Palintonos Harmonia: Studien zu komischen Elementen in der griechischen Tragödie 9783666251696, 3525251696, 9783525251690

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Palintonos Harmonia: Studien zu komischen Elementen in der griechischen Tragödie
 9783666251696, 3525251696, 9783525251690

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HYPOMNEMATA 72

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Hartmut Erbse/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig/Bruno Snell

HEFT 72

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÜTTINGEN

BERND SEIDENSTICKER

Palintonos Harmonía Studien zu komischen Elementen in der griechischen Tragödie

VANDENHOECK Sc RUPRECHT IN GÖTTINGEN

CIP-Kuiztitelaufnabme

dei Deutschen

Bibliothek

Seidensticker, Bernd:

Palintonos harmonía: Studien zu kom. Elementen in d. griech. Tragödie / Bernd Seidensticker. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1982. (Hypomnemata; H. 72| ISBN 3-525-25169-6 NE:GT

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1982 - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Satz: Dörlemann-Satz GmbH &. Co. KG, Lemförde. Druck: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Jahre 1979 dem Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg vorgelegen hat. Literatur ist nur in einzelnen Fállen nachgetragen worden. Ich danke den Herausgebern für die Aufnahme der Arbeit in die HYPOMNEMATA, der DFG für einen Druckkostenzuschuß und allen, die mir im Verlaufe der Entstehung der Arbeit durch Rat, Kritik und Ermunterung geholfen haben. Hamburg, April 1982

B. S.

Inhaltsverzeichnis 0. Einleitung

9

1. Theoretische Vorüberlegungen 1.1 Tragödie und Komödie 1.2 Tragikomödie - Begriff und historische Formen 1.3 Das Tragikomische

14 14 20 27

2. Homer 2.1 Ilias 2.1.1 Hektor und Andromache 2.1.2 Thersites (II. 2,211-277) 2.1.3 Hephaistos (II. 1,571-600) 2.1.4 Hera und Zeus (Ii. 14,153-360) 2.1.5 Kampf der Götter (II. 21,391-520) 2.2 Odyssee 2.2.1 Ares und Aphrodite (Od. 8,266-366) 2.2.2 Polyphem (Od. 9,105-566) 2.2.3 Iros (18,1-119)

46 50 50 53 55 56 56 59 59 61 62

3. Aischylos

65

4. Sophokles

76

5. Euripides 5.1 Troades 1050 5.2 Herakliden (630-747) 5.3 Orestes (1369-1536) 5.4 Bakchen 5.4.1 Teiresias und Kadmos (170-369) 5.4.2 Pentheus als Bakchantin (912-970) 5.5 Alkestis 5.6 Helena 5.7 Taurische Iphigenie 5.8 Ion

89 89 92 101 115 116 123 129 153 199 . 211

6. Schluß

242

Appendix A: Zur Trennung von Tragödie und Komödie in der antiken Dramentheorie

249

Appendix B: Zu Theorie und Praxis der Tragikomödie im 15.-18. Jhdt

261

Literaturverzeichnis

272

0. Einleitung In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Literaturwissenschaft sich immer intensiver dem irritierenden Phänomen des Tragikomischen und seiner dramatischen Realisierung in der Tragikomödie zugewandt. Zahlreiche Artikel und Bücher beschäftigen sich mit den komplexen ästhetischen, rezeptionspsychologischen und philosophischen Problemen der Synthese von Komik und Tragik und mit der Fusion der beiden großen dramatischen Gattungen Tragödie und Komödie zu immer neuen tragikomischen Mischformen. Wie nicht anders zu erwarten, haben dabei Shakespeare und die moderne Tragikomödie von Ibsen und Tschechow bis Ionesco und Beckett, Dürrenmatt und Albee die Aufmerksamkeit am stärksten auf sich gezogen. Angesichts dieser Forschungssituation in den philologischen Nachbardisziplinen ist es verwunderlich, daß der additiven und synthetischen Verbindung komischer und tragischer Elemente in der griechischen Tragödie - vor allem bei Euripides - von Seiten der klassischen Philologie nicht die Beachtung zuteil geworden ist, die sie verdient. Die vorhegende Studie ist ein Versuch, diese Lücke zu schließen. Zwar gibt es in der umfangreichen Tragödienliteratur zahllose Beobachtungen und mehr oder minder ausführliche Interpretationen der komischen Qualität einzelner Verse oder Versgruppen, Situationen oder Personen, Szenen oder auch ganzer Stücke; eine systematische interpretative Analyse des Materials hegt jedoch nicht vor. Die beiden kleinen Studien von Rearden (1914) und Biffi ( 1961 ) sind nicht viel mehr als - zudem unvollständige und im einzelnen problematische - Aufzählungen komischer Elemente in der griechischen Tragödie, und die gründhchere alte Arbeit von J. Schmidt, „Euripides' Verhältnis zu Komik und Komödie" (1905), hat zwar als Materialsammlung durchaus noch ihren Wert, ist jedoch durch die neuere Euripidesforschung überholt. Zwar ist die Bezeichnung Tragikomödie, vor allem im englischen Sprachraum, schon seit langer Zeit immer wieder zur Charakterisierung bestimmter euripideischer Tragödien verwendet worden; Einigkeit herrscht jedoch weder darüber, welche Stücke als Tragikomödien bezeichnet werden sollten, noch über die grundsätzliche Berechtigung der Verwendung des Begriffs. Ledighch Kitto ' (implizit) und Barnes (explizit) haben versucht, ihren Gebrauch des Begriffs theoretisch zu fundieren. Κπτο, Greek Tragedy, 311-29.

Es ist bezeichnend, daß auch neuere Enzyklopädien im Bereich der klassischen Philologie wie das „Lexikon der Alten Welt" oder „Der kleine Pauly" keine Artikel s.v. Tragikomödie bzw. tragikomisch enthalten^ und daß die Begriffe sogar in Leskys Standardwerk über „Die tragische Dichtung der Hellenen" keinerlei Rolle spielen. Diese Forschungslage mag verschiedene Gründe haben. Zweierlei scheint mir von besonderer Bedeutung: 1. die scharfe Trennung von Tragödie und Komödie in der antiken Praxis und Theorie, die ihren rigorosesten Ausdruck in Ciceros kompromißlosem Urteil: est in tragoedia comicum vitiosum et in comoedia turpe tragicum gefunden hat; und 2. die von Schelling und Schlegel bis zu Guthke immer wieder vorgetragene Behauptung, daß das Tragikomische und die Tragikomödie eindeutig moderne Phänomene seien. „Vor dem Ende der Aufklärung ist man im allgemeinen nicht bereit dafür." " Das sind in der Tat entmutigende Feststellungen, die, wenn sie zutreffend wären, eine Untersuchung wie die von mir geplante von vornherein zimi Scheitern verurteilen würden. Glücklicherweise sind sie es nicht. Für Ciceros Urteil ist das evident. Ein Bhck auf Shakespeares Tragödien (auf den Pförtner im ,Macbeth' oder den Bauern in ,Antonius und Cleopatra', die Totengräber im ,Hamlet' oder den Narren im ,Lear') aber auch auf Goethes ,Faust', Schillers ,Räuber' oder Büchners ,Woyzeck' genügt, um zu zeigen, daß es als allgemeines ästhetisches Urteil keine Gültigkeit beanspruchen kaim. Daß es auch als Beschreibung der Cicero bekannten dramatischen Produktion der Antike falsch ist, wird spätestens bei der Analyse komischer Elemente von Homer bis Euripides deutlich werden. Guthkes Ansicht ist nicht so leicht zu widerlegen. Über ihre Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit wird der Leser erst am Ende meiner Überlegungen urteilen können. Seine These war der eigentUche Anstoß für meine Arbeit, die die Gegenthese vertritt, daß die Anfänge des Tragikomischen sich bis zu Homer zurückverfolgen lassen und daß die Gattung Tragikomödie in Euripides, dem modernsten der drei großen griechischen Tragiker, ihren ersten Meister besitzt. Die Grundlage der folgenden Untersuchung, die dem Beweis dieser These gilt, bilden theoretische Überlegungen zur Trennung der beiden großen dramatischen Gattungen in der antiken Theorie und Praxis, zur ^ Das Oxford Classical Dictionary^ bietet zwei Zeilen s.v. tragicocomoedia mit dem Hinweis auf Plautus' ,Amphitruo'. ' Cie. de opt. gen. erat. 1. * GUTHKE, 7 .

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Geschichte des Begriffs Tragikomödie und zur Definition des Tragikomischen. Drei kurze Kapitel zu komischen Elementen in den homerischen Epen sowie bei Aischylos und Sophokles sollen klären, ob und in welchem Ausmaß sich bereits vor (und neben) der euripideischen Tragödie Ansätze zur tragikomischen Technik finden. Der Hauptteil der Arbeit gilt aber natürHch Euripides, der von der ,Alkestis' bis zu den ,Bakchen' mit den verschiedensten Formen der Kombination komischer und tragischer Elemente gearbeitet hat. Dabei werden zunächst die Stücke besprochen, in denen Euripides einzelne komische Elemente in insgesamt durchaus ernste bzw. tragische Handlungen integriert hat, und im Anschliiß daran die Dramen ausführlich interpretiert, die durch eine spannungsreiche ,gegenstrebige Harmonie' (παλίντονος άρμονίη) von Komik und Tragik bestimmt sind. Zusammengefaßt und abgerundet werden die Interpretationen durch allgemeine Überlegungen zur ,neuen Tragödie' des Euripides und zu den historischen und geistesgeschichtUchen Bedingungen ihrer Entstehimg. Auf zwei eng miteinander verknüpfte Probleme der modernen Euripidesforschung fällt dabei, so hoffe ich, neues Licht: 1. auf die Frage nach dem Ton, nach der modalen Qualität einzelner Verse, Szenen und Stücke, eine Frage, die Knox^ in seiner wichtigen Rezension von Burnett, Catastrophe Survived, zu recht als Zentralproblem der Euripidesinterpretation bezeichnet hat; und 2. auf die Frage, zu welcher dramatischen Gattung bestimmte euripideische Stücke zu rechnen sind. Das terminologische Chaos, das Stücke wie die ,Alkestis', ,Helena' oder ,Ιοη', um nur die extremen Fälle zu nennen, verursacht haben, wird nur den Kritiker nicht beunruhigen, der sich mit einem Verweis auf Wilamowitz' berühmte Definition der griechischen Tragödie® und der ebenso richtigen wie hilflosen Feststellung beruhigt, daß für den athenischen Zuschauer im 5. Jahrhundert ,Helena' und ,Ιοη' genau so Tragödien gewesen seien wie Aischylos' ,Perser' und Sophokles' ,Oidipus Tyrannos'. Die bunte Vielfalt des erhaltenen euripideischen Werks hat Kritiker seit der Renaissance zu generischer Differenzierung ermuntert. Die jeweils sieben erhaltenen aischyleischen und sophokleischen Stücke bieten bei allen Unterschieden ein recht einheitliches Bild und stellen den Kritiker kaum vor Gattungsprobleme. Die Vielfalt des euripideischen Oeuv5 KNOX, Perspectives, 270.

' WILAMOWITZ, Herakles, I 108: „Eine attische D:agödie ist ein in sich abgeschlossenes Stück der Heldensage, poetisch bearbeitet in erhabenem Stile für die Darstellung durch einen attischen Bürgerchor und zwei bis drei Schauspieler, und bestimmt als Teil des öffentlichen Gottesdienstes im Heiligtume des Dionysos aufgeführt zu werden."

II

res, eine Vielfalt, die wir dem Zufall der Überlieferung verdanken, hat dagegen lediglich bei Shakespeare ihresgleichen ^ Wenn wir dieser Vielfalt und der besonderen Qualität vieler euripideischer Dramen gerecht werden wollen, bedürfen wir m. E. unbedingt der Hilfe moderner Gattungstheorie und ihrer differenzierten Begriffhchkeit. Daher seien an dieser Stelle ein paar allgemeine Bemerkungen zur Berechtigung, ja Notwendigkeit, moderne Gattungsterminologie (mitsamt ihren heuristischen Imphkationen) für die Interpretation antiker Dramatik fruchtbar zu machen, vorausgeschickt. Gegen den Vorwurf der Ahistorizität eines solchen Verfahrens sei erstens daran erinnert, daß sich zurecht niemand daran stört, daß die Interpreten archaischer Lyrik von Snell bis Kirkwood den lambographen Archilochos ganz selbstverständlich zusammen mit den Lyrikern Sappho und Alkaios behandeln. Wichtiger ist jedoch der vielleicht auf den ersten Blick als beckmesserisch erscheinende Hinweis, daß die Griechen die verschiedenartigsten Stücke des Euripides ja nicht alle als Tragödien bezeichneten, wie immer wieder von den Philologen behauptet wird, die sich gegen die Verwendung moderner Termini wenden, sondern als τραγφδία. Unser Begriff Tragödie (oder auch tragedy, tragédie und tragedia) trägt in sich die philosophischen und literaturwissenschaftlichen Diskussionen und Definitionen von Schelling und Hegel bis zu Nietzsche und Schopenhauer und von Lessing bis Szondi, und er evoziert für den modernen Rezipienten und Kritiker die großen Tragödien Shakespeares und der französischen und deutschen Klassik. Das aber bedeutet, daß die Verwendung unseres Begriffs Tragödie (auch wenn es sich um ein griechisches Lehnwort handelt) kaum weniger ahistorisch ist als die anderer moderner Gattungsbegriffe wie z. B. Melodrama oder Tragikomödie. Dieser Ausweg aus dem Gattungsdilemma, in das uns viele euripideische Stücke stürzen „für die Griechen war es eben eine Tragödie" - bleibt uns also verschlossen. Ja, er birgt sogar nicht unerhebhche Gefahren. Gattungserwartung ist ein wichtiger Faktor in der Rezeption eines hterarischen Werks. So kann es, wie z. B. im Falle der ,Helena' dazu kommen, daß ein Stück zunächst als Tragödie aufgefaßt und bezeichnet wird, und dann, weil es die an den Begriff geknüpften Erwartungen nicht erfüllt, als „nicht tragisch" oder „schwache Tragödie" kritisiert wird, oder daß Ton und Atmosphäre einzelner Verse und Szenen oder die Qualität einzelner Figuren mißverstan-

' Es wäre gewiß nur ein Spiel, aber doch ein aufschlußreiches Spiel, für die zahlreichen verschiedenen dramatischen Formen Shakespeares die jeweiligen euripideischen Parallelen zu suchen.

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den werden; hierfür sei an die unangemessenen, zum Scheitern verurteilten Versuche erinnert, aus der ägyptischen Helena eine tragisch leidende Heroine zu machen®. Und die Folgen falscher Erwartung können bis in die Textkonstitution hineinreichen. Auch dafür bietet die ,Helena' instruktive Beispiele, in der moderne Kommentatoren wiederholt in den überlieferten Text eingegriffen haben, weil er ihrer Meinung nach der tragischen Qualität einer Szene oder einer Person nicht anstehe. Schheßhch sei noch ein weiterer wichtiger Grund für die Verwendung moderner differenzierter Gattungsterminologie angeführt, der sich aus der Aktualität der griechischen Tragödie und der Vermittlungsfunktion der klassischen Philologie ergibt. Es scheint mir wichtig, Literaturwissenschaftler benachbarter Fächer und Komparatisten, Theaterpraktiker und interessierte Laien nicht dadurch irrezuführen, daß man die verschiedenartigsten Stücke alle als Tragödien bezeichnet und dadurch nicht nur falsche Assoziationen und Erwartungen weckt, sondern auch den wesentlichen Beitrag des Euripides zur Geschichte verschiedener dramatischer Gattungen, die erst in der Neuzeit ihre volle Verwirklichung erreicht haben, verdunkelt'. In der folgenden Arbeit wird also konsequent von einem modernen Standpunkt aus gefragt und gedeutet, ohne daß dabei etwa der schwierige Versuch, der jeweiligen Intention des Autors so nahe wie möglich zu kommen, aufgegeben ist. Ausgeklammert bleiben zwei Problemkreise, die an die gewählte Fragestellung angrenzen: erstens die Bedeutung der euripideischen Tragödie für die Entwicklung der neuen Komödie und zweitens die Verbindung von Scherz und Ernst in den vielfältigen Erscheinungsformen des sogenannten σπουδαιογέλοιον". Die komplementäre Frage nach tragischen Elementen in der antiken Komödie von Aristophanes über Menander bis zu Plautus und Terenz bedarf einer eigenen Untersuchung'^.

« Cf. dazu U.S. 155 ff. ' Cf. U.S. 246 ff. Dazu zuletzt ausführlich A . G. KATSOURIS, Tragic Patterns in Menander, Athen 1975. Ч Vgl. dazu R. HELM, RE 15, 1 (1931), 888-893 (s.v. Menippos], C. A . VAN ROOY, Studies in Classical Satire and Related Lit. Theory, Leiden 1965, 90-116; sowie die kleine Studie von L. GIANGRANDE, T h e Use of Spoudaiogeloion in Greek and Roman Literature, Den Haag-Paris 1972. Für die interessante Kombination tragischen und komischen Spiels in der tetralogischen Festspielordnung, nach der auf jeweils drei Tragödien ein Satyrspiel folgte, sei es erlaubt, auf meine Ausführungen in dem von G. A . SEECK edierten Sammelband, Das Griechische Drama, zu verweisen.

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1. TheoTetische Vomberlegungen „est in tragoedia comicum vitiosum et in comoedia turpe tragicum."

1.1 Tragödie und Komödie Am Ende des platonischen Symposion sitzen, so berichtet der Erzähler Aristodemos, nur noch Agathon, der Tragiker, Aristophanes, der Komödienschreiber, und Sokrates, der Phüosoph, beieinander; alle anderen sind längst von Wein und Schlaf übermannt eingeschlafen. Sokrates führt, wie immer, das Gespräch, während sie weiter aus einer großen Schale trinken. An die einzelnen Argumente der Diskussion kann sich Aristodemos nicht erinnern, wohl jedoch an das diskutierte Problem: καΐ τά μέν άλλα ó 'Αριστόδημος ούκ έφη μεμνήσθαι τών λόγων — ούτε γάρ έξ άρχής παραγενέσθαι ύπονυστάζειν τε — τό μέντοι κεφάλαιον, έφη, προσαναγκάζειν τόν Σωκράτη όμολογείν αύτούς τοΟ αύτοΟ άνδρός είναι κωμφδίαν καί τραγφδίαν έπίστασθαι ποιείν, καί τόν τέχνη τραγφδοποιόν όντα (καΐ) κωμφδοποιόν είναι, ταύτα δή άναγκαζομένουσ αύτούσ καί ού σφόδρα έπομένουσ νυστάζειν (223d 1-7). Man mag es mit Guthke bedauern, daß „die Diskussion um dieses faszinierende Thema derart im Sande verläuft"', bzw. genauer, daß Piaton seinen fingierten Berichterstatter keine Einzelheiten des Gesprächs mitteilen läßt. Eines jedoch wird mit gewünschter Klarheit deutüch: Sokrates versucht auch in diesem Falle, eine allgemein akzeptierte und praktizierte ,Wahrheit' zu widerlegen. Die Tatsache, daß er Agathon und Aristophanes offensichthch nur mit einiger Anstrengung zu dem Eingeständnis ,zwingen' karm, daß sehr wohl ein und derselbe Autor fähig sein müsse, sowohl Tragödien wie Komödien zu schreiben^, zeigt, daß die klare Tren' GUTHKE, 13.

^ Zur Bedeutung dieser These zuletzt D. CLAY, The Tragic and the Comic Poet of the Symposion, Arion 2, 1975, 238-61 imd MADER, 58-79 (mit gründlicher Diskussion der älteren Lit.); besonders hingewiesen sei auf das leicht exzentrische, für diesen Aspekt des Symposion jedoch fruchtbare Buch von C. KRIIGER, Einsicht und Leidenschaft, Das Wesen des platonischen Denkens, Frankfurt 1963'; sowie H. KUHN, Die wahre Tragödie - Piaton als Nachfolger der Tïagiker, in: Das Piatonbild, Zehn Beiträge zum Piatonverständnis, hrsg. von

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nung der dramatischen Gattungen bis zu diesem Moment von ihren beiden erfolgreichen Repräsentanten als selbstverständlich und natürlich betrachtet worden ist, d. h. aber auch, von Plato als allgemeingültig vorausgesetzt wird. Im ,Staat' verweist Sokrates selbst auf die faktische Trennung von Tragödie und Komödie: Ούκούν Kai περί μιμήσεωσ ó αίτός λόγος, ότι πολλά ó αύτύς μιμεΐσθαι εδ ώσπερ ëv ού δυνατός; Ού γαρ οδν. Σχολή άρα έπιτηδεύσει γέ τι άμα τών άξίων λόγου έπιτηδευμάτων καΐ πολλά μιμήσεται καί δσται μιμητικός, έπεί που ούδέ τά δοκούντα έγγύς άλλήλων είναι δύο μιμήματα δύνανται οί αύτοί άμα εδ μιμεΐσθαι, οίον κωμφδίαν καί τραγφδίαν ποιούντες. ή ού μιμήματε άρτι τούτω έκάλεις; "Εγωγε- καί άληθή γε λέγεις, δτι ού δύνανται οΐ αύτοί. Ούδέ μήν ί)αψωδοί γε καί ύποκριταί άμα. Άληθή. 'Αλλ' ούδέ τοι ύποκριταί κωμφδοίς τε καί τραγωδοίσ οί αύτοί' πάντα δέ ταύτα μιμήματα. ή ού; (394e 8ff.)^ Die einseitige Spezialisierung von Autoren (395a 2-4) und Schauspielern (395a 10) auf eine der beiden großen dramatischen Gattungen ist in der Tat im griechischen Theater" nahezu total^ Nicht ein einziger Fall eines Autors, der Sokrates' These durch die Praxis verifiziert hätte, ist sicher bezeugt^, und der erste Schauspieler, von dem wir zuverlässig wissen, daß er sowohl in Tragödien wie auch in Komödien gespielt hat, ist

K. GAISER, Hildesheim 1969, 231-323 (dtsche Neufassung von: The True Tragedy - On the Relationship between Greek Tragedy and Plato, HSCP 52, 1941, 1-40 und 53, 1942, 37-88. ^ Zu dem nur scheinbaren Widerspruch der beiden zitierten Platonstellen К т о , Form and Meaning, 226. * Schon in Rom ist diese strikte Ti-ennung von Anfang an (Livius Andronicus, Naevius) aufgehoben. 5 Vgl. FUCKINGER, 2 0 2 F . ; LESKY, Tïag. Dichtung, 2 6 F . ' Zu Ion von Chios, von dem Schol. Aristoph. Pax 835 und Suda s.v. διθυραμβοδιδάσκαλοι auch Komödienproduktion konstatieren vgl. A. v. BLUMENTHAL, Ion von Chios, Stuttgart 1939, 3; 35; zu Timokles, von dem W n A M O w n z , Ind. Schol. Gott. Sem. hib. 1889, 23 ff. und NJBB 3 18991, 515 A 4, wohl zu unrecht annahm, daß er Komödien und Satyrspiel verfaßt habe, vgl. Th. WAGNER, Symb. ad com. Graec hist. crit. cap. quatt., Leipzig 1905, 63 ff. und KÖRTE, Re VI A, 1260f. s.v. Timokles (3); vgl. auch B. SNELL T G F 1, 86 (Timocles); in der 2. Hälfte des 2. Jhdts vor Chr. scheint Thymoteles Philokieos, den wir als Ti-agödiendichter keimen, als Schauspieler in Komödien agiert zu haben; vgl. J. B. O'CONNOR, Chapters in the History of Actors and Acting in Ancient Greece, Chicago 1908, Nr. 245 u. FINCKINGER, s.o. A. 4, 203; Vgl. Weiter auch Α. GUDEMAN, Aristoteles Poetik, 1934, 121.

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Praxiteles um 100 ν. Chr. L Die Tatsache separater Tragödien- und Komödien-Agone für Autoren wie für Schauspieler und die nicht unerhebliche zeitliche Differenz in der staatlichen Anerkennung der beiden dramatischen Genera dokumentieren die scharfe Trennungslinie zwischen Tragödie und Komödie ebenfalls deutlich, und das Beispiel, das Leukipp und Demokrit® nach Aristoteles' Zeugnis zur Erläuterung der Atomtheorie verwendeten, beweist, daß in klassischer Zeit diese Trennung nicht etwas als pragmatische Folge von Arbeitsteilung und Organisationsformen angesehen, sondern als Ausdruck wesensmäßiger Heteronomie aufgefaßt wurde. Δημ. δέ καί Λ. ποιήσαντες τα σχήματα τήν άλλοίωσιν καί τήν γένεσιν έκ τούτων ποιοΟσι, διακρίσει μέν καί συγκρίσει γένεσιν καΐ φθοράν, τάξει δέ καί θέσει άλλοίωσιν. έπεί δ' φοντο τάληθές έν τφ φαίνεσθαι, έναντία δέ καΐ άπειρα τά φαινόμενα, τά σχήματα άπειρα έποίησαν, ώστε ταΐς μεταβολαΐς τοΟ συγκειμένου τό αύτό έναντίον δοκείν άλλω καί άλλω, καί μετακινεΐσθαι μικροΟ έμμειγνυμένου καΐ όλως έτερον φαίνεσθαι ένός μετακινηθέντος έκ τών αύτών γάρ τραγφδία καί κωμωδία γίνεται γραμμάτων'. Die erhaltenen Bruchstücke der umfangreichen poetologischen Diskussion der Antike zeigen, daß diese όλως έτερον - Theorie vom 5. Jahrhundert bis zu Tzetzes gültig ist'". Im wesentlichen handelt es sich um Gorgias und Piaton, Aristoteles und seine Schüler", die in Argumenta und Scholien greifbare Theorie der antiken Philologen sowie die von Kaibel zusammengestellten Prole-

' Vgl. FLICHNGER, 203; O ' C O N N O R , S.O. Anm. 6, Nr. 261 |lranios|, 415 (Praxiteles|, 562 lAnonymos); für die Choreuten galt die strikte Trennung offenbar nicht, jedenfalls nicht zu Aristoteles' Zeiten (cf Arist. Pol. 1276b 4-6|. « DIELS-KRANZ, Die Fragmente der Vorsokratiker Π'", 1960, unter Leukipp A9; doch wahrscheinlich, wie immer wenn Aristoteles beide zusammen nennt, eher Demokrit. ' Arist. de gen. et corr. 315b 6ff.; vgl. dazu H. DIELS, Elementum, 13f.; von den beiden möglichen Erklärungen des Vergleichs: a| wie z.B. auch die beiden Wörter Tragödie und Komödie aus denselben Buchstaben gebildet sind, und b| wie z.B. auch die Texte der Tragödieund Komödie aus denselben Buchsuben gebildet werden, ist b) zweifellos vorzuziehen. Sie ist weit über Tzetzes hinaus, zumindestens bis ins 18. Jhdt., von großer Bedeutung geblieben. " Vor allem Theophrast und Chamaileon von Herakleia (Frg.: F. ^HRLI, Die Schule des Aristoteles, Heft IX, 1969 Vgl. dazu A. TkENDELENBURG, Grammaticorum Graecorum de arte tragica ludida, Bonn 1867; Α. ROEMER, Zu Würdigung und Kritik der Tragikerschohen, Philologus 65, 1906, 24ff.; W. ELSPERGER, Reste und Spuren antiker Kritik gegen Euripides, Philologus Suppl. XI, 1907, Iff.; L. E. LORD, Literary Criticism of Euripides in the Early Σ, Diss. ìàle

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gomena ΠΕΡΙ ΚΩΜΩΙΔΙΑΣ dazu kommen zahlreiche verstreute Einzelbemerkungen bei Dichtern und Philosophen, Grammatikern und Buntschriftstellern. Da diese Quellen ein relativ einheitliches Bild bieten, erscheint eine systematische Zusammenfassung der Kriterien für die Differenzierung der beiden bedeutendsten dramatischen Gattungen als gerechtfertigt. Eine ausführUchere Diskussion der vier Kriterien bietet Appendix A an dieser Stelle genügt das Ergebnis der Analyse. Die bunte Vielfalt der quantitativ und qualitativ unterschiedlichsten Quellen läßt sich ohne große Schwierigkeiten unter vier Gesichtspunkten ordnen. Tragödie und Komödie unterscheiden sich nach Auffassung der antiken Dramentheorie hinsichtlich: 1. der moraHschen Qualität und sozialen Position ihrer Helden; 2. der Stoffe sowie der Qualität und dramatischen Struktur der Handlungen; 3. des Stils; 4. der Wirkung. Die Tiagödie präsentiert Helden, die ,besser' sind und/oder sozial höher stehen als der Durchschnitt. Ihre Stoffe entnimmt sie dem Mythos bzw. der Geschichte; die Handlung ist gewichtig und ernst; die einzelnen Schritte sind sorgfältig motiviert, wahrscheinlich oder zwangsläufig; die Tragödie führt üire Helden in der Regel ,vom Glück ins Unglück'. Der Stil ist, Personen und Handlungen angemessen, erhaben und ernst. Die Wirkung, auf die alles zielt, ist lammer und Schrecken. Die Komödie dagegen unterhält den Zuschauer mit Menschen, die ,schlechter' sind als der Druchschnitt; sie zeigt gewöhnhche kleine Leute mit ihren Fehlern und Lastern. Ihre alltäglichen Geschichten erfindet sie selbst; sie müssen leicht sein und lustig; am Anfang kann es auch einmal böse aussehen, wenn nur alles gut ausgeht. Der Stil der Komödie ist, Personen und Handlungen angemessen, einfach, umgangssprachlich, lustig. Ihr Ziel ist das Vergnügen des Zuschauers, Entspannung, Spaß und Gelächter. Helden und Stoffe, Thematik und Handlungen, Stil und Wirkung: die theoretische Trennung der beiden Gattungen ist so vollständig wie die praktische. Cicero hat den Gattungszwang auf die rigorose Formel geUniv. 1908; G. EGGERKING, De Graeca artis tragicae doctrina, imprimis de affectibus tragicis, Diss. Berlin 1912, 43ff.; MCMAHON, Seven Questions on Aristotelian Definitions of Tragedy and Comedy, HSCP XL, 1929, 97-198. " G. KAIBEL, CGF 3 - 8 3 ; d a z u id., D i e P r o l e g o m e n a Π Ε Ρ 1 Κ Ω Μ Ω Ι Δ Ι Α Σ , A b h a n d l u n g

der königl. Gesell, d. Wiss. zu Göttingen NS 2, 4, Berlin 1898. " Dort auch Überlegungen zur Entwicklung der Theorie, d.h. zu Alter und Entstehungsbedingungen, Einfluß und Abhängigkeit der einzelnen Elemente der Theorie. 17

bracht: est in tragoedia comicum vitiosum et in comoedia turpe tragicum Es ist aufschlußreich, Euripides an diesen Kriterien zu messen: die oft fragwürdige charakterliche Qualität seiner auf Mittelmaß reduzierten Helden und die wachsende Zahl und Bedeutung kleiner Leute; das Ausmaß von Innovation und freier Fiktion bei der Verarbeitung mythischer Stoffe; der Reahsmus seiner Figuren; die Betonung alltäglicher Gegenstände, Situationen und Probleme von Alkestis' Kleidertruhen bis zu Elektras Wasserkrug und Ions Besen; von Admets Sorge um die Sauberkeit des Palastes bis zu der Befürchtung des Auturgos, er könne seinen Gästen nichts Anständiges vorsetzen; von Andromaches und Hermiones Streit um denselben Mann bis zu Menelaos' Bettelei; dazu eine gewisse Vorliebe für letztlich harmlose Probleme und Gefahren; schließlich die wachsende Freiheit des Sprechverses und der einfache, oft kolloquiale Stil; und als Ergebnis all dessen eine breite Skala emotionaler Wirkungen von Jammer und Schrecken bis zu spöttischem Gelächter und amüsierter Heiterkeit. Nimmt man all dies zusammen, so steht Euripides auch für den antiken Literaturkritiker mit seinen Kriterien irgendwo zwischen Tragödie und Komödie, bald näher an Aischylos, bald dichter an Menander. Die spärlichen Reste antiker Euripideskritik, die sich in Hypotheseis und Scholia erhalten h a b e n b i e t e n übrigens durchaus Anhaltspunkte für eine derartige Beurteilung ^^ Das jedoch, wird man einwenden, beweist nicht, daß Euripides und seine Zuschauer sich dieser Tatsache auch bewußt waren. Denn hier handelt es sich um nachklassische Theorie, rekonstruiert auf der Basis unterschiedlichsten Materials aus mehr als 1000 Jahren und zudem für Cie. de opt. gen. orat. 1. S.o. Anm. 12. " So heißt es z.B. in der Satyros-Vita (Kol. VII 1) - der Anfang des Satzes ist nicht erhalten: πρός γυναίκα καΐ πατρί πρός υΐόν καΐ Οεράποντ' πρός δεσπότην, ·ή τά κατά τάς περιπετείας, βιασμούς παρθένων, ύποβολάς παιδίων, άναγνωρισμούς δνά τε δακτυλίων καΐ διά δεραίων ταύτα γάρ έστι δήπου τά συνέχοντα τήν νεωτέραν κωμφδίαν, & πρός άκρον ήγαγεν Εύριπίδης. Philemon |fr. 130 Коек) läßt eine seiner Gestalten ausrufen: εΐ ταΐς άληθείαισιν ol τεθνηκότες αΙσΟησιν εΓχον, άνδρες, ώς φασίν τίνες, άπηγξάμην άν ώστ' Ιδείν Εύριπίδην, und bezeugt damit indirekt, daß auch die Dichter die große Bedeutung des Euripides für die Entwicklung der Komödie empfunden haben.

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die Komödie nicht orientiert an der Komödie des 5. Jahrhunderts, sondern an der mittleren und neuen Komödie. Im 5. Jahrhundert führen Tragödie und Komödie, obwohl Töchter desselben Vaters Dionysos und gemeinsam aufgewachsen im Schöße des väterlichen Kults, nicht nur ein getrenntes Leben, sondern haben sich in der äußeren Erscheinung und im Geist so weit voneinander entfernt, daß niemand auf den Gedanken kommen konnte, Euripides nähere sich bei seinen Experimenten mit der Tragödie des Aischylos und Sophokles der Komödie des Aristophanes. „For the fifth-century Athenian tragedy was tragedy and comedy comedy, and never the twain should meet·®." Das ist gewiß richtig, doch m. E. zu rigoros. Es läßt sich nicht nur zeigen, daß die erhaltenen, zeitlich und qualitativ weit auseinanderliegenden Bruchstücke der antiken Dramentheorie sich letztlich alle auf Aristoteles zurückführen lassen oder doch aus aristotelischen Ansätzen weiterentAvickelt sind sondern auch, daß wichtige Bestandteile der Theorie älter sind als Aristoteles, ja bis ins 5. Jahrhundert zurückgehen. Leider sind die poetologischen Überlegungen der Sophisten weitgehend verloren gegangen^". Wir besitzen jedoch ein unschätzbares Zeugnis für die Wirkung des Euripides auf seine Zeitgenossen, ein Zeugnis, das, wie Pohlenz wahrscheinlich gemacht hat, von der sophistischen Diskussion mitgeprägt ist^'. Es handelt sich um die Reaktion eines kompetenten Kritikers und besonders aufmerksamen Beobachters der Entwicklung der Tragödie. In den 406 aufgeführten ,Fröschen' läßt Aristophanes unter den Augen des Richters Dionysos Aischylos und Euripides darüber streiten, wem der Ehrenplatz unter den Tragikern gebühre. Im Hin und Her des Agon wird Aristophanes' Urteil über die euripideische Tragödie deutlich Der aristophaneische Aischylos wirft Euripides vor, daß er die edlen Helden, die er von ihm geerbt habe, „in erbärmliche üble Wichte verwandelt" (1011), statt heroischer Halbgötter Bettler und Huren ^^ „Pflastertreter und Gaukler, Klatschweiber und durchtriebene Schelme" (1015) präsentiert und an die Stelle erhabener Gedanken und großer Worte alltägliches Geschätz gesetzt habe^". Euripides verteidigt sich damit, daß er als guter Demokrat (952) jedermann habe zu Wort kommen lassen " KNOX, Euripidean Comedy, 69. "

V g l . d a z u KAIBEL, S.O. A n m . 1 3 ¡ M C M A H O N , S.O. A n m . 12 s o w i e A p p e n d i x A . KRANZ, S t a s i m o n , 4 .

"

POHLENZ, A n f ä n g e .

" Zur poetologischen Bedeutung des Agons vgl. neben POHLENZ, Anfänge, besonders SNELL, Aristophanes und die Ästhetik, Entdeckung, 111-126; und J. COMAN, Le concept de l'art dans les ,Grenouilles' d'Aristophane, Bukarest 1941. " 841 f., 1063ff.; 849f., 1043ff. » 1058 ff., 1069ff.

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(948ff.), daß er „die ganze Häuslichkeit, worin wir sind und leben" (959) dargestellt und den „geschwollenen" Stil des Aischylos einer Abmagerungskur unterzogen habe (939-43). Kein Zweifel - der aristophaneischen Parodie liegen dieselben Beurteilungsmaßstäbe zugrunde, die später ganz allgemein zur Differenzierung von Tragödie und Komödie dienen. Das bedeutet gewiß nicht, daß Aristophanes dem Euripides vorwirft, er nähere sich mit seiner un-aischyleischen Tragödie der Komödie, - für ein solches Urteil lebte er etwa 100 Jahre zu früh - wohl aber, daß der Dichter der ,Frösche' genau verstand, wieweit und wodurch sich Euripides in vielen Szenen und Stücken von Geist und Gattungsgesetzen der ,alten' Tragödie entfernt hatte ^^ Das aber müssen viele Zuschauer bei der Betrachtung der ,Alkestis', der ,Helena' oder des ,Ιοη' empfunden haben, auch wenn sie die Stücke in Ermangelung eines anderen Begriffs weiterhin als τραγωδία bezeichneten.

1.2 Tragikomödie - Begriff und historische Formen Der Begriff Tragikomödie taucht in der erhaltenen antiken Literatur^* nur an einer einzigen^' Stelle auf, im Prolog des plautinischen Amphitruo. Wahrscheinhch eine scherzhafte Augenbhcksbildung^', ist er ohne jede Wirkung auf die dramatische Theorie und Praxis geblieben, bis ihn die Renaissance wiederentdeckt und mit neuem Leben und Inhalt füllt. Sprachliche Form und intendierte Bedeutung der Neuprägung sind nicht völlig klar.

Aristophanes' kritischer BUck war scharf und ging tief. Hinter den summarisch groben Vorwürfen und plakativen Ubertreibungen, mit denen er den aufklärerischen Revolutionär Eurípides als Zerstörer der alten ^agodie angreift, liegen genaue Beobachtungen und präzise Analyse des Neuen. Das gilt für die Charakterisierung der euripideischen Sprache und des untragischen Tons ebenso wie für die Feststellung einer Entmythisierung von Atmosphäre, Situation und Thematik; es gilt aber vor allem für die aristophaneische Kritik an Statur und moralischer Qualität der euripideischen Helden und den Vorwurf des Verlustes an moralisch-pädagogischer Substanz (cf. dazu u.S. I I I ff., 244f.). " Es ist zwar nicht zu entscheiden, doch sehr unwahrscheinlich, daß der Begriff in der nicht erhaltenen theoretischen Literatur eine bedeutende RoUe gespielt hat. " Schol. zu Stat. Theb. 4, 147 |P. JAHNO, Leipzig 1908) zitiert Plautus' Charakterisierung des Amphitruo: luppiter mutatus in Amphitruonem concubuisse cum Alcmena Electryonis fiUa dicitur in urbe Tirynthia. unde natus est Hercules, unde et Tirynthius dicitur. de qua Plautus tragicocomoediam dixit. J. C. ScAUGER, Poet. 1 , 7 : festive (ut solet) Plautus Amphitruonem suam tragicocomoediam appellavit, in qua personarum dignitas atque magnitudo comoediae humüitati admistae essent.

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Nunc quam rem oratum hue ueni primum proloquar; post argumentum huius eloquar tragoediae. quid? contraxistis frontem quia tragoediam dixi futuram hanc? deus sum, commutauero. eandem hanc, si uoltis, faciam (iam) ex tragoedia comoedia ut sit omnibus isdem uorsibus. utrum sit an non uoltis? sed ego stultior, quasi nesciam uos uelle, qui diuos siem. teneo quid animi uostri super hac re siet: faciam ut commixta sit tragico comoedia; nam me perpetuo facere ut sit comoedia, reges quo ueniant et di, non par arbitror. quid igitur? quoniam hie seruos quoque partis habet, faciam sit, proinde ut dixi, tragieo[co]moedia (Amph. 50-63). Nach einer ebenso langen wie gewundenen captatio benevolentiae (1-49) versucht Mercurius, der Spreeher des Amphitruo-Prologs, endUch zur Sache zu kommen; er verspricht eine Erklärung für sein Auftreten als Prologus und die nötige Information über den Inhalt des Stücks (50f.). Doch der fingierte Unwillen der Zuschauer über die scheinbar zufällige Charakterisierung des bevorstehenden Spiels als tragoedia (51) führt zu einem erneuten Excurs; Mercurius erklärt sieh zunächst bereit, die geplante Tragödie in eine Komödie zu verwandeln (53-55), schränkt dann jedoch mit einem entschuldigenden Hinweis auf die Ständeregel sein großzügiges Angebot ein und verspricht nun eine Komödie mit tragischen Elementen, eine tragicomoedia (63). Sehwering hat bereits 1917^' gezeigt, daß der überlieferte Text in Vers 59 durchaus in Ordnung ist und daß ledigheh in Vers 63 die haplologisehe Form tragicomoedia herzustellen ist^°, die Eingang in die modernen Sprachen gefunden hat^'. Seine Erklärung der Verse 59-63, die erstaunlicherweise von den Editoren nicht zur Kenntnis genommen worden ist^^, legt den Sehluß nahe, daß es sieh um eine ad-hoc-Bildung für

" W. SCHWERING, Die Entstehung des Wortes tragicomoedia, IF 37, 1916/17, 139-141. ^ Zur Haplologie M. LEUMANN, Lateinische Laut- und Formenlehre, München 1926-28 (19631 179f. ' ' Die ersten neuzeithchen Plautusausgaben (mit Ausnahme der dritten des Paraeus (Frankfurt 1641) bieten die überlieferte Form; in Kommentaren taucht jedoch tragicomoedia früher auf (vgl. GOETZ, Fleck. Jbb 1 1 3 , 1 8 7 6 , 355ff.; SCHWEMNG, S.O. Anm. 2 9 , 1 4 1 Anm. 1, s. SCALIGER, Poet. 1, 7 und Paraeus im Lex. Plaut., Frankfurt 1614. Lediglich E. PARATORE, Amphitruo, Firenze о. J., erwägt im kritischen Apparat, ohne ScHWERiNG zu пеппеп, dieselbe Lösung.

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eben diesen Prolog handelt Nicht zwingend ist allerdings Schwerings Schlußfolgerung: „Damit gewinnen wir das Resultat, daß die griechische Vorlage des ,Amphitruo' die erste unter diesem Namen auf die Bühne gekommene τραγικωμωδία war^··." Denn ob dieser Teil des AmphitruoPrologs eine Übersetzung des von Plautus bearbeiteten griechischen Stücks^' ist oder plautinische Zutat, dürfte kaum mit letzter Sicherheit zu entscheiden sein^^; und selbst wenn man einmal hypothetisch eine griechische Vorlage für diese Verse annimmt, bleibt die exakte sprachliche Form des griechischen Begriffs ungewiß. Es ist möglich, jedoch nicht sicher, daß er ebenfalls die haplologische Form τραγικωμωδία für τραγικοκωμφδία gehabt hat^^ Keine der beiden Bildungen ist nachzuweisen; beide passen in den Trimeter. Komposita mit τραγί - oder τραγικό - sind nicht bekannt. Eine Parallele bietet lediglich die mehrfach belegte umgekehrte Koppelung der beiden uns interessierenden Elemente. Die Form κωμφδοτραγωδία ist als Titel dreier Dramen des 5. und 4. Jahrhunderts bezeugt^' und findet sich außerdem zweimal bei Porphyrios^', der das Wort anscheinend in Anlehnung an Piatons Tf| τοΟ βίου συμπάστ) τραγφδίςι καί κωμφδίςι (Phil. 50b) gebildet hat''". Porphyrios verwendet es - in der langen Tradition des Leben-Theater-Vergleichs - metaphorisch als „Komitragödie des menschlichen Lebens", d. h. zur Bezeichnung einer unre-

" ScHWERiNG, S.O. Апш. 29, weist darauf hin, daß man den Begriff in den Versen 59ff. gleichsam entstehen sieht (nach Vorbereitung in 59, Neubildung in 63|. Auch USSING, ad loc, verteidigt den überlieferten Wortlaut in 59, hest dort aber tragicocomoedia in einem Wort. ScHWERiNG, s . o . А п т . 2 9 , 1 4 0 .

" So außer SCHWERING auch Fr. LEO, Plaut. Forschungen, Berlin 1912^ 215; Ph. E. LEGRAND, Daos, Lyon/Paris 1910, 511; T. В. L. ^^^BSTER, Studies in Later Greek Comedy, Manchester 1953, 88 f. ABEL, 38, denkt an plautinische Schöpfung; seine Begründung ist erwägenswert, aber keineswegs zwingend. „Der Scherz wirkt m.E. nur unter der Voraussetzung, daß das Publik u m nicht sicher weiß, ob man eine Tragödie oder eine Komödie aufführen wird (stimmt das wirklich?). Diese Bedingung ist in Athen nicht e r f ü l l t . . . So ist dieser Vers (und die folgende Witzelei, 52-63, die gänzlich von ihm abhängt] nicht für ein attisches Publikum erdacht". " Auch im Griechischen sind beide Bildungen mögUch (vgl. E. SCHWYZER, Griech. Grammatik, München 1950, I 452ff.). Ä« АШаюз: Anaxandrídes:

MEINECKE, F C G Π 2 , 8 3 0 (I 247F.); KOCK, C A F 1 760,- EDMONDS, Р А С 1, 8 9 0 . MEINECKE, F C G Ш 1 7 1 ; К о е к , C A F Π 1 4 4 ; EDMONDS, F A C Π 5 4 ;

Deinolo-

cbos·. KAIBEL, CGF, 149; id. RE s.v. Deinolochos. " Porphyrios, Marc. 2, ap. Stob. 3, 21, 28. In der zweiten Stelle, die Stobaeus (3, 21, 28) aus Porphyries' Schrift περί τ ο ύ γ ν ώ θ ι σ α ύ τ ό ν ausgehoben hat, bezieht sich Porphyrios ausdrücklich auf die Diskussion der άγν ο ι α in Piatons Philebos.

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gelmäßigen Mischung von heiteren und traurigen, komischen und tragischen Ereignissen. Für die Bedeutung der Dramentitel und die Natur der κωμφδοτραγφδίαι des Deinolochos, Alkaios und Anaxandrides, von deren Existenz Porphyries vermutlich nicht einmal wußte, sagt das wenig. Die spärUchen Fragmente der Stücke helfen ebenfalls nicht weiter. Meineke"' imd Kock^^ verweisen - mit aller Vorsicht - auf Plautus' Charakterisierung des ,Amphitruo' als tragicomoedia; doch abgesehen von der Tatsache, daß es sich bei den drei griechischen Komödien offensichtlich nicht wie bei Plautus um eine Gattungsbezeichnung, sondern zunächst einmal um den Titel handelt·*^, ist es recht unwahrscheinlich, daß die von Plautus expressis v e r b i s f ü r den Zwitter tragicomoedia angeführte Rechtfertigung (Ständeregel) auch für Deinolochos, Alkaios und Anaxandrides Gültigkeit hatte. Unsere Kenntnis dieser drei Autoren - oder besser zweier von i h n e n v o n Deinolochos wissen wir so gut wie nichts"' legt den Schluß nahe, daß es sich bei ihren Stücken um Mythentravestien gehandelt hat'*^ Das gilt ebenso für die Hilarotragodia des R h i n t o n u n d trifft, auch wenn Plautus einen anderen Grund anführt, auch für den ,Amphitruo' zu. Die drei verwandten Begriffe κωμφδοτραγωδία, τραγι(κο)κωμφδία und Ιλαροτπαγφδία sind alle drei Determinativkomposita'*', in denen normalerweise der erste Bestandteil charakterisierende Funktion hat und

MEINECKE, F C G «

I 247 (zu Alkaios).

KOCK, C A F I 7 6 0 .

Natürlich impliziert der Stücktitel auch Gattungscharakterisierung; ob die drei Stücke irgendwelche Verbindungen aufwiesen (Abhängigkeit, Identität des Stoffes o. ä.|, kann nicht festgestellt werden. " Zu der Mischung von Personen (s.o. S. 21) kommen weiter Stilmischung und vor allem Happy-End; ausserdem mag Plautus (bzw. seine Quelle) mehr als nur äußerhch-formale Gründe un Sinn gehabt haben. Zu Anaxandrides vgl. neben MEINECKE, KOCK und EDMONDS auch R E I, Sp, 2078 f. (KAŒEL); ZU Alkaios, R E I, Sp. 1506, 12 (KAIBEL). KAIBEL, GGF 149-51; id. RE IV, Sp. 2393; KAIBELS Bedenken gegen eine Frühdatierung des Deinolochos sind m.E. nicht zwingend. Zur Bedeutung der Mythentravestie (vor allem in der Mese) vgl. LESKY, 708 ff. Zu Rhinton: M. GIGANTE, Rintone e ü teatro in Magna Grecia, Napoh 1971; KAIBEL, GGF 183ff. (id RE ΠΙ 1, Sp. 556 s.v. Blaesus); A. OLIVIERI, Framm. della comm. e del mimo nella Sic. e nella Magna Grecia, Parte sec. Framm. della comm. fhacica, Neapel 1947^; E. WÜST, RE XX 1, Sp. 292-306 s.v. Φλύακες. Vgl. E. RiscH, Wortbildung der homerischen Sprache, 1974^ 212ff.; id. IF 59, 1944/49, 1 ff. u. 245ff.; A. DEBRUNNER, Griech. Wortbildungslehre, Heidelberg 1917, 41 ff.; E. ScHWYZER, Griech. Grammatik, München 1950, I 428 ff. (weiter W. BURKERT, G R B S 7, 1966, 92f. mit Anm. 12).

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vom zweiten syntaktisch abhängig ist^°. Das bedeutet: τραγωδία κωμφδική bzw. Ιλαρά sowie κωμωδία τραγική. Daraus ergibt sich die Frage, ob die umgekehrte Reihenfolge der Kompositionselemente eine Bedeutungsdifferenz signalisiert. So hat z. B. der Jesuit J. Masenius in seiner wichtigen Theorie der Tragikomödie Komitragödie und Tragikomödie sorgfältig gegeneinander abgegrenzt: Komitragödie als Komödie mit tragischem Ausgang, Tragikomödie als Tragödie mit ,komischem' Happyend". Ein derartiger Unterschied ist in den nicht an eine systematische Theorie gebundenen antiken Termini nicht vorhanden. Deinolochos, Alkaios und Anaxandrides charakterisieren, wie es scheint, ihre Stücke durch den Titel ,komische Tragödien' als komische Bearbeitungen eines an sich der Tragödie zugehörigen und vielleicht bereits von Tragikern bearbeiteten Stoffes; Ähnliches gilt für Rhinton. Plautus, bzw. der Autor des von ihm bearbeiteten griechischen Stücks, rechtfertigt die Bezeichnung „tragische Komödie" mit der Mischung von Personen, die an sich verschiedenen dramatischen Gattungen angehören. Den drei Komposita ist also gemeinsam, daß sie Dramen bezeichnen, in denen die von der poetologischen Theorie der Antike fein säuberlich differenzierten Züge miteinander vermischt sind: im ,Amphitruo' ,tragische' und ,komische' Personen, in den griechischen Komodotragodiai und in Rhintons Hilarotragodia ,tragischer' Stoff und ,komische' Bearbeitung. Ein Blick auf die Geschichte des Begriffs Tragikomödie, die nach langem Dornröschenschlaf am Ende des 15. Jahrhunderts erst eigentlich beginnt, zeigt, daß für mehrere Jahrhunderte eben diese Mischung heterogener Elemente zugleich theoretische Begründung und praktische Richtschnur von Dichtern und Kritikern gewesen ist. Tragikomödie konnten " alle Stücke genannt werden, die die klassische Trennungslinie durchbrachen und die Gattungscharakteristika von Tragödie und Komödie miteinander verbanden. So rechtfertigen Carlo und MarceUino Verardi, die im Jahre 1493/94 den plautinischen Terminus tragicocomoedia" ,wiederentdeckten' und als Untertitel für ihr ,carmen de Ferdinando servato' (eines historischen Dramas über das glücklich vereitelte Attentat auf König Ferdinand von Spanien im Jahre 1492) verwenden, im Vorwort den Begriff (unplauti-

Nur in wenigen Ausnahmefällen bestimmt der zweite Bestandteil den ersten (Ιπποπόταμος, αίγαγρος; SCHWYZER, I 429). " J. MASEN, Palaestra eloquentiae ligatae, 1654-57 (Text s. Appendix B, S. 266). " Es müßte natürlich nicht jedes derartiges Stück Tragikomödie heißen; Beispiele für die herrschende terminologische Verwirrung s. u. Anm. 55. " Die vollständige Form tragicocomoedia fanden die Brüder X^RARDI in den ersten Plautusausgaben.

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nisch") folgendermaßen: quod personarum dignitas et regiae maiestatis impia ilia violatio ad tragoediam, iucundus vero exitus ad comoediam pertinere videantur; d. h. ,tragische' Personen und Stoff und ,komischer' Ausgang ist gleich Tragikomödie. In den folgenden Jahrhimderten werden die verschiedenartigsten Mischformen als Tragikomödien (oder mit verwandten Begriffen) bezeichnet. In Itahen, Portugal und Spanien, Frankreich und England, Holland und Deutschland charakterisieren Autoren ihre lateinischen oder volkssprachlichen Stücke als Tragicomoedia (tragicocomoedia), comoedia tragica, drama tragicomicum und comicotragicum, Trauer- und Lustspiel, traurige Comedi etc. " Cloetta, Creizenach, Lancaster, Ristine und vor allem Herrick und Guthke" haben die Geschichte der Renaissance- und Barocktragikomödie gründUch aufgearbeitet, so daß ich mich auf eine systematische Zusammenstellung beschränken kann. Vom Ende des 15. bis ins 18. Jahrhimdert wurde der Begriff Tragikomödie für alle Arten von dramatischen Texten verwendet, in denen die in der antiken Theorie für Komödie und Tragödie festgelegten Gattungsnormen durchbrochen und Charakteristika der Tragödie und Komödie miteinander vermischt waren. Die gebräuchlichsten „historischen Formtypen"" sind dabei: 1. Stücke, in denen Personen aus verschiedenen sozialen Schichten miteinander oder nebeneinander agieren (Ständeregel). 2. Stücke, die tragische und komische Stoffe (Situationen, Ereignisse, Handlungen) miteinander verknüpfen.

GUTHKE, 24,,kritisiert' ihre Begründung als „Probe der hohen Kunst der Zweckinterpretation", doch sollte man nicht vergessen, daß die von ihnen angeführte Rechtfertigung aucb auf dem Amphitruo zutrifft. Die Terminologie ist alles andere als einheitlich. So hat z. B. HERRICK, 5 5 , darauf hingewiesen, daß die zahlreichen Stücke über Kreuzigung imd Auferstehung Christi z.T. als Tragödien bezeichnet sind (so z.B. der ,Theoandrathanatos' des Quintianus Stoa ( 1 5 0 8 ) und der ,Christus Chilonicus' ( 1 5 2 9 ) des N. Bartholomaeus), z.T. jedoch als Komödien firmieren (so der ,Christus Triumphans' des John Fox (1551) und der ,Triumphus Christi' von Schonaeus) oder tragische Komödien genannt sind (so der ,Christus Redivivus' ( 1 5 3 4 ) von N. Grimald und die ,Magdalena Evangelica' ( 1 5 4 6 ) des Petrus Philicinus); GUTHKE erwähnt, daß N. Grimald in der Zuneigung seinen ,Christus Redivivus' als „vel comoedia vel tragoedia vel utraque" chrakterisiert (vgl. auch den Untertitel, den Hans Sachs seiner ,Kindheit Christi' ( 1 5 5 7 ) gab: ,comedi oder tragedi'j. " W. CIOETTA, Beiträge zur Literaturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Halle 1890-92; W. CREIZENACH, Geschichte des neueren Dramas, Halle 1893-1903, H. C. LANCASTER, The French Tragicomedy, Its Origin and Development from 1551-1628, Baltimore 1907; RISTTNE, HERRICK und GUTHKE s. Lit. Verz. "

GUTHKE, 14.

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3. Tragödien mit glücklichem Ausgang bzw. Komödien mit tragischem Ausgang 4. Stücke, die tragischen und komischen Stil miteinander verbinden. 5. Stücke, die einen tragischen Stoff in komischer Sprache bzw. einen komischen Stoff in tragischer Sprache behandeln. 6. Stücke, die so zwischen den beiden extremen Gattungen stehen, daß sie „die mäßig tragischen und mäßig komischen Empfindungen, die mäßig tragischen und die mäßig komischen Motive, die mäßig tragischen und die mäßig komischen Stilebenen"" vereinen. Guthke betont zu Recht, daß diese Formtypen nur selten in reiner Form erscheinen, d. h. daß die Tragikomödien dieser Zeit meist mehrere der hier aus systematischen Gründen getrennten Züge aufweisen Wie nicht anders zu erwarten, spielt die antike Theorie und Praxis in den Auseinandersetzungen um den dramatischen ,Bastard' tragicomoedia von Anfang an (s. o. Brüder Verardi) eine zentrale Rolle. Die Autoren der Tragikomödie genarmten Mischspiele versuchen die ,Unregelmäßigkeit' ihrer Dramen gegen Angriffe orthodox-klassizistischer Kritik mit dem Hinweis auf antike Präzedenzfälle (Tragödien, Komödien und Satyrspiel) und auf Bemerkungen theoretischer Autoritäten wie Aristoteles und Horaz zu verteidigen. Vorworte und Prologe, Widmungen und Geleitbriefe sowie die zahlreichen poetologischen Streitschriften - wie z. B. die unter dem Namen Guarini-Debatte in die Geschichte der Literaturkritik eingegangene Auseinandersetzung um Guarinis ,Pastor fido'" - sind daher auch für den klassischen Philologen hochinteressant. Dazu kommen natürlich die zahlreichen bedeutenden (und unbedeutenden) Poetiken dieser Jahrhunderte®^ und die Kommentare zu den klassischen Poetiken (Aristoteles und Horaz)". Die Gegner führen die klassischen Normen ins

5» Der Dramenausgang, schon von den Brüdern Verardi angeführt (s.o. S. 24f.), wird schnell zum wichtigsten Kriterium. " GUTHKE, 27¡ dieser vor allem von Guarini und Beaumont-Fletcher (vgl. dazu M. D O RAN, Endeavors of Art, Madison 1954, 186ff.) begründete und praktizierte ТУр ist, wie GUIHKE, 27 ff., zu recht betont, ein Vorläufer der ,comédie larmoyante', nicht der modernen Tragikomödie. GUTHKE, 21. „Ein Stück, das Personen der Komödie und der Tragödie enthält, kann kaum umhin, auch die Stilebenen zu vermengen, und es wäre überdies selbst bei einer im wesentlichen ernsthaften Handlung für komische Episoden empfänglich". " Battista GUARINI, Opere 4 Bde, Verona 1 7 3 7 / 3 8 ; 2 , 2 0 9 - 3 7 5 und 3 , 1 - 4 6 9 . " Z . B . Marco Girolamo VIDA ( 1 5 2 0 | , JUÜUS Caesar SCAIJGER ( 1 5 6 1 | , Antonio MINTURNO ( 1 5 5 9 , 1 5 6 4 ] , Gerhard Joannes Vossius ( 1 6 4 7 ) und zahlreiche andere. " Vgl. FUHRMANN, 188-211; zu Horaz z . B . Christoforo LANDINO (1482); I. BADIUS ASCENsros (1500); zu Aristoteles z . B . : Francesco ROBORTELLO (1548), Vincenco MAGGI (1550), Lodovico CASTELVETRO (1570).

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Gefecht; die Verteidiger nutzen jedes verwendbare Argument in der antiken Theorie, lassen kaum eines der in Frage kommenden Dramen unerwähnt". Daß die antike Dramatik gemessen an den genannten Modellen zahlreiche „Tragikomödien" aufweist, ist in der Tat offensichthch. Die Reihe der von den Verteidigern zitierten Zeugen reicht von dem einzigen bereits in der Antike so charakterisierten Stück, dem plautinischen ,Amphitruo', und anderen römischen Komödien wie Plautus' ,Captivi' oder Terenz' ,Heautontimorumenos' über das Satyrspiel bis zur griechischen Tragödie, hier vor allem, wenn auch keineswegs ausschheßhch, den Dramen des Euripides. Doch bereits die Tatsache, daß außer ,Alkestis', ,Helena' und ,Ιοη' nebeneinander auch Sophokles' ,Elektra' (ja, sogar der ,Oidipus Tyrannos') und der euripideische ,Kyklops', Plautus' ,Amphitruo' und Euripides' ,Orestes', die Iphigeniedramen des Euripides und Aischylos' ,Eumeniden' auftauchen, zeigt, daß die hier angewendeten Gattungskriterien nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen. Eine Theorie, die nicht nur so verschiedene dramatische Gebilde wie die ,comoediae tragicae' des Terentius Christianus, Cinthios ,tragedia di lieto fin' und die pastorale Tragikomödie von Guarini und Beaumont-Fletcher, sondern sogar aischyleische Tragödie und römische Komödie, Sophokles und das Satyrspiel derselben Gattung zuordnet, ist (sieht man vom historischen Interesse einmal ab) wertlos.

1.3 Das Tragikomische Guthke hat denn auch die oben zusammengestellten historischen Bauformen und Theorien der Tragikomödie rigoros verworfen. Er definiert die Tragikomödie als „idealerweise von Anfang bis Ende zugleich komisches und tragisches Drama" (S. 7], nicht additive und sukzessive Verbindung komischer und tragischer Elemente ist also für ihn das Signum der gemischten Dramengattung, sondern „die synthetische Vereinigung dieser Elemente, die beide miteinander identisch werden läßt, so daß das Komische das Tragische und das Tragische das Komische ist" (S. 31). Diese Identität impliziert für Guthke „reziproke Steigerung" (S. 66). Zur Erläuterung verwendet er das folgende Beispiel (S. 64): „Wenn ein Wanderer, der in der Wüste am Verdursten ist, am Morgen nach einer Wasserstelle marschiert und am Abend entdeckt, daß er im Kreise gelaufen und auf seine Ausgangsstelle zurückgekommen ist, so Eine Auswahl aus dem reichen Material bietet Appendix B.

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würden wir sicherlich zugeben, daß diese Kreisbewegung etwas sehr Bitteres hat und sogar im vagen Sinne des Wortes etwas Tragisches haben kann. Wäre sie jedoch aus diesem Grunde ,ganz und gar nicht komisch'? Sicherlich nicht! Das vertraute Denkschema des Entweder-Oder versagt hier vor der unmittelbaren, affektiv-unwillkürlichen Erfahrungsgewißheit des Betrachters (oder auch des Opfers der Täuschung). Es ist die Erfahrung der Gleichzeitigkeit und Identität des SchmerzUch-Ernsten und des Lächerhchen... Der Eindruck tragischer Vergeblichkeit wird durch die ihr eigene komische Form und Erscheinung sicherlich nicht ausgelöscht. Und umgekehrt wird die ästhetische Würdigung der komischen Konstellation, der Kreisbewegung, durch den schrillen tragischen Oberton, der plötzUch an unser Ohr dringt, keinesfalls geschwächt. Überdies wird uns durch die volle verstandesmäßige Vergegenwärtigung der Qualität einer solchen Szene oder eines solchen Moments bewußt, daß das Tragische und das Komische hier nicht nur gleichzeitig und identisch sind, sondern daß sie sich auch gegenseitig steigern. Das heißt: einerseits verschärft die tragische Implikation das Komische, indem sie ihm größere Tiefe, der komischen Sicht mehr Hindemisse gibt, die zu überwinden sind; sie macht also die komische Inkongruenz durch ihre gesteigerte Kraßheit um so wirkungsvoller. Auf der anderen Seite verschärft die unleugbar komische Konstellation - höhnisch gleichsam - die Bitterkeit des Tragischen. Und beide Arten von Wechselwirkung haben gleichzeitig statt, sind aneinander gebunden und steigern sich fortschreitend gegenseitig." Diese Qualität des Tragikomischen und die dramatische Form, die durch sie bestimmt ist, bezeichnet Guthke als eindeutig modernes Phänomen'®. In der Tat entwickelt sich die Theorie der so verstandenen Tragikomödie erst etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts^^ Doch das bedeutet nicht unbedingt, daß das Tragikomische nicht bereits vor seiner theoretischen (Entdeckung' von Dramatikern realisiert worden ist. Guthke selbst erinnert daran, daß es bekanntUch die irritierende und faszinierende Existenz von burlesk-komischen Szenen und Figuren in den großen Tragödien Shakespeares war, die selbst Kritiker dieser Technik wie Voltaire, Elias Schlegel und Wieland zu Anerkennung, ja Bewunde-

" GUTHKE, 7 U. 101 ff. (mit zahlreichen Zitaten von Autoren und Kritikern, die diese Ansicht unterstreichen). " Zugleich werden die historischen Fonntypen und Theorien immer bedeutungsloser, ohne allerdings ganz zu verschwinden; sie spielen auch in der modernen Literaturwissenschaft noch eine Rolle: so ist m.E. Kirros Auffassung der Tïagikomôdie stark von der Beaumont-Fletcherschen Theorie und Praxis bestimmt; vgl. weiter z . B . E. BENTLEY, The Life of the Drama, New "ferk 1964, 316ff.

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rung zwang und die Erörterung des Tragikomischen im 18. Jahrhundert auslöste ^^ Ein Blick auf die wohl berühmteste dieser Szenen mag das illustrieren; der Exkurs gibt ein erstes Beispiel für tragikomische Technik im Drama und zugleich für mögliche (und wie wir später sehen werden, durchaus repräsenutive) Reaktionen hterarischer Kritik. Shakespeares ,Macbeth' ist zweifellos eine der dunkelsten Tragödien der Weltliteratur. Der Aufstieg und Sturz des Königsmörders Macbeth ist der einem Alptraum gleichende Weg des Helden durch Blut und Schrekken, Nacht und Chaos. Mitleid und Entsetzen halten den Zuschauer in ihrem Bann. Doch findet sich in dem Stück - und zwar an pointierter Stelle - eine Szene, die in ihrer Komik auch jeder Komödie Shakespeares Ehre machen würde: die Pförtner-Szene (Π,3). Das bedeutungsschwere Klopfen am Südtor des Schlosses von Inverness unmittelbar nach der heimtückischen Ermordung Duncans treibt die beiden Mörder von der Bühne und ruft den einfachen Pförtner herbei, der müde und verkatert, aber mit dem Wortwitz und der Geschwätzigkeit Shakespearescher Narren sein Geschäft versieht und schließlich Macduff und Lennox einläßt. Qualität und Bedeutung der kleinen Szene sind immer wieder verkannt worden. Lange Zeit glaubte man gar, Shakespeare von diesem ,Fehltritt' freisprechen zu müssen. Pope verbannte die Verse aus dem Text; Coleridge hielt sie für eine Schauspielerinterpolation; Schiller ersetzte das komische Geschwätz des Pförtners, als er den ,Macbeth' ins Deutsche übertrug, durch ein einfaches frommmes Morgenlied. Die klassizistische Kritik der traditionellen Poetik des 17. und 18. Jahrhunderts hielt sich an Ciceros (Fehl)Urteil: „et in tragoedia comicum vitiosum et in comoedia turpe tragicum" und vermochte in dieser und ähnlichen Szenen nicht mehr zu sehen als ein geschmackloses Relikt der mittelalterhchen Dramatik. Verstanden wurden sie meist als Konzession an ein einfaches ungebildetes Publikum, als „bloße Zwischenspiele, die dem Pöbel für seine sechs Pfennige was zu lachen geben"®'. So erklärt z.B. Coleridge: „This low soliloquy of the porter, and his few speeches afterwards, 1 believe to have been written for the mob by some other hand, perhaps with Shakespeare's consent"®'. Doch die Bewunderung für das dramatische Genie Shakespeares führte bald zu positiveren Urteilen und tieferem Verständnis. Voltaire'" gestand. "

GUIHKE, 3 5 ff-, 106 ff., 139 f.

'« Ch. M. WŒLAND, Ges. Schriften Π2, Berlin 1909, 551. " S. T. Coleridge, Shakespearean Criticism, Everyman Library, 1960,1 75-78. Voltaire, Lettres Philosophiques, ed. G. LANSON, Paris 1909, Π 79 ff.

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daß die barbarische Mischung von Schrecken und Possenreißerei tausendmal besser gefalle als die sterile moderne Regelhaftigkeit, und Wieland, der in den kommentierenden Anmerkungen zu seiner Übersetzung Shakespeares die komischen Episoden in Tragödien und Historien wiederholt scharf kritisierte, verteidigt den Dichter in seinem bahnbrechenden Aufsatz ,Über den Geist Shakespeares', 1772 im Teutschen Merkur, auf ganz ähnliche Weise wie Voltaire als Naturgenie''. Nach Lessing" und den Brüdern Friedrich'® und August Wilhelm Schlegel'^ sind es dann besonders die Romantiker, die die Verbindung von komischen und tragischen Elementen - und zwar nicht nur in den Tragödien Shakespeares - verstehen und würdigen". Die moderne Shakespeare-Forschung schUeßUch hat in immer neuen Anläufen die Bedeutung der komischen Szenen in den Tragödien aufgewiesen. Eingehende Interpretationen haben gezeigt, daß die Pförtnerszene des ,Macbeth' nicht etwa nur dramaturgisch notwendig'^ und dramatisch wirkungsvoll" ist, sondern auch durch vielfältige motivische und thematische Verbindungen eng mit dem tragischen Kontext verknüpft und voll tiefer tragischer Ironie ist". Über die intendierte dramatische und emotionale Wirkung besteht jedoch keine vöUige Einigkeit. Verschiedene Erklärungen bieten sich an. Zwei seien kurz charakterisiert, da sie als typisch gelten können und wir ihnen später bei der Interpretation komischer Elemente in der griechischen Tragödie wieder begegnen werden. So schreibt G. B. Harrison: „At this point Shakespeare is presented with a difficult problem in dramatic technique. The feelings of the audience are stretched very taut. When this crisis is reached in a play, the dramatist must reheve the tension before the strain becomes too g r e a t . . . The two most effective methods of relieving tension are by surprise or by laughter. Shakespeare uses both"." " Ch. M. Wieland, Werke, Berlin-Hempel o.J. XXXVI, 277-80. " G. E. Lessing, z.B. Hamb. Dramaturgie, 70 Stück, in: Sämtliche Werke, ed. LACHMANN-MUNCKER, X 8 0 - 8 4 (83).

" F. Schlegel, z.B. Geschichte der alten und der neuen Literatur, in: Kritische F. Schlegel-Ausgabe, ed. H. EICHNER, VI 1961, 291-295. " A. W. Schlegel, z.B. Vorlesungen über dramatische Kirnst und Literatur, ed. G. v. AMORETTI, Bonn-Leipzig 1923, 109-220 (141-44). " Vgl. dazu GUTHKE, 106 ff. " Ein ,Zwischenspiel' ist nötig, damit Macbeth genug Zeit hat, die blutbefleckten Kleider zu wechseln und die Hände zu waschen. " Zur Steigerung der Spannung vgl. z. B. B. VICKERS, The Artistry of Shakespeare's Prose, London 1968, 383 ff. Vgl. dazu z.B. К. Mum, Macbeth, The Arden Shakespeare, Liverpool 1961', XXIVХХХП und die berühmte Interpretation von Th. de Quincey, On the Knocking at the Gate in Macbeth, in: Th. de Qu., Riverside Edition IV, Cambridge 1876, 533-39. " G. B. HARRISON, Shakespeare's Tragedies, London 1950, 197 f.

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Harrison versteht die Szene also als Ergebnis der dramatischen Technik, die in Ermangelung eines deutschen terminus technicus auch in der deutschen Forschung als „comic relief" bezeichnet wird. Drydens'" Formulierang kann als locus classicus gelten: „A continued gravity keeps the spirit too much bent, we must refresh it sometimes, as we bait in a journey that we may go on with greater ease. A scene of mirth, mixed with tragedy, has the same effect upon us which our music has betwixt the acts, which we find a relief to us from the best plots and language of the stage, if the discourses have been too long." Eventuelle thematische Zusammenhänge zwischen komischer Episode und tragischem Kontext spielen für die comic-rehef-Theorie keine Rolle. Sie können bestehen, müssen jedoch nicht vorhanden sein. Der psychagogische Effekt der emotionalen Erleichterang des Zuschauers läßt sich ohne Verweis auf die tragische Haupthandlung zweifellos besser erreichen. Auf der anderen Seite erklärt A. C. Bradley": „The porter does not make me smile: the moment is too terrific... I dare say the groundlings roared with laughter at his coarsest remarks. But they are not comic enough to allow one to forget for a moment what has proceded and what must follow. And I am far from complaining of this. I believe that it is what Shakespeare intended, and he despised the groundlings if they laughed." Liegt der Ton bei der comic-rehef-Deutung Harrisons ganz auf der komischen Qualität der Szene, so sieht Bradley vor allem den düsteren Hintergrand und die makabre tragische Ironie, die seiner Auffassung nach eine komische Wirkung vereiteln. Beide Deutungen verfehlen damit die komplexe Doppelwirkung der Szene. Daß der komische Effekt der Pförtnerszene intendiert ist, kann angesichts von Form und Inhalt der Rolle nicht gut bezweifelt werden; daß die beabsichtigte Wirkung tatsächlich - und nicht nur, wie Bradley meint, bei den ,groundlings' - eintritt, beweist jede Aufführang des ,Macbeth'. Das bedeutet jedoch nicht, daß die tragische Atmosphäre etwa für die Dauer der komischen Episode aufgehoben oder auch nur geschwächt wäre. Im Gegenteil: gegen klassizistische Kritik, die lapidar erklärte, daß die Verbindung von Tragik und Komik beides verderbe, betonte bereits Dryden'^: „Contraries, when placed near, set off each other." Gerade dies gilt für viele komische Szenen in Shakespeares Historien und Tragödien. J. Dryden, Essay on Dramatic Poetry, in: Essays of J. Dryden, ed. W. P. KER, Oxford 1900,1 69 f. A. C. BRADLEY, Shakespearean lïagedy, 1904 (1963), 333. " S. о. Anm. 80; später hat Dryden sich energisch gegen die Verbindiing von komischen und tragischen Elementen gewandt (vgl. GUTHKE, 39f.|.

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Die komische Figur des Rural Fellow in ,Antony and Cleopatra' (V,2), der der zum Tode entschlossenen Königin den Korb mit Feigen - und Schlangen - bringt, ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Totengräber im ,Hamlet' oder der Narr des ,Lear'. Die Kombination von Scherz und Emst, Komik und Tragik bewirkt eine wechselseitige Intensivierung des Effekts. Das Komische erscheint komischer, das Tragische tragischer. Rossiter" nutzt die Homonymie des Begriffs ,relief' zu einem treffenden Wortspiel. Szenen wie diese schaffen ,relief' nicht im Sinne von Entspannung und seehscher Erleichterung, sondern im Sinne von konturenverschärfendem ReUef: „We can use it (sc. das Wort,relief) as in sculpture: low relief or high relief, whereby the figures are ,brought out' by being leid against a something, or an absence of something, so that the two effects interact, to produce a unified but complex reaction of the mind." Die Pförtnerszene des ,Macbeth' ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diese Interdependenzwirkung. Die dramatische Verbindung der kleinen Szene mit dem tragischen Kontext durch das unheildrohende Klopfen'" und die ständige Evozierung der tragischen Leitmotive imd Themen des Stücks'' tragen das Ihrige dazu bei. Ähnhches gilt auch für die anderen Shakespeare-Beispiele. Auf eine Darstellung der Entwicklung der modernen Poetik der Tragikomödie von ihren ersten Ansätzen bei Dryden, Walpole, Wieland, E. Schlegel und Lessing'® bis zu Ionesco und Dürrenmatt kann angesichts der ebenso materialreichen wie luziden Untersuchungen Guthkes verzichtet werden. Es genügt, auf die beiden entscheidenden Punkte der Diskussion kurz hinzuweisen und dabei einen Bhck auf eventuelle Ansätze in der antiken Theorie und Praxis zu werfen. I. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen des 18. und 19. Jahrhunderts steht, wie der hell-porter-Exkurs bereits deutUch gemacht hat, der rezeptionsästhetische Aspekt des Problems) der den empirisch-strukturellen Ansatz der vergangenen Jahrhunderte ablöst. Nicht mehr die Kombination von Bauelementen, sondern die Mischung der den beiden dramatischen Hauptgattungen eigenen Affekte wird jetzt problematisiert. Die A. P. ROSSPTER, Angels with Horns, Plymouth 1961, 274-292 (281|. Vgl. die Bedeutung der verschiedenen Geräusche und vor allem des Klopfens (als Symbol für Macbeths Gewissen) in der vorangehenden Szene Π 2. " Die wichtigsten sind: Hölle (Licht und Dunkel), Thmkenheit (Gier), Heuchelei, Verrat, Schlaf, Kleidung; vgl. dazu K. Mum, s. o.Anm. 78, id. Shakespeare's Tragic Sequence, 1972, 148 und vor allem Shakespeare, The Professional, 1973,128ff.; weiter E. JONES, Scenic Form in Shakespeare, Oxford 1971, 213. «' GUTHKE, 31-52; id. Die Auseinandersetzung um das Tragikomische und die Tragikomödie in der Ästhetik der deutschen Aufklärung, Jahrb. für Aesth. und allg. Kunstwiss. 6, 1961, 1 1 4 - 3 8 .

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Verbindung von Tragischem und Komischem wird dem Urteil des ästhetischen Geschmacks unterworfen. Behaupten die Kritiker, daß die Mischung nicht nur geschmacklos, sondern auch schädlich sei, da tragische und komische Affekte, Heiterkeit und Ernst, sich gegenseitig schwächen oder gar zerstören, so betonen die Verteidiger, daß das Gegenteil der Fall sei (oder doch sein könne)contraria iuxta se posita magis elucescunt. Und wenn auch in den meisten Fällen das additive Nebeneinander von tragischen imd komischen Szenen und damit der plötzhche Wechsel konträrer Gefühlsreaktionen angegriffen bzw. gerechtfertigt wird, so kommt gelegenthch doch auch die Tatsache in den Blick, daß ein und dieselben Ereignisse, Situationen und Personen auf der Bühne ebenso wie im Leben Mitleid und Spott, Tränen und Gelächter auslösen können. Genaue Beobachtungen und allgemeine Gedanken zur komplexen Verbindung widersprüchhcher Gefühle gibt es auch in der Antike. Es braucht nur an Piatons ,Philebos' und Aristoteles' ,Rhetorik' erinnert zu werden. Das angesprochene rezeptionsästhetische Problem scheint allerdings nicht Gegenstand theoretischer Überlegungen gewesen zu sein, was jedoch keineswegs heißen muß, daß es unbekannt oder für die dichterische Praxis bedeutungslos gewesen ist. Weder die interessanten Ausführimgen Piatons zur μείξις λύπης τε m i ήδονής in den durch Tragödie und Komödie ausgelösten Emotionen noch die aristotelischen Beispiele zum Zugleich verschiedener Affekte (Rhet. 1,11,8ff.) bieten einen direkten Beitrag zu unserem Problem", und auch Piatons Beobachtung, daß die Zuschauer einer Tragödie „weinen und doch zugleich Vergnügen empfinden" (Phil. 4 8 a : . . . , όταν άμα χαίροντες κλάωσι) gehört nicht hierher, sondern in die Ahnenreihe der Überlegungen zum „Vergnügen an tragischen Gegenständen'"." Daß man jedoch ein und denselben Vorgang mit einem lachenden und einem weinenden Auge zugleich betrachten kann, ohne daß sich die konträren Affekte etwa gegenseitig abschwächten oder gar zerstörten, war auch den Griechen keineswegs unbekannt. Es mag in diesem Zusammenhang genügen, auf das früheste und zugleich berühmteste literarische Beispiel dafür einzugehen: " Zahlreiche Beispiele für das pro und contra bei GUTHKE, 39 ff. «« Plat. Phil. 48-50) dazu zuletzt MADER, 13-28 (dort auch die ältere Literatur). " Arist.Rhet. 1, 11, 6ff. (1370a 27ff.|; Aristoteles bespricht die Mischung von Gefühlen an Hand folgender Beispiele a| Erinnerung an überwundenes Leid (z.B. Horn. Od. 15, 399]; b) süßer Zorn/vorweggenommene Rache (z.B. Horn. Ii. 18, 108-110|; c) bittere Liebe (z.B. Sappho fr. 130,2 LP). Der antike Beitrag zu Schillers Frage (von Homers ίμερος γόοιο bis zu Piaton und Aristoteles; vgl. auch BENTLEY ad Hör. c. 2, 19, 7¡ BAILEY ad Lucr. 3, 28.| verdiente eine gründUche monographische Studie (vgl. POHLENZ, Anfänge, 462ff.|.

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Als Hektor gegen Ende der Abschiedsszene am Skaiischen Tor (Ii. 6,392ff.) Andromache den kleinen Astyanax in die Arme legt, da nimmt ihn Andromache schmerzerfüllt und unter Tränen lachend: "Ως είπών άλόχοιο φίλης έν χερσΙν εθηκε παΐδ' έ ό ν ή δ' &ρα μιν κηώδεϊ δέξατο κόλπω δακρυόεν γελάσασα- πόσις δ' έλέησε νοήσας

(6,482-484).

Der Schmerz über den Abschied, der eine tragische Dimension gewinnt durch die bittere Vorahnung von Hektors Tod, der auch Astyanax' und Andromaches Verderben bedeuten wird, verbindet sich mit der Heiterkeit, die durch die Reaktion des kleinen Astyanax auf den drohenden Helmbusch des Vaters ausgelöst wird, und dem durch Hektors Gebet (6,476ff.) genährten Mutterstolz zu der gemischten psychischen Wirkung, die Homer komprinüert und pointiert mit δακρυόεν γελάσασα charakterisiert. Wenn auch zugegeben ist, daß Tränen und Lächeb hier streng genommen nicht durch ein einziges, sondern durch zwei aufeinander folgende Ereignisse ausgelöst werden (Abschied von Hektor und Astyanax' Erschrecken vor dem Helmbusch des Vaters), so bleibt doch festzuhalten, daß Homer Andromaches Reaktion in dem einen Moment beschreibt, in dem sie den Knaben von Hektor zurückempfängt, d.h. in dem Moment, in dem sie von Stolz und Freude über das geliebte Kind erfüllt ist und immer noch über die Astyanax-Hektor-Szene lächeln muß, und der doch zugleich den endgültigen Abschied markiert. Der Hörer, der die tragische Ironie hinter dem heiteren Intermezzo mit dem kleinen Astyanax spürt, wird ebenfalls mit Lächeln und Schmerz, ja mit Furcht auf diese Szene reagieren". Daß sich im antiken Drama, soweit ich sehe, kein explizites Beispiel findet, verwundert nicht, da die antike dramatische Technik im Gegensatz zu Epos, Historiographie und Roman die Kommentierung der Ereignisse und die Beschreibung der psychischen Reaktionen der Beteiligten durch den Autor nur in beschränktem Maße zuläßt. Das Fehlen expliziter Hinweise im Text bedeutet jedoch, wie sich unten zeigen wird, keineswegs, daß die antiken Dramatiker nicht auch bewußt auf die Erzielung gemischter Gefühlsreaktionen hingearbeitet haben können. Es kommt mir in diesem Zusammenhang lediglich darauf an, zu betonen, daß die Griechen, und zwar von Homer an, das Phänomen gleichzeitiger Erfahrung entgegengesetzter Gefühle gekannt und von den künstlerischen Möglichkeiten durchaus Gebrauch gemacht haben " S. U.S. 50-53. Manches andere ließe sich nennen; erinnert sei an Eurykleia, die, als sie Odysseus bei der Fußwaschung wiedererkennt, von Freude und Schmerz zugleich überwältigt wird (Od. 19, 471; vgl. weiter 9, 62f., 466f.), sowie weiter an den sprichwörtlichen κλαυσίγελως (ζ. В.

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2. Wachsende Bedeutung gewinnt in den Verteidigungen der Tragikomödie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts das bereits in den Auseinandersetzungen der Renaissance und des Barock verwendete Argument, daß die Tragikomödie ein natürUcher Spiegel des menschlichen Lebens sei, das ja auch eine bunte Kette aus tragischen und komischen Ereignissen sei. So hatten z.B. bereits Macropedius'^ und Lope de Vega'" die dramatische Mischform gerechtfertigt. Doch während sie additive Kombinationen im Auge hatten, erklärt Wieland daß die von ihm verteidigten Tragödien Shakespeares gerade dadurch, „daß komisches und tragisches darin auf die seltsamste Art durcheinander geworfen i s t , . . . natürhche Abbildungen des menschlichen Lebens sind"; und seit der Romantik von Schellingund Victor Hugo" bis zu Ionesco" und Dürrenmatt" ist die Tragikomödie, wie Guthke eindrucksvoll dokumentiert'"", immer wieder gerade deswegen als die moderne Dramengattung par exellence bezeichnet worden, weil sie die getreue Abbildung des als tragikomisch begriffenen Universums und der adäquate Ausdruck der „modernen Bewußtseinslage" sei, die „nicht mehr durch Harmonie und Vertrauen auf die heilenden Kräfte des Lebens gekennzeichnet" sei, „sondern durch Gegensätze und Unruhe, Spannungen und Disharmonien aller Art""." Für dieses zentrale Argument findet sich in der Antike, auch wenn, wie oben erwähnt, Piaton im ,Philebos' einmal von ή τοΟ βίου σύμπασα τραγφδία καΐ κωμφδία (50b) spricht und Porphyrios im Anschluß daran den Begriff κωμωδοτραγφδία zur Charakterisierung des menschlichen Lebens verwendet, kein echter Ansatz. Und dennoch: Tragikomödie als Ergebnis von „Spannungen und Disharmonien", moralischer Unsicherheit und intellektueller Skepsis: das ist Xen. Hell. 7, 1, 32; 7, 2, 9, Kyrop. 7, 5, 35| und an die Vorliebe des griechischen Romans für die Häufung und Kombination verschiedener Affektreaktionen z.B. HeUod. 4, 9; 10, 38; Ach. Tat. 1, 4; vgl. R. RErnsENSTEm, Hellenistische Wundererzählungen; Leipzig 1906, 95 ff. (96 Anm. 2); E. ROHDE, Der griech. Roman und seine Vorläufer, Leipzig 1900 ^ 479 Anm. 2. " Georgius Macropedius, Widmung zu ,Aluu'; |1535|. Lope de Vega, Arte nuevo de hacer comoedias, 1609 (nach Lessing, Hamb. Dramaturgie, 69. Stück). 'S Ch. M. Wieland, Agathon, 1766/67 (nach Lessmg, Hamb. Dramaturgie, 69. Stück). " F. W. J. V. Schelling, Philosophie der Kunst 1802/03, Sämtl. Werke Stuttgart-Augsburg 1859, V 718 ff. " Victor Hugo, Oeuvres complètes, Théâtre, Paris 1912,1 20 (Vorwort zu seinem ,CromweU'). " Eugène Ionesco, Notes et Contre-notes, Paris 1962 (Notre condition humaine comicotragique, 122 ff.). " Friedrich Dürrenmatt, Theaterprobleme, Zürich 1955. GUTHKE, 4 5 - 5 2 , 101 ff.

A. W. Schlegel, Wiener Vorlesungen von 1808 (nach GUIHKE, 107f.). Porphyrios, ad. Marc, epist. 2, ap. Stob. 3, 21, 28.

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zweifellos auch ein interessanter Ansatz für die euripideische ,Tragikomödie' und man fragt sich einen Moment, warum A. W. Schlegel, von dem das oben angeführte Zitat stammt, so wenig Verständnis für Euripides aufgebracht hat. Auch wenn man also Guthkes gut begründete Definition akzeptiert und nur die synthetische Verbindung des Tragischen und Komischen als das Tragikomische bezeichnet, stellt sich die Frage, ob er recht hat, wenn er darauf besteht, daß es sich um ein eindeutig modernes Phänomen (S. 7) handelt. Terminus post quem ist ihm dabei der Gipfel der Aufklärung. Guthke selbst räumt nicht nur ein, daß die Existenz Shakespeares für diese These eine nicht unerhebUche Schwierigkeit darstellt""·, sondern übersieht auch Molière keineswegs und die folgenden Untersuchungen zur griechischen Tragödie werden, hoffe ich, zeigen, daß Euripides durchaus als der erste bedeutende Tragikomiker der Welthteratur bezeichnet werden kann. Doch nicht nur die zeitUche Begrenzung der ,echten' Tragikomödie auf das 18.-20. Jahrhundert erweckt Bedenken; auch die Definition des Tragikomischen sollte m. E. modifiziert und erweitert werden. 1. Reziproke Steigerung des Tragischen und des Komischen ist eine wichtige, doch nicht, wie Guthke v e r l a n g t e i n e unabdingbare Voraussetzung des Tragikomischen. Die zweifellos wirkungsvollste Form der Verbindung, in der sich Tragisches und Komisches gegenseitig vertiefen, sollte nicht verabsolutiert werden. Ich werde im Folgenden auch dann von tragikomisch sprechen, wenn das Steigerungsverhältnis vorwiegend einseitig ist, d. h. z. B. das Tragische durch das Komische verschärft wird, auch ohne daß das Umgekehrte in gleichem Maße der Fall ist. 2. Guthkes Forderung der Identität von Tragischem und Komischem erscheint ebenfalls als zu eng. luxtaposition sollte neben Gleichzeitigkeit als mögliche Bauform nicht völlig ausgeschlossen werden. Die Pfört'»3 S. U.S. 247 f. GUTHKE, 139f., 141; Guthke unterschätzt die Bedeutung Shakespeares für die Geschichte der Tragikomödie (141: „bei Shakespeare begrenzt sich das Tragikomische allzu oft auf das Episodische), zutreffender z.B. A. P. RossriER, Comic relief, in: Angels with Horns, Plymouth 1961, 274-292 und Α. KIRCHHEIM, Tragik und Komik in Shakespeares jlÌOileus und Cressida', „Measure for Measure" und „All's Well that Ends Well", Neue Beiträge zur Anglistik und Amerikanistik 8, 1971 (mit reichen Lit. Angaben). GUTHKE, 49f., 67, 71, 85, 88, 140 (er nennt ,Misanthrope', ,Tartuffe' und [mit Einschränkungen] George Dandin'). " " GUTHKE, 66; etwas vorsichtiger in der früheren Untersuchung zur Gesch. und Poet, der dtschen Tragikomödie, 22: „Daß da der stärkere Akzent mal aufs Komische, mal aufs Tragische fällt und das in verschiedener Stärke, ist selbstverständlich; absolute Balance ist oft nicht erreicht; entscheidend bleibt jedoch das Ineinandergreifen beider.

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nerszene im ,Macbeth' zeigt, daß ein geschicktes Nebeneinander einer tragischen und einer komischen Szene sehr wohl den gewünschten tragikomischen Effekt der wechselseitigen Steigerung haben kann. Außerdem kaim und wird der Zuschauer und Leser, von einer späteren Szene aus plötzlich die vorangegangenen Ereignisse retrospektiv uminterpretieren oder umgekehrt, vorbereitet und hellhörig gemacht durch eine Szene, die sich daran anschheßenden Situationen und Entwicklungen im Lichte dieser Szene sehen. So verleiht z. B. in Lessings ,Minna von Bamhelm' die Schlüsselszene IV 6, die kurz vor Ende des Stücks Teilheims Beweggründe völlig offenlegt, der bis dahin durchaus komischen Hauptgestalt einen tragischen Akzent; so können Haupt- und Staatsaktionen, die durch eine Clownsszene eingeleitet werden, selber einen Hauch der Lächerlichkeit annehmen; so teilen sich Parallelhandlungen wie die ,komische' Sosiashandlung und die ,tragische' Amphitruohandlung in Kleists ,Amphitruo' wechselseitig ihre komische bzw. tragische Quahtät mit. Mit diesen Modifizienmgen bzw. Erweiterungen jedoch stellt die Definition Guthkes, die sich bei seinen eigenen umfassenden Untersuchungen der modernen Tragikomödie bereits bewährt hat ein durchaus geeignetes Arbeitsmittel für die Überlegungen zum Tragikomischen in der griechischen Tragödie dar. In dem Moment jedoch, wo das Tragikomische (und die Tragikomödie) nicht definiert ist als Mischung von mehr oder minder äußerlichen und leicht zu bestimmenden Zügen der beiden dramatischen Hauptgattungen, sondern als synthetische Verbindung des Tragischen und Komischen, droht dem Interpreten, der eben festen Boden unter den Füßen zu spüren glaubte, ein neues Definitionschaos. Denn: was ist tragisch? was komisch? Eine gründliche Analyse der beiden für die Untersuchung des Tragikomischen fundamentalen Bestandteile des Begriffs erscheint als ebenso notwendig wie unmöghch. Die Literatur ist unübersehbar; übereinstimmende Ansichten rar. Eine Charakterisierung der verschiedenen mögUchen Ansätze (z. B. empirisch-strukturell, rezeptionsästhetisch, philosophisch, geschichtsphilosophisch) oder gar ein Referat ihrer Ergebnisse ist im Rahmen dieser Arbeit weder möglich noch sinnvoll. Im übrigen sollte man die Bedeutimg exakter Definitionen als Richtschnur für die Analyse eines umfangreichen und komplexen Materialbereichs nicht

GUTHKES

Arbeiten berücksichtigen die gesamte europäische und die amerikanische

Tragikomödie.

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überschätzen ja, die damit verbundenen Gefahren nicht übersehen Eine genaue Bestimmung des Tragischen, orientiert an den großen Tragödien der Welthteratur und geprägt durch die Theorien und Formuherungen der deutschen Philosophie von ScheUing imd Hegel bis zu Schopenhauer und Nietzsche"" würde einen erhebhchen Teil der griechischen Tragödie von vornherein ausschheßen. Ziel meiner Untersuchung ist jedoch gerade eine möghchst vollständige Diskussion von Umfang und Qualität, Formen und Funktionen komischer Elemente in der griechischen Tragödie. Es empfiehlt sich also, die beiden Begriffe tragisch und komisch nicht zu eng zu fassen und die daraus resultierende Unscharfe in Kauf zu nehmen. Notwendige Differenzierungen und Präzisierungen können im Verlaufe der Untersuchung vorgenommen werden. Der rezeptionsästhetische Ansatz der aristotelischen Dramentheorie ist durchaus geeignet, den gewünschten weiten Rahmen für die Bestimmung des Tragischen und Komischen zu Uefern. Tragisch'" ist danach alles, was im Zuschauer Jammer und Schrecken erregt, komisch dagegen alles, was Lachen auslöst. Das Tragikomische als synthetische Verbindung der beiden ästhetischen Qualitäten ist danach durch eine gemischte Gefühlsreaktion charakterisiert. G. B. Shaws bewundernder Kommentar zu Ibsens ,Die Wildente', der modernen Tragikomödie κατ' έξοχήν, bringt die paradoxe Doppelwirkung pointiert zum Ausdruck: „To look on with horror and pity at a profoimd tragedy, shaking with laughter all the time at an irrisistible comedy;... that is what ,The Wild Duck' was like last Monday at the Globe." Ganz ähnlich beschreibt Hebbel"^ die Erfahrung des Tragikomischen: „Man mögte vor Grauen erstarren, doch die Lachmuskeln zucken zugleich; man mögte sich durch ein Gelächter von dem ganzen unheimlichen Eindruck befreien, doch ein Frösteln beschleicht uns, ehe uns das geUngt."

"" Open sters, "" rächt ""

Vgl. dazu z.B. K. POPPER, Objective Knowledge, Oxford 1973^ 309f., 327f.; id. The Society and its Enemies, London 1962", Π 18-20, В. MACEE, Karl Popper, Modem Ma1973 43F.; LESKY, Griech. Tragödie 11. GUTHKE, 70: „Terminologische Genauigkeit am Beginn einer Gattungsuntersuchung sich daher meistens durch eine Verzerrung des Gesamtbildes". P. SzoNDi, Versuch über das Ti-agische, Frankfurt 1961 (1964 ^l. SzoNDi, s. o.Anm. 110, 7, betont: „Seit Aristoteles gibt es eine Poetik der Tiragödie, seit ScheUing erst eine Philosophie des "Ragischen"; es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, daß man aus Aristoteles' Poetik eine Bestimmung des Tragischen gewinnen kann; vgl. auch LESKY, Griech. Tiragödie, 18, 34. G. B. Shaw, 1897 in ,Satyrday Review' (nach GUTHKE, 113). Friedrich Hebbel, Sämtl. Werke, ed. R. M. 'V^RNER, Berlin 1904^ Π 379 (Vorwort zu seiner Tragikomödie ,Ein Trauerspiel in Sizilien'].

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Die Gefahren der Subjektivität, die mit einer derartigen auf der psychischen Wirkung eines Kunstwerks basierenden Bestimmung verbunden sind, werden dabei nicht übersehen. Selbst bei annähernd gleichen historischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen können die Reaktionen der Rezipienten erhebhch differieren, die Ansichten der Interpreten über die intendierte Wirkung weit auseinandergehen Ein Blick auf die Sekundärliteratur zu Euripides' ,Alkestis' oder ,Helena', auf die Beurteilung des lolaos in den ,Herakliden' oder auf die Interpretation der Teiresias-Kadmos-Szene in den ,Bakchen' liefert eindrucksvolle Beispiele dafür. Was dem einen Kritiker als tragisch erscheint, dünkt den anderen lächerlich, was der eine als rührend empfindet, hält der andere für erbärmhch, wo der eine mitfühlt und mitleidet, hört der andere nur Ironie. Das hat seine guten Gründe. Für den Interpreten antiker Dramen ist die Schwierigkeit, die modale Quahtät einzelner Verse oder Verspartien, Szenen oder Stücke zu ermitteln, besonders groß. Die zeitliche Distanz und imsere fragmentarischen Kenntnisse erschweren die Antwort auf die Frage, was Euripides und seine Zuschauer komisch bzw. tragisch fanden; und in einer nicht nur fremden, sondern ,toten' und zu allem Überfluß ganz unvollständig dokumentierten Sprache ist es nicht einfach zu entscheiden, wie ein Wort oder eine Wendung klingen, welche Konnotationen mitschwingen, welche Assoziationen geweckt werden. Hinzu kommt, daß wichtige Hilfsmittel, die dem Interpreten zeitgenössischer Stücke zur Verfügung stehen, für unser Verständnis der griechischen Tragödie ausfallen. So fehlt der unmittelbare visuell-akustische und emotionale Eindruck der erlebten Aufführung; weiter sind uns so gut wie keine Reaktionen des Publikums und keine ,Theaterkritiken' erhalten wir wissen relativ wenig über Techniken und Konventionen der Aufführungspraxis des 5. Jahrhunderts im allgemeinen oder über die Produktion einzelner Stücke; auch Regieanweisungen, die die vom Autor intendierte Wirkung verdeuthchen gibt es nur ganz vereinzelt. Dennoch: da wir als Leser oder Interpreten auf ein Stück immer unmittelbar reagieren und diese ersten emotionalen Reaktionen unser Verständnis des Stücks beeinflussen, ist es besser, die Kriterien und Argumente, die hinter den subjektiven ersten Reaktionen hegen, explizit zu machen, als die ganze Frage als ,subjektiv' beiseitezuschieben. Letzte Sicherheit mag nicht immer erreichbar sein. Bei behutsamer Interpretation "" Vgl. GUIHKES ausführliche Überlegungen zum Problem der Relativität mit instruktiven Beispielen (70-75|. Das Material ist jetzt gesammelt und kommentiert von D. BAIN, Actors and Audience, A Study of Asides and Related Conventions in Greek Drama, Oxford 1977. Dazu zuletzt О. TAPLIN, Did Greek dramatists write stage instructions?, PCPS 203 (NS 23) 1977, 121-132.

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dürfte - wenigstens in der Mehrzahl der Fálle - Einigkeit erzielt, die beabsichtigte tragische oder komische Wirkung einer Szene, Aktion, Situation, Person oder nur eines einzelnen Verses zumindest wahrscheinlich gemacht werden können"'. Intensität und Qualität der Tragik, vor allem aber der Komik, bleiben allerdings auch dann noch ein schwieriges Problem. Ob der Zuschauer über eine bestimmte Person oder Situation lächelt oder lacht, ob eine Äußerung lustig klingt oder sarkastisch, ob die Ironie eines Verses oder einer Situation heiter amüsiert ist oder beißend satirisch, kann, wenn überhaupt, nur durch einfühlsame Interpretation der jeweiligen Stelle und ihres Kontextes entschieden werden. Der weite rezeptionsästhetische Ansatz sollte wie bereits bei Aristoteles gestützt werden durch Überlegungen zur Qualität der Handlungen, die die genannten Reaktionen auslösen: 1. Die tragische Handlung ist charakterisiert durch ein physisches und/ oder psychisches Leiden ungewöhnlichen Ausmaßes. Ohne tatsächliches oder doch als unmittelbar drohend empfundenes großes Unglück ist das Gefühl des Tragischen nicht denkbar. Darüber hat seit Aristoteles' Definition des für die Tragödie konstitutionellen πάθος als πράξις φθαρτική ή όδυνηρά'" Übereinstimmung geherrscht. Weiter muß das tragische Ereignis entweder endgültig sein oder zumindestens von den Betroffenen als unabwendbar und unabänderUch empfunden werden'". Im Gegensatz dazu definiert Aristoteles das Lächerliche als άμάρτημά τι καΐ αίσχος άνώδυνον καί ού φ^αρτικόν'^", und in der Tat ist das Gefühl, daß die Ereignisse, in die die Personen verwickelt sind, letztlich keine allzu schmerzliche, gewiß jedoch keine zerstörerische Wirkung haben, unbedingte Voraussetzung für ihre komische Rezeption (s. auch u. Nr. 4). Das heißt nicht, daß nicht auch Stücke, die glücklich enden, als Tragödien gelten k ö n n e n E i n Blick auf Aischylos' ,Orestie' oder SoDie Interpretation muß zweierlei zeigen: 1. daß die Auffassung einer Stelle oder Szene als komisch den sprachlichen und dramatischen Gegebenheiten keinen Zwang antut, und 2. daß eine solche Auffassung einen besseren Sinn im Rahmen der Gesamtinterpretation des Stücks ergibt als andere Interpretationen. Arist. Poet. 1452b 11 f.; vgl. 1453b 35 (άνηκέστων τι). Vgl. dazu z . B . O. MANDEL, A Definition of Uragedy, New York 1961, 20-42; G. BRERETON, Principles of Tragedy, London 1968, 6-20; 26f., 46f. Arist. Poet. 1449a 34f. (Plat. Phil. 49bc). 121 Vgl. dazu LESKY, Griech. Ti-agödie, 20-30; ausgehend von Goethes berühmter Definition des Tragischen („alles Tragische beruht auf einem unausgleichbaren Gegensatz. Sowie Ausgleichung eintritt oder möghch wird schwindet das Tragische".), schlägt LESKY, 27, eine sinnvolle Unterscheidung zwischen a| geschlossen tragischer Weltsicht b) geschlossen tragischem Konflikt und c) tragischer Situation vor.

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phokles' ,Elektra' und ,Philoktet' lehrt, daß auch dort, wo tragische Konflikte aufgelöst werden oder eine große Gefahr überstanden und schweres Leid schheßlich überwunden wird, starke tragische Wirkungen erzielt werden können. Das gilt vor allem dann, wenn auch der Zuschauer die Möglichkeit eines guten Ausgangs nicht vorhersehen oder ahnen kann. Aber nicht nur dann: auch wenn der Betrachter auf Grund seiner Kenntnis der dramatisierten Fabel oder vom Autor informiert, weiß, daß Nöte und Gefahren, Schmerzen und Ängste der Helden nur vorübergehend sind, kann er ihre Situation als tragisch empfinden Feste Regeln für die Wirkung lassen sich kaum aufstellen. Atmosphäre und Ton können nur in sorgfältiger Interpretation der jeweiligen Szene bzw. des Stücks ermittelt werden. Brereton stellt zu recht fest: „It would be too categorical at this point to declare that they (sc. Stücke mit Happy-end) are never true tragedies . . . But when they occur it is worth scrutinizing them very carefully to determine the nature of the ,happy ending'. It may be a matter of appearance only, bearing on a point different from the central point of the tragedy, or affecting non-central characters. It may, in the plainest case, be an offering of consolation to the spectator to offset, at least superficially, a misery too terrible to be contemplated." Hier liegt ein Problem, das uns bei der Interpretation euripideischer Tragödien mit Happy-end noch beschäftigen wird. 2. Ein weiteres Kennzeichen der tragischen Handlung ist die Inkommensurabilität von subjektiver Schuld und objektiver Bestrafung der Helden. Tragisches Leiden ist in hohem Maße unverdientes Leiden. „The tragic lies precisely in the disproportion between culpability and suffering'^"." Die poetische Gerechtigkeit dagegen hat, wie К. v. Fritz zu recht betont, „vor allem in der Komödie Heimstatt gefunden", in der - genau nach Verdienst - die Guten schließlich belohnt, befeiert und verheiratet, die Schlechten, wenn nicht bekehrt, so verspottet, verprügelt und verjagt werden Hier hängt alles davon ab, wie Gefahr, Not oder Leid vom Dichter gestaltet werden; die Euripides-InterpreUtionen werden zeigen, daß dabei große Unterschiede in Atmosphäre und Ton möglich sind |z. B. zwischen Helena und ГГ). BRERETON, S. o.Anm. 119, 47. Ph. W . HARSH, 'Αμαρτία again, TAPhA 76, 1945, 47-58; v. FRTIZ, Tïagôdie, 1-112 (Tlragische Schuld und poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie) s. besonders S. 3, 15, 49ff., 84f. Aristoteles betont ausdrücldich, daß tragisches Leid unverdientes Leid sein muß (1453a 4f.). K. V. FRTTZ, Tragödie, 50. Vgl. Arist. Poet. 1453a 30ff. (dazu S. 254f.|

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3. Weiter ist für das Gefühl des Tragischen wichtig, daß das Unglück ein natürliches und logisches Resultat der Eigenschaften und Handlungen des Helden ist und nicht aus Umständen erwächst, die als völlig zufällig erscheinen. Τύχη ist die Göttin der Komödie. Bereits Aristoteles hat immer wieder betont, daß die Handlung der Tragödie den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und Zwangsläufigkeit folgen müsse'". Das gilt nicht nur für die innere Logik der dramatischen Entwicklung'^', sondern genauso für die Qualität des Stoffs und der einzeben Situationen und Ereignisse, die nicht unplausibel (άπίΟανον) oder gar unmöghch (άδύνατον) und irrational (άλογον) sein dürfen'^'. Phantastisches und märchenhaft Irreales hat von Aristophanes und Shakespeare bis in den modernen Film seinen Platz vor allem in der Komödie gefunden. Die Tragödie besteht auf Wirklichkeitsnähe. Der Zuschauer darf nicht das Gefühl verlieren - so Kitto - „that real persons in a real situation act and suffer in a real way." Anderenfalls geht die „Beziehungsmöglichkeit auf die eigene Welt" verloren und damit die Möglichkeit der Identifizienmg mit den Problemen und Leiden der Akteure, ohne die tragische Wirkung nicht möghch ist 4. Letzte Ursache tragischen Leidens ist die Unvollkommenheit des Menschen, seine existentielle άγνοια. Sturz und Veriüchtung oder doch die extreme Gefährdung und das Leid des Helden sind eine Folge dieser seiner Schwäche, die für die Weltanschauung des Tragikers mit der menschlichen Existenz gegeben ist. Der Weg der tragischen Handlung ist daher - teilweise oder gänzhch - ein Weg von der Verblendung zur Erkenntnis der Wahrheit. Diese άγνοια ist die Basis für die Bedeutung 1450b 29f., 1451a 11-15, 1451a 38, 1452a 24, 1454a 33-36; besonders wirkungsvoll ist eine dialektische Qualität der dramatischen Handlung. Das gilt für Komödie wie für Tragödie (zur T&agödie vgl. besonders SZONDI, S. O. Anm. 110; die angekündigte komplementäre Studie zur Komödie ist leider nicht erschienen]. Daß eine Handlung zwangsläufig das Gegenteil des intendierten Effekts bewirkt, kann je nach dem Effekt entweder tragisch oder komisch sein, und daß ein Mensch gerade auf grund seiner guten Eigenschaften und Intentionen ins Verderben stürzt, erschüttert uns genau so, wie es uns amüsiert, daß jemand gerade durch einen negativen Charakterzug oder eine böse Absicht das ermöglicht oder bewirkt, was er verhindern wollte. Arist. Poet. 1451a 11-15. Arist. Poet.: άπΙθανον: 1460a 27, 61b 12; άδύνατον: 1451b 17-19), 60b 23ff., 61b 9-12; άλογον: 1454b 6-8, |60a llff.|, 61b 14ff. 130 Κπτο, Greek Tragedy, 314; Κπτο hat diesen Punkt bei seiner Interpretation der von ihm als ,tragicomedies' bezeichneten Alk., IT, Ion und Hei. stark betont. ' ' ' LESKY, Griech. Tragödie, 22f.; vgl. Aristoteles' Definition des έλεος Rhet. 1385b: εστω δή ίλεος λύπη τις έπΙ φαινομένφ κακφ φθαρτικφ f| λυτιηρί^ϊ τοΟ άναξίου τυγχάνειν, ô κάν αύτός προσδοκήσειεν δν παθείν ή τών αύτοΟ τινα, καί τοΟτο όταν πλησίον φαίνηται. 42

und Wirksamkeit der tragischen Ironie, zugleich jedoch auch Voraussetzung für Anagnorisis und Peripetie, die nach Aristoteles' Auffassung die beiden zentralen Strukturelemente der Tragödie sind. Die Scheinbefangenheit der Personen, ihre Irrtümer, Mißverständnisse und Verwechslungen sind allerdings auch ein wesentliches Charakteristikum komischer Handlungen. Piaton hat im ,Philebos' (48eff.) die άγνοια als zentrale Voraussetzung des LächerUchen bezeichnet, und in der Tat könnte man, mit einer leichten Erweiterung seiner Überlegungen die άγνοια άβλαβής, im Sinne einer für die davon betroffenen Personen letztlich ungefährlichen Unwissenheit, als komisch gegen die tragische άγνοια βλαβερά im Sinne einer verhängnisvoll zerstörerischen Verblendung abgrenzen Der tragischen entspricht denn auch die komische Ironie, das heitere Spiel mit der harmlosen Unwissenheit der Akteure; Anagnorisis und Peripetie sind auch für die Komödie konstitutiv. Die UnvoUkommenheit des Menschen, die Inkongruenz zwischen seinen Hoffnungen und Idealen, Plänen und Erwartungen und dem, was er tatsächhch erreicht und bewirkt oder weiter gefaßt, die Spannung zwischen dem Menschen und seinem Schicksal, zwischen dem, was er sein möchte und dem, was er ist, bildet die gemeinsame Basis für Tragödie und Komödie Ob wir darüber lachen oder weinen, uns amüsieren oder erschrecken, hängt davon ab, in welchem Licht der Dichter den Widerspruch erscheinen läßt'^*, ob er seine tragischen oder seine komischen Aspekte und Folgen thematisiert

Vgl. dazu H. J. METTE, Gefährdung durch Nichtwissen in Tiragödie und Komödie, in: Musa iocosa, Arbeiten über Humor und Witz, Komik und Komödie der Antike, A. Thierfelder zum 70. Geburtstag, Hildesheim-New York 1974, 42-61 ¡ Platon unterscheidet (Phil. 49a 6ff.) zwischen άγνοούντες, die stark und mächtig sind und sich folghch rächen können, wenn sie ausgelacht werden (ihre άγνοια ist gefährHch und nicht zum Lachen] und denen, die schwach sind und sich also nicht wehren können gegen den Spott (ihre Αγνοια ist ohne Kraft [άσθενής] und lächerlich). Von der ,Schädlichkeit' der &γνοια für den άγνοών spricht Piaton nicht. Vgl. dazu C. HOY, Comedy, Tragedy and Ttagicomedy, Virginia Quarterly Review 36, 1960, 105-118 und (ganz ähnhch) das 1. Kap. von: The Hyacinth Room, New York 1964. V g l . GUIHKE, 5 8 .

Das gilt in einem sehr weiten Siime; GUIHKE, 56, stellt zu recht fest: „man könnte sicher eine eindrucksvolle Liste von Motiven zusammenstellen, die in der Weltliteratur sowohl tragisch wie komisch behandelt worden sind". GUTHKE erinnert daran, daß Lessings Fragment ,Der Schlaftrunk' „aus der Wette hervorgegangen ist, er köime aus jedem Stoff eine Komödie oder Tragödie machen", und an Schillers These (Über naive und sentimentalische Dichtung, in: Sämtl. Werke, Säkularausgabe 12, 198) „nicht das Gebiet, aus welchem der Gegenstand genommen, sondern das Forum, vor welches der Dichter ihn bringt, macht denselben tragisch oder komisch".

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5. Schließlich hat bereits Aristoteles die besser-als-wir-Qualität des tragischen Helden betont Von seinen Bemerkungen bis zu Frye ist die außergewöhnliche Statur des tragischen Helden als die notwendige Voraussetzung für Sympathie, Bewunderung oder Respekt sowie für die Erkenntnis der „bedeutenden Fallhöhe" und die überindividueUe Relevanz der Handlung zu recht immer wieder als Bedingung des Tragischen empfunden worden „What he represents is the furthest reach of human possibility, not its middle or middlemost reaches;... Thus, paradoxically, the hero of tragedy is representative of all humanity by being exceedingly unlike common humanity Wie weit der tragische Held sich dem Durchschnitt nähern darf, ist nicht einfach zu entscheiden; sobald er die Qualität des Außergewöhnlichen völlig einbüßt - und gewiß spätestens dann, weim er unter das moraUsche und intellektuelle Durchschnittsniveau des Publikums sinkt, wird er leicht zum Objekt von Hohn und Spott, Schadenfreude und Gelächter, d. h. zur komischen Figur Die Fruchtbarkeit des rezeptionsästhetischen Ansatzes und die Brauchbarkeit dieser Überlegungen zur Qualität tragischer bzw. komischer Handlungen müssen sich in den folgenden Interpretationen erweisen. Eine wichtige Unterscheidung sei zum Abschluß der theoretischen Vorüberlegungen noch angesprochen, um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen. Der Begriff ,komisches Element' ist mehrdeutig: komisch kann im Siime von ,zur Komödie gehörig' (κωμφδικός) und als ,zum Lachen' (γελοίος) verstanden werden. Euripides verwendet, wie die Interpreutionen zeigen werden, immer wieder Bauformen, Charaktere und Situationen, Motive, Themen und Handlungsmuster, die typische Elemente der abendländischen Komödientradition sind Daß diese KomöArist. Poet. 1448a 17f.; vgl. u. APPENDIX A S. 249f. FRYE, Anatomy, 33ff. •ä» LESKY, Griech. Tragödie, 21 f. 139 Vgl. dazu z. B. D . KROOK, Elements of Tl-agedy, New Haven und London 1 9 6 9 , 8 - 6 5 . KROOK, S. o.Anm. 1 3 9 , 3 7 . Gute Bemerkungen (und instruktive Beispiele) dazu bei BRERETON, S. o.Anm. 119, 17-19; Arist. Poet. 1448a 17f., dazu u. APPENDIX A S. 249ff. Auch κωμφδικός (und κωμικός] haben die beiden Bedeutungen a) zur Komödie gehörig imd b) komisch. Ein weiterer Unterschied muß gemacht werden zwischen Komödienelementen, die Euripides aus der zeitgenössischen Komödie übernommen hat oder doch übernommen haben kann und denen, die Bestandteil der nachklassischen, hellenistischen und modernen europäischen Komödientradition sind. Nur erstere konnten natürUch von Euripides' Zeitgenossen als Komödienelemente erkannt und damit Teil ihrer ästhetischen Erfahrung werden. Die letzteren sind von Interesse für den Literaturwissenschaftler, der Entwicklung und wechselseitigen Einfluß der beiden dramatischen Hauptgattungen verstehen will.

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dienelemente im Rahmen der Tragödie nicht unbedingt komisch wirken müssen, ist evident. Obwohl auch die Bestimmung und Beurteilung von Komödienelementen in der griechischen Tragödie nicht ohne Probleme ist, läßt sich in den meisten Fállen viel leichter Einigkeit erzielen, als wenn es darum geht, den komischen Ton eines Verses oder einer Szene zu bestimmen. Das ist verständlich. Ist es doch wesentlich einfacher, mit Hilfe von Parallelen zu zeigen, daß ein gewisses Motiv oder eine bestimmte Situation in der Komödie zu Hause ist, als zu beweisen, daß der Dichter auf ein Lachen oder Schmunzeln zielt. Hier kann nur genaue Einzehnterpretation helfen, der wir uns nun zuwenden

Es sei an dieser Stelle noch einmal mit Nachdruck betont, daß der Begriff ,komisch' ( = γελοΐον) in den folgenden Interpretationen bewußt in einem sehr weiten Sinn für ,alles das, was beim Zuschauer ein Lächeln oder Lachen auslöst' verwendet wird. Die Bandbreite des Arbeitsbegriffs reicht von heiter und ironisch bis burlesk imd grotesk. Intensität und modale Qualität des Komischen werden von Fall zu Fall genauer bestimmt. 45

2. Homer ab love principium

Xenophanes hat den gewaltigen Einfluß der homerischen Epen auf die griechische Geistesgeschichte in der lapidaren Feststellung zusammengefaßt: έξ άρχής καβ' "Ομηρον έπεί μεμαΟήκασι πάντες Ч So seien der Untersuchung komischer Elemente in der griechischen Tragödie ein paar Beobachtungen und Überlegungen zu Homer vorangestellt, der antiken wie modernen Kritikern aus den verschiedensten Gründen als Ahnherr und Lehrmeister der dramatischen Dichter galt und gilt. Die Verwandtschaft von Epik und Tiagödie und die Bedeutung der homerischen Epen für die Entwicklung der tragischen Dichtung ist offenbar bereits früh erkannt worden. Athenaios erzählt, daß Aischylos seine Stücke als „Scheiben vom großen Mahle Homers" zu bezeichnen liebte^; Piaton, der in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Dichtkunst^ Epik und Tragödie kaum differenziert, nennt Homer wiederholt „Ahnherr" (πρώτος), „Lehrer" (διδάσκαλος) und „Anführer" (ήγεμών) der tragischen D i c h t e r u n d Aristoteles schließlich, der in der Poetik immer wieder die Parallelen von Epos und Tragödie betont, versteht ,nias' und ,Odyssee' als archetypische Modelle der Tragödie ^ Mythischer bzw. historischer Stoff, Ernsthaftigkeit (σπουδαιότης) von Handlung und Charakteren, dialogische Quahtät der Mimesis, dramatische Struktur und innere Einheit der μηνις- bzw. νόστος-Handlung galten als Argumente für

' Xenophanes В 10 Diels-Kranz. 2 Athenaios 8, 347e; vgl. dazu Wilamowitz, Herakles I 95 f. mit Anm. 59. ^ Plat. Rep. Beh. 3, 4 und 10; für die reiche Lit. dazu s. H. Cherniss, Plate 1950-57, Lustrum 5, 1960, 520-554. « Plat. Rep. 595b lOff.; 598d 7í.¡ 605c lOff.j 607a 3; Homer als den ersten Itagiker zu verstehen, war offenbar so selbstverständlich, daß Plato in Rep. 605c die Wendung „Homer oder irgendein anderer der Tïagôdiendichter" gebraucht; vgl. auch das Σ zu Нот. II. А 332b Erbse, in dem berichtet wird, daß Homer als erster stumme Figuren (κωφά πρόσωπα) in die Ti-agödie (!) eingeführt habe, s Arist. Poet. 1448b 34 ff.

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den Anspruch Homers auf den Ehrentitel „Vater der Tragödie"'. Die moderne Kritik hat sich diesem Urteil durchaus angeschlossen und unser Verständnis der tragischen Quahtät der lUashandlung und ihrer großen Helden noch erheblich erweitert und vertieft ^ Zum Ahnherrn der Komödie hat wohl erst Aristoteles Homer gemacht®; für Piaton jedenfalls ist Epicharm der Vater der Komödie', und auch Aristoteles beruft sich nicht auf die beiden (oder eines der beiden) großen Epen, sondern auf den ,Margites', in dem er eine Urform der Komödie sieht Später tritt daim die ,Odyssee' an die Stelle des ,Margites', so z. B. bei Euanthius: Homerus..., qui Iliadem ad instar tragoediae, Odyssiam ad imaginem comoediae fecisse monstraturWann und von wem diese These zum ersten Mal vertreten worden ist, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Greifbar ist sie zuerst bei dem Anonymus περί ϋψους'^; sie ist jedoch gewiß älter. Aristoteles' Differenzierung von ,Ilias' und ,Odyssee' mit Hilfe des Gegensatzpaares πάθος und ήθος die auf Diskussionen der Sophistenzeit zurückgehen mag imd seine Bewertung des „zwiefachen Ausgangs" der komplexen dramatischen Handlung als

' Vgl. dazu (neben den in Anm. 3, 4, u. 5 aufgeführten Stellen) z. B. auch: Arist. Poet. 1448a 26; 1449b 9f., 16ff.; 1451a 22ff.j 1459a 30ff.; 1459b 7ff.) Aristoph. Ran. 1030ff.; Ps. Plut. Vit. Horn. 213; KAIBEL, C G F , S. 62f. (Euanthius), S. 37 Z . 95ff. (Tzetzes). ' Vgl. z.B. L . A . POST, From Homer to Menander, Berkeley 1951, 1-26; W . SCHADEWALDT, Von Homers Wek und Werk, 1959^ 155ff, (199f.); C. WHITMAN, Homer 181 ff,; LESKY, 48-50; id. Griech. Tragödie, 12, id. Homeros. R E Suppl. X I , 1967, Sp. 95 f. (dort auch weitere Lit.). ' Aiist. Poet. 1448b 34f., dazu R. v. POTTELBERGH, Bij een Aristoteliaansche Aporie, Ant. Class. 10, 1941, 83-89. ' Plat. Theaet. 152e. Arist. Poet. 1448b 36 ff.: οδτως καΐ τό τής κωμφδίας σχήμα πρώτος ύπέδειξεν, ού ψόγον άλλά τό γελοΐον δραματοποιήσας· ó γάρ Μαργίτης άνάλογον δχει, ώσπερ Ίλιάς καί ή 'Οδύσσεια πρός τάς τραγφδίας, οΰτω καΐ οδτος πρός τάς κωμφδίας. "

KAŒEL, C G F S. 6 3 Ζ . 2 6 f .

" 9, 15: δευτέρου δέ εϊνεκα προσιστορήσθω τα κατά τήν Όδύσσειαν, δπως ί] σοι γνώριμον ώς ή άπακμή τοΟ πάθους έν τοις μεγάλοις συγγραφεΟσι καΐ ποιηταΐς είς ήθος έκλύεται. τοιαΟτα γάρ που τά περί τήν τοΟ 'Οδυσσέως ήθικώς αύτφ βιολογούμενα οΙκίαν οίονεΐ κωμφδία τίς έστιν ήθολογουμένη. Zu Konstruktion und Verständnis des Satzes W . BÍJHLER, Beiträge zur Erklärung der Schrift vom Erhabenen, Göttingen 1964, 74-76. 1459b 13-15, dazu ELSE, 596-600 (600), vgl. weiter (Heracl.) quaest. Horn. 60, Eusth. prooim, in 11. 4, 44ff.; in Od. 1379, 40; zur Zuordnung von ήθος - 196ff., 217ff., 230/236ff., 247ff., 270-72, 280ff.

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So zeigt sich bereits bei der Betrachtung der ersten Szenen des Stücks, daß die Auffassung derer, die dem Thema ,Sinnlosigkeit des Krieges' in der ,Helena' keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung beimessen, falsch ist. Mit dem Auftritt des Menelaos (386) ändert sich der Ton des Stücks erhebUch. Seine Auftrittsrede, der Zusammenstoß mit der alten Sklavin am Palasttor und der anschließende Monolog sind durchaus komisch; ernstere Untertöne fehlen nicht vöUig, sind aber nur schwach. Da viele Kritiker die komische QuaUtät der Szenen entweder ignorieren oder bestreiten oder gar für „nicht intendiert" halten, kaim auf eine detaillierte Interpretation nicht verzichtet werden. Die Auftrittsrhesis des Menelaos (386-434) ist eine Art zweiter Prolog'^. Der Chor ist zusammen mit Helena ins Haus gegangen, um Theonoe nach dem Schicksal des Menelaos zu befragen. Bühne und Orchestra sind leer. Menelaos' Auftritt erhält dadurch besonderes Gewicht'®. In dem Moment, in dem Helena im Palast verschwunden ist, taucht in der Unken Parodos ein zerlumpter Mann auf''·. Aus seinen späteren Worten imd Taten läßt sich als ,Regieanweisung' erschUeßen, daß er sich vorsichtig, ja ängstlich dem Palast nähert. Der Zuschauer wird a h n e n und seinen Spaß daran haben - daß Helena den ersehnten Gatten um Augenblicke verpaßt hat". EndÜch hat der Fremde die Bühne erreicht und beginnt, oder besser ,hebt an': ώ τάς τεθρίππους ΟΙνομάω Πίσαν κάτα Πέλοψ άμίλλας έξαμιλληθείς ποτε, εΐθ' ώφελ^ς τόθ', ήνίκ' έραναν είς θεούς ΙπεισθείςΙ έποίεις, έν θεοίς λιπείν βίον, πρίν τόν έμόν 'Ατρέα πατέρα γεννήσαί ποτε, ός έξέφυσεν 'Αερόπης λέκτρων άπα STEIGER, 212f.¡ SCHADEWALDT, Monolog, 8; LUDVWG, 93, KANNICHT, Π 10-13, 122. " Dazu BURNETT, Catastrophe, 80 f., WHITMANN, 45. " 416, 421 f., 544f., 553f., 1079f.; 1204, zmn Kostüm des Menelaos und zu seiner Bedeutung für Handlung und Thema der ,Helena' vgl. KANNICMT, Π 121 f. " Sicher sein kann der Zuschauer nicht, daß es sich bei dem abgerissenen Fremden um Menelaos handelt, hat er doch mit Teukros schon einmal eine Überraschung erlebt (Teukros hat außerhalb des eur. Stücks mit der Geschichte von der ägyptischen Helena nichts zu tun|. " Verpassen ist ein wirkungsvolles dramatisches Motiv, von der Tragödie und Komödie reichen Gebrauch machen. Ob die Wirkung des Verpassens tragisch oder komisch ist, hängt von den Folgen ab. Hier sind sie eher komisch: die Verzögerung der Anagnorisis beschwört keine echten Gefahren herauf, dem Zuschauer bereitet sie folghch nicht angstvolle Sorge, sondern neugieriges Vergnügen. "

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Άγαμέμνον' έμέ τε Μενέλεων, κλεινόν ζυγόν πλείστον γάρ οΪμαι-καΙ τόδ' ού κόμπω λέγωστράτευμα κώπΐ] διορίσαι Τροίαν έπι, τύραννος ούδέν πρός βίαν στρατηλατών, έκοΟσι δ' &ρξας Ελλάδος νεανίαις (386-96). Mit diesen Worten ist nicht nur die Identität des Unbekannten geklärt, sondern auch der Ton gegeben. Man mag darüber streiten, ob man diesen Menelaos als ,miles gloriosus' bezeichnen sollteoder nicht. Daß er eine gewisse Verwandtschaft mit dieser beliebten Komödienfigur besitzt, kann aber kaum bezweifelt werden. Allzu deutUch ist der Kontrast zwischen Erscheinung und rhetorischer Selbststiüsierung; allzu bombastisch der Топ; allzu glatt der Übergang von der Verwünschung eines verhaßten Lebens zu prahlerischem Selbstlob. Was als Variation des tragischen μή φΟναι τόν άπαντα V I K Í J I λόγον - Topos (386 ff.)" begann, endet nach wenigen Versen im „ich bin der Größte"-Motiv der Komödie (392ff.). Darf der Bruder und König der Könige Agamemnon in Vers 392 den Glanz noch teilen, so steht am Ende dieser Selbstvorstellun^ Menelaos allein im Licht: Führer der größten Armee aller Zeiten (393/94) und das ohne jeden tyrannischen Zwang (395): „die Jugend Griechenlands gehorchte mir freiwillig" (396). Auch ohne den eingeschobenen Hinweis des Autors - και τόδ' ού κόμπφ λέγω (393) - wäre der prahlerische Ton dieser Verse deutlich". Der folgende Bericht seiner Irrfahrten und des Schiffbruchs vor der ägyptischen Küste (400ff.) zeigt dieselbe Mischung aus Selbstmitleid und Eitelkeit. Durch zahlreiche Anspielungen auf Odysseus (s. о. S. 162ff.) sorgt Euripides dafür, daß der Zuschauer diesen heim-

" So z . B . GRUBE, Drama, 3 3 9 , 3 4 5 ; BLAŒLOCK, 9 2 ; Kritik bei ALT, 15, die ihn (wie Helena) „psychologisch emster" nehmen möchte; KANNICHT, Π 1 2 5 f., 1 4 3 und WHTTMAN, 4 7 . " Liegt eine leichte Ironie nicht vielleicht schon darin, daß Menelaos in dem irrealen Wimsch, mit dem er seine Rede eröffnet, nicht sein eigenes Leben, sondern das seines Großvaters Pelops verwünscht?! Das erinnert an die Witze des Silenos und der Satyrn im ,Kyklops' (268f., 271 f.). Zum Text der Verse 386-89 vgl. DALE und KANNICHT ad loc., die sich beide für die von NAUCK angenommene Binneninterpolation 388b-389a aussprechen. In der Tat spricht manches dafür; angesichts der spöttischen Ironie, mit der Euripides Menelaos durchgehend behandeh hat, fragt man sich allerdings, ob die Bedenken gegen Stil und Ton (DALE: „possible in comedy (!) but not here"; ähnUch KANNICHT) diesem Menelaos nicht doch zu viel Ehre zuteil werden lassen. Die Frage Binneninterpolation bleibt daher m.E. auch nach KANNICHTS gründlicher Diskussion offen, zumal eine befriedigende Erklärung für die Interpolation auch bei KANNICHT fehlt, vgl. auch u. Anm. 100 und 103. " GRUBE, Drama, 3 3 9 ; auch LESKY empfindet den Ton als „leicht bombastisch" (Tiag. Dichtung, 416), sieht die Funktion aber nicht in der komisch-ironischen Destruktion eines tragischen Helden, sondern meint, der Ton solle „den Gegensatz zur Bettlertracht des Schiffbrüchigen stärker hervortreten lassen." 173

kehrenden Bettler mit dem Helden der ,Odyssee' vergleicht. Die komische Ironie dieser evozierten Parallele ist bereits hier nicht zu überhören. Was folgt (414ff.), immerhin fast die Hälfte seiner Rede, besteht aus umständlichen Erklärungen und Entschuldigungen, die immer klarer zeigen, was wir von dem stolzen Heerführer und Trojasieger zu halten haben. Er weiß nicht, wo er ist; derm er hat sich geschämt zu fragen - „so wie ich aussehe!" (414-417). Zur Begründung muß eine tragische Gnome herhalten, deren FormuUerung ihm allerdings nicht ganz geUngt: όταν δ' άνήρ πράξχι κακώς ύψηλός, είς άηθίαν πίπτει κακίω τοΟ πάλαι δυσδαίμονος

(417-19)

Der Sturz des Großen, der hier beschworen wird, ist freiUch nicht wie im ,Aias' oder im ,Oidipus lyrannos' die Vernichtung von Ehre und Existenz, sondern nur der Sturz aus der Tragödie in die Komödie: er hat nichts zu essen und nichts anzuziehen: χρεία δέ τείρει μ'· οϋτε γάρ σίτος πάρα ο0τ' άμφί χρώτ' έσθήτες· (420f.)"». In einem beinahe direkten Zuschauer-a-parte, für das es in der Tragödie kaum etwas Vergleichbares gibt fügt er hinzu, daß man das ja an seinem Kostüm sehen könne (421 f.). Für einen Moment stellt sich bei dem Gedanken an die verlorenen Feldhermgewänder die alte Mischung von Wehleidigkeit und Stolz wieder ein: πέπλους δέ τούς πρίν λαμπρά τ' άμφιβλήματα χλιδάς τε πόντος ήρπασ' (423f.). So hat er sich, seine Gefährten und die vermeintliche Helena in einer Höhle zurücklassend, auf die Suche gemacht und endUch von weitem den reichen Palast entdeckt, in dem er Hilfe zu finden hofft (430ff.). Der Schluß der Rede zeigt, daß er die Rolle des Bettlers schon so internalisiert hat, daß er gar nicht mehr auf die Idee kommt, sich als König von Argos vorzustellen und um Gastfreundschaft und Heimgeleit zu bit-

100 ErHärung dessen, was „Menelaos meint" (KANNICHT) und Parallelen bei KANNICMT, Π 128. Vgl. dazu (in anderem Zusammenhang) KNOX, Euripidean Comedy, 84f., 89 imd o. S. 17 f. Zum Problem der Zuschauer-Anrede D. ВАШ, Actors and Audience, A Study of Asides and Related Conventions in Greek Drama, Oxford 1977.

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ten, sondern nur noch hofft, als bettelnder Schiffbrüchiger ein Almosen zu erlangen: έλπίς δ' ёк γε πλουσίων δόμων λαβείν τι ναύταις (432f.). So endet die Rede, die mit einer großartigen Periode begann, in einem trivialen Anakoluth Aus den stolzen pindarischen Tönen des Anfangs ist eine devote Bettlerweisheit geworden: έκ δέ μή έχόντων βίονούδ' εΐ θέλοιεν, ώφελείν έχοιεν άν (433f.). Bietet bereits die Selbstdarstellung der Auftrittsrhesis wiederholt Veranlassung zu einem Lächeln über diese ironische Karikatur eines tragischen Helden, so wird Menelaos bei seinem Zusammentreffen mit der alten Türhüterin vollends zur komischen Figur. Auf sein Rufen (435f.) erscheint eine mürrische Alte, die ihn in rüdem Ton auffordert zu verschwinden (437-40) Euripides hat Menelaos keinen ehrenhafteren Gegner gegeben; es zeigt sich jedoch schnell, daß er nicht einmal diesem Gegner gewachsen ist. Er versucht es zunächst einmal mit einer Reihe von verbalen Bückhngen: Με. ώ γραία, ταΟτα, ταΟτ'· έπεί καλώς λέγεις. 6ξεστι, πείσομαι γάρ" άλλ' &νες λόγον (441-42) Nicht weniger als fünfmal in zwei Versen versichert er nach der beschwichtigenden Anrede „Mütterchen" der Sklavin seine Unterwürfigkeit; dabei geht er sogar so weit, das Gekeife der Alten als „καλώς λέγεις"ζυ bezeichnen und bittet ledighch darum, nicht ganz so laut angefahren zu werden (άλλ' άνες λ ό γ ο ν ) A l s er sich dann trotz eines erneuten „mach dich davon" (443) anscheinend der Tür zu nähern versucht, erlebt er etwas für einen tragischen Helden Unerhörtes: die alte Sklavin erhebt die Hand gegen den Trojasieger und hat auf seinen Aufschrei, der mehr Angst als Entrüstung zum Ausdruck bringt: Με. ά· μή προσείλει χείρα μηδ' ώθει βίςι (445), ιω Die Fonnulierungsschwierigkeiten, die Menelaos auch hier (s. o. Anm. 100| zu haben scheint, verstärken noch die Bedenken gegen eine Konektur der Verse 388 f. |s. o. Anm. 98). Denn auch das Argument, die gedankliche Ordnung der Verse sei unbefriedigend, verliert dadurch an Gewicht. "" Zur umgangssprachlichen Färbung des Geschimpfes vgl. KANNICHT, Π 1 3 1 . DALE ad loc. verwirft MURRAYS Text, den KANNICHT, Π 131 f. überzeugend verteidigt. Anders KANNICHT, Π 132, der den Ton dieser beiden Verse als „herablassend" empfindet; richtiger m . E . GRUBE, Drama, 339 (etwas überspitzt) und BURNETT, Catastrophe, 82. « " GRUBE, Drama, 340; ΚΑΝΝΙΟΓΓ, Π 132.

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nur die lapidare Antwort: „daran bist du selber schuld; wer nicht hören wül, muß fühlen." (446). Noch gibt Menelaos allerdings nicht auf Er versucht es diesmal in formellem Ton; dabei hebt er offenbar nicht nur die Stimme, sondern auch das stilistische Niveau, das bisher stark umgangssprachlich gefärbt war"": Με. άγγειλον εΐσω δεσπόταισι τοίσι σοίς . . . Με. ναυαγός ήκω ξένος, άσύλητον γένος

(447, 449).

Die Alte bleibt davon jedoch ungerührt; sie fordert ihn auf, sich ein anderes Haus für seine Bettelei zu suchen (450), und droht ihm unmißverständlich Prügel an, falls er ihr noch länger auf die Nerven falle (452). Der Jammer des Helden macht sich daraufhin in dem tragischen Aufschrei Luft: ,,αΐαΐ, wo ist mein berühmtes Heer?" (453). Die Troja-Armee, um sich Respekt bei der alten Türwächterin zu verschaffen! Hier erreicht der,tragische' Sturz des Helden seinen ,komischen Tiefpunkt Als Antwort läßt der Autor Menelaos durch die Alte darauf hinweisen, daß er sich hier nicht in der Tragödie, sondern in einer Komödienszene befinde: Γρ. ούκοΟν έκεΐ που σεμνός ήσθ', ούκ ένθάδε

(454)

Menelaos' bittere Klage, daß er zu unrecht so entehrt sei (455), - noch eirmial versucht er, auch stilistisch Tragödienniveau zu erreichen"^ dürfte nicht nur angesichts seines bisherigen Verhaltens wenig Zustimmung finden, sondern wird auch durch die Tränen, die ihm dabei kommen (456), diskreditiert. Die Alte erklärt ihm denn auch spöttisch, er möge versuchen, seine Freunde zum (Mit)weinen zu bringen (458)"^. Im letzten Drittel der Stichomythie erfährt Menelaos nicht nur endlich, wo er sich befindet (459ff.) sondern auch, daß eine gewisse He-

213: „In dieser lächerlichen Lage bewährt er sich freilich als der πολύτλας". Das gilt für 337 ebenso wie für 441 f. und 446 (448). Gewiß nimmt Menelaos sich ernst; von tragischer Ironie (KANNICHT, Π 134) kann man deswegen aber gewiß nicht sprechen; die komische Qualität betont zu recht schon G. THOMPSON, Postponement of Intenogatives in Attic Drama, CQ 33, 1939, 150. 11' Die Verwendung des Wortes σεμνός - term, technicus für den Tïagôdienhelden legt diese Assoziation (zumindestens für den modernen Leser) nahe; vergleichbar ist Kykl. 103f. 11^ Zur Stilhöhe (ohne auf die komische Wirkung einzugehen) KANNICHT, Π 135. 113 WiniMAN, 48, verweist, um Menelaos zu entschuldigen, auf Odysseus und AchiHeus, die auch einmal weinen; der Vergleich macht den Unterschied erst recht deutUch! '1* Leicht komisch wirken auch die Verse 461-63: Menelaos' emphatischer Jammemif (die ,gesteilte' Form hat Aristoph. in seiner Parodie [Thesm. 878] durch das ep.-ionische " " STEIGER,

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lena im Palast wohne, Zeustochter aus Sparta (470, 472) bevor er jedoch weitere Fragen stellen kann, bricht die Türhüterin mit einem letzten „doch nun verschwinde!"(477) das Gespräch ab. Nach einem etwas freundhcheren Hinweis auf die Lebensgefahr, in der er schwebt, überläßt sie Menelaos sich selbst und seinen Gedanken. Es folgt ein längerer Monolog, in dem Menelaos versucht, sich einen Reim auf die zweite Helena zu machen (483-514). Leicht fällt ihm das nicht: τί φώ; τί λέξω; (483). Das ist angesichts der phantastischen Situation auch nicht zu erwarten. Die Art und Weise jedoch, wie es ihm schwerfällt, wirkt komisch. Gewiß muß es Menelaos verblüffen, daß die fremde Helena eine Tochter des Zeus sein soll (489). Ein zweiter Zeus? Hier in Ägypten? Aber muß er sich auch noch selbst bestätigen, daß jedenfalls im Himmel nur ein einziger Zeus sei (491)? Nun geht Menelaos alle die merkwürdigen Verdoppelungen durch: zweimal Sparta (492f.); zweimal Tyndaros (494); zweimal Lakedaimon (495); zweimal Troja (496). Auch das löst gewiß eher ein amüsiertes Lächeln als mitfühlende Sorge aus. Schließhch hilft er sich aus dieser Apone (496) mit der Binsenweisheit, daß es in der weiten Welt sehr wohl gleichnamige Städte und Frauen geben könne (497-99). Begeistert vergißt er, daß damit sein Problem keineswegs gelöst ist, da die zweite Helena ja alle diese verwirrenden Doppelungen zugleich auf sich vereint. So erleichtert ist Menelaos angesichts der gefundenen Scheinlösung, daß er drei Verse nach dem Eingeständnis totaler Verwirrung (496) plötzlich nichts Erstaunhches mehr an der Sache findet: ούδέν ούν βαυμαστέον (499). Als habe er mit diesem intellektuellen Erfolg Contenance und Mut wiedergefunden, erklärt er nun, er werde nicht fUehen, sondern auf den πεπλώκαμεν noch verstärkt] tadelt die Graus mit der Frage, was er denn gegen den schönen Nil einzuwenden habe, worauf Menelaos, schlechter Erfahrungen mit der schlagfertigen Alten eingedenk, sie zu beruhigen versucht. Hier wirken IVlenelaos' Verblüffung und das wechselseitige Mißverstehen erheiternd: Menelaos kann nicht begreifen, von was für einer Helena die Alte spricht; die Alte wiederum, die ja von dem Eidolon nichts weiß, kann gar nicht verstehen, was Menelaos da redet (473, 475); GRUBE, Drama, 340: „The old womans' matter of fact tone is very amusing. It is all simple fact to her, and she takes no notice what so ever of Menelaos astonishment". Das hier statt des normalen άπιέναι verwendete Verbum ίρπειν (έρτιε entspricht etwa dem bayerischen „schleich di!") ist für diesen ,rückgratlosen' Menelaos besonders passend (auch wenn es sich um eine habitualisierte Metapher handelt). CoNACHER, 293: „With the ponderous logic of Strepsiades, Menelaos proceeds to enumerate the stultifying coincidences between this situation and the situation as he knows it". ScHADEWALDT, Monolog, 231 f. und KANNICHT, Π 139f., nehmen Menelaos auch hier ganz ernst, während DALE, ad loc., ausnahmsweise einmal ironische Töne nicht völlig leugnet: „Some degree of naivety and incapacity for hard reasoning is not out of place in Menelaos . . . but his simplicity must not be exaggerated".

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Herrn des Hauses warten (500, 505), und begründet die Entscheidung mit zwei Versen, die nicht nur zeigen, daß er seine eben angesteUten Überlegungen zur Homonymie bereits wieder vergessen hat - ein Menelaos ist natürlich einmalig! - sondern auch auf eine gelungene παρά προσδοκίαν-Pointe zulaufen: άνήρ γάρ ούδείς ώδε βάρβαρος φρένας, ός 0νομ' άκούσας τούμόν ού δώσει βοράν

(501 f.).

Nach τούμόν erwartet man: „mich nicht ehren wird, wie der Trojasieger es verdient"; es folgt jedoch „mir nichts zu beißen geben wird""'. Auch die folgenden beiden, leicht an Odysseus' berühmte Selbstvorstellung (Od. 9, 19f.) anldingenden Verse (503f.) wirken angesichts dieser Gestalt und in der frischen Erinnerung an seinen Mißerfolg bei der alten Sklavin nur noch komisch. Schon die nächsten Verse zeigen, daß er sich selbst ebensowenig wie die Zuschauer mit seinem Selbstlob überzeugt hat. Der auf der ganzen Welt bekannte Held, der Troja in Schutt und Asche legte, will sich lieber doch nicht auf seinen Namen verlassen, sondern erst einmal vorsichtig abwarten und sich notfalls heimhch zum Wrack zurückschleichen (505 f f . W i e d e r sorgt das unmittelbare Nebeneinander von bombastischer Selbstüberschätzung und furchtsamer Vorsicht für einen komischen Effekt; auch die zweite Rede endet schHeßlich mit Tönen des Selbstmitleids (510-12) und dem Versuch einer Rechtfertigung der Bettelei. Für diesen Menelaos brauchen wir den Text in 513 nicht zu ändern, um ihm einen ehrenvolleren Schluß zu verschaffen. Es ist genau der Ton, den wir von ihm erwarten λόγος γάρ έστιν ούκ έμός, σοφόν δ' έπος, δεινής άνάγκης ούδέν ίσχύειν πλέον (513f.). Von einer „Tragik der Situation" - so Pohlenz - „die den Trojasieger zwingt, an Barbarentüren um Brot zu betteln und sich von einer keifenden Alten die Tür weisen zu lassen", kann nicht die Rede sein Das empfindet auch Alt, die jedoch ihrerseits von einem „bitteren Reahsmus" Drama, 341; CONACHER, 293. 214; vgl. auch ALT, 17, die zwar die unerwartete Wendung des Gedankens, nicht aber ihre komische Qualität konstatiert. KANNICHTS Argumente (Π 143F.) gegen den von СОВЕТ athetierten Vers 5 0 4 sind in meinen Augen eher Beweise für seine Echtheit. Zum Ende der Szene auf dem Hintergrund anderer Türhüter-Szenen vgl. BURNETT, Catastrophe, 81 f.; es ist für die Wirkung dieses unheroischen Heros im übrigen von sekundärer Bedeutung, wie das κρύψας έμαυτόν in 507 zu verstehen ist, das heißt ob Menelaos sich auf der Bühne versteckt (so wohl zu recht die meisten Kritiker) oder nur seine Identität verheimlichen will (KANNICHT, Π 144|. Zum Text in 5 1 3 vgl. DALE ad loc.: „perfectly appropiate" und KANNICHT, Π 1 4 5 : „schlechthin geschmacklos". POHLENZ, Griech. Tïagôdie, 3 8 5 . GRUBE,

STEIGER,

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spricht und der Auffassung ist, daß die Komik der Szene, die sie nicht völlig leugnen möchte, „vielmehr decouvrierend und vielleicht erschrekkend, als befreiend" wirke Doch auch damit ist der Ton der Szene nicht getroffen. Dieser Menelaos ist keine bitterböse Karikatur eines tragischen Helden Die Ironie, mit der Euripides ihn in der ,Helena' präsentiert, hat nichts von der beißenden Schärfe, mit der er so oft die Heroen des Mythos attackiert und der Verachtung des Publikums preisgibt. Hier ist der Ton nicht kritisch aggressiv, wie in dem Menelaos-Porträt der ,Andromache', sondern spöttisch; nicht bissig, sondern amüsiert. Auch in dieser Szene geht der tragische Kontrapunkt des Stücks nicht völlig verloren. Menelaos kommt aus Troja; auch er ist ein Opfer des trojanischen Krieges, ein lächerliches Opfer eines lächerlichen Krieges. Hinter seiner komischen Unfähigkeit, die verwirrende Situation zu begreifen, lauert schon die bittere Wahrheit, daß er siebzehn Jahre lang für ein bloßes Nichts gekämpft und gelitten hat. Dieser Gedanke gewinnt im dritten und letzten Teil der Anagnorisishandlung zentrale Bedeutung. 515 ff. kehren der Chor und Helena aus dem Palast zurück. Gleich zweimal erfahren wir, was wir bereits wissen: Menelaos ist nicht nur nicht tot (515ff.), er ist sogar nah (530ff., 538f.)! Die auf den ersten Blick merkwürdige, weil unnötige Verdoppelung und Breite dieser für den Zuschauer überflüssigen Information erweist sich in dem AugenbUck als wirkungsvoll, wenn wir das Bühnenspiel berücksichtigen. Der Zuschauer sieht Menelaos in seinem Versteck und betrachtet die Konstellation mit wachsendem Amüsement, das in den Versen 540-42 seinen Höhepunkt erreicht Helenas flehender Wunsch: ώμοι, πόθ' ήξεις; ώς ποθεινός &ν μόλοις

(540),

ALT, 16. So erscheint er bei BLAIKLOCK, 8 5 - 9 3 , u n d SCHMIEL; ganz u n d gar positiv dagegen ver-

steht ihn M. DIRAT, Le personnage de Menelaos dans Helène, Pallas 23, 1976, 3-17. Natürlich braucht der Chor eine Epiparodos, und auch Helena kann nicht stumm wieder auftreten. KANNICHT, Π 152, sieht die Erklärung für die an die informierenden Auftrittsmonologe der neuen Komödie eritmemde Rhesis Helenas (528ff.) in dem Wunsch des Euripides, Helenas seeUsche Reaktion auf die freudige Nachricht zu präsentieren. Daß die nüchtern berichtende Rhesis „nicht eigentlich informativen, sondern pathetischen Stil" habe, ist jedoch übertrieben. S.o. Anm. 121; DALE, ad loc., verschenkt die dramaturgische Pointe der Szene, wenn sie erklärt: „Menelaos in half concealment has to be forgotten." Nichts spricht dagegen (und vieles dafür], daß Menelaos die Entwicklung verfolgt und (wie seine Nachfolger in den Lauscherszenen der Komödie) mit Reaktionen und Zeichen der Überraschung und Verwirrung begleitet. 12« Der Zuschauer kann Menelaos' Bericht mit dem der Theonoe vergleichen (520 ff., 532 ff.-400 ff.); komisch wirken angesichts des versteckten Menelaos vor allem der Vers 519 und die Mitteilung, daß Menelaos schon ganz nahe sei (538f.).

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der in einem anderen Kontext durchaus tragische Not signaUsieren könnte, wirkt in dieser Situation belustigend, weil in demselben Moment Menelaos sein Versteck verläßt und - von Helena noch unbemerkt - auf sie zutritt. Die Erheiterung wächst, wenn Helena den zerlumpten Fremden für einen Gehilfen des Theoklymenos hält und mit einem Aufschrei vor ihm flüchtet: ëa, τίς οδτος; oö τί που κρυπτεύομαι Πρωτέως άσέπτου παιδός έκ βουλευμάτων;

(541/42).

Daraus ergibt sich eine kurze aber lebhafte Verfolgungsszene, deren komische Ironie für den Zuschauer darin liegt, daß Helena ihre Ehre und Ehe (550-52) gerade von dem bedroht glaubt, für den sie beides so treu und ausdauernd bewahrt hat'^'. So gefährlich und emst die Situation auch von Helenas Standpunkt aus sein mag; für den Zuschauer überwiegt ganz eindeutig das Vergnügen. Seine Erwartung ist auf eine glückliche Anagnorisis gerichtet, an der er keinen Moment zweifelt. Conachers Vergleiche mit tragischen Anagnorisis-Situationen sind aufschlußreich. „The recognition-scene... reverses in one way situations such as the great Oedipus-Iocasta scene in the third episode of Sophocles' O. T., for in the Helena the hidden relationship, if revealed, would be a cause of great joy, not horror; it reverses in another way the recognition (in any of its versions) between Electra and Orestes, for though in both the ultimate recognition brings joy, not sorrow, it leads in the present instance toward a happy escape of the reunited ones, in the other toward the partnership in the tragic catastrophe of matricide." Weiter sei, um den Unterschied in der Atmosphäre deuthch zu machen, an den ,Ιοη' eriimert'^'. Dort flüchtet Kreusa, von ihrem Sohn verfolgt, an den Altar. Von der Anagnorisis hängt ihr Leben ab. Das gibt der Situation ihren tragischen Ton. Ähnhches gilt für die ,Iphigenie in Tauris' In der ,Helena' ist davon nichts zu spüren. Ihre άγνοια ist ohne Drohung; sie wirkt deshalb komisch In Vers 556 erreicht Helena den Altar. Sie dreht sich um, und beide er-

BURNETT, Catastrophe 82, sieht auch hier die Komik vor allem im parodistischem Spiel mit der tragischen "ftadition. CONACHER, 293; ALT, 6 f. Vergleicht Eur. El. 215 ff., wo Elektra beim Auftritt Oreste flieht; die Parallele ist in der Tat schlagend; Ton und Wirkung beider Szenen sind jedoch deutlich verschieden. '3' Ion 1250ff. S.u. S. 206. Das gilt für Menelaos' barsche Anrede 546 |vgl. ΚΑΝΝΙΟΓΓ, Π 155) und für seine Verwirrung über die wohlbekannte Gestalt |548f.) ebenso wie für Helenas Vergewaltigung suggerierenden Aufschrei: άδικούμεβ' (550| und ihre emphatische Betonung von Menelaos' Aufzug (554|.

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kennen sich sofort. Die besonderen Voraussetzungen dieser AnagnorisisSzene·^* führen zunächst zu dem folgenden erregten Hin und Her: Με. τίς εΪ; τίν' όψιν σήν, γύναι, προσδέρκομαι; Ελ. σύ δ' εΪ τίς; αύτός γάρ σέ κάμ' δχει λόγος. Με. ούπώποτ' εΪδον προσφερέστερον δέμας. Ελ. ώ θεοί- θεός γάρ καί τό γιγνώσκειν φίλους. (Με. Έλληνίς εΪ τις ή έπιχωρία γυνή ;) Ελ. Έλληνίς· άλλά καί τό σόν θέλω μαθεΐν. Με. Ελένη σ' όμοίαν δή μάλιστ' εΪδον, γύναι. Ελ. έγώ δέ Μενέλεφ γε σέ· ούδ'έχω τί φώ (557-64). Das wechselseitige Erstaunen und die parallele Form der Ausrufe und Fragen sind für den wissenden Zuschauer durchaus amüsant, zumal er die Entwicklung der Anagnorisis ja nicht voraussehen kann und deswegen hier auch noch nicht mit Komplikationen rechnet. Als Menelaos schließÜch in Vers 565 erklärt, daß er in der Tat Menelaos sei, gibt Helena ihre Zurückhaltung auf und stürzt auf ihn zu Für einen Moment sieht es so aus, als sei die Szene damit an ihrem Ziel. Doch Menelaos weicht entsetzt zurück: Με. ποίας δάμαρτος; μή Οίγης έμών πέπλων

(бб/).'^'

Die Komik dieser Reaktion beruht vor allem auf der unerwarteten Umkehr der Ausgangssituation. Jetzt ist es plötzhch Menelaos, der sich von einer fremden Frau, die in Wirklichkeit die eigene ist, bedroht fühlt und vor der Anagnorisis , d a v o n l ä u f t ' S e i n μή θίγης έμών πέπλων (567) entspricht Helenas άδικούμεθ' (550) Auch sein Aufschrei: Με. & φωσφόρ' Εκάτη, πέμπε φάσματ' εύμενή

(569),

muß angesichts der Tatsache, daß er zum ersten Mal seit Jahren kein φάσμα vor sich hat, sondern die richtige Helena, komisch wirken Vgl. dazu ΜΑΤΠΠΕ8ΕΝ, 127ff.; DILLER, Erwartung, 1 0 5 f . und vor allem ALT, lOff. Zu dem Komödienton paßt gut die Ambivalenz von άνδρα in 565 (vgl. KANNICHT, Π 159): Menelaos meint „Mann", Helena hört „Gatte" (mein Mann). Vgl. IT 795 ff.; dazu u. S. 207 f.; die kolloquiale Grobheit des Ausdrucks läßt auf eine heftige Bewegung schließen. Auch ohne Regieanweisungen ist die lebhafte Bewegtheit der Szene deutUch; vgl. auch DILLER, Erwartung, 1 0 6 f. BURNETIS, Catastrophe, 83, witzige Bemerkung zu 567 („a hard line for heroic deUvery when one has no such garment to boast of") beruht zwar auf einem falschen, weil allzu engen Verständnis des Wortes τιέπλοι (vgl. KANNICHT, Π 160), ist jedoch im Kem durchaus zutreffend. Denn auch, wenn τιέπλοι ganz neutral jede Art von „Körperbedeckung" bedeuten kann, muß der Aufschrei des abgerissenen Menelaos (nach den Versen 416f., 421 f. 554) lächerüch wirken. Vergleichbar sind 74 und 77, wo Teukros die richtige Helena für ein Abbild hält. 135

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Zugleich jedoch tut sich in Vers 567 die Möglichkeit eines Scheitems der Anagnorisis auf, und Menelaos' heftige Abwehr läßt uns zum ersten Mal die tragi-komische Problematik der Anagnorisis ahnen, die am Ende der Stichomythie ganz deutUch wird Der Ton wird emster, auch wenn er zunächst in Helenas Versuchen, Menelaos die ,Augen zu öffnen' „sieh mich doch einfach an!" - noch spielerisch bleibt Als Helena jedoch Troja und das Eidolon (582) erwähnt, kommt die Erinnerung an den Krieg und siebzehn Jahre Kampf und Herumirren zurück. Menelaos' Fragen bekommen einen sarkastischen Unterton (583, 585, 587). SchUeßhch bricht er das Gespräch gewaltsam ab: Με. μέθες με, λύπης άλις έχων έλήλυθα

(589)

und wendet sich zum Gehen. Gegen Helenas verzweifelte Versuche ihn zurückzuhalten (590, 592) setzt er endlich das entscheidende Argument: Με. τούκεΐ με μέγεθος τών πόνων πείθει, σύ δ' oö

(593).

Bumetts Interpretation'"^ beschreibt zwar die Situation korrekt, verfehlt jedoch Ton und Bedeutung völlig: „Here is a new sort of catastrophe, the Die Komik der Verse beruht darauf, daß Menelaos, der jahrelang für ein Phantom gekämpft und mit einem Phantom d»irch die Welt gezogen ist, nun die echte Helena für ein φάσμα hält. Die bittere Pointe liegt darin, daß Helena, der Fluchgeist llOjas und Griechenlands in einem tieferen Sinn durchaus als „Ausgeburt der Hölle" verstanden werden kann und von Euripides, am deutlichsten in den "йо., auch so bezeichnet worden ist: & TbvóápEiov ëpvoç, ούποτ' εΐ Διός, πολλών δέ πατέρων φημί σ' έκπεφυκέναι, 'Αλάστορος μέν πρώτον, εΪτα δέ Φθόνου, Φόνου τε Θανάτου 3' δσα τε γή τρέφει κακά. πολλοΐσι κήρα βαρβάροις Έλλησι τε δλοιο. (766-71). Die von KANNICHT, Π 161 ff., vorgeschlagene Änderung der überUeferten Reihenfolge (570, 575-81, 574, 571-73, 582ff.) bringt in der Tat größere logische Kontinuität; zwingend notwendig erscheint sie nicht (vgl. DALE ad loc.) es fragt sich (s. auch o. S. 93 Anm. 10 zu Herakl. 683ff.), ob logische Kontinuität für diese erregte Situation überhaupt ein adäquates Kriterium ist. Zum Ton vgl. BURNETT, Catastrophe, 83; es ist zwar ganz unwahrscheinlich, daß Helena Menelaos, wie A^RRALL, Essays 50, gemeint hat, in 578 ein Mal an ihrem Körper zeigt (vgl. 290f.; zustimmend GRUBE, Drama 342; richtig ALT, 19 Anm. 2); ebenso unwahrscheinlich ist es jedoch, daß sie, die so sehr von der Wirkung ihrer Gestalt überzeugt ist (548 f. hat sie darin bestärkt), in den Versen 576, 578, 580 ihre berühmten körperlichen Vorzüge nicht ins rechte Licht rückt. In der Form, die SEœiER dem überlieferten Text gegeben hat, wirkt 578 besonders amüsant: Helenas rhet. Frage τίς δέ σοΟ σοφώτερος; muß nach dem Eindruck, den Menelaos bisher gemacht hat, komisch wirken. Der Text ist jedoch umstritten. DALE und KANNICHT suchen auch hier nach einer ,unkomischen' Lösung für den korrupten Text. SCHWINGE, Stichomythie, 266f.; 588 müßte auch einem Gewitzteren als Menelaos wie pure Narretei vorkommen. BURNETT, Catastrophe, 84.

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exact opposite of the established tragic catastrophe, where kinsmen who fail to recognize threaten to do terrible harm to each other. What threatens at this point in the Helen is that the kinsmen, though they have recognized, will do nothing at all to each other . . . it looks at line 593 as if the Egyptian Helen will be left like a piece of unclaimed baggage while Menelaos goes off with a morsel of cloud." Der tragische Kern von Vers 593 ist dabei ganz ignoriert. Alt und Schwinge sehen den Ernst in der Verworrenheit der Situation und in Menelaos' hilflosem Hin- und Herschwanken zwischen Schein und Sein, Trug und Wahrheit. Aber auch diese Auffassung wird 593 nicht gerecht. Es ist nicht der epistemologische Aspekt des Eidolon-Problems, der dem Scheitern der Anagnorisis plötzUch einen bitteren Ton verleiht. Der sorgt, solange er vorherrscht (bis 580) eher für komische Ironie 593 dagegen macht dem Zuschauer schlagartig deutlich, daß die Anagnorisis für Menelaos nicht einfach wie für Helena die freudige Wiedervereinigung bedeutet, sondern zugleich die bittere Erkenntnis der Unsinnigkeit des Krieges und damit auch der Fragwürdigkeit seiner heroischen Erfolge'^«. Für einen Moment verdunkelt die tragische Vergangenheit die glückliche Gegenwart; für einen Moment scheint die Anagnorisis gefährdet. Doch nur für einen Moment. Der alte Diener bringt - wie ein deus ex machina - die erlösende Nachricht (597ff.), und Menelaos schließt Helena endlich in die Arme: & ποθεινός ήμέρα, ή σ' είς έμάς ^δωκεν ώλένας λαβείν (623f.). Auch in der kleinen Botenszene mischen sich ernste und heitere Töne. Auch hier verfolgt der Zuschauer, der ja Helena auf der Bühne stehen sieht, die Erklärung des Alten, daß Helena verschwunden sei, mit amüsiertem Interesse. Doch der komische Irrtum des Boten enthält zugleich die tragische Wahrheit. Die Feststellung: Αγ. λέγω πόνους σε μυρίους τλήναι μάτην

(603),

ist zwar so, wie der Alte sie meint, falsch, zugleich aber auch wahr. Das doppelte Mißverständnis der Verse 603f.'"' hat einen komischen und einen tragischen Aspekt. Der Preis für die unschuldige Helena und die glückliche Wiedervereinigung ist die Sinnlosigkeit des Krieges und seiner 20; SCHWINGE, Stichomythie, 263, 266 f. So richtig CONACHER, 293f. |s. dazu u. S. 196ff.) Zu Menelaos' glücklich-schmerzhafter Doppel-Anagnorisis vgl. 580 und ScHMiEL, 284f., 286 (zu stark psychologisierend). ALT,

GAL,

KANNICHT, I

54f.;

SE-

KANNICHT, Π 1 7 1 .

183

Opfer (608-15). Sofort jedoch schlägt der Ton wieder um. Der Diener erbhckt Helena und muß sich natürlich genarrt fühlen: ώ χαίρε, Λήδας θύγατερ, ένθάδ' ήσθ' &ρα; έγώ δέ σ' άστρων ώς βεβηκυίαν μυχούς ήγγελλον εΙδώς ούδέν ώς ύπόπτερον δέμας φοροίης (6I6-619a). Das Mißverständnis wirkt komisch; doch bereits die folgende, kritische Bemerkung des Alten erinnert noch einmal an den trojanischen Krieg und seine Leiden (619b-621). Angesichts der besonderen Voraussetzungen dieser Anagnorisis wundert es nicht, daß sich in dem anschließenden Duett stärker als in anderen Anagnorisis-Amoibaia dunkle Töne in die Freude über das Wiedersehen mischen Immer wieder richtet sich der Blick auf die Vergangenheit. So bleibt Menelaos' Reaktion auf Helenas jubelnde Freude von Anfang an eher kühl, und seine drängenden Fragen führen in der zweiten Hälfte des Amoibaions zu einem „peinhchen V e r h ö r " S o endet schheßhch, was in jubelnder Freude begann, in einem düsteren Katalog der Leiden, die die doppelte Helena über Troja und Griechenland gebracht hat (684-697). Mit dem Amoibaion ist das dramatische Ziel der Anagnorisishandlung erreicht. Es folgt eine Szene, die in dieser Form keine Parallele in den vergleichbaren Anagnorisis-Dramen hat (700-760) Der alte Diener, der die überraschende Wirkung seiner Nachricht mit wachsender Verwunderung beobachtet hat, bittet um eine Erklärung der ihm rätselhaften Freude (700f.) und zieht, als er begreift, was geschehen ist, in zwei kurzen Rheseis seine Folgerungen aus der paradoxen Wende. So als seien die Hinweise in den vorangegangenen Szenen dem Autor noch nicht deutlich genug, wird der Preis, der für das Glück dieser Anagnorisis gezahlt werden muß, noch einmal ausdrücklich genannt. Die tragische Kehrseite der Komödie, die das Eidolon ermöghcht, ist die Erkenntnis der unberechenbaren Willkür und spielerischen Zufälligkeit göttlichen Wirkens und der Absurdität des Krieges um ein Luftgebilde. Der alte Sklave hält keine "" Zum Text des Amoibaion vgl. besonders Zvmz, "П-ansmission, 245-48 und KANшснг, Π 183ff.¡ zu Foira und typischen Elementen der Anagnonsis-Amoibaia SCHADEWALDT, Monolog 214 Anm. 1; SOLMSEN, Ion, 396f.; MATITHESEN, 134-38. " " ZUNTZ, Transmission, 246f.; KANNICHT Π 176f. KANNICHT, II, 1 7 7 ; SCHMŒLS bitterböse Psycho-Analyse des ,Liebesduetts eines egoistischen und desillusionierten Ehepaares' geht allerdings ein erhebliches Stück zu weit. Gute Interpreution durch ZUNTZ, Helena, 214-17; KANNICHT Π 201 f. und BURNETT, Catastrophe, 85-88. 184

flammende Invektive gegen die Götter und den Krieg er findet zwischendurch auch Zeit für persönliche Erinnenmgen (722ff.), Allgemeinplätze (726ff.) und ein kleines Selbstlob (728ff.); Anfang (703-15) und Ende (744-51) seiner Reden werden jedoch dadurch in ihrer Wirkung nicht geschwächt. Με. ούχ ήδε, πρός 5εών δ' ήμεν ήπατημένοι, νεφέλης άγαλμ' έχοντες έν χεροϊν λυγρόν. Θε. τί φχις; νεφέλης &ρ' άλλως εϊχομεν πόνους πέρι ; (704-706) Κάλχας γάρ ούκ εΪπ' ούδ' έσήμηνε στρατφ νεφέλης ύπερθνησκοντας είσορών φίλους ούδ' "Ελ^νος, àiXà πόλις άνηρπάσθη μάτην (749-51)'". Der Alte ist ein einfacher Sklave. Der persönhche BUckwinkel und Ton, seine Gedanken und Redeweise bringen das deutUch zum Ausdruck Seine Reden - und die Tatsache, daß er für eine ganze Szene die Bühne beherrscht - erinnern an die ,guten Sklaven' der Komödie. Seine Wirkung ist jedoch keineswegs komisch. Das hegt nicht nur an dem, was gesagt wird, sondern auch daran, daß es ein Sklave sagen muß. Die Zeiten, in denen die Helden die Folgerungen aus dem Lauf der Ereignisse zogen, in denen ein Eteokles oder Aias, ein Oidipus oder Philoktet die Welt und die Stellung des Menschen darin zu deuten und werten versuchten, sind vorbei. Ein Sklave ist an ihre Stelle getreten Menelaos und Helena stehen daneben, unbeteiligt, ohne viel zu begreifen, wie es

DALE, Helen Х П und ad 7 4 4 - 6 0 , schließt daraus zu unrecht, daß das Thema Sinnlosi^eit des Krieges unbedeutend für den Krieg sei. Thukydides berichtet vom Volkszom, der sich nach der siz. Katastrophe auch gegen Orakeldeuter und Seher richtete (Thuk. 8,1). Der bei Euripides wiederholt auftauchende Angriff auf die Mantik (Material bei L. RADERMACHER, Euripides und die Mantik, R M 53, 1898, 497-510) gewinnt daher im Frühjahr 412 eine besondere Aktualität. Gewiß erschöpft sich darin nicht die Bedeutung dieser Verse (vgl. ZUNTZ, Helena, 215f.; KANNICHT Π 211 f.); die unüberhörbare aktuelle Anspielung ist jedoch wichtig. Sie sorgt dafür, daß der Zuschauer die desillusionierenden Erkenntnisse des Alten auch auf die eigene Sitiiation bezieht: tua res agitur. Gute Bemerkungen dazu bei BURNETT, Catastrophe, 87 und bei DALE, ad 711ff.¡ es muß überraschen, daß DALE, trotz der Beobachtungen zur stil. Ethopoiie in 711 ff. kurz darauf in 744-57 gleich mehrfach in den überUeferten Text eingreift, um ihn zu nonnahsieren. KANNICHT, Π 201, glaubt, daß die Wahl eines Therapon, die zunächst durch die äußeren Umstände der Fabel bedingt sei, „zugleich von dem sozialen Engagement des Euripides mitbestimmt ist".

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scheint'". Diese Konstellation vertieft noch den Ernst der kleinen Szene'". Mit dem Abgang des Alten ist die Anagnorisishandlung endgültig abgeschlossen. Der zweite Teil des Stücks, Planung und Durchführung der rettenden List, beginnt Bis zu dem Augenblick, in dem Theonoe als Bundesgenossin gewonnen und damit der Erfolg des Mechanema so gut wie gesichert ist, verleiht die Gefahr dem Spiel einen gewissen Ernst. Die Vorbereitung des Tricks und die Überhstung des hilflosen Gegners sind dann nur noch ein komisches Vergnügen. Ironie und komische Zwischentöne fehlen jedoch auch zu Anfang der Mechanemahandlung nicht. Für den Ton der Szene ist entscheidend, daß genauso wie in der Hikesie (s.o. S. 168) die Gefahr, in der die Helden schweben, trotz aller Worte vom Zuschauer kaum als tödliche Bedrohung empfunden wird. Allzu sorglos bewegen sich Menelaos und der alte Diener im griechenmordenden Ägypten, und das Gespräch zwischen Menelaos und Helena (779ff.) mit seinen Rückbhcken und Umwegen vermittelt gewiß nicht den Eindruck zweier Menschen, die unter Zeitdruck verzweifelt nach einer Rettung aus Todesgefahr suchen. Ab und zu ist ein amüsiertes Schmunzeln erlaubt. So z.B., wenn Helena über Menelaos' Bettelei am Palasttor in eine tragische Klage ausbricht und Menelaos sie und sich - mit einer komischen Variation der bedeutungsvollen όνομα πράγμα Antithese zu beruhigen versucht: Ελ. oö που προσήτεις βίοτον; & τάλαιν' έγώ. Με. τοϋργον μέν ήν τοΟτ', όνομα δ' ούκ εΪχεν τόδε

(791 f.)

oder gleich anschUeßend, wenn Menelaos (wie wir) seiner Helena das ärmliche Strohlager nicht so recht glauben mag Schheßlich erinnert Vgl. KANNICHT, Π 202, der zurecht betont, daß diese chorliedartige Isolierung der Reden des Alten ein Hinweis darauf ist, „daß die Aussagen des Therapon die gegebene dramatische Situation transzendieren". Die Bedeutung der Szene wird unterstrichen durch ihre Stellung im Zentrum des Stücks, in der Fuge zwischen Anagnorisis- und Mechanema-Handlung. 'S» Vgl. bereits 734ff.; Menelaos' Auftrag an den Alten bereitet, auch ohne daß Menelaos sich darüber bereits im klaren ist (KANNICHT, Π 210|, einen wichtigen Teil des später von Helena entwickelten Fluchtplans vor. Es ist witzig, daß Menelaos in 795 die övoμα-πpάγμα-Antithese, die ihn so lange verwirrt hat, nun einmal selber zu seiner Entschuldigung zu benutzen versucht und dabei nicht merkt, daß er sie falsch herum anwendet. " " 795ff.; lange Zeit (von 783ff. an) dreht sich das Gespräch vor allem darum, ob Helena nun Menelaos betrogen hat oder nicht - ein unsterbUches Komödienthema, das hier seine besondere Pointe durch den Hintergrund der mythischen Tradition gewinnt (784!|. Der erste berühmte mari cocu des abendländischen Theaters hat Mühe, dem Dichter die Erfindung einer treuen Helena abzunehmen. Auch hier verfehlt eine psychologische Interpre-

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auch der Kontrast zwischen den markigen Versicherungen, daß der Trojasieger nicht kampflos weichen werde (806, 808) und dem deprimierten Eingeständnis: „Ich bin des Todes!" (824) allzu sehr an den Menelaos der Türhüter-Szene. Die Begründung lautet denn auch nicht etwa: „der Gegner ist allzu mächtig", oder „doch ich werde kämpfend untergehen", sondern „denn ich kann nicht verborgen bleiben!" Auch der emotionale Höhepunkt der Szene ist, so scheint es, nicht frei von ironischen Untertönen. Die Entscheidung, wenn nötig gemeinsam zu sterben, weckt keine Assoziationen an einen romantischen Liebestod. Helenas Sorge um ihre Reputation (841 ) ist in diesem Kontext ebenso desillusionierend'®' wie Menelaos' penible Formahsierung des Versprechens (835-40) Auch die Erneuerung des trojanischen Krieges auf dem Grab des Proteus, die Menelaos vor sich sieht, wirkt weder rührend noch erhebend, sondern eher ψυχρώς und ein wenig lächerlich Vor allem aber wird der Zuschauer die Ursache für das Selbstmordversprechen nicht vergessen. Dieser Selbstmord, den Helena verspricht, ist kein selbstloses Opfer (wie bei Makaria und Euadne, bei Iphigenie und Menoikeus) und keine unabdingbare Folge tragischen Schicksals (wie bei Aias, lokaste und Deianeira). Er erwächst nicht aus Not, Leid oder Liebe, sondern aus Menelaos' tiefsitzendem Mißtrauen

tation den Ton der Szene. Der Zuschauer leidet nicht mit Menelaos und seinen Sorgen um die eheliche Treue seiner Frau oder mit der zu Unrecht verdächtigten Helena. Vgl. 298 ff. und dazu Anm. 84. Die Tatsache, daß es sich um einen Topos der Selbstmord- und Opferszenen handelt, kann nicht heißen, daß die Wirkung des Topos in seinem jeweiligen Kontext nicht ganz verschieden sein kann. V g l . ScHMiEL, 2 8 9 .

Das gilt für die großartige Ankündigung der ,Schlacht um Helenas Bett' (843f.) ebenso wie für die von KANNIOTT, Π 227, beobachtete Unlogik des Menelaos (845f.). Im übrigen klingt das ganze Argument wie eine ironische Umkehr der alten Kritik an Menelaos, daß er Helena nicht sofort nach der Eroberung lïojas getötet habe. "" Die Entwicklung des Dialogs, die zu dem Versprechen führt (832ff.| läßt daran keinen Zweifel. Von einem „spontanen Einverständnis beider darüber, gemeinsam zu sterben" (KANNICHT, Π 226| kann keine Rede sein (vgl. auch Anm. 163). KANNICHT, Π 226 ff., nimmt die Szene (wie schon WFFILAND, Grundriß und Beurteilung der Helena des Euripides, Neues attisches Mus. 1808, 45ff., dazu STEIGER, 211 f.) völlig ernst. Es fällt jedoch, selbst wenn man die ironischen Untertöne einmal beiseite läßt, schwer zu glauben, daß der Zuschauer an dieser Stelle der Helena auch nur einen Moment mit der Möglichkeit eines Selbstmordes rechnen und also wirklich έλεος und φόβος empfinden kann, die bei KANNICHT zurückgewiesene Auffassung von HIRZEL ist zwar übertrieben, der Wahrheit jedoch näher als eine tragische Interpretation. Wer die Möglichkeit einer ironischen Interpretation der Szene nicht ausschließt, wird seinen Spaß an GRUBES, 344, witziger Bemerkung haben: „He ends with a nice touch; if they faU, he will kill Helen first and die after. Evidently he does not want to take any chances of leaving her to the Egyptian." 187

An dem tiefen Ernst und der thematischen Bedeutung der anschheßenden Theonoe-Szene (857 ff.) besteht nach den Interpretationen von Zuntz, Conacher, Kannicht, Matthiesen, Burnett und Whitman heute kein Zweifel mehr Ich kann mich daher im Rahmen meiner Fragestellung auf ein paar Bemerkungen zur Rede des Menelaos beschränken, in der wenn nicht komische, so doch ironische Töne nicht ganz fehlen Bereits der Anfang muß bei dem Zuschauer, der Menelaos' stolze Worte mit seinem Verhalten in der Türhüterszene vergleicht, zimiindestens ein Schmunzehi auslösen'^': Με. έγώ σόν ο0τ' άν προσπεσείν τλαίην γόνυ οΰτ' ÔV δακρύσαι βλέφαρα- τήν Τροίαν γάρ άν δειλοί γενόμενοι πλείστον αίσχύνοιμεν &ν. καίτοι λέγουσιν ώς πρός άνδρός εύγενοΟς έν ξυμφοραίσι δάκρυ' άπ' όφθαλμών βαλ^Ϊν. άλλ' ούχί τοΟτο τό καλόν, εί καλόν τόδε, αΙρήσομαι 'γώ πρόσθε τής εύψυχίας (947-53). Für den athenischen Zuschauer mag die besondere Pointe darin gelegen haben, daß Menelaos in dieser erasten und ehrenhaften Situation vor der ,Richterin' Theonoe durchaus, ohne sich lächerhch zu machen, weinen könnte es jedoch ablehnt, in der komischen und erniedrigenden Begegnung mit der Alten dagegen seinen Tränen freien Lauf läßt. Die pathetische Wendung an den toten Proteus verliert schon durch ihre vorangehende Ankündigung (959-61) den Ton echter Empfindung ' ' ' und endet in einer irritierenden Durchbrechung der Illusion, die genau wie 421 f. unfreiwillig komisch wirkt: „ich weiß natürlich, daß du sie mir nicht (selbst) zurückgeben wirst, denn du bist ja tot" (965). Auch der folgende pathetische Hilferuf an Hades wirkt in seiner grotesken Übertreibung wie eine Gebetsparodie & νέρτερ' "Αιδη, καί σέ σύμμαχον καλώ, δς πόλλ' έδέξω τήσδ' έκατι σώματα πεσόντα τώμφ φασγάνω, μισθόν δ' δχεις.

MATTHIESEN, Theonoeszene, 696 f., warnt allerdings zu recht davor, die Bedeutung der lange unterschätzten Szene nun zu überschätzen. BUKNETT, Catastrophe, 90-92 (nicht ohne Übertreibung der Komik); WHTTMAN, 5 7 . GRUBE, Drama, 3 4 5 ; BUKNETT, Catastrophe, 90. Lipsius, Attisches Recht, 919 f. Zur ,frostig'-rationalen Qualität der Rede des Menelaos vgl. LUDWIG, 4 9 , der diesen Ton allerdings nicht als Ethopoiie verstanden wissen will (dazu KANNICHT, Π 2 4 8 ) . BURNETT, Catastrophe 9 1 f. erinnert an den Kommos der Choephoren.

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ή νΟν έκείνους άπόδος έμψύχους πάλιν, ή τήνδε πατρός t εύσεβοΟς άνάγκασον κρείσσω t φανεΐσαν τάμά γ' άποδοΟναι λέχη

(969-74)

Nach einer in ihrer Genauigkeit fast geschmacklosen Beschreibung des angedrohten doppelten Selbstmords (982ff.) wird Menelaos - offensichtlich vo'n seinen eigenen Worten beeindruckt - schließlich doch noch von Rührung überwältigt (991 f.) i^l Die Stellung der Rede zwischen dem unpathetisch klaren Plädoyer der Helena (894ff.) und der schlichten imd ernsten Rede, in der Theonoe ihre Entscheidung begründet (998ff.), läßt die Ironie, mit der Euripides Menelaos auch hier gezeichnet hat, noch deuthcher hervortreten. Auch hier ist die Ironie jedoch nicht bitter, sarkastisch, sondern spöttisch, amüsiert''^

Mit Theonoes Entschluß zu schweigen (1023) ist der erste und entscheidende Schritt auf dem Weg zur Rettung getan. M e s weitere wird zum vergnüglichen Spiel Bereits in der sich unmittelbar anschheßenden Fortsetzung der Beratung (1032ff.) deutUch leichter. Amüsiert verfolgt der Zuschauer zunächst Menelaos' vergebUche Versuche, einen Plan zu entwerfen Zuerst übersieht er, daß sie mit Pferd und Wagen nicht weit kommen würden (1039ff.) - vergessen sind dabei übrigens auch die armen Gefährten Dann schlägt er erneut die Ermordung des Theoklymenos vor (1043ff.), einen Plan, den Helena schon früher als imreahsier-

Vgl. auch GRUBE, Drama, 345 Anm. 2, der meint, daß Menelaos sich hier zu allem Überfluß nach der ,Entthronung' Agamemnons (s.o. S. 173) als der wahre Achilleus stilisiert: „A Greek spectator could hardly miss the reference to Iliad 1, 3-4." So KANNICHT, π 253J CAMPBELL, 114 meint, daß er zwischen 990 u n d 991 wirklich in

Ti-änen ausbricht. Ein wenig von dieser amüsierten Ironie spürt ZUNTZ, Helena, 211, zu recht auch in der Rede Helenas: „But Helen, Helen of all women, presenting herself as a mere object, an appendage, a piece of property belonging to the only relevant husband: are we allowed a smile and an ironical thought during this plea of the devoutest of wifes" |zu dieser Art von Ironie s. о. S. 157); SEGAL, 590, zu 1102ff.: „It may be somewhat amusing to find Helen criticizing Aphrodite for her excesses". Vgl. 829 (^αδίως); auch hier ist ein Blick auf die wesentUch ernsteren Partien der ΓΓ aufschlußreich (s.u. S. 208ff.). SciwiNGE, Stichomythie, 126f., tut Menelaos deim doch zu viel Ehre an, richtig GRUBE, Drama, 346, und KANNICHT, Π 264, der allerdings die Funktion der „fast unglaubwürdigen Einfallslosigkeit" des Menelaos nicht in einer Ironisierung des Menelaos sieht, sondern in einer Betonung von „Hel.'s brilliantem Einfallsreichtum". Der Zuschauer dürfte kaum wie Menelaos vergessen haben, daß Menelaos ihnen vor nicht langer Zeit ausdrücklich durch den Therapon befohlen hat, auf ihn zu warten (737-43).

189

bar verworfen hat (809-11) „Das Ziel jedes sinnvollen μηχάνημα, die Beschaffung eines seetüchtigen Schiffes, kommt ihm nicht einmal da in den Bhck, wo es ihm in die Augen springen müßte: 1047/48, wo er seine unrealisierbaren Vorschläge kopflos mit dem Argument verteidigt, er verfüge doch nun einmal über kein Schiff mehr, auf dem sie sich retten könnten'"'". Helenas Ton ist denn auch leicht spöttisch, als sie endlich die Initiative ergreift: Ελ. άκουσον, ήν τι καΐ γυνή λέξη σοφόν

(1049).

Zügig entwickelt sie ihren genialen Plan. Menelaos bleiben nur Fragen, Einwände und schließhch Bewunderung für so viel Raffinesse. Zu dem Spaß an den Akteuren, an der Beschränktheit des Menelaos ' ' ' und der souveränen Überlegenheit Helenas kommt noch das Vergnügen an der Art des Plans, der eine komisch-ironische Umkehrung der Anfangssituation ist: Menelaos' Tod, zu Beginn des Stücks Anlaß ,tragischer' Befürchtungen, wird jetzt zum zentralen Element der ,komischen' Intrige; Helenas echte Trauer um den ,toten' Gatten wiederholt sich in der falschen Trauer um den lebenden; sogar die Lumpen, die Menelaos so sehr beunruhigt haben, erweisen sich plötzlich als nützlich (1079f.)"''; wichtiger noch: die ,Verdoppelung' des Menelaos führt zu einer durch und durch komischen Variation der Eidolon-Geschichte und der den ersten Teil des Dramas in ernsterer Form bestimmenden Schein-Sein-Thematik'". Die beiden Szenen, in denen Theoklymenos überlistet wird (1165 ff.; 1390ff.), sind reine Komödie. Die dunkleren Aspekte des Stücks sind auf

ScHwmcES Entschuldigungsversuch nützt Menelaos wenig (Stichomythie, 127 Anm. 34); daß er, nachdem er Theonoe gesehen und gehört hat, glauben kaim, daß sie die Ermordung des Bruders zulassen werde, spricht auch nicht gerade für seine Intelligenz. KANNICHT, Π 264 (auch hier übrigens kein Wort zur komischen Quahtät], Er begreift entweder gar nicht (1055f., 1059f.| oder nur die Hälfte (1063f., 1067); SCHWINGE, Stichomythie, 128, erweist ihm auch hier zuviel Ehre. Eine besondere Pointe hegt in 1056. Menelaos' Charakterisierung des Plans als „alter Hut" gehört in die nicht kleine Reihe von Stellen, an denen Euripides sich einen Scherz mit der dramatischen Tïadition erlaubt. Der verzweifelte Versuch herauszufinden, an welche Falle Menelaos wohl gedacht haben könnte (von WHAMOWIIZ, Hermes 18, 1883, 241, bis KANNICHT, Π 268) hätte Euripides gewiß amüsiert (vgl. GRUBE, Drama, 346; WHITMAN, 61 f.). Das merkt Menelaos ausnahmsweise einmal selbst; gleich darauf ist er jedoch wieder auf Helenas Hilfe angewiesen ¡1083f.). So nach STROHMS, 8 0 , Hinweis auch PIPPIN, 1 5 4 ; CONACHER, 2 9 8 f. und KANNICHT, I 6 8 f. und Π 3 0 5 .

190

die Chorlieder beschränkt. Juxtaposition, nicht Integration von heiteren und ernsten Elementen bestimmt diesen Teil des Dramas Überlistungsszenen gehören zum Standardrepertoire der griechischen Tragödie Ihre Wirkung beruht darauf, daß der Zuschauer, als Zeuge der Vorbereitungen oder auf andere Weise über Voraussetzungen und Ziele informiert, das Spiel, das der Wissende mit dem Unwissenden treibt, als eine Art Komplize mit besonderer Aufmerksamkeit und Hellhörigkeit verfolgt. Atmosphäre, Ton und emotionale Wirkung dieser Szenen hängen dabei entscheidend davon ab, was auf dem Spiele steht Warten am Ende des Gesprächs Tod oder grausame Bestrafung auf den Überlisteten (wie z.B. in Aisch. Cho., Soph. El. oder Eur. Hek.), so ist die Atmosphäre düster, der Ton drohend, die Ironie tragisch. Diese Szenen sind meistens recht kurz. In einer solchen Situation ist ein langes Katzund-Maus-Spiel mit dem Opfer dramatisch unplausibel und emotional unbefriedigend, auch wenn der Zuschauer sich mit der Katze identifiziert. Ist das Ziel der Intrige dagegen nicht Rache, sondern Rettung (wie z.B. in IT und Hei.) und wird der Gegner zwar getäuscht aber nicht vernichtet, so ist der Ton leichter, die Ironie oft amüsant. Diese Szenen sind lang. Frei von ,Furcht und Mitleid' folgt der Zuschauer dem für alle Beteiligten letztlich harmlosen Überlistungsspiel mit wachsendem Vergnügen. Das gilt in besonderem Maße für die ,Helena', weil hier durch die Theonoe-Szene auch der letzte Zweifel an einem glücklichen Ausgang geschwunden ist Mit Theoklymenos' irrtümUcher Annahme, Helena sei geflohen, beginnt das komische Spiel mit Schein und Sein, Trug und Wahrheit'". Seine ahnungsvolle Vermutung, er komme bereits zu spät: ëa· άλλ', ώς ëoïKE, πάντα διαπεπραγμένα

( 1177),

So folgen die beiden heitersten Szenen auf das dunkelste Chorlied ( 1107ff.| und werden von der bedeutungsvollen Demeterode (1301ff.| getreimt. Vgl. dazu SoLMSEN, Intriguenmotiv; sowie zu IT und Hei. LUDWIG, 7 5 - 8 1 , und MATTHIESEN, 4 8 - 5 2 .

Wichtig ist sowohl die Qualität der Gefährdung der Überlistenden und der zu Überlistenden als auch die Intensität der Identifizierung des Zuschauers mit den Akteuren. Zum ernsteren Ton der vergleichbaren IT-Szene (1153ff.) u. S. 208ff. Eine komische Wirkung ergibt sich bereits bei den Auftrittsworten des Theoklymenos: Während Theoklymenos' pietätvoller Begrüßung des väterlichen Grabes (1165ff.) und der Drohung, den Griechen, von dessen Ankunft er benachrichtigt worden sei, zu töten, versucht sich Menelaos (sicher nur für Theoklymenos unsichtbar) hinter dem Grab zu verbergen. Der Zuschauer eriimert sich, daß Helena von Verstecken gerade nicht gesprochen hatte (1085f.). Es ist der alte ängstliche Menelaos; richtig bereits O. HARTUCH, Zu Eur. Helene, Jbb 1896, 446. „Wir haben uns den stolzen Helden ungesehen von Theoklymenos, gesehen von dem lachenden Publikum, sich duckend hinter dem Grab zu denken", (vgl. auch STEIGER, 217 f.).

191

ist zwar falsch, aber doch auch wieder wahr; und die erleichterte Feststellung, als er Helena aus dem Palast treten sieht, „da ist sie ja und nicht geflohen" (1185), ist zwar richtig, aber nur noch für kurze Zeit. Theoklymenos ist nicht - oder doch nicht nur - der barbarische Dummkopf und Bösewicht, den manche Interpreten in ihm sehen er ist aber auch nicht der fromme und gutmütige König, zu dem ihn andere machen wollen Die Wahrheit liegt in der Mitte. Er ist gefährlich in seinem Griechenhaß - aber nicht so sehr, daß man wirklich Angst vor ihm haben müßte; er ist leichtgläubig - aber auch so mißtrauisch, daß er nicht zu schnell ,ja und amen' sagt (und damit dem vergnüglichen Spiel ein zu frühes Ende bereitet). Er ist der ideale Komödiengegner: gerade so böse, daß man seinen Spaß daran hat, ihn überiistet zu sehen; gerade so dumm, daß er keine echte Bedrohung für das Happy-end bedeutet und zu immer übermütigerem Spiel geradezu herausfordert'". Theoklymenos ist von Anfang an ohne Chance. Er ist jung und verliebt"" und hat nicht nur Helena, sondern auch Theonoe gegen sich. Schon mit seiner Reaktion auf die Trauer(ver)kleidung bestätigt er, noch bevor Helena ihr Spiel beginnt, die Wirksamkeit ihres Plans und liefert ihr unfreiwillig das Stichwort (1186 ff.). Die ersten Wortwechsel mit Helena machen ihn vollends zum hilflosen komischen Opfer. „Menelaos ist tot" (1196)'": diese langersehnte Botschaft muß dem Verliebten den Blick trüben, und die Tatsache, daß die Nachricht von Theonoe, der alleswissenden Schwester stammt, der er keine Lüge zutraut, schließt den letzten Zweifel an der Wahrheit aus (1198f.)"^. Helena wählt denn auch äußerst geschickt genau diesen Moment, um Menelaos einzuführen (1199). Sie macht den König zunächst auf einen Augenzeugen neugierig (1199-1201) und deutet dann auf den am Grab kauernden Menelaos: Ελ. 0δ' ός κάθηται τφδ' ύποπτήξας τάφφ

(1203).

S o z . B . SEGAL, 5 8 3 u n d WHTTMAN, 6 1 f.

So z.B. GRUBE, Drama 348, 349f., 352, PIPPIN, 157 und |als zwangsläufige Folge seiner extrem negativen Beurteilung von Menelaos und Helena) SCHMŒL, 290 f. ¡ zuviel Ehre erweist ihm auch POHLENZ, Griech. "Ragödie, 384 f. Das beginnt schon mit Helenas ersten Worten: ά δέσποτ' (1193; zu den Konnoutionen vgl. KANNICHT, Π 312| und erreicht seinen Höhepunkt in dem direkten Wortwechsel des Ehepaares am Schluß der Szene,· sogar Menelaos beteiligt sich immer stärker an der Fopperei (1251, 1255-1273-1288 ff.|. Die komische Ironie von Situation und Formulienmgen ist so deutUch, daß ich darauf verzichten kaim, sie im einzelnen aufzuzeigen (vgl. besonders 1201, 1205, 1215, 1223, 1231, 1233, 1251, 1255, 1273, 1280ff., 1288ff., 1294ff.). Zuerst betont von STEIGER, 2 1 8 . Amüsant sind hier sowohl das πώς φράσω als auch τέθνηκέ μοι. Vgl. auch 1226 f. ¡ Helena lügt in 1199, aber Theonoe deckt diese Lüge später (1369-73).

192

Die Reaktion des Theoklymenos zeigt, daß der kritische Augenblick der Entdeckung des fremden Griechen glückhch überwunden ist: Θε. "Απολλον, ώς έσθήτι δυσμόρφω πρέπει

( 1204)"з.

Dieser zerlumpte ängstliche Fremde kann nicht der berühmte griechische Heerführer Menelaos sein! Mindestens genauso wichtig für den Erfolg des Mechanema und bestimmend für den Ton der Szene und die komische Qualität der Ironie ist Helenas Trick, Theoklymenos vorzugaukeln, er stehe unmittelbar vor dem Ziel seiner Hochzeitswünsche. Sie beginnt sofort mit diesem Spiel: Ελ. & δέσποτ'-ήδη γάρ τόδ' όνομάζω σ' έ π ο ς -

( 1193)

und wiederholt den Trick - nun direkter - unmittelbar vor den entscheidenden Bitten (1228 ff.). Auch in der zweiten Szene benutzt sie vor allem diese Waffe, um die plötzUch auftretende Gefährdung ihres Plans abzuwehren. Als Theoklymenos sie zurückzuhalten versucht (1392ff.), redet sie ihn erneut, diesmal noch deutlicher als „neuen Gatten" ( 1399) an und macht sich im Folgenden, obwohl das Ziel der Intrige längst erreicht ist (1417), einen Spaß daraus, das Spielchen mit dem Verliebten noch ein bißchen zu verlängern. Als Theoklymenos sich nach ihrem doppeldeutigen Wunsch: Ελ. övaio· κάγώ τών έμών βουλευμάτων

( 1418)

um ihre Schönheit sorgt: Θε. μή νυν άγαν σόν δάκρυσιν έκτήξης χρόα

(1419),

antwortet sie: Ελ. ήδ' ήμέρα σοι τήν έμήν δείξει χάριν

(1420)

und wird dann sogar noch deutlicher: Ελ. ού νΟν διδαξόμεσθα τούς φίλους φιλείν

(1426).

Theoklymenos ist darüber so begeistert, daß er am liebsten gleich mitfahren wiU (1427), begnügt sich schließUch aber, von Helena ein letztes Mal überhstet (1428)"', damit, die Hochzeitsvorbereitungen zu veranlassen (1431-35). Sogar Menelaos lädt er ein: Ein letzter ,Kleiderwitz' |davor [415-17], 554, 567); dann bekommt Menelaos endlich neue (1283, 1297). Dazu 1407-09. Zu Bedeutung und Ironie des χάρις-Motivs vgl. CONACHER, 298 f. Zu övaio vgl. DALE ad loc., die allerdings auf das erotische sous entendu nicht eingeht. Dieser letzte "Иск ist eine Wiederholung des ersten 11193).

193

πάλιν πρός οίκους σπεΟδ' έμήν δάμαρτ' έχων, ώς τούς γάμους τούς τήσδε συνδαίσας έμοί στέλλη πρός οϊκους ή μένων εύδαιμονής (1438-40). Hier erreicht der Spaß seinen Höhepunkt, wenn jetzt sogar das Opfer der Ironie, ohne es zu merken, zu der komisch ironischen Mehrdeutigkeit beiträgt Das Ende der ersten Überhstungsszene steht übrigens diesem Schluß in nichts nach. Dort erinnert Menelaos Helena direkt unter den Augen des Theoklymenos, der sich schon als der neue Gatte wähnt und deshalb diese Worte auf sich beziehen muß, an ihre eheUchen Pflichten: ήν δ' Έλλάδ' έλθω καΐ τύχω σωτηρίας, παύσω ψόγου σε τοΟ πρίν, ήν γυνή γένη οΐαν γενέσθαι χρή σε σω ξυνευνέτη (1291-93), und die Worte, mit denen Helena Menelaos ins Haus führt, um ihn zu baden und zu kleiden, würden in jeder Komödie als eindeutige Zweideutigkeit verstanden werden. άλλ', ώ τάλας, εϊσελθε καί λουτρών τύχε έσθήτά τ' έξάλλαξον. ούκ ές άμβολάς εύεργετήσω σ'· εύμενέστερον γάρ άν τφ φιλτάτφ μοι Μενέλεφ τά πρόσφορα δρφης ü v ήμών τυγχάνων οϊων σε χρή (1296-1300) Diese Art von komischer Ironie ist ohne Parallele in der griechischen Tragödie^"". Für Theoklymenos gilt, was für kein anderes Opfer einer Tragödien-Intrige gilt: er ist blind, weil er verhebt ist. Genau das aber ist eine typische Komödienkonstellation. Helenas Trick, ihn als neuen Gatten zu bezeichnen, macht ihn sogar fast zum ,mari cocu'. Theoklymenos ist der erste Vertreter dieser unsterbhchen Komödienfigur auf der abendländischen Bühne Der würdevolle Auszug des wiedervereinten Ehepaares mit den ,Hochzeitsgeschenken' des Betrogenen ist der glanzvolle Höhepunkt und Abschluß der Überlistungskomödie. Das Propemptikon des Chores (1451 ff.) begleitet die glückliche Heimreise nach Sparta Das Hochzeitsmotiv verleiht Helenas Spiel mit dem ,neuen Gatten' Theoklymenos aber noch eine weitere, typisch euripideische, ironische Dimension, die an die hintergründige Ironie der Hikesie-Szenen erin-

1438! "» Vgl. PIPPIN, 1 5 4 f .

^^ Am nächsten kommt dem der Ion (517ff. s.u. S. 225ff.); zu der oft verglichenen Überlistung des Thoas (s.u. S. 208ff.). Vgl. a u c h PIPPIN, 1 5 4 u n d SEGAL, 5 8 5 .

^Ȕ Vgl. dazu o. S. 159 f. und Anm. 42.

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nert^"^. Die ,neue Helena' spielt - vor den Augen des Menelaos - noch einmal die alte Rolle. Die Rückkehr in die alte Ehe als neuer Ehe als neuer Ehebruch! Noch einmal läuft sie einem ,Gatten' mit einem Fremden davon: έστι δ' ή πάλαι γυνή (Or. 129). Die Ironie der Anspielung auf die ,alte Helena' δίγαμος, τρίγαμος, λείψανδρος ist deutlich. Die phantastische Kompliziertheit des Plans die komische Hilflosigkeit des Opfers, die souveräne Unverfrorenheit, mit der Helena und Menelaos zu Werke gehen, Art und Ausmaß der komischen Ironie und der triumphale, alle Erwartungen übertreffende Erfolg - all das macht diese Überlistungsszenen zu einem einzigen Vergnügen. Nie ist Euripides dem Geist der Komödie näher gekommen. Daran, daß die Flucht gelingen wird, zweifelt nach der Überhstung des Theoklymenos gewiß niemand mehr. Jeder freilich möchte gern wissen, wie sie gelingt. Die Erfüllung dieses Wunsches läßt nicht lange auf sich warten. Ein Bote stürzt herein und informiert Theoklymenos in aller Ausführlichkeit, daß (15112ff.) und wie (1523ff.) sich seine Hochzeitsträume in Luft aufgelöst haben Der Bericht des Boten (I526-I618) würde jedem Abenteuerroman und, ins Bild gesetzt, jedem Piratenfilm zur Ehre gereichen. Er ist lebendig, anschauhch, spannend und dabei trotz des blutigen Mordens am Ende vergnüglich. Der Plan gelingt. Ein letzter kritischer Moment, als die Ägypter merken, wen sie da an Bord haben, wird nicht zu einer wirklichen Gefahr. Zu groß ist die Überlegenheit der Troja-Veteranen über die mit Rudern und Knüppeln notdürftig bewaffneten Barbaren Ganz hat Euripides allerdings auch hier nicht auf seine hintergründige Ironie verzichtet. Er präsentiert den letzten ,Kampf um Helena' als eine Erneuerung des trojanischen Krieges (1593-95, 1603f.). Doch die Gegner sind nicht Hektor und seine tapferen Trojaner, sondern Rudersklaven ohne richtige Waffen (1601)^"^ Das Blutbad, das der Troja-Sieger, von dem wir im Verlauf des Stücks nicht viel Ehrenhaftes oder Mutiges gesehen haben, unter ihnen anrichtet, ist nicht mehr als eine Parodie auf den trojanischen Kriegt"'. i« S.o. S. 189f. Richtig betont von WHITMAN, 61: „the basic mode of the play is romance which tends towards extravagance" |er erinnert an ,Tristan und Isolde'). Eine letzte Eidolon-Anspielung? - so SEGAL, 5 8 4 . 1597-99, 1601; eine Zeitlang läßt Eurípides sie sich wehren (Spannung muß sein); dann springen die Überlebenden kopfüber vom Schiff (1609). S.o. S. 108, U l f . Ich kann mich deshalb mit dem Urteil derer nicht befreunden, die meinen, daß Menelaos im Verlaufe des Stücks seine am Anfang gefährdete heroische Statur immer mehr zurückgewirme (s. z.B. DALE, Helen XU; ALT, 21 und BURNETÎ, Catastrophe, 92ff.|.

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Der evozierte Hintergrund nimmt Menelaos' Aristie allen heroischen Glanz Zum Schluß wird es dann für einen Moment wirklich Emst. Aus der Überlistungskomödie erwächst plötzlich tragische Gefährdung, weil der Überlistete seinem Ärger auf irgendeine Weise Luft machen muß. Theoklymenos will die Mitwisserin Theonoe töten (1621-41); die einzige uneingeschränkt positive Gestalt unter den Hauptfiguren des Stücks soll als einzige wirklich leiden Da erscheinen die Dioskuren^'* und sichern das totale Happy-end, zu dem - wie in der Komödie - auch das Einverständnis des überwundenen Gegners gehört. Der Genasführte schließt das Stück mit einem enthusiastischen Preis der Frau, die ihn genasführt hat. ϊστον δ' άρίστης σωφρονεστάτης θ' άμα γεγώτ' άδελφής όμογενοΟς άφ' αίματος, καΐ χαίρεθ' Ελένης οδνεκ' εύγενεστάτης γνώμης, ô πολλαΐς έν γυναιξίν ούκ ëvi (1684-87). Die Ironie dieser Verse ist kaum zu überhören. Die stolze Reihe der Superlative muß den Zuschauer dazu auffordern, diese neue Helena ein letztes Mal mit der alten zu vergleichen, die Euripides ihm wieder und wieder präsentiert hat und die so ganz das Gegenteil ihrer ägyptischen Doppelgängerin ist.

Die Analyse der zentralen Handlungselemente und der stofflichen und thematischen Motive hat die enge Verwandtschaft der ,Helena' mit der romantischen Komödie verdeuthcht (s.o. S. 153ff.), die Einzelinterpretation Ausmaß und Vielfalt der komischen Elemente und die Bedeutung komischer Ironie aufgezeigt (s.o. S. 166ff.). Als Tragödie wird man die ,Helena', wenn das Wort noch einen allgemeinen Aussagewert behalten soll, also nicht bezeichnen können. Als Komödie kann das Stück jedoch auch nicht gelten. Die Verdoppelung der Helena ermöglicht zwar vordergründig eine romantische Märchenkomödie von der ebenso reinen wie Dahinter liegt vielleicht noch eine tiefere schmerzhaftere Ironie verborgen. Noch einmal müssen Unschuldige sterben, weil Helena entführt wird. Auf dem Hintergrund der Verurteilung des Krieges, die sich durch das ganze Stück hindurchzieht und ihren Höhepunkt im 1. Susimon erreicht |1151 ff.) mag sich der Zuschauer fragen, ob nicht auch diese ,Schlacht um Helena', die Menelaos mit seinem barbarischen τί μ έ λ λ ε τ ' . . . σφάζειν φονεύειν βαρβάρους (1593-95) auslöst, zu vermeiden gewesen wäre. Vgl. ZuNTZ, Helena, 209; BURNETT, Catastrophe, 76, 97-99. Der Auftritt ist vorbereitet durch 1495 ff. (vgl. weiter 137 ff., 205 ff., 284f.); die Dioskuren als deus ex machina auch El. 1238 ff. Ein doppelter deus ex machina ist in diesem Spiel der Verdoppelungen |s. STROHM, 85f.) eine amüsante Schlußpointe.

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schönen Helena in Ägypten, die nach langen Jahren des Leidens mit dem gehebten Gatten vereint und von den ungerechtfertigten Verleumdungen befreit nach Griechenland zurückkehren darf, läßt jedoch zugleich die alte Ehebrecherin und das tragische Leid, in das sie Troja und Griechenland gestürzt hat, niemals aus dem Bück geratenEuripides nutzt die Eidolon-Erfindung des Stesichoros zu einem verwirrenden Vexierspiel mit heiterem Trug und tragischer Wahrheit. Die dunkle Kehrseite der Komödie mit ihren Verwechslungen und Verwirrungen und mit ihren letztlich harmlosen und sich in ein heiteres Happy-end auflösenden Ängsten und Gefahren ist dabei nicht in erster Linie die tragische Ausgesetztheit des Menschen in einer von götthcher Willkür und vom Zufall bestimmten Welt und auch nicht die Fragwürdigkeit menschlichen Erkennens und Wissens angesichts des verworren-verwirrenden Ineinanders von Illusion und Reahtät. Im dramatischen Spiel der ,Helena' legt Euripides den Akzent nicht wie so oft auf die tragischen Aspekte menschhcher Hilflosigkeit (άμηχανία) und Scheinbefangenheit (άγνοια, δόξα), sondern auf die komischen. Man mißversteht das Stück, wenn man versucht, mit Hilfe einer naturalistisch psychologisierenden Interpretation die Tragik der Helena oder gar des Menelaos herauszuarbeiten. Von dem absurden Irrtum des trojanischen Krieges abgesehen, ist das Stück eher eine ,Comedy of Errors' als eine Tragödie der Bhndheit des Menschen; es steht in dieser Hinsicht dem plautinischen ,Amphitryon' näher als dem sophokleischen ,Oidipus Tyrannos' Nicht der existentielle und nicht der epistemologische Aspekt der für das Stück wie für kein anderes des Dichters konstitutiven Schein-Sein-Antithese bilden also den tragischen Kontrapunkt zu der ägyptischen Märchenkomödie, sondern die Realität des trojanischen Krieges und seine paradigmatische Bedeutung Euripides hält diesen dunklen Hintergrund ständig präsent. Auf seine Bedeutung für die Anagnorisishandlung ist bei der Einzelinterpretation ZuNTZ, Helena, 224: „And when the absorbiog spell of the play is over: there still is Homer, there stiH is - the other Helen". Euripides verläßt sich dabei nicht auf die Kraft der mythologischen und literarischen Tradition sondern erinnert, wie die Interpretation gezeigt hat, den Betrachter der neuen Helena ständig an die alte (gut dazu ZUNTZ, 224f.) und zwar erstens durch die spielerische Ironisierung der neuen Helena und zweitens durch die Schöpfung einer schuldbewußten Helena, die an ihrem Eidolon und seinen Folgen leidet und immer wieder davon spricht. Das heißt nicht, daß die für Euripides inuner zentraler werdende Problematik dadurch, daß hier einmal auch ihre komische Seite vorgezeigt wird, an Tiefe verlöre. Als Antidoten gegen die offenbar besonders in der deutschen Kritik weitverbreitete Verwechslung von komisch und trivial vgl. ZUNTZ, Helena, dessen Interpreution die Einheit von „lightness" und „profundity" schön zeigt (z.B. 222f.). Warnung, den philosophischen Aspekt nicht zu stark zu betonen (und aus der ,Helena' gleichsam einen platonischen Dialog zu machen], durch DALE, Helen, XVI).

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immer wieder hingewiesen worden; aber auch im zweiten Teil des Stücks gerät er nie völlig aus dem Bhck. Hinter der neuen Helena erscheint immer wieder die alte; das 1. Stasimon (1107ff.) beklagt vor dem Happy-end für Helena und Menelaos noch einmal das Leid, das der sinnlose Krieg über Trojaner und Griechen gebracht hat; dazu kommen Menelaos' wiederholte Beschwörungen des trojanischen Krieges; und sogar während der amüsanten Überlistung läßt Euripides das Thema nicht in Vergessenheit geraten. Als Helena Theoklymenos berichtet, daß das Eidolon sich in Luft aufgelöst habe, bricht der Barbar in den klagenden Ruf aus: Θε. ώ Πρίαμ£ καί γή Τρφάς, (ώς) έρρεις μάτην

(1220).

Im Zentrum des Stücks, in der Atempause zwischen Anagnorisis und Mechanema spricht der einfache alte Diener die bittere Wahrheit, die implizit das ganze Stück durchzieht, am deutlichsten aus. Er begreift, was die Eidolon-Geschichte bedeutet: die absurde Sinnlosigkeit eines jahrelangen Kampfes um ein leeres Wolkengebilde: νεφέλης άρ' άλλως εϊχομεν πόνους πέρι;

(706)

Κάλχας γάρ ούκ εΪπ' ούδ' έσήμηνε στρατφ νεφέλης ύπερθνήσκοντας είσορών φίλους ούδ' "Ελενος, άλλά πόλις άνηρπάσθη μάτην

(749-51).

Bedenkt man die historisch-pohtische Situation Athens im Jahre 412, wird deutlich, daß die ,Helena' den Zuschauem wohl kaum nur die vergnüghche Unterhaltung einer unpolitischen Märchenkomödie bereitet hat^'^. Für die Athener, die seit beinahe 20 Jahren in einen mörderischen Krieg verstrickt waren, dessen Sinn den meisten von ihnen immer dunkler geworden war, und die gerade am eigenen Leib die bittere Erfahrung eines törichten militärischen Unternehmens um ein Luftschloß hatten machen müssen mußte die durch die poetische Fiktion einer doppelten Helena noch verschärfte Absurdität des trojanischen Kriegs als Parabel auf die eigene Situation erscheinen, zumal ihnen Euripides in den vergangenen Jahren diesen Krieg immer wieder als Sinnbild des peloponnesischen Kriegs präsentiert hatte. Im 1. Stasimon (1107ff.) wendet sich Euripides - beinahe wie in einer Komödien-Parabase - direkt an sein Publikum. Im zweiten Strophenpaar ( 1137ff.) läßt er den Chor die KonseAls Versuch des Euripides, seine athenischen Mitbürger nach der sizilianischen Katóstrophe durch ein heiteres Märchenspiel ein wenig aufzuheitern, mißverstehen das Stück z . B . STEIGER, 225,- CAIHPBELL, 1 6 0 ; POST, 1 1 8 ¡ vgl. a u c h LESKY, Trag. D i c h t u n g , 4 2 4 ,

und

A\^BSTER, Euripides, 2 0 1 .

Vgl. Thuc. 6, 8, 3 - 2 3 |9, 3, 13, 1) und 8, 1, 1¡ dazu KANNICHT, I 55-57. KANNICHT, Π 276: „Die Form ist von gesuchter Einfachheit..., die Sprache dient streng der Entfaltung des Gedankens."

198

quenzen aus dem jahrelangen mörderischen Ringen um ein Eidolon ziehen: Wer kann den Sinn des sinnlosen Geschehens begreifen Töricht, wer die Probleme der Menschen statt durch vernünftige Verhandlungen durch blutige Kriege zu lösen versucht (1151-54), die nur immer neue Kriege erzeugen (1155-57), Tod und Zerstörung mit sich bringen (1158ff.) und wahrscheinlich genau wie der trojanische Krieg um irgendein Eidolon geführt werden. „Wie der trojanische Krieg durch das Eidolon zum poetischen Paradigma des sinnlos geführten Krieges wird, so durch das Verhalten derer, die ihn geführt haben, zum poetischen Paradigma des vermeidbaren Verhängnisses" Das ,tua res agitur' der Chorverse ist überdeutUch. „The warning of course is directed to the poet's contemporaries; but that is true of the whole play. They were called upon to apply its lesson to their situation; we - to ours"^^°. Der Preis, der für das heitere Spiel um die ägyptische Helena zu zahlen war, war die bittere Erkenntnis der eigenen Tragödie. Hier hegt die eigenthche ironisch dialektische Pointe des Stücks. Die schöne poetische Illusion einer unschuldigen Helena macht den Krieg erst vollends zur Absurdität. Gerade die Komödie der Helena ist die wahre Tragödie des Krieges. Mehr noch als auf Grund der unauflösHchen Verbindung von ,Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung' kann die ,Helena' in diesem Sinne als Tragikomödie bezeichnet werden.

5.7 Taurische Iphigenie άλλ' Ιστιν, 6στιν ή λίαν δυσπραξία λίαν διδοΟσα μεταβολάς, δ τ α ν τύχτ| (721 f. |

Die ,Taurische Iphigenie' ist immer wieder mit der ihr zeithch nahestehenden ' ,Helena' verghchen worden. Formale und thematische Ähnlichkeit sind selbst für die griechische Tragödie mit ihren stereotypen Bauformen^ und der Variation und Modifikation einer relativ geringen Zahl

Vgl. dazu die schöne Interpretation des Liedes durch ZUNTZ, Helena, 217-221; KANNICHT, Π 2 7 5 f f . ( 2 7 6 ) . KANNICHT, I 5 5 . " " ZUNIZ, H e l e n a , 2 2 1 . ' Z u r D a t i e r u n g d e r I T v g l . LESKY, Ti-ag. D i c h t u n g , 4 0 5 , d e r m i t PLATNAUER, X V I , LIRO-

WIG, Sapheneia, 120-22, MATIHIESEN, 62f., und DALE, Helen, XXVNI für die Priorität der IT (414 oder 413) vor der Hei. (412) eintritt; die ältere Lit. zum Problem bei SCHMID, 13, 520. ^ JENS, B a u f o r m e n , X I - X V .

199

von Handlungsmustern^ außergewöhnlichLudwigs und Matthiesens detaiUierte Aufbauanalysen ' haben die strukturelle Parallelität deutUch gezeigt. Die Kombination von Anagnorisis und Mechanema findet sich zwar auch in anderen euripideischen Dramen; ,Elektra' und ,Ιοη'® sind jedoch bei aller Famihenähnlichkeit nur Verwandte zweiten Grades, während ,Helena' und ,Iphigenie in Tauros' durchaus als ZwiUinge bezeichnet werden können. Beide Stücke gehören denn auch zu derselben Gattung: - der ferne Schauplatz, hier im Westen, hinter den geheimnisumwitterten Symplegaden', ebenso märchenhaft wie in der ,Helena' und ebenso wie Ägypten mit leichten aber unüberhörbaren Assoziationen an die Unterwelt'; - die Bedeutung des Wunderbaren, von der irrealen Rettung und Entrükkung der Heldin bis zu der geheimnisvollen Welle, die das schon fast entkommene Schiff zurück an den Strand wirft; - das vielfältige Spiel mit Schein und Sein, das in immer neuen Variationen von dem mißverstandenen Traum bis zum überlegen inszenierten Schein des Mechanema reicht; - das bedeutungsvolle Motivpaar, Tod und Wiedergeburt, das immer wieder hinter den Ereignissen aufleuchtet und ihnen einen tieferen Siim zu verleihen scheint; - die Hauptfiguren: die unschuldig leidende, reine Heldin, der von einem schrecklichen Schicksal durch die Welt getriebene Bruder, der selbstlose Freund, der böse Barbarenkönig, der jedoch dem überlegenen Verstand seiner griechischen Gegner nicht gewachsen ist; und schheßlich:

^ Dieser Aspekt des euripideischen Dramas ist nach SomsEN, Intriguenmotiv, und id. Ion, vor allem von STROHM, Euripides, LATHMORE, Story Pattems, und BURNETT, Catastrophe, in den Mittelpunkt gerückt worden. * Vergleichbar ist nur die enge Verwandtschaft von Herakliden und Hiketiden. 5 LUDWIG, Sapheneia, 93ff. (118-20|; MATTHIESEN, 16-63, 127-38. ' Dazu besonders SOLMSEN, Ion, und STROHM, Euripides, 75-86 (130-36). ' 123-35, 241 f., 392-97; zum märchenhaften Charakter des Schauplatzes z.B. PLATNAUER, V; GRUBE, 315. Vgl. auch MATTHIESEN, 25 Ашп. 2, der darauf hinweist, daß der Schauplatz, der erst in V. 30 identifiziert wird, für den Zuschauer wohl eine Überraschung bedeutet hat; zu der ,geographischen Konfusion' vgl. MCCRACKEN, Topographica in Euripides, Mnemosyne Ser. ΠΙ Vol. 9, 1941, 161-76 (168f.) der abschließend feststellt: „It must be pointed o u t . . . that he (sc. Euripides] is here dealing with an unknown region. Tauris is land obviously known to few Greeks". ' GUEPIN, 1 3 2 ; BURNETT, 6 3 .

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-dramatischer Stoff: auch hier die abenteuerliche Wiedervereinigung zweier lange Zeit getrennter ,Liebender' in einem fernen Land, Rettung aus Todesgefahr und gemeinsame Flucht in die Heimat, - Handlungsverlauf, έξ άτυχίας είς εύτυχίαν, und - Happy-end: kein Zweifel, wie die ,Helena' kann auch die ,Taurische Iphigenie' als ein früher Vorläufer der romantischen Komödie und des Abenteuerromans gelten'. Wie bei der ,Helena', ja, noch in höherem Maße als dort, wäre es jedoch falsch, sich , wie z. B. Platnauer auf diesen Komödienaspekt zu beschränken. Auch die ,Taurische Iphigenie' ist mehr als eine romantische Komödie mit düsteren und melodramatischen Elementen. Wie in der ,Helena' hat Euripides dem Spiel von der glücklichen Wiedervereinigung und Rettung naher Verwandter auch hier einen tragischen Hintergrund gegeben. In der ,Helena' ist es, wie wir gesehen haben, die schwere Vergangenheit der Helden, der trojanische Krieg vom Raub der Helena bis zu den Leiden der heimkehrenden Sieger; in der ,Iphigenie' hat der Dichter in ganz ähnhcher Weise das Schicksal des Pelopidengeschlechts und der beiden Hauptgestalten mit der erfolgreichen Rettungshandlung verwoben. Die große Bedeutung der tragischen Vergangenheit ist von den Interpreten des Stücks oft vernachlässigt, gelegentUch sogar bestritten worden. So vertritt z.B. Strohm" in der gehaltvollen Einführung zu seiner kommentierten Schulausgabe der ,Iphigenie' die Auffassung: „Zwei Geschwister finden sich nach vieljähriger Trermung wieder; sie finden sich im fernen Barbarenland und im AugenbUck höchster Lebensgefahr... Man darf ihn (sc. den dramatischen Vorwurf) durchaus in dieser allgemeinmenschlichen Form, wie bei einem Schauspiel wiedergeben; denn der mythische Hintergrund, das hochberühmte Leidensschicksal des Tantalidenhauses tritt stark zurück." Davon kann jedoch m.E. gar keine Rede sein. Es ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht der Platz, in einem detaiUierten Überblick Zahl, Umfang und Bedeutung aller Verse und Partien zu analysieren, die dem Zuschauer das grausige Geschick der Tantaliden, besonders natürlich der beiden letzten Generationen in Erinnerung

behandelt die ΓΓ (zusammen mit Hei. und ,Ιοη') unter dem Stichwort „robezeichnet die IT später aber ( 3 0 5 ) als „romantic tragicomedy"; vgl. 2 ; von „romance" spricht bereits PLATNAUER, V . PLATNAUER, V : „The Iphigenia is not a tragedy at all". STROHM, Iphigenie, 18.

' CoNACHER

mantic tragedy" auch WHITMAN, "

(265|,

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r u f e n V o m Prolog Iphigenies bis zum Deus-ex-machina-Ende gibt es kaum eine Szene, in der dieses Thema nicht wenigstens als Nebenmotiv erklingt. Nicht nur (wie zu erwarten) die Anagnorisishandlung, sondern auch das Mechanema sind entscheidend davon bestimmt. Im übrigen zeigt bereits die schöpferische Formung des mythischen Stoffes, welche Bedeutung der Dichter diesem Aspekt seines Stücks beigemessen hat. Es kann zwar nicht mit letzter Sicherheit bewiesen werden, muß jedoch als höchstwahrscheinlich gelten, daß Euripides das Schicksal des ersten imschuldigen Opfers des trojanischen Krieges, Iphigenie, mit der Erlösung des letzten Opfers der unheilvollen Ereignisse in Aulis, Orestes, verbunden hat Die Rettung der Iphigenie aus dem Lande der Taurier, wohin sie eine frühe Variation des Iphigeniemythos versetzt hatte ist so zugleich die Entsühnung des Orestes, seine Befreiung von den Erinyen. Die Verbindung dieser beiden Handlungsstränge erlaubt dem Dichter die ständigen RückbUcke auf die fluchbeladene Vergangenheit der Familie, die erst mit der gemeinsamen Rettung der beiden Geschwister und der Verwandlung der barbarischen und zerstörerischen Artemis von Tauros in die zivilisierte und hilfreiche attische Göttin endgültig überwunden ist. Euripides mußte, um diese dramatische und thematische Konstellation möglich zu machen, das gewiß kanonische Ende der aischyleischen Orestie verwerfen und einen Teil der Erinyen den Orest auch nach dem Freispruch durch den Areopag weiter verfolgen lassen (940ff.). B u r n e t t h a t die ,Iphigenie in Tauros' auf Grund dieses stoffhchen Anschlusses als Fortsetzung der ,Eumeniden' bezeichnet. In einem ganz äußerhchen Sinne ist das gewiß richtig'^. Die Handlung des Stücks schließt zeitlich an den Schluß der ,Eumeniden' an. In einem tieferen Sinne handelt es sich jedoch nicht um eine Fortsetzung, sondern um eine Art Ersatz oder besser Variation der ,Eumeniden'. Euripides bietet in der ,Iphigenie' seine Lösung für die tragischen Ereignisse und Probleme der ,Orestie'. Es ist aufschlußreich nicht nur für Euripides, sondern auch für die EntwickIn den ersten Szenen wird vor allem Aulis beschworen; später daim auch Agamemnons Ermordung und der Muttermord; dazu kommen zahlreiche allgemeine Bemerkungen zur unheilvollen Geschichte der Pelopiden; zur ,Dämpfvmg' der Greuel vgl. u. S. 210 und Anm. 52. Vgl. LESKY, Tirag. Dichtung, 406 (id. RE 18, 1939, 997ff.], STROHM, Iphigenie, 14^18; CoNACHER, 303-305 (304); sowie zuletzt ausführlich BURNETT, Catastrophe, 73-75 (ältere Lit. b e i ScHMTO, 13, 5 2 1 f.).

" Homer ,weiß' davon nicht; bezeugt ist die Geschichte zuerst für die Kyprien (EGF p. 19 KINKEL; Kndar, Pyth. 11, 22,- Herodot 4, 103); zur Stoffgeschichte vgl. A. BASCHMAKOFF, Origine Taurienne du mythe d'Iphig., Bull. Ass. Budé 64, 1939, 3ff., PLATNAX^R, V I I - X I I . 'S BURNETT, Catastrophe, 71. " Vgl. 940ff.

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lung der Tragödie und den Geist der Zeit, daß es etwa fünfzig Jahre nach der gewaltigen aischyleischen ,Orestie' nicht mehr eine ,pohtische', sondern eine ,private', individuelle Lösung ist. Nicht der Freispruch durch die Polis mit Hilfe Äthanes, sondern die gemeinsame Anstrengung von Schwester und Bruder (und Freund) führt mit göttlicher Hilfeschließlich zu Rettung und Frieden. Zusammen überwinden Iphigenie und Orestes (und Pylades) die tragische Vergangenheit der FamiUe, indem sie den grausigen Kreislauf, in dem der Vater die Tochter, die Mutter den Vater, der Sohn die Mutter und schließlich beinahe die Tochter den Bruder ,opfert' durchbrechen und damit ein für alle Mal aufheben und das verhängnisvolle Unrecht an Iphigenie durch ihre Befreiung und Rettung aus dem Totenreich Tauros endgültig rückgängig machen. Immer wieder wird so ein Zuschauer, der den Weg der Geschwister in eine hellere Zukunft verfolgt, auf die dunkle Vergangenheit verwiesen, auf das tragische Schicksal der FamiUe und seine Gestaltung in Aischylos' ,Orestie' Dies vor allem ist es, was der ,Taurischen Iphigenie' eine tragische Dimension verleiht. Die ,Iphigenie' und die ,Helena' sind oben als Zwillinge bezeichnet worden. Sie gleichen einander, wie wir gesehen haben, nicht nur in Form und dramatischem Stoff, sondern auch in der Kombination einer glücklichen Rettungshandlung mit einem dunklen, ja tragischen Hintergrund. Doch die äußerlich so ähnlichen Zwillinge haben einen durchaus verschiedenen Charakter. Die ,Taurische Iphigenie' ist weit realistischer, härter, düsterer, zeigt nur wenige heitere oder gar komische Züge^°. Sie nimmt deswegen im Rahmen meiner Überlegungen ganz natürlich einen weit geringeren Raum ein als ihr ,komischer' ZwüUng, die ,Helena'. Da die äußere ParalleUtät der beiden Stücke die Interpreten jedoch gelegentlich dazu verführt hat, die Übereinstimmung auch auf Ton und Atmo" Zum helfenden Eingreifen Athenes, als die schon fast gelungene Flucht plötzUch zu scheitern droht, s.u. Anm. 51. " Die tragische Ironie der Szenen vor der Anagnorisis wird nicht unerhebUch dadurch vertieft, daß Iphigenie kurz davor steht, die tragische Tat des Vaters zu wiederholen, zur Bedeutung der Opfer-Metaphorik in Aisch. Or. und Eur. El. vgl. F. ZETTLIN, The Motif of Corrupted Sacrifice m Aeschylus' Oresteia, TAPhA 96, 1965, 463-508; id. Postscript to Sacrificial Imagery in the Oresteia, TAPhA 97, 1966, 645-53; id. The Argive Festival of Hera and Euripides' Electra, TAPhA 101, 1970, 645-669. " Vgl. dazu R. S. CALDWELL, Tragedy Romanticized, The Iphig. Taurica, C J 7 0 , 1 9 7 4 , 2 3 - 4 0 , der in Auseinandersetzung mit BURNETT (und im Rückgriff auf Überlegungen RALLS, Euripides, 188-98) zu zeigen versucht, daß die ΓΓ nicht als Fortsetzung der ,Eumeniden', sondern vielmehr als ,Wiederholung und Überwindung' der gesamten ,Orestie' zu verstehen sei. ^^ Der erhebüche Unterschied in Atmosphäre und Ton wird bei den Vergleichen der beiden Stücke oft ignoriert; richtig MATTHIESEN, 184; vgl. auch CONACHER, 305.

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Sphäre auszudehnen, muß wenigstens kurz auf diesen Aspekt eingegangen werden. Das geschieht am besten in einem Vergleich mit der ,Helena'. Wiederholungen werden sich dabei nicht ganz vermeiden lassen. Im Rahmen eines Vergleichs mit der ,Helena' können auch die vereinzelten heiteren Elemente der Iphigenie richtig beurteilt werden. Die vergleichende Strukturanalyse der beiden Dramen zeigt, daß die Handlungselemente Anagnorisis und Mechanema unterschiedliches Gewicht haben Während in der ,Helena' die Mechanemahandlung eindeutig überwiegt, nimmt in der ,Taurischen Iphigenie' die Anagnorisis einen weit größeren Raum ein^^. Bereits diese unterschiedliche Akzentuierung ist von nicht unerheblicher Bedeutung für den modalen Charakter der beiden Stücke. Denn ein Übergewicht der Anagnorisishandlung bedeutet natürlich, daß die dunkleren Töne, Einsamkeit und quälende Sorgen, Ängste und Gefahren, länger dominieren. Wichtiger jedoch als der Unterschied in der Gewichtung der Handlungsteile ist die Art und Weise, in der die vergleichbaren dramatischen Situationen und Charaktere vom Autor gestaltet sind. Von der direkten und indirekten Ironie, mit der Euripides in der ,Helena' die Heldin und besonders Menelaos behandelt hat^', ist in der ,Iphigenie' nichts zu spüren. Damit fehlt nicht nur ein für die ,Helena' wichtiges Element der Komik, sondern auch die durch Ironie geschaffene kritische Distanz des Zuschauers zu den Akteuren. Das heißt, daß wir sie in ihren Nöten und Gefahren emstnehmen, und mit ihnen und ihrem Schicksal identifizieren. Eine weitere wesentÜche Bedingung für eine genuin tragische Wirkung ist dadurch erfüllt, daß die dramatische Situation zugleich reahstischer und bedrohlicher wirkt. Gewiß basiert auch die Ausgangssituation der ,Taurischen Iphigenie' auf einer irrealen Voraussetzung. In dieser Hinsicht ähneln sich die Entführung der Helena und die Entrückung der Iphigenie durchaus. Deimoch erscheint die Situation in Tauros wesentlich realistischer als die in Ägypten. Das liegt z. T. daran, daß das wunderbare Ereignis in der ,Iphigenie' außerhalb der Handlung des Dramas liegt, während in der ,Helena' das Eidolon jedenfalls bis zur Anagnorisis Teil der dramatischen Verwicklungen ist. Hinzu kommt weiter, daß der Tauros-Stoff nicht in so krassem Gegensatz zur Tradition und damit zu Wissen und Erwartungen des Zuschauers steht. Entscheidend für die tragische Wirkung ist jedoch die realistische Glaubwürdigkeit der dramati" Vgl. dazu SOLMSEN, Ion, 400, MATTHIESEN, 17, 19, 39 f., 44. " MATTHIESEN, 17 und 39, weist zu recht darauf hin, daß in der ΓΓ die Grenze zwischen den beiden Handlungsabschnitten fließend ist. Die Verse 827-1016 enthalten zwar bereits Elemente der Rettungshandlung, gehören aber enger zui Anagnorisishandlung; die eigentliche Planung der Flucht beginnt erst in 1017. " S.o. S. 157, 163f., 167ff.

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sehen Ausgangssituation und die drohende Nähe der Gefährdung der Helden Davon ist in der ,Helena' wenig zu spüren. Ich habe zu zeigen versucht (s.o. S. 167ff.), daß Euripides die Hikesie der Heldin so gestaltet hat, daß das Gefühl einer echten und unmittelbaren Bedrohung gar nicht aufkommt. Das braucht hier nicht wiederholt zu werden. Auch für die Neuankömmlinge ist das eher wundersame Ägypten weit weniger gefährlich als das barbarische Tauros ^^ Es ist bezeichnend, daß Interpreten der ,Helena' sich gefragt haben, ob denn die Drohung des Theoklymenos, jeden Griechen zu töten, überhaupt schon eirmial wahrgemacht worden sei^'. In der ,Iphigenie' stellt sich diese Frage wohl kaum^^ Der blutige Altar und der grausige Schmuck der Tempelfront lassen an der Realität der Gefahr von Anfang an keinen Zweifel aufkommen. Hinzu kommt schUeßlich, daß das Happy-end in der ,Helena' seit dem Prolog durch eindeutige Vorhersagen gesichert ist und der Zuschauer darüberhinaus auf Grund seiner mythologischen und literarischen Kenntnisse die gemeinsame Heimkehr von Helena und Menelaos erwartet. In der ,Iphigenie' dagegen kann er sich angesichts der Gefährdung der Helden weder mit der Tradition beruhigen, noch gibt der Dichter klare Vorhersagen auf ein glückliches Ende. Es ist bezeichnend für diesen Unterschied zwischen den beiden Stücken, daß Euripides in der ,Taurischen Iphigenie' die drohende Gefährdung bis zum letzten Moment aufrechterhält. Die Welle, die das Schiff zurück an den Strand und geradewegs in die Hände der Feinde wirft, stellt plötzlich noch einmal das Erreichte in Frage und zwingt die Göttin Athene, rettend einzugreifen. In der ,Helena' körmte eine solche Lösung nicht mehr sein als ein leerer dramatischer Trick zur Steigerung der Spannung. In der ,Iphigenie' ist es ein wirkungsvoller letz-

" Vgl. dazu o. S. 42. " Es ist oben (S. 186| darauf hingewiesen worden, wie frei und ungehindert sich Teukros, Menelaos und der Alte in Ägypten bewegen können. " Z . B . STEIGER, 220; es ist zwar wiederhok impliziert (vgl. 439f., 448, 468, 480, 780f., 803-5) aber nirgends ausdrücklich gesagt, daß er wirklich schon einmal einen Griechen getötet hat. " Es scheint mir im übrigen sicher, auch wenn der Text in diesem Punkt nicht überall ganz eindeutig ist (vgl. 3 7 ^ 1 , 72, 258 f., 336-39, 344-47, 585-87, 774-76), daß Euripides dem Zuschauer die Annahme nahelegt, daß Iphigenie bereits an der Opferung von Griechen beteiligt gewesen ist; vgl. dazu GRUBE, 331 sowie jetzt: J . C . G . STRACHAN, Iphigenia and Human Sacrifice in Euripides' Iphigenia Taurica, CP 71, 1976, 131-40; D. SANSONE, A Problem in Euripides' Iphigenia in Tauris, RM 121, 1978, 35-47; M. CROPP, Iphigenia in Tauris 258-9, Hermes 107, 1979, 249-52. " 72-75; A. M . DALE, Seen and Unseen on the Greek Stage, WS 69, 1956, 101, ist der Auffassung, daß die von Orestes und Pylades beschriebenen Totenköpfe nicht zu sehen waren; dagegen BIIRNETT, Catastrophe 63 Anm. 4.

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ter Höhepunkt, der noch einmal die Gefährhchkeit der Situation imd die Fragilität menschlicher Pläne imd Hoffnungen sichtbar werden läßt^'. Schließlich wird auch der Kritiker, der all diesen Argumenten keine große Bedeutung beimißt, einräumen müssen, daß die Bedrohung der Helden in der ,Taurischen Iphigenie', wenn nicht realer, so doch gewiß näher und größer ist als in der ,Helena'. Die άγνοια führt beinahe zum Brudermord, und Euripides hat alle Register seines dramatischen Könnens gezogen, um aus dieser tragischen Konstellation das Optimum an Effekt herauszuholen^". Von dem Moment an, in dem Orestes mit Pylades die Bühne betritt (67), scheint das Undenkbare mögUch^'. Bis zu der die Anagnorisis auslösenden Nennung des Namens 'Ορέστη (769) rückt die Katastrophe scheinbar unaufhaltsam immer näher, steigert sich die tragische Ironie immer mehr^^. Im Tempel ist alles für das Opfer vorbereitet. Die Übergabe des Briefes an Pylades ist die letzte Verzögerung und zugleich die letzte Möglichkeit, den tragischen Schein zu durchbrechen. Nähe und Größe eines Unheils, das über uns nahestehende Menschen (auf der Bühne heißt das: Menschen, mit denen wir uns identifizieren) hereinbricht oder hereinzubrechen droht, sind die aristotelischen Bedingungen für die tragischen Emotionen, Furcht und Mitleid, und es ist keine Frage, daß diese tragischen Emotionen in den ersten Szenen der ,Taurischen Iphigenie' im Zuschauer (und Leser) erregt werden. Selbst wenn man wie viele Interpreten die Situation Helenas und Menelaos' mit ihren eigenen Augen (und nicht aus der ironischen Perspektive des Autors bzw. der Distanz des besser informierten Zuschauers) betrachtet, bleibt der Unterschied erheblich. In der ,Helena' bleibt die Größe der Gefahr vage,· die Bedrohung ist nie spürbar nahe; unerfreuliche oder gefährliche Ereignisse bzw. Entwicklungen werden schnell wie-

So haben die überraschende Wendung der Ereignisse nach ZIELINSH (vgl. LUDWIG, Sapheneia, 1 1 7 mit Anm. 1) vor allem STROHM, 2 6 f. und BUKNETT, 6 2 ff. verstanden; vgl. weit e r SPIRA, 1 1 9 - 2 1 .

Die Anagnorisis der IT ist seit Aristoteles (Poet. 1455 a 18) bewundert worden, schöne Interpretation der Szene durch STROHM, Iphigenie, 19-23; MATIHIESEN, 20ff., 127ff., und vor allem BURNETT, 51-56 (zu 456ff. SCHWINGE, 270ff.). ' ' Zu diesem Eindruck trägt die Beschwörung der unheilvollen Vergangenheit des Atridenhauses, die sich an den Abgang der beiden Freunde anschließt (143ff., 186ff.| bei. Oder doch bis zu dem Moment, ia dem Iphigenie sich entschließt, Pylades den Brief vorzulesen (760 f.|. Vgl. z.B. 472-75, 499f., 504, 508ff. (passim], 529, 609f., 612f., 617ff., 627ff., 639-42. S.o. S. 169 (und Anm. 83).

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der aufgehoben, noch ehe sie voll wirksam geworden sind®^; die άγνοια erzeugt denn auch, wie wir gesehen haben, eher komische als tragische Ironie^*. In der ,Taurischen Iphigenie' läßt dagegen die Gefahr, in der Iphigenie und Orest schweben, bis zum Moment der Anagnorisis keine heiter komischen Töne zu. Erst als sich die schreckliche Spannung in der plötzlichen Peripetie ^^ löst, finden Erleichterung und Glück ihren Ausdruck in einer Szene, deren einfache Heiterkeit einzigartig ist in der griechischen Tragödie: Πυ. ώ ί>ςιδίοις δρκοισι περιβαλούσά με, κάλλιστα δ' όμόσασ, ού πολύν σχήσω χρόνον, τόν δ' δρκον ÔV κατώμοσ έμπεδώσομεν. Ιδού, φέρω σοι δέλτον άποδίδωμί τε, Όρέστα, τήσδε σής κασιγνήτης πάρα. Ορ. δέχομαι- παρείς δέ γραμμάτων διαπτυχάς τήν ήδονήν πρίϋτ' ού λόγοις αΙρήσομαι. ώ φιλτάτη μοι σύγγον', έκπεπληγμένος δμως σ' άπιστφ περιβαλών βραχίονι ές τέρψιν είμι, πυθόμενος θαυμάστ' έμοί ( 788-97 P«. Pylades nimmt den Brief, den er, im Austausch für sein Leben, nach Argos zu Orestes bringen soll, und reicht ihn an den neben ihm stehenden Orestes weiter; dieser nimmt ihn mit gespieltem Ernst entgegen, läßt ihn zu Boden fallen, tritt auf die totgeglaubte Schwester zu und umarmt sie^'. Die kleine Szene gewinnt ihre starke symbolische Wirkung auf dem dunklen Hintergrund des tragischen Schicksals der Atriden. Der Ton ist bei aller freudigen Heiterkeit verhalten der Augenbhck beinahe fröhhchen Glücks ist kurz. Iphigenie kann noch nicht glauben, daß wirklich der Bruder vor ihr steht (803f.). Als die Anagnorisis ,tragisch' zu scheitern droht, tritt der alte Diener auf und löst das Problem; das Gefühl der Gefährdung der Helden durch Theoklymenos wird durch die Überredung Theonoes schnell beseitigt, und als schließlich Theonoes Leben gefährdet scheint, tritt sofort der deus ex machina dazwischen. « S.o. S. 166ff. (passim). " 752 ist mit dem Schwur die Briefszene eigentlich schon beendet; Pylades müßte jetzt abgehen, und Orestes wäre verloren; 753 bringt mit plötzlichem Neuansatz die Wende. Pylades bittet Iphigenie, er möge in dem Falle von seinem Eid entbunden sein, daß der Brief bei einem Untergang seines Schiffes verloren gehe, er selber aber gerettet werde, und Iphigenie entschließt sich daraufhin (760f.), den Brief vorzulesen. " Vgl. dazu die schöne Interpretation von BURNETT, Catastrophe, 5 4 . " Ein Vergleich mit der Anagnorisis der Helena, wo Helena auf Menelaos zutritt, um ihn zu umarmen (566f.|, ist instruktiv; der Ton der beiden Partien ist völlig verschieden (zur Hei. s.o. S. 179ff.). " Vgl. MATIHIESEN, 130: „ein meisterhaft gelungener AugenbUck, der von einer feiner apollinischen Heiterkeit erfüllt ist".

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Um sie davon zu überzeugen, muß Orestes die unheilvolle Vergangenheit der Familie zu Hilfe rufen. So bezeichnet er sich zunächst nicht als Agamemnons Sohn, sondern als Urenkel des Pelops (вО/)·*', erinnert die Schwester daim an den Streit zwischen Atreus und Thyestes (812) und die durch Atreus' widernatürliches Verbrechen bewirkte Umkehr der Sonne (816), spielt auf die Ereignisse in Auhs an (818/20) und endet, in einer Art Ringkomposition (807-823ff.) mit Pelops' Sieg über Oinomaos. Man wird wohl kaum sagen können, daß dieser vollständige Katalog in einem psychologisch realistischen Sinne für Iphigenies Anagnorisis notwendig ist. Vielmehr dient die Stichomythie vor allem dazu, im Moment der endgültigen Überwindung des Fluches, die durch die Umarmung der Iphigenie und des Orestes symbolisiert wird"^, noch einmal die Taten und Leiden der letzten vier Generationen der Familie zu beschwören"^. Auch als Iphigenie schUeßUch ihre letzten Zweifel aufgibt und den Bruder in die Arme schheßt (827 ff.), wird die Freude über die glückHche Gegenwart schnell wieder überschattet vom Leid der Vergangenheit. Das Amoibaion, das in Dur beginnt, geht schnell wieder in Moll über (850-899), und trotz der Mahnungen des Pylades, der die beiden zu recht darauf aufmerksam macht, daß dafür jetzt eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt sei, drängt Iphigenie Orestes zu einem ausführlichen Bericht seines Schicksals (912ff.). Noch einmal verdrängt damit die unheilvolle Vergangenheit das Glück der Gegenwart und die Sicherung einer besseren Zukunft. Der Chor schließt diesen Rückblick mit der bezeichnenden Feststellung: Xo. δεινή τις όργή δαιμόνων έπέζεσε τό Ταντάλειον σπέρμα διά πόνων τ' άγει

(987f.).

Erst jetzt geht die Anagnorisis allmählich in die Mechanema-Handlung über (989ff.). Planung (1017-55) und Durchführung (1153-1233) sind wesentUch kürzer als in der ,Helena'. Der Plan ist einfacher, die Situation reahstischer, die ÜberUstung des ,tumben Barbaren' durch die ,cleveren Die umständliche Umschreibung des Namens: Πέλοπός γε παιδί παιδός, οδ 'κπέφυκ' έγώ (807| kann nur die Funktion haben, Orestes in dem Moment, in dem die tragische Vergangenheit endgültig überwunden wird, als unglückUchen Enkel des unseligen Pelopidengeschlechts erscheinen zu lassen. " Der tragische Kem der Anagnorisis, die Beschwörung der Vergangenheit, ist so eingerahmt durch die beiden Umarmungen (795ff. und 828f.). " Es ist richtig, daß die Greuel des Atridenhauses nur angedeutet werden (BUKNEIT, 63 f.). Der Ton ist nicht grell und melodramatisch (zum Prolog vgl. M. Ткви, Wohl dem, der seiner Väter gem gedenkt, Gymnasium 75, 1968, 435-52); die Verweise auf Pelops (807|, den Streit zwischen Atreus und Thyestes (812f.|, das Kindermahl (816) und die Opferung Iphigenies in Aulis (818) sind jedoch deutlich genug (vgl. WHTTMAN, 23f.).

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Griechen' weit weniger komisch. Der Ton ist zwar insgesamt auch hier heiter, im antilabischen Teil fast fröhUch beschwingt'"'; das Gefühl drohender Gefahr kommt in keinem Moment auf, und Strohm hat recht, wenn er feststellt: „Die Hintergründigkeit dieser feingeschhffenen Stichomythie berührt zuweilen die Bezirke der K o m ö d i e D a s gilt vor allem für die Mißverständnisse des Thoas und seine naive Leichtgläubigkeit und für das Ende der Szene, wenn Iphigenie dem König rät, nicht auf sie zu warten, und dieser schließhch sogar mit ihr für den Erfolg der gegen ihn gerichteten Intrige betet: Ιφ. ήν δ' &γαν δοκώ χρονίζειν . . . Θο. τοΟδ' δρος τίς έστι μοι; Ιφ. θαυμάσχις μηδέν. Θο. τα ιής θεοΟ πράσσ' - έπεί σχολή - καλώς. Ιφ. εΐ γάρ ώς θέλω καθαρμός 0δε πέσοι. Θο. συνεύχομαι (1219-21)«. Alles in allem ist jedoch die Fopperei des Barbarenkönigs nicht nur erheblich kürzer, sondern auch weniger übermütig und komisch als in der ,Helena'. Der Reiz des Spiels beruht in der ,Iphigenie' vor allem darauf, wie Iphigenie Thoas mit der Wahrheit hinters Licht zu führen vermag. „It is remarkable how little lying Iphigeneia has to do in the hoaxing of King Thoas Die Reinigung der Artemisstatue und der beiden durch einen Muttermord befleckten Fremdlinge ist zwar ein Vorwand, zum Strand und dem dort versteckten Schiff zu gelangen, zugleich jedoch ist es die Wahrheit und das eigentUche Ziel der Handlung des Stücks, in dem die Rettung der Artemis und ihrer Priesterin Iphigenie zugleich die Entsühnung des Orestes und die endgültige Überwindung des Tantalidenfluches ist. Genau wie in der ,Helena' werden also auch in der Intrige der ,Taurischen Iphigenie' dramatische und thematische Motive der Anagnorisishandlung wiederaufgenommen"'; genau wie in der ,Helena' trägt das nicht unerheblich zur kompositioneilen und gedanldichen Einheit des Stücks bei. Anders jedoch als in der ,Helena', wo in den Überhstungsszenen die dunkleren Töne fehlen, gewinnt die Überlistung in der ΓΓ durch das bedeutungsvolle Thema der Reinigung eine zweite, ernste Dimen" Zur Überlistung von ΓΓ und Helena vgl. 48 ff. «

LUDWIG,

Sapheneia, 75-80;

MAUHIESEN,

STROHM, 2 5 .

Vgl. weiter 1165 (1179), 1180, 1194f., 1197ff., 1205ff., |1212ff.|, 1230-33, vgl. auch die sorgfältige Interpretation des „inszenierten Scheins" durch SCHWINGE, Stichomythie, 150-160, der auf den Ton der Ironie (auch im Vergleich mit den gleich anschließend behandelten Überlistungs-Stichomythien der Helena] allerdings nicht eingeht. "

WHITMAN, 2 8 .

Vgl. dazu STROHM, Iphigenie, 24f., ZUNIZ, Taurische Iphigenie, strophe, 5 9 f . i falsch CONACHER, 305, 310.

248

f., BURNETT, Cata-

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Sion. Der Zuschauer hat so zwar seinen Spaß daran, daß und wie der König mit der Wahrheit getäuscht wird; zugleich jedoch wird er auch in dieser Szene ständig an die tragische Vergangenheit der Helden und ihrer Familie erinnert*'. Auch als der König getäuscht ist und die Flucht schon fast gelungen scheint, droht das Verderben noch einmal über die Helden hereinzubrechen. Die Welle Poseidons, die das Schiff zurück an das Ufer wirft, ist der letzte Schlag der unheilvollen Vergangenheitdie schUeßlich nur mit Hilfe des deus ex machina, Athene, überwunden werden kaim^'; und noch in den Worten der Göttin, die mit einer Anrufung der Winde die sichere Heimreise in eine glückliche Zukunft garantiert, fällt mit dem Namen Agamemnon ein dunkler Schatten aus der Vergangenheit auf das Happy-end. Wie die ,Helena' ist auch die ,Taurische Iphigenie' romantische Komödie (s.o. S. 155f.) und Tragödie zugleich. Die Geschichte der zwei unglücklichen Königskinder, die sich nach langen Jahren in einem fernen Land wiederfinden und gemeinsam nach Hause zurückkehren, ist der letzte Akt der Tragödie des Atridenhauses, die den tragischen Kontrapimkt bildet. Das άνήκεστον fehlt auch in der ,Iphigenie'; der Dichter führt die Helden aber so dicht an die unheilbare tragische Katastrophe heran, wie das im Rahmen seiner Fabel möghch ist. Schaudernd erkennt Iphigenie nach der Anagnorisis: ώ μελέα δεινάς τόλμας. δείν' έτλαν δείν' έτλαν, ώμοι σύγγονε. παρά δ' όλίγον άπέφυγες δλεΟρον άνόσιον έξ έμάν δαϊχθείς χερών (869-72). Die tragische Vergangenheit wird überwunden, aber nicht ohne sich vorher fast noch einmal zu wiederholen. Atmosphäre und Ton des Stücks sind insgesamt weit realistischer und düsterer als in der ,Helena'; zugleich sind sie einheithcher: die komischen Elemente sind weniger zahlreich und weit weniger ausgeprägt; die tragische Vergangenheit ist so weit wie möglich gedämpft, ohne jedoch dadurch an Bedeutung zu verlieren", imd hinter dem Happy-end lauert " Vgl. 1163, 1168-79 (1174!), 1185, 1191ff. (1200), 1222ff. Vgl. 1412-19. Die überraschende Wendung, die plötzlich das Erreichte wieder in Frage stellt und zum Auftritt des deus ex machina führt, ist in der Forschung ganz unterschiedlich beurteilt worden; vgl. besonders STROHM, Iphigenie, 26f.; LUDWIG, Sapheneia, 117¡ SPIRA, 119-21; BURNETT, Catastrophe, 62ff.; LESKY, Tïag. Dichtung, 412. " Die These, daß die Greuel des Atridengeschlechts stark gedämpft, ja verharmlost sei, ist nach STROHM, Iphigenie, in den letzten Jahren besonders von BURNETT, Catastrophe, 63 ff., vertreten worden.

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nicht wie in der,Helena' die bittere Erkenntnis der Sinnlosigkeit des Krieges - auch des peloponnesischen - , sondern leuchtet die Hoffnung auf, daß so wie die Tragödie der Atriden auch die große gesamtgriechische ,Familientragödie', das Morden zwischen Sparta und Athen, vielleicht überwunden werden kann.

5.8 Ion πολύς ταραγμός £v τε τοίς Οείοις 6vi κάν τοίς βροτείοις (ΓΓ 572 f. )

Zu den in den vorangegangenen Kapiteln besprochenen ungleichen Zwilhngsschwestern ,Helena' und ,Iphigenie in Tauros' gesellt sich als hebenswerter Vetter der ,Ιοη'. Die Datierung des Stücks ist noch immer umstritten'. Manches spricht jedoch dafür, daß das von der Forschung lange Zeit recht stiefmütterlich behandelte Drama ^ etwa in dieselbe Schaffensperiode des Dichters gehört®. Die Verwandtschaft mit der ,Helena' und der ,Taurischen Iphigenie' ist eng: auch der ,Ιοη' ist aus den dramatischen Bauelementen Anagnorisis imd Mechanema konstruiert; auch der ,Ιοη' ist ganz und gar bestimmt von ,Trug und Täuschung"*; auch im ,Ιοη' zeigt sich neben den alten Göttern, denen das Spiel zu entgleiten droht, eine neue Macht : Tyche, die Göttin des Zufalls; auch im ,Ιοη' führt der Weg έξ άτυχίας είς εύτυχίαν, wird die Katastrophe vermieden, endet das Spiel nicht mit tragischer Zerstörung, sondern mit einem vom deus ex machina gesegneten Happy-end^ So nimmt es denn auch nicht wunder, daß sich auch hier die Interpreten nicht über Gattungszugehörigkeit und Ton des Stücks haben einigen können. Auch für den ,Ιοη' sind alle Möghch' Das Stück dürfte zwischen (Ti-oades' (415) und ,Helena' (412) anzusiedeln sein; dazu MATIHIESEN, 8 9 - 9 1 ,

1 3 8 - 4 3 u n d LESKY, Trag. D i c h t u n g , 4 2 5 f. ¡ vgl. a b e r a u c h

OWEN,

X X X V I - X L l , u n d CoNACHER, 2 7 3 - 7 5 ( z w i s c h e n 4 2 1 u n d 415) s o w i e SOLMSEN, I o n , 4 0 4 - 4 0 7

(nach der ,Helena'|. ^ In den letzten Jahren hat der ,Ιοη' so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie kaum ein anderes Stück des Dichters. ^ WfeBSTER, Euripides, 192, denkt an eine Aufführung des ,Ιοη' gemeinsam mit,Helena' und ,Andromeda' (412); ZIEUNSKI, 186, an eine Koppelung von ,Ιοη' und ,ΓΓ'; wir wissen zu wenig von den ,Gesetzen' der trilogischen Komposition, um (wie das LESKY, Trag. Dichtung 426 Anm. 252, und MATIHIESEN, 90 Anm. 2 tun) diese Möglichkeiten mit dem Hinweis auf eine zu große Ähnlichkeit der betreffenden Stücke ausschließen zu können. * Vgl. dazu besonders SOLMSEN, Intriguenmotiv; STROHM, Thjg und Täuschung; DILLER, Erwartung. ' Zum Happy-end s. u. S. 236ff.; weitere Parallelen zwischen ,Ιοη', ,ΓΓ' und ,Helena' werden im Verlaufe der Interpretation deutlich werden.

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keiten erwogen und vertreten worden. Das Stück ist als heiter harmloses Märchenspiel® oder als romantisch sentimentales Rührstück' verstanden worden, als scharfe theologische Satire' oder patriotisch-politisches Propagandastück', als „romance"'" oder Tragikomödie", als ironische Komödie'^ oder bittere Tragödie'^. Diese Verwirrung mag den Leser an der Rationalität der Euripidesforschung irre werden lassen, ist jedoch zugleich aufschlußreich für den verwirrend komplexen Charakter des Werks, auf das sich die disparaten Urteile beziehen. Der tiefere Grund für das Chaos liegt auch hier in der irritierenden Kombination von Hell und Dunkel, von tiefer Verzweiflung und strahlendem Glück, von tragischer Bedrohung und überraschender Rettung, von heiterer Leichtigkeit und bitterer Ironie. Auch im ,Ιοη' ist jede Interpretation, die einen der beiden Aspekte zu vernachlässigen oder gar wegzuinterpretieren versucht, zum Scheitern verurteilt Darauf wird im Anschluß an die Einzelinterpretation zurückzukommen sein. Der ,Ιοη' gehört mit ΓΓ, ,Helena' und ,Elektra' zur Gruppe der sogenannten Anagnorisis-Mechanema-Dramen. Seit Solmsens bahnbrechender Analyse sind diese beiden Bauformen immer wieder studiert, ihre verschiedenen Reahsationen immer wieder miteinander vergUchen worden. Nirgends wird die beinahe wissenschaftliche Experimentierfreude des Euripides deutlicher. Unermüdhch probiert er neue, überraschende Möglichkeiten aus und erlaubt sich auch einmal einen ironischen Seitenhieb auf alte er verändert die Personenkonstellation, setzt mal Bruder und ' STEIGER, Euripides, Seine Dichtung und seine Persönlichkeit, Leipzig 1912, 100 f. '

HARSH , 2 0 5 f .

« A^RRALL, I o n , X I - X L V ; id. Euripides, 1 2 9 - 6 5 ( 1 3 8 f f . ) , MURRAY, 1 1 8 - 2 4 , NORWOOD,

Greek Tragedy, 238-40, BLAIKLOCK, 161 f. '

S o s c h o n K . O . MÜLLER, K l . S c h r i f t e n , I 261 f . , v g l . b e s o n d e r s GRÉGOIRE, I o n , 155-72,

u n d DELEBECQUE, 4 2 5 - 4 4 , w e i t e r e L i t . b e i CONACHER, P a r a d o x , 23 f f .

RIVIER, 129-48 (passim), ROSENMEYER, 120-22. (theological romance), WOLFF, Ion, 169, WHTTMAN, 6 9 , v g l . w e i t e r ν . LENNEP, 171, AMMENDOLA, X I , X I X , Х Х П .

"

Κ π τ ο , Greek Tragedy, 311-29 (passim), BARNES, 130, RADI, 18, LEIMBACH, 129ff.

(ERBSE, Ion, 49, der sich dann jedoch [Anm. 36) dafür ausspricht, „die schillernde Bezeichnung Tragikomödie ganz zu meiden"). KNOX, E u r i p i d e a n C o m e d y , \ÎLLACOTR, 217 ( v g l . a u c h SCHMID, 13, 557).

Zu den verschiedenen Ansätzen, den ,Ιοη' als Tragödie zu verstehen, s. ROHDICH, 108-10. Zu den verschiedenen Interpretationen des ,Ιοη' vgl. vor allem CONACHER, Paradox, und den vorzüglichen Forschungsbericht von ROHDICH, 105-11. V g l . d a z u S o L M S E N , I o n , 3 9 5 , FRIEDRICH, 13.

"

Berühmtestes Beispiel ist die Anagnorisis der ,Elektra' mit den ironischen Anspielun-

gen auf die ,Choephoren' des Aischylos, vgl. dazu zuletzt F. SOLMSEN, Electra und Orestes, 43-54, (zur Echtheit der Verse 518-44 vgl. SCHWINGE, Stichomythie, 257 Anm. 145), die Echtheit wird jetzt wieder bestritten von D. BAIN, [Euripides), Electra, 518-44, Bics 24,

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Schwester (ГГ, El.) mal Mann und Frau (Hei.), mal Mutter und Sohn (Ion) ein er erfindet immer neue Hindernisse, Umwege und Lösungen für die Anagnorisis, immer neue Listen und Tricks für das Mechanema; er modifiziert das Verhältnis der beiden Bauelemente zueinander, legt den Akzent bald auf die Anagnorisis, bald auf das Mechanema und schafft neue Verknüpfungen der beiden Handlungsteile; schUeßUch variiert er Atmosphäre und Ton, setzt Dur und Moll, Tragik und Komik durchaus unterschiedUch Solmsen hat die Besonderheit des ,Ιοη' zu Recht betont Während in ,Elektra', ,Iphigenie in Tauros' und ,Helena' die beiden Handlungskomplexe Anagnorisis und Mechanema aufeinander folgen und bei aller dramatischen Verknüpfung kompositioneil selbständig sind, ist im ,Ιοη' das Mechanema in die Anagnorisis, die das Stück von Anfang bis Ende trägt, eingeschoben und funktional der Anagnorisis untergeordnet^". Auch der ,Ιοη' beginnt nach Prolog und Parodos mit der Anagnorisishandlung, und auch im ,Ιοη' folgt auf eine Begegnung, in der die Wiedererkennung fast erreicht und dann doch verfehlt wird, eine zweite Szene, in der die Anagnorisis schließlich gelingt. Im ,Ιοη' hat sich Euripides jedoch zur Abwechslung den Spaß erlaubt, nicht nur das Scheitern einer wahren, sondern den Erfolg einer falschen Anagnorisis durchzuspielen. Das führt zu einer höchst amüsanten Variation der Anagnorisis, hat aber zugleich weitreichende Folgen für die dramatische Entwicklung. Die harmlos heitere Scheinanagnorisis schafft nur ein Schein-Happy-end, löst dann je1977, 10Φ-16; ganz unabhängig von der spielerischen Ironisierang (nicht etwa kleinliche Kritik oder Beckmesserei) einer berühmten ,Vorlage' hat die Partie ihren guten Sinn im Rahmen der ,Elektra'-Anagnorisis; vgl. dazu LUDWIG, 126-28; FRIEDRICH, 78ff.; DILLER, Erwartung, 97f.; MATraiESEN, 121-23. " Zu Ion, ΓΓ, Hei. und El. kommen weiter die nicht erhaltenen ,Alexandros', ,Aigens', ,Kresphontes', ,Hypsipyle', ,Antiope' und ,Auge'· (Vgl. SOLMSEN, Ion, 4 1 0 - 1 9 ; LESKY, Trag. Dichtung, 437f.). " So ist das Mechanema in Hei. und ΓΓ ein übermütiges (in der Hei. oft komisches] Spiel mit einem einfältigen Gegner, das die endgültige Rettung bringt; in der El. führt es zum problematischen Muttermord, im Ion bis dicht an eine tragische Katastrophe; umgekehrt ist der Anagnorisisteil in der Iphigenie tragisch düster, in Hei. und El. dagegen, bei allen ernsten Untertönen, voll spielerischer Ironie, wirkt eher amüsant als beklemmend; im ,Ιοη' schließlich hat Euripides eine komische Schein-Anagnorisis und eine dicht an die Katastrophe heranführende Anagnorisis kontrastierend miteinander verbunden. " SOLMSEN, Ion, 400-406; SPIRA, 41, 126ff.; ein Argument für die Spätdatierung des ,Ιοη' (SOLMSEN, 406ff.) kann aus der Raffinesse der Verbindung von Anagnorisis und Mechanema nicht gewonnen werden (so richtig MATIHIESEN, 1 3 8 f f . und CONACHER, 274f.). Nimmt man Apollons Plan als μηχάνημα (vgl. z.B. SPIRA, 131; STROHM, Euripides 134; LEIMBACH, 18) hinzu, so ist die Kombination der beiden Bauelemente noch raffinierter: im ersten Teil des Stückes führt ein erfolgreiches Mechanema zur Scheinanagnorisis, im zweiten ein scheiterndes zur wahren Erkennung.

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doch die Intrige aus und verzögert so nicht nur die glückliche Wiedervereinigung von Mutter und Sohn, sondern läßt sie beinahe tragisch scheitern. Das Mechanema hat damit aber nicht nur seine dramatische Funktion geändert, sondern vor allem seinen Ton und seine emotionale Wirkung. Im ,Ιοη' handelt es sich nicht wie in ,Helena' und ,Taurischer Iphigenie' um das souveräne Spiel, mit dem die glücklich Wiedervereinten einen einfältigen Barbaren überUsten und sich damit gemeinsam den Weg zum Happy-end freimachen. Hier geht es nicht um hstige Rettung^', sondern um heimtückischen Mord und blinde Rache Das Mechanema richtet sich nicht gegen einen gemeinsamen äußeren Feind, sondern in tragischer Verblendung gegen die zur Wiedererkennung Bestimmten. Ein Erfolg der Intrige würde nicht das Happy-end, sondern die Katastrophe bedeuten. Die Ersetzung der Anagnorisis durch eine Scheinanagnorisis und die Verzögerung der Anagnorisis bis zum letzten Moment sorgen dafür, daß im ,Ιοη' - im deuthchen Gegensatz zur ,Iphigenie in Tauros' und zur ,Helena' - die dunklen Töne den größeren zweiten Teil des Stücks bestimmen, während zu Beginn nur vereinzelte Schatten auf das heiter unbeschwerte Spiel fallen Nirgends in den erhaltenen Tragödien kommt Euripides dem Geist der ,neuen Komödie' näher als in den ersten Szenen des ,Ιοη' (1-675)^'*. Hermes eröffnet das Stück mit einer ausführlichen Exposition der Vorgeschichte ( 1-64) und gibt dann eine ungewöhnhch detaiUierte Ankündigung der kommenden Ereignisse (65-75) ^^ Er hat vor Jahren ^^ auf Bitten Apollons den von Kreusa heimlich geborenen und ausgesetzten Ion nach Delphi gebracht und ist nun dorthin zurückgekehrt, um sich anzusehen, wie der Bruder die leidige Geschichte zu einem späten Happy-end führt. Der Knabe ist inzwischen zum jungen Mann herangewachsen und von den Delphiem zum Diener im Tempel seines göttlichen Vaters gemacht worden. Seine Mutter Kreusa ist mit dem Achaier Xuthos verheiratet worden, der die athenische Königstochter als Belohnung für erfolgreiche militärische Hilfe erhalten hat. Die Ehe ist kinderlos geblieben, und so Das für ΓΤ und Hei. zentrale σωτηρία-Μοΐίν spielt im ,Ιοη' keine Rolle. " Nur in dieser Hinsicht ist die El. vergleichbar; sonst bieten sich vor allem ,Alexandros' und ,Kresphontes' zum Vergleich an. " Den Wendepunkt markiert hier nicht wie sonst ein freudiges Amoibaion nach der Anagnorisis, sondern eine schmerzerfüllte Monodie nach der Scheinanagnorisis. " S. dazu u. S. 235. In den anderen Götterprologen (Alk. Hipp. Tiro. Ba.) ist die Vorhersage wesentlich allgemeiner gehalten; zum ,Ιοη'-Prolog vgl. die ausführUchen Interpretationen von SPIRA, 3 5 - 4 3 ; IMHOF, 1 3 - 1 8 ; LEIMBACH, 1 2 - 2 4 .

Der Prolog enthält keine genaue Angabe, wie lange die Aussetzung zurückliegt, d. h. wie alt Ion ist; wir müssen ihn uns an der Grenze vom Knaben zum Mann denken.

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sind, berichtet Hermes, Kreusa und Xuthos auf dem Wege nach Delphi, um den Orakelgott zu befragen und um Hilfe zu bitten. Xuthos weiß von nichts; Kreusa glaubt, das ausgesetzte Kind sei tot. Auch in Delphi keimt niemand außer Apollon die Eltern des Knaben. Doch Apollon plant eine wenigstens partielle Aufklärung und eine Lösung, mit der allen Beteiligten, nicht zuletzt ihm selber, gedient ist. δώσει γάρ είσελθόντι μαντείον τόδε Ξούθω τόν αύτού παΐδα, καΐ πεφυκέναι κείνου σφε φήσει, μητρός ώς έλθών δόμους γνωσθίΙ Κρεούση, καΐ γάμοι τε Λοξίου κρυπτοί γένωνται παΐς τ' έχτ| τά πρόσφορα (69-73 Das Ganze ist eine typisch euripideische Prologrhesis^', die dem Zuschauer die notwendigen Informationen gibt und ihn zugleich durch dieses Wissen über die in völliger Unkenntnis der Zusammenhänge befangenen Akteure hinaushebt. Immer wieder - und gerade auch im ,Ιοη' - hat sich Euripides mit dieser Prologtechnik die Voraussetzung für die verschiedensten Formen dramatischer Ironie geschaffen^'. Typisch euripideisch - und doch, wirft man einen Blick auf andere vergleichbare Götterprologe, wie anders! Knox, dessen Interpretation des ,Ιοη' die folgenden Überlegungen viel verdanken, hat zurecht erklärt: „Gods as prologue-speakers are no strangers to the Euripidean stage, but this Hermes is a world away from the menacing Aphrodite of the Hippolytos, the vengeful Dionysos of the Bacchae, the august figures of Poseidon and Athena who in the Trojan Women plan the destruction of the Greek fleet Dieser Hermes erinnert in der Tat eher an seinen römischen Bruder Mercurius, den Prologgott des plautinischen ,Amphitruo', oder an seine menandrischen Nachfolger Pan (,Dyskolos') und lyche (,Aspis'). So stellt er sich denn auch gleich als ,Komödienfigur' vor, als δαιμόνων λάτρις (4), als Diener, der seinem jungen verliebten ,Herrn' in einer heiklen Angelegenheit geholfen hat, nun aber doch, wie ein Komödiensklave, aus sicherem Versteck zusehen möchte, wie die Sache ausgeht. Schon die Wahl des " Das τ ε . . . τε in 72f. hält egoistische und altruistische Erwägungen in ironischer Schwebe (zur Beurteilung ApoUons s.u. S. 238ff.|. Zum euripideischen Prolog vgl. W. NESTLE, Die Struktur des Eingangs in der attischen Tl-agödie, Tüb. Beitr. zur Altertumswiss. 10, Stuttgart 1930 ,1. GOLLWTIZER, Die Prolog- und Expositionstechnik der griech. Tftagödie, Diss. München, 1937; M. IMHOF, Bemerkungen zu den Prologen der sophokleischen und euripideischen Tiagödien, Diss. Bem-Winterthur 1957, H. W. SCHMMT, Die Struktur des Eingangs, in JENS, Bauformen, 1-46; H. STROHM, Zur Gestaltung euripideischer Prologreden, Grazer Beiträge 6, 1977, 113-32; R . HAMILTON, Prologue Phrophecy and Plot in Four Plays of Euripides, AJP 99, 1978, 277-302. " Gut dazu SPIRA, 41 f. KNOX, Euripidean Comedy, 78.

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Hermes, der sich von jeher in der Komödie und im Satyrspiel wohler gefühlt hat als auf der tragischen Bühne, ist bezeichnend®'. In diesem Spiel ist er durchaus in seinem Element. Hier geht es nicht um Rache, sondern um listige Täuschung, nicht um Vernichtung, sondern um Rettung. Mit sichtlichem Vergnügen klärt er die Zuschauer auf. Im Plauderton läßt er sich Zeit für Details, gibt Apollons Bitte ausführlich in direkter Rede wieder (29-36), fhcht auch einmal einen Hinweis auf seine eigene Bedeutung ein (z.B. 36f., 39f.), erklärt stolz, daß er Apollon durchschaut habe (68)®^, und macht sich am Ende den Spaß, den Knaben als erster mit seinem zukünftigen Namen Ion zu bezeichnen. Das ist ein Ton, der wahrhch zu der Geschichte und dem Gott, der sie erzählt, paßt. Auch wenn der athenische Zuschauer am Ende des fünften Jahrhunderts nicht ahnen konnte, daß Euripides mit der Dramatisierung dieses Stoffes eine Komödientradition begründete, die von Menanders ,Epitrepontes' bis zu Oscar Wildes ,The Importance of Being Earnest' reicht, so wird er doch beim Anhören dieses Prologs gespürt haben, daß ihn an diesem Morgen kein ,Hippolytos' und keine ,Troades' erwarteten Daß Hermes am Schluß seiner Rhesis den Schauplatz nicht verläßt, sondern sich in ein Versteck im Hintergrund der Bühne zurückzieht, von wo aus er das Spiel beobachten will (76ff.), dürfte dieses Gefühl verstärkt haben. Der Vorgang ist ohne Parallele in der griechischen Tragödie. Der Gott, der, abgesehen von einer lange zurückliegenden Hilfe, nichts mit der Geschichte zu tun hat®·*, wird auf diese Weise zum Zuschauer auf der Bühne, ebenso imbeteiligt wie die Zuschauer im Theater, ebenso neugierig und gespannt, wie sich die leicht pikante Angelegenheit entwickeln wird®^ Daß es gerade der hstige Schelm Hermes ist, der sich von diesem Spiel um Schein und Sein, Verwirrung, Heimlichkeiten und gutgemeinVgl. dazu KNOX, Euripidean Comedy, 77 f. (und Anm. 21); auch LESKY, 11-ag. Dichtung, 427, empfindet die KomödienquaUtät, wenn er von der „Rolle eines neugierigen Bedienten" spricht; zur Wahl Hermes' als Prologsprecher vgl. auch WOLFF, Ion, 170 und ERBSE, Ion, 50. " Das Verständnis des Verses 6 8 ist umstritten; ausführliche Diskussion bei SPIRA, 38f.; RADT, 18 und Anm. 3 4 ; sowie LEIMBACH 2 1 Anm. 2 ; ich schließe mich RADT an, der als logische Subjekte zu λέληθεν Hermes (έμέ), bzw. zu ώς δοκεΐ Apollon (αύτφ) versteht (vgl. auch LESKY, 4 2 7 A 2 5 5 und GAUGER, 8 1 Anm. 1). " S. dazu auch o. S. 17 ff. Auch hierin ist er der Aphrodite des Hipp., dem Apollon der Alk. oder dem Dionysos der Ba. durchaus unähnUch; ja sogar Pan (Dyskolos) oder lyche (Aspis) haben mit der Geschichte, die sie ankündigen, mehr zu tun¡ Hermes hat keinen anderen Grund zur Anwesenheit als Neugier (ώς &ν έκμάΟω) und vielleicht Schadenfreude. Es wird von den meisten Interpreten vergessen, daß er das Spiel von seinem Versteck aus verfolgt. Man stelle sich einmal die Athene des ,Aias' im Busch hinter dem Zelt vor oder als imaginierter Beobachter, wenn Aias sich ins Schwert stürzt. Man kann hierin seinen ersten Ansatz zum ,Theater auf dem Theater' sehen.

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tem Betrug etwas verspricht, ist äußerst passend. Und noch etwas mag Euripides sich von diesem überraschenden Theatercoup versprochen haben. Hermes' Wunsch, Ions Schicksal zu verfolgen, erirmert daran, daß wir zwar gehört haben, was Apollon plant, aber nicht, wie er sein Ziel zu erreichen gedenkt; der in Hermes' Worten implizite Zweifel gibt jedoch auch einen ersten Hinweis auf mögliche Verwicklungen, die das Spiel sogar für einen Gott interessant machen werden^®. Das menschhche Spiel beginnt mit einer Monodie Ions, der von Dienern begleitet (94ff.) aus dem Tempel tritt und zunächst die aufgehende Sonne begrüßt (82ff.). Formal erinnert das durchaus an die ,Troerinnen' oder an die ,Hekabe', wo ebenfalls zwischen Götterprolog ^^ und Parodos eine Auftrittsmonodie steht motivisch können eine ganze Reihe von Tragödien verglichen werden, die im Morgengrauen und mit einer Begrüßung der Soime (oder Verabschiedung der Nacht) beginnen; funktional dienen auch Hekabes Monodien (Hek., Tro.) dazu, die Hauptperson vorzustellen, ihre äußere und innere Ausgangssituation zu exponieren und nach den neutralen Prologen Atmosphäre und Ton des Stücks zu bestimmen. Schon ein kurzer Blick auf diese ,Parallelen' zeigt jedoch die Einzigartigkeit der Ion-Monodie. Hier ertönt keine schmerzerfüllte Klage über eine furchtbare Vergangenheit (Tro.), keine ahnungsvolle Sorge über eine noch schreckhchere Zukunft (Hek.); Ions Morgenlied ist vielmehr Ausdruck unbeschwerter Jugend imd friedhch sorglosen Glücks im Schutz des heiligen Ortes. Hier gewinnt die freudige Begrüßung der Sonne (82ff.) nicht wie in Sophokles' ,Antigone' oder Euripides' ,Phaethon' auf dem Hintergrund der tragischen Entwicklungen den drohenden Ton tragischer Ironie; es ist vielmehr eindeutig komische Ironie, wenn Ion mit der Ankündigung der Sonne, ohne es zu ahnen, seinen wahren Vater, den Sonnengott Apollon begrüßt, der ihm heute in der Tat ,erscheinen' wird^°. Nachdem Ion seine Begleiter zum Wasserholen fortgeschickt (94ff.) und sich selbst vorgestellt hat (102ff.), beginnt er mit seiner täglichen Arbeit. Die rezitativen Anapäste, die seinen Auftritt begleitet haben, gehen jetzt in lyrische Maße über. Ion begleitet die Arbeit zu seiner (und der Zuschauer) Unterhaltung mit einem fröhlichen Lied. Auch ohne Regieanweisungen fällt es nicht schwer, die lebhafte mimetisch-gestische BeweLEIMBACH, 24, LESKY, Trag. Dichtung, 427. " Der Geist des Polydoros kann zur Gruppe der Götterprologe gerechnet werden. Vgl. zu dieser Form des Eingangs SCHMIDT, S. O. Anm. 28, 15 f. und W. BARNER, Monodie, 309.

"

D a s Material bei H. W . SCHMIDT, S.O. A n m . 28, 3 8 f .

•"> Hinzu kommt der ironische Kontrast zu dem weit weniger strahlenden Bild, das Hermes im Prolog von seinem Bruder entworfen hat; vgl. LEIMBACH, 2 7 f.

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gung des Liedes zu rekonstruieren*'. Der Text spricht eine deutliche Sprache. Ion beginnt damit, den Eingang zum Tempel zu fegen (112-143), stellt dann den Besen beiseite, nimmt ein goldenes Wassergefäß auf und sprengt damit den Boden (144-153), imd als Vögel erscheinen, die den Erfolg seiner Arbeit zu gefährden drohen, greift er zum Bogen und vertreibt sie - mit Drohungen natürhch, nicht mit Pfeilen (154-183). Er spricht mit dem Besen, mit Apollon, mit sich selbst und schließlich mit den Vögeln. Wort, Musik, Tanz und Requisiten formen eine für die griechische Tragödie einzigartige Szene, ein heiteres Idyll auf der tragischen Bühne Der Tragödienheld mit dem Requisit der Komödie in der Hand*^, dem Be sen! Die einzige Befleckung, die hier zu drohen scheint, ist Vogelmist Knox hat zu Recht auf Silenos am Begiim des wahrscheinlich etwa gleich zeitig entstandenen ,Kyklops""· verwiesen und hinzugefügt: „The dithy rambic grace of Ion's warnings to the various birds he threatens with his arrows does not disguise the obvious fact that if he fails to keep them away from the statues he will soon be cleaning up bird droppings just as surely as Silenus is raking out sheep dung*^" Die einzige Parallele, die sich in den erhaltenen Tragödien für Ions Besen finden läßt, ist Elektras Wasserkrug Aber schon ein flüchtiger Bhck auf die Monodie Elektras (El. 112ff.) zeigt den fundamentalen Unterschied. Der Krug, mit dem Elektra wie eine Sklavin Wasser holen geht, ist äußeres Symbol für ein zerstörtes, verhaßtes Leben, Ausdruck ihrer Erniedrigung und ihres Trotzes. Die Atmosphäre ist düster, der Ton des Liedes ist schmerzerfüllt und bitter. Ions Besen dagegen ist Symbol für ein einfaches aber reines und glückerfülltes Leben in der Obhut ApoUons; der Ton ist fröhUch, fast übermütig, in seiner Naivität stellenweise leicht komisch.

Dazu BARNER, Monodie, 290. " ROHDICH, U l f . ; die Beschreibung der untragischen Atmosphäre ist korrekt; ROHDICHS These, daß das religiöse Idyll Ions als Chiffre sokratischen Weltverständnisses verstanden werden soll, überzeugt nicht (vgl. MATIHIESEN, Gymnasium 77, 1970, 239; SCHWINGE, P o e t i c a 3, 1970, 627).

' ' Man muß nur an ,Aias' oder ,Philoktet' denken, um den krassen Unterschied zu ermessen. Oidipus mit Besen? Klytaimestra mit Schürze beim Reinigen des Palastes vor der Rückkehr Agamemnons? " Zur Datierung des Kyklops, der seit MARQUARDTS Diss, allgemein in das Jahr 412 gesetzt wird, vgl. LESKY, Trag. Dichtung, 499 f. und MATIHIESEN, 91 f. sowie W. ^ I Z E L , De Eur. fabula satyrica, quae Cyclops inscribitur cum Homérico comparata exemplo, Wiesbaden 1955, 151 ff.; anders (ohne zu überzeugen) D. F. SunoN, The Date of Eur. Cyclops, Ann Arbor, 1974. " KNOX, Euripidean Comedy, 79. " So auch schon KNOX, Euripidean Comedy, 79 (und zu Elektras Wasserkrug 70f.), der allerdings auf den erhebUchen modalen Unterschied nicht eingeht.

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Der modale Unterschied zwischen den beiden Monodien ist eindeutig. Es ist der Unterschied zwischen Tragödie und Komödie. Die ,Ion'-Szene ist zwar nicht drastisch komisch, aber doch von Anfang bis Ende amüsant. Der kleine Besenmimus (112ff.) ist ebenso „belustigend"*' wie der spielerische Kampf mit den von allen Seiten ,angreifenden' Vögeb. Hier hängt viel von der Inszenierung ab, von Choreographie und mimetischer Gestik, die uns leider so gut wie ganz verschlossen sind; die intendierte Gesamtwirkung ist jedoch imzweifelhaft erheiternd. Von der komischen Ironie, die darin liegt, daß Ion Apollon nichtsahnend als seinen Vater bezeichnet (136ff.), war bereits die Rede. Sie wird noch dadurch verstärkt, daß Ion - singend und mit dem Bogen in der Hand - in der Tat als ein ,kleiner Apollon' vor uns steht. Zur Erheiterung trägt weiter bei, daß er am Ende den Vögeln vorschlägt, doch lieber den Zeustempel in Olympia oder den Poseidontempel in Korinth mit Nestern (und Kot) zu verunzieren, ja, sie sogar nach Delos, und damit zu einem anderen berühmten Apollonheiligtum schickt*'. Amüsant wirkt schließlich vor allem die Inkongruenz zwischen lyrischer Form und prosaischem Inhalt. Besonders groß ist diese Spannung zu Beginn des lyrischen Teils der Monodie άγ', ώ νεηθαλές ώ καλλίστας προπόλευμα δάφνας, & τάν Φοίβου θυμέλαν σαίρεις ύπό ναοϊς, κήπων έξ άθανάτων, ϊνα δρόσοι τέγγουσ' Ιεραί, φοάν> άέναον παγαν έκπροϊεΐσαι, μυρσίνας ίεράν φόβαν fy σαίρω δάπεδον θεοΟ παναμέριος &μ' άλίου πτέρυγι θο$ λατρεύων τό κατ' ήμαρ ( 112-124). Die traditionellen Stilelemente des Hymnos in der feierlichen Epiklese eines Besens"'! Ähnlich, wenn auch weniger kraß, ist die Ankündigung

W i L A M O w r r z , Ion, 14) GRUBE, 262: „gay, innocent and charming". "» Zu dem ,Heiliger St. Florian, verschon' dies Haus, zünd' andre an'-Motiv vgl. O. WEINREICH, Gebet und Wunder, jetzt in: ReligionsgeschichtUche Studien, Darmstadt 1968, Iff. 129-32). Zum hymnischen Ton ^und Form) vgl. SCHADEWALDT, Monolog, 9 8 f., LEIMBACH, 26, KNOX, 7 9 : 112ff. „ . . . remind us irresistibly of Aristophanes' merciless parody of Euripidean monody (Frogs 1331 ff.), the point of which is precisely the ludicrous effect produced by the combination of high-flying lyric form and earth-bound content". "

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des Sprengens (144ff.), und auch der dritte Teil des Liedes, die Verteidigung des Tempels gegen die Vögel, ist nicht ganz frei davon (z. B. 158-60, 162f.po. Die anschheßende Parodos bringt keine Änderung des Tons. „It might be expected that the entry of the chorus would at last strike the solemn note appropiate to tragedy, but this chorus, maidservants of Creusa, reinforce the hohday mood which has so far prevailed"." Die jungen Mädchen sind ihrer Herrin vorausgeeilt, um sich das berühmte Heiligtum anzusehen. Aufgeregt laufen sie hin und h e r " und bewundem Säulen und Tempelschmuck". Ihr Staunen und Zeigen, Fragen und Erklären fügt sich zu einem beschwingten Mimus der sich bruchlos an Ions Auftritt anschließt und die unbeschwerte Stimmung fortsetzt ^^ Ein Blick auf die gewaltige Parodos des ,Agamemnon' oder das düstere Einzugslied des ,Oidipus lyrannos' ist aufschlußreich. Doch auch die sich zum Vergleich anbietenden Auftritte der euripideischen Chöre im ,Orestes' (Or. 140ff.) oder in der ,Iphigenie in AuUs' (LA 164ff.) lassen bei aller Parallelität die Einzigartigkeit der ,Ιοη'-Parodos deutlich werden. Am nächsten kommt dem ,Ιοη' die ,Iphigenie in Aulis'. Dort berichtet der Chor von einer Besichtigung der griechischen Flotte, die sich im Hafen von AuUs versammelt hat. Die detaillierte Beschreibung der berühmten Helden und ihrer Schiffe ähnelt durchaus der Betrachtung der Kunstwerke im ,Ιοη' Es fehlt jedoch bei aller Lebendigkeit der Beschreibung der bewegte, mimetisch-gestische Charakter; und der Schiffskatalog gewinnt auf dem Hintergnmd des Prologs eine tiefernste Bedeutung für das Stück". Von der fröhUchen Naivität der ,Ιοη'-Parodos ist nichts zu spüLEIMBACH, 28, möchte auch in der Reinigung des Tempels und in der Verteidigung gegen die Befleckung durch die Vögel eine ironische Spannung zu der leicht,anrüchigen' Vergangenheit ApoUons sehen; ist das richtig, so ist die Ironie spielerisch, gewiß nicht satirisch bitter. KNOX, Euripidean Comedy, 79. Auch hier hängt die Wirkung stark von der Inszenierung ab; die aufgeregte Bewegimg des Chors ist deutlich; ebenso die Aufteilung in verschiedene Stimmen; im Einzelnen bleibt manches unklar (vgl. OWEN, ad loc.|. 55 Zu der umstrittenen Frage, wovon die Mädchen in 184-87 sprechen (d.h. zum Bühnenbild) vgl. zuletzt MÜLLER, Ion, 25-28. " LESKY, Tïag. Dichtung, 4 2 7 . " KNOX, Euripidean Comedy, 79, trifft den Ton der Szene genau. " KNOX, der auf die Parallele aufmerksam macht, geht auf den Unterschied in Atmosphäre und Ton nicht ein. " Zur Bedeutung der Flotte, die die Opfenmg Iphigenies verlangt vgl. H . DILLER, Umwelt und Masse als dramatische Faktoren, in: Entretiens sur l'antiquité classique VI, Vandoeuvres-Genève 1958, 87-105 (zur ΙΑ 104f.).

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ren^®; angesichts der schweren Entscheidung, die dem schwachen Agamemnon bevorsteht, und der drohenden Gefahr für Iphigenie, von deren Opferung der Ruhm der Flotte abhängt, sind wir zutiefst beunruhigt. Im ,Ιοη' dagegen wirkt die Touristenmentalität'' des Chores von Anfang an erheiternd. So, wenn die Mädchen, die offenbar ihre erste große Reise machen, staunend erklären: ούκ έν ταϊς ζαθέαις Άθάναις εύκίονες ήσαν αύλαί θεών μόνον, ούδ' άγυιάτιδες θεραπείαι (184-86); so auch, wenn sie sich an die Geschichten am Webstuhl erinnern'", wenn sie sich gegenseitig unterbrechen und immer wieder begeistert etwas Neues entdecken; und besonders, wenn sie schließlich den kurz angebundenen Tempeldiener fragen, ob denn Apollons Heiligtum wirklich auf dem Nabel der Welt errichtet sei, und seine Antwort ebenso ehrfürchtig wie naiv bestätigen: Xo.

ούδ' άν έκ σέθεν &ν πυθοίμεθ' αύδάν; Ιω. τίνα τήνδε θέλεις; Χα. άρ' όντως μέσον όμφαλόν γας Φοίβου κατέχει δόμος; Ιω. στέμμασί γ ένδυτόν, άμφΐ δέ Γοργόνες. Χο. ούτω καΐ φάτις αύδ$ (222-25)«'. „No other play of Euripides begins ins this light-hearted manner, "stellt Grube zu recht fest. Die tragische Welt und ihre Leiden scheinen am Beginn des ,Ιοη' in den Bildschmuck des Tempels verdrängt®^, „zum Ge-

" Hinzu kommt, daß in der lA der Chor berichtet, was er auf dem Weg gesehen hat, während hier das Sehen zum lebendigen Spiel wird. " So vor KNOX (S. O. Anm. 55) schon KIRRO, Greek Tì-agedy, 319: „It is the perfect picture of the awe-struck tourist".

196f. " Amüsant auch die unmittelbar vorangehenden Verse 219-21; vgl. KNOX, Euripidean Comedy, 79. «

GRUBE, 2 6 2 .

" Zu der Bedeutung der Metopen für die Thematik des Stücks sind in jüngster Zeit gleich zwei Arbeiten erschienen: MIJLLER, Ion, und U. I. ROSIVACH, Earthboms and Olympians: The Parodos of the Ion, CQ 27, 1977, 284-294.

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genstand - modem gesprochen - touristischer Neugier verblaßt und verharmlost**." Erst mit Kreusas Auftritt, genauer, erst in dem Moment, in dem sie angesichts des Apollontempels in Tränen ausbricht (241 ff.), fällt ein Schatten auf das „untragische Idyll"beginnt mit der ersten Begegnung zwischen Mutter und Sohn die tragische Gegenbewegung des Stücks, die in den wechselseitigen Mordanschlägen ihren Höhepunkt erreicht. In den ersten Szenen des Stücks ist von dieser Gefahr noch nichts zu spüren. Hier sind offenbar nicht Furcht und Mitleid, sondern unbeschwerte Heiterkeit und amüsiertes Schmunzeln Ziel des Autors, der darum bemüht ist, einen wirkungsvollen Kontrast zu der weiteren überraschenden Entwicklung zu schaffen''*. Mit dem Auftritt Kreusas (237) ist die Exposition beendet. Der Zuschauer ist informiert, die Hauptgestalten sind vorgestellt, Schauplatz und Atmosphäre sind bestimmt. Das von Apollon inszenierte und von Hermes angekündigte Spiel kann beginnen, und es beginnt mit einer Überraschung. Nicht Xuthos, wie wir nach Hermes' Ankündigung (69f.) erwarten, sondern Kreusa erscheint; sie will sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das Orakel nach dem Schicksal ihres Kindes zu befragen. Apollons Plan, Ion dem Xuthos zu geben und Kreusa vorerst im Unklaren zu lassen (71 f.), gerät durch das Leid der Mutter und ihren drängenden Wunsch, Auskunft über das vor langen Jahren ausgesetzte Kind zu erhalten, in Gefahr*'. Bereits hier deutet sich an, was später zur Gewißheit wird: Apollon hat ,vergessen', die Gefühle der von ihm dirigierten Menschen in seine Überlegungen einzubeziehen*'. Soll Apollons Plan aufgehen, muß die Anagnorisis zwischen Mutter und Sohn verhindert werden. Der Reiz der Szene beruht für den informierten Zuschauer dar"

ROHDICH, 1 1 2 .

" Dazu ROHDICH, 111-118 (s. auch o. Ашп. 42). " Die Bemühungen verschiedener Interpreten, bereits in den ersten Szenen des ,Ιοη' auch dunklere, tragische Töne zu hören, sind nicht recht Uberzeugend. Gewiß sind mit Hermes' Feststellungen, daß Apollon Kreusa mit Gewalt bezwimgen habe (lOf.), daß die Mutter das ausgesetze Kind tot wähnt (18) und daß ihre Ehe mit Xuthos kinderlos geblieben ist (64f.), Ansatzpunkte für Tragik gegeben, die im weiteren Verlauf des Stücks fruchtbar werden; im Rahmen des Prologs sind sie jedoch nicht mehr als Randbemerkungen. Die Betonung hegt auf der göttlichen Rettung des Kindes und der von Apollon geplanten und garantierten glücklichen Zukimft von Mutter und Sohn. Ion erwähnt zwar, daß er elternlos sei (109); der Kontext und besonders die Verse 136 ff. zeigen aber deutUch, daß er - jedenfalls bis zu diesem Moment - daran nicht leidet. W H I I M A N S Versuch schließlich, aus den Versen 153 ff. eine leitmotivische Antithese „purity and bloodshed", „harmony and destruction" zu gewinnen, wirkt bemüht. " Vgl. 249-51. " S. dazu u. S. 238 ff.

222

auf, wie nahe die beiden immer wieder der Wahrheit kommen. Ion und Rreusa halten jeder einen Teil des Geheinmisses in der Hand. Ion weiß, daß er ein Findling ist, Kreusa, daß sie ihr Kind ausgesetzt hat. Sie sehnt sich nach dem Sohn, er nach der Mutter. Nur der Zuschauer weiß, daß Findling und Ausgesetzter derselbe sind. Er beobachtet von höherer Warte, wie sich die beiden Gesprächspartner der Wahrheit immer wieder nähern, sie immer wieder verfehlen, in ihren Worten, ohne es zu ahnen, das Richtige treffen und doch nicht die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Aufbau und innere Bewegung der Szene sind oft und gut analysiert und interpretiert worden, so daß ich auf Einzelheiten verzichten kann^'. Die Atmosphäre und der Ton der Begegnung zwischen Ion und Kreusa verdienen jedoch eine genauere Betrachtung. Ein Bhck auf die parallele erste Szene zwischen Iphigenie und Orest (IT 467ff.) ist aufschlußreich. Auch dort sind Bruder und Schwester der Wahrheit ganz nahe'"; auch dort scheitert die Anagnorisis. Der düstere Hintergrund'' und die drohende Gefahr des Brudermords schaffen jedoch eine völlig andere Atmosphäre'^. Im ,Ιοη' steht in diesem Augenblick noch wenig auf dem Spiel. Ein Scheitern der Anagnorisis birgt keine unmittelbare Gefahr. Die ironische Doppelbödigkeit des Dialogs ist nicht drohend. Der Zuschauer zweifelt nicht an dem glücklichen Ausgang, der Mutter und Sohn mit Apollons Hilfe schließlich wiedervereinen wird, und verfolgt das Gespräch gespaimt, bisweilen wohl auch leicht amüsiert". Deimoch: das Vergnügen ist nicht mehr ungetrübt wie in den ersten Szenen. Kreusas Tränen und Ions mitfühlende Reaktion haben einen neuen Ton hineingebracht. Die fröhliche Heiterkeit der apollinischen Welt ist plötzhch in Frage gestellt: έα· άλλ' έξέπληξάς μ', όμμα συγκλήσασα σόν δακρύοις θ' ύγράνασ εύγενή παρηίδα, ώς είδες άγνά Λοξίου χρηστήρια. τί πάτε μερίμνης ές τόδ' ήλθες, ώ γύναι; Ô πάντες άλλοι γύαλα λεύσσοντες θεοΟ χαίρουσιν, ένταΟΘ' όμμα σόν δακρυρροεί; "

(241-46).

SoLMSEN, I o n , 3 9 2 f.; STROHM, T h i g u n d T ä u s c h u n g , 3 6 8 F . ; LUDWIG, S a p h e n e i a , 5 8 - 6 0 ;

HuGGLE, 1 6 - 2 5 ; SpiRA, 4 6 - 5 1 ; DiLLER, E r w a r t u n g ,

Ulf.

Vgl. dazu die schöne Interpretation von SCHWINGE, Stichomythie, 270-93. " Vgl. r r 71-75 (77ff.) und Ion, 76-80 (82ff.). " S.o. S. 204ff. Das gilt besonders für den Anfang des Gesprächs: für Ions ,Neid' auf die Fremde, die im berühmten Athen wohnen darf (262f.), oder seine neugierigen Fragen nach den athenischen Sagen, die man ihm als Kind erzählt hat (265 ff.); der Zuschauer weiß, daß sich hier der letzte der Erechthiden nach der Geschichte seiner Vater erkundigt.

223

Kreusas Schmerz beruht zwar auf einer falschen Voraussetzung. Der verlorengeglaubte Sohn steht vor ihr; der Gott, den sie anklagt, hat sie in Wahrheit nicht vergessen. Dennoch ist das Leid der vergangenen Jahre bitter erlebte WirkÜchkeit. Diese Situation erzeugt eine schwebende Ironie, die weder als komisch noch als tragisch bezeichnet werden kann; sie hat zugleich an beidem teil. Die Verse 304 ff. mögen als Beispiel dafür dienen: Kp. άπαιδές έσμεν, χρόνι' έχοντ εύνήματα. 1ω. ούδ' έτεκες ούδέν πώποτ| άλλ' άτεκνος εΐ; Κρ. ó Φοίβος οίδε τήν έμήν άπαιδίαν. Wenn Kreusa feststellt (304), daß ihre Ehe mit Xuthos kinderlos geblieben ist, so spüren wir den Schmerz langer Jahre; zugleich wissen wir jedoch von Hermes, daß diese Kinderlosigkeit Teil des göttUchen Plans ist, der Ion und Kreusa schon bald glücklich vereinen soll. Ions Frage (305), ob sie denn überhaupt niemals geboren habe, wirkt für den Zuschauer aus Ions Munde zwar wie komische Ironie'", für Kreusa ist es jedoch, wie ihre Antwort zeigt, eine bittere Erinnerung. Sie hat ja geboren und ist dennoch kinderlos. Ihre bewußt zweideutig formulierte ausweichende Antwort ist in einem glücklicheren Sinne wahr, als sie ahnt: Kp. ó Φοίβος οίδε τήν έμήν άπαιδίαν

(306).

Ion kann und soll das nur als Bestätigung seiner Frage verstehen. Kreusa klagt aber zugleich Apollon an, sich nicht um das gemeinsame Kind gekümmert zu haben"; der Zuschauer schließhch weiß, daß Phoibos gerade das getan hat und in der Tat sehr wohl um Kreusas Kinderlosigkeit weiß und besorgt ist. Immer wieder verweisen die Worte zugleich auf das bittere Leid, das Apollons Verhalten über Kreusa gebracht hat, und auf das unmittelbar bevorstehende Happy-end. Auch die zum Vergleich herangezogene Szene der ,Taurischen Iphigenie' (467ff.) lebt von ähnhcher Ironie'®. Dreierlei sorgt jedoch dafür, daß im ,Ιοη' die Atmosphäre der Szene ihre Wirkung auf den Zuschauer völlig anders sind: die Vergangenheit, die die beiden Gesprächspartner durchlitten haben imd von der sie zueinander sprechen, ist weit weniger tragisch'', die Gegenwart birgt keine gräßliche Bedrohung, und die glückVgl. weiter 309, 311, 313, 319-21, 324f., 328f., 330ff. (besonders 338f., 345f., 353f., 355, 357-60|. " 384-86 (425-28), 438f., 902ff., 916f., 965. " Vgl. z.B. IT 472-75, 499f., 515f., 5 3 8 ^ 2 , 543ff., 567ff., 582ff., 609-13, 627-35, 638 ff. " Für Ion ist das offensichtlich; von Kreusa wissen wir in diesem AugenbUck noch nicht, wie sehr sie geUtten hat - und noch leidet.

224

liehe Zukunft ist in den Augen der Zuschauer gesichert^'. Die Blindheit wirkt auf dem beruhigenden Hintergrund des Götterprologs noch nicht gefährlich oder gar zerstörerisch". Wir erkennen, wieviel es für Kreusa bedeuten wird, ihren Sohn wiederzufinden. Da wir aber nicht daran zweifeln, daß sich ihre Sehnsucht schon in nächster Zukunft erfüllen wird, empfinden wir die Verzögerung der Anagnorisis nicht als schmerzlich. Der Ton des Stücks hat sich also mit dem Auftritt Kreusas zweifellos geändert. Dennoch sind wir auch in dieser Szene der Komödie immer noch näher als der Tragödie®". Endlich erscheint Xuthos, begrüßt seine Frau, erkundigt sich entschuldigend danach, ob sein langes Ausbleiben sie beunruhigt habe: μών χρόνιος έλθών σ' έξέπληξ' όρρωδίςι;

(403)

und betritt schHeßhch nach kurzem Bericht über seinen Erfolg bei Trophonios den Tempel, um das Orakel zu befragen. Der Zuschauer weiß, daß nun Apollon seinen Plan in die Tat umsetzen wird. Der Chor überbrückt die Zeit mit einem Gebet an Athene und Artemis, die Kinderlosigkeit seiner Herrin Kreusa zu beenden (452ff.)". Grube stellt zu Recht fest: „The continued lightness of touch in the play can be realized by contrasting what is here said of the blessings of children with the far more tragic, and quite opposite, sentiments expressed in the powerful children-ode in Medea 1081-1115"." In dem Moment, in dem Xuthos aus dem Tempel tritt, sich suchend umsieht, Ion entdeckt und mit ausgebreiteten Armen begeistert auf ihn zustürzt, beginnt eine Szene, deren komischer Ton besonders zu Beginn unmißverständlich ist:

Zur Hei. s.o. S. 158f., zur IT o. S. 205f. " S.o. S. 35f. Die Szene steht den ,Epitrepontes' Menanders oder Terenz' ,Hecyra' gewiß näher als dem ОТ oder der ,Elektra' des Sophokles. " Amüsant wirken für den Zuschauer auch die Verse 408f.; Kreusas Reaktion (410-12| ist wieder von der oben besprochenen tragi-komischen Ironie bestimmt. " Dazwischen liegt noch ein Monolog Ions (429ff.|, in dem dieser sich über die Geschichte, die Kreusa ihm erzählt hat, Gedanken macht; hier wirkt die Altklugheit des wohl etwa 17jährigen Jungen |s.o. Anm. 26) erheiternd; vgl. besonders 436ff.: „da muß ich denn doch Apollon tadeb; was fällt ihm ein? Jungfrauen mit Gewalt freien und dann sitzen lassen? Heimliche Kinder zeugen imd sich dann nicht weiter um sie kümmern, wenn sie sterben? So nicht!...". Das Gewicht der Anklage wird durch den Ton jedoch keineswegs verringert. "

GRUBE, 2 6 6 A n m .

I.

225

Ξο. Ιω. Ξο. Ιω. Ξο. Ιω. Ξο. Ιω. Ξο. Ιω. Ξο. Ιω.

ώ τέκνον, χαΐρ'· ή γάρ άρχή τοΟ λόγου πρέπουσά μοι. χαίρομεν σύ δ' εδ φρόνει γε, καί δύ' 0ντ' εό πράξομεν. δός χερός φίλημά μοι σής σώματός τ' άμφιπτυχάς. εδ φρονείς μέν; ή σ' έμηνε θεοΟ τις, ώ ξένε, βλάβη ; σωφρονώ· τά φίλταθ' εύρών ού φυγείν έφίεμαι. παΟε, μή ψαύσας τά τοΟ ΘεοΟ στέμματα φήξης χερί. άψομαι- κού ί)υσιάζω, τάμά δ' εύρίσκω φίλα. ούκ άπαλλάξτ), πρίν εΐσω τόξα πλευμόνων λαβείν; ώς τί δή φεύγεις με; σαυτοΟ γνωρίσας τά φίλτατα... ού φιλώ φρενοΟν άμούσους καί μεμηνότας ξένους. κτεΐνε καΐ πίμπρη • πατρός γάρ, ήν κτάνης, έση φονεύς. ποΟ δέ μοι πατήρ σύ ; ταΟτ' ούν ού γέλως κλύειν έμοΟ ; (517-28).

Der Text läßt auch ohne Regieanweisungen keinen Zweifel daran, wie die Szene zu spielen ist. Ion reagiert zunächst kühl (518), dann irritiert (520), darauf ärgerlich (522) und schüeßlich wütend (524, 526). Xuthos dringt immer heftiger auf ihn ein. Schon diese dramatische Konstellation wirkt belustigend und der Spaß wird für den Zuschauer noch dadurch erhöht, daß er ja weiß, daß Xuthos nicht wirklich Ions Vater ist, Ions kühle Zurückhaltung also in tieferem Sinne berechtigt ist Die eigentliche komische Pointe hegt jedoch in der Mißverständlichkeit von Xuthos' ,Annäherungsversuchen'. Wilamowitz hat darauf hingewiesen, daß Ion das Verhalten des fremden älteren Herrn als „erotischen Überfall" mißverstehen muß Er erfährt ja erst in den Versen 527 f., in welchem Sinne ihn Xuthos als τέκνον anredet. Euripides hat die entscheidende Mitteilung zweifellos so lange zurückgehalten, um die komische Situation voll ausspielen zu können. Xuthos sagt „mein Kind", und Ion hört „mein (süßes) Kind", und je drängender Xuthos den Zurückweichenden bestürmt, desto mehr fühlt Ion sich bestätigt und bedroht Die möglichen erotischen Konnotationen in den Versen 519, 521, 523 und 525 sind deutlich. Das gilt nicht nur für Kuß" und Umarmung, nicht nur für die ständig wiederholte BezeichDas Motiv findet sich auch - mit unterschiedlicher Wirkung - in der ΓΓ (s. o. S. 207 f.) und in der Helena (s.o. S. 179ff.). Umgekehrt liegt der Reiz der scheiternden Anagnorisis zwischen Mutter und Sohn darin, daß sich Kreusa und Ion von Anfang an zueinander hingezogen fühlen. " W i L A M O w r r z , Ion, III (ad 5 1 7 ) ; GRUBE, 2 6 6 ; ausführlich KNOX, Euripidean Comedy, 8 0 ; vgl. auch LEIMBACH, 5 2 , der auf die hintergründige Ironie des Verses 5 2 0 hinweist (Ion kaim wohl nur Aphrodite meinen; der Zuschauer denkt an Apollon). " Erst so verstanden wird die Heftigkeit von Ions Reaktion verständlich. " So wird φίλημα χερός in 5 1 9 gewöhnlich verstanden; WILAMOWITZ, Ion, ad loc.: Handschlag.

226

nung Ions als τά φίλτατα (τά φίλα) sondern in diesem Kontext auch für Wendungen wie: „jetzt, nachdem ich mein Liebstes endUch gefunden habe, will ich nicht, daß es mir entkommt" (521) oder „warum versuchst du nur, mir zu entfUehen?" (525)'". Seinen dramatischen Höhepunkt erreicht dieser erste Teil der Szene'' in dem Moment, in dem Ion mit dem Bogen, wie eben noch auf die Vögel, nun auf Xuthos anlegt. Natürlich glauben wir keinen AugenbUck, daß Ion, der nicht einmal den Vögeln etwas zuleide tun konnte, tatsächlich auf den fremden Athener schießen könnte. Euripides kommt es offenbar darauf an, eine komische Parallele zu der tragischen Bedrohung der Mutter durch den Sohn zu schaffen, die sich schon bald an gleicher Stelle ereignen wird. Als Xuthos schließlich das Mißverständnis beseitigt, indem er sich als Ions Vater bezeichnet (527), verlangt Ion, dem das gar zu lächerHch erscheint (528), Beweise. An dieser Stelle geht die Stichomythie in noch schnellere Antilabai über. Wir erfahren nun, daß Apollon Xuthos nicht einfach hat wissen lassen, daß der vaterlose junge Tempeldiener sein Sohn sei, sondern sich ein kleines Spielchen mit ihm erlaubt hat, dessen einziger Sinn in der volksetymologischen Namensgebung Ion = ίών zu hegen scheint. Auch in diesem zweiten Teil des Gesprächs fehlt es nicht an komischer Ironie. So z. B. wenn Ion die allzu berechtigte Vermutung ausspricht, daß Xuthos von Apollon getäuscht worden sei (533)'^. Amüsant wirkt auch die Naivität des Xuthos, der sich das alles nicht so recht erklären kann (539, 40), darüber aber keineswegs beunruhigt ist (543) und in der Aufregung über sein Vaterglück sogar vergessen hat, Apollon zu fragen, wer denn die glückliche Mutter des Kindes sei (541)'®. Ion aber gibt sich nicht so schnell zufrieden, sondern versucht, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Auch dieser dritte Teil des Gesprächs (543-565) würde einer Komödie zur Ehre gereichen. Der wohl etwa siebzehnjährige Ion nimmt seinen Vater ins Gebet. Xuthos gesteht zunächst ein erstes erotisches Abenteuer, fühlt sich jedoch bemüßigt, sich mit dem Hinweis auf die „Torheit der Jugend" (545) zu entschuldigen; und als Ion ihn fragt, ob

" 521, 523, 525 (vgl. dazu Ions ironische Erwiderang]; LEIMBACH, S3; zur Fonn der Anrede D. B. GREGOR, Ώ φίλτατ', C R 71, 1957, 14F.; M . LANDFESTER, Das griech. Nomen „φίλος" und seine Ableitungen, Spudasmata 11, 1966, 75-92 |90|. Vgl. auch σωφρονώ (521) und &φομαι (523). " a) 517-29 b) 530-42 с) 543-65 (anders SCHWINGE, Stichomythie, 249 Anm. 121). " Vgl. bereits 520. " Das erinnert an Hei. 536f.; komisch wirkt auch die Ironie von 543 und eine Art Kalauer hat sich Euripides in 542 erlaubt, wenn er Xuthos, der (wenn auch als Nicht-Athener) auf dem Thron der erdgeborenen Erechthiden sitzt, auf Ions ironische Bemerkung, dann sei er wohl ein Kind der Erde, erwidern läßt: ού πέδον τίκτει τέκνα.

227

es vor oder während der Ehe geschehen sei, versichert der brave Ehemann: „natürlich vorher." Ιω. πρίν κόρην λαβείν 'Ερεχθέως; Ξο. ού γάρ ΰστερόν γέ πω (546). Damit ist das Problem aber immer noch nicht gelöst. Denn wie ist Ion nach Delphi gekommen? Xuthos fällt auch dazu nichts ein: Ιω. κ^τα πώς άφικόμεσθα δεΟρο . . . Ξο. ταΟτ' άμηχανώ

(548).

So muß Ion schließlich ein zweites Abenteuer - diesmal in Delphi - für ihn rekonstruieren: Ιω. Πυθίαν δ' ήλθες πέτραν πρίν; Ξο. ές φανάς γε Βακχίου. Ιω. προξένων δ' ëv του κατέσχες; Ξο. 0ς με Δελφίσιν κόραις . . . Ιω. έθιάσευσΙ ή πώς τάδ' αύδςις; Ξο. Μαινάσιν γε Βακχίου. Ιω. έμφρον' ή κάτοινον όντα; Ξο. Βακχίου πρός ήδοναΐς. Ιω. τοΟτ' έκείν' ϊν' έσπάρημεν (550-54)»". Auf die letzte offene Frage - wie Ion in den Tempel Apollons gelangt sei (555) - weiß Xuthos auch einmal eine Antwort, und er trifft sogar nichtsahnend die Wahrheit: Ιω. πώς δ' άφικόμεσθα ναούς; Ξο. έκβολον κόρης ϊσως (555)« Jetzt akzeptiert auch Ion den Plan Apollons. Mit seinem χαΐρέ μοι, πάτερ (561), mit dem er endlich auf Xuthos' ώ τέκνον, χαΐρ' (517) antwortet, ist die Pseudo-Anagnorisis am Ziel. Die komische Qualität der Szene dürfte ausreichend deutlich geworden sein. Nur in den Mechanema-Szenen der ,Helena' ist Euripides dem Ton der Komödie so nahe wie hier'^. Das Mißverständnis zu Beginn bildet den passenden Auftakt für eine Szene, in der Euripides sich den Spaß macht, die harmlos komische Seite der menschhchen Bhndheit vorzuführen, bevor er uns ihren zerstörerisch tragischen Aspekt zeigt. Die Schein-Anagnorisis zwischen Ion und Xuthos ist deutlich als komische Parallele zur Anagnorisis zwischen Ion und Kreusa konzipiert. Das erinnert an die moderne dramatische Technik, eine ernste Haupthand" Auch hier beraht die komische Qualität der Verse darauf, daß der altkluge Junge für seinen Vater die passende erotische Situation konstruiert und Hann begeistert ausruft: Das ist's. (5541; für Komödien-Parallelen vgl. SCHMID, 13, 550 Anm. 3. " Auch die folgenden Verse 556, 557 und 559 sind von komischer Ironie bestimmt; d a z u g u t LEIMBACH, 56.

" Die Szene beginnt übrigens, wie so oft Szenen in der späteren Komödie, mit dem Knarren der sich öffnenden Tür.

228

lung in einer heiteren Nebenhandlung zu spiegeln. Euripides begnügt sich bei diesem Spiel mit Parallele und Kontrast nicht mit einer allgemeinen Ähnhchkeit von Situation und Thematik (Anagnorisis, άγνοια). Daß Ions Drohung, Xuthos zu töten, als untragische Parallele zu der späteren Bedrohung zu verstehen ist, ist bereits erwähnt worden. Sorgfältiger ausgeführt und bedeutungsvoller ist die komische Inversion des Geburtsmotivs, dessen zentrale Bedeutung für das Stück Friedrich'' zurecht betont hat. Das vorehehche Liebesabenteuer des Xuthos mit einer Unbekaimten ist mit Apollons Überfall auf Kreusa durchaus vergleichbar. Die angenommene Aussetzung der Frucht des ,Fehltritts' (555) vervollständigt die Parallele, und schließlich schlägt Xuthos - auch hierin seinem göttlichen ,Doppelgänger' gleichend - vor, die unangenehme Geschichte doch wenigstens zunächst einmal vor Kreusa geheimzuhalten (654ff.). Xuthos, den weder Apollon noch Kreusa noch Ion (noch wir) ganz ernstnehmen, ist, wie Friedrich noch zu vorsichtig formuliert, „eine eher komische als tragische Figur"." Der einzige große Auftritt, den er h a t " , ist von Euripides sorgfältig als komischer Kontrast zur ernsten Haupthandlung gestaltet. Mit der Pseudo-Anagnorisis ist Apollons Plan erfolgreich abgeschlossen. Es hat alles geklappt - wie es scheint. In Wirklichkeit sind wir nun, und darin liegt die ironische Pointe, von der Wahrheit weiter entfernt als am Ende der gescheiterten Anagnorisis. Hinzu kommt, daß der Zuschauer bei allem Amüsement über die komische Situation doch nicht vergißt, daß die Freude des Xuthos Kreusas Leid sein wird. Da wir Kreusa in ihrer Sehnsucht nach dem eigenen Kind gesehen haben, können wir ermessen, was diese völlig unerwartete Entwicklung für sie bedeuten muß. Euripides sorgt dafür, daß wir Kreusa im Augenblick des scheinbaren Happy-ends nicht vergessen. Genau in der Mitte der stichomythischen Szene (540) und an ihrem Ende (563-65) bringt Ion das Gespräch auf seine unbekannte Mutter und in der ausführlichen Begründung seiner Bitte, in Delphi bleiben zu dürfen (588ff.), spricht er ausdrücklich von dem bitteren Schmerz, den Apollons Lösung

"

FRŒDMCH, 1 8 .

FRIEDRICH, 11¡ vgl. weiter SCHMID, 13, 546; Κπτο, Greek Tragedy, 312, 320f., 329 („а pleasantly silly Xuthos"); RADT, 16 („een uitgesproken komische rol"|; WOLFF, Ion, 189, vergleicht den Nicht-Athener Xuthos mit den Barbaren-Königen Thoas (ГГ) und Theoklymenos |Hel.); typologisch steht die Rolle der beliebten Komödienfigur des mari cocu nahe. " Dazu kommt nur die kurze Auftrittsszene (392-428), und am Schluß wird ihm auf göttlichen Befehl sogar die Wahrheit vorenthalten (1601 f.). Außerdem wird der Zuschauer an ihr Schicksal erinnert, wenn Ion für Xuthos die beiden erotischen Abenteuer rekonstruiert (545ff., 550ff.).

229

über die kinderlose Kreusa bringen muß, und sieht sogar die spätere Intrige voraus (607-620). In dem Moment, in dem Vater und Sohn die Bühne verlassen, ist die tragische Peripetie vorbereitet. Das Freudenfest, mit dem Xuthos sein Glück feiern will (65 Iff., 663-65), wird der Schauplatz eines Mordanschlages sein. Ion wird seine Mutter finden (668ff.), aber nicht ohne sie vorher selber fast getötet zu haben"". Die Interpretation des ersten Teils des ,Ιοη', dem im Rahmen dieser Arbeit natürlich das Hauptinteresse gilt, sei mit Friedrichs treffender Bemerkung abgeschlossen: „Der erste Teil emanzipiert sich von der Gattung und ist deswegen so erfreuhch unkonventionell·"^." Die vorangegangenen Beobachtungen bestätigen Friedrichs Auffassung, daß jeder Schritt weg von der Tragödie ein Schritt in Richtung auf die Komödie ist. Im zweiten Teil folgt auf die von Gott inszenierte Komödie die von den Menschen ins Werk gesetzte Tragödie Apollons gutgemeinter Plan muß scheitern, weil er vergessen hat, die Gefühle der beteiligten Personen in Rechnung zu stellen. Auch hierin gleicht er übrigens durchaus seinem komischen Abbild auf der menschlichen Bühne. Xuthos, der sich irrt, wenn er glaubt, den Kreusa treu ergebenen Chor mit einem drohenden Befehl (666f.) zum Stillschweigen zwingen zu können'"". Kaum hat Kreusa in Begleitung des alten Pädagogen die Bühne wieder betreten, um sich nach Xuthos' Erfolg zu erkundigen, ist das Geheimnis schon verraten. In ihrer bitteren Enttäuschung über die unerwartete "" Entwicklung und der wütenden Empörung über das Verhalten Apollons läßt sich Kreusa, um zu verhindern, daß ein Bastard auf den athenischen Königsthron gelangt, und vor allem, um sich an dem treulosen Gott rächen zu können in einen Mordanschlag hineinreden. Sie beschließt, den TemDas weiß der Zuschauer zwar in diesem Moment noch nicht; die zahlreichen Verweise auf Kreusa (und für Kenner des Theaters das Fehlen des Anagnorisisamoibaions) lassen ihn jedoch ahnen, daß nicht alles entschieden ist. FRIEDRICH, 2 7 .

'oä Dabei handelt es sich keineswegs um bloßes zeitliches Nacheinander,· die tragische Handlung ist vielmehr das direkte und logische Resultat der komischen. Das Schweigegebot an den Chor ist ein Standardelement der Intrige; vgl. dazu MATTHIESEN, 4 5 f.; КАМГЛСЗГГ, Π 3 6 5 und GAUGER, 1 0 - 1 5 . Sonst handelt es sich um die Bitte des Helden, ihn nicht zu verraten, hier um den Befehl des Gegenspielers. Sie kaim nach den Worten, mit denen ihr Xuthos das Ergebnis seiner Befragung des •Rophonios meldet (408f.) nicht damit rechnen, daß nur Xuthos von Apollon mit einem Kind beschenkt wird (761 f. und 771 ff.). "" 874ff.; 970ff.; dieses Motiv ihres Handelns ist vor allem von BURNETT, Catastrophe 111 f., betont worden; vgl. auch LUDWIG, Sapheneia, 67¡ SPIRA, 66; SCHWINGE, Stichomythie, 218f. und jetzt ausführlich GAUGER, 45-53.

230

peldiener, den sie plötzlich als Xuthos' Sohn akzeptieren soll, bei dem bevorstehenden Freuden- und Dankfest durch den alten Diener vergiften zu lassen. Der Plan mißlingt; der Alte wird gefaßt, überführt und gesteht. Nun ist Kreusa selbst in höchster Gefahr. Sie wird in Abwesenheit zum Tode verurteilt und kann sich erst im letzten Moment an den Altar retten, als die Verfolger, von Ion angeführt, herbeistürzen, um sie zu ergreifen und zu steinigen Dieser etwa gleich umfangreiche Teil der dramatischen Handlung ist so gut wie ganz frei von komischen Elementen. Das Lied, mit dem der Chor auf die Pseudo-Anagnorisis reagiert (676ff.), nimmt mit Klage, falschen Befürchtungen und Vermutungen sowie dem Wunsch, Ion möge zugrunde gehen, die dramatische Entwicklung voraus und setzt den neuen Ton. Als sich Kreusa mit dem Diener nähert, sieht es zwar für einen kurzen Augenblick so aus, als kehre die Atmosphäre des ersten Teils zurück Die kleine Szene, in der sie dem Alten hilft, die steilen Stufen "" zum Tempel hinaufzusteigen, ist in ihrem stark mimetischen Charakter durchaus verwandt mit Ions Arbeit oder der Parodos, und, wie so oft bei Euripides ist die realistische Präsentation des Alters nicht ohne einen Hauch von Komik: Kp. έπου νυν · ϊχνος δ' έκφύλασσ όπου τίθης. Πρ. Ιδού. τό τού ποδός μέν βραδύ, τό τοΟ δέ νοΟ ταχύ. Κρ. βάκτρφ δ' έρείδου περιφερή στίβον χθονός. Πρ. καΐ τοΟτο τυφλόν, όταν έγώ βλέπω βραχύ. Κρ. όρθώς έλεξας άλλά μή παρΐΐς κόπω. Πρ. οΰκουν έκών γε· τοΟ δ' άπόντος ού κρατώ (741-46) Doch mit der ersten Äußerung des Chors - ΐώ δαίμον (752) - sind unbeschwerte Stimmung und hoffnungsvolle Erwartung dahin. Kreusa fühlt sich vernichtet - ώμοι, θάνοιμι (763) - und der Alte, über den wir eben noch geschmunzelt haben, lehrt uns nun mit seinen hemmungslosen

1112 imd 1237; vgl. dazu LESKY, Trag. Dichtung, 432 Anm. 262. ">« 1. 8 2 - 6 7 5 ( = 5 9 4 Verse] 2. 6 7 6 - 1 3 1 9 ( 6 4 4 Verse); Z u r K o m p o s i t i o n d e s , l o n ' vgl. bes o n d e r s FRIEDRICH, 1 3 - 1 7 u n d LUDWIG, S a p h e n e i a , 1 2 3 - 2 6 .

"" Der Zuschauer weiß allerdings, was Kreusa erwartet. 739; vgl. dazu OWEN, ad 725ff.; die Ironie des Verses, der konkret und im übertragenen Siime verstanden werden kann, ist offensichtlich. Vgl. WiLAMOwnz, Herakles Ш, ad 107-137; s. auch O.S. 92ff. (zu Herakliden 630ff.|. Z u m Ton der kleinen Auftrittsszene vgl. Κπτο, Greek Tragedy, 325f.; BURNETT, Catastrophe, 111; gute Beobachtungen zur hintergründigen Ironie der Verdächtigungen des Alt e n b e i LEIMBACH, 7 1 - 7 3 .

231

Verdächtigungen und Mordplänen das Fürchten"^. Die άγνοια, die wir gerade noch mitfühlend (237 ff.) und amüsiert (517 ff.) betrachtet haben, enthüllt plötzUch ihre häßlichen und zerstörerischen Aspekte. Nebenfiguren (Chor und Presbytes) und Hauptgestalten (Kreusa und Ion) verstrikken sich in einem gefährlichen Netz von Fehlurteilen und Unterstellungen und drohen in ihrer Blindheit zu zerstören, wonach sie sich am meisten sehnen. Die tragische Qualität dieses Abschnitts ist offenkundig und unbestritten. Schwieriger ist es, die angestrebte Intensität der tragischen Wirkung zu bestimmen. Die Gefahr subjektiver Spekulation, die hier besonders groß ist, kann durch eine Reihe von Beobachtungen und Überlegungen wenn nicht beseitigt, so doch eingeschränkt werden. Von entscheidender Bedeutung ist die klare und an keiner Stelle in Frage gestellte Voraussage des Happy ends - zumal durch einen Gott "" - im Prolog. Das Leid Kreusas wird dadurch nicht aufgehoben - es wirkt stark und ergreifend -, wohl aber relativiert. Was für das schmerzliche Mitempfinden (έλεος) mit dem Helden gilt, gilt noch in höherem Maße für die ahnungsvolle Furcht vor einer möglichen tragischen Katastrophe (φόβος). Auf dem Hintergrund der götthchen Prophezeiung verhert die sich entwickelnde Gefährdung der Hauptgestalten viel von ihrem elementaren Schrekk e n " ' . Während der Planung des Mords sorgt Euripides dann weiter durch die ausführhche Erklärung der Herkunft des Giftes (985-1019), das Ion töten soll, dafür, daß wir nicht vergessen, daß alles gut enden wird. Denn das Geschenk Athenes an Erichthonios kann unmöglich dazu dienen, den letzten männlichen Sproß des athenischen Königshauses zu vernichten und so tiefes Unglück über die Stadt Athenes zu bringen So sind wir keineswegs überrascht, wenn schon bald d a r a u f " der Bote

Einen Überblick über die ganz unterschiedliche Beurteilung des Alten gibt

GAUGER,

28-31. Zu Helena, 56ff. vgl. o. S. 158f. Seinen bewegendsten Ausdruck findet Kreusas Schmerz in der Monodie 8 5 9 - 9 2 2 , die Mittel- und Höhepunkt des Stückes bildet; vgl. SOLMSEN, Ion, 4 0 2 , LUDWIG, Sapheneia, 1 2 6 ; LEIMBACH, 77, und vor aUem die schöne Interpretation Kreusas durch FRIEDRICH, I7ff.; ausführhch jetzt auch GAUGER, 3 2 - 4 0 . Dazu trägt auch die ,1i-ermung' der Heldin von der tragischen Tat bei; Kreusa handelt nicht wie z. B. Merope im ,Kresphontes' selbst, sondern durch den alten Diener; auch ihre Schuld ist zu einem guten Teil auf diese Nebenfigur übertragen; vgl. dazu BURNETT, Catastrophe 1 1 1 - 1 1 3 , die allerdings ein gutes Stück zu weit geht in der Verteidigung Kreusas; richtiger GAUGER, 4 5 - 5 7 (dort auch weitere Literatur). " ' S o richtig BURNETT, Catastrophe, 1 1 5 f. Das 3. Stasimon überbrückt den langen Zeitraum, der zwischen Planung und Scheitern des Anschlages liegt.

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erscheint und erklärt, daß der Anschlag mißlungen ist (1106ff.)'''. Der außerordentlich umfangreiche Botenbericht bestätigt die Ansicht, daß es Euripides in den Szenen des zweiten Teils nicht darauf angekommen ist, eine intensive tragische Wirkung zu erzielen. Grube hat den Ton des Botenberichts treffend charakterisiert: „It is the description of a feast rather than a narrative of attempted murder, it is delightful rather than tragic." Bereits die Tatsache, daß der Bote nach kurzer Zeit die drohende Gefahr völlig vergessen hat und liebevoll alle Details der Vorbereitungen und des Festes schildert, läßt den Ernst der Situation zurücktreten'^^. Nicht Schrecken oder Erschütterung ist offenbar das Ziel, sondern Unterhaltung: Staunen über die herrhchen gestickten Teppiche, aus denen das Zelt errichtet wird. Schmunzeln über den komischen Alten, der in seinem geschäftigen Eifer an den Hephaistos im ersten Buch der ,nias' erinn e r t ' u n d Überraschung über die wundersame Art, in der der Mordanschlag schheßlich aufgedeckt und zunichte wird. Den Höhepunkt bildet denn auch nicht etwa wie ini tragischen Botenbericht der Tod des Helden oder seine erfolgreiche Rache, ja nicht einmal ein dramatischer AugenbUck höchster B e d r o h u n g s o n d e r n der Tod einer Taube. Es genügt, sich einen Moment an berühmte tragische Botenberichte zu erinnern (z.B. Hipp., Her., Tro., Ba.), um zu verstehen, wie weit wir auch hier von der Tragödie entfernt sind. Ions Reaktion auf den heimtückischen Mordplan führt dann in der dritten und kürzesten Szene des zweiten Teils (1250-1319) wesentlich dichter an die Tragödie heran. Für einen Augenblick sieht es so aus, als könnte der Sohn in blinder Rachsucht die eigene Mutter töten Doch ein Bhck auf parallele Situationen in der ,Taurischen Iphigenie', in ,Kresphontes' oder ,Antiope' zeigt, daß Euripides auch diesen Moment höchster tragischer Bedrohung so gestaltet hat, daß die zuversichtliche Erwar1" Nur zu Beginn ein kurzer Moment der Spannung; nach wenigen Versen ist Ыаг, daß Ion dem Anschlag entgangen ist; dafür ist jetzt Kreusas Leben bedroht ( H i l f . ) , doch diese Gefahr tritt gleich wieder in den Hintergrund, als der Bote zu berichten beginnt. GRUBE, 2 7 2 .

1122-66 (76). Daran ändern auch BURNETTS (Catastrophe, 117; Ion, 96) und MÜLLERS (Ion 39-44) etwas bemühte Versuche nichts, die Bedeutung der Ekphrasis 1132-1165 für Handlung und Thematik des Stücks aufzuzeigen; zur Funktion des 1. Teils des Botenberichts vgl. LUDWIG, Sapheneia, 17 f. Dazu trägt weiter die Tatsache bei, daß der Bote seinen Bericht nicht der primär betroffenen Heldin, sondern dem Chor abstattet. BURNETT, Catastrophe 117; zu der Ilias-Szene vgl. o. S. 55. In den Versen 1188 f. wird dieser gefährliche Moment ohne jede dramatische Emphase - in einem untergeordneten Satzteil - beinahe übergangen; der Tod der Taube ist dagegen breit und mit dramatischer Steigerung geschildert (1196-1205). 1261-68, 1275 f., 1308, 1310.

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tung eines glücklichen Ausgangs nicht verloren gehen kann. Orestes, Kresphontes und Antiope sind hilflose Opfer, die nichts außer der rechtzeitigen Anagnorisis vor dem Tode retten kann. Kreusa dagegen hat sich, als die Verfolger auf die Bühne stürzen, an den Altar des Apollon geflüchtet, und es kann kein emsthafter Zweifel daran bestehen, daß sie an diesem Ort sicher ist Ihr früherer Liebhaber und Herr von Delphi wird seine schützende Hand über sie halten. Hinzu kommt, daß wohl niemand, nach allem, was wir von Ion in den ersten Szenen des Stücks gesehen und gehört haben, emsthaft glaubt, daß er Kreusa tatsächUch vom Altar reißen oder gar am Altar töten könnte. Er hat zwar in dieser Hikesiesituation die Rolle des Bösewichts, ist aber gewiß kein brataler Scherge wie die Herolde in Aischylos' ,Hiketiden' und den euripideischen Hikesie-Dramen (Hik. und Herakl.). Schon bald ist, nach Beschimpfung (1261 ff.) und Streitstichomythie (1282ff.), der tote Punkt erreicht. Kreusa weigert sich natürUch, den Altar freiwillig zu verlassen; Ion bleibt nur die bittere - und ironisch unterhöhlte - Anklage einer Konvention, die auch Verbrecher schützt (1312ff.). Auch an diesem dramatischen Höhepunkt des Stücks, in einer Situation, der Aristoteles die größte tragische Wirkung zugeschrieben hat herrscht also nicht so sehr Furcht und Entsetzen (φόβος) vor der drohenden Katastrophe, sondern eher neugierige Spaimung, wie die verfahrene Angelegenheit sich zum guten Ende lösen wird. Der überraschende Auftritt der Pythia (1320ff.) bringt die Wende. Sie gebietet Ion Einhalt und überreicht ihm nach kurzem Tadel (1322f., 1327) zum Abschied das Weidenkörbchen, in dem er einst ausgesetzt worden ist (1338 f.) und das sie samt Inhalt für diesen Augenblick (1349) aufbewahrt hat. Wie später so oft in der ,neuen Komödie' führen die ,crepundia' nach letzten Zweifeln und Prüfungen zur endgültigen Anagnorisis. Endlich sind Mutter und Sohn glücklich vereint (1437 ff.), und als Ion schließlich an Rreusas Geschichte seiner götthchen Abstammung Bedenken anmeldet schickt Apollon zu seiner Verteidigung Athene, die Der Hikesie-Topos verstärkt das Gefühl, daß Kreusa sicher ist, erheblich. Auf die Ironie der Verse 1312ff. ist oft hingewiesen worden: wäre Ions aufklärerische Haltung wirklich Cnmdlage des Asylrechts, dann würde das den Tod der Mutter bedeuten (vgl. z . B . FRIEDRICH, 23).

Arist. Poet. 1454a 4 ff. Viel zu ernst nimmt LESKY, Trag. Dichtung, 433, die Verse 1380-84. Ions kurze Überlegung, das Weidenkörbchen vmgeöffnet als Weihgeschenk in den Tempel zu stellen, ist ein hübscher Einfall zu einer letzten Steigerung der Spannung. Der Zuschauer nimmt Ions Worte wohl kaum so emst, daß hier „der Weg zur Lösung noch einmal vor einen Abgrund gerät". Ions Verdächtigung der Mutter erinnert an die Scheinanagnorisis (545-54); auch hier wirkt die Art, wie der Junge die Mutter beiseite nimmt und verhört, amüsant.

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nun endlich auch den Hauptakteuren erklärt, was der Zuschauer seit dem Prolog weiß, und das Ganze noch mit einer Prophezeiung der zukünftigen Größe Athens krönt. All's well that ends well. All's well that ends well? In jüngster Zeit ist von verschiedener Seite auf die Verwandtschaft zwischen dem ,Ιοη' und dem ,Oidipus Tyrannos' des Sophokles hingewiesen worden, am ausführUchsten von Conacher und Knox'^'. Die Reihe der thematischen und motivischen Parallelen ist in der Tat groß, und doch könnte der Unterschied zwischen zwei Dramen kaum größer sein. Während der sophokleische ,Oidipus' für Dichter und Kritiker Vorbild und Musterbeispiel der klassischen Tragödie ist, kann der ,Ιοη', wie viele gespürt und Knox schließlich klar ausgesprochen hat, durchaus als Prototyp des europäischen Lustspiels bezeichnet werden Heitere, ja komische Situationen und Szenen, Betonung von realistischen Details des alltäglichen Lebens komische oder doch letztlich ungefährliche Blindheit der Akteure, Wiedererkeimung nicht als Katastrophe, sondern als Happy-end, Wiederherstellung der Normalität und soziale (Re-)Integration des Helden - all dies sind in der Tat die Standardelemente der abendländischen Komödie von Menander bis Oscar Wilde. Vorsicht ist dennoch geboten. Die Anwesenheit typischer Elemente der späteren Komödientradition rechtfertigt noch nicht unbedingt den Schluß, daß es sich beim ,Ιοη' um eine reine Komödie im modernen Sinne des Wortes handelt. Friedrichs Feststellung „keine der erhaltenen attischen Tragödien ist geeigneter als diese, den Übergang zur Komödie, insbesondere zu Menander, zu bilden", wird auch von vielen gebilligt, die den ,Ιοη' dennoch als Tragödie verstanden wissen wollen und die ihrerseits manches für diese Auffassung vorbringen können. Nur geringe Bedeutung scheint mir in diesem Zusammenhang das Argument zu haben, daß der dramatische Höhepunkt des Stücks, die beiden Situationen, in denen zunächst die Mutter den Sohn und dann der Sohn die Mutter zu töten droht, so dicht an die tragische Katastrophe heranführt, daß man schon deswegen den ,Ιοη' nicht als Komödie bezeichnen köime. Denn, einmal abgesehen davon, daß, wie ich zu zeigen versucht habe, diesen beiden drohenden Situationen die tragische Schärfe z. T. da''' D. J. CONACHER, Some Profane Variations on a Tragic Theme, Phoenix 23, 1969, 26-33; KNOX, Euripidean Comedy, 77; zuerst anscheinend ROSENMEYER, 112, 114; vgl. weit e r WOLFF, I o n 1 7 0 u n d WHTTMAN, 7 8 f.

Euripidean Comedy, 77, 8 4 ; Knox verweist auf PARMENTIER, Euripides IV, Paris und FRIEDRICH, 10; von Komödie spricht auch schon SCHMID, 13, 5 5 6 . Erinnert sei nur an Besen und Vögel, Teppiche, Schmuck und Babysachen, an Wasserholen und Saubermachen, an Geburtstagsfest, Essen und Irinken. KNOX,

1925, 186,

FRIEDRICH, 10.

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durch genommen ist, daß die sichere Zuversicht in ein glückliches Ende nie völlig verloren geht (s.o. S. 232ff.), sollte man nicht vergessen, daß auch die Komödie ihre Helden gelegentlich in Lebensgefahr bringt oder vorübergehend in tiefstes Leid stürzt. „Comedy skirts the edge of the tragic frontier, but retreats just in time Wichtiger ist, daß diese Szenen im ,Ιοη' einen relativ großen Raum einnehmen, und vor allem, daß neben und hinter der beruhigenden Erwartung einer glückUchen Zukunft die unglückliche Vergangenheit ständig präsent bleibt. Spätestens in dem Augenblick, in dem Kreusa beim Anblick des ApoUontempels in Tränen ausbricht (241), wird offenbar, in welche seeUschen Qualen das Verhalten Apollons sie gestürzt hat. Der tiefe Schmerz der ,betrogenen' Mutter, der schon in der ersten Begegnung mit Ion immer wieder durchbricht, findet schließhch in dem Moment, in dem sie sich endgültig verraten glauben muß, ergreifenden Ausdruck in der bitteren Anklage des göttlichen Liebhabers Das Leid langer, kinderloser Jahre wird durch das verwirreiide Spiel des Gottes, das Kreusa für einen Augenblick die letzte Hoffnung nimmt, noch weiter gesteigert und führt so zwangsläufig zu der Intrige und damit beinahe zu noch größerem Leid. Auch im Moment höchsten Glücks, im Amoibaion mit dem wiedergefundenen Sohn, ist der alte Schmerz nicht etwa vergessen, sondern bricht erneut frisch und stark aus ihr heraus Wenn sie sich auch am Ende mit Apollon aussöhnt, so bleibt doch ihr früherer Satz unvergessen: Kp. έσται τάδ| έσται. Λοξίας δ' έάν θέλτ) νΟν άλλά τάς πρίν άναλαβείν άμαρτίας, άπας μέν ού γένοιτ' άν είς ήμάς φίλος (425-27). Das Leid der Vergangenheit, aus dem sich im Verlaufe der dramatischen Handlung neues Leid und neue Gefahren entwickeln und das ein glückliches Ende zu verhindern droht, bildet einen kontinuierlichen und intensiven tragischen Kontrapunkt zu der Anagnorisis-Komödie. Hinzu kommt, daß Euripides auch im ,Ιοη' götthche und menschliche Akteure und die von ihnen schließlich erreichte und begrüßte Lösung durch die für ihn so typische kritische Ironie ins Zwielicht rückt. Das Happy-end scheint ungetrübt und vollständig. Es wird weder durch eine sich bereits dunkel am Horizont abzeichnende Katastrophe re-

KNOX, 85 (mit instruktiven Beispielen). 859-922; zur Monodie s.o. S. 232 (und Anm. 115). 1437-1511, vgl. dazu vor allem MATTHIESEN, 134-43.

Eine systematische Untersuchung des ,Ironikers Euripides' steht noch aus.

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lativiert noch durch eine schreckliche, nicht zu heilende tragische Tat (άνηκέστων τι) verdunkelt·'"', und es umfaßt аДе am Spiel Beteiligten: Helden, Chor und Zuschauer. Ions sehnlichste Wünsche erfüllen sich; er findet seine Mutter und erfährt, daß er der Sohn einer Königstochter und des von ihm besonders geliebten und verehrten Gottes von Delphi ist; eine ruhmreiche Zukunft erwartet ihn und sein Geschlecht. Kreusa hält endlich den tot geglaubten Sohn in den Armen, und versöhnt sich mit Apollon; Apollon erreicht sein lange geplantes Ziel; und auch Xuthos kehrt, zwar betrogen, doch glücklich und zufrieden, mit einem Sohn nach Athen z u r ü c k d e r Chor sieht seine Hoffnung auf einen würdigen Erben des Erechthiden-Throns e r f ü l l t u n d der athenische Zuschauer kann sich über all dies und über die Verherrlichung Athens und die göttUche Garantie seiner panhellenischen Ansprüche freuen'"®. So könnten am Schluß alle mehr als zufrieden sein. Doch Euripides wäre nicht Euripides, wenn er nicht auch im ,Ιοη' eine allzu unproblematische Rezeption des mythischen Stoffs zu verhindern gewußt hätte. Wohl niemand dürfte heute noch mit Verrall und Norwood das eigentlich Tragische im ,Ιοη' in der Zerstörung jugendlichen Vertrauens in einen reinen und unfehlbaren Gott sehen Auf der anderen Seite kann wohl kein Zuschauer bzw. Leser sich des Gefühls erwehren, daß der Weg Ions vom einfachen Tempeldiener in Delphi zum Erben des athenischen Königsthrons nicht frei ist von kritischen und negativen Untertönen. Die Anagnorisis schenkt Ion zwar endlich seine Eltern und stellt ihm eine glorreiche pohtische Zukunft in Aussicht, sie bedeutet jedoch zugleich eine ,Vertreibung aus dem Paradies'. Denn die analytische Erhellung der Vergangenheit führt zwar nicht wie im ,Oidipus Tyrannos' zur Katastrophe, wohl aber zu Ernüchterung und zu Zweifeln an dem Gott, den Ion bisher über alles verehrt hat An die Stelle des zu Beginn sorgfältig exponierten heiteren und geschützten Lebens in Delphi tritt die von Ion selbst eindrücklich beschworene kalte und gefährhche Realität in Athen, die ja bereits im Verlaufe des Stücks die friedliche delphische Welt zu zerstören droht. So ist der AugenbUck, in dem Ion und Kreusa, von der Göt-

Das ist z. B. im ,Alexandros' der Fall. So z.B. in Sophokles' und Euripides' ,Elektra'. 1601 f.; damit ist sein alter Wunsch (67, 300-304, 407-409) erfüllt. 1573-75; vgl. 468-71, 566-68, 1058-60. 1571-1594. \%RRALL, Euripides, 163; Ion, Einleitung; NORWOOD, Greek Tragedy, 238-41; Essays, 19f.; Blaiklock, 142; J. O . de G. HANSON, Euripides' Ion, 11-agic Awakening and Disillusionment, Mus. Afr. 4, 1975, 27-42. Vgl. 339, 341, 437 ff., 1523-27, 1537 f., 1546-48.

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tin Athene selbst geleitet, nach Athen zurückkehren, bei aller Freude über den glücklichen Ausgang doch zugleich getrübt durch ein Gefühl des Verlustes. Damit zeigt sich auch, daß die von vielen Interpreten in den Vordergrund gerückte patriotische Tendenz des Stücks nicht ohne ironische Untertöne ist. Gewiß konnte der athenische Zuschauer die Dramatisierung eines Stoffes aus der mythischen Frühgeschichte seiner Vaterstadt mit Interesse und Stolz verfolgen, zumal Euripides nicht nur immer wieder athenische Legenden und Schauplätze h i n e i n v e r w o b s o n d e r n das Stück in einer Epiphanie der Stadtgöttin Athene und einer ausdrückhchen Garantie des athenischen Hegemonieanspruchs gipfeln ließ. Die lange Rede, in der Ion seinen Wunsch, in Delphi zu bleiben, mit einer ausführhchen negativen Darstellung eines zukünftigen Lebens in Athen begründet, läßt jedoch einen leichten Schatten auf den strahlenden Glanz der Exodos fallen. Ganz vergessen ist angesichts des mythischen Schlußtableaus das von Ion entworfene realistische Bild nicht Hintergründiger ist die kritische Ironie, die darin hegt, daß die Athener in dem Spiel (Kreusa, der Chor und der Presbytes) sich gerade durch ihren lokalpatriotischen und familienpolitischen Chauvinismus zu Sakrileg und Mordanschlag treiben lassen Von der Geringschätzung des Nichtatheners Xuthos führt ein allzu kurzer Weg zu Verdächtigungen und Anklagen und schheßlich sogar zu dem bhndwütigen Verlangen nach Rache. Auch wer hierin keine Kritik des Euripides an den verhängnisvollen Folgen patriotischen Hochmuts und chauvinistischen Eifers im Athen des fünften Jahrhunderts sehen will, wird einräumen, daß diese spielimmanente Ironie sich ebenso schlecht wie Ions Rede mit dem Versuch verträgt, den ,Ιοη' als unkritische Verherrlichung Athens aufzufassen. Hinzu kommt weiter, daß, wie Conacher betont hat, auch die ironische Behandlung ApoUons nicht recht zu einer uneingeschränkt positiven patriotischen Tendenz des Stücks passen will'"'. Die scharfen Angriffe, die von der rationalistischen Euripidesinterpretation (Verrall, Nestle, Norwood, Blaiklock u.a.). gegen den Apollon des ,Ιοη' gerichtet worden sind, haben in jüngster Zeit energische Verteidiger des Gottes auf den Plan gerufen, die nun ihrerseits erhebhch zu weit gehen Es ist

Vgl. besonders 260ff., 452ff. (808ff.) 936ff., 985ff., 1417ff., 1463-67. 585-647. Vgl. 468-71, 683-85, 1048 ff. (Chor), 808 ff., 836 ff. (Presbytes), 1036-38, 1291, 1293, 1295, 1297, 1299 (Kreusa). CONACHER, 269, 2 7 7 f . ; id. Paradox. ISO N a c h WASSERMANN, I o n , besonders BURNEÏT, I o n , u n d C a t a s t r o p h e 101-29; SMRA, 3 3 - 8 2 ; STEROLE, 1 1 2 f .

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zwar richtig, daß sich fast alle Vorwürfe, die von den Personen im Stück und von modernen Interpreten erhoben werden, entkräften lassen Denn Apollon greift nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch im Verlaufe des Stücks rettend ein und führt schließhch die verfahrene Angelegenheit zu einem guten Ende Dennoch übersieht eine Interpretation, die Athenes abschließendes Urteil: καλώς δ' 'Απόλλων πάντ έπραξε vorbehaltlos unterschreibt, die tiefe Ironie, mit der Euripides die Rolle des Gottes von Delphi gestaltet hat: Apollon, der strahlende Gott der Wahrheit und des Lichts, der sein eigenes Orakel zu einer Lüge mißbraucht, um einen politischen Plan zu verwirklichen und dabei zugleich eine alte, etwas peinUche Angelegenheit aus der Welt zu schaffen'"; Apollon, der Verkünder der Zukunft, der sich so verkalkuliert, daß ihm der eigene Plan völlig mißhngt und tragisch zu scheitern droht; Apollon, über dessen Tempelfront der Spruch γνώ^ι σαυτόν zur Selbsterkenntnis aufruft und der selber, wie auch seine überzeugtesten Verteidiger einräumen müssen, die menschhche Seele so wenig versteht, daß er offenbar weder begreift, welches Leid er in der Vergangenheit über Kreusa gebracht hat, noch ahnt, was sein kleines Spiel mit Ion und Xuthos für sie bedeuten muß Die tiefste Ironie liegt in der Ambiguität der ,Schuld'. Verwirren und gefährden die Menschen in ihrer konstitutionellen Blindheit und Emotionalität den göttlichen Heilsplan und stürzen sich beinahe ins Verderben, oder geraten sie überhaupt erst durch das nicht über jeden Zweifel erhabene Verhalten des Gottes an den Rand einer Katastrophe? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage ist - wie so oft bei Euripides nicht möghch Apollons Absichten sind gut und werden lange von den Menschen, die davon betroffen sind, mißverstanden; doch daran ist er alles andere als unschuldig. Er handelt spät und in einer Weise, die seinen göttUchen Glanz in Frage stellt. Der ,Ιοη' darf weder

So ERBSE (Ion, 4 2 ) , der gleichwoM die ironisch-kritischen Aspekte der Gestaltung des Gottes klar herausstellt. Gerade das haben seine Verteidiger mit Nachdruck betont, während die Ankläger auf das Leid und die tragische Verwirrung verweisen, in die der Gott die Menschen durch sein Verhalten stürzt. Beides ist richtig. D a z u z u l e t z t g u t ERBSE, I o n , 4 5 f.

Das räumt sogar BURNETT, die glühendste Verteidigerin des Gottes ein (Catastrophe, 128f.); KNOX bezeichnet ihren Versuch, diese Tatsache abzuschwächen, zu recht als „self-defeating" (KNOX, New Perspectives, 276); gut zu diesem Aspekt ERBSE, Ion, 47. Vgl. z.B. die Ambiguität des Alkestis-Schlusses (s.o. S. 149ff.) oder der Entscheidung Iphigenies, sich für diese Griechen und ihren Krieg zu opfern. Die rechtUchen (im übrigen anachronistischen, für die mythische Zeit unzutreffenden) Argumente, die von vielen Interpreten zur Verteidigung des Gottes angeführt werden (dazu zuletzt ausführlich GAUGER, 6 4 - 7 6 ) , können das späte Eingreifen des Gottes nicht e n t s c h u l d i g e n (vgl. ERBSES V e r s u c h , I o n , 4 3 ) .

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als ,providential comedy' noch als ,religiöse Satire mit antidelphischer Tendenz' verstanden werden. Euripides präsentiert einen Apollon, der nichts mehr gemein hat mit dem aischyleischen Gott, den Kassandra in ganz ähnhcher Weise wie Kreusa kritisiert Wie die Helden des Euripides kleiner geworden und dadurch uns näher gerückt sind, so haben auch manche seiner Götter ihre ehrfurchtgebietende Größe und Ferne eingebüßt. Der Apollon des ,Ιοη' erscheint durchaus als ein göttlicher Xuthos'^'. Er läßt sich von ähnhchen Gefühlen und Überlegungen leiten und handelt wie seine menschhchen Mitspieler'®'. Diese Entthronung macht ihn kritisierbar, nimmt der Kritik aber zugleich ihre Schärfe. Denn der menschliche Gott, der es zudem wie alle Personen des Stücks gut meint, verhert nie so völlig unsere Sympathie wie z. B. der Zeus des ,Prometheus' oder die Athene des ,Aias'. Knox hat den Ton der Götterkritik im ,Ιοη' genau getroffen: „Ironie, but also sympathetic his (sc. Euripides') new vision embraces gods as well as men. The acceptance of limitations, weaknesses, passions, and mistakes extends even to Olympus. To err may be human, but in the Ion it is also divine Knox sieht in dieser Beh a n d l u n g A p o l l o n s eine weitere Bestätigung für seine These, daß Euripides im ,Ιοη' eine völlig neue dramatische Form geschaffen habe, die er „tragedy in a comic mode" nennt und als Vorläufer der europäischen Komödie versteht. Das ist im Ansatz richtig. Angesichts des Leides, das dieser menschhche Gott über Kreusa bringt, und der Gefahr, die seine Intrige heraufbeschwört, erhält jedoch die Erkenntiüs, daß die Götter wohl mächtiger, aber nicht besser imd klüger sind - eine Erkenntnis, die uns in der Komödie amüsiert - im ,Ιοη' einen bitteren Beigeschmack, der auch im Augenblick des Happy-ends nicht ganz verloren geht. Der Apollon des ,Ιοη' hat nicht die Statur der tragischen Götter; er ist aber auch kein komischer Gott. Er ist der passende Gott für ein Spiel, das zwischen Tragödie und Komödie steht und an beiden teilhat: für die Tragikomödie. Im Anschluß an Solmsen sehen viele Kritiker das Tragische im ,Ιοη' darin, daß Euripides hier „die rettungslose Verstricktheit der Menschen in ihre άγνοια und δόξα" zeige, „ihr Ausgeliefertsein an die kleinsten Nuancen des Zufalls, ihre Verblendung, die sie ihren eigenen Zwecken stracks zuwiderhandeln läßt, kurz, die ganze sozusagen metaphysische

Dieser Vergleich schon bei FRIEDRICH, 2 4 . S.o. S. 2 2 9 . BowRAS Aperçu: „People get the gods they deserve" |zitiert nach WHITMAN, 8 1 ) bietet einen fruchtbaren Ansatz zum Verständnis der euripideischen Götter, der es verdiente, einmal konsequent verfolgt zu werden. KNOX, Euripidean Comedy, 91. Zur Humanisierung des Apollon vgl. die schönen Bemerkungen von FRIEDRICH, 24f.

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Schwäche und Elendigkeit des menschlichen Geschlechts'®^." Die Darstellung der menschlichen άγνοια und ihrer Folgen gilt der modernen Euripidesforschung zurecht als Hauptanliegen gerade des späten Euripides. Vergessen wird dabei allerdings allzu leicht, daß die Blindheit des Menschen durchaus auch ihre komischen Seiten haben kann, und spätestens seit Menander auch die Basis der Komödie bildet. Es genügt hier, auf die Diskussion dieses Problems in der Einleitung zu verweisen Die tragikomische Quahtät des ,Ιοη' beruht wesentlich darauf, daß Euripides beide Aspekte menschhcher άγνοια vorführt und ihre Gleichgewichtigkeit und unauflösliche Verflechtung miteinander zeigt. Er präsentiert eine Komödie, die fast zur Tragödie wird, und eine Tragödie, die sich gerade noch rechtzeitig in eine Komödie zurückverwandelt. Dabei entwikkelt sich die Tragödie direkt und zwangsläufig aus der komischen Pseudo-Anagnorisis, öffnet erst die tragische Konfrontation von Mutter und Sohn den Weg für die zu Beginn des Stücks verfehlte glückliche Lösung. Ein Komödiengott, der fast eine Tragödie heraufbeschwört; eine tragische Heldin, die plötzlich als Komödienmutter mit ihrem ausgesetzten und wiedergefundenen Kind dasteht; ein junger Held, der sein Glück macht, zugleich aber aus dem heiteren Paradies seiner Jugend in die tragischen Wirren der Welt hinausgestoßen wird; ein lächerhcher alter Mann, der in guter Absicht beinahe alles ruiniert; höchster Jubel und tiefstes Leid, tragische Gefährdung und wunderbare Rettung, schwebende Ironie und die komischen und tragischen Aspekte menschlicher Blindheit: Der ,Ιοη' zeigt eine Welt, zu der Komödie und Tragödie gehören. Heitere und komische, ernste, bittere und tragische Szenen und Situationen, Töne und Probleme verbinden sich in einer Weise, die es gerechtfertigt erscheinen läßt, das Stück als Tragikomödie zu bezeichnen.

SOLMSEN, Ion, 4 0 5 .

s.o. S. 42f. und S. 196f. (zur Helena); vgl. vor allem H. J. METTE, Gefährdung durch Nichtwissen in Tragödie und Komödie, in: Musa iocosa, Arbeiten über Humor und Witz, Komik und Komödie der Antike, A. Thierfelder zum 70. Geburtstag, Hildesheim/New York 1974, 42-61; und E. LEFEVRE, Menander, in: Das Griechische Drama, hrsg. von G. A. SEECK, Darmstadt 1979, 314ff.

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ó. Schluß überblickt man abscMießend die vorangegangenen Euripides-Interpretationen noch einmal im Zusammenhang, so mag man sich fragen, ob der platonische Sokrates in jener denkwürdigen Diskussion am Ende des ,Symposion' nicht vielleicht an Euripides gedacht haben könnte, dessen Werk er mit so großer Aufmerksamkeit verfolgt hat. Wahrscheinhch hätte er den Schöpfer der ,Alkestis', der ,Helena' und des ,Ιοη' wesenthch leichter dazu bewegen können, seiner These zuzustimmen, daß ein- und derselbe Dichter imstande sein müsse, sowohl Tragödien als auch Komödien zu schreiben. Doch das sind natürlich nur spielerische Hypothesen; sicher ist, daß der moderne Leser des ,Symposion' bei Sokrates' These nicht nur an Lessing, Kleist und Büchner oder an den größten unter den Großen, an Shakespeare, denkt, sondern sich durchaus auch an Euripides erinnern mag. Euripides hat Jahrzehnte hindurch mit den verschiedensten Formen additiver und synthetischer Verbindung von Komik und Tragik experimentiert. Er hat immer wieder durch die überraschende Integration komischer Elemente in einen tragischen Kontext starke Wirkungen erzielt, und er ist - jedenfalls mit modernen Maßstäben gemessen - der erste Dramatiker der Welthteratur, der Tragödien und Komödien auf die Bühne gebracht hat. Die erhaltenen Tragödien des Aischylos und Sophokles bieten dagegen nur Ansätze zu einer komischen Färbung von Personen und Szenen. Komische Elemente finden sich ledigUch in der reaUstischen Gestaltung von Nebenfiguren, in den lebendigen Porträts von Ammen, Dienern und Boten. Auch wenn aischyleische Inhaltstrilogien in einer späten Überwindung der tragischen Gegensätze enden und auch wenn im sophokleischen Spätwerk eine Art Happy-end erreicht wird, so kann doch kein Zweifel aufkommen, daß die ,Orestie' des Aischylos oder ,Elektra' und ,Philoktet' des Sophokles zur Gattung der Tragödie gehören. Eine gewisse Zurückhaltung ist jedoch angebracht. Der Vergleich der drei Tragiker könnte trügen. Von Euripides besitzen wir nicht sieben Stücke wie von Aischylos und Sophokles, sondern siebzehn; und was wichtiger ist, von Euripides besitzen wir auch Stücke, deren Überlieferung wir nicht der bewußten Auswahl antiker Philologen und Schulmeister verdanken, sondern dem Zufall, durch den ein Teil einer alphabetisch geordneten Gesamtausgabe des Euripides erhalten ist. Es stimmt nachdenklich, daß drei der vier ausführlich diskutierten tragi-komischen 242

Mischformen - nämlich ,Helena', ^Iphigenie in Tauros' und ,Ιοη' - ohne diesen Zufall unbekannt geblieben wären. Bedenkt man ferner, daß neben dem ,Kyklops', dem einzigen erhaltenen Satyrspiel, und den beiden patriotisch-historischen Schauspielen ,Herakliden' und ,Hiketiden' auch die ,Elektra' (mit dem für die ,neue Tragödie' und ihren Ton so instruktiven Anagnorisis-Teil) und die schillernde ,Iphigenie in AuUs' (das eindrucksvollste Beispiel für die ironisch-satirische Destruktion des tragischen Helden) nicht zu der kommentierten ,Schulauswahl' gehören, so stellt sich die Frage, ob nicht auch unter den vielen verlorengegangenen Stücken des Aischylos und Sophokles manches gewesen ist, das für unsere Überlegungen in Betracht gekommen wäre. Die Situation der Euripides-Überlieferung legt jedenfalls die Vermutung nahe, daß orthodox klassizistische Maßstäbe die Auswahl des Erhaltenen nicht unerhebhch beeinflußt haben, daß Ungewöhnliches also geringere Überlebenschancen hatte. Daß sich unter den verlorenen aischyleischen und sophokleischen Tragödien allerdings Stücke wie ,Helena', ,Ιοη' oder auch ,Iphigenie in Aulis' befunden haben, wird man wohl zurecht bezweifeln dürfen; und weder die erhaltenen Dramen noch die Fragmente oder die antiken Urteile über Aischylos und Sophokles sprechen dafür, daß auch die beiden anderen großen Tragiker so ausgiebigen und vielfältigen Gebrauch gemacht haben von komischen Elementen wie Euripides. Das Bild, das im Verlaufe der Euripides-Interpretationen entstanden ist, ist bunt'. Umfang, Intensität und modale Qualität sowie die Funktion komischer Elemente differieren stark. Die Skala reicht von einzelnen Versen über Szenen zu mehreren Szenen oder Szenenfolgen, von hintergründiger komischer Ironie über deuthche Komik bis zu derb Burleskem und schriller Groteske, von amüsierter Heiterkeit über spöttische Ironisierung bis zu bitterer Satire. Die Funktion der ganz verschiedenartigen komischen Elemente im Rahmen eines kleineren oder größeren Zusammenhangs kann nur durch sorgfältige Analyse der betreffenden Stelle in ihrem näheren und weiteren Kontext bestimmt werden. Die Ergebnisse der Interpretationen können und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Zweierlei sei als abschließende Antwort auf die in der Einleitung zitierten Thesen Ciceros und Guthkes festgestellt: Ciceros Urteil, daß in der Tragödie das Komische ebenso fehlerhaft sei wie das Tragische in der Komödie, ist nicht erst

' Mancherlei ließe sich hinzufügen, ohne daß der Gesamteindruck verändert würde; so gibt es, wie bei den beiden anderen Tragikern, auch bei Euripides in den realistischen Porträts von Ammen, Dienern und Boten vereinzelte komische Töne; vor allem aber Ueße sich die immer wieder sichtbar gewordene satirische Ironisierung des tragischen Helden auch in weiteren Stücken nachweisen |s.u. S. 244f.).

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durch Shakespeare, sondern bereits durch Euripides eindrucksvoll widerlegt; und auch Guthkes Ansicht, daß das Tragikomische in dem von ihm definierten Sirme ein eindeutig modernes Phänomen sei, muß korrigiert werden. Immer wieder verbinden sich in der euripideischen Tragödie Komik und Tragik zu einer spannungsreichen „gegenstrebigen Harmonie", in der die ästhetischen Kontraste sich gegenseitig steigern. Das gilt in gewisser Weise für den alten lolaos in den ,Herakliden' (5.2), in dessen Lächerlichkeit zugleich auch seine heroische Größe liegt. Das, was ihn zur komischen Figur werden läßt - die Entscheidung, trotz seiner Gebrechlichkeit sein Leben für die Rettung der Famihe zu wagen - verleiht ihm zugleich Statur und Rang tragischer Größe. Klarer und wirkungsvoller ist die synthetische Verbindung von Komik und Tragik in den ,Bakchen' (5.4), und hier vor allem in der sogenannten Verkleidungsszene. Das grotesk-lächerliche Bild des Königs in Frauenkleidern ist zugleich visuelles Symbol seiner tragischen Vernichtung. Dabei vertieft die vordergründige Komik die im Hintergrund lauernde Tragik und gewinnt zugleich vor dem dunklen Hintergrund schärfere Kontur. Ähnliches gilt - bei aller Verschiedenheit des Tons und der Bedeutung im Rahmen des Stücks - für die kleine Szene zwischen Orestes und dem Phryger im ,Orestes' (5.3). Der Verlust tragischer Größe und Haltung, der auf dem evozierten Hintergrund des tragischen Höhepunkts der ,Orestie' im grotesken Zerrspiegel des Phrygers deuthch wird, wirkt lächerlich und erschreckend zugleich. Diese Beobachtung hat über den ,Orestes' hinaus weitreichende Bedeutung. Die Reduzierung des tragischen Helden auf Normalmaß - von Admet und Jason bis zu Agamemnon und Menelaos - ist einer der Gründe dafür, daß bei Euripides komische Elemente nicht nur wie bei Aischylos und Sophokles in den realistischen Porträts kleiner Nebenrollen erscheinen, sondern im Zentrum der Tragödie in der Gestaltung des tragischen Helden. Die Basis für die komische Wirkung liegt vor allem in der Diskrepanz zwischen Mythos und Realität, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen dem hehren mythisch-Uterarischen Bild der Helden und dem Eindruck tatsächlicher Schwäche und Erbärmlichkeit. Dabei tritt das Lächerliche im Kontext der ,alten' tragischen Situationen und Probleme, mit denen auch die ,neuen' Helden des Euripides konfrontiert sind, und vor dem Hintergrund des traditionellen Heldenbildes von Homer bis Sophokles deuthch hervor. Die euripideischen Helden sind oft zu klein für die großen tragischen Rollen, die sie zu spielen haben. Die ihnen nur noch lose und traurig um die allzu kleine Gestalt hängenden Heldenkostüme lassen sie lächerlich erscheinen^. Zugleich jedoch ist ^ Dabei macht Euripides vor niemandem halt. In der ,Iphigenie in AuUs' verschont seine

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diese ihre Schwäche auch ernüchternd und zutiefst schmerzUch. Der Zuschauer, gewöhnt, die tragischen Helden als poetische Bilder seiner selbst zu verstehen, als Repräsentanten seiner Ideale und Hoffnungen, seiner Gefährdung und seiner sich im Zusammenbruch beweisenden Größe, fühlt sich ständig aufgefordert, über diese Helden zu lachen, erschrickt jedoch zugleich über das, was Euripides ihm mit diesen Figuren über den Menschen sagt und zeigt. Der Verlust intellektueller und morahscher Substanz wird zur zentralen Aussage. Gerade das, was lächerUch wirkt, ist in einem tieferen Sinn das eigentUch Tragische®. Palintonos Harmonie: die spannungsreiche Identität und wechselseitige Steigerung von Komik und Tragik ist nicht beschränkt auf kurze Momente einzelner Szenen, sondern kann, wie die Interpretationen von ,A1kestis' und ,Helena', ,taurischer Iphigenie' und ,Ιοη' zu zeigen versuchten, auch für ganze Stücke bestimmend sein. Daß Euripides sich in vielen seiner Dramen von der ,alten' Tragödie des Aischylos und Sophokles entfernt hat, ist seit Aristophanes immer wieder betont worden. Die Veränderung ist weitreichend und keineswegs auf die im Rahmen meiner Überlegungen besonders wichtigen Stücke beschränkt". Alle Bereiche des dramatischen Spiels sind von dem Wandel erfaßt. Der Reduzierung der aischyleischen und sophokleischen ,Halbgötter' (Aristoph. Ran. 1060) auf gewöhnliche Menschen, die sich vom Zuschauer nur dadurch unterscheiden, daß sie nicht Rallias oder Myrrhine heißen, sondern Orestes und Elektra, entsprechen die Vereinfachung der Sprache, die sich häufig der Umgangssprache nähert® und die Bedeutung der οίκεΐα πράγματα οίς χρώμεΟ; οΪς ξύνεσμεν (Aristoph. Ran. 959), d. h. der alltäghchen Gegenstände, Situationen und Probleme. Kommt dazu dann noch untragische Atmosphäre und unbeschwerter oder gar komischer Ton, folgt auf die Wiedererkennung nicht mehr der Mord, sondern die glückliche Rettung aus Not und Gefahr (Hei., ГГ), wartet hinter der Scheinbefangenheit nicht mehr die tragische Zerstörung, sondern das Happy-end (Ion), endet das Stück nicht mehr mit dem Tod des Helden, sondern mit wunderbarer satirische Ironie nicht einmal den größten der griechischen Heroen, Achilleus (lA 801 ff., 1345ff.|. ' Euripides zeigt die tragisch-dialektische Kehrseite der Sophistik. Der Mensch: das Maß aller Dinge - aber was für ein Mensch ist das! Vgl. dazu METTE, 57-68. * Vgl. KNOX' instruktive Analyse der ersten Hälfte der ,Elektra', weitere interessante Objekte wären ,Andromache' und lA (dazu SNELL, Aischylos und das Handeb im Drama, Philologue Supplement 20, 1928, 148-60; jetzt auch in: Euripides, WdF 89, ed. E. R. SCHWINGE, Darmstadt 1968, 493-506). ® Vgl. P. T . STEVENS, Colloquial Expressions in Euripides, Hermes Einzelschriften 3 8 , Wiesbaden 1976.

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Rettung und Erneuerung der Ehe (Alk., Hei.), dann ist der Schritt zur Komödie nicht mehr groß. Für den modernen Kritiker ist Euripides' zweifacher Beitrag zur Geschichte der Komödie evident. Von seiner ,neuen' Tragödie führt ein direkter Weg zur neuen Komödie Menanders und von dort über Plautus und Terenz und die Commedia dell'arte bis zur modernen Gesellschaftskomödie von Congreve und Sheridan bis zu Wilde und Shaw. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung kann vor allem der Доп' gelten. Das ist allgemein akzeptiert und nach W. H. Friedrich' in jüngster Zeit von Knox' eindrucksvoll aufgewiesen worden. Ein zweiter kaum weniger bedeutungsvoller Ansatz ist dagegen noch nicht selbstverständlicher Bestandteil unseres Euripidesbildes. Er bleibt lange Zeit unfruchtbar, bis er in der Pastoralen Tragikomödie des 16. und 17. Jahrhunderts - bei Guarini, Hardy und Beaumont-Fletcher - weiterentwickelt wird und in Shakespeare sowie bei Mozart und Hofmannsthal seine vollendete Form erreicht: ,Alkestis', ,Helena' und auch die ,Taurische Iphigenie' sind zweifellos die ersten dramatischen Modelle der romantischen Komödie. Die große Bedeutung der genannten Stücke des Euripides für die spätere Entwicklung und Geschichte der Komödie bedeutet jedoch nicht, daß man sie als reine Komödien auffassen darf. Es ist m. E. weder zutreffend, mit Blick auf ,Ιοη', ΓΓ und ,Helena' von einer untragischen Schaffensperiode des Dichters zu sprechen, wie Rivier es tut', noch die Quintessenz der ,tragicomedies' mit Kitto ' darin zu sehen, daß Euripides in diesen Dramen keine tragischen Ideen mehr gestalten, sondern nur noch wirkungsvolles Theater machen wollte. Die thematische Komplexität dieser Stücke und ihr besonderer ästhetischer Reiz liegen vielmehr gerade darin, daß sie Komödie und Tragödie zugleich sind. In ganz verschiedener Weise verbinden sich nicht nur tragische und komische Situationen und Motive, Atmosphäre und Ton, sondern Komödienstruktur und tragische Thematik zu einer tragi-komischen Einheit der Gegensätze: παλίντονος άρμονίη. In der ,Alkestis' (5.5) entsteht diese ,palintonos Harmonia' aus der Synthese von romantischer Märchenkomödie und gleichzeitiger ironisch-kritischer Analyse der schönen Geschichte vom Liebesopfer; in der ,Helena' (5.6) lauert hinter der rührenden und spannenden Komödie von der Rettung der schönen Helena aus Ägypten die bittere Realität der trojanischen Tragödie; die Komödie ist zugleich eine tragische Parabel über die '

FRIEDRICH,

10-29.

' KNOX, Euripidean Comedy, 77, 84 ff. « RIVIER, 1 2 9 - 4 8 .

' Κπτο, Greek Tragedy, 311-29.

246

Sinnlosigkeit auch des peloponnesischen Krieges; in der ,Taurischen Iphigenie' (5.7) spielt die romantische Geschichte von Bruder und Schwester, die sich nach langen Jahren des Leidens in einem fernen Land wiederfinden und nach Überwindung großer Gefahren gemeinsam in die Heimat zurückkehren, vor dem ständig evozierten Hintergrund des tragischen Schicksals der Atriden. Die grausige Vergangenheit reißt, bevor sie endgültig überwunden wird, fast auch noch die letzte Generation ins Verderb e n A u c h im ,Ιοη' schheßUch (5.8) steht hinter der menandreischen Komödie von der Mutter, die nach einiger Verwirrung ihr vor langen Jahren ausgesetztes Kind wiederfindet, als dunkler Hintergrund das tragische Leid der Vergangenheit; auch im ,Ιοη' treibt die Vergangenheit vor dem Happy-end die Helden an den Rand des Abgrunds; auch im ,Ιοη' wird das άνήκεστον, die unheilbare tragische Katastrophe, erst im letzten Moment vermieden. Euripides zeigt eine Komödie, die sich zur Tragödie entwickelt, und eine Tragödie, die sich gerade noch rechtzeitig in eine Komödie zurückverwandelt. Vier schillernde und aufregende Stücke, durchaus verschieden und doch eng miteinander verwandt in der synthetischen Verbindung von Komödie und Tragödie; vier Stücke, die vorausweisen auf die spätere Entwicklung der abendländischen Komödie und zugleich tief verwurzelt sind in der Tragödie des 5. Jahrhunderts; vier Stücke, die die eingangs aufgestellte Behauptung rechtfertigen, daß Euripides der Schöpfer und erste Meister der dramatischen Tragikomödie ist, wie wir sie in ihren vielfältigen Formen vor allem aus dem 19. und 20. Jahrhundert kennen - von Ibsen und Tschechow bis zu Dürrenmatt und den großen Meistern der absurden Tragikomödie. Guthkes These von der Modernität der Tragikomödie ist also in dem von ihm gemeinten Sinn unrichtig. Die Geschichte der ,synthetischen Tragikomödie' beginnt nicht erst in der Romantik oder bei Shakespeare und Molière, sondern mit Euripides. In einem anderen Sinn ist die These jedoch durchaus richtig. Die Tragikomödie ist in der Tat ein modernes Phänomen - auch die euripideische. Auch die Tragikomödie des Euripides ist wie die moderne Tragikomödie eine Spätform, das Ergebnis rastloser Experimentierfreude des poeta doctus, der, am Ende einer langen Tradition stehend, aus der souveränen Beherrschung der formalen und thematischen Topoi der Gattung heraus, immer wieder Neues probiert (und auch einmal Altes parodiert)''; auch die Tragikomödie des Euripides ist Zugleich gewinnt das glücklich endende Spiel - wenn auch weit weniger deutlich als in der ,Helena' - einen dunklen Unterton durch die Anspielung auf den noch nicht überwundenen Brudermord-Fluch Griechenlands. " Vgl. dazu neben der bereits genannten Lit. (о. S. 91 Anm. 7 und S. 200 Ашп. 3) jetzt auch ZsrmN, o. S. III Anm. 50.

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das Resultat einer historisch-politischen und geistig-kulturellen Krisensituation und nur zu begreifen auf dem Hintergrund der „Sinneskrise" des ausgehenden 5. Jahrhunderts, die Thukydides in seiner berühmten Analyse über die Umwertung aller Werte und Begriffe so scharf diagnostiziert hat, nur verständlich als Folge und Spiegel des unter dem vereinten Druck von radikaler Aufklärung, fortschreitender Demokratisierung und jahrzehntelangem Krieg zusammenbrechenden Ordnungs- und Wertgefüges. Die ,neue Tragödie' des Euripides ist damit ein eindrucksvolles Beispiel für den tiefen Zusammenhang zwischen Gattungsform und gesamtgesellschaftlicher Entwicklung. Neben dem gewaltigen Altmeister Aischylos und dem bewahrenden Klassiker Sophokles erscheint Euripides als der radikale Neuerer, ein formaler und geistiger Revolutionär, und gewiß nicht weniger ,modern' als die großen Tragikomiker des 19. und 20. Jahrhunderts.

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APPENDIX A

Zur Trennung von Tragödie und Komödie in der antiken Dramentheorie Tragödie und Komödie unterscheiden sich nach Auffassung der antiken Dramentheorie hinsichtlich 1. der Personen, die in ihnen agieren, 2. der Handlungen, die sie dramatisieren, 3. des Stils, den sie verwenden, 4. der Wirkung, die sie auf den Zuschauer ausüben. 1. Personen

Zwei Aspekte lassen sich unterscheiden: a) moralische Qualität, b) soziale Position'. a) Im 2. Kapitel der Poetik konstatiert Aristoteles^ im Rahmen seiner Überlegungen zu den Objekten künstlerischer Mimesis, daß - gemessen am Durchschnitt der Zeitgenossen - die Komödie schlechtere, die Tragödie dagegen bessere Menschen darstelle: έν αύτί| δέ -rf| διαφορά καί ή τραγφδία πρός τήν κωμφδίαν διέστηκεν ή μέν γαρ χείρους ή δέ βελτίους μιμεΐσθαι βούλεται τώννύν (1448a 16-18). Kurz darauf wiederholt er diese Differenzierung im Zusammenhang mit Überlegungen zur Genesis der Kunst und ihrer verschiedenen Gattungen: διεσπάσθη δέ κατά τά οίκεΐα ήθη ή ποίησις· οί μέν γάρ σεμνότεροι τάς καλάς έμιμοΟντο πράξεις καΐ τάς τών τοιούτων, οΐ δέ εύτελέστεροι τάς τών φαύλων (1448b 24^27). Nimmt man zu diesen beiden komplementären Feststellungen die Bestimmung des tragischen Helden in den Kapiteln 13 und 15^ und einige ' In den Quellen wird nicht immer sauber getrennt zwischen diesen beiden Aspekten. Gelegentlich scheinen sie als zwei Seiten derselben Sache aufgefaßt zu werden; oft ist nur a) oder nur b| vorhanden. ^ Die AristoteUsche Poetik, als der wchtigste antike Text zur Tragödientheorie, w d im folgenden jeweils den Ausgangspunkt darstellen; (Vorgeschichte' und nacharistotelische Entwicklung werden angeschlossen. 3 1452b 28ff., vor allem 52b 34-53a 7, 1454a 16ff. vor allem 54a 17-32, 54b 8-15.

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in anderen Zusammenhängen auftauchende Bemerkungen hinzu, so erweitert sich die Reihe antithetischer Begriffspaare noch etwas, doch ohne daß der zentrale Gegensatz vom Anfang des 2. Kapitels grundsätzlich verändert würde Die Differenzierung von Kunstgattungen mit Hilfe der unterschiedlichen moralischen Quahtät der in ihnen nachgeahmten Personen (und Handlungen) ist nicht etwa Aristoteles' ,Erfindung'. Sie ist bei Piaton an verschiedenen Stellen greifbar - z.B. Nom. 798d^ für den Bereich der μουσική τέχνη und Nom. 814e, speziell für den Tanz - und liegt zweifellos auch den Erörterungen über die Aufnahme der Tragödie und Komödie in den Staat der Gesetze (Nom. 816dff.) zugrunde. Ja, bereits der aristophaneische Aischylos geht in seinen Angriffen auf Euripides' unmoralische Frauengestalten davon aus, daß die Tragödie, um die Bürger moralisch erziehen zu können, Vorbilder darzustellen habe^ so daß wir, wenn Pohlenz ' recht hat, diese Ansicht bis zu Gorgias und den poetologischen Diskussionen der Sophisten, d. h. bis in die Blütezeit der beiden Gattun gen, zurückverfolgen können. b) In den erhaltenen nacharistotelischen Quellen spielt dieses Krite rium zur Unterscheidung von Tragödie und Komödie keine Rolle mehr Wesentlich ist jetzt vor allem die soziale Position der agierenden Perso nen. Wilamowitz' hat an der Tragödiendefinition des Aristoteles u.a. be sonders bemängelt, daß sie die zentrale Bedeutung der Heldensage igno riere. In der Tat finden wir erst bei Theophrast explizit die Bestimmung des tragischen Helden als ήρως'", der die Charakterisierung des komi sehen Helden als ιδιώτης entsprichtDiese Antithese des Großen, Be "

z.B. 1461b 21.

5 Z u σ π ο υ δ α ί ο ς kommen: σ ε μ ν ό ς , κ α λ ό ς , έπιειιοής, χ ρ η σ τ ό ς , zu φαΟλος gehören: εύτ ε λ ή ς , μ ο χ θ η ρ ό ς , πονηρός. Für die zahlreichen sich im Zusammenhang mit diesen Begriff e n e r g e b e n d e n E i n z e l p r o b l e m e sei a u f d i e K o m m e n t a r e v o n BYWATER, GUDEMAN, ELSE u n d

LUCAS verwiesen; wichtig immer noch J. VAHLEN, Beiträge zu Aristoteles' Poetik, Repr. des Neudrucks von 1914, HUdesheim 1965, 2 6 6 - 6 8 . ' Vgl. Nom. 6 5 4 e ff. ' Vgl. vor allem 1008 ff. ¡ Im Gegensatz zu Aristoteles ist die moralische Qualität der Personen bei Aristophanes als Voraussetzung für ihren erzieherischen Wert betont; dazu B. SNEIX A r i s t o p h a n e s u n d d i e Ä s t h e t i k , i n : E n t d e c k u n g , 1 1 1 - 2 6 • POHLENZ, A n f ä n g e , 4 3 6 - 7 2

(112-14).

(447).

' WiLAMOwrK, Herakles I, 108 ff. τ ρ α γ φ δ ί α έ σ τ ί ν ήρωικής τύχης π ε ρ ί σ τ α σ ι ς (s. Diomedes 487Κ, bei KAIBEL, GGF S. 5 7 Z .

"

126).

κωμωδία έ σ τ ί ν Ιδιωτικών π ρ α γ μ ά τ ω ν άκίνδυνος περιοχή. Diese bei Diomedes we-

nige Zeilen nach der ausdrücklich Theophrast zugeschriebenen Tragödiendefinition (s. Anm. 10) angefühlte griech. Komödiendefinition unbestimmter Herkunft, dürfte ebenfalls

250

deutenden, im Lichte der Öffentlichkeit Stehenden und des Kleinen, dessen Rolle und Bedeutung auf den privaten Bereich beschränkt ist, exphziert Diomedes, der die Theophrast-Definitionen überhefert, im selben Zusammenhang: comoedia a tragoedia differt, quod in tragoedia introducuntur heroes, duces, reges in comoedia humiles atque privatae personae'^. Als sogenannte Ständeregel hat diese ursprünghch wohl nur deskriptive Differenzierung von Tragödie imd Komödie nach dem sozialen Status ihrer Helden bis zu Lessing normative Gültigkeit behalten Ziegler hat - gegen Wilamowitz - zu Recht darauf hingewiesen, daß Aristoteles dieses Kriterium wohl nur deshalb nicht in seine Definition aufgenommen habe, weil eine πράξις σπουδαία „für einen Griechen kaum anders als im heroischen Gewände denkbar gewesen sei", und Else'® und Lucas'' haben im Anschluß an Vahlens" gründliche Analyse betont, daß σπουδαίος und φαΟλος durchaus auch einen Hinweis auf die bedeutende bzw. unbedeutende Position, d. h. auf den sozialen Status der Personen enthalte. Im übrigen wird im 13. Kapitel der Poetik ganz deutlich, daß Aristoteles an die Heroen des Mythos als die tragischen Helden denkt. Er fügt der Bestimmung des für die Erregung von Jammer und Schrecken idealen Charakters am Ende eine Spezifikation hinzu, die offensichtlich eben dieses zum Ausdruck bringen soll: ó μεταξύ άρα τούτων λοιπός, έστι δέ τοιούτος ó μήτε άρετί) διαφέρων καΐ δικαιοσύνη μήτε δια κακίαν και μοχθηρίαν μεταβάλλων είς τήν δυστυχίαν άλλά δι' άμαρτίαν τινά, τών έν μεγάλη δόξη όντων και εύτυχίςι, οίον Οιδίπους και Θυέστης καΐ οΐ έκ τών τοιούτων γενών έπιφανείς άνδρες (1453a 7 ff.) Ebenso geht bereits Platon in der Dichterkritik im ,Staat' und in den ,Gesetzen' wie selbstverständlich davon aus, daß die Tragödie - wie das hovon Theophrast stammen; s. H. REICH, der Mimus, Berlin 1903, 263-265; KÖRTE R E XI 1 (19211 1208 s. v. Komödie. " Es £еЫеп hier eigentlich nur die natürhch ebenfalls ,zugelassenen' Götter; vgl. z.B. Plaut. Amph. 50 ff. LÄ Weitere SteUen KAIBEL, GGF: S. H Z . 32 (Schol. in Dion. Thrac.|; S. 16 Z. 1 (Et. Magn.); S. 49 V. 186 (Tzetzes); S. 66 Z. 126-129 (Euanthius), S. 67 Z. 145 f., 154 (Donatus]; S. 72 Z. 3, 24 (Lib. Gloss.); vgl. weiter Aischines 3, 153; Epiktet, 1, 24, 157. " Z.B. J. C. ScAUGER, Poetices Libri ΥΠ, 1561, I 6; M. Ο Ρ Π Ζ , Buch von der deutschen Poeterey, 1624, Kap. 5; vgl. M . FUHRMANN, 192ff., 209ff., 235, 239, 256. K. ZIEGLER, R E 6A 2049 f. (s. v. Tragoedia) "

ELSE, 6 8 f f .

"

LUCAS, 6 3 f.

" s.o. Anm. 5. " Vgl. dazu ELSE, 385 ff.

251

merische Epos - Götter und Heroen zum Gegenstand habe^"; und auch in diesem Fall zeigt ein Blick auf die Kontroverse zwischen Aischylos und Euripides in den Fröschen, daß bereits im 5. Jahrhundert die Bedeutung des Helden, d.h. aber auch seine herausgehobene soziale Position, als Gattungsspezifikum galt^'. 2. Handlung a) Stoff HinsichtUch des Stoffes unterscheiden sich Tragödie und Komödie hierin stimmen die Quellen grundsätzlich überein - dadurch, daß die Tragödie mythologische und historische Stoffe die Komödie dagegen fiktive Ereignisse des privaten Alltags darstellt. Ausgangspunkt für die groben Antithesen der greifbaren nacharistotehschen Zeugnisse sind zweifellos Aristoteles' Überlegungen im wichtigen 9. Kapitel der Poetik (und ähnliche Gedanken in der verlorenen Schrift περί ποιητών und im 2. Buch der Poetik) gewesen Aristoteles konstatiert, daß die Komödienschreiber ihre Fabeln (und die Namen der in ihnen agierenden Personen erfinden während die Tragiker im großen und ganzen an den überlieferten Mythen (und Namen) festhalten^'. Dieser Gegensatz bestimmt auch die in den Anm. 10 und 11 zitierten Definitionen Theophrasts ήρωική τύχη (Tragödie) - Ιδιωτικά πράγματα (Komödie) - und ist am klarsten in den Scholia zu Dionysius Thrax formuliert^®: διαφέρει δέ κωμφδία τραγφδίας ότι ή τραγωδία Ιστορίαν δχει και άπαγγελίαν πράξεων γενομένων, ή δέ κωμφδία πλάσματα περιέχει βιωτικΟδν πραγμάτων. z.B. Rep. 605c; vgl. G. FmsLER, Platon und die aristotelische Poetik, Leipzig 1900, 135 ff. " Aristophanes läßt seinen Aischylos zur Verteidigung seines von Euripides als bombastisch kritisierten Stils erwidern, daß die Größe seiner Helden, die er 1060 als ήμίθεοι bezeichnet (vgl. 1063 βασιλεύοντος] diese hohe Sprache verlange (1058ff.) " Für die Griechen bestand kein grundsätzUcher Unterschied zwischen mythologischen und historischen Stoffen. „Aristotle", so LUCAS ad 1451b 15, „like Thukydides, believed that Greek myth, or much of it, was basically historical", vgl. WILAMOWITZ, Herakles 1, 118f.; ELSE, 3 0 3 f f . " Zur Komödie vgl. auch Kap. 5 (1449a 32-49b 9); von Aristoteles' differenzierten Überlegungen ziun Verhältnis von Geschichte und Poesie sowie von der Bedeutung der schöpferischen Fiktion auch bei der dramatischen Gestaltung der traditionellen Stoffe ist später allerdings nicht mehr zu spüren. " 1451b 12-15 συστήσαντες γάρ τόν μΟΟον δια τών εΙκότων οΰτω τά τυχόντα όνόματα ύποτιθέασιν, κοί ούχ ώσπερ οΐ Ιαμβοποιοί περί τόν καθ' 6καστον ποιοΟσιν. " 1451b 15-25; vgl. dazu ELSE, 314ff. " 173 Η (= KAIBEL, g g f S 11); vgl. weiter KAIBEL, GGF: S. 17 Z. 4-7 (Tzetzes); S. 66 Z. 132f. (Euanthius);

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Damit ist natürlich die stofflich-thematische Differenz der beiden dramatischen Gattungen keineswegs ausreichend bestimmt. Wichtiger als der so abgesteckte äußere Rahmen (Mythos/Historie - Phantasie; Hauptund Staatsereignisse - privater Mtag) ist die b) Qualität dei Handlung Ist die Tragödie von Aristoteles als μίμησις πράξεως σπουδαίας definiert, so kann man für die Komödie aus dem Anfang des 5. Kapitels die antithetische Bestimmung als μίμησι,ς πράξεως γελοίας erschließen Aus den unterschiedlichen rezeptionsästhetischen Zielen der beiden Gattungen (s. dazu ausführhcher u. S. 257ff.) ergibt sich, daß die ernsthafte Handlvmg so gewählt und strukturiert werden muß, daß sie Jammer und Schrecken zu erregen vermag, während die komische Handlung beim Zuschauer Lachen auslösen soU. Für die Tragödie bedeutet das: μίμησις έλεεινών καί φοβερών

(1452a Зр®;

für die Komödie würde es entsprechend μίμησις γελοίων (φαυλοτέρων)

(49a 32ff.)

heißen müssen. Die erhaltenen nacharistotehschen Texte begnügen sich mit einer mehr oder weniger ausführlichen (und) zufälligen Aufzählung von jammervollen und schrecklichen bzw. heiter-komischen Ereignissen - z.B. Diomedes: in illa (sc. tragoedia) luctus exüia caedes, in hac amores, virginum raptus^' - oder sie beschränken sich - wie z.B. Theophrast (περιοχή άκίνδυνος) - auf die Feststellung, daß die Ereignisse der Komödie im Gegensatz zu denen der Tragödie für die Personen letzten Endes gefahrlos sind, eine Feststellung, die über Aristoteles' Defiiütion des Lächer-

" ELSE, 183-94, hält den Anfang des 5. Kap. |1449a 32-37) für einen späten Zusatz; die Argumente sind jedoch keineswegs zwingend; vgl. LUCAS, 86 f. " 1452a 2f.; b 32f.; 53a 6f., b 1, Ы 7 (56b 2 ^ ) , vgl. weiter 53a 22; b 14f.; b 30 (δεινά, οίκτρά). " KAIBEL, CGF S. 58 Z. 153 f. Diese naive Methode eneicht, nach langer Tradition, einen späten Höhepvinkt in OPITZ' farbigem Sammelsurium: die Tiagödie handeh „von KönigÜchem wiHen, Todtschlägen, verzweifelungen, Kinder- und Vatermördern, brande, blutschanden, kriege und Aufruhr, klagen, heulen, seuffzen und dergleichen", die Komödie „von hochzeiten, gastgeboten, spielen, betrug und schalckheit der Knechte, ruhmrätigen Landsknechten, buhlersachen, leichtfertigkeit der jugend, geitze des alters, kupplerey und solchen sachen, die tägHch unter gemeinen Leuten vorlauffen" (Buch von der deutschen Poeterey, 1624, Nachdruck Tübingen 1966, S. 20); ein erster Ansatz für diese Methode findet sich bereits in Arist. Poet. 1452b 11-13: πάθος δέ έστι πράξις φθαρτική ή όδυνηρά, οΪον αϊ τε έν τ^ φανερή) θάνατοι καΐ αΐ περκοδυνίαι καΐ τρώσεις καΐ όσα τοιαΟτα.

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lichen^" auf Piatons Bestimmung der komischen άγνοια άβλαβής (Phil. 49bff.) zurückgehtdas für die Tragödie zentrale πάθος wird im deutUchen Gegensatz dazu von Aristoteles als πράξις φθαρτική ή όδυνηρά bestimmt®^. с) Struktur und Ausgang

Weiter unterscheiden sich Tragödie und Komödie nach Auffassung der Antike hinsichtlich der Struktur und des Ausgangs ihrer Handlungen: Die nacharistotelischen Zeugnisse bieten hierfür, mit der bereits mehrfach registrierten Vereinfachung aristotelischer Überlegungen, die bis heute gültige populäre Auffassung, daß die Tragödie mit dem Tod einer (weim irgend möglich, mehrerer) Personen ende, die Komödie dagegen mit (mindestens) einer Hochzeit®^; z.B. Euanthius: inter tragoediam autem et tragoediam cum multa tum imprimis hoc distat, quod in comoed i a . . . laeti(que) sunt exitus actionum, at in tragoedia... exitus funesti^"; entsprechend konstatieren sie einen entgegengesetzten Verlauf der dramatischen Handlungen von glücklichen zu unglücklichen (Tragödie) bzw. unglücklichen zu glücklichen (Komödie) Umständen ^^ oder von Verwirrung und Aufregung zur Ruhe (Komödie) bzw. umgekehrt (Tragödie) з«. In der ,Poetik' stehen zwar an einigen Stellen die beiden möglichen Formen des Umschwungs ώς δέ άτιλώς διορίσαντας εΙπεΪν, έν 0σω μεγέθει κατά τό εΙκός ή τό άναγκαΐον έφεξής γιγνομένων συμβαίνει είς εύτυχίαν έκ δυστυχίας ή έξ εύτυχίας είς δυστυχίαν μεταβάλλειν, ίκανός όρος έστίν τοΟ μεγέθους (1451a 11-15) und damit der glückliche und der unglückliche Ausgang der Tragödie wie gleichberechtigt nebeneinander®', doch läßt Aristoteles bei der Bestim1449a 34f.: τό γ ά ρ γελοΐόν έστιν άμάρτημά τι καί αΓσχος άνώδυνον καΐ ού φθαρτικόν,... ' ' S. dazu ο. S. 42 f. Arist. Poet. 1452b И f. ^^ Vgl. z.B. die hübsche Formulierung dieser Maxime durch G. B. SHAW, Tolstoy, Tragedian or Comedian London Mercury 4, 1921, 31 : „the popular definition of tragedy in heavy drama in which everyone is killed in the last act, comedy being light drama, in which everyone is married in the last act." "

KAIBEL, C G F S. 6 6 Z . 1 2 7 - 1 3 0 ; D i o m e d e s (KAIBEL, C G F S. 5 8 Z . 154F.) f o r m u l i e r t v o r -

sichtiger . . . quod in ilia (sc. tragoedia) frequentei et paene semper laetis rebus exitus trites... Vgl. z.B. Diomedes, Anm. 34; Euanthius, Anm. 36. ' ' Euanthius (KAIBEL, CGF S. 66 Z. 129f.: et illic (sc. in comoedia) prima turbulenta, tranquilla ultima, in tragoedia contrario ordine res aguntur. " 1451a 13f.; 52a 31 f.; 1455b 28.

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mung der ,schönsten Tragödie' keinen Zweifel daran, daß die μετάβασις είς άτυχίαν für die Tragödie die ideale Form ist^'. Das wird weiter deutlich daran, daß er Euripides gegen ungerechtfertigte Kritik an seiner Vorliebe für den unglücklichen Dramenausgang verteidigt und betont, daß die Doppelstruktur (είς άτυχίαν καΐ εύτυχίαν) und der sich daraus ergebende doppelte Ausgang (gut für die Guten, schlecht für die Schlechten) zwar von einigen Kritikern als die beste Form der Tragödie gepriesen werde, im Grunde jedoch nichts als ein Zugeständnis an den schlechten Publikumsgeschmack und eher der Komödie angemessen sei^'. Es ist interessant, daß sich auch in diesem Fall die Linie bis zum Agon der ,Frösche' zurückziehen läßt"". 3. Stil Aus den konstatierten Unterschieden von Tragödie und Komödie hinsichtUch ihrer Personen und Handlungen (und der erstrebten Wirkung, dazu u. 4.), ergibt sich der stilistische Gegensatz zwischen den beiden Gattungen zwangsläufig. Nach dem fundamentalen Gesetz des πρέπον"' verlangt die Darstellung einer ernsthaften Handlung eine λέξις σπουδαία (σεμνή), die einer komischen eine λέξις γελοία. Aristoteles erörtert zwar in der Poetik den spezifisch tragischen Stil nicht ausführlich"^, doch aus einer Reihe von Stellen ist deutlich, daß er eben diesen Unterschied macht. Er ist z. B. impliziert in der Behauptung, daß die Tragödie auf Grund ihrer Herkunft aus dem Satyrikon erst spät von einem anfänglich komischen Stil zu dem ihr angemessenen Ernst gefunden habe: έτι δέ τό μέγεθος- έκ μικρών μύθων καί λέξεως γελοίας διά τό έκ σατυρικού μεταβαλείν όψέ άπεσεμνύνθη Die Stilkategorie des ,Erhabenen' (des σεμνόν) als Charakteristikum der Tragödie hat offensichtlich in der Tragödien-Diskussion vor Aristoteles eine bedeutende Rolle gespielt"". Der bereits mehrfach zitierte, für die poetologische Theorie des ausgehenden 5. Jahrhunderts so aufschlußreiche Agon zwischen Aischy1453a 1 2 - 1 5 : . . . άνάγκη & ρ α . . . μεταβάλλδιν ούκ είς εύτυχίαν έκ δυστυχίας άλλα τούναντίον έξ εύτυχίας είς δ υ σ τ υ χ ί α ν . . . 1453a 23-39. Dort steht Aischylos' stolzer Hinweis auf seine ,Sieben gegen Theben' (1021| und ,Perser' (1026| und das Insistieren auf Halbgötter, Heroen und Könige als Helden der Tragödie (und Vorbilder für die Zuschauer) gegen Euripides Erklärung er habe οίκεΐα πράγματα (959) auf die Bühne gebracht (das entspricht der oben unter 2a skizzierten Antithese). Poetik nur 1459a 4; Rhet. 3 , 7 1408a lOff., vgl. M. POHLENZ, TÒ πρέπον, Ein Beitrag zur Geschichte des griechischen Geistes, NGG 1933, 53-92 (jetzt auch KS 100-139). " Die Kap. 20-22 behandeln ganz allgemein Probleme der λέξις. " 1449a 19-21; ausführUche Diskussion bei ELSE, 164ff.; LESKY, Ti-ag. Dichtung, 26ff.; vgl. auch o. S. 65 f. " ZIEGLER, RE VI A, 2009 ff. (s. v. Tragoedia).

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los und Euripides in den ,Fröschen' ist in hohem Maße eine Auseinandersetzung der beiden Kontrahenten um den richtigen StiH®. Aischylos, vom Chor als Schöpfer und Meister tragischer σεμνότης gepriesen"®, verteidigt sich gegen Euripides' Angriffe, der seine Sprache als bombastisches und unverständliches Wortgetöse lächerlich zu machen sucht"', mit dem Hinweis auf das πρέπον: άλλ' ώ κακόδαιμον άνάγκη μεγάλων γνωμών καΐ διανοιών Ισα καΙ τά ί)ήματα τίκτειν κάλλως εΙκός τούς ήμιθέους τοίς ί)ήμασι μείζοσι χρήσθαν (1058/60) und brandmarkt die von Euripides als seine Leistung in Anspruch genommene realistische Alltagssprache"' als eine der Sünden gegen den wahren Geist der Tragödie. Wie zahlreiche Bemerkungen in den Scholia und andere Zeugnisse zeigen, näherte sich Euripides mit diesem seinen von Aristophanes als γένος Ισχνόν (Frösche, 941) qualifizierten Stil nach Auffassung der antiken Kritik durchaus dem Stil der Komödie"'. Für die nacharistoteUsche Theorie ist die klare stUistische Differenz zwischen den beiden Gattungen selbstverständUchDie communis opinio ist, daß die Stilqualität der Tragödie das genus grande (ύψηλόν) ist, während die Komödie ihren Gegenständen (den Ιδιωτικά πρα^ματα) entsprechend, Alltagssprache sprechen solP'.

« s.o. s. 19f. 1004f.: άλλ' ώ πρώτος τών "Ελλήνων πυργώσας ίιήματα σ ε μ ν ά / κ α ί κοσμήσας τραγικόν λήρον, θαρρών τόν κρουνόν άφίει, vgl. weiter 1020 und 1060 f. " 836-39, 922 ff., 1056-58. « 939 ff. Vgl. auch 1058 (917); L. RADERMACHER, Aristophanes ,Frösche'j Einl., Text und Kommentar, 1921 (1954^ ed. KRAUS), 279f. Vgl. z.B. die Hass. Formulierung der Regel bei Hör. AP 89-92: versibus exponi tragicis res comica non vult, indignatur item privatis ac prope socco dignis canninibus narran cena Thyesue. singula quaeque locum teneant sortita decentem. Vgl. dazu С. О. BRINK, Horace on Poetry, Cambridge 1971, z. St., H. D. JOCELYN, The Tïagedies of Ennius, 1967, 24, 38ff.; M. FUHRMANN, 106-108. " Vgl. ζ. В. KAIBEL, GGF S. 5 2 (T^actatus Goislianus): κωμιιοή έστιν λέξις κοινή καί δημώδης; S. 11 Ζ. 1 7 - 2 7 (Schol. in Dionys. Thrac.); S. 6 7 Ζ. 1 6 0 - 6 2 (Donat). Für die Theorie, daß die Komödie einen ,mittleren' Stil zwischen Tragödie und Mimus, zwischen Erhabenheit und Gemeinheit, verwendet vgl. KAIBEL, GGF S. 6 5 Z. 1 0 0 - 1 0 2 (Euanthius); S. 7 2 Z. 3 - 4 (Lib. Gloss).

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4. Wirkung Kernstück der aristotelischen Tragödiendefinition - und Kompaß der gesamten Untersuchung - ist zweifellos die Bestimmung der Wirkung der Tragödie: δι' έλέου καί φόβου περαίνουσα τήν τών τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν". Ziel der Tragödie ist demnach die Erregung der beiden Elementarempfindungen Schauder und Jammer und die schließhche (περαίνουσα) befreiende Reinigung von diesen und verwandten (τοιούτων) Affekten Qualität der Personen, Handlungselemente, Dramenstruktur und -ausgang, Inszenierung, Sprache und Musik, alles wird - wie vor allem die Ausführungen zur ,besten Tragödie' zeigen (13. Kap.) - von diesem Ziel (τέλος) her bestimmt^". Mit der Betonung der beiden zentralen Wirkungseffekte έλεος und φόβος greift Aristoteles, wie Finsler und Pohlenz gezeigt haben, auf eine ältere Definition zurück. „Diese, die die einfache Form gehabt haben mag: die Tragödie sei die μίμησις (oder σύστασις) φοβερών καί έλεεινών πραγμάτων, können wir über Platon hinauf mindestens bis in die Zeit der Sophisten des 5. Jahrhunderts zurückverfolgen"." Die Katharsis dagegen scheint erst durch Aristoteles

" 1449b 27 f. Vgl. dazu besonders W. SCHADEWALDT, Furcht und Mitleid, Hermes 83, 1955, 129-171, jetzt in HeUas und Hesperien P , 1970, 194-236; 230: ,,δλεος und φόβος bleiben ihm dabei weiterhin der innere Maßstab und leitende Gesichtspunkt für das, was in der D-agödie richtig und gut ist". Auf die Probleme, die mit den wohl umstrittensten Worten der Poetik verbunden sind, kaim und braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Sieht man von ELSES Versuch einer Neuinterpretation der Katharsis (und von GOLDEN s.u.) einmal ab, so ist weitgehende Übereinstimmung eneicht; die communis opinio wird am besten durch ScHADEWAtDT Vertreten; dort auch die ältere Literatur; weiter: H. FLASHAR, Die mediz. Grundlagen der Lehre von der Wirkung der Dichtung in der griechischen Poetik, Hermes 84, 1956, 12-48; M. POHLENZ, Furcht und Mitleid, Ein Nachwort, Hermes 84, 1956, 49-74; FUHRMANN, 94 ff. L. GOLDEN hat sich mehrfach für eine Deutung der κάθαρσις als ,intellectual clarification' eingesetzt: Catharsis, TAPhA 93, 1962, 51-60; Mimesis and Katharsis, CP 64, 1969, 145-53; Katharsis as Clarification, An Objection Answered, CQ 23, 1973, 45f.; Epic, Tragedy, and Catharsis, CP 71, 1976, 77-85; The Clarification Theory of Katharsis, Hermes 104, 1976, 437-52 und the Purgation Theory of Catharsis, Joum. of Aesthetics and Art Criticism 31, 1973, 473-79. " Die Paraphrase folgt SCHADEWALDTS, s.o. Anm. 52, erläuternder ,Übersetzung'. " 1452b28ff. (13.Кар.), 53b Uff. (14. Kap.), sowie 52a 1 ^ ; 52a 38-b3; 56b l,b3(vgl. auch φρίττειν, έκπληκτικόν und Verwandtes). " SCHADEWALDT, S. O. Anm. 52, 209 mit Anm. 52 (Lit.); Plat. Ion 535b-€; Rep. 387 b - C ; 388d; Phaidr. 268 c-d; Gorgias Hei. 9: ποίησιν &πασαν καί νομίζω καΐ όνομάζω λόγον έχοντα μέτρον ής τούς άκοόοντας εΙσήλθε καί φρίκη περίφοβος καί 6λεος πολύδακρυς καί πόθος φιλοτιενθής, έπ' άλλοτρίων τε πραγμάτων καί σωμάτων εύτυχίαις καί δυσπραγίαις Ιδιόν τι πάθημα διά τών λόγων δπαθεν ή ψυχή.

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ihre spezifisch rezeptionsästhetische Bedeutung zur näheren Charakterisierimg der für die Tragödie spezifischen Lust erhalten zu haben". Da das 2. Buch der ,Poetik' und damit die angekündigte (49b 21 f.) Untersuchung der Komödie und die Analyse des γελοϊον, auf die die Rhetorik den Leser verweist (1371b 33, 1419b 2) nicht erhalten ist, sind wir für die parallelen Überlegungen zur Wirkung der Komödie angewiesen auf die verstreuten Äußerungen im 1. Buch, auf Analogieschlüsse und auf Rekonstruktionsversuche aus späteren, möghcherweise oder wahrscheinUch von Aristoteles beeinflußten Zeugnissen, wie z.B. dem Tractatus Coislinianus". Ob Aristoteles auch für die Komödie zwei oder weniger bzw. mehr, den tragischen Empfindungen entsprechende Affekte als Wirkungsziel angenommen hat, ist unklar"; die in der Komödiendefinition des Tractatus Coislinianus die Rolle von δλεος und φόβος spielenden ,Affekte' ήδονή und γέλως kommen kaum in Frage". Auch eine komische Katharsis kann aus dieser aus gutem Material und sinnlosen Analogien zur Tragödiendefinition zusammengebastelten Formel für Aristoteles nicht mit Sicherheit gefolgert werden Doch verschiedene Stellen im 1. Buch der Poetik lassen keinen Zweifel an dem spezifischen Wirkungsbereich, den Aristoteles der Komödie zuweist: τό γελοΐον, - vgl. vor allem: Ή δέ κωμφδία έστίν ώσπερ εΐπομεν μίμησις φαυλοτέρων μέν, ού μέντοι κατά πάσαν κακίαν, άλλα τοΟ αΙσχροΟ έστι τό γελοίον μόριον. τό γάρ γελοΐόν έστιν άμάρτημά τι καΐ αίσχος άνώδυνον καΐ ού φθαρτικόν, οΪον εύθύς τό γελοΐον πρόσωπον αίσχρόν τι καί διεστραμμένον άνευ όδύνης (1449a 32-37)®', und damit ist ein klarer, eindeutig gattungstrennender Gegensatz zur Tragödie gegeben: während die Tragödie durch die Gestaltung von έλεεινά und φοβερά (πράγματα) im Zuschauer έλεος und φόβος erzeugt, versucht die Komödie durch lächerUche Situationen und Ereignisse (γελοία) " Zu den Ansätzen für die aristotelische κάθαρσις-Theorie bei Piaton vgl. besonders Piaton und die Aristotelische Poetik, Leipzig 1900, 96ff.; SCHADEWALDT, s.o. Anm. 52, (230f.); FUHRMANN, 95f. " Vgl. L. COOPER, An Aristotelian Theory of Comedy, with an adaptation of the Poetics and a translation of the ,^l•actatus Coislinianus', Oxford 1924, zuletzt FUHRMANN, 54 ff. (zum Tract. Coisl. 63ff.) Tfext des Tract. Coisl. bei KAIBEL, G G F S. 50ff. " COOPER, s. о. Anm. 5 7 , denkt an όργή imd φθόνος; skeptisch FUHRMANN, 63. G . FINSLER,

"

FUHRMANN, 6 5 .

I. W. H. ADKINS, Literary Criticism in Antiquity, Cambridge 1934, 1, 102: „And although we have no clear ttaces of a theory of comic ,catharsis', it is by no means improbable that the idea was present with Aristotle, and that a purgation of some sort was conceived of as the end of comedy,...". Dagegen COOPER, S. O. Anm. 5 7 , 64f., und FUHRMANN, 6 5 . " Vgl. weiter 1448b 37. 'O

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das Lachen (Gelächter γέλως) des Rezipienten auszulösend^. Man darf vermuten - und die vereinzeken Bemerkungen zur Komödie im 1. Buch der Poetik deuten in diese Richtung - daß der Wirkungsaspekt auch für die verlorene Untersuchung der Komödie leitender Gesichtspxmkt gewesen ist. Das Lachen des Zuschauers als Ausdruck von Heiterkeit, Schadenfreude, Neid, Hohn und Spott ist bereits für Piaton", wie die Kritik an der Poesie in Staat und Gesetzen und die Analyse der μείξις λύπης τε καΐ ήδονής im Philebos (48-50) zeigen, selbstverständliches Wirkungsziel der Komödie; und diese empirische These dürfte, auch wenn wir dafür keine direkten Zeugnisse haben, über Piaton hinaus bis ins 5. Jahrhundert zurückgehen. Die scharfe Trennung der beiden dramatischen Gattungen unter dem Aspekt der angestrebten Wirkung (bzw. der οίκεία πράξις) ist für die gesamte Antike gültig gebheben, auch wenn von der Tiefe der aristotehschen Tragödienanalyse in den erhaltenen späten Zeugnissen nur noch wenig zu spüren ist. έλεος und φόβος (und die eng damit verbundene Theorie der Katharsis) sind, sieht man vom Tractatus Coislinianus ab", ersetzt durch den undifferenzierten und äußerlichen Begriff θρήνος ^^ (oder Verwandtes). Die grobe antithetische Formel lautet nun: τής μέν τραγφδίας σκοπός τό είς βρήνον κινήσαι τούς άκροατάς, τής δέ κωμφδίας τό είς γέλωτα ^^ Der systematische ÜberbHck zeigt, daß in der antiken Theorie Tragödie und Komödie nach Helden, Thematik und Handlungsstruktur, Stil und Wirkung klar voneinander getrennte Gattungen sind. Cicero hat den Genuszwang auf die rigorose Formel gebracht: est in tragoedia comicum vitiosum et in comoedia turpe tragicum^^ Die wenigen Stellen, an denen Verwandtschaft, Gemeinsamkeiten und Verbindungen der beiden dramatischen Gattungen beobachtet werden oder gar Kombination und Wechselwirkung von tragischen und komischen oder, weiter gefaßt, ernsten und heiteren Elementen in den Bhck kommen, sind deshalb von beson" FUHRMANN, 60-63; zum γελοΐον auch Rhet. 1371 b 34-72a 2 und 1419 b I i i . " Vgl. z.B. Rep. 606c ff.; Phil. 48a-50d (dazu jetzt MADER, 13-28). KAIBEL, GGF S. 50 Nr. 2: ή τραγφδία ύφαιρεί τά φοβερά παθήματα τής ψυχής δι' οϊκτου καί δέους καί ότι συμμετρίαν θέλει έχειν τοΟ φόβου- έχει δέ μητέρα λόπην. Zur (Schwächung' der Elementaraffekte Jammer und Schauder in der nacharistotelischen Theorie SCHADEWALDT, S. O. Anm. 52; vgl. weiter J. GEEFCKEN, Der Begriff des Tïagischen in der Antike, Vorträge der Eibl. Warburg 1927-28, Leipzig 1930, 139. " Vgl. 2.B. KAIBEL, GGF S. 11 Z. 21-23 (Schol. in Dionys. Thrac.); S. 17 Z. 3, 7f.; S. 21 Z. 50f. |S. 33 Z. 67-69), S. 34 Z. 5 u. 7f. (Tzetzes), S. 50 Nr. 2 u. 3 (Ti-actatus GoisL). '' Gic. de opt. gen. or. 1

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derem Interesse. Die geringe Zahl und der durchaus heterogene Charakter dieser Ansätze'' läßt es jedoch als sinnvoll erscheinen, sie nicht gesondert, sondern im Zusammenhang mit den allgemeinen terminologischen und definitorischen Problemen der Tragikomödie zu behandeln (s. S. 20ff. und Appendix B).

" Gemeint sind nicht - natürlich auch von Piaton, Aristoteles u. a. beobachtete - allgemeine Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten, wie sie sich z. B. aus der Tatsache ergeben, daß l^agödie und Komödie als künstlerische Schöpfungen beide in den Bereich der Mimesis gehören, daß sie weiter in zwei der drei aristotelischen Kategorien zur Differenzierung poetischer Gattungen (έν οΪς und ώς) übereinstimmen und daß gewisse Gesetze als allgemeine Gesetze dramatischer Handlung für beide gültig sind, sondern Ansätze zu einer Theorie der "Ragikomödie oder Gedanken, die einer späteren Theoriebildung als Ansatzpunkt dienen konnten.

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APPENDIX В

Zu Theorie und Praxis der Tragikomödie im 15.-18. Jhdt. In den theoretischen Diskussionen und Streitereien um den Bastard tragicomoedia spielt von Anfang an die antike Theorie und Praxis eine wichtige Rolle (s. o. S. 24ff.). Der folgende systematische Überblick über die „historischen Formtypen" der Tragikomödie dient daher nicht nur der knappen Information über ein Stück Geschichte der dramatischen Mischform, sondern bietet zugleich einen orientierenden Bhck auf das für meine Fragestellung relevante antike Material. Außerdem ist er der erste Schritt auf dem Wege zu einer Definition der Tragikomödie, ein sokratisch-aporetischer Schritt, der die Notwendigkeit einer anderen Antwort auf die τί έστιν ή τραγικωμωδία Frage deuthch macht. Die Natur der tragikomischen Theorie und Praxis dieser Jahrhunderte läßt es siimvoll erscheinen, den Überblick als Pendant zu dem oben gegebenen Überblick über die in der antiken Theorie konstatierten Differenzen zwischen Tragödie und Komödie zu konzipieren. 1. Personen Die plautinische Begründung des Begriffs Tragikomödie ist zwar nicht das entscheidende, jedoch ein wichtiges Argument in der Diskussion'. Die bunte Mischung ,tragischen' und ,komischen' Personals ist in der Tat ein wesenthches Charakteristikum der Tragikomödie des 16. und 17. Jahrhunderts; das gilt für die lateinischen ebenso wie für die volkssprachUchen Stücke, für die Tragikomödien des Terentius Christianus in gleicher Weise wie für das Schäferspiel Guarinis oder die enghschen und französischen Mischdramen. Das Mischungsverhältnis kann dabei durchaus unterschiedlich sein. So kann z. B. das niedere-komische Element auf unbedeutende Nebenrollen (Ammen, Diener, Boten, Soldaten) be-

' Bereits bei der ersten Übernahme des plautinischen Begriffs ist, wie wir oben gesehen haben, die plautinische Begründung (Personenmischung) durch das wichtigere Kriterium des glücklichen Dramenausgangs ersetzt. Nur ganz selten ist Personenmischung das einzige und gattungsbestimmende Argument; vgl. z.B. J. P. VALLA, Plautinae viginti fabulae, 1499, p. Ш; Ambrogio CALEPINO, Diet. Latino-Graecum, 1502; Α. Minturno, de poeta 1559, 125, 188.

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schränkt und in Nebenszenen verdrängt sein^, die mit der eigentlichen Thematik des Stückes nur locker verbunden sind, oder aber breiten Raum einnehmen^. Dieser Zug ist zweifellos eine Folge des mächtigen Einflusses des mittelalterlichen Theaters mit seiner oft grotesken Mischung von Göttern, allegorischen Personifikationen, Heiligen und Königen und kleinen Sündern und Gaunern, Narren, Dienern und Soldaten*. Doch die Theoretiker und Praktiker der Renaissancetragikomödie berufen sich natürlich nicht auf das mittelalterÜche Erbe, sondern auf die Antike. Minturno verweist - als Beispiel für ,mixtae fabulae' - nicht nur auf den ,Amphitruo', sondern auch auf die ,Odyssee', in der Homer nicht nur Prinzen, sondern auch Schafhirten habe agieren lassen, und das antike Satyrspiel, in dem lächerUche Personen neben Göttern und bedeutenden Männern aufträten Guarini führt sogar die Diener- und Botenrollen in Sophokles' ,Oidipus lyraimos' als Verteidigung an und verweist auf die Mischung von Göttern, Bürgern und Gaunem in der aristophanischen Komödie®; Q. Septimus Florens Christianus (Florent Chrestien) kritisiert in den Anmerkungen zu seiner lateinischen Übersetzung des ,Kyklops' die Bezeichnung des Stücks als Tragödie u. a. deswegen, weil mit den Satyrn auf der einen und Odysseus und Polyphem auf der anderen Seite ,komisches' und ,tragisches' Personal untereinander vermischt seien'; die Beispiele ließen sich häufen. Für die Untersuchung koirüscher Elemente in der griechischen Tragödie ergibt sich aus den angeführten (und anderen) Verweisen zwar nicht viel Konkretes, doch hat sich gezeigt (es sei nur an Orestes' Amme Kilissa, an den Wächter in der ,Antigone', an den alten Diener im ,Ιοη' oder den phrygischen Sklaven der Helena im ,Orestes' erinnert), daß die Frage nach dem sozialen Stand der Akteure auch bei der Suche nach komischen Elementen in der griechischen Tragödie nicht ganz sinnlos ist; und die Bedeutung der Untersuchung der handelnden Personen ist noch größer, werm man das in der nacharistotelischen Theorie weitgehend verlorenge^ So vor allem in den Dramen des ,1ferentius Christianus': z.B. Nicholas Bartholomaeus, Christus Xilonicus |1529); Nicholas Grimald, Christus Redivivus (1543|¡ Joannes Lorichius, lobus |1543); Nicodemus Frischlin, Susanna (1587) und Nicholas Crucius, Prodigus, Josephus, Manasses. ' Vor allem in der pastoralen tragicomoedia Guarinis (Pastor Fido 1590) und seiner itahenischen, französischen und englischen Nachfolger. " Vgl. RISTINE, 1 1 - 1 8 ; LANCASTER, 1 - 1 5 ¡ GUÎHKE, P r o b l e m , 3 3 9 - 4 3 .

' Antonio Mintumo, de poeto, Venedig 1559, 125, 188; id. L'arte poetica, Venedig 1564 ( M ü n c h e n 1971), 162.

' Battisto Guarini (1599), Opere 4 Bde, Verona 1737/38, 3, 422ff. ' Q. Septimus Florens Christianus, Notoe 32 (nach HEMUCK, 7).

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gangene Kriterium der moralischen Qualität der Akteure hinzunimmt. Das gilt besonders für die Untersuchung der Tragödien des Euripides, von dem Sophokles mit einem in Aristoteles' Poetik zitierten Bonmot zu Recht konstatiert hat, daß er nicht Idealfiguren, sondern Alltagsmenschen dargestellt habe'. Die bereits durch den aristophaneischen Aischylos getadelte Destruktion der mythischen Heroen, die Reduzierung der ,Riesen' auf das Durchschnittsmaß des euripideischen Zeitgenossen ist, wie die Euripidesinterpretationen gezeigt haben, ein zentraler Aspekt euripideischer Tragikomik. 2. Handlung: Von den drei oben unter der Kategorie Handlung besprochenen Kriterien a) Stoff, b) Qualität der Handlung, c) Handlungsstruktur ist c) - und zwar vor allem der Dramenausgang - für die Tragikomiker des 16. und 17. Jahrhunderts der bei weitem wichtigste Aspekt. Doch mag der Vollständigkeit halber ein kurzer Bück auf die beiden anderen Punkte angebracht sein. a) Die nacharistotelische antike Regel, daß die Tragödie ihre Stoffe aus dem Bereich des Mythos und der Geschichte (res gestae) zu wählen, die Komödie dagegen ihre Geschichten zu erfinden habe (res fictae), ist zwar nicht unbekannt, aber nicht mehr verbindlich». Die selbstverständlich als historia verstandene bibhsche Geschichte bietet ebenso den Stoff für die zahlreichen ,comoediae sacrae et novae' des Terentius Christianus wie für die als ,comoediae tragicae' oder einfach ,tragoediae' charakterisierten Stücke derselben Autorengruppe; und umgekehrt ist z.B. Kirchmeyers tragoedia nova ,Pammachius' eine res ficta'". In dem Moment jedoch, wo Tragödie und Komödie entweder historische oder fiktive Ereignisse oder eine Kombination von beiden zum Inhalt haben können, kann die Frage nach der Art des Stoffes (Geschichte oder Phantasie) auch für die Mischform Tragikomödie natürlich kein Kriterium mehr sein. b) Von Bedeutung ist dagegen die Qualität der Handlung. Das Nebeneinander von ernsten und lächerlichen, bedeutungsvollen und trivialen, tragischen und komischen Handlungselementen ist ein wesentliches Charakteristikum der Tragikomödie des 16. und 17. Jahrhunderts. Wie be-

« 1460b 3 3 f : . . . οίον καΐ Σοφοκλής έφη αύτός μέν οίους δεί ποιείν, ΕύριπΙδμν δέ οίοι εΙσίν, . . . ' HERRICK, 6 1 , 9 1 , 3 1 3 f .

Vgl. auch Cinthios ,tragedia di lieto fin'; Cinthio versteht seine romantischen fictiones als tragoediae.

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reits oben (s. 1. Personen) betont, ist die ständige Unterbrechung der ernsten Haupthandlung durch mehr oder minder eng mit dieser oder doch untereinander verknüpfte komische Intermezzi ein Erbe der mittelaherUchen Spiele". Als antiker Präzedenzfall dient den Apologeten der Tragikomödie vor allem das Satyrspiel, das in der Nachfolge antiker Theorie als ein tertium quid zwischen Tragödie und Komödie - und zwar auch unter dem Aspekt der Handlung'^ - aufgefaßt wird. So erklärt z.B. Robortello in seinem Kommentar zu Aristoteles' Poetik (1548), daß die gräßliche Blendung Polyphems den euripideischen ,Kyklops' zu einer Tragödie mache, auch wenn die Handlungen Silens und der Satyrn gewiß lächerlich und komisch seien und erklärt in seiner zusammen mit dem Kommentar publizierten „explicatio eorum omnium, quae ad Satyram pertinent", daß das Satyrspiel als imitatio actionum humanarum ganz verschiedenartige Handlungen nachahme: in actionibus autem humanis quoniam alia commiserabüia, alia horribilia, alia ridicula sunt et subturpicula, necesse est diversarum rerum esse imitationem (26). Ebenso bestimmt Casaubon·" die Handlung des Satyrspiels als „teilweise ernst, teilweise komisch", und Guarini verteidigt sich gegen die Angriffe der ,Klassizisten' auf seinen,Pastor fido' ebenfalls mit dem Hinweis auf den ,Kyklops', in dem Euripides die ernste Gefahr für das Leben des Odysseus mit der lächerlichen Trunkenheit des Kyklopen verbunden habe Vorbereitet durch die früh einsetzende Kritik an der aus platonischen und aristotelischen Ansätzen anscheinend von Theophrast entwickelten Antithese, daß die Tragödie zerstörerische, die Komödie dagegen letztlich gefahrlose Handlungen zum Gegenstand habe werden von Guarini und anderen auch einige lateinische Komödien für die Verbindung von tragischen und komischen Hand-

" Das gilt besonders für die Dramen des Terentius Christianus (cf Personenmischung s. 0. Anm. 2; dazu Cornelius Schonaeus, TKumphus Christi; Georgius Macropedius, Asotus |1537])¡ vgl. Herrick, 23: „most dramatists of the Christian Terence not only knew that the ridiculum is the leading characteristic of comedy, but often deliberately inserted ridiculous scenes and characters in the sober Biblical stories." S.o. S. 262 (Personen) und u. S. 268ff. (Stil); die τραγφδία παίζουσα (so nennt Demetrios, de eloc. 169 das Satyrspiel) liefert Beispiel und Vorbild für verschiedene Arten von Mischspielen in dieser Zeit; vgl. dazu Ristine, 5f.; Herkick, 7ff.; Guthke, Problem, 344f. " Fr. Robortello, In Ubrum AristoteUs de arte poetica expUcationes, Florenz 1548, 137. " J. Casaubon, De satyrica Graecorum poesi et Romanorum satira, Paris 1605 13, 130 f. (Nachdruck 1968). Guarini, s.o. Anm. 6, 3, 397f. " Scaliger, Poetices I 5; schon früher hatten Melanchthon und andere die Bedeutung von pericula in der terenzischen Komödie betont; vgl. dazu M. T. Hermck, Comic Theory in the Sixteenth Century, Urbana 1950, 173 (Donat s.u. Anm. 17).

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lungselementen als Präzedenzfälle in Anspruch genommen, und zwar Plautus' ,Captivi' und Terenz' ,Heautontimorumenos' und ,Hecyra' Für die Mittelstellung der Tragikomödie unter dem Aspekt der Qualität gibt es zwei Möglichkeiten, die beide in der Renaissance- und Barocktragikomödie realisiert worden sind. Entweder können die tragischen und komischen Ereignisse und Situationen nebeneinander stehen und dabei durchaus ihre tragische bzw. komische Qualität bewahren oder der Autor kann, die beiden Extreme meidend, eine mittlere (weder tragische noch komische) Handlung wählen Damit sind zwei weitere historische Formentypen der Tragikomödie bestimmt. c) Guthke betont zurecht die zentrale Bedeutung des Dramenausgangs. „Wie sehr sich die als Tragikomödie bezeichneten Stücke des 16. und 17. Jahrhunderts auch voneinander unterscheiden, der glückliche Ausgang war anscheinend eine notwendige Voraussetzung für diesen Untertitel und damit zugleich das kennzeichnende Element der Gattung"^". Bereits die Brüder Verardi rechtfertigen, wie wir gesehen haben, die Wiederaufnahme des plautinischen Begriffs mit dem „iucundus exitus rerum" und noch Lessing konstatiert (falsch), eine andere Erklärung des Wortes durch Voltaire kritisierend, „Tragikomödie hieß die Vorstellung einer wichtigen Handlung unter vornehmen Personen, die einen vergnügten Ausgang hat"^'. Dabei lassen sich zwei, von Kritikern und Autoren unterschiedlich beurteilte und verwendete Möglichkeiten unterscheiden: 1. Der Ausgang des Stücks kann für alle Beteiligten ,glücklich' sein oder häufiger 2. ein doppelter Ausgang belohnt die Guten und bestraft die Bösen Es ist offensichtlich, daß die Tragikomödie dieser Zeit auch hierin dem Drama des Mittelalters stark verpflichtet ist, für das heitere Schlüsse und poetische Gerechtigkeit durchaus charakteristisch sind. Nur erwähnt sei in diesem Zusammenhang eine für Theorie und Praxis ohne nennenswerte Bedeutung gebliebene Differenzierung, die der Je" Nicholas Grimald, Epistula Nuncupatoria zum Christus Redivivus, 11 f. (Plautus' Captivi!; Guarirli (Terenz' Heautontimorumenos| vgl. HERRICK, 137; vgl. auch Donat zu Ter. Hecyra 28Iff. " Terentius Christianus. " Cinthios (tragedia de lieto fin' und besonders Guarirli. LANCASTER, 36, GUTHKE, 22 ff.

G. E. Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 55. Stück. " 1. Z. B. Lodovicus Crucius, Prodigus, sowie vor allem Guarirti und die pastorale Tragikomödie; vgl. Guarini, s.o. Anm. 6, 1, 188 (HERRICK, 137); 2. Terentius Christianus (George Gascoigne, Glass of Government |1575]; Georgius Macropedius, Asotus [1537], Sixtus Birck, Susanna [1537) und Judith [1540]), und Cinthio (vgl. HERRICK, 72|.

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suit Jacobus Masenius in seiner „Palaestra eloquentiae ligatae" (1654.57) vorgenommen hat. Er unterscheidet zwischen Tragikomödie und Komitragödie und definiert - der Reihenfolge der Bestandteile folgend - Tragikomödie als: actionis vel illustris tantum vel illustris ridiculaeque permixtae conveniente metro imitatio ab infelicitate et commiseratione ad felicitatem et gaudium terminata, und umgekehrt Komitragödie als: actionis vel tantum ridiculae vel illustris partim ridiculae per oppositum rebus metrum imitatio a felicitate et gaudia ad infelicitatem et dolorem aut ad utramque simul ab utraque opposita conversa". Der Begriff Komitragödie hat sich nicht durchsetzen können, und der unglückliche Dramenausgang spielt in der hier behandelten Phase der Geschichte der Tragikomödie keine Rolle. Charakteristischer Schluß ist das Happy-End. Die Menge und Bedeutung der zur Verteidigung angeführten antiken Präzedenzfälle und Autoritäten macht die Lektüre der Diskussion über dieses Kriterium besonders interessant. Neben dem ,Amphitruo' und dem SatyrspieP", die uns als Vorbilder für andere Charakteristika (Personen, Stoff, Qualität der Handlung) bereits begegnet sind und begegnen werden (Stil, Wirkung) tritt nun die antike Tragödie, vor allem Euripides. Immer wieder wird auf ,Alkestis', ,Andromache', ,Elektra', ,Helena', ,Ιοη', die beiden ,Iphigenie'-Dramen, ,Orest', ,Rhesus'^® und weiter auf Sophokles' ,Elektra' und ,Philoktet' sowie Aischylos' ,Eumeniden' und ,Hiketiden' verwiesen^®, und etwa von der Mitte des 16. Jahrhunderts an gewinnen Aristoteles' Bemerkungen zur zweitbesten Tragödienform zentrale Bedeutung: δευτέρα δ' ή πρώτη λεγομένη ύπό τινών έστιν σύστασις, ή διπλήν τε τήν σύστασιν έχουσα καθάπερ ή 'Οδύσσεια καί τελευτώσα έξ έναντίας τοίς βελτίοσι καί χείροσιν. δοκεΐ δέ είναι πρώτη διά τήν τών θεάτρων άσθένειαν άκολουθοΟσι γάρ οΐ ποιηταί κατ' εύχήν ποιούντες τοίς θεαταΐς. δστιν δέ ούχ αΰτη άπό τραγωδίας ήδονή άλλά μάλλον τής κωμωδίας οΙκεία" έκεΐ γάρ οΐ άν δχθιστοι ώσιν έν τφ μύθφ, οίον 'Ορέστης καΐ Αίγισθος, φίλοι γενόμενοι έπί τελευτής έξέρχονται, καί άποθνήσκει ούδείς ύπ' ούδενός (1453a 30-39).

" J. MASEN, Palaestra eloquentiae LigaUe, in: Dtsche Lit. in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Barockdrama Π, Leipzig 1930, 38. " Eur. ,Kyklops' ist der wichtigste dramatische antike Text in der Tragikomödiediskussion dieser Zeit. Alphabetische Reihenfolge (ohne Bedeutung für Häufigkeit der Nennung und Bedeutung]. Daneben vereinzelt lateinische Komödien (s.o. Anm. 17|.

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Die Auffassung des bedeutendsten antiken Theoretikers, daß diese Form der Tragödie, die sich bei Zuschauern (und einem Teil der Kritiker) besonders großer Behebtheit erfreue, eher die der Komödie eigene Lust bewirke (53a 36)^^, hat die Verteidiger der Mischform Tragikomödie natürlich entzückt, und selbst die Kritiker und Autoren, die an dem Begriff Tragödie für die oben angeführten Dramen festhalten, betonen ihre Nähe zur Komödie. Sie besteht Robortello zwar für die euripideischen Stücke mit Happy-End auf der Bezeichnung Tragödie, stellt jedoch z.B. zum Orest fest, daß das Argumentum so nahe an der Komödie sei wie möglich^', und Cinthio, der seine ernsten Stücke mit glücklichem Ausgang als „tragedie miste" und „tragedie con heto fin" charakterisiert, räumt im Prolog zum ,Altile' (1543), den er mit Euripides' ,Orestes', ,Helena', ,Alkestis' und der ,taurischen Iphigenie' vergleicht, ein, daß man das Stück (und das gilt damit analog auch für andere seiner Dramen) auch als ,tragicomoedia' bezeichnen könne Noch eine weitere Stelle der aristotehschen Poetik spielt in den Rechtfertigungen des glücklichen Ausgangs eine wichtige Rolle. Die Überlegungen zur idealen tragischen Handlung (im 14. Kap.) mit der Bevorzugung des Kresphontes-Typs hat immer wieder zur Verteidigung eines ernsten Dramas mit verhinderter Katastrophe gedient und zu einer Fülle von ,Merope'-Dramen geführt, von denen eine Reihe als Tragikomödie bezeichnet sind®". Die Beurteilung des glücklichen Ausgangs in der Tragödie war offenbar bereits in der antiken Theorie nicht unumstritten. Von den verschiedenen, nicht leicht zu harmonisierenden Urteilen in der Poetik einmal abgesehen^', lernen wir durch die Kritik des Aristoteles verschiedene, nicht näher gekennzeichnete Leute (τίνες) kennen, die die Tragödie mit doppelter Handlung und doppeltem Ausgang (gut für die Guten, schlecht für die Bösen) für die beste Form halten (s. o. 1453a 13, a 31) und^^ Euripides vorwerfen, daß zu viele ^^ seiner Stücke unglücklich en" Bei der Bedeutung, die der τέλος - Gedanke in der Poetik hat, kommt das einer Charakterisierung derartiger Stücke als ,Komödien' nahe. ROBORTELLO, S.O. Anm. 13, 146 |das geht natürhch auf das Urteil der antiken Hypothesis zurück) s.o. S. 103 Anm. 10|. Giraldi Cinthio, Aitile (1543|, 9. Arist. Poet. 1453 b Iff., 54a +-9; Merope-Stoff z.B. Cinthio, Cresfonte; Cavalierino, Telefonte (1582); Liviera, Cresfonte (1588|; Torelli, Merope (1589); später Maffei, Merope (17141; Voltaire, Merope (1743); M. Arnold, Merope (1857); vgl. HERRICK, 101-121. S. dazu 0. S. 254f. " LUCAS ad 53a 31: ύπό τινών: „the same unkwown critics as at 1. 13 above"; (wenn verschiedene Gruppen von Kritikern gemeint sind, dann doch identische Grundauffassungen). Zum Text in 53a 25 (al πολλαί oder πολλαί) vgl. LUCAS, ad. loc; vgl. auch die gründliche Diskussion bei GUDEMANN, 246 f.

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deten Dagegen bieten die Euripides-Hypotheseis und -Scholien Beispiele für die alexandrinische ,Kritik' an euripideischen Happy-Ends. Es sei nur an Aristophanes' von Byzanz Feststellung in der Hypothesis zum ,Orestes' erinnert: τό δράμα κωμικωτέραν έχει τήν καταστpoφήv^^ Das Σ zu Or. V. 1691 nennt neben dem ,Orest' die ,Alkestis', Sophokles' ,Tyro' und „viele andere" Stücke mit glücklichem Ausgang. Zahl und vor allem Qualität der von Aristophanes von Byzanz bis zu Cinthio und Guarini, Robortelli und Minturno kritisierten bzw. als Präzedenzfälle in Anspruch genommenen euripideischen Stücke lassen keinen Zweifel daran, daß das Problem des Happy-Ends auch für die Untersuchung der antiken Tragikomödie von Bedeutung ist. Auch wenn man den Dramenausgang nicht als Gattungskriterium akzeptiert oder ihn zumindest als unzureichend betrachtet, ist die Tatsache, daß die angeführten Euripidesdramen auch unter anderen, weniger formalen oder oberflächlichen Gesichtspunkten für die Frage der Verbindung von Tragödie und Komödie, bzw. von komischen und tragischen Elementen wichtig sind, immerhin bemerkenswert. Das Problem des untragischen oder scheinbar untragischen Dramenausgangs hat sich im Euripidesteil der Arbeit wiederholt als bedeutungsvoll erwiesen. 3. Stil:

Wie nicht anders zu erwarten, ergibt sich aus der Verbindung von ernsten und heiteren Ereignissen, aus dem Nebeneinander von ,tragischen' und ,komischen' Figuren eine Mischung der Stilebenen. Verschiedene Formen der Kombination des erhabenen Stils der Tragödie mit der Alltagssprache der Komödie sind denkbar und realisiert worden. a) Nebeneinander von komischem und tragischem Stil entweder in verschiedenen Szenen oder in derselben Szene, und entweder im Munde verschiedener oder derselben Personen. b) Verwendung eines mittleren Stils, der die Extreme des Erhabenen und des Niederen meidet. Dazu kommen: c) Behandlung eines tragischen Stoffs im Stil der Komödie und umgekehrt: d) Behandlung eines komischen Stoffs im Stil der Tragödie. Die letzteren beiden Formen sind äußerst selten. Für a) und b) haben besonders zwei Partien der Ars Poetica des Horaz die Rechtfertigung gelie-

" 1453a 23-26: διό καΐ ol Εύριπίδτ) έγκαλοΟντες τό αύτό άμαρτάνουσιν δτι τούτο δρ^ έν ταΐς τραγφδίαις καί αΐ πολλαΐ αύτού είς δυστυχίαν τελευτώσιν. " Lit. s.o. S. 16 Anm. 12.

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fert. Da ist einmal Horaz' Feststellung, daß auch die Komödie gelegentlich ,die Stimme hebt' und auch der tragische Held einmal in einfachen Worten klagt: interdum tarnen et uocem comoedia tollit, iratusque Chremes tumido delitigat ore et tragicus plerumque dolet sermone pedestri, Telephus et Peleus cum, pauper et exsul, uterque proicit ampullas et sesquipedalia uerba, si curat cor spectantis tetigisse querella (AP 93-98), und - noch wichtiger vielleicht - seine Ausführungen zum mittleren Stil des Satyrspiels: carmine qui tragico uilem certauit ob hircum, mox etiam agrestes Satyros nudauit, et asper incolumi grauitate iocum temptauit, eo quod illecebris erat et grata nouitate morandus spectator, functusque sacris et potus et exlex. uerum ita risores, ita commendare dicaces conueniet Satyros, ita uertere seria ludo, ne quicumque deus, quicumque adhibebitur heros, regali conspectus in auro nuper et ostro, migret in obscuras humili sermone tabernas, aut, dum uitat humum, nubes et inania captet. effutire leues indigna Tragoedia uersus, ut festis matrona moueri iussa diebus, intererit Satyris paulum pudibunda proteruis. non ego inornata et dominantia nomina solum uerbaque. Pisones, Satyrorum scriptor amabo; nec sic enitar tragico différé colori, ut nihil intersit Dauusne loquatur et audax Pythias emuncto lucrata Simone talentum, an custos famulusque dei Silenus alumni. ex noto fictum carmen sequar, ut sibi quiuis sperei idem, sudet multum frustraque laboret ausus idem: tantum series iuncturaque pollet, tantum de medio sumptis accedit honoris (AP 220 ff.)^^. So ist es denn auch immer wieder das einzige erhaltene Satyrspiel, der euripideische Kyklops, auf den verwiesen wird. Andere antike Stücke werden in diesem Zusammenhang nicht genannt. Die Erinnerung an die Zum milderen Stil des Satyrspiels vgl. SEiDENsncKER, Satyrspiel, 234-36.

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Amme Kilissa in den aischyleischen ,Choephoren', an die Boten und Diener des Sophokles und vor allem an manche Stelle des Euripides macht jedoch deutUch, daß die Frage des Zusammenhangs zwischen umgangssprachhch einfacher Rede und Komik für unsere Überlegungen nicht ohne Bedeutung ist.

4. Wirkung: Zum rezeptionsästhetischen Aspekt kann ich mich nach dem unter den Punkten 1-3 Ausgeführten kurz fassen. Stücke, die tragische und komische Handlungs- und Strukturelemente, Personen und Stilebenen miteinander verbinden (und zwar alle diese Züge oder nur einzelne von ihnen) lösen zwangsläufig beim Rezipienten ,geiiüschte' psychische Reaktionen aus. Die Verbindung von tragischen und komischen Affekten kann - auch das ergibt sich aus den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten tragischer und komischer Elemente - durchaus unterschiedlich sein. Jammer und Schrecken, bzw. Freude und Erheiterung (und ihr äußerer Ausdruck Tränen und Gelächter) können entweder 1. nebeneinander (im wiederholten Wechsel tragischer und komischer Szenen) oder 2. nacheinander (im Verlaufe einer sich von Glück zu Unglück oder umgekehrt entwickelnden Handlung) erzeugt werden, und zu diesen beiden additiven Möglichkeiten der Verbindung treten zwei synthetische, 3. die harmonisierende Abschwächung der Extreme und 4. die wechselseitige Steigerung der tragischen und komischen Wirkung. 1 bis 3 lassen sich in Theorie und Praxis der Tragikomödie des 16. und 17. Jahrhunderts beobachten während 4 als theoretische Möglichkeit und praktische Technik erst wesenthch später entdeckt und genutzt wird^®. Als antiker Präzedenzfall diente auch hier in erster Linie das Satyrspiel, das nach Minturnos Definition Gelächter erzeugt durch lustige Worte und Streiche und Mitleid durch unglückhche und schreckliche Taten Auch Cinthio erklärt, das Ziel des Satyrspiels sei Gelächter und Schrekken und Mitleid""; und Guarini, der sich in seiner Verteidigung der Tragi-

" 1. z.B. in den ,1i-agikomödien' des Terentius Christianus und vor allem in der englischen Tragikomödie des 16. und 17. Jhdts.; 2. z.B. in Cinthios ,tragedie di lieto fin (Aitile) und im Terentius Christianus, 3. Guarini. " S. dazu о. S. 27 ff. " Minturno, L'arte poetica 1564 (München 1971) 162. Ciraldi Cinthio, Lettera ovvero discorso sopra il comporre le satire atte alle scene, in: Scritti estetici 2, 123-50. Cinthios Schrift ist die umfangreichste und gründlichste Analyse des Satyrspiels im 16. Jhdt.; er hat außerdem mit seinem Stück ,Egle' ein interessantes Paradeigma für die Gattung geschaffen.

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komödie u.a. auf den Kyklops beruft, verweist außerdem darauf, daß auch Terenz, z. B. im ,Heautontimorumenos', Lächerliches mit Mitleiderregendem verbunden habe*'.

Guarini, s.o. Anm. 6, 3. 397f. 271

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Berichtigung zu Seidensticker: Palintonos Harmonia

Durch ein technisches Versehen ist auf den Seiten 15 und 16 der griechische Text in unkorrigierter Form abgedruckt worden. Auf Seite 15 muß es heißen: Ούκούν και περί μιμήσεως ó αύτός λόγος, ότι πολλά ó αύτός μιμεΐσθαι εύ ώσπερ εν ού δυνατός; Ού γαρ οδν. Σχολτΐ άρα έπιτηδεύσει γέ τι άμα των άξίων λόγου έπιτηδευμάτων και πολλά μιμήσεται και 6σται μιμητικός, έπεί που ούδέ τα δοκοΟντα έγγύς άλλήλων είναι δύο μιμήματα δύνανται οί αύτοί άμα εύ μιμεΐσθαι, οίον κωμωδίαν και τραγωδίαν ποιοΰντες. ή ού μιμήματε άρτι τούτω έκάλεις; "Εγωγε· και άληθή γε λέγεις, ότι ού δύνανται οΐ αύτοί. Ούδέ μην |!)αψωδοί γε καί ύποκριταί άμα. Άληθή. Άλλ' ούδέ τοι ύποκριταί κωμωδοίς τε και τραγωδοίς οί αύτον πάντα δέ ταύτα μιμήματα. ή οΰ; (394e 8ff.)^. Auf Seite 16 muß es heißen: in Zeile 11 άλλοίωσιν in Zeile 14 τάληθές in Zeile 18 γαρ in Zeile 21 όλως έτερον-Theorie

Albin Lesky • Die tragische Dichtung der Hellenen 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage 1972. 544 Seiten, kartonierte Studienausgabe und Leinen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2

Wolf-Hartmut Friedrich * Vorbild und Neugestaltung Sechs Kapitel zur Geschichte der Tragödie. 1967. 212 Seiten, englisch broschiert, ö e i n e Vandenhoeck-Reihe 249 S

Evangelos Petrounias Funktion und Thematik der Bilder bei Aischylos 1976. XX, 439 Seiten, kartoniert. Hypomnemata 48

Alexander Sideras * Aeschylus Homericus Untersuchungen zu den Homerismen der aeschyleischen Sprache. 1971.311 Seiten, kartoniert. Hypomnemata 31

Deborah Hathaway Roberts Apollo and His Oracle in the Oresteia Hypomnemata. In Vorbereitung.

Ruth Scodel · The Ίί-ojan Trilogy of Euripides 1980. 152 Seiten, kartoniert. Hypomnemata 60

Volker Langholf • Die Gebete bei Euripides und die zeitliche Folge der li'agödien 1971. 172 Seiten, kartoniert. Hypomnemata 32

Kjeld Matthiessen • Elektra, Taurische Iphigenie und Helena Untersuchungen zur Chronologie und zur dramatischen Form im Spätwerk des Euripides. 1964. 199 Seiten, kartoniert. Hypomnemata 4

yandeiihoeck& Ruprecht · Göttingen und Zürich

TRAGICORUM GRAECORUM FRAGMENTA (Ίί-GF) Vol. I:

Didascaliae Tragicae, Catalog! Tragicorum et Tragoediarum · Testimonia et Fragmenta Tragicorum Minorum Editor Bruno Snell 1971. XII, 337 Seiten, Leinen

Continens: Praefatio · Compendia • I. Didascaliae e fontibus restitutae / II. Fontes didascaliarum / III. Catalogi / IV. Testimonia et fragmenta tragicorum minorum / Indices »Die Bereicherung gegenüber Naucks bewunderungswürdigem Werk zeigt sich in den DidaskaUen, den Testimonia zu Leben und Kunst der Dramatiker und natürlich in den auf den neuesten Stand gebrachten kritischen Apparaten. Zu den 216 sich auf rund neun Jahrhunderte verteilenden Dichternamen (49 Dramentitel waren Nauck noch unbekannt) kommen noch 52 nach dem Urteil des Herausgebers fiktive bzw. zweifelhafte Namen. Ein Arbeitsmittel liegt vor, bei dem sich eminente Sorgfah und Gelehrsamkeit mit der größten Übersichtlichkeit präsentieren.« Anzeiger für die Altertumswissenschaft

Vol. II: Fragmenta Adespota · Testimonia Volumini 1 Addenda • Indices ad Volumina 1 et 2 Editores Richard Kannicht et Bruno Snell 1981. XIX, 453 Seiten, Leinen Der Zweite Band der TrGF enthält eine neue Sammlung derjenigen Fragmente und Zeugnisse, die sicher oder mit hinreichender WahrscheinUchkeit der griechischen Tragödie, nicht aber einem bestimmten Autor zugewiesen werden können. Die Sammlung umfaßt alles literarisch und inschriftlich, auf Bildkunstwerken und auf Papyri überlieferte Material, soweit es den Herausgebern bis 1980 bekannt geworden ist. Unter den Papyrusfragmenten werden einige Stücke hier zum ersten Mal veröffentlicht. Der Band enthält außerdem einige Ergänzungen zu Band 1 sowie die vereinigten Register zu den Bänden 1 und 2, darunter vollständige Titel-, Namen-, Wörter- und Quellenverzeichnisse.

Vol. IV: Sophocles Editor Stefan Radt (F 730 a-g edidit R. Kannicht). 1977. 731 Seiten, Leinen Continentur in hoc volumine: Testimonia vitae atque artis / Deperditarum fabularum fragmenta: Fragmenta certis fabulis adscripta - Incertarum fabularum fragmenta - Fragmenta dubia et spuria / Indices: Supplementum lexici Sophoclei - Index fontium - Comparatio numerorum (gekürzt) Der Band enthält außer sämtlichen zitierten und auf Papyrus wiedergefundenen Resten der verlorenen Dramen des Sophokles auch die Zeugnisse über Sophokles' Leben und Werk; dazu ein Supplement zu dem Sophokles-Lexikon von Ellendt-Genthe, ein Quellenverzeichnis und Zahlen-Konkordanzen zu den Ausgaben von Nauck und Dindorf (nach der letzteren werden die Sophokles-Fragmente in dem Lexikon von Ellendt-Genthe zitiert).

In

Vorbereitung:

Vol. III: Aischylus Editor Stefan Radt

Vol. V: Euripides Editor Richard Kannicht

yandenhoeck& Ruprecht in Göttingen und Zürich