Oliver Goldsmith: Ein Gesamtbild seines Lebens und seiner Werke [Reprint 2019 ed.] 9783111496726, 9783111130552

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Oliver Goldsmith: Ein Gesamtbild seines Lebens und seiner Werke [Reprint 2019 ed.]
 9783111496726, 9783111130552

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Vorwort
Oliver Goldsmith. Ein Gesammtbild seines Lebens und seiner Werke

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Oliver Goldsmith

Ein

seines Lebens nnd seiner Werke

Johannes Rarsten.

Straßburg. Verlag von Karl I. Trübner. 1873.

Buchdruckerei von G. Otto in Darmstadt.

Vorwort. Der Versuch, dem Dichter, dessen Andenken die nach­

folgenden Blätter gewidmet sind, die Antheilnahme des lebenden

Geschlechtes zuzuwenden, bedarf gewiß weniger einer Bevor­ wortung, als der Umstand, daß bisher Niemand sich veranlaßt

gefunden hat, auf den wahrlich nicht am wenigsten berufenen Vermittler zwischen beiden Völkern in seiner ganzen Bedeut­

samkeit hinzuweisen.

Da immer noch keine der Aufgabe ge­

wachsene Kraft aufzutreten scheint,

um dem

Schöpfer des

„Landpredigers" die Stelle, welche er in unserer Bewunderung entnimmt, in unserer Pietät zu erobern, glaubte ich, in Er­

mangelung eines Befähigteren, dieser Aufgabe mich uitterziehen zu dürfen. Die Frucht meines Entschlusses ist das vorliegende Buch.

Es mag für sich selbst reden, — wenn eS kann! Zwei anscheinende Willkürlichkeiten erlaube ich mir in

ihrer Berechtigung zU begründen:

Die beiden größeren Gedichte sind mit in den Text aus­ genommen worden, anstatt als Anhang angefügt zu werden.

IV Goldsmith war eine so eigengeartete Natnr, daß bei ihm der Dichter vollkommen int Menschen, der Mensch vollkommen

im Dichter aufging.

Seine poetischen Schöpfungen bilden

mehr oder weniger unlösbare Bestandtheile der Biographie, weßhalb jede räumliche Absonderung sich von selbst verbietet.

Beim „verlassenen Dorf" habe ich das Metrum geändert. Diese Poesie erinnert, was Anlage und Ausführung betrifft,

in ihrer ersten Hälfte auf das Ueberrafchendste an ein bei unS längst eingebürgertes Gedicht :anMatthissons „Kinder­

jahre"

ES scheint fast, der

Deutsche habe dem Engländer,

den er allerdings nur int Wohllaut der Form, nicht in der

Wucht des Gedankens erreicht, nachahmen wollen. für

den

Kenner

einen

bekannten

Schauplatz

Um nun

herzustellen,

gewissermaßen den Accord anzuschlagen, der uns vom „verlasscnen Dorfe" her entgegenklingen soll, — dem Nichtkenner

ein Juwel der deutschen Lyrik zuzuführen, — glaubte ich,

mit Rücksicht gegen die Dichter

beider Nationen in diesem

Falle vom Originalmetrum abweichen zu dürfen.

Die gereimten Beiträge zur Natur erscheinen, meines Wissens,

„Biene"

epigrammatischer

hier zum erstenmale im

deutschen Gewände.

Stuttgart, am 9. Mai 1873.

DaS achtzehnte Jahrhundert, als ein auf allen geistigen

Gebieten bahnbrechendes, verdient, wollen wir unS selbst in unserem idealen Besitze verstehn, unsere ganz besondere Kennt­ nißnahme. Die Elemente und ersten Anregungen dessm, worin

wir in einzelnen Zweigen der Kunst und Wissenschaft so Un­ glaubliches errangen, verdanken wir England.

1614 hatte

Napier die Logarithmen, 1619 William Harvey den Kreislauf deS Blutes, später Newton das Gesetz der Schwere

entdeckt; und wenn auch diese Männer zum Theil int Keime

bereits Vorhandenes nur wieder aufgriffen, so gebührt ihnen doch daS unbestrittene Verdienst, was bisher nur als Ahnung

empfunden, als Wahrheit vermuthet war, zur wissenschaftlichen Unumstößlichkeit erhoben zu haben.

Newton hatte während

der Wirren eines sein Vaterland entvölkernden Bürgerkriegs

die scheinbare Willkür in der Bewegung der Weltkörper in Harmonie und Regel aufgelöst; wie unS einst durch einen

Apfel daS Paradies verloren ging,

war uns durch einen

anderen der Himmel gewonnen worden.

Locke zwang die

Gesetze deS Denkens, ihm Rede zu stehn, womit er eine Wissenschaft schuf, die Kant nach ihm zum vorläufigen Ab­

schluffe brachte; und diese Heroen der Forschung scheinen dm 1

2 Beweis zu liefern,

daß die Epoche einer Unhaltbarkeit aller

Süßeren Verhältnisse den Menschen zur Rückkehr in sich selbst um im eigenen Jnnerm daS im

zwingt,

Wechsel Bleibende

auszufinden, was eine später berphigte Welt zum Ersätze für

Verluste vergänglicher Natur

als

Erbe nur anzutretm und

fortzubildm braucht. -

Im

Jahre

1688 bestieg

dm englischen Thron,

läuterten

und

Wilhelm von Oranien

gewährte dem durch Leiden ge­

Volke eine Verfassung, worin

Burke die Bürg­

schaft des Besitzes und der Freiheit in einer Vollständigkeit erkannte, daß er sie in ihrer Grundlage nicht angetastet, son­

dern nur die Mängel, welche an jeder menschlichen Institution

jede fortschreitmde Zeit nachweist, schonend entfernt, und durch

Verbesserungen, die sich als solche herausstellen würden, mit Vorsicht ersetzt wisien will. tischen

Mit diesen Anfängen eines poli­

und idealen Grundkapitals

Jahrhundert.

hatte ihren natürlichen

handeln gegen

trat England

in'S

neue

Die übertrieöme Sittenstrenge der Puritaner Rückschlag im zügellosestm Zuwider­

Zucht und

Sitte

gefunden.

Das Oberhaupt

des Staates war in der Beziehung mit aufforderndem Bei­ spiele

in

genialster Weise vorangegangm; vom eigentlichm

Kern des Volkes indessen,

vom besseren Mittelstände dieser

verführerische Wechsel nicht angenommen, sondem das Vor­ recht einer so traurigen

Berühmtheit bei der Nachwelt willig

jmem Schlage von Leuten überlassen worden, die in der, jede Menschmwürde vernichtenden, Atmosphäre

eines Hofes zur

Vervollständigung nun einmal nothwmdig sind.

Auch von

diesem Rausche einer zum Cultus erhobenen Sinnlichkeit hatte man sich beim Regierungsantritte der bigotten Königin Anna

(1702) längst zu erholen begonnen; und so war überall der

Boden vorbereitet, worauf das Nme, diesmal zugleich das

3 Gute, gedeihen konnte.

Zwar stand man mitten wieder in

einem Kriege, aber er wurde außer Landes geführt; es handelte sich nicht um nächste Interessen; die Erbschaftsfrage eines

verfallenden Königthums auf dem Kontinente kam in Betracht;

und England war durch einen Feldherrn vertreten, der, mag sein Privatcharakter vom Vorwurfe schmutzigen Geizes nicht freizusprechen sein, trotz seiner politischen Farbe als mili­

tärisches Genie den Ruhm der Nation in einem Grade er­ höhte, den selbst seine GesinnungSgegnkd bewundernd aner­

kannten.

Die Vorgänge des spanischen Kriegs eigneten sich

vorläufig mehr zum Gegenstände harmloser Satire als ernster

Sorge, — und zu einem sich Aussprechen, zu einer Neigung,

sich belehren, sich bilden zu fassen, das schwererkaufte Gut

einer gesicherten Lage in seinen Vortheilm zu empfinden, gab sich ein Hang in allen Elasten der Gesellschaft kund, dem

auf die dürftige Weise, wie bisher, nicht mehr genügt werden konnte.

Zwar seit fast hundert Jahren waren Zeitungen er­

schienen, die indessen wenig mehr bedeutetm, als die natürlichen

Uebergänge der dürren Chroniken des Mittelalters in eine wöchentlich einige Male verabreichte Miniaturchronik.

Man

erfuhr die Thatsachen rein objektiv als solche; auf die Logik in dm Vorgängm, wie ein Berufner dieselbm dmkmd auf­ faßt, hatte noch niemand hingewiesen.

DaS Gezänk der Puri­

taner im vergangenen Jahrhundert fand zwar entsprechendm

Ausdruck in Flugschriften; aber diese Flugschriften waren ebm nur Gezänk; Meinung stand gegen Meinung, der ver­ mittelnde Dollmetscher fehlte.

AIS die große Frage von der

unumschränktm Gewalt der Könige mit dem Haupte ihres

eigmsinnigsten Vertreters königlich gefallen war, hörten damit die Unerledigtheiten in Bezug auf die Verfastung nicht auf;

daS absolute Parlament verrieth Gelüstm, den absoluten König 1»

4 zu ersetzen, den eS verdrängt hatte, und die Grenzen der ver­

fügenden und ausübenden Gewalt verschoben sich bis zu einer

so bedenklichen Ausdehnung, daß man später der JuniuSbriefe

und Edmund BurkeS bedurfte, um sich vielleicht durch beide unerschrockene Wahrheitsredner einen Bürgerkrieg erspart

zu sehn.

Diese größten Jntereffen eines großen Volks waren

allerdings immer in Rede und Schrift in den später eigends

zu ihrer Wacherhaltung und

Bekämpfung in

Form von

Tagesblättern herattgebildeten Organen vor die Oeffentlichkeit

getreten; aber, waS unS anregt, ohne unö aufzuregen, ästhetische Fragen, die Spiegelung unseres inneren Lebens, und unseres äußeren im Verkehr mit anderen, in freien Schöpfungen der

Phantasie: die in zweiter Reihe ebenfalls zum Ringen nach

Ausdruck berechtigten Elemente im Menschen, entbehrten einer ihnen vorzugsweise zugewandten Pflege bis zum Jahre 1709, wo Richard Steele in der von ihm zum zeitgemäßesten

Zwecke geschaffenen Wochenschrift, im Tat!er mit humanem

Scharfblicke einen Zweig der Literatur einzuführen begann,

der nach und nach sich bis zur Novelle, bis zum Roman er­ weiterte.

Er hatte das Glück, in Addison einen Mitarbeiter

zu erhalten, dessen Ueberlegenheit er mit rührender Anerken­

nung eingesteht.

Der Taller geht scheinbar ein, gewinnt

aber unter dem Namen Speetator durch die Beiträge beider Männer und jüngerer sich an ihnen heranbildender Talente erst einen fördernden Leserkreis, dann ein Publikum, zuletzt

die Nation. Einen Schatz von Witz, Humor, faßlicher Philo­ sophie und Kleinmalerei des Bürgerthums in seiner charakte­ ristischen Würde und Drolligkeit enthalten diese Blätter, worin

der geringe Mann sich selbst kennen und achten lernte: eine Wohlthat, die er nach einer Periode in Folge der Kriege

aufgehobenen Familienlebens doppelt

als solche empfinden,

5 die Rückkehr ihn in

und die ihn wünschen lassen mußte, seinem neuen

Besitze

gefährdender

Zustände

Andere Zeitschristm folgten:

wissen.

vermieden

zu

„der Vormund", „der

Schon ihr Titel deutet an, ihr

Engländer", „der Liebende".

Zweck liege außerhalb der Politik.

Nach einer Pause frei-

willigen, auf die Neuerungssucht und Uebermüdung deS Publi­ kums berechneten, Schweigens spricht der

Spectator das

letzte Wort, und — behält es, dmn einen Addison auf

diesem Gebiete ersetzen zu wollen, mochte sich Keiner berufen

fühlen.

Schon eine kurze

Inhaltsübersicht dieses

Blattes

genügt zur Ueberzeugung von der Reichhaltigkeit des darin verarbeiteten

jeder

Materials.

charakteristische

Jede

Vorgang,

Mode,

jede

Tagesthorheit,

jeder Geschmackswechsel

in

Kunst und Literatur, jeder augenblicklich von sich sprechen

machende Name, daS ganze Weben und Treiben der großm

Stadt bis in feine unscheinbarsten Abzweigungen erhält das rechte

Licht in einer

worben ist.

Sprache,

die noch kaum übertroffen

Der Inhalt der einzelnen

Spectatornummern

wird als UnterhaltungSbedürfniß einem kleinen Kreise von Freunden in den Mund gelegt, welcher aus den verschieden­

artigsten Personen besteht; dieser novellistische Rahmm ersetzt gewissermaßen die Handlung.

Jeder spricht sich in der ihm

eigenen Denkart au»; und da» einige Jahrzehnte später unter

Johnsons Vorsitz sich bildende literarische Schiedsgericht,

was, aus den hervorragendsten Pflegern der geistigen Inter­ esten erwachsm,

als Clubb so gewaltig bestimmend eingriff

in Geschmack, Kritik und Kunst, ist, im Grunde genommen,

nichts anderes, als die der Zcitrichtung angepaßte Zurück­ übertragung der fingirtm Personen

Leben.

deS

Spectator in'S

WaS hier in der Wirklichkeit eine so weitreichende

6 Bedeutung gewann, hatte im Buche schon seine Schatten vorauSgeworfen. Der im Spectator berührte Grundton fand zu allge­ meinen Anklang, als daß ein Schriftsteller, der im horazischm Sinne auf seine Landsleute zu wirken gedachte, sich über die Richtung Hütte irren können, in welcher ihm die meiste Sym­ pathie entgegenkam. Richardson wußte, was er wollte, ahnte aber vermuthlich nicht, was er veranlaßte, als er es vorzog, den Menschen lieber in inneren Kämpfen, als in äußeren Erlebnissen literarisch zu verwenden. Er wurde durch seinen Vorgang der Schöpfer deS FamilienjammeyS im Buche und bereicherte die Literatur mit einer Unzahl Thränen, von denen die wenigsten zugleich Perlen waren. Seine drei großen Romane: Pamela, Clarissa, Charles Grandison sind als Erstlingswerke in einer Gattung, die aufgefunden zu haben ein ewiger Ruhm bleibt, von unberechenbarem Erfolge gewesen. Besäßen Richardsons schöpferische Anhänger deffen Talent, selbst mit Zugabe seiner Fehler, er würde ver­ muthlich im Vergleiche etwas verlieren, dadurch aber auch dem ungerechtm Schicksale entgangen sein, die Auswüchse seiner Richtung verantwortm zu müssen. Er schildert mit hinreißender Beredtsamkeit tugendhafte Seelm in gefahrvollen Lagen; nur bringt er seine Kenntniß deS menschlichm HerzenS leider mehr nach den Regeln der Etikette zur Geltung, als nach denen deS Geschmacks; eine ganze Reihe von ihm ge­ schaffener Charaktere sind Typen geworden, woran der NachahmungSttieb durch ihn angeregter jüngerer Talente erlahmte; aber diese Lichtpunkte werden durch eben so große Schatten­ seiten aufgehoben. Vor allem ist der Vorwurf der Richard son'schen Romane ein zu beschränkter. Einzelerlebniffe, noch dazu der gewöhnlichsten Art, um die sich, wie der Chor in

7 der griechischen Tragödie, die ganze Verwandtschaft: Väter, Mütter;

Onkel, Tanten;

Cousins, Cousinen; Großeltern

väterlicher- und mütterlicherseits bewundernd oder mißbilligend gruppiren, wirken auf die Dauer monoton, und man könnte

sagen, ein so mittheilungssüchtiger Seelenschmerz schmecke nicht nach Ergebung.

Wenn trotzdem Richardsdn eS versteht,

unS mit dem zahlreichen Familienkreise seiner Dulderinnen

dauernd zu befreunden, so beweist daS nur die Meisterschaft in der ihm eigenen Gabe, zu schildern, zugleich aber auch die

Gefahr der Fortpflege seines Genres durch Unberufene.

Ein

wichttgeS Moment der Erklärlichkeit von Richardsons Er­

folgen liegt in dem Umstande, daß er sich innerhalb der

bürgerlichen Kreise bewegt.

Auf die Art rücken die Schicksale

der betreffenden Personen unserem Verständniffe näher, und

auf feinstem Wege wird unserem EgviSmuS dadurch geschmeichelt, daß wir uns als Gegenstände einer Theilnahme wahrnehmen, für die man bisher an fürstliche Häupter oder an die farb­ losen Gestalten einer unmöglichen

wurde.

UnschnldSwelt verwiesen

Die unS in so lockender Form aufgedrungene Be-

deutsamkeit erhöht unsere Selbstachtung '; und mit diesem neuen

Gefühle einer gewonnenen Wstrde glauben wir unS nicht nur als Einzelmmschen, sondern auch als Angehörige eines poli­

tischen Körpers in besserem Rechte; wir werden geneigt, die

unS in der Literatur eingeräumte Stellung auch im Staate zu beanspruchen.

Der andere Fehler Richardsons ist das

geflissentliche Hervorheben eines moralischen Prinzips, dessen Apotheose sich aus jeder Seite herausliest.

Titel des ersten

Romans „die

Schon der zweite

belohnte Tugend" war in

dieser Hinsicht ein doppelter Mißgriff; eineötheilS antizipirt derselbe den AuSgang, und andererseits die Absicht.

Der

Hohn und Spott, dem die durch Richardson in die Lite-

8



ratur angeführte bürgerliche Msäre später in der Kritik verfiel, trifft nur die Ausartungen auf diesem Gebiete. Man vergesse nicht, daß Richardson durch seine Neuerung uns au» einer Spähre der Ungeheuerlichkeit und Unwahrheit von Prinzm und Prinzessinnen loSriß, die allein in einem Ro­ mane zutrittsfähig waren, um uns im Spiegel der Dichtung uns selbst, vielleicht etwas zu gründlich, zu geigen. Er be­ gann erst in feinem fünfzigsten Jahre als Schriftsteller aufgutreten; ein Umstand, der ihm für seine Seelengemälde in dem günstigen Vornrtheile einer gereiften Lebensanschauung zu statten kam. Richardson bot zu viele Blkßen, und eine in ihren Eonsequenzen zu gefährliche Moral, um nicht schon bei Leb­ zeiten eine Gegnerschaft Hervorrufen zu müssen, durch die er sich ein neues Verdienst um die Welt erwarb. WaS er un­ wissentlich durch die Trivialitäten geschmackloser Nachtreter verschuldete, hat er wissentlich dadurch wieder gut gemacht, daß er sich Fielding als Feind und damit der Literatur einen Heroen gewann, der sich im Kampfe gegen ihn erst kennen, und, waS die Hauptsache ist, erst aussprechen lernte. Diesem Zusammenhänge verdanken wir Fielding» Muster­ romane: Joseph Andrew», Tom JoneS und Amälia. Die moralische Hohlheit mancher Charaktere Richard­ son», an deren Tugend wir nur auS dem Grunde glauben, weil sie von nichts anderem reden, bewog Fielding, diesen zum Beweise eine» Satzes der Sittenlehre gelassenen Wesen Menschen gegenüberzustellen, die sich nicht fortwährend über­ wachen; die dadurch, daß sie in ihrer Natur sich ausleben, niemals der Unnatur verfallen, und ihre Thorheit entweder als solche nicht erkennen; oder, wenn es geschieht, Geltung für dieselbe beanspruchen. Diese mit Richardson» Beherr-

schung der Sprache in Aufnahme, gebrachten Grundregeln,

mußten ihn, dessen Manier sie verdächtigtm, gefährden; ihn zu verdrängen war unniöglich, weil die Mehrzahl es immer

bequemer finden wird, sich für die kampflose Tugend eines Gran dis on,

als für die Nachsichtsbedürftigkeit der Fiel­

ding'scheu Heldm zu entscheiden; Richardsons Personen übertreiben im Cultus der Moral; Fieldings

Charaktere

lassen sich ohne Uebertreibung gehen; Richardsons Menschen

werden durch theoretische Erfahrung klug, Fieldings durch

praktische, das heißt durch Schaden; sie folgen im Verlaufe

der Handlung der immer verständlicher redenden Stimme des GewiffenS und gelangen nach Irrungen an'S Ziel; auf sie vor allen ist der Göthesche Spruch anwendbar:

Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich de- rechtm Weges wohl bewußt.

Dabei hat Fielding die Anmuth in der Erfindung voraus, und eine an ungesuchten Ueberraschungen reiche Fabel. Der Kampf beider Männer war kein kleinlicher Neid, sondern

ein Streit der Gegensätze, ihr Haß instinktiv.

Sie personi-

fizirten nachträglich in sich die beiden maßgebenden Gesin-

nungSrichtungen des verflossenen Jahrhundert»; Richardson die Tugendkoketterie der Puritaner, Fielding in wünschenS-

werther Idealität den Leichtsinn am Hofe Carls II. Smollet in seinen Romanen hat mit Fielding die

Gabe, drastisch zu schildern, gemein; erreicht aber entschieden

dessen Beherrschungsgewandtheit nicht, wo eö darauf ankommt, cinnt Stoff nach allen Seiten hin auszunutzen.

Fielding

lenkt die Schicksale seiner Helden, ohne die Fäden zu ver­

lieren, verwirrt und entwirrt ungezwungen Smollet

höheren

häuft unvermittelte

Ereignisse,

Claffen der Gesellschaft in

ihrer

und sinnreich; weiß

aber die

die kaum über-

10

wundene noch überbietenden Lasterhaftigkeit mit einer Treue und in so brennenden Farbm zu portraitiren, daß seine Schilderungen al- Sittenbilder der Culturgeschichte eben so gut angehören, wie dem Roman. Sterne läßt im Gegentheile die -Geschöpfe seiner Einbildungskraft, welche er uns als Menschen aufvringt, nicht- erleben, sondern nur fortwährend sich selbst bespiegeln; in Folge wovon dieselben einer rührenven Hülflosigkeit dem praktischen Leben gegenüber verfallen, wofür sie das Verständniß zu verlieren beginnen. Ihr sich Genügen ist nichts wmiger als das Entsagen einer großm Seele, son­ dern bei dm meisten nur die von vorn herein abgewiesme Aufnahme der Pflichten eines in Handlung tretenden Daseins. Dadurch bekommen diese Gestalten ein fast pathologisches In­ teresse, um das menschliche zu verlieren; ein Mangel der ihre Beliebtheit in den Tagen der Gefühlsschwelgerei erklärt; die dereinst als Tiefe allgemein bewunderte Verworrenheit ihrer Gedanken sicherte dem in Rede stehenden Tristram SHandy seine Erfolge. Das Buch blieb unvollendet. Ein geachteter Zeitgenosie sagt: „ES ist unmöglich, diesen Roman zu lesen, und nicht vor Langerweile umzukommen. Der Autor erinnert, aber nicht zu seinem Vortheile, an Tom d'Urfey, welcher von Anna 50 Guineen dafür erhielt, weil er ihr vorsang: Die Krone nicht macht sich auf Schultern von 80.

womit er die letzte Stuart auf dem Throne scherzhaft darüber zu bemhigm versuchte, daß ihre voraussichtliche Nach­ folgerin in England nicht Sophie, die Kurfürstin Wittwe von Hannover sein werde. — Eine Dame, von Sterne, befragt, ob sie sein Buch gelesen habe, verneinte, und entschuldigte sich,

11 als der ytls Verfasser sie erstaunt anblickte, mit der Ver­ sicherung, eS sei ihr als von einer für Frauenzimmer nicht paffenden Lecture davon abgerathen worden.

Sterne er­

widerte: „Mein Roman ist vollkommen unschuldig, Madame! so unschuldig, wie ein Kind,

dadurch beweist,

daß eö

welches seine Unschuld eben

Gegenstände dem Auge der Welt

bloßstellt, welche Erwachsene verborgen zu haltm pflegen". Jedenfalls versteht Sterne, seine Unschuld eben so naiv zu

verstecken, wie das Kind dieselbe zu zeigen.

„Er spricht", so

fährt der Kritiker fort, „in Räthseln, und schickt unS

am

Schluffe mancher Kapitel zu Bette, um über ihre nicht selten zweideutige Lösung nachzudenken. lichsten

Er redet mit der unerbitt­

Weiffchweifigkeit von sich und seinen

Angehörigen,

und seiner Würde und der seiner Mutter; verachtet Alles, sich ausgenommen, und lacht, ohne zu wissen, warum? Adieu!"

Einen gewissen ParalleliSmuS zum englischen Romane

bietet, späterhin wenigstens, die das Theater betreffende Lite­ ratur.

Unter der Vielherrschaft der Puritaner war natür­

licherweise die Bühne geschlossen, und eine der ersten reaktionärm Regentenhandlungen Karls II. bestand in der maß­ Freigebung

losesten

hatte

in

der

dieses

wichtigsten

aller Institute

Wie aber dieselbe wieder aufnehmen?

Geschmackspflege.

das

Tragödie

ShakeSpereS,

und

die

ewig

Kriege

mustergültige

der

Man

Vorbild

mit Frankreich drangen

gewiffennaßcn die Nothwendigkeit auf, alle von dorther sich

geltend machenden Einflüsse auf diesem Gebiete abzuweisen. Trotzdem glaubte man, und in einer Beziehung nicht mit

Unrecht, Vorgänger, wie Racine, Corneille und Mo­ li öre, der

in seinem

Geizigen eine eben so

erschütternde

Tragödie lieferte, wie irgend einer der Heroen der Weltlite­ ratur, brauchten nach

Kräften nur nachgeahmt zu »erben;

12 ohne andererseits zu bedenken, daß eben diese Behcrxscher der Bühne schon in der Wghl ihrer Stoffe, geschweige in deren

Anlage einem Hofe, und, was von vorn herein blinde Fort­

bildung

anderswo

ausschloß,

dazu

noch

Hofe Lud­

dem

wigs XIV. Zugeständnisse zu machen genöthigt waren, die mit Bedauern vermuthen lassen, was sie ohne diesen Zwang

conventionellcr

Rücksichten,

übrigens

Moliäre

den

in

genialster Weise zu umgehen verstand, hätten schaffen können.

In

England wurde Dry den der Reformator der Bühne,

und die mannigfachen Versuche des gewissenhaften Mannes

erinnern ans komische Mode veränderten

Art an den

Wechsel der

nach dem

Hut in der Fabel unseres guten Gellert.

Anfangs weist er

jede Anlehnung an Shakespere,

selbst in Geringfügigkeiten, mit Abscheu ab, dann findet er,

seine dürftigen Copien der, wegen ihrer geschlossenen Form zum Muster genommenen, französischen Tragödie erhielten ein

belebendes Element durch die Einführung Shakespere'scher Geister, mit denen er demgemäß ohne Shakespere'schcm

Geist

schattenhaften

Versuche

anstellt;

bald

genügen

ihm

diese

Attribute nicht mehr, und er vermuthet ein

Rettungsmittel im

Schlachtenlärm,

in

den

Pauken

und

Trompeten des Schöpfers der Bühne aller Nationen, in Folge wovon von nun an die Dryden'schen Beiträge zum Un­ geschmack

mit

Trompeten-

und

Paukenbegleitung

glanzvoll wie spurlos zu Grabe getragen werden.

eben

so

Jetzt wird

der Reim für ungereimt gehalten und verschwindet aus den

Stücken Drydens

ernster Natur; im Lustspiele hatte er

überhaupt nur die Abgänge wirksam machen dürfen; (eine

Funktion, worin er heutzutage durch das stärker angestrengte

Stimmorgan der Mimen ersetzt wird) oder war in den Epilog verbannt.

Als auch damit wenig gewonnen wurde, entdeckte

13 Dry den, daß die Mannigfaltigkeit der menschlichen Natur, je nachdem dieselbe im Ernst oder in der Laune, durch Helden oder ClownS sich äußere, am besten in reimlosen, gelegentlich durch die Prosa des Lebens und der Personen unterbrochenen, ShakcSpereS Vorgang zur Brrsinnlichung

Versen nach

komme; auf einmal wird ihm wieder klar, matte Scenen ließen sich heben durch den Reim am Schluffe, lebhafte ge­

wönnen.

Nach einer Pause macht er in seinem „All for

love“ auch stofflich das Zugeständniß, nicht nur gekrönte, sondern selbst kronfähige Häupter seien, im Nothfall nämlich, ein dramatischer Vorwurf, und bricht, „Ende gut, alles gut!"

in einen schwungvollen Dithyrambus

Shakesperes aus,

der aus Eingebung, Form und Stoff, Leben und Wahrheit, kurz alles das gefunden und geschaffen habe, wobei er jetzt, nach erfolgloser Irrfahrt, als am verkannten Ziele wieder

angelangt sei.

Der ganze Gewinn dieses Suchens nach dem

dramatischen Canon war — die heroische Tragödie.

Sie

wurde später in ihrer Ausartung, wozu sie hinneigte, noch unter Dry den, vom witzigen Herzoge von Bolingbroke

in der Form der Luftspielsatire auf derselben Bühne, wo sie

geschaffen war, unschädlich gemacht; und Dryden benahm sich so klug, in den Beifall, welcher ihn vernichtete, mitein­ zustimmen.

Diese in ihrer Art einzige. Parodie führt den

Titel: „die Schauspielprobe"; der Autor und die in DrydenS Stückm paradirenden Helden ziehen hier in Parade auf, um in einer zu ihrem Abschiede werdenden Selbstkritik

sich dem Publikum zu empfehlen: ein um so bedeutsamerer Vorgang, weil er sich hundert Jahre später ähnlich wiederholt

zwischen der sentimentalen und Charakterkomödie unter O'Kelly und einem Namen, der noch zum öfteren genannt werden

wird.

14 Die genialsten Nachfolger des gewaltigen Mannes, an

dessen pedantische Größe

annähernd Gottsched in Leipzig

erinnert, nur daß des letzten tragikomische Würde durch einen

maßlosen Zusatz von Eitelkeit einen störenden Beigeschmack

erhält, waren Nathanael Lee und Thomas Otway,

von denen der eine einen Theil seines Lebens im Irrenhause

zubrachte, der andere halbverhungert starb.

Lee wurde bereits

vom Undank der Mitwelt vergessen, um so mehr ist es Pflicht

für die Nachgeborenen, mindestens in den Titeln seiner Tra­ gödien wieder an ihn zu erinnern.

Er schrieb „Theodosius"

oder „die Gewalt der Liebe" (ein Stoff, der die Neigung

des Kaisers dieses Namens zur Galla, der schönen Tochter einer schöneren Mutter behandelt; ihre Mutter war die Kaiserin

Justine, die Wittwe Valentinians L), ferner „Sophonisbe"

oder „Hannibals Sturz", „Gloriana"

oder

„der Hof des Augustus Cäsar", „die eifersüchtigen Köni­

ginnen" oder „der Tod Alexanders des Macedoniers", „Lu­ cius

Brutus",

„Mithridates",

„Constantin

der

Große", „Cesar Borgia", „die Bluthochzeit zu Paris" und

„die Prinzessin

von Cleve".

einem „AlcibiadeS",

einer

Otway lieferte außer

„Berenice", einem „Don

Carlos" seine beiden Hauptschöpfungen „die Waise" und

„das gerettete Venedig".

Die Fabel der Stücke ist beim ersten

abstoßend, beim zweiten dürftig;

aber sie sind mit einer für

die damalige Zeit bewuydcrnswerthen Berechnung der Bühnen­ effecte geschrieben, und einige Nebencharaktere von einer dra­

matischen

Prägnanz, daß sich

Repertoir rechtfertigt.

Otway

ihr

Forterhalten

auf dem

läßt, wodurch er die erste

Abweichung vom zum zweiten Male gewonnenen Shakes-

pere wieder einführt, in reimlosen Versen sprechen; mit

15 Ausnahme bei den Abgängen, wo er als kundiger Fachmann dm Reim nicht verschmäht.

Nach vem gewaltsamen

lenkte unter sittlich

Ende der

vorwurfslosen

heroischen Tragödie

Staatsoberhäuptern der

dramatische Geschmack schon währmd Wilhelm von Orani enS Regierung in eine Bahn, auf welcher er gewissermaßm

gegen seine frühere Liederlichkeit sich verwahrt.

An die Stelle

Angefochtene Frauen, die aus

der Frivolität trat die Moral.

Mißverständniß fehlen, oder, überrascht ihre Tugend verlieren, oder derm verweigerten Verlust mit dem Tode büßm, werden

ein LieblingSvorwurf berechneter Thränm.

Thomas Sou-

t her ne'S „innoeent adultery“, RoweS „fair penitent“ und

„Jane

Shore"

beuten

diese Fundgrube auS.

Schlüsse bekennt gewöhnlich ein Ueberlebeüder:

Am

„Wäre daS

und das nicht gewesen; hätte ich so oder so nicht gehandelt,

alles stünde anders!"

Der Gang der Fabel wird also auf

eine bedenkliche Weise vom Zufall im Menschm oder in den Verhältnissen abhängig gemacht, wodurch sie in ihrem Fata­ lismus mehrfach an die Schicksalsdramen der dmtfchen Bühne erinnern;

nur

daß in dm

letzten

wenig moralistrt wird.

DaS moralische Element ohne daS fatalistische vertritt am hervorragendsten Addisons „Cato". ist daS Stück auch so langweilig.

AuS diesem Grunde

ES errang trotz seines

Mangels an Handlung einen gewaltigen Erfolg,

röeil eS

durch den vom Autor geschickt verwertheten Stoff in antikem Rahmen die Kämpfe und Verschiedenheiten der beidm poli­

tischen Parteim in England fixirte. beiderseits.

Deßhalb der Beifall

Man kam auS dem Applaudiren gar nicht heraus;

in einem Augenblicke beklatschte man die Parole, worin man

sich und seine Richtung wiederzuerkennm sich einbildete, und

int folgenden die Stichworte für den Gegner.

16 -Daß dies Borwiegen der Moral auf dem Theater nur

den Uebergang in die Geschmacksrichtung bildete, wohin die­ selbe gehört, kann nicht befremden.

Ein solcher Wechsel ist

weniger daS Werk der Menschen, als eines in den Dingen liegenden Zwanges.

Jede Zeit wirft aus, was ihr nicht mehr

gefällt, oder genügt.

Jetzt endlich wurde auf der Bühne, und

zuerst auf der englischen, jenes Genre heimisch, welches sich neben den

größten

Trivialitäten der größten

Meisterwerke

rühmen darf: daS bürgerliche Drama, und von nun an laufen Richardson und Lillo, Cumberland und Fiel­

ding parallel.

Der Mensch im Beruf,

in der Ehe,

in

Krankheit, auf Reisen, der kämpfende, fallende und sich selbst besiegende Mensch usurpirt mit größter

Umständlichkeit die

weltbedeutenden Bretter; und so unerträglich diese Mart wird,

wenn sie sich darauf beschränkt, daS matte Leben unvermittelt zu copiren, zu so unabweisbarer Berechtigung erhebt sie sich,

sobald die Träger der schlichten, den Inhalt dieser Dramen bildenden

Vorgänge an einen

Meister gerathen,

Charaktere psychologisch zu vertiefen

Deutschen Jffland.

versteht,

wie

der seine

bei den

Stücke dieser Art, als in einer bestimmten

Zeitströmung befangen, verlieren mit dem Laster oder der

Mode, welche sie geißeln oder verherrlichen, oft die Verständ­ lichkeit für die bereits einem anderen Irrthume huldigende Nachwelt, und die Entschuldigung, womit das sie ablehnende

"Publikum sich um die Anschauung seiner größten dramatischen

Schätze bestiehlt, dergleichen sei nicht mehr zeitgemäß, besagt

im Grunde nichts, weil eine Schöpfung dieser Art, natürlich eine hervorragende,

sobald sie aufhört, an der Zeit zu sein,

historisch oder kulturgeschichtlich zu werden beginnt. Mit George Lillos „Kaufmann von London" begann das Drurylanetheater im Sommer 1731 die Mittel-

17 classe der Gesellschaft auf der Bühne dauernd einzubürgern.

Southern« und Rowe hatten schon die Könige durch dm hohm Adel ersetzt; im sich aufringenden Gmre spielt dieser

nur sich unterordnend als nothwendiges Uebel eine Rolle in

seiner Herablassung gegen das Bürgerthum, besonders da­

weibliche.

Der Londoner Kaufmann, ein dramatisirter Cri-

minalfall, begnügt sich indessm noch mit lauter Spitzbuben von gewöhnlichem Schlage.

Eins der besten englischm Lust­

spiele ist nach einem Gemälde HogarthS geschaffen; zum

George Barnwell scheint ein mit Leierkastenbegleitung abgesungeneS Mordgeschichtmbild begeistert zu habm; eben so

schreiende Farbm und eben so faustdicke Moral.

Aber gerade

dies greifbare Element sicherte dem Stücke, welches noch dazu dm Vorzug hatte, das schlechteste und zugleich erste seiner

Art zu sein, einen bisher nicht erlebten Erfolg.

Aesthcttsche

Kritiker hatten bei der ersten Vorstellung am zweiten Juli

unter der Zuschauerschaft eine gedruckte Ballade vertheilm lassen, woraus sich das Drama in mittelmäßigster Weise

zusammengesetzt haben sollte. richten.

Man konnte vergleichen und

Das Publikum warf im Verlauf der Handlung

die Ballade weg und griff nach dm Taschentüchem.

Privatlecture holen. nahm die

in

Die

Drurylane da« Manuscript zur

Königin ließ sich von

Achtunddreißig Abmde hintereinander

Thränm

aufgelöste

Menge die Moral der

Schlußverse mit nach Haus:

Ihr weint um den gefallnen Bruder hier! doch wißt: am würdigsten betrauern wir da- Leid, wodurch er Thränm fließen macht, vermeidm wir, was ihn zu Fall gebracht. Ein ähnliches Auffehn erregte 1753 „der Spieler" von Edward More, ein Stück ohne alle Handlung, aber mit 2

18 desto mehr Klagen und HLnderingm, und uns leider sym­

pathischen Menschen, weil wir in ihnen unsere ganze Erbärm­

lichkeit wiedererkennen.

MoreS Frau, die Tochter des Tafel-

deckerS der Prinzessinnen, heißt es, habe ihm bei der Arbeit

nur schade,

geholfen;

sie von ihrer naiven und

daß

des

Ausdrucks so fähigen Drolligkeit nichts als belebendes Ele­

ment in

das ängstliche

vermochte.

Stück deS

Gatten einzuschmuggeln

Von ihr stammt ein Gedicht an Miß Duck mit

folgendm Zeilen: Was werden von Jenny Sie denken, die ehrlich gesteht, daß sie wurde so maßlos begehrlich.

Denn hielte Millionm man lockend mir vor,

nicht wär' ich zufrieden, ich wollte nur More.

Sie fragen: Wer mich zu erobern gewußt?

ich scheide; kein hoffentlich kleiner Verlust! Er beginnt, an den ich meine Freiheit verlor, mit M

Wie er heißt? ich verrathe nicht

More.

Nach acht Vorstellungen war das Publikum müde,

die

Familie Beverley: Mann, Frau, Kind und Tante jammern zu hören, und sehnte sich nach besserer Kost.

Diese bot Richard Cumberland.

Er ist als Schöpfer

brillanter Charaktere, welche sich innerhalb einer anregenden

und vielseitigen Handlung bewegen, auch auf außerenglischen Bühnen heimisch; auf der deutschen war sein „Jude", als

es noch Charakterdarsteller gab, eine Lieblingsfigur.

Seinen

„Westindier" bürgerte Kotzebue bei uns ein; seine „Brüder"

wurden unter dem Titel:

„Das Blatt hat sich gewendet!"

für Deutschland von Schröder gewonnen, und diese Schröder'schr

Bearbeitung

wieder

von

Holbein überarbeitet als

„Pantoffel und Degen" ein gerngesehenes Stück. den Uebergang zum Lustspiel.

ES macht

19 DaS Lustspiel in seiner Bestimmung, ein Abbild der Zeit zu sein, mußte auS diesem Grunde in England, wo der

gesellschaftliche Ton ein so traurig noch weit unmittelbarer auf die

charakteristischer wurde,

Massen wirken,

als das

Drama, und um so mehr, weil man vor nichts zurückschreckte,

um die Demoralisation deS Volkes durch die der Bühne noch Die gebundene Form, welche die Würde der

zu überbieten.

Tragödie zu steigern beiträgt, fällt auf dem Gebiete der ko­

mischen Muse weg, und damit ein heilsamer Zwang, der, seiner Natur nach, auch jede stoffliche Ausschweifung erschwert.

Sobald daS Sittengesetz im Leben außer Kraft tritt, wird

Lustspiel

ein

nach dem Leben

künstlerischen

Ausartungen

verfallen, die schließlich alle Kunst vernichten müssen.

Die

englische Komödie unter Karl IL begnügte sich damit nicht,

Welt ohne Anstand zu zeichnen, wie

eine

sie war,

son­

dern ließ in einem alles vergrößernden Hohlspiegel sie sich

in

ganzen

ihrer

alte

Dry den,

denken kannte,

sittlichen

der,

Entstelltheit

er

wo

Erfolg

bevollmächtigte

Prostitution der Bühne.

durch

überschätzen. witterte,

seinen

kein

Vorgang

Der

Be­ zur

Schon manche Ueberschriften seiner

Komödien „wild gallant“ 1662—63, „the rival ladies“ 63,

„the

1690

love in a nunnery“

1672,

lasten über ihren Inhalt nicht in

„Amphitryon“ Auch

Zweifel.

RavenScroft gebraucht die Vorsicht, .in den Titeln seiner Stücke vor sich zu warn'en.

Bei

GeisteSkindern wie „the

London cuckolds“, „Dame Dobson" erräth man gleich,

weS Geistes Kind sie sind.

Die Immoralität war damals

politische Farbe, zu der sich nicht zu bekennen, gefahrdrohend wurde.

William Wycherley verschwendet seine proteuS-

artige Erfindungsgabe an sittlichen Schlamm, und CongreveS Lustspiele wären ohne diesen zeitgemäßen Zusatz

2*

20 Werke eines Meisters in der Intrigue, in drastischer Komik, Situationen aus Wycherlcy sind

im glänzendsten Dialoge

ohne den Grundton der Anstößigkeit, der sie vor einem sich

achtenden Publikum verbietet, später vielfach aufgegriffen und mit dem Erfolge, dessen Bürgschaft sie in sich tragen, zur

Geltung gebracht worden. William Congreves letztes Stück: „Der Lauf der Welt" erhielt, wenn dieser Ausdruck hier anwendbar ist, nur einen Achtungserfolg, weil er darin zum Besseren einlenkt.

Verstimmt rang er nachher sich nur

noch zwei dramatische Schöpfungen ab, in denen man ihn

kaum wiedererkennt: „Das Urtheil des Paris" und die Oper Semele

1707.

Das Maßloseste an Unsittlichkeit lieferte

eine Frau, Aphra Behn, welche den traurigen Erfah­ rungssatz bestätigt, daß das Weib in einer ihr zum Bedürf­

niß gewordenen Richtung energischer, und, ist dieselbe eine verkehrte, schamloser vorgeht, als der unerschrockenste Mann.

Es ist aber, um mit Shakespere zu reden

„nichts so schlecht, Daß es der Erde nicht besondern Nutzen brächt!"

So führte auch dies Entsittlichungssystem der Bühne eine Neuerung herbei, die, in ihrem ersten Anlasse abscheulich,

doch in ihren Folgen von der weitgreifendsten Bedeutsamkeit

zu werden bestimmt war.

Um das Element des Lüsternen

in den dramatischen Mißgeburten auf besonders raffinirte Art hervorzuheben, verfiel man auf den Ausweg, die Frauen­

rollen zuerst durch Mädchen zu besetzen, was in einer Zeit,

wo mit der Achtung vor der Sitte auch die Mißachtung des

Schauspielerstandcs in der öffentlichen Meinung sich zu ver­ lieren begann, die Zutrittsbereitwilligkeit des aus die Rück-

sichtSnahme moralischer Bedenken vorzugsweise angewiesenen Geschlechts zu einem Berufe erklärt, der damit vollkommen

21 umgestaltkt wurde.

Allerdings mußte die Darstellung nach

einer Sette dadurch an Naturtreue gewinnen; die Lustspiel­ dichter dieser Periode mutheten aber gerade den Fraum in den

Stücken die gewagtesten Situationen, und, worin Aphra

Behn wieder alle männlichen Rivalen übertraf, die unzüch­

tigsten Reden in den Epilogen zu; weil man der Meinung war, ein junges Mädchen, weiches Dinge spreche, die es noch nicht oder erst halb verstehe, wirke nur um so berechneter. Die Frau hatte also ihre Zulastung auf der Bühne mit der Verläugnung aller Weiblichkeit zu erkaufen; und ein bei gänzlich

veränderter Sachlage sich forterhaltendes Mißtraum gegen jede

der dramatischen Kunst sich widmende weibliche Kraft mag sich in diesem Zusammenhang« erklären, der, als man das

Bewußtsein desselben auS persönlicher Anschauung verlor, als Tradition sich fortvererbte, und der eS entschuldigt, wenn für

daS beleidigende Vorrecht, welches die herkömmliche Anschau­ ungsweise dm Schauspielerinnen in der freieren Auffassung

sittlicher Verhältnisse gestattet, diese in nicht seltenen Aus­ nahmen sich dadurch rächen, daß sie es — acceptiren. Der Bühne, die durch eine so anmuthige Bereicherung

deS Personals auch in ihrer Wirkung auf'S Publikum einen veränderten Charakter annehmen mußte, erwuchs in Folge

der

scandalösestm, daraus

entkeimendm

Consequenzm

ein

offener Gegner in der Person eines achtungöwerthen Geist­

lichen, JeremiaS Collier, welcher in einem mit englischer

Deutlichkeit geschriebmen Buche „a short view of the immorality and profaneneas of the stage“ die Rückanwend­

barkeit des Götheschen Ausspruchs beweist, daß ein Komödiant einen Pfarrer lehren könne.

Der Erfolg dieser polemischen

Schrift war eben so unmittelbar wie gewaltig.

Die Ange­

griffenen, die sich zu vertheidigm suchtm, stellten sich nur

22 noch mehr blos; der alte Dryden,' im Bewußtsein seines unbestrittenen Anspruch- auf die verständlichsten Anspielungen, fand gerathen, zu schweigen; und bei den von nun an für

die Bühne schreibenden Herom der Literatur, Farquhar

und Vanbrugh sind in Folge dieser Strafpredigt Sitte

und Wahrheit nicht mehr da- verspottete Prinzip, sondern da- siegende; während der bisherige Alleinherrscher, der Leicht­ sinn, in der folgenden Periode unter Cibber, Steele und Susanne Centlivre nur noch al- liebenswürdiger Ein­

dringling geduldet und dazu verwendet wird, eine Tugendlehre

verherrlichm zu helfen.

Da- Lustspiel ist also von einem Extrem in'- andere, zum Vortheil der Moral, aber nicht der Kunst übergegangen.

Die „goldne" Mitte war dem folgenden Geschlechte Vorbe­ halten.

Unter den genannten Trägern der moralischen und

der dieselbe anbahnenden. Richtung haben viele unmittelbar auf die deutsche Bühne eingewirkt.

Farquhar- „Reise nach

Rom" (a trip to the yubilee) wurde unter der Meister­ hand Schröder- trotz de- Verlustes ihrer verfänglichsten Einzeln-

heiten al- „Ring" ein immerhin noch bedenkliches Muster­ lustspiel; und Susanne Centliver- „busy body“ ist noch jetzt in einer Uebersetzung von Jünger unter dem Titel

„Er mengt sich in Alles", und in einer freien Bearbeitung

von Albini als „Endlich hat er'- doch gut gemacht", ein stet- willkommen geheißener Beitrag zur gesunden Erheiterung. Da- gereinigte

Lustspiel gewann nun nach der

Seite de-

Burlesken und Feiukomischen in Foot, Garrick, dem un»

durch

Kotzebues zweckentsprechende

Verkürzung in seiner

„eifersüchttgen Frau" bekanntm Colman und Sheridan

Anbauer und Pfleger, deren Namen den Höhepunkt degeistigen Aufschwung- auf diesem Gebiete bezeichnen, bi- e-



23 —

der sentimentalen Zeitströmung Zugeständnisse zu machen drohte, bereit Umsichgreifen abgewendet zu haben daS Verdienst eines Mannes bleibt, auf den diese einleitenden Zeilen nur vorbereiten sollen. Dieser Mann, welcher im Familienroman, in der von ihm mitgeschaffenen Charakterkomödie und in der poetischen Selbstbiographie, also in drei Literaturzweigen drei Einzelwerke lieferte, die in allen dreien an innerem Gehalt eine Bibliothek ersetzen, war

Oliver Goldsmith.

Oliver Goldsmith, Sohn des Pfarrverwesers in

Pallas, wurde am 10. November 1728 in der irländischen Grafschaft Westmeath geboren.

Die nächsten Verwandten

von Seiten beider Eltern gehörten dem geistlichen Stande an.

Ein näheres Eingehen auf die äußeren, ihn zunächst berühren­

den Ereignisse, insbesondere seiner Jugendzeit, ist um so un­ erläßlicher, da der spätere Dichter bei der Wahl ihm zu­

sagender Stoffe mit Vorliebe in die eigene Erinnerung, in die eigene Familie zurückgriff. Vieles,

Mit leichter Mühe ließe sich

ja das Meiste von dem,

was in Goldsmiths

Schriften durch Humor, durch Originalität, durch liebens­

würdige Lebenswirklichkeit'besticht, auf Selbsterlebniffe zurück­ führen, die schon deßhalb bei ihm charakteristisch ausfallen

mußten, weil er dem eigennützigen Treiben der Welt, unge­ witzigt durch Erfahrungen, in der Regel mit einer arglosen

Unbeholfenheit gegenübertrat, die seinem Herzen mehr Ehre machte, als seinem Verstände. Diese Gabe, sich genügen zu lassen, war schon seinen Vorfahren im weiteren Sinne als kampfloses Entbehren nothwendiger Ueberflüssigkeiten wohl zu

Statten gekommen beim Zwange äußerer Verhältnisse, der ihnen

in

Anbetracht des

bei

Landpfarrern

herkömmlichen

25 Kindersegen- sinnreiche Einschränkungen gebot, ohne sie andrer­ seits eine» gewissen, mit ihrem Stande verbundenen, Auf­ wandes zu überheben. Der alte Goldsmith verschmähte Reichthum; aber nicht aus äußerer, auS innerer, zur Wahl erhobenen Nöthigung; und diese Wahl war das Ergebniß einer gewissenhaftm Selbstprüfung. Oliver läßt sich und den Geschwistern vom Vater die Schätze praktischer Lebens­ weisheit folgendergestalt an's Herz legen: „Ich vermache euch kein Vermögen; trachtet nach dem, was besser ist, als Silber und Gold, nach Er­ kenntniß! Die ersten Menschengeschlechter wies das Gefühl ihrer Hülfsbedürftigkeit auf einander an, und dies durch bechätigteS Wohlwollen veredelte Gefühl ver­ klärte sich zur bewußten Humanität. Sie ist die Mutter aller Tugenden; haltet sie in Ehren! Jede Noth eueres Nächsten macht nach Kräften zu eurer eigenen! Habt Achtung vor dem edlen Menschenantlitze; auö ihm strahlt ein Abglanz Gotteö euch entgegen; haltet euern Körper in Zucht; er soll ein Tempel des Höchsten sein!" „So", ftigt Goldsmith hinzu, „empfahl unS mein Vater die Pflege einer in hülfreichem Thun sich bewährenden Nächstenliebe, indem er un- zugleich im Interesse unserer inneren Unabhängigkeit davor warnte, ihre thatsächlichen Er­ weisungen für unS selbst zu bedürfen. Wir wurden, um eS kurz zu fassen, trefflich angeleitet in der Kunst, auf eine Gott wohlgefällige Art einen Reichthum zu verwenden, dessen Besitz GotteS Gnade uns wohlweislich entzogen hatte. Der Zweck war unS heilig, aber der Weg zu den Mitteln blieb uns zeitlebens verschlossen". Ehe Oliver jedoch für diese eben so erhabenen als ein­ fachen, und eben so einfachen, als schweren Wahrheiten Sinn

26 und Verständniß, und vor allen Dingen die Gabe gewann,

sich über dieselben aussprechen zu können, hatte er in Lissoy, wohin sein Vater auf eine bessere Stelle versetzt wordm war,

eine Kindheit zu durchleben, aus der den zukünftigen Dichter zu prognostiziren

Niemanden einfallm konnte.

Die ersten

Elemente des Wissens verdankte er, dreijährig, einer MrS.

Elizabeth Delap, einer alten Dame, zu der die zarteste Jugend der umliegenden Orte aus der

ganzen Grafschaft

nach Lisso y wallfahrtete, um sich von ihr in die Labyrinthe

de- später für Jeden mehr oder weniger verhängnißvoll werbenbtn ABC einweihen zu lassen. UebrigenS setzte sie auf Goldsmith durchaus keine sanguinischen Hoffnungen, wenn sie auch noch als neunzigjährige Greisin mit gerechtfertigtem

Stolze bescheiden eingestand, sie habe den Grund zu Allem gelegt, waS aus ihrem Schützlinge späterhin geworden sei. Er blieb indeß ihrer pädagogischen

Gerichtsbarkeit nur so

lange unterworfen, bis er die beschwerliche Jrrbahn von A

bis Z glücklich durchlaufen hatte; allerdings lange genug, um sie zu einem aus gemächlicher Beobachtung geschöpften

Urtheile befugen zu können.

Dann ging er in die Hände

des DorffchulmeisterS, eines gewisien Thomas Byrne, über. Dieser Mann war in mannigfacher Hinsicht von weg­

weisendem Einflüsse auf GoldsmithS ganze geistige Rich­ tung.

In seiner Jugend, während der Kriege zur Zeit der

Königin Anna hatte er eS in einem spanischen Regimente

bis zum Quartiermeister gebracht, und später, nach einge­

tretenem Frieden nach Lissoy sich zurückgezogen, wo er, um existiren zu können, als seinen Beruf erkannte, der bildungSbedürftigen Jugend, wie sie a»S den Händm der alten Dame

hervorging, weiteren geistigen Proviant anzubieten.

Er über­

wachte mit eiserner Disciplin die Jntereffen seiner Würde;

27 ließ sich indessen nicht selten zu einem kleinen Streifzug in feindliches, wenigstens dem Lernen feindliche», Gebiet verleiten,

und trug Kriegsgeschichte vor, wo er die eigensinnigen Geheimniffe der Zahl hätte erschließen sollen.

Auch für die

Wundersucht seiner landschaftlichen Heimath, der er, als echter

Irländer, unbedingt anhing, suchte er in der Schule Propa­ ganda zu machen.

Der Uebergang von den Feeen und Geistern

zu einem materielleren, aber eben so wenig zu duldenden, Be-

völkerungöbestandtheile der Grafschaft, zu den Straßenräubern und Wegelagerern,

ergab sich ohne Schwierigkeit; und der

Lehrer fand nur zu willige Zuhörer; den willigsten in dem

Einen, der diese gefährliche Geisteskost nachhaltiger auf sich einwirken ließ, al» eS der Förderung seiner Erkenntniß in

den nächstliegenden Zwecken der Unterrichtsaufgabe zuträglich

erschien.

Goldsmith war mit allen irländischen Luft- und

Landstreichern vertraut, lange bevor er es über sich gewinnen

konnte, den Kreis seiner Jdeeen durch berechtigtere Gegenstände des Wissens zu erweitern. Mit seinem Takt vermied eS später der Dichter in einer

poetischen Schöpfung, die von Vielen für seine bedeutendste gehalten wird, die vorerwähnten Züge in ByrneS Charak­

teristik auszunehmen. WaS er von ihm auösagt, ist trotzdem noch originell genug, um einer unverdienten Vergessenheit nicht verfallen zu dürfen. Die' bezügliche Portraitzeichnung, durch die Goldsmith dem Sinne nach, und in den Schluß­

zeilen sogar wörtlich an HolbergS Schulmeister in EraSmuS MontanuS erinnert, trägt ein niederländisches Colorit;

man glaubt ein altes Gemälde zu sehn.

Hat Goldsmith

nun von Holberg entlehnt? Nein, Beide zeichneten nur nach der Natur, die zu Jedem, der die glückliche Gabe besitzt,

28 für unbefangen Beobachtetes den entsprechenden Ausdruck zu

finden, in der nämlichen Weise redet. Die Stelle lautet: „Das Haus am Weg, in den man seitwärts biegt, wo tauber Ginster um den Zaun sich schmiegt, die Schule war's. Dort weilte der Despot, der uns des Wissens Elemente bot. Er war ein strenger Mann, mit finst'ren Braun; ich kannt' ihn wohl; es war ihm nicht zu traun. Wir wußten stets, was sein Gesicht bedeute; ob gutes, oder schlechtes Wetter heute. Man lachte mit gedämpfter Lustigkeit zu jedem Scherz, verstieg er sich so weit; doch dräute sein bedeutendes Gesicht, so flüsterte man nur; man lachte nicht. Das ganze Dorf gestand, wie klug er war; er konnte lesen, konnte schreiben gar; er konnte Land vermessen; Ebb' und Fluth berechnen; was im Zeitenschooß geruht, im Voraus wußt' er'S; Alles prophezeit' er; selbst, wenn's nicht eintraf, prophezeit' er weiter. Durch fremde Wörter von gelehrter Länge trieb Bauern er und Pfarrer in die Enge; man staunte nur, wenn man verstummen mußte, daß ein so kleiner Kopf so Vieles wußte."

Indessen rückte der Augenblick heran, wo in Betreff des kleinen Oliver, der in den,großen überzugehen anfing, des Dichters Ausruf: „Da warst Du mein Zeitvertreib, goldne Phantasie!"

seine Anwendbarkeit zu

Lebens

nahm

verlieren begann.

ihn in Anspruch,

Der

Ernst

des

und zunächst war es ein

äußerliches Ereigniß, was ihn dem bedenklich werdenden Ein­

flüsse des vielbewunderten Pädagogen entzog. unschönes

Sein ohnehin

Gesicht wurde von den Blattern noch mehr ent-

29 stellt. Im Interesse deS Genesendm bot nun die Rathsamkeit eines Ortswechsels die Wohlthat des Vorwandes dar, Lehrer uiid Schüler zu trennen, und Oliver kam demzufolge zu seinem Oheim, John Goldsmith, und unter die Zucht des Schulvorstehers von Elp hin in der Grafschaft Ros­ common. Die ihm hier aufgedrungene strengere Wissen­ schaft vermochte den von Natur ohnehin Trägen durch nichtGewinnendeS mit ihr auSzusöhnen, so daß in diesem Punkte die Angehörigm seiner nächsten Umgebung vom Neffen nur daS dem wenigst Begabtestm Zugängliche erwarteten. Ein an sich unwichtiger Vorfall trug dazu bei, ihn im Urtheile der Menschm wiederherzustellen, und zwar auf einem Gebiete, wo man damals noch mit Vorliebe wünschen mußte, durch einm Träger desselben Namens auf sich aufmerksam zu machen. Im Hause von Olivers Verwandten hatten sich eines Tages junge finite zusammengefunden, die im Verlaufe des Beieinanderseins einen kleinen Ball improvisirten. Einer, NammS Cummings, spielte die Violine. Oliver, von der allgemeinm Fröhlichkeit mitergriffen, vergaß sich bis zu einem Solotanz. Auf seine eckige Figur, sein häßliches Ge­ sicht hätte er vermeiden sollen, die allgemeine Aufmerksamkeit unwillkürlich zu concentriren; wer indessen auS diesem Um­ stande sich zu dem Rückschlüsse verleiten ließe, er habe wenig­ sten- die negative Tugend besessen, nicht eitel zu sein, wäre in einer eben so großen Täuschung über ihn befangen, wie er eS in dieser Hinsicht über sich selber leider zeitlebens blieb. Der ihm aufspielende Verwandte nannte ihn scherzweise seinen Keinen Aesop, und Oliver, empfindlich getroffen durch bett Stich, unterbrach dm Tanz, und mtgegnrte, schnell gefaßt: Unser Herold hat thun Witz erreicht; Aesop tanzet, und sein Asse geigtI

30 Diese Replik eines neunjährigen Knaben wurde angestaunt. Der Affe, mit dem er sich später übrigens selbst oft genug vergleichen lassen mußte, bewog dm Oheim, bei den Eltetn

darauf zu dringen, daß für seine Ausbildung das Entsprechmde geschehe, und da der Vater der -Meinung war, der älteste

Sohn Henry, derzeit Student in Dublin, beanspmche zu seiner Subsistenz bereits, was den anderen Kindern — Oliver

hatte im Ganzen noch drei Brüder und vier Schwestern —, mit

gutem Gewissen entzogm werden könne, so setzte die energische

Mutter es bei Onkel Contarine, — natürlich auch einem Pfarrer, — der mit einer Schwester Goldsmiths, welche ihm etwas Vermögen zugebracht hatte, verhcirathet gewesen war, mit Erfolg durch, daß aus dessen weniger beschränkten Mitteln für den entdeckten Dichter ein Zuschuß versprochen wurde.

Contarine« Frau war rechtzeitig gestorben, bevor sie ihm mehr hinterlassen konnte,

als eine einzige

zweitm Ehe verspürte er keine Lust.

Tochter.

Zur

Auch verstieß er durch

diese Enthaltsamkeit nicht gegen evangelische Vorschriften, die nur den Rath ertheilen:

„Heirathen ist gut, Richtheirathm

ist besser"! vom Wiederheirathm indessen schweigen.

Er hatte

daS Gute genoffen, und begnügte sich jetzt mit dem Besseren. UebrigenS war es dieser humane

Mann, dem Gold-

smith die meiste Anregung verdankte: geistige sowohl wie materielle.

Von ihm unterstützt kam Oliver in eine Schule

höheren Ranges, nach Athlone, und später nach Edge-

wordStown, wo er Ovid und Horaz kennen lernte, für die er natürlich Vorliebe gewann. Befremdender ist, daß er sich vorzugsweise mit TaeituS beschäftigte, von dem man

hätte vorausfetzen sollen, er könne bei feiner schroffen, zum

angestrengtesten Denken auffordernden, Eigenthümlichkeit den denkfaulen Goldfmith weniger locken.

Henry, an den er

31 nach Dublin verworrene Briefe geschrieben hatte, Oliver

nämlich, gab ihm den beherzigten Wink, er möge, wenn er nur ivenig mitzutheilen wisse, dies Wenige wenigstens faßlich auszudrücken sich bemühn.

Auf einer von Oliver zu seinen Eltern unternommenen Ferimreise war ihm eines jener Erlebnisse vorbehalten, die er sich ansammeln ließ, um sie später in poetischer Abklärung

zu verwerthen. Ein Freund hatte ihm, damit er die ZehrungSkosten bestreiten'könne, eine Guinee gelichn, und int Besitze dieser allmächtigen Summe glaubte er, ihr entsprechend, auch

äußerlich auftreten zu müssen.

Er ritt gegen Abend in Ar-

dagh ein, und fragte einen Vorübergehenden vom Rosse

herab, wo man daS beste Unterkommen finde.

Der Ange­

redete nahm die Frage wörtlich, und wies ihn zum Herren­

sitze im Orte.

Goldsmith, in der Meinung, er sei in

einem WirthShause, benahm sich daselbst als zahlungsfähiger

Gast, und bestellte ein Abendessen, woran er Wirth, Wirthin und WirthStochter großmüthig theilzunehmen erlaubte.

Der

Besitzer des SchloffeS, Mr. Featherstone, war durchaus nicht der Mann dazu, die vom Leben ohnehin spärlich ge-

botenm Gelegenheiten,

das

Einerlei der Tage durch ein

launiges Intermezzo zu unterbrechen, entkommen zu laffen. Er ging mit den Seinigen auf Goldsmiths Irrthum ein, und nahm, als dieser sich zur Ruhe verfügte, dessen Befehle

für morgen entgegen.

Im Augenblicke der Abreise, wo Alles

sich aufklärte, beruhigte der Hausherr den erschrockenen Schüler durch die Versicherung, derselbe habe bei einem Jugendfreunde seines Vaters übernachtet, und er freue sich, den Sohn des in jeder Weise im höchsten Grade achtungSwerthen Mannes

auf eine so originelle Art kennen gelernt zu haben.

Gold-

smith stattete nach Jahren seinen Dank in einer Form ab,

32 die der Gastwirth wider einer der wirksamsten

Willen sich gefallen lassen konnte;

Scenen in dem Lustspiele „the mis-

takes of a night“ lag das Mißverständniß

in Arbagh

zu Grunde.

Henry, der zu so großen Erwartungen berechtigt hatte,

daß ihm in Folge seines hervorragenden Geistes ein ausge­

zeichneter Rang

als

kirchlichem

Würdenträger

Vorbehalten

schien, zog es vor, im ländlichen Stillleben einfachen Pflichten

zu genügen.

Er heirathete aus Liebe ein unbemitteltes Mäd­

chen, und errichtete eine Schule in der Nachbarschaft von des

Vaters Pfarrei.

Henry's Zögling, ein junger, aber ver­

armter Edelmann, übertrieb die Pietät gegen den Lehrer so weit,

dessen

Vorgang

auch

in Begründung eines eigenen

Heerdes nachzuahmen; er vermählte sich ohne Vorwissen beider

Familien mit Henrys

Schwester Catharine.

Der alte

Goldsmith soll mit dieser bequemen Art, eine Tochter los zu werden, nichts weniger als einverstanden gewesm sein, und

im Augenblicke der ersten Aufregung das junge Paar mit nichts

Anderem ausgestattet haben, als mit dem bekannten

Wunsche, den der greise König Lear seiner Goneril nicht

vorenthält.

Indessen stimmt ein solches Delirium so wenig

zum segnenden Berufe des pflichttreuen Vaters Goldsmith,

daß es fast den Anschein gewinnt, man habe bei dieser ro­ mantisch geschlossenen Ehe auch ihm seinen Theil Romantik

zudenken zu müssen geglaubt. Catharine, die, den Wunsch ihres Vaters nicht in Erfüllung gehen zu

lasten, schleunigste Gegenanstalten traf,

beeinträchtigte durch den übereilten Schritt ihren an der ganzen Sachlage schuldlosen Bruder, dem, da endlich der Zeitpunkt,

wo man ihn mit Anstand nach Dublin in's Colleg ent­

lassen durfte, herangenaht war, kurz und gut eröffnet wurde,

33 er könne dahin nur in der Eigenschaft eines Sizer sich be­ geben, d. h. eine» Studenten, der Unterricht und Kost durch Dienstleistungen nach Kräften vergütet.

Henry hatte, von

Hau» an» unterstützt, verglichen mit Oliver in einem ge­

wissen Wohlstände in Dublin leben dürfen; und an dem Letzten rächte sich auf diese Weise indirect seine träge Natur, seine Unlust,

zu lernen.

Wäre er früher abgangsfähig ge­

wesen, so tonnten auch ihm noch einige Sonnenblicke väter­

licher

Freigebigkeit zu

werden.

theil

Dazu erschienen die

zu leistenden Dienste um so demüthigender, weil die SizerS

als Diener der PensionerS galten, ihrer durch den zu­

fälligen Vorzug reichlicherer Mittel über sie erhobene« Alters­ Zum Ueberflusse waren noch die ersten durch eine

genossen.

unterscheidende Tracht,

also

förmlich

eine

Art

Livröe,

gekennzeichnet; ihr Amt bestand darin, bei Tisch die Teller der abgesondert essenden PensionerS zu wechseln, deren

Stuben zu fegen rc.,

und da

unter diesen

PariaS des

CollegS in der Regel die geistig Begabtesten, oft von einer höheren Rangstufe durch widrige Schicksale auSgestoßene In­

dividuen sich befanden, so läßt sich denken, wie entsittlichend eine so

schroffe Unterschiedenheit auf beide

mußte.

Aber dies Demüthigende einer verkehrten Weltord-

Theile wirken

ordnung im Kleinen rüttelte Goldsmith aus seiner mora­

lischen Lethargie; er spannte alle Kräfte an, und ging aus

den Kämpfen

gegen unbefugte

Lebensübergriffe

mit

jenem

Adel der Gesinnung hervor, den er später als feinfühlender

Wohlthäter geistig und leiblich

bewährte. trotz

Armey wiederholt so herrlich

Eine grausame Ironie deS Schicksals erscheint es

alledem, daß

Olivern

eigenes Familienglück, wofür er

sein ganzes

Leben hindurch

die entschiedensten Anlagen

und das ausgesprochenste Verständniß besaß, versagt blieb, 3

34

damit er es Anderen ermöglichen könne, die bei der Grün­ dung ihres häuslichen Heerdes, wenn auch nicht eben leicht­

sinnig, so doch im höchsten Grade unweise verfahren hatten. Der alte Goldsmith, um den Verdacht von sich zu ent­

fernen, als habe sein Sohn, für besten Grundsätze er sich

zeitlebens verantwortlich hielt, die Lehrstunden dazu angewendct, Gleichheit der Stände und Kreuzung der Ratzen zu empfehlen,

versprach Mrs. Hodson nachträglich eine Mitgift von vier­ hundert Pfd., verpfändete, dieselbe zu beschaffen, den Ertrag seiner Zehnten auf Jahre hinaus, und — schickte Oliver

als Sizer nach Dublin.

Oliver bedurfte seines ganzen Jugendmuthes, des, wie knack at

er sich anSdrückt, immer bei

ihm

hoping, um nicht zu erliegen.

Jevem Sizer war eine Art

vorräthigen

Obcraufseher, entweder in der Person eines UnterlehrerS, oder

eines älteren Mitschülers, zugetheilt, dessen Aufgabe darin

bestand, die wissenschaftlichen Fortschritte und die Moralität deS betreffenden Pfleglings zu überwachen.

Goldsmith fiel

in die Hände eines brutalen Menschen, Namens

der die mathematischen Lehrsätze, für die er

Wilder,

allein Sinn

besaß, ihm glaubte einprügeln zu können, ihn überhaupt in­

stinktmäßig haßte, weil von Olivers geistiger Domäne jener,

wie von einem Paradiese, ausgeschlossen blieb. Im Jahre 1747 starb der alte Goldsmith, und die

Mutter konnte den Sohn nicht ferner unterstützen, da in Folge dieses Ablebens mit der Einnahme für die geistlichen Verrichtungen die Haupterwerbsquelle der Familie weggefallen

war.

Onkel Contarine, der Schwager und ältere Bruder

thaten zwar das

ihrige, aber das bedeuteke hier nicht viel,

durfte nicht viel bedeuten.

und

noch

Oliver, der von diesen dürftigen,

dazu unregelmäßigen,

Zuschüssen,

traf er keine

35 anderweitige Auskunft, allein abzuhängen Gefahr lief, fristete sich außerdem kümmerlich durch schüchterne Anleihen bei zwei

ihm näher stehenden CollegSgenossen, und durch den Ertrag einer Art volkSthümlich gehaltener, handwerksmäßig von ihm

verfaßter Balladen, die ihm ein mitleidiger Buchhändler ab­

nahm, und die er auf der Straße singen und von den Sängern zu seiner Freude in einer, den unerkannt anwesenden Verfasser zur Fortsetzung ermunternden Weise beurtheilen hörte. Schade,

daß

von diesen poetischen Erstlingen,

zu denen ihm auch

wieder das Andenken an den Schulmeister Byrne, der seiner Zeit in vertraulichen Ausnahmsstimmungen den staunenden

Oliver gereimte Geisteskinder bewundern ließ, die erste An­ regung gegeben hatte, nichts erhalten geblieben scheint.

Mag

in ihnen auch sein Talent, das später mit Engrlzungen redete, vielleicht nur noch stammeln, so wären sie, als biographische Denkmale

der ihn heranbildenden Tage, der für ihn Ver­

ständniß empfindenden

Nachwelt von unersetzbarem

Werthe

gewesm. Seine gute Laune verlor er nie.

Er betheiligte sich an

allen kleinen Excessen, wie sie in jeder die Zwecke deS Dub­

liner

CollegS

verfolgenden

Anstalt vorkommen; ließ sich

indessen von einem Vorfälle, der, ernstlicherer Natur, daS

Einschreiten der Staatsbehörde nothwendig gemacht hatte, be­ wegen, erschreckt zum angestrengteren Studium zurückzukehren,

und erntete die Früchte dieses Umschlags der Sinnesweise in einer Summe von fünfunddreißig Schillingen, die er für eine mit dem

Preise gekrönte wissenschaftliche Arbeit erhielt.

Berauscht von

seinem Glücke und von der in der Verszeile: „Getheilte Freud' ist doppelt' Freude!" eingeschlossen liegenden Gesinnung beseelt,

gab er jungen, sehr jungen Leuten aus der Stadt auf seiner Dachkammer einen rasch improvisirtcn kleinen Ball; er selbst 3»

36 war das Orchester.

Aber die weithin vernehmbaren Töne der

Violine beschworen den brutalen Wilder herauf, der indessen

nicht „Freude fühlte", sondern ihn auf den Trost der prak­

tischen Ergänzung jenes eben citirten Verses., wozu die un­ mittelbar folgenden Reime:

„Getheilter Schmerz ist halber

Schmerz!" auffordern, verzichten ließ.

Er allein bekam eine

Tracht Schläge; den Gästen wurde die Thür gewiesen.

Im Colleg mißhandelt, in der Stadt lächerlich geworden, das war zu viel!

Oliver beschloß Flucht, führte seinen

Vorsatz auf der Stelle aus, und trieb sich ziellos im Lande

umher, bis er seine Baarschaft bis auf einen Schilling zusammcngeschmolzen sah, mit dem er sich drei Tage lang durch­ schlug.

Dann verkaufte er Kleidungsstücke, die er anhatte;

aber auch die so

Länge vor.

gewonnene Aushülfe

hielt nicht auf die

Er versuchte es nun mit dem Hunger, und ge­

steht selbst, eine Handvoll Erbsen, die ihm ein kleines Mädchen

damals geschenkt habe, bleibe ihm, als das köstlichste Mahl erinnerlicher, als alle späteren Genüsse verzehrbarer Natur in glücklicherer Lage.

Zuletzt gerieth er auf den ihn rettenden

Einfall, sich an Henry um Rath zu wenden.

Der gute

Bruder eilte selbst zur Hülfe herbei, brachte Kleider und

Geld mit, und den freundlich überredeten Oliver persönlich nach Dublin zurück, von wo er, nachdem er eine scheinbare Aussöhnung vermittelt hatte,

heimkehrte.

Henry nämlich

weilte jetzt mit seiner Faniilie in dem alten Hanse am Flusse

Inny, der Geburtsstätte

Olivers, und wirkte daselbst

zum Theil in der amtlichen Eigenschaft seines verstorbenen

Vaters in dessen segensreicher Weise fort.

Diese durch die Verhältnisse erzwungene Rückkehr in's Dublin hatte wenigstens für Goldsmith

Colleg nach

die glückliche Folge, daß er sich nun nach Kräften bemühte,

37 die Dauer seines dortigen Martyriums möglichst abzukürzen; und so gelang es ihm nach zwei Jahren, obwohl immer noch zwei Jahre später, als den Meisten, die entweder begabter oder pflichttreuer gewesen waren, mit der nothdürftig erlangten Würde eines BaccalaureuS der Künste sich die Welt:

d. h. die Heimath wieder zugänglich gemacht zu sehn.

Henry

wohnte in Pallas, Hodson mit Frau in Lissoy, Gold­ smith' S Wittwe eingezogen in Ballymahon, Onkel Con-

Ueberall, wo er bei

tarine in Carrick on Shannon.

ihnen der Reihe nach vorübergehend sich aufhielt, bekam er mehr oder weniger deutlich ausgesprochen zu vernehmen, daß er nichts tauge; daß er kein Aesop geworden sei, sondern

ein Affe, und nur der gute Oheim wurde nicht müde, zu

behaupten, in Oliver stecke noch etwas, was nur des rechten

Augenblicks und der richtigm Ansprache harre, um zu schöner Blüthe hervorzubrechen.

Seine

Verwandten

forderten ein­

stimmig, er solle sich dem geistlichen Stande widmen; ein Verlangen, was um so mehr befremdet, da ihm alle Würde

der äußeren Erscheinung mangelte, die dieser Beruf bis zu

einem gewissen Grade unabweisbar erheischt.

Oliver lehnte

in der ersten Bestürzung innerlich dies Begehren aus einem

ebenfalls äußerlichen Grunde ab, den er in die Worte kleidete,

„er trage lieber braun, als schwarz".

Bor der Welt willigte

er ein, um anscheinend unter dem Borwande, sich für feinen

erhabenen Lebenszweck vorzubereiten, Frist und eine Art Recht

zn gewinnen, zwei weitere Jahre eines thatenlosen Lebens hindurch seinen Angehörigen zur Last zu fallen. mit dem

Schwager

auf die

er

Jagd,

Er ging

half dem

Bruder

beim Unterrichte aus, er turnte, er half Dorfschmieden den Hammer

schwingen,

Robert

Bryanton

er

fischte im

Ottern,

Jnny,

und

sand

er

jagte mit

sich

mit dem

38 Genannten und drei bis vier anderen Altersgenossen Abends

in der Schenke in Ballymahon zusammen, wo die fünf

Club bildeten,

eine Art

Oliver sich als Vorstand

dem

aufwarf, und der, falls er ihn in einer ähnlichen Scene des schon erwähnten Lustspiels portraitirt, eben nicht geisteSan-

regend gewirkt haben muß.

Als er auf diese Weise Vor­ kenntnisse für seinen künftigen Stand gesammelt hatte, meldete

er sich beim Bischof, dem er, um sich im Voraus für den

Umstand zu entschädigen, daß er fortan schwarz tragen müsse, statt braun, in Scharlachhosen seine Aufwartung machte. Die

selbstverständliche Folge war geistlichen Würdenträgers.

aufgaben,

abweisender Bescheid des

ein

Seine Angehörigen, die ihn nun

grübelten unnützerweise

Oliver verworfen sein möchte?

darüber

nach,

weßhalb

Leider bot sich ihnen in

dieser Beziehung eine reichliche Auswahl von Gründen dar,

wovon jeder den ihm annehmbarsten

nahm: der Bruder den

für sich in Beschlag

abendlichen Clubb,

der

Schwager

Jagd und Flanerie, Onkel Contarine Verläumdungen von Seiten

Wilders

Scharlachhosm.

aus

Dublin,

und

die Mütter

Alle hatten recht und unrecht.

die

Diese ge-

sammten Fraglichkeiten hätten, wäre sonst der innerliche Trieb vorhanden gewesen, Aufschub gebieten, niemals aber Ausschluß

rechtfertigen können.

Der Bischof als Herzenskundiger durch­

schaute den wahren Sachverhalt.

Oliver hatte ein eben so

schlaues, als frevelhaftes Spiel getrieben, bezüglich dessen ihm

übrigens die vollgültige Entschuldigung zu statten kommt, daß

er auS Nothwehr handelte.

In diesem Lichte betrachtet ist

sein Operationsplan eben so fein angelegt, gewissenhaft durchgeführt.

als konsequent

Er befand sich, von

Dublin

zurückgekehrt, in der verzweiflungsvollen Lage desjenigen, der über sich verfügen lassen muß.

Er soll Geistlicher werden,

39 er weigert sich, er wird nicht gehört, er kann nicht verhungern, er hat nirgendwo anders einen Anhalt — was

bleibt ihm

übrig, als einen Beruf, zu dem er, wie er sich sagen mußte,

nicht taugt; noch dazu einen Beruf von so ernster Tragweite

der Verantwortlichkeit durch eine in diesem Zusammenhänge für sich, wenn auch nicht für ihn sprechende entgcgenwirkende Lebensweise von sich abzulehnen?

nicht durchschaut.

Er wird nicht verstanden,

Man hielt ihn einfach für

leichtsinnig.

Aber that man das, so würde man es selbst, wenn man dem

Klerus ein so unwürdiges

fortfubr.

Mitglied aufdringen zu wollen

Oliver wußte den Ausgang, er zog auch die

Scharlachhosen diesmal nicht aus Eitelkeit an, er allein war der nicht Enttäuschte.

freundlichen

Anklägern

Allerdings stand er vor seinen blutönun verächtlicher,

als jemals da;

indessen hatten auch sie sich aller Vortheile ihm gegenüber in einem Grade begeben, der ihm seine Verlegenheit gegen sie

auf alle Weise erleichtern mußte. klagende, er konnte sagen:

Er wurde jetzt der An­

„War ich, von dem ihr nichts

mehr erwartet, euch gut genug zum Pfarrer?

Ich, dem für

einen so hehren Beruf nichts weniger mangelte, als Alles: Anlage, Ausdauer, Aeußeres, moralische Kraft, geistiger Fond?"

Aber was nun?

Niemand gab sich die Mühe darüber

nachzudenken; nur Onkel Contarine ermüdete nicht in seiner Theilnahme, und, von ihm empfohlen, fand Oliver ein Unterkommen

Mr. Flinn.

als Hauslehrer bei den Kindern

eines

Seine Stellung daselbst war eine durchaus

ehrenvolle, er wurde als Glied des Hauses betrachtet, aß mit der Familie, ging mit ihr aus; indeffen täuschte er sich der­ maßen über sich selbst, daß er kränkenden Mißmuth wegen

einer Lage nicht verbarg, für die, wäre sie vom Zwang der Verhältnisse ihm nicht schonend aufgedrungen worden, er aus

40 freier Wahl, ohne im Geringsten sich gedemüthigt zu fühlm,

getrost sich hätte bestimmen können.

Er benahm sich unge­

zogen, und vergaß sich einmal so weit, bei der abendlichen

Kartenparthie einem Mitspieler Bettug vorzuwerfen. Darauf

hin wurde ihm gekündigt, und er mit einer anständigen Ver­ Mit seinen dreißig Pfd. beschloß er eine

gütung entlassen.

Reise um die Welt, ein Wunsch, dessen erste Keime wieder in den Erzählungen des ihn vielfach aufregenden

zu suchen sind. war

plötzlich

spurlos

©einigen verschollen, Mutter hielt,

seiner

Byrne

Er theilte sein Vorhaben Niemandem mit, verschwunden,

bis er eines von

wochenlang

TageS vor der

für

die

Thüre

einer Rozinante, einem kleinen

melancholischen Pony abstieg, und Mrs. Goldsmith seine

Aufwartung machte.

Diese, nachdem sie sich überzeugt hatte,

er sei noch ganz und gesund, verbot ihm ihr HauS.' Er

ging, und fand Aufnahme bei Henry, wo er einen Brief an die mit Recht empörte Frau schrieb, der als biographisches Material zu charakteristisch ist,

dürfen.

um übergangen werden zu

Diese Zeilen, vermittelst deren eS ihm gelang, die

Mutter sich wieder günstiger zu stimmen, lauten folgender­ maßen :

MrS. Anna Goldsmith

Ballymahon.

. Meine liebe Mutter! „Wenn Du mich jetzt ruhig anhören willst, so sollst Du auf Deine vielen Fragen die von Dir nicht abgewartete Antwort erhalten.

Ich eilte nach Cork, woselbst ich mein

stattliches Pferd verkaufte, mir einen Platz in einem nach

Amerika bestimmten Schiffe besorgte, und dem Capitän Fracht und Passage bezahlte.

Indessen wehte drei Wochen lang kein

günstiger Wind, und Du weißt, liebe Mutter, den Elementen

41 kann ich nicht gebieten.

Eines Tages, während meiner Ab­

wesenheit bei einer VergnügungSparthie auf'S Land schlug das Wetter um, und man segelte ohne mich ab mit derselben Ge-

müthSruhe, als wäre ich an Bord gewesen.

Dadurch gewann

ich Zeit und Gelegenheit, Stadt und Umgegend mit Muße

zu bettachten.

Ich hatte von meinem Gelde noch das in der

Tasche, waö der Capitän nicht in seiner hatte.

So lange

man bei Casse ist, kann man sich helfen. Für meine letzten zwei Guineen kaufte ich Fiddleback,

meinen Pony, dachte

an meine liebe Mutter und

meine

Freunde zu Hause, und nahm im Besitze einer Baarschaft von fünf Schillingen Abschied von Cork. Da stiegen Bedenken in mir auf, ob für eine Strecke von nahezu hundert Meilen die genannte Summe für Mann und Pferd auch auSreichen würde.

Doch verzweifelte ich nicht; ich wußte, ich müsse unterwegs

Hülfe finden.

Glücklicherweise fiel mir ein alter Freund vom Colleg her ein, der mir oft das ernstliche Versprechen abgenommen

hatte, ihn später einmal im Sommer auf einige Monate auf­

suchen zu wollen.

Er wohne nur acht Meilen von Cork

entfernt, also nahe genug, um, wie er emphatisch hinzufügte, mir die Annehmlichkeiten des Landlebens

zugleich

mit den

Zerstreuungen einer großen Stadt anbieten zu können. Auf dem Wege zu ihm traf ich eine arme Frau, die mir,

in Thränen aufgelöst, erzählte, ihr Mann sei wegen einer Schuld verhaftet worden, sein Fleiß habe die Familie bisher erhalten, und sie wisse sich nun mit acht Kindern nicht zu rathen und zu helfen.

Ich dachte an zu Haus, wo wir auch

mit acht gewesen waren, theilte,

in der Aussicht auf meines

Freundes gastliches Asyl, mein ganzes Baarvermögen

mit

ihr, und machte, nachdem sie sich mit der einen halben Krone

42 dankend entfernt hatte, mir Vorwürfe, ihr die andere nickt auch gegeben zu haben, denn waS konnte ihr die eine Hälfte

helfen, ohne die andere?

Bald darauf erfuhr ich durch einen

auf mich loSstürzenden großen Bullenbeißer, der, wäre mir nicht ein alte- Weib zu Hülfe gekommen, au» mir gleichfalls

zwei Hälften gemacht haben würde, ich fei bei meinem Freunde

angelangt.

DaS Weib sah übrigens eben so grimmig auö,

wie der Hund.

Sie meldete mich bei ihrem Herren an.

Ich brauchte nicht lange zu warten.

Mein Freund kam

in Schlafrock, Schlafmütze und Pantoffeln zu mir herab, umarmte mich herzlich, lud mich in'S HauS ein, erzählte mir

eine lange Krankengeschichte, und sprach die schmeichelhafte Zuversicht aus,

herstellen.

meine Ankunft werde ihn vollends wieder

Ich, meinerseits, theilte ihm eben so aufrichtig

meine Erlebnisse und die Krankengeschichte meines Geldbeutels

mit, dessen Inhalt nur noch aus einer halben Krone bestände.

Er schien mit diesem chronischen Uebel zu sympathisiren, ging

lebhaft im Zimmer auf und ab, rieb sich die Hände, sprach aber kein Wort.

Ich legte dieses Schweigen günstig auS,

und je länger er schwieg, desto günstiger, da ich nicht andermeinte, als er wolle seinen Edclmuth für sich reden lassen,

und sinne nur über die zarteste Form rücksichtlich mir zu er­ weisender Verbindlichkeiten nach.

Es war gegen sechs Uhr.

Ich hatte weder gefrühstückt,

noch zu Mittag gegessen, schon wollte ich einen dahin bezüg­ lichen Wunsch äußern, als das alte Weib eintrat, mit zwei

Tellern, einem Löffel und einem schmutzigen Tischtuch, und

aufdeckte.

Dieser Anblick,

obwohl er meine Erwartungen

nicht erhöhte, verminderte doch nicht meinen Appetit.

Die

Gerichte bestanden aus einer Schüssel Sago, einer anderen

mit saurer Milch, einem Laib HauSbrod, und dem Eckstücke

43 eines Käses, der lange vorgehalten haben mußte, da er über und über von Maden wimmelte. Mein Freund empfahl diese Kost als für Genesende äußerst zuträglich, wobei er die An­ sicht aufstellte, Milch sei überhaupt die gesundeste Nahrung. AIS eS acht schlug, hob er die Vortheile einer regelmäßigen Lebensweise hervor, und bemerkte: er, seinerseits, sei gewohnt, mit den Lämmern zu Bett zu gehn, und mit den Lerchen

aufzustehn.

Ich, für mein Theil, wäre auch gern mit einem

Lamm zu Bett gegangen, oder in Ermangelung desselben mit mindestens noch einem Schnitte von dem lebendigen

Käse.

Doch auch daö mußte ich mir versagen. Ich beschloß schleunigste Abreise.

Am folgenden Morgen

sprach ich meinen Entschluß auS, in dem ich auch durch keinerlei Gegenvorstellungen wankend gemacht wurde. Im Gegentheile hieß eö:'die Meinigen würden in Sorge sein, je länger ich fortbleibe, desto unruhiger werden, u. s. w.

Ich bat ihn, da

ich doch huntzert Meilen nicht mit einer halben Krone zurück­

legen könne, mir eine Guinee zu leihen, die ich dankend er­ statten würde, „ich habe Ihnen ja früher auch auSgeholfen,

Sir!" erinnerte ich ihn.

Er antwortete: „DaS ist abgemacht,

Mr. Goldsmith! ich kann nichts entbehren; meine Krank­ heit kostet was.

Doch weiß ich einen Ausweg.

Verkaufen

Sie Ihren Pony, und ich verschaffe Ihnen ein Roß, mit dem Sie besser und billiger fortkommen!" DaS nahm ich an, und bat ihn, mir das Kaufobjekt zu zeigen.

Er führte

mich in seine Kammer, woselbst er unter dem Bette einen dicken eichenen Stock hervorholte.

„Hier ist das Pferd!"

sagte er; eS ist billig; mit ihm werden Sie sicherer nach Hause gelangen, als auf Ihrem gebrechlichen ^Zony!" Ich verspürte die größte Lust, nicht an ihn, sondern auf ihn loS-

zuschlagen, als es klingelte.

Er eilte fort, und ließ mich

44 allein.

Wie ich nach einer Weile in's Zimmer zurückkehrte,

stellte er mich einem fremden Herrn vor als Mr. Goldsmith, seinen geistreichen und werthen Freund, von dem so oft unter ihnen die Rede gewesen sei.

Der Besuch war ein

Advokat aus der Nachbarschaft, ein Mann von gewinnendem Aeußern und höflichem Wesen.

Er blieb eine Stunde. Dann

forderte er uns Beide auf, ihn zu begleiten, um bei ihm zu essen.

Ich lehnte anfangs ab;

er redete in bedauernder

Weise zu, mein Freund stimmte ein, und so entschloß ich

mich, mitzugehn, da ich erwog, daß es eben so taktlos sei, eine so artige Einladung abzulehnen, als unklug, eine Ge­

legenheit, nach zweitägigem ergreifen.

Fasten satt zu werden, nicht zu

Wir fanden im Hause unseres gütigen Wirthes

Fülle vor ohne Verschwendung, Wohlhabenheit ohne Ziererei. Mein alter Freund, dem, seinem gesegneten Appetite nach zu schließen, der Spaziergang, während dessen mir der Advokat

ein Nachtlager bei sich anbot, gut bekommen sein mußte, er­

wähnte, als es acht Uhr schlug, wieder seiner Lämmer und Lerchen, worauf ich ihm den Rath ertheilte, er möge durch

seine Rückkehr nach Hause seine Menagerie vervollständigen, mich aber bei sich nicht wieder erwarten.

Er ging lachend

fort, und ich sprach mich gegen meinen Wirth aus, der in­

dessen von mir nichts Neues, sondern nur einen neuen Beitrag zum Alten erfuhr. Dieser Aufenthalt, liebe Mutter, versöhnte mich mit allen meinen Thorheiten, ohne mich zu neuen zu ermuthigen.

blieb drei Tage.

Ich

Der Advokat hatte zwei Töchter, artige

Wesen, die vollendet Klavier spielten.

Als sie sich auf meine

Bitte endlich dazu verstanden, etwas vorzutragen, bemerkte ich versteckte Thränen in den Augen meines Gastfreundes, und

erfuhr später, es sei das erste Mal gewesen, daß die Mädchen

45 seit dem Tode ihrer Mutter daS Instrument wieder berührt Ich wollte täglich gehn, wurde aber um Aufschub immer in einer Weise ersucht, die eS mir unmöglich machte,

hätten.

nicht nachzugeben.

Beim Abschiede bot der Advokat mir Geld,

Pferd und Diener an; ich nahm nur daS erste in Form einer Guinee, die ich schicklicherweise wohl gleich zurückerstatten muß. Meinst Du nicht auch? Oliver Goldsmith."

ES wurde nun abermals Familienrath gehalten, und in

erneuter Wiederaufnahme deS Verworfenen Oliver für die Jurisprudenz bestimmt. Onkel Contarine streckte die Mittel zur Bestreitung der Studien vor, und der den Rechtswissen­

schaften Neugewonnene begab sich unverweilt auf die Uni­

versität nach Edinburgh. Sein Weg führte über Dublin.

Man sollte denken er habe diese Stadt unliebsamer Er­ innerungen wegen nur im Fluge berührt, aber leider ließ er

sich von einem ihm begegnenden Bekannten aus RoSeommon verleiten, zu bleiben; und als er blieb, zu spielen; und

als er spielte, zu verlieren.

Der Versucher, ein auSgelernter

Verbesserer deS Glücks, zog mit seiner Stute, Onkel Con­ to r i n es

opferwillig

gewährtem Zuschuß im Betrage von

fünfzig Pfd. von dannen; Goldsmith, aus vollkommen be­

greiflichem Schamgefühl, schrieb keinen Bettelbrief nach Hause, sondern fand Auswege, sich in der irischen Hauptstadt, so

gut und so ehrlich eS anging zu fristen, bis die Angehörigen,

durch Dritte von seinem Leichtsinn in Kenntniß gesetzt, ihn zu sich entboten. Er leistete diesem Rufe Folge, und kehrte, da die Mutter sich seine Anwesenheit großmüthig verbeten hatte, als reuiger Sohu in die Arme Onkel ContarineS zurück.

Bei ihm

46 blieb er vorläufig ohne Zweck, aber nicht ohne Anregung. Die gewinnende Milde dieses trefflichen Mannes, der trotz aller Fehlgriffe nicht an ihm zweifelte, mußte nachhaltiger anspornmd auf ihn wirten, als die wortreichen Verurtheilungen der übrigen Familie. Jane Contarine, die Spielgenossin seiner Kindertage, war indessen zur Jungfrau herangewachsen, und er spielte weiter mit ihr, wenn auch nicht in der früheren Weise. Sie war fertige Pianistin; er unfertiger Violinvirtuose; trotzdem verschmähte sie es nicht, sich von ihm begleiten zn lassen. Zum Anerbieten einer anderweitigen Begleitung, das indessen, als wohl nicht ernst gemeint, — er meinte nicht« ernst —, die kluge Jane, im richtigen Gefühle, daß dazu eine andere Harmonie gehöre, taktvoll ablehnte, rief er nach langer Pause die Poesie als Verbündete wieder zu Hülfe. Seit dem viel­ bewunderten Affenepigramm hatte er auf seinen Lorbeern ge­ ruht, und so verdient daS in Rede stehende Produkt erwähnt zu werden, nicht deS inneren Werthes, sondern deS äußeren AnlaffeS wegen, und als älteste Urkunde der sich entwickelnden Begabung deS späteren Dichters. Einer junge« Dame am Dalentinstag, mit einer Zeichnung, die ein Herz vorstellt.

Bittend naht ein Valentin, den Du wußtest anzuziehn; der ein Herz, daS für Dich schlägt, schüchtern Dir entgegenträgt. Nimm es an Dich, greife zu; bring' daS flatternde Ding zur Ruh'! Laß es, makellos und rein, Tags Dein Lieblingsspielzeug sein;

47 ruhst Du, nach des Tages Thun, gönn' ihm, bei Dir auSzuruhn! Sei es, wenn Dich Schlummer bannt,

Deiner Träume Gegenstand! Lausche, wenn's von Liebe spricht, und erhör' den armen Wicht,

der sonst herzlos bleiben muß. Lohn' ihn mit verstohlnem Kuß;

nah ihm leise, wie die Welle; leg' ihm aus die leere Stelle, hast Du Deins noch zu verschenken, ihm Dein Herz zum Angedenken!

Jane war so herzlos, ihn herzlos zu lassen, und nach einigen Monaten MrS. Lawder zu werden.

Ein begüterter Anverwandter des weitverbreiteten Gold-

smith'schcn Geschlechts, DeanS Goldsmith, kam zum Be­ such, beobachtete Oliver, entdeckte, er sei nicht ohne Anlage,

und entschied sich, da das Studium der Theologie und Juris­

prudenz kein Resultat geliefert habe, in Goldsmith nun

für die Medizin.

Betreff des jungen

Die Aussprüche deS

wohlwollenden Gastes, einer Respektsperson in der Familie,

galten für Befehle.

Er ertheilte seinen Rath, fügte seinen

Segen hinzu, und überließ die Sorge für materiellere Be­ dürfnisse den bisherigen Helfern, die, aus spärlichen Mitteln

zusammenschießend, ihren Lohn in der Beruhigung fanden,

Oliver wieder mit Anstand, und hoffentlich für immer, loS zu werden. Nach Edinburgh, woselbst

er als

Beflissener

der

Rechte nicht eingetroffen war, ging er nun im Herbste 1752 als Jünger der Arzneikunde,

vergaß aber bald, weßhalb er

eigentlich gekommen sei, da in der großen Stadt die Ver­

führung lockender, als je, an ihn hcrantrat.

Er vernach­

lässigte nicht gradezu den Zweck seines Aufenthalts, verband

48 aber damit, ohne ihn zur Hauptfrage zu erheben, so mannig­ fache Nebenzwecke, daß er sich zum Bedauern der Familie auf ein längeres Derweilen in Edinburgh angewiesen sah, als nothwendig gewesen wäre, hätte er, waS ihn hemmend beeinträchtigte, energisch abzuweisen verstanden. Er beschreibt — ganz ergötzlich — die kleinen Leiden deS Studentenlebens, die man bis zum Ueberdruß auö deutschen Schilderungen kennt; er beklagt sich unter Anderem, daß in seinem ersten Kosthause ein Hammelbraten in den verschiedensten Ge­ stalten, die ganze Woche hindurch vom Sonntag bis zum Sonnabende, wo die Wirthin von ihrer Arbeit geruht hätte, habe vorhalten müssen, und daß man am Sonntage darauf auf den Hammel zurückgekommen sei; er rühmt die lustigen Irländer, mit denen er gesellig verkehre u. s. w., aber alle diese Dinge wirken nicht humoristisch befreiend, weder auf den Beobachter, noch auf ihn selbst, da er, anstatt sie als erlaubte Zugabe zu betrachten, mit seinem ganzen Wesen all­ mählich in ihnen aufging. Bon Hause fühlte er sich los­ gelöst. Er empfand, er war aufgegeben, und befreundete sich mit dieser Thatsache, deren Berechtigung er zugestehen mußte, auf eine Art, die ihm wenig Ehre machte, da er sich einredete, durch den Umstand, daß nian nichts mehr von ihm erwarte, der Pflicht der Sühne überhoben geworden zu sein. Wenn er zur Ausnahme einmal schrieb, so ließ er keinem Familienmitgliede die brieflichen Ergüsse zu Gute kommen, sondern einem Freunde aus der Schenke von Ballymahon her. Einer dieser Briefe, vielleicht der einzige überhaupt, führt sich selbst mit den Worten ein: er sei der erste von sechsundzwanzig, auf die man ein Recht hätte von Goldsmith zu rechnen. DaS Charakteristische solcher spärlichen Zeilen: ein glückliches Auffassen lokaler Eigenthümlichkeiten, unterscheidender Momente

49 im Volksleben und in der Gesellschaft läßt, daß er so selten sich mitzutheilen sich bewogen fand, bedauern. Zwischendurch ist eine Schwermuth in ihnen erkennbar, die ein unläugbareS Zeugniß dafür ablegt, wie verödet er sich innerlich fühlen mußte; und die grausame Gleichgültigkeit der Welt, die auf sein nicht empfehlendes Aeußere hin, auch die innerlichen Vorzüge, hinsichtlich bereit er in der That bevorzugt war, keiner Kenntnißnahme werth erachtete, macht ihn in einer Weise beredt, die an sich schon Poesie ist, ohne der gebun­ denen Form zu bedürfen. Ein einzelner auS dieser Periode erhalten gebliebener poetischer Brocken beurkundet die damalige Verbitterung seines Gemüths. Derselbe lautet:

Die Antwort deS Clowns. ES baten einst John Trott zwei weise Männer, er möge sagen, wenn er wüßte, wenn er — weßhalb die Esel Eselsohren trügen? »Zwar weiß ich nicht der Frage zu genügen/

erwidert John; „ich bin ein schlichter Mann, der, wa» ihr selbst nicht wißt, nicht wissen kann;

doch weiß ich, und da» eurer Frage wegen, kommt einer künftig mir von euch entgegen,

— wovor der Himmel gnädig mich bewahre! — daß ich von euch von Eseln nicht« erfahre.

Edinburgh 1763.

Einmal schrieb er auch an Contarine, wie immer, um Geld. Er hielt den guten Onkel mit Recht für unermüdlich, aber nicht mit Recht für unerschöpflich. Er gedachte nach Paris zu gehn, wo Petit, Farham und du Hamel de 4

50 Monceau

AlbinuS.

dozirten; nachher nach Leyden, zum großen Im

Grunde genommen,

lag ihm weder am

großen AlbinuS, noch am großen Petit.

Er wollte nur

in die Welt, neue Menschen sehn, neue Eindrücke gewinnen, neue Erfahrungen sammeln, neuen Enttäuschungen entgegen.

Er machte sich nach Leith auf den Weg, um sich von dort nach Holland einzuschiffen. In Leith beredeten ihn lustige Gesellen, sie nach Bor­

deaux zu begleiten; er, nie unerbittlich, am wenigsten für daS Vergnügen, willigte ein. In Newcastle, wo daS Fahrzntg, ungünstigen WetterS

wegen, anlegen mußte, saß er zechend mit seinen neuen Freunden

beisammen, als ein Sergeant und zwölf Grenadiere eintraten, um die ganze Gesellschaft in Verhaft zu nehmen.

Er mußte

sich, trotz seiner Berichtigungen, gefallen lassen, als einge­

borener Schotte, der für Frankreich hätte anwerben wollen,

der bewaffneten Macht zu folgen.

Man segelte ohne ihn

weiter; zum zweiten Male kam er nicht mit, wäre aber, ent­

gegengesetzten Falles, zum ersten Male

nicht angekommen,

da das Schiff mit sämmtlichen Passagieren am Eingang in

die Garonne zu Grunde ging.

Betroffen über das glück­

liche Unglück, ließ er Frankreich Frankreich sein, und dachte wieder an den großen AlbinuS, zu dem er sich nun ohne

Säumen verfügte,

um deffen

Lehrgabc möglichst auf sich

wirken zu lasten. In Leyden gerieth Oliver bald in wiederholte Geld­

verlegenheit, machte indessen zugleich die Bekanntschaft eines mitstrebenden und weiterstrebenden

gelegentlich aushalf,

Landsmannes, der ihm

ihn jedoch, als er nach einiger Zeit

bemerkte, Goldsmith verwende die auf diese Weise gewon­

nenen Mittel, auf's Neue seinem alten Hange zum Spiele

51 zu fröhnen, unter der Bedingung, daß er von Leyden fort« gehe, mit einer letzten Summe, die er ihn al» Reisegeld anzusehn ersuchte, entließ, wobei er den Wunsch, aber nicht die

Hoffnung aussprach, er möge in Paris seinen Studien ernst­ licher obliegen.

Oliver, längst hollandmüde, ergriff diese

Auskunft um so bereitwilliger, da eine Probe, im Englischen

zu unterrichten,

ohne der Landessprache

fehlgeschlagen war.

mächtig

Zu seinem Unglücke gerieth

zu

sein,

er kurz

vor der Abreise in den Garten eines Tulpenzüchters, und hier auf den Einfall, in zarter und zugleich origineller Form

Onkel Contarine an sich zu erinnern. zusammen,

Erkaufte Zwiebeln

und verausgabte sich, ohne im Geringsten

zu

ahnen, daß Onkel, dem Verständniffe für die Beweise von

OliverS Dankbarkeit bereits entrückt, der ^Auflösung nahe, mit seinem ganzm Sinnen und Trachten schon in Sphären verweile, wo, wie man voraussetzen darf, keine Vorliebe für

Tulpen herrscht.

Die Gabe ging nach Irland ab, der Geber

nach Frankreich, und der letzte ging, im Wortverstande.

Er

hatte die Mittel zu einem bequemeren Fortkommen in Zwiebeln verwandelt.

Guter Muth, Sucht nach Abenteuern begleiteten

ihn, und eine ihm damals selbst noch unbekannte Helferin — seine Flöte. In Paris besuchte er die Cellegien von Rouette,

und noch lieber die theatralischen Vorstellungen der Made­

moiselle Clairon.

Auch hier beobachtete er Menschen und

Sitten, und sah die gewaltigen Ereignisse voraus, die, als

Folge einer so gänzlichen Umkehr aller staatlichen Ordnung, eintreten mußten.

Die französische Hauptstadt war indeffen

auf» die Dauer nicht der Boden, auf dem Oliver das Ge­

fühl seiner

Verlassenheit verließ.

Nach kurzem Verweilen

4*

52 wanderte er über einen

Dentschland der Schweiz

Streifen

dort, wenn nicht eine Stütze, doch vorüber­ gehend einen Nothbehelf zu finden, und als solcher zu dienen. entgegen, um

In Genf wurde er als

ein, in Ermangelung

eines

besseren, geeignetes Individuum einem jungen Engländer zum Reisebegleiter empfohlen, der, weil ihm unvermuthet eine be­ trächtliche Erbschaft zu gefallen war, einer fügsamen Persön­

lichkeit, halb zum Bedienten, halb zum Vertrauten, bedurfte.

Goldsmith äußert sich über

dies Verhältniß folgender­

maßen: „Ich sollte Hofmeister des Gentleman sein, welcher

sich indeß vorbehielt, sich überall selbst zu Hofmeistern, und

mich mit. besser die,

Er verstand die Kunst, Geld auszugeben, noch es nicht auszugeben.

Er hatte etwa zweimal-

hunderttausend Psd. von einem Oheim in Westindien geerbt, und in Folge dessen von seinen Vormündern die Weisung Attorney bei einem Advokaten einzutreten, um sich in dieser Eigenschaft in die Geheimnisse einweihen zu

erhalten, als

lassen, wie man größere Capitale anlege, bewahre und ver­

mehre.

Für's Bewahren erwies er sich jedenfalls sehr ge­

schickt, denn er frug unausgesetzt, wie man am Besten spare,

am Billigsten weiter komme, was man kaufen könne, um es in London

mit Vortheil wieder loszuschlagen.

Gab es

Merkwürdigkeiten zu sehn ohne Entröc, so versagte er sich deren Anblick nicht;

mußte dafür etwas entrichtet werden,

versicherte er, er habe gehört, es sei nicht der Mühe werth. Jede Rechnung fand er zu theuer.

Ja, er war so

geizig,

daß er, der Zwanzigjährige, täglich bedauerte, einen Tag älter zu werden, da er den Zuwachs an Jahren nicht als einen Reichthum cnipfand, sondern als eine immer ungestümer auf­

tretende Mahnung an die Zeit, die ihn, als Greis, von be­ zahlter Hülfe abhängig machen würde."

53 In Frankreich verließ Goldsmith seinen Lord, welcher,

vom Wechsel der Luft zu leben, ihm znzumuthen fortfuhr, und war nun auf die kleine

Summe angewiesen, die der

große Geizhals sich für ihn abgerungen hatte.

Der At­

torney brachte sich und seinen Mammon über Marseille nach England zurück;

Goldsmith setzte zu Fuße, unter

Entbehrungen mannigfacher Art, über die sein philosophischer Sinn ihn schließlich immer hinweghob, seine Tour durch Europa fort, wanderte in Piemont, und kam nach Italien.

Um sich durchzuschlagen, spielte er in Deutschland Landleuten Abend» zum Tanze ans; in Italien, wo, wie er sich auS-

drückte, jeder Bauer ein besserer Künstler war, als er selbst,

disputirte er in dm Klöstern, wofür er, einem alten Her­ kommen gemäß, ein Geldäquivalent, ein Mittagessen, und ein

Bett beanspruchen konnte.

Die deutschen Dorfbewohner und

italienischen Mönche waren gleich gastfrei und gleich harmlos; nur fühlte er sich als Redner in einer ihm angemesseneren

Sphäre, wie als Musikant, was einigermaßen befremdet, da berühmte

Zeitgenossen von ihm

ausdrücklich versichern, er

habe geschrieben, wie ein Gott, und gesprochen, wie ein Narr. Unvereinbar ist dieser scheinbare Gegensatz nicht; ihm mag

den literarischen Größen gegenüber, deren Umgang er später genoß, die geistige Unbefangenheit

abhanden gekommm sein,

die über Worte verfügt. In Padua verweilte er einige Monate; er soll daselbst promovirt haben.

Hier erfuhr er Onkel Contar ineS trau­

rigen Zustand, und war nun gezwungen, Mittel aufzufinden,

sich ohne den edlen Wohlthäter weiter fort zu helfm.

Er

schrieb an den Schwager um Beiträge; erhielt indessm keine Antwort.

Mr. Hodson scheint bei der Familie für ihn

haben sammeln zu wollen; die Angehörigen hätten vielleicht

54 auch einen strebenden Studenten weiter unterstützt; zu Gunsten eine- zwecklos Reisenden, eine- Vagabunden, empfanden sie hingegen keine Neigung, sich noch mehr einzuschrLnken. Gold­ smith kehrte au- der Nähe von Rom zurück, ohne die ewige Stadt betreten zu dürfen, auf dem Wege nach Neapel wieder um, ohne zu sterben. Im Gegentheil, nahm ihn das Leben jetzt erst recht in die Schule. In London angekommen, fühlte er sich verlassener, al- in der Fremde, auf dem Kontinent. Ohne Empfehlungen, ohne Freunde, ohne Geld, ohne dm Ersatz dafür, die Unver­ schämtheit, welche weiter hilft, wa- sollte au- ihm werden? Er begann allerlei nach- und durcheinander, er wurde Apo­ thekerlehrling und wandernder Schauspieler, und die Erfah­ rungen dieser Prüfung-jahre würden, schlösse einen derartigen Vergleich nicht der furchtbare Ernst seiner Lage au-, an des Kandidaten Job - Irrfahrten erinnern; nur daß er eS nicht, wie dieser, bis zum Nachtwächter brachte. Er brachte eS, wenn man will, noch weiter, bis zum Bettler; er war vor­ übergehend gezwungen, mit nächtlich obdachlosem, an sich ver­ zweifelndem Gesindel zu verkehrm. Doch ist, waS über ihn aus dieser Periode seine- Leben- berichtet wird, mit Vorsicht aufzunehmen; au-gemacht bleibt, daß sie die demüthigendste, die düsterste war, und er Nachtseiten der Londoner gesell­ schaftlichen Zustände kennen lernte, die sich niemals, selbst auf der glänzmdstm Höhe de- Ruhme- nicht, wohin er aus der tiefsten Tiefe der Versunkenheit emporstieg, auS seinem Gedächtnisse verwischen tonnten. Zunächst vertauschte er nur eine Hölle mit der andern; er wurde Unterlehrer in einer Pension, eine Stellung, über die er sich am besten mit seinen eignen Worten äußert, da er in dm betreffenden Zeilen im Landprediger von Wakefield

55 unzweifelhaft sich selber meint, wenn eS heißt: „Haben Sie das Geschäft gelernt?"

„Dann taugen Sie nicht

„Nein!"

zum Unterlehrer! Können Sie den Knaben die Haare schneiden?" „Nein!" Dann taugen Sie nichts! Haben Sie die Blattern gehabt?"

nichts!

„Nein!"

„Dann taugen Sie

Können Sie zu Dreien in Einem Bette liegen?"

„Nein!"

„Dann taugen

guten Appetit?"

wenigsten!"

Sie noch weniger.

„Dann

„Ja!"

Haben Sie

taugen Sie am

aller­

Goldsmith that das Möglichste, äußert aber,

er wolle lieber Schließer in Newgate sein.

Vom Herrn

wurde er mürrisch angesehn, von der Frau, seiner Häßlichkeit

wegen, gehaßt, von den Pensionären verspottet.

Er mußte,

was seine Lage eben auch nicht verannehmlichte,

mit dem

französischen Sprachlehrer zusammenschlafen, der sich regel­

mäßig eine Stunde lang im Bette die Haare wickelte, zu

deren Pflege er gewisser chemischer Zusammensetzungen bedurfte. Goldsmith

selbst hielt eS nun

einige

Monate im

Laboratorium eines Adepten aus, bis er durch Zufall

erfuhr, vr. Sleig h, ein Freund aus der Edinburgher Zeit,

halte sich in London auf.

„Obwohl ich", erzählt er, „an

einem Sonntag Morgen, und möglichst anständig gekleidet,

mich ihm vorstrllte, erkannte er mich dennoch nicht, so ver­ ändern Unglück und Armuth den Menschen; als er mich aber erkannte, war er der Alte!"

Auf Sleigh's Rath entschloß Goldsmith sich, seine

ärztlichen Dienste anzubieten;

schaftsschichten, denn für

vorläufig in unteren Gesell­

höher

hinauf mangelte ihm

die

Sicherheit des Auftretens, der Empfehlungsbrief des Aeußeren.

Einem der beiden Bekannten von Dublin her, bei denen

er bescheidne Anleihen zu erheben pflegte, begegnete er in einem aus zweiter Hand erstandmen Anzuge von Grün und

56 Gold; nur war das Gold grün, und das Grün gelb ge­

worden.

Gegen denselben rühmte er seine

Praxis.

Sein

vornehmster Patient war ein in der Druckerei deS Mr. Ri­

chardson angestellter Mann. ’

In Folge der Fürsprache dieses tagelöhnernden Gönners

kam Goldfmrth mit dem berühmten Verfaster der Pamela

in Berührung, der, Autor und Verleger in Einer Person,

ihn als Correktor bei sich anstellte.

Seinen ärztlichen Beruf

gab er deßwegen nicht auf, stattete indessen jetzt seine Besuche mit Stock und Perücke und im schwarzen, mit Spitzen be­

setzten, Sammtrocke ab. Einen großen Fleck auf dem Brust­ stücke wußte er geschickt mit davorgehaltenem Hute zu ver­ bergen.

Ein überhöflicher

durchaus diesen

Patient, der dem- Herrn

Dr.

Dreimaster aus der Hand nehmen wollte,

brachte ihn in nicht geringe Verlegenheit, und

veranlaßte

einen komischen Wettkampf gegenseitiger Becomplimentirung.

Dr. Sleigh verschaffte dem Mittellosen kleine Arbeiten für kleine Buchhändler; so fristete er sich.

Zwischendurch faßte er den Vorsatz, hieroglyphische In­

schriften auf

Steinen

im

Morgenlande zu entziffern, zu

welchem Zwecke eine hohe Summe von einer wiffenschaftlichen

Behörde ausgesetzt wurde.

Linie die

freie

Wort arabisch.

Reise

Die hohe Summe, und in erster

bestimmten

ihn.

Er

kannte

kein

Trotzdem würde er glaublich zu machen ver­

standen haben, was auf guten Glauben angenommen »erben mußte.

Glückliches

Selbstvertrauen und angeborene

Fähigkeit,

eine Welt zu täuschen, welche getäuscht werden will, halfen

ihm auch hier über die drückende Schwüle seiner Lage hin­ weg; aber noch lange

und nachhaltig

interessirte

er

sich

erfolglos für Expedittonen in fremde Länder; er war im

57 Orient besser orientirt, als in seinen Krankenzimmern und im Organismus seiner Patienten.

Im Interesse der letztm eröffnete sich ihm eine vorüber­

gehende Aussicht zu anderweitiger Berufsthätigkeit in einem vom Dr. Millner geleiteten Knabenpensionate in Peck­ ham.

Goldsmith wurde ersucht, einm Theil der Funk­

tionen des erkrankten Vorstehers zu übernehmen; jeder Wechsel schien ihm Berbefferung; er sagte zu.

Da er sich bewußt

war, nicht imponiren zu können, so ergriff er den Ausweg,

was ihm an Würde in der neuen Stelle abging, durch Be­ liebtheit zu ersetzen.

Er legte sich die Last auf, die Schüler,

die er geistig zu bereichern hatte,

außerdem durch Kund­

gebungen einer gilt gemeinten Großmuth an sich zu feffeln,

die, abgesehn davon, daß sie in Form von Naschwerk und seinen

Spielereien

nichtsnutzigen

bescheidenen

Gehalt ver­

schlang, pädagogisch betrachtet, schwerlich zweckfördernd

Er entging den Spöttereien der Jugend

nannt werden durfte. dennoch nicht,

ge­

obwohl er sie auf diese Weise im voraus ab­

zukaufen gedachte, und Dr. Millner, der die Aufgabe seiner

Anstalt durch derartige Selbsthülfe gefährdet glaubte, wurde

den armen G o l d s in i t h, für dessen inneren Fond er übrigens das

vollkommenste

Verständniß

Manier wieder los,

besaß,

Gottlob mit guter

ohne zu kränkender Kündigung feine

Zuflucht nehmen zu müssen.

Millner lieferte gelegentlich Beiträge in die „Monthly review“, eine seit elf Jahren unter der Leitung eines Buch­

händlers, Namens Griffiths, in Zeitschrift.

Griffiths

lernte

Aufnahme gekommene

in Millners Hause

Goldsmith persönlich kennen, und unterschied in ihm mit

dem

praktischen

Blicke deS

Geschäftsmannes das geeignete

Individuum, dessen er bedurfte, um mit seiner Hülfe dem

58

torystischen Oppositionsblatte, der „Critical review“, ein bedenklich werdendes Gegengewicht zu erschweren. Goldsmith ließ sich für eine vorgespiegelte literarische Thätigkeit entgegenkommend gewinnen, und trat bei Grif­ fiths in Kost und Brod. Hier mußte er sich an ein un­ freies, Stunden ausfüllendes, Tagewerk gewöhnen, was auf die Dauer um so weniger seine Sache war, als ihm für seine Person und seine Aufsätze die Controle nicht nur deS Herrn vom Hause aufgedrungen ward, sondern, als selbstver­ ständlich, auch die der Frau. Mrs. Griffiths beanspruchte, sämmtliche Beiträge für daS Blatt, von ihrer Hand zuge­ stutzt, die Linie passiren zu lassen, bevor sie als druckreif in die Welt entsendet würden. Goldsmith, der sich in diesem Sinne noch nicht druckreif erachtete, erklärte alle Verpflich­ tungen für gelöst; man sagte sich gegenseitig die einen Bruch erleichternden Aufrichtigkeiten, und schied von einander; nicht für immer, wie Griffiths voraussahen, deren Berechnung, die Noth werde ihn früher ober später wieder zurückführen, die Folge leider bewahrheitete. Sein erster Beitrag in Griffiths Journal war eine Rezension von Professor MalletS Buch über „die Mytho­ logie und Dichtkunst der Celten" im April 1757 gewesen, sein zweiter im Mai desselben Jahres eine Besprechung von HomeS Tragödie „Douglas", sein sechszehnter und letzter im Dezember 1758 die Rezension einer Uebersetzung von Ciceros „Tusculanen". Oliver, nun abermals beruflos. hatte mindestens jetzt den Vortheil, einen Namen aufweisen zu können. Seine Ar­ beiten für Griffiths Journal, obwohl in der Hast hin­ geworfen, obwohl stofflich in Gegenständen des TageSinterefseS befangen, vermochten, trotz ihrer Verunstaltungen in

59 Folge des ästhetischen Schönheitssinnes der Mrs. Griffiths, durch feine Beobachtung, psychologische Tiefe, bunte Anmuth des StylS noch in einem Grade zu fesseln, daß Goldsmith

fortan um Anerbietungen nicht verlegen zu sein brauchte. Er schrieb unter Anderem bald darauf für daS von John Newbery herausgegebene „Literary magazine“, und ihm

gelang, seinen Ruhm nicht nur zu erhalten, sondern auch zu befestigen; seinen Ruhm, nicht aber zugleich seine Existenz. Hinsichtlich dieser sah er sich genöthigt, zur ärztlichen

Praxis zurückzugreifen, und da er in seiner ärmlichen Woh­

nung sich anständigerweise nicht überraschen lassen konnte, so verfiel er auf ein in London übliches Auskunstsmittel: von einem Kaffeehause aus zu praktiziren, dort seine Sprechstunden zu halten, von dort in ärztlichen Functionen sich abrufen zu

lassen.

Die

Kaffeehäuser, oder, wie man sich ausdrückte,

Koffeehäuser, waren überhaupt der Sammelplatz der schönen

Geister, die den TageScurS der Politik und Literatur daselbst vereinbarten.

Unterdeß war der Ruf OliverS bis nach Irland ge­ drungen, wo, was noch gemangelt hätte, den bescheidenm An­ fänger zur ersten literarischen

Berühmtheit zu vergrößern,

die freigebige Phantasie der kleinen Stadt hinzufügte. smith sah zu

Gold­

seinem Erstaunen seinen jüngeren Bruder

Charles unverhofft bei sich eintreten, der ohne Ueberlegung, wie alle GoldsmithS, sich auf gutes Glück auf den Weg nach London gemacht hatte, um vom einflußreichen Oliver eine Existenz entgegenzunehmen, mit deren Anbahnung dieser

selbst noch zu ringen sich angewiesen sah.

Charles kehrte,

eines Besseren belehrt, aus der dürftigen Kammer in Lon­ don kleinlaut nach Irland zurück; er sollte bald darauf spurlos

60 verschwinden, verschallen, und nach dreißig Jahren von Amerika als gemachter Mann heimkommen. Oliver seinerseits ergriff diesen Anlaß, verwandschaftliche Beziehungen wieder aufzunehmen, und in einem ver­ ständigen und verständlichen Briefe an den Schwager die Meinung seiner Angehörigen von ihm herabzustimmen. Eben in diesem Zeitpunkte begann er an sich zu zweifeln, seine Produktionskraft hielt nicht vor; die ihm angeborene Träg­ heit trat nun in Form physischer Erschöpfung auf, und diese al- unausbleibliche Folge eines unausgesetzten Kampfes mit den nothwendigsten Bedingungen zum Leben und zum Lebens­ unterhalte. Zu seinem Glücke erkrankte auf's «tut der Dr. Millner, und Goldsmith wurde zum zweiten Male nach Peckham abberufen, wo er in die alte Thätigkeit ein­ trat, ohne die frühere Freigebigkeit zu wiederholen. Der wohlwollende Gönner, den er hier vorübergehend beruflich ersetzte, versprach ihm durch seinen Einfluß eine Stelle als Arzt in Indien, und Oliver, deffen Vorliebe für den Orient niemals erloschen war, sann nun auf Mittel, sich für die Reisekosten nach dem entfernten Orte seiner demnächstigen Wirksamkeit vorzusehn. Zu diesem Zwecke schrieb er ein Werk, wovon der volltönende Titel: „Untersuchung über den gegenwärtigen Stand der schönen Wiffenschaften in Europa" das Gründlichste war. Den Inhalt bildeten Reminiscenzen aus seinen Disputationen in den italienischen Klöstern, und waS etwa beim Blättern in verschiedenen Büchern, die ihm durch die Hände liefen, an ihm haften blieb. DaS zusammen verarbeitete sich in seinen Gedanken zu einer verworrenen Maffe, deren Niederschlag er als philosophisches Räsonnement unter dem Zauber seiner Rhetorik in die Welt einschmuggelte. Er glaubte zuletzt selbst an die so überzeugend redende Phrase,

61 und traf Vorkehrungen, sich die Vortheile des von ihm nicht

bezweifelten

Absatzes in

Irland,

wo kein

Paragraph im

Strafcodex gegen den Nachdruck schützte, allein zu sichern, zu

welchem Behufe er einem Buchhändler in Dublin Auftrag gab, gegen Vorausbezahlung Subscriptionen entgegenzunehmen; und Subskribenten zu sammeln Freunde und Verwandte brief­

lich, aber alle erfolglos, aufforderte.

guter Vater endlich zur ersehnten

Selbst Jane, deren

Ruhe eingegangen war,

ersuchte oder vermochte ihren Gatten nicht, im Jntereffe des Jugendfreundes auf die gewünschte Art thätig zu sein.

Goldsmith erhielt indesien die ersehnte Anstellung bei

der indischen Compagnie.

Er wurde als

Arzt unter den

günstigsten Bedingungen nach Caromandel berufen.

Bis

dahin hatte er weislich vermieden, von dieser Aussicht zu

sprechen; die Erfüllung theilte er jetzt überglücklich seinen Angehörigen in den glänzendsten Farben mit, mahnte auf'S neue ungestüm um Subskribenten, und schrieb seinerseits für Hamiltons Journal, um sich mit dem für ihn abfallenden

Honorare für die

Seereise

vollends

AuS derselben wurde nichts!

auSrüsten zu können.

Goldsmith ward plötzlich

bedeutet, die Stelle sei anderweit vergeben;

er selbst ver­

schweigt die Gründe zu dieser Zurücknahme, und setzt sich

durch sein passives Verhalten einem so auffallendem Schritte gegenüber der Vermuthung aus, er habe in Folge eines ihm

nicht günstigen, uns aber in seinen Einzelheiten durchaus unbekannten Zusammenhanges sich in die Umstände gefügt.

Dieses abermalige Fehlschlagen hatte für ihn den Nachtheil, daß man auS seinem Widerwillen gegen einen zwingenden Beruf eine Lage der Dinge erklärte, die er mit allen ihm zu

Gebote stehenden

sich bewußt war.

Mitteln

abwenden

gewollt zu haben

Um den Verdacht zu entfernen, als wäre

62 wäre Mangel an Sachkenntniß in Frage gewesen, meldete er

sich zum Examen als Assistent in einem Hospital, und be­ stätigte den Argwohn, den er zu vermeiden wünschte.

Er

fiel durck. Außerdem traten gerade im kritischen Zeitpunkte klein­ lichste Mißhelligkeiten des Lebens unter den demüthigendsten Ein in diesen Tagen an seinen

Umständen an ihn heran.

Bruder

Henry entsandter

Brief verdient deßhalb um so

mehr ihn zu überleben, als derselbe das sprechendste Zeugniß

dafür ablegt, wie ihn Prüfungen wohl zu beugen, nicht aber zu brechen vermochten. Er schreibt:

Theurer Sir!

Das Fehlschlagen meiner indischen Hoffnungen hat mir für mich selbst bewiesen, daß ich noch mich zu fassen weiß; meine Meinung von mir kann dieser

stimmen.

Ausgang nicht um­

Aber es ist hart, mit einunddreißig Jahren von

vorn anfangen zu müssen.

Ich war, Gottlob, seit ich euch

das letzte Mal sah, nicht krank, und bin nicht kränklich; herabgcdrückt allerdings, und wie wäre es anders möglich?

Acht Jahre fortwährender Angst währenden Kampfes und

und Enttäuschung, fort­

Studiums lassen Spuren zurück.

Irre ich nicht, so bist Du um eben diese Zahl älter, als ich.

Sähe uns jetzt ein Dritter nebeneinander, er würde mir den

Altersvorrang einräumen. Stelle Dir ein bleiches, melan­ cholisches Gesicht vor, mit Falten, mit starrem Auge, mit einer dicken Perücke, das bin ich.

Du, fröhlich und gesund

unter Deinen Kindern, wirst anders aussehn.

Das ist ein Glück, was ich nicht kenne, seitdem ich

weiß, was es heißt: heit? Ich?

„Mensch sein".

Kindliche Unbefangen­

Ich habe fortwährend nur mit kalten berechnen-

63 dm Wesen verkehren gemußt, von denen ich mir nichts an? eignete, als ihr Mißtrauen. Für die Gemeinschaft mit meinen schlichten Freunden zu Hause fühle ich in eben dem Grade

mich verdorbm, als ich diejenige verabscheue, zu der ich hier verurtheilt Lin.

abgestorben.

Für die Geselligkeit betrachte ich mich als

Wie cS jetzt mit mir steht, kann ich Spaß

weder machen, noch theilen.

Ich habe, mir eine schleppmde

Sprache angewöhnt, und sehe aus — doch ich merke, daß ich anfange, mich gehen zu lassen. für Dich noch weniger.

DaS ist nichts für mich,

Von etwas Anderem!

Die Gründe, die Dich bestimmen, Deinen Sohn dem

Studium zu widmen, muß ich anerkmnen; möchtest Du mir

nicht mittheilen, was er studiren soll?

schaft, so schicke ihn in'S Colleg!

Ist er ohne Leiden­

Besitzt er aber Ehrgeiz,

ist er reizbar, ist er empfindlich, am empfindlichsten gegen

Verachtung, dann besinne Dich wohl!

Erspare ihm in diesem

Ununterbrochenheiten, und Dir die Ausgabe für eine Vorbildung, die er Dir verdanken

Falle eine Folgereihe kränkender

kann, und Dir ani liebsten verdanken wird.

Mit Latein,

Französisch, Rechnen und einer oberflächlichen Kenntniß der wichtigsten Rechtsprinzipien reicht er au«. Vor allen Dingen lasse ihn nie einen

Montan lesen,

damit ihm nicht die wirkliche Welt durch eine idealisirte ver­ leidet werde.

Dann braucht er nicht nach einem, nirgends

vorhandenem, Glücke zu seufzen, bewahrt sich Sinn für jene kleinen Freuden im Dasein, die uns aufrecht erhallen, und erwartet vom Leben nichts, waS eS nicht gibt, nicht geben kann.

Glaube dem Worte eines Mannes, der aus Erfahrung

spricht, nicht auS Büchern; Bücher taugen nichts.

Habe die

verdienstlichsten Eigenschaften, sind sie Dein alleiniger Besitz, so machen sie Dich nur lächerlich.

Der, geistiger Vorzüge

64 Pch bewußte, Arme, welcher mit diesem Bewußtsein

Welt

und Leben zu überwinden versucht, zieht sich nur bedauern­ des Mitleiden zu.

Horaz hat recht: „pauperies magnum

opprobrium est“.

Genügsamkeit ist

der wahre

Ehrgeiz.

Das präge Deinem Sohne ein, lieber Bruder, und weise

ihn hatte

auf

aus

das

Beispiel

seines

Moralsystemen

armen

gelernt,

hin.

Onkels

großmüthig

Ich

und ohne

Eigennutz zu sein; das Leben lehrt mich, zusammenzuhalten

und abzuweisen.

Philosophische Ruhe wollte ich der Men­

schen Arglist und Thorheit entgegensetzen, und

plumpsten Lüge, ohne sie zu durchschauen.

erlag

der

Ich glaubte, als

der Wohlthäter Bedürftiger auftreten zu müssen, wobei ich

verkannte, daß man, um die

Selbstständigkeit anderer er­

leichtern zu können, nicht Gefahr laufen darf, seine eigene

darüber zu verlieren, und selber bedürftig der Wohlthaten

zu werden, um die man sich bestiehlt. Meine Mutter ist fast erblindet, wie ich höre.

Wie sehr

ich unter solchen Umständen auch wünschen möchte, zu euch

zu reisen, so bin ich doch gezwungen, diesen Wunsch mir zu versagen; denn sie sehen zu müssen, und ihr nicht helfen zu

können, hieße mein Unglück vergrößern, ohne das ihrige da­ durch zu erleichtern.

Dein letzter Brief war zil kurz. hätte ich gern Antwort erhalten.

Auf manche Fragen

Mache es so, wie ich, setze

Dich hin und schreibe, bis der Bogen voll ist. es keiner Gedankenanstrengung;

Dazu bedarf

mindestens bei mir nicht;

mein Gefühl gibt mir die Worte an Dich ein, mein Verstand hatnvenig Antheil daran.

Grüße RobertBryanton von

mir, und ersuche ihn in meinem Namen, er möge sich im Trinken nicht übernehmen.

Laß mich doch Näheres von der

armen Jenny wissen; schlimm, daß es ihr schlecht geht;

65 aber liebt ihr Mann sie wirklich, so wird dieser Umstand sie viel überwinden lehren. Ich weiß nicht, soll ich Dir diese Geringfügigkeit mit­ theilen, oder ist sie zu geringfügig: von mir wird in einigen Tagen wieder ein Buch erscheinen, das Leben eine- außerordentlichen Mannes, niemand Geringeres, als Voltaire. Ich muß erwerben, also auf Stoffe bedacht sein, mit benot ich voraussichtlich locke. Ich schrieb das Werk für zwanzig Pfd. in vierzehn Tagen. Erscheint eS, will ich auf einem für Dich kostenfreien Wege eS Dir zuzusendep suchen. Das Postporto würde vier bis fünf Schillinge betragen; die liest Du vielleicht nicht heraus. Ich wiederhole noch einmal: Dein letzter Brief war zu kurz. Ueber den Dir vorgelegten Plan zum komischen Epos sprichst Du Dich auch nicht aus. Du weißt, es beginnt damit, daß der Held in einem schmutzigen Alehouse auf der Bank liegt. Ich denke, folgmde Tonart anzuschlagen; ich meine, sie wäre originell: Durch da» papierne Fenster stahl sich zag ein Sonnenstrahl in'S Zimmer, wo er lag.

Vom Tritt erknirscht die Flur, bestreut mit Sand; e- hingen schlechte Bilder an der Wand.

Dort hatten Wetterregeln ihren Platz; da» Jahr hing eingerahmt in Bandbesatz; dazu der alte Fritz, von Rauch gebeizt;

obgleich e» kalt war, war nicht eingeheizt.

Und er vermag den Blick nicht abzuziehn vom freundlich nicht erloderndem Kamin. Am SimS stand seine Rechnung angekreidet,

den ein zerbrochne« Tassenpaar bekleidet.

Dann, nach einem Monologe folgt ein Dialog, der in einen Disput übergeht. Der Wirth war eingetreten:

66 nicht höflich, nicht vergnügt; mit dem Gesicht,

wie gegen Gäste, welche zahlen nicht. Nein, mürrisch, grob; nicht in der Hand die Flasche;

znr Faust geballt die Hände in der Tasche.

Mon­

Du stehst, daS Wes ist der Natur entnommen.

taigne bemerkt treffend, daß der weiseste Mann oft selbst nicht weiß, wie sehr er der Narr seiner Freunde ist.

Meine

gegenwärtigen Narrheiten nimm als Beweise des Zutrauens

in

Deinen

Geschmack

wohlwollmd auf.

Porste ist eine

leichtere und anmuthendere Art Schriftstellern, als Prosa. Mir mindestens wird sie leichter.

Nährte sie nur ihren

Mann, wie gern wäre ich dann Dichter.

Ich will keinen

Streifm weißen Raum lasten, und sollte ich zu dem Noth­ behelf greifen mästen, Dir schließlich, aber nicht zum letzten

Male zu versichern, waS Du nicht zum ersten Male ver­ nimmst, daß ich bist und verbleibe Dein Oliver.

Voltaires Leben, besten er erwähnt, wurde von ihm ohne Trieb und Lust rasch entworfen, als Gegenleistung für einen Vorschuß Griffiths.

ES sollte anfangs, um einiger­

maßen einen Band füllen zu können, mit der von Edward Pnrdon

übertragenen

Henriade

zusammen

erscheinen.

Später ward jedes für sich besonders in Journale ausge­ nommen.

in

Auf Purdon, der bald darauf, physisch erschöpft,

Smithfield

plötzlich todt zu

Boden fiel,

verfaßte

Goldsmith, der ihm Mittel, sich satt essen zu können, oft im Leben hatte zu theil werden lasten, die Grabschrift: Hier schlummert Red Purdon, vom Hunger befreit; al- Schriftsteller macht' er kein Glück; er verschwand vor der Welt; er verschieb vor der Zeit; er sehnt sich gewiß nicht zurück.

67 Die im obigen Briefe bedauerte Jenny war Goldsmiths an einen unbemittelten Mann ebenfalls heimlich verheirathete Schwester, MrS. Johnson. DaS komische Heldengedicht scheint nicht beendet, nicht einmal fortgesetzt zu sein. Ver­ einzelte Zeilen lauten: Dort, wo der rothe Löwe grinsend winkt den Rittern von der Straße: Kommt und trinkt!

Wo Calvert wohlbekannt, und Parson Wirthen;

wohin vrrirrte Schönen ost verirrten;

im vor Policeman- schützendem Verließ lag Scroggins unterm Federbett von Frieß; in einer Mütze von ganz eignem Schlage; bei Nacht 'ne Mütze, und ein Strumpf am Tage.

Vielleicht wäre etwas daraus geworden, vielleicht auch nicht. Eine Hoffnung, die sich mit einem „Vielleicht" einführen muß, ist schon ein halber Trost; ein Verlust also schwerlich zu beklagen. GoldsmithS äußerer Lebensverlauf in den nun un­ mittelbar folgenden Jahren ist ein monoton sich wiederholen­ der Wechsel der Wohnungen und der Verleger. Je bester der letzte zahlt, mit desto sinnigerem Comfort wird die erste von dem für häusliche Bequemlichkeit äußerst empfänglichen Goldsmith eingerichtet. Er kam nun erst zur Erkenntniß dessen, waS er sich in dieser Hinsicht hatte versagen müssen. Nack seinem Austritt bei Griffiths und schon vor demselben wurde er unter andern von Dr. Smollet, dem Verfasser des Peregrine Pickle aufgefordert, sich an der Criticsll review zu betheiligen. Die Nummer des genannten Blattes, worin er sich'mit der Kritik einer durch William Massey gelieferten schlechten Uebersetzung von OvidS Fasten einführt, enthält zugleich einen Brief an das alte 5*

68 Weib, welche „das Montägliche" vom Stapel läßt.

Darauf

erwiderte die Gemahlin Ralph Griffiths, ihre Spalten

würden nicht ausgefüllt von Aerzten ohne Praxis, Autoren

ohne Kenntniß, Menschen ohne Bildung, Schriftstellern ohne Urtheil.

Smollet entgegnete, die Mitarbeiter an seinem

Journale kämen in demselben unverkürzt zur Geltung und nicht beschnitten von einer weiblichen Hand, deren Besitzerin sich einbilde, Geschmack zu haben. Goldsmith selbst ver­

gleicht in einem Abschnitte seines Buches über den jetzigen

Stand der Wissenschaften in Europa die auf schriftstellerische Lohnarbeit angewiesenen verschämten Bettler mit einem von

den Naturforschern „Soldat" genannten Thiere.

Dieses kleine

vielleicht von ihm erfundene Geschöpf, belehrt er uns, habe eine Leidenschaft für häusliche Bequemlichkeit, sei aber mit keinem

Gehäuse versehn, und komme deßhalb zu bestimmten Zeiten in Masse von den Bergen an die Meeresküste herab, um die

verlassenen Schalen am Ufer in Besitz zu nehmen.

Geschäftig

untersuche es dieselben; eine Schale sei zu groß, die andere zu klein; es forsche so lange, bis es eine Wohnung finde,

die ihm passe; dann kehre der ganze Zug auf'S Gebirge zurück. Die Nutzanwendung davon auf passende Verleger und obdachsuchende Artikelschreiber liegt auf der Hand. Als Beleg für Goldsmiths kritische

Gaben — eine viel zu

wenig gewürdigte Seite seiner literarischen Thätigkeit — ver­

dient folgender Aufsatz nicht der Vergessenheit zu verfallen, den die Critical review int Januar 1757 brachte: „Ovids Episteln, in englische Verse übertragen, mit

kritischen Versuchen und Noten,

als Auswahl eines

Abschnittes von'Vorträgen über Poesie und Beredtsamkeit, gehalten in der

Schule zu

Ashford, in der

Grafschaft Kent, in der Absicht, die Jugend in die

69 Elemente des Geschmacks von Stephen Barett ein­ zuführen, A. M., Lehrer an der besagten Schule, 8vo." Das täglich an Horaz, Virgil und Ovid ver­ schwendete Lob ist in der Regel nichts anderes, als ein in­ direktes Compliment, welches der Kritiker seinem eigenen Geschmacke macht. Die Schöpfungen der Genannten gelten seit unvordenklicher Zeit als Muster des Schönen. Unser Beifall kann ihren Ruhm nicht erweitern, wohl aber unseren anbahnen, wenn wir mit der Bewunderung ihrer Größe unser Verständniß für dieselbe bekennen. Also zur Sache. Ovid bedarf meiner nicht zum Panegyristen, und ich nicht des Verdachtes, auf eine so billige Weise mein eigner Lobredner zu werden. Nicht überflüssig mag die Bemerkung erscheinen, daß die Masse seiner Uebersetzer, indem sie eineStheilS die Zahl seines Anhanges vermehrte, andererseits die Unmöglichkeit der Wie­ dergabe des Originals in ihrem ganzen Zauber immer klarer herausgestellt hat. Dry den, fortwährend arm, und fortwährend in der Laune, kein Mittel zu verschmähn, forderte seine Freunde auf, sich an OvidS Episteln zu versuchen. Er kam öfter in die Lage, bei literarischm Unternehmungm der AuShülfe Minder­ begabter zu bedürfm, die sich durch dm Umstand entschädigt hielten, daß sein von keiner Folgezeit antastbarer Ruhm ohne ihre ephemeren Zuthaten dazu dem Verständnisse der Nach­ welt nicht überliefert werden konnte. Natürlich trugen diese zusammengebettelten Briefe OvidS die Spur ihres Ur­ sprungs; keiner war dem anderen und noch weniger dem Originale gleich: das Werk ward ohne Noten veröffmtlicht, weil der Leser jener Tage sich Belehrung verbat, wo er Genuß erwartete, und, gefiel ihm etwas, nicht der Auskunft darüber

70 bedurfte, warum es ein Recht hatte, ihm zu gefallen.

Man

bestand auf dem Ueberraschtwerden, und ließ sich nicht gern vororientiren, wie im Schauspiel, wo ein zudringlicher Nachbar, der uns zuflüstert, was jetzt kommen wird, uns um die

Freude der Erwartung bringt.

Seit Drydens Frevel hat Ov id verschiedene Versuche erleiden müssen, die nur leider nicht zugleich allemal Ver­

besserungen waren.

Bald wurde er von Schulmeistern über­

setzt, die kein Englisch, und bald von Damen, die kein Latein

verstanden; bald erscheint er als Pedant, bald als Wollüst­

ling; bald trottet er in schwerfälliger

wird er unanständig verenglischt.

Prosa einher, bald

Gelehrte, die Alles an

ihm kennen, seine Anmuth ausgenommen, geben ein langes

Register von Städten und Namen, und er verliert sich in diesem Addreßkalender oft derart, daß man häufig nicht weiß, in welcher Gegend er zu finden ist.

Seine weiblichen Nach­

ahmer verwechseln ihn in den Briefen mit dem Gegenstände ihrer Neigung, und ersetzen den Takt seiner Ausdrucksweise

durch die Glut der ihren, wodurch sie zugleich die Kritik-ent­ waffnen, weil ein Zuviel in solchem Zusammenhänge als

Uebermaß des Enthusiasmus nur zu ihrem Vortheile miß­ deutet werden könnte.

Kurz, Stirling und Clark haben

dem römischen Dichter die Schönheit, und Mrs.-------- ihm die Sittlichkeit abgestreift, deren Uebertragung übrigens, als von weiblicher Feder herrührend, sich hinreichend in ihren

Motiven erklärt, da Niemand den Damen das Recht bestreiten wird, Entzückungen zu beschreiben, die sie allein zu gewähren

vermögen, l

1 Miß Elisabeth Caroline Keene veröfsentlichte 1758 eine Übersetzung von Dido'S Brief an Aeneas.

71 Ein Dichter, Vorzug da«

wie Ovid,

Geheimniß

als dessen hauptsächlichster

der Beherrschung der Form gilt,

stellt an den Uebersetzer doppelte Ansprüche.

Eine formell

vollendete Redewendung, die zugleich den Inhalt des Gedanken«

deckt, ist eigentlich schon an sich in eine andere Sprache un­ übertragbar; jedenfalls verliert sie durch das Mindeste, wa«

man ihr nimmt oder hinzufügt.

Der vorliegende Versuch

beweist auf'S Neue, daß Ovid leichter bewundert als nach­

geahmt wird.

Vielleicht versteht Herr Barett des Dichters

Schönheiten zu empfinden, auszudrücken.

aber seine

Empfindungen nicht

Er ist für den guten Ruf des lateinischen

Autors sehr besorgt, waS denselben eben nicht für den Vor­ trag

Schulen

in

empfiehlt.

Wenn,

wie

wir

Engländer

glauben, dem Dichter nur ein anderer Dichter in seinen In­ tentionen gerecht zu werden vermag, Baretts Ansprüche auf

so möchte ich

Herrn

eine Stelle in den Annalen des

Parnaß nicht bevorworten. Was er will, der Reid selbst muß es anerkennen, ist

löblich.

Er bezweckt nichts Geringeres, als Knaben, Schul­

meister,

Gentlemen, da- Publikum überhaupt — um seine

eigenen Worte zu gebrauchen, — in den Elementen des

Ge­

schmacks zu unterrichten, und zwar auf doppelte Art: durch Lehre und Beispiel.

Seine Methode ist folgende: Einmal

in der Woche über Poesie und Poesie zu lehren, mit diesem

Autor zu beginnen, Lateiner, Griechen, Landsleute folgen zu lassen, und mit LonginuS zu schließen.

DaS würde nicht

wenig, ihren Geschmack zu bilden, beitragen; den seiner Zu­ hörer nämlich.

Nicht wenig, Leser! beachte daS wohl!

Dies

nicht wenig läßt nicht wenig viel erwarten von einer Per­ sönlichkeit,

bei der man,

da sie schon ihre Muttersprache so

72 überraschend beherrscht, daS entsprechende Verständniß einer fremden voraussetzen darf. Doch bevor wir den Linguisten in ihm bewundern, haben wir dem Dichter Gerechtigkeit widerfahren zu lasten. Au diesem Zwecke wählen wir den ersten Brief, der durch Herrn Barett- Verdienst ein Bild davon gewährt, wie Worte unseres Idioms, ohne vollkommen unverständlich zu werden, sich in lateinischen Satzfügungen auSnehmm. Der­ gleichen Zwang-assimilationen lehren uns zugleich des UebersetzerS Gewandtheit und die Ueberwindbarkeit der eigensinnigsten Sprachregeln kennen.

Penelope an -lliß. An Dich, geliebter Mann, send ich Bericht; Doch bring' die Antwort selbst, und schreibe nicht!

Eine nicht unglückliche Nachahmung deS unbedeutenden Taylor, der sich so auSdrückt: Dir, theure Ursula, send' ich Bericht; Ihn schrieb da- Herz, dir Hand verfaßt ihn nicht.

Aber wir wollen de- Lesers berechtigte Ungeduld nicht durch Zwischenbemerkungen aufhalten. Also weiter! Gefallen ist nun Troja- hohe Veste!

Nur Trümmer, nur Ruinen, nur noch Reste!

O, daß ein Sturm, al- er gesucht da- Weite,

Vom Ehebrecher diese Welt befreite!

„Befreite" für „befreit hätte", darf man so genau nicht nehmen, um so weniger, weil diese kleine Auslastung keine erheblichere Folge hat, als die, gerade das Gegentheil von dem zu sagen, was gesagt werden soll. Auch hat er nicht da- Weite gesucht, sondern sie; er allerdings mit. Dieses

73 das Weile suchen, hatte allerdings wettere Nachtheile, die Penelope weiter unten hervorhebt. Nicht hätte sich der Gatte mir cntrifftn; Ich würde, ob ich Wittwe wäre, wissen!

Eine zu falschen Auslegungen auffordernde Neugier! Daß ich der neuen Ehe mich entschlage,

Zertrennt' ich nächtlich daS Gespinnst der Tage.

Der Liebe Aengstlichkeit ließ mich beim Weben Dich mit erdichteter Gefahr umgeben;

Ließ Dich erliegen unter den Gefahren; Ich sah in Dir daS Opser der Barbaren, Sah Dich verenden, todt von Trojerstreichen, Und bei dem Namen HektorS Dich erbleichen.

Bei Ovid erbleicht allerdings Penelope, und nicht Uliß; der Uebersetzer bezeugt indessen durch seine Version, daß er den Dichter besser versteht, als dieser sich selbst. Uliß wird auch sonst beim nämlichen Autor einigermaßen schreckhaft und nicht wesentlich anders, als ein Großsprecher geschildert. Die ihn bezeichnendste Stelle lautet: Ich hab' Achillen her zum Heer geführt;

Und seiner Thaten Ruhm gebührt Mir, der ich ibm gezeigt daS Thatenfeld. Ich habe TenedoS zerstört und Theben;

D. h. Achill Gelegenheit gegeben; Ich habe TelephuS verwundet, Und hab' ihn wieder hergestellt;

D. h. Achilles that's, der'S selbst bekundet.

Den Hektor selbst hab' ich im Kampf erlegt; D. h. Achilles hat's gethan. Und feine Waffen, die den Stteit erregt,

Für jene mög' ich sie zum Lohn empfahn,

74 Mit denen ich mich auf gen ScyroS machte. Und die bewirkte,:, daß er sich verrieth,

Vom Weib entpuppte, für den Mann entschied. Und durch mich, was er that, vollbrachte.

Des RhesuS Rosse nahm ich mit als Beute;

Bon Diebstahl kann hier keine Rede sein.

Ich, der ich keine Mehrzahl scheute, Drang in SarpedonS Schaar verwüstend ein. Alastor, ChromiuS und Alcander fallen

Durch mich, Thron, ChersidamaS,

Und andre mehr.

Ich bitte um Erlaß

Der Namen von dm andern allen.

Penelope fährt fort: Die Kunde, daß AntikochuS erlegen,

Erneute meine Sorge Deinetwegen Als ich nun gar vemahm, Pa trocken hätte

Nichts seine List genützt, daß sie ihn rette, Dacht' ich, dann ist UlisseS auch verloren, Dmn Niemand ward mit so viel List geboren. Und beim Gerücht vom Tod des Tlepolem

Rief ich: „Nun folgt Uliß, nun kommt's an dem. Kalt, eisig überlief es meine Brust, Erfuhr ich nichts als immer nur Verlust.

Hier haben wir ein Beispiel, wie zwei gleichbedeutende Epithete die Kraft des Ausdrucks heben. Zuerst überläuft eS ihre Brust kalt; um dieselbe aber noch kälter überlaufen zu lassen, läuft eS auch noch eisig. Eine gründliche Erkäl­ tung. Ovid sagt, „kälter, als EiS", steigert durch die Com­ parativform, und schafft zugleich ein Bild. Doch ZeuS, an dm ich bittend mich gewandt,

Er steckt — mein Mann entkommt — die Stadt in Brand.

Herr Barett steckt zwar nicht die Stadt in Brand, aber einen Satz in den andern: ein beliebtes Mittel, den Sinn

75 zu verdunkeln; dmn dunkle Stellen, — das hat sich erwiesen, — erwecken am ersten Bewunderung.

Der Autor unterbricht dm

begonnenen Gedanken durch einen zweiten, der den Kein, eines dritten enthält; was an die Fraum mit Schachteln erinnert,

von bene« immer eine in der anderen steckt, oder, um bei der

BartholomäuSmesie zu bleiben, an HoeuS.

HocuS zeigt

einen Korb vor, dem Anscheine nach leer; klapp! und ein Dutzend Eier sind da!

Klapp! daS zweite Dutzend!

Klapp!

die Henne, welche alle gelegt hat. Di« Griechin kehren heim, Altäre flammen,

Und Asien- Beute brennt daraus zusammen. Es nahn sich die Matronen mit Geschenken

Den Siegern, die deS Sieg» im Sang gedenken; Die Mädchen staunen an, was sie gesungen; Die Weiber hängen an der Männer Zungen.

Die Kritiker sind außer sich vor Entzücken über den sinnreichen Gebrauch, welchen die Alten vom Hängm machen.

Virgils Ziegen hängen an Felsen, seine Mädchen an den Blicken ihrer Liebsten; Ovid läßt sogar die Weiber hängm,

aber doch nur an Lippm.

Barett, um zu beweisen, daß

er ebm so gut metamorphosiren kann, wie Ovid, verwandelt

die Lippen in Zungen. Bei Tisch gibt jeder, wa« er weiß, zum Besten,

Und Ilion ersteht aus seinen Resten. Mit Wein, den er verschüttet, zieht er Kreise, Und zeigt, daß deutlicher er unterweise: „Hier war die Schlacht; hier floß der Simoi«;

Hier mordete Achill, und hier Miß; Hier stand dir Burg, und hier lag Hektor« Leiche;

Die kinderarme, einst die kinderreiche." Da» Alle« hat, von Telemach befragt,

Nestor erzählt, der Sohn e« mir gesagt.

76 Barett hätte hier eleganter sich ausgedrückt: Du frägst erstaunt: woher ich Alle- weiß?

Bom Tele mach, und der vom Griechengreis.

oder, um die überflüssigen Worte, welche Nestor zu machen beliebte, auch durch den Rhythmus zu versinnbildlichen: Du frägst erstaunt, woher in aller Welt ich Alle- weiß Vom x. Er sagte noch, daß Du de- RhesuS Fohlen,

Nachdem ihn Diomed erlegt, gestohlen, Und daß Du nächtlich mordetest Dolon,

Der sich dolos erwiesen als Spion.

Hast Du denn nicht an Weib und Kind gedacht,

Als Du allein Dich auf den Weg gemacht

Zu einem Zweck, um welchen Niemand wußte, Begleitet nur von Diomed?

Ich mußte

Bor Scham erröthen und vor Schreck erblassen, Daß Du in einen Kampf Dich eingelassen Und fremde Rosse in Besitz genommen.

Nur gut, daß Du auf ihnen noch entkommen!

Was hab' ich Aermste denn von Ilion- Brand ES fiel, daß es noch stünde, wo es stand!

DaS Schicksal TrojaS läßt mich ungerührt, Da mir'- den Gatten nicht zurückgeführt. Für mich, und nur für mich allein noch steht'S,

Trotz Deiner Wasienthat und DiomedS.

Die meisten alle sind zurückgekehrt;

Doch Du vermeidest Deiner Väter Heerd. Don Troja haben nur Besitz ergriffen,

Die vorgezogen, sich nicht einzuschiffen,

Und um die Heimkunft ihre Frau'n betrügen. DaS Weichbild TrojaS wird durchfurcht von Pflügen

Es stößt der Pflug, anstatt auf Schutt und Steine, Auf Schädel, halbbeerdigte Gebeine;

77 Der Boden, den da- Blut Gefallner düngt,

Verspricht die vollste Frucht, und prangt vergnügt; Der Leichenacker ward zum Erntefeld. — Errieth' ich nur, waS Dich zurückbehält? Kein fremder Kaufmann kommt an unsre Küste, Der nicht, nach Dir befragt, berichten müßte!

Doch keiner unter allen, die hier rasten,

Gibt mir Gewißheit; ich muß weiter fasten; Und keiner, der mir keine Kunde brachte, Den ich mit keinem Brief an Dich befrachte!

Nach PyloS ging schon Telemach, zum GreiS;

Auch Nestor weiß Nichts, der sonst Alle- weiß. Bon dort ist er nach Sparta fortgegangen, Um gleichfalls keine Auskunft zu empfangen.

O, daß noch stünden PriamS König-Hallen! Verwünscht mein frührer Wunsch, sie möchten fallen!

Ich wüßte doch, WaS ich zu fürchten hätte,

Und wo? ich kennte wenigstens die Stätte. Nun weiß ich nicht, was ich zu fürchten habe,

Und fürchte Alle-, und mit mir der Knabe. Bist Du geblieben, bist Du mitgereist,

Zurückbehalten?

ES durchirrt mein G/ist

Die ganze Liste möglicher Gefahren

Zu Land und Meer.

Könnt' ich sie Dir erspar«:!

Indessen host' ich, weil ich sonst nicht schriebe,

Daß Dich Gewalt mir fern hält, und nicht Liebe. Sprich, solltest Du um eine andre minnen,

Der Du erzählst, ich könne nicht-, al- spinnen?

Ich fürchte fast, ich habe Grund zu grollen; Du kannst vielleicht zurück, und wirst nicht wollen!

Mein Vater schrieb, ich solle wieder frein, Doch ging ich nicht auf seine Fordrung ein.

Ich bin, trotz allem Drängen, allem Treiben Dir treu, muß treu sein, und will treu verbleiben.

Nun glaubt er fest an meinen Widerstand,

Und läßt mir freie Wahl und freie Hand.

78 Hier nistet eine ganze Freierbrut, Und sie verzehren unser Hab' und Gut. Es sendet einen jeder Jnselfleck; Ich weise alle ab, sie werden keck; Was soll ich thun? Es kamen nacheinander Antinous, Eurymachus, Pisander; Medon, und mit ihm Polybus. Es fand Sogar der Schweinehirt sich ein, Melanth. Selbst dieser Bettler wagt um mich zu werben; Und sie verprassen unsres Wohlstands Scherben. Und nur wir drei: was mag uns noch bedrohn? Ein Greis, ein Weib, ein unerwachsner Sohn! Als er, o List, nach Pylos fortgerissen, Ward er beinah entführt; Du mußt es wissent

Diese letzte

Man be­

Stelle strotzt von Schönheit.

wundere die geistreichen Gegensätze!

„Beinah" verdeutlicht den

Begriff der Nahe, und „fort" den der Ferne.

gereist ist eine licentia poetica, metscher sich erlauben darf.

Gerissen für

die ein so befugter Doll-

Dann bleibt in wohlberechneter

Ungewißheit, ob Telemach mit List durchgebrannt ist, oder

mit List hat zurückgehalten werden sollen.

Die Mutter wird

umworben und der Sohn entführt. O nein, er muß noch lange uns beglücken, Um mir und Dir die Augen zuzudrücken. Es grüßt Dich Deine Amme, und der treue Vermehrer Deiner Rinder, Deiner Säue.

.

Unser Uebersetzer bemerkt in einer Note, daß die Einfalt

und Natur in diesen Worten keinen Tadel verdiene, sondern hebt dieselbe als eine Perle von Schönheit hervor. wirft denn aber Perlen vor die Säue?

Wer

Man solle sich durch

den Schweinekoben nicht stören lassen, sondern ihn poetisch

verständnißvoll genießen.

Ein ganzer Stall voll Schweine!

79 Barett traut uns einen guten

Appetit zu.

Daran wäre

selbst der Heißhunger Powell-, des FeuerfresserS, erlahmt. Auch würde, um einen störenden Doppelsinn zu vermeiden, das Wort „Vermehrer" vielleicht passender durch „Züchter"

ersetzt. Laert, erliegend schon der Last der Jahre, Ist machtlos, daß er unsre Würde wahre. O, daß doch Telemach zur Kraft erblühte, Den eines BaterS Auge bald behüte!

Nicht säume, bester Mann, zurückzukehren! Ich kann mich kaum der Dränger noch erwehren.

Erlaube mir, noch einmal Dich zu mahnen: Dein Sohn bedarf Dich; werd er werth bet Ahnen! Und auch Laert, — o möcht' es doch geschehn! —

Wünscht Dich vor seinem Ende noch zu sehn

Ich, schön, als Du verließest Haus und Heerd, Bin Dir, gealtert, doch nicht minder werth?

Der Leser glaube nicht, wir fänden Vergnügen daran, ihm Abgeschmacktheiten mitzutheilen, welche zu lächerlich sind,

um ernsten Borwurf zu verdienen. Während wir als Kritiker

richten, fühlen wir als Mensch, und wünschen von Herzen, die Aermsten, deren größte Sünde die verzeihliche ist, schlechte Verse zu machen, möchten ihre Liebhaberei mit unseren Augen ansehn, nicht als Fehler, sondern als Schwäche.

Man ver­

mag ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein, ohne Dichter

werden

zu müssen.

Die

Gebiete des

Geschmacks sind nur Wenigen, und diese Wenigen im gün­

stigsten Falle nur einer lauen Aufnahme zugänglich.

Lassen

wir ihnen ihren gefährlichen Vorzug, und beneiden wir sie nicht um Dachkammern und Ruhm!

Seit Kurzem befassen sich Leute mit literarischen Ar­ beiten,

die teilten

anderen Beruf haben, als ihren

guten

80 Willen, und

diese,

weil

sie

durch

Belesenheit und

Citate

blenden, wissen sich meistens Erfolge zu erringen, die denen

versagt bleiben, deren einziger Fehler darin besteht, zu un­ Wer, dem unser Ruhm bei

rechter Zeit geboren zu sein.

der Nachwelt nicht gleichgültig ist, muß nicht wünschm, daß ein Dichter, der mehr Talent zum Schuhmacher verräth, bei

seinem Leisten

Beides

geblieben wärt.

zugleich,

gut zu sein, kommt nur alö Ausnahme vor.

und gleich

Die Stute der

angeführten Richtung verwechseln Mangel an Urtheil beim

mit Geschmack, den sie in um so größerer Zu­

Publikum

nahme begriffen glauben, je mehr ihnen der Verderb desselben

gelingt.

Möge eS denn

Aufgabe unserer Zeitschriften

die

werden, — und

ich hoffe, sie ist eS bereits, — Halbwissen

nicht länger als

Verdienst,

Vielwiffen nicht länger als Ge­

lehrsamkeit durchschlüpfen zu lasten, selbst wenn es un» arabisch

anredet.

In Hieroglyphen spricht eS immer, aber wir brauchen

Autoren,

Die

Klarheit.

welche

sich

von einer derartigen

AuffgstungSweise der Kritik gefährdet befürchten, erhaltm da­ durch Anlaß, für ihre Grundsätze einzustehn, und einen Tadel,

der bessern will, in seiner Berechtigung zu bestreiten, — wenn

sie können. Aber zu

Herrn

Er debutirt ja nicht

Barett zurück!

allein als Dichter, sondern auch als Kritiker; allerdings mit

nicht

besserem

andere-,

Erfolge.

alö zur Zeit,

aufleben des

Geschmacks

Die

Kritik

heutzutage

ist

etwas

wo man zuerst wieder vom Wieder­

in

Europa sprechen konnte; man

hat sie in ihrer Bestimmung erkannt.

Sie darf sich nicht

mehr darauf beschränken, zu belehren, sie muß auch über­ zeugen, und zwar auf eine verständliche und gefällige Art.

Allerdings bietet

sie in

manchen

ihrer

Einzelerscheinungen

noch Blößen genug; viele davon sind nicht- ander- al- eine

81 Mustersammlung

abgedroschener Phrasen,

die

den um die

Reinheit deS Styls besorgten Kenner entsetzen müssen. Zuweilen ist Herr Barett hyperkritisch. So sagt er, S. 9: „Pope in seinem trefflichen Essay über die Kritik", — hier verspricht er, im Verlaufe seiner Vorträge an ge-

eigneter.Stelle auf diesen Essay ausführlicher zurückzukommen,

— „Pope nennt dies Verfahren: den Sinn im Versklange wiedergeben.

Meiner Meinung nach erschöpft er damit die

Definition nicht, denn die Alten schrieben für das Auge eben so gut, wie für das Ohr.

Glaubt man nicht in folgenden

Versen Virgils einen Kessel brodeln zu hören?

Aut dulcis musti Vulcano decoquit humorem, et foliis undam trepidi despumat aheni. Aber, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, der Kessel kocht über, und wir fühlen uns veranlaßt, was die Frau im Verse auch thut, abzuschäumen." Welcher Schwulst! Wenn Virgil, der, selbst, wo er Leidenschaften toben läßt, sich noch classisch mäßigt, überkocht,

so verkocht Herr Barett

die Sache ganz und gar, und seine Zuhörer werden zuletzt nicht mehr unterscheiden können, was ihnen aufgetragen wird.

Zuweilen ist er unter der Kritik.

Er sagt: Oenone

wird in dem, was sie dem HelenuS zusteckt,

erkennbare Weise satirisch.

zusteckt, sind nämlich Verläumdungen.

dazu.

auf eine un­

Das Unerkennbare, was sie ihm

Aber sie hatte Geschick

Ob zur Satire oder Verläumdung, bleibt unentschieden.

Auf OenonenS Aussage hin mußte Helenus befürchten,

von ihrer Gebieterin mit demselben Leichtsinne zu Gunsten eineS neuen Geliebten verlassen zu werden,

womit sie seinet­

wegen ihren Gemahl verlassen hatte.

Oester widerspricht er sich.

Er sagt S. 3: „Styl und

Diktion gilt Vielen für das Nämliche; ich aber glaube, der 6

82 Styl begreift in sich Sentiment und Diktion." nicht nur Styl und

Diktion

Diktion und Sentiment.

Ihm ist also

dasselbe, sondern sogar Styl,

Oft unklar; so S. 135 : „Styl läßt

sich lernen; viele lernen ihn früh, viele lernen ihn leicht, das

Denken und die Sentiments kommen später".

war eben die Klippe,

Ovids-Haupt­

Er ruft aus,

Auch falsch kritisirt er.

vorzug liege in der Beschreibung.

Das beschreibende Element

woran Ovid scheiterte.

quod bene cessit, relinquere,“

„Nescivit,

sagt schon Seneca von

ihm, „er weiß nicht zu rechter Zeit auszuhören;" er ermüdet. Um nicht dem Leser gegenüber in den nämlichen Fehler zu

verfallen, eile ich zum Schluffe,

mit dem Bemerken,

daß

Barett als Kritiker von anderen borgt; — es ist ja Sitte

dieser Herren, sich gegenseitig zu citiren, vor Allem die un­

geknackten Dichter

Nüsse

einander

in

Ovids

Sprache

nicht

zuzuschieben —,

Eitaten immer

versteht,

und

als

seine

Poesie niemals; und im Uebrigen ein guter Schulmeister sein

mag, aber ein Mensch ohne Geschmack ist. —

Ende März 1759 als Buch herausge­

Golds miths,

„Untersuchung

gebene,

über den jetzigen Stand der schönen

Wissenschaften in Europa" darf nach dem Maßstabe, dell wir heutzutage an ein Werk dieser Art zu legen gezwungen sind, nichts

weniger,

als

genügend genannt

werden.

Bei ihrem

Erscheinen zeichllete sie sich durch Neuheit der Anschauungen,

durch weitreichenden philosophischen Blick aus.

Sie erweckte

ihm Neider, wie Alles, was Aufsehen erregt, und hatte eine

Brochürenliteratur vernichtender

Beurtheilungen zur

Gegen die gehässigste dieser Art

verwahrte sich

früherer

Verleger,

ausgegangen.

Sie

Griffiths, als von war

von einem

seinem Auftrage geschrieben worden.

ihm

gewissen

Folge.

des Autors

unmittelbar Kenrick

in

Uebrigens kritisirt diese

83 Kritik sich selbst, und den Kritiker; kennt man ihn, so kennt

man beide, und er ist bekannt geblieben durch den ihn über­ lebenden poetischen Steckbrief eines Zeitgenossen, worin es heißt: Verlangend, daß man ihn bewundern soll, Halb Witz, halb Thor, halb Kritiker, halb toll,

Greift er, sich Shirley dünkend, in die Saiten, Der Dissonanzen nur durch ihn entgl iten.

Selbst lorbeerlos, erfüllt die Wuth ihn ganz,

Daß er entblättere dem Verdienst den Kranz. Wer wird in diesem Bild nicht Kenrick sehn,

Voll süßen Weins, voll Haß und voll Jdeeen. Unwissend, und aus Wissensmangel blind

Für das, was And're leisten, Andre sind,

Macht er auf ihre Fehler Jagd allein; Schlingt, was er kaum verstand, gefräßig ein;

Verdaut nur halb, waö er halb roh verschlingt,

Und zerrt, und nagt, und käut es, bis — eö stinkt.

Goldsmith,

dem

das in

Rede stehende Buch ur­

sprünglich die Kosten zur Ausrüstung für die Reise in den

Orient, um die er auf schändliche Weise betrogen worden

war, hatte bestreiten helfen sollen, verdankte dieser Arbeit nun

den

Spielraum zu

Erfolgen auf anderen, seiner geistigen

Individualität würdigeren Gebieten.

Er sah sich umworben

von den Leitern der berühmtesten Zeitschriften, die in Eng­ land kurz zuvor entstanden waren, rasch auf einander folgten,

und deren eine die andere beeinträchtigte oder gar verdrängte; aber nicht durch die nothwendig gewordenen Zugmittel unserer

Tage:

sondern

größere

Unverschämtheit und

durch

gehaltvolleren inneren

bessere Illustrationen;

Fond.

Goldsmith

schrieb für die „Biene" und für daS „Ladymagazin".

Die Biene, Gold! mit Hs ureigenste Schöpfung, war ein ästhetisches Unterhaltungsblatt im besten Sinne, worin er.

84 ohne eines Mitarbeiters zu bedürfen, kleine Novellen, Skizzen

über Gegenstände des Geschmacks, naturgeschichtliche Charak­

teristiken, Theatralia und gnomische Gedichte lieferte, also alle- Material, wodurch die müssige Gesellschaft, ohne denken

zu müssen, angeregt zu werden verlangt. sprach dem Motto unter dem Titel,

Das Blatt ent­

mit dem eS seine Rich­

tung andeutete:

Floriferis ut apes in saltibus omnia libant, omnia nos itidem. Indessen wagte die Biene nur einen kurzen Flug in die Welt.

DaS Dasein deö Blattes war wie daS des wunder­

baren Geschöpfes, nach dem es sich nannte, ein zwar ephemeres, aber reich an Sonnenschein, Blüthe und Dust.

Die erste

Nummer erschien Sonnabend, den 6. October 1759, die achte

und letzte Sonnabend de» 24. November.

Der Honig, den

die Biene, aus Spanien und Flandern,

aus Byzanz und

Schweden zusammentrug, ist besonders in den Blumen der

Poesie äußerst geschmackvoll, unter andern in folgenden Bei­ trägen, welche in der ersten Nummer unmittelbar aus die

(Stilleitung folgen.

Epigramm auf einen schönen Jüngling, ter vom Blitz geblendet wurde.

(Auch dem Spanischen.)

Daß Deine Strafen Wohl that sind, O Vorsicht, hier weiß ich's gewiß!

Du machst ihn wie Cupido blind, Sonst würd' er enden wie Narciß.

85 Ein anderes:

Lumine Acon dextro, capta est Leonida siniftro, Et poterat forma vincere uterque Deos. Parve puer, lumen, quod Labes, concede puellae; Sic tu caecus amor, sic erit illa Venus! Acon das rechte Aug', daS linke verlor Leonida,

Beide vollkommen fast schön, Gotter an Form und Gestalt.

Schenke, geblendetes Kind, das noch blendende Auge dem Mädchen,

Amor bist Du uns dann; jene wird Venus uns fein!

Die lateinischen Verse, welche von Goldsmith herzu­

rühren scheinen, sind von einer so seltenen Formvollendung,

daß sie in diesem Falle sein Verständniß für den Geist auch einer fremden Sprache glänzend bezeugen.

Die im Epigramm

angedeuteten Persönlichkeiten waren die Prinzessin von Eboli,

die Freundin Philipps II. von Spanien, und Maugiron, der Page Heinrichs III. von Frankreich.

Nr. 2. Oct. 13. 1759 enthielt:

Die 8abr. An Jri-, in Bow-Street, Eovent-Garden.

Nach dem FranzSfischen.

(Menagiana.) Sag, holde Iris, schön und klug, Und grausam auch daneben, Was wäre denn wohl gut genug,

Dir'S zum Neujahr zu geben? Böt' ich mein Herz Dir als Tribut.

ES würde nur. Hetäre,

Ein rasch, gleich mir, verschmähtes Gut, Wenn ich so gütig wäre.

86 Juwelen, Uhren, Stoffe, Band Verehren Dir Rivalen.

Ich wäre gleichfalls so galant, Dermöcht' ich's — zu bezahlen. Auch schenk' ich nicht, wie oft zuvor,

Dir eine Rosenblüte,

Denn etwas von so kurzem Flor Verbürgt nur kurze Güte.

Dir haben sich auf diese Art Die andern schon empfohlen; Vernimm, was ich Dir lang erspart:

.Mag Dich der Teufel holen!"

Nr. 4. Oct. 27. enthielt: An Mrr. Mary Klahr.

(Menagiana.) Ihr lieben Leute, kommt und klagt

Um Madam Blaize mit mir, Von der man Gutes nur gesagt —

Sprach man nicht schlecht von ihr. War Jemand in Verlegenheit,

Ward sich an sie gewandt;

Denn sie gab immer hülfbereit Ihr Geld — und nahm ein Pfand.

ES war die Heilkraft des Gebets, Woher sie Trost empfing; Und gute Wege ging sie stets, —

Wenn sie nicht schlechte ging.

87 In Sammt und Seide rauschte sie, Wenn sie zur Kirche fuhr,

Und schlief im Gottesdienste nie —

Als bei der Predigt nur. Der Adel hat sich mannigfach

Bemüht um ihre Hand;

Der König selber ging ihr nach —

Wenn sie voraus gerannt. Die Aerzte, welche sie entbot,

Behaupten: Eö sei klar, Weil auf die Krankheit folgte Tod —

Daß jene tödtlich war. Ja, der Verlust ist freilich schwer!

Man glaubt ganz ungescheut, Wenn sie nicht schon gestorben wär So lebte sie noch heut!

Die novellistischen Beitrage behandeln fast alle Gegenstände aus dem Alterthum; unter andern:

„die Geschichte von Al-

cander und Septimius" (nach dem Byzantinischen), (6. Oct.),

„die

Geschichte der Hypatia"

(20. Oct.),

„Sabinus

und

Olinda" (17. Nov.). Als einzige Ausnahme bringt die Sonnabendsnummer

vom 10. Nov. 1759 nur ernste Betrachtungen (Nr. 6): Ueber Erziehung. Ueber die Vergänglichkeit weltlicher Größe. Ueber italienische Akademien.

Jedenfalls ist in der Biene so viel G old sm ith'scher

Geist und Goldsmith'scheS Streben niedergelegt, daß sie

88 als Stück seines Lebens eine eingehendere Würdigung recht­

fertigte. Ein anschauliches Tagesbild gewährt ein Beitrag Gold-

fmithS in Nr.

20. Oct. 1759.

6 des „geschäftigen Müssiggängers" vom In der Nummer seiner Biene vom näm­

lichen Tage, worin er ein ähnliches Thema bespricht, orientirt er bezüglich der damals in London in Aufnahme gekommenen Kaffehäuser durch folgenden Reimspruch:

Im Kaiserhaus wird Eloquenz geboten, Bei George in Temple Bar für einen Groten. Der Aufsatz im „Müssiggänger" gewährt einen Portrait­ treuen Einblick in den damaligen Charakter der Stadt.

Er behandelt:

Aiegesfeiern. Während unsere Flotten und Arnieen draußen Lorbeern

ernten, während wir SiegeSnachrichten auS allen Richtungen der Windrose erhalten: von Ti^onderoga (27. Juli 1759),

von Minden (1. August 1759), von Quebec (13. Sept. 1759), während unsere Soldaten

Ruhm der englischen Tapferkeit

zu

Land und

See den

nicht nur wiederherstellen,

sondern zum ersten der Welt, und die Regierung Georgs II.

zur größten Periode dieses Ruhms erheben, sind unsere Bürger und Fabrikanten daheim auch nicht müssig, sie theilen Sieg

auf Sieg-und schlagen den Geschlagenen noch einmal.

Werden draußen Triumphe gewonnen, so schießen

wir

zu Hause Victoria; illuminiren sie draußen eine Stadt, um ihr die Vortheile einer Kapitulation einleuchtend vorzustellen,

mit Bomben und Granaten, so illuminiren wir unsere Straßen, nur nicht ganz so hell, mit Fackeln und Kerzen; donnert ihre

89 Artillerie draußen Vernichtung in die Ohren des Feindes, wir daheim donnern nach in die Ohren nervöser Damen mit

Raketen und Petarden; fallen sie draußen auf dem Felde der

Ehre im Siegesräusche, hier fallen sie ebenfalls im Rausche, wenn auch nicht auf dem Felde der Ehre.

„O fortunata

mors, quae, naturae debita, pro patria potissimum reddita est!“

Obwohl meine eigne Lage derart ist, daß sie weder durch einen Sieg, noch durch einen Verlust günstig oder ungünstig

beeinflußt zu werden verniag, so kann ich dennoch die Freude meiner Landsleute nicht ohne geheimes Entzücken wahrnehmen,

und fühle mich versucht, die Schrecknisse deö Krieges und seine Folgen in der allgemeinen Befriedigung zu vergessen. Deßhalb auch konnte, als wir in den letzten Tagen die Er­

oberung von

Oueber erfuhren, ich es mir nicht versagen,

den Eindruck dieser Nachricht in seinen auf die verschiedenen Volksclassen vertheilten Variationen aus persönlicher Anschau­ ung einzusainnieln. Demgemäß verließ ich in der JllnininationSnacht meine Wohnung, Green Arbour Court Nr. 12, Old Bailev, voll­

kommen darauf gefaßt, auf meinem Wege von L u d g a t e H i l l nach Charing Croß Abenteuer zu erleben; und mit dem in­

haltslosen Gefühle eines geschäftigen Müssiggängers, der sich

den Anschein von Wichtigkeit zu geben weiß, entschlossen, wo Leute zusammenstanden, stehen zu bleiben, und in jedes ge­ öffnete Lorat einzukehren.

Zuerst trieb mich die Neugier nach Ashley's Punsch­ haus, das dritte von der Flußbrücke, wo alle Anwesenden in

tiefster Aufmerksamkeit

auf den alten Kellner

zu lauschen

schienen, der seine Gäste mit Punsch und Politik zugleich be­

diente.

Er beschrieb eben die geographische Lage von Paris.

90 „Paris", rief er aus,

„ist ungefähr 200 Meilen von hier;

halb so groß, als London; dort machen sie eure Spitzen und andere Stofie; nicht zu läugnen, ein ganz hübscher Ort; der

sich nett plündern ließe, und sich nicht 24 Stunden halten

Man braucht nur hinzugehn, und Ludwig den Kleinen

kann.

zu vertreiben.

Sie könnten nichts machen, vollends, wenn

sie Punsch getrunken hätten.

Wäre ich Staatssecretair, mag

mir dies zu Gift werden, ist's nicht so," — hier stürzte er ein GlaS hinunter —, „ich würde ihnen einen Streich spielen!

Segelt nur mit 40 Schiffen bis vor die Stadtthore, dann

wollen wir mal sehn."

Die ganze Zuhörerschaft stimmte bei,

der französische König wurde abgesetzt, die englischen Fahnen

wehten von der Bastille, und jeder plünderte schon in Ge­ danken.

Draußen wieder angelangt, wurde ich auf zwei Leute

aufmerksam, die mit einander zankten.

schuster und seine Frau.

ES war ein Flick­

Sie warf ihni ohne Rücksicht auf

den Volkshaufen, der sich zudrängte, vor, er habe sein Wamms versetzt, um seine Fenster und sich zu illuminiren, und er schalt sie eine heimliche Jakobitin, die sein JlluminationSmaterial

bereits zu sich genommen habe; jeden Tag sei sie betrunken. „Hätten die Franzosen gesiegt", schrie er, für unser edleS Gewerbe!

vielleicht trägt

Madame

„welcb' ein Pech

Diese Messieurs in Holzschuhen!

Pompadour selbst welche! und

unsere Religion, wenn die Papisten herübergekoinmen wären!"

AIS ich Fleet

Street hinaufging,

nmßte ich den

künstlichen Tag bewundern, den die in jedes Fenster gestellten Lichter hervorbrachten.

Der Pöbel jauchzte, Raketen flogen,

Böller knallten, Damen erschracken, und schienen, trotz deS Angriffs auf ihre Nerven, einen Bestandtheil des Festes zu

91 vermissen, wenn sie nicht jeden Augenblick zusammenfahren

.dursten. Ungeachtet aller Verwirrung konnte ich der heitern Ge-

niüthsruhe mich nicht erwehren, dieser Art empfindet.

die man bei Schauspielen

Welch ein Vorzug! dachte ich bei mir,

einem Volke anzugehören, das so für seine Rechte einsteht,

und nur erobert, um zu befrein.

So verlassen in der Welt

ich sein niag, bin ich doch eben so daseinsberechtigt, wie der

mächtigste Monarch, und vielleicht glücklicher.

Als ich unter solchen weiter ging

Gedanken

gemessenen

Schrittes

im Vollgefühl des Bewußtseins einer neu er­

langten Würde, vernahm ich ein zischendes Geräusch in der Gegend eines meiner Zöpfe, und gewahrte, um mich blickend, einen brennenden Sprühregen,

herniedertränfelte.

der von meinem rechten Ohr

Ich floh, er folgte, ich schüttelte den Kopf,

die Perücke saß zu fest; vor der Thüre von Georges Kaffe-

haus ein Knall! das Feuer hatte sich verpufft.

Ich trat ein,

denn mein Gedankengang war durch den Vorfall unterbrochen worden.

Ein Herr, um den sich vergnügte Zuhörer gruppirten,

las etwas vor, was ich anfangs für eine Zeitung hielt. Später

stellte es sich als eine im Voraus auf den erwarteten Fall von Minorca verfertigte Siegeshymne heraus, die wider Willen die bitterste

Satire wurde,

weil jede übertriebene

Schmeichelei den Charakter der schneidendsten Ironie annahm. Nun begab ich mich nach SlaughterS KafiehauS in

der Martinsstraße, wo ein Anwesender behauptete, die ganze Siegksnachricht sei unverbürgt.

„Meint ihr", rief er auS,

„die Franzosen würden sich ihre beste Colonie nehmen lassen?

Lächerlich!

Ich wette zwanzig Pfund —"

gegen!" unterbrach ihn Jemand.

„Ich zwanzig da­

„Zwanzig Pfund", fuhr

der erste fort, „daß die nächste Zeitungsnachricht daS Gerücht

92

entweder berichtigt oder widerruft!"

Alle waren derselben

Meinung. Zuletzt ging ich in das Smyrna - Kaffelokal, Marl-

Hier machte man dem Feinde

boroughhouse gegenüber.

Vorschläge, die bereits seine erwiesene Hülflosigkeit voraus­ setzten.

Man müsse ganz

Nordamerika

nehmen;

Einschränkung der französischen Flotte bestehn; Minorca wieder bekommen;

carte Manche.

auf eine

vor Allem

überhaupt beanspruchte man

Man schien nur gesiegt zu haben zu Gunsten

eines einträglichen Friedens, und wollte sich so stellen, daß man den Feind ohne das ihm gewährte Zugeständniß einer

bewaffneten oder unbewaffneten stimmen könne.

Einrede nach

Belieben be­

Kurz, in übertriebenem, aber verzeihlichem

Siegesübermuthe schrieb man Bedingungen vor, auf die nur

Da ich bald

eine vernichtete Nation hätte eingehen können.

mich überzeugte, unter Leuten zu verweilen, die Vernunft zu hören und zu würdigen im Stande waren, äußerte ich mich

folgendermaßen: „Der Zweck des Krieges ist der Friede.

Niemand lenkt

mit so gegründeter Aussicht auf Erfolg ein, als ein siegreicher Feind.

Man kann siegen,

und sich durch

Schwedens Waffenruhm hat das

Siege lähmen.

Land dermaßen erschöpft,

daß es zu einem politisch unwesentlichen Staate herabgesunken

ist.

Es würde den allgemein ersehnten Frieden thöricht ver­

zögern, bestände man

auf Bedingungen, die weder mit der

Ehre des Feindes, noch unserer eigenen vereinbar sind; und etwas zumuthen, was man im Nothfall nicht erzwingen kann,

hieße sich nur bloßstellen. Ein Land im Kriege gleicht einer Fackel, die sich selbst

verzehrt, und um so rascher, je Heller sie lodert.

Der Krieg

ist nur zu empfehlen, wenn er auf kurze Dauer den Zustand

93 sorgloser Ruhe unterbricht.

Die Nachtheile einer ununter­

brochen gesicherten Lage äußern sich in Mißachtung der stehen­

den Heere und unausbleiblichem Uebergewicht des Handels. Hier muß ein kurzer Krieg von Zeit zu Zeit auSgleichen.

Ein kurzer!

Einer, der lange dauert, würde de» Wohlstand

eines Landes von der arbeitenden Classe der bürgerlichen Ge­ sellschaft an die unternehmende bringen; an Menschen, die

keine Rücksicht kennen,

als ihre» Vortheil.

Jeder, den der

Krieg bereichert, gewinnt auf Unkosten des Bestandtheiles der

Bevölkerung, dessen Erwerbsquelle durch den Krieg, nimmt

er weitere Dimensionen -an, statt vorübergehend aufgehoben

zu werden, ganz vernichtet wird. Laßt unS deßhalb den Feind, den wir mit den Waffen bezwangen, durch Großmuth gewinnen!

genug!

Stecken wir das Schwert ein; es ist bereits blutig

Also Friede! Friede!

Denn Friede ist

der Sieg

des S'egs!

Außer zu dieser Tagesbetrachtung oder Nachtbetrachtung

begeisterte die Einnahme Quebecs Goldsmith zu einigen Stanzen; sie lauten: Die? Ist De» Bolks Gesellt der Und tödtet

es möglich? Dem Triumphgeschrei daheim, dem Ruhm der tapfern Schaar. Jammer um Verlust sich bei Jubel, der berechtigt war?

Der Thräne Dir gespendeter Tribut, Ist, Wolfe, die Perle in dem Schlachtbericht.

Quebec ward unser um de- Helden Blut; Ein Sieg, zu theur' erkauft, ich mag ihn nicht.

94 Ein Schrecken da Du lebtest, für den Feind, Mißkennt er, furchtbefreit, in Deinem Fall

Den größtm Sieg.

Er habe falsch gemeint!

Wir gehn von Deinem Grab al» Helden all!

Goldsmith bewarb sich um die erledigte Stelle eine#

SecretärS im Verein der schönen Künste, und ein Besuch, den er zu diesem Zwecke bei Garrick, als dermaligem Mitgliede deS Vorstandes abzustatten hatte, brachte ihn zuerst in per­

sönliche Berührung mit dem berühmtem Mimen.

Garrick

empfing ihn kühl; tteilS, weil Goldsmith damals noch als keine derartige Persönlichkeit galt, um der Mühe werth zu

erscheinen, gewonnen werden zu müssen; theils, weil der junge Schriftsteller

in dem berührten

Werke natürlich auch die

Bühnenverhältnisse einer Beleuchtung unterzog, die Manches

besser unbeleüchtet gelassen hätte.

Die

alten

Klagen über

Jntendanteneigensinn, Jntendantenungeschmack, die schon deß­ halb nicht aussterben dürfen, weil damit für eine zahlreiche

Classe überflüssiger Menschen das Lieblingstheina des geselligen Gesprächs wegfiele, werden hier in einer neuen Tonart an­

gestimmt, und Garrick, der das allgemein gehaltene Rä­ sonnement darüber als persönliche Beleidigung aufnahm, be­

weist durch diesen Umstand am besten, daß er sich im Princip getroffen fühlte. Besonders ärgerte ihn folgende Stelle:

„Der Bursche, welcher mit dem Besen die Bühne fegt;

der Mime, der dasselbe mit seiner Schleppe thut, Beide sind mir für Meine Person gleichgültig. es meinen Seelenfrieden nicht,

Ebenfalls stört

ob unsere

Heldinnen

unterhalten werden, oder unsere Helden in’# Loch kom-

95 men.

Nur erhebt mau diese

zu einem

Trivialitäten

bevorzugten Gegenstände der TageSdiSkussion in einer

Weise, die die Welt nicht klüger macht, und die Schau­ spieler nicht bescheidener.

Sie spielen auch außerhalb

der Bühne ihre Rolle fort, halten sich auch im gewöhn­

lichen Leben für int ersten Range beachtungswerth, und verlangen auch im Tageslichte — beklatscht zu werden." Garrick, als Goldsmith ihm anfwartete, ohne ihm

den Hof zu machen, fertigte den Bittsteller vornehm mit der Bemerkung ab, er könne selbst am Besten wissen, weßhalb er

auf Garricks Stimme nicht rechnen dürfe, worauf Gold-

smith sich empfahl, indem er ruhig erwiderte, er sei sich bewttßt, nur Uebelstände gegeißelt zu haben, keine Persönlich­

keiten. Uebrigens bedurfte er keiner Protektion mehr; im Gegen­

theil, er protegirte.

Seine Feder wurde gesucht.

Für den

von Mr. John N e w b c r y herausgegebenen „Public Ledger" lieferte er als bedeutendsten,

immer aber

noch anonym er­

scheinenden Beitrag die „Chinesischen Briefe", die er später

zum „Weltbürger" umgetauft als Buch heranSgab. Die chinesischen Briefe sind unter dem durch smith auf diesem Gebiete Geleisteten bei deutendste.

Gold­

weitem daS Be­

Eine tiefe Weisheit lebt sich in ihnen nach allen

Seiten aus, die durch das gewählte Colorit den RimbuS einer komischen Ehrwürdigkeit erhält.

Ein geachteter

Journalist

hatte, da die Parlamentsdebarten ein den Zeitungen versagter

Gegenstand blieben, das Parlament nach China verlegt, und

geißelte unter chinesischen Namen die leicht errathbaren Ver­ treter einer einseitigen

Politik in einer eben so witzigen, als

unverdächtigen Weise,

weil in Folge der durch den Handel

der Weltstadt zugeführten Elemente das ganze öffentliche Leben

96 einen chinesischen Anstrich bekommen hatte.

Alles mußte chi­

nesisch sein, daS Getränk, die Ornamentik an den Giebeln der

Häuser, die Gartenanlagen, der Zimmerschmuck, sogar die Waisen auf der Bühne, und durch die Feinheit, womit Gold­

smith diesen Aug der Zeit auSzubeuten verstand, gewann sein Ruhm eben so viel, als die von ihm unter diesem Lo­

sungsworte zwar nicht geschaffene, aber doch einzig in seinen

Beiträgen dazu auf die Nachwelt übergangene Literatur.

Wie

köstlich sind unter andern: „die Matrone", „der Mann in

Schwarz",

„der Besuch in Vauxhall", „die

„Beau Tibb",

Briefe von Iona an Jaya".

AuS den chinesischen Briefen,

gingen alle andern geschichtlichen Quellen verloren, ließe sich daS London von 1760, in seinen Interessen, seinen Thorheiten,

in der Totalität seines Wesens wiederherstellen.

Eine Probe

möge den im Werke angeschlagenen Ton andeuten:

Brief 61.

Lien Chi Altangi an Hingpo. Wenn, was behauptet wird, wahr sein sollte, daß die­

jenigen am Besten Rath zu ertheilen vermögen, die desselben am wenigsten bedürfen, so bin ich, mein Sohn, Dir gegen­ über zu diesem Liebesdienste vollkommen befugt,

sollte selbst meine väterliche Würde etwas

und will,

darunter leiden,

mich auf einige Augenblicke Dir gleich stellen, um als älterer

Freund, nicht als Vater, durch Ueberzeugung, nicht mit dem

Zwangmittel eines mir zustehenden Machtgebots meine Lehren

Dir annehmlich zu machen. Drei Rathschläge ertheile ich Dir, befolge sie, und Du

wirst keines weiteren bedürfen.

Zuerst, ergreife, was Dir

Dein Auskommen sichern soll, mit ganzer Seele; doch sei,

was Du ergriffen hast,

ein Beruf,

keine brodlose Kunst.

97 Achte nicht darauf, will man Dich an Deinen Fähigkeiten irre machen; Ausdauer und Fleiß ersetzen Anlagen. Im Gegentheil, etwas Beschränktheit ist ein Vorzug. Ungewöhn­

lich begabte Charaktere legen leicht einen zu großen Maßstab

an ihr Können, und mißtraun sich bald, weil sie sich aus­

reichend nicht genügen;

in Folge wovon sie sich später nie­

mals genügen, weil sie fortan sich immer mißtraun.

Mittel­

mäßige Menschen sind dieser gefährlichen Gewissenhaftigkeit

nicht ausgesetzt, und erreichen ihr Ziel, indem sie sich in ihren

Ansprüchen an dasselbe zu bescheiden verstehn.

Also, widme

Dich einem Beruf, — der ist, was man auch gegenreden mag, bald gelernt, — und fülle ihn aus.

Begnüge Dich damit,

und schiele nicht nach einem , andern zur AuShülfe.

Wer sich

in zwei Geschäften anbietet, erhält Kundschaft in keinem von beiden. Ein

Schneider

begegnete

einem

Taschenspieler.

blieben stehn, und sprachen mit einander.

Sie

„Ach", rief der

Schneider, „welch' ein Unglück steht mir bevor, wenn jemals

die Mode aufkommen sollte, keine Kleidungsstücke mehr zu

tragen; ich würde meinen Nahrungszweig verlieren, weil ich außerdem nichts gelernt habe". „In der That, mein Freund," erwiederte der

Taschenspieler,

„ich

bedauere Dich.

Dieser

Besorgniß bin ich überhoben; haben die Leute an einem Kunst­ stücke von mir sich satt gesehn, so locke ich auS meinem Vor­

rath noch mit hundert andern; fomm zu mir, wenn Du Hülfe brauchst!" Eine Hungersnoth trat ein.

Der Schneider

litt darunter nicht, weil man nach wie vor sich anziehn mußte;

aber der Taschenspieler gerieth in Verlegenheit, unter dessen hundert Kunststücken das hauptsächlichste, die Leute auözuziehn, was er nun am besten hätte gebrauchen können, ihm bei dieser Lage der Dinge versagte.

Man begnügte sich nicht mehr mit 7

98 dem sich satt Sehen, und er wurde nicht satt vom Feuer, das

er fraß, von den Nadeln, die er verschlang.

Am Ende sah er

sich gezwungen, bei dem nämlichen Schneider zu betteln, dem er einst großmüthig seinen Beistand zugesicherk hatte. Meine zweite Lehre ist der Rath: Uebersieh Beleidigungen,

die Du nicht zu rächen vermagst.

Uebereilte Empfindlichkeit

ist das Verächtlichste im Wollen, und die des Geringen dem Großen gegenüber gleicht dem Schmerz des getretenen Insektes,

das nach dem Beleidiger erfolglos sticht.

Wer fürchtet leere

Drohungen, worin ein Gekränkter sich erschöpft? Eine Gans zog ihre Jungen ant Rande eines Teiches auf, und eine Gans in diesen Umständeit ist immer äußerst stolz und wachsam auf ihre Rechte.

Kam ein anderes Thier,

ohne die mindeste bösartige Absicht, des Weges daher, so lief sie ihm entgegen.

Der Teich, sagte sie, gehöre ihr, und sie

würde mit Zunge und Feder ihr Recht zu vertheidigen wissen.

Auf diese Weise vertrieb sie Enten, Ferkel und Hühner, sogar

eine lauernde Katze hielt für gerathen, den Rückzug anzutreten. Eines Tages ging ein Hund in der Nähe spatzieren, und,

weil er durstig war, begab er sich an den Teich.

Die Gans

stürzt wie eine Furie auf ihn los, hackt nach ihm, und sträubt

das Gefieder.

Der Hund unterdrückte seine Neigung, ihr

beißend zu erwidern, weil er seinen Herrn von ferne gewahrte.

Er begnügte sich damit, auszurufen: „Daß Du die Pocken

kriegtest!

Was soll Dein Flattern und

Zischen,

alberne

Deine Feinde schüchtert es nicht ein, und Dich schützt es nicht." Er wandte ihr verächtlich den Rücken, wandelte Gans?

zum Teich,

löschte seinen Durst, und holte seinen Herrn

wieder ein.

Drittens: Ueberschätze nicht das Urtheil der Welt!

SS Junge Leute, weil sie nirgends Anstoß erregen wollen, bestreben sich, überall zu gefallen, sind mit Allem einverstanden,

nehmen

die Anschauungsweise

deS

von

ihnen

ausgesuchten

Kreises an, und haben bald keinen eigenen Willen mehr, son­

dern nur noch den ihrer

Umgebung.

Wer

machen will, macht eS Niemandem recht.

es Allen recht

Um die Mehrzahl zu

gewinnen, genüge man der Minderzahl; der Rest spricht nach.

Ein Maler hatte ein Bild vollendet, was er für sein bestes hielt.

Er stellte eS

auf dem Markte aus, legte ein

Stück Kreide daneben, und ersuchte, auf einem am Rahmen

klebenden Zettel, die Vorübergehenden, was ihnen

an den

Gliedern, an der Physiononne, an der Gewandung, oder sonst

im Gemälde mißfalle,

zu durchstreichen.

Jeder blieb stehn,

lobte im Allgemeinen, bezeichnete aber, um von seinen kriti­ schen Gaben zu überzeugen, auf die gestattete Art, was ihm fehlerhaft erschien.

Als der Maler am Abend kam, das Bild

abzuholen, war eS ei ne Kreidekruste.

Folgenden Tages stellte

er es wieder aus, mit einem Zettel, welcher aufforderte, die Schönheiten deS Bildes durch einen Strich anzudeuten. Abends

bot eS den nämlichen Anblick; alle Mängel von gestern waren Vorzüge geworden.

„Ich sehe jetzt", rief der Maler auS,

„nm der halben Welt zu gefallen, ist das beste Mittel, nicht

auf das Urtheil der anderen Hälfte zu achten!" — Zum vernünftigen Genusse seiner verbesserten Lage brachte Goldsmith eS niemals.

Gutmüthige Schwäche ließ ihn als

Wohlthäter Unwürdiger zum öfteren, als Würdiger, nicht selten das Opfer überlisteter Leichtgläubigkeit werden, und der einzige, auS Vorgängen dieser Art gezogene,

Gewinn war eine Be­

reicherung seiner Menschenkenntniß, die er sich lieber erspart

gesehen hätte, obwohl sie insofern nicht

zu

theuer erkauft

wurde, als er originellen Erlebnissen auf dem in Rede stehen-



100 den Gebiete den Stoff zu

einzelnen seiner reizendsten und

lebenswahrsten Schöpfungen entnahm.

Ein in

Folgen für

seinen

Goldsmith bedeutsamer

Nun in der Lage, nicht nur

Tag war der 31. Mai 1761.

sättigen zu können, sondern auch Satle zu

Hungrige allein

bewirthen, versammelte er am genannten Datum einen kleinen Kreis auserwählter Vertreter der Literatur um sich; unter

ihnen Or. Samuel Johnson, mit dem er auf diese Weise die Bekanntschaft eröffnete.

Der Umgang beider, sich ergän­

zender, Männer wurde ein in Goldsmiths inneres und

äußeres Leben so gewaltig eingreifender, daß ein kurzer Rück­ blick auf Johnsons Vergangenheit geboten erscheint. Johnson,

18. Dezeinber

Sohn

1709

in

eines

Buchhändlers,

Lichfield geboren.

ward

am

In äußerer

Erscheinung hatte er, obwohl von athletischer Gestalt,- vor Goldsmith nichts voraus; nur daß bei ihm in's Groteske

ging, was bei jenem verzerrt auftrat.

Nach

kümmerlicher

Jugend, während welcher, je mehr er in seinen Mitteln ver­

armte, er desto mehr seinen Geist bereicherte, begab er sich,

ausgerüstet mit Fleiß, Ausdauer und Muth, und von seinem

Freunde Garrick begleitet, auf den Weg nach London, wo Beide in der Folge ihr Glück machten,

ihren Namen ver­

ewigten ; jeder auf feinem Gebiete, das dem des anderen extrem entgegengesetzt war: Garrick in der Kunst, Johnson in der

Wissenschaft, Garrick durch bewegliche Vielseitigkeit, John­ son durch eiserne Consequenz.

Der Letzte rühmte sich gern

seiner beschwerlichen Anfänge.

Als er einst in einer Gesell­

schaft, wo auch Garrick anwesend war, selbstbewußt hervor­

hob, er habe mit nur zwei Pfennigen die Reise nach London

angetreten, unterbrach

ihn ber eitle Garrick, der sich an

jene Zeit nicht gern erinnern ließ, durch die, ihn orientirende,

101 Frage: „Was, Du hattest nur zwei Pfennige in der Tasche?" worauf Johnson, ohne zu verstehn, in seiner Erzählung ruhig fortfuhr: „Ja, und Du nur einen, Davy!"

John­

sons Gebahren unter Stuten, in deren Augen der gute Ton Alles gilt, war ein ununterbrochenes Zuwiderhandeln durch

unmanierliche Einzelheiten, die er niemals ablegte, nicht um

damit zu liebäugeln, originell dadurch zu erscheinen, sondern,

weil er sich ihrer als Mängel nicht bewußt war.

Als salon­

fähige Figur stieß er fortwährend an, als Mensch glänzte er

durch gewaltigste Eigenschaften deS Geistes und Herzens; als Freund war er durch inniges, nie in Weichheit auSartendeS,

Gemüth ein Gewinn; als wissenschaftliche Größe, als Be­

wahrer und Erneurer des englischen Sprachschatzes nimmt er

eine Ausnahmestellung ein.

Am erwähnten 31. Mai holte Dr. Percy, der ver­

dienstvolle Sammler altenglischer Balladen, Johnson ab,

um ihn bei Goldsmith einzuführen. Er fand ihn, äußerst sorgfältig gekleidet, seiner harrend, im neuen Anzug, neuem

Hute, mit wohlgrpuderter Perücke, und konnte sich nicht mt-

halten, erstaunt auSzurufen: „Du bist heute mal niedlich!"

„Ja", erwiderte Johnson, „ich habe vernommen, Gold-

smith soll sich niemals ordentlich anziehn, und dafür auf mein Beispiel berufen; ich muß ihn doch eines Besseren be­

lehren!" GoldsmithS

Umgang mit

Johnson wurde bald

Freundschaft, dann Intimität, von Seiten deS Letzten anhäng­

liche, von Seiten deS Ersten abhängige.

Sie trafen sich öfter

int Buchladen eines Mr. Thomas DavieS. DavieS, ein beweglicher Mann von kleiner Statur, war früher Schauspieler gewesen, und hatte die Helden in

102 der Tragödie dargestellt.

Verstimmt verließ er die Bretter

in Folge eines Epigramms von Churchill: .Eia Ries' in Zwerggestalt ist unser Held, Der, deelamirt er, wie dn Köter bellt".

Den Pathos von der Bühne her legte er auch in seinem Buchladen nicht ab. DaS Beste an ihm war seine hübsche Frau, die, unter dem Anscheine des Unbewußtsein» ihrer Vor­ züge, einen KreiS auserlesener Geister niagnetisch nm sich ver-

Ein Stammgast bei den abendlichen Zusammen-

sammelte.

künftm daselbst war der Lustspieldichter Foote.

von dort die

Typen zu seinen

Er bezog

Charakterkomödien.

DaS

Eckige, Unfertige und Originelle in, oder, da eS nur Aeußerlichkeiten berührte, vielmehr an Johnson und Goldsmith

lieferte ihm den Stoff zu einer Schöpfung, die er unter dem Titel: davon.

„Die Redner" in Angriff nahm.

Er fragte beim

Foote in

Davie» Hause

eichener Stock,

Sir?"

Johnson erfuhr

abermaligen Zusammentreffen mit

den

letzten:

„Sixpence!"

ling; lassen Sie mir gleich zwei holen!"

„Was

kostet ein

„Hier ist ein Schil­ „Warum?"

„Ich

vernehme, Mr. Foote will nächstm» ein neue» Stück auf­

führen lassen; das muß ich doch auch sehn."

Die Redner

blieben unvollendet.

Goldsmith benutzte den Ministerwechsel beim Regie­ rungsantritte Georgs III., um sich für den Orient wieder in Erinnerung zu bringen.

Er

setzte in einem an

Lord

Bute gerichteten Memorial die Vortheile auseinander, die der europäischen Cultur durch Einfiihrung eines in der sibi­

rischen Tartarei einheimischen Milchspiritus erwachsen würde»,;

er erinnerte daran, daß man irgendwo in Indien aus Pflanzen­ stoffen ein, den Engländern bisher unbekannt gebliebenes, Roth gewinne, und versprach seinen Landsleuten überhaupt in un-

103

bestimmter Allgemeinheit von einer Expedition in'» Innere Asien» eine bereichernde Ausbeute auf volkswirthschastlichem Gebiete. Die von ihm, ein derartiges Unternehmen zu leiten, als geeignet in Vorschlag gebrachte Persönlichkeit qualifizirte er in einer Weise, daß sich unschwer errathen ließ, wen er empfehlen wollte. Seine Schilderung paßte nur auf ihn selbst. Er entsandte das Memorial erst, nachbem er im „Public Ledger" einen Aufsatz veröffentlicht hatte, worin er mit der ihm eigenen Gewandtheit, sich und die Welt zu täu­ schen, das Publicum für den von ihm angeregten Gegenstand erfolglos zu interessiren versuchte. AuS der asiatischen Expedition wurde nichts. Einer OrtSveränderung war er indessen, seiner Gesundheit wegen, bedürftig; so ging er im Herbste des Jahres 1761 nach JSlington, in der Nähe von London, um die Landluft auf sich wirken zu lassen. Hier verweilte er in, ihn fördernder, Abgeschieden­ heit monatelang, verfaßte daselbst „Englische Geschichte, in Briefen eines Adligen an seinen Sohn", und hatte sich der lebhaftesten Aufnahme dieses neuen Produktes beim Publicum zu erfreuen. Seine schöpferische Thätigkeit tritt in dem intercssanten Buche zurück gegen seine receptive; er stellt nur in geschickter Auswahl Resultate aus den namhaftesten Historikern zusammen, wird aber durch die taktvolle Virtuosität, womit er drei vorhandene Geschichtswerke in ein viertes verwandelt, selbst wieder originell. Noch immer schrieb er, ohne sich zu nennen. Die Wahl des Titels, verbunden mit der Vornehm­ heit des StylS und der Würde des Gegenstandes, verleitete die Londoner, auf einen Autor aus den höchsten Gesellschafts­ kreisen zu rathen, und Lord Orrery, der unter anderen sich in diesem Zusammenhang« der Anonymität verdächtigen lasten mußte, widersprach dieser, ihm schmeichelnden, Zumuthung so

104 wenig, daß unter seinem Namen manche Auslage des Buchs

erschien.

Goldsmith, abgeschieden in Islington, aber nicht abgeschlossen, kehrte gestärkt und ermuthigt zur Hauptstadt

zurück, wo sich in einer günstig auf ihn einwirkenden Weise sein Bekanntenkreis

erweiterte.

Außer zu Johnson, von

dessen souveränem Einflüsse er bewußt

während

abhängig

blieb,

und unbewußt fort­

trat er nun. auch zu

Josuah

Reynolds, dem späteren Direktor der Londoner Kunstschule

in nähere Beziehung: Reynolds war eine Natur, die Goldsmith anregen, und von ihm angeregt werden mußte, da dieselbe Geschmacksrichtung, durch deren Pflege der eine als Schriftsteller glänzte,

mit dem nämlichen

andere auf dem Gebiete der Malerei vertrat.

Talente der Das Gleich­

gewicht der auf jenem gegenseitigen Verständnisse, was keiner

Worte bedarf, und keine niacht, beruhenden Freundschaft beider

Männer erlitt auch durch den Umstand nicht Beeinträchtigung, daß zum wohlhabenderen Reynolds der, trotz seines Ruhmes, in Folge seiner, sich ausgebenden, Gutmüthigkeit kümmerlich

fortvegetirende Goldsmith als Freund und Gast in der Regel zugleich kam.

Dieser Vorzug war ein zu äußerlicher,

um als überlegener gelten zu können.

Auf

Goldsmith

hatte der Verkehr in dem freigebigen Hause des Malers den

wohlthätigen Einfluß, daß der gewähltere, sich dort zusammen­

findende, Kreis die beste Schule für ihn wurde, sich feineren Formen des Umgangs anzubequemen,

über die willkürlich

sich hinwegzusetzen, grade er um so weniger das Recht besaß, als er ihrer als Aushülfe bedurfte, um den widerwärtigen

Eindruck seiner äußeren machen.

Erscheinung durch sie vergessen zu

Die Personen, die der Zufall bei Reynolds zu­

sammenwürfelte, waren die Elite der Bildung; um so schmerz-

105 licher mußte den armen Goldsmith in solcher Umgebung ein Mißlaut berühren,

der ihn unbarmherzig an seine un­

schöne Außenhülle erinnerte.

ES war eine jener grausamen

Rohheiten, die zuweilen auch feinfühlende Menschen bewußt

oder halbbewußt begehn. ihres

Miß Reynolds, bei der Tafel

Bruders präfidirend,

wurde gelegentlich

Toaste auf den häßlichsten Mann aufgefordert.

zum einem

Unglücklicher­

weise war der Häßlichste zugegen, und der schüchterne Dichter mußte in Form einer Artigkeit eine Kränkung entgegennehmen,

die ihn um so empfindlicher berührte, als sie einen Mangel hervorhob, an dem er schuldlos war,

Ungerechtigkeit

der Natur geschont

und den er als eine

zu wissen beanspruchen

konnte. Eine, der Miß Reynolds gegenübersitzende, fremde Dame reichte ihr nach diesem Bonmot über den Tisch herüber

die Hand, und wünschte ihre nähere Bekanntschaft. Die Zusammenkünfte bei Reynolds waren charakte­

ristisch genug.

Eleganz, Zierlichkeit, vorau-bedachte RückstchtS-

nahme in Betreff deö Zusammenpassens der Erwarteten hätten diesen bunten Kreis auf eine Ueberraschnngen durch den Zu­ fall auSschließende Weise einförmig gemacht. Statt der Sym­

metrie herrschte Fülle.

Jeder griff zu, ging, kam, aß, trank,

setzte sich, sprach, waS, wie, wo, und mit wem er wollte. Daß der ungezwungene Ton der sich hier Begegnenden nie­

mals in den rücksichtslosen Einzelverkehr einer WirthShauStafel ausartete, dafür bürgten die Anwesenden selbst, denn in

dies HanS wagte sich Keiner, der nicht Verlangen und Be­ fähigung geistiger Ebenbürtigkeit mit den dort vorauSzusetzen-

den Persönlichkeiten zn erweisen vermocht hätte. ging dieser anregende Zirkel ein. Lauf der

Allmählich

Reynolds hatte, als im

Zeit unverhältnißmäßig viel . Geschirr

zerbrochen

wurde, ein neues Service angeschafft, und zugleich erklärt, er

106 werde dasselbe sich abnutzen lassen, sei aber nicht gesonnen,

es wieder zu ersetzen.

Die selbstverständliche Folge davon

war, daß Teller und. Gäste sich gleichmäßig verminderten, und als schließlich nur noch diejenigen

Personen erschienen,

die auf die letzten Bestecke das erste Anrecht glaubten geltend

machen zu dürfen, schlug Reynolds vor, man wolle sich

austösen, und unter anderer Form, in beschränkter Zahl, mit Zugrundelegung bindender und regelnder Statuten, und so, daß jeder die Unkosten der Geselligkeit gleichmäßig trage, sich

wöchentlich einmal in einem zu diesem Zweck in Aussicht zu nehmenden Lokale wieder versammeln.

Er fand Beifall.

Es

war überhaupt damals die Blüthezeit der geschlossenen geselligen

Vereine; und so entstand der, baldigst so mannigfach in das

Londoner politische, soziale und literarische Leben eingreifende,

literarische Club, später nur

der

Club

genannt,

und in

dieser lakonischen Abkürzung die vielsagendste Parole geworden. Der ursprünglichen Mitglieder waren neun an Zahl; die

bedeutendsten und bedeutendst werdenden unter ihnen Rey­ nolds, Johnson, Edmund Burke und Goldsmith.

Uebrigens spielte der arme ordnete Rolle.

Dichter eine durchaus unterge­

Man hatte, um neben der Gelehrsamkeit auch

die feine Weltbildung vertreten zu wissen, zwei junge Adlige von hervorragendem Namen und großem Reichthum ausge­ nommen.

Diese beiden, sich sonst ausschließenden Elemente:

innerer Fond, und

äußerer in der Erscheinungsform einer

gefälligen und gefallenden Art, sich einzufügen, wirkten hier wohlthätig auf einander ein; das gründliche Wissen gewann

durch Eleganz an Verständlichkeit, und der Salonton durch Vertiefung an Würde.

Goldsmith, eingeschüchtert durch

Beides, weil in Beidem Anfänger, wurde in dieser Umgebung mehr geduldet, als für gleichberechtigt gehalten.

Doch lenkte

107 er bald die Aufmerksamkeit,

zunächst seiner Landsleute, in

einem Grade auf sich, daß, diesem Vorzüge gegenüber, kleine

Verstöße gegen konventionelle Gebräuchlichkeiten zu einem be­ deutungslosen Nichts verschwanden.

Er bewies, daß, wenn

ihm der schlagfertige Witz des Augenblicks nicht zu Gebote stehe, er dafiir über ein wünschenSwerthereS Gut verfüge, den

Humor; und daß, komme er als Improvisator nicht in Be­

tracht, er statt besten ein Dichter sei.

Johnson berichtet

über diese Phase im Leben deS Freundes folgendermaßen: Goldsmith schickte eines Morgens zu mir: er sei in

großer Verlegenheit, und bitte mich, da er selbst nicht auSgehen könne, ihn baldmöglichst aufzusuchen.

Ich sandte ihm

eine Guinee, und ließ zurückmelden, ich würde kommen.

Ich

zog mich an, machte mich auf den Weg, und vernahm an Ort und Stelle, seine Wirthin habe wegen eines rückständigen Restes der Miethe Arrest gegen ihn auswirken lasten.

Einen

Theil meiner Guinee hatte er bereits in Form einer Flasche Madera, mit deren Consumtion er eben beschäftigt war, vor

sich auf dem Tische stehn.

Er schien änßerst aufgeregt.

Ich

verkorkte die Flasche, ersuchte ihn, sich zu sammeln, und mit mir auf Mittel zur Abhülfe zu denken.

Er äußerte, er habe

eine Novelle druckfertig liegen, und händigte mir das Ma­

nuskript ein.

Ein flüchtiger Durchblick verschaffte mir die

Ueberzeugung, daß hier etwas Außergewöhnliches geliefert fei.

Ich steckte die Blätter ein, und entfernte mich mit dem Ver­ sprechen, zurückzukehren.

Ich verkaufte die Handschrift an

einen Buchhändler, erhielt sechzig Pfd., und brachte Oliver das Geld, womit er sich auslöste."

Diese Novelle war der Landprediger von Wakefield. Goldsmith soll, nach einem Berichte, seiner Wirthin

einen derben Verweis ertheilt, nach einem anderen sie aufge-

108 fordert

haben,

seinen

Madera

vollend-

mit au-zutrinken.

Vermuthlich hat er Beide- gethan. Diese- Werk de- Autor-, den Haupthebel seine- Ruhme-,

ließ der mitleidige Buchhändler, der sich keinen Erfolg davon

versprach, zwei Jahre lang unbenutzt liegen,

bevor er zum

Druck sich entschloß.

Von Poesiem hatte der Dichter noch nicht- nachhalttg NennenSwertheS veröffentlicht; er hielt seine Zeit für keine

poetische; waS würde er erst von unserer gesagt habm?

Ein

Oratorium, „die Gefangenschaft", dessen Stoff ihn» die Juden an dm Trauerweiden Babylon- darboten, ist vergesim, biauf folgende, später in alle Gedichtsammlungen übergegangenm

Verse: Der Mensch hält unter jeder Last

Stet- an der Hoffnung fest,

Bon der er noch, wenn er erblaßt, Sich überleben lLßt.

Die Hoffnung ist ein kleine- Licht,

Auf unsern Weg gestellt,

Den e-, je gräßre Nacht in Sicht, Je glänzender erhellt.

„Doch die Erinnerung", fährt er, im Sinne anschließend, ander-wo fort: »Doch die Erinnrung, wa- ist dir?

Ein Mahner laut und hart! Nur da« Vergangne glänzt für sie; Todt ist die Gegenwart.

Die äußre Welt scheint ungerecht!

Nun erst die inn're gar! Sie macht da- Gute selber schlecht,

Weil e- nicht besser «ar.

109 Am 19. Dezember 1764 wurde der Wanderer veröffent­

licht. Der Plan zu dem genannten Werke, vielleicht der großartigste, der jemals einer poetischen Schöpfung unter­ breitet wurde, war bereits während seines Aufenthaltes in der

Schweiz von Goldsmith aufgegriffen worden; er hatte da­ mals einige Zeilen rasch hingeworfen, und dann das Ganze

ruhen lassen.

Jetzt griff er zu dem, ihn lockenden, Stoffe

zurück, hinsichtlich dessen für seinen Glauben an eine gelungene Ausführung der Umstand zu sprechen scheint, daß diese Arbeit

die erste ist, zu der er mit seinem Namen sich bekannte. Bis­

her war er nur anonym erschienen.

Der gewaltige Grund­

gedanke des erzählenden Gedichtes schloß, strmg genommen, jede Verwerthung in gebundener Rede auö; ihn zu erschöpfen,

hätte Oliver eine Bibliothek von historischen, ethnographi­

schen, nationalökonomischen, culturgeschichtlichcn und philoso­ phischen Werken zusammenschreiben müssen.

Insofern, darf

man sagen, blieb die That hinter der Idee zurück.

Andrer­

seits war aber die Idee selbst eine That, ein ungeschriebenes Gedicht.

Schon auf einen derartigen Vorwurf verfallen zu

können, zeugte von der Gewalt einer Phantasie, die sich nur im unablässigen Ringen nach den höchsten Zielen zu genügen vermochte, und ein Recht hatte, sich zu vertrauen, da sie nicht

auö Laune gestaltete, sondern aus Eingebung.

Der gedank­

liche Inhalt des Wanderer ist die Fortschrittsgeschichte der Menschheit, die, um mit Schiller zu reden,

selbst besinnt".

„sich auf sich

Im Verse konnte Goldsmith daS Ver­

ständniß für diese erhabensten Gedankengegenstände nur wecken,

nicht hingegen die Ausbeute eines derartigen Nachdenkens er­ schöpfend erschließen.

Dadurch erhielt die Verkörperung etwas

Skizzenhaftes; sie wird zur Studie, aber zu einer Studie,

die als solche ihren Zweck erfüllt, da sie, vom Ernste der

110 Gesinnung getragen, da- charakteristisch Unterscheidende kenn­ zeichnend hervorhebt, und selbst wo sie, was dem Dichter mannigfach vorgeworfen wurde, zu falschm Schlüssm gelangt, in einem Jxrthume befangen ist, der, konsequent durchgeführt, niemals mit sich in Widerspruch gerSth. Falsch , oder wahr, Goldsmith weiß, was er als Behauptung aufftellt, zur Wahrheit zu erheben. Während wir lesen, müssen wir glauben; und, in diesem Lichte betrachtet, wird der Mangel deS Ge­ dichtes zum Vorzug des Dichters, der unwidersprechlichste Be­ weis seiner gottähnlichm, schöpferischen Gestaltungskraft. Der Wanderer, nicht für die Menge geschrieben, fand doch überraschenden Beifall. Man zweifelte kaum noch an OliverS Mission. Am Längsten zweifelte der literarische Club. Hier konnte man sich schwer überzeugen, daß ein Mensch, der in drei Worten immer zwei Albernheiten redete, .im Stande solle gewesen sein, ein kulturhistorisches Gedicht von einer solchen Tiefe der Auffassung zu schreiben. Man suchte ihn zu bereden, er sei nicht der Autor, wenigstens müsse er sich für daS nachhaltig Wirkende im Wanderer ftemder Beeinfiuffung verpflichtet erkennen; und man hätte zweifels­ ohne den bescheidenen Dichter soweit gebracht, sich selbst zu verläugnen, wäre nicht Johnson energisch dagegen ausge­ treten. Chamier, um auSzukundschaften, fragte: „Was wollten Sie, Mr. Goldsmith, mit dem letzten Worte der ersten Zeile versinnlichen, mit dem „slow“? Das langsam Fortschlendern der Fußreisenden?" Goldsmith, in der ersten Bestürzung, antwortete: „Ja!" Johnson ließ ihn nicht weiter sprechen, sondern entgegnete: „Sie irren Gold­ smith, Sie gebrauchten das slow zum Ausdruck der Ge­ dankenträgheit, die als die gefährliche Folge übertriebenen Alleinseins sich einstellt." „Ich glaube, das habe ich gewollt";

111 Alle sahen einander be­

erwiderte Goldsmith kleinlaut.

deutsam an, mit einem Blicke, der, hätte: „Johnson ist der Verfasser!"

ausgesprochen, gelautet Dieser bezeichnete nun

itt seinem Exemplare des Wanderer mit Bleistiftstrichen neun

Zeilen, durchaus nicht die gelungensten, al« von ihm her­ rührende, und ersuchte in einem, jede Entgegnung abweisenden

Tone, man möge sich von der Richtigkeit seine« Bekenntnisse« überzeugt halten.

Charnier rief lachend au«:

Herr! hilf meinem Unglauben!"

„Ich glaube

Damit war die Sache für

den Club erledigt; man verstummte taktvoll, und dachte da« Seine.

Die schönste Kritik über den Wanderer lieferte viel­

leicht Miß Revnold«, al« sie, nachdem Johnson

daö

Werk in ihrer Anwesenheit vollständig vorgelesen hatte, sich

äußerte:

„Von nun an werde ich Herrn Goldsmith nicht

niehr für häßlich halten!" Der einfache Kern de« Gedichte« sucht un« mit der Wahr­

heit zu befreunden, daß

wir nicht un« sich aufdrängenden

Einflüssen, nicht der Vorsorge staatlicher Institutionen, die

im Gegentheile nur al« au«hel ende Bindemittel,

als noth­

wendige Uebel erscheinen, die Zufriedenheit mit un« und der

Welt verdanken, sondern lediglich der größeren oder geringeren Gewandtheit, womit wir uns in un« selbst zurecht zu finden

wissen; und daß da» ärmste innere Glück immer noch reicher ist, als das reichste äußere. Das Gedicht selbst lautet folgendermaßen:

Entfernt, entfremdet, wandt' ich düstre Pfade Am Schilf de- Scheldestrom-, am Pogestade; Und weiter, wo noch nicht im groben Kärnthen Die Pflicht der Gastlichkeit die Bauern lernten. Hier oder dort, selbst auf Campanien- Flur Beseelt ein Wunsch mich, ein Gedanke nur!

112 Mein Herz blieb heim; e- ist nicht mitgereist. Wohin mein Schritt sich lenkt, mein Auge kreist, Gedenk' ich, Bruder, Dein, an jeder Stätte.

Du hältst mich fest an unfichtbarer Kette. Du bist mtt besfren Segnungen bedacht; Um Deine Wohnung halten Engel Wacht. Dein Heerd ist Zuflucht-winkel heit'rer Gäste;

Dich sucht die Armuth auf, und da- Gebreste. Der müde Pilger findet bei Dir Platz, Der Kummer Trost, und der Verlust Ersatz.

Gesegnet sein, die ttautm Dämmerstunden,

Wo heimisch wurde, wer sich eingefunden! Die schlichten Scherze, die noch immer zünden; Legenden, welche Lebensweisheit künden;

Die Wunder, die der Wandrer von der Reise

Berichtet, zum Vergelt für Rast und Speise. Ich muß mir diese Freuden all' versagen

Früh ward ich in die Fremde schon verschlagen.

Zu bald schon zwang mich die Nothwendigkeit,

Mein Glück zu suchen weiter noch, als weit. Es lacht mich an au- nebelhaften Fernen;

Ich eil' ihm nach, ich möcht' eS kennen lernen; Ihm folgend auf der Flucht; zu immer weitern

Entfernungen gelockt: — wo werd' ich scheitern?

Hier oben in der Alpeneinsamkeit Fühl' ich für ernste- Sinnen mich geweiht; Dem Sturm, der tief erbraust, bin ich entrückt.

Der Erde Herrlichkeit umschweist entzückt Mein Auge: Seren und Städte, Feld und Wald;

Bald König-schlöfler, Hirtenhütten bald. Wo Fülle wirkt, mit Anmuth int Verein,

Kann stolzer Undank unzufrieden sein, Und Segnungen, die ringsum ihn umlachten, Mit kaltem Blick den Philosoph bettachten?

113 Groß sind dem schlichten Mann die schlichten Dinge, Schätzt auch Gelehrtendünkel sie geringe. Als Weisheit gilt Entzückung dort allein,

Wo Zauber sich an größ're Zauber reihn.

Du Flor der Städte, ring- im Sonnenglanz, Du Felderpracht im sommerlichen Kranz;

Ihr Seeen, wo lauer Wind den Nachen wiegt; Ihr Thäler, wo der Hirte träumend liegt;

Dem euren sei mein Jubelruf gesellt: „Mein ist die Schöpfung; ich bin Herr der Welt!"

Dem Geizhals, der um seinen Schatz sich quält; Er beugt sich über ihn, er zählt und zählt;

Zählt morgen, was er heute mehr betrug, Und seufzt; er zählt noch immer nicht genug:

Dem gleich ich.

Innerer Schätze mir bewußt.

Frag ich mich oft: „Wär' ihr Verlust Verlust?" Bald denk' ich, blick ich still in mich zurück: „Der reichste Geist ersetzt kein Luß'reS Glück!" Und wünsche bald in prangendster Natur:

„Hätt' ich hier Raum zur kleinsten Hütte nur!" Ich setzt' in ihr den Wanderstab bei Seit' Für Segnungen bescheidner Häuslichkeit.

Allein, wo weilt das wahre Glück hienieden,

Da jede Zone glaubt, ihr sei's beschieden?

Der Sohn des höchsten Norden-, hoch am Pol,

Fühlt sich, wenn er vor Kälte zittert, wohl; Wohl bei der eklen Beute seiner Wellen;

Er kann sich karg die lange Nacht erhellen. Der nackte Neger, den die Fessel drückt.

Goldsand und Palmwein ist'-, was den beglückt!

Er sonnt sich grinsend in der Glut; er staut Der Flut, die, statt zu kühlen, ihn erlaut.

Fragt, wen ihr wollt, am besten ist'- daheim.

Sein Land preist jede- Volk in Sang und Reim.

114 Doch, wenn wir unbefangnen Bicks vergleichen, Weilt, gleiches Glück, soweit die Blicke reichen. Scheint sich der Patriot zu überheben, Was er uns rühmend preist, sein Glück ist's eben. Denn Jedem gab die Weisheit der Natur Das Glück, was Jeder braucht, zur Mitgift nur.

Noch lohnt Natur, mit mütterlicher Hand, Den Fleiß von Volk zu Volk, von Land zu Land; Noch stets gedeiht das ausgestreute Korn Auf Lapplands Klippen, und am goldnen Horn. Gewohnheit macht uns Alles annehmbar, Sie beut im Fels ein weiches Bett uns dar. Entgegen der Natur, schuf Menschengeist Auch Güter, und begehrteste zumeist: Wohlstand und Handel, Freiheit, Glück und Ehre. Doch scheint's, daß eins des andern Wachsthum wehre. Wo Wohlstand herrscht, wo Freiheit, flieht das Glück; Vor'm Handel zieht sich Ehre scheu zurück. Deßhalb gewahren wir von Staat zu Staat, Daß jeder stets ein Lieblingsgut vertrat; Er wählt begnügt das ihm gemäße Gut, Für das man schafft und strebt, thut, was man thut, Bis, hat man sich in's Uebermaß verirrt, Das höchste Gut zum höchsten Uebel wird. Die Wahrheit des Behaupteten beweist Der Ländergürtel, den mein Blick umkreist Dem Wohl der Menschheit, ihrem Ungemach, Ihm setz' ich augenblicklich eignes nach, Der ich hieherverschlug. gleich jenem Strauch Am Felsenrand, bewegt vom Windeshauch.

Italiens lachende Gefilde glänzen Rechts, wo die Apenninen sie durchkränzen; Die Hügelkette sanftgeschwungner Breite Läuft, reichbewaldet, längs der Bergesseite,

115 Mit Tempeltrümmern dann und wann dazwischen, Die mit der Anmuth ernste Milde mischen.

Genügte schon zum Glücke die Natur,

Der Sitz des Glückes wär' Italiens Flur.

Jedwede Frucht, die jeder Himmel weckt,

Die stolz sich hebt, die sich am Boden streckt;

Die Formenfülle, nebst der Farbenpracht, Womit'die Tropenländer sind bedacht; Wie, was gedeiht, wo nordische Stürme wüthen,

Die kaum zu Blumen zeitigen die Blüthen:

Das sonst Zerstreute beut dies schöne Land

Vereint, freiwillig, ohne Gärtnershand. Der laue Seewind scheint auf feuchten Schwingen

Atome voller Fruchtbarkeit zu bringen.

Kurz ist das Glück, das Sinnenreiz verleiht;

Hier kennt man nur das Glück der Sinnlichkeit.

In kräftiger Schönheit schimmern Flur und Hain;

Was hier verkümmert, ist der Mensch allein. Ein Widerspruch vom Fuße bis zum Scheitel; Arm, doch verschwendrisch; kriechend, und doch eitel;

Gesetzt, und albern; eifrig Reu' betheuernd, Und in der Reu' den Sündenschwur erneuernd. Ein jeder Fehler wird an ihm erkannt,

Der mit entschwundnem Wohlstand nicht verschwand. Denn reich war der Bewohner dieser Flur,

Als seine Flotte noch das Meer befuhr.

Auf sein Geheiß erhoben sich Paläste; Die Säule strebte stolz zur HimmelSveste;

Ein täuschend Leben bot die Leinwand dar,

Indeß der Marmor die Gestalt gebar. Allein der Handel fand sich andre Küsten; Noch in Ruinen will das Land sich brüsten.

Nichts blieb zurück von all' dem Glück und Stern, Als leere Städte, dienerlose Herrn;

116 Bis die Nation erkannt, wa- sie entkräfte,

Sei falscher Borrath ungesunder Säfte. Doch ist der äußre Wohlstand auch verblichen,

Die Kunst hat, ihn ersetzend, ausgeglichen. Don ihr nimmt Bettelstolz und kindischer Sinn,

Was sonst Geschichte bot und Leben, hin;

Und, wa- die Vorzeit Große- ließ erstrahlen, Die heut'ge Welt vermag e- noch zu — malen.

Die Götter stürzten, wo jetzt Heil'ge wohnen, Und statt der Opfer sieht man Prozessionen.

Madonnen, Märtyrer in jedem Hain;

ES lieben Kinder eben Kinderein.

Der Thatendrang, durch Prtesterwort beschworen, Verliert sich, oder hat sich schon verloren; Verdrängt durch wache- Träumen, faule- Beten,

Durch Feste, die 'sich auf die Ferse treten. Und in den Domen, wo Cäsaren ruhn,

Zerbröckelnd, dachloS, nah' dem Einsturz nun, Baut, unbesorgt um Todte, wie Verfall, Der Bauer seine Wohnung, seinen Stall; Und nennt, sich wundernd, daß die Säulenreihn

Einst Menschen schufen, stolz die Trümmer sein.

O, fort von diesem Bild.

Vom Sinnenreiz

Italien- zu der Rauhigkeit der Schweiz! Hier gibt die Scholle nur ein kärglich Brod,

Und macht den Kampf um'- Leben zum Gebot

Der Boden sträubt sich, daß er nicht- erschaffe, Al- den. der ihn bebaut, und seine Waste. Man weiß hier kaum, wa- eine Blume sei;

Oft fällt der Winter in den Schooß de- M^i; Kein Zephir flattert läng- den Berge-stirnen; Nur Meteore glänzen ob den Firnen.

Hier oben, wo die Menschheit noch zurück Im Urstand weilt, hier oben wohitt da- Glück!

117 In Armuth und in Arbeit wird man groß; Doch ist dies Loo- das allgemeine Loos. Des Landmanns Hütte höhnt hier kein Palast,

Worin ein reicher Müssiggänger praßt;

So schämt er sich de- schlichten Obdachs nicht, Und sitzt vergnügt beim kärglichen Gericht.

Unkenntniß künstlicher Bedürfnisse Erspart ihm mit ihm selbst Zerwürfnisse.

Ihn weckt da- Morgengraun.

Nach kurzer Ruh'

Eilt jodelnd er dem Tagewerke zu, Ans Ufer mit geduld'ger Angelschnur; Dem Wilde nach, auf die verschneite Spur.

Er sichert sich mit Pflug, Geschoß und Angel

Nicht Ueberfluß des Lebens, Schutz vor Mangel. Sein Dasein ist Gefahr nur.

Sinkt die Nacht,

Kehrt müd' er heim, wo seine Hütte lacht;

Er sitzt am Heerde nieder; ihn umdrängen Die Kinder, deren Augen an ihm hängen.

Den Fang des Tages ist sein Weib inzwischen Beschäftigt zuzurichten, auszutischen;

Und müder Wandrer findet oft, verirrt, Iw müden Landmann den bereiten Wirth.

Die tägliche Gefahr, der Widerstand, Sie knüpfen fester an die Scholle Land.

Das Gut, was ihm die Elemente weigern, Vermag der Kampf zum höchsten Gut zu> steigern.

Kein Schloß kann seiner Hütte sich vergleichen, Und seine Hütte kann kein Sturm erreichen.

Und wie ein Kind, vom droh'nden Laut erschreckt, An seiner Mutter Brust sich scheu versteckt,

So knüpft der Waldstrom und der Sturm im Tann Ihn fester nur dem Heimathberge an.

Das ist der Vorzug kärglicher Natur: Man wünscht nur, was man braucht; was braucht man nur-

118 Hier, was man täglich sich erkämpfen muß. Der Kampf macht das Bedürfniß zum Genuß; Denn AlleS, was man mit Gefahr errang, Wird eine Freudenquelle durch den Zwang. Genüsse künstlich sich erschaffen müssen, Führt zur Verweichlichung in den Genüssen. Der Schweizer weiß, statt Reizungen der Sinne Zu kennen, großer Städte Schmachgewinne; Statt Lockungen, die räthselhaft entflammen. Was seine wollen, und woher sie stammen. Sein Leben ist ein Feuer, welches schwehlt, Dem nicht der Trieb, dem nur der Anlaß fehlt; Sie sind geschützt, sie kennen nicht Extasen; Doch wird die Asche einmal weggeblasen, Dann tobt der Trieb, erkannt, dies eine Mal Sich in der Orgie aus, im Bacchanal.

Richt ihre Freuden sind allein so roh; Rein, ihre Sitten sind es ebenso. Sie lieben, fremdem Einfluß abgewandt, Den Fortschritt nicht, nein, nur den Fortbestand. Hier wirken nur der Liebe Zärtlichkeiten, An harten Herzen machtlos abzugleiten. Auf Bergeshöhn mag strengere Tugend kauern, Den Falken gleich, die hoch im Reste lauern; Doch alle Sitte, die das Leben schmeidigt, Und, fehlt sie, dadurch, daß sie fehlt, beleidigt, Floh hier erschreckt auf scheuen Fittigen, Das mild're Nachbarvolk zu sittigen.

O, fort dahin, in diese heit're Milde, In Frankreichs ewig lachende Gefilde! Du glücklich Land, von Lust und Sang erhellt, Zufrieden mit Dir selbst, und mit der Welt, Zu meiner Flöte tanzten Deine Paare Am Ufer der sanstmurmelnden Loire,

119 Wo durch die Schattenwipfel hoher Rüstern Am Saum de- Flusses Abendwinde flüstern.

Wer gerne tanzt, dem ist gar leicht gepfiffen; Sie tanzten auch bei Tönen, falsch gegriffen;

Und lobten mich, und schlangen ihren Reihn,

Und tanzten tief bis in die Nacht hinein. Kein Stand war ausgeschlossen; alte Damen, Die Kinder durch den Jubel führten, kamen;

Selbst der gelehrte Mann von altem Schnitt, Großvater selbst, der Freiherr, tanzte mit. —

In eifrig müssiger Geschäftigkeit Verfließt ihr Dasein, nur der Lust geweiht.

Sie wissen zu bezaubern, zu verbinden, Und sind zufrieden, wenn sie Ehre finden. Dies Gut, das oft dem Unwerth wird gespendet,

Statt dem Verdienste, Ehre wird verschwendet Als Landeömünze, geht von Hand zu Hand

Als altbeliebte Waare durch das Land, Vom Schloß zur Hütte; schifft bis an die Meere; Der Ehrgeiz Aller ist der Geiz nach Ehre;

Die Ehre wird vereinbart unter ihnen; Sie glauben selbst, sie wären, was sie schienen.

Doch diese Kunst, so billig abzukommen,

Hat oft die Form der Thorheit angenommen.

Erfüllt nur falsche Ehre die Gedanken, So muß die Geisteskraft zuletzt erkranken. Ward erst die Seele schwach und haltungslos,

Zieht eine Schwäche bald die andre groß. Die Sucht nach Ehre lockt den Schein herbei; Der Schein den Trug, der Trug die Schmeichelei;

Die Schmeichelei verführt zur Eitelkeit: Mit falschen Spitzen prunkt der Saum am Kleid;

Man ißt sich täglich nur zur Hälfte satt, Weil einmal Jeder jährlich Gäste hat. Vom Gift der Thorheit wird der Geist umwoben,

Der bald die Schmach verkennt, sich selbst zu loben.

120 Zu Menschen andrer Neigung strebt mein Sinn, Nach Hollands tiefer Ebne strebt er hin. Mich dünkt, ich seh des Landes zähe Söhne, Den Ozean zwingend, daß er ihnen fröhne, Der Flut, die drohend steigt, um zu vernichten, Zur Abwehr stolze Bauten emsig schichten. Mit langsam stetiger Bebarrlichkeit Erhebt das Bollwerk sich; es wächst, gedeiht; Streckt Riesenarme in die Wasserwüste, Verkürzt ein Land, und schasst ihm eine Küste. Der eingedämmte Ozean sieht erstaunt, Wie buntes Leben ifyit ummarkt, umraunt: Die Schuit auf träge fließendem Canal, Das fette Weidevieh, das nähr'nde Thal; Die Waidenbüschelbank, das Rettungsboot: Die Schöpfungen vorausbedachter Noth.

Stets auf der Hut, von falscher See umragt, Von einer See, die Uebergriffe wagt, Hat diese Furcht, daß man das Seine hüte, Auch andre Frucht gebracht: die Handelsblüthe. Nur kamen, nebst den Quellen des Genusses, Die Schattenseiten auch des Ueberflusses Zur unbedingten Herrschaft: Trug und List! Denn einem Volk, dem Alles käuflich ist, Wird auch zuletzt die Freiheit selbst zur Waare; Zum goldnen Kalb das Capital, das Baare. Vor diesem Judengötzen kniet die Welt. Der Arme macht, was er für werthlos hält, Zu Geld; sich selbst, wenn ihn der Nabob zahlt. Man schwelgt, man rechnet, man errafft, man prahlt.

Der Lump, der seiner Würde sich begab, Sinkt ehrlos, wie er lang gelebt, in's Grab!

Als Holland noch vereint mit Belgien war, Wie stolz und arm, wie frei, wie unlenkbar!

121 Dem Britten gleich, vom eisernen Geschlecht!

Zum Schatten früherer Größe abgeschwächt!

Dem Britten gleich!

Mein Genius hebt die Schwinge,

Daß ihn der Flug zu seiner Heimath bringe. O, lieblich Land, wie lachen Deine Wiesen! Als westliches Arkadien sei gepriesen!

Zum Eden macht die Lust der Hauch der Weste,

Und zur Musik den Hain da- Volk der Aeste. In milder Anmuth prangen die Gefilde;

Der Mensch nur ist der Gegensatz der Milde; Ihn leitet kälteste Besonnenheit;

Doch führt sie große Thaten im Geleit. Im Geist erschau' ich sie, die Herrn der Erde, Aufiorderung der Blick, Trotz die Geberde,

Im Auge Blitz, Stolz in der Wucht der Schritte; Unangekränkelt noch von fein'rer Sitte. Sie kennen, fest gestutzt auf ihre Kraft,

Ihr Recht allein, nicht ihre Rechenschaft. Der Arm vollführt, was kühn das Haupt ersann,

Und selbst der Bauer fühlt sich hier als Mann.

Dies Glück ist, Freiheit, nur Dein Werk allein!

Du bist die Frucht des Vorzugs, frei zu sein.

Doch beut die Freiheit Segnungen, nicht bloß; Sie selber zieht die größten Laster groß;

Denn die gepriesne Unabhängigkeit

Vereinzelt, statt zu festigen, entzweit; Und ihre zu verwerfenden Gewinne

Sind, ward sie Trotz, viel Köpfe, viele Sinne.

Wer überall nur baut aus eigne Kraft, Macht seine Freiheit sich zur schlimmsten Hast.

Man kann nicht selbst veredelnd auf' sich wirken. Bald schielt der Neid nach glücklichern Bezirken,

Bis die Nation, nun in Parthein geschieden, Im Kampf sich trifft, die sich vermied im Frieden.

122 Weist man in Pflicht und Liebe höhnisch ab,

Die Bande, welche die Natur un- gab. Verfällt man künstlich schlau gelegten Schlingen, Die zum Gehorsam unerbittlich zwingen.

Gesetz und Mammon hat man nicht bedacht,

Der, statt der Freiheit, jetzt den Menschen macht. Er ist das Glück, nach dem die Masse rennt;

Er tödtet da- Verbimst, und da- Talent; Er, wo er herrscht, erhebt sich zum Gesetze,

Verscheucht Zufriedenheit, entvölkert Plätze,

Läßt Dichter hungern, würde frech sich brüsten, .Wenn Könige von Arbeit leben müßten. ES fliehn, sich an den Zwang nicht zu gewöhnen,

Die Besten fort, da- Land verarmt an Söhnen.

Nicht schmeichelt, wa- ich an der Freiheit rüge,

Den Königen; noch huldigt'- and'rer Lüge. Schützt mich vor solchem Thun, ihr Wahrheit-mächte;

Schützt mich vor dem Gedanken schon, der'- dächte!

O Freiheit, Wort, de- Deutung bald un- lehrt

Die Pöbelfaust, bald da- Tyrannenschwert;

Rei-, welche- nicht in kalter Einsamkeit, Und auch in schwüler Hoflust nicht gedeiht; Soll Dich der Boden, wo Du wurzelst, leiden,

So muß man Deinen Au-wuch- Dir beschneiden.

Gleichmäßige Dercheilung Deiner Last Ist da- Gesetz, dem Du zu folgen hast,

Weil in der doppelt zugemessnen Bürde De- Einen Recht de- Andren Unrecht würde.

Erfahrung lehrt un-: ,Wa- die Staaten lenkt, Ist nicht die Hand, die schafft; da- Haupt, da- denkt."

Die Freiheit, die ich überall getrosten,

War nur Erlaubniß, Freiheit zu erhosten.

Ich meide Kamps; doch nicht zur Zeit der Noth, Wenn die Gefahr mein höchste- Gut bedroht;

123 Wenn MLcht'ge, die da- Königthum bestreiten.

Da- Reich verwirren, um sich au-zubreiten; Wenn frevelhaft sich rühmen die Parthein,

Die Freiheit fei da- Recht, sich zu befrein;

Wenn da- Gesetz, da- Reiche sicher stellt,

Den Armen schutzlos läßt, der ihm verfällt; Und wir den Tropen ihre Sklaven rauben.

Weil nur bei uns wir Sklaverei erlauben. Dann wird es Frevel, sich zurückzuhalten;

Dann muß Empörung, Aufruhr sich gestalten; Bis halb noch Patriot, halb Feigling schon,

Als mind'reS Unrecht man erkennt den Thron.

Die Stunde sei von unserm Fluch belastet, Wo Kronen erstmals Ehrgeiz angetastet. Der alle Uebergriffe von Despoten

Durch Ueberübergriffe Überboten;

Der, wo der Ozean unsern Strand umrauscht, Um Gold die Lande-kinber ausgetauscht. Er muß durch eigne Siege sich verheeren,

Gleich Kerzen, die sich flackernd selbst verzehren. Sahn wir nicht Ueppigkeit in diesen Zeiten

Den Fleiß verdrängen, um sich au-zubreiten?

Nicht, wo zerstreut beglückte Weiler lagen, Die Stätten der Verschwendung aufgeschlagen?

Sahn etwa nicht zu gleichem Zweck und Ziel

Da- Dorf verschwinden, da- dem Lord mißfiel?

Nicht die Vertriebnen zur entfernten Zone: Den schwachen Greis, die würdige Matrone, Den guten Sohn, die Maid in Jugendflor? Bis trauernd sich der kleine Zug verlor,

Der bei des Niagara Schaumgerolle Des süßen Heim denkt, der ererbten Scholle?

Jetzt irrt vielleicht, dem Glücke nachzuziehn,

Ein armer Patriot durch die Prairien;

124 Wo Mensch und Wild, die um dm Boden streiten, Einander tilgen, um sich au-zubreitm,

Und wo dem Indier Thier» und Mmschmwild

Erlegt al- gleich willkornrnne Beute gilt. Dort steht, gelehnt an seinm Wanderstecken

Der Landsmann rathlo- in der Wildniß Schrecken,

Sucht nach dem Punkt, wo England- Sonne scheint,

Denkt de- verlassnen Vaterland-, und weint.

Wie thöricht, thöricht meine Wanderwuth Nach einem Glück, da- in un- selber ruht!

Warum sucht' ich in Femm auf verstreut, Ein Ideal, da- auch die Heimath beut,

Und da- wir nicht gewinnen, noch verlieren,

Mag uns ein Fürst, ein Volk tyrannisiren; Denn Beide kann, wie diese Zeiten lehren,

Der wahre Mensch zu seinem Glück entbehren

Greift, wandermüde, nach dem Schatz zurück In ^urer Brust; ihr selbst seid euer Glück; Und rechnet'- euch zum köstlichsten Gewinn, Fließt euer Leben unbemerkt dahin.

Die Martern all', womit sich Menschen plagen, Die nach dem Glücke nur im Glanze jagen,

Wird, wer den Glanz verschmäht, mit Freuden missen, Um Schlaf, Gesundheit, ruhige- Gewissen!

Au den Anhängern des Wanderers zählte auch der Lord-Lieutenant von Irland, der Herzog von Northumberland. Er glaubte, in Folge dieser Stellung, als ihm be­ kannt wurde, Goldsmith sei Irländer, sich angewiesen, dem „Wanderer" noch anderweitig nützen zu müssen, als durch bloßes Bewundern, und ließ durch den Verwandten der Her­ zogin, den bereits erwähnten Dr. Percy ihm andeuten, sich vorzustellen. Goldsmith legte allerdings auf die Gunst

125 der Großen einen nur untergeordneten Werth, und hätte auS einem, in dieser Richtung aufforderndem, Beweggründe sich

schwerlich veranlaßt gefühlt, zu antichambriren; dennoch ent­ schloß er sich zum Besuch, weil er andrerseits eben so eitel

war, als ungläubig. erläßlichkeiten ein,

Er lernte sich einige ceremonielle Undie er in

Northumberlandhouse,

froh, sich der ihm unbequemen Last baldmöglichst entledigen

zu können, sogleich an den Mann brachte, den er im Zimmer vorfand, wohin er gewiesen wurde.

Derselbe erwiderte artig

seine Zuvorkommenheit, als der Herzog eintrat. Goldsmith, der auS Irrthum dem Kammerdiener aufgewartet hatte, war nun, der eigentlichen Respektsperson gegenüber, vor der er

sich in unveränderter Auflage nicht sofort füglich wiederholen konnte, in einem Grade eingeschüchtert und linkisch« daß den vornehmen Gönner daS AuSsprechen seiner wohlwollenden Ab­

sichten einigermaßen verlegen machen mußte. eS dem täppisch unbeholfenen

Später wurde

Dichter vielfach verargt,

die

Gunst der Situation nicht erkannt und ergriffen zu haben;

allerdings nur von Solchen, die einen derartigen Moment

auSgebeutet hätten, und die, weil ihnen daS Verständniß für

den edlen Stolz, der ein so bequemes AuSkunstSmittel ver­ schmäht, gänzlich mangelte, in Goldsmiths Verurtheilung

blos ihr Bedauern ausdrückten, nicht an seiner Stelle gewesen zu sein.

Die

äußere

Lage des

bescheidenen

AutorS war noch

immer derart, daß er eine, in delikater Weise hülfreich ein­

greifende, Hand nicht hätte zurückstoßen sollen.

Er wurde

von mittellosen LandSleutm überlaufen, und auSgeplündert. Sein durch den Wanderer begründeter Ruf ermöglichte chm

nun die Ausführung des Plans, die von ihm iy verschiedene

Tagesblätter gelieferten Aufsätze auS früherer Zeit mit mehr

126

Aussicht auf Erfolg gesammelt herauszugebcn, und von diesen,

unter der Masse unbeachtet gebliebenen, Perlen nun nachträg­ lich den materiellen Nutzen zu ziehn, der ihm durch verschie­

dene PhilautoS, PhileleutheroS, PhiloletheS und PhilanthropoS, barmherzige Adoptivväter seiner anonymen

Findlinge, vorweggenommen war.

Die Ausbeute ergab deß­

halb auch keine Ernte mehr, sondern nur noch eine Nachlese. Goldsmith, um Nicht« außer Acht zu lassen,

griff auf'S

Neue zur ärztlichen Praxis zurück, und suchte diesmal seine

Kunden in einem besseren Stadttheile in einem reicherm An­ zuge auf, der allerdings, so wie er von Zeitgenossen beschrieben wird,

immer noch mehr an daS buntscheckige Costum eines

CharlatanS, wie an die Standestracht eines im misten Be­ rufe thätigen Fachmannes erinnert.

Er trug noch den Drei­

master, brauchte aber keinen Fleck mehr damit zu verbergen.

UebrigmS

war seine

Wirksamkeit

nicht von langer Dauer.

in der neuen Eigenschaft

Ein eigensinniger Apotheker weigerte

sich, daS Rezept in der Form, wie Goldsmith eS für eine

vornehme Kranke verordnet

hatte, anzufertigen,

und der ge­

reizte Dichter faßte darauf hin den heroischen Entschluß, seine Praxis abzugeben, was er einem näheren Bekannten, der ihm

vor der Apotheke begegnete, mit den Worten eröffnete, er werde

nur noch seine Freunde behandeln.

Dieser gab ihm erschrocken

den Rath, er solle lieber seine Feinde in die Cur nehmen.

Während Goldsmith über Mittel nachsann, sich ehren­

voll durchzubringen, bereicherte sich Mr. Newbery am Land­ prediger von Wakefield, den er, auf die günstige Aufnahme

deS Wanderer hin, endlich hatte drucken lassen. war ebm so beispiellos,

wie

augenblicklich.

Der Erfolg

Am 27.

März

1766 erschien die erste Auflage; gegen Ende Mai die zweite, nach drei Monaten die dritte.

Uebersetzungen in fast sämmt-

127 liche lebende Sprachen lieferten den Beweis, daß diese einfache Schilderung

englischen

Landleben-

ein

Element

enthalten

müsse, da-, außerhalb der, in ihrem technischen Ausbau ge­

radezu unbeholfenen, Erzählung gelegen, überall Verständniß und

Theilnahme finde;

und

diese-

Element ist die

feine

Charakteristik, wie sie in einem so engen Rahmen, und inner­ halb eines Kreise- unserer Theilnahme anscheinend so fern stehender Personen, weder vor noch nach ihm erreicht wurde.

Die Gestalten de- Landprediger sind un- nur durch da- Me­ dium der Dichtung zugänglich; in der Wirklichkeit begegnen wir ihnen selten;

Goldsmith bringt durch sie die ideale Natur

de- Menschen, wenn e- eine solche gäbe, zu zwingender Gel­ Typen, dem täglichen Leben entnommen, fesseln hier

tung.

durch den Eindruck vollkommenster Menschlichkeit; der Land­ prediger selbst ist der personifizirte Ausspruch de- Terenz:

„Homo sum; humani nil abßque me alienum puto“! bewahrt er

Dem entsprechend

immer und überall den

Gleichmuth des Weisen und die Milde de- Christen; sieht in den Heimsuchungen, die ihn persönlich treffen, nur die natür­

liche Folge einer strafbaren Arglosigkeit, und in dem ernsteren Fehltritte seiner Tochter

Olivia nicht- al- da- getäuschte

Vertrauen einer der List der Welt gegenüber unberathenen

Natur.

Die Art, wie diese Leute straucheln, macht sie liebens­

würdig ; ihre Reue macht sie groß.

Unnachahmlich fein ist der

Zug im Landprediger, der ihn in jeder Lebenslage die Auf­ forderung finden läßt, sich und andere zu veredeln; ihm ver­

mittelst de- Brandschadendurch den läuternden

die

Einfluß

Erkenntniß aufdrängt, daß eines gemeinsam getragenen

Leides Unglück aufhört, Unglück zu sein, und ihn im Kerker

in kluger und prunkloser Weise zum nachhaltigen Wohlthäter

128 verwilderter Mitbrüder macht.

Ueber den Landprediger ist

viel geschrieben, und doch etwas Au-reichendeS niemals gesagt

worden, was, im Grund« genommen, auch nicht möglich ist, weil er sich nur einwendungslos bewundern läßt.

Ebenfalls

liegt der Grund, daß der Landprediger, neben DefoeS Ro­ binson das gelesenste Buch in England blieb, in einer inneren Familienähnlichkeit Beider, in ihrer Art einzigen, Schöpfungen.

Im Robinson wird zur Fristung seines Dasein- ein einzelner Mmsch auf die in dem Spruche, „daß die Roth erfinderisch

mache", angedeutete AuShülfe hingewiesen: eine Thatsache, al­ beren älteste, durch da- Werk eines Dichters unS überkom­ mene Bewahrheitung wohl der Webstuhl der Philbmele

im Ovid gelten dürfte.

Schon der alte Römer sagt bei

dieser Gelegmheit:

Grande dolori Ingenium est, miserieque venit sollertia rebus. Der ganze Robinson ist nichts anders, als ein Beleg

dieser Sentenz, als Variationen über dies Thema, daS aller­ dings in seiner Reichhaltigkeit Defoe mit einer Umsicht er­ schöpft, die, ohne zu ermüden, nur dazu beiträgt, unS sittlich dadurch zu erheben, daß wir vom Gottähnlichen in unS, in­

sofern eS schöpferisch sich werden.

Wie Robinson

äußert, unwiderleglich überzeugt

im einträchtigen Zusammenwirken

aller Kräfte, unter Anleitung der in Folge seiner Verlassen­

heit geschärften Sinne, der Schöpfer seiner Lage wird, so überstehn auch die Angehörigen des Landpredigers, gleichsam auch nur ein von den Gesinnungen des Oberhauptes zusammen -

gehaltener Familienkörper, im harmonischen sich Fügm, sich

Tragen und sich

Trösten geduldig und

zuletzt freudig die

äußersten Nachtheile durch eigene Schuld erwachsender Ein­ schränkungen; und verwenden die Erfindungsgabe, welche sie

129 nicht, wie Robinson, für die Beschaffung deS unumgänglichsten

Lebensapparates abzunutzen verurtheilt sind, auf die Kunst, zurückgekommene Verhältniffe im Vortheilhaftesten erblicken.

Lichte zu

Daß sich in einem derartigen Zusammenhänge ihre

liebenswürdigsten Eigenschaften, die bedeutsamsten Seiten ihres

Charakters entwickeln, ist nicht der geringste Vorzug dieses, auf genialste Seelenmalerei angelegten, Romans, deffen ori­ ginelles Gepräge noch durch den Umstand erhöht wird, daß

er stellenweise in eine versteckte Selbstbiographie des übergeht.

Autors

Hier, wie überall in seinen größeren Leistungen,

liebte Goldsmith, sich anzubringen.

Eigentlich war diese

Neigung nichts anderes, als eine der vielfachen AeußerungS-

formen seiner Eitelkeit; nur wird, was ihm stets als Mangel im persönlichen Umgänge anhaftete, zum Vorzüge seiner Dich­ tung, die dadurch an LebenStreue gewinnt.

Ungeachtet der

classischen Kürze deS nach allen Seiten hin ausgiebig vollen­

deten Familienbildes, könnte, ohne die Wesenheit der Fabel zu beeinflussen, die Hälfte fehlen, da philosophische und poli­

tische Räsonnements, außer eingestreuten Balladen, über Ge­ bühr in den Gang der Handlung

eingreifen.

Aber man

möchte nichts verinissen, selbst nicht die vom Keinen

vorgetragene

«egie auf den Tod eines tollen Hunde-.

Herbei, ihr Leute; kommt, erscheint

Und horcht auf meinen Sang! Und wenn ihr ihn zu kurz vermeint —

So war er nicht zu lang.

Bill

130 ES lebt' in Islington vordem Ein Mann von altem Schnitt;

Sein Wandel war dem Herrn genehm, —

Wenn er zur Kirche schritt. Von Jung und Alt geachtet war

Der mittheilsame Mann-

Dem Nackten bot er Kleider dar — Zog er sich morgen- an.

Vernehmt, daß man im selben Ort Auch Hundezucht betrieb. Der Mann besaß auch einen dort, Und dieser war ihm lieb.

Sie schlossen einen Freundschaftsbund;

Doch einst entstand ein Zank; Da biß zuletzt den Mann der Hund;

ES hieß, der Hund sei krank. Nicht krank.

Ein allgemeiner Schrei

Entrüsteter erscholl;

Man horchte, staunte, lief herbei Und schwur: „Der Hund ist toll!*

Die Wunde schien gefährlich tief, Gefährlicher noch groß.

Man sagte, als man sich verlief: „Der Mann ist hoffnungslos!*

Nicht lange blieb man ungewiß,

Denn bald ward allen kund: Der Mann genaß von seinem Biß;

Statt seiner starb der Hund.

131 Ungeachtet aller aus der Beherrschung deS Stoffes ge­

wonnenen Vorzüge, ungeachtet der in ihrem Charakter haar­ scharf durchgeführten Einzelerscheinungen,

beruht

doch

der

eigentliche Zauber, durch den diese Persönlichkeitm wirken,

auf einer Zuthat deS Dichters; er streift das noch Störende von ihnen ab; am Schluffe verweilen wir in der Mitte ge­

läuterter Gestalten, die trotzdem Menschm bleiben, und den Wunsch in uns erregen, einen Augenblick wiederhergestellten Einklanges — ein nie gestörter ist ein Unding — mit uns

und unserer Umgebung, gleich dem ihren, zu dürfen.

ihnen nacherleben

Außerdem ist der Styl im Landprediger von un­

vergleichlicher Anmuth; und, wie vor hundert Jahren, entzückt noch heute dieser Roman durch das Zusammenwirken von Natur, Gesinnung und Humor; der Roman, worin, wie Irving hervorhebt, ein Ruheloser zum Lobredner deS häuö-

lichen HeerdeS wird, ein Hagestolz daS vollkommenste Gemälde einer guten Ehe liefert, und ein von den Frauen Mißachteter

die weibliche Liebenswürdigkeit in ihrm feinsten Abschattungen

zur Geltung bringt. Je fester GoldsmithS Ruhm sich begründete, desto schwankender wurde seine Stellung im Club sowohl,

wie

überhaupt in Kreisen, die für den Ton deS Tages als maß­

gebend gatten. Aller Orten erstaunte man, den liebenswürdig beredten Autor im Umgangsmenschen nicht wieder entdecken zu können, und fühlte sich enttäuscht, mit dem Schöpfer deS

Landpredigers den Begriff eines unmanierlichen, abschreckenden

häßlichen Mannes verbinden zu müssen. Außerdem erdrückte ihn Johnsons Uebergewicht.

Dieser gewaltige Freund förderte

auS einem unversiegbaren Schatze mit einem außerordentlichen Gedächtnisse verbundenen positiven WiffmS nach Willkür die Gegenstände der geselligen Unterhaltung zu Tage, verfiel aber

9*

132 allmählich in den nahe liegenden Fehler,

sich

am liebsten

allein reden zu hören, und steigerte sich gegen selbst berech­

tigte Einwendungen bi- zu einem Grade der Empfindlichkeit, daß, wo ihm Gegengründe mangelten, er sich durch Ausfälle half, wofür Goldfmith das treffende Wort erfand: „Wenn Johnsons Waffe kein

Feuer mehr gibt, schlägt er den

Gegner mit dem Handgriff der Pistole zu Boden".

Man

hatte Johnson von vornherein einen zu großm Vorrang

eingerLumt, ohne zu ahnen, daß man durch selbstverständliche Unterordnung, als eine so feine Schmeichelei dieselbe erschien,

sich auf eine noch feinere Weise an seiner Ueberlegenheit rächte, indem «man sie ihm auf die Dauer bis zur Unmöglichkeit erschwerte, denn auch der reichste Geist gibt sich aus, und am

raschesten,

wenn er nicht durch Zurückempfangen sich zu be­

reichern fortfährt.

Goldsmith, der fade wurde, wo er

geistreich sein wollte, und leider wollte er es immer, weil er glaubte, in Folge seines erlangten literarischen Namens eS

«ollen zu müssen, konnte, unbeobachtet von Johnson, unter Menschen, die ihn gemüthlich anzuregen verstanden, durch die

anmuthigste Plauderei entzücken.

Für den ganzen Adel seine-

Wesens spricht der Umstand, daß er, obwohl niedergehalten durch

Johnsons

anmaßend

werdende Bevormundung, in

feiner Gegenwart niemals die Erörterung einer Schwäche des großen Mannes gestattete.

Als der König Johnson und

einem Dr. Shebeare Pensionen

Witzling:

„Se.

Majestät füttern

ertheilte, äußerte sich ein

einen

Bären

Bärin", — einen he bear und ehe bear —.

und

eine

Der Bär,

auf Johnson gemünzt, mit Hindeutung auf deffen Unbe-

holfmheit im äußeren Auftreten, und aus seinen plumpen

Gelehrtendünkel, veranlaßte Goldsmith zu einer Replik,

133 die seinem Herzen mehr Ehre machte, als sie der Gegenstand seiner Vertheidigung um ihn verdiente. Goldsmith entschädigte sich für den

Zwang,

sich

unterordnen zu müssen, in Kreisen, wo er beit unbestrittenen

Vorrang hatte, insofern dieser Vorrang als Vorzug gelte» konnte unter Leuten, die weder an Geist noch an Gesinnung

einen Vergleich mit ihm überhaupt nur aufkommen ließen.

Er war Mitglied eines Whistclubs in der Teufelstaverne, wo der weltunerfahrene Autor des Landpredigers nicht selten das Stichblatt einer harmlosen Mystification der Gesellschaft

wurde, die, was ihr an langathmiger Bildung fehlte, durch

kurzweiligen Mutterwitz ersetzte.

Mittwochs war der Tag

für die Taverne zum Globus. Sein dortiger Umgang bestand aus Mr. Gordon, einem Natursänger, der, ihm zu Ge­ fallen, oftmals das Lob des Nottingham Ale zum Besten

gab, und selbst den Umfang eines BierfasieS hatte; ferner aus

einem, für ihn schwärmenden, Schweineschlächter; auS Mr. King, dem Darsteller der fein komischen Rolle deS Zugstücks

der Saison, des Lord Ogleby, in ColmannS und Gar­

ricks „heimlicher Heirath"; aus Mr. Hugh Kelly, einem TageSautor, als solcher Lieferant von Theaterkritiken, worin er mit und ohne Witz die Schauspieler mitnahm, die ihm

nicht schaden konnten; und auS Mr. Glover, einem ver­

bummelten Irländer, der Andere für sich zahlen ließ, die er dadurch schadlos hielt, daß er sein mimisches Talent dazu be­

nutzte, TageSautoritäten, wie Garrick, Foote, Sterne, in sie kennzeichnenden Aeußerlichkeiten zu persifliren; und sich auf diese Weise der gern lachenden Versammlung unentbehr­ lich machte. Glover, obgleich selbst eine Art Hofnarr in diesem

Kreise, fand, daß der Schweineschlächter gegen Goldsmith

134 zu familiär werde, und forderte diesen auf, seine Würde zu wahrm.

„Du sollst sehen, wie ich ihm feinen Standpunkt

klar mache", flüsterte der Dichter, als in diesem Augenblicke der Gemaßregelte ihm' zutrank, mit den herübergebrüllten Worten: „Noll, es kommt Dir was!"

Nach einer Pause

rief Goldsmith mit feierlicher Höflichkeit: „Mr. B., ich habe die Ehre, auf Ihre —" „Trink, alter Junge!" lautete

die

rings

vernehmbare

SchweineschlächterS.

Antwort

des

ihn

unterbrechenden

„Ich merke noch nichts von klar ge­

wordenem Standpunkt", äußerte Glover.

„Laß ihn", er­

widerte Gold fmith gutmüthig, „er geht nur mit Schweinen um; was kann man von ihm mehr verlangen?"

Johnson war

empört über dies sich Herabbegeben

GoldsmithS; dieser indeß der vernünftigen Ansicht,

er

wolle lieber sich Herabbegeben, als sich fügen; das Erste be­ reichere, wenn nicht seinen Geist, so doch seine Menschen­

kenntniß, und sei ihm unschätzbar als Fundgrube für lite­

rarische Verwendung.

Der Freund meinte, diese Fundgrube

sei eine Mistgrube; wogegen Goldsmith einwendete, auS dem Miste erwüchsen die kräftigsten Blumen. Goldsmith, der sich am Erfolg deS LandpredigerS hatte überzeugen müssen, wie fein ihm gelungen war, das Leben im

Umgang zu Portraitiren, beschloß, diese entdeckte Eigenschaft

für die Bühne zu verwenden.

Er richtete sein Augenmerk

darauf, die im Publikum eingerissene, von ihm gehaßte Vor­ liebe für sentimentale (Situationen mit entsprechendem Dialog zu bekämpfen, wodurch er, da sein gesunder Humor als eine

Beleidigung dieser Geschmacksrichtung erschien, seine Aufgabe sich eben nicht erleichterte.

Im Frühjahr

Lustspiel vollendet; eS führte den Titel: Mann".

1767 war sein

„Der gutmüthige

Die Freunde lobten die Ausführung.

Nun galt

135 eS, die Bühnenlenker zu gewinnen.

Die Verhältnisse von

Coventgarden gestatteten wegen des kürzlich erfolgten Ablebendeö technischen Direktor-, de- Mr. Rich, bi- zur Abwicklung der obschwebenden Unerledigtheiten, dorthin keine Nachfrage,

und für Drurylane, wo Garrick enschied, hatte Goldsmith, wie er meinte, durch seine frühere Polemik den Weg sich unrettbar verschlossen.

Reynolds dagegen glaubte, daß

zwei Männer, die einander so bedeutend nützen konnten, ja so nothwendig brauchten, in Folge einer Meinungsverschieden­

heit ihre Interessen nicht trennen dürften, und lud Beide zu­ sammen zum

Esten ein.

Garrick,

der nur

höflich sein

wollte, wurde wider Wissen bei dieser Zusammenkunft Herab­

lassmd, und Goldsmith, in der richtigen Voraussetzung, er bedürfe keiner Gunst, sondern nur einer Zusage, entfernte

sich, ohne genau erfahren zu haben , ob sein Stück angenom­ men, oder abgelehnt sei?

Darüber sich klar zu werdm, griff

er zu einem etwas gewagten Auskunftmittel,

er erhob einen

Theil deS voraussichtlichen Bühnenhonorars in Form eines

Wechsels auf Garrick.

Garrick acceptirte, rückte nun aber

mit Aenderungen im Manuskripte heraus; dann allmählich mit Aenderungen der Aenderungen; und zuletzt mit dem Vor­

schläge, vom Urtheilsspruche eines Drittm die, in seinen Augen fragliche,

Bühnentauglichkeit abhängig zu machen.

Gold-

smith, empört, lehnte ab, und wandte sich nun an den

neuen Mitdirektor von Coventgarden, Mr.

Colman,

der, wenn auch nicht die einzige, so doch die erste Stimme bei der Annahme von Novitäten hatte, um Rath und Schuh.

Colman, Mitverfasser der heimlichen Heirath, früher G ar-

ricks Amtsgenosse, jetzt, als Vorsteher deS concurrirenden Kunstinstitutes, sein Rival, nahm GoldsmithS Lustspiel un­

bedenklich an, und dieser dankte in einem Briefe, worin durch

136 die unverhehlte

Ungeduld nach Bühnenerfolgen schon ganz

die lorbeermüde Eitelkeit eines Anfängers, der sich den An­ schein geben möchte, als wolle er sich suchen lassen,

schimmert.

durch­

Die Zeilen lauten: Temple Garden Court: July 9. Werther Sir!

„Ich bin Ihnen für Ihre mir geneigten Gesinnungen äußerst verbunden; noch mehr für Ihren feinen Takt.

halten nicht hin, Sie erklären weichend.

Sich

Sie

gleich, und nicht aus­

Daß mein Stück noch gewinnen kann durch ge­

schickte Feile, weiß ich recht wohl;

aber auch, daß es sich in

Händen befindet, unter denen diese Verbesserungen am besten ausfallen müssen.

Wollen Sie dem Uebermaß Ihrer Güte

für mich auch die Gerechtigkeit beifügen, die Bühnengerechtig­

keit nämlich, soweit sie unserem Lustspiele noch mangelt; oder mich

andeutungsweise

wissen

lassen, inwiefern Sie diesem

Fehler meinerseits abgeholfen wünschen, mich zu dem empfundensten Dank.

so verpflichten Sie

Um so mehr fühle ich,

demselben Worte zu geben, mich gedrungen, als dies Stück wahrscheinlich das letzte sein wird, was ich für's Theater

schreibe, von dem ich nun mit dem

Troste scheiden kann,

meine Nachfolger in Ihnen einem Manne verfallen zu wissen, der die Wichtigkeit seiner erlauchten Stellung nicht durch un­

gezogenes Wartenlassen begabter Talente bei einer Lebensfrage für dieselben zu erhöhen glaubt". Oliver Goldsmith.

An Garrick, der sich augenblicklich in seinem Geburts­

orte Lichfield aufhielt, schrieb Goldsmith höflich und

deutlich, er ziehe sein Manuscript zurück; und dieser ant-

137 «ortete, nicht im Ton eines haltungslosen unwissenden Hof­ theaterintendanten, der sein Amt wie eine Sinecure betrachtet, sondern als überzeugter Fachmann,

seine Ausstellungen seien

ihm durch eine langjährige praktische Thätigkeit, auf der Bühne

und für sie geboten erschienen; und er wünsche nichts sehn­ licher, als daß dieselben sich als ungerechtfertigt herausstellen

möchten. Goldsmith hatte sein Stück eingereicht, und erwartete das Weitere.

Die Sache verzögerte sich; und er sah sich, um

leben zu können, auf'S Neue gezwungen, zu jener Art von

Schriftstellerei zurückzugreifen, die, was er fortan hätte ver­ schmähen sollen, auf Bestellung arbeitet, und schon deßhalb

nichts Nachhaltiges schaffen kann, weil die freie Wahl der Stoffe wegfällt, bezüglich deren die Auftraggeber daö ephemere

Gelüste des Publicum- nach dem zeitgemäßen Gegenstände, über den es eben jetzt unterhalten werden will, zu Rathe ziehn.

Auf diesem Gebiete deS Skandals, der brennenden Fragen,

lieferte der Dichter mit Unlust das Begehrte, bis ihn der früher erwähnte DavieS mit einem ihm zusagenderen und

seiner mehr würdigen Auftrage betraute, einem faßlichen Aus­ züge aus der römischen Geschichte.

Dafür war er der Mann.

In geschmackvoller Auswahl, im richtigen

Zusammenstellen

liegt daS Geheimniß vieler, ihm beneideter, Erfolge bei Werken, die er durch geschicktes Umgestalten, ohne ihre Wesenheit zu

beeinträchtigen, fast zu Selbstschöpfungen erhob.

Er zog sich,

um ungestört arbeiten zu können, für den Sommer wieder nach Islington zurück, diesmal in ein bescheideneres Zim­ mer, und erhielt sich geistig frisch im Umgänge mit anregenden Männern, die, von ähnlichen Gründen bewogen, sich für den­

selben Aufenthalt entschieden hatten.

Einmal in der Woche

belustigten ihn die Londoner Spießbürger, deren herkömm-

138 licheS Wanderziel am Sonntage das nahe Canonbury Castle

war, ein altes Jagdschloß aus der Zeit der Königin Elisa­

beth, wo sie vom Thurme herab durch das daselbst aufgestellte Teleskop die im Nebel verschwimmende Weltstadt beaugen­ scheinigten.

Körperlich gestärkt, und guter Laune kehrte Goldsmith zur Metropole zurück, wo er seiner ganzm geistigen Kraft bedurfte, um ungeahnten

Aufregungen, die ihm für den Winter bevorstandm, gewachsen zu sein. Die Aussichten für sein Stück hattm eine ihm ungünstige Wmdung genommen, Garrick und Colman sich mit einander verständigt, und

der erste vom letzten die Zusage erhalten, der „gutmüthige Mann"

solle in Coventgarden nicht eher zur

gelangen, bevor nicht die

Novität

für

Darstellung

Drurylane, Hugh

Kelly'S „Falsche Schaam" daselbst vorangegangen sei.

Die

„falsche Schaam", ein weinerliches Machwerk im Sinne der

cingerissenen sentimentalen

Geschmacksrichtung, für die das

Publicum allein noch empfänglich schien, errang, von Garrick

bevorwortet, und durch ihn, der darin mitwirkte, gehoben, einen durchschlagenden Erfolg; und das Oppositionsstück des

concurrirenden Kunstinstitutes,

Goldsmiths humoristische

Schöpfung, durfte nun in Coventgarden die ihm erschwerte,

wenn nicht, wie Garr ick im Stillen hoffen mochte, nun ganz

versperrte Laufbahn beginnen.

Colman entdeckte plötzlich

Mängel an dem in Rede stehenden Lustspiele, die ihm früher

nicht aufgefallen waren; seine Mitdirektoren erklärten, dasselbe

von Anfang an nicht für lebensfähig gehalten zu haben, und Goldsmith lief Gefahr, auf dem gewöhnlichen Wege, durch Auffchub, Vertrösten, geforderte Aenderungen und alle die unzähligen

Hülfsmittel,

vermittelst deren

Bühnentyrannen

Verlegenheiten schaffen, mit sammt seinem Stücke in Ver-

139 gessenheit zu gerathen, wäre nicht, wie immer im entscheiden­

den Zeitpunkte, Johnson mit einem Machtworte für ihn aufgetreten, der voraus wußte, so gefährlichen

Gegner

daß vor einem im Noth falle

alle Bedenken verstummen würden.

Man studirte unmuthig ein; nur zwei Schauspieler, die muntere

Miß Walford, und Thut er, von dessen Auffassung seiner, übrigens brillanten, Rolle allerdings der ausschlaggebende Er­ folg des Abends abhing, boten Gewähr für eine gewissenhafte

Leistung, und so war denn auch die Aufnahme der Novität schließlich eine getheilte ; einzelne Scenen zündeten durch über­

wältigenden Humor; das Kunstwerk als Ganzes sprach nicht an.

Der „gutmüthige Mann" wurde zehn Mal wiederholt

und machte in Folge des Autorenantheils, und durch sein Er­

scheinen im Buchhandel, Goldsmith zum verhältnißmäßig reichen Mann.

Das gewöhnliche Schicksal verfügbarer Sum­

men in seinen Händen wiederholte sich.

Eine bessere, diesmal

reich ausgestattete Wohnung; unüberlegte Wohlthätigkeit, dies­ mal

Großmuth;

Gastfreundschaft

gegen

einzelne Freunde,

diesmal ein Bewirthen in Masse; Angriffe vagabundirender

Irländer, auf seine Kasse in Form schamloser Bettelei, diesmal

Ausplünderung, hätten ihn erschöpft, wäre selbst eine Statt­ halterschaft in Indien sein Bühnenhonorar gewesen; und so sah er sich in bei weitem kürzerer Zeit, als er bedurft hatte,

Aufführung und Schicksal des „gutmüthigen Mannes" abzu­ warten, um dessen materiellen Ertrag betrogen. Als Alles durchgebracht war, ging er auf's Land zurück,

aber in einen billigeren Ort, als merry Islington, wo er an der unterbrochenen

Römischen

Geschichte für

Davies

fortarbeitete, und wo der in dieser Zeit eingetretne Tod seines

trefflichen Bruders Henry, der seinem ganzen Wesen fortan eine ernstere Richtung gab, ihn für die ersten Keime einer

140 poetischen Schöpfung läuterte, die ihn später als da- „ver-

laffene Dorf" in einen bescheidenen Wohlstand zurückversetzen sollte. Bevor er in ländlicher Abgeschiedenheit in seinem besseren

Wesen sich selbst wiederfand, legte er noch vom ganzen Adel

seiner Natur ein beredtes Zeugniß dadurch ab, daß er einer Versuchung zu widerstehen vermochte, die als lockende Ge-

legmheit, das Verlorene mühelos wieder einzubringen, an ihn herantrat.

In London wickeltm sich damals politische TageS-

fragen von weitreichendster Folgewichtigkeit ab.

ob man die Colonim besteuern solle,

Die Debatte,

oder nicht, führte zu

einem erbitterten Meinungskampfe; Lord Chatham schleuderte

seine Donnerworte für die Menschenrechte; Wilkeö und der unbekannte Verfasier der Juniusbriefe griffen die Regierung

an; der eine mit dem cynischen Witze deS Demagogen, der

in der Verwirrung steigen will; der andere mit jenem heiligen Zorne, welcher für die Rettung eines Prinzips zum Redner

begeistert.

deS

Die Regierung bedurfte in ihrem Interesse einer

Wortes mächtigen

Goldsmith gefunden

Gegenkraft zu

und

haben.

glaubte dieselbe in

Einen

ihm in

diesem

Sinne gestellten Antrag wieS er entschieden zurück, und damit

zugleich alle daran geknüpft erscheinenden zeitlichen Vortheile. Der Dichter stand über den Partheien.

Im »erlassenen Dorfe

hat er einzelne Hauptpunkte seines politischen Glaubensbekennt­ nisses in diesen aufregenden Tagen episodisch angedeutet.

Im Winter 1768—69 arbeitete

gesetzt an der über theatralischen etwas in

Vergessenheit gerathenen

Goldsmith unaus­

Erfolgen und Ereignissen

„Römischen Geschichte".

Die Ernte deS gutmüthigen Mannes war glücklich unterge­ bracht,

und es hinderte der Dichter nun nichts AeußerlicheS

mehr, durch eine neue Geistesthat dm Beweis zu liefern, daß

141

unter den

inhaltlos

einer

Zerstreuungen

verflossenen Zeit

seine geistige Spannkraft, die sprudelnde Fülle schöpferischer Frische nicht gelitten habe.

So

entstand daS

geschichtliche

Werk, daS, damals hoch gepriesen, durch spätere Schöpfungen berufener Kräfte bei weitem überholt, doch so sehr Gold-

smith in seinen Vorzügen und Mängeln wiederspiegelt, daß eS, mag eS längst aufgehört haben, ein brauchbarer Leitfaden zu sein, als biographisches Material, auS dem der Verfasser

sich in seiner geistigen Eigenthümlichkeit errathen läßt, immer von Interesse bleiben wird.

Ein

eigener Standpuntt, eine

tiefe Anlage war von vornherein nicht zu erwarten; waS sich indessen in geschmackvoller Auflassung geschichtlicher Vorgänger und in lebendiger Wiedergabe des Charakteristischen ihrer Auf­

schlüsse leisten ließ, mußte Goldsmith gelingen, der, neben einer ungewöhnlichen Herrschaft über daS Wort, den feinsten

Takt, den glücklichsten Griff in der Wahl des stofflich Be­

deutsamen, wie in der Abwehr gegen daS Unwesentliche seiner Arbeit entgegenbrachte.

DaS Werk erschien im Mai 1769,

und brach sich Bahn, ohne sich vorher auszuschreien. stillwirkender, unaufhaltsamer,

würdiger

Ein

Erfolg ermuthigte

Goldsmith zu weiteren Versuchen auf einem neuen, und im Grunde genommen, wie der geschichtliche, nur auS Noth­

wehr betretenen Boden, dem der eine-

Naturkunde.

Zum Zwecke

auf breiter Grundlage aufgebauten Werkes über da-

Leben in der Natur wollte er anfangs den PliniuS über­ setzen, zog es dann aber vor, sich an BuffonS Berichti­ gungen zu halten.

Ohne Zweifel mußte er. bei seinem ersten

Plane, falls er einen praktischen

Wegweiser für daö fortge-

schrittme Geschlecht beabsichtigte, die naiven Unglaublichkeiten des römischen

Originals

opfern; hätte damit aber vielleicht

einen Zauber des Werke- selbst zerstört, da-, wie es jetzt vor-

142 liegt, halb Naturgeschichte, halb Märchenbuch, gerade durch

die ehrliche Ernsthaftigkeit,

womit der gewissenhafte Römer

an seine eigenen Täuschungen glaubt, eine Bedeutung gewinnt,

die eS zwar nicht als Hülfsmittel beim Unterricht empfiehlt, dafür aber desto

ergiebigere Aufschlüsse für den damaligen

Grad der Erkenntniß und Stand der Anschauungsweise auf dem Gebiete der jetzt souverän herrschenden Naturkunde ge­

währt.

Auch GoldsmithS sich Ausleben im geselligm Verkehr gewann an Farbe.

Er galt bereits für eine Persönlichkeit,

die man füglich nicht mehr vernachlässigen durste, wo eS für eitle MLcene sich darum handelte, sich mit bedeutenden Män­ nern zu umgeben.

Der gewähltere UmgangSton dieser Kreise

schliff GoldsmithS Ecken mehr und mehr ab, löste ihm

die Zunge, gab ihm indessen zugleich den Anstoß, seinem Hange zur Gefallsucht in einem Grade zu stöhnen, der noth-

wendigerweise den gutgemeinten Spott seiner

Freunde, und

noch mehr den böswilligen ihn Beobachtender heraufbeschwören mußte.

Goldsmith scheint in dem unseligen Irrthum be­

fangen gewesen zu sein, er könne durch gewählten Anzug den störenden Eindruck eines häßlichen Aeußerm mildern, ohne

zu bedenken, daß er sich dadurch zum Gegenstände einer Auf­

merksamkeit machte, die den Mann mit dem Kleide zum Nach­

theil deS ersten verglich.

Noch mehr mag ihn die Ankunft

einer MrS. Horn eck verleitet haben, in Anschaffung feiner Garderobe seine Mittel zu überschreiten.

Diese Dame, Wittwe

eines CapitänS in Devonshire, zog mit ihrm Kindern, zwei Töchtern und einem Sohne, nach London, und eine der

jungen Ladies scheint in Goldsmith eine Neigung entfacht zu haben, die sich allerdings nie aussprach, um nicht, wie sich

erwarten ließ, zurückgewiesen zu werden, die ihm aber da-

143 Verständniß dessen erschloß, was ihm mangelte,

um ein in

seinen Jahren berechtigte- Gefühl erwiedert verlangen zu können. Die Fremden auS Devonshire hielten sich viel bei Reynolds auf; und Sir Josuah sowohl, wie seine Schwester wußten die HorneckS für Goldsmith in einem

Grade zu interessiren, daß eine Selbsttäuschung deS armen Dichters erNärlich gewesen wäre.

Die harmlose Ungezwungen­

heit deö Verkehr- mit der Familie der Wittwe bezeugt der Umstand, daß man eigene Scherznamen zum Hausgebrauche

für

sich erfand.

Catherine,

die

älteste

Tochter, hieß

„Little Comedy"; sie war die Braut von Henry Bunbury; einem Baron in Suffolk.

Mary, obwohl unver­

lobt, wurde „Jessamy Bride" genannt, und als solche Goldsmith vorgestellt; vielleicht, um ihm in schonendster Form anzudeuten,

er habe seine Aufmerksamkeiten innerhalb

einer gewissen Grenze zu halten.

Der jüngere Bruder diente

in der Garde.

Die drei Damen erkannten das herrliche Gemüth GoldsmithS, worüber sie äußerlich Störendes

vergaßm.

Sie

waren allmählich an seinen Umgang so gewöhnt, daß sie ihn, wo er fehlte, vermißten.

Bei einem Diner, zu dem Dr.

Baker sie geladen hatte, wünschten sie in dem gewählten

anregenden Kreise zur Erhöhung der Laune noch Goldsmith anwesend; und ihre langjährigen Beziehungen zum sie bewirthenden Gastfreunde erlaubten ihnen, diesen Wunsch zu

äußern.

Sofort wurde, obgleich es schon spät war, ein Diener

beauftragt, der im Namen der ganzen Gesellschaft GoldsmithS Erscheinen erbittm sollte.

seiner folgende gereimte Ablehnung. erhalten.

Der Dichter sandte statt

DaS Gekritzel hat sich

Auf dem Umschlag steht: „DieS sollen Verse sein".

Dieselben lauten:

144 Eben kam da- Dtzndat an;

Geht Alle zum Satan! Woran Habt ihr gedacht, Daß ihr schickt, wenn e- Nacht-

Eber schicken gesollt!

Mich rafiren gewollt; Aber bald e- gelassen

Mich damit zu befassen, Denn da- Wasser war kalt.

Nicht mehr gleichergestalt

Mich geworfen in Wix. Schon zu spät; e- war nix!

Tragt nun NeSbitt und Horneck,

Baker und sein Gebäck;

Und Kaufmann und Bride, Und Reynolds zu zweit, Nebst der kleinen Actrice;

Du mit Treffen und Spieß!

— An Dich, muß ich Dir sagen, Hab' ich was lo-zuschlagen;

Aber gleich, und noch eh'

Du Dich stellst zur Armee.

Euer Würden erfahre Als Neustes vom Jahre,

Daß erlassen jüngst ward, Der Befehl für die Gard', Sich mit Zöpfen zu stellen

Don nicht unter zwölf Zöllen. Mit Bezug nun hierauf

Schloß ich heut' einen Kauf. Einen Zollstock verschafft' ich

Mir, den ich wahrhaftig Zum Messen will gern Ueberlaffen dem Herrn; Wenn zu lang' seine Zöpfe,

Daß den Schwanz er sich köpfe;

145 Wenn zu kurz sic dagegen, Sich den Rest zuzulegen. —

Aber bin ich verhext?

Ich verirre vom Text! Tragt, — wo bin ich geblieben? Tragt nun, wie ich geschrieben,

Tragt nun alle den Schaden, Mich zu spät einzuladen! Warum schickt ihr nicht eher Den U. A. w. G — eher? DaS sieht Reynolds ganz gleich;

Er spielt gern einen Streich;

Und Angelika lacht. Hat er einen erdacht.

Doch ist zu verlangen, daß beide heut weiser,

Nachdem sie gelesen sich im Advertiser.

Die TageSnummer des genannten Blattes hatte folgendes „Eingesandt" gebracht, mit Bezugnahme auf das von der Kaufmann gemalte Portrait Reynolds: Angelika, die voller Anmuth strahlt; — Wenn unnachahmlich sie die Stanhope malt,

Bringt sie mit uns der Schönheit ihren Zoll;

Wir staunen, gaffen, rufen: .Wundervoll!" Allein zur Schöpfung, die Dich hingehaucht,

Hat sie da- Beste, was sie hat, verbraucht; Und wir gestehn vorm Bilde, dem vielleicht

An Kunst und Harmonie kein Zweite- gleicht: „Du bist nur, Reynolds, in Dir selbst erreicht!"

Gegen Ende des Jahres 1768 war in London die Aka­ demie der Künste in’6 Leben getreten. Der König übernahm das Protektorat, und ernannte Reynolds, als dessen Werk und in dessen Geiste dieses noch fehlende Institut der Haupt­ stadt verliehen wurde, zum leitenden Direktor: eine Würde, 10

146

die ihn geadelt hätte, auch ohne den damit verbundenen per­

sönlichen Adel.

Johnson war über die Standeserhöhung

seines Freundes so erfreut, daß er sich zum ersten Male in

seinem Leben betrank, wozu allerdings viel gehörte.

Als im

Dezember 1769 die ersten Chargen verliehen wurden, erhielt, natürlich auf Reynolds Betrieb, Johnson das Professorat der alten Literatur, und Goldsmith das der Geschichte.

Dieses Zeichen von Anerkennung trug ihm nichts anderes

ein, als, nach langer Pause einen Brief von zu Hause, dessen

Inhalt aus der Antwort ersichtlich wird, die folgendermaßen lautete:

Mr. Maurice Goldsmith,

bei James Lawder, Esq. K i l m o r e.

Januar 1770. Lieber Bruder!

„Ich hätte früher geantwortet, wenn es in meiner Macht stünde, die von mir erwartete Abhülfe in dem gewünschten Umfange zu gewähren.

Es thut mir leid, daß

Du von

Allem entblößt bist; um so mehr, da, meinen Mißniuth noch

zu vergrößern, mir unsere Schwester Johnson von sich und ihrem Manne dasselbe schreibt; und obwohl ich in der Lage

wäre, etwas entbehren zu können, so halte ich es doch für gerathen, mein kleines Capital nicht' anzugreifen, bis ich, ohne

mich selbst weniger zu berauben, euch wirksamer nützen kann. Für jetzt ist mir das unmöglich. An meinem guten, und, ändern sich später die Umstände, zur That werdenden Willen,

zweifelst Du hoffentlich nicht.

147 Der König hat mich allerdings zum Professor der Ge­

schichte an der Kunstakademie ernannt; mit dieser Stelle ist aber kein Gehalt verbunden, sondern nur die Aussicht auf einen guten Platz beim jährlichen Festessen.

Man macht dem

Institute mit mir ein besseres Geschenk; als mir mit der

Stelle am Institute.

Mich durch Ehre, die nichts einbringt,

auözeichnen zu wollen, kommt mir grade so vor, als wenn man jemandem Manschetten schenkt, der Hemden braucht.

Du schreibst mir,

meine Cousine

Lawder habe ein

Legat aus dem Nachlasse ihres guten Vaters für mich in

Verwahrung, und wünschest zu wissen, wozu ich die vierzehn bis sechszehn Pfd. bestimme. Fragestellung

Mein lieber Bruder, Deine

ist deutlich genug,

und etz wäre meinerseits

grausam, das Vorrecht auf eine Summe mir anzumaßen, über die meine armen Angehörigen in Gedanken schon ver­ fügt haben werden.

Ich cedire sie euch; wünsche aber, daß

man sie zweckmäßig verwende.

Solltest Du nicht Alles be­

dürfen, so theile mit der guten Johnson.

Die anhängliche

Gesinnung dieses braven Ehepaars an unsere zerstreute Fa­

milie macht es uns zur Pflicht, nach Kräften uns dankbar zu erweisen.

Ich, freilich, bin wohl etwas in Vergessenheit

gerathen; das soll mich aber nicht hindern, eines Tags zurück­ zukehren, bei euch vergnügt zu sein, und euch vergnügt zu

machen. Ich sandte Jane ein Miniaturbild von mir; ich war

ihr längst eine kleine Aufmerksamkeit schuldig; dies hielt ich für die passendste; George Faulkner, an den ich es als

Einlage adressirte, wird eS abgeliefert haben.

Mein Gesicht,

wie ich von Dir weiß, ist freilich häßlich genug; aber es ist

schön gemalt.

portraits

Nächstens erfreue ich durch einige Mezzotinto­

meiner

hiesigen

Freunde:

Burke, Johnson, 10*

148 Reynolds, Colman, und meiner Wenigkeit, meine Freunde jenseits des Shannon. Mögen sie besiere Aufnahnie finden, als meine mindestens hundert unbeantwortet gebliebenen Briefe! Willst Du, deßhalb, lieber Bruder, mir eine rechte, große, wahre Freude bereiten, so schreibe ausführlich. Laß mich von meiner Familie erfahren. Wie leben LawderS? wie Du mit ihnen? waS thun sie? waS thust Du? denken sie meiner noch? was macht meine Mutter? mein Schwager Hodson? wie geht eS Henrys hinterlassenen Kindern? und der Familie in Ballyoughter? Du sagst, Du wirst mein einziger Bruder; ich verstehe da- nicht; wo ist denn Charles? Eine.gelegentliche Antwort auf alle diese Fragen, wäre, meine ich, kein unbillige- Begehren. Glaube mir,' daß ich immer bin und bleibe

Euer aller Oliver.

Dieser Brief ist in mehr als einer Beziehung lehrreich. Goldsmith erscheint in einer neuen, bis dahin unerhörten Situation, er schlägt etwas ab. WaS er freilich mit der einen Hand verweigert, gewährt er unter versteckter Form gleich darauf mit der anderen; wenn auch nicht in der Aus­ dehnung, wie seine, in ihrer Bettelei naive, Familie eS vorgezogen hätte. Aber Oliver rettet doch den Schein; er ge­ winnt eS zum ersten Male über sich, abzulehnen, sich selbst zu berauben, und debütirt unbeholfen mit einer Eigenschaft, die, hätte er in ihr sich angestrengt, seiner Kasse sowohl, wie seinem Charakter zu statten gekommen wäre. Ein noch wichtigere- Beweisstück liefert aber diese abschlägliche Antwort für die innere und äußere Zerrisienheit

149 seiner nächsten Angehörigen.

WaS war aus der glücklichen

Familie im Pfarrhause zu Pallas geworden, die um da­

würdige, nun seit dreiundzwanzig Jahren ihnen fehlende Ober­

haupt begnügt und belohnt in Erfüllung einfacher Wichten, sich versammelt hatte?

in beschränkten

Zwei Töchter heimlich verheirathet,

Verhältnissen;

ein

Bruder verschollen; ein

anderer berufloS geduldeter Hausgenosse beim oberflächlichen Schwager; der beste todt; die Mutter gleichgültig; das sind

allerdings zusammenwirkende Umstände, einen Brief zu er­ klären, den nicht der Bruder an den Bruder, sondern der

Bettler an den brüderlichen Gönner schreibt. Wohl dem Dichter, daß er daS Erinnerungsbild feiner

Familie aus besserer Zeit, das wirkliche Familienbild bereits

in seine unsterblichste

Schöpfung hinübergerettet hatte; die

jetzige Sachlage bildete in der Unglaublichkeit der brieflichen

Anfragen: „Wo ist Charles?" „was macht Mutter?" den schneidendsten Gegensatz zu dem Bewußtsein deS ZusammengehörenS jener Tage, deren Geist und Inhalt, im Landpre­

diger von Wakefield wiedergespiegelt, das unverlierbare Eigen­

thum aller Zeiten und Völker geworden ist. Oliver, schon seit Henryk Tod in seinem ganzen

Wesen ernster geworden, empfand, auch durch die rückwirkende

Kraft deS unverschämten Bettelbriefe-, seine Gedanken in eine Bahn gelenkt, wo er wünschen mußte, was ihm im Leben

verloren gegangen war, in der

Täuschung zu retten.

ES

trieb ihn, den Schauplatz seiner harmlosen Kindheit, den der

gedankliche Fortverkehr mit seinem verstorbenen Bruder lebhaft in ihm wiederherstellte, dadurch sich zu erhalten, daß er ihn

im Worte fixirte, und so mtstand aus Jugenderinnerungen, aus dem Wunsche, daS Andenken Henrys, des bescheidenen Lehrers, zu ehren, auS dem Drange, sich über die Thatsache

150 zu erheben, daß Menschen und Aeitm sich ändern, und auS der Gemüthsläuterung, die das Miterleben dieses Wechsels im Dichter vollzog:

Pas verlassene Dorf. 1770.

Du schönstes der Asyle,

Mein Auburn, Paradies,

Von wo zum Weltgewühle Das Leben mich verstieß,

Worin ich aus den Spuren De- Leichtsinns mich verlor,

Du Kleinod unsrer Fluren Schwebst mir beständig vor.

Der junge Lenz begrüßte

Am ersten Dein Gefild;

Aus einer Winterwüste Schuf er ein lachend Bild. Mit Zaudern nur enteilte De- Sommers letzte Zier;

Der bunte Herbst ertheilte Sein vollstes Füllhorn Dir.

Ach, Alles stellt sich wieder Dem trunknen Auge vor: Der Schattensitz im Flieder,

Den ich zur Rast erkor, Wo man des Dorfes Greise

Oft plaudernd sitzend fand, Und wo die Liebe leise

Die keusche Glut gestand.

151 Dort, glaub' ich, auf dem Hügel Die Kirche noch zu sehn; Die Mühle, deren Flügel Im Winde lautlos gehn; DaS HauS mit moosigem Dache;

Das Kreuz, die Einsiedlei; Ich weil' am Silberbache,

Er rauscht vorbei, vorbei!

Der Unschuld und des Fleißes

Zufriedner Aufenthalt, Du bist dahin, ich weiß es, Und ich, ich selbst — bin alt!

Ich fordre, was inzwischen Entschwand: die Ruh', das Glück,

Mir von der schöpfungsfrischen Erinnrung nun zurück.

Wenn von beblümten Matten Der Dämmernebel steigt,

Versammelten im Schatten Des Baum'S, der weitverzweigt Erstreckt das Laub der Aeste Die Dorfbewohner sich.

Der Abend ward zum Feste,

Das nur zu rasch verstrich.

Erwachsne Knaben rangen Und bildeten Parthein; Und Kinderpaare schlangen

Den frohen Ringelreihn. Im flücht'gen Tanz erprobte

Sich Anmuth, und gefiel. Erfindungsfreudig tobte

Die Kraft sich aus im Spiel.

152 Das letzte von den Paarm, Da- sich noch lustig schwang,

Wenn Alle müde warm, War's, das den Sieg errang.

Ein Knabe kommt gesprungen. Mit Flecken im Gesicht;

Man lacht ihn aus, den Jungm; Warum? das merkt er nicht.

So ward der Tag vollendet, Und so verstrich die Zeit.

Berstohlnm Blick entsendet Die jungfräuliche Maid

Dem Schöpfer ihrer Freuden, Dem Störer ihrer Ruh!

Dm Blick nicht zu vergeuden,

Winkt ihr die Mutter zu.

Der Unschuld holde Blume,

Die noch vom Antlitz lacht, Sie heg' im Heiligthume

Der Brust in stiller Pracht!

Und, Jüngling, Du, veralte

Auch vorwurfslos zum Greis!

Geliebtes Dorf, erhalte Dein Glück Dir, Deinen Fleiß!

Bewahre Dir inmitten Des Hohns der Zeit Dein Recht!

Vererbe Deine Sitten Im kommenden Geschlecht!

In einer Welt voll Sünde,

So dumpf und ahnungsschwül, Sei'n Deine Schattengründe Der Unschuld ein Asyl!

153 Ich bin bei Deinen Festen!

Mir rauscht's: — ach nur im Traum! — Herüber aus den Aesten

Des BaumS; ich seh' den Baum DaS Laubwerk überdachte

Die Dorfschaft, buntgereiht, Die zügelnd überwachte

Der Jugend Spiel und Streit.

Wohin enteilst Du. kühne Verirrte Phantasie?

Verstummt ist jene Bühne, — Und ach, erneut sich nie —,

Die heit'ren Schäferspielen Ich einst erschlossen fand;

Die Flur, das Dors verfielen

Tyrannisch fremder Hand.

Mcht ist der Wald geblieben, Noch der crystallne Bach. Don Rädern umgetrieben.

Schleicht trüb' er fort, und flach. ES spiegelt seine Ebne

Nicht mehr der Ufer Glück;

Er gibt nicht daS Gegebne Mehr feuchtverklärt zurück.

Der Rabe, der das dichte

Gehölz gesucht für'S Nest,

Sitzt krächzend auf der Schichte Von Holz, dem Waldesrest. Des Kibitz heis're Klage

Erschallt, der dräuend kreischt, Und vom gefällten Schlage Vergebens Antwort heischt.

154 Dem Prunke nun zu dienen,

Beut die verlassne Flur

Ein Schloß mit stolzen Mienen, Plantagen, Dista- nur. Um'S süße Heim betrogen,

Sind über'- ferne Meer Die Dörfner fortgezogen; Die Hütten trauern leer

Ein Strich ist zum Verfalle

Derurtheilt. zum Ruin,

Wo vor dem Einen Alle,

Der Alles auskäust, knien. Fluch diesen Güterkäufen,

Durch die sich Land erwirbt, Die Einen überhäufen,

Indeß der Rest verdirbt.

Der Tag bringt LordS und Prinzen, Wie sie der Tag entrafft;

Doch wer versieht Provinzen Mit frischer Bauerschast? Gemeinsinn, abgestorben,

Ersetzt, verjüngt sich nie. WaS Könige verdorben, Wer büßt eS?

Wir, nicht fiel

Einst war in Englands Gauen

Gesichert im Bestand

Ein jeder Mann zu schauen Auf seiner Hufe Land. Er baute seine Scholle, Er streute seine Saat,

Er erntete das Dolle, War Thäter eigner That.

155 Er frohnte nicht, noch spannte; Sein bester Reichthum war, Daß er nicht Reichthum kannte.

Der Boden bot ihm dar, Was er bedurfte.

Weiter

Ging niemals fein Begehr Er war gesund und heiter,

Als hätt er zehnfach mehr.

Daß sie das Glück verdränge, Schlich hier sich Habsucht ein. Mit ihr kam das Gepränge,

Der Glanz, der Pomp, der Schein. Des Landmanns Fleiß verjagen

Genußsucht und ihr Troß; Wo blüh'nde Weiler lagen, Erhebt sich nun das Schloß.

Vergnügte Lämmer grasen

Richt mehr, vom Hund umbellt;

Rein, Roß und Reiter rasen Run über'S Stoppelfeld: Der Baum, nun auch gefallen, Stand Ewigkeiten da;

Die Flüchtenden verschallen, Die längst er scheiden sah.

DeS Waldes lichte Stellen Verklagen Dich, Tyrann!

Dich klagen auf den Wellen Die Heimathlosen an.

Des Himmels Fluch verschütte Dir Deines Reichthums Born! Wo blieb die moosige Hütte,

Und wo der Hagedorn?

156 Der Ruhesitz am Wege?

Die ländliche Schalmei?

Das blumige Gehege? Der Bach, die Pächtern?

Da- Gotteshaus, die Mühle? Der Wiesen bunte Pracht?

Der Buche Schattenkühle? Da- Dorf, die Waldesnacht?

Mein Auburn, Deine Spuren

Man findet fie nicht mehr. Gewalt und Habsucht fuhren

Vernichtend drüber her. Sie sind dahingeschwunden.

Die Tage jener Zeit;

So sei noch ihren Stunden Gin letzter Blick geweiht!

Als ich die Welt durchzogen. Wo Noth mir ward zum Heil; — Und Gott hat zugewogen

Mir mein bescheiden Theil —, Erhielt mich aufrecht immer Bei Hunger, Angst und Qual

Ein ferner Sonnenschimmer,

Ein letzter Hoffnungsstrahl!

Ich träumte, wenn die Schwinge Gelähmt, als letztes Glück: Der Schluß der Wandrung bringe

Nach Auburn mich zurück.

Die Heimath wähnt' ich, sollte Mir Heimath werden nun!

Du warst mir das gewollte

Asyl, um auSzuruhn

157 Der Kerze letzt' Geflacker,

Dir, glaubt' ich, muss' ich'S weihn; Auf Deinem Gottesacker

Ging ich zum Frieden ein. Und, segensreich zu wirken,

Wollt ich, ein müder Greis, Zuv r mich noch umzirken

Mit Deiner Kinder Kreis.

Und meine Welterfahrung,

Gold au- der Weisheit Schacht, Hatt' ich als geist'ge Nahrung

Den Deinen zugedacht. Und, wenn mein Licht verlodert,

Blieb meine- Wissens Schatz, Der nicht mit mir vermodert,

Nach mir für mich Ersatz.

Wie wünscht' ich, mich umschweige Bald holde Einsamkeit!

Der Tage letzte Neige

Sei, Freundin, Dir geweiht! Bewahre mich verborgen, Und mit der Welt versöhnt,

Nach unruhvollem Morgen,

Den Abendruh' verschönt.

Beglückt, wer einer Erde Boll Lockungen entflieht,

Wo, weil kein Sieg ihm werde, Er kühn den Kampf vermied;

Wer, ohne zu verzagen, Ertrug de- Tages Gluth, Und nun, nach Arbeitstagen,

Im Abendschatten ruht!

158 Er sendet Sklavenheere

Nicht in der Berge Schacht; Vertraut sie nicht dem Meere,

Das ihn zum Nabob macht. Es scheucht von seiner Schwelle

Kein bunter Cerberus

Von der versagten Stelle

Den Fleiß, der hungern muß.

Er stirbt; und seinen Namen

Bewahrt die Nachwelt auf Nicht starb er, Engel kamen, Und holten ihn hinaus. Er folgt; ihm ist, als merk' er,

Wie leicht sich scheiden lernt.

Die Seele brach den Kerker, Der sie von Gott entfernt.

Die lächelnde Geberde

Der Hülle deutet an, Daß flüchtend von der Erde Sein Himmel schon begann

Nun, bis zum Thron gedrungen,

Nachblickenden geraubt, Preist er mit and'ren Zungen,

Schaut er, was er geglaubt. —

Beim Sonnenuntergange

Klomm ich zum Hügelkamm, Wo mit gedämpftem Klange Der Dorflärm wirr verschwamm.

Ein Ton vom Wechselliede

Von Knecht und Melkerin, Des Kibitz Schrei vom Stiebe

Zog durch die Nacht dahin.

159 Die Kinder vor der Schule Erjauchzten frohgemuth;

ES schnatterte vor'm Pfuhle Die Gan- mit ihrer Brut.

Die Heerde, nach den Ställen

Getrieben, brüllte laut; Man hörte Hunde bellen;

Ach, Alles klang so traut!

Auf Augenblicke legte

Sich wohl der wirre Schall;

Im nahen Busche regte Sich dann die Nachtigall.

Sie füllte jede Pause;

Und ihre Hymne schwoll, Wenn langsam das Gebrause

Des TagelärmS verscholl.

DaS Alles ist verklungen;

DaS Alles ist verrauscht.

ES wird nicht mehr gesungen. Noch dem Gesang gelauscht.

Auf den verfallnen Wegen, Die lautlos tritt mein Fuß,

Kommt Keiner mir entgegen Mit abendlichem Gruß

Nur eine arme Alte, Verwaist, erinnrungShell,

Sucht, daß sie sich erhalte, Nach Kresse dort am Quell.

Sie muß den morschen Rücken Um'S täglich karge Brod

Noch unablässig bücken; Sie bückt sich bis zum Tod.

160 Ach, wie sie zitternd Reisig

Dort von den Dornen bricht! Man sagt, sie sei nicht bei sich, Weil mit sich selbst sie spricht. Sie rief, sie wolle bleiben, Als man von dannen fuhr; Sie ließ sich nicht vertreiben, Die Chronik dieser Flur.------ -

Der Von War Das

Platz, wo nun die Beuge Schlagholz sich erhebt, eines Glückes Zeuge, selten sich erlebt.

Dort stand ein Haus im Garten, Von einem Greis bewohnt, Der. seines Amts zu warten, Mit Dank sich hielt belohnt.

Dein hohes Vorbild leuchte Mir, Edler, immerdar; Du, welcher reich sich däuchte Mit vierzig Pfd. im Jahr! Der würd'ge Priester lehrte Dort laut'res Christenthum. Das Dorf, das hoch ihn ehrte, War voll von seinem Ruhm.

Entfernt vom Lärm der Städte Verrann sein Lebenslauf; Im Wort, in dem er spähte, Ging ganz sein Dasein auf. Daß er es voll ergründe, Gab er sich selbstlos hin; Ein Wechsel seiner Pfründe Kam nicht in seinen Sinn.

161 Er, den kein Zweifel irrte, Den keine Neurung fing,

Er war ein guter Hirte,

Dem kein- verloren ging. Beliebten Tagsystemen,

Durch die der Schmeichler steigt, Die er erwies als Schemen,

Blieb stets er abgeneigt.

Entflammt, den Weg zu zeigen, Auf dem sich feint verlor,

Wollt' er nicht selbst nur steigen.

Er lenkte mit empor. Er rang zurückzutragen Die Seelen, ihm entwandt;

Und Herzen, die zerschlagen, Wie mild er sie verband!

Sein Heerd war Zufluchtstätte

Für Unglück, Angst und Noth. Wer sonst gehungert hätte,

Hier fand er Rast und Brod. Ihn überlief vor andern

Der Vagabundentroß,

Dem, scheltend aus ihr Wandern. Sein Hau- er nicht verschloß.

Der greise Bettler pochte

Hier stet- al- Stammgast an. Er gab, was er vermochte, Der alte gute Mann. Der dürftige Verschwender, Der bettelnd eingekehrt,

Traf hier den milden Spender, Und ging, der Gabe werth.

162 Der alte Invalide Saß oft hier am Kamin; Der Krieg war aus; der Friede, Verhungern ließ er ihn. Er fand zu seinem Glücke Hier Kost und Ruh' zur Nacht; Er schulterte die Krücke, Und schilderte die Schlacht.

Der Abend ward zum Feste Für diesen bunten Kreis. Wohlthäter seiner Gäste, War ihrer froh der Greis. Aengstlich zu forschen, wem er Half, war zu schlicht sein Sinn; Er prüfte nicht den Nehmer, Er gab die Gabe hin.

Selbst seine Fehler schienen Oft Tugenden zu sein. Dem Nächsten mehr zu dienen, Schränkt' er sich selber ein. Oft, daß er Hülfe brachte, Wenn selbst er Mangel litt; Er weinte, hoffte, wachte, Er rang und flehte mit.

Wie Die Bis, Die

tausend Liebeszeichen Schwalb' erschöpft im Nest, mit ihr fortzustreichen, Brut es scheu verläßt:

So riß er aus den Schlingen Der Welt, wer sich verlor, Durch Bitten, Locken, Ringen Mit sich zu Gott empor.

163 An Sterbebetten trat er Mit segnend milder Hand; Und für den Pilger bat er, Der vor der Pforte stand. Dann senkten sich die Wogen,. Gs ward der Kampf zum Sieg; Die Seele war entflogen, Die dankend aufwärts stieg

Im Gotteshause war er Ganz Glut, Beredtsamkeit. Stand segnend am Altar er, Wie schien er da geweiht! Gr streute jenen Samen, Den nicht die Welt verweht;

Und, die, zu spotten, kamen, Sie blieben zum Gebet.

Am Schluß der Andacht harrten Sie vor'm Portal am Thor, Des Priesters dort zu warten, Trat er zum Heimweg vor Langsamern Schrittes gingen Gntfernt're ihren Pfad, Zbn grüßend zu umringen, Sobald er näher trat

Von Kindern rings vom Lande Fand er sich stets umschaart; Sie zupften am Gewände, Das zag betastet ward, Gin Lächeln zu entlocken Dem würdigen Gesicht. Dann flohn sie. halb erschrocken, Wiewohl er liebreich spricht.

164 Nun wuchern Dornenranken. Wo sonst, der keins verlor, Der Läutrer der Gedanken Zog seinen Frühlingsflor. Doch Saaten, die er streute Jn's Herz, sind nicht verdorrt; Blühn noch als Blumen heute In Kind und Enkel fort.

Im kleinen Eigenthume, Das einst sein Gärtchen hieß, Prangt manche Gartenblume Ganz, wie er sie verließ. Durch Lücken in der Hecke Sieht man sie noch am Stab. Fast mahnt es, als erstrecke Sein Geist sich über's Grab.

Ihn liebte die Gemeine, Bethätigend sein Wort. Er suchte nicht das Seine, Er gab das Seine fort, Und fand, wie jede Lage Das Wort als wahr erweist, Das klug das Glück am Tage Nicht vor dem Abend preist.

Wie hoher Atpenfirne Dor Sturm die Brust umgrollt, Indeß die reine Stirne Umspielt der Sonne Gold: Dem Felsen zu vergleichen, Der in den Himmel strebt, Stand er, ein Wetterzeichen Im Sturm, das nicht erbebt —

165 Dort, wo die Ginsterhecke

Am Weg, der sich verflacht. Entfaltet ihre kecke

Doch taube Blüthenpracht,

Stand die gescheute Wohnung Von einem ernsten Mann, Feindselig jeder Schonung; ES war der Schultyrann.

Durch jene Thüre gingen

Wir Tag- an uns're Pflicht;

Wir sahn vor allen Dingen Zuerst auf sein Gesicht.

ES bot an jedem Morgen

Ein sich'reS Merkinal dar: Ob Stürme zu besorgen, Ob gute- Wetter war.

Schien er dem Scherz gewogen, Dann ward gedämpft gelacht;

War seine Stirn umzogen.

So flüsterte man sacht. Ihn trieb, wenn auf die Länge

Er manchmal seitwärts hieb.

Zur thatgewordnen Strenge Der reine.Wissenstrieb.

Die Bauerschast verehrte

In ihm den klügsten Mann. Er war der Dorfgelehrte.

Der Alles weiß und kann. Man staunte, wa- er wisse, Und wie eS möglich war.

Die Sonnenfinsternisse

Berechnete er gar.

166 Er konnte Land vermessen; Er war ein Kalligraph; Vergaß, nicht zu vergessen, Sich selbst nie, wenn sich's traf Er kannte Stofs und Schwere Des Wassers; und die FlutUnd Ebbez.it der Meere; Und liebte den Disput.

Stets bracht' er in die Richte, Was Politik entzweit. Es lief die Weltgeschichte, Wie er es prophezeit.

War wider sein Verhoffen Sein vorbedeutend Wort Zumeist nicht eingetroffen: Er prophezeite fort.

Mit Wörtern fremder Sprachen Hielt er, die sich erkeckt,

Daß sie ihn unterbrachen In donnerndem Respeckt. Das Dorf war stets verwundert. Wie ein so kleines Haupt Die Wissenschaft für Hundert Und mehr zusammenklaubt.

Wer nennt nun seinen Namen? Zwar steht das Haus noch dort. Wo sie zusammenkamen, Doch ist's nicht mehr der Ort. Verschwunden ist das Zeichen Der Schenkgerechtigkeit; Der Wirth, der seines Gleichen Nicht hatte, weit und breit

167 In jene Thüre traten

Sie Feierabends ein. Des Dorfes Diplomaten Krakehlten dort beim Wein.

Man lobte das Getränke Und die Bewirthung hier.

Die Zeitung in der Schenke

War älter, als das Bier.

Die weibgetünchten Mauern Erglänzten, und der Flur.

Als Neidobjekt der Bauern Galt an der Wand die Uhr 3«y firnißglatten Kasten; Ihr Schlag war dorsbekannt.

Nicht schien an eingefaßten Gemälden arm die Wand.

Ein Möbel, mit Methode Zum Doppelzweck erdacht: TagS dient' es als Kommode,

Als Bettgcftell bei Nacht.

Mit blankpolirten HeSpen

War eS des AnfchaunS werth; Bön Fenchel, Laub und Espen

Umkränzt der traute Heerd.

Der Schmuck der Mantelleisten

Rings über dem Kamin Verdiente noch am meisten DaS Aug' auf sich zu ziehn.

ES war der ausgereihte

Zerbrochne Tassenstand. Die lückenhafte Seite

War zugekehrt der Wand.

168 Ist alle Lust verklungen, Die hier so laut getollt? Platz voll Erinnerungen, Sei Wehmuth dir gezollt!

Soll nach de- Tage- Lasten

Der müde Häusler nicht Hier mehr am Abend rasten. Und hören, was man spricht?

Was heimgebracht der Pächter, Der heute ging zur Stadt?

Wa- drr Barbier, - der Schächter, — Heut' zu berichten hat?

Nicht hören, wie der Waidmann Die Schauermähr erzählt? Wie aus die schlechte Zeit man,

Die täglich schlechter, schmählt?

Sitzt nicht der alte Recke Mehr hier, der nerv'ge Schmied.

Den auf demselben Flecke Man täglich sitzen sieht?

Man konnt' ihn schweigend schauen, Die Arme aufgestützt, Und die geschwärzten Brauen

Mit hohler Hand geschützt.

Den Wirth beinah' vergess' ich.

Ihn, dem der erste Rang

Gebührt; der unablässig

Die Laune hielt in Gang; Die Hebe, deren Lippen Erst mit verlegnem Dank

Sich weigerten, zu nippen, Und die zuletzt doch trank

169 Weist der verwöhnte Städter

Dies Frohsein ohne Harm

Belächelnd ab, verschmäht er,

Woran er selber arm. Mag sich die Kunst vergeuden. Erschöpfen sich der Glanz,

Die wildgewachsnen Freuden Behalten doch den Kranz.

Erarbeitet erleichtern

Sie die beklemmte Brust.

Nicht tauscht' ich um den seichtern, Mühsam erquälten. Wust

Der Stadt die schlichten Spiele DeS Dorfs; nicht wünscht' ich. daß

Ich einem Kreis verfiele. Den Mißgunst freut, und Haß.

Ihr müßt euch selber fragen

Bei Tanz und Mummerei Und Sport: ob dies Behagen.

Die- wahre Freude fei?

Erleuchtete Gebäude Hat sie noch stets gescheut

Dem wird zur Arbeit Freude.

Den Arbeit nicht erfreut.

Greift, Klügler, in die Speichen Des Rads verkehrter Zeit,

Die reicher macht die Reichen.

Und Arme nicht befreit Begrifflich abzugrenzen

Zuvor, kommt überein. Die Länder, welche glänzen, Bon denen, die gedeihn.

170 DaS Schift kehrt üherladen Zurück mit reicher Fracht.

Da- Volk an den Gestaden

UmdrLngt die fremde Pracht

Die Fülle, die der Pracher Bekommt, begehrt der Geiz

Sie strömen für den Schacher

Zum Hasendamm bereits.

Was jauchzt ihr, eitle Thoren, Was wird entzückt geraunt? Der Luxus ward geboren;

Er ist's. den ihr bestaunt.

Kann eins von diesen Schätzen, Die neidisch ihr beguckt. An Nutzbarkeit ersetzen

Ein heimische- Produtt?

Dich selbst wird man verkaufen. Der Nabob zahlt Dich au-; Treibt Dich mit diesen Hausen Von Erz von Hof und HauEr braucht für Park- und Pferde

Und Hunde fremder Zucht Die heimathliche Erde,

Die Du bebaut mit Frucht.

Die schwere Purpurseide, Die seine Lady schwellt. Bestiehlt um sein Getraide

Daö nahrung-volle Feld Daß er da- Schloß erbaue,

Die- Brutnest ekler Pracht,

Verschwindet von der Aue Daö Hau-, mit Stroh bedacht.

171 In euren Furchen, Soden

Liegt reichlicher Bedarf, Da Gott in jeden Boden,

Was er bedurfte, warf. In Angesichtes Schweiße Entringt ihm Stück für Stück!

Verdankt Euch nur dem Fleiße; Verdankt Euch nicht dem Glück!

ES braucht, umkniet zu leben,

Sich selbst die Schöne nur; Nicht Kunst, noch Schminke heben Die liebliche Natur Im einfach schlichten Kleide

Weiß sie, daß sie entzückt; Und sie verschmäht Geschmeide,

So lang sie Anmuth schmückt.

Doch wenn mit ihren Reizen Auch ihre Ritter stöhn:

Dann gilt e-, sich zu beizen. Dann schützt sie Kunst vor Hohn. Nur wird mit Goldgewändern,

In denen sie erstrahlt,

Sie den Tribut nicht ändern, Den sie der Zeit bezahlt.

Im Bilde dieser Schönen Erkenne sich da- Land, Das, fremdem Zwang zu fröhnen,

Sich der Natur em wand. Gesund, verdankt e- alle

Erstarkung sich allein. Naht eS sich dem Verfalle.

Schleicht sich der Luxus ein.

172 Dann baut man Prachtpaläste Und Vista's eigner Art; Dann wird der Tag zum Feste, Der sonst zur Arbeit ward; Dann pflegt man alle Grillen Verdorbner Phantasie; Dann schleicht das Gift im Stillen, Und man gesundet nie;

Dann flieht der Dorfbewohner Die heimathliche Flur, Wo, mit den Seinen schon er Des Mangels Macht erfuhr Die Hand, die abgemühte Greift fromm zum Wanderstab; Dann steht das Land in Blüthe, Ein Garten — und ein Grab.

Wo glückt's ihm, einzusprechen, Wo Zwang ihn nicht erreicht? Ein Steinfeld umzubrechen, Gelang' ihm noch vielleicht Doch hätt' er nun gewandelt In Flur, was Wüste war; Er stünde, rasch verhandelt, Auf's Neue, blank und baar.

Flieht er zur Metropole — Erwarten ihn auch dort Die nämlichen Idole: Der Hungerfluch, der Mord. Hier stiehlt der satte Reiche, Was Dürftigkeit erwirbt, Die stetem Todesstreiche Erliegt, und niemals stirbt.

173 Hier rauscht im Sammtgewande

Der Lady stolzer Bau

Am dürst'gen Waarenstande Vorbei der armen Frau.

Hier flirrt die Ma-kerade Der Welt der Sucht nach Mehr;

Dort lockt vom Seitenpfade

Der Galgen dunkel her.

Wie prangt mit hellen Lichtern

Das Schloß in Marmorpracht! Von staunenden Gesichtern

Wird sein Portal bewacht. Aus Equipagen steigen Juwelenüberdeckt

Gestalten; und es neigen Die Gasier sich erschreckt.

Wo solche Strahlen blenden, Herrscht sicher keine Noth. Willst Du das Auge wenden:

Was siehst Du dort? den Tod!

Erblickst Du hingekauert Das Weib in grobem Tuch?

Der Glanz, den Du bedauert,

Ihr ward er einst zum Fluch.

Sie war die schönste Blume

Der heimathlichen Flur: Jin niedern Eigenthume Ganz Glück, ganz Unschuld nur. Wie schalkhaft durch die Hecke

Die kleine Primel schaut,

Lugt sie aus dem Verstecke Der kleinen Hütte traut.

174 Unschuld, durch List bethörte, Sang man davon ein Lied.

Sie seufzte, wenn sie's hörte. Sie wurde, da sie schied, Beklagt; von allen Seiten Im Dorf ihr nachgeweint, Die alle Lieblichkeiten

Der Tugend in sich eint.

Nun denkt sie jener Stunde, Da sie das Dorf verließ, Der lügenhafte Kunde (Sin reich'reS Glück verhieß. Nun sehnt sie sich zum Rocken Zurück, und Wollgewand. Die Freunde flohn erschrocken; Sie wird nicht mehr gekannt.

Nun neigt, die bei den Schwüren Des Leichtsinns nicht geglaubt, Daß Eide selbst verführen, Zur Ruh' ihr sterbend Haupt. Nun flucht sie leis dem Worte, Dem sie so gern vertraut; Nun stirbt sie an der Pforte Des Manns, vor dem ihr graut. —

Sind, Auburn, Deine Kinder

Verfallen gleichem Loos? Straft ihres sie gelinder, Sprich, streifen sie es blos? Vielleicht, daß halb verhungert Auch sie's an Thüren treibt, Wo die Begierde lungert. O, bleibt von dannrn, bleibt!

175 Nein, ihre Zähren mischen

Sich mit dem Wellenspiel;

Und eine Welt liegt zwischen Dem Heim und dem Exil. Sie müssen in den Steppen

Und, wo der Waldstrom braust,

Durch Schrecknisse sich schleppen, Verlassen, unbehaust.

Verzehrnde Pfeile sendet

Die Tropensonne dort; Die Wildniß, die nicht endet,

Reißt sie verzweifelnd fort.

Nicht lauscht man den Gesängen Befittigter im Wald;

Nein, Fledermäuse hängen Zu Büscheln dort geballt.

Versteckt in feuchten Brodem,

Durch den sie schreiten, drohn

Der Schlange TodeSodem,

Der giftige Skorpion. Hier stürzt auf seine Beute

Der Tiger, pfeilgeschwind; Dort lauern rothe Häute, Die schlimm're Tiger sind.

Hier bricht der Forst zusammen.

Aus brennmden Prairien Sieht man dort vor den Flammen

Lebendigen Urwald fliehn ES stürmt durch Wollenmassen Entfesselt der Orkan.

In eine Fluth zerlassen

Schwimmt Lust und Ozean.

176 Wie anders diese Scene, Durch die Vernichtung fuhr;

Wie ander-, ander- jene Der heimathlichen Flur! Der Bach mit kühler Labe,

Der Wiese Sammt, der Hain,

Da- Dorf, der Hirtenknabe, Die Heerde, die Schalmein!

Wa- hat Euch denn vertriebe,»

Vom väterlichen Dach?

Was zogt mit euren Lieben Ihr fremdem Loose nach

Als ihr mit nassem Blicke

Die Heimath scheidend priest, Und flehet vom Geschicke Ein Heim, wie ihr'- verließt?

Als vor der Woge Tiefen

Ihr schaudernd euch gewandt. Beneidend, die entschliefen In, theuren Vaterland.

Wie jammerte der Alte.

Nur stammelnd ein Begehr:

Daß er ein Grab erhalte Im Meer, nicht über'm Meer.

Stumm ging an seiner Seite, Die gern ihm bis in's Grab

Gegeben da- Geleite, Die Tochter: Trost und Stab

Fort von der liebewarmen

Brust des Geliebten, schritt, Den Vater in den Armen,

Sie still in'- Elend mit.

177 Doch jammert unverschwiegen Der jungen Mutter Schmerz; Sie drückt, nicht zu erliegen,

Die Kinder stets an's Herz.

Verwundernd schreckt die Kleinen

Der Zärtlichkeiten Hast, Sie fangen an zu weinen; Kaum blieb der Mann gefaßt.

Das, Luxus, ist Dein Segen, Das, Luxus, Dein Gedeihn:

Auf Wegen und auf Stegen

Vertriebne Groß und Klein.

Bereichernd, dringst Du, Reiche Vernichtend, siegreich vor;

Das Land verfällt zur Leiche, Das sonst geblüht in Flor.

Jetzt, wo ihr Werk begonnen Verwüstung und Verfall,

Ziehn, auswärts sich zu sonnen, Die höchsten Güter all',

Die Tugenden von hinnen; Sie schrecken, wie sie ziehn, Mich auf aus meinem Sinnen,

Dem sie vorüberfliehn.

Zu jenem Schiffe wallte

Der Zug; die Brücke fällt — Und so verliert die alte Sich an die neue Welt. Die Heiligkeit der Ehe, Die Furcht vor Gottes Wort,

Ich seh' sie noch; ich sehe Sie nicht mehr; — sie sind fort.

178 Die Gastlichkeit, die Treize, Die Liebe sind entstehn;

Und Du selbst, holde, scheue, Und Du selbst gingst davon :

Die den erhebt, der leidet, DaS Leid erhebt zum Lied, Die, wo die Sitte scheidet,

Erschreckt zuerst entflieht;

Du, die in diesen Tagen,

Die un- von un- entfernt, Die Saiten anzuschlagen Schon trauernd längst verlernt;

Du, deren sanfte Klänge

Die Masse überschreit; Mein Makel vor der Menge,

Mein Stolz in Einsamkeit;

Du Balsam aller Wunden, Du Trösterin im Harm; Du, die mich arm gefunden,

Und mich gelassen arm;

Du, in die Glanzregionen Der Schönheit Leiterin,

Du Krone aller Kronen, O, Dichtkunst, fahre hin!

Und, wo die Aermsten weilen:

An TornoS Felsgestein; Wo Tag und' Nacht sich theilen, Wo stete Flocken schnein:

Verschönere Deine Sttmme,

Was feindlich sich verschwur; Befreunde sie dem Grimme

Befremdender Natur!

179 Der Wahrheit, die verachtet

Verendet, nimm Dich an; Der Habsucht, die nur trachtet,

Wie sie sich mehren kann, Verleide daS Beginnen, Und leite sie zum Schluß,

Daß, wer nur will gewinnen,

Sich selbst verlieren muß

Daß man zu spät nicht merke, Wo Handel überwiegt,

Wie jede- Staates Stärke Allein im Landbau liegt!

Ein Strich, mit dürft'gen Quellen

Des Wohlstands, wird gedeihn! Stets führt sich von den Wellen

Herüber Luxus ein.

Ein Land, sich überlassen, Kann, stark durch Selbftvertraun, Die Zeit in'S Auge fassen

Und sich aus sich erbaun. ES trotzt der Wuth der Lüfte

Der Fels, dem Meer entragt, An den, daß sie zerklüste,

Die Fluth sich machtlos wagt.

9Ini 26. Mai

1770 erschien

das

„verlassene

Dorf".

Binnen drei Monaten waren fünf Auflagen vergriffen.

Gedicht

forderte

von

„Wanderer" auf.

pfung den Vorzug.

selbst

zu

einem

Vergleich

mit

DaS dem

Die große Masse gab der späteren Schö­ Ihrem Verständnisse und ihrer Antheil-

12*

180 nähme kam der glücklich gewählte Stoff entgegen, dessen Eigenart jede- Abschweifen in die weite und fast in'S Nebel­ hafte sich verlierende Gedqnkenperspective des „Wanderers"

ausschloß.

Das „verlassene Dorf" glich einem Wassertropfen,

worin daS Auge mit geübter Sehkraft eine Welt im Kleinen

entdeckt.

Goldsmith wußte diesen Tropfen zu einer Perle

umzugestalten.

Sein Geschick für

Detailmalerei,

sauberes

Colorit, zarte Farbentöne konnte sich hier erproben, und der Erfolg war derart, daß er von einer besseren Zukunft, wäre sie ihm vorbehalten gewesen, gesteigerte Anerkennung hätte

erwarten dürfen.

Wie es immer und überall Naturen gibt,

die, eS koste, was es wolle, von sich reden machen müssen,

und weil sie aus sich selbst heraus nichts Zweckentsprechendes zu erschaffen vermögen, von einem großen Namen sich in'S

Schlepptau nehmen lassen, so bot auch Golds mit Hs Firma im „verlassenen Dorf" die willkommene Fundgrube für Controversen dar, die theils albern, theils überstüffig, eben nichts

anderes beabsichtigten, als ein Titelblatt mit zwei Namen, einem berühmten und einem unberühmten: eine gezwungene, ungereimte Verbindung, wie die die des Pegasus im Joche

mit dem Ackerstier.

Der Reim auf Goldsmith ist wohl

überhaupt noch nicht aufgefunden.

Man wollte bald Pallas,

bald Lissoy, bald ein Dorf in Kent in Auburn wiederer­

kennen; was aber auch in dieser Hinsicht in Broschüren, so wie an Ort und Stelle versucht worden ist, das Gedicht in

die Wirklichkeit zurückzuübersetzen: ein zu diesem Zwecke be­ liebig graduirter Hagedornstrauch, angeschaffte Bilder für die

Dorfschenke in Ballymahon, die Erhebung des Rothkehlchens

zur irischen Nachtigall: alles hat nur den untergeordneten

Werth sentimentaler Spielerei, oder den noch schlimmeren

einer Spekulasion auf die

Opferfähigkeit reliquiensüchtiger

181 Reisender.

Goldsmiths Auburn, wie er es beschreibt, für

ein irländisches Dorf zu wohlhabend,

für ein englische» zu

unschuldig, ist und bleibt ein mit Reminiscenzen von Lissoy

auSgestatteter Jdealfleck. Greifbarer sind die persönlichen Bezüge. und Schulmeister saßen Henry und Byrne.

Zum Pfarrer Den Werth deS

Gedichtes schmälert der Zweifel darüber nicht, wo oder ob

irgendwo Auburn liegt oder lag? Goldsmithö Honorar für

daS

mußte natürlich untergebracht werden.

„verlassene Dorf"

Doch zog er diesmal

eine Form der Verwendung vor, wobei er, was er auSgab, sich selbst zu gute kommen ließ.

Er reiste, anstatt sich zu

Hause plündern zu lassen, im Junis mit dm Hornecks

nach Paris; und der Aufenthalt daselbst, wenn er ihm auch

die Ernte von Auburn kostete, bereicherte ihn doch — mit Resignation.

Angenommen, er hätte noch die Hoffnung ge­

hegt, als welterfahrmer Führer hülfloser Frauen einen Nimbus um sich zu verbreiten, der, verbunden mit der von ihm er­

langten Stellung in der Literatur, seine praktische und poetische Unentbehrlichkeit zugleich zu empfehlm geeignet erschien, so

mußte er von diesem Wahn eiligst zurückzukommen, besonder» in den zu passirenden französischen Garnisonstädtm, wo seine

Erscheinung neben den drei Begleiterinnen in Trauer un­

fehlbar an den Mohren und die Damen in der Zauberftöte

erinnert haben würde, wäre die Welt mit diesm HimmelSklängen schon damals begnadigt wordm, und Frankreich ihnen zugänglich gewesm.

In Ermanglung dieses classischen, die

Sache nicht verbessernden Vergleich» mußte Gold sm ith sich mit anderweitigen begnügen; und das that er redlich; er hätte nicht einmal so

viel verlangt.

Aber abgesehm von dieser

Täuschung, welch' ein Unterschied zwischm dem philosophischen

182

Vagabonden vor zwanzig Jahren und Reisen von heute.

dem

Professor auf

Danials läßt er Menschen und Dinge

unbefangen auf sich wirken; freut sich, wenn er auf Heu schlafen kann, drückt die Natur mit Liebesarmen an seine

Dichterbrust — jetzt vermißt er überall den englischen Comfort, nach dem er, unbeschadet seiner Verehrung für die neben ihm

mit ihm entbehrende „Braut" in einem Briefe an Reynolds aus Paris vom 29. Juli 1770 mit einer Heftigkeit sich zurück­

sehnt, die alle etwaigen Illusionen der Freunde auf einen zweiten „Traveller" nicht anders als zerstören konnte.

Er

fühlt sich verletzt, wenn die Damen sein Bonmot nicht goutiren, das französische Fleisch mache den Gebrauch der Messer und Gabeln entbehrlicher, als den des Zahnstochers. kostete diese Reise Geld,

wenig, und bezahlen viel; und so fand er,

vonshire

zum Besuch

Außerdem

bedeutend Geld; Ladys verzehren

gebliebenen

ohne die in De­

Hornecks nach London

heimgekehrt, wo ihn die Nachricht vom Ableben der Mutter

erwartete, hinreichend Anlaß, sich seine Lebensbedürfnisse wieder zusammenzuschreiben. Mit der gern noch länger entbehrten Beruhigung, diese für ihn nie eingenommen gewesene, erblindet gestorbene Frau nach besten Kräften bis zum letzten Augenblicke vor Mangel

geschützt zu haben, ging er, sobald die einleitende Biographie

zu einer Rede Lord Bolingbrokes ihm trefflich gelungen war, an den ihm von Davies aufgetrageuen Auszug aus seiner

„Römischen Geschichte".

Davies, der Besteller beider Ar­

beiten, hoffte durch das aufregende Element der Bolingbrok'schen Broschüre in der elektrischen Luft jener politisch un­

ruhigen Tage zündend zu wirken; mußte aber von einem taktlosen Irrthume zurückkommen, falls er von Goldsmith sich überzeugt gehalten hatte, derselbe werde, als Erfinder

183 klingelnder Partheiphrasen, und zum Feldgeschrei erhobenen Schlagwörter, sich auf einen Standpunkt stellen, dem er, wäre

es selbst sein eigener gewesen, unter keinerlei Bedingung auf

Unkosten des mißbrauchten Sprachschatzes Zugeständnisse ge­

macht haben würde.

Der biographische Abriß war gewandt,

anlnuthig, blendend, aber durchaus objectiv gehalten.

Um diese Zeit verlor Lord Clare, Irländer, den ein­ zigen Sohn, Colonel Nugent, und wünschte den Dichter, um in seinem Umgänge sich zu erheben und zu erheitern, bei sich anwesend.

Goldsmith ging nach GoSford House ab,

und DavieS äußerte sich mißvergnügt, in der Meinung, Manuskript und Correkturbogen würden nun nicht rechtzeitig

Diesmal irrte er sich. Oliver fand, nach London zurückgekehrt, eine schmackhafte Wildprettkeule als Geschmk einlaufen.

des eben verlassenen Gönners vor,

und

vergalt den nicht

lange aufgeschobenen materiellen Genuß mit einem poetischen,

dessen naivste Stelle lautet: Ich danke für's Wildprett!' So fett und so zart Ward kein- noch in Wäldern und Schüsseln gewahrt. Da» Fette so weiß, und da« Magre so röthlich! Ihm ward die Bestimmung als Dichterkost tödtlich.

E» war eine Studie für Maler, ein Malthirr;

Doch besser genoß ich da- herrliche Schmalthier.

Mich hungerte freilich; ich wünschte zu essen; Indeß mit Bedauern nur hab' ich'« gegessen. Im Anfänge dacht' ich: E« soll da« Wildprettstück

Mir hängen im Zimmer al« Schmuck, Cabinettstück! Au« Patrioti-mu«.

In Irland ist'« Sitte:

Dort hängt man in Kammern so köstliche Schnitte;

Und würde, bevor sie an'« Messer gerathen,

Die Pfannen verzehren, in denen sie braten. Bi« dato verstieg ich mich höchsten« zum Hammel;

Vernimm' dmn in Reimen de« Dante« Gestammel!

184 Lrb' wohl, wcrthcr Gastfreund; und nimm' die- Gekritzel; Halb Prosa, halb Verse, halb Ernst, halb Gewitzel! BermScht' e- erheiternd die Stirn Dir zu -litten!

Ich brauchte nur Hemden; du schenktest Manschetten.

Im August 1771 erschien Goldsmiths „Geschichte von England" anonym, und doch nicht anonym, da sich der Autor auS einem Werke errathen ließ, was in den wesent­ lichsten Bestandtheilen nichts anderes war, als die „Briefe eines Adligen an seinen Sohn". Diese warm zwar, ebenfallS, ohne daß sich der Verfaffer enthüllt hätte, ihrer Zeit in's Publikum gekommen; indessen ist anzunehmen, daß Gold­ smith sich längst dazu bekannt haben mochte, der, außerdem

daß die ihm allein eigene Schreibweise auf ihn hindeutete, sich in seinem Antheile an der englischen Geschichte selbst in Briefen an Frmnde verrieth, und noch zum Ueberflusse vom Verleger derselben, DavieS, ausgeplaudert wurde. Das Buch ward mannigfach wegen seiner loyalen royalen Gesinnung angegrifien; der Autor als er.käuflich verdächtigt, und um politischer Ansichten willen gerügt, die er im „Wanderer" be­ reits im ausgesprochenen Vorzüge der Gebundenheit unter einem Monarchen vor den Nachtheilen der Herrschaft des süßen Pöbelö energischer hervorgehoben hatte. DavieS, in der Furcht, die Ungunst der Kritik beeinträchtige den Absatz, griff zu einem Auskunftsmittel, das heutzutage nicht mehr außerordentlich, aber desto öfter außerordentlich geboten erscheint. Er machte im Advertiser die in Folge der- An­ fechtungen deS Werkes stutzig gewordene Lesewett auf die Vortrefflichkeit dieses seines neuesten Verlagsartikels in schwung­ vollen Phrasen aufmerksam; doch erscheint er in diesem Zu­ sammenhänge noch als ein nach heutigem überwindendem Standpuntte so naiv verlegener Verleger, daß er nicht als

185

solcher, sondern unter der MaSke eines Dritten, der nicht genannt sein will, seine Waare anprieS.

Das anonyme Buch

hätte keiner anonymen Empfehlung bedurft. DavieS war mit seinem Debüt als Schriftsteller so zufrieden, daß er auf Anfragen erwiderte:

„Sie wünschen den Autor der Lobrede

auf die englische Geschichte zu wissen; ich kann den Namm eines Anderen nicht verrathen; aber er wohnt in der Russelstraße. Wie gleichgültig Goldsmith die Meinung des Publi­ kums über

ihn ließ bezüglich seiner politischen Farbe, ist,

zugleich mit seiner literarischen Thätigkeit während deS Som­ mers 1771, aus einem Briefe an Nennet Langton ersichtlich.

Bennet Langton war der eine Adlige auS dem Club; Topham Beauclerc der andere.

7. September. Werther Sir!

Seit ich Sie zuletzt sehen durste, hielt ich fast aus­ schließlich mich zurückgezogen auf dem Lande auf, um eine

Comödie zu schreiben.

Sie ist nun fertig; wann sie aber,

wo sie, und ob sie überhaupt aufgeführt wird, muß ich ab­ warten.

Doch beschäftigt mich dieser Gegenstand dermaßen,

daß ich den Ihnen versprochenen Besuch diesen Sommer zu unterlassen rathsam erachte.

Auch Reynolds kann nicht kom­

men; er trifft so eben von Paris hier wieder ein, und muß

malen. Dürfen wir uns für nächstes Jahr anmelden, und, um Sie schadlos zu halten, gleich auf die doppelte Zeit? Hoffentlich werden wir, von Lady Rothes und Ihnen dann nicht minder gern erwartet, unsere Aufwartung machen können!

Mr. Beauclerc sehe ich häufig, in und außer der Stadt; er

wird noch ein zweiter Boyle, mit solchem Eifer wirft er sich

186 auf Physik und Chemie.

Johnson ist vom Lande zurückge­

kehrt, woselbst er sich bei einem Pfarrer, Mr. Taylor, auf­

hielt.

Er findet sich nur an Mrs. Thrales Theetisch daheim.

Burke ist Farmer, in Ermangelung eines Besseren,

wozu er

Alle Welt hat Aussichten, und

Aussicht zu haben behauptet.

ist vergnügt, ich ausgenommen, und doch sollte ich vor Jeder­

mann heiter sein dürfen, denn seit drei Monaten arbeite ich für Jedermanns Erheiterung

von der Bühne herab.

Ich

habe aber die lustigsten Scenen nieines Lustspiels mit dein weinenden Antlitze der tragischen Doppelmaske ausgeheckt;

nehmen Sie das gefälligst wörtlich, werther Sir, denn zwischen Hecken und Bäumen ist meine zweite Arbeit für's Theater

entstanden.

Die Naturgeschichte ist halb fertig; ich will ihr

baldigst den Rest geben.

So vieles Halbfertige dieser Art

mahnt mich; und das wirkt moralisch so abstumpfend.

Aber

es ist weniger meine Schuld, als die meiner Verhältnisse. In der Stadt gewinnt die Opposition Boden.

noch immer nach Freiheit.

Man schreit

Diese Freiheit des Volks soll ich

in meiner „englischen Geschichte" verrathen, d. h. einen Ver­ rath an ihr begangen haben.

Gott weiß, daß ich keinen

einzigen freien Gedanken diese Zeit über hatte; mein ganzes Streben ging dahin, im Frohndienste ein artiges Buch zu

schreiben, eins, das wie Squire Richard sagen würde, „nie­ mand was thut". Ich gelte für einen verirrten Tory, und bin doch nichts anderes, als ein böser Whig; bitte, nicht zu lesen: Bösewicht.

Gott sei mit Ihnen!

vollsten Empfehlungen an Ihre Lady!

Meine ehrfurcht­

Ich verbleibe, werther

Sir, hochachtungsvoll

Ihr ergebener Diener Oliver Goldsmith.

187 Goldsmith, obwohl er die Einladung nach Lincoln­ shire unter dem Vorwande anderweitig in Anspruch genom­ mener Zeit abgelehnt hatte,

vermochte

trotzdem

einer aus

Barton in Suffolk ähnlich an ihn ergangenen um so weniger

zu widerstehn, als ihn die Aussicht locken mußte, daselbst die

„Braut" bei ihrer im August verheiratheten Schwester vor­

zufinden.

Henry William Bunbury, Esq., Marys

Schwager, der den ihn Dom Glücke gewährten Reichthum im Nothfalle durch die verwertheten Schöpfungen seines Bleistiftes, worin er den liebenswürdigsten Humor entwickelte, hätte er­

setzen können, berief den Dichter mit artigster Ungeduld in seine ländliche Stille und Fülle; und G o l d s m i t h reiste tut Besitze neuer Garderobe, die er mit einem von Newbery gegen

das Versprechen einer Novelle im Stil des Landpredigers er­ schwindelten Vorschuß bezahlt hatte, nach Barton ab. Er entfaltete während des längeren Aufenthaltes daselbst

die ganze Liebenswürdigkeit seiner Natur im geselligen Ver­

kehr; auch Garrick gegenüber, den er vorfand;' übernahm

die Leitung der iniprovisirten Zeitvertreibe, und kleidete sich dreimal täglich um, wodurch er zu Anzüglichkeiten Anlaß gab,

die ihm das Gefühl

Sphäre etwas gefährdeten.

harmloser

Sicherheit in dieser

Auch, wo er sich im ritterlichen

Genre, als voltigirender Virtuose über Gräben, u. dgl. her­ vorthun wollte, verunglückten seine Versuche,

von denen er

schon in Erinnerung an ähnliche Vorgänge bei den Versailler Fontainen hätte abstehen sollen.

Diese quecksilberne Rast­

losigkeit seines Körpers, sowie seine Vorliebe für bunte Farben, legten den Vergleich mit dem Affen wieder nahe,

Anwendung auf ihn man so freigebig war.

mit dessen In

Barton

schonte man sonst möglichst seine Schwäche und erwies sich für das in ihm überwiegende Gute empfänglich und dankbar.

188 Er hinterließ und entnahm hier einen Eindruck, der zum Lichtblick der wenigen ihm noch vorbehaltenen Tage wurde. In London verlangte Newbery seine Waare.

Gold-

smith zeigte ihm deren Anfänge, die der enttäuschte Verleger für nichts andere-, als den in Novellenform überarbeiteten

„gutmüthigen Mann", erklärte.

da-

nicht

gefunden.

Die Damen in Barton hatten

Goldsmith,

mißmuthig,

ließ das

Ganze liegen, wodurch die Welt vielleicht um einen neuen Landprediger kam, und mit Recht; denn etwas in feiner Art so Vorzügliches beeinträchtigt sich, indem eS sich wiederholt.

Goldsmith fand sich nun durch den Umgang der besten und würdigsten Männer geehrt.

General Oglethorpe zog

ihn zur Tafel; in den Augm der tonangebenden Welt ein Vorzug des Dichter« von der Bedeutsamkeit eine« Adelbriefes

oder einer Hofcharge.

Dieser ausgezeichnete, schon hochbejahrte

Mann hatte unter dem Prinzen Eugen gegen den Türken

gedient, 1745 wider die schottischen Rebellen gefochten, und war bald darauf als verdächtiger Anhänger der Stuarts mit

Generaltitel in

Ruhestand

versetzt worden.

Ehrgefühl vom feinsten Tatte.

Er besaß ein

In früheren Jahren hatte

ihn ein Prinz von Württemberg, mit dem er an der Tafel

saß,

in

einem

Zusammenwirken

von

Handbewegung und

Mienenspiel, da- sich doppelt auslegen ließ, mit Wein, an­ scheinend aus Versehen, beschüttet;

der

möglicherweise

Be­

leidigte, um auf dem kürzesten Wege seiner Zweifel über die richtige Auffassung dieser prinzlichen Laune oder Unart ent­

ledigt zu werden, goß ihm mit dm Worten: „Gut getroffen,

Prinz, aber ich treffe noch besser!" ein ganzes Glas voll in’« Gesicht, worauf, da sich der Prinz mit dem Empfangenen

begnügte, Oglethorpe ans einen anderweitigen AuStrag der

Sache im Falle der Annahme einer böswilligen Absicht glaubte

189 verzichten zu dürfen.

Den eigentlichen Kern seines Wesens

bezeichnet die auf ihn bezügliche BerSzeile von Pope: »Der echt« Enthusiast für Menschenwohl Sucht sie, wie Ogletborpe, von Pol zu Pol".

Jetzt zog der General nicht mehr in's Feld; er machte ein Haus, und versammelte die Vertreter und Verbreiter der

Bildung und Humanität um sich, wodurch die Tischgespräche

bei ihin eine Bedeutsamkeit gewännen, die in ihren Aeuße­ rungen einen Platz in der Literaturgeschichte verdient hätte.

Hier fiel eS Johnson schwer, sich im Sattel zu halten, und hier traf er, allerdings echt soldatisch

brüsk, und

im

Sinne eines bärbeißigen, ausgedienten Militärs, nur nicht in dem des General Oglethorpe, öfter mit dem Handgriff

der Pistole, als mit ihrer Ladung.

Es erhob sich einst eine

Debatte darüber, ob zwei Männer von Ehre, die in einem für den Charakter und die gesammte Anschauungsweise schwer in'ö Gewicht fallenden

bleiben könnten?

Punkte auSeinandergingen, Freunde

G o l d s m i t h widersprach, mit den Worten:

„DaS Verhältniß ist getrübt; ein Etwas steht zwischen Beiden, waö die

Unbefangenheit des

Auftretens ausschließt.

Man

wird, — wie im Märchen vom Blaubart die Fran in jedes Zimmer gehen darf, nur in das eine nicht, — im angezogenen

Falle jeden Gesprächsgegenstand berühren, den einzigen aus­ genommen, den der Reiz des sich Verbietenden, und hier das

Verlangen, zu überzeugen, oder überzeugt zuwerden, zum einzig wünschenswerthen erhebt.

Dadurch muß, wie ich meine, der

Verkehr zuerst unsicher sich gestalten, dann mißtrauisch, zuletzt zum Bruche führen".

Johnson fertigte ihn kurz ab: „Ich sage nicht, daß Sie bei einem derartigen Umgang Freund bleiben können, ich

190

aber kann es!"

Goldsmith wird ihm diesen Vorzug nicht

beneidet haben. Der Sommer 1772 fand Goldsmith in der Nahe der Hauptstadt, auf der Straße nach Edgeware, beschäftigt mit der sich langsam abwickelnden Naturgeschichte, die, an­

scheinend endlos, seine gute Laune eben so wenig beeinträchtigte, als die Energie,

womit er ihr neues Interesse und neue

Standpunkte abgewann.

Zwischendurch stattete er den schon

auf voriges Jahr versprochenen Besuch bei Sir Nennet Langton ab, ober ohne Reynolds, und ohne sich an die

in Aussicht gestellte Zeitdauer zu binden. Nach London kehrte er in einen stürmischen, ihn auf-

regendm und aufreibenden Winter mit einer localen Krank­ heit im Keime zurück, die sich ebm so wenig ertragen, nennen läßt.

Er scheint die

nahe Auflösung

geahnt

als zu

haben, und warf sich in die ihn weniger lockende, als von sich ablenkende Welt mit einer Art wilden Humors, der die

Freunde nicht derart hätte täuschen sollen, daß sie ein tiefer-

wurzelndeS Bedürfniß, das lärmendste Leben aufzusuchen, mit dem sinnlichen Hange nach bunten Zerstreuungen verwechselten.

Vielleicht wäre er, in den ihn bestimmenden Anlässen nicht verkannt, mannigfachen Demüthigungen entgangen, die Bos­

heit, imb, auf den ersten Blick berechtigter Unwille, ihm Wohl­ wollender ihm nicht ersparten.

DinerS,

Clubs,

Theater,

RoutS, ästhetische Theetische füllten seine Zeit aus, nicht sein

dadurch ohne Inhalt gelassmeS Leben.

Doch bot dies aus

sich Heraustreten, was in gesteigerten Erscheinungsformen im

Zirkel der MrS. Thrale ihm den Beinamen d«S „roUben

Irländers" zuzog, ihm daS Mittel dar, sich der Außenwelt

gegenüber fester zu stellen, und sie, leider bald genug, von einem Verluste zu überzeugen, der auch in umgänglicher Be-

191 ziehung unersetzlich bleiben sollte.

Einzelne Züge seiner Hand­

lungsweise verrathen das beste Herz, und eint fast erschütternde Arglosigkeit der Gedanken.

Für Redouten hegte er besondere Vorliebe, die sich psy­

chologisch dadurch erklärt, daß er bei derartigen Anlässen sich vorübergehend den anderen

gleichberechtigt

wähnm

konnte.

Die Larve, außerdem, daß sie zu den an ihm verspotteten Farben geradezu aufforderte, gab ihm auShülfSweise das Ge­

fühl der Unbefangenheit des Auftretens zurück.

So lange

die Vermummung dauerte, war, wie im Alltagsleben, keiner häßlicher, als er, aber auch keiner schöner.

Nur verrieth er

sich durch ihn kennzeichnende Aeußerlichkeiten in Gang und

Sprache auch mit der Maske, so daß er selbst unter ihrem

Schutze dem Scherz, Spott und Hohne nicht entging.

Mau

schmähte seine Schriften, oder lobte sie in der übertriebenen Form, die ebenfalls schmäht, citirte ihn falsch, gab ihm auch wohl zu verstehn, er hätte sich nicht zu maSkiren gebraucht,

und vertrieb ihn zuweilen durch taktlose Kränkung auS einem nicht beleidigender Lust gewidmeten Orte.

Machte er seiner­

seits unbehülstiche Versuche, andere zu necken, so drang er nicht durch.

Eine weibliche Maske, die er, ohne sich für er­

kannt zu halten, mit einigen Wortwitzen bedacht zu haben

glaubte, worüber er selbst hell auflachte, erwiderte mit feinstem

Verständniß seinen eigenen VerS: „Da- laute Lachen zeugt von leerem Geist!"

Der erschrockene Dichter

wurde

verstummte.

ihm die -Steigung für

Gründlich

verleidet

Maskeraden durch folgende,

anonym ihm zugesandte Strophen:

192 An Mr. Goldsmith alS ich ihn in der Zeitung auf der Namensliste der MaSken von der letzten Redoute vermerkt vorfand.

„Was sind's doch für veränderte Gestalten, Die Weisen unsrer Zeit, und die der alten? Die Griechen suchten Weisheit fortzupflanzen; Die neuen Weisen, größre Thoren, tanzen. Sprich, Goldsmith, der sich ganz auf Weisheit warf, Du Genius, dessen unsre Zeit bedarf, Ist unser Pantheon Deine Hippokrene, Und setzest Du die Weisheit dort in Scene? Trieft irgendwo von Wohllaut Deine Lippe, Jst's in Soho. Dort fließt die Aganippe, Wo Bickerstasf, das B-------- st, und Schwätzer Kelly Verschlingen Leckerein und Vermicelli. An Dir ist einzig Wahrheit, was ich rüge; Der Beifall, der Dir wurde, ward zur Lüge. Sind das die „Segnungen, die uns umlachten, Die Philosophen kalten Blicks betrachten? Die schlichten Freuden, groß doch für Geringe?" Ein Weiser ist das kläglichste der Dinge!"

Damit

war

der arme

Dichter

aus einer

Welt des

Scheines vertrieben, in die er sich vor der unbarmherzigen Selbstsucht der Wirklichkeit dann und wann gerettet hatte. Wer wird in diesem Bild nicht Kenrick sehn, Voll süßen Weins, voll Haß, und voll Ideen?"

Unmittelbar nach diesem Mißlaut rief ihn ein anderer

Klang tröstend und lockend in das freundliche Barton. Mrs. Bunbury schrieb ihm, er möge die Weihnachtstage daselbst

zubringen.

Der

Verkehr mit der liebenswürdigen Familie

193 war geeignet, Goldsmith für Alles, waS sonst feindselig

ihm gegenübertrat,

zu entschädigen.

Der Charakter dieses

Briefes der für seine Erheiterung besorgten Dame erhellt aus

vermuthlich

nachfolgender,

Tonart

dieselbe

anschlagender

Antwort:

Madame!

„Ich laS Ihren Brief mit

der möglichsten Nachsicht,

die eine gewissenhafte Kritik einränmen darf, finde aber, Alles in Allem erwogen, so unendlich viel auSzusetzen, daß ich eine

Ich bin nicht

ernste Erwiderung mir nicht ersparen kann.

so unwissend, Madame, als daß Ihre Sarcadmen und So-

löcismen mir entgangen sein

sollten.

Solöcismus ist ein

griechisches Wort; in Attika lag das von Solon erbaute und nach ihm genannte Soloi,

woselbst die Leute in derartigen

Verstößen gegen die Wortfügung und Reinheit der Sprache, die in ihren Einzeläußerungen immer den gedanklichen In­

halt decken muß, etwas leisteten. Daher der Name! Aehnlich, wie wir einen gewissen Gardinenstoff Kidderminster nennen;

vom

Orte

der

Fabrikation.

Aber

genug davon!

Sie

brauchen keine Gardinenpredigten! Ich behaupte also, Madame,

Ihr Brief ist sarcastisch! Sie beginnen: Nicht wahr, guter Doktor, Sie fommen, und zwar Ihm sammtgrünen Frack? — er ist schön, es ist wahr! — Und eröffnen in ihm unsern Ball am Neujahr! Wann und wo, um GotteSwillen, hat man einen Doktor „gut" geheißen?

diger,

edler

richtigen Alles

Doktor,

Gleichgewichts

könnte

passiren,

an's Handwerk anlehnt.

ist nichts Gutes!

weiser, wür­

Gelehrter Doktor,

freundlicher unter weil

der

es

Wiederhersteller

des

Menschheit! —

das

mehr

oder

Aber guter Doktor?

weniger

Ein Doktor

Dann erwähnen Sie meines Frühlings13

194 fracks, und rathen mir, ihn

am Neujahrstage zu tragen. mitten im Winter.

Meinen schönen grünen Frühling-frack

Wenn das kein SolöciSmuS ist! nennen Sie mich einen Beau.

An einer andern Stelle

Ich ein Beau?

weder bin ich einer; dann brauche

ich

Oh!

Ent­

den Frack nicht zur

Aushülfe; oder ich bin keiner; dann bedarf ich des Frackes,

weil ich keiner bin, — kein Beau nämlich!

Aber es kommt

noch besser. .In schöner Perücke, gepudert und neu, Zu walzen mit Mädchen, die machen daS Heu."

Den Unsinn, um Weihnachten zu heuen, scheinen Sie selbst zu ahnen,

wird lachen!"

indem Sie hinzufügen:

„Meine Schwester

Die Römer bezeichnen eine Art Spottlachen

mit „naso contemnere adunco“; so mag Miß Mary lachen,

mit krummer Nase; — denn Sie verdienen classisch auSgelacht zu werden — und Sie mögen mit langer abzieh'n! Zuletzt, und das

ist daS Empörendste, ermahnen Sie mich, Ihrem und Ihrer Schwester Rath zu folgen, wenn wir Loo spielen.

Diese An-

muthung ist so naiv beleidigend, daß mir die Worte ermangeln;

ich muß mich also in Versen rächen. macht den Dichter!

Sie wissen, der Unwille

Ich Rath annehmen? Und von wem?

von Ihnen? Und wofür? Für'S Loo?

Hören Sie gefälligst:

Sie haben Gesellschaft? Ich komme hinzu; Sie luden mich gütigst. .Zum Spiele, zum Loo!" Erwartungsvoll Alle „Beginnen wir; bitte!" Man schielt nach dem Einsatz; er liegt in der Mitte. Die Äerttn gegeben! die And'ren bekamen Wa» Bess'reS, als mir ward'. ES flieh'n mich die Damen. „Mein Beitrag, hier ist er!* Ich habe kein Glück. Sie lachen. Ach, hätt' ich den Einsatz zurück! Noll, nimm Dich zusammen! Behutsam und schlau Berech'n ich die Chancen der Andren genau.

195 »Wer wagt was? Ihr sitzt ja dem Glücke im Schooß; Spielt aus! En avant." — Alles still. — „Schießt mal los!"

Vergebens bered' ich den Kühnen, zu wagen; Er zaudert; vergebens befeur' ich den Zagen. Sie glauben, ich hätte die Asse gefaßt.

„Was thut Mr. Bunbury?"

„Bunbury paßt!"

„Miß Horneck, Sie werden die Segel nicht streichen; Was thun Sie, Miß Horn eck?" „Ich passe desgleichen!"

„Sie Mrö.?"

„Ich passe!"

Jetzt schelt' ich, und wie;

Eö hole der Henker die Ceremonie! Doch innerlich nur; vor der Welt bin ich ruhig.

„Sie passen, Sie Alle? Unmöglich!"

WaS thu' ich?

Der Einsatz von Münzen, auS allerlei Arten, Er winkt so verständlich.

„Ich bitte, fünf Karten!"

„Brav Doktor!" so schrei'n sie.

„Nun seid aus der Hut!

Der Einsatz ist reich, nnd der Doktor spielt gut!"

Der Beifall verwirrt mich; ich werde betreten;

Man sieht mir in'ö Spiel, wird um Auskunft gebeten; „Was thu' ich, Madame, werf' ich den oder diesen?"

„Nein, den!" Ich riSkire, worauf sie gewiesen; Man trumpft ihn. Wie ward ich gelockt in den Sumps, ich, „Ich Esel! Sir Bunbnry, diesen!" „Den trumpf ich."

Ich spiele und spiele; riSkire, riSkire: „Myladys, verloren! Mein Geld ist daö Ihre." Welch schmähliches Ding ist das Spiel! Und ein Spielding

Für Gauner sind Karten! Ihr seid was für Fielding,.

Ja so, der ist todt!

Doch, wo nun mich beschweren?

Im Spiele zu täuschen, und Taschen zu leeren,

Ist Diebstahl, ist Raub! Ihr gehört in die Zeitung; Und darauf steht Tod ohne Pfarrerbegleitung

Ihr kommt nach Old Bailey.

Bald seid ihr gewesen!

Die Sitzung eröffnet; die Klage verlesen! Dann geht eS den Rechtsgang mit allem Decorum.

„Beklagte, ihr sitzt so verschleiert da.

Worum

Ich bitten muß, ist, daß ihr ablegt die Hüte!"

So läßt sich der Richter vernehmen voll Güte. Die Hörnecks gehorchen; der Richter, geblendet, 13*

196 Verhört: »Ihr Verbrechen?" .Sie haben cnttoenbd !" „Wer ist der Beraubte, wie heißt er?" „Ein Doktor!" „Hier dieser, der aussieht, als wär' er - - Hier stockt er. „Derselbe!" „Nun, das überrascht mich! Erkennt in Den beiden wohl einer die — die DelinquentinZwei schvn're Verklagte, ich muß es gestehn. Die hab' ich noch niemals im Leben gesehn!" — Die Freunde umringen mich, bitten um Gnade, Sir Charles nist: „Warum sie verurtheilen? Schade! Man muß ihre Jugend, Herr Doktor bedenken!" „Jung sind sie an Jahren, erfahren in Ränken!" — „Wer so sich durch Schönheit zur Nachsicht empfiehlt" — „Was hilft mich die Sch önheit, Sir Charles, wenn sie stiehlt?" „Ihr Starrsinn, Noll ist er gerecht, ist's Ihr Hohn?" „Ich will ihre Strafe, das heißt ihren Lohn!" „Sie könnten Beklagter, statt Ankläger sein; Dann würden — jetzt knien sie. Sir, sind Sie von Stein?" „Nein nicht mehr, ich seh', daß sie Reue entfalten; Bezahlt mir zehn Pfd. denn, zehn mögt Ihr behalten."

Antworten Sie darauf;

ausreichte.

schossen.

Sie können

nicht.

DaS muß

noch sagen,

daß — mein Bogen nicht

Meine Pfeile dagegen

sind noch lange nicht ver­

ich Ihnen aber

doch

Den Rest gebe

ich

in Barton, mündlich,

Ihnen

nächste Woche. O. G.

Goldsmith war

durch mannigfach zusammenwirkende

Umstände in eine Schuldenlast gerathen, die ihn zu erdrücken drohte; er hatte auf die Annahme seines Stückes in Covent-

garden

gerechnet;

aber

das

Jahr

1772

verstrich

im

ver­

geblichen Harren; sodaß er endlich nicht mehr umhin konnte, in

einem Briefe,

dessen

Hauptinhalt

sich

in den

Worten

Bühnenerfolg und Geldverlegenheit wiederholt, Colman an

197 sich zu erinnern; eine falsche Taktik, die den eigensinnigen Mann nur bestimmte, ihn noch länger im Ungewissen

zu

lassen; vielleicht, um ihn später desto billiger zu bekommen. Goldsmith, gedulderschöpft, verzichtete endlich auf die Dar­

stellung, und bot das Lustspiel Garrick an; von dem er es aber schon TagS darauf zurückforderte in Folge des während

dem durch einen Besuch Iohnson's bei Colman in Form

einer Zwangsannahme bewirkten Wunders eines Wechsels der

Sinnesweise des Direktors Angelegenheit.

in Bezug

auf Goldsmiths

Colman ließ einstudiren; wobei er zugleich,

was ihn noch mehr bloSstellte, sich dermaßen geringschätzig über die Novität äußerte, daß zwei Schauspieler, unter deren Mitwirkung da- Stück ungefährdet

ihre

erschien,

Rollen

abwiesen. Ein glücklicher Zufall

arbeitete Goldsmith in der

Stimniung des Publikums vor.

Damals lief in

London

Alles zu den Fantoccini, italienischen Marionetten, die mit manchen lebendigen an

rivalisirten.

beiden Haupttheatern

glücklich

Foo te gerieth auf den Einfall, der eingerissenen

Geschmacksmanie für weinerliche Vorgänge auf der Bühne dadurch entgegenzuwirken, daß er ein unwahres Gefühlsleben durch unwahre Darsteller vertreten ließ; er führte also ein zu diesem Zwecke

vorzüglich sich empfehlendes Rührstück in

der barocken Neuerung den Londonern vor, und gewann einen

vollständigen Erfolg.

Die Sentimentalität wurde todt gelacht.

Am 15. Februar hatte „die schöne Zofe" oder „Frömmigkeit in Ueberschuhen" siegreich durch Marionetten triumphirt; am 15. März errang Goldsmiths Lustspiel die unbestrittenste

Anerkennung. des Titels.

Lange schwankten die Freunde

in der Wahl

Einer schlug „das vermeintliche Wirthshaus"

als passendsten vor; ein anderer „Mädchenlist".

Schließlich

198 führte das vermeintliche Wirthshaus* durch MLdchrnlist zu „nächtlichen Mißverständnissen". Dabei blieb es. Unter diesem Namen und'mit dem Nebentitel: „Sie sucht zu gefallen" wurde die auch von Schröder mit Glück auf die deutsche Bühne verpflanzte liebenswürdige Schöpfung das Saisonstück der englischen. Trotz Colmans Betheuerungen, die nächt­ lichen Mißverständnisse taugten nichts, trotz vernichtender Kritiken, trotz der boshaft »ertheilten Rollen, trotz schmutziger Decsrationm, wie sie heutzutage nur an Hofbühnen bei classischen Werken geduldet werden; ja sogar trotz einer bedenklichen Unwahrscheinlichkeit in der Anlage deS Lustspiels selbst, gefiel eS in den Wiederholungen je mehr und mehr. Mit dem BerlagSrechte machte Mr. Newberv für den der­ einst zum Zwecke der ersten Reise nach Barton gewährten Vorschuß sich überreichlich bezahlt. Wie sehr GoldsmithS Sieg, der unbewußt durch Colmans unverständliches Gebühren Parteinahme wurde, die Gemüther beschäftigte; bis zu welchem Grade er als fanatisch verfochtener und angegriffener Gegenstand der TageSdiScussion — die Gereiztheit auf beiden Seiten steigerte: ist noch auS den Lokalblättern jener Zeit ersichtlich, die an po­ lemischer Poesie unter Anderem folgende Beiträge brachten:

An George Colman, Esq. Bei Gelegenheit der Erfolgs der neuen EomSdie de- vr. Goldsmith.

Ob sich „she stoops to conquer“, hält?

Der Schein, Verehrter trügt.

Dies Stück von Oliver gefällt; Das folgende genügt.

• In verwässerter Benutzung als „£otel Wiburg" auf den deutschen Bühnen noch nicht ganz überwundene Reliquie von Clauren.

199 Ein spätres Machwerk, wett' ich, rächt Dies übervolle Haus. Besetze nur die Rollen schlecht,

Und statte lumpig auS!

Schreibt dann

noch Kenrick den Prolog,

Wie er'S zu thun verhieß, Kommt nicht Novität en vogue,

Und Noll um'S Benefice. Hilft alles das nicht — nun, dann bannst

Du nur noch so das Glück: Du lieferst Bess'reS, wenn du kannst,

Und schreibst sein nächstes Stück.

Ein anderes „Eingesandt" lautete: „Man sagt, die „mißverstand'ne" Nacht, Sie sei vom Publikum belacht;

Doch Cumberland und Kelly meinen,

ES sei ein Lustspiel mehr zum Weinen. Lache doch, Weiser!

KellyS Lustspiel mehr zum Weinen „Falsche Scham"

war allerdings seit Goldsmiths Triumph repertoirunfähig

geworden. Folgender Brief beweist, daß „plötzliche Unpäßlichkeiten"

und „eingetretene Hindernisse" nebst dem traurigm Anhänge von Laune, Kabale und Intrigue auf den

weltbedeutenden

Brettern keine Errungenschaft der Neuzeit sind:

Werther Sir! „Das Stück ist über Ihre und meine Erwartung aus­

gefallen.

Besten Dank für den Epilog; ick konnte ihn nicht

benutzen; er soll aber, mit Ihrer Erlaubniß, gedruckt werden.

200 Vernehmen Sie die ganze Geschichte!

Murphy sandte mir

einen, unter uns, äußerst oberflächlich gehaltenen, aber, weil zum Gesang bestimmt, in dieser Eigenschaft unschädlichen, Epilog

für Miß

Catley.

Sie war einverstanden.

erklärte MrS. Bulkley,

spielen zu wollen,

Darauf hin

die Liebhaberin im Stück, nicht

wenn sie nicht auch den Epilog spreche.

Ich ergriff den Ausweg, damit jede zu ihrem Rechte komme,

zu diesem Zwecke eine Zankscene zwischen beiden Damen zu schreiben, worin die Eine sang, die And're sprach.

die Catley zurück.

Nun trat

Einen dritten Epilog, den ich mir nun

für Mrs. Bulkley noch abrang, fand Colman ungenügend,

und der vierte, den sie wirklich gesprochen hat, ist der schlech­

teste von allen.

Wie

konnt' ich auch, nach dem Vorher-

gangenen, noch mit geistiger Freiheit schaffen? leider zu spät

Den Ihrigen,

sind

eingetroffenen, eingerechnet,

also fünf

Epiloge vorhanden, von denen der überflüssigste zur Ver­ wendung kam.

DaS ist Anfang — und Ende meiner Bühnen­

erlebnisse; denn, wiewohl ich auf drei Benefice mindestens rechnen kann, halte ich doch den pecuniären Gewinn für zu

theuer erkauft durch Einbuße an meiner Moral und Gemüths­

ruhe; und

Für ein Gebiet die Bretterwelt, Worauf sich kein Honetter hält. Leben Sie wohl, Theurer! O. G. P. 8.

Empfehlen Sie mich Ihrer Frau, MrS. Cradock!

Nicht, daß Miß Catley nicht

singen wollte, recht­

fertigt sich; aber was zu singen ihr zugemuthet wurde, war für eine Miß denn doch etwas — mißlich.

Mäßigungen hätte

Mit einigen

dieses Zankduett noch lebhafter

gewirft,

201 als das matte Selbstgespräch, womit, int Widerspruche zur

Gegenwart, das recitirende Schauspiel über die Oper schließ­

lich den Sieg davontrug. Der dem Stücke vorangegangene Prolog rührte von Garrick her, dessen Beziehungen zuGoldsmith seit ihrem

Zusammentreffen in Barton

den Charakter einer neidlosen

Theilnahme angenommen hatten.

Er lautete folgendermaßen:

Mr. Woodward tritt ein, im schwarzen Anzüge; er HLlt da- Taschentuch vor den Augen. Verzeihung. Sir-, wenn ich bestürzt erscheine! Kein Wunder! weil ich wochenlang schon weine!

Ich traure nicht. — ein äußerlich Beginnen —, Nur in der Kleidung, nein, ich traure innen.

Ihr fragt nach meinem Schmerz? Vernehmt die Kunde: SirS, die Komödie stirbt, sie geht zu Grunde.

Das hat die Thränen mir in'S Aug' getrieben;

Sonst wein' ich nur, als Mime, nach Belieben. Ich werde meinen Nahrungszweig verlieren; Wär'S noch der Kopf! der läßt sich restauriren!

Bedenkt die heit're Herrschaft von Thalien;

Wie wir sie pflegten, und durch sic gediehen.

Nicht brauchen, liegt sie in den letzten Zügen, Ich, — mit mir Shuter —, Trauer zu erlügen. Fast fürcht' ich, alle Hülse kommt zu spät;

Sie stirbt an der

(schluazend) Senti — menta — litat!

Wie wird's dem armen Ned und mir ergeh'n, Die Griechisch nicht, noch sentiments versteh'n? Wir hatten Unglück, Nerven zu erlangen,

Bei denen die Gefühle nichts verfangen; Und jede abendliche Thränenfluth

Vertilgen wir, und sie bekommt uns gut. Uns machen, wenn Thalia uns verläßt,

Nicht Thränen wieder flott; wir sitzen fest. Ich muß moralisch werden.

Ein Versuch

202 Sei gleich gewagt! Blick' ich so starr genug?

Leg' ich die Stirne so genug in Falten? — Ihr seht: ich kann auch etwa- auf mich halten!

Gesichter sind der Stein der Niobe In Musterscenen voller Ach und Weh!

Doch müßt Ihr nicht Moralität nur schaun, Nein, auch vernehmen! Hört denn, Herrn und Fraun,

Hört, hört! ..ES ist nicht Alle- Gold, waS glänzt; Im Silberkelch wird bittrer Trank kredenzt;

Die Thorheit paart sich mit dem Unverstand, Und Kenntnisse ersetzen HauS und Land;

Die Tugend strauchle nicht; WaS strauchelt, fällt!

Bleib' Tugend, Tugend, wird dir nachgestellt." Ich geb' eS auf, mich tugendhaft zu machen. Nun, wenn ich tragisch werde, könnt Ihr lachen? — Von einer Kunde geb' ich noch Bericht; Die Meldung halte, was sie Euch verspricht!

Ein fremder Doktor ist hier angekommen,

Der die Comödie in die Eur genommen, Und Euch zugleich

Zum Zweck hat sein Verweilen,

Euch von Moral und sentiments zu heilen.

Entschließt Euch also, ohne „falsches Schämen", WaS er verabreicht, fünfmal einzunehmen Ihr werdet, und das Lustspiel wird genesen; Ihr dürst nur daS Recept, den Zettel lesen; Und seid geneigt, sollt' er sein Werk vollenden,

Ihm eu're Kundschaft dauernd zuzuwenden; Doch zählt Euch selber zu den Hoffnungslosen Und gebt Euch auf, verschmäht Ihr seine Dosen.

Versucht denn seinen Trank; laßt Euch herbei;

Er bietet Euch kein Gift in der Arznei.

Enthebt sein Mittel Euch nicht der Beschwer,

Verlangt für sein Bemühn er kein Salair.

Doch heilt er Euch, bekennt ihm insgesammt,

Daß er kein Pfuscher war in seinem Amt.

203 Der den Prolog sprechende Mr. Woodward war einer

der beiden Künstler, die ihre Rolle abgewiesen hatten.

Für

ihn trat Mr. Quick als Tony Lumpkin ein. Der von Mr. Cradock gelieferte, für den Darsteller deS Tony Lumpkin bestimmte, Epilog, dessen im vorher an­

gezogenen Briefe erwähnt wird, lautet: DaS Spiel ist auS; die Künstler sind gegangen. Ihr aber hegt berechtigtes Verlangen.

Was aus dem Muttersöhnchen ward, zu wissen. Ihr sollt die Auskunft auch nicht lang vermissen.

Ihr seh't, nach London hab' ich mich begeben. Und will hier, waS mich London lehre, leben.

Cousine Neville, ich verzichte nett, Und wähle mir zur Frau die dicke Bet.

Waö sollt' ich nicht die große Welt vermehren? Ich kann ja jährlich 1000 Pfd. verzehren.

Und hätt' ich sie auch nicht, waS schadet's, wie?

Hier sieht man nur auf Geist und auf Genie. Bald werd' ich hier vom Jockeyclubb ein Glied,

Und Betty spricht mit jedem, den sie sieht.

NachtS geb' ich Bälle, lenke TagS mein Gig, Und meine dumme Bet, die bleibt hier dick;

Besuche Sadler'S-Well, und ebenso Die Oper, und das Roratorio;

Ich mache Wetten, kaufe mir Dan Dyks, Und lebe sans fa$on und fashionlikeS. Auch werd' ich nicht ermangeln, den Aucttonen,

— Ich habe Geld — meistbietend beizuwohnen. So zeig' ich Euch — ich gründe auch Museen —,

Daß wir verdammt genteel zu sein verstehn.

Der vierte Band der 1779 erschienenen „Collection of

Prologues and Epilogues“ 4 vols. enthält daS charak­ teristische Bildniß der Mrs. B ul kl ey in Lebensgröße in dem

Costume, worin sie als Miß HardcaStle den Epilog zum

204 im Rede stehenden Stücke sprach. Miß Wilford, starb 1792.

MrS. Bulkley, früher

Sie war trefflich als Lady

Racket* Eigenthümlich klingt da- Urtheil eines deutschen Zeit-

gcnoffen über die erste Aufführung deS Lustspiels in Wien. In „Schröders Leben" von Meyer wird darüber mitgetheill:

„Am 3. Julius** ward zum erstenmal gegeben.

„Irrthum auf allen Ecken"

ES ist eine Bearbeitung der Gold-

smith'schen „Mißverständniffe einer Nacht", die überall ge­ fallen hat.

Der Sittenlehrer mag zufriedener mit ihr sein

als mit dem Urbilde.

Die innere lebendige Regsamkeit und

Wahrheit der Charattere scheint Land und Form seines Ur­

sprungs zu begehren. An diesem Abende besuchte Leopold,***

Großherzog von ToScana, das Kaiserhauses

Schauspiel, der einzige des

welcher Schrödern

noch

nicht gesehen hatte.

Dessen Wensky war eines solchen Kenners nicht unwürdig;

aber Schröder wäre würdig gewesen, die Blicke desselben durch höhere Entfaltungen feiner Kunst zu beschäftigen."

Bereits 1773

war das Stück in Hamburg unter Mit­

wirkung von Schröder als Wen Sky und seiner damals noch

lebenden Stiefschwester Charlotte Ackermann als Frl. Wensky (Miß Hardcastle) zur Darstellung gelangt.

Maria Magdalena Charlotte Ackermann war am 23.

August 1757 zu Straßburg int Elsaß geboren; und starb am 9. Mai 1775 zu Hamburg in Folge eines Sturzes vom

Pferde.

Sie blieb der deutschen Bühne unersetzt.

Der ernste AuSgang der Zeitungspolemik in

Gold-

fmiths Angelegenheit spielte sich nicht in den Blättern selbst ab, sondern im Redaktionslokale.

Ein Artikel hatte gelautet:

• In .,WaS uns Allen bevorsteht!" von Arthur Murphy. ♦* 1784. **• Der spätere Kaiser, Bruder von Marie Antoinette

205 Für s Londoner Paket. Herrn Dr. Goldsmith.

nVou8 nouB voyez par vanitä.“ Sir!

Die glückliche Gewandtheit, die Sie entwickeln, Ihre

Sachen anzubringen, zwingt mir

einige Bemerkungen ab.

Man erkennt, Sie waren Redakteur, Sie verstehen den literarischen Humbug; aber der Schleier, in den Sie Sich einzuhüllen belieben,

Klumpfuß nicht.

verbirgt Ihr Affengesicht und Ihren

Diese letzten Gegenstände gehören zu Ihrem

Bedauern keinem anonymen Individuum, sondern dem be­ rühmten Dr. Goldsmith.

Ihre poetische Eitelkeit ist eben

so unverzeihlich, wie Ihre persönliche.

Welcher Mann wird

es glauben, welche Frau entschuldigen, daß der große Gold­

smith seine Orangoutanggestalt stundenlang im Pfeilerspiegel betrachtet? Sähe doch die liebenswürdige H. den in

seine

Person verliebten Dichter mit beffen eigenen Augen an, er würde nicht vergebens seufzen!

ist abgeschmackt.

Ihre Gngebildetheit, Sir,

Und worauf eingebildet?

Ihr „Wanderer"

ist ein Vagabund mit freiheitsfeindlichen Grundsätzen; Ihr „guter Mann" ein Schafskopf; Ihr „verlassenes Dorf" sind hübsche Verse ohne Phantasie, Würde, Schwung; und Ihr letztes Lustspiel ist ein Gemisch von Unnatur und Verstößen

gegen dramatische Regeln.

Zwei junge Männer gerathen in

das Haus eines wohlhabenden Mannes, essen, trinken daselbst, glauben und benehmen sich, wie in einer Schenke.

Der eine

verliebt sich in die Tochter, hält dieselbe Tochter in einem

anderen Kleide für die schielende Kellnerin, ist grob gegen

den Hausherrn und will ihn hinauswerfen; der Sohn be-

206 redet die Mutter, ihr eigener Mann roottfr sie umbringen, sc daß sie einen ganzen Akt

verbergen muß;

während

hindurch sich hinter einen Busch der Dauer

eines anderen Aktes

kutschirt er sie, unter dem Vorwande, mit ihr zu reisen, um

ihre eigenen Besitzungen herum; nur, damit seine Cousine in­

dessen Zeit

gewinne,

mit

ihrem

Liebhaber

durchzugehen.

Kurz, die Handlung wimmelt von Unwahrscheinlichkeiten; die Person, von der uns geradezu gesagt wird, sic sei ein Narr,

ist die vernünftigste int ganzen Stück; und die einzige ver­ nünftige Scene diejenige, wo der eine junge Mann der Frau

vom Hause ihre eigenen ihr entwendeten Juwelen zurückgibt, in der Meinung, sie seien bei der Wirthin, wofür er sie hält,

am Besten aufgehoben.

Und ein solches Machwerk, von dem

Mr. Colman mit Recht nichts wissen wollte,

ist jetzt en

vogue; eS zu sehen, gehört, trotz deS schlechten

TonS, der

darin herrscht, zum guten Ton; Jeder erklärt nach der Vor­ stellung: eS sei dummes Zeug, in seiner Art eben so ab­

geschmackt, wie HomeS Tragödie „Alonzo" in der ihren. Mr. Goldsmith,

bessern

Sie Ihre Arroganz; Sie sind nichts,

als der gewöhnlichste Mensch, und der mittelmäßigste Autor. Brise le miroire infidMe Qui vous cache la vöritti.

Tom. Tickle.

Goldsmith hätte, sich allein veranschlagt, wohl auch

diese „Schleuder des wüthenden Geschicks" verschmerzt; Miß HorneckS mißbrauchter Name aber veränderte die Sachlage. Er ging demgemäß,

begleitet von einem Capitän, ebenfalls

Irländer, zum Redakteur deS ihn verläumdenden Blattes, von dem

er

den

Verfasser

deS

Artikels

EvanS schützte Unkenntniß vor.

zu

wissen

verlangte.

Go ldsmit h belehrte ihn,

207 Persönlichkeiten gegen Damen seien niederträchtig, und wurde

im nämlichen Augenblick auf einen Wink deS CapitänS aus seine Weise persönlich: d. h. mit Hülfe seines Stocks.

Der

Angegriffene wehrte, der Angreifer erhitzte sich, Beide leider bis zu dem Grade, daß selbst die im Verlaufe deS Kampfes

getroffene Hängelampe durch ihr vermittelnd herabträufelndes

Oel, womit jeder gleichmäßig bedacht wurde, die Gegner nicht zu trennen vermochte.

Endlich

trat Kenrick, der wahr­

scheinliche Urheber des Pamphlets, aus

dem Nebenzimmer,

unterbrach das Gefecht, und entfernte mit einem Blicke des

Dankes auf Evans, der ihm die Tracht Schläge, ohne das nächste Anrecht dazu, bereitwilligst abgenommen hatte, den wüthenden Goldsmith, setzte ihn draußen in einen Wagm,

Der Dichter wurde wegen

und ließ ihn nach Hause fahren.

der Selbsthülfe vielfach getadelt; zu deren Vertheidigung er

am 31. März

1773 einen Aufsatz im Advertiser einrücken

ließ, worin er, wie bei Evans, mit schlagender Beredsamkeit ausführte, daß eine Presse, die in ein unbescholtenes Privat­

leben verdächtigend eingreift, ihren Namen rechtfertige, nicht

aber ihre Mission, und daß ein einer solchen Presse gegen­ über

in einem

solchen

Falle

passiver Staat

durch diese

Passivität zur Selbsthülfe, die für ihn eintritt, von vorn­ herein stillschweigend aufgefordert habe. GoldsmithS zerrüttete Gesundheit war Vorfällen dieser

Art nicht mehr gewachsen. der

Zunächst äußerten sich die Folgen

rückwirkenden Kraft derartiger

Auftegungen in tiefster

Niedergeschlagenheit des Gemüthes, woraus er sich gewaltsam aufraffte, weil da- tägliche Leben mit seinen Bedürfnissen und Opfern auffordernd an ihn herantrat.

Er war, trotz aller

Abzahlungen, aller Einschränkungen, überschuldet.

Eine um­

gearbeitete Schulausgabe der englischen Geschichte war aller-

208 dings eine Schuld, aber auch eine Einnahme weniger.

Er

verfiel nun auf den Riesenplan, eine Art ConversationSlexicon der Künste und Wissenschaften herauSzugeben.

Die Freunde

versprachen Beiträge; B u r k e einen Essay über das Schöne und Erhabene; Reynolds über das Malen; Garrick über die

Mimik; Dr. Burney über Musik; Johnson über ethische Gegenstände.

Die Buchhändler hatten zwar Vertrauen zu

der Zugkraft

der

ihre Betheiligung verheißmden

Namen;

desto bescheideneres aber zu Goldsmiths Ausdauer für die Uebernahme eines so großartig, angelegten Unternehmens.

In

Rücksicht dessen unterblieb die Sache, und Goldsmith litt

unter den Folgen seiner Indolenz noch am Abende seines LebmS.

„Morgen, morgen, nur nicht heute!" war sein steter

Wahlspruch gewesen. Ein Versuch, bie Regierung zu seinen Gunsten zu stimmen, die für dürftige Schriftsteller aus einem Staatsfond sorgte,

mißlang, weil er in den aufregenden Tagen der JuniuSbriefe

daS

Organ

des Ministeriums

in

den Leitartikel»»

offiziellen Zeitung zu werden verschmäht hatte.

einer

Ihn kränkte

Nichts zu erhallen, als daß Dr. Beattie, der unter dem Tittel eines Essay übe/ die Wahrheit die über­

weniger,

lieferte Religion gegen ihre Gefährdungen durch Voltaires

scharffinnige Zweifel ungeschickt, aber donnernd vertheidigte, mit dieser Wahrheit ein so gutes Geschäft machte, daß sie

ihm nebenbei die dem Dichter des „Wanderer" abgeschlagene Pension unerbeten eintrug.

Er konnte eS Reynolds, der

vor dem Mann Gottes mit der ganzen Stadt, den König an der Spitze, im Staube lag, nicht vergeben, Beattie in

Lebensgröße zu malen, in der Doctorrobe, den Essay über

die Wahrheit unter dem Arm, und den Engel der Wahr­ heit an der Hand; während vor ihm der Teufel in Voltaires

209 Gestalt die

ergriff.

Flucht

Johnson,

bei dem er sich

über BeattieS Bevorzugung aus dem Grunde beschwerte,

weil jener nur ein Buch, er, Goldsmith, deren so viele

geschrieben habe, antwortete:

„Eine Guinee ist eine Guinee,

und 41 Schillinge sind auch eine Guinee". Goldsmith mußte, so wohl ihm auch ländlicher Auf­

enthalt gethan hätte, sich

für diesen Sommer Landluft aus

Geldrücksichten versagen, und blieb still und fleißig in London.

Mr. Cradock, der,

um für seine

Frau einen geschickten

Zahnarzt zu Rathe zu ziehen, längere Zeit in der Haupt­ stadt verweilte, kam oft zu Goldsmith, richtete ihn auf,

und lud ihn, der

öfter abgelehnt hatte, noch am Tage vor

seiner Rückkehr nach Leicestershire wieder ein.

„Ich will zum

Essen kommen", erwiderte Goldsmith, „aber unter einer

Bedingung." „Welcher?"

„Daß ich nichts zu essen brauche!"

„Nicht so, werther Freund, Sie besinnen Sich, waS sie noch an«

ersten

möchten,

Krone und Anker." dock

ging

ab

und

damit

versehen

wir

Goldsmith stellte sich

und zu,

und

Goldsmith,

uns

aus

ein, Cra­ dem

man

nur eine Zeitung und einen Bleistift zu geben brauchte, um

ihn znfrieden zu stellen, vergnügte sich allein, so gut er konnte. Nach beni Diner war Cradock noch zu einem, mit seiner morgenden Abreise zusammenhängenden, letzten AuSgange ge­

zwungen ; ließ aber den Gast in Gesellschaft der liebenswürdigen, sanften MrS. Cradock.

Er fand Beide zusammen beim

Kaffee, als er zurückkam, und setzte sich nun zu ihnen.

Man

schien heiter, man sprach und scherzte, aber Alles war von GoldsmithS Seite gezwungen.

Als er spät fortging, be­

gleitete der Freund den Dichter, um beruhigt sein, daß er

wohlbehalten heimkomme, bis Temple Gate.

von ihm Abschied; er sah ihn nicht wieder.

Hier nahm er

210 Goldsmith wurde verschlossener, schweigsamer. Eine Schauspielerin beklagte sich bei Foo te: „WaS ist Ihr Freund für ein Mann? AlS Dichter so bezaubernd, und im Verkehr so mürrisch." „Die Musen sind aber auch ein besserer Um­ gang, als die Schauspielerinnen", entgegnete Foote. Diese Antwort, mehr witzig, als wahr, widerlegte Goldsmith selbst dadurch, daß er zum Zwecke der Eröffnung des Opern­ hauses am 20. November ein Vorspiel in Form einer Solo­ scene für die von ihm als Künstlerin wie als Dame gleich hochverehrte MrS. Jat eS schrieb. Leider ist diese Poesie, die allgemein gefiel, und alle ihm eigenen Vorzüge in sich vereinigt haben soll, verloren gegangen. Goldsmith bewahrte sie nicht auf; er hatte andere Sorgen.

Eine abermalige Einladung nach Barton zum Weihnachten mochte er um so weniger ablehnen, als er wohl fühlte, dieser Besuch würde der letzte sein. Garrick streckte daS Reisegeld bereitwilligst vor. —

DaS Jahr 1774 kam. Goldsmith, nur noch einer mechanischen Thätigkeit, keines Aufschwungs der Gedanken, wozu er für das von G a r r i ck ihm nahe gelegte Versprechen eines neuen Stückes bedurft hätte, mehr fähig, bereitete verbefferte Auflagen früherer und ftühester Produktionen vor, und machte sich an die Uebertragung einer komischen Perle der Muse ScarronS. Die erzwungene sitzende Lebensart beschleunigte seine Auflösung. Im März ging er noch auf'S Land nach Hy de, kehrte aber bald, da sich der angerathene Luftwechsel, wie er vorauSwußte, erfolglos erwies, nach Lon­ don zurück. Hier griff er nach Kräften wieder zur Feder. Seine letzte Arbeit war ein naturgeschichtliches Werk. Er bringt darin nicht viel Neues, aber daS Alte im anmuthigen Ge-

211 wände, und mit kritischem Blick für das zur Auswahl am

meistert Geeignete. Eines Abends, gegen Mitte des Monats, kam Gold­ smith, wie gewöhnlich, zu spät in den wöchentlichen Elubb.

Die auf ihn wartenden Freunde begannen zu scherzen. rief:

Einer

„Er kommt nicht!" ein Anderer: „Er ist todt!"

ein

Dritter: „Wir wollen seine Grabschrift verfertigen." Garrick

improvisirte laut: „Hier schlummert Noll Goldsmith, ein Dichter zuvor;

Er schrieb, wie ein Engel, und sprach, wie ein Thor!"

Goldsmith

war unbemerkt eingetreten;

er verstand

die Mahnung, er allein; sie hatten den Tod gerufen, und er erschien.

Goldsmith

Replik.

galt-nicht

als der Mann der raschen

Anl nächsten BersammlungSabende, acht Tage später,

dem letzten, wo er anwesend war, ließ er sein erlöschendes

Licht noch einmal leuchten: Hier liegt Edmund Burke, der das Recht uns gewann;

Kein Lob und kein Tadel erschöpfen den MannZwar sprach er gewaltig und redete frei; Doch nicht für die Menschheit, nur für die Partei. Der Genius, der Alles durchschaute und wußte,

Nicht scheut' er fich Stimmen zu betteln.

Er mußte.

Er kannte die Kunst, wie man Hörer sich preßt; Und rief man zur Tafel, so sprach er uns fest.

Gewaltig an Geist, und gewachsen den Dingen, Vermocht' er kein Ziel, auch nicht eins, zu erringen.

Zum Staatsmann gebrach ihm das weite Gewissen;

AIS Vaterlandsfreund ließ er Wärme vermissen; Verschmäht' eS, als Wihling sich selbst zu genügen. -

Zu ängstlich, zu herrschen; zu stolz, sich zu fügen, Hat er sich beharrlich durch Eins nur verrathen:

Im Hammelfleischessen erkalteter Braten.

212 Hier Cumberland! Was er geschrieben, wer kennt'S Und liebt es nicht; liebt ihn nicht, Englands Terenz?

Er läßt alle L?ute, ja selbst die gemeinen. Stet- würdig der Achtung und Liebe erscheinen;

Und Publikum sind ihm und Spieler verpflichtet, Weil gern er auf Fehler bei beiden verzichtet.

Er zeichnet, für Mängel und Schwachheiten blind, Geträumte Gestalten; nicht Menschen, die sind.

Die Fraun, selbst die Männer, sind Engel durchschnittlich;

Das Lustspiel verwundert sich, daß es so sittlich,

Und schreitet auf hohem Cothurne einher, Als hätt' es, Tragödie zu werden, Begehr. Die Narren in Rollen, in welchen sie glänzen,

Sie reden nur Narrheit mit Tugmdtendenzen;

Und wenn sich ein Schuft in's Theater begibt, So wird er in sich, so geschmeichelt, verliebt. Wo hat unser Dichter in schöpfrisHen Stunden Verweilt, und vollendete Wesen gefunden? Der gläubig auf Jagd nach den Tugenden ging; Stets viele vermuthete, wenige fing:

Er hals sich für Rollen, die Tugenden zieren, Durch immer und ewig sich selbst porttaittren.

„Hier liegt David Garrick! Beschreib' ihn, wer kann!

Ein Auszug von Allem, was adelt den Mann! Als Künstler vollendet im Können und Leisten;

An Witz nicht der Erste, doch mehr als die Meisten. Indessen, mit allen Talenten und Gabm, Verfiel er dem Schicksal, auch Fehler zu haben.

Er schminkte sich gern, ttotz der besten Kokette,

Als ob er noch künstlich erröthen zu hätte. Im Amt war Natur in der Kunst sein Bestreben;

Comödie nur spielt' er im täglichen Leben. „Ein Mann, consequent, ist die schönste Erscheinung!" So ries er, und wechselte täglich die Meinung.

Obwohl ihm freiwillig die Herzen verfielm, DaS war ihm zu billig; er mußt' uns erspielen.

213 Er hielt, wie den Waidmann die Stoben umschweifen, Sich Freunde.

„Bedarf ich Euch, darf ich nur pfeifen!*

Er lebte vom Lobe; beschritt, unersättlich,

Versagte Gebiete; ja, wurde ballettlich, Und glaubte, gefiel er in Sprüngen und Tänzen,

Sich nicht zu entwürdigen, nur zu ergänzen. —

Doch sei er gepriesen, so gut, wie gescholten! Den Thorenapplaus hat er redlich vergolten.

Ihr Kellys, ihr Kenricks, Geschöpfe der Gunst Des mächtigen Mannes; Euch hob seine Kunst.

Er hat Euch, vorm Publikum ohne Verdacht

Umdichtend, im Spiele zu Dichtern gemacht. Du Dichterzunst, die er zu schäften befliffen,

Du wirst ibn vergöttern, doch mehr noch vermissen.

Er schlummere im Frieden! Der Geist ist entflohn, Und erntet nun bessern, als irdischen Lohn

Dort, wo ihm, durch ShakspereS Umarmung gehoben, Die Beaumont'S die Kelly'S ersetzen, dort oben."

Hier schlummert Sir Reynolds! Sei Dank ihm geweiht; Der beste und weiseste Mann seiner Zeit! Im Urtheil besonnen, an Unschuld ein Kind,

War treffend sein Pinsel, sein Scharffinn geschwind. Er besserte stets, was an Mängeln gelitten,

Sein Pinsel das Antlitz, sein Umgang die Sitten Oft, sprach man vor ihm von der Kunst ohne Kenntniß, Verrieth er feinlächelnd ein besfreS Verständniß;

Und pries man Correggios mit schwülstigem Schnack,

Gebraucht' er den Hörtrichter; griff zum Tabak.

Nicht Schmeichler vermochten —

Am Freitage, den 25. März, erkrankte er energischer; hals sich, alle ärztliche Hülfe verschmähend, durch eine un­ statthafte Selbstcur; und gab endlich nur den ernstlichen Vor­ stellungen des ihn aufsuchenden Apotheker-, Mr. HaveS, und nur in soweit nach, sich nicht entschieden den Arzt zu

214

verbitten. stellte

Dr. Fordyce erschien noch spät am Abend, und

dem Kranken die Unthunlichkeit deö eigenmächtig an­

gewandten Fieberpulvers vor, ohne ihn zu einer Einschränkung

im Gebrauch deflelben bewegen zu können. Früh am folgmden Morgen, Sonnabend den 26. März fattd Mr. HaveS dm Krankm bedenklich verschlimmert; der­

selbe flüsterte ihm zu: „Ich wollte, ich hätte auf Sie gehört!" Dr. Fordyce kam, und bat, nach einem Blick auf den Leidmden, den Apotheker inständigst, Goldsmith zu über-

redm, er möge gegm die Zuziehung deS Dr. Turton keine Einwendung erheben.



Er erhob keine.

Indessen, es war zu spät; der Tod erfolgte am 4. April. Die Theilnahme in allen Ständm bei der Nachricht war

allgemein. Edmund Burke, der nie erschütterte Verstandes­ mensch brach in Thränm aus; Reynolds legte dm Pinsel fort, und konnte den Tag über nicht weiter malen.

Auch

seine Gläubiger trauerten; aber nicht wegm des Geldverlustes, sondern um den verlormen Mitbruder.

In diesem Sinne

äußerte sich der Sohn seines Schneiders, Mr. William Filly.

Zwei Näherinnen, die er beschäftigt hatte, ließen ihm sagen, er solle nur bald wieder bester werden, sie wollten gern um­ sonst weiter für ihn arbeiten. Die Wortführer der Prefle beschlossen anfangs, ihn in

Westminster beisehen zu lasten; das Bahrtuch sollte von Lord Shelburne, Lord Lowth,

Sir Josuah

Reynolds,

Sir Beauclerc, Mr. Edmund Burke und Mr. Garrick angefaßt werden.

Dieser Plan stieß auf unvorauSgesehene

Hindernisie, in Folge deren man ihn am Sonnabmde, den 9. April, auf dem Kirchhofe des Stadtbezirks beerdigte, worin

er gewohnt hatte.

Für die Vertreter der Literatur traten

215 eine Anzahl schlichter Freunde des Verstorbenen als Leid­

tragende ein, unter ihnen der Apotheker Mr. Haves.

Für's Volk hat er gedichtet; und das Volk erwies ihm ihm die „letzte Ehre". Der

bereits

geschlossene

Sarg

mußte wieder geöffnet

werden, weil die „Braut" trotz aller Gegenvorstellungen darauf

bestand, eine Locke des Dichters als Reliquie zu besitzen. Kenricks Haß verfolgte noch den Schlummernden im Grabe; er ließ in eine Zeitung drucken: Herr Goldsmith hat sich todt geschrieben; Er starb.

So geht's, wie man'S -getrieben.

Freßt, was noch nicht verfault, ihr Maden! Bekomm's euch! Er kann nicht mehr schaden!

Er hat es nie gekonnt! Später wurde eine Subscription zum Zwecke der Er­

richtung eines Monumentes veranstaltet, und Mr. NollikenS

beauftragt, eS auszuführen.

Es steht in der Westminsterabtey

im Poetenwinkel, zwischen Gays* und des Herzogs von Argyle

Denkmälern.

Ein sehr ähnliches Medaillon, umgeben von

literarischen Ornamenten, enthält es unter denselben, auf einer Tafel von weißem Marmor, eine lateinische Inschrift, deren Anfangsworte:

Qui nullum fere scribendi genus non tetigit nullum, quot tetigit, non ornavit — er ließ kein Literaturgebiet unversucht; keines, worin er sich versuchte, unverherrlicht, — am Erschöpfendsten die Wesen­ heit seines Talentes zu bezeichnen scheinen.

* Verfasser der „Beitleroper."

— Am 4. April 1774

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war Goldsmith gestorben; am

4. Juli 1776, genau 2'/, Jahre später, wurden seine War­

nungen Wahrheit.

Amerika riß sich von England los.

Mary Horn eck überlebte ihre Schwester, Mrs. Bunbury volle vierzig Jahre; und starb, vom Tode vergessen, wie vom Leben, die Alte „int verlassenen Dorf", als Wittwe

des ihr längst vorangegangenen General Gwyn, eine acht­

undachtzigjährige Greisin, im Jahre 1840. Im Leben verhöhnt, betrogen,

beginnt

verfolgt, unverstanden,

das eigentliche Leben des Dichters mit seinem Tode.

Und dieses Leben wird ein unvergängliches sein! —