenen Widerlegung der Schrift eines Mönches aus dem Studitenkloster, Niketas Stethatos, gegen die Azymen75. Wenngleich die Schrift des Niketas auch im Vergleich zum Schreiben des Leon von Achrida 71

72

73 74

75

Will 83a: „...ut quicunque quodlibet ex superbia arripiat et sibi contra nostram Apostolicam sedem atque leges ejus usurpet, hoc nos tolerare non possumus, quia quisquis Romanae ecclesiae auctoritatem vel privilegia evacuare seu inuninuere nititur, non nie unius ecclesiae, sed totius Christianitatis subversionem et interitum machinamr". Brehjer, Le schisme oriental 100, hatte noch kein Bedenken, daß der Brief in Byzanz bekannt wurde und sogar den Patriarchen zur versöhnlichen Haltung bewogen hat. Anton Michel äußerte zunächst die Überzeugung, daß der Brief nie abgesandt worden sei (Humbert und Kerullarios I 55-57); später war er aber der Ansicht, daß der Brief doch bereits im Frühsommer 1054 übergeben wurde (Schisma und Kaiserhof 374 Anm. 7). Entscheidend sind die Untersuchungen von Krause, Das Constitutum Constantini, der gezeigt hat, daß Byzanz die Version des Constitutum Constantini nicht aus dem Libellus kannte. Der These, daß der Brief nie in Byzanz bekannt wurde, schließt sich auch Tinnefeld, Michael I. Kerullarios 106, an. Zum Dialogus s. unten, S. 118. Will 126b: „Pro quibus omnibus et aliis, quos longum est scripto prosequi, erroribus, nisi resipueritis et digne satisfeceritis, irrevocabile anathema hic et in fiituro eritis a Deo, et ab omnibus catholicis". Text in: Will 136-150.

Die ostkirchliche Herausforderung

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den Katalog der rituellen und disziplinaren Verfehlungen der Lateiner erweitert, so zieht sie doch, ähnlich wie das Schreiben des Erzbischofs aus Bulgarien, keine weitreichenden Schlüsse über die Rechtgläubigkeit der römischen Kirche und bleibt auch im Ton gegenüber den Lateinern moderat. Die lateinische Widerlegung ist ungeachtet dessen im Ton noch aggressiver als der Dialogus, voller Beschimpfungen76 und Häresievorwürfe. Leider sind heute zwei Schreiben an Leo LX. nicht mehr erhalten eines von Kaiser Konstantinos Monomachos mit dem Vorschlag eines Bündnisses gegen die Normannen, ein weiteres in versöhnlichem Ton gehaltenes von Michael Kerullarios. Diese Schreiben wurden offenbar im Zusammenhang mit der von Argyros Ende Sommer bis Herbst 1053 organisierten Reise des Bischofs Johannes von Trani nach Konstantinopel verfaßt. Man wollte nach der Niederlage von Civitate das weitere Vorgehen abstimmen, aber auch die zwischenkirchlichen Fragen, die im Zusammenhang mit dem Schreiben des Leon von Achrida an Johannes von Trani und der Reaktion der römischen Kurie darauf entstanden sind, erörtern. Die Schreiben des Kaisers und des Patriarchen brachte Johannes von Trani Ende 1053 mit nach Italien77. Über beide Schreiben sind wir nur deswegen unterrichtet, weil die Antwortschreiben Leos LX. an den Kaiser Konstantinos und an den Patriarchen von Konstantinopel, die vom Papst offensichtlich während seines erzwungenen Aufenthalts in Benevent Anfang 1054 verfaßt worden sind, diese Briefe erwähnen. Die Schreiben des Papstes, besonders jenes an den Kaiser, sollten als litterae commendatitiae für die drei Legaten, die vom Papst nach Konstantinopel gesandt wurde, dienen: für Kardinal Humbert, Kanzler Friedrich (den künftigen Papst Stephan LX.) und Erzbischof Petrus von Amalfi. Die Gesandtschaft wurde in erster Linie in politischer Absicht zum Kaiser geschickt, um gemeinsame Aktionen gegen die Normannen auf den Weg zu bringen, aber auch um kirchliche Fragen zu lösen. Die Legaten machten sich Ende Januar auf den Weg und kamen im April oder Mai 1054 in Konstantinopel an78. Am 19. April 1054, wahrscheinlich zu einer Zeit, als die Legaten noch unterwegs waren, starb Leo LX. in Rom, nachdem er etwas mehr als einen Monat seine Befreiung aus Benevent überlebt hatte79. -

perfide Stercorianista" (Will 144a Z. 18); „o abominabüis cynice, quomodo non erabuistitantumnefasevomere?"(ebd., 147b Z. 31-32); „nüserrimeNiceta" (ebd., 150b Z. 7). Zur Reise des Johannes von Trani s.: Falkenhausen, Untersuchungen 187-188. Infolge dieser Reise wurde Johannes der Titel eines Synkellos verliehen. Zu Datierungen: Michel, Schisma und Kaiserhof 405^106. Die beiden Begleitschreiben des

76 So

77 78

z.

B.: „o

Papstes gedruckt in Will 85-92; der Brief an den Kaiser auch in: Erdmann, Ausgewählte Briefe

14-19. 79 Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wann genau der Tod des Papstes in Konstantinopel bekannt wurde. Michel, Rechtsgültigkeit 196 und Schisma 425 nimmt an, daß der Tod Leos erst nach den wechselseitigen Exkommunikationen bekannt wurde. Tinnefeld, Michael I. Kerullarios 114-116, ist dagegen der Meinung „daß Kerullarios schon einige Zeit vor dem 16.07. vom Tode des Papstes wußte und dieser mithin auch in Byzanz bekannt war".

67

Der Azymenstreit

In Konstantinopel angekommen, wurden die Legaten wohlwollend vom Kaiser aufgenommen, erfuhren aber einen sehr unfreundlichen Empfang beim Patriarchen. Zu den nicht unwichtigen Episoden der Frühgeschichte des Azymenstreites gehört auch die am 24. Juni 1054 in Gegenwart des Kaisers und auf Drängen der Legaten vollzogene Verurteilung der Schrift des Niketas Stefhatos, wobei der Verfasser selbst eine Abschrift des Werks dem Feuer übergeben mußte80. Nach einer Reihe von Versuchen, zu einer Übereinkunft sowohl in politischen als auch in küchlichen Fragen zu kommen, wurde die Gesandtschaft, die eigentlich Versöhnung und Einvernehmen erzielen sollte, mit der wechselseitiger Exkommunizierung vom 16. und vom 24. Juli 1054 beendet81. Das Thema des eucharistischen Brots spielte in den Formulierungen der Exkommunikation von 1054 eine wesentliche Rolle. Wü begegnen darin zwei Schimpfworten, mit denen sich beide Seiten im Streit bedachten: „Azymit" (azymita I ägvfiiTtjg), d. h. derjenige, der mit Azymen die Eucharistie vollzieht, und „Prozymit" (prozymita I apogvfiiTng), d. h. derjenige, der behauptet, man könne die Eucharistie nur mit gesäuertem Brot vollziehen82. Die kürzere Exkommunikationsformel gegen Kerullarios lautet:

„Wer dem Glauben des heiligen römischen

und apostolischen Stuhls sowie seinem sei Anathema, Maranatha; man möge ihn sondern für einen häretischen Prozymiten. So

[eucharistischen] Opfer hartnäckig widerspricht, nicht für einen katholischen Christen halten,

geschehe es, so geschehe es, so geschehe es!"83. Somit

geht aus den Formulierungen der Verurteilung klar hervor, daß die päpstlichen Legaten im Angriff des Patriarchen von Konstantinopel und seiner Anhänger auf den 80 Darüber berichtet die Brevis et succinta commemoratio, s.: Will 151a Z. 4-19. 81 Detaillierte Analyse der Gesandtschaft s.: Michel, Schisma 405-418. 82 Das Wort ,,Azyrnit" begegnet nur in den lateinischen Texten, die zu Beginn des Azymenstreites entstanden; s. neben der angegebenen Stelle: Will 76b Z. 34; 256a Z. 37 (= Michel, Die „Accusatio" 167). In den griechischen Texten, die im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1054 entstanden sind, erscheint das Wort atjupnric, nur einmal, in der Übersetzug der lateinischen Exkommunikationsbulle ins Griechische, die in den Text des Semeioma inkorporiert wurde (Will 164a Z. 12). Deswegen ist die durch mehrere Nachschlagewerke wandernde Behauptung, daß das Wort azymitae „zum ersten Male 1053 vom bulgarischen Erzbischof Leo von Achrida im Einverständnis mit Michael Caerularius gebraucht" wurde, falsch, s.: RGG3 1804 (W. C. vanUnnik); vgl. RAC I 1061-1062 (O. Michel). Den beiden Worten „Azymit" und ,,Prozymit" sollte man nicht allzu große Bedeutung beimessen, wie dies z. B. Petzolt in LThK3 I 1327 tut, indem er die Azymenkontroverse als „Azymenstreit der Azymiten gegen die Prozymiten" bezeichnet. Die beiden Wörter erscheinen nur sehr sporadisch und überwiegend in der früheren Phase des Streites; im folgenden spielten sie in der Polemik um die Azymen kaum mehr eine Rolle. Vgl. zum Wort a^uufxnc.: LBGr 127. 83 Will 154: „Quicunque fidei sanctae Romanae et apostolicae sedis ejusque sacrificio pertinaciter contradixerit, sit anathema, Maranatha, nec habeatur Christianus catholicus, sed prozymita haereticus. Fiat, fiat, fiat".

Die ostkirchliche Herausforderung

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lateinischen Brauch bei der Eucharistie einen der munizierung des Kerullarios sahen.

wichtigsten Gründe

für die Exkom-

3. Der Auslöser des Streites

„Die Kontroverse wurde ausgelöst durch ein Schreiben des Metropoliten Leon von Achrida an den Bischof Johannes von Trani", schreibt Hans-Georg Beck in seinem klassischen Handbuch zur Kirche und theologischen Literatur im Byzantinischen Reich84. In der Tat ist der Brief des Metropoliten das erste uns bekannte Dokument der griechischen Polemik gegen die Azymen. Ob dieses Schreiben jedoch als der eigentliche Auslöser des Streites bezeichnet werden darf, scheint mir sehr zweifelhaft. Betrachtet man die ersten Dokumente der Polemik über die Azymen und vergleicht das Schreiben des Leon von Achrida mit dem ersten Schreiben des Papstes an Kerullarios, dann fällt die anscheinend unadäquate Art der Reaktion der päpstlichen Kurie auf den Brief aus Achrida auf. Man gewinnt den Eindruck, daß das päpstliche Schreiben nicht so sehr eine Antwort auf den eigentlichen Brief des Erzbischofs von Achrida darstellt, sondern eher auf etwas anderes. Selbst wenn man historisch größere Maßstäbe hinzuzieht, etwa das neue Selbstbewußtsein des Reformpapsttums, den brüsken Charakter der Hauptfiguren oder die besondere Lage in Süditalien, wovon bereits die Rede war, bleibt immer noch unverständlich, weshalb ein kurzer, im Ton moderat gehaltener Brief eines Erzbischofs aus Bulgarien, der außerdem nicht einmal nach Rom, sondern nach Apulien gesandt wurde, eine solch heftige Reaktion in der päpstlichen Kurie hervorrufen und zum Anlaß weitgehender ekklesiologischer Schlußfolgerungen und Verurteilungen werden konnte. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß man in Rom den Patriarchen von Konstantinopel als den Urheber des Briefes ansah, erscheint die Antwort immer noch nicht angemessen85. Einige Forscher bemühen sich, die Reaktion der päpstlichen Kurie in Schutz zu nehmen und im Schreiben des griechischen Bischofs gleichsam zwischen den Zeilen einen scharfen Angriff auf die römische Kirche zu sehen86. Indessen kann man das Schreiben des griechischen Bischofs nur dann so interpretieren, wenn man es in den breiteren Kontext der Vorfälle in Konstantinopel stellt.

84 Beck, Kirche 318. 85 Von „ungewöhnlich scharfer Reaktion des

Papstes" spricht z. B. Denzler, Das sog. Schisma 28; vgl. Arbagi, Byzantium in Latin Eyes 87, der sein Erstaunen über Morgenländische die Reaktion der Lateiner auf die Schriften, „politely questioning Latin customs", ausdrückt. Andresen, Handbuch I 353-354; vgl. Michel, Schisma 385 Anm. 4 und 386 Anm. „Kriegserklärung an Altrom"; nach ihm Denzler, Das sog. Morgenländische Schisma 28.

86 S.

z.

B.:

1:

Der Azymenstreit

69

Schaut man auf die Lage der lateinischen Kirchen und Klöster in Konstantinopel um das Jahr 105387, gewinnt man einen Verständnisschlüssel für die Reaktion der Lateiner. Seit dem Brief Leos LX. an Kerullarios verweisen sämtliche lateinische Schriften, die in den Jahren 1053/54 entstanden sind, auf die „Schließung" lateinischer Küchen und Klöster, die auf Geheiß von Michael Kerullarios vorgenommen worden war, sowie auf die „offene und öffentliche Verfolgung" eines jeden, der die Eucharistie mit ungesäuertem Brot vollzieht (und empfangt). Dieser permanente Anklagepunkt der lateinischen Quellen wurde in der wissenschaftlichen Literatur durchaus gesehen, man verlieh ihm jedoch nicht die Bedeutung, die ihm meiner Meinung nach zukommen müßte. Im Gegenteil, diese Zeugnisse wurden nicht selten gänzlich ignoriert oder ernsthaft angezweifelt. Das gilt vor allem für solche Arbeiten, die in der „Azymenkontroverse" einen ausschließlich theoretischen, theologischen Streit erblicken, die sich auf die Darstellung der theologischen Argumentation konzentrieren und dem Ereignishintergrund des Konfliktes von 1053/54 nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken88. Andere Forscher, die die Glaubwürdigkeit der lateinischen Quellen leugnen, begründen dies damit, daß die zeitgenössischen griechischen Quellen über die Schließung der lateinischen Kirchen und die Verfolgung von Lateinern in Konstantinopel schweigen. So hält Petrucci den Vorwurf der Lateiner für il frutto di una generalizzazione und für un 'esagerazione drammatica}9. Mahlon Smith meint: It is doubtful that the patriarch had actually committed himself to suppressing the Latin rite90; und der griechische Historiker Georgiades hielt gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Behauptung der Lateiner für eine Lüge (av-wxpnfia ipevÖog)9\ Indessen gibt es keine ernsthaften Gründe, an den Mitteilungen der lateinischen Dokumente zu zweifeln, unrichtig ist auch die Behauptung, daß die griechischen Texte die Zeugnisse der Lateiner nicht bestätigen. Und selbst wenn es Gründe gäbe, die Berichte der Lateiner über die Ereignisse, die sich damals in Konstantinopel abgespielt haben, in Zweifel zu ziehen, kann man nicht leugnen, daß die Autoren der antigriechischen Schriften der vollen Überzeugung waren, daß eine Unterdrückung der lateinischen Küche in Konstantinopel im Gange war. Nur wenn man diese Bedenken ernst nimmt, wüd die Reaktion der Lateiner plausibel, und damit auch die Entstehung des Azymenstreites. Wenn man von der Verfolgung der lateinischen Küchen in Konstantinopel spricht, verweist man in der Regel auf ein begrenztes Repertoüe von Stellen aus den Schreiben 87 Generell zur lateinischen Präsenz in Konstantinopel sowie zu lateinischen Kirchen und Klöstern in Konstantinopel s.: Janin, Constantinople byzantine 245-255; Lilie, Die lateinische Kirche. Speziell für die Zeit vor 1054 s.: Fedalto, La chiesa latina 223-225. 88 So übergeht z. B. Klaus Wessel im Kapitel über die Azymenkontroverse in: Andresen, Handbuch I 352-363, diesen Aspekt vöUig. 89 Petrucci, Rapporti 772 Anm. 97. 90 Smith, And Taking Bread 120. 91 S.: EkklAl 3 (1886) 376; vgl. Michel, Humbert und Kerullarios II 143 Anm. 1, und Ders., Schisma und Kaiserhof'380 Anm. 6.

70

Die ostkirchliche Herausforderung

Leos LX. an Kerullarios und an Kaiser Konstantinos, aus dem Dialogus und aus dem Rechenschaftsbericht der Legaten über die Reise nach Byzanz92 Indessen sind die Stellen, die bezeugen, daß nicht die Verurteilungen im Brief des Leon von Achrida die scharfe Reaktion der Kurie hervorriefen, sondern vor allem die Verfolgung der lateinischen Kirchen durch Kerullarios, zahlreicher. In einigen Passagen wird davon bildlich gesprochen, außerdem können mehrere Aussagen der lateinischen Schriften nur im Lichte dieser Voraussetzung verstanden werden. Wir haben bereits gesehen, daß im ersten Brief von Papst Leo LX. an Kerullarios die Reaktion des Papstes als „stärkste Erschütterung", als „unsägliche Trauer und Seufzen des Herzens"93 charakterisiert wird. Wodurch wurde diese hervorgerufen? Dadurch,

„...daß man von dir, unser immer noch teurer Bruder in Christo und Bischof von Konstantinopel und von dir, Leo von Achrida, berichtet, daß ihr in nicht gekannter Anmaßung und unglaublicher Kühnheit die apostolische und lateinische Kirche, ohne sie angehört und irgendeiner Sache überführt zu haben, öffentlich verurteüt habt, hauptsächlich dafür, daß sie es wagt, das Gedächtnis der Leiden des Herrn mit Azymen zu feiern"94. Aus diesem Text, in dem erstmals die griechische Polemik gegen das ungesäuerte Brot der Lateiner zur Sprache kommt, wird klar, daß hier nicht der Brief des Leon von Achrida gemeint war. Nicht dieser Brief, den der Papst in der lateinischen Übersetzung unmittelbar kennen durfte, rief den Kummer des Papstes hervor, sondern das, was man ihm „mitgeteilt habe" (dicimini), wobei offen bleibt, durch wen diese Information erfolgte. Auch der weitere Inhalt der angeführten Stelle deutet auf weitergehende Informationen hin, die der Papst unabhängig vom Brief des Bischofs von Achrida erhalten hat. Der Patriarch wird nämlich beschuldigt, er habe die lateinische Kirche „verdammt" (damnasse). Damnare ist ein sehr starkes Wort, das in christlichem Kontext meistens „verfluchen", „mit dem Anathem belegen" bedeutet, das also eine juridische Wirkung ausdrückt95: Der Inhalt des Schreibens des Leon von Achrida entspricht dem in keiner Weise. Sodann gibt der Tadel des Papstes, Kerullarios habe die lateinische Kirche ohne vorherige Anhörung verurteilt, keinen Sinn, wenn er sich auf ein literarisches Dokument bezieht. Eine Antwort auf den Brief des griechischen Bischofs stellt ja eben die Möglichkeit dar, der lateinischen Seite Gehör zu verschaffen. Der Vorwurf des Papstes erhält jedoch einen Sinn, wenn er nicht auf literarische Vorwürfe seitens der Griechen 92 So Tinnefeld, Michael I. Kerullarios 104 Anm. 63; Michel, Humbert und Kerullarios LI 143 Anm. 1. 67b Z. 43^14: „...cum indicibili 93 Will 67b Z. 36-37: „...vehementer obstupescimus..."; contritione et gemitu cordis...". 94 Will 68a: „...quia tu, charissime nobis et adhuc dicende in Christo frater et antistes Constantinopolitane, tuque Leo Archidane, dicimini apostolicam et Latinam Ecclesiam nova praesumptione atque incredibüi audacia nec auditam nec convictam palam damnasse, pro eo maxime, quod de azymis audeat commemorationem Dominicae passionis celebrare". 95 S.: Blaise 238; Niermeyer 300; zum heidnischen Sprachgebrauch s.: OLD 483^184.

71

Der Azymenstreit

zielt, sondern auf Aktionen des Kerullarios und des Bischofs

von

lateinische Kirche. Worin diese Aktionen bestanden, verrät der gleiche Brief, nur ging nämlich um die Schließung von Kirchen und das Verbot von Mutterwürde der römischen Kirche sei verletzt, weil

Achrida gegen die

an

anderer Stelle. Es

Gottesdiensten96. Die

„...ihr sie mit Beschimpfungen und Kränkungen verfolgt, und weil ihr, sogar unter Zuhilfenahme von Bannspruch und Schlägen danach strebt, ihre Lämmer von ihr abzusondern, damit diese die Stimme der Mutter nicht vernähmen und ihr nicht folgten. Wie man uns nämlich erzählt, habt ihr aUe bei euch befindhchen Kirchen der Lateiner geschlossen, habt den Mönchen ihre Klöster und Abteien weggenommen, damit sie nach euren Regeln zu leben beginnen"97.

Die Griechen werden aufgefordert, sich eines Besseren zu besinnen und Vernunft anzunehmen. Sie sollten aufhören, die Lateiner höhnisch „Azymiten" zu nennen, „ihnen die Kirchen zu verwehren" und „sie zu quälen, wie ihr [Griechen] zu tun begonnen habt"98. Sogar das Verbot der griechischen Herrscher könne, wie berichtet werde, Kerullarios und seine Anhänger nicht davon abhalten, daß sie „das auserwählte Geschlecht" (d. h. die lateinischen Christgläubigen) „öffentlich schmähen und verfluchen"99. Erst ganz am Schluß seines langen Schreibens erwähnt der Papst den Brief des Leon von Achrida an Johannes von Trani. Er bezeichnet ihn als „Verleumdung", „die ihr an unsere Mitbrüder und Mitbischöfe in Apulien gerichtet habt, um unser ungesäuertes Brot zu schmähen und eueren Sauerteig zu predigen": Dabei stellt der Autor ein anderes Werk in Aussicht, das sich mit diesem Schreiben des Leon auseinandersetzen wird100. Das erste Schreiben Leos LX. an Kerullarios ist also nichts anderes als die Antwort auf dem Papst zu Ohren gekommene Berichte über eine Verfolgung der lateinischen Kirchen in Byzanz durch Kerullarios. Nach der Darstellung des Papstes forderte man von den Lateinern, daß sie ihren eucharistischen Brauch den Griechen anglichen, widri96 97

98

99

100

„Verum vestra insolenüa nihU pendens talia speciaübus Christi ovibus claudere et interdicere non timet, in quibus temporaliter ad laudem Dei recubabant, ovilia". Will 80b-81a: „matris venerandam faciem conspuere quaeritis, dum earn inseqtiimini conviciis et maledictis, dum agnos ejus ab ea segregare etiam anathemate et flagellis, ne vocem matemam agnoscant et sequantur, contenditis. Ut enim fertur, omnes Latinorum basüicas penes vos clausistis, monachis monasteria et abbatibus tulistis, donec vestris viverent institutis". Will 76b: „...a tanta amentia resipiscite et Latinos vere catholicos atque maximi Patris familiariores discipulos iiistitutionisque ejus devotiores sectatores cessate subsannando azymitas vocare, aut ecclesias üüs denegare, seu tormenta, sicut coepistis, inferre, si vultis nunc et semper pacem et portionem cum Petro habere". Will 71: „Vos vero nec amor Dei et proximi nec reverentia divinorum canonum, aut sicut dicitur orthodoxorum principum verstrorum prohibitio revocat, quin publice maledictatis et detestemini genus electum, regale sacerdotium, gentemque sanctam". Will 84b: „alio exordio congruum censuimus respondere vestrae calumniae, quam confratribus et coepisopis nostris Apulis scriptam ad suggillationem nostri azymi et praedicationem vestri fermenti non dubitastis düigere". Will 76b:

Die ostkirchliche Herausforderung

72

genfalls würden ihre Gottesdienste verboten. Die Anspielung auf „Schläge" (flagella, tormentd) legt die Vermutung nahe, daß es dabei zu Übergriffen kam. Dieselbe Angelegenheit steht im Mittelpunkt der Schreiben Leos LX., die die päpstli-

chen Legaten dem Kaiser und dem Patriarchen überreichten. In wohlwollendem, teils freundschaftlichem Ton äußerte der Papst gegenüber dem Kaiser seine Besorgnis über die Anmaßungen des Kerullarios:

„Wir haben gehört, daß er, brennend vor Eifer, die lateinische Kirche offen verfolgt und nicht davor

zurückschreckt, alle

zu

exkorrimunizieren, die die Eucharistie mit ungesäuertem Brot

feiern"101. Wenn der Patriarch damit fortfahre, sei eine Versöhnung mit ihm unmöglich102. Gleichwohl gibt sich der Papst konziliant und hofft, daß die Anschuldigungen entweder nicht zutreffen, oder daß der Patriarch sein Verhalten ändere103. Ahnliche Formulierungen finden wir in dem zweiten Schreiben Leos LX. an Kerullarios, worin der Papst auf Gerüchte über den Patriarchen anspielt, die unglaublich erschienen, aber noch nicht überprüft werden konnten104. Erneut erhebt der Papst die Beschuldigung, daß Kerullarios gegen alle, die mit ungesäuertem Brot kommunizieren, „eine öffentliche Verfolgung" anstachele und sie exkommuniziere. Der Papst bezieht sich dabei sowohl auf Gerüchte als auch auf den „Text deines Schreibens an die Apu-

her"105. Die eigentliche Antwort auf das Schreiben des Leon von Achrida an Johannes von Trani erfolgt im Dialogus, der Punkt für Punkt die Argumente des griechischen Briefes widerlegt. Man darf in ihm die Fortsetzung des ersten Schreibens Leos LX. erkennen, er ist das aliud exordium, das am Ende des ersten Schreibens an den Patriarchen versprochen wurde. Darin wird erneut an die Schließung der lateinischen Kirchen erinnert, dazu kommen aber auch andere interessante Nachrichten: Zunächst habe

101

102 103

es

Fälle

von

Will 88b: „Sed noverit tua claritas: super praesumptionibus ejus multa et intolerabilia jamdudum pervenisse ad aures nostras, qualiter etiam aperta persecutione in Latinarn ecclesiam exardescens, anathematizare non timuit omnes, qui sacramenta attrectant ex azymis". Will 88b: „In quibus si, quod absit, pertinax merit, pacem nostram nuüatenus retinere poterit". Will 88b 89a: „Confidimus tarnen, quod praeveniente gratia Dei invenietur innoxius ab his, aut correctus, aut cito resipiscet admonitus; et efficietur non qualis dicitur, sed qualis a nobis pie -

104

desiderata et sperata". Will 90a: .J^lurima autem

105

Will 91a:

[de] tua fratemitate intolerabilia rumor jam diu pertulit ad aures nostras, quae nos, partim quia incredibiha videbanta, partim quia nulla facultas inquirendi talia concedebatur, indiscussa hucusque rehquimus". ,JJlud autem quis non stupeat, quod post tot sanctos et orthodoxos patres per mille et

passione Salvatoris annos novus calumniator ecclesiae Latinorum emersisti omnes et publicam persecutionem excitans, quicunque participarenta sacramentorum ex azymis? Quam praesumptionem tuam et fama nobis obtulit et htterarum sub nomine tuo ad Apulos datarum textus manifestavit". viginti

a

anathematizans

73

Der Azymenstreit

Wiedertaufen gegeben1 sodann hätten einige Griechen die eucharistischen Gestalten der Lateiner geschändet („mit Füßen zerstampft")107. Auf die Fälle der Wiedertaufe werden wir noch zurückkommen, hier seien allerdings die an den Heiligen Gaben begangenen Sakrilegien hervorgehoben, die das Bild der Verfolgung der Lateiner in Kon,

stantinopel, wie es sich in der päpstlichen Kurie darbot, ergänzen. Die Legaten kamen mit bestimmten Informationen nach Byzanz. Der Brief des Leon von Achrida an Johannes von Trani war nur die Bestätigung dessen, was ihnen aus anderen Quellen bekannt geworden war. Dire Aufgabe war auch, diese Informationen und Gerüchte in Konstantinopel zu überprüfen und zu verifizieren. Entsprachen die Berichte, die der Papst erhalten hatte, der Wahrheit? Der Text der Exkommunikationsbulle gegen Kerullarios vom 16. Juli 1054 läßt diese Frage positiv beantworten. Der längere von den zwei erhaltenen Entwürfen beschuldigt den Patriarchen, daß er die Legaten zur Zeit ihres Aufenthaltes in Konstantinopel „überall in Wort und Tat" verfolgte, indem er sie „Azymiten" nannte und „ihnen untersagte, die Messe zu feiern, so wie er auch früher die Kirchen der Lateiner geschlossen hatte"108. Zusammen mit Ke-

rullarios verurteilte die Exkommunikationsbulle auch den Sakellarios des Patriarchen mit Namen Konstantinos, der das Meßopfer der Lateiner mit Füßen getreten und geschändet habe109. Die griechische Übersetzung der Exkommunikationsbulle, die als Grundlage für das Semeioma, die Gegenexkommunikation des Michael Kerullarios, diente, gibt lat. Latinorum sacrificium mit tt/v töj v Aarivcov 6vmavm wieder. Jedenfalls geht es um die eucharistischen Gaben, wenn auch nicht eindeutig ist, ob sie bereits konsekriert sind oder nicht. Sowohl das lateinische als auch das griechische Wort läßt die beiden Möglichkeiten offen111. In ihrem Rechenschaftsbericht (Brevis et succinta commemoratio) erwähnen die Legaten, daß die Gesandten nach der Verkündung des Anafhems für Kerullarios und unmittelbar vor ihrer Abreise „die lateinischen Kirchen in den Grenzen Konstantinopels in Ordnung brachten"112: Das hat nur dann einen Sinn, 106 107 108 109

Will 125b Z. 44- 126a Z. 5. Will 126a: „Vere onuiino ad nescio quem panem absconditum invitatis, quando vivifica et terribüia sacramenta corporis et sanguinis Jesu Christi profanis pedibus conculcatis". Will 154a: „nobis nuntiis ecclesias ad missas agendum interdixit, sicut et prius Latinorum ecclesias clauserat, et eos azymitas vocans verbis et factis ubique persecutus fuerat". Will 154b: „Michael abusivus patriarcha neophytus et saceUarius ipsius Michaelis, Constantinus, qui Latinorum sacrificium profanis conculcavit pedibus, sint anathema". Der griechische Text der Exkommunikationsbulle im Semeioma korrigiert den Namen des Sakellarios: 6 Nixqcpopoc (Will, 164a Z. 35-36) übrigens ein Zeichen dafür, daß es sich um eine konkrete und bekannte Person handelte; vgl. Michel, Schisma 380 Anm. 7. Zum Amt des Sakellarios s.: ODB 1828-1829(Kazhdan/Magdalino); Darrouzes,Recherches 310-314. Will 164a Z. 36. S.: Blaise 731-732; Sophocles 588. Will 152a: ,JTinc ordinatis ecclesiis Latinorum intra ipsam Constantinopolün alacres -

110 111 112

coeperereverti...."

Die ostkirchliche Herausforderung

74

die lateinischen Kirchen zuvor Behinderungen erfahren hatten, also in „Unordnung" geraten waren. Die Episode der sakrilegischen Zertretung der Heiligen Gaben mit den Füßen wird auch in dem anonymen Fragmentum disputationis contra Graecos erwähnt, dessen Abfassung man nach der Ankunft der Legaten in Konstantinopel im Frühjahr 1054 in Verbindung bringen muß. Dort ist die Rede davon, daß dieses Sakrileg „ein Grieche in bischöflichem Rang" begangen habe11 Auch wenn sich die Legaten während ihres dreimonatigen Aufenthalts in Konstantinopel eine eigene Meinung über die Verfolgungen bilden konnten, stellt sich die Frage, ob man den Beschuldigungen, die sie in der Exkommunikationsbulle aussprachen, Glauben schenken darf. Oder wurden diese Anschuldigungen nur vorgeschützt, um die Exkommunikation zu rechtfertigen? Nach Hans-Georg Beck war die Exkommunikationsbulle „eine Ungeheuerlichkeit insofern, als ihr Inhalt von Unkorrektheiten und Unwahrheiten strotzte"114. Dieses Verdikt, das in der neueren Literatur vorherrscht, bedarf meines Erachtens einer gewissen Korrektur. Die Bulle stellt in der Tat an sich „eine Ungeheuerlichkeit" dar, weil ihre Verfasser ihren Gegnern Häresien anlasten, deren sie sich niemals schuldig machten. Allein den Inhalt der Bulle als eine bloße Ansammlung von faktischen Unwahrheiten zu halten, geht nicht an. Bei aufmerksamer Analyse des Inhalts kommt man zu dem Schluß, daß es für jede der darin enthaltenen Beschuldigungen einen realen Anlaß gab. Die Tatsachen entsprechen zwar nicht den altchristlichen Häresien, mit denen sie abqualifiziert wurden, aber dennoch hat jede Beschuldigung ein fundamentum in re. Insgesamt lastet die Bulle dem Kerullarios und seinen Anhängern neun Häresien an. Läßt man die Verweise der Autoren auf alte Häresien beiseite, sehen die Anklagen der Bulle folgendermaßen aus: (1) Kerullarios und seine Anhänger „verkaufen die Gabe Gottes", d. h. sie sind Simonisten. (2) Sie nehmen Eunuchen unter die Kleriker und Bischöfe auf. (3) Sie praktizieren die Wiedertaufe, insbesondere bei den Lateinern. (4) Sie behaupten, daß die Kirche Christi, die wahre Eucharistie und die wahre Taufe nur noch in der griechischen Kirche existiere. (5) Sie erlauben, daß die Altardiener in der Ehe leben. (6) Sie nennen das mosaische Gesetz verflucht. (7) Sie haben aus dem Glaubensbekenntnis die Erwähnung des Hervorgangs des Heiligen Geistes aus dem Sohne entfernt. (8) Jeden Sauerteig nennen sie beseelt. (9) Sie hängen jüdischen Bräuchen an, indem sie die Taufe von Kindern sogar bei Todesgefahr bis zum achten Tag verbieten und indem sie den Frauen während der Menstruation und bei der Geburt die Kommunion verbieten, sogar wenn Lebensgefahr bestehe. Das gleiche gelte auch für die Taufe von heidnischen Frauen. Schließlich nehmen sie jene nicht in die Gemeinwenn

.

113

Michel, Die Accusatio des Kanzlers Friedrich 166: ,,Arguimus, quod sacrificio dei detrahitis et adversus dominum linguas ut serpentes acuitis; ita, ut quidam ex vobis in archierarchica

dignitate corpori Christi anathema dixerint et ad terram cum exprobrationibus multis proiecerint et super sanguinem redemptionis nostrae pedibus immundis calcaverint". Michel wies dieses Fragment dem Kanzler Friedrich von Lothringen zu. 114

Beck, Geschichte 146.

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Der Azymenstreit

Natürlich schaft auf, die nach dem Brauch der römischen Kirche den Bart scheren machte sich Kerullarios nicht aller dieser Vergehen schuldig"6, allerdings gilt es zu fragen, inwieweit diese Anklagen der griechischen Praxis damals entsprachen, wobei freilich dann auch die Haltung des Kerullarios in Betracht gezogen werden muß. Auf die Punkte (2) und (5) braucht man nicht im Einzelnen einzugehen, sie entsprachen ohne Zweifel der Wirklichkeit117. Der Anlaß für die Behauptung (7) bezüglich des Filioque ist klar, auch wenn sie tendenziös, und zwar aus römischer Perspektive formuliert ist118. Die Punkte (6) und (8) sind aus den griechischen Schriften gegen das lateinische ungesäuerte Brot gewonnen, genauer gesagt, aus den lateinischen Übersetzungen dieser Texte. Der Satz, daß das mosaische Gesetz „verflucht" sei, basiert auf einem Übersetzungsfehler: Das Wort xarapyndevTa, „aufgehoben", das Leon von Achrida in Bezug auf die Gebote des mosaischen Gesetzes gebrauchte, las der Übersetzer als xarapnOcvTa, „verflucht", und übersetzte es mit maledictaeU9. Die Behauptung, der Sauerteig sei „beseelt", begegnet in der griechischen Polemik mehrfach. Die Widerlegung dieser Behauptung (auch mit dem Verweis auf die Häresie der Manichäer) griffen auch die lateinischen Werke gegen die Griechen aus den Jahren 1053/54 auf12 Die griechischen Invektiven gegen das ungesäuerte Brot und gegen die Taufe durch einmaliges Untertauchen führte die Verfasser der Bulle zu dem Schluß (4), die Griechen zweifelten die Gültigkeit der lateinischen Sakramente an und damit auch die Kirchengliedschaft der lateinischen Kirche. Dieser Schluß ist angesichts der teils extremen Rituskritik nicht weit hergeholt. Eine eingehendere Beurteilung verdienen die Punkte (1), (3) und (9). .

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115

[1] sicut Simoniaci donum Dei vendunt; [2] sicut Valesü hospites suos ad clericatum sed insuper ad episcopatum promovent; [3] sicut Ariani solum castränt, et in nomine sanctae Trinitatis baptizatos, et maxime Latinos; [4] sicut Donatistae rebaptizant affirmant excepta Graecorum ecclesia ecclesiam Christi et verum sacrificium atque baptismum ex toto mundo periisse; [5] sicut Nicolaitae camales nuptias concedunt et defendunt sacri altaris ministris; [6] sicut Severiani maledictam dicunt legem Moysis; [7] sicut Pneumatomachi vel Theumachi absciderunt a symbolo Spiritus sancti processionem a Filio; [8] sicut Manichaei inter alia, quodlibet fermentatum fatentur ammatum esse; [9] sicut Nazareni carnalem Judaeorum munditiam adeo servant, ut parvulos morientes ante octavum a nativitate diem baptizari contradicant, et midieres in menstruo vel partu periclitantes communicare, vel si paganae fuerint baptizari prohibeant, et capülos capitis ac barbas nutrientes eos, qui comas tondent, et secundum mstitutionem Romanae ecclesiae barbas radunt, in communione non Will, 153b- 154a:

„...

non

recipiunt". 116 117 118 119 120

Wie dies Anton Michel, Die römischen Angriffe 422, zu Recht betonte. Zu den Eunuchen im kirchlichen Amt s.: ODB 746-747. Vgl. Michel, Schisma 420. Will 58b Z. 10 und Anm. 26; vgl. Will 63a Z. 16. Will, 104b Z. 21.

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Die ostkirchliche Herausforderung

(1) Es ist bekannt, daß die Simonie in der byzantinischen Kirche weithin üblich und im 11. Jahrhundert praktisch „institutionalisiert" war121. In unserem Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob die Beschuldigung in der Bulle auf konkreten, den Legaten bekannten Fakten gründet oder ob sie pauschal erhoben wurde, um die Schwere der Anklagen zu vergrößern. Anton Michel teilt die Anklagen der Exkommunikationsbulle in gerecht und ungerecht erhobene ein122. Zu den ungerechten Anklagen rechnet Michel auch den Vorwurf der Simonie, weil Kardinal Humbert (den Michel für den alleinigen Autor der Bulle hält) in seinem späteren Werk Adversus simoniacos die Griechen „für durchaus rein von Simonie" erkläre123. In der Tat verweist Humbert im dritten Buch gegen die Simonisten (entstanden 1057-58) auf eigene Beobachtungen während seines Aufenthalts in Konstantinopel im Jahre 1054 und auf die Zeugnisse, die er persönlich von Kaiser Konstantinos darüber erhalten hatte, daß „weder der Kaiser selbst, noch irgendjemand aus den Laien sich jemals ein Recht angeeignet habe, über Kirche, kirchliche Weihen oder Besitztümer zu verfügen", sondern daß alles „den Metropoliten und kirchlichen Leuten zur Verfügung stünde"124. Indessen geht hier die Rede nicht darüber, daß es in der griechischen Kirche überhaupt keine Simonie gegeben habe. Humbert kam es nur darauf an, zu unterstreichen, daß in Byzanz die weltliche Macht kein Recht hatte, über kirchliche Besitzungen zu verfügen. Was jedoch die Käuflichkeit kirchlicher Würden in der griechischen Kirche betrifft, wird diese von Humbert hier ausdrücklich bestätigt. In dieser Beziehung ist für ihn die Ostkirche kein Muster zur Nachahmung. Die Praxis der Ostkirche sei nur „erträglicher" (tolerabilius) im Vergleich mit dem Westen, weil kirchliches Eigentum im Osten nur „an Metropoliten und ihre Verwandten" verkauft werde, wohingegen es im Westen auch „an Fürsten und deren Verwandte" gelangt125. Wenn man in Betracht zieht, daß der Begriff „Simonie" bei Humbert einen weiten Sinn hat und den beliebigen Kauf und Verkauf von kirchlichen Besitzungen und 121 122 123 124

125

Zur Simonie in der byzantinischen Kirche s.: ODB 1901-1902 (Macrtdes). Michel, Schisma 420-421. Michel, Schisma 421. Humbert, Adversus simoniacos, üb 3, cap 8 (ed. cit. 207): „...sicut auditu et visu comprobavi et insuper ab ore orthodoxae memoriae imperatoris Constantini Monomachi in ipsa regia urbe pro apostolicae sedis responsis positus agnovi, nec ipse Imperator nec laicorum quilibet ullam dispositionem ecclesiarum aut ecclesiasticarum ordinationum seu facultatum sibi praesumit, sed cuncta simul postquam semel relicta sunt, relinquuntur disponenda metropolitanis et ecclesiasticis personis". Humbert, Adversus simoniacos, lib 3, cap 8 (ed. cit. 206): ,JJistrahitur ergo partim et sparsim res ecclesiastica prius a principibus et eorum familiaribus, deinde a metropolitanis et eorum familiaribus. Neutra quippe venditio fit sine mediatoribus. Quanto tolerabilius venderetur, si saltern exemplo orientalis et transmarinae ecclesiae a metropolitanis tantum eorumque familiaribus venderetur, quia bis tantum et non quater venderetur. Quamvis enim multimodis erroribus ecclesiae Constantinopolitani imperii vexentur, ab hoc tarnen immunes per omnia noscuntur".

11

Der Azymenstreit

Würden bezeichnet, aber keineswegs mit der Laieninvestitur identifiziert wird (wie das wahrscheinlich Michel angenommen hat), wird klar, daß diese Stelle im dritten Buch von Adversus simoniacos in keiner Weise dem Text der Exkommunikationsbulle widerspricht, sondern ihn vielmehr bestätigt. Welche konkreten Fälle von Simonie bei den Griechen die Verfasser der Bulle vor Augen hatten, ist unbekannt. Jedoch fällt dadurch neues Licht auf die bereits oben erwähnte Absetzung des Erzbischofs von Trani und Siponto Johannes im Jahre 1059. Wie eine Bemerkung des Petrus Damiani über diese Absetzung nahelegt, wurde der Erzbischof wahrscheinlich der Simonie überführt127. Vielleicht standen den Legaten bei ihrer Verdächtigung Bischöfe wie Johannes von Trani vor Augen, die enge Beziehungen mit Byzanz pflegten. (3) Eindeutige Zeugnisse über die Wiedertaufen von Lateinern in Byzanz um die Mitte des 11. Jahrhunderts haben sich in griechischen Quellen bisher nicht gefunden. Patriarch Michael Kerullarios wirft jedoch in seinem berühmten Katalog der Abweichungen der westlichen Kirche vom wahren Glauben, der sich in dem 1054 verfaßten Brief an den Patriarchen von Antiocheia Petros III. findet, den Lateinern die Taufe durch einmaliges Untertauchen vor, worüber er von „einigen" benachrichtigt worden sei128. Bekanntlich wurde die Taufe durch einmaliges Untertauchen tatsächlich in Spanien praktiziert. Anton Michel vermutet, daß der spanische Mönch Johannes dem Kerullarios als Dolmetscher in byzantinischen Diensten davon erzählt haben konnte129. Die Panoplia, die von Anton Michel dem Kerullarios zu Umecht zugeschrieben wurde und in Wirklichkeit aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts stammt130, enthält die klare Behauptung, daß „der durch einmaliges Untertauchen Getaufte nicht getauft" sei Auf alle Fälle ist klar, daß Kerullarios bereits um die Mitte des 11. Jahrhunderts gegen die Taufe durch einmaliges Untertauchen ernsthafte Zweifel hegte, wenn er sie nicht .

Dazu s.: LMA VII 1923 (R. Scheffer). Petrus Damiani, Opusculum XXXI, cap 6 (ed. cit. 538 D 539 A): ,,Niinquam certe vidisse me memini pontificales baculos tarn continuo radiantis metalli nitore contectos, sicut erant qui ab Esculano atque Tranensi gestabantur episcopis. Uterque tarnen, alter in Apulibus finibus, Nicoiao praesidente; alter in Lateranensi ecclesia, coram Alexandro, Romanis scilicet pontificibus, sunt dejecti. Nec eis profuit quod pontifices ügneis auratis usi sunt bacuüs". 128 Will 182a: cöc. bi tivec. quäc. öiEßaio&aavro, xai tcx OeTov ßduraaua ejuteXoüvtec. toüc, ßajiTL^ouxvoug ßctrtTi^ouaiv eIc, uiav xaTa&uaiv tö övopa toü itaTpög xai toü uioü xai 126 127

-

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129 130 131

äylov jrvEup-ciTog inOdyovrtq.

Will 161a: töv uovaxöv 'Ia>äwT|v tov Tajiavöv. S. dazu unten, S. 101 (Nr. 36). Michel, Humbert und Kerullarios II 276: Et Tic. oti ßarcTÜ^ETai üq tö övop.a toü Jiaxpöc, xai toü uioü xai toü äyiov irvEuucrcoc, xai £v Tpiai xaTaöuaEaiv, qvouv ev ui