Oikonomia und Ökonomie im klassischen Griechenland: Theorie - Praxis - Transformation 9783515127455, 9783515127462, 3515127453

Die antike griechische Wirtschaftstheorie unterschied - klassisch bei Aristoteles - die Haushaltung (oikonomia) von eine

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Oikonomia und Ökonomie im klassischen Griechenland: Theorie - Praxis - Transformation
 9783515127455, 9783515127462, 3515127453

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einführung
(Iris Därmann)
Orte der Oikonomia
(Aloys Winterling)
Methodische Vorüberlegungen
Zur Forschungslage
(Neville Morley)
re-thinking the ancient Economy, Once again
Antike Theorie
(Peter Spahn) Hesiods Erga und Xenophons Oikonomikos. Vergleichende Beobachtungen an archaischer und klassischer Ökonomik
(Darel Tai Engen) Reconsidering the Economy. Traditional values and philosophical theory versus public and private practice in fourth century BCE Athens
Antike Praxis
(Armin Eich) Haus- und polisübergreifende geldwirtschaftliche Beziehungen im Griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts
(Moritz Hinsch) Hauswirtschaft im klassischen Griechenland. Strukturen und Strategien
Aspekte der Transformation
(Wolfram R. Keller)
Chrematistische Poetik. Mentale Haushaltsführung in
Geoffrey Chaucers Traumvisionen
(Helmut Pfeiffer) Temporalisierung der Oikonomia. Leon Battista Albertis Della famiglia
(Birger P. Priddat) Die Oikos/Polis-Differenz als prägende Struktur der neuzeitlichen Ökonomie/Politik-Formation

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Oikonomia und Ökonomie im klassischen Griechenland Theorie – Praxis – Transformation Herausgegeben von Iris Därmann und Aloys Winterling

Geschichte Franz Steiner Verlag

Oikonomia und Ökonomie im klassischen Griechenland Theorie – Praxis – Transformation Herausgegeben von Iris Därmann und Aloys Winterling

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022 Lektorat und Erstellung der Druckvorlage: Ricarda Berthold Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12745-5 (Print) ISBN 978-3-515-12746-2 (E-Book)

Vorwort Der vorliegende Band ist aus einer Konferenz hervorgegangen, die von der interdisziplinären Forschungsgruppe „oikonomia“ des Berliner Exzellenzclusters topoi im November 2013 an der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltet worden ist. Die Forschungen der Gruppe hatten u.a. das Ziel, die these einer Dominanz der Ökonomie in der Moderne historisch zu reflektieren. Thema der Tagung waren das Wissen und die Strukturen von ‚wirtschaft‘ in der Antike und ihre transformationen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Die Herausgabe der Beiträge, deren erste Fassungen in den Jahren 2014 bis 2018 entstanden sind, hat sich aus verschiedenen, teilweise unglücklichen Umständen sehr verzögert. wir haben die Autoren gebeten, ihre Aufsätze vor der Drucklegung einer kritischen re-Lektüre zu unterziehen. Da bei den meisten texten theoretische Reflexion und quellennahe Analysen im Vordergrund stehen, waren nur in wenigen Fällen aktualisierende Korrekturen oder Ergänzungen angezeigt. Unser erster Dank gilt der Forschungsgruppe „oikonomia“: Mitglieder waren Susanne Frank und thomas Skowronek (HU, Institut für Slawistik), Verena Lobsien und wolfram r. Keller (HU, Institut für Anglistik und Amerikanistik), Colin Guthrie King (HU, Institut für Philosophie), Peter Spahn (FU, Friedrich-Meinecke-Institut), Helmut Pfeiffer und thorsten welgen (HU, Institut für romanistik), Joseph Vogl (HU, Institut für Deutsche Literatur), Iris Därmann und Antonio Lucci (HU, Institut für Kulturwissenschaft) sowie Aloys Winterling und Moritz Hinsch (HU, Institut für Geschichtswissenschaften). Der Entschluss, sich auf die jeweils anderen Fragen, Konzepte, Begriffe und Denkstile einzulassen, machte die gemeinsamen Diskussionen zu einem anregenden Erlebnis praktischer Interdisziplinarität und kollegialer Freundschaft. Des weiteren geht unser Dank an die Leitung des Exzellenzclusters und an die Humboldt-Universität für vielfältige sachliche und organisatorische Unterstützung. wir danken den studentischen Hilfskräften der Alten Geschichte, Marcel Kiefer, Anna-Sophia rösche und thore Menze, für intensives Korrekturlesen. Ganz besonderer Dank geht an ricarda Berthold, die in gewohnt kompetenter weise die texte korrigiert, formal vereinheitlicht und gesetzt hat. Dem Verlag Franz Steiner und Katharina Stüdemann sagen wir Dank für die Unterstützung – und für die Geduld bei der Publikation. Berlin, im oktober 2021 Iris Därmann

Aloys Winterling

Inhalt EInführung Iris Därmann Orte der Oikonomia …………………………………………………………… 11 Aloys Winterling Methodische Vorüberlegungen …………………………………………………15 Zur fOrschungslagE Neville Morley re-thinking the ancient Economy, Once again ………………………………19 antIkE thEOrIE Peter Spahn hesiods Erga und Xenophons Oikonomikos. Vergleichende Beobachtungen an archaischer und klassischer Ökonomik ………………………………………………………………………37 Darel Tai Engen reconsidering the Economy. traditional values and philosophical theory versus public and private practice in fourth century BcE athens ………………………………………………………67 antIkE PraXIs Armin Eich haus- und polisübergreifende geldwirtschaftliche Beziehungen im griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts ……………………………………89 Moritz Hinsch hauswirtschaft im klassischen griechenland. strukturen und strategien …………………………………………………… 109

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Inhalt

asPEktE dEr transfOrMatIOn Wolfram R. Keller chrematistische Poetik. Mentale haushaltsführung in geoffrey chaucers Traumvisionen ………………………………………………… 157 Helmut Pfeiffer temporalisierung der oikonomia. leon Battista albertis Della famiglia ……………………………………………… 177 Birger P. Priddat die Oikos/Polis-differenz als prägende struktur der neuzeitlichen Ökonomie/Politik-formation ………………………………………………… 203

Einführung

Orte der OikOnOmia Iris Därmann es gibt keine bloß ökonomischen tatsachen. das zumindest betont Georg Simmel in seiner Philosophie des Geldes: die Ökonomie als Lehre, Wissenschaft und System der Praxis findet ihre „Voraussetzungen“ vielmehr „in nicht-wirtschaftlichen Begriffen und Tatsachen“ und zeitigt zugleich „Folgen für nicht-wirtschaftliche Werte und Zusammenhänge“.1 mit dieser erkenntnis steht Simmel nicht allein: max Weber hat bekanntlich mit den unter dem titel Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus versammelten Abhandlungen der These Rückhalt verschafft, dass die „Wirtschaftsgesinnung“ der kapitalistischen Arbeitsethik im Wesentlichen eine Säkularisierung der puritanischen Askese darstellt.2 das Signum der moderne heißt dann entzauberung, enttheologisierung und ausdifferenzierung. in Frontstellung zu den Überlegungen Max Webers hat Walter Benjamin den Kapitalismus als „Parasiten“ der christlichen Religion bezeichnet, der das Pensum ihrer Erlösungs- und Heilsversprechen übernimmt, allerdings in umgekehrter Richtung, nämlich im äußersten „Zenith“ von Schuld und Verschuldung. Als Schuldreligion und „verschuldender Kultus“ behält das Christentum in Gestalt des Kapitalismus damit auch in der modernen Welt eine „essentielle“ Präsenz.3 In jüngster Zeit hat Giorgio Agamben den Versuch unternommen, die heutige Herrschaft der Ökonomie, den „Sieg, den gegenwärtig die Ökonomie und die Regierung über jeden anderen Aspekt des gesellschaftlichen Lebens davon zu tragen scheinen“, im Rückgriff auf die Geschichte der „ökonomischen Theologie“ erklärlich zu machen, im Hinblick auf ihre Verflechtung mit der aristotelischen Oikonomia einerseits, der économie animale und politischen Ökonomie des 17. Jahrhunderts andererseits.4 Man hat es bei Agamben demnach mit verschiedenen Diagnosen und Positionen einer Transformationsgeschichte der Oikonomia und Wirksamkeit einer „ökonomischen Theologie“ zu tun.5 die dominanz der modernen Ökonomie lässt sich historisch in der tat nicht nur auf ökonomische Entstehungsherde und Habitus wie die neuzeitliche Geld- und Kreditwirtschaft, das Rechnungswesen und die Märkte, das protestantische Ar1 2 3 4 5

Martin Booms, „Arbeit“, in: Petra Kolmer, Armin G. Wildfeuer (Hg.), Neues Handbuch Philosophischer Grundbegriffe, Bd. 1, Freiburg 2011, 214–227, 215. Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Frankfurt a. M. 1989, 11. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 9. Aufl., Tübingen 1988, 12, 39, 163 ff. Walter Benjamin, „Kapitalismus als Religion“, in: Rolf Tiedemann, Hermann Schweppenhäuser (Hg.), Gesammelte Schriften, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1985, 100–103, 102, 100. Giorgio Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (Homo Sacer II.2), aus dem Italienischen von Andreas Hiepko, Berlin 2010, 14 f. ebd., 16 f.

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Iris Därmann

beitsethos, auf Kaufmanns- und Finanzpraktiken zurückführen; kurz: sie lässt sich nicht exklusiv aus sich selbst heraus erklären. Das zeigen gerade auch die nervösen Fieberkurven der Aktien- und Finanzmärkte, für deren Ausschläge die teils irrationale, ansonsten aber nur borniert-einzelrationale „Psychologie“ der Akteure im modernen Computerhandel verantwortlich gemacht werden. Der Seelenhaushalt der modernen Ökonomie, der sich von Vertrauen und Stabilitätsversprechen nährt, verweist schlaglichtartig auf andere, nicht-ökonomische Ressourcen und Semantiken der Ökonomie. die entstehung der modernen Ökonomie und die Geburt des homo oeconomicus (als zentrale Theoriefiktion der modernen Ökonomik) werden für gewöhnlich nicht mit den antiken Haushaltslehren und der Oikonomia in der kirchlichen Literatur in Verbindung gebracht, sondern vielmehr als entschiedener Bruch mit der integrativen Form antiker Wirtschaft, mit der haushälterischen Verwaltung und der theologischen Oikonomia gewertet. Demgegenüber lassen sich im Rückgang auf Orte, Wissensformen, Praktiken und krisen des Wirtschaftens in der antike transformationen der antiken Oikonomia und Chrematistik im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit und in der Moderne untersuchen und die These aufstellen, dass die Formations- und Transformationsgeschichte der Orte und Wissensformen der antiken Ökonomie einen paradigmatischen Zugang zum Verständnis der europäischen Kultur(en) von ihren Anfängen bis zur Gegenwart und nicht zuletzt zum Verständnis der Zentralstellung gegenwärtiger Ökonomie eröffnet. Der Themenkatalog der antiken Oikonomia-Literatur behandelt die Verbindung von ökonomischen Fragen mit solchen der Herrschafts- und Gemeinschaftsformen und mit erörterungen der räumlichen Struktur und einrichtung des Hauses neben der rechtlichen und politischen Dimension des Oikos im Verhältnis zur Polis. Der Oikos ist einer der wichtigsten antiken Wissens- und Handlungsorte, an dem Fragen des Zusammenlebens, der Reproduktion und Sklavendressur, des Wohnens und Wirtschaftens (im Modus der Haushalts- und Erwerbslehre), der Verwaltung und Herrschaft verhandelt wurden. Den Ausgangspunkt einer interdisziplinären Arbeit bildet die aristotelische Ökonomik. Eine zugleich philologische wie sozial- und wirtschaftshistorische Perspektive auf haus- und polisübergreifende Formen der antiken (Geld-)Wirtschaft ist dazu geeignet, den programmatischen Charakter des 1. Buches der aristotelischen Politik herauszustellen. Dies kann einer Tendenz so mancher wirtschaftshistorischer Forschung entgegenwirken, nämlich die antike Oikonomia mit dem aristotelischen Oikos-Konzept in Deckung zu bringen und modernen Formen der Ökonomie entgegenzusetzen, ohne der aristotelischen Gegenüberstellung von naturgemäßer Ökonomie und naturwidriger Chrematistik gerecht zu werden. Die Chrematistik muss als ein normativer Fingerzeig auf desintegrative Formen des Wirtschaftens verstanden werden, die sich bereits im 5. und 4. Jahrhundert vom Oikos gelöst haben. Aufschlussreich ist die Deutung der aristotelischen Oikonomia vor dem Hintergrund konkurrierender Oikos-Konzepte: Der zerstörte „private“ und zugleich der gesamten Polis als Herrschaftsform auferlegte Oikos des Platon, der gewinn- und marktorientierte Oikos des Xenophon oder die pseudo-aristotelische Ökonomik,

Orte der Oikonomia

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die die Beziehung zwischen Oikos und Polis vor allem wirtschaftlich bestimmt, lassen eine Pluralität der Haus- und Haushaltskonzepte erkennen, die auch für die verschiedenen antiken und spätantiken Rezeptionslinien und Transformationen, für stoische, peripatetische oder neupythagoreische Positionen sowie für die Übersetzung antiker Oikonomia-Schriften im mittelalter bestimmend bleiben sollte. Für die Folgezeit wichtige Transformationen der antiken Ökonomik lassen sich sodann im Alten und Neuen Testament sowie in der paulinischen Ekklesiologie beobachten. Hier ist die Semantik des Hauses, der Haushaltung und der Hausverwaltung einem grundlegenden Bedeutungswandel unterworfen: Die Begriffe des „Hauses Gottes“, der göttlichen Heilsökonomie und der „Hausverwaltung“ zeugen davon ebenso wie die Ökonomik des „profanen“ Hauses, der häuslichen Gemeindeordnung und Liturgie. Im Zusammenhang mit kollektiven Bekehrungen taucht erstmals die (spätere Riehlsche und Brunnersche) Formel vom „Ganzen Haus“ (Apg. 11, 14; 16, 15; 1 Kor. 1, 16) auf. Die neutestamentlichen Gleichnisse zur Hausverwaltung skizzieren Handlungsräume im caritativen Umgang mit Lohnarbeit, Schuldenerlass, eigenem Vermögen und seinem gewinnorientierten Gegenteil. Die Sprache der Apologeten und Kirchenväter, die von einer religiösen Umwertung und Neudefinition des handlungsanweisenden Wissens sowie der Orte der Ökonomik zeugt, führt den Gegenpol zur rechten Ökonomik – die geldwirtschaftliche Bereicherungskunst – beständig mit. Sie trägt so, wie auch die spätere reformatorische „Hausväterliteratur“ und lutherische Kritik an der Verselbstständigung des Handelssektors, das Ihre zur Tradierung und Ausdifferenzierung der Chrematistik, zu ihrer Abspaltung von der Oikonomia bei. Von diesen drei in der Antike angesiedelten Themenfeldern kann eine Transformationsforschung ausgehen, die literatur- mit kultur- und geschichtswissenschaftlichen sowie mit philosophischen und theologischen Fragestellungen interdisziplinär verbindet. Es zeigt sich ein breites Spektrum an symptomatischen Adaptionen, an Bedeutungsvielfalt und Bedeutungswandel von Oikonomia und Oikos, die sich unter folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen lassen: anhand – – – – – –

der historischen Situierung der aristotelischen Analysen der Polisgesellschaften, die als Reaktion auf realhistorische wirtschaftliche Veränderungen Griechenlands im späteren 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. zu deuten sind; der Frage, wann und wie die Agora zum Marktplatz wurde und wie sie die Oikonomia bedingte; der aristotelischen Grenzziehung zwischen Ökonomie und Chrematistik sowie ihrer Wirksamkeit in der diskursiven Topik von Neuzeit und Moderne; der spätmittelalterlichen Traumvisionen, namentlich der House of Fame-tradition Geoffrey Chaucers; des antiken Wissens vom Seelenhaushalt und seiner Rolle in der Traktat-, Kommentar- und Handbuchliteratur der Frühen Neuzeit; der Parasitären Ökonomien der Aufklärung, der Rezeption der antiken Oikonomialehren in der Encyclopédie (insbesondere der „Économie politique“ Jean-Jacques Rousseaus) sowie der Inszenierung parasitärer Konstellationen in den narrativen Gattungen des Romans und der Autobiographie;

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Iris Därmann

der epistemischen und ethischen Aspekte der aristotelischen Hauswirtschaft und ihrer Transformationen in Hegels Rechtsphilosophie; der ostkirchlich imprägnierten Genealogie des ökonomischen Denkens in Russland von der Frühen Neuzeit bis zur Moderne; der religiösen Ressourcen, Heilsversprechen, Verschuldungs- und Schuldmechanismen des modernen Ökonomieverständnisses, insbesondere bei Thomas Hobbes, John Locke und Adam Smith im Kontext des transatlantischen Sklavenhandels.

Der antike Oikos und die antike Oikonomia bieten somit den Ausgangspunkt, um jene Umordnungen der Haus- und Haushaltsregime nachzuvollziehen, die sich auf dem Wege kultureller, politischer, religiöser und literarischer Aneignungen und Neubesetzungen vollzogen haben. Angesichts der Regulative, Bewahrungsinteressen und Kapitalbildungen, in denen haushälterische Kalküle für theologische, ökonomische und kulturelle Dispositionen jenseits des Oikos wirksam wurden, lässt sich zum anderen die These formulieren, dass die Ökonomie der Moderne ihre Zentralstellung und überdeterminierte Bedeutung gerade solchen außer-häuslichen bzw. nicht-ökonomischen Adaptionen verdankt und von ihnen einen symbolischen Kredit bezieht.

Methodische Vorüberlegungen Aloys Winterling Fragt man nach Wissen und strukturen von Ökonomie in der Antike sowie nach ihrer rezeptions- und transformationsgeschichte im späteren europa, so eröffnen sich komplexe Forschungsfelder. Zwei grundunterscheidungen, die den Autoren der folgenden beiträge als methodisches denkangebot vorgelegt wurden, seien vorab skizziert. Zunächst geht es um die unterscheidung von (aus heutiger sicht feststellbaren) realen sachverhalten einerseits und um die gleichzeitigen selbstbeschreibungen, selbstanalysen und theorien dieser sachverhalte in Antike, spätmittelalter und Früher neuzeit andererseits. die Frage ist dabei: Was unterscheidet die zeitgenössischen Wahrnehmungen ökonomischer sachlagen von dem, was wir aus heutiger sicht an Ökonomie in der Antike und im späteren europa beobachten können? und die Anschlussfrage lautet nicht: hatte Aristoteles recht? oder: Wo irrte Alberti? sondern sie lautet: Wie wird Ökonomie von den genannten und anderen Autoren wahrgenommen, konzeptualisiert und bewertet und welche bedeutung hat diese Art der Wahrnehmung für ein heutiges Verständnis und eine Kontextualisierung der antiken bzw. frühneuzeitlichen wirtschaftlichen gegebenheiten selbst? Zu fragen ist aber auch: lässt sich antike oikonomia überhaupt unter den modernen begriff Ökonomie subsumieren? das führt zur zweiten unterscheidung. sie betrifft die relation von überlieferten Wissensbeständen der Antike einerseits und ihrer deutung in der späteren europäischen geschichte andererseits, oder, temporal gefasst: sie betrifft die differenz von antiker gegenwart und der gegenwart der Antike in späteren Zeiten. seit humanismus und renaissance hatte die beschäftigung mit der Antike das Ziel, von ihr zu lernen. Allerdings, das ist vielfältig nachweisbar, wurde dabei die antike Vergangenheit – in geschichtstheoretischem Kontext nicht überraschend – vor allem als Projektionsfläche eigener, jeweils gegenwärtiger themen und Probleme benutzt. die dabei erfolgte rezeption und umdeutung antiker begriffe für ganz andere neuzeitliche Phänomene führt zu Fragen und Problemfeldern, die v.a. Prozesse der transformation der Antike betreffen: handelt es sich bei nachantiken deutungen der antiken oikonomia um Konstruktionen, die mehr über die jeweilige Zeit als über die Antike selbst aussagen? oder entfaltete die antike überlieferung eine Wirksamkeit eigener Art, die sich gegenüber späteren deutungen als widerständig erwies, die zumindest produktive Missverständnisse ermöglichte und somit wichtige überleitungsfunktionen für gesellschaftliche Veränderungen in nachantiken Zeiten hatte? Was bedeutet eigentlich die tatsache, dass wir die globalisierten Wirtschaftskommunikationen unserer gegenwart – nach wie vor – als Ökonomie bezeichnen, mit einem begriff also, der sich im antiken griechenland auf die räumliche sphäre des hauses bezog?

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Aloys Winterling

Für die Alte geschichte, die – so könnte man formulieren – nicht primär an der gegenwart der Vergangenheit, sondern an der vergangenen gegenwart interessiert ist, stellt sich in diesem Zusammenhang das umgekehrte Problem einer sachadäquaten beschreibung der Antike: dürfen wir antike termini, deren Wortkörper zur bildung moderner begriffe und zur beschreibung moderner Ausdifferenzierungen gesellschaftlicher Kommunikation, die es in der Antike nicht gegeben hat, verwandt und damit umgeformt worden sind, weiterhin zur gegenwärtigen beschreibung der Antike benutzen oder brauchen wir eine neue theoretisch reflektierte Sprache, die es ermöglicht, Anachronismen – wie etwa die rede von der antiken „Ökonomie“ – auszuschalten? Wenn wir die Frage einer heute angemessenen und erreichbaren rekonstruktion und redeskription der Antike aufwerfen, dann dürfte jedenfalls deutlich sein, dass eine solche nur im Zuge einer Selbstreflexion zu erreichen ist, die die entstehung der modernen begriffe und der modernen sachverhalte, die sie bezeichnen, mit einbezieht. Auf die beiträge dieses bandes bezogen bedeutet das: ebenso wie für die untersuchung der rezeptions- und transformationsgeschichte die untersuchung der antiken sachverhalte eine Voraussetzung darstellt, ist gleichzeitig die transformationsgeschichte Voraussetzung für eine angemessene redeskription der Antike. die reihenfolge dieser beiden hauptthemen hätte also auch umgekehrt werden könnten. eine entscheidung musste gleichwohl getroffen werden, um überhaupt beginnen zu können. Wir haben uns entschieden, mit der Antike anzufangen.

Zur Forschungslage

Re-Thinking The AncienT economy, once AgAin Neville Morley i. WheRe ARe We noW? how might the state of the historiography of the ancient economy in the early decades of the twenty-first century be described and understood in ten or twenty years’ time, in the Festschriften that will some day be dedicated to those scholars who currently dominate the debate, or in the reviews of scholarship presented by future doctoral students? The process of imagining how the current discourse may appear in retrospect offers one means of attempting to step outside our immediate context and assumptions, and to recognise broader, underlying themes and tendencies in our discussions. It prompts us to try to identify not only the major topics and theoretical approaches that currently occupy our attention, but also the ideas that are now being taken largely or entirely for granted, and those that are being neglected or ignored. Of course, as the study of historical narratives has long since established, different accounts can always be given of the same set of events, which have (deliberately or not) varying implications and effects.1 Our imaginary retrospectives will always be grounded in polemical interpretations of the present – insisting, for example, that the theme of ecology and the environment will in future be recognised as central because we believe it should be central now – just as the actual reviews of scholarship in the future will be driven by the wish to legitimise the writer’s chosen approach by situating it in relation and/or opposition to the earlier traditions of interpretation that she has identified, or invented. Certainly we can see this occurring in the accounts that are currently offered of the present state of the discipline and its roots in the historical debates of previous decades. One conventional narrative runs as follows: the fierce debates of the 1970s around the ideas of Moses I. Finley and his supporters, a period in which ancient economic history became arguably the most vital and controversial field within the study of antiquity (at least in the anglophone world), were succeeded in the mid1980s by feelings of boredom and frustration, when the economic debate appeared to have become stale and predictable and so many historians turned to more exciting topics in social and cultural history. Now, however, we are in a position to put those fruitless arguments behind us and to develop a proper understanding of the ancient economy, free from the ideological preconceptions and blinkered perceptions of those earlier scholars. This basic structure of narrative can be found in a 1

See White (1991) and Berkhofer (1995); for a general introduction to ideas of historical narrative, Morley (2013a) 94–105 and, for a discussion focused on ancient economic history, Morley (2006).

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Neville Morley

variety of recent publications, which otherwise offer quite different accounts of and approaches to antiquity. To begin with two publications that reflect work begun a decade or so ago, Alan Bowman and Andrew Wilson claim that ‘there now appears no need for us to revisit the old “primitivist-modernist debate” in detail’, since it is clearly established (not least in the aftermath of the Cambridge Economic History of the Greco-Roman World (CEHGRW), of which more below, that they are fruitless and that future studies must rest on the proper quantification of economic performance.2 Peter Bang in contrast appears highly sceptical of the quantitative approach and its tendency to interpret every aspect of the ancient (and especially the Roman) economy optimistically, making extensive use of terms like ‘sophisticated’ and ‘complex’ as ‘apologetic or defensive value markers’. He insists instead on the need for a proper comparative approach – but this call is founded on an account of the earlier scholarly tradition that is structurally identical to that of Bowman and Wilson, contrasting past impasse with present possibility: The subject [of Roman trade] has become ‘falsely’ familiar to the scholarly community; positions are well known and deeply entrenched, arguments repetitive and circular, the outcome a stalemate. A clear symptom of this is the continued vitality of the century-old debate between ‘primitivists’ and ‘modernists’. There is an urgent need for a change of perspective.3

The pattern recurs in some more recent publications from younger scholars. Claire Holleran suggests that ‘it has been increasingly recognised in recent years that arguing about the place of Rome on a linear spectrum between two extreme viewpoints is both futile and unhelpful’, and talks of ‘this now stagnant and rather reductionist debate’, as justification for a study that eschews explicit engagement with theoretical issues.4 Similarly, Sven Günther calls for a ‘third way’ of approaching the ancient economy, beyond primitivism and modernism, to be found above all in the ideas of the New Institutional Economics, an approach promoted by a number of contributors to the CEHGRW.5 We might, provocatively, characterise such accounts as ‘Augustan’, by analogy with the interpretations of Roman history promulgated under the Principate: triumphalist narratives in which the unproductive civil strife between the camps of ‘primitivists’ and ‘modernists’ that threatened the field of ancient economic history with irrelevance, if not actual destruction, has finally been succeeded by concord and harmony under the benevolent rule of a new paradigm.6 Just as the underlying causes of the civil wars of the first century BCE came to be presented by contemporary historians in terms of the impact of un-Roman luxury and personal ambition, a betrayal of the proper traditions of Rome, so the old arguments that had fuelled the historical debates of the 1970s and 1980s are characterised as an aberration or a distraction from the central task of understanding the ancient economy. In both 2 3 4 5 6

Bowman & Wilson (2009) 5. Bang (2008) 1; his comments on optimistic and value-laden approaches to antiquity are found at 28–32. Holleran (2012) 23. Günther (2012) 1–2. On Augustan and later versions of the history of the Roman Republic, and the associated politics of memory, see Gowing (2005).

Re-Thinking the Ancient Economy, Once Again

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cases, this is of course a rhetorical move which serves as a means of discouraging anyone from reviving such disputes or questioning the new order: who would want to revive an unhelpful discursive stalemate? In describing current accounts of the historiography of the ancient economy in these terms, I am not disputing the idea that some of those earlier debates had indeed become unproductive and predictable, just as the self-serving nature of Augustan accounts of the history of Republican Rome does not automatically invalidate the picture they offer of the negative consequences of the civil wars. I would suggest, however, that there has been a change, probably an inevitable one, in the underlying motivations of the attempted diagnosis of the limitations of the earlier discussions. We can see a shift from a yearning for new ideas, new questions and new possibilities (as seen in a number of edited volumes published around the turn of the century, which seem to support the idea of a pluralistic approach to ancient economic history in place of a monolithic, predictable debate) to the present deployment of a narrative of crisis replaced by consensus that aims to establish a single theoretical or methodological approach as dominant (even if there are still several different claimants to that position).7 it is also worth emphasising the difference between accounts of the earlier debate that seek to present it as always unproductive and now wholly irrelevant to our activity as ancient economic historians, and those that identify the continuing significance of the underlying issues, even while dissenting from many of the substantive claims made by different figures in the debate – as seen for example in Armin Eich’s account of the historiography of the ancient economy, which traces continuity in the issues and problems that have confronted different historians.8 There are, as I have suggested elsewhere, very different ways of being an ancient economic historian ‘after Finley’, depending in part on whether one seeks to find new answers to the long-standing issues with which he was engaged, or to dismiss such issues as belonging entirely to the past.9 The majority of accounts of ancient economic historiography present it as a purely intellectual development, driven by competing ideas about the nature of antiquity, how to interpret which kinds of evidence and the choice of theories and methodologies, occasionally – for good or ill – influenced by ideas from other disciplines; some also offer a biographical dimension, especially when it comes to Finley’s intellectual development (especially his relationship with Polanyi) and influence on a generation of Cambridge ancient historians. What is not generally considered is the relationship between such developments in the realms of ideas and 7

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Important collections from the late 1990s, opening up the debate about the ancient economy, include Parkins & Smith (1998), Mattingly & Salmon (2001) and Cartledge, Cohen & Foxhall (2002), and a similar intent seems to underpin the selection of published and unpublished articles in Scheidel & von Reden (2002). Parkins (1997) expresses discontent with the existing discourse, without offering much indication of what new directions might be followed instead. Eich (2006) 7–104 on the historiographical tradition, 55–63 on the ostentatious efforts of much recent scholarship to distance itself from Finley. It is almost certainly significant that this is a work on the Greek rather than the Roman economy; as Scheidel, Morris & Saller (2007) 5 noted – not, I think, as a compliment – Greek historians have remained more concerned with Finley-esque questions of structure and culture than their Roman counterparts. Morley (2013b) 104–11.

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Neville Morley

disciplinary practices, and external historical circumstances – perhaps because one past attempt at this, Donald Engels’ association of Finley’s ideas with those of Pol Pot and the Sendero Luminoso, was so widely rejected and ridiculed.10 An interesting exception – interesting not least because the volume is now so often cited as a watershed in the scholarly tradition, marking a break from the past disputes and the inauguration of a new era of enlightenment – is found in Scheidel, Morris & Saller’s introduction to CEHGRW, where they offer a critique of purely intellectual conceptions of historiographical development. Their account of previous debates is presented in terms of an ongoing dialectic between structure and performance (they frame the volume as a whole with a quotation from Douglass C. North to the effect that these are the two great themes of all economic history), such that the earliest historians of the ancient economy were focused on performance before Finley and A.H.M. Jones in the 1950s and 1960s pushed the discussion towards the other pole (‘Finley relentlessly emphasised structure over performance’; my italics): Since the 1980s Roman historians have put economic performance back at center stage, although Hellenists still focus more on structure. It might be naïve to assume that this intellectual history has been driven solely by internal forces, with better theories driving out worse ones as evidence improved and scholars engaged in searching mutual critiques. After all, the ancient economy first emerged as an academic issue, focusing on performance, at the height of the so-called ‘first globalization’ in the generation before World War I. International trade and industrial output were booming, and (though we are not aware of any statements to this effect by participants in the primitivist-modernist controversy) this historical context may well have made economic performance an obvious and important issue for classical scholars to address. The shift towards structure and what Hopkins called the ‘cellular self-sufficiency’ model took place against the background of mid-twentieth-century barriers to international movements of capital, goods, and people, growing statism, and increasing concern over market failures and redistributive welfare economies; and the swing of interest back towards performance and markets coincides with the ‘second globalization’ since the 1980s.11

The idea that there may be a connection between the ‘optimistic’ readings of ancient economic development and the conditions of the early twentieth century is entirely plausible, not least because Rostovtzeff for one drew explicit parallels between the two, offering antiquity as a reassurance to those bewildered by contemporary developments because it showed that such radical transformations had occurred previously.12 A link between the ideas of Finley, Jones, Polanyi and the like, and the economic failures and subsequent political catastrophes of the 1930s and 1940s,

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Engels (1990) 131–42. Scheidel, Morris & Saller (2007) 5. Rostovtzeff (1926) 10: ‘The creation of a uniform world-wide civilisation and of similar social and economic conditions is now going on before our eyes over the whole expanse of the civilised world. This process is complicated, and it is often difficult to clear up our minds about it. We ought therefore to keep in view that this condition in which we are living now is not new, and that the ancient world also lived, for a series of centuries, a life which was uniform in culture and politics, in social and economic conditions. The modern development, in this sense, differs from the ancient only in quantity and not in quality.’ Cf. Morley (2015) on the history of applying the concept of ‘globalization’ to the Roman Empire.

Re-Thinking the Ancient Economy, Once Again

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could likewise be developed in much more depth and detail, but is basically convincing.13 While Scheidel, Morris & Saller’s potted narrative has a somewhat Hegelian air, moving under its own internal dynamic from thesis (early twentieth-century focus on economic performance) to antithesis (late twentieth-century focus on structure) to synthesis (their own combination of the two, though with a clear tendency to emphasise performance again), they do concede the possibility that this new interest in economic growth and transformation may also be influenced by contemporary developments – up to a point. But it would also be naïve to reduce the 115 years of debate to mere reflections of underlying socioeconomic forces. The changing world we live in surely makes certain questions about the past seem more interesting than others … but it does not shape the data themselves … If contemporary developments got some Roman historians interested in economic growth in the late 1970s, their questions won support because they drew attention to the fact that Rome’s emergence as a superpower in the last centuries BC must have transformed the Mediterranean into a network to feed it.14

Contemporary globalisation is an impetus to consider such questions, but they turn out to be firmly supported by the ancient evidence and current interpretations of it, rather than mere reflections of the world beyond the academy. Perhaps Scheidel, Morris and Saller would just as readily concede that the response of Finley et al. to the events of their own times likewise led them to identify real, significant aspects of the ancient economy and its limits – but they do not say so; the reader is left to assume that the emphasis on growth and dynamism in CEHGRW reflects objective historical fact, or at least a current consensus, whereas the ideas and debates of earlier decades are fully historicised, shown to have been overtaken by subsequent events and thus kept firmly in the past. The editors of CEHGRW could scarcely have anticipated how quickly their own confident conclusions would be revealed as thoroughly context-dependent. It seems a reasonable assumption that our putative future scholar, looking back with hindsight at the current state of discussion of the ancient economy and following the same procedure of relating it to the broader historical context, will ascribe considerable importance to the global economic crash that began in 2007 – in a pleasing coincidence, the same year as the volume was published.15 From this historicising perspective, the volume’s broadly optimistic view of ancient economic development, the power of markets and money, the transformative power of trade and globalisation and so forth appears as a straightforward reflection of the similarly bullish claims made by the cheerleaders of globalisation, which have now largely been placed in question. Above all, it becomes easier to see how one-sided and ideological this account of global development in the late twentieth century was; how much it ignored or simply excluded from consideration, such as the very un13 14 15

Some relevant discussion, albeit in passing, in Harris (2013a). Scheidel, Morris & Saller (2007) 3–4. In this respect, I would like to claim that Morley (2007) showed at least a modicum of prescience, offering some sceptical comments on the uneven benefits of trade and the potential instability of a fully integrated global economy.

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equal distribution of costs and benefits (between regions, countries and classes), the mixed consequences of sweeping away barriers and controls for everyone except corporations and the super-rich, and the extent to which the process of globalisation might be experienced in practice as compulsion, even though it was presented as pure opportunity and freedom.16 Books which had been criticising aspects of contemporary globalisation before the crash suddenly appeared to be highly prescient.17 We might push this analysis a little further. Recent discussions of the relationship between the dominant economic theories of the last few decades and the breakdown of the global economic order have focused not only on the failure of the former to predict the latter but on the extent to which the former contributed to the latter, through the legitimation and promotion of an agenda that can broadly be labelled ‘neoliberalism’.18 Ancient economic historians bear substantially less responsibility for global economic crisis than academic economists and their students, but it is still plausible to identify some striking parallels between the assumptions and arguments promoted in much recent historical work, encapsulated in the would-be definitive CEHGRW, and the dominant assumptions of neoliberal thought. There are clear structural resemblances between the relative denigration of ‘structure’ in contemporary analysis of the ancient economy, with the insistence that performance is what truly matters, and the neoliberal emphasis on the power of the free market (assumed to be universal) as the only significant factor in human activity and the only significant measure of achievement and value. Still more striking is the drive to minimise the role of the state and highlight that of private enterprise and entrepreneurship in the ancient world, clearly echoing the neoliberal ideology that regards the state as an impediment to growth and prosperity. in the contemporary critique of ‘structural’ approaches to the ancient economy, it is cultural values and attitudes that are most frequently dismissed as irrelevant, and as being irrevocably tainted by the ‘substantivist’ tradition; the supposed evidence of dramatic improvement in economic performance in antiquity is taken to be evidence that the apparently ‘primitive’ ideas found in ancient thought cannot really have operated to any significant degree in reality – directly paralleling the neoliberal assumption that human motivation can be reduced to the rational maximisation of utility. The adoption of the ideas of the New Institutional Economics by ancient historians, an approach which seems to accord at least some value to non-economic institutions like the state, can equally be seen as reductionist, as it conceives of those institutions solely in terms of their role in promoting and supporting market activity.19 In brief, the dominant ideas of ancient economic history over the last few decades echo the dominant ideas of neoliberal economics not only in their optimism about the beneficent powers of the market, globalisation and modernisation, but in their underlying assumptions about the nature of human motivation and the dynamics of human society. 16 17 18 19

See for example Grewal (2008); Lanchester (2010). E.g. Madeley (2000), Stiglitz (2002). See for example Harvey (2005), Chang (2010), Quiggin (2012). Cf. Farrell (2009) 5–17, exploring trust in modern contexts.

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Just as ‘zombie’ economic ideas like the efficient markets hypothesis continue to dominate most policy discussions in Europe and the United States, despite the manifest failures of pure market systems and the fact that banks and businesses had to depend on states and on society as a whole to absorb their losses and put the world economy back on any sort of track, so there is as yet little sign of post-2007 radical shifts in the approach of most ancient economic historians. The ideas of New Institutional Economics (NIE) continue to be promoted as the best means of making sense of ancient economic behaviour.20 historians persist in gathering as much quantitative data as possible, as if this will automatically reveal truths about the ancient economy, whereas clearly both the gathering of the data and its interpretation are driven by often-unexamined assumptions about economic structures and processes of development.21 The idea persists that the volume and complexity of economic activity in the ancient world, especially under the Roman Empire, must demonstrate the sophistication (not to say modernity) of its economic organisation and above all the development of its market system, thus ‘disproving’ those historians who persist in following a modified version of Finley’s emphasis on the distinctiveness and relative otherness of antiquity – an idea which rests wholly on the assumption that economic growth is possible only on the basis of a modern market system, crudely conceived.22 Professional ancient historians have generally offered a more nuanced view on this topic than Peter Temin and his claims to have established the incontrovertible existence of a market economy in the Roman Empire – but that is, one might argue, because of their innate preference for detail and particularity, and a certain aversion to generalisation, rather than because they have startlingly different assumptions on economic matters, or a different model of the ancient economy to present.23 ii. WheRe ARe We going? Accounts of disciplinary development, in any discipline, are always at least partly teleological and polemical. Some offer an account of the past that represents the present as the logical, inevitable culmination of scholarly endeavour and the gradual refinement of understanding. Thus the CEHGRW orthodoxy is presented (by its admirers as much as by its editors and contributors) as a triumphant synthesis of earlier perspectives: learning from their mistakes, rejecting their misconceptions and recognising the ways in which they were unduly influenced by contemporary political and historical circumstances, in order to break free from unproductive ar20 21 22 23

Which does not of course preclude such studies producing interesting findings, e.g., Terpstra (2013); it is simply the risk that such an approach is believed to offer a complete account of its subject. See the discussions of quantification, its advantages and limits, in de Callataÿ (2014). And cf. Bang (2008) 32: ‘Words such as complex and sophisticated often appear in texts mainly as apologetic or defensive value markers.’ Temin (2013); the characterisation of historians’ broadly ‘humanistic’ approach to generalisation is drawn from Morris (2001).

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guments and ideological impasse. Others offer an account of the past that seeks to critique the present, showing how things might have developed differently – one might argue that the ideas of Finley were not defeated intellectually so much as they fell out of step with the times, especially the triumph of the neoliberal project in Europe and the United States – and to argue for a change of direction. This is, obviously, the sort of account offered here. Any attempt at imagining the future development of the discipline – to imagine how some future historian might identify our present as a period of transition, in which the first green shoots of new approaches and understanding can, in retrospect, be discerned amidst the frozen, unproductive wasteland of discredited neoliberal assumptions – cannot help but be more polemical still, based solely on an idea of what I find interesting and imagine might be productive. But I shall attempt this anyway, by identifying three themes on which ancient historians might profitably concentrate – or continue to concentrate – their attention in future. (1) Firstly, we need to maintain a broad comparative focus, reuniting the study of Greece, Rome and other contemporary societies. There has been a certain tendency in recent decades to treat the Roman economy, and especially Rome under the Principate, as quite separate and distinct from the rest of classical antiquity; its modernity and sophistication are emphasised, in contrast to earlier periods (this often provides grounds for denigrating Finley’s account of the ancient economy, as being excessively based on the less developed societies of Greece). Sometimes perception of a more developed Rome is then reflected back onto Greece, or onto certain periods of Greek history, insisting that they too should be considered in more modern terms; the contrast between Rome and the rest of antiquity is presented as to some extent the product of modern historiography rather than a reflection of historical reality, so that – as in the quotation from Scheidel, Morris & Saller above – Roman historians are seen to have recognised the need to focus on performance earlier than did the Greek historians, who now need to learn from them.24 in other words, ‘antiquity’ is to be defined by the periods and states that look most modern and advanced; and the interesting questions for historians are understood to be those relating to growth and development. However, if classical Greece cannot easily be made to conform to this paradigm – and, while there are of course some historians who do interpret it in these terms, the fact that there is a debate means that it cannot so easily be incorporated into the narrative of consensus about the level of development of the ancient economy discussed above – then it simply has to be ignored. Greek historians who offer alternative and less ‘optimistic’ accounts of ancient economic behaviour and structures, with implications for the economies of the ancient world more generally – I think particularly of the work on the development of money by scholars like Sitta von Reden, Lesley Kirke and Richard Seaford – tend then to be marginalised within the discipline as a whole, as if their accounts apply at best only to the more primitive, pre-Roman societies.25 Studies of the economies of the Hellenistic world – which have, understandably, sought to 24 25

In preliminary discussions among contributions to CEHGRW, this view was more or less explicitly stated on one occasion. See, e.g., von Reden (2010); Kurke (1999); Seaford (2004).

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draw on ideas from Roman history in seeking to understand the operations of complex, globalised state organisations – tend to be treated as precursors to the Roman development that reinforce its modern nature.26 in important respects, Rome was different from the world of the hellenistic kingdoms, let alone from classical or archaic Greece. There clearly are serious problems with any notion of a single ‘ancient economy’ covering a thousand years, just as there are serious problems in assuming homogeneity across all the different regions that were, at one time or another, incorporated into the world of classical antiquity. On the other hand, there were also clear similarities and continuities. It certainly makes sense, as scholars like Peter Bang and Walter Scheidel have argued, to consider Rome in comparison to other pre-modern empires and states, and to look eastwards to India or China as well as forward in time to the more familiar (and more temptingly proto-modern) societies of western Europe in later periods.27 But equally we are talking about a particular state formation that developed out of earlier systems, within longer-term structures of environment and culture that united it to the world of the archaic and early classical periods. Rome, and to a significant degree also the Hellenistic world, pushed further against the ‘limits of the possible’ than other classical societies, especially those in earlier periods; but to understand the nature of those limits, both physical and cultural, and the different human responses to them, the study of those other societies is at least as important as the study of the development of other imperial systems in different contexts. (2) Secondly, there is the clear importance of engaging with social scientific approaches to the study of the economy. This imperative is of course a truism of the current consensus, acknowledging Finley’s pioneering work in this area while rejecting what is seen as his irrational and ill-informed dismissal of modern economic theory in favour of ideas drawn from sociology and anthropology. However, this consensus is, considered in terms of its theoretical assumptions and preferred analytical concepts, remarkably narrow. There may now be an agreement that social-scientific methods and ideas are appropriate and useful, if not indispensable – but in practice only certain methods and ideas are adopted or even considered. Above all, as discussed above, this means the approach of NIE, which frequently serves simply as a means of insisting that all the elements of ancient society that appear unusual and context-specific are actually just manifestations of the same old universal principles of ‘economic man’. It is not just that the consensus adopts the perspective of mainstream economics rather than that of other disciplines that engage with economic issues such as sociology or anthropology, which are scarcely mentioned in recent volumes like CEHGRW or Scheidel’s new Companion to the Roman Economy. Rather, it adopts only a narrow range of approaches from mainstream economics, for the most part rather dated. Ancient economic historians remain, it seems, largely oblivious to many new developments in the field of economics over the last two decades, that actually raise serious questions about the assumptions conventionally made by other economists and as a result by themselves about 26 27

On Hellenistic economies, see, e.g., Archibald et al. (2001), Archibald et al. (2005) and Archibald (2013). Bang (2008); Scheidel (2009).

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human motivation and behaviour, the determinants of economic performance and the operations and limitations of markets. Two lines of investigation seem especially relevant and potentially fruitful for ancient economic historians. The first is to reinstate an interest in the role of culture in shaping the economic motivation and behaviour of ancient actors, at the heart of our discussions. As discussed above, the neoliberal consensus seeks to downplay this theme, despite its importance within the traditions of the discipline since the days of Karl Marx and Max Weber, above all because of the perception that it over-emphasises the differences between antiquity and later periods, and calls into question the application of modern economic models. However, this is based on a number of misapprehensions. In the first place, as is increasingly recognised in mainstream economic discussions, economic models do not represent the realities of modern motivation and behaviour either – they are simplified abstractions developed for the sake of isolating certain variables and their implications, and the vagaries of ‘the human thing’ are almost invariably among the first complexities to be assumed away for the sake of the argument – and so there is no more of a case for rejecting their (sensitive and qualified) application to antiquity than to the present. At the same time, there is a growing volume of work in economics and related disciplines exploring economic motivation and the influence of cultural conceptions and values on decision-making, which we can usefully draw upon in analysing ‘ancient economic thought’ – which should be imagined in far broader terms than the little ancient writing that resembles modern economic theory – and its likely consequences for behaviour.28 Finally, it seems strange to wish to play down the differences between classical antiquity and later periods, except insofar as the motive is an ideological one, simply to enlist it as another minor example in support of modern assumptions – trade and the profit motive must be universal because even Greek and Roman society operated in those terms. The main opportunity for ancient historians to make a constructive contribution to the understanding of human economic behaviour and organisation is surely to be found in the study of particularity and difference, as part of a comparative study of how different societies and cultures organise their world, both mentally and materially, in different ways. We will understand the present better through a combination of comparison and contrast with the past, rather than simply reducing the past to a pale imitation and supposed forerunner of the present.29 This, one might say, is the presiding spirit of the book that suggests another fruitful line of investigation. Thomas Piketty’s Capital in the Twenty-First Century, although published in English barely a year ago, has been hailed as the most important work in political economy for many years.30 While much of its reception has involved excessive hype and political point-scoring, and numerous reviews where the reviewer has evidently not read the entire book, there is no doubt that Piketty’s work makes a significant contribution to the understanding of inequality and wealth 28 29 30

See for example Kahneman & Tversky (2000); Bronk (2009); Beugelsdijk & Maseland (2011). This is the underlying argument of Morley (2009). Piketty (2014). For an excellent review of his major arguments from a writer with knowledge of the historiography of the ancient economy, see Grewal (2014).

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in the present, and has reinstated those themes as central to the interpretation of economic systems. He also offers a striking new way of approaching the workings of the economy, drawing as much on historical sources and nineteenth-century novels as on abstract equations. Piketty makes only a few passing mentions of pre-modern societies, including classical antiquity, generally emphasising their lack of significant development in comparison to the modern era. However, his work does have significant implications for research in ancient economic history as well as modern, and at the very least offers a stimulating starting-point for debate that goes beyond the traditional polarities of modernism and primitivism. From this perspective, it is clear that the dynamics of growth under the Roman Empire have scarcely been considered, as historians have largely contented themselves with establishing its existence and assuming that this demonstrates antiquity’s relative modernity. Piketty’s study highlights the need to disaggregate public and private wealth, and to compare rates of capital accumulation with rates of productivity growth, in order to understand the real social consequences of a developing economy. Insofar as some other ancient historians have taken a more pessimistic line, emphasising the persistence of massive inequalities within ancient society; Piketty offers a means of understanding the roots and effects of this inequality within the organisation of the economy, and its relation to demographic structures and processes. These two strands together offer the possibility of developing a new understanding of the specific dynamics of the economy of classical antiquity, and of the role of economic theory in this study. Again, ancient historians have the opportunity to make a serious contribution to wider economic debates, exploring the particular dynamics of ancient societies in relation to these broader themes and thus testing Piketty’s general theses against concrete evidence. (3) In recent decades, the dependence of human society on its environment and hence its vulnerability to the ongoing consequences of climate change and environmental degradation have been ever more unmistakable. This dependence and vulnerability were still greater in pre-modern societies, even those as complex and sophisticated as the Roman Empire. Reliance on organic sources of energy (above all, human and animal muscle power and wood) left them at the mercy of the productivity of land, with strict limits on how far this productivity could be increased, especially over the medium and long term. While the Romans displayed considerable ingenuity in such areas as agriculture and the management of water, they lacked the technological and scientific capacity to insulate themselves to any significant degree from the forces of nature, and hence lived in a world that was dominated by risk and uncertainty. Over the last twenty-five years, a small number of pioneering works have established the study of the ancient Mediterranean environment as an essential field, while archaeologists and scientists have amassed impressive amounts of data on climate, changing plant life, agricultural practices and the like. Towards the end of the millennium, a number of pioneering publications seemed to be about to establish environmental and ecological approaches at the heart of ancient history. Robert Sallares established the revolutionary potential of an ecological perspective, challenging conventional views of ancient society and conventional, anthropocentric

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approaches to its history.31 Peregrine Horden and Nicholas Purcell offered an enormously rich and broad account of different aspects of the society, economy and environment of the region, establishing the centrality of terms like connectivity and the fragmented, unpredictable nature of the climate and topography, and exploring the implications of this for conventional accounts of ancient history.32 This work, particularly that of Horden & Purcell, has been quite widely read and cited within ancient history, and there have been several subsequent conferences on their ideas.33 However, remarkably little attention has been paid to this in accounts of the Roman economy, which continue to perceive the environment as a passive background to historical developments, merely a source of raw materials, rather than an active force shaping and limiting Roman society. The Romans may sometimes be ascribed a heroic role in transforming and controlling nature (the possible negative effects of this are rarely considered), but they are not seen as merely part of a complex, dynamic system. There is a chapter by Sallares on ecology in CEHGRW, but it sits in isolation and seems to have little connection to the other chapters, whereas it should by rights be informing the entire discussion. The new Cambridge Companion to the Roman Economy does include ‘ecology’ in its index, but all the references are to demography (a particular interest of Scheidel, the editor); there is some passing attention to the sources of raw materials, but certainly little sign of a serious engagement with ecology or with the relation between economic structures and the environment more generally.34 The potentially revolutionary or subversive impact of ecological approaches, demanding – as Sallares argued – a complete re-thinking of all our conceptions of ancient history, has instead resulted just in the establishment of a new sub-field, relatively isolated from other areas. Ancient economic historians draw on the material gathered by archaeologists and environmental historians where it suits them, but they incorporate this data into pre-existing scholarly paradigms rather than use it to question existing assumptions more thoroughly. As the importance of ecological and environmental considerations in shaping the economic structures of the future – above all, in bringing human society up against the ‘limits of the possible’ – become ever harder to ignore, ancient historians once again have an opportunity to contribute to the debate. The future of ancient economic history: comparative, cultural, ecological and engaged with fundamental issues of structural inequality and the limits of development. A discipline that could scarcely be more different from the present neoliberal consensus, and which is yet unmistakably the product of the same traditions of thought. Oikonomia rather than chrēmatistikē.

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Sallares (1991). Horden & Purcell (2000). Harris (2005); Harris (2013b). Scheidel (2012) 10–12 and index for ‘ecology’.

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AFTERWORD This chapter was completed in March 2015, and its critique of the ‘present’ state of ancient economic history must be read in that context. Of course I would not write in exactly the same terms today, although the last six years have produced plenty of publications that tend, I think, to support my characterisation of the CEHGRW, NIE and quantification consensus (e.g., Ober 2015; Droß-Krüpe 2016; Bowman & Wilson 2017; and see the overview in von Reden 2015 and the recent critique offered by Bowes 2021). It has been heartening to see exciting new research in precisely the areas which I polemically suggested should be the focus of future activity: comparative approaches to the study of the ancient economy (e.g., Scheidel 2017; Bang, Bayly & Scheidel 2021); the use of a wider range of social-scientific methods and theories, including different branches of economics (e.g., Canervaro et al. 2018; Elliott 2020; Rosillo-López & García Morcillo 2021; Verboven 2021); and much greater attention to the role of environmental factors (Manning 2018; Bowes 2020). This is only a small and somewhat random selection of recent publications, and I have no idea whether it yet represents a new consensus rather than just a powerful challenge to the old one, but it is at the least a cause for optimism.

Antike theorie

Hesiods Erga und XenopHons OikOnOmikOs Vergleichende Beobachtungen an archaischer und klassischer Ökonomik Peter spahn i. BesonderHeit und VergleicHBarkeit „the Oeconomicus is unique in greek literature in combining a discussion of the proper management of an oikos (‚family‘, ‚household‘, or ‚estate‘) with didactic material on agriculture.“ Mit dieser Feststellung beginnt sarah B. pomeroy das Vorwort ihres kommentars zu Xenophons Oikonomikos,1 der als standardwerk der neueren Forschung gilt. die these bezieht sich auf die gesamte griechische literatur, nicht nur auf texte aus klassischer Zeit. die autorin bekräftigt die annahme der einzigartigkeit der xenophontischen schrift noch einmal zu Beginn ihres kapitels über The Domestic Economy: „the Oeconomicus makes a major contribution to our understanding of the economy of ancient greece, for it is the only extant greek didactic work to draw attention to the importance of the oikos (‚estate‘, ‚household‘, or ‚family‘) as an economic entity.“2 ob Xenophons Werk tatsächlich in diesem sinne einzigartig ist, erscheint jedoch fraglich. Bertram schefold erklärt die historische Besonderheit der schrift aus einer zeitlichen perspektive und kommt zu dem ergebnis: „[d]ie älteste schrift, die in geschlossener Form vom Hauswesen handelt, ist Xenophons Oikonomikos.“3 auch dieser superlativ ist problematisch, zumal nicht näher erklärt wird, was unter „geschlossener Form“ zu verstehen ist. eindeutiger und weniger fragwürdig dürfte es wohl sein, in Xenophons Oikonomikos die älteste griechische prosaschrift über das thema Hauswirtschaft zu sehen, die überliefert ist. Zieht man nämlich die frühe griechische dichtung mit in Betracht, kann man Xenophons schrift weder für die einzige halten, die ökonomische Fragen in didaktischer Manier darstellt, noch ist es der älteste griechische text zu diesem thema. denn bereits drei Jahrhunderte vor Xenophon hat Hesiod in seinem epos Erga kai hēmerai die genannten probleme ausführlich und sehr konkret in lehrhafter Weise behandelt – in vielen punkten sogar detaillierter und stärker auf die landwirtschaftliche praxis und die agrarische gesellschaft bezogen als der autor des Oikonomikos. und nicht zufällig hat aristoteles im ersten Buch seiner Politik die Erga Hesiods als grundlagentext zum thema oikonomia benutzt.4 1 2 3 4

pomeroy (1994) Vii. ebd. 41. schefold (1998) 6. aristot. pol. 1. 2. 1252b 10 ff.

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in gewisser Weise lassen sich auch die homerischen epen und zumal die Odyssee als Quellen für die darstellung griechischer Ökonomie in wirtschaftlicher, sozialer und ethischer Hinsicht nutzen.5 aber diese thematik ist bei Homer nicht so zentral wie in Hesiods Erga. und außerdem ist der Bezug auf die soziale und ökonomische umwelt in Hesiods gedicht ein gänzlich anderer als in den homerischen epen. Hesiod ist bekanntlich der erste griechische autor, den man als historische person fassen kann. er lässt sich zeitlich um 700 v. chr. ansetzen und lokal exakt im böotischen askra verorten. der historische Hintergrund von ilias und Odyssee ist dagegen wesentlich vielschichtiger und führt in die höchst verwickelten methodischen probleme der homerischen Frage, die hier nicht weiterverfolgt werden können. Hesiods Erga aber bilden einen ersten historischen Fixpunkt und zwar gerade im Hinblick auf den Bereich von Ökonomie im umfassenden antiken sinn.6 dieses Werk bietet sich daher in mancher Hinsicht für einen Vergleich mit der Ökonomieliteratur aus der klassischen epoche griechenlands an. es ist erstaunlich, dass ein expliziter und umfassender Vergleich zwischen Xenophons Oikonomikos und Hesiods Erga anscheinend noch nicht unternommen wurde.7 das mag damit zusammenhängen, dass Xenophons schrift einerseits meist im kontext der klassischen epoche und zumal im Vergleich mit ökonomischen theorien von platon und aristoteles gesehen wird, andererseits im Hinblick auf ihre rezeption in rom, im Mittelalter und in der Frühen neuzeit.8 diesen problemen soll im Folgenden nicht näher nachgegangen werden. es geht vielmehr darum, anhand der beiden schriften kontinuität und Wandel ökonomischen denkens im archaischen und klassischen griechenland zu beobachten. dabei ist jeweils auch nach den tatsächlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnissen zu fragen sowie nach Mentalitäten und kulturellen prägungen, die sich in diesen texten ausdrücken oder andeuten. Zu bedenken sind die jeweiligen politischen und sozialen rahmenbedingungen, die sich zwischen dem 7. und dem 4. Jahrhundert in vieler Hinsicht verändert haben, insbesondere zwischen der dörflichen Gesellschaft im archaischen Böotien und der Bürgergesellschaft des klassischen athen. aber zugleich sind gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen beiden autoren und beiden epochen festzustellen. und damit ist der Blick auf das für die griechische antike eigentümliche und typische eröffnet. diese eigenheiten antiker Wirtschaft ließen sich darüber hinaus im interkulturellen Vergleich noch klarer bestimmen, was hier am schluss nur angedeutet werden kann.

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Beispiele dafür: Finley (1954); strasburger (1953; 1976). schefold (1992). dazu meine früheren Überlegungen: spahn (1984). Jedenfalls findet sich keine entsprechende Publikation in den Bibliographien der einschlägigen neueren Forschung; s. die literaturlisten bei pomeroy (1994) 347–371; price (1997) 231–255; Zoepffel (2006) 371–402; schmitz (2007) 153–182; audring / Brodersen (2008) 245–249; Baloglou (2012). dazu im einzelnen: pomeroy (1994) 68–87.

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ii. Hesiods Erga in den Jahrhunderten zwischen Hesiod und Xenophon, also zwischen etwa 700 und 400 v. chr., bildeten sich im griechischen raum jene polisgesellschaften heraus, deren eigenart – und universalgeschichtlich betrachtet wohl sogar: einzigartigkeit – den Bedingungsrahmen der klassischen antiken Ökonomik ausmachen. es handelt sich dabei um besondere politische strukturen und institutionen, die für die griechischen gemeinwesen bei all ihrer Verschiedenheit typisch waren (also z.B. Volks- und Ratsversammlungen, Gerichtsgremien, Jahresämter u.a.); ferner spezifische soziale Bedingungen, vor allem im Hinblick auf den adel und die freie Bauernschaft sowie die durchgängig mehr oder weniger vorhandene sklaverei. prägend war auch eine gesamtgriechische kultur, die sich etwa in der literatur seit Homer, in den Formen der bildenden kunst oder bei den panhellenischen kulten, Festen und Heiligtümern zeigt. und nicht zuletzt entstanden in den griechischen gemeinwesen bestimmte ökonomische phänomene, die für die antike Wirtschaft charakteristisch waren und folglich auch die antike Ökonomie-literatur bedingten. dazu gehören unter anderem das aufkommen und die Verbreitung des Münzgeldes sowie die entwicklung der agora zum städtischen Markt. Münzgeld und Markt waren zunächst typische erscheinungen der griechischen poleis, die sich hierin von den orientalischen gesellschaften und von deren Wirtschaft unterschieden. und die Ausweitung der Geldwirtschaft seit dem 5. Jahrhundert ergab spezifische Probleme, auf die die ökonomische literatur der klassischen epoche – mehr oder weniger explizit – reagierte. Hesiods Erga9 enthalten erstaunlicherweise bereits eine Vielzahl der themenbereiche und probleme, die auch in der literatur der klassischen Zeit zu politischen, ökonomischen und ethischen Fragen wiederkehren. der schwerpunkt liegt zweifellos auf dem Bereich des oikos, und zwar unter doppeltem aspekt: zum einen die sozialen Beziehungen betreffend und zum anderen die wirtschaftlichen tätigkeiten. aber Hesiod spricht nicht nur den bäuerlichen Hausherrn an, sondern auch die basilēes, die regierenden in der polis. er wendet sich speziell an die herrschenden adligen mit der Mahnung zur einhaltung des rechts (Hes. erg. 247 f.)10 wie zuvor bereits mit der Fabel vom Habicht und der nachtigall (201–211). sie drückt – allerdings nur scheinbar – die ohnmacht des sängers gegenüber den physisch stärkeren aus: „nur einen narren verlockt es, mit stärkeren gegnern zu kämpfen. / sieg ist ihm versagt, und zur schande leidet er Qualen“ (209 f.). im kontext der kritischen darstellung der Herrschenden als „gabengefräßige könige“ (basilēes dōrophagous, 38 f.) enthält die Fabel nämlich zugleich die hintersinnige Botschaft, dass der dichter mit seinem gesang am ende sogar der Überlegene sein könnte; denn seine position überdauert – jedenfalls literarisch – die untaten der Machthaber. es geht vor allem um die Betonung des rechts (dikē) in 9 10

einen guten einblick in die Welt Hesiods in sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht bietet: Millett (1984). Vgl. auch Marsilio (2000); schmitz (2004). und als kommentar das standardwerk von West (1978). „O ihr großen Herren (βασιλῆς) gedenket im Herzen auch selber solchen Gerichts (δίκην)!“ Übers. im Folgenden, wenn nicht anders angegeben: von schirnding (1991).

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der polis, um rechtsprechung bzw. rechtsbeugung durch die basilēes; die Funktion des gerichts, das in der polis auf der agora tagt. dieser platz hat bei Hesiod, ähnlich wie bei Homer, primär eine politische und rechtliche Bedeutung, anscheinend noch keine wirtschaftliche. es ist der Versammlungsplatz in der polis, hier für das öffentliche gericht, bei Homer vor allem für die Volks- bzw. Heeresversammlung, die auch selbst als agora bezeichnet wird. Bei Hesiod ist beachtenswert, dass er das thema von recht und gericht wie selbstverständlich mit der polis verbindet, obwohl der im Zentrum stehende oikos in askra, einem dorf (kōmē), situiert ist. es bestand offenbar im Böotien der archaischen Zeit ebenso wie später im klassischen athen keine rechtliche schranke zwischen stadt und umland. die freien Bauern auf dem land, also die Hausherren in den dörfern, waren wohl prinzipiell und rechtlich nicht von den Bürgern der polis unterschieden. aber sie werden im epos nicht als Bürger (politai) bezeichnet. und Hesiod rät sogar ausdrücklich zur distanz gegenüber dem politischen raum der agora, weil man es dort mit bestechlichen basilēes zu tun habe (27 ff.). dies impliziert aber immerhin die Möglichkeit, dass sich die Freien vom lande an die Herrschenden in der stadt wandten, auch in gewisser Weise auf deren rechtsprechung einwirkten – und sei es auf dem Wege der Bestechung. die grundstrukturen und institutionen der polis waren also bereits im archaischen griechenland angelegt, auch eine gewisse partizipation der freien leute aus dem Volk, einschließlich der Möglichkeit zur kritik an den Herrschenden. generell erweist sich das königtum in der frühen polis, im Vergleich etwa zur mykenischen epoche oder gar zu den orientalischen reichen, als relativ schwache institution. dies kommt bei Homer und noch mehr bei Hesiod auch darin zum ausdruck, dass die basilēes in der regel als gruppe, also im plural angesprochen werden: die Monarchie hatte sich in den meisten poleis in eine aristokratie verwandelt. Für die weitere politische und gesellschaftliche entwicklung wurde der führende adel mit seinen panhellenischen Verbindungen bestimmend, aber daneben – und im laufe des 6. Jahrhunderts stärker hervortretend – die vorwiegend bäuerliche Mittelschicht. Bei Hesiod kommt das politische leben aus einer gewissen distanz und nur im Hinblick auf recht und gericht zur sprache. krieg wird lediglich allgemein erwähnt: als Verhängnis, das Zeus schickt, während Friede und Wohlstand aus der Beachtung des rechts folgen (227 f.). die freien Bauern werden noch nicht wie in den folgenden Jahrhunderten in ihrer militärischen Funktion als Hopliten dargestellt. es geht generell noch nicht um die rolle des Bürgers oder der Bürgerschaft, dementsprechend auch nicht um die unterscheidung verschiedener Verfassungen. im Vordergrund steht die alternative, ob in der polis „recht“ oder „Frevel“, dikē oder hybris, herrschen (212–284). das betrifft in besonderer Weise die Herrschenden in der polis, aber letztlich auch jeden Herrn eines oikos. dementsprechend formuliert Hesiod relativ ausführlich regeln für das rechte Verhalten im Haus und für die sozialen Beziehungen im dorf, insbesondere gegenüber den nachbarn (341 ff.). nirgends sonst in der griechischen literatur werden dorfgesellschaft und nachbarschaft derart explizit und eingehend behandelt. die nachbarschaft ist in der bäuerlichen gesellschaft, auf die sich Hesiod bezieht, offenbar die wichtigste und weithin einzige solidargemeinschaft jenseits des

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oikos. aus diesem kreis sollte nach Möglichkeit auch die ehefrau gewählt werden (700). Hier zeigt sich ein deutlicher unterschied zur homerischen Welt. denn dort werden Heiratsverbindungen in der regel nicht unter nachbarn hergestellt, sondern häufig mit auswärtigen Adelsfamilien.11 auch gastfreundschaftsbeziehungen zu adligen in anderen poleis und fernen ländern sind bei Homer erwünscht. davon ist in der bäuerlichen Welt Hesiods nichts zu spüren. Hier bleiben gastlichkeit und Gastmähler im dörflichen Rahmen und werden nur in Maßen empfohlen: „Nicht sei übergastlich dein ruf und ungastlich auch nicht“ (714). Beim „gemeinsamen gastreichen Mahle“ wird der Vorteil darin gesehen, dass man so die „größte Freude mit dem geringsten aufwand“ (721 f.) erzielen könne. ein derart berechnendes und sparsames Verhalten hebt sich deutlich ab von adliger großzügigkeit im umgang mit gastfreunden, wie sie in den homerischen epen, aber auch in der archaischen lyrik als gesellschaftliche norm dargestellt wird. gegenüber den unmittelbaren nachbarn wären Zurückhaltung und sparsamkeit für Hesiod allerdings unangebracht. Denn diese Beziehung findet sein ganz besonderes interesse und seine höchste Wertschätzung (341–355): Wer dich liebt, den lade zum Mahl, und lasse den Hader.12 doch wer nahe dir wohnt, den lade am meisten zum Mahle. denn wenn unverhofft ein unglück im dorf dir begegnet, gurtlos kommen die nachbarn, die Vetter13 gürten sich erst noch. Böser nachbar ist Fluch, ein großer Vorteil der gute. ehre wird dem zuteil, dem ein edler nachbar zuteil wird. nicht verendet ein rind, wenn nur der nachbar nicht schlecht ist. gut laß dir messen vom nachbarn, und gut auch gib es ihm wieder in demselben Maß, und wenn du vermagst, auch noch besser, dass du in mageren Zeiten auch später das Nötige findest. suche nicht schlechten gewinn, denn schlechter gewinn ist Verlust gleich. liebe den, der dich liebt, und geh zu dem, der zu dir geht. Wer dir gibt, dem gib, und nichts gib dem, der dir nichts gibt. gebern gibt man immer, doch nichtsgebern gibt einer nimmer. geben ist gut, raub ist schlecht, er bringt dir die gabe des todes.

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auch in der bäuerlichen Welt ist zwar gelegentlich mit weiträumiger Mobilität zu rechnen, zumal in jenem Zeitalter der sog. griechischen kolonisation, die v.a. eine Zeit verstärkter Migration war. Hesiods Vater war selbst von kyme in kleinasien nach askra in Mittelgriechenland übergesiedelt (632 ff.) und zwar aus Not: „Nicht vor Überfluß auf der Flucht, vor üppigem reichtum, / nein, vor der bitteren armut; Zeus schickt sie den sterblichen Menschen“ (636 f.). 12 Diese Übersetzung Albert von Schirndings ist zu präzisieren. Hes. erg. 341 (Τὸν φιλέοντ’ ἐπὶ δαῖτα καλεῖν, τὸν δ’ ἐχθρὸν ἐᾶσαι) stellt nicht den philos dem echthros gegenüber, denn dies würde bedeuten: den „geliebten“ (philos hat noch – wie bei Homer – eine passive Bedeutung). Hesiod benutzt vielmehr das aktive partizip von philein, also: phileonta, um diese aktive seite des liebenden auszudrücken – d.h. derjenige, der dich liebt, der dir etwas gutes tut. echthros, der gegenbegriff zu philos, bedeutet nicht Hader, streit, Hass und dergleichen (das hieße: echthros, oder neikos oder eris), sondern hat in der epischen sprache wie philos eine passive grundbedeutung, also: verhasst, oder etwas abgeschwächt: zuwider. 13 Hes. erg. 344: pēoi sind in der epischen sprache meist die schwäger im unterschied zu den Blutsverwandten. Vgl. den kommentar von West (1978) ad loc.

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Hesiod hebt also die Beziehung zu den nachbarn (geitones) besonders hervor und nennt mehrere gründe für deren soziale und ökonomische Bedeutung. die nachbarn seien für den Hausherrn wichtiger als die Verwandten, da sie näher wohnten und im ernstfall zuverlässiger zur stelle wären. selbst die engere Verwandtschaft wird in den Erga in mancher Hinsicht skeptisch beurteilt. nicht zuletzt liegt dem gedicht der erbstreit zwischen Hesiod und seinem Bruder perses zugrunde. Verwandtschaftliche Bindungen über die kernfamilie hinaus waren im frühen griechenland, wie sich auch aus anderen indizien ergibt, relativ schwach ausgeprägt. Von stammes-, gentil- oder clanstrukturen gibt es kaum spuren, in der bäuerlichen gesellschaft Hesiods überhaupt keine. Wenn man nachbar eines „edlen“ ist, eines geitonos esthlou (346), könne man an dessen ehre (timē) partizipieren. adlige hatten nicht nur ihren Wohnsitz in der Stadt, sondern besaßen auch Landgüter, wo sie dann häufig bäuerliche Nachbarn hatten. in den meist kleinräumigen gemeinwesen waren die abstände nicht groß, weder in den städten noch auf dem land, konkret räumlich gesehen wie sozial. so gab es in den griechischen Gesellschaften kaum ständische, also rechtlich definierte soziale abstufungen und Barrieren. nur in großen poleis bildeten einige herausragende, dynastische Familien eine klasse für sich, auch aufgrund ihrer auswärtigen Verbindungen. ansonsten aber waren die sozialen unterschiede zwischen adligen und wohlhabenden Bauern eher gering und fließend. Für den nachbarschaftlichen güteraustausch formuliert Hesiod regeln, die über eine strikte reziprozität noch hinausgehen: es kommt darauf an, „gut zu messen“ (εὖ μετρεῖσθαι), gut auch „zurückzugeben“ (ἀποδοῦναι), „in demselben Maß“ (αὐτῷ τῷ μέτρῳ) und möglichst noch etwas besser, um auch im Bedarfsfall später einmal das Nötige beim Nachbarn zu finden (348 ff.). Man muss also seine Zuverlässigkeit, seinen kredit beweisen. im Vordergrund steht die auf dauer angelegte soziale Beziehung, nicht der punktuelle gewinn; denn das wären „schlechte gewinne, Verlusten gleich“ (351: κακὰ κέρδεα ἶσ’ ἀάτῃσιν). Solche unterscheiden sich somit wesentlich von dem gewinn, den Hesiod im kontext von seefahrt und Handel anspricht. dort ist kerdos ein positiver Begriff: es geht darum, „daß du nach Hause Gewinn (οἴκαδε κέρδος) bringst“ (632). Vom Handelspartner ist überhaupt nicht die rede; der wechselt in der regel und muss nicht weiter bedacht werden. in den Erga werden aber nicht nur die unterschiede zwischen sozialen und kommerziellen austauschbeziehungen deutlich. der Vergleich mit den homerischen epen, in denen gabentausch implizit in den verschiedensten lebensbereichen dargestellt wird,14 zeigt noch eine weitere Besonderheit Hesiods. anders als Homer formuliert er didaktisch explizite Verhaltensregeln für bestimmte situatio14

das war die damals (1954) aufsehenerregende „entdeckung“ Moses i. Finleys in seiner World of Odysseus (der Marcel Mauss’ Essai sur le don allerdings zunächst kaum erwähnte), dessen sozialgeschichtliche schlussfolgerungen erneut eine kritische Überprüfung verdienten: Für Finley waren diese gabentauschszenen der wichtigste Beweis für die historische realität einer homerischen Gesellschaft, die er zeitlich im 10./9. Jahrhundert ansetzte und deren poetisch-fiktionalen charakter er prinzipiell bestritt. der Vergleich mit Hesiod und dessen realitätsbezug kann die Historizität einer „homerischen gesellschaft“ in mancher Hinsicht fragwürdig werden lassen.

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nen in seiner eigenen Zeit und gesellschaft. das ist kein ubiquitäres gabentauschphänomen im sinne von Marcel Mauss, das alle gesellschaftlichen Beziehungen durchdringt und prägt. Hesiod differenziert vielmehr ausdrücklich zwischen Freundschafts- und geschäftsbeziehungen: auf der einen seite – etwa zwischen nachbarn oder Verwandten oder gegenüber Freunden und kameraden (hetairoi) – gelten die regeln des philein. auf der anderen, im Bereich des Handels (emporiē), ist gewinn (kerdos) das entscheidende und legitime Motiv. das Hauptthema des gedichts ist allerdings nicht der gewinnbringende Handel, sondern es geht vor allem um die verschiedenen arbeiten, „Werke“ (erga), in der landwirtschaft im laufe des Jahres. an mehreren stellen drückt Hesiod ein besonderes arbeitsethos aus (27 ff., 43 ff.15, 298 ff.) wie es in der späteren literatur der archaischen und klassischen Zeit keine Entsprechung mehr findet. Die Arbeit wird zunächst als strafe aufgefasst, die Zeus verhängt hat (47 f.); sie ist notwendig, um dem Hunger zu entgehen (298 ff.). am ende bietet sie aber dem Fleißigen auch die Möglichkeit „Fülle“ und „reichtum“ (ploutos) zu erwerben. „dem reichtum aber folgt gutsein (aretē) und ehre (kydos)“ (312). damit wird der erfolgreiche landwirt gewissermaßen geadelt. denn die beiden Qualitäten, aretē und kydos, werden in der epischen tradition dem heroischen krieger zugesprochen. in eine ähnliche richtung zielt Hesiods Vorstellung von den zwei arten des streits (Eris), die als göttliche kräfte zu Beginn des gedichts eingeführt werden (11 ff.). die eine, die segensreiche, ermuntere alle Menschen zur arbeit (20–26): selbst noch den trägen erweckt sie in gleicher Weise zur arbeit. Jeden ergreift ja die lust zur arbeit, wenn er des anderen Reichtum sieht, schon eilt er zu pflügen, zu pflanzen und das Haus zu bestellen. der nachbar läuft mit dem nachbarn um die Wette nach Wohlstand; so nützt diese eris den Menschen. töpfer eifert mit töpfer, und Maurer eifert mit Maurer, und der Bettler beneidet den Bettler, der sänger den sänger.

die Betonung des Wettstreits hat eine gewisse parallele in der agonalen Mentalität der homerischen Helden. diese wird von Hesiod nun auf alle möglichen gewerbe bezogen: auf die landwirtschaft – für die es noch keine eigene Bezeichnung gibt;16 die Sache wird mit den wichtigsten Tätigkeiten umschrieben: zu pflügen und zu pflanzen und „ein Haus wohl zu bestellen“;17 dann auf spezielle Handwerker: kerameus und tektōn; und schließlich, ironisch nebeneinander gestellt, auf den Bettler (ptōchos) und seine eigene profession, den sänger (aoidos). als Motiv und Ziel des positiv bewerteten Wettbewerbs wird, zumal für die landwirtschaft, das streben nach Wohlstand und Reichtum (εἰς ἄφενος σπεύδοντ’, 24) genannt. Das entspricht einem Grundzug der Hesiod’schen Wirtschaftslehre: Sie ist nicht nur defensiv, auf Bewahrung des Status quo ausgerichtet, sondern visiert an mehreren stellen durchaus wirtschaftliche 15 16

prometheus-Mythos, die religiös-mythische Begründung der notwendigkeit der arbeit. das Wort geōrgos bzw. geōrgia begegnet erst in klassischer Zeit: geōrgos zuerst bei Hdt. 4. 18 und bei aristophanes; geōrgia bei thuk. 1. 11. 17 οἶκόν τ’ εὖ θέσθαι heißt wörtlich „ein Haus gut (auf)zustellen“. Das kann man konkret verstehen, aber auch im übertragenen sinn als generellen ausdruck für die Hauswirtschaft, d.h. als Äquivalent für den späteren terminus oikonomia.

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expansion an. in diese richtung geht etwa sein Wunsch „dass du das erbe (klēros) anderer kaufst (ōnēi), nicht das deine ein anderer“ (340). offenbar impliziert dieser Vers die für archaische gesellschaften eher seltene Möglichkeit, grundbesitz zu veräußern. „archaisch“18 bedeutet in diesem Fall also nicht „einfach“ oder „primitiv“ und steht nicht im Widerspruch zu expansion und verstärktem Wachstum. es ist die Epoche der „großen griechischen Kolonisation“, in der demografischer Druck zwar bei teilen der Bevölkerung zu Verarmung führte, bei anderen aber auch neue wirtschaftliche chancen und steigenden Wohlstand ermöglichte. Für beide seiten dieser komplexen entwicklung gibt es bei Hesiod mehrere Hinweise. oft werden die Erga herangezogen, um die negativen aspekte einer agrarkrise zu belegen; aber Hesiod spricht wohl letztlich mehr für eine schicht, die zu deren gewinnern gehörte. die Möglichkeit, durch die landwirtschaft reich zu werden, erörtert Hesiod auch im Blick auf die Familiengröße und kinderzahl. Meist wird aus diesem kontext allein der Vers zitiert: „nur ein einziger sohn soll gezeugt sein, das Haus seines Vaters / dann zu hüten; so wächst ja der reichtum in den gemächern“ (375 f.). doch er nennt auch die alternative: „leicht gewährt auch mehreren Zeus unsäglichen segen. / Mehrere mehren die sorge, doch ist auch größer der Zuwachs (ἐπιθήκη)“ (378 f.). Als Quintessenz, die in jedem Fall zum Erfolg führt, gibt Hesiod im Folgesatz den rat: „du aber, wenn nach reichtum das Herz sich sehnt in der Brust dir, / handle und arbeite so und wirke Werke auf Werke (ἔργον ἐπ’ ἔργῳ ἐργάζεσθαι)“ (380 f.). Das ist der Tenor, der sich auch durch die folgende Abhandlung der einzelnen bäuerlichen arbeiten zieht, die Hesiod in vielen details sehr konkret und realitätsnah darstellt (382–616). im Vordergrund der bäuerlichen tätigkeiten steht in den Erga der getreideanbau, und am genauesten wird dabei das Pflügen behandelt (440–461). Für diese schwere Arbeit – das richtige und gerade Führen des Pfluges und das folgende Säen – brauche es einen gestandenen Mann, einen kräftigen Vierzigjährigen; ein Jüngerer tauge nicht dazu, der könne sich nicht auf seine arbeit konzentrieren, da er sich immer nach seinen altersgenossen umschaue (440–447). detailliert wird zuvor die konstruktion von Wagen und Pflug beschrieben, vom Holzfällen bis zum Bau von Rädern, Deichsel und scharbaum (419–435). die Herstellung und Bereitstellung der wichtigsten geräte und Werkzeuge gehört also zum bäuerlichen oikos; der soll möglichst autark sein, indem etwa ein Ersatzpflug vorhanden ist, um nicht auf andere angewiesen zu sein, wenn der eine zu Bruch geht (431–433).19 neben dem kornanbau wird noch, relativ knapp, die Weinproduktion erwähnt (569, 610–613). Von olivenbäumen und Ölproduktion ist nicht die rede, was landschaftlich bedingt sein mag.20 18 19 20

der Begriff stammt für das frühe griechenland aus der kunstgeschichte und besagt von daher ohnehin wenig für die wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle dynamik und innovationskraft dieser epoche. Vgl. auch 406 f.: „Auch an tauglichem Hausgerät (χρήματα) alles mußt du dir schaffen, / daß du nicht andere bittest und darbst dann, wenn sie sich weigern, / und die günstige stunde verstreicht und dein Werk ist zunichte!“ olivenöl (elaion) wird allerdings als Hautpflegemittel der Tochter des Hauses erwähnt (521 f.): „Hat sie gut sich gewaschen den zarten leib und mit Öl sich / glänzend gesalbt, dann legt sie sich nieder tief innen im Hause“.

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im Zentrum der bäuerlichen Wirtschaft steht bei Hesiod der selbst arbeitende eigentümer des oikos, zu dem das Haus und der ackerboden, ehefrau und kinder, gerätschaften und Haustiere sowie weitere arbeitskräfte gehören. abhängig von der größe des Hofes und der saison sind das knechte und Mägde, sklaven (dmōes), aber gelegentlich auch freie lohnarbeiter (thētes). Betont wird von Hesiod das selbstständige, gewissermaßen individuelle Wirtschaften und arbeiten – wörtlich: ohne sich nach anderen umzusehen. es gibt im text auch keine Hinweise auf kollektive arbeitsformen, wie sie in anderen bäuerlichen gesellschaften vorkommen. Hesiod äußert ausdrücklich seine abneigung gegen das müßige Zusammensein in der leschē, wo sich die Männer auch im Winter gerne treffen (493 f.). das halte sie nur von der arbeit ab, „während ein rastloser Mann auch jetzt noch sein Haus mehrt“ (μέγα οἶκον ὀφέλλοι, 494).21 auffälligerweise spielt die Hausfrau in Hesiods Wirtschaftslehre fast keine rolle, jedenfalls keine positive. an der Feldarbeit scheint sie nicht beteiligt, nur eine „gekaufte Magd“ wird hierbei erwähnt.22 die arbeiten im inneren des oikos, dem eigentlichen arbeitsbereich der Hausfrau, werden in den Erga kaum behandelt. Hier ergibt sich ein deutlicher unterschied sowohl zu den homerischen epen, vor allem der Odyssee, als auch zur späteren, klassischen Ökonomik, zumal der Xenophons. aber auch in archaischer Zeit war es zuerst die ehefrau, die als oikonomos bezeichnet wurde.23 Hesiod spricht nur im Zusammenhang der Heirat davon, dass der Mann seine jungfräuliche Frau „rechtliche Sitten lehren“ soll (ἤθεα κεδνὰ διδάξῃς, 698).24 das dürfte auch die Haushaltsführung miteingeschlossen haben. Warum die Funktion der Hausfrau in den Erga derart ausgespart wird, lässt sich nur vermuten. es könnte mit einer misogynen tendenz bei Hesiod zusammenhängen, die sich schon im pandora-Mythos (57 ff.) ausdrückt und an weiteren stellen fortsetzt (372 ff., 701 ff.). ein anderer aspekt, durch den sich die Erga von Homer wie von Xenophons Oikonomikos abheben, ist die Behandlung der seefahrt (nautiliē) und des Handels (emporiē) als teil der bäuerlichen Wirtschaft (617–693). Wirtschafts- und sozialgeschichtlich gesehen ist daran von besonderem interesse, dass freie und relativ wohlhabende Bauern, wie sie Hesiod im auge hat, nicht nur für den eigenbedarf produzieren, sondern Überschüsse erwirtschaften, die sie auch selbst über see vertreiben. es geht also nicht nur um die Versorgung eines städtischen Zentrums durch das umland. Emporiē ist in der späteren literatur in der regel der groß- und Fernhandel über see, im unterschied zu kapēlikē, dem einzelhandel. diese unterscheidung 21 22 23 24

die stelle belegt einmal mehr, dass Hauswirtschaft für Hesiod nach Möglichkeit auf Zuwachs angelegt ist. 404 f. besagt ausdrücklich: „eine erworbene, nicht geheiratete Frau, die auch beim ackern den rindern folgt“ – also eine sklavin. Merkwürdigerweise bezieht aristoteles (s. oben anm. 4) die stelle auf die ehefrau. offenbar lag ihm eine andere textversion vor. der früheste Beleg des Wortes oikonomos – aus dem 6. Jahrhundert bei phokylides 2.7 d – bezieht sich bezeichnenderweise auf die Hausfrau. Zur Wort- und Begriffsgeschichte s. spahn (1984) 304. Vgl. damit später Xen. oik. 7. 4.

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findet sich bei Hesiod noch nicht: Emporiē bezeichnet auch die Händlertätigkeit des einzelnen Bauern, meist auf dem seeweg. andererseits ist beachtlich, dass Hesiod nicht von professionellen Händlern spricht, etwa auswärtigen oder gar ausländischen wie sie bei Homer (mit Bezug auf die phöniker) erwähnt werden. es zeichnet sich in den Erga bereits ab, dass Händler bei den griechen in der regel keinen speziellen stand bildeten und dass sie aus sehr unterschiedlichen sozialen schichten stammen konnten. die ethische Beurteilung des Handels bei Hesiod ist ambivalent. er warnt einerseits davor, vor allem aus gründen des hohen risikos (617, 645, 681 ff.). andererseits ist der Handelsgewinn, wie bereits gesagt, durchaus erwünscht und an sich nicht problematisch. es kommt folglich, wenn man sich schon auf seehandel einlässt oder aus not einlassen muss, vor allem darauf an, die risiken zu minimieren, insbesondere durch die richtige Bestimmung der Fracht und der Zeit. Für sich persönlich lehnt Hesiod die Handelstätigkeit ab. er sieht generell die gefahr, dass Menschen durch Jagd nach gewinn bei solchen geschäften kopf und Verstand oder gar ihr leben verlieren. diese sicht führt ihn zu dem kritischen urteil: „geld (chrēmata) nämlich gilt als seele (psychē) der elenden Sterblichen“ (χρήματα γὰρ ψυχὴ πέλεται δειλοῖσι βροτοῖσιν , 685). das ökonomische schlüsselwort chrēmata hat an dieser stelle bereits die allgemeine Bedeutung von „geldmittel“. das Wort meint in diesem kontext jedenfalls nicht mehr (wie zuvor in Vers 406) die konkreten geräte und Werkzeuge im Haus, die man braucht; im Zusammenhang mit dem Handel deutet sich mit diesem Begriff vielmehr die Funktion eines generellen tauschmittels an – wohlgemerkt zu einer Zeit, als Münzgeld noch unbekannt war. letzteres änderte sich ein Jahrhundert später, zu Beginn des 6. Jahrhunderts, als die ersten Münzen von lydien aus in den führenden griechenstädten kleinasiens und auf den benachbarten inseln aufkamen. iii. VerÄnderungen in WirtscHaFt, gesellscHaFt und politik iM 6. und 5. JaHrHundert den gedichten des alkaios von lesbos (um 600 v. chr.) ist zu entnehmen, dass seine adelsfaktion durch subsidien von „2000 stateren“ der lyder in ihrem kampf unterstützt wurden (alk. 42 d). Zahlungen an söldner waren im 6. Jahrhundert ein wichtiger grund für die Verwendung und ausbreitung des Münzgeldes. das dictum chrēmat’ anēr, „geld (macht den) Mann“, ist ebenfalls bei alkaios zu lesen (101 d). es wurde zum signum der epoche. das Wort chrēmata bezeichnete zunehmend gemünztes geld, in lydien und in Milet zuerst aus Weißgold (elektron), im griechischen Mutterland dann üblicherweise aus reinem silber: argyrion – auch dies eine häufige Bezeichnung für Geld, zumal in Form von Münzen. Alkaios’ Zeitgenosse Solon ist in mehrfacher Hinsicht mit der damals akuten problematik von geld und Verschuldung sowie mit dem politischen Hauptgeschehen verbunden. später betrieb er nebenbei auch noch selbst seehandel. Vor allem aber setzte er in athen eine nachhaltige schuldenreform, die seisachthie, durch und brachte eine umfassende gesetzgebung zustande. und er nahm zu seinem Wirken

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und dessen Vorgeschichte, zu den umständen und Folgen in zahlreichen gedichten stellung und wurde dadurch für die nachwelt zum bedeutendsten historischen Zeugen seines Jahrhunderts.25 Münzgeld kam in athen wohl erst nach solon auf, nämlich unter der tyrannis des peisistratos und seiner söhne. aber die unmittelbar vorausgehenden Jahrzehnte im frühen 6. Jahrhundert, in denen solon wirkte, waren gewissermaßen die embryonale phase der neuen geldform, die zuvor schon in kleinasien und in der athen benachbarten Handelspolis Ägina in erscheinung getreten war. diese historische epoche war in athen und andernorts mit tiefgreifenden sozialen und politischen Konflikten verbunden, die auch noch das nachsolonische Athen und darüber hinaus große teile der griechischen Welt erschütterten. das führte in den größeren poleis damals vielfach zu tyrannenherrschaften, die in der regel die wirtschaftliche entwicklung und die ausbreitung der Münzen begünstigten. die sehr komplexe problematik der entstehung des Münzgeldes und seiner Folgen kann hier nicht genauer dargestellt werden. grob gesagt ging es dabei vor allem um ein ineinanderwirken von politischen und ökonomischen Faktoren. der Handel allein reicht als entscheidende erklärung nicht aus, da auf der anderen seite entwickelte altorientalische gesellschaften oder die phönikischen Handelsstädte und karthago lange Zeit kein eigenes Münzgeld gebrauchten. auch athen gehörte nicht zu den ersten poleis, in denen Münzen aufkamen. aber im frühen 5. Jahrhundert wurde es dann zur Führungsmacht nicht zuletzt aufgrund seiner ökonomischen stärke, die wesentlich auf der Förderung von silber im attischen laureion beruhte. Mit der so finanzierten exzeptionellen Flottenrüstung hingen der Sieg über die Perser, die folgende gründung des seebundes und die daraus entstandene archē athens unmittelbar zusammen. der seebund und sein tributsystem mit den regelmäßigen jährlichen einnahmen von Hunderten talenten silber wurde für athen zu einer großen geldvermehrungsmaschine: die einnahmen betrugen – neben der eigenen silberproduktion – zunächst ca. 12 t pro Jahr, im peloponnesischen krieg dann mehr als das dreifache. allein die Finanzreserve auf der akropolis von 6000 talenten silber (ca. 160 t) ist sehr beachtlich, wenn man sie z.B. mit den geschätzten edelmetallbeständen in europa um 1500 vergleicht.26 Ähnlich wie das anwachsen des Münzgeldumlaufs war die entwicklung der agora zum Markt im laufe des 5. Jahrhunderts besonders in athen primär politisch bedingt. im Zuge der kleisthenischen reformen, die um 500 v. chr. die isonomie und danach die demokratie begründeten, wurde in athen die agora als öffentlicher raum durch grenzsteine markiert. in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts hatte die athenische agora noch in erster linie politische Funktionen. Von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung erfährt man erst etwas in der zweiten Hälfte und zumal im letzten drittel des 5. Jahrhunderts. sie wurde nun zum Marktplatz, auf dem sich die städtische Bevölkerung vor allem mit Lebensmitteln vorsorgte – häufig auch mit dort zubereiteten. Diese von den Zeitgenossen als neu empfundene (und häufig kritisierte) Wirtschafts- und lebensweise wurde durch die besondere situation im pelo25 26

siehe aristot. pol. 1. 8 und 2. 12; aristot. ath. pol. 5–12. Zu letzteren Braudel (1990) 510.

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ponnesischen krieg stark gefördert, als die landbevölkerung für Jahre hinter die Stadtmauern flüchten musste und der Import von Naturalien über See noch wichtiger wurde. die neue, oder jedenfalls enorm ausgeweitete ökonomische Funktion der agora wurde in athen am weitesten entwickelt. dafür spricht auch das aufkommen der speziellen Bezeichnung Attikē oikonomia27 für diese alltägliche Versorgung über den städtischen Markt, die sich deutlich von der traditionellen Wirtschaftsweise unterscheidet, die auf eigenversorgung und Vorratshaltung beruhte. die neuartige und ausgeweitete Marktwirtschaft, wie sie vor allem in komödien aus den anfangsjahren des krieges zum leitthema wurde (etwa in den Hippeis des aristophanes), war mit einer wesentlichen Zunahme der geldwirtschaft verbunden. Beide phänomene, Markt und Münzgeld, waren also in dieser Hochphase der imperialen demokratie in besonderem Maße politisch induziert. Vor diesem Hintergrund sind die genese und die weitere entwicklung der griechischen Ökonomik, der lehre und dann auch der literatur über probleme der Hauswirtschaft, im späten 5. und im 4. Jahrhundert zu sehen. Begonnen hat es im umfeld der frühen sophistik.28 Von protagoras ist als erstem überliefert, dass sein unterricht auch „die Wohlberatenheit in häuslichen angelegenheiten“ betraf.29 die gute Verwaltung des oikos und die der polis sah er offenbar analog. in der zeitgenössischen komödie wurden sophisten und ihre schüler mit systematischer Behandlung ökonomischer Fragen kritisch in Verbindung gebracht, zumal die gesamte Bewegung wegen der neuartigen Bezahlung ihrer lehre dort skandalisiert wurde. ein auffälliges interesse an wirtschaftlichen und speziell monetären Faktoren im Zusammenhang mit Machtpolitik und mit dem Funktionieren der attischen demokratie findet sich auch bei Thukydides und bei Pseudo-Xenophon, die beide von sophistischem Denken beeinflusst waren. Ein anderer wichtiger Autor, der noch der sophistik des 5. Jahrhunderts zugerechnet wird, ist der sog. anonymus Jamblichi. In seiner Schrift findet sich zum ersten – und wohl einzigen – Mal in der Antike die Beobachtung, wie die Zirkulation des geldes (und deren stillstand) sich auswirkt; wie sie von politischer stabilität abhängt und welche ökonomischen und sozialen Folgen sie hat.30 im 4. Jahrhundert entstand dann die klassische literatur zu Fragen der Ökonomie, die auch über die antike hinaus fortwirkte. Von aristoteles wurde dieser problembereich am ehesten systematisch behandelt, wenn auch auf bestimmte aspekte begrenzt. die explizite Zurückweisung der geld- und Marktwirtschaft ist bei ihm – unter dem stichwort chrēmatistikē – am deutlichsten zu fassen und am stärksten theoretisch begründet worden. ob geldwirtschaft und kommerzialisierung sowie die wirtschaftliche seite der agora auch in Xenophons Oikonomikos eine wichtige rolle spielen, ist die Frage. in unserem Zusammenhang ist vor allem von interesse, inwiefern sich die ökonomische thematik im Vergleich zu Hesiod verändert hat. Welche sind also die schwerpunkte des xenophontischen Oikonomikos? 27 28 29 30

siehe dazu spahn (1992). dazu im einzelnen: spahn (2003). plat. prot. 318e. eine deutsche Übersetzung in capelle (o. J.) 380 ff.

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iV. XenopHons OikOnOmikOs der dialog besteht aus zwei teilen: zuerst das gespräch zwischen sokrates und kritobulos (kap. 1–6), und dann der mehr als doppelt so lange zweite teil, in dem Ischomachos Sokrates’ Dialogpartner ist (Kap. 7–21). Im ersten Teil werden zunächst prinzipielle Fragen erörtert, beginnend mit der Definition von oikonomia. sie wird bestimmt als ein Fachwissen (epistēmē), um einen oikos „gut zu verwalten“ (Xen. oik. 1. 1–2)31 – sei es den eigenen, sei es den eines anderen. es wird hier also bereits die Möglichkeit eines beauftragten und für lohn arbeitenden Verwalters in Betracht gezogen, die bei Hesiod noch nicht vorkam. und außerdem ist beachtlich, dass die gute Verwaltung nicht nur in der Bewahrung des wirtschaftlichen status quo besteht, sondern durchaus auf einen „Überschuss“ abzielen sollte, um „den Oikos zu vergrößern“ (περιουσίαν ποιῶν αὔξειν τὸν οἶκον, 1. 4).32 auch der Begriff Oikos wird definiert; er umfasst nicht nur das Wohnhaus (oikia), sondern darüber hinaus den gesamten Besitz, auch gegebenenfalls den in einer anderen polis gelegenen (1. 5). der oikos ist also nicht mehr prinzipiell an eine bestimmte polis gebunden. das war ein Jahrhundert zuvor noch die regel, da grundbesitz eng mit dem Bürgerrecht verbunden war. in den einleitenden kapiteln (1 und 2) werden weitere kategorien diskutiert, die sich als ökonomische grundbegriffe verstehen lassen, wie Besitz (ktēsis, ktēmata), gut bzw. Wert (agathon), brauchbares Vermögen (chrēmata), nutzen (ōphelia) sowie kauf und Verkauf, lohn und arbeit. aber diese Begriffsbestimmungen, wenn man sie so nennen will, bleiben in ihrem abstraktionsgrad einerseits deutlich hinter entsprechenden ausführungen bei aristoteles (im ersten Buch der Politik) zurück. Was sie andererseits von modernen ökonomischen kategorien grundsätzlich unterscheidet und mit aristoteles und allen antiken autoren bis zurück zu Homer und Hesiod verbindet, ist ihre ethische grundierung: Ökonomie wird in erster linie nach den kriterien der guten und richtigen lebensweise beurteilt, nicht nach finanziellem Gewinn oder Verlust und nicht nach quantitativen Maßstäben. daher wendet sich das gespräch im Oikonomikos von anfang an ethischen kriterien und Fragen zu, und die erörterung von problemen wie Vermögen, reichtum und geld nimmt einen – aus moderner sicht – überraschenden Verlauf. so verknüpft Xenophon die Frage nach dem gebrauchswert von geld bzw. silber (argyrion) umgehend mit der thematik von leib und seele (1. 13) sowie von Freund und Feind (1. 14 f.). es geht ihm darum zu zeigen, dass silbergeld kein Vermögen ist, „wenn man es nicht zu gebrauchen versteht“ (εἰ μή τις ἐπίσταιτο χρῆσθαι), wenn „jemand es nicht nutzen kann“ (τις ὠφελεῖσθαι δύναται – 1. 12 f.). als Beispiel führt er an, wenn jemand das silber gebraucht, um eine Hetäre zu kaufen und durch sie den „leib“ (sōma), die „seele“ (psychē) und das „Haus (oikos) schlechter zu machen“ (1. 13). der schaden für den oikos ist also nur ein teilaspekt des ökonomischen Missbrauchs von geld, wenn man es zu den Hetären trägt. 31 32

Der Ausdruck οἶκον εὖ οἰκεῖν klingt pleonastisch, aber das zu oikos gehörende Verbum oikein hat (transitiv) nicht nur die Bedeutung „bewohnen“, sondern auch „verwalten“. Eine solche Vorstellung war Hesiod allerdings bereits geläufig. Es ging auch für ihn nicht nur um subsistenzwirtschaft. siehe oben anm. 21.

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es macht auch leib und seele „schlechter“ (kakion). das ist eine erstaunliche Feststellung aus dem vermeintlich freizügigen athen, wo der umgang mit Hetären angeblich nicht verpönt war – und hier ist nicht einmal von pornai die rede, sondern von der hetaira. Bemerkenswert ist außerdem, dass der schaden für leib und seele bei Xenophon ein thema des Oikonomikos ist. es geht also offensichtlich nicht nur und auch nicht vorrangig um wirtschaftliche Fragen, sondern um ethische: um die guten sitten, die richtige lebensweise. dazu gehört bei den griechen nicht zuletzt, sondern an erster stelle: die sorge um den leib. und Xenophons sicht ist, dass Hetären denselben generell „schlechter“ machen. Zu diesem urteil kam man also auch schon in der antike, und zwar Jahrhunderte vor dem aufkommen des christentums. das thema geld wird von den dialogpartnern nach der ethischen abwertung durch den umgang mit Hetären nicht weiterverfolgt, sondern zurückgestellt: „das Geld also wollen wir, falls es jemand nicht zu verwenden (χρῆσθαι) versteht, so weit zurückstellen, Kritobulos, dass es nicht als Vermögen (χρήματα) zählt. Die Freunde (οἱ φίλοι) aber – wenn jemand sie so zu gebrauchen versteht (ἐπίστηται αὐτοῖς χρῆσθαι), dass er von ihnen Nutzen hat (ὠφελεῖσθαι ἀπ’ αὐτῶν), was werden wir von ihnen sagen?“ und damit wird das heikle geldproblem tatsächlich zurückgestellt. es taucht im sinne von „geldmachen“ (chrēmatisis) erst im zweiten teil, am schluss des dialoges mit ischomachos (20. 22) wieder auf. Zunächst geht es weiter um wichtige ethische Fragen, nämlich um die des nutzens von Freunden. der ist noch leicht erklärbar, aber wie ist es mit den Feinden? gehören sie konsequenterweise auch zum Vermögen, wenn man sie zu nutzen versteht? die folgende argumentation wird vermutlich in der nachantiken, christlich geprägten Hausväterliteratur keine Entsprechung finden. Es geht nämlich nicht darum, die Feinde irgendwie zu Freunden zu machen oder sie gar zu lieben. die rede kommt vielmehr von den Feinden direkt auf den krieg, und dessen Berechtigung steht für die dialogpartner außer Frage: durch krieg seien schon viele oikoi vergrößert worden, sowohl die von privatleuten (idiōtai), als auch die von Herrschern (tyrannoi) (1. 15).33 so verstand man offenbar die ökonomische Bedeutung von kriegen. und diese sichtweise, die der kriegerischen ethik antiker Bürgerschaften entstammt, ist ohne Einschränkung und affirmativ formuliert (1. 16).34 Übrigens wird hier ein oikos, der sich vergrößern lässt, jeweils nur einzelnen personen zugesprochen, nicht etwa auch metaphorisch der polis insgesamt. diese hat im konkreten sinne noch keinen Haushalt und betreibt keine oikonomia. die entsprechende semantik verändert sich erst in hellenistischer Zeit, indem dieser Begriff dann auch auf den öffentlichen Bereich ausgeweitet35 bzw. zu einem allgemeinen ausdruck für Verwaltung wird.

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34 35

die gegenüberstellung von idiōtai und tyrannoi als Kriegsprofiteure ist auffällig: Xenophon spricht an dieser stelle nicht (mehr) von Bürgern (politai) und (noch nicht wieder) von königen (basileis) als typischen Herrschern. die tyrannis jedoch war zu seiner Zeit in athen wie in sparta verpönt. ἀλλὰ γὰρ τὰ μὲν καλῶς ἔμοιγε δοκεῖ λέγεσθαι, ὦ Σώκρατες. Beispielsweise: πολιτική οἰκονομία bei Philod. vol. rhetor. 2. 32.

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Ähnlich wie das geldproblem wird die Frage nach der sklaverei abgebogen, und zwar wiederum auf die ethische ebene. so heißt es etwa (1. 17 ff.): trotz kenntnissen auf verschiedenen gebieten, trotz arbeit und Findigkeit, die ein erfolgreiches Wirtschaften ergeben müssten, haben jene keinen erfolg, die von ihren lastern versklavt und beherrscht werden. diese „Herrinnen“ (despoinai – laster sind wie für Hesiod weiblich) schädigen wiederum körper, seelen und Haushalte (1. 23). Von der realen sklaverei ist dagegen im Folgenden nur gelegentlich die rede (3. 4; 10; 7. 35; 37; 41; 9. 16; 12. 3; 13. 9); am meisten und konkret im Zusammenhang mit den aufgaben der Hausfrau (in kap. 7 und 9). es gibt aber keine speziellen abschnitte etwa über die auswahl oder den einsatz von sklaven; auch wird nicht zwischen männlichen und weiblichen, jungen oder alten unterschieden. Über die ethnische Herkunft der sklaven erfährt man nichts, und ebenso wenig ist erkennbar, ob es in der regel oder überwiegend nichtgriechen waren. ein weiteres problem der oikonomia, das von sozialen und politischen Faktoren bestimmt wird, ist die Frage nach der richtigen größe von Vermögen und Reichtum (Kap. 2 und 3). Der Vergleich von Sokrates’ bescheidenem Besitz mit dem mehr als hundert Mal größeren seines dialogpartners erweist die relativität der Bewertung, die am ende sogar ein umgekehrtes ergebnis gegenüber dem ursprünglich angesetzten geldwert ergibt. dazu tragen u.a. die ausgaben und Verpflichtungen der Reichen bei, zumal im politischen Kontext (2. 5 f.): hohe Aufwendungen für öffentliche kulte und opfer, gastfreundschaften, Bewirtung von Mitbürgern; außerdem für liturgien wie die ausstattung von chören und Wettkämpfen oder die ausrüstung von kriegsschiffen sowie sonderabgaben im kriegsfall. diese Faktoren, namentlich die erst durch die demokratie geschaffenen liturgien, spielten zu Hesiods Zeiten noch keine Rolle. Anderes, wie die Pflege und die Art von Freundschaften (2. 8), hing jeweils von der sozialen stellung ab; in dieser Hinsicht gab es eine größere kontinuität. das gilt auch für die ökonomische Bedeutung von planung und sorgfalt (epimeleia): ein gedanke, der im Folgenden immer wieder in verschiedenen kontexten auftaucht. Wenn sokrates hier (2. 18) dem reichen kritobulos in aussicht stellt, er werde nach dieser Methode ein „gewaltiger geschäftsmann“ (δεινὸν χρηματιστὴν), dann könnte allerdings auch Ironie mitschwingen.36 die ratschläge, die er ihm gibt (kap. 3), beziehen sich auf die Brauchbarkeit von Haus und Hausrat, die richtige Behandlung der sklaven, eine gut geführte landwirtschaft (von anderen Wirtschaftszweigen ist nicht die rede), vor allem aber eine tüchtige Hausfrau, die von ihrem Mann gut belehrt und eingewiesen ist. „die Besitztümer kommen zwar meist durch die Tätigkeiten (διὰ τῶν πράξεων) des Mannes in das Haus, ausgegeben werden sie aber größtenteils nach der haushälterischen einteilung der Frau, und wenn diese gut ist, vergrößern sich die Häuser“ (αὔξονται οἱ οἶκοι, 3. 15). Das wird dann ein wichtiges Thema im zweiten Teil des dialoges. die Frage nach anderen Wissensbereichen und Fachgebieten wird im Folgenden abgewiesen, besonders die nach den sogenannten „banausischen Fertigkeiten“ 36

die Bedeutung von deinos changiert zwischen furchtbar, gewaltig und groß (außerordentlich, tüchtig, geschickt).

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(βαναυσικαὶ καλούμεναι, zu ergänzen τέχναι, 4. 2). Sie seien in den Poleis verrufen und verachtet, weil sie wegen der ungesunden lebensweise – arbeiten im sitzen, ohne licht und in schlechter luft – körper und seele schädigten. Von schäden für den oikos ist hier verständlicherweise nicht die rede, weil Banausen (nach aristoteles’ und Anderer Zeugnis37) oft wohlhabend waren. die Verachtung banausischer technai, also von fachkundigen und sehr gefragten Handwerkern, wird meist mit einer aristokratischen ethik begründet, die dann auch in der philosophischen literatur des 4. Jahrhunderts zum ausdruck kommt. Merkwürdig ist allerdings, dass hier der gelernte steinmetz sokrates diese sichtweise vertritt. und sie ist im 5. Jahrhundert auch in der attischen komödie die vorherrschende Bewertung. der demos in athen, der zu einem guten teil aus solchen Banausen bestand, hörte und sah sich seine abwertung und Verspottung nicht nur an, sondern prämierte den dichter auch noch, wie z.B. aristophanes mit den Hippeis. und Herodot berichtet (Hdt. 2. 167), diese geringschätzung der Handwerker sei bei den griechen und fast allen anderen Völkern – und er zählt einige auf – anzutreffen, am meisten bei den spartanern, am wenigsten noch bei den korinthern; wohlgemerkt nicht am wenigsten bei den athenern, bei denen doch die radikale demokratie herrschte. der aristokratische Hintergrund genügt also offenbar nicht, um diese verbreitete Mentalität zu verstehen. sie hängt auch mit der sozialen und ökonomischen struktur des antiken gewerbes zusammen, das sich grundlegend etwa vom bürgerlichen und zünftigen Handwerk in mittelalterlichen städten unterscheidet, wo es in der regel ein höheres sozialprestige hatte. Was Xenophon an dieser stelle dem Banausentum entgegensetzt, ist merkwürdigerweise nicht die traditionelle griechische aristokratie, auch nicht seine bekannte sympathie für die gesellschaft und Werte spartas, sondern die regierungsweise des persischen königs. dessen idealisierung zeigt sich auch in weiteren seiner Werke, zumal in der kyroupädie. Xenophon nimmt damit hellenistisches Herrscherlob vorweg und führt hinsichtlich der oikonomia einen aspekt ein, den es in der früheren Ökonomik, aber auch bei aristoteles so nicht gibt: ein könig als vorbildlicher oikonomos. der perserkönig erfüllt somit im ersten teil des dialogs eine Funktion, die dann im zweiten der kalos kagathos ischomachos übernimmt. Xenophon behandelt also nicht nur den bürgerlichen oikos. und der oikos steht in dieser schrift auch nicht, wie etwa bei aristoteles, allein im rahmen der polis.38 Das zeigte sich bereits in der einleitenden Definition, wo Xenophon den Fall vorsieht, dass zu einem oikos auch Besitz in einer anderen polis gehören könne (1. 5). und noch deutlicher in seiner Feststellung, dass der krieg oft privatleuten wie Herrschern den oikos vergrößere (1. 15). allerdings ist schwer zu erklären, warum an dieser stelle von „tyrannen“ und nicht von „königen“ die rede ist. denn tyrannen-Haushalte kommen ansonsten im 37 38

aristot. pol. 3. 5. 1278a 24 f.; zur Banausenproblematik, insbesondere in athen: spahn (2008). diese relation (der oikos als untereinheit der polis) gilt in der aristotelischen Politik jedenfalls als regel. allerdings wird in pol. 3. 14. 1285b 29–35 als fünfte art des königtums ein typus angeführt, der als oikonomikē organisiert ist: „denn wie die Hausverwaltung eine art königsherrschaft über das Haus ist, so ist das königtum eine art oikonomia über eine polis und ein ethnos oder mehrere.“

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Oikonomikos nicht vor. und das idealbild des perserkönigs lässt sich nur schwer unter der Kategorie Tyrannis subsumieren. Aber es wird an ihm neben der Pflege der landwirtschaft (geōrgia) die besondere kriegskunst (polemikē technē) hervorgehoben. insofern gleichen sich der ideale polisbürger und der könig. Wahrscheinlich ergibt sich aus dieser Besonderheit des xenophontischen Oikonomikos, der zugleich den bürgerlichen und den monarchischen Haushalt abdeckt, eine der Bedingungen seiner hohen rezeptions- und transformationsfähigkeit. er ist bereits zwischen der griechischen Bürgerpolis und der nichtgriechischen Monarchie angesiedelt. und es handelt sich dabei sogar um ein großreich mit einer ausgebildeten Herrschafts- und Verwaltungsstruktur, die aber nicht bürokratisch funktioniert, sondern immer noch auf persönlichen Herrschafts- und loyalitätsbeziehungen beruht. dieser Oikonomikos war jedenfalls mit sehr unterschiedlichen staats- und gesellschaftssystemen kompatibel. und er war – erstaunlich für die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts – nicht nur an eine bestimmte kultur und nation gebunden. auch das hat vermutlich, schon in der römischen antike, zu seiner attraktivität beigetragen und die Übersetzung und Verbreitung begünstigt. ohne dass Xenophon eine abstrakte oikos-theorie formuliert, zeigt er mit der darstellung des perserreichs als königlichem super-oikos, in dem der großkönig sich angeblich sogar selbst vor ort um die landarbeit kümmert (epimelēmasi geōrgían – 4. 4) eine wesentliche ausweitung des oikos-Begriffs. das hat eine neue Qualität im Vergleich zu der metaphorischen redeweise, mit der man die polis im Bild eines oikos darstellen konnte. diese poetische Möglichkeit hatte ein Jahrhundert zuvor aischylos in den Eumeniden benutzt. das Bild des oikos bezog sich dort auf athen, um die enge Beziehung der Bürger untereinander auszudrücken, die bürgerliche Freundschaft (philia politikē), die eine ähnliche Bindung und Verpflichtung beinhalten sollte wie zwischen angehörigen eines oikos, besonders zwischen Blutsverwandten. aischylos wäre aber wohl nicht auf die idee gekommen, das perserreich insgesamt in ähnlichem sinne als oikos zu bezeichnen. Vielmehr nennt er es, z.B. in seinen Persern, durchweg eine polis.39 Wenn er vom oikos des perserkönigs gesprochen hätte, wäre damit lediglich der königliche Hof und die königsfamilie gemeint gewesen. Bei Xenophon dagegen wird das perserreich nicht als polis bezeichnet, auch nicht als oikos; aber der könig regiert es in der art eines vorbildlichen oikonomos. damit ist implizit ein erweiterter oikos-Begriff vorgestellt, wie er bei aristoteles nur an einer einzigen stelle angeführt wird, nämlich in seiner typologie des königtums (aristot. pol. 3. 14). Was am perserkönig kyros als idealem oikonomos exemplarisch vorgeführt wurde, wird danach (kap. 5) systematisch dargestellt: die ethischen Vorzüge der landwirtschaft für den freien Mann, zumal den selbst arbeitenden (autourgos, 5. 4), also insofern noch wie bei Hesiod.40 Wie schon für ihn ist auch für Xenophon das wirtschaftliche Ziel die Vergrößerung des oikos (oikou auxēsis, 5. 1). aber die 39 40

siehe z.B. aischyl. pers. 213: ὑπεύθυνος πόλει, Xerxes schuldet der polis rechenschaft; 219: πόλει φίλοις τε πᾶσι, chor an atossa: dir und deinen kindern und der polis mit allen philoi; 511 f.: polis Persōn etc. auch wenn dort die termini geōrgia und autourgos noch fehlen; diese kommen erst im 5. Jahrhundert auf.

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größenordnung sowie der soziale und politische Hintergrund ist ein anderer. es geht um ein landgut, auf dem der Herr nicht ständig wohnt; aber es soll in der nähe der stadt (asty, 5. 4) liegen: ein Wunschkriterium, das sich wie ein topos auch in den römischen Agrarschriften (und wohl noch später) findet. Der Herr soll möglichst schnell und oft präsent sein, damit die hauptsächlich von sklaven betriebene Wirtschaft funktioniert. im zweiten teil, im dialog mit ischomachos, wird dann vollends deutlich, dass dafür in der regel ein gutsverwalter (epitropos) erforderlich ist. aber hier im ersten teil ist bemerkenswert, dass als gutsherren nicht nur angehörige der oberschicht, etwa der ritterklasse, angenommen werden, sondern auch zu Fuß kämpfende Hopliten (5. 5), die sich überwiegend aus der breiten bäuerlichen Mittelschicht rekrutierten. die soziale Bandbreite des hier vorgestellten oikonomos ist also beträchtlich: sie reicht vom Hopliten (in athen aus der zweiten von vier Zensusklassen, also von relativ bescheidenem Vermögen) bis zum großkönig. Was diese aber verbindet, ist die Fähigkeit zur selbstausrüstung und die polemikē technē, das kriegshandwerk.41 Wenn Xenophon hier und im zweiten teil so oft auf den militärischen Bereich als erfahrungsraum und analogie zu sprechen kommt, dann ist dies nicht allein seiner Biographie und persönlichen Vorliebe geschuldet. es ist vielmehr auf dem Hintergrund von Bürgergesellschaften zu sehen, die die kriegführung größtenteils noch nicht an spezielle söldnereinheiten abgetreten hatten. und dem entspricht wiederum die abwertung der Banausen, da diese für den krieg weniger brauchbar seien als die Bauern und daher auch in gesonderten einheiten aufgestellt würden. Für einen kalos kagathos kommt nur die geōrgia, die landwirtschaft infrage: als „mächtigstes Arbeitsfeld und Wissensgebiet“ (ἐργασίαν καὶ ἐπιστήμην κρατίστην, 6. 8). im zweiten teil des dialogs wird der neue gesprächspartner ischomachos als ein mustergültiger kalos kagathos eingeführt, der diesen ehrennamen aus seiner sicht aber ironisiert, indem er darauf hinweist, dass er von seinen Mitbürgern vor allem wegen seines reichtums geschätzt und in anspruch genommen werde, nicht wegen seiner körperlichen und moralischen Vorzüge. er wird als Vertreter der liturgiepflichtigen, reichen Oberschicht dargestellt.42 und es gibt im dialog einen eigenen abschnitt (kap. 11) über die tätigkeiten, die „Werke“ (erga) eines kalos kagathos. im Übrigen behandelt das gespräch vor allem drei ökonomische themenbereiche, die anders als im ersten teil klar zu unterscheiden sind: es geht um die rolle der Hausfrau, um die auswahl und Funktion eines Verwalters und schließlich um die lehre der landwirtschaft. der erste punkt, betreffend erziehung und aufgaben der ehe- und Hausfrau (kap. 7–10) ist in seiner art und ausführlichkeit eine Besonderheit innerhalb der überlieferten antiken Ökonomie-literatur. Weder in Hesiods Erga, noch bei aristo41 42

Für Max Weber ist die „kriegerzunft“ die einzige Zunft in der klassischen polis. Es ist ungeklärt, ob es sich bei Ischomachos um eine fiktive oder eine historische Person handelt; manche Züge könnten auch auf ein alter ego zu Xenophon hindeuten: s. pomeroy (1994) 1, anm. 1 (mit weiterer literatur), 259 ff.

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teles oder in der pseudoaristotelischen Ökonomik findet sich dergleichen.43 und die römischen agrarschriftsteller enthalten merkwürdigerweise fast nichts zu diesem thema.44 Hier dürfte also ein weiteres Motiv für das interesse der nachantiken „Hausväterliteratur“ an Xenophon liegen, denn dort werden die sozialen und ethischen Fragen noch ausführlicher behandelt. das lässt sich etwa an albertis Della Famiglia sehr deutlich ablesen, unter anderem im kapitel über liebe und ehe. Hinsichtlich der rolle der ehe- und Hausfrau zeichnen sich im Vergleich zu Hesiod deutliche unterschiede ab.45 insgesamt liegt Xenophon mit seinem positiven Bild der Hausfrau eher in der tradition von Homers Odyssee. aber die ehefrau ist im bürgerlichen oikos nun keine aristokratische erscheinung mehr wie einst penelope. sie bleibt bezeichnenderweise anonym und lässt keine individuellen Züge erkennen. ischomachos berichtet vom Beginn seiner ehe: seine Braut wurde ihm mit nicht einmal 15 Jahren von ihren eltern ausgehändigt; er hat sie dann für ihre rolle als oikonomos erzogen (sy epaideusas tēn gynaikan, 7. 4). Zuvor lebte sie „unter ständiger aufsicht, damit sie möglichst wenig sähe, möglichst wenig hörte und möglichst wenig fragte“ (7. 5).46 Von Zuhause hatte sie infolgedessen nur zwei – allerdings für die Hauswirtschaft wichtige – eigenschaften mitgebracht: zum einen die Fähigkeit Wolle verarbeiten zu können und zum andern die tugend der sōphrosynē, der Besonnenheit und selbstbeherrschung. diese tugend befähige beide ehepartner, „so zu handeln, dass einerseits das Vorhandene bestmöglich erhalten wird, andererseits aber möglichst viel aus anständigem und gerechten Wirken hinzukommt“ (7. 15).47 an diesem punkt bringt Xenophon also ein element der gleichheit und gemeinsamkeit von Mann und Frau ein. Zwar gibt es auch für ihn eine klare unterscheidung der aufgabenbereiche zwischen der äußeren, öffentlichen Welt, die allein dem Mann und Bürger offensteht, und der inneren, häuslichen sphäre, die der Frau zukommt. und der ehemann ischomachos hat zunächst eine überlegene stellung, indem er seiner jungen Frau alle Verhältnisse und Vorgänge im Hause genau erklärt. aber mit der Zeit kann sie in ihrem häuslichen Bereich gegenüber dem personal selber die leitung übernehmen: „denn, sagte er, die arbeiten in meinem Haus zu leiten, ist die Frau auch ganz allein imstande“ (7. 3). Mann und Frau erscheinen also in der Oikonomia weniger über- und untergeordnet, sie ergänzen sich vielmehr durch ihre unterschiedlichen rollen. dementsprechend betont ischomachos das gemeinsame auch im Hinblick auf spätere kinder und deren erziehung sowie auf ihr gesamtes eigentum: 43 44

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pomeroy (1994) 36: „in contrast to greek philosophical and literary traditions, Xenophon is the first Greek author to give full recognition to the value of women’s work.“ colum. Xii, pr. 7 ff. erklärt mit ausdrücklichem Bezug auf Xenophons Oikonomikos (und ciceros Übersetzung), dass die domesticus labor matronalis in der gegenwart kein thema mehr ist, da luxus und Faulheit der römischen Frauen (9) die Beschäftigung von Verwalterfrauen (villicae cura, 10) erforderlich mache. Vgl. oben anm. 22. Hier wie auch im Folgenden in der Übersetzung von audring / Brodersen (2008) 63. auch Hesiod hielt eine gute ehefrau für einen segen (Hes. erg. 701 f.), doch führt er diesen Fall nicht näher aus; insgesamt herrscht bei ihm der misogyne und hinsichtlich ehe- und Hausfrau pessimistische ton vor.

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Peter Spahn denn ich erkläre alles, was mir gehört, für unser gemeinsames eigentum, und auch du hast alles, was du mitgebracht hast, zu unserem gemeinsamen eigentum gemacht. und nicht das kann unsere aufgabe sein, zu rechnen, wer von uns beiden der Zahl nach mehr beigesteuert hat, sondern das genau zu erkennen: Wer von uns beiden der tüchtigere partner ist, der steuert das Wertvollere bei. (7, 13)

Mit dieser sicht von ehe und Familie unterscheidet sich Xenophon deutlich nicht nur von der literatur aus der archaischen epoche, sondern auch von Zeitgenossen wie aristoteles, die stärker eine rangordnung der geschlechterrollen vertreten.48 die wichtigsten elemente ökonomischer lehre, die ischomachos seiner Frau und die der gesamte dialog dem leser immer wieder vermittelt, sind „ordnung“ (taxis) und „sorgfalt“ (epimeleia). denn von ihnen – das ist seine wichtigste Botschaft – hängt im detail und insgesamt der wirtschaftliche erfolg der oikonomia ab. die ordnung wird auch der Frau mit militärischen kategorien und analogien veranschaulicht. dazu kommt in 9. 14 eine politische analogie, indem die ordnung im oikos mit der eunomie in der polis und der Wahl von „gesetzeswächtern“ (nomophylakes) in Beziehung gesetzt wird. auch an dieser stelle spricht zwar ischomachos seine Frau an, aber die Vergleiche wenden sich letztlich an ein männliches publikum, das allein politische und militärische Funktionen und erfahrungen hat. die junge Hausfrau muss das Haus und seine ordnung zunächst von ihrem Mann übernehmen und erklärt bekommen, es sich dann aber so zu eigen machen, dass sie dem Mann intern sogar überlegen und er im Hause zu ihrem „diener“ (therapōn) wird: so werde sie für ihn der bessere „partner“ (koinōnos) (7. 42). die gesamte taxis im Haus, die anordnung der räume, der einrichtungen und geräte, der planvolle einsatz der sklaven und manches mehr werden hier behandelt. um die häusliche ordnung zu veranschaulichen, werden auch maritime Vergleiche gezogen, nämlich mit einem kriegsschiff, einer triere (8. 8), und mit einem phönikischen Handelsschiff (8. 11 f.). anders als bei Hesiod wird aber nicht etwa die ökonomische Bedeutung des seehandels thematisiert, sondern es geht allein darum, die notwendigkeit häuslicher ordnung zu beweisen, indem sie in anderen Bereichen aufgezeigt wird, die der leserschaft vertraut sind. eine gewisse Besonderheit bietet kapitel 10 über die männliche denkweise (andrikē dianoia) der ehefrau und all dem, was damit zusammenhängt:49 die ausführliche erörterung der problematik des schminkens und anderer schönheitsmittel sowie die angleichung an männliche körperübungen. ischomachos redet seiner Frau das schminken (mit Bleiweiß und rötel) sowie das tragen von hohen schuhen mit dem argument aus, dass sie doch in Vermögensdingen auch nicht gerne jemanden hätte, der mehr Besitz vorspiegelt als er tatsächlich hat. Sie findet den gedanken so überzeugend, dass sie dergleichen nie mehr versucht, sondern sich fortan „rein und schicklich“ (καθαρὰν καὶ πρεπόντως) präsentiert, und ihren Mann sogar um „rat fragt, wie sie wirklich schön aussehe und es nicht nur scheine“ (10. 9). auch Hesiod, der gegen weibliche Verführungskünste und -mittel polemi48 49

dazu im einzelnen pomeroy (1994) 33 ff. Besonderheit sowohl gegenüber dem literarischen umfeld als auch der realen lebenswelt der Frauen, jedenfalls in athen. Xenophon dürfte in diesem punkt von den Verhältnissen in sparta beeinflusst sein. Näheres bei Pomeroy (1994) 303 ff.

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siert,50 hätte an einer derart einsichtigen und folgsamen Frau seine Freude gehabt. aber der bäuerliche autor konnte noch nicht wie der ehemann bei Xenophon auf die Idee kommen, das Stehen der Frau vor dem Webgerät (ἱστὸν προσστᾶσαν, 10. 10)51 und das teigkneten als gymnastische Übung zu empfehlen: es sei „sklavisch, dauernd zu sitzen“ (δουλικῶς ἀεὶ καθῆσθαι), zu stehen aber „herrschaftlich“ (δεσποτικῶς, 10. 10). Und bei der Beaufsichtigung der Sklaven umherzugehen verbinde epimeleia und peripatos (10. 10). so könne es die Hausfrau ein wenig dem freien Mann und sogar dem philosophen gleichtun. und schließlich: „eine gute Körperübung (ἀγαθὸν γυμνάσιον), sagte ich, sei auch das Teiganmachen und Kneten, auch das ausschütteln und Zusammenlegen der kleider und decken. Wenn sie sich so Bewegung verschafft habe (γυμναζομένην), sagte ich, werde sie auch mit mehr appetit essen, gesünder sein und wirklich mit frischerer Farbe erscheinen“ (10. 11). Man kann nur hoffen, dass Xenophon und sein publikum dies ironisch verstanden. nach der erörterung der tätigkeiten der Hausfrau diskutieren sokrates und ischomachos (kap. 11) über die erga des Herrn, die auf den außerhäuslichen und politischen raum ausgerichtet sind. Hier ist nun offenbar ironie, zum teil auch spott im spiel: zum Begriff des kalos kagathos, Sokrates’ scheinbar gegenteiligem erscheinungsbild (mit anspielung auf die Wolken des aristophanes), der geschichte von Nikias’ Pferd und anderem. Ernst zu nehmen ist dagegen die Aufzählung der männlichen aktivitäten und Ziele eines guten lebens (11. 8): Verehrung der götter, gesundheit, körperkraft, ansehen in der polis, Wohlwollen bei Freunden, ehrenhafte rettung im krieg und anständig vermehrter reichtum. letzterer diene vor allem dazu, die Freunde zu unterstützen und die polis zu stärken. Zur körperlichen ertüchtigung wird das morgendliche ausreiten zum landgut empfohlen und als Vorbereitung für gerichtsreden rhetorische Übungen zu Hause zu teilweise komischen gelegenheiten: vor den eigenen sklaven oder der Frau. insgesamt zeigen diese erga des Hausherrn bei Xenophon deutliche unterschiede zu denen bei Hesiod: das Verhalten gegenüber den göttern, den Freunden und das problem des reichtums sind bei beiden wichtige themen. am meisten verändert haben sich die politischen rahmenbedingungen und die rolle des Hausherrn, der nun kaum mehr selbst sein land bearbeitet und nicht mehr ständig auf dem land wohnt, sondern einen Verwalter beschäftigt. Für die xenophontische oikonomia ist daher die auswahl, einweisung und Überwachung eines Verwalters, eines unfreien epitropos, eine zentrale aufgabe. das ist der zweite schwerpunkt im zweiten dialogteil. dieses thema fehlt verständlicherweise bei Hesiod, der überwiegend den selbst arbeitenden Bauern im auge hatte; da brauchte man noch keine Verwalter. ischomachos spricht dagegen bereits von seinen Verwaltern im plural, da er offenbar mehrere landgüter (agroi) hatte. aber es waren von der Fläche her gesehen in attika und auch sonst in griechenland meist keine großen latifundien. die relativ ausführliche Behandlung des Verwalter50 51

Hes. erg. 373 f.: „nicht soll ein Weib, das den steiß sich schmückt, den sinn dir berücken, / wenn sie mit schmeichelndem Wortschwall in deiner Hütte dich aufspürt.“ dazu pomeroy (1994) 307 mit einem Vasenbild eines solchen vertikalen Webbaums aus dem 6. Jahrhundert.

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problems (kap. 12–14) gibt eine reihe konkreter informationen über die damalige gutswirtschaft, zumal wenn man sie mit entsprechenden passagen in der römischen agrarliteratur über den vilicus, vor allem bei cato und columella, vergleicht.52 insgesamt gesehen lässt sich feststellen, dass bei Xenophon für die auswahl und Funktion des Verwalters in erster linie charakterliche Qualitäten gefragt sind und kaum agrarische Fachkenntnisse. der epitropos ist, wie die Bezeichnung sagt, generell ein Bevollmächtigter, nicht nur auf ein landgut bezogen; die römische entsprechung dafür ist der procurator. der vilicus dagegen ist von villa abgeleitet, d.h. speziell für die landwirtschaft zuständig, und sollte dafür primär ein artifex sein, also ein Fachmann. erst in zweiter linie geht es bei columella um die virtutes, soweit man solche bei einer „sklavischen natur“ (servile ingenium) überhaupt erwarten könne.53 Für Xenophons ischomachos dagegen bleibt die Fachkenntnis sehr im allgemeinen. letztlich zählen nur der charakter, also ordnungssinn, sorgfalt und ehrlichkeit und vor allem seine „ergebenheit“ (eunoia, 12. 5). der epitropos als stellvertreter des Herrn muss andererseits von diesem auch zum „Führen“ (ἄρχειν, 13. 3 f.) erzogen werden. da er aber selbst in der regel ein unfreier ist, ergeben sich hier besondere probleme: Man könne nicht, wie beim eigentlichen sklaven und bei tieren, allein auf dressur setzen, sondern sollte beim Verwalter auch Verstand und ehrgeiz ansprechen. am ende ließe man ihm dann die gleiche ehre angedeihen wie einem kalos kagathos (14. 9). in dieser ironischen schlussfolgerung zeigt sich ein prinzipielles dilemma der auf sklaverei beruhenden Ökonomie. darauf folgt der dritte schwerpunkt, zunächst im Blick auf den Verwalter, nämlich die Lehre der „Kunst der Landwirtschaft“ (τέχνη γεωργίας, 15. 3). Sie umfasst im dialog fünf kapitel (15–19), aber sie bleibt inhaltlich überwiegend sehr allgemein. die Hauptthemen betreffen die natur und Beschaffenheit der Böden (16). sie lasse sich ganz einfach und bereits von Weitem erkennen,54 indem man auf die erträge schaue. Ferner geht es um die aussaat (17), die ernte und das dreschen (18) sowie die Anpflanzung von Bäumen und Rebstöcken (19). Darstellung und Diskussion sind bei all diesen Themen bewusst oberflächlich und laienhaft, der technische und naturkundliche informationsgehalt ist gering. so wird etwa bei den einzelnen Pflanzen und Bäumen – bei Oliven und Feigen, beim Wein und bei den Obstbäumen – nicht zwischen einzelnen arten unterschieden geschweige denn zwischen verschiedenen standorten oder lagen. in mancher Hinsicht war bereits Hesiods lehre differenzierter, technischer und näher an der bäuerlichen arbeit und lebenswelt; man denke etwa an seine ausführungen zum Pflügen und zur Pflugherstellung. Und die Begrenztheit und der Dilettantismus des xenophontischen Oikonomikos zeigen sich erst recht beim Vergleich mit den römischen agrarautoren. der grund liegt offen zutage und wird von Xenophon bzw. seinem ischomachos explizit erklärt: die landwirtschaft sei gar nicht schwierig zu erlernen. im unterschied zu den anderen technai könne sie jedermann 52 53 54

cato agr. 7; colum. i. 8. colum. i. 8. 10. sogar schon von der see aus (16. 7): „Meeresarbeiter“ (thalattourgoi – also wohl vor allem Fischer) könnten selbst im schnellen Vorbeifahren an den Früchten des landes meist richtig erkennen, ob es sich um gute Böden handelt oder nicht.

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allein durch Zuschauen erlernen. diese einfachheit und offenheit mache sie zu etwas „Edlem“ (γενναῖον, 15. 4). Die anderen technitai, also die Handwerker und die anderen Fachleute, halten ihre kunst dagegen möglichst geheim (15. 11). und das spreche nicht für sie. die meisten von ihnen seien bekanntlich banausoi. Xenophon spielt auf Autoren an, die Agrarthemen zwar „theoretisch“ (λόγῳ) sehr gründlich behandelten, die aber wenig von der praktischen landarbeit verstünden. und tatsächlich gab es seit dem 4. Jahrhundert eine Menge landwirtschaftlicher Fachliteratur. Varro und columella nennen gut fünfzig namen entsprechender griechischer autoren, deren Werke für uns sämtlich verloren sind. es ist sehr merkwürdig, dass von den griechischen agrarschriftstellern außer Hesiod nur Xenophon überliefert wurde. das mag mit der literarischen Qualität dieser schriften zusammenhängen, wohl auch mit ihrem inhalt, da Xenophon wie Hesiod die landwirtschaft gerade nicht als bloße technē behandeln. Bei der römischen agrarliteratur ist dies in weit höherem Maße der Fall. Und bei Columella findet sich eine klare Distanzierung vom dilettantismus des xenophontischen ischomachos: „aber auch dieser standpunkt ist schon ziemlich veraltet und entspricht eben jener Zeit, in der ischomachos sagen konnte, es gebe niemanden, der nichts von der landwirtschaft versteht“ (colum. Xi. 1. 5). am ende der ausführungen über die technē geōrgias steht eine passage (20. 22 ff.), in der manche interpreten ein anzeichen für die kommerzialisierung der landwirtschaft im klassischen athen sehen.55 es ist die stelle, an der ischomachos von seinem Vater berichtet, der brachliegende grundstücke preiswert aufgekauft habe, um sie selbst intensiv zu bearbeiten, in schuss zu bringen und sie dann um ein Vielfaches des ursprünglichen preises zu verkaufen. in diesem kontext steht auch das Wort chrēmatisis, also im sinne von: geld oder Vermögen machen.56 Wenn man daraus schließt, dass dieser Mann durch grundstücksgeschäfte reich geworden sei, ist das nicht falsch. aber ischomachos betont doch eine ganz andere seite, nämlich dass die Wertsteigerung und der folgende Verkaufsgewinn allein auf die schweißtreibende landarbeit seines Vaters zurückgingen. er war wirklich noch ein autourgos. und wenn eine solche Wirtschaftsweise kommerzialisierung der landwirtschaft bedeutete, dann gab es diese auch schon in der Welt Hesiods. denn damals war agrarland auch gelegentlich objekt von kauf und Verkauf, wie seine Mahnung zeigt, du mögest eher ein Erbe (κλῆρος) von anderen kaufen (ὠνῇ), als dass ein anderer deines kauft (Hes. erg. 340). Die Geschichte von Ischomachos’ Vater durchbricht also weder den ethischen noch den wirtschaftlichen rahmen von Xenophons Oikonomikos. es geht auch in dieser passage nicht um eine anleitung zum grundstückshandel, sondern um ein Beispiel erfolgreicher oikonomia allein auf der Basis intensiver, sogar selbst betriebener Bodenbearbeitung. allerdings ist es fast die einzige stelle im dialog, wo von Kauf und Verkauf die Rede ist. Nur beiläufig wird ein andermal erwähnt, dass man 55 56

Zu dieser diskussion s. pomeroy (1994) 339 ff. nimmt man die geschichte historisch ernst, gehört sie zeitlich in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts, vielleicht noch vor Beginn des peloponnesischen krieges. Davor ist von einer „anderen geldmachenden Fertigkeit“ (ἄλλην τέχνην χρηματοποιὸν, 20. 15) die rede, nämlich einer anderen als der landwirtschaft.

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einen sklaven auf die agora zum einkaufen schickt (8. 22). im Übrigen geht es summarisch um das Vergrößern des oikos. und das geschah in athen vor allem im 5. Jahrhundert nicht nur durch kriegerische landnahme und ausbeutung von kleruchien, sondern überwiegend durch eigene landwirtschaft einschließlich dem Verkauf von Überschüssen. das gab es jedoch bereits bei Hesiod, dessen ökonomisches Ziel nicht die bloße subsistenzwirtschaft war; er bietet sogar eine eigene lehre zu Fragen von Handel und seefahrt. die thematik von kauf und Verkauf oder gar von geld- und Marktverkehr bildet auch nicht den abschluss von Xenophons schrift. Von geld, zumal in gemünzter Form, ist im Oikonomikos auffallend wenig die rede. die agora erscheint vor allem als öffentlicher raum für die Begegnung und kommunikation der von banausischer arbeit freien Bürger und nur am rande auch als Markt – bezeichnenderweise für einen dorthin befohlenen sklaven. in anderen Werken (z.B. in einigen szenen der memorabilia und vor allem in den Poroi) geht allerdings auch Xenophon mehr und konkreter auf kommerzielle aspekte der Wirtschaft und gesellschaft athens ein. die Botschaft des Oikonomikos ist dagegen im ganzen kontrafaktisch zu verstehen angesichts der wirtschaftlichen realität athens im 5. und 4. Jahrhundert. der schluss des dialoges (kap. 21) behandelt bezeichnenderweise nicht spezifisch wirtschaftliche Fragen, sondern generell das Problem der „Führung“ (τὸ ἀρχικόν); diese sei nämlich „allen Handlungsbereichen gemeinsam, dem landwirtschaftlichen, politischen, ökonomischen und militärischen“ (21. 2).57 auffällig ist, dass hier landwirtschaft und Ökonomie nebeneinandergestellt werden, die Ökonomie somit nicht als oberbegriff fungiert. und zwischen privatem und öffentlich-politischem Bereich wird – anders als etwa bei aristoteles – kein prinzipieller unterschied gemacht. als exempel dient Xenophon wie schon mehrfach zuvor das Handeln von Militärs. da ist beispielsweise der Befehlshaber einer triere, der das Zusammenwirken von vielen ruderern zu leiten versteht (an die 200 auf einem engen Schiff!) und der begnadete Heerführer,58 dem seine soldaten durch dick und dünn folgen (21. 3–7). dementsprechend wird die Fähigkeit des Herrn (despotēs), seine Arbeiter zu motivieren, sogar als Zeichen eines „königlichen Charakters“ (ἤθους βασιλικοῦ, 21. 10) verstanden. Diese sei nicht mehr durch bloßes Zuschauen oder durch einmaliges Zuhören zu erlernen, sondern dafür seien „erziehung“, eine „gute natur“ und sogar etwas „höchst göttliches“ nötig (21. 11).59 letzteres klingt zunächst vielleicht übertrieben, denkt man an einen durchschnittlichen gutsherrn, der nur über einige Arbeiter befiehlt – erinnert es doch an homerische Epitheta von gottgleichen königen und Führern. aber dieser schluss macht noch einmal sehr deutlich, dass es im Oikonomikos weniger um eine theorie der Wirtschaft geht als um das ethos guten lebens und richtiger Menschenführung. 57 58 59

τὸ πάσαις κοινὸν ταῖς πράξεσι καὶ γεωργικῇ καὶ πολιτικῇ καὶ οἰκονομικῇ καὶ πολεμικῇ τὸ ἀρχικὸν εἶναι. Hier klingt Xenophons eigene erfahrung aus der anabasis besonders deutlich an, und es zeigt sein Selbstwertgefühl, wenn er solche „Kommandeure“ als „göttlich, gut und verständig“ (θεῖοι καὶ ἀγαθοὶ καὶ ἐπιστήμονες ἄρχοντες, 21. 5) bezeichnet. ἀλλὰ καὶ παιδείας δεῖν … καὶ φύσεως ἀγαθῆς … καὶ τὸ μέγιστον δὴ θεῖον.

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V. antike ÖkonoMik und antike WirtscHaFt Hesiods Erga und Xenophons Oikonomikos markieren zwei epochen in der geschichte antiker Ökonomik. Hesiods Werk entstand in der Frühzeit der griechischen poliswelt und lässt noch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem politischen Bereich erkennen. umso mehr betont es eine konzentration auf den oikos und sein unmittelbares umfeld, vor allem die nachbarschaft, um den lebensunterhalt und den sozialen status sicherzustellen. Xenophon andererseits schrieb bereits nach dem Höhepunkt athenischer Machtbildung im 5. Jahrhundert, als die demokratische polis zunehmend in eine krise geriet und die Monarchie von persien aus, dann auch von Makedonien, stärker wurde. in überseeischen poleis wie in sizilien entstand außerdem eine neue art von tyrannis.60 die Bürgerpolis war damit nicht am ende, aber sie wurde mit neuartigen Herausforderungen konfrontiert, die sich auch auf die lebensführung und die Ökonomie auswirkten. der Vergleich zwischen Hesiods und Xenophons lehrschriften ergab eine reihe von Ähnlichkeiten und parallelen, aber auch unterschiede in schwerpunkten und Bewertungen. gemeinsam ist beiden texten offensichtlich, dass die wirtschaftliche thematik in einen ethischen Zusammenhang eingebunden ist. das Weltbild und die ethik beider autoren gründen explizit auf einem religiösen Fundament, auf Frömmigkeit und Verehrung der götter.61 in beiden schriften zeigt sich sehr deutlich, dass wirtschaftliche und soziale Fragen eng verknüpft werden, was für die gesamte griechische Ökonomik gilt. auch politische probleme und institutionen werden vereinzelt angesprochen – mit verschiedenen gewichtungen und positionen, die aus der jeweiligen historischen situation und der unterschiedlichen sozialen lage zu erklären sind. Hinsichtlich der einzelthemen zeigte sich, dass bei Hesiod eine Wirtschaft von selbst arbeitenden freien Bauern im Vordergrund steht, die weitere, auch unfreie arbeitskräfte beschäftigt. Betont werden arbeitseifer, konkurrenz, rechtlichkeit, selbstständigkeit und nach Möglichkeit autarkie. außer dem ackerbau, der am genauesten dargestellt wird, findet auch ein selbstbetriebener Seehandel Beachtung. an sozialen Beziehungen über den oikos hinaus wird vor allem die nachbarschaft geschätzt, während die weitere Verwandtschaft, die dorfgesellschaft und erst recht die Herrschenden in der polis kritisch gesehen werden. gleiches gilt bei Hesiod für die Beurteilung der Frau. in seinen Äußerungen liegt eine ausgesprochene Misogynie, die vielleicht dazu beigetragen hat, dass die rolle der Hausfrau nicht ausgeführt wird, obwohl doch in Wirklichkeit sie an erster stelle die oikonomos war. in dieser Hinsicht bietet Xenophons Oikonomikos das genaue gegenbild, nämlich das der idealen ehe- und Hausfrau. auch der Hausherr hat sich gewandelt: Außer dem Sonderfall von Ischomachos’ Vater ist es nicht mehr ein autourgos, sondern ein stadtsässiger gutsbesitzer, der einen oder mehrere Verwalter beschäftigt. die landwirtschaft selbst, die betontermaßen kein Fachwissen erfordert, 60 61

in Xenophons gesamtem Werk, nicht nur im Oikonomikos, werden interesse und sympathie für die Monarchie vielfach deutlich, so in der kyroupädie, im agesilaos und im Hieron. das gilt auch für aristoteles, in dessen ethischen und politischen schriften dieser aspekt nicht so offensichtlich ist. siehe zuletzt Bartlett (2013).

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wird überwiegend von sklaven betrieben. das Hauptproblem für den Herrn und seinen Verwalter besteht darin, die arbeiter zur arbeit zu bewegen und sie zu überwachen. Mit gewerblicher arbeit, den spezialisierten banausikai technai, möchte ein kalos kagathos nichts zu tun haben. er widmet sich in erster linie seinen Freunden in der Stadt, pflegt Körper und Geist, und spricht möglichst nicht vom Geld. Als Bürger erfüllt er seine Pflichten und wappnet sich rhetorisch für eventuelle auftritte vor gericht. es ist offensichtlich, dass diese Ökonomieliteratur dem Historiker nur bestimmte aspekte der antiken Wirtschaft bietet. sie spart manche Bereiche aus, anderes wird idealisiert oder fingiert, und manches kann auch kontrafaktisch gelesen werden. allerdings sollte man die griechische Ökonomik nicht einfach als gegenbild der realen Wirtschaft verstehen, weder als pure dichtung wie im Falle der epik und der lyrik der archaischen Zeit, noch – wie dann im 4. Jahrhundert – als scheinbar konservative philosophische literatur, die sich gegen eine wirtschaftliche Modernisierung vor allem der geldwirtschaft, des Handels und des gewerbes wendet. Wenn man diese literatur als wirtschaftshistorische Quelle benutzt, kann es nicht darum gehen, über hundert Jahre nach der Bücher-Meyer-kontroverse die alten Fronten wiederzubeleben: nämlich Xenophon als Vertreter der traditionellen und primitiven oikos-Wirtschaft gegenüber vermeintlich modernen elementen in der damaligen realen Wirtschaft. um die historische eigenart der wirtschaftlichen Verhältnisse in der griechischen antike zu bestimmen, müsste man zweifellos noch viele andere und andersartige Quellen heranziehen. aber die datenmenge allein bewahrt nicht davor, insgesamt eine anachronistische Vorstellung von der antiken Wirtschaft zu entwerfen, entweder eine zu modernistische oder zu primitive. Historische Vergleiche mit anderen epochen und kulturen können dagegen helfen, solche Fehleinschätzungen zu verringern. Meines erachtens ließen sich Wirtschaft und gesellschaft der antiken stadt in dieser perspektive durch ihre Zwischenlage charakterisieren – grob gesagt zwischen altem orient und europäischem Mittelalter. als Vergleichsobjekt scheint mir also viel eher die mittelalterliche stadt infrage zu kommen als etwa die moderne industriegesellschaft, die man vor allem im 19. Jahrhundert zum Maßstab nahm. ich möchte das zum schluss exemplarisch für zwei Bereiche skizzieren, die auch bei Xenophon kurz angesprochen werden: erstens für den gewerblichen sektor und zweitens für geldwesen, Markt und Handel. Zum ersten: das produzierende gewerbe außerhalb der landwirtschaft, im deutschen meist Handwerk genannt, taucht im Oikonomikos vor allem im kontext der sog. Banausen auf. deren verbreitete soziale geringschätzung in der antiken literatur hängt m.e. damit zusammen, dass die technitai (so der neutrale ausdruck für meist handwerkliche Facharbeiter) in der regel keinen eigenen sozialen stand oder gar eine Zunft bildeten. es konnten Freie oder unfreie sein – Bürger, Metöken oder andere Fremde, arme oder reiche – sie konnten politisch mitbestimmen oder ausgeschlossen sein. diese soziale und ethnische Heterogenität verhinderte die Bildung eines selbstbewussten bürgerlichen Handwerkerstandes. und wirtschaftsgeschichtlich gesehen waren es in einem gewissen sinn ohnehin keine „Handwerker“, im sinne einer typologie gewerblicher produktion, die auf karl Bücher zurück-

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geht.62 in der antike gab es vor allem „Haus- und lohnwerk“, aber kaum „preiswerk“, das eine neue Form gewerblichen Betriebskapitals entstehen ließ, aber auch preisregulierungen, ausbildungsregeln und vieles mehr, wie man es von den mittelalterlichen Zünften her kennt. in der antike war dagegen in der gewerblichen Wirtschaft vieles unreguliert. dieser typ von lohnwerk erweckt einen anschein von Modernität, die eduard Meyer und andere der Wirtschaft im klassischen griechenland zuschrieben. aber tatsächlich war dieser gewerbetyp – zumal bei der vorherrschenden sklavenarbeit – kein Wegbereiter für moderne, gar industrielle produktionsformen, und es gab von diesem lohnwerk historisch keine Verbindung zum neuzeitlichen kapitalismus. Zum Zweiten hier nur soviel: die griechen haben das Münzgeld in der antike verbreitet. das hatte in vieler Hinsicht revolutionäre auswirkungen. der orient brauchte es lange Zeit nicht. aber diese Münzen, so schön sie oft waren, blieben – wiederum verglichen mit dem europäischen Mittelalter – eine relativ primitive geldform, nämlich naturalgeld, zunächst meist ein normiertes gewicht aus reinem silber. Man musste es wie eine Ware transportieren, da es kaum unbare transfer- und kreditinstrumente gab, wie sie seit dem Hochmittelalter in europa entstanden. das begrenzte auch den Handel und Marktverkehr – wenngleich auf der anderen seite die agora als Markt wiederum eine griechische innovation war, die der Alte Orient anscheinend mied und verachtete. Für die Händler und Kaufleute gelten zum großen teil ähnliche Merkmale wie für die Handwerker. auch bei ihnen zeigen sich kaum ständische strukturen und nur geringe professionalisierung. kaufmännische literatur oder gar Handbücher, die über Hesiods einschlägige Verse hinausgegangen wären, mag es gegeben haben. sie sind aber merkwürdigerweise nicht überliefert. diese wirtschaftlichen und sozialen Besonderheiten der größeren poleis des 5. und 4. Jahrhunderts bilden den realhistorischen Hintergrund für die klassische Ökonomieliteratur. im Vergleich zu den führenden Handels- und gewerbestädten seit dem späten Mittelalter war die antike stadtwirtschaft relativ einfach strukturiert. das gilt für die organisation der meisten gewerbe ebenso wie für die des Fernhandels und des damit verbundenen Zahlungsverkehrs. es zeigt sich in der mittelalterlichen stadt vor allem an der wirtschaftlichen, sozialen und auch politischen Bedeutung der Handwerkerzünfte und der kaufmannsgilden, aus denen dann das mittelalterliche und neuzeitliche Bürgertum als eigener stand neben dem adel und dem klerus hervorging. dies hat weder in der klassischen polis noch in der römischen republik eine entsprechung. umso erstaunlicher ist es, dass seit dem späten Mittelalter die antike Ökonomieliteratur, wie gerade auch Xenophons Oikonomikos, von italien aus zum Vorbild der deutschen Hausväterliteratur wurde. der Bezug auf Xenophon wird besonders in den vier Büchern Della Famiglia von leon Battista alberti deutlich, die seit 1434 entstanden. im einzelnen zeigt dieses Werk trotz seiner humanistischen Begeisterung für die vorbildliche antike, speziell für 62

Bücher (1909). diese typologie und differenzierung wird auch in der deutschsprachigen Forschung kaum mehr beachtet, für Max Weber war sie noch grundlegend. Bücher unterschied zwischen verschiedenen Formen von „Hauswerk“, „lohnwerk“, „preiswerk“ (das eigentliche, zünftige Handwerk), „Manufakturen“ und „Fabriken“.

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korrekturzusatz dieser aufsatz wurde im oktober 2014 abgeschlossen und berücksichtigt nur die bis dahin erschienene sekundärliteratur. Vgl. dazu peter spahn „aristophanes und Boccaccio – Handel und geldgeschäft in athen und Florenz“, in: Monika schuol u.a. (Hg.), exempla imitanda. Mit der Vergangenheit die gegenwart bewältigen? Festschrift für ernst Baltrusch zum 60. geburtstag, göttingen 2016, 249–268.

ReconsideRing the economy traditional values and philosophical theory versus public and private practice in fourth-century Bce Athens Darel Tai Engen i. intRoduction the economy is obviously central to so much of what we do on a daily basis as well as to public policy, yet it is so complex and so difficult to understand. This is especially true when it comes to the issue of what we do economically versus what we think about the economy and the degree to which the two coincide. does the study of economics help us to understand real-world economic activity and, therefore, to improve our daily lives and public policy? We’d like to think that it does, but there are many doubters, and the truth of the matter is difficult to know with certainty in the present, since only time will tell if our analyses bear fruit in the future. this is an area, therefore, in which the study of the past can help to inform our understanding of the present. To what degree did past economic analysis reflect real-world economic activity and prescribe effective practical economic policy? this is a question that can be answered, and a good place to start is with the concepts of oikonomia and chrēmatistikē in ancient greece. here we have ample evidence of the analyses of such thinkers as Xenophon, Plato, and Aristotle and sufficient evidence of actual public and private practice in the fourth century Bce to examine the correspondence between theory and reality. in this article, i will show that the answer to this question is complex – neither a simple “yes” nor a simple “no.” When describing and analyzing economic activities, ancient greek theorists often reflect actual practice; however, their prescriptions for proper, natural, and/or honorable economic activity are inconsistent. With some notable exceptions, for the most part they express what they would like to be rather than what actually could be, influenced by ethical goals that entailed returning to some idyllic past, by being cognizant of or valuing only elite practices, or by a need to mold economic practice to fit their broader philosophical systems. On the other hand, although both individuals and the Athenian state were not immune to the power of traditional values, they often disregarded the analyses and prescriptions of philosophers concerning economic practices and institutions, redefining or even completely ignoring traditional values in the process.

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ii. PhilosoPhicAl vieWs on the economy our most extensive contemporary descriptions and analyses of the ancient greek economy come from intellectuals and philosophers of the fourth century Bce, particularly Xenophon, Plato, and Aristotle. Although one can find in their discussions a picture of a complex and dynamic (in the sense of changing and not static) economy, their focus is less on describing the realities of the ancient greek economy and more on prescribing what it should be in terms of either reforming real deviations from an ideal or suggesting policies to exploit those realities yet still for the sake of fulfilling traditional economic goals. In either case, therefore, the analyses are backward-looking, informed by and tied to a mostly real but also somewhat imagined better past economy. That past economy – one that continued to prevail to a significant extent even in the classical period of Xenophon, Plato, and Aristotle – was largely an agrarian one centered on the household, which sought self-sufficiency (autarkeia) in producing by itself everything that it needed for its own maintenance. in fact, the ancient greek word for “economy,” oikonomia, literally means “household management.” this traditional ancient greek conception of the economy is nowhere more explicit than in Xenophon’s Oikonomikos. in this work, Xenophon has socrates argue that farming (geōrgia) is the “most beautiful” (kallistos) and “most necessary” (anagkaiotatos) of pursuits along with warfare (oik. 4. 1; 4. 4; 6. 8). Although necessity is often associated with economics even in the modern mind, “beauty” (or “goodness,” or however one wishes to translate kalos) is not – it is an aesthetic or ethical concept that has very little place in modern economic theory and, as we shall see, was beginning to give way to other economic imperatives even in classical Athens. According to Xenophon, though, farming brings with it many intrinsic benefits that bear little relation to the wealth-generating goals of modern economics: it strengthens the body, prepares men for military service and leadership roles, and allows one the necessary spare time to participate in public affairs (4. 5; 5. 14–15; 6. 9). Even when Xenophon does consider the goal of acquiring wealth, he cannot help but stress that the hard worker can make more money in farming than in any other occupation, which was almost as backward-looking an assertion in his own day as it is in ours (20. 22). on the other hand, Xenophon has socrates say that crafts (banausia) are “completely disdained” (panu adoxountai) because they weaken the minds and bodies of their practitioners, leaving them lazy and cowardly and with no spare time for public service (4. 2; 6. 5–7). While Xenophon’s description of the household economy is highly idealized, it was based on the typical pattern of subsistence farming that prevailed in greece during the Archaic and classical periods. Plato’s highly theoretical Republic, in which he describes his notion of the ideal state, is consistent with the simplified and idealized view of economics presented in Xenophon’s Oikonomikos but goes even farther to disdain all economic activities as peripheral to and even corrupting for the maintenance of a virtuous city. Plato’s Republic criticizes non-landed economic activities especially in so far as their goal is to acquire wealth, but it goes so far as to relegate all economic endeavors, both

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landed and non-landed, to a second-class status in the community. Plato is grounded enough in reality, however, to acknowledge the necessity of farming, artisanship, buying and selling, and trade to produce and distribute goods (like food, tools, and weapons) needed for survival (rep. 2. 369–371). He also sees the efficiency of specialization and a division of labor to provide these goods in adequate abundance. to this degree, Plato can even describe such an economy as befitting a “true” polis (alēthine polis) (2. 372e). However, once a community goes beyond the simple supply of necessities and desires a finer style of life, with comfortable furniture, tasty foods, arts and entertainments, and greater wealth, it will need even more specialized occupations and begin to enter into competition with other communities to acquire wealth (chrematōn ktēsis apeiros), a competition that is unlimited and has no end (2. 373). The inevitable outcome of this escalation of desires is war. To protect the community, therefore, another occupation will be necessary, that of the guardians. since guardianship of the safety and wellbeing of the community is the most important of occupations, specialization is even more necessary here than in other occupations. one cannot be an effective guardian and an effective farmer, artisan, or merchant at the same time, and such occupations are necessarily inferior to the guardianship, or governance of the state (2. 374). In order to insure that the guardians aren’t tempted to put personal interests ahead of public ones, they must be free of all private economic concerns. thus, they are barred from owning private property beyond the barest necessities, cannot possess silver or gold, and will not even be responsible for feeding themselves, as their food will be provided by the class of workers as compensation for their service of caring for the state (3. 416d–e). it is clear then, that Plato was aware of certain economic realities, but he sees these realities as corrupting to the ethical goals of the ideal state and, therefore, he seeks to minimize them as much as possible. in his later work, the Laws, Plato presents another version of an ideal state that, although much more practical and cognizant of economic realities than that presented in the Republic, is consistent with the general principles set forth in the earlier work and with Xenophon’s Oikonomikos, particularly in its disdain for nonlanded occupations, the acquisition of wealth, and their corrupting influence on individuals and the state. the city of the Laws is basically Plato’s program for a reformed Athens, in which he must accept the realities of Athens’ situation while suggesting ways of minimizing their corrupting influence in order to fashion a city that, while not the ultimate ideal of the Republic, is at least the next best thing.1 Plato drops the fanciful notion of communal property from the Republic on the grounds that it would be too difficult for typical citizens to accept (leg. 740a) and allows for private-property ownership among the citizenry, but in order to eliminate the potential for strife that could arise as the result of inequalities in wealth, the citizenry, which consists of a fixed number of 5,040 individuals, will receive equal plots of land to farm for their subsistence (739a; 737c; 741e). They will not do the farming themselves, though: the actual work of farming will be carried out by 1

Plat. leg. 739a, 739e, and 875a–875d. See also Nightingale (1999), Dusanic (2002), and Munn (2012) for the relationship between Plato’s Laws and the historical context within which it was written.

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slaves (806e). Just as Plato required his guardians in the Republic to specialize in statecraft, so too in his Laws he deems it necessary that the citizens devote their full attention to cultivating personal virtue and the good governance of the state. they cannot, therefore, hold any other occupations, such as artisans (demiourgoi) or retail (kapēloi) or wholesale (emporoi) traders, and would be barred from this by law (846d; 919d–e). These occupations would again be left for non-citizens (metics and xenoi) (920a). So, once again, economic interests must take a back seat to ethical interests, primarily the virtue of the individual and the wellbeing of the state. moreover, some occupations are not only distractions from the proper public business of citizens, but they are also corrupting, particularly the non-landed occupations that entail interaction with non-citizens and inspire profit-seeking and the acquisition of wealth, whose prohibition is a chief concern of numerous laws. to begin with, the very geographical orientation of the city will be fixed with an eye to limit the involvement of citizens in trade. Although the city will be near the coast, have a harbor, and engage in overseas trade (much like Athens in reality), the city will be situated at least 80 stadia away from the port (704b; 705a), and the non-citizens who engage in trade will have to reside and work outside the city and in the marketplaces and the port (952e). Citizens will not even be allowed to sell their assigned plots of land or to own gold or silver (741b; 742a). Money will be necessary to pay wages to laborers for their work or to craftsmen for the tools and other necessary items they make, but the money must be such that it has no value elsewhere and cannot be lent out at interest (742a and c). Retail prices are to be fixed by government officials, published in the market place, and enforced by other officials (917c; 920c). in addition to the laws that limit people’s ability to seek wealth, excessive wealth is repeatedly criticized, as it leads to inequalities that cause strife and inspires the seeking of more money to the extent that one neglects the care of his soul (744d; 743d). Because of this, it is impossible for rich people to be good (742e; 743c), and the education of citizens should be such as to banish slavishness (aneleutheria) and love of wealth (philochrēmatia) from men’s souls, since the pursuit of money (epimeleia tōn chrematōn) ranks lowest on the scale of honor (747b; 743e). in and of itself, retail trade (kapēleia) is not a bad thing, even though it requires the use of coinage (nomismatos) and is carried out by merchants (emporoi), since it serves to equalize otherwise unequal distributions of goods (918b). The problem is that retail trade (kapēleia) – and wholesale trade (emporia) too – necessarily tempts its practitioners with the promise of acquiring wealth (kerdainein), a desire that is insatiable and without measure (918d). Plato contrasts the so-called illiberal occupations of artisanship and retail and wholesale trade (banausia) with farming, which provides only the modest wealth which one needs (743d). In sum, Plato’s Laws acknowledge the existence of a complex economy with a variety of occupations and profit-seekers; however, the work looks backward, seeing a more primitive economy in which goods were produced and exchanged for need rather than for wealth as a more ethical and, therefore, a more desirable one. in this way, Plato’s economic analysis is little different from his analysis in other areas, such as military organization, in which he holds up the traditional prac-

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tice of hoplite warfare as superior to the more recent emphasis on naval warfare (707a–d). Why? Not because hoplite infantries are necessarily more effective at winning wars, rather it is because they offer men the opportunity for virtue and honor through individual acts of courage, whereas naval warfare reduces men to robotic rowers with no opportunity for distinction. For Plato, the goal of any activity, whether it be politics, military affairs, or economics, should not be merely survival, or wealth, or power but rather virtue and honor. Aristotle’s conception of the economy is largely consistent with those of Plato and Xenophon, since he also esteems farming and self-sufficiency while criticizing other livelihoods and particularly the acquisition of money (chrēmatistikē) through trade (kapēlikē). in his work, the Politics, in which he tries to determine the best form of government, Aristotle necessarily takes up the issue of household management (oikonomia), since states are to a great extent the conglomeration of individual households (pol. 1253b 1). Although the ideal household would be self-sufficient and have all the property it needs to sustain itself (including land, tools, labor, etc.), in reality household managers must necessarily concern themselves with the acquisition of property in order to obtain that which they are lacking but need just to survive (zen), let alone to live the good life (eu zen) (1253b 24–25; 1256b 25– 30). this situation is, according to Aristotle, within the natural order of things, as some people have more than enough of some items but less than enough of others (1257a 14–15). According to Aristotle, this form of acquisition, the acquisition of property (ktētikē) necessary for survival, is natural (kata phusin), because it is limited; it has an end (to peras) (1256b 32–39). A farmer acquires a hoe, a plough, a horse, or a slave to use it for a purpose that is particular to it, e.g., a plough to till the land (1257a 5–10). His partner in the exchange likewise has a specific need and receives in barter from the farmer an item of property that the farmer has, for example some produce such as grain from his field, in exchange for the plough. According to Aristotle, such barter exchanges were natural because each party to the exchange acquires only property that he/she needs for a specific use that is particular to itself, thus bringing both parties to a state of self-sufficiency, which is the ultimate goal of nature (1257a 17–30; 1253a 1–5). Moreover, such an exchange is limited, i.e., it is a finite, discrete unit – once the exchange of property is made, it is over, and there are no further exchanges involving those items. in Aristotle’s teleological philosophical system, nature is efficient – it does nothing without a purpose, so all things have a limit, an end, a purpose (1252b 1; 1253a 10).2 thus, like Xenophon and Plato, Aristotle’s description and analysis of economic activities holds as natural, and, therefore, necessary and praised (anankaia kai epainoumenē), the kind of acquisition of property that is consistent with the kind of household management typical of the small, subsistence farmer. Whereas this form of acquisition, ktētikē, which is typical of farmers, is natural, Aristotle identifies another form of acquisition that is not typically engaged in by 2

concerning the fundamental principles of Aristotle’s philosophical system, see general works, such as Jaeger (1934); Taylor (1955); Lloyd (1968; 1996); Morrall (1977); Barnes (1982; 1995a; 2000); Edel (1982); and Ross (1995). And for his teleological approach in particular, see Johnson (2005) and Cameron (2010).

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farmers and is not natural – the acquisition of money (chrēmatistikē) – which has no limit (1256b 40–1257a 1–5) and is, therefore, justly criticized. In this form of acquisition, property is exchanged not because one has need of a particular item that is to be used for its own particular purpose (e.g., a plough to till the land) but rather because one wishes to use the value of that property in further exchanges through which he hopes to make a profit, i.e. some gain or increase in wealth. Aristotle calls this type of exchange “trade” (kapēlikē) (1257b 1–2). According to Aristotle, such exchanges and the acquisition of money that they promote were originally made possible by the introduction of coinage (nomisma), which was invented in order to facilitate exchanges over long distances as the scale of exchanges grew (1257a 30– 35). in the Nicomachaean Ethics Aristotle further elaborates that coinage also served as a standard of value that facilitated determining commensurate values for otherwise dissimilar goods so that exchanges could be made in which neither party to the exchange unjustly received more than his fair share at the expense of the other (eth. Nic. 1133 a–b).3 however, in the Politics once again Aristotle asserts that as the parties to such exchanges became more experienced and sophisticated, they began to learn how they could profit the most by them; thus, Aristotle says that chrēmatistikē of this sort, kapēlikē, is tied to coinage and is productive of wealth and money (pol. 1257b 3–9, 20). But this form of acquisition is unnatural because it is unlimited (apeiros) (1257b 24) in that its end is riches (1257b 30), which is not really an end because “all men engaged in wealth-getting try to increase their money to an unlimited amount” (1257b 34). This is completely contrary to the behavior of the farmer who acquires a plough to till his land: he does not desire to continue to acquire ploughs to the maximum amount possible. such unlimited acquisition of money, on the other hand, is, therefore, “justly censured” (hē metablētikē psegomenē dikaios) (1258b 1). The same can be said of usury, lending money at interest, which is hated (miseitai) because profit is made from money itself, but this is not the proper purpose for which coinage was invented, which was simply to facilitate exchanges (1258b 1–5). With all this in mind, we can once again turn to Aristotle’s main concern, which was politics (and their ethical underpinnings), his analysis of economics being limited to the service of the larger goal of determining the best form of government. thus, when discussing the best form of democracy, Aristotle says that one in which agriculture is the main form of livelihood is best, followed by one in which the herding of cattle prevails (1318b 7–1319a 24). The worst kind of democracy is one in which the majority of the population engages in artisanship, wage-earning, and other occupations of the market place, none of which are conducive to virtue (aretē) (1319a 24–1319b 6). Unlike Plato, however, even though Aristotle acknowledges the potentially bad influence of trade, he still recommends situating the ideal state close to a harbor on the sea in order to reap the benefits of trade, such as obtaining needed imports, so long as the state regulates it (1327a 11–1327a 41).

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See Soudek (1952); Polanyi (1957); Finley (1970); Meikle (1995); Amemiya (2004) and (2007) 150–53 for discussions of Aristotle’s views on just exchange.

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it is not surprising that ancient greek intellectuals and philosophers would stress the primacy of the land in their descriptions and analyses of economics while minimizing and even criticizing non-landed economic activities. the ancient greek economy and conceptions of it originated in homeric times, when farming accounted for the vast majority of peacetime wealth production, a situation that was to persist, though not to quite so striking a degree, throughout ancient greek history right through the Archaic and classical periods.4 ideally, the oikos was supposed to adhere to the principle of self-sufficiency (autarkeia), producing for itself everything that it needed for subsistence.5 in homer’s world wealth was measured in terms of landed products, such as heads of livestock (Od. 14. 96–104). All of Homer’s heroes were landowners, and practicing agriculture was considered a measuring rod of a society’s sophistication and civility (Od. 9. 105–141). non-agricultural or banausic occupations, such as manufacturing and trade in the form of impersonal commercial exchanges, were small in scale, unspecialized, and for the most part left to commoners or outsiders who were looked upon with distrust and contempt in the world of homer. he had no real technical term to denote traders, the closest word being prēktēres or “agents” (Od. 8. 162). Emporos, the term used to denote a professional maritime trader in the classical period, simply refers to a “passenger” on a ship (Od. 2. 319; 24. 300). The Phoenicians appear as traders in the Odyssey (14. 287–289, 309; 15. 415–484) who deal in luxury items and slaves; however, they also engage in piracy and even sell their passengers into slavery. in his effort to taunt odysseus, euryalus likens his appearance to that of a trader who sails the seas and cares only about his cargo and his profits (kerdeon), which he contrasts to that of the man who is strong and skilled in athletics (Od. 8. 145–193). But even the most tendentious of philosophers could not fail to notice that the greek world had changed since the time of homer, and these changes affected economic activity as well as everything else by the fourth century. it is obvious that both Plato and Aristotle were aware of the growing scale and complexity of commerce in the late classical period in Athens, in which there were, among other things, extensive use of coinage, interest-bearing loans, much long-distance and local trade in manufactured as well as agricultural products, and price-making markets in certain sectors.6 if this were not the case, there would have been little inspiration for them to devote so much of their economic analyses to criticizing commercial activities and arguing for their regulation and even suppression. however, neither Plato nor Aristotle could see much that was positive in these economic developments and, therefore, missed the opportunity to explore ways in which both individuals and governments could benefit from them by, for example, maximizing their revenues and minimizing their costs, initiating new enterprises or expanding

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Austin & Vidal-Naquet (1977) 41–2. Finley (1978) 60–1. See below and Isager & Hansen (1975) 19–156; Amemiya (2007) 62–114; Engen (2010) 54– 67, 91–8; and Ober (2010) concerning the growth of Athenian commerce in the Classical period.

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old ones, formulating trade policies, and a whole host of other public and private economic activities. exactly why Plato and Aristotle saw the new economy so negatively is debatable – especially since the analytical methods of both philosophers, despite their fundamental differences, could easily have accommodated and even embraced such change – however, it is likely that both men simply could not or would not accept a world without the ethical traditions of proper economic behavior that had been ingrained for centuries in their native greece. Plato was, technically speaking, a realist in that he believed that an objective reality exists independently of human thought.7 he was an idealist, however, in terms of his rejection of the notion that the material world of particulars constitutes that reality and that observation of phenomena in this material world can apprehend that reality. instead, Plato believed that thought divorced from observation was the only path toward knowledge and understanding of universal truths. given this philosophical perspective, Plato had the capacity – and one would expect the desire as well – to consider values and institutions other than those that prevailed in his contemporary Athens, values and institutions that might have been incredible in his own day but that have been indeed realized in other places and other times. And he did often do this, most spectacularly in his assertion that women could be just as rational as men and just as qualified, therefore, to run his ideal state of the Republic as members of the guardian class (rep. 5. 451c–457b). Nothing, not even a call for the abolition of slavery (which Plato did not do), could have flown more in the face of Greek convention – at least individual slaves could be manumitted; women had no such opportunity. on the other hand, Plato’s “outside-the-box” philosophy also allows for and can even encourage denial of reality altogether, or at least reality as most of us know it, and Plato’s theory of Forms is the ultimate denial of that reality. But whereas the theory of Forms had no precedent, Plato’s economic ideals are too similar to traditional greek values to be the product of objective, universal, rational thought divorced from any cultural biases. here Plato’s idealism did not posit some better future world but rather looked back to a past world that worked well for some (landowners) but not for others (everyone else). But it is consistent with the ethical goals of Plato’s philosophy (see above) that he would fall back on an economic ethos that had served the members of his elite class (for only they, of course, could live the virtuous landed lifestyle) but that was now being threatened by change.8 unlike Plato, Aristotle was an empiricist, and his rigorous observation of realworld phenomena and use of it as evidence in support of his rational arguments should have opened his mind to the necessities of the new economy of his own day.9 7 8

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General works on Plato include Ross (1951); Gosling (1973); Guthrie (1975; 1979); Vlastos (1981); Kraut (1992); Benson (2006); and Fine (2008). For studies on the ethical-political emphasis of Plato’s economic writings, see Karayiannis (1990; 1992); Petrolichos (2002); Amemiya (2004) 64–71 and (2007) 120–30, 138–49; Alvey (2011a; 2011b). See Schofield (1993) 79 for the likely influence of Spartan institutions and hippodamas’ ideas on Plato’s prohibition of money and private property ownership among the guardians of his ideal Republic. See n. 2 above for general works on Aristotle’s philosophy.

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However, like idealism, empiricism is a two-edged sword: it can open one’s mind to reality, but it can also close one’s mind to a larger reality than that which can be perceived in one’s own limited sphere of experience and knowledge.10 in the case of Aristotle, it is very difficult to escape the conclusion that his views on economics are as influenced by cultural bias as his views on the polis, slavery, and women are. For sure, many a scholar has labored to show that Aristotle’s arguments supporting the notions that the polis is natural and, therefore, the best form of political association, that some human beings are slaves by nature, and that women are by nature inferior to men and, therefore, ought to be ruled by men have an objective rational basis and need not be the product of cultural bias.11 however, even if one can show that the arguments are logical, the premises on which they are based are not objective: they are assumptions drawn largely from the limited scope of traditional Greek values and practice. it was characteristic of Aristotle’s empirical method to gather evidence both from direct observation of existing phenomena and from knowledge of reputable opinions (endoxa) – i.e., views held by the majority of people or distinguished thinkers.12 thus, Aristotle could argue on the basis of his observation of greek villages and prevailing wisdom concerning the Persian empire that villages were too small and empires too large to provide “the good life” for their citizens and that the polis was of just the right size, but he did not live in Persia, or the united states for that matter, and really had no idea how well or not empires actually work in practice. he could argue on the basis of the slaves he saw in greece that they must have been naturally “slavish” to allow themselves to be enslaved, but he had a great deal of difficulty in explaining how a freeborn Greek could become a slave or how a slave could become free through manumission. in any event, he knew nothing of slaves in the antebellum American south and had no idea how “slavish” or not they were. the same, of course, applies to women. What did Aristotle really know about women, not only in other places in other times but even in his own household? All the rational thought, logic, and observation available to him at that time could not tell him how males and females are formed in utero or whether women, if given an equal opportunity to men for education, could be as rational – or that bee hives are run by queens and not kings. the only data Aristotle could (or would) plug into his syllogisms were what he could perceive in his own culture from the vantage point of his own privileged class and sex, and it is not just coinci10 11

12

see nussbaum (2000) 113–15 for the limits of Aristotle’s imagination in contrast to that of Plato. For attempts to explain the rational basis of – and lack of cultural bias in – Aristotle’s arguments concerning the polis, see Ambler (1985) and Dietz (2012); concerning slavery, see Barker (1959) 259–373; Smith (1983a); Ambler (1985) 183 and (1987); Schofield (1990); Heath (2008). Concerning women, see Smith (1983b); Barnes (1984); Dobbs (1994; 1996); Mayhew (2004). see, for example, eth. Nic. 1095a 28–30 or 1098b 27–29. See also Schofield (1990) 119–22 for a description of Aristotle’s endoxic method. Although Schofield acknowledges the ease with which this method could lend itself merely to rationalizations of prevailing ideology, he nevertheless argues that this did not happen in the case of Aristotle’s views on slavery. see, on the contrary, Cartledge (1993) 170–1, 179, n. 18, who thinks that it is obvious that Aristotle’s endoxic method concerning slavery merely rationalizes prevailing ideology.

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dence that concerning all these areas – the polis, slavery, women, and the economy as well – Aristotle’s logic leads him to conclusions that constitute an ethically-oriented philosophy that upholds the status quo and his place within it.13 And even if it is too much to expect Plato and Aristotle to have risen above the constraints of their own cultural biases to approve of the economic changes that they witnessed in their own lifetimes, we might still expect them to have tried to find socially and culturally acceptable ways for individuals and governments to capitalize on these new economic realities, given the fact of their existence. they didn’t do this, but Xenophon did. Xenophon was clearly not as gifted intellectually as Plato and Aristotle, but what he lacked in profundity, he made up for with a much broader and varied life experience than either Plato or Aristotle that grounded him in a reality that he was much more willing to accept and accommodate. Being a pupil of the great philosopher socrates was just the beginning of Xenophon’s extraordinary life, which included stints as mercenary soldier, estate holder, and writer of numerous philosophical and historical works, travels in Asia minor, mesopotamia, and thrace to campaign with a mercenary army to depose and install kings, and residences in or near Athens, sparta, elis, and corinth. Xenophon could see that historical developments, both political and economic, required that the Athenian state become more engaged in economic affairs particularly when it came to the acquisition of revenue necessary for the needs of government.14 As a result of the loss of its naval empires with its defeat in the Peloponnesian War in 404 and then again in 355 in the Social War, it was becoming increasingly difficult for Athens to obtain revenue through the traditional means of warfare and other forms of coercion. Xenophon’s work on revenues, the Poroi, assumes this, and suggests numerous ways through which the government could increase its revenues by encouraging both home production and overseas trade.15 the principal product of Athenian home production at this time that was in high demand abroad was silver from the mines at Laurion in Attika (1. 5; 3. 2). However, the mines had not been worked rigorously ever since the disruption of the latter stages of the Peloponnesian War, so Xenophon suggests that the Athenian government purchase slaves with public money and then lease them out to private contractors to work the mines, 13

14 15

For assertions of Aristotle’s cultural bias concerning the polis, see mulgan (2000) 100 (especially). Concerning slavery, see Lloyd (1968) 251; Mulgan (1977) 43–4; Brunt (1993b) 379–81 (especially); Cartledge (1993) 169–73 (especially); Garver (1994) though sympathetic to Aristotle’s attempt at unbiased reasoning, he concludes that it is a “convenient fit” (193–4) for Aristotle’s cultural context that does not necessarily apply in other contexts; Ross (1995) 250; Garnsey (1996) 127; Millett (2007) 193 (especially). Concerning women, see Lloyd (1968) 251 and (1983) 95, 104; Femenias (1994). Concerning the economy, see Polanyi (1957); Finley (1970); Ross (1995) 252. See Aristot., hist. an. 5. 21 for Aristotle’s assumption that the ruler of a bee hive is a male king (ho basileus). See Ross (1995) 245 for the tie between Aristotle’s teleological approach and his cultural biases. For the ethical-political goals of Aristotle’s economic writings, see Polanyi (1957); Finley (1970); Karayiannis (1990; 1992); Petrochilos (2002); Amemiya (2004) 64–7, 71–4 and (2007) 131–7, 150–7. See Engen (2010) 54–63. See Gauthier (1976) and Schütrumpf (1982) for commentaries on Xenophon’s Poroi. see also engen (2010) 3–4.

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which were publicly owned and also leased out for working to private contractors (4. 1–32).16 Further, the government can minimize the risk to the contractors to open new cuttings and expand mining operations by organizing the leases in such a way that they are distributed evenly among the Athenian tribes and by requiring that all the tribes share in the profits from the mines equally, thus pooling their risks. In this way, entrepreneurs would have an incentive to take the risk of getting into the mining business, and Athens would gain doubly by profits from its lease of publicly owned slaves and from the unencumbered revenue of the percentage of silver that it required mining contractors to turn over to the state from their operations. in fact, by encouraging increased silver production, the Athenian state would benefit in yet a third way through an increase in overseas trade. As both Xenophon (3. 1–2) and archaeological evidence of Athenian silver coins appearing in abundance in numerous hoards throughout the eastern mediterranean region attest, Athenian silver in the form of silver coins was the most highly demanded item of Athenian home production overseas and attracted traders to come to Athens to exchange their goods in return for them.17 Athenian coinage had a high reputation for silver quantity and quality, and this combined with its extensive circulation on account of earlier Athenian overseas domination made it the preferred medium of exchange over a wide area. therefore, traders knew that when they came to Athens, they could always get a good return cargo in exchange for their imported goods, either some commodity or Athenian coins, which they could then use in further transactions abroad. the increased number of traders visiting Athens’ port served the expansion of Athenian revenues both through direct taxes on imports and exports and through indirect taxes in the form of the metoikion, a tax levied on metics (resident foreigners) in Athens. Resident foreigners comprised a significant portion of those who carried out overseas trade in Athens, and so the more of them whom the state could attract to Athens, the higher its tax revenue from the metoikion.18 this gets to the second major theme of Xenophon’s proposal in the Poroi: government-provided incentives to expand trade in the pursuit of revenue from taxes on trade. not content to rely solely on Athens’ advantageous position as a port in the eastern mediterranean nor even on its highly prized silver coinage to attract traders to Athens, Xenophon suggests that Athens take proactive steps to provide further incentives to traders to do business in Athens. some of Xenophon’s proposed incentives had a real economic insight, such as the reduction of opportunity costs by speeding up the adjudication of lawsuits involving traders so that they would not be delayed in Athens to the detriment of their trading ventures, which required sailing at particular times of the year (3. 3). the majority of Xenophon’s suggested incentives, however, were not economic per se but rather consist of honors and privi16

17 18

See Kroll (1976); Engen (2005) 370; and Engen (2010) 56–8 for the slowdown in Athenian silver mining at Laurion in the last decade of the fifth and the first decade of the fourth centuries. For the operation of silver mining in Attika in general, see Crosby (1950); Shipton (2001); Ober (2008) 226–7. See Engen (2005) 363 and especially n. 14 for the coin hoard evidence. Reed (2003) 55–61; Engen (2010) 106–7. See also Whitehead (1977) concerning metics in general.

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leges, such as granting to metics the right to serve in the Athenian cavalry, preferred seats at theatrical performances, and the right to own a house and land in Attika, which was normally jealously reserved for citizens (3. 4–6). Xenophon himself sums up his strategy by saying that “with the prospect of these honors before them, they would look on us as friends and hasten to visit us to win the honor as well as the profit” (3. 4). iii. the economy in FAct so, as progressive as Xenophon was compared to Plato and Aristotle, he too was still somewhat behind the times to the extent that his schemes for increasing government revenues were quite traditional in form: leasing out publicly owned slaves and granting non-economic honors and privileges as incentives to attract traders to Athens can hardly be called revolutionary. But then again, neither he nor Plato nor Aristotle was alone in this. the Athenian government itself often drew on traditional non-economic methods to meet its economic needs during the late classical period of the fourth century BCE. Whether influenced by Xenophon or not, it did in fact offer various honors and privileges both as rewards and incentives for trade-related services.19 these honors and privileges included preferred seats for theatrical performances, the right to own a house and land in Attika, the title of benefactor, a stone stela inscribed with their honorary decree on the Athenian Acropolis, and even full citizenship. Although some of these honors, such as the right to own land and citizenship could be used for economic gain, the primary value was honorary. still, in carrying out such a practice, the Athenian state was involving itself in economic affairs to an extent that it had not done so before in order to fulfill public interests that were in part economic. in this case, the state’s main interest was to increase imports in grain, since food shortages were a frequent problem in fourth-century Athens, and this can be seen by the fact that the honored trade-related services usually involved grain imports. moreover, some of the men whom Athens honored in this way were professional traders who were simply shipping grain to Athens in search of a profit. The fact that Athens would consider such an activity as honorable is a long way removed from the disdain in which Plato, Aristotle, and even Xenophon held such activity. Finally, one can also see from this that the people who were engaged in such activity as overseas trade were motivated by a variety of interests that ranged from the economic motive of profit to the traditional motive of obtaining honor – something that Xenophon himself had realized. the Athenian government also carried out other economic policies that were more progressive in terms of its coming to grips with the realities of the late classical Greek economy. As Xenophon had suggested, the state did find a way to reduce the opportunity costs for traders in Athens by speeding up the adjudication of lawsuits involving traders, particularly ones involving investments in trading ventures. Athens instituted the dikai emporikai, which appear to have allowed non-citizen traders 19

Engen (2010) 62–3 and passim for the rest of the paragraph.

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to initiate lawsuits (previously non-citizens of any kind had to have a citizen representative initiate lawsuits on their behalf) and to have required that the suits be settled in a timely fashion so as not to interfere with the prime sailing season.20 Another state act both further reduced opportunity costs for traders in Athens and helped to insure that Athenian silver coinage would continue to be used as the principal medium of exchange in the eastern mediterranean. this was the law of Nikophon from 374 BCE, which was passed in response to the growing number of counterfeit and imitation coins of Athenian type in circulation.21 this situation threatened to undermine the high reputation of Athenian silver coinage for purity and weight and, therefore, its usefulness as a universal medium of exchange and in turn the demand for it among traders. hence, the law increased the number of public officials known as dokimastes, whose job was to examine and approve, confiscate, or return coins of Athenian type that were brought to them as appearing suspicious in the markets of Athens and its port in the Piraeus. such a procedure would inspire confidence in traders and other businessmen that they could trust in the value of coins of Athenian type, thereby reducing their opportunity costs and serving the economic interests of the Athenian state at the same time. in fact, consistent with this policy is another numismatic policy of the Athenian state to keep the type of its coinage unchanged over a long period of time.22 this policy was similar to that of the modern united states, which, because its currency was also a universal standard of exchange, retained its same dull green coloring and portraits of famous American public officials for decades. That familiar appearance was a form of branding that proclaimed it as u.s. currency that could be trusted to be worth what it was supposed to be worth. had the u.s. or Athens frequently and significantly changed the appearance of their currencies, it is not likely that either of them could have served as a standard of exchange and brought to their issuers the economic benefits that they did. Perhaps Athens’ most clever attempt to fulfill its overriding needs for imported grain and public revenues while adhering to traditional customs is the grain tax law proposed by Agyrrhios in 374/3.23 By this law, Athens imposed an 8 1/3 % tax in kind on grain produced by its cleruchs living on the islands of lemnos, imbros, and skyros. the grain was shipped to Athens via private emporoi who contracted with the state in such a way that they made a profit for their labor. The Athenian government then sold the grain to its citizens and deposited the monetary proceeds from the sales into the stratiotic Fund to be used for military expenditures. in this way, the Athenian state fulfilled its increasingly pressing economic interests to obtain necessary goods for its citizens and essential public revenues for the running of its government through the essentially traditional institution of farming out the collec20 21 22 23

Aristot. Ath. pol. 52. 2; 59. 5; Cohen (1973); Isager & Hansen (1975) 84–7; Todd (1993) 334–7; Todd (1994) 125–40; Reed (2003) 89–92; Cohen (2005) 290–302; Lanni (2006) 149–74; Ober (2008) 249–53. Stroud (1974); Engen (2005); Ober (2008) 220–45, and others referred to therein. Engen (2005) 363–8; contra Trevett (2001). See Stroud (1998) for the editio princeps of the text of the well-preserved inscription bearing the law of Agyrrhios, which includes a thorough discussion of its meaning and significance.

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tion of taxes from conquered lands – but with the novel wrinkles of obtaining needed goods and revenues at the same time and contracting with private traders rather than tax farmers to collect and transport a tax in kind. Although the economies of the greek city-states in the classical period were still largely agrarian, by this time some port cities, and particularly Athens, but also Aegina and corinth, had become commercialized as well.24 the literary sources written by the elite, including the philosophical works mentioned above, tend to ignore, downplay, and even condemn non-landed economic activities, but the fact that these elite writers mention them at all attests to the fact that they existed in abundance among the silent masses of citizens and non-citizens who lived and worked in the urban centers. moreover, other literary sources, the extant speeches of the Attic orators in particular, provide us through their descriptions of private lawsuits of the numerous kinds of business activities, the complexities of contracts, and the pursuit of profit that were all fairly common in Athenian daily life. Demosth. 37 Against Pantainetos concerns a dispute over a mining lease,25 while demosth. 36 For Phormio, though principally about an inheritance, sheds light on the banking and shield-making industries, and demosth. 32 Against Zenothemis, 34 Against Phormio, 35 Against Lakritos, and 56 Against Dionysodoros concern lawsuits involving loans for maritime trading ventures.26 tax collection, which was carried out by private citizens who contracted with the government for a profit, is mentioned in several orations.27 Whether esteemed by the dictates of traditional greek values or not, according to socrates, members of the Assembly – and, therefore, citizens – made their living through all sorts of occupations, including fullers, tanners, builders, bronze smiths, farmers, traveling merchants, and retailers who buy and sell every good imaginable in the market place in the pursuit of profits.28 true, much of this kind of labor was carried out by slaves, who comprised a large portion of the total population of Athens, perhaps as much as a third, but they did not do all the labor and, in any case, did not own the inns or the bronze foundry or the tavern.29 someone owned the slaves who carried out much of the menial labor of Athens, and they could be entrepreneurs who used the slaves as shop assistants in small-time enterprises or workers in much larger manufacturing establishments, as well as householders and farmers who used them for domestic and agricultural labor.30 the metic orator, lysias, for example, owned a shield factory that employed 24 25 26 27 28 29 30

Aegina: Hdt. 2. 178, Aristot. pol. 1290b 39–1291b 30; Strabo 8. 6. 16. Corinth: Hdt. 2. 167; Thuc. 1. 13. 2–5, Strabo 8. 6. 20. Like Athens, both cities also issued widely-circulating coinage and exported pottery in abundance. see also demosth. 42. 3. see also isokr. To Demonikos 19, Lysias Against the Grain Dealers 21 and Against Diogeiton 4 concerning trade. And. 1. 133; Lykurg. 1. 19; and Demosth. 24. 40. Xen. mem. 3. 7. 6. See also Aristoph. Pl. 510–16 for more occupations and Harris (2002) for a comprehensive collection of attestations of the many occupations held by Athenian citizens. The standard work on slavery in ancient Greece is still Garlan (1988), but see also Finley (1981) 97–195; Finley (1985) 62–94; Garnsey (1996); Zelnick-Abramovitz (2005). Concerning investment and entrepreneurship in Athens, see Thompson (1978; 1982), Bitros & Karayiannis (2006; 2008); Karayiannis (1992; 2003).

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up to 120 slaves (Lys. 12. 8 and 19), while the elder Demosthenes owned sword and bed factories whose labor was provided by 20 and over 30 slaves respectively and whose profits amounted to some 5,000 drachmas per year, which was roughly the equivalent of the cost of the hull of a trireme (Demosth. 27. 9–11. 33). Isokrates’ father lived off the proceeds of the work of flute makers (Plut. X Orat. 836e); Pasion owned a shield factory (Demosth. 36. 4); and Comon owned slaves who made sailcloth and colored dyes ([Demosth.] 48. 12). Aischines says that Timarchos owned nine or ten slaves who were skilled shoemakers who each paid him two obols a day. they were in turn supervised by another slave who ran the shop on timarchos’ behalf and who paid him three obols a day. timarchos also owned a woman worked and sold fine linen in the market and also a man skilled in embroidery (Aischin. Tim. 97). A hypothetical scenario envisioned by Plato implies that he was in fact well aware that people sought to increase their incomes by increasing the number of slaves they could employ as artisans producing goods for sale (leg. 846e). Beyond the hardworking laborers and entrepreneurs were those who could invest in commercial enterprises, and these ranged from freedmen metics to the elite of Athenian society. In fact, though difficult to come by on account of its very nature, there is sufficient evidence to attest to a hidden economy of investments in the non-landed economy of Athens.31 edward cohen showed that bankers in Athens were more than just money-changers.32 they were investors who lent money at interest to finance businesses, including the highly lucrative but also risky overseas trading ventures. they also served as middlemen for elite investors, thereby hiding their investments and, consequently, their wealth as well, so that they could make large profits while escaping both the censure of their peers for their nontraditional money-making activities and the government of Athens, which required the wealthiest citizens to devote some of their private wealth for public services called liturgies. landed wealth was easy to assess, but investments in commercial ventures through metic bankers was not, and this was probably how the famous orator and statesman, demosthenes, was able to have the reputation for being the wealthiest man in Athens while managing not to perform a liturgy for the last twenty years of his life. his father, the elder demosthenes, who we know from the extant speeches from the younger demosthenes’ lawsuit against his guardians, was also very wealthy and yet owned surprisingly little real property and never performed a liturgy, at least not as far as we can tell from our sources.33 iv. conclusion it would seem that economic analysts of ancient greece, namely Xenophon, Plato, and Aristotle, saw the economy through the lens of the context of their own culture and society and all the experience, institutions, traditions, and values that came with 31 32 33

engen (2011). Cohen (1992). For the wealth and liturgical records of both the elder and younger demosthenes, see demosth. 27–31; Deinarch. 1. 69 and 111; Davies (1971) 133–8; and Engen (2011).

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them. this should not be a surprise, seeing as it is almost self-evident that all people, in all places, and in all times are as much a product of their social and cultural contexts as of some universal human nature, whatever that might be. yet, this rather obvious conclusion needs to be stressed, since it should serve as a wake-up call for those who today believe that our own particular brands of economic analysis are somehow universal, timeless, objective, and immune to the influence of our own particular social and cultural context. Plato, Aristotle, and Xenophon all accepted the traditional economy that they were born into as the norm – natural and good – for it was embedded in all aspects of their way of life and the values that they held dear. so, although they could see that the economy was changing in their own day, for the most part – and this is particularly true in the cases of Plato and Aristotle – they could not consider these changes dispassionately, let alone positively, and, therefore, could offer little in the way of practical policy proposals to make the most of the positive opportunities – some of them were positive (wealth does not have to be a bad thing …) – either in the public or in the private realms. Rather, they sought to control, suppress, or even reverse these changes in their conceptions of ideal households and states, turning back the clock to a simpler and somewhat idealized time. only Xenophon – ironically, the least profound thinker in the group – had the practical wherewithal not only to see the changes that were occurring in the real economy but also to suggest ways in which the state, if not individual households, could both survive and even prosper in the real world of constant change. yet even as his proposals for the Athenian state to increase its revenues were forward-thinking, they had only one foot in the future, while the other was still stuck in the past. For his proposals drew on traditional economic interests of honor as much as they did the profit motives that were becoming increasingly prevalent in the new economy. thus, Xenophon is a prime example of how people are neither the cookie-cutter products of some fixed human nature nor automatons, churned out by a machine-like environment of their own particular culture and society – they are the complex and dynamic combinations of both. And this is true in economics as it is in all human endeavors, both in the past and in the present.

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Antike PrAxis

Haus- und polisübergreifende geldwirtscHaftlicHe bezieHungen im griecHenland des 5. und 4. JaHrHunderts Armin Eich i. metHodiscHe Vorbemerkung in den folgenden ausführungen ist nicht beabsichtigt, die einzelnen typen geldwirtschaftlicher transaktionen additiv aufzählen, sondern zu betrachten, wie im klassischen Hellas und seiner peripherie über geldwirtschaftlichen austausch ein ökonomisch-gesellschaftliches system integriert wurde und welche systembildenden effekte durch die überregionalen monetären austauschbeziehungen entstanden. diese effekte waren nicht rein ökonomischer natur. die monetären tauschbeziehungen wie überhaupt die transaktionen unterschiedlichen typs waren in einen sozialen gesamtzusammenhang eingebettet und sollten nach meiner auffassung innerhalb dieses zusammenhangs untersucht und gedeutet werden. damit soll nicht einer spezifischen „Einbettung“ vormoderner Ökonomien Rechnung getragen werden, denn transaktionen und ökonomische austauschbeziehungen waren in allen bisherigen Gesellschaftsformationen irgendwie in soziale Beziehungen „eingebettet“ und haben diese mitgestaltet, allerdings, jedenfalls soweit es um systembildende wirkungen geht, in einer für die individuen in der regel nicht bewussten Weise. Es ist daher eine Aufgabe der wissenschaftlichen Reflexion, diese Effekte bewusst zu machen oder anders gewendet, aus dem gesellschaftlichen unbewussten herauszuholen. dabei ergeben sich einige berührungspunkte, vor allem aber auch markante unterschiede zu den sogenannten New Institutional Economics (NIE), die zuweilen als einzige legitime Methode erscheint, die den jahrzehntelangen streit um den richtigen methodischen zugriff auf die wirtschaftsgeschichtlichen Quellen der antike überlebt hat.1 aus der perspektive dieses theoretischen ansatzes wäre einzig danach zu fragen, welche institutionen und welche organisationsformen der ökonomischen leistungskraft einer gegebenen gesellschaftsformation (noch) fesseln auferlegten und welche institutionen der entwicklung ökonomischer leistungskraft förderlich waren, und schließlich: wie sich die wirtschaftssubjekte auf die von ihnen vorgefundenen institutionellen Gegebenheiten einstellten. der ansatz hat eine durchaus pragmatisch-normative ausrichtung, indem er der menschheit aufschluss darüber geben will, welche institutionen ihrer ökonomischen entwicklung (im sinne von leistungskraftsteigerung) dienlich und 1

So etwa in der einflussreichen Cambridge Economic History of the Greco-Roman World: scheidel / morris / saller (2007). Vgl. vor allem die einleitung der Herausgeber (1–12) mit der dort verzeichneten literatur.

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welche hinderlich gewesen sind.2 dabei können identische institutionen in unterschiedlichen milieus als nützlich und förderlich bzw. als fortschrittshemmend angesehen werden. so erscheint die sklaverei aufgrund des ihr unter antiken bedingungen innewohnenden Potentials, „Transaktionskosten“ zu senken, bei Morris Silver als eine epochenspezifisch „rationale“ Institution,3 die allerdings (wie sich implizit aus den ausführungen silvers ergibt) unter neuzeitlichen kommunikationsbedingungen ihre ökonomischen Vorteile eingebüßt habe und darum auch à la longue durée aus der übung gekommen sei. diese ratio, gesellschaftliche institutionen auf ihre leistungssteigernde potenz hin zu testen, liegt den folgenden ausführungen, wie gesagt, nicht zugrunde. es wird lediglich um die frage gehen, wie sich konkrete ökonomische dynamiken in einer gegebenen gesellschaftsformation auswirkten, ohne den fortschrittsfaktor um seiner selbst willen zu taxieren. ii. VorgescHicHte die politisch bedingte integration der Ägäis und ihrer peripherie und die geo-ökonomische gliederung des betrachteten raums die wichtigste funktion des Handels in der zeit, die der hier betrachteten epoche unmittelbar vorausging, war es, in kleinen regionen (durch kriege, witterungsbedingungen und ähnliche unberechenbare faktoren) auftretende unterversorgungen kurzfristig auszugleichen.4 prinzipiell ist diese funktion des austauschs auch in der klassischen Zeit immer erhalten geblieben, wurde jedoch durch andere Transaktionsformen überlagert. die entstehung größerer räume mit verdichteter Handelstätigkeit war wesentlich von politischen entwicklungen abhängig. Vor allem an der peripherie der griechischen kulturwelt etablierten apoikien wie kyrene, thasos, Sinope oder Massilia (um willkürlich einige herauszugreifen) militärisch pazifizierte gebiete, deren (mitunter territorial diskontinuierliche) ausdehnung deutlich über der durchschnittsgröße von mutterländischen chorai oder lokalen Verdichtungsräumen lag (gelegentlich von mehreren tausend Quadratkilometern). einerseits waren diese territorien an der peripherie, die gschnitzer als kleine imperien behandelt hat,5 Verdichtungszonen eines lokal begrenzten Handels,6 andererseits 2

3 4 5 6

Die prägnanteste Zusammenfassung der programmatischen Zielsetzungen dieser Schule findet sich in der dankrede von douglass c. north anlässlich seiner entgegennahme des wirtschaftsnobelpreises: economic performance through time: lecture to the memory of alfred nobel, december 9, 1993; http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/economic-sciences/laureates/ 1993/north-lecture.html (zugriff 1.9.2014). für eine ausführliche grundlegung der thesen vgl. north (1981). silver (1995) 50 ff. und öfter. Vgl. die grundlegende fallstudie von reger (1994). die zersplitterung der mediterranen welt in mikroklimatische zonen und die überwindung dieser kleinräumigkeit ist das leitmotiv von Horden / purcell (2000). weitere literatur bei eich (2006) 183–188. gschnitzer (1958). dies lässt sich beispielsweise am numismatischen befund ablesen. Vgl. nur die grundlegende arbeit von kraay (1964); vgl. zu den späteren Hortauswertungen eich (2006) 122–127, 128–

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erleichterten sie den austausch von Handelsgütern zwischen den griechischen Kerngebieten und den nicht-griechischen Zonen jenseits der Küstenlinien, etwa in Westkleinasien, dem Binnenland jenseits der Schwarzmeerküsten oder den keltischen gebieten im heutigen frankreich. die Voraussetzungen für diese intraregionale Handelsverdichtung wurden politisch geschaffen, häufig indem sich mächtige Metropolen oder Apoikien ein pazifiziertes Terrain sicherten, in dem sich Handelsschiffe bzw. über Land reisende Kaufleute relativ sicher bewegen konnten. im 5. Jahrhundert setzte athen im Ägäisraum, d.h. im zentrum der in der skizzierten form vorstrukturierten großregion, die bildung eines imperiums durch, das in analogie zu den peripheren kleinen imperien durch monetäre standardisierungen, Sicherung von Warenwegen, Schaffung von Relaisstationen und fiskalische Interventionen einen pazifizierten Handelsraum entstehen ließ, der die ursprünglichen lokalen Verdichtungsräume miteinander verband.7 es entstand grob gesprochen ein dreifach gegliedertes gebiet, in dessen zentralraum sich die im folgenden angesprochenen ereignisse und episoden vor allem abspielen werden: (i) ein wesentlicher teil des alten polisgebiets innerhalb der beiden attischen imperien des 5. und 4. Jahrhunderts sowie die übrigen hochentwickelten poleis wie korinth und theben in dessen nachbarschaft, (ii) die relativ zu diesem zentrum peripher liegenden „kleinen Imperien“ und (III) Räume jenseits der Peripherie, mit denen nach Maßgabe des „ungleichen Tausches“ gehandelt wurde,8 also die unkenntnis der Handelspartner über die im inneren des raums erzielbaren preise bzw. deren Unfähigkeit zur Ausnutzung dieses Gefälles zur Profitbildung ausgenutzt wurde. das gesamte system war hochgradig zentripetal: da durch die abschöpfung von tributen in attika ein starker nachfrageüberhang erzeugt wurde, folgte die arbeit dieser nachfrage, um dort etwa schiffe, tempel oder festungen zu bauen, transportdienstleistungen zu erbringen oder schiffe zu rudern. um nur ein illustratives beispiel zu geben: John salmon hat die heute noch vorhandenen grob bearbeiteten Steinflächen in Athen untersucht und in Arbeitsstunden pro mensch umgerechnet. Vergleiche mit anderen poleis zeigen, dass in athen für die Bearbeitung von Steinflächen (bspw.) in den Jahren von 450 bis 425 mehr Arbeitstunden aufgewendet worden sind, als in korinth – das für seine prachtbauten berühmt war – in den 250 Jahren von 650 bis 400 v. chr.9 im schiffbau hat es zweifellos ähnliche konzentrationen von menschen und material gegeben.10 die Migration freier Arbeitskräfte wurde flankiert durch die Verschleppung unfreier oder unfrei gemachter menschen in das zentrum, die wahrscheinlich nach zehntausenden zählten. die ungewöhnliche konzentration von menschen, die die pro-

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130 zur archäologischen auswertung der keramikfundstatistik, die sehr stark auf eine regionale Verdichtung von Handelsräumen hinweist. Vgl. zu dieser thematik bspw. picard (2000); descat (2003) bes. 594. Zur „Geo-Ökonomie“ dieser Kontaktzonen vgl. etwa Bravo / Chankowski (1999). Für ein verfeinertes modell der geo-ökonomischen zonen vgl. bresson (2007) 212–224. salmon (2001). zum aufwand, der für den bau einer triere getrieben werden musste, vgl. morrison / coates / rankov (2000) bes. 179–230; zu den kosten der Herstellung, instandhaltung und bemannung der Gesamtflotte Gabrielsen (1994).

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duktivität des landes attika erheblich überstiegen haben dürfte, machte beträchtliche lebensmitteltransfers in die region notwendig,11 die wiederum für weitere nachfrage nach arbeitskräften sorgte. die sogkraft des politisch-ökonomischen zentrums war so nachhaltig, dass sie den zusammenbruch des imperiums 404/3 v. chr. um mehrere Jahrzehnte überlebte.12 prinzipiell war das system allerdings auch nicht zwingend auf die Existenz eines zentrums ausgelegt, sondern konnte selbstverständlich mit mehreren zentren ähnlichen typs leben. in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts füllte syrakus eine ähnliche rolle im zentralen mittelmeer aus wie in den Jahrzehnten zuvor athen in und um die Ägäis.13 die anzahl der politisch-ökonomischen magneten war im grunde das resultat des politischen zufalls. Allerdings konnten diese ökonomisch nur „wachsen“,14 solange sie expandierten, da sie auf den steigenden Zufluss von Tributen angewiesen waren. Der politische machtverlust brachte in der regel nach einer gewissen übergangsphase auch eine ökonomische schrumpfung mit sich.

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Die Einschätzung der „carrying capacity“ der attischen Chora hängt von der Beurteilung einer Reihe umstrittener Faktoren (wie etwa der demografischen Grundgegebenheiten, der Produktivität des landes und dem energiebedarf antiker menschen) ab. relativ optimistisch beurteilt bspw. garnsey (1992) die ratio von attischen ernten und nahrungsbedarf der bevölkerung. eher pessimistisch urteilt diesbezüglich bspw. Jameson (1992) bes. 145. doch unabhängig von der Positionierung in dieser Forschungskontroverse ist aufgrund der expliziten und untereinander stimmigen Aussagen in den Gerichtsreden und der historiografischen Literatur unbestreitbar, dass im 4. Jahrhundert (bis 322 v. chr.) große mengen getreide nach athen importiert bzw. im staatsauftrag geliefert wurden; vgl. dazu whitby (1998); bresson (2007) 207–210; migeotte (2010). tsetskhladze (2008) argumentiert, dass erst seit dem späten 5. Jahrhundert und dann vor allem im 4. Jahrhundert bedeutendere mengen getreide aus dem gebiet des bosporanischen königreichs und seiner Peripherie nach Athen exportiert worden seien. Insofern damit darauf hingewiesen wird (vgl. ebd., 57), dass die gebiete nördlich des schwarzen meeres nicht die einzigen getreidebezugsquellen für athen waren (sondern z.b. aus Ägypten, den klerucheninseln, sizilien und anderen mehr Getreide nach Attika exportiert wurde), ist Tsetskhladze natürlich zuzustimmen. das fehlen von literarischen belegen für importe aus der schwarzmeerregion für große teile des 5. Jahrhunderts betont tsetskhladze allerdings zu stark. da die überlieferung der in diesem Fall aussagekräftigen Rednertexte erst im späten 5. Jahrhundert einsetzt, ist das argumentum e silentio für die zeit davor nicht allzu aussagekräftig. zu erinnern ist bspw. daran, dass die athenischen Methonedekrete (429 v. Chr. und später) die Existenz von sog. Hellespontophylakes belegen, die im athenischen interesse die ausfuhr von getreide durch den Hellespont kontrollierten (tod (1985), i nr. 61, z. 32–41 [= osborne/rhodes gHi nr. 156, 286– 295]). eine solche institution wäre kaum nötig gewesen, wenn die athenische getreideeinfuhr aus dieser region so unbedeutend gewesen wäre, wie tsetskhladze annimmt. Vgl. diod. 14. 41 f. Der Begriff „Wachstum“ hat hier allenfalls relativen Charakter. Eigentlich handelt es sich schließlich nur um eine Verlagerung von ökonomischen tätigkeiten von der peripherie ins zentrum.

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iii. mecHanismen der preisbildung in dem skizzierten GEo-ÖKoNoMISCHEN RAHMEN preise erfüllten in der hier betrachteten zeit des 5. und 4. Jahrhunderts bereits die funktion von knappheitsindikatoren. zunächst und primär konnten sie aufgrund der schwerfälligkeit des nachrichtensystems (in relation zur geschwindigkeit der preisentwicklung) diese funktion allerdings nur in relativ kleinen räumen, z.b. auf einer insel wie delos, leisten.15 die möglichkeit, auf das ansteigen der preise mit einer gezielten angebotsstrategie zu reagieren, hatten vor allem Haushalte, die autark waren und größere, bevorratungsfähige überschüsse produzierten. normale Haushalte waren zwar in der klassischen zeit gewöhnlich bestrebt, im rahmen ihrer möglichkeiten geldvorräte anzulegen,16 dürften aber in der regel gezwungen gewesen sein – bspw. wegen anstehender kredittilgungen oder weil sie auf einnahmen angewiesen waren – in Niedrigpreisphasen, also nach der jeweils neuen Ernte, zu verkaufen, während produzenten hoher, bevorratungsfähiger überschüsse in der Lage waren, Knappheitsphasen abzuwarten oder jedenfalls vor der neuen Ernte, also bei tendenziell steigenden preisen, zu verkaufen.17 Gegenüber saisonal anfallenden, in gewissem Rahmen kalkulierbaren Profiten, lag die spezifische Profitchance bei der Überwindung größerer Transportwege zunächst im zufall einer temporär auftretenden knappheit. der typische griechische seehandelskaufmann18 (landwege waren sehr kostspielig und boten nur bei sehr kurzen Strecken eine Profitchance) war kein Lieferant Polanyi’schen Typs, sondern ein auf Kreditbasis arbeitender Risikoprofiteur oder besser -spieler.19 die preise der von ihm jeweils geladenen und angebotenen Güter konnten in seinem Destinationshafen plötzlich zusammenbrechen, wenn ihm zufällig ein schiff oder wenige schiffe mit ähnlichem angebot zuvorgekommen waren. da Handelswege und angebotsstruktur durch die kreditverträge in aller regel vorgegeben waren und die Kaufleute nur bei Strafe des ruinösen Pfandverfalls von ihnen abweichen konnten, glichen ihre unternehmungen nicht selten einem alles-oder-nichts-spiel.20 die Kaufleute versuchten das Risiko zu begrenzen, indem sie ihre Ladung nach Möglichkeit diversifizierten, also möglichst verschiedene Waren in ihren Laderaum packten. Dadurch wurde jedoch auch die spezifische Profitchance erheblich abgesenkt: eine ladung weizen in einer Hochpreisphase anzulanden, konnte den grundstock eines kleinen Vermögens begründen. dieser potentielle gewinn wurde 15 16

17 18 19 20

Vgl. anm. 4. zuweilen ist der selbstversorgungscharakter kleinerer Hauswirtschaften stark unterstrichen worden; vgl. etwa gallant (1991). doch zeigt schon der umstand, dass antike staaten bei Versorgungskrisen auf die Preisbildung Einfluss nahmen (und nicht kostenlose Güter verteilten), dass die Anlage eines gewissen Geldvorrats für jeden Haushalt lebensnotwendig war. Vgl. Eich (2006) 218–238; migeotte (1997). Vgl. bspw. gauthier (1987). Vgl. zu deren sozio-ökonomischem milieu Vélissaropoulos (1980). Vgl. dazu eich (2006) 362–387. zu den spielregeln der bodmereikredite und ihrer Justiziabilität s. umfassend cohen (1973). einen konzisen überblick gibt pébarthe (2007).

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natürlich erheblich abgesenkt, wenn nur ein Viertel des ladungsraums mit weizen ausgefüllt war. die polisregierungen versuchten mit einer interventionistischen politik, etwa indem sie subventioniertes getreide auf den einheimischen markt brachten21 oder indem sie mit den Kaufleuten offiziell unter Gewährung von Anreizen über Preisnachlässe verhandelten, stabilere preislagen zu erzeugen,22 konnten jedoch die Grundgegebenheiten nur modifizieren, nicht prinzipiell ändern. Die Basiskonstellation lässt sich bspw. an der 56. rede des corpus Demosthenicum, der für die athenischen kapitalgeber dareios und pamphiles gegen den seehandelskaufmann dionysodoros geschriebenen klagerede, erkennen. auf den kern verkürzt lautete der in der klage erhobene Vorwurf, dass der geschäftspartner des dionysodorus, der sich vertraglich zu einer Handelsreise von Athen nach Alexandria und einer weiteren in die umgekehrte Richtung verpflichtet hatte, seine Reise vertragswidrig unterbrach, als er während eines zwischenaufenthalts in rhodos erfuhr, dass der großhandelspreis für getreide in athen zwischenzeitlich bedeutend gefallen war, so dass seine gewinnchancen erheblich beeinträchtigt waren und möglicherweise die tilgung des kredites infrage stand. ein solcher preiskollaps war genau das phänomen, gegen das die Kaufleute „wetteten“. Die im 4. Jahrhundert wohl bedeutend verbesserten kommunikationsnetze – die angesprochene episode spielt ende der 320erJahre – brachten es mit sich, dass die Kaufleute früher als anlässlich der Ankunft im destinationshafen von dem kollaps erfahren konnten, seinen wirkungen blieben sie jedoch ähnlich schutzlos ausgesetzt, als wenn es die angesprochenen Netze nicht gegeben hätte. Ihre Situation wurde durch die geltende Vertragspraxis und gesetzeslage weiter erschwert. zunächst verboten ihnen die gängigen seehandelsverträge das abweichen von vorgezeichneten Handelsrouten, so dass sie sich legalerweise keinen anderen als den vertraglich festgelegten zielhafen suchen konnten. aber auch dem in athen ansässigen kapitalgeber war es bei todesstrafe verboten, Handelskredite zum einkauf von grundnahrungsmitteln für einen anderen zielort als athen zu gewähren,23 so dass die kapitalgeber schon aus gründen des selbstschutzes dazu tendierten, ihre kreditnehmer bei bloßem Verdacht, dieser hätte eine ausweichchance gesucht, vor gericht brachten. schließlich setzten manche zielpoleis, in jedem Fall Athen, Mediatoren ein, um auf die Bildung des Großhandelspreises – auf den sich die seehandelsunternehmer prinzipiell mit den kleinhändlern vor ort tranchenweise frei einigen konnten, stabilisierend einzuwirken (vgl. Anm. 25). Wenn diese sogenannten „Getreidewächter“24 von einem seehandelskaufmann Konzessionen bei der Preisgestaltung erhandelt hatten, pflegte dieser Verhandlungspreis (die sog. καθεστηκυῖα τιμή) über längere Zeit stabil zu bleiben.25 Für die Kaufleute, die später anlandeten, konnte dieser (öffentlich verkün21 22 23 24 25

s. eich (2006) 218–238. bresson (2000); descat (2003) 601. garnsey (1988) 139 f. Vgl. bspw. [aristot.] ath. pol. 51. 3 f. sitophylakes sind auch für andere poleis belegt (klp 5. 217, s.v.). Vgl. zu dieser interpretation bresson (2000) 190 ff.; vgl. auch migeotte (1997) 43 f.; descat (2003) 600 f.

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dete und schriftlich bekannt gemachte) Verhandlungspreis erhebliche Verluste implizieren. Aus diesem Grund modifizierten die von Kaufleuten konstruierten Kommunikationsnetze lediglich die unsicherheiten und intransparenz der märkteökonomie,26 ohne das Prinzip des Zufalls- und Risikoprofits grundsätzlich aushebeln zu können. sie machten das system der oszillierenden preise lediglich etwas besser durchschaubar, aber nicht prinzipiell beherrschbar. iV. mecHanismen, die priVate produktionsautarkien STÖRTEN die basiseinheiten, die die waren produzierten, die in den Handel eingingen, waren patriarchalisch geleitete privathaushalte. eine tendenz zur autarkie war in ihnen wenigstens latent oder potentiell immer angelegt und je nach den Faktoren, die auf die jeweiligen individuellen Entscheidungen einwirkten, für Individuen wohl auch wünschenswert. nicht ohne grund ist das paradies ein autarker garten. der sklavistisch, mit Blick auf monetären Profit produzierende Landwirtschaftsbetrieb erscheint dagegen nur unter den Vorgaben radikaler marktideologien als ein moment des menschlichen fortschritts. es lohnt daher durchaus die frage, welche faktoren die handelnden akteure aus der autarkie auf die märkte drängten. die dynamik wurde wie bei der integration der überregionalen wirtschaftsräume wiederum politisch angestoßen, nicht in dem sinn von bewusst – durch dekretierungen – vorgenommenen weichenstellungen, sondern lediglich als unkalkulierte fernwirkung politischer grundorientierungen. am beginn der kettenreaktion stand der krieg als eine art prioritäre zweckbestimmung der staaten. dies ist als solches natürlich nichts spezifisch Griechisches. Vielmehr hatte sich der Krieg als normenbegründende zweckbestimmung politischer Verbände und protostaatlicher Gebilde etwa seit der Bronzezeit „wie eine Pandemie“ im späteren Europa und der mittelmeerwelt durchgesetzt.27 als soziales phänomen ist der krieg polyvalent, aber seine primären motive waren wohl nicht eigentlich ökonomisch im engeren Sinn, sondern die Stärkung von Hierarchien nach innen und Annexionen nach außen, also die unterwerfung und/oder assimilation von menschen. im östlichen mittelmeergebiet kommt aber etwa seit dem 6. Jahrhundert eine prägnant ökonomische dimension hinzu oder tritt als vorhandene deutlicher hervor (vgl. abschnitt V). zunächst ist der umstand wichtig, dass der krieg als prioritäre zweckbestimmung von staaten in dem hier behandelten zeit- und kulturraum eine nicht infrage gestellte grundgegebenheit darstellte.

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Der Begriff „Märkteökonomie“ soll in Erinnerung bringen, dass es im klassischen Hellas keinen virtuellen, integrierten „Markt“ gab. Die in der Gegenwartssprache stark präsente Anschauung des „einen“ preisbildenden Marktes, der für die ganze Welt relevant ist, hängt von der Existenz allgemein akzeptierter Handelsplätze (wie etwa des Chicago Board of Trade) ab, die für bestimmte Waren weltweit dominanten Einfluss auf die Preise haben. Jockenhövel (2004/5).

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im lauf des späten 6. und vor allem des 5. Jahrhunderts wurde die kriegführung im griechischen kulturkreis und seiner peripherie in maßgeblichem ausmaß monetarisiert, d.h. die regierungen kriegführender staaten fragten kriegswichtige dienstleistungen mit geld nach und maßen ihre militärische kapazität in monetären recheneinheiten. innerhalb des ausgabenspektrums der griechischen poleis nahmen die rüstungsausgaben und kriegsbedingte aufwendungen normalerweise bei weitem den ersten platz ein.28 ein illustratives beispiel für das aus der monetarisierung des Krieges abgeleitete fiskalische Denken findet sich in der Ersten Philippischen rede des demosthenes,29 in der der redner der Volksversammlung einen detaillierten rechenplan ausbreitete, aus dem hervorging, wie viele schiffe die athenische republik für wie lange zeit fahren lassen bzw. wie viele infanteriesoldaten sie für welche zeit ins feld stellen konnte. die apollodorische rede (ps.-demosth. 50) Gegen Polykles über das Epitrierarchema zeigt ergänzend zu diesen abstrakten darlegungen, dass die einsatzfähigkeit einer triere tatsächlich relativ abrupt endete, wenn die mittel zur finanzierung der mannschaften und instandhaltung des schiffes aufgebraucht waren. nach der darstellung des redners war es eine verbreitete erscheinung, dass die ruderer ein schiff unter diesen bedingungen verließen, nicht nur, weil sie nicht bereit waren, ohne bezahlung zu kämpfen, sondern auch, weil sie und ihre familien auf die bezahlungen angewiesen waren.30 das ist aber nur ein teil der geschichte. das zunehmend anspruchsvolle kriegsgerät (wie kriegsschiffe und belagerungsmaschinen)31 und die befestigungsbauten32 wurden überwiegend, wenn nicht vollständig, durch bezahlte arbeitskräfte und/oder durch bezahlte unternehmer angefertigt.33 die Quantität und die geschwindigkeit, mit der diese infrastruktur des krieges bereitgestellt werden musste, erzeugte ein hohes nachfrageniveau der staaten. die individuelle ausrüstung und bewaffnung der soldaten wurden, soweit sich das noch feststellen lässt, von sklaven in manufakturarbeit hergestellt und durch regierungen von den

28 29 30 31 32 33

siehe zu athen z.b. pritchard (2012) mit der älteren literatur. allgemeiner überblick eich (2006) 476–487. demosth. 4. 28. Vgl. etwa [demosth.] 50. 12; und eich (2006) 338 f. zu den flotten s. oben anm. 10 und picard (2000) 32; belagerungsmaschinen: chaniotis (2013) bes. 444–448 (logistics and technical innovations). Vgl. für athen ober (1985); insgesamt ducrey (1986). Gutes Quellenmaterial liegt, wie so häufig, nur für Athen vor. Vgl. zu den budgetären Praktiken beim flottenbau etwa pritchard (2012); und zu den politisch (über liturgien oder aus tributeinnahmen) finanzierten Bauten etwa Boersma (1970). Über die Mechanismen der Auftragsvergabe beim flotten- oder festungsbau in theben, kerkyra, korinth etc. ist nur sehr wenig bekannt. Festzuhalten ist jedoch, dass kein Autor, der über athenische Praktiken schreibt, diese als ungewöhnlich darstellt. zivile bauprogramme fanden außerhalb athens selbstverständlich durch auftragsvergabe an unternehmer statt. Vgl. bspw. burford (1969); thür (1984); zu korinth Salmon (1984) passim (s. im Index unter building, public). die gewohnheit, öffentliche bauvorhaben an unternehmer auszuschreiben, ist insgesamt so gut belegt und (außerhalb von sparta) offensichtlich so tief verwurzelt, dass angenommen werden muss, dass sie auch bei Rüstungsprojekten praktiziert wurde.

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manufakturbesitzern angekauft.34 die notwendigkeit, im rahmen eines auf leben und tod ausgetragenen konkurrenzkampfes militärische dienstleistungen zu bezahlen bzw. die ausrüstungskosten zu tragen, erzeugte einen hohen kostendruck auf die meisten griechischen staaten. die polisstaaten hatten sich im laufe des 6. und 5. Jahrhunderts eigene monetäre währungen geschaffen oder partizipierten an den währungen anderer poleis.35 in der regel horteten die griechischen stadtstaaten diese gelder nicht über generationen in gestalt von großen und wachsenden münzschätzen (wie der persische großkönig), sondern gaben ihre münzen für repräsentative großbauten oder kriege aus. die kleinportionierten münzgeldemissionen der griechischen poleis eigneten sich dabei besonders, um das spezifische Angebot militärischer Dienstleistungen nachzufragen, das für die Austragung der innergriechischen Konflikte, aber auch für die behauptung der überlegenheit gegenüber der peripherie benötigt wurde: die arbeitsleistung von zimmerleuten, webern, seilern, oder eben ruderern und söldnern oder soldaten, die in aller regel bezahlungen in einer größenordnung von drei bis vier obolen pro tag erhielten.36 nur um die größenordnung der bewegten summen zu illustrieren, sei auf ein bekanntes beispiel hingewiesen: allein die belagerung von samos durch die seebundalliierten soll 440/439 v. chr. nach unterschiedlichen Quellen 7,2 millionen oder 8,4 millionen drachmen gekostet haben.37 die nach den thukydides-manuskripten in athen 432/31 v. chr. thesaurierten 6000 talente (36 millionen drachmen) waren bis 421 v. chr. nahezu vollständig für den krieg gegen den peloponnesischen bund ausgegeben.38 Hinzu kamen die einnahmen aus dem bund, die sich nach thukydides (ebd.) zu beginn des krieges auf 600 talente (3,6 millionen drachmen) pro Jahr beliefen und die durch das thudippos-dekret 425 v. chr. verzwei- oder verdreifacht worden sein sollen.39 wenn man von der geringeren Vermehrung durch das thudippos-dekret ausgeht, hätte athen allein aus den genannten mitteln in den zehn Jahren des archidamischen krieges rund 83 millionen drachmen ausgegeben. dabei ist noch von kriegsbeute und anderen kriegsgefällen abgesehen. die genannte summe entspricht 166 millionen tagesentlohnungen von 34 35 36 37 38

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Vgl. z.b. demosth. 27. 9. die stelle legt nahe, dass der besitzer der schwertmanufaktur von sehr stabilen gewinnerwartungen pro Jahr ausging. zur chronologie le rider (2001); zum Verhältnis von eigenemissionen vs. partizipation an fremdwährungen martin (1985). ausführliche dokumentation bei pritchett (1971). zum gewöhnlichen lohnniveau, worin sich „privater“ und „militärischer“ Sektor nicht unterschieden, vgl. bspw. Eich (2006) 197–205; vollständiger überblick über die athenischen Quellen: loomis (2001). samons (2000) 46–49; vgl. auch eich (2006) 477. zu den athenischen rücklagen zu beginn des peloponnesischen krieges: thuk. 2. 13. 3. zu den problemen der handschriftlichen überlieferung vgl. z.b. Hornblower (1991) 253 f. die zahl 6000 (silbertalente) hat die größte wahrscheinlichkeit für sich, vgl. samons (2000) 143 f., und gibt in jedem Fall die richtige Größenordnung. Zur Entwicklung des Kassenstandes im Verlauf des Krieges vgl. die ausführliche Dokumentation ebd. Zu abweichenden („optimistischen“) Interpretationen der einschlägigen Tempelinventare s. Eich (2006) 476 ff., bes. 482. kommentierte edition der tempelinventare: Harris (1995). ig i3 71 mit samons (2000) 174 f.

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soldaten oder arbeitskräften oder einer summe, mit der 450 000 arbeitskräfte ein Jahr lang beschäftigt werden konnten. die gegner der delischen allianz ließen sich auf die monetarisierung des krieges vollständig erst in der dekeleischen phase des ringens ein, übertrumpften ihre gegner aber dank der persischen subsidien alsbald. insgesamt dürften die griechischen staaten und der großkönig während des peloponnesischen krieges einige hundert millionen drachmen in kleinen beträgen gestückelt in umlauf gesetzt haben. damit gerieten die geldmittel der poleis in die Hände von kleinkonsumenten, die vor allem lebensmittel im weiteren sinn für sich und ihre familien nachfragten. Der Ausgabendruck auf die Regierungen ließ, jedenfalls solange Kriege geführt wurden, also fast kontinuierlich, kaum nach. da die stadtstaaten ihren geldbedarf aus staatlichem besitz (pachtgefällen, schürfkonzessionen) nicht decken konnten, waren sie darauf angewiesen, den Rückfluss der verausgabten Münzgeldmittel zu organisieren. in der regel geschah das in der einen oder anderen form durch „Steuern“, also Zahlungs- oder Leistungsimperative, die sich meist an die wohlhabenden richteten. tribute oder ähnliche leistungen sind dabei als bloße Verlagerungen der imperative zu verstehen: bspw. mussten die thasier oder milesier in der zeit ihrer seebundmitgliedschaft die forderungen des Hegemons athen auf ihre steuerbürger umlegen.40 diese zahlungsimperative setzten die besitzer von produktionsgütern (wie land, geld, arbeitern) unter druck, überschüsse zu erwirtschaften und durch deren Vermarktung monetäre gewinne zu erzielen. das von den regierungen verausgabte Geld war ja aufgrund der Ausgabenstrukturen der staatlichen Nachfrage (bauaufträge, religiöse festlichkeiten und vor allem krieg und kriegsproduktion) und eventueller politischer ausgaben wie diäten in die Hände von kleinkonsumenten gelangt. Von ihnen musste direkt oder indirekt (über verschiedene Vermittlungsstufen) das geld wieder eingesammelt werden, damit die eliten den an sie gerichteten leistungsanforderungen gerecht werden konnten. selbst für relativ ruhige Zeiten wie die 360er-Jahre hat David Pritchard für Athen jährlich anfallende Unterhaltungskosten nur für die flotte von durchschnittlich etwa 400 talenten (2,4 millionen drachmen) errechnet.41 bei ähnlich ambitionierten poleis wie syrakus unter dionysios oder zeitweise kerkyra oder theben sind summen in einer ähnlichen größenordnung zu erwarten, die von eigenen und/oder fremden grundbesitzenden Eliten oder Kaufleuten erwirtschaftet werden mussten. Hier setzt demnach der Mechanismus an, der auch die großen Haushalte aus dem garten eden der autarkie heraus- und auf die märkte zwang. in athen, dem wichtigsten zentrum innerhalb des oben skizzierten systems, kam allerdings ein weiteres moment hinzu, das auf das Verhalten der überschüsse 40 41

die einforderung der leistungen durch den Hegemon betraf die seebundmitglieder dabei in recht unterschiedlicher weise und berücksichtigte die belastbarkeit der poleis nur schematisch. Vgl. dazu den methodisch innovativen Aufsatz von Nixon / Price (1990). pritchard (2012) 56 f. aufgrund der – unregelmäßig anfallenden – kosten für söldner und andere militärische dienstleister lagen die durchschnittlichen militärausgaben pro Jahr beträchtlich höher. allein für die zehnmonatige belagerung von samos 366/5 v. chr. geht pritchard von soldkosten von über 400 talenten aus.

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produzierenden Haushalte einen starken Einfluss hatte. In anderen Poleis lässt sich dasselbe moment in unterschiedlichen formen registrieren;42 es handelt sich wie sonst auch also nicht um eine ausgesprochen athenische eigenheit, doch ist die ausprägung hier besonders deutlich. gemeint sind die starken regulierenden gesetzlichen eingriffe in den außenhandel der polis und die distribution der importierten güter. als besonders gravierend kann dabei das für athenische bürger und in attika ansässige metöken geltende Verbot angesehen werden, lebensmittel (vielleicht mit der ausnahme von olivenöl)43 für den Export zu produzieren oder Kredite zu gewähren, mit denen eine lebensmittellieferung an einen anderen Handelsplatz als an den Athener Handelshafen finanziert worden wäre.44 diese und eine reihe weiterer, in dieselbe richtung wirkender maßnahmen45 scheinen auf den ersten blick die lokalen produzenten dazu gezwungen zu haben, lebensmittel für den lokalen markt zu produzieren. doch dem standen wiederum andere maßnahmen im wege. beim getreidehandel griffen staatliche funktionsträger entlang der gesamten umschlagskette von der anlandung über die Verbringung des getreides auf die städtische Handelsagora bis zum Verkauf an die müller und bäcker regulierend in die preisbildungskette ein und senkten die preise tendenziell unter das bei freiem spiel mögliche niveau. darüber hinaus sorgte die polis mit verschiedenen institutionen (wie etwa den gelegentlich gewählten sitonai) oder dem agyrrhischen gesetz über den subventionierten Verkauf des kleruchengetreides46 für ein künstliches überangebot an getreide, das zusätzlich dämpfend auf die preise wirkte. leichter verderbliche Lebensmittel wie Frischfleisch und -fisch, obst und Gemüse unterlagen ohnehin den agoranomischen preisanordnungen und konnten nur relativ geringe gewinnspannen erbringen.47 der typische aristokrat war daher kein fischereiunternehmer. aufgrund der gesetzeslage wurde auf die grundbesitzenden eliten also ein erheblicher, vor allem in entgegengesetzte richtungen wirksamer druck ausgeübt: Während der pekuniäre Leistungsdruck die profitorientierte Erwirtschaftung von überschüssen erzwang, nahm ihnen die konsumentenorientierte politik entscheidende marktchancen. eine möglichkeit, für die sicherlich auch mancher optierte bzw. die er nolens volens in kauf nehmen musste, bestand unter diesen Verhältnissen offenkundig darin, sich in die monetäre mittelschicht zurückfallen zu lassen.48 Das entsprach aber sicher nicht dem Ehrgeiz eines jeden und war seinerseits mit inkommoditäten verbunden: eine wirtschaftlich dauerhaft gesicherte und politisch unbehelligte Existenzform gab es in der klassischen Antike so gut wie nicht. Die meisten familien der oberschicht wählten unter diesen umständen einen anderen 42 43 44 45 46 47 48

Vgl. bspw. die überblicke von migeotte (1991; 1997); descat (2003). Alain Bresson nimmt mit guten Gründen an, dass die „solonische“ Ausnahme für Ölexporte im 4. Jahrhundert nicht mehr galt. bresson (2007) 202 f. Vgl. anm. 23. Eine Zusammenstellung mit Belegen findet sich bei Ampolo (2010) 60. stroud (1998). siehe nur stanley (1979). zur instabilität der großen Vermögen vgl. etwa andreev (1990).

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Weg, nämlich die Diversifizierung der Produktion und vor allem der Methoden des kapitaleinsatzes. (a) Produktion. aufgrund der oben skizzierten beschränkungen war es vor allem sinnvoll, andere waren als grundnahrungsmittel zu produzieren und in delikatessen oder kostbare gewürze zu investieren, die keiner preisregulierung unterlagen. natürlich sind auch normale lebensmittel für den heimischen markt produziert worden (die sog. Attic Stelai49 führen unter den von den Hermokopidenfrevlern konfiszierten Gütern oliven, Öl, Weintrauben, Gerste, Weizen, feigen, sesam, Hirse, linsen, erbsen, essig und mandeln auf), doch ist aus den oben genannten gründen zu bezweifeln, dass sich aus den gewinnen, die aus dem Handel mit diesen und ähnlichen gütern zu erzielen waren, ganze kriegsflotten bezahlen ließen. Profitträchtiger war die Herstellung von Manufakturgütern mittels sklavenergasterien, die wohl in der regel auf dem grund und boden von großgrundbesitzern standen. denkbar, aber nicht belegt ist, dass grund- und kapitalbesitzer privatunternehmern das kapital für das betreiben von Manufakturen gegen Zinsen zur Verfügung stellten. Soweit ich jedoch sehe, ist nur das modell belegt, dass die manufakturen in direkter Verantwortung der kapitaleigner betrieben wurden (wie etwa auf dem gut des demosthenes). produziert wurden beispielsweise wertvolle möbel, musikinstrumente, kosmetika und medikamente, duftöle, lampen, mäntel und andere kleidung, schuhe, zierkeramik u.a. gut belegt sind natürlich auch waffenmanufakturen (schilde, schwerter).50 die große masse der belege stammt aus den attischen gerichtsreden. der überlieferungszufall bedingt also, dass manufakturen der angedeuteten art dann bekannt geworden sind, wenn sie in attika standen und ihr besitzer in einem prozess erwähnt wurde, der in einer erhaltenen rede dokumentiert ist. Vermutlich ist aber das gesamte spektrum uns bekannter waren, das sich im manufakturbetrieb herstellen ließ, ähnlich produziert worden wie die klingen in der bekannten manufaktur des demosthenes. (b) Kapitalinvestitionen außerhalb der eigenen Gutskomplexe. die wichtigsten felder für kapitaleinsatz waren seehandelsunternehmungen, schürfkonzessionen, Verpachtung von land, investitionen in kriegsunternehmungen, steuerpacht und bankgeschäfte. der kapitaleinsatz einzelner konnte unter umständen relativ geringfügig sein (ganz zufällig ist beispielsweise überliefert, dass der von lykurgos angeklagte schmied leokrates anteile an einer steuerpacht51 erworben hatte). doch die in der sog. mysterienrede52 belegte bietergemeinschaft um andokides ersteigerte die einzugsrechte für den zweiprozentigen Hafenzoll des „Zusammenbruchjahres“ 401 für 36 Talente und erwirtschaftete einen gewinn.53 edward Harris schätzt den gesamtwarenwert der in diesem Jahr eingeführten güter auf der basis der angaben von andokides auf 2000 49 50 51 52 53

pritchett (1956). Vgl. bspw. die zusammenstellung davies (1984) 41–49; s. auch stanley (1990). lykurg. 19. and. 1. 133–135. Harris (2002) 79.

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talente (12 millionen drachmen), eine summe, die etwa das doppelte des Wertes aller Immobilien auf „hoplitischen“ und größeren Gütern Attikas54 betragen haben dürfte.55 die zahl gibt einen eindruck davon, welche summen in diesem bereich unter normalen umständen zu verdienen waren. für die pacht der epigraphisch belegten bzw. erschließbaren schürfkonzessionen im laureiondistrikt zwischen 370 bis 300 v. chr. ist ein kapitalaufwand von 25 millionen drachmen geschätzt worden.56 als beschaffungskosten für die gleichzeitig dort arbeitenden Sklaven ergibt sich, je nach den von den Autoren angesetzten sklavenzahlen, eine marge von 3,5 bis 14 millionen drachmen.57 dabei ist der unterhalt noch nicht berücksichtigt. Hinter diesen zahlen, die um viele weitere beispiele vermehrt werden könnten, verbirgt sich die geballte kapitalmacht der athenischen bzw. metökischen kapitalgeber, d.h. soweit athenische bürger betroffen sind, vor allem die relativ kleine gruppe von vielleicht 300 bis 400 familien, die regelmäßig mit summen in der größenordnung von deutlich über einem talent arbeiten konnten.58 investitionen in den seehandel gab es in anderen poleis59 (wie korinth, megara, massilia) natürlich auch.60 banken und kriegsunternehmungen61 sind auch außerhalb athens belegt oder können erschlossen werden. auch die kapitalanlagen in schürfkonzessionen dürften auf siphnos oder thasos ähnlich organisiert gewesen sein wie in athen, aber dies kann nur vermutet werden. die investitionen des skizzierten typs führten in der regel nicht zu einem unmittelbaren Rückfluss des durch Staatsausgaben in die Hände von Kleinkonsumenten gelangten Geldes in das Vermögen der vorzugsweise durch Leistungspflichten belasteten eliten. der großteil des eingesetzten kapitals dürfte in die Hände von unternehmern (wie etwa des bergbauunternehmers pantainetos in demosth. 37 oder 54 55 56

57 58 59 60

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dabei ist exempli gratia die schätzung von alison burford (1977) 171 zugrunde gelegt, die von der Existenz von 9000 hoplitischen und größeren Landgütern im Attika des 4. Jahrhunderts ausgeht. dabei ist der von luigi gallo (1997) 25 ermittelte epigraphische durchschnittspreis für attische Häuser zugrunde gelegt, i.e. ca. 685 drachmen: multipliziert mit 9000 (siehe vorhergehende anmerkung) ergeben sich 6 165 000 drachmen, also gerundet etwa 1000 talente. eich (2006) 402 f. die unwägbarkeiten bei dieser schätzung sind sehr groß; doch ist bei der beurteilung zu veranschlagen, dass sie von dem zufällig erhaltenen epigraphischen und archäologischen material ausgeht. die zahl 25 millionen stellt daher wahrscheinlich nur eine untergrenze dar. s. zu den berechnungen eich (2006) 404 f. Vgl. nur davies (1984) 15–20. shipton (2000) 31–37 geht von einer wesentlich größeren anzahl reicher liturgisten aus, aber die herangezogenen Quellen (vor allem demosth. 14. 16 f., vgl. oben anm. 30) tragen diese interpretation nicht. Zur Einordnung der Leistungskraft außerathenischer Ökonomien vgl. Nixon / Price (1990). die aus dikai emporikai hervorgegangenen reden setzen durchweg voraus, dass in den destinationshäfen (in byzanz, rhodos, syrakus, korinth etc.) ähnliche strukturen (banken, seehandelsgerichtshöfe, agoranomische institutionen u.a.) anzutreffen waren wie in athen. Vgl. die literatur in anm. 20: seehandelsgerichte; 25: agoranomie; 61: banken. das material zum bankwesen bei bogaert (1996; s. auch 1976). krieg und rüstung sind durchgehend gegenstand der Historiographie, so dass sich einzelbelege erübrigen.

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der häufig dokumentierten Seehandelsunternehmer) gelangt sein. Die Kapitalgeber machten ihren Profit durch die Zinsen, die die Unternehmer an sie zahlten, oder aus den Pfändern, die möglicherweise noch häufig als Verfallspfänder62 bei Verpassen der zinstermine an sie gingen. das ziel der unternehmer dürfte es in der regel gewesen sein, selbst in die klasse der kapitalgeber aufzusteigen, was im glücksfall möglich war, aber insgesamt nur einem relativ kleinen anteil unter ihnen geglückt sein dürfte. es waren die Handels- und transportunternehmer, die die waren (wie lebensmittel, wein, stoffe, feuer- oder bauholz) auf die märkte der mittelmeerwelt brachten, auf denen sie von der masse der konsumenten nachgefragt werden konnten, die unter anderem von den kriegsbedingten ausgaben der staaten monetär profitierten. Aus den Gewinnen der Unternehmer wurden die Zinsen für die Vorschüsse der kapitalgeber beglichen, die ihrerseits auf diese weise, wenn die kredite in ausreichendem Maß zurückflossen, ihre Leistungsfähigkeit bezüglich der staatlichen anforderungen behielten. Hier schloss sich also der kreis (geldemittierende institutionen – empfänger kleiner geldportionen – unternehmer, die auf kreditbasis arbeiten – produzenten hoher überschüsse – emittierende institution – usf.). V. eine grundlegende Voraussetzung für das funktionieren des gesamtsystems: die perennierende knappHeit des geldes an dieser stelle soll noch eine überlegung zu dem sozialen sinn der skizzierten dynamik angeschlossen werden, gerade auch im Hinblick auf die im mittelpunkt der tagung stehende frage nach der durchschaubarkeit der dynamik für den einzelnen und nach dem der klassischen griechischen gesellschaft zur Verfügung stehenden ökonomischen wissen. nach meinem eindruck entwickelten die einzelnen Wirtschaftssubjekte lediglich ein akkurates Wissen über das Verhalten, das notwendig war, um innerhalb der prozesse zu überleben, den status zu erhalten oder gegebenenfalls monetär zu profitieren. Doch die systemintegrierenden Faktoren blieben, soweit jedenfalls die überlebende Literatur erkennen lässt, für die Individuen undurchschaubar oder wurden mit desinteresse behandelt. das schlüsselmoment für die systemische integration der skizzierten abläufe war die monopolisierung der geldemission durch staatliche institutionen im lauf des 6. Jahrhunderts. für die mit entsprechenden kompetenzen betrauten individuen dürfte bei der entscheidung für diese option die verlockende möglichkeit im mittelpunkt gestanden haben, militärische und andere dienstleistungen mit portionierbaren geldbeträgen kaufen zu können, anstatt sie aufwendig unter einsetzung von machtapparaten zu erzwingen. diese kleinportionierte einspeisung von staatsgeld in den monetären Kreislauf, wie sie zunehmend (mit einem vorläufigen Höhepunkt im 4. Jahrhundert) praktiziert wurde, zeitigte eine reihe systembildender effekte, die zum teil

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zur geschichte des ersatzpfands und des Verkaufspfandes vgl. walser (2008) 127–132.

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oben beschrieben worden sind und in ihrer systematik von der antiken zeitgenössischen literatur allenfalls in ansätzen erfasst wurden. die durch die geldausschüttungen bewirkte partielle monetarisierung vieler lokaler und regionaler transaktionen legte die entscheidung darüber, was produziert, transportiert, getauscht werden sollte, oder vor allem, welche dienstleistungen erbracht werden sollten, nach maßgabe der monetarisierung in die Hände der Geldbesitzer. Wie in jeder monetarisierten Gesellschaft entlastet der Mechanismus der geldgesteuerten nachfrage die politischen und kommunitären institutionen63 teilweise davon, politisch oder sozial erwünschte Verhaltensweisen durch sanktionen zu erzwingen. doch damit dieser mechanismus greifen konnte, musste eine grundlegende Vorbedingung gewährleistet sein, nämlich die prinzipielle knappheit des geldes (und abhängig von dieser konstante, der güter). dies ist ein weiterer aspekt, bei dem eine deutliche differenz des hier vertretenen ansatzes zu den New Institutional Economics hervorzuheben ist. der doyen dieser denkrichtung, douglass north, hatte trotz ergänzungen im Einzelnen die Fundamentalaxiome der neoklassischen Theorie unangetastet gelassen, darunter das dogma von der immer gegebenen knappheit der güter. nun ist tatsächlich, wie eben angedeutet, von der knappheit des geldes und damit der güter im antiken griechenland auszugehen, allerdings nicht – wie die neoklassische doktrin will – weil diese knappheit gleichsam naturwüchsig gegeben, sondern weil sie gesellschaftlich erzeugt war.64 nehmen wir noch einmal athen: mit einem mitte des 4. Jahrhunderts fiskalisch veranschlagten Wert der eisphorapflichtigen Güteranteile von 6000 talenten65 oder einfuhren im wert von weit über 10 millionen Drachmen (vgl. Anm. 53) selbst in einem extremen Krisenjahr – bei ca. 30 000 bürgerhaushalten66 im 4. Jahrhundert und einem „epigraphischen Durchschnittspreis“ für Häuser von etwa 685 Drachmen67 – kann von einer naturwüchsigen knappheit von geld und gütern kaum die rede sein: nur die für die gelegentlichen sonderumlagen veranlagten Vermögensteile der nach der schätzung von 63 64 65

66 67

S. zu den „kommunitären“ Institutionen der archaischen und klassischen Epoche Griechenlands bspw. schmitz (2004). Bezüglich dieser Perspektive ist die vorliegende Darstellung vor allem dem indischen Ökonomen Amartya Sen verpflichtet, vgl. etwa Sen (1981). damit sind die anteile des privatbesitzes der 1200 betroffenen Haushalte gemeint, die im fall einer von der Volksversammlung angeordneten sonderumlage belastet wurden. Vgl. demosth. 14. 19; dazu davies (1990) 35 f.; vgl. zu überlieferungs- und interpretationsvarianten thomsen (1964) 89–104. das tatsächliche privatvermögen dieser familien dürfte um einiges größer gewesen sein und das gesamtvermögen der athener und reichen ausländer (die auch im zuge der eisphorai veranlagt wurden: ebd., 99) noch einmal beträchtlich höher. die zahl der männlichen Vollbürger dürfte im Verlauf des 5. und 4. Jahrhunderts erheblich geschwankt haben (von über 40 000 bis deutlich unter 30 000 nach dem peloponnesischen krieg. Vgl. etwa Hansen (1986) 26–69. s. oben anm. 55. die literarisch für attika überlieferten Hauspreise liegen zugestandenermaßen höher, nämlich zwischen 500 und 5000 drachmen. Vgl. ferrucci (1998) 122. die preise am oberen ende der skala sind allerdings ungewöhnlich hoch und bilden sicher ein elitäres segment ab (vgl. ebd. 125 f.: preise für kleinere Häuser liegen eher im dreistelligen bereich). außerhalb Athens war der Normalpreis für „Familienhäuser“ wahrscheinlich deutlich niedriger. Vgl. eich (2006) 213 f. mit anm. 161 und 162.

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378/7 v. chr. (vgl. anm. 65) reichsten athener entsprachen einem wert von über 50 000 Häusern. es war, wie meist, die art und weise, wie die güter verteilt waren, die die knappheit erzeugte. Vor diesem Hintergrund standen die emittierenden bzw. Dienstleistungen nachfragenden Regierungsinstitutionen vor der paradoxen Aufgabe, einerseits bei nachfrage militärischer leistungen bis an die grenzen der staatlichen leistungsfähigkeit zu gehen und andererseits das system nicht monetär zu fluten und damit seines inneren Sinns zu berauben. Aristophanes hat das Problem bereits erkannt und in dem ökonomietheoretisch wichtigsten Text der klassischen griechischen antike, dem Plutos, szenisch behandelt. die botschaft seines stückes lautet im kern: wenn die ausschüttungen des staates ein bestimmtes maß überschreiten, so dass die masse der konsumenten ihre primären lebensbedürfnisse gefahrlos befriedigen kann, so ist diese masse nicht mehr bereit zu arbeiten. ergänzen kann man: sie lässt sich dann wohl auch nicht mehr ohne weiteres in trieren oder phalangen einsperren und dem im antiken griechenland permanenten terror des krieges aussetzen. die geldausschüttungen mussten daher selbst bei anspannung aller staatlichen kräfte gleichzeitig so dosiert sein, dass sie den lebensbedürfnissen der bezahlten und ihrer familien allenfalls zeitweise genügten. als richtgröße, die diesem systemischen bedürfnis rechnung trug, hatte sich im laufe des 5. Jahrhunderts eine summe pro mann und tag von drei bis vier obolen, in ausnahmefällen eine drachme, eingespielt. wenn größere staatliche rücklagen vorhanden waren, wurde die anzahl der eingesetzten soldaten, ruderer und arbeiter vergrößert, aber nicht der ausgezahlte lohn erhöht. damit war auch sichergestellt, dass ein gleichbleibend hoher oder wachsender teil der wehrdienstfähigen männer kriegsdienste oder kriegswichtige dienste leistete. die relativ bescheidene tageszahlung stellte auch sicher, dass die von staaten an soldaten, bauleute etc. geleisteten zahlungen schnell in den konsum von lebenswichtigen Gütern flossen. Damit wurde eine wichtige Scharnierstelle des oben beschriebenen systems bedient und in bewegung gehalten. angesichts der staatlich erzeugten nachfrage lohnten sich unternehmerische kreditaufnahmen, die bei der relativ kleinen wohlhabenden Elite erfolgten. Aus den Rückflüssen dieser Kredite und den zinsen gewann diese elite die mittel, um regierungsinstitutionen wiederum mit den geldern auszustatten, die mit erneuter nachfrage nach politischen dienstleistungen den kreislauf in bewegung hielten. Schließen möchte ich mit einem weiteren Paradoxon oder auch mit der Abwehr eines möglichen missverständnisses: das setzen auf den krieg und die monopolisierung könnte vielleicht auf den ersten blick als mehr oder weniger bewusst eingesetztes mittel verstanden werden, mit der die (destruktive) leistungsfähigkeit der menschen indirekt zu einem Höchstmaß gesteigert werden sollte, so dass der krieg als ein permanentes wirtschaftsförderungsprogramm erscheinen könnte. doch ich möchte bezweifeln, dass dies ein den alten naheliegender gedanke war. gewiss schätzten die meisten der klassischen schriftsteller den krieg wegen seiner angeblichen positiven wirkung auf den menschen, aber doch eher als einen wert an sich, nicht als stimulanz von wirtschaftsprozessen. reichtum war im alltäglichen rä-

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sonnement – wie in der plastik des kephisodotos lebhaft veranschaulicht – eher mit frieden als mit krieg assoziiert. was die indirekte wirkungsweise des krieges angeht, scheint mir die Hauptmotivation eher aus einer entgegengesetzten richtung zu stammen. indem die stadtstaaten die unterwerfung anderer poleis anstrebten, wollten sie diese tributoder wehrdienstpflichtig machen und damit den Druck zur Erwirtschaftung von Profiten von der eigenen Bürgerschaft auf die unterlegene abwälzen. Erst sekundär, durch die arbeitsmigration in die zentren mit ihrer politisch herbeigeführten überdimensionierten Kaufkraft, entstanden zusätzliche Profitchancen, die aber subjektiv als Profitnotwendigkeiten verstanden worden sein dürften (wegen der überdimensionierten einfuhr von lebensmitteln bzw. der rüstungsproduktion, die wiederum der Aufrechterhaltung des Druckes auf die Tributpflichtigen geschuldet war). Die zuwanderung dürfte großenteils armutsbedingt erfolgt sein, denn angenehm waren die lebensbedingungen vieler metöken bestimmt nicht, wie etwa die rede des lysias Gegen die Sitopolen (22) zeigt, in der den arbeitsmigranten in zeitloser manier die rolle von sündenböcken in einer Versorgungskrise zugewiesen und offen mit Lynchjustiz gedroht wird. Von der Sklaverei zu schweigen, die per definitionem unfreiwillig ist. wie man diese phänomene aber auch bewerten will, sie ergeben sich als nebenprodukte des Hegemonialstrebens und waren nicht dessen eigentlicher zweck.

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korrekturzusatz seit dem satz dieses beitrags ist eine größere zahl von titeln erschienen, die die vom autor vertretenen thesen betreffen. in den folgenden publikationen können Leserinnen und Leser die Auffassung des Autors zu dieser Literatur finden, soweit diese in dem jeweils gegebenen Rahmen entwickelt werden konnten. Die Grundthesen sind von diesen aktualisierungen nicht betroffen. armin eich, the struggle over prices and price formation in ancient athens, in: Journal of ancient civilizations 34 (2019), 155–187 . Armin Eich, Die Geo-Ökonomie des Ersten Attischen Seebundes – neue Forschungen und Überlegungen, in: Werner Rieß (Hg.), Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. – Aktuelle Projekte und Forschungstrends (colloquium atticum 2), stuttgart 2020, 51–78. armin eich, political economy and the growth of markets and capital, in: sitta von reden (Hg.), the cambridge companion to the ancient greek economy, cambridge, in Vorbereitung.

HauswirtscHaft im klassiscHen GriecHenland strukturen und strategien Moritz Hinsch i. einleitunG a) forschungslage und fragestellung die Geschichte der erforschung der griechischen Hauswirtschaft unterliegt einer eigentümlichen ironie. die charakterisierung der griechisch-römischen antike als epoche der „Hauswirtschaft“ löste die Grundsatzdebatte über den charakter der antiken wirtschaft aus, doch gerade die Hauswirtschaft ist im laufe dieser debatte vernachlässigt worden.1 Bis heute fehlt in darstellungen und einführungen zur antiken wirtschaft eine eigenständige thematisierung des Haushalts entweder ganz oder sie konzentriert sich auf familien- und geschlechtergeschichtliche aspekte.2 das ist vielleicht kein Zufall. aller Polarisierung zum trotz besteht in der Beurteilung der Hauswirtschaft häufig ein überraschender Konsens zwischen „primitivistischen“ und „modernistischen“ Positionen zur antiken wirtschaft. die Hauswirtschaft gilt als definitionsgemäß archaische Organisationsform, die auf Autarkie und Subsistenz gezielt habe, auf eine ökonomische Abschließung von ihrer umwelt also.3 deswegen, so ist zu vermuten, widmete man sich der Hauswirtschaft gerade dann nicht, wenn man die zunehmende diversität und komplexität der wirtschaft Griechenlands seit dem ende des 5. Jahrhunderts v. chr. unter1

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Gemeint ist karl Büchers adaption von karl rodbertus’ konzept der „geschlossenen Hauswirtschaft“, welche die sog. Bücher-Meyer-Kontroverse anstieß, Bücher (1906, zuerst 1893); eduard meyer war in seiner replik so bescheiden, darauf „in kurzen umrissen ein Bild des wirklichen Verlaufs der wirtschaftlichen entwicklung des altertums zu geben“, s. meyer (1924, zuerst 1895) 84, womit er die Debatte von der Modellbildung zur Hauswirtschaft weg und auf die ebene allgemeiner Beurteilungen führte, wo sie dann auch bei den entgegnungen von Bücher und moses finley verblieb. Weder bei Finley (1993) noch bei Austin / Vidal-Naquet (1984) oder jüngst von Reden (2015) finden sich eigenständige Thematisierungen der Hauswirtschaft; die ausführlichen Darstellungen der griechischen Wirtschaft bei Eich (2006) und Bresson (2016) verzichten ebenfalls auf eine eigenständige diskussion, das entsprechende kapitel in der Cambridge Economic History of the Greco-Roman World konzentriert sich auf Geschlechterrollen, vgl. Saller (2007). Stärker berücksichtigt wird die Hauswirtschaft hingegen in Robin Osbornes Beitrag zu „Private property and the household“, in dem von alain Bresson u.a. vorbereiteten New Oxford Handbook for the Economies of the Ancient World. Sommer (2013) 80 f. behandelt den Haushalt in seiner Einführung zwar, charakteristischerweise aber nur für die Frühzeit anhand von Hesiod; vgl. Reuthner (2006), 87 f.

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suchen wollte.4 leitthese der folgenden Überlegungen ist dagegen, dass sich die griechische Hauswirtschaft in klassischer Zeit nicht bloß an die Bedingungen der monetären Verkehrswirtschaft anpasste, sondern darüber hinaus die leistungsfähigste Organisation blieb, um an einer solchen Wirtschaft erfolgreich zu partizipieren. Gerade weil der Haushalt in allen vormodernen ‚Hochkulturen‘ den primären Bezugsrahmen des sozialen lebens bildete,5 lässt sich daraus allein keine spezielle rückständigkeit der griechischen städtegesellschaft im Vergleich zu anderen Hochkulturen ableiten. Bis zur industriellen revolution dachte und handelte nicht bloß der Bauer, sondern auch der Kaufmann und der Handwerker in erster linie als Hausvater.6 das gibt anlass zu der annahme, dass sich auch komplexe formen monetärer Verkehrswirtschaft besser verstehen lassen, wenn wir berücksichtigen, dass die an ihr partizipierenden Organisationen keine Unternehmen, sondern Haushalte waren. b) methode im folgenden sollen Grundzüge eines modells der Hauswirtschaft städtischer Bürgerhaushalte herausgearbeitet und anhand exemplarischer Quellenanalysen belegt werden. anstatt zu versuchen, einen einzigen „durchschnittshaushalt“ zu rekonstruieren, wird dabei die diversität und dynamik der Hauswirtschaft herausgearbeitet werden. Ihre jeweilige Ausprägung hing davon ab, welchen Status das Haus genoss, über welches kapital es verfügte und in welcher Phase seines „lebenszyklus“ es sich befand. dieses modell baut auf arbeiten, wie etwa die von thomas Gallant, lin foxhall, edward Harris und edward cohen auf. trotz unterschieden in der deutung betonen sie alle die dynamik und anpassungsfähigkeit hauswirtschaftlicher strategien.7 Hilfreich ist außerdem das ethnologische und

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So ist es für Eich (2006) 611 f. geradezu ein Kennzeichen dieser Entwicklung, dass „die griechischen Gesellschaften das stadium autarkieorientierter Hauswirtschaft in der klassischen Zeit hinter sich ließen“. Der Ausdruck ist zugegebenermaßen unscharf; hier sind damit agrarische, stratifizierte Gesellschaften gemeint, wie sie bei Luhmann (1997) 678–706 von segmentierten Jäger- und Sammlergemeinschaften einerseits, von funktional differenzierten industriegesellschaften andererseits unterschieden werden. Van Dülmen (1990) 76: „Vom einfachen Bauern bis zum reichen Kaufmann, vom armen Handwerker bis zum adel in der stadt und auf dem land lebte der mensch in der frühen neuzeit sein leben lang in der häuslichen Gemeinschaft. sie war die ursprüngliche, die geordnete lebenseinheit. Mag sie groß oder klein, mag sie hier und da unterschiedlich strukturiert gewesen sein, sie blieb der Lebensmittelpunkt: denn unbehaust und allein lebte nur der Landstreicher.“ Vgl. auch die Beiträge unten Anm. 8. Insbesondere der Ansatz von Foxhall (2007) 37–54 wird hier weiterverfolgt; wichtig auch der Entwurf eines häuslichen „Lebenszyklus“ von Gallant (1991) 27–30; Cohen (1992) 82–90 hat die Bedeutung des Haushalts für Geld- und Bankgeschäfte betont; vgl. auch Harris (2002; 2014); grundlegend zum Haushalt als sozialer Einheit, s. Lacey (1968); Cox (1998); Schmitz (2007).

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nachantike Vergleichsmaterial.8 für einen Vergleich besonders geeignet erscheinen dabei die italienischen stadtrepubliken des spätmittelalters, weil ihre soziopolitische Organisation derjenigen der antiken Städte in hohem Maße ähnelt,9 und die Quellen- und forschungslage dank privater und staatlicher archive besonders günstig ist.10 während ältere forschungen die mittelalterlichen stadtbürger gern als urahnen der späteren kapitalistischen „Bourgeoisie“ betrachteten, betonen neuere Studien, dass auch die Kaufleute und Bankiers ihre Geldgewinne in Prestige, politische Ämter und Landbesitz reinvestierten und sich in der Organisation ihrer Geschäfte auf ihren Haushalt und ihre treu- und nahbeziehungen verließen.11 diese form einer komplexen, aber vormodernen städtischen wirtschaftsweise scheint als geeigneter referenzpunkt, um zunächst durch analogieschlüsse neue Erklärungsansätze zur antiken Wirtschaft zu entwickeln (und alte kritisch zu überprüfen) und anschließend die historischen Besonderheiten der antiken griechischen Hauswirtschaft genauer abzugrenzen.12 fokussiert wird auf die Zeit vom ende des 5. bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts v. chr. der geographische fokus liegt auf der Ägäis-region mit ihren angrenzenden küstengebieten. diese region war am stärksten urbanisiert und vernetzt.13 Das Problem der Konzentration unserer Schriftquellen auf Athen wird dadurch abgemildert (wenngleich nicht beseitigt), dass wir aufgrund zahlreicher verstreuter nachrichten annehmen dürfen, dass andere küstenstädte mindestens ebenso sehr – wenn nicht noch mehr – von der geldbasierten Verkehrswirtschaft durchdrungen

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Verwiesen sei auf Goody (1974); Bourdieu (1979); Lévi-Strauss (2012) für eine ethnologische Perspektive; Brunner (1968), van Dülmen (1990) und Blickle (2008) 20–38 für Alteuropa vor 1800. Die Parallelen sind von beiden Seiten immer wieder betont worden, aus der Sicht der Mediävistik etwa von Jones (1997) 454 und Waley / Dean (2010) xx f.; Max Weber, dessen idealtypischer Vergleich zwischen der mittelalterlichen und antiken stadt unvollendet blieb, hat zwar allgemein die unterschiede zwischen antiker und mittelalterlicher stadt betont, gerade die südeuropäischen städte aber herausgenommen und ihren „antiken“ charakter betont, vgl. weber (1999, zuerst 1921) 253; dazu auch Breuer (1984); für die Wirtschaftsgeschichte ist diese Vergleichsperspektive nur gelegentlich gebraucht worden, etwa bei Mickwitz (1939) und Thompson (1978); Spahn (2016) hat den Vergleich von Athen und Florenz ebenfalls empfohlen, seine kontrastierung der „konsumentenstadt“ athen mit der „Produzentenstadt“ florenz wiederholt dabei allerdings lediglich die alte Position Büchers. Allein die Geschäftsdokumente des Francesco Datini (der allerdings besonders eifrig schrieb) umfassten 500 Geschäftsbücher, 300 Gesellschafterverträge und 140 000 Briefe, Origo (1993) 8. Zur Bedeutung des Haushalts vor allem Kent (1977); Korrektur des älteren Bildes bei Martines (1979) 45–49 und 164–183, Jones (1997) 116, 145 f., 288–290 und Waley / Dean (2010) 129– 155; speziell zum Wirtschaftsgebaren, s. Goldthwaite (2008) 106 f., 590–594 und Padgett / McLean (2011). Zur Methode des historischen Vergleichs sind Marc Blochs Bemerkungen (1953, zuerst 1928) nach wie vor grundlegend; vgl. Golden (1992) mit Überlegungen zum Nutzen des Vergleichs für die antike sozialgeschichte. Vgl. Descat (2006); Bresson (2016) 33–41; Eich (2006) 120–173 zur Entstehung dieser zusammenhängenden Handelsräume.

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waren wie athen.14 archäologische Quellen korrigieren das literarische Bild ebenfalls zumindest teilweise. während wohnhausgrabungen einblicke in die räumliche Dimension der Hauswirtschaft geben, informieren Oberflächenprospektionen (Surveys) über Siedlungsmuster und Bodennutzung.15 „wirtschaft“ und „wirtschaften“ werden im folgenden als rein analytische Begriffe verwendet, um menschliches Handeln und soziale kommunikation in Hinsicht auf die Produktion, distribution und konsumtion knapper Güter und leistungen zu beschreiben und zu erklären.16 die analyse konzentriert sich auf die wirtschaftliche funktion des Hauses, ohne zu unterstellen, dass die untersuchten strukturen und Strategien ausschließlich wirtschaftlichen Zweck im modernen Sinne gehabt hätten. die Grundkategorien der ökonomischen theorie wurden zwar entwickelt, um die funktional ausdifferenzierte wirtschaft der modernen Gesellschaft zu erklären. Ihre Anwendung auf vormoderne Epochen ist jedoch so lange gerechtfertigt, wie man nicht zugleich die speziellen modelle übernimmt, die zur Erklärung spezifisch moderner Phänomene entwickelt wurden. c) Definition „Hauswirtschaft“ Das griechische Haus war eine umfassende, multifunktionale soziale Organisation. für seine mitglieder bildete es lebenslang den primären Bezugsrahmen, von den alltäglichen Bedürfnissen bis hin zur sozialen identität.17 dies spiegelt sich in der mehrdeutigkeit des wortes oikos wider. der ausdruck bezeichnete zugleich das Wohnhaus (räumliche Dimension), den Besitz eines mündigen und freien Mannes (sachliche Dimension), die Hausgemeinschaft (soziale Dimension) und die Abstammungsgemeinschaft (zeitliche Dimension).18 die multifunktionalität des Hauses prägte nicht allein die alltäglichen Vorgänge, die heute mit dem Begriff „Hauswirtschaft“ assoziiert sind.19 sie bestimmte auch jede weitreichende Entscheidung von der Verwendung des Vermögens bis hin zu den außerhäuslichen Aktivitäten der Hausgenossen. Das Verhalten einzelner Ak14

Plat. leg. 8. 842c: ἐκ γῆς γὰρ καὶ ἐκ θαλάττης τοῖς πλείστοις τῶν Ἑλλήνων ἐστὶ κατεσκευασμένα τὰ περὶ τὴν τροφήν. Vgl. dazu die Systematisierungen bei Gehrke (1986) 96–176 und Jameson (1992) 135–146. 15 Zur Bedeutung archäologischer Quellen für die sozial- und wirtschaftsgeschichte s. Humphreys (1978) 109–129 und Morris (1994) 351–365; vgl. Cahill (2002) 223 f. zu Wohnhausbefunden sowie Alcock (2002) 185–199 zu Survey-Befunden. 16 Vgl. Becker (1976) und bereits Weber (1988, zuerst 1904) 161 zu einem derartigen analytischen wirtschaftsbegriff. 17 Schmitz (2004) 202 f.; vgl. Cohen (2002) 104–106. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu modernen Organisationen wie Unternehmen, Parteien oder Vereinen, die auf eine bestimmte funktion hin spezialisiert sind und deren mitgliedschaft optional ist. Zum soziologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Organisationsbegriff vgl. Williamson (1975); Esser (2000b) 237–281; Luhmann (2005, zuerst 1975). 18 Macdowell (1989) 10 f.; Bodei Giglioni (1996) 735–754; Pomeroy (1997) 21; Cox (1998) 132–137. 19 Die Beschränkung des Haushalts auf die Konsumtion erfolgte erst, als sich im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts Haushalt und Betrieb zunehmend trennten und auch dann erst schrittweise, vgl. Schwab (1992) 273–278; Harris (2014) 187–189.

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teure wird ökonomisch erst dann voll verständlich, wenn wir es im kontext des sozialen systems eines Haushalts mit arbeitsteiligen rollen und generationenübergreifenden Zeithorizonten begreifen.20 es ist irreführend, die Hauswirtschaft in klassischer Zeit als eine nach autarkie strebende subsistenzwirtschaft zu beschreiben. in der Überlieferung lässt sich kein Haushalt finden, der ausschließlich für den eigenen Bedarf Ackerbau betrieb.21 es ist zwar anzunehmen, dass der größte Teil der Bevölkerung aus Kleinbauern bestand, die vornehmlich für den eigenbedarf arbeiteten. doch gilt dies für die Bewohner aller weltregionen bis zum Beginn der industriellen revolution.22 es spricht wenig dafür, gerade hierin die wirtschaftliche Besonderheit der griechischen Stadtgesellschaft zu sehen. Die Besonderheit jener Haushalte, die in unseren Quellen auftauchen, liegt vielmehr in ihrem städtischen charakter. die wirtschaft kleiner und großer Haushalte war gleichermaßen davon geprägt, dass sie die spezifischen chancen wirtschaftlichen Gewinns und politischer teilhabe wahrnahmen, die sich aus der städtischen Zusammensiedlung und Organisation als Bürgerschaften ergaben.23 traditionell wird die Hauswirtschaft als bedarfsorientierte Organisationsform beschrieben, in abgrenzung zum modernen gewinnorientierten unternehmen. Diese Charakterisierung ist nicht falsch, für sich genommen jedoch missverständlich. auch der griechische Hausherr trachtete danach, „durch das erzielen eines Überschusses das Haus zu vergrößern“, wie es Xenophon im Oikonomikos formuliert.24 Der „Bedarf“ eines Haushalts war keine fixe Größe, sondern abhängig von sozialen und kulturellen Vorgaben. Wiederum bringt es Xenophon auf den Punkt: Obwohl Kritoboulos reicher sei als Sokrates, müsse er dennoch effektiver wirtschaften als dieser; denn als Mitglied der athenischen Oberschicht sei er gegenüber

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Aus ethnologischer Perspektive: Carter (1984) 73–76; Hammel (1984) 34; Wilk (1984) 2–19. Bereits der Haushalt in Hesiods Werken und Tagen bedient sich der lohnarbeit und sklaverei, kauft Land und treibt Seehandel, zu dem erg. 617–693 recht ausführliche Anweisungen gibt. Anders Spahn (1980) 539 f. und Millet (1984). Die vermeintlichen Kleinbauern der attischen Komödie besitzen Sklaven und kaufen und verkaufen auf dem Markt, s. u. S. 141. Versuche, eine griechische peasant culture zu rekonstruieren, müssen bezeichnenderweise auf nichtantike Quellen zurückgreifen: Vgl. etwa Gallant (1991) ix–10, ähnlich Burford (1977); Wood (1988) 120–122. Hanson (1995) 1–16 betont ebenfalls den agrarischen Charakter der griechischen kultur, lehnt den Begriff der peasant culture allerdings ab. widersprochen haben diesen auffassungen insbesondere Jameson (1992) 135–146, Foxhall (2002) 209–220 und Papadopoulos / Morris (2005) 180. 22 Wehler (1987) 69 f. für die Bevölkerung Deutschlands um 1750–1800; vgl. Herlihy / Klapisch-Zuber (1985) 123 für die Toskana im 15. Jahrhundert, der damals am stärksten urbanisierten region europas. 23 Eich (2006) 362–387; Foxhall (2007) 26–35. Dies bereits betont bei Weber (1999, zuerst 1921) 186 und Weber (2006, zuerst 1909) 320–765, 477–520. Vgl. Michail Rostovtzeffs Darstellung, dessen Bezeichnung der Bürger als „Bourgeoisie“ jedoch unglücklich gewählt ist, Rostovtzeff (1955) 127. 24 Xen. oik. 1. 4: … περιουσίαν ποιῶν αὔξειν τὸν οἶκον. Vgl. Is. 11. 39.

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Freunden und dem Gemeinwesen zu hohen Ausgaben verpflichtet.25 Bedarfsorientierung ist nicht gleichzusetzen mit Subsistenzwirtschaft. Spezifisch für die Hauswirtschaft ist nicht, mit welchen mitteln sie ihren Bedarf deckt, d.h. ob mit der eigenen Ernte oder mit erworbenem Geld. Spezifisch ist die Logik, die ihre Entscheidungen steuert. die Hauswirtschaft ist eine umfassende wirtschaft und keine spezialisierte,26 wie die moderne Betriebswirtschaft, die an einem funktionell ausdifferenzierten wirtschaftssystem partizipiert und darauf spezialisiert ist, durch die investition von ökonomischem kapital ökonomisches kapital zu gewinnen.27 die Hauswirtschaft zielt dagegen auf Nutzenproduktion28 im umfassenden Sinne: Von der sicherung des Grundbedarfs an nahrung und kleidung, über die natürliche reproduktion bis hin zum Gewinn von Geld, macht und ehre. dazu nutzte sie alle ihr verfügbaren Güter: kulturelles Kapital, in Form von technischem, oder inkorporiertem Wissen (Habitus); soziales Kapital, in Form von Treu- und Nahverhältnissen; und symbolisches Kapital: öffentliche Ehrungen als Manifestation des Sozialstatus. „Kapital“ meint dabei jedes soziale Gut, das akkumuliert und investiert werden kann.29 In diesem Sinne konkurrierten Haushalte nicht spezifisch ökonomisch miteinander, sondern umfassend: nicht Marktkonkurrenz, sondern Statuskonkurrenz bestimmte das denken griechischer Hausväter.30 Die Rationalität der Hauswirtschaft bemaß sich daran, wie effizient der Fortbestand des Hauses gesichert wurde. wegen der Vielfalt an Gütern, die man investieren konnte oder gewinnen wollte, waren die entscheidungssituationen, in denen sich ein Hausvater befand, außerordentlich komplex. Sich um des Statusgewinns willen ökonomisch zu ruinieren, war hauswirtschaftlich ebenso wenig rational wie durch schändliches Gewinnstreben den eigenen ruf zu ruinieren.31 der Hausvater befand sich in einem strukturell angelegten Rollenkonflikt. Während die Rolle des Hausherrn von ihm verlangte, dass er mit allen mitteln zum erhalt und zur Vergrößerung des Hauses beitrug, verpflichtete ihn die Rolle des Bürgers dazu, sich freigiebig und ehrbar zu verhalten und das städtische Gemeinwohl über die häuslichen interessen zu stellen.32 er musste stets Gewinn und ehre, kerdos kai timē,

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Xen. oik. 2. 5 f. und 11. 1–24; der Gedanke selbst war älter, wie etwa eine von Demokritos überlieferte Spruchweisheit bezeugt, vgl. Demokr. Fr. DK 68 B 283; s. a. Aristot. eth. Nic. 4. 1122a 24–26. 26 Foxhall (2007) 53. 27 Knight (1921) 155. Vgl. Swedberg (2009) 127, Luhmann (2002) 43–90, Bourdieu (1994) 175– 211 zur funktionellen Differenzierung der Gesellschaft; Weber (1972) 31 zum Begriff des rationalen wirtschaftens. 28 Dazu Becker (1976); Esser (2000a) 59–94. 29 der soziologische kapitalbegriff ist besonders durch die arbeiten von Pierre Bourdieu popularisiert worden; systematischer ausgeführt allerdings bei Esser (2000a) 209–268. 30 Foxhall (2007) 38; zum Fehlen einer spezifisch ökonomischen Konkurrenz vgl. Andreev (1990) 151–159. 31 dass ungerechter Gewinn am ende mehr schade als nütze, behaupten spruchweisheiten von Archilochos bis Menander; dahinter steht die Einsicht, dass man sich mit kurzfristigen Gewinnen langfristig den kredit im doppelten sinne verspielte und im notfall dann ungeschützt sei. 32 Demokr. Fr. DK 68 B 253; vgl. Aristot. eth. Nic. 4. 1120 b 13–18.

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gegeneinander abwägen und soweit möglich miteinander vereinbaren.33 das resultat war eine kulturelle Perfektionierung von strategien der performativen Distanzierung, d.h. Verhaltensweisen, bei denen ein Bürger im persönlichen auftreten jegliche persönliche Beziehung zu zweifelhaften oder sogar schändlichen kommerziellen aktivitäten negierte, zugleich aber durch die strukturen des Haushalt systemisch von diesen Aktivitäten profitierte. Teil dieser Strategien war einerseits Abschirmung,34 bei der Personengruppen mit unterschiedlichen rollenerwartungen an den Hausvater räumlich getrennt blieben, etwa mitbürger und Hausgenossen. andererseits Arbeitsteilung, bei der statusschwächere Hausgenossen jene Aufgaben erledigten, deren persönliche erledigung dem ansehen des Hausvaters geschadet hätte.35 Haushalte konnten sich nur erfolgreich reproduzieren, wenn sie sich an ihre Umwelt anpassten, die die Opportunitäten und Restriktionen ihrer Wirtschaft definierte. der Begriff der „marktwirtschaft“ zur Beschreibung dieser umwelt ist dabei allerdings ebenso problematisch wie jener der Subsistenzwirtschaft. In den meisten vormodernen Hochkulturen entwickelte sich eine Verkehrswirtschaft mit dicht vernetzten lokalen Märkten und Warenhandel auch über große Entfernungen hinweg.36 eine solche Verkehrswirtschaft wird allerdings erst dann zu einer regelrechten marktwirtschaft, wenn die vielen lokalen transaktionen zu einem globalen markt integriert sind, der den kriterien der Anonymität (keine Verhandlungsmacht) und der Transparenz (kein Informationsvorsprung) entspricht. Diesem Idealtypus eines vollkommenen markts entsprechen reale märkte nie vollständig. Historisch gesehen haben sich Verkehrswirtschaften erst dann diesem idealtyp angenähert, als institutionen entstanden, die Regeln und Anreize für einen spezifisch ökonomischen Wettbewerb festlegten, und Organisationen, die diese Regeln durchsetzten oder die relevanten Informationen generierten und verbreiteten: Börsen und Wirtschaftsministerien zählen ebenso dazu wie Tageszeitungen und Online-Auktionshäuser.37 trotz des eifrigen und ständigen Handelsverkehrs, der das mittelmeergebiet prägte, fehlten eben diese strukturen, um die vielen lokalen märkte zu einem globalen markt zu integrieren.38 die strategien der Hauswirtschaft lassen sich besser erklären, wenn ihre umwelt nicht als integrierter markt, sondern als stark fragmentierter Verkehrsraum modelliert wird. die fragmentierung war zum einen naturräumlich. klimatisch und geologisch zerfallen die griechischen siedlungsgebiete in unzählige mikroregionen. deshalb wurde der lokale mangel schon früh durch Handel ausgeglichen, und 33 34 35 36 37 38

nach gängiger auffassung die zwei triebkräfte der meisten menschen, beim Handel ebenso wie im Bürgerkrieg, Aristot. pol. 5. 1302a 32–34; vgl. Xen. vect. 1. 4 und Plat. rep. 2. 362b–c. Das Konzept der Abschirmung (insulation) stammt von Robert Merton (1957) 114–116. Cohen (2002) weist auf die Möglichkeiten hin, die sich hieraus für Frauen, Sklaven und Freigelassene ergaben, übersieht aber, dass die Bürger als Hausvorstände natürlich deren aktivitäten billigen mussten und direkt von ihnen profitierten. Finley, der Karl Polanyis Anwendung ethnologischer Ergebnisse auf die (nach-homerische) antike Gesellschaft ablehnte, forderte das vergleichende studium solcher Hochkulturen, finley (1975) 102–119. North (1990) 1–10; ähnlich bereits Knight (1921) 136. Finley (1993) 14 f.; Eich (2006) 183–197.

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umgekehrt bestand die Chance, von zeitweiligen Überschüssen zu profitieren. möglich war das wegen der hohen konnektivität der gut schiffbaren küsten und inseln in der Ägäis und dem ionischen meer.39 Hinzu trat die politische fragmentierung in selbstregierte Städte mit jeweils eigenen Sitten und Gesetzen. Jede Stadt war ein mikrokosmos, eine face-to-face-community, in der zwar nicht jeder jeden kannte, aber jede wichtige Interaktion eingebettet war in Rangverhältnisse und nahbeziehungen, die ständig performativ neu austariert wurden.40 Zu unvorhergesehenen klimatischen ereignissen traten soziale und politische ereignisse hinzu, wie kriege, seuchen, erbfälle oder Verbannungen, die manch einem Verlust, manch anderem aber Gewinn versprachen.41 es bestand daher ein krasser Gegensatz zwischen dem weiten raum der erwerbsmöglichkeiten, der sich wagemutigen männern (und einigen Frauen) im gesamten Mittelmeergebiet bot, und dem engen Raum der kommunalen Ordnung und sozialen Kontrolle innerhalb der eigenen Stadt und nachbarschaft. die städtische lebensform bot besondere erwerbschancen, aber ihre politische Organisation als selbstverwalteter Bürgerverband erforderte es auch, dass jeder Hausvorstand diese chancen tatsächlich nutzte. Griechische Haushalte waren nicht in monarchische redistributionssysteme integriert, wie sie aus Vorderasien oder dem mittelalterlichen europa bekannt sind. sie konnten sich nicht darauf verlassen, Renten (z.B. aus feudalen Lehen) zu beziehen. Allerdings waren sie dafür in ihrem eigentum geschützt, über das sie ziemlich frei verfügen konnten. so waren Haushaltsvorstände zugleich verlockt und gezwungen, den eigenen Haushalt tatkräftig und gerissen zu leiten, um ihn stetig zu vergrößern oder immerhin zu bewahren.42 ii. strukturen der HauswirtscHaft a) Die räumliche Dimension: das Wohnhaus Oikos bezeichnete zunächst eine spezifische räumliche Ordnung, das Zusammenleben unter einem dach.43 die wohnhäuser von Bauern und Handwerkern waren meist zugleich ihre arbeitsplätze. das sparte transportkosten und vereinfachte die Überwachung abhängiger arbeit.44 die architektur des typischen Hofhauses trug 39 40 41 42 43 44

Osborne (1987) 28–34; Horden / Purcell (2000) 133–135; Möller (2007) 363; Bresson (2016) 31–41. Horden / Purcell (2000) 503–523; Eich (2006) 108–120; Winterling (2012) 155–159. Von Reden (2007) 385–406; vgl. Davies (1981) 73–87. Die Wechselhaftigkeit des Glücks (tychē) war ein geläufiger Topos, der besonders mit wirtschaftlichem Gewinn und Verlust assoziiert wurde, vgl. nur Demokr. DK 68 B 176; Thuk. 3. 45 und 210; sowie Antiph. fr. 202 PCG. Humphreys (1978) 136–158; Thompson (1982) 53 f.; Osborne (1991) 114–132; Harris (2002) 85. dementsprechend bezeichnete oikia, „Haus“, lange die bauliche einheit ebenso wie die soziale, bevor sich sein Gebrauch im 4. Jahrhundert (überwiegend) auf die erstere Bezeichnung einschränkte. S. o. Anm. 18. Cox (1998) 135–155; vgl. Bettalli (1985) 38 f. und Cahill (2002) 150, 264 f.; ein gutes Beispiel ist das sog. Haus von Simon dem Schuster an der athenischen Agora, Thompson (1960).

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der Kontrollfunktion des Hausherrn Rechnung. Nach außen war das Haus abgeschlossen und meist nur über einen einzigen eingang betretbar. nach innen öffneten sich die räume auf einen Hof, der licht und luft spendete und zugleich die Überwachung der Vorgänge in den umliegenden räumen ermöglichte.45 architektonische Spezialisierung fehlte: Bauern, Handwerker und Kaufleute wohnten in Häusern gleichen typs.46 wohnhäuser wurden allerdings nicht nur von ihren eigentümern bewohnt, sondern auch ganz oder in teilen verpachtet, gerade in wichtigen Handelshäfen wie korkyra, Byzantion oder dem Piräus.47 Schließlich waren Häuser sichtbare Vermögensindikatoren und dienten der statusrepräsentation und als unterpfand für kredite.48 seit dem 5. Jahrhundert setzte in reichen Haushalten teilweise eine räumliche differenzierung ein. entlegene Gehöfte und werkstätten, in denen sklaven unter der aufsicht von aufsehern wohnten und arbeiteten, lagen getrennt und unterschieden sich architektonisch von den stadthäusern, in denen die Herrenfamilie residierte.49 Aus Eretria, Olynth und Athen stammen Befunde dafür, dass ein Hausbesitzer ein nachbarhaus kaufte und fortan einen repräsentativen wohnbereich vom arbeitsbereich abtrennte.50 die räumliche differenzierung erlaubte es dem Hausherrn, seinen Gästen eine standesgemäße Lebensführung vorzuführen, ohne die Kontrolle über den architektonisch getrennten wirtschaftstrakt zu verlieren, in dem das nebenan zur schau gestellte Vermögen erwirtschaftet wurde. die zwei Bereiche des Hauses bildeten gewissermaßen Bühne und Hinterbühne für die strategie der performativen distanzierung.51 45 46 47 48 49 50

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Zur sozialen Bedeutung der Wohnhausarchitektur s. Pesando (1987); Jameson (1990); Nevett (1999) 74–175; Westgate (2007) 240 f.; Trümper (2011). Aischin. 1. 123 f.; für Athen: Rotroff (2009); für Olynth: Cahill (2002) 223–225. Athen, insbesondere innerhalb der Stadt und im Piräus: [Xen.] Ath. pol. 1. 17 f.; Aristoph. (Georgoi) Fr. 119 PCG; Is. 11. 42; Demosth. 38. 7; Byzantion: Phylarchos (FGrH 81) F 7; Korkyra: Thuk. 3. 74. 2, vgl. 1. 37. Zur Statusrepräsentation vgl. die Angaben unten in Anm. 49 und 50; als Pfand v.a. Finley (1951) 60–65; Isokr. 21. 2 f., als Beispiel dafür, wie man Hausbesitz per Verpfändung im Notfall schnell in Geld umwandeln konnte. Kiderlen (1995) 103–115; durch Surveys am besten erschlossen ist Attika, s. Young (1956), Jones (1975), Lohmann (1992); vgl. Pečírka (1973); sowie Walter-Karydi (1994) zur „Nobilitierung des wohnens“. Vgl. Thompson / Wycherley (1972) 174–177 zu den Häusern „C“ und „D“ an der athenischen Agora; Cahill (2002) 244–246 zu den Häusern „A vi 8“ und „A vi 10“ in Olynth; Kiderlen (1995) 43–51 und Reber (1998) 25–66 zu Haus „I“ in Eretria, das allerdings zu einem einzigen großen „Zweihofhaus“ ausgebaut wurde. Reber nimmt an, dass das Zweihofhaus zu „eine[m] der Standardtypen von Wohnhäusern für eine obere, zu stärkerer Repräsentation verpflichtete Oberschicht“ geworden sei, ebd. 166 f. wie soziale akteure ihre selbstdarstellung räumlich gliedern, um divergierenden anforderungen gerecht zu werden, hat Erving Goffman ausführlich beschrieben, s. Goffman (1959) 106– 140; vgl. Isokr. 15. 37 f., wo Isokrates den Vorwurf, er sei ein bezahlter Redenschreiber für Handelsprozesse damit begegnet, dass man ihn nie bei Gericht, anhörungen oder schlichtungen gesehen habe (ἑώρακεν); der Politiker Nikias bemühte sich, den Rückzug in sein Haus damit zu begründen, dass er dort für das Gemeinwohl arbeitete und nicht – wie offenbar vermutet –, um seine Bergwerke zu verwalten, s. Plut. Nikias 4. 2 und 4. 5; s. allerdings Trümper

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b) soziale dimension die griechische selbstbeschreibung konzentrierte sich auf drei arten hierarchischer häuslicher Beziehungen. sie waren auf den Hausvater, den kyrios, ausgerichtet und legten die häusliche Arbeitsteilung fest: Mann und Frau, Vater und Kind, Herr und sklave.52 nach zeitgenössischem Verständnis handelte es sich um Herrschaftsbeziehungen, in denen der Hausvater befahl und alle anderen gehorchten.53 Jede dieser Beziehungen war jedoch zugleich auch Nahbeziehung, die durch Gunst und Vertrauen definiert war.54 Obwohl Ehefrauen, Sklaven und Kinder nicht wählen konnten, zu welchem Haushalt sie gehörten, hing der erfolg des Hauses wesentlich von ihrer individuellen motivation ab. wie hoch diese motivation war, war dadurch bedingt, wie gut das innerhäusliche system von anreizen und strafen funktionierte. ein kluger Hausvater trug dieser tatsache rechnung. Zum Haushalt gehörte der gesamte Besitz des Herrn, belebt und unbelebt, wo immer er sich befand.55 das griechische recht trennte nicht zwischen Privatvermögen und Geschäftsvermögen, und der Hausvater haftete uneingeschränkt: Gewinne und Verluste fielen vollständig auf seinen Haushalt zurück. Selbst ‚Banken‘ und ‚Werkstätten‘ waren keine eigenständigen Organisationen, sondern Teile von Haushalten.56 der typische griechische Hausvater war daher gerade kein rentier im ökonomischen sinne. denn selbst wenn sich reiche Bürger ostentativ von gewerblichen tätigkeiten distanzierten, so blieben ihre einkünfte meist Gewinne aus der investition ihres kapitals und keine gesetzlich garantierte rente.57 deshalb blieben die meisten Hausherren notgedrungen relativ direkt in die allokation ihrer Güter involviert und jedenfalls immer direkt ökonomisch betroffen: „Denn niemand kümmert sich um fremdes eigentum so wie um das eigene, so dass man, soweit es möglich ist, persönlich für alles sorge tragen muss.“58 einen sklaven selbstständig arbeiten

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(2011) 40–45 mit der Warnung davor, die räumliche Trennung verschiedener Tätigkeiten auf unzureichender Quellenbasis zu verabsolutieren. Aristot. pol. 1. 1253b 1–14, ebenso [Aristot.] oec. 1. wobei die allmacht gegenüber dem sohn gesetzlich eingeschränkt war, weil er zugleich zukünftiger Hausvater war. Vgl. Schmitz (2004) 205 f. dementsprechend führt aristoteles die Beziehung zwischen eheleuten und Brüdern auch in seinen ausführungen über ungleiche freundschaften als Beispiel auf. aristot. eth. nic. 8. 1158b 12 f. Die klassische Definition bei Xen. oik. 1. 5: ἆρα ὅπερ οἰκία, ἢ καὶ ὅσα τις ἔξω τῆς οἰκίας κέκτηται, πάντα τοῦ οἴκου ταῦτά ἐστιν […] καἰ μηδ᾽ ἐν τῇ αὐτῇ πόλει εἴη τῷ κεκτημένῳ, πάντα τοῦ οἴκου εἶναι ὅσα τις κέκτηται. Vgl. [Aristot.] oec. 1343a: Μέρη δὲ οἰκίας ἄνθρωπός τε και κτῆσις ἐστιν. Mickwitz (1939) 20 f.; Harris (1988); vgl. Harris (2002) 81–83; speziell zu Banken s. Cohen (1992) 184 f. Bei den seedarlehen etwa erhielt der darlehensgeber zwar einen im Vorhinein festgesetzten Zinsertrag, er trug aber erhebliches ökonomisches Risiko mit, weil die Rückzahlungspflicht des Schuldners bei Verlust der Ware verfiel; ein Darlehensgeber wickelte die Handelsgeschäfte zwar nicht persönlich ab, war aber gut beraten, über die Gefahren der seefahrt und die Verlässlichkeit des schuldners Bescheid zu wissen. [Aristot.] oec. 1344b 35–1345a 1: οὐδεὶς γὰρ ἐπιμελεῖται ὁμοίως τῶν ἀλλοτρίων καὶ τῶν οἰκείων, ὥστε ὅσα ἐνδέχεται, δι᾽ ἑαυτοῦ ποιεῖσθαι χρὴ τὴν ἐπιμέλειαν. Übers. Renate

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zu lassen, motivierte diesen zwar dazu klug zu wirtschaften, entband den Hausherrn aber nicht von der unbeschränkten Haftung für dessen unternehmungen und war mit entsprechenden ökonomischen risiken verbunden.59 Prinzipiell war jeder Vorgang der Kontrolle des Hausherrn unterworfen, bis hin zur Zuweisung exakt kalkulierter essensrationen.60 das galt selbst dann, wenn in einem großen Haushalt die Kontrollfunktion delegiert wurde, typischerweise an die ehefrau, in reichen Haushalten an einen aufseher.61 Selbst Xenophons Ischomachos, der Idealtyp eines wohlhabenden Honoratioren, kontrolliert regelmäßig persönlich die Arbeit auf den Feldern und greift bei Bedarf dirigierend ein: „Es ist das auge des Herrn, welches das Pferd fett macht“, lautet ein persisches sprichwort, das die Oikonomia-schriften zitierten.62 weil die hausväterliche autorität rechtlich uneingeschränkt war, konnte der Hausherr sehr flexibel über den Einsatz von kapital und arbeitskraft entscheiden und auf sich verändernde umweltbedingungen reagieren.63 Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Mann und Frau Haushalt und ehe gehörten nach griechischem Verständnis zusammen.64 die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wurde als räumlich getrennte, komplementäre Aufgabenbereiche konzeptualisiert. Der Mann war für den Erwerb außerhalb des Hauses zuständig, die frau für die Bewahrung und Verwendung innerhalb des Hauses.65 Gegenseitiges Vertrauen war gesellschaftlich gefordert, es musste jedoch ständig durch persönlichen kontakt aktualisiert werden.66 das Vertrauen in die ehefrau beruhte nicht allein auf intimität. denn sie hatte ein eigeninteresse am hauswirt-

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Zoeppfel; vgl. Demokr. Fr. DK 68 B 253; Isokr. 8. 26, 28; als Karikatur erscheint der übergenaue Hausvater als mikrologos und apistos bei Theophrast, vgl. Theophr. char. 10 und 18. Garlan (1995) 49; Harris (2013) 106–120; vgl. Demosth. 37. 50 f., 53. 20; sowohl die Teilhaberschaft mit beschränkter Haftung als auch das sparbuch, die heutzutage renteneinkommen ermöglichen, entstanden erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts, vgl. Goldthwaite (2008) 468–483. Als komische Pointe in Aristoph. Pax 1240–1250 (421 v. Chr.), wo aus einer Trompete eine Waage konstruiert werden soll, mit der man den Sklaven die Feigen abwiegt; Xen. oik. 9. 8 empfiehlt, den Verbrauch für ein Jahr monatsweise zu berechnen, vgl. Lys. 32. 19–22. Ein häufiges Motiv ist der Unmut der Hausgenossen über die knappe Rationierung, nicht nur bei den freien Hausgenossen (Plut. Perikles 16; Men. Colax 1–11), sondern sogar bei Sklaven (vgl. Herod. 6. 1–8). Audring (1973) 113–116; vgl. Bresson (2007) 162 f. und unten S. 127. Xen. oik. 12. 20; [Aristot.] oec. 1345a 1–5. Morris (2002) 8–43: „we can reasonably represent the supply of labour within the family as perfectly elastic“. Harrison (1968) 1; Schmitz (2004) 214. Dementsprechend war eine geläufige Bezeichnung für „verheiratet sein“ sunoikein, „zusammenwohnen“, vgl. Pomeroy (1997) 36; Hartmann (2002) 116. Xen. oik. 7. 18–34. Vgl. Bodei Giglioni (1996) 735–754; mit besonderer Emphase [Aristot.] oec. 3. So berichtet ein gewisser Euphiletos vor Gericht (zwischen ca. 403–380 v. Chr.), wie er seine Ehefrau nach der Eheschließung noch überwacht habe. Als sie ihm aber ein Kind gebar, vertraute er ihr und verantwortete ihr alle angelegenheiten, weil er sie für die ihm „häuslichste“ Person hielt (ἐπίστευον ἤδη καὶ πάντα τὰ ἐμαυτοῦ ἐκείνῃ παρέδωκα, ἡγούμενος ταύτην

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schaftlichen Erfolg, weil ihr eigener Status (und der ihrer Kinder) direkt von der wirtschaftlichen und sozialen stellung ihres Hauses abhing.67 Xenophon legt das kalkül der ehelichen Zusammenarbeit recht unverblümt offen, wenn er die ehe als „gewinnbringende Partnerschaft“ (ὠφελιμώτατον […] τὴν κοινωνίαν) bezeichnet und als Vorbild für den geordneten Haushalt ein phönizisches Handelsschiff empfiehlt, das Waren um des Gewinns willen (κέρδους ἕνεκα) transportiere.68 Die Aufgaben des Mannes hingen von der Größe seines Hauses ab. In kleinen Haushalten war er als Bauer oder Handwerker die wichtigste erwerbstätige kraft, ein autourgos, der selbst für seinen lebenserhalt arbeitete.69 Je größer das Haus wurde, desto stärker verschoben sich seine aufgaben hin zu denen eines „Prinzipals“, der die Vorgänge im Haus koordinierte und kontrollierte und das Haus nach außen hin vertrat. Xenophon betrachtete die Kunst der Haushalts- und Personalführung deshalb nicht als eine spezielle technische kompetenz.70 die für die führungsposition des Hausherrn wesentliche kompetenz war die rhetorik, verstanden als die Fähigkeit, das Haus nach außen (etwa vor Gericht) zu vertreten und nach innen hin zu beherrschen.71 dem sophisten Gorgias wird in dem nach ihm benannten platonischen Dialog die Äußerung in den Mund gelegt, die Rhetorik sei die höchste Kunstfertigkeit (technē), die von den „Besten“ (τῶν δὲ ἀρίστων οἱ ἄριστοι) anstelle eines speziellen Handwerks erlernt werde, weil sie dazu befähige, alle anderen fertigkeiten zu beherrschen und von der arbeit anderer, etwa der eines erwerbsmannes (chrēmatistēs), zu leben.72 die stellung der frau hing ebenfalls vom status ihres Hauses ab, aber auch von dem ihrer Herkunftsfamilie. In großen Haushalten war die Frau eine Herrin, deren rolle als vertraute Partnerin auf Grabsteinen auch öffentlich repräsentiert wurde.73 das ansehen ihrer väterlichen familie und die Höhe ihrer mitgift setzten der will-

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οἰκειότητα μεγίστην εἶναι), und tatsächlich sei sie eine tüchtige Haushälterin gewesen (καὶ γὰρ οἰκονόμος δεινὴ καὶ φειδωλὸς ἀγαθὴ καὶ ἀκριβῶς πάντα διοικοῦσα), Lys. 1. 6 f. Cox (1998) 73–77. In Platons politischer Anthropologie ist der Oligarch ein Mann, der durch die Einflüsterungen seiner Mutter ehrgeizig geworden ist, Plat. rep. 8. 549c–550b. Vgl. Aristoph. Nub. 40–64. Xen. oik. 7. 13–18 mit dem Kommentar bei Pomeroy (1994) 274; sowie Xen. oik. 8. 12, 10. 3. Die Frau soll sich dem Mann gegenüber nicht wie ein unehrlicher Händler verhalten, heißt es, denn so jemanden wolle niemand als „Vermögenspartner“ (χρημάτων κοινωνόν) haben. Descat (1987) 246 f.; Burford (1993) 167 f., 181; Schmitz (2007) 21 f. Bes. Xen. oik. 20 f. Vgl. die Antwort eines Hausvorstands auf den Vorwurf, alle arbeiteten außer ihm, bei Xen. mem. 2. 7, 14; vgl. Knight (1921) 149: „To find men capable of managing business efficiently and to secure to them the positions of responsible control is perhaps the most important single problem of economic organization on the efficiency side.“ Plat. Gorg. 480b–c: τὸ ἀπολογεῖσθαι ὑπὲρ τῆς ἀδικίας τῆς αὑτοῦ ἢ γονέων ἢ ἑταίρων ἢ παίδων ἢ πατρίδος ἀδικούσης, ebenso 486a–d und 508c–d; vgl. Xen. oik. 11. 22–24; mit verkehrten Vorzeichen bei Aristoph. Nub. 92–118, wo ein Sohn zum Rhetorikunterricht geschickt wird, um den „väterlichen Brotkorb“ (τῶν πατρῴων ἀλφίτων) zu schützen; ähnlich der Fall in Demosth. 35. 40–42, wo dem Kaufmann Lakritos vorgeworfen wird, die Rhetorik erlernt zu haben, um bei seedarlehen zu betrügen. Plat. Gorg. 448c, 452d–e. Vgl. die Definition bei Aristot. rhet. 1. 1355b 26–36. Hartmann (2002) 126–130; Reuthner (2006) 98–100; Scholl (2002) 179–190, besonders Abb. 1 sowie die Abb. mit Kat.-Nr. 77, 79 und 85.

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kür ihres ehemanns zwar keine rechtlichen, wohl aber faktische Grenzen.74 Obwohl die frau in ihrer Geschäftsfähigkeit sehr eingeschränkt war, kam ihr offenbar gerade im Handel und Bankwesen eine wichtige rolle als Vertrauensperson zu.75 in ärmeren Haushalten war die Frau eine Arbeitskraft, die auch außerhalb des Hauses tätig war und mindestens so hart zu arbeiten hatte wie der Herr des Hauses, manchmal auch härter.76 Altersspezifische Arbeitsteilung und der erweiterte Haushalt rechtlich bezeichnete oikos in Athen lediglich das Vermögen eines volljährigen Bürgers, weil nur Personen, nicht aber Haushalte Rechtssubjekte waren.77 sozial gesehen hingegen waren die Grenzen fließender und deckten mehrere Generationen ab. Das Haus schloss, abhängig von seinen Ressourcen, auch Personen jenseits der kernfamilie ein.78 die alten eltern, unverheiratete weibliche Verwandte oder minderjährige Neffen und Nichten waren zeitweilige Mitglieder eines Haushalts.79 der erweiterte Haushalt schloss darüber hinaus auch rechtlich selbstständige Personen wie Verwandte, Verschwägerte und enge freunde ein, die dementsprechend alle als oikeioi, „Häusliche“, bezeichnet wurden.80 durch Heiraten bildete man strategische Partnerschaften mit anderen „Häusern“, die mitgiften brachten chronisch knappes Bargeld.81 Im mittelalterlichen Venedig gingen Brüder häufig Partnerschaften ein, 74

Zur Bedeutung der Mitgift für die Stellung der Frau s. Foxhall (1989) 32–39; Cox (1998) 69 f.; Kamen (2013) 89. Wie in vielen anderen Kulturen mahnten Spruchweisheiten, dass die reiche Mitgift den Mann zum Knecht seiner Frau mache, vgl. Aristot. eth. Nic. 8. 1160b 33–1161a 3; Men. Epitr. 134 f. 75 Das Gesetz über beschränkte Geschäftsfähigkeit in Is. 10. 10, s. dazu auch Foxhall (1989). Ehefrauen, die Geld verleihen, sind erwähnt etwa in Aristoph. Thesm. 836–845; Demosth. 41. 8–11. Frauen als Vertrauenspersonen in Lys. 32. 10–15; Demosth. 36. 15, 36. 28–31, dazu Cohen (1992) 73–110; Cohen (2002) 100–112. Man vergleiche das Vermögen eines 1240 verstorbenen Genueser adligen, das zahlreiche seedarlehen enthielt, die seine frau ausgezahlt hatte. Eine übersetzte Fassung in Lopez / Raymond (1955) 92–94. 76 Allgemein Harris (2014); Scheidel (1990) 407–409 zu Feldarbeit. Vgl. Aristot. pol. 6. 1323a 5. Dass die Frau auf dem Feld arbeiten muss, galt als barbarisch, vgl. Plat. leg. 7. 805d–e. Zur Arbeit wegen Armut in Athen vgl. Brock (1994) 338–345. 77 MacDowell (1989) 15–21, 21: „Athenian law did not recognise rights of families, but rights of individual persons.“ 78 Pomeroy (1997) 21; Roy (1999) 2–4; Schmitz (2004) 205 f. 79 Gallant (1991) 27–30; vgl. Xen. mem. 2. 7 und Is. 1. 12 und 1. 28 als Beispiele für die Aufnahme von Verwandten. 80 Gerade in der schilderung von Geldgeschäften ist oft von nicht verwandten oikeioi die Rede; häufig wird auch das Adverb oikeiōs verwendet, um eine enge Beziehung zu beschreiben; vgl. z.B. Demosth. 33. 18, 45. 64; Is. 1. 2 und Isokr. 17. 3 (Nominativform), sowie Demosth. 33. 5, 53. 4; Isokr. 4. 41, 19. 5 (Adverbialform). Wie allgemein das Wort verwendet wurde, zeigt sich daran, dass Demon, der Neffe des Redners Demosthenes, diesen als οἰκεῖος γένει bezeichnet, um die leibliche Verwandtschaft hervorzuheben, vgl. demosth. 32. 31. 81 Cox (1998) 26–66, 104–125, 194–207; vgl. Harrison (1968) 52. Studien zum mittelalterlichen florenz betonen, dass man dort besonders im engen kreis von freunden und Verwandten Geschäfte machte und mitgiften dabei ein wichtiges startkapital bildeten. die Bedeutung von mitgiften als Handelskapital wird gut illustriert durch das geheime tagebuch des kaufmanns

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um einen teil ihres Vermögens gemeinsam zu bewirtschaften.82 derartige Partnerschaften sind auch aus athenischen Gerichtsreden bekannt, die zudem andere Beispiele von enger kooperation zwischen Verwandten und „Häuslichen“ in Handel und Gewerbe zeigen.83 der Grund für familiäre kooperation dürfte in athen ähnlich gewesen sein wie in den mittelalterlichen Städten: Angesichts der zahlreichen Risiken und des (berechtigten) Misstrauens im Fernhandel waren vertrauenswürdige hausnahe Beziehungen besonders wertvoll. Als wichtigste Verwandtschaftsbeziehung galt diejenige zwischen Vater und sohn, weil der sohn entsprechend der patrilinearen erbfolge den Haushalt fortführte. Gehorsam gegenüber dem Vater war eine unverrückbare soziale norm.84 Der Sohnestreue entsprach die Pflicht des Vaters, seinen Söhnen ein hinreichendes erbe zu hinterlassen. dazu gehörten nicht nur materielle Güter, sondern auch eine standesgemäße Ausbildung und ein guter Ruf. Handwerker brachten ihren Söhnen ihr Handwerk bei, die Reichen bezahlten die Ausbildung bei einem Philosophen/ sophisten.85 Von Brüdern wurde ebenso Zusammenhalt erwartet. Die Häufigkeit, mit der familiäre solidarität beschworen wird, zeigt allerdings zugleich, dass hier das meiste Konfliktpotential lag, insbesondere wenn es um Erbschaftsfragen ging.86 Konflikte ergaben sich nicht zuletzt aus der Realteilung des Erbes. Beim Tod des Vaters erbten die legitimen söhne zu gleichen teilen. dieses Verfahren zersplitterte den Besitz mit jedem Generationswechsel, trieb die Diversifizierung der Vermögen voran und drängte junge Männer dazu, als Söldner oder Kaufleute ihr Glück zu versuchen.87 ein unbekannter redner schildert vor Gericht eine „vorbildliche“ kooperation zwischen Geschwistern. der redner, dessen Vater bereits verstorben war, verheiratete seine beiden Schwestern, bevor er wahrscheinlich 383 v. chr. aus athen „fortging“ (ἀπεδημήσαμεν) und sich an einer ‚privaten‘ Militärexpedition des Iphikrates in thrakien beteiligte.88 dort, wohl mehr durch Beute als durch sold, zu Geld ge-

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Gregorio Dati, der seine Geschäfte durch die Mitgiften seiner drei Ehen 1393, 1403 und 1421 finanzierte, in engl. Übers. in Brucker (1971) 29–31; dazu auch Najemy (2008) 232 f.; Padget / McLean (2011). Lane (1953) 86–101; ein Vertrag über eine solche Partnerschaft, übersetzt bei Lopez / Raymond (1955) 187 f. Vgl. etwa Lys. 32; Demosth. 35; vielleicht auch Lys. 17. 2–4 und Demosth. 38 für Partnerschaften zwischen Brüdern; vgl. Lyk. 1. 21–24 zur Kooperation zwischen Schwagern und Demosth. 50. 56 darüber, wie Apollodoros sich Geld von Gastfreunden seines Vaters lieh. Cox (1998) 77–88; Schmitz (2007) 35 f.; vgl. Isokr. 14. 48 und Is. 8. 32. Handwerk: Plat. rep. 5. 467a; Diog. Laert. 6. 70; s. auch unten Anm. 161. Die Kinder reicher Leute als Schüler von Philosophen und Sophisten: Plat. apol. 23c–d; Diog. Laert. 6. 67, 78 f.; Philostr. soph. 1. 12. Vgl. den Ausspruch des Philosophen Diogenes: τὴν παιδείαν […] τοῖς δὲ πένησι πλοῦτον, τοῖς δὲ πλουσίοις κόσμον εἶναι, Diog. Laert. 6. 68; praktische und edle Bildung polemisch kontrastiert bei Demosth. 18. 257–265. Cox (1998) 77–88. Ebd.; Gallant (1991) 133–142; eine Diskussion des griechischen Erbrechts bei Lane (1985) 208– 232; speziell zu agrarischen Haushalten s. Burford (1993) 33–48 und Hanson (1995) 145–148. Is. 2. 6. Das genaue Datum bleibt unbekannt, weil Iphikrates sich zwischen 389 und 374/3 v. Chr. immer wieder in Thrakien aufhielt, Wyse (1904) 236 f.

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kommen, kehrte er nach athen zurück. menekles, ein freund seines verstorbenen Vaters und der Ehemann seiner jüngeren Schwester, bat ihn und seinen Bruder, dass die ehe wegen kinderlosigkeit aufgelöst werde. nach einigem Zögern stimmte auch die ehefrau dem ansinnen zu und wurde daraufhin neu verheiratet. Bald darauf trat menekles mit einer weiteren Bitte an die beiden Brüder heran, weil diese nun seine „Häuslichsten“ (οἰκειότερον) seien. Er wolle nicht kinderlos sterben, denn jemand müsse ihn im Alter versorgen und der Sitte gemäß beerdigen. Deshalb bitte er darum, einen der beiden Brüder als sohn adoptieren zu dürfen. der Bruder des Redners hieß die Sache gut, stand jedoch selbst nicht zur Verfügung, weil er bald selbst „in die Fremde gehen werde“ (συμβαίνει ἀποδημία). Daraufhin erklärte sich der redner zur adoption bereit.89 die Geschichte enthält alle elemente häuslicher kooperation. den wunsch des Vaters (in spe) nach Versorgung im Alter und Erinnerung nach dem Tod sowie die Bereitschaft der kinder ihre Person dem erhalt des Hauses zur Verfügung zu stellen. Die Tochter/Schwester/Ehefrau verlässt den offenbar liebgewonnen Ehemann, um die natürliche reproduktion des Haushalts zu garantieren.90 während ein Bruder in der ferne sein Glück versucht, bleibt der andere vor Ort, wo er durch adoption das Bündnis mit einem anderen Haushalt verstärkt und zugleich die Gefahr eines zukünftigen erbstreits verringert. die Brüder gingen wohl deshalb zeitlich versetzt in die fremde, damit nicht beide gleichzeitig ihr leben riskierten und stets jemand die Familie in der Heimatstadt vertrat.91 Zweifellos erzählte der redner die Geschichte so, dass seine familie als vorbildlich erschien, um die richter für sich einzunehmen. Gerade deshalb darf man, unabhängig vom individuellen wahrheitsgehalt, erwarten, dass er Handlungsmuster darstellte, die dem Publikum möglichst vertraut und vernünftig erschienen. Statusspezifische Arbeitsteilung: Sklaverei und abhängige Arbeit neben den freigeborenen Verwandten gehörten auch unfreie nichtverwandte zum Haus. die erhaltenen schriften zur Haushaltsführung widmen der Verwendung gekaufter sklaven besondere aufmerksamkeit und auch andere texte zeigen, dass die Gegenwart gekaufter sklaven alltäglich war.92 in der forschung besteht allerdings uneinigkeit über die wirtschaftliche Bedeutung der sklavenarbeit. diese debatte ist speziell für die attische landwirtschaft geführt worden,93 aber auch für umfang und rentabilität der sklavenarbeit im allgemeinen. Beginnend mit der liberalen 89 90 91 92 93

Is. 2. 7–12. Wenn Kinder ausblieben, ließen sich Ehen ohne größere Umstände wieder auflösen, Hartmann (2002) 90. Dass solche Vorsichtsmaßnahmen guten Grund hatten, zeigt Demosth. 48. 9–11: Zwei Männer nutzten die abwesenheit des Halbbruders, um sich das Vermögen von dessen verstorbenen Bruder anzueignen. Garlan (1995) 66 f. Bereits ihre häufige Bezeichnung als oikētai verweist auf den engen Bezug zum Haushalt. Starr (1958) gegen Überschätzung der Sklaverei im Allgemeinen; Wood (1988) 78 f. und Ameling (1998) gegen Bedeutung der Sklaverei in der attischen Landwirtschaft; für die Bedeutung der Sklaverei hingegen die Kritiker am Modell der Subsistenzwirtschaft, zit. in Anm. 21; die

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Kritik des 18. und 19. Jahrhunderts wurde geltend gemacht, dass Sklaven die Eigenmotivation zu produktiver Arbeit fehle. Außerdem müssten diese auch in unproduktiven Zeiten ernährt werden.94 Schließlich drohe ständig der totale Verlust durch krieg, krankheit oder flucht. ihre rentabilität sei deshalb gering und für den Haushälter jedenfalls nicht berechenbar.95 Quantitativ und in absoluten Zahlen wird sich die rentabilität antiker sklavenarbeit nie ermitteln lassen. Möglich sind jedoch Überlegungen zur relativen Rentabilität im Vergleich zu anderen zeitgenössischen formen von arbeit.96 Ohnehin gilt, dass verschiedene formen von arbeitskraft abwechselnd oder nebeneinander eingesetzt werden können, wie etwa freie saisonarbeiter zur erntezeit, wenn die hauseigene arbeitskraft nicht ausreichte.97 die rentabilität bestimmter formen der Arbeit ist keine fixe Größe, sondern von ihren historischen Randbedingungen abhängig. Zu diesen randbedingungen gehört der Grad der intensität der arbeit, die Kontinuität des Arbeitsbedarfs, die Bedeutung aufgabenspezifischen Fachwissens und schließlich die demographische Verfügbarkeit von Arbeitskräften.98 die geographische Verteilung der schriftlichen und archäologischen Zeugnisse für verschiedene formen unfreier arbeit ergibt ein aufschlussreiches Bild. auf der Peloponnes und auf kreta, sowie in nordwestgriechenland und thessalien und in einigen griechischen Kolonien mit großem Hinterland gibt es Belege für eine abhängige landbevölkerung.99 es handelt sich meist um binnenländische oder periphere Gebiete mit einer lokalen, in manchen fällen ethnisch fremden Bevölkerung. die hier gelegenen städte waren eher endpunkte denn angelpunkte der wichtigen Handelswege.100 dafür gab es ausgedehnte weiden und fruchtbares ackerland. die Hauptprodukte waren solche einer extensiven und saisonal geprägten landwirtschaft: Fleisch, Getreide und Olivenöl.101 für die städte in der Ägäis und entlang

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Diskussion zusammengefasst bei Eich (2006) 297–321, der sich ebenfalls für eine hohe Bedeutung der sklaverei ausspricht. Zu dieser Forschungstradition s. Nippel (2013); noch bevor die „Kliometriker“ – s. besonders Engerman / Vogel (1974) – die These der Unrentabilität für die neuzeitliche Sklaverei quantitativ widerlegt hatten, war sie von kenneth stampp für die südstaaten zum mythos erklärt worden, Stampp (1956), 399–404; resümierend Davis (2006) 181. Bei alldem ist allerdings zu bedenken, dass die klassischen nationalökonomen auch auf volkswirtschaftlicher ebene argumentierten und daher die bloße Tatsache der betriebswirtschaftlichen Profitsteigerung kein hinreichendes Gegenargument darstellt. Mickwitz (1939) 21 f.; Weber (2006) 342–350. Finley (1993) 93–96 sehr allgemein; vgl. Garlan (1995) 78 f. In Athen: Aristoph. Vesp. 707–712; Demosth. 18. 51, 57. 45. Chios: Xen. hell. 2. 1. 1. Korkyra: Xen. hell. 6. 2. 37. Für die hellenistische Zeit: Rostovtzeff (1955) 960. Zu insbesondere demographischen Parametern s. Scheidel (2005) 16 f.; Nippel (2013) 314– 316. S. Jameson (1992) 135–146; Burford (1993) 193–207; Garlan (1995) 90–122. Zur Entstehung bes. Welwei (2008) 1–28, der bezweifelt, dass diese Formen der Unfreiheit durch Eroberung entstanden und die schlechte Quellenlage für die griechischen kolonien betont. Vgl. die Klassifizierung von Hafenstädten bei Rostovtzeff (1955) 1016 f. Bresson (2007) 126 f. Oliven sind weniger arbeitsintensiv als Wein und unterliegen starken Schwankungen im Arbeitsbedarf, weil nur jedes zweite Jahr eine große Ernte zu erwarten ist, Sallares (2007) 28–29.

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der großen Handelsrouten sind hingegen teils große Zahlen von Kaufsklaven belegt. diese regionen waren stärker urbanisiert und besser an die seehandelsrouten angeschlossen. dafür waren die für extensiven ackerbau geeigneten fruchtebenen kleiner, und ebenso die lokale landbevölkerung geringer.102 die Produkte, die als Handelswaren erwähnt werden, sind in intensiver landwirtschaft gezüchtete cash crops und Edelfrüchte, von denen insbesondere der Wein (Chios, Korkyra, Thasos, kos, mende, später auch rhodos) zu erwähnen ist.103 Hinzu kommt der abbau von Edelmetallen und Marmor (Athen, Lampsakos, Siphnos, Paros) sowie die Fertigung von Handwerkswaren (Athen, Korinth, Megara).104 kaufsklaverei war also durchaus nicht überall die vorherrschende form abhängiger arbeit. sie lohnte allerdings dort, wo eine arbeitsintensive Produktion mit hohem wissensbedarf stattfand und die waren durch den seehandel absatz fanden.105 Wie es Yoram Barzel in seiner ökonomischen Analyse der Sklaverei ausgedrückt hat: „the observed ‚greater productivity of slaves‘ occurs not because slavery is more productive per se but because slavery endured only where it proved to be more productive.“106 die erklärung dieses Befunds soll nun anhand des Vergleichs von kaufsklaverei mit freier lohnarbeit einerseits, „kollektiv“ abhängiger arbeit andererseits erfolgen.107 kollektiv meint dabei in abgrenzung zu kaufsklaverei und lohnarbeit, dass die Abhängigkeit durch die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Bevölkerungsgruppe vermittelt war und nicht durch individuelle Versklavung oder bilateralen Vertrag. Hinzu kommt, dass die rahmenbedingungen der abhängigkeit meist allgemein verbindlich vom jeweiligen Gemeinwesen reguliert wurden. Mit Karl-Wilhelm welwei ist allerdings von der möglichkeit auszugehen, dass die kollektive abhängigkeit ihren ursprung in individueller schuldknechtschaft oder landpacht hatte.108

102 Bresson (2016) 31–41; vgl. Osborne (1987) 57–62. 103 Zum marktorientierten Weinanbau Bresson (2007) 132–134; vgl. Burford (1993) 133 f. Zur Sklavenarbeit auf den Pachthöfen von Delos und Rheneia s. Kent (1948); Pečírka (1973) 137– 140; Jameson (1992) 139–141. 104 Zum Einsatz von Sklavenarbeit s. de Ste. Croix (1981) 141–147, 505–509; Garlan (1995) 61– 79; Jameson (2002) 167–174; Eich (2006) 260–340. Papadopoulos / Morris (2005) 167–175 haben mit guten Gründen dafür argumentiert, die typischen turmgehöfte in der Ägäis als indikator für Sklavenarbeit zu bewerten, weil sie nicht bloß dem Schutz, sondern vor allem auch der Überwachung unfreier Arbeiter gedient hätten. Vgl. Pečírka (1973) 140–147 mit ähnlicher Deutung für die taurische Chersonesos. Osborne (1987) 63–67 betont hingegen die vielfältigen nutzungsmöglichkeiten solcher turmanlagen. 105 Vgl. bereits Meyer (1910) 197 f. und Westermann (1955) 4. 106 Barzel (1977) 99. 107 schuldsklaverei und -knechtschaft sowie Pacht sind hier deshalb ausgelassen, weil sie kaum dokumentiert sind und sich ihre wirtschaftliche Bedeutung nicht richtig einschätzen lässt. Vgl. de Ste. Croix (1981) 136 f. und Eich (2006) 414 f. Bereits im 4. Jahrhundert begann man, verschiedene Formen der Unfreiheit miteinander zu vergleichen, Garlan (1995) 92 f. S. etwa Theop. (FGrH 115) F 176; Plat. leg. 6. 776c–d; resümierend Poll. 3. 83 im 2. Jahrhundert n. Chr.; Athen. 6. 263b–271f. 108 Welwei (2008) 28–45; knapp bereits Meyer (1910) 182.

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die Überlieferung zu kollektiv abhängigen landbevölkerungen ist ausgesprochen fragmentarisch. Häufig beschränkt sie sich auf wenig mehr als eine Kollektivbezeichnung wie Heloten, Penestai usw. wo mehr information zu gewinnen ist, wird jedoch stets deutlich, dass die Bedingungen der Abhängigkeit gesetzlich oder religiös reguliert waren und auf Gewohnheitsrechten beruhten, also mindestens teilweise traditionalen charakter hatten.109 anders als kaufsklaven waren Hörige daher nicht vollständig in die Haushalte ihrer Herren integriert. diese Herren hatten lediglich einen anspruch auf deren arbeitskraft resp. auf einen anteil an den arbeitserträgen.110 ‚Freie‘ Lohnarbeit wiederum konnte mit faktisch großer Abhängigkeit einhergehen.111 die Beziehung zwischen arbeiter und arbeitgeber war allerdings nicht auf ihre ökonomische Funktion hin reduziert, sondern (wie alle hausübergreifenden Beziehungen) eingebettet in ein reziprokes nahverhältnis, das den arbeitgeber verpflichtete, für seinen „Klienten“ zu sorgen.112 wie im fall der traditionalen Hörigkeit konnte ein Haushalt also nur begrenzt umfang und Verwendungsweise der prinzipiell verfügbaren arbeit kontrollieren. dem gegenüber boten kaufsklaven eine reihe von Vorteilen.113 (1) Erhöhte Flexibilität der Arbeit. sowohl bei kollektiv abhängigen als auch bei freien Bevölkerungen hing der umfang der verfügbaren arbeitskraft ebenso wie des subsistenzbedarfs von der natürlichen reproduktion der lokalen Bevölkerung ab, die vom Hausherrn nicht direkt kontrolliert werden konnte. in manch einem Jahr gab es zu viel arbeit für zu wenige Hände, in einem anderen zu wenig nahrung für zu viele münder. Verbote des individuellen Verkaufs werden etwa von den spartanischen Heloten, den thessalischen Penestai und den mariandynoi in Herakleia Pontike berichtet.114 ebenso wenig existierte ein Arbeitsmarkt, der zuverlässig und gleichmäßig Arbeit angeboten hätte. Die meisten freien arbeiter waren nämlich selbst Hausherren, die ihre einkünfte lediglich durch Gelegenheitsarbeiten aufbessern wollten (wie etwa Ruderdienst auf den Galeeren), ohne sich dauerhaft in die abhängigkeit eines einzelnen 109 In Anlehnung an Webers Begriff der traditionalen Herrschaft, Weber (1972) 130–137. 110 Eich (2006) 272 f. spricht von einem „erhebliche[n] Rückständigkeitspotential“. Anders Lewis (2018) 125–165 111 S. den Fall eines Schuldknechtes in Men. Heros 18–45 sowie den Topos „durch Verträge versklavt“ zu sein (ἕνεκα συμβολαίων δουλεύοντας) bei Lys. 12. 96–98 und Isokr. 14. 48. 112 Plat. Euthyphr. 4c–d schildert den Fall eines Grundbesitzers, der sogar den eigenen Vater vor Gericht zog, weil dieser für den tod eines seiner erntearbeiter verantwortlich war. Vgl. die Beziehung zwischen einem Weinbauern und seinem Feldarbeiter in Men. Georg. 35–82. Bemerkenswert ist der Aufwand mit dem in Xen. mem. 2. 9. 4–8 und Demosth. 53. 4 ein „Anstellungsverhältnis“ performativ als „freundschaft“ dargestellt wird. 113 Vgl. Finley (1985) 88–92; Eich (2006) 329–333; speziell für die Landwirtschaft vgl. Jameson (1977/8) 139–141. 114 Poseidonios (FGrH 87) F 8; Strab. 12. 3. 4 zu den Mariandynoi, die Strabon mit den Minoern auf Kreta und den Penestai in Thessalien vergleicht (so auch Archemachos (FGrH 424) F 1). Derselbe Autor (85. 4) zu den Heloten, die bis in römische Zeit „kommunale Sklaven“ (δημοσίους δούλους) gewesen seien, die man weder verkaufen noch freilassen durfte.

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lohnherrn zu begeben. deshalb war lohnarbeit gerade dann knapp, wenn sie besonders benötigt wurde: nämlich zur Erntezeit, wenn es nicht schnell genug gehen konnte, aber jeder auf seinen eigenen Feldern beschäftigt war.115 mit gekauften sklaven, die als Privateigentum galten, wurde die arbeitskraft eines Haushalts hingegen flexibler. Sowohl die Zahl der Sklaven als auch die Höhe ihrer Rationen ließ sich nach Gutdünken an aktuelle Erfordernisse anpassen, ersteres nicht nur durch kauf oder Verkauf, sondern auch durch Pacht.116 eine wichtige Voraussetzung dafür war, dass der wert des sklaven sich relativ exakt als Geldwert kalkulieren ließ, ebenso wie seine Lebenshaltungskosten.117 Je nach Befähigung konnten die Preise von Sklaven zwischen 100 Drachmen und dem Zehnfachen davon schwanken.118 (2) Kontrolle. sowohl die kollektive regulierung von unfreier arbeit als auch der Gelegenheitscharakter der freien arbeit schränkten die möglichkeiten ein, fähige oder loyale arbeiter individuell zu belohnen und mit besonderen aufgaben zu betrauen und unmotivierte arbeiter zu bestrafen. das galt erst recht, wenn die Hörigen, wie die messenischen Heloten, einen festen Pachtzins entrichteten und in eigenen dörfern siedelten. sklavenbesitz hingegen erlaubte die feinere differenzierung von arbeit. die Haushaltsliteratur gibt hier verschiedene empfehlungen.119 Deshalb muss man die Sklaven (genau) beobachten und jeweils nach Verdienst (ein jedes) zuteilen oder wegnehmen (διόπερ δεῖ ποιεῖσθαι σκέψιν καὶ διανέμειν τε καὶ ἀνιέναι κατ᾽ ἀξίαν ἕκαστα): Nahrung, Kleidung, Arbeitspausen, Strafen […]. Es ist aber auch nötig, allen ein Ziel zu setzen. denn es ist sowohl gerecht als auch nützlich, die freiheit als Preis auszusetzen. sie mühen sich nämlich gerne ab, wenn ein lohn winkt und die Zeit begrenzt ist. man muss sich ihrer aber auch durch die erlaubnis zur kinderzeugung versichern.120

während ein sklave als feld- oder minenarbeiter bei minimalen erhaltungskosten ausgebeutet wurde, erhielt ein aufseher Privilegien wie besseres essen und kleidung, vor allem aber auch die anerkennung und das Vertrauen des Herrn. diese sozialen differenzierungen im Haushalt spornten die sklaven

115 Vgl. Osborne (1987) 13–16; Cartledge (2002) 162 f.; Eich (2006) 329–333; Davies (2007) 333–406. 116 Gerade das hebt Xen. mem. 2. 7 als Vorteil von Sklavenarbeit hervor. Zur Sklavenpacht s. [Xen.] Ath. pol. 1. 17–18 (ἀνδράποδον μισθοφοροῦν) und Demosth. 53. 20 f. Bes. zum Bergbau vgl. Xen. vect. 4. 14–16. Als Notmaßnahme war die Verpachtung natürlich suboptimal, weil etwa in der landwirtschaft alle sklavenbesitzer zur selben Zeit arbeitskräfte suchten oder aber verpachteten. 117 Vgl. Men. Heros 16 f.; Epitr. 136–140; weitere Belege s.o. Anm. 60. 118 Vgl. Xen. mem. 2. 5. 2. Diese literarische Quelle wird durch die sog. Attischen Stelen bestätigt, welche die ergebnisse der Vermögensversteigerung der mysterien- und Hermokopidenfrevler (415/4 v. Chr.) verzeichnen. Die Preise variieren von 60 Dr. für eine Lyderin (ohne Berufsangabe) bis zu 360 Dr. für einen karischen Goldschmied. Der Durchschnittswert liegt bei 174 Dr. Vgl. Pritchett / Pippin (1956) 276–281. 119 Kamen (2013) 26–30; Schmitz (2014) 167–169. 120 [Aristot.] oec. 1. 1344b 8–18; vgl. Xen. oik. 12–14; knapp auch Aristot. pol. 1. 1255b 22–34.

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dazu an, trotz der unfreiheit effektiv zu arbeiten, und erleichterten es, sie zu kontrollieren, weil sie nicht länger eine einheitliche Gruppe bildeten.121 (3) Output-Maximierung. dort, wo die abhängigen festgelegte leistungen zu erbringen hatten, fielen die Gewinne durch intensiveres Arbeiten und günstige Bedingungen (windfalls) ihnen selbst zu und nicht ihrem Herrn. für die Heloten und die Penestai wird berichtet, dass es ihren Herren verboten gewesen sei, die zu leistenden abgaben zu erhöhen.122 freie männer waren wiederum gar nicht zu guten Preisen als arbeiter zu gewinnen. wie zahlreiche Befunde aus anderen kulturen zeigen, neigen subsistenzbauern, aber auch städtische lohnarbeiter generell dazu, ihren arbeitseinsatz zu reduzieren, sobald ihr Bedarf gedeckt ist. Sie handeln intuitiv effizient und optimieren das Input-Output-Verhältnis anstatt bloß den Output zu maximieren.123 das ist umso rationaler bei Haushalten, in denen der Hausherr die Hauptarbeitskraft war, weil dort der Grenzwert des über das notwendige hinaus verdienten Geldes abnimmt, das unfallrisiko bei schwerer körperlicher arbeit hingegen unvermindert hoch bleibt oder bei zunehmender erschöpfung sogar zunimmt.124 auch in Hinsicht auf die Opportunitätskosten – die Kosten daraus, eine suboptimale Wahl getroffen zu haben – war Unverbindlichkeit der Lohnarbeiter Risikominimierung. indem sie sich nicht an einen einzigen lohngeber banden, bewahrten sie die flexibilität, um attraktivere Gelegenheiten wahrzunehmen, die sich kurzfristig bieten konnten.125 die arbeitsleistung seiner sklaven konnte ein Herr dagegen durch Zwang, zur not auch mit der Peitsche intensivieren. (4) Die Bildung von Humankapital. moderne unternehmen setzen vielfältige anreize, um zu verhindern, dass ihre Beschäftigten zu einem anderen arbeitgeber wechseln und ihre im unternehmen erworbenen fähigkeiten mitnehmen.126 ein griechischer sklavenbesitzer brauchte dergleichen nicht zu fürchten. wenn seine sklaven kenntnisse und fähigkeiten erwarben, dann zu seinem dauerhaften Nutzen. Der Hausherr profitierte entweder selbst von den höheren Kompetenzen seiner sklaven oder er verwandelte sie durch Verkauf in Geldgewinn.127 diese wertsteigerung des Humankapitals war teil der kalkulation beim ein121 die Heterogenität wurde auch durch ethnische und sprachliche mischung erhalten und wird genau deshalb von Plat. leg. 6. 777c–d empfohlen. Vgl. die ethnische Vielfalt in den Attischen Stelen: Pritchett / Pippin (1956) 276–281. 122 Für die Heloten s. Plut. Inst. Lac. 239d–e; für die Penestai in Thessalien s. Archemach. (FGrH 424) F 1. 123 Clark / Haswell (1966) 32–47, 111–117; Sahlins (1972) 41–99 für Subsistenzbauern in Afrika und Asien; vgl. Goldthwaite (2008) 322, 366 f. mit der gleichen Beobachtung für Lohnarbeiter im mittelalterlichen florenz. auch die Briten mussten nach der abschaffung der sklaverei in ihren Kolonien 1834 feststellen, dass die Freigelassen lieber Subsistenzbauern waren als regelmäßige Lohnarbeiter: Davis (2006) 232. Zu vermuten ist, dass diese Arbeiter lieber ihre Arbeitskraft, ihr wichtigstes kapital, vor auszehrung und unfällen schützen wollten als kurzfristige Gewinne zu maximieren. 124 Vgl. die Schilderung bei Men. Georg. 35–62, die zwar pathetisch, aber nicht unrealistisch ist. 125 Zur Gelegenheitsoptimierung, s. u. S. 142. 126 Williamson (1983) 57–81. 127 Xen. oik. 7. 41: … ἐπιστήμονα ποιήσῃς καὶ διπλασίου σοι ἀξία γένηται. Vgl. 3. 10, 4. 1 und 12. 3; s. a. Aristot. pol. 1. 1255b 23–25.

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satz von sklavenarbeit. das wertvollste kapital eines Handwerkers waren seine fachlichen kenntnisse und fähigkeiten, seine technē. er hielt sie deshalb eifersüchtig vor konkurrenten geheim.128 einen sklaven allerdings konnte man als ‚Gesellen‘ ausbilden, ohne konkurrenz fürchten zu müssen.129 die möglichkeit, ausgebildete sklaven durch kauf zu erwerben, erlaubte es wiederum reichen Grundbesitzern, ihr Vermögen durch den ankauf von Handwerkern zu diversifizieren, ohne dass sie selbst über entsprechendes Fachwissen verfügen mussten.130 Schließlich ermöglichte es einigen Handwerkern und Kaufleuten größere Werkstätten zu betreiben, deren Gewinne es ihren Söhnen erlaubte sich der Politik zu widmen.131 (5) Vertrauen. während die verwandten mitglieder eines Hauses als familienmitglieder einen normativ geforderten Vertrauensvorschuss genossen, galt für sklaven das Gegenteil. man erwartete von ihnen, dass sie unkooperativ wären und womöglich sogar ihrem Herrn zu schaden trachteten.132 Es gab jedoch Möglichkeiten, einen Sklaven zu einer Vertrauensperson zu machen. Xenophon macht drei Vorschläge zur ‚Erziehung‘ guter Aufseher: (1) Konkurrenz unter den Sklaven um die Spitzenposition in der hausinternen Hierarchie. (2) Wertschätzung und Umgang mit dem Sklaven „wie mit Freien“ (ὥσπερ ἐλευθέροις). (3) Gewinnbeteiligung.133 Im 4. Jahrhundert begegnen wir Sklaven denn auch in praktisch jedem Berufszweig, nicht selten mit erheblichem Handlungsspielraum:134 als selbstständige Handwerker,135 als aufseher über andere arbeiter,136 als Handelsagenten137 und sogar als Buchführer einer Bank.138 128 In Isokr. 19. 6 werden die Bücher eines Mantikers als aphormē, als „startkapital“, bezeichnet. Geheimhaltung von Fachwissen: Xen. oec. 15. 11; vgl. Plat. apol. 22c–d; Diog. Laert. 6. 68. typischerweise wurde Zugewinn nicht durch investition in technologie erzielt, sondern durch überlegene Beherrschung seiner kunst, eine Ricardo-Rente also. S. Xen. mem. 3. 10. 9–15. 129 Plat. leg. 4. 720b; Lys. 24. 6; Demosth. 45. 71 f. 130 Vgl. Plat. leg. 9. 915e–916c; Xen. oik. 12. 3. Vgl. die Situation auf dem Sklavenmarkt in Ägina: Diog. Laert. 6. 74. Für weitere Belege s. o. Anm. 118. 131 Davies (1981) 43–45; Burford (1985) 188 f.; Eich (2006) 288–297. Bsp. bei Xen. mem. 2. 7; Lys. 12. 8. 12, 8. 19; Demosth. 27. 9–11, 27. 33; Demosth. 36. 11; Lyk. 1. 22–23. 132 Klees (1998) 101–116; als Topos vor Gericht z.B. bei Lys. 7. 35 oder Is. 8. 9–13. 133 Konkurrenz: Xen. oik. 13. 11 f. und 14. 4–7; Wertschätzung: 14. 9 f.; Gewinnbeteiligung: 9. 12. 134 Gerade solche sklaven konnten hoffen, ihre freiheit durch wirtschaftlichen erfolg zu gewinnen, wie die sog. attischen freilassungsurkunden zeigen, die nach 335 v. chr. auf der akropolis aufgestellt wurden (IG II² 1554–1578). Vgl. Lewis (1959; 1968); Meyer (2010) 32–56 argumentiert, es handle sich bei den Verfahren nicht um freilassungen, sondern um Prozesse gegen metöken. ihre argumente beruhen allerdings auf Plausibilitätsannahmen, die m.e. nicht überzeugen. Für eine Reihe schwerwiegender Einwände, die sich noch ergänzen ließe, s. die Rezension von Kostas Vlassopoulos (http://bmcr.brynmawr.edu/2011/2011-02-48.html, letzter Zugriff: 2.2.2015) und die Bemerkungen von Winfried Schmitz (2014) 153 f. 135 Vgl. Att. Stelen, Stele 6, z. 18–27 und z. 33–46. Sowie Is. 8. 35; Aischin. 1. 97 f. für einige Beispiele. 136 In Silberminen z.B. Andok. 1. 38; Demosth. 37. 25–26. Im Handwerk z.B. Demosth. 27. 19; 48. 14–18. 137 Demosth. 34. 8 und 33. 15 f. 138 In Athen und Ägina: Demosth. 36. 28–31; Isokr. 17. 11 und 55. In Korinth: Diog. Laert. 6. 82. Vgl. Cohen (1992) 82–90.

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Die regelmäßige Praxis, Sklaven die alltägliche Geschäftsführung zu überlassen, ist als ausdruck einer rentier-mentalität gedeutet worden.139 diese deutung verkennt das zugrundeliegende ökonomische Kalkül: Die Arbeitsteilung zwischen einem vermögenden Bürger als kapitalgeber und einer statusschwächeren Person als Geschäftsleiter ist keine Besonderheit, sondern eine typische erscheinung städtischen wirtschaftens. dies zeigt der Blick auf die mittelalterlichen städte.140 der entscheidende unterschied zu den mittelalterlichen städten war allerdings, dass dort sklaven zwar als Handelsware oder exotische Hausdiener üblich waren, aber in Handwerk und Handel keine wirtschaftlich wichtige rolle spielten.141 in einem lehrbuch für seine Söhne rät der Patrizier Giovanni Rucellai um 1460 (im Abschnitt über die führung des Haushalts) dazu, soweit möglich immer leute „des eigenen Hauses“ als Geschäftsleiter („fattore“) bei Bank- und Handelsgeschäften einzusetzen, anstatt „Fremde“ („de’ vostro di casa che degli strani“). Denn Familienmitglieder seien zur Hilfe verpflichtet und vertrauenswürdiger („fedele“). Gefordert wurden von Angestellten vor allem Treue („fede“) und Diensteifer („sollecitudine“), sowie der Verzicht auf sittenloses und unvernünftiges Verhalten, wozu man riskante Geldgeschäfte ebenso zählte wie den Verkehr mit frauen.142 um dieses Verhalten zu garantieren, schrieb man aufwendige Verträge, die die Pflichten des untergeordneten Geschäftsleiters festlegten und ließ sich die Buchhaltung zur Kontrolle vorlegen.143 man erkennt im Vergleich hierzu, welchen Vorteil die sklaverei gerade bei Geldgeschäften bot, bei denen es auf Geheimhaltung und Vertrauen ankam: Ein griechischer Hausherr war nicht darauf angewiesen, aufwendige Verträge zu verfassen und durchzusetzen, weil er mit sklaven untergebene hatte, die ihm ganz ergeben waren.144 während ‚freunde‘ schnell zu feinden wurden, wenn man um Gewinn und ehre konkurrierte, konnte man sich auf sklaven verlassen, weil sie ihrem Herrn ausgeliefert waren, die im Zweifelsfall auch zur folter greifen konnten.145 Vertrauen bedeutet nicht Harmonie und auch nicht faire Verteilung der Gewinne. ein weiterer effekt dieser Zusammenarbeit war wiederum performative distanzierung: Der Besitz von gut ausgebildeten Sklaven ermöglichte es reichen Bürgern, ihr Vermögen in Handwerk, Handel und Geldverleih zu investieren und sich gleichzeitig von „schändlichem Gewinn“ zu distanzieren, indem man sich vom täglichen geschäftlichen Verkehr mit kunden fernhielt.146 139 140 141 142 143

Weber (1999, zuerst 1921) 193–195; Humphreys (1978) 136–158. Brucker (1969a) 60; Goldthwaite (2008) 299 f. für Florenz. Epstein (1991) 223–227, 257. rucellai, Zibaldone Quaresimale, 3–8 in der Ausgabe von 1960. S. z.B. den Vertrag über eine Geschäftspartnerschaft aus dem Jahr 1455 – übers. in Lopez / Raymond (1955) 206–211 – sowie die beiden Briefe aus den Jahren 1393 und 1464 (ebd., 400–407). Beide machen das hierarchische Verhältnis zwischen Prinzipal und Agent mehr als deutlich. 144 Wood (1988) 114 f.; Cohen (1998) 105–129; Cohen (2002) 100–112. 145 Plat. leg. 6. 776d–e; Theophr. char. 4. 6. Vgl. die Drohungen in Men. Sam. 305–308, 320–324; sowie das Schicksal des Aufsehers Moschion, den wir aus einem Prozess des Jahres 343 v. Chr. kennen: Demosth. 48. 14–18. 146 Verwiesen sei auf den Geldwechsler Pasion, der wichtige Gäste in Athen empfing, während sein Buchführer Phormion unten im Piräus das Tagesgeschäft erledigte, Demosth. 52. 8.

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c) Zeitliche Dimension: Lebenszyklus und Mobilität Jedes Haus hatte seinen eigenen Zeitrhythmus, einen lebenszyklus. Generationenübergreifend wurde er als patrilineare abfolge von Vätern und söhnen beschrieben.147 Doch auch innerhalb einer Generation (d.h. unter der Führung eines kyrios) waren Haushalte nie statisch. thomas Gallant hat ein modell entworfen, das zeigt, wie in zyklischen schüben der Bedarf des Hauses, seine verfügbare arbeitskraft sowie das verfügbare ackerland schwankten.148 Gallant hat sein modell für die ländliche subsistenzwirtschaft entwickelt, doch lässt es sich auch auf Haushalte ausweiten, die stärker an der städtischen Verkehrswirtschaft partizipierten. die Gegenüberstellung von weisen und zugleich vorteilheischenden alten Männern, die ihr Vermögen geizig bewachten und Politik trieben, und jungen Männern, die wagemutig nach ruhm und reichtum strebten, war ein Gemeinplatz der griechischen anthropologie.149 Plausibel war diese dichotomie, weil sie den zwei Hauptabschnitten im leben eines erwachsenen mannes entsprach.150 im zweiten abschnitt, von der Hochzeit bis zur Hausübergabe und tod, galt ein mann insbesondere als Hausvater. Doch kam der ersten Phase, zwischen der Volljährigkeit mit 18 Jahren und der Heirat mit etwa 30 Jahren, ebenso große Bedeutung für die Hauswirtschaft zu. in diesen etwa zehn Jahren hatte der noch unverheiratete mann Gelegenheit, ein Vermögen zu erwerben, mit dem er den Grundstein für seinen zukünftigen Haushalt legte.151 wegen der realteilung des väterlichen Vermögens war dies eine kritische Phase für all jene, deren ererbte Reichtümer nicht hinreichten, um die angestammte soziale stellung zu bewahren.152 so erklärte der kaufmann diogeiton dem ältesten Sohn seines verstorbenen Bruders im Jahr 400 v. Chr.: Ich habe gewiss viel von meinem [Vermögen] für euren Unterhalt ausgegeben. Solange ich es hatte, hat es mich nicht gestört: Nun aber bin ich selbst auch ohne Mittel. Jetzt, wo du zum Bürger gemacht und zum mann geworden bist, musst du selbst schauen, von woher du deine mittel erhältst.153 147 MacDowell (1989) 15–21; Pomeroy (1997) 19. Als emphatischer Appell etwa bei Andok. 1. 146 f.; Lys. 7. 41. 148 Gallant (1991) 27–30; ähnlich Cox (1998) 155–167. 149 Zum Lebensalter s. Schmitz (2007) 35–37 mit Aristot. eth. Nic. 8. 1156a 24–b 6; vergleiche das Sprichwort: Ἔργα νέων, βουλαὶ δὲ μέσων, εὐχαὶ δὲ γερόντων, zitiert bei Hyp. fr. A 14. 2; Xen. equ. 2. 1: Die (selbstverständlich reichen) Jungen sollen sich körperlich in Form halten (ἐπιμελεῖσθαι τῆς ἑαυτοῦ) und den Reitsport pflegen, während sich die Alten lieber ihrem Haus, ihren Freunden, der Bürgerschaft und dem Krieg widmen sollten (τοῦ τε οἴκου καὶ τῶν φίλων καὶ τῶν πολιτικῶν καὶ τῶν πολεμικῶν). 150 Zu den Altersstufen im antiken Griechenland Timmer (2008) 154–167. 151 Zum Heiratsalter s. Gallant (1991) 17–22; Hartmann (2002) 100 f.; Schmitz (2007) 29. 152 Demokritos rät dazu, das Vermögen früh an die Söhne zu verteilen (δατεῖσθαι τὰ χρήματα), ihre Verwendung desselben aber zu überwachen, damit sie sparsam und eifrig im erwerb würden (φειδότεροι γίγνονται ἐς τὰ χρήματα καὶ προθυμότεροι κτᾶσθαι, καὶ ἀγωνίζονται), vgl. Demokr. fr. DK 68 B 279. 153 Lys. 32. 9: ἐγὼ οὖν πολλὰ τῶν ἐμαυτοῦ δεδαπάνηκα εἰς τὴν ὑμετέραν τροφήν. καὶ ἕως μὲν εἶχον, οὐδέν μοι διέφερεν· νυνὶ δὲ καὶ αὐτὸς ἀπόρως διάκειμαι. σὺ οὖν, ἐπειδὴ δεδοκίμασαι καὶ ἀνὴρ γεγένησαι, σκόπει αὐτὸς ἤδη πόθεν ἕξεις τὰ ἐπιτήδεια. Eigene Übers.: „Die Mutter der kinder hatte allerdings andere Pläne für ihre söhne, nämlich den sozialen aufstieg in die lei-

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In den italienischen Städten im Mittelalter entsprach das Alter bei Volljährigkeit und Heirat den antiken griechischen altersstufen ziemlich genau. dort ist gut dokumentiert, dass Männer in jungen Jahren auszogen, um in der Fremde als Kaufleute ihr Glück zu versuchen.154 francesco datini aus Prato war der verwaiste sohn eines Tavernenwirts. Er veräußerte sein geringes Erbe (ein Haus und ein Stück Land), um 1347 eine Reise nach Avignon zu bezahlen, wo er begann, in kleinen Mengen mit Tuchen und Waffen zu handeln. Auf diese Weise schließlich reich geworden, heiratete er eine Frau aus einer alten, aber nicht mehr besonders vermögenden florentinischen Familie und kehrte 1382 in seine Heimatstadt zurück.155 Als junger Mann war er große Risiken eingegangen und hatte ein lockeres Leben geführt. Zurück in Prato verwendete er sein Vermögen, um ein stattliches Haus zu bauen und landgüter zu erwerben. Er lenkte auch weiterhin die Geschäfte, jetzt aber nur noch vom schreibtisch aus als investor und koordinator. mit seiner neuen rolle als ordentlicher Hausvater ging eine standesgemäße Lebensführung einher: Er wurde Bürger von Florenz, saß im Rat von Prato und bewirtete angesehene Gäste.156 datinis Beispiel zeigt: Handelsprofite und ein ehrbares Bürger-Leben ließen sich vereinen, wenn der Erwerb und die Verwendung des Vermögens zeitlich (und damit performativ-symbolisch) getrennt waren. ein ganz ähnlicher lebenslauf ist von thrasyllos, einem Bürger der stadt siphnos überliefert. Wir kennen seine Geschichte, weil 393–390 v. chr. vor Gericht in aigina um sein erbe gestritten wurde.157 thrasyllos hatte keinerlei Vermögen von seinen Eltern geerbt. Er war jedoch mit dem Wahrsager Polemainetos als Gastfreund so „vertraut“ (οἰκείως) geworden, dass dieser ihm seine Bücher über Mantik vererbte. mit diesen Büchern als „startkapital“ begann thrasyllos die kunst des Wahrsagens auszuüben (ταύτας ἀφορμὰς ἐχρῆτο τῇ τέχνῃ). Er lebte in vielen Städten und war mit vielen frauen zusammen, von denen manche kinder hatten, die er jedoch nie anerkannte.158 Als er schließlich „ein großes Vermögen erworben hatte“ (οὐσίαν τε πολλὴν ἐκτήσατο), begann er sich nach seiner Heimat zu sehnen. Er verließ seine damalige Lebensgefährtin und kehrte nach Siphnos zurück, wo er sich eine Frau aus gutem Hause suchte. Denn, so führt der Redner aus: Thrasyllos sei zwar an Reichtum der „erste unter den Bürgern“ gewesen, habe jedoch gewusst, dass das Haus seiner ehefrau ihm an „abstammung und ansehen überlegen“ war (πλούτῳ μὲν αὐτὸς πρῶτος ὢν τῶν πολιτῶν, γένει δὲ καὶ τοῖς ἄλλοις ἀξιώμασιν

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sure class, und warf dem Vormund (zugleich ihr eigener Vater!) vor, das väterliche Vermögen seiner Neffen veruntreut zu haben“, s. ebd. 10–15. Najemy (2008) 226: „Particularly crucial was the reluctance of men, especially from the upper classes, to marry early. Their motivation was in part economic: it took resources and capital to confront the prospect of marriage and children, and many preferred to wait until they accumulated sufficient wealth. In merchant and banking families young men were typically sent to learn, and then to oversee branches of family businesses throughout italy and europe, and invariably waited to marry until they returned home.“ Brucker (1969) 134–137; Origo (1993) 21–44. Ebd., 91–120, 201–230. Isokr. 19. 5–9. so zumindest die Behauptung des sprechers, der natürlich ein interesse daran hatte, die eventuellen erbansprüche weiterer Parteien zu leugnen.

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εἰδὼς τὴν ἡμετέραν οἰκίαν προέχουσαν). Seine Söhne Sopolis und Thrasymachos (aus einer späteren dritten Ehe) wurden zu einflussreichen Politikern in Siphnos, die allerdings infolge eines Parteienkampfes die stadt verlassen mussten.159 der wechsel zwischen auszug in die ferne und sesshaftigkeit daheim wird durch das wortpaar apodēmein, „in die Ferne gehen/abwesend sein“, und epidēmein, „zu Hause sein“, zum Ausdruck gebracht. So berichtet ein junger Mann vom kimmerischen Bosporos um 393 v. chr. vor Gericht, sein Vater habe ihn mit zwei getreidebeladenen schiffen und Geld ausgestattet, „damit er Handel treiben und die Welt sehen könne“ (ἅμα κατ᾽ ἐμπορίαν καὶ κατὰ θεωρίαν); er habe nämlich den Wunsch gehabt „in die Ferne zu gehen“ (ἀποδημῆσαι).160 als der athener androkles den beiden Brüdern artemon und apollodoros aus Phaselis ein seedarlehen gab (um 351 v. chr.), war es deren älterer Bruder lakritos, „ein mann von Gewicht“ (μέγα πρᾶγμα), der den Vertrag aufsetzte und versiegelte, denn seine beiden Brüder waren jung, „fast noch knaben“. deshalb versprach lakritos dem Gläubiger, „dass er in Athen bleiben und nach dem Rechten schauen werde“ (ποιήσειν μοι τὰ δίκαια ἅπαντα καὶ ἐπιδημήσειν Ἀθήνησιν), während Artemon mit der Ware zusammen segelte.161 ein anonymer redner gibt vor Gericht den Hoffnungen ausdruck, die diese jungen Männer leiteten, wenn sie in die Ferne gingen:162 ich selbst nämlich, ihr richter, bin seit langer Zeit im Geschäft des seehandels, und habe mich dabei bis zu einem gewissen Zeitpunkt selbst in Gefahr begeben; nun aber sind es noch nicht ganz sieben Jahre, dass ich es aufgegeben habe zur see zu fahren. das mittlere Vermögen, das ich habe, versuche ich in seehandelsunternehmungen zu investieren.

das Ziel war die sesshaftigkeit als kapitalgeber, die nicht nur ökonomisch sicherer, sondern auch sozial besser angesehen war.163 als erfolgreicher abschluss dieser Lebensphase galt es, bei der Rückkehr eine standesgemäße Braut zu ehelichen, land zu kaufen und ein leben als ehrbarer Bürger zu beginnen.164 Handel war nicht die einzige möglichkeit, in der ferne reich zu werden. in den Komödien Menanders gehört der junge Mann, der als Söldner in die Ferne zieht, zum festen figurenrepertoire. im Hintergrund stehen die durch die diadochenkriege entstandenen neuen Verdienstmöglichkeiten im Osten.165 doch hören wir 159 160 161 162

Isokr. 19. 10–12, 18–27. Isokr. 17. 4. demosth. 35. 15 f. Demosth. 33. 4 f.: ἐγὼ γάρ, ὦ ἄνδρες δικασταί, πολὺν ἤδη χρόνον ἐπὶ τῆς ἐργασίας ὢν τῆς κατὰ θάλατταν, μέχρι μέν τινος αὐτὸς ἐκινδύνευον, οὔπω δὲ ἔτη ἐστὶν ἑπτὰ ἀφ᾽ οὗ τὸ μὲν πλεῖν καταλέλυκα, μέτρια δ᾽ ἔχων τούτοις πειρῶμαι ναυτικοῖς ἐργάζεσθαι (eigene Übers.). Vgl. die Annahme in Plat. Gorg. 467d, wo es heißt, man treibe Handel und Gewerbe nicht um seiner selbst willen, sondern um der Armut zu entkommen; entsprechend wird die Chrematistik definiert als „Kunst, sich der Armut zu entledigen“ (τίς οὖν τέχνη πενίας ἀπαλλάττει; οὐ χρηματιστική), ebd. 477e. 163 Eich (2006) 358–387, der auch die rechtliche Privilegierung hervorhebt. 164 Men. Georg. 1–20; vgl. Hyp. 3. 29–31, allerdings unter besonderen Umständen. 165 Z.B. in Men. Aspis, Pk., Sik. und Mis.; Rostovtzeff (1955) 100 f. über die neuen Möglichkeiten nach den alexanderzügen, allerdings auch mit der mahnung, solche „neureichen, unternehmungslustige[n] Söldner oder andere Abenteurer“ quantitativ nicht zu überschätzen, ebd. 127 f.

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bereits zu Beginn des 4. Jahrhunderts von jungen Bürgersöhnen aus Athen, die an söldnerzügen teilnehmen oder ihr ererbtes land verkauften, weil es von geringem wert war, um vom erlös eine Galeere zu erwerben.166 ein gewisser aristophanes, der zuerst nur über wenig landbesitz verfügte, gelangte als trierarch unter dem Befehl des 394 v. chr. siegreichen feldherrn konon zu reichtum, von dem er zurück in athen land kaufte und liturgien leistete.167 der bekannteste athener, der auszog, um sein Glück zu versuchen, ist der Schriftsteller Xenophon. In seiner Anabasis schildert er den wunsch von ihm und seinen kameraden nach erfolgreichem Kriegszug in das eigene Haus zurückzukehren. Freilich spricht Xenophon hier mehr über die wünsche von söldnern, als über ihre lebensrealität, wie die wechselhaften Geschicke der Zehntausend selbst zeigen.168 Die altersspezifische Mobilität ist verknüpft mit der altersspezifischen Arbeitsteilung zwischen Vater und Sohn, älterem und jüngerem Bruder. Die jungen Männer nahmen die Gefahren in der ferne auf sich, während ihre Väter oder älteren Brüder zu Hause blieben, dort den Überblick über die Geschäfte behielten und die interessen des Haushalts vertraten. der raffgierige, weinselige kaufmann oder Söldner und der angesehene, großzügige Bürger sind zwei Seiten derselben Medaille, zwei lebensabschnitte desselben Hausherrn, die dieser aber auf verschiedenen ‚Bühnen‘ absolvierte. Welche Wagnisse ein junger Mann einging, hing nicht nur von seinem Alter, sondern auch von der wirtschaftlichen stellung des väterlichen Haushalts ab. kleinere Haushalte konnten die arbeitskraft der söhne womöglich nur schwer entbehren oder die migration blieb eher lokal, zwischen stadt und land.169 Große Haushalte dagegen konnten es sich leisten, dass die söhne unproduktiven tätigkeiten nachgingen wie sport, Jagd oder Philosophie.170 auch hier fand eine art von arbeitsteilung statt, die thorstein Veblen als stellvertretenden Konsum bezeichnet hat.171 Während der Vater als maßvoll im schlichten Bürgermantel auftrat, demonstrierte der sohn durch ostentativen konsum und körperkult die soziale Überlegenheit seiner Herkunftsfamilie. Manchmal gingen die Söhne reicher Kaufleute anders als ihre Väter gerade nicht mehr auf Handelsfahrt, sondern wurden durch Bildung und Müßiggang auf 166 Beiden war kein Glück beschieden: Astyphilos starb irgendwann vor dem Jahr 371 v. Chr. in Mytilene, dazu Rosivach (2005), Is. 9. 14; Makartatos sank mit seiner Triere irgendwann vor 378, Is. 11. 48. 167 Lys. 19. 28 f. und 19. 42 f. Sein Glück sollte nicht lange währen: Nach einer erfolglosen Gesandtschaft 389/8 v. Chr. wurde er hingerichtet und sein Vermögen konfisziert. Dazu Davies (1971) 201–204. 168 Xen. an. 6. 4, 8 mit 6. 34. 169 Schmitz (2007) 26; Schmitz (2014) 118; Taylor (2011). Kinderarbeit als Invektive gegen arme, ungebildete Personen: Lys. 20. 11–12; Demosth. 18. 127–131, 257–265, 19. 199–201, 249; vgl. Timaios (FGrH 566) F 11 a; Aristot. pol. 6. 1323a 5; sowie Xen. Kyr. 8. 3. 37 f. 170 Isokr. 7. 44 f. zu einem Ideal der Erziehung je nach Status: Die ärmeren Bürger widmen sich Landwirtschaft und Handel, diejenigen hingegen, „die genügend besitzen“ für ein solches Leben (τοὺς δὲ βίον ἱκανὸν κεκτημένους), erlernen Pferdezucht, Sport, Jagd und Philosophie. Vgl. Xen. kyn. 1. 18–2. 1. 171 Veblen (2007, zuerst 1899) 79–93.

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den sozialen Aufstieg vorbereitet, dessen Abschluss eine standesgemäße Heirat war.172 Der bekannteste Fall ist derjenige des Redners Demosthenes.173 der aufstieg erfolgte „klassisch“ in drei Generationen. Demomeles, Demosthenes’ Großvater, war vermutlich im letzten drittel des 5. Jahrhunderts als architekt tätig. er war also noch „lohnempfänger“, aber offenbar bereits wohlhabend.174 demosthenes, der Ältere (gest. 377 v. Chr.), bewirtschaftete ein umfangreiches und diversifiziertes Vermögen, zu dem auch zwei Werkstätten gehörten; er besaß jedoch weder Landgüter, noch war er politisch aktiv.175 Sein Sohn Demosthenes (384/3–322 v. Chr.) schließlich wurde durch seine Erziehung auf ein Leben in besten Kreisen vorbereitet, musste aber aufgrund widriger Umstände dann zunächst am (Wieder-)Erwerb seines Vermögens arbeiten.176 Schließlich gelang ihm der Aufstieg in die Führungsschicht athens, in der er sich vor allem auf die Politik konzentrierte, die ihm, laut den Vorwürfen seiner Gegner, sogar zur Einkommensquelle wurde.177 der topos von den söhnen reicher erwerbsmänner, die das väterliche erbe verschwenden, ist von den Zeitgenossen und selbst in der forschung moralisch als Verschwendungssucht verstanden worden.178 tatsächlich handelte es sich meist wohl eher um eine riskante strategie des sozialen aufstiegs, bei der das ererbte nun in ansehen konvertiert werden sollte. Scheiterte der Aufsteiger, was, je höher er zielte, desto wahrscheinlich war,179 begann der Kreislauf von Neuem. Eine Reihe von (einst) reichen und angesehenen männern, mussten wieder persönlich Handel treiben, weil die umstände es erfor-

172 Eine typische Konstellation in den Komödien Menanders, vgl. Men. Colax 1–11; Heros 45–47; Sam. 7–18. Eine solche Konstellation steckt vermutlich hinter dem Konflikt in Lys. 32, s. o. anm. 153. 173 Zur Familie des Demosthenes vgl. Davies (1971) 113–138; Pomeroy (1997) 162–182; Cox (1998) 18–20. 174 Davies (1971) 113 f. 175 Zu seinem Vermögen, s. u. S. 141. 176 Zum Rhetorikunterricht Aischin. 1. 125, 175; Plut. Dem. 6. Später wurde ihm vorgeworfen, er besitze ein Haus im Piräus und treibe Seehandel, Hyp. 5. 17. Bereits in seiner Jugend trieb er sich allerdings im Piräus herum, Plut. Dem. 6. 4. In seiner Selbstdarstellung betonte Demosthenes hingegen standesgemäße Muße und Bürgertugend, Demosth. 18. 257. 177 Aischin. 3. 209; Din. 1; Hyp. 5. 178 Vgl. Plat. leg. 3. 695e–696a; Andreev (1990) 120 spricht von „sagenhafte[r] Verschwendungssucht“. 179 Demokrit verwendet das Bild eines Schwerttänzers: „Mit den Kindern der geizigen Leute, die unwissend heranwachsen (οἱ τῶν φειδωλῶν παῖδες ἀμαθέες γινόμενοι), verhält es sich wie mit den Tänzern, die zwischen den Schwertern tanzen: Wenn sie beim Herabkommen auch nur eine einzige Stelle verfehlen, wo man die Füße aufsetzen muss, sind sie verloren […]. So pflegen auch diese, wenn sie das väterliche Vorbild des Eifers und der Sparsamkeit (τοῦ πατρικοῦ τύπου τοῦ ἐπιμελέος καὶ φειδωλοῦ) verfehlen, zugrunde zu gehen.“ Demokr. Fr. DK 68 B 228, Übers. Maria Laura Gemelli Marciano. Vgl. Xen. oik. 1. 16–22. Beispielhaft sind die Anfeindungen gegen den Sohn des Unternehmers Anytos bei Xen. apol. 29–31 und gegen Apollodoros, Sohn des Pasion, Demosth. 36. 45; zu den historischen Gestalten s. Davies (1971) 40 f.

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derten.180 so berichtet kephalos, reicher metöke und Vater des redners lysias (gest. vor 404 v. chr.).181 Ich stehe als Gewerbsmann (χρηματιστής) in der Mitte zwischen meinem Großvater und meinem Vater. Nämlich mein Großvater, der auch einerlei Namen mit mir führte, hatte etwa ein ebenso großes Vermögen, wie das meinige jetzt ist, ererbt und es um viele Male vergrößert; mein Vater Lysanias aber machte es noch kleiner als es jetzt ist; ich aber bin zufrieden, wenn ich es diesen [seinen anwesenden Söhnen] nur nicht kleiner hinterlasse, sondern noch um etwas weniges größer, als ich es empfangen.

iii. strateGien der HauswirtscHaft wie setzten griechische Haushalte ihr Vermögen an kapital und arbeit im rahmen dieser sozialen strukturen ein? der ertragreichste, aber auch kostenträchtigste einsatz von arbeit und kapital war die eigenwirtschaft, bei welcher der Hausherr alle arbeitsabläufe selbst organisierte und kontrollierte und auch seine eigene arbeitskraft einbrachte. weniger kostenintensiv, dafür auch weniger gewinnträchtig war eine arbeitsteilige Bewirtschaftung. Beim Teilbau (ital. mezzadria, franz. métayage) trugen eigentümer und Pächter kosten und risiken gemeinsam, entschieden zusammen über die allokation der mittel und teilten den Gewinn. noch weniger kostenintensiv war es, das kapital gegen eine festgesetzte rente zu verpachten. Bei dieser regelung lagen sowohl risiko als auch Gewinn auf seiten des Pächters.182 Schlussendlich konnte man einen Vermögenswert veräußern. Ausschlaggebend für die wahl einer Bewirtschaftungsweise waren Bodenbeschaffenheit, geographische Lage und politische Situation: Nahgelegene, ertragreiche und politisch sichere Besitzungen bewirtschaftete man selbst; entfernte und politisch unsichere wurden eher verpachtet, weil man die kosten von transport, Überwachung und möglichen konflikten scheute.183 diese verschiedenen Bewirtschaftungsweisen waren nicht strikt getrennt. für den Haushalt war es vorteilhaft, die Verwendung seines Besitzes möglichst flexibel an sich ändernde Bedingungen anzupassen.184 sofern das Gesetz nicht eine bestimmte form der nutzung vorschrieb, musste sich der Hausvater nicht dauerhaft auf eine 180 Der früheste bekannte Fall ist Solon, von dem Plutarch berichtet, er habe als junger Mann Handel getrieben, weil sein Vater sein Vermögen durch Großzügigkeit aufgebraucht habe, vgl. Plut. solon 2. weitere, durch reden bekannte fälle sind andokides, der nach seiner Verbannung 415/4 v. Chr. mehrere Jahre Handel trieb, vgl. Andok. 1. 137, 1. 144 f.; Lys. 5. 49. In einer ähnlichen Situation befand sich Leokrates, der nach einem fluchtartigen Aufbruch aus Athen für fünf Jahre als Händler in Megara lebte (338–333 v. Chr.), Lyk. 1. 55–58. 181 Plat. rep. 1. 330a–b, Übers. Friedrich Schleiermacher. 182 Audring (1974) 455 f. Über die Verpachtung von Ackerland wissen wir sehr wenig, weil die Vertragsbedingungen nur bei öffentlichen Landstücken inschriftlich fixiert wurden, Eich (2006) 414 f. 183 Etwa die athenischen Landlose auf Lesbos 427 v. Chr.: Thuk. 3. 50. 2. Zur Verpachtung der Vermögen von Waisenkindern: Lys. 32. 23 mit Demosth. 38. 7. 184 Wood (1988) 78 spricht zwar von „[a] mixture of various rent-forms, fixed or variable, ranged along a continuous scale“, schließt die Kaufsklaverei gleichwohl aus, ebd. 72–78.

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einzige Nutzungsweise seines gesamten Vermögens festlegen: Die Güter waren ja „hauseigen“, oikeia, in den worten der aristotelischen Rhetorik. das gab ihm die freiheit, aus einer Vielzahl von kombinationsmöglichkeiten für die verfügbaren Produktionsfaktoren auszuwählen.185 die entsprechend wandelbare nutzung illustriert eine Verteidigungsrede vor dem Areopag, die zu Anfang des 4. Jahrhunderts gehalten wurde.186 in der fraglichen rede verteidigt sich der redner gegen den Vorwurf, er habe einen heiligen Olivenbaum, der auf einem seiner Grundstücke stand, gefällt resp. dessen einhegung entfernt.187 die rationalität hauswirtschaftlicher entscheidungen lässt sich besonders gut rekonstruieren, weil der redner selbst die Prämisse wirtschaftlicher rationalität zum argument seiner Verteidigung macht:188 Bisher, hohes Gericht, war ich immer ärgerlich, wenn jemand sagte, ich sei streng und genau, und ich würde nichts aufs Geratewohl und unüberlegt tun (δεινὸν εἶναι καὶ ἀκριβῆ καὶ οὐδὲν ἂν εἰκῇ καὶ ἀλογίστως ποιῆσαι). Ich war nämlich der Meinung, das stimme so nicht. Jetzt aber wäre es mir recht, wenn ihr alle diese meinung von mir hättet, damit ihr glaubtet, wenn ich tatsächlich etwas derartiges tun würde, dann würde ich doch auch darauf achten, welchen Gewinn das Beseitigen eines Ölbaums brächte, welche strafe dem täter drohte, was es einbringe, wenn ich unbemerkt bliebe, und was ich, wenn es offenbar würde, von euch zu erwarten hätte. Die Menschen tun ja etwas Derartiges nicht aus Übermut, sondern wegen des Gewinns (κέρδους ἕνεκα). Ihr solltet also auch diesen Gesichtspunkt in eure Überlegungen einbeziehen, und die Prozessgegner sollten darauf ihre anklagen begründen, indem sie darauf eingehen, welchen nutzen die täter haben konnten.

Das betreffende Stück Ackerland wurde 410 als Besitz eines verbannten Oligarchen beschlagnahmt und apollodoros von megara geschenkt, weil dieser sich um die wiedererrichtung der demokratie verdient gemacht hatte.189 in diesen Jahren war der mögliche Gewinn einer intensiven Bewirtschaftung gering:190 Außerdem blieb dieses Stück Land für drei Jahre unverkauft, weil es während des Krieges konfisziert worden war. Es ist nicht verwunderlich, wenn damals heilige Ölbäume gefällt wurden, in einer Zeit, in der wir nicht einmal in der lage waren, unseren Privatbesitz zu schützen.

Wegen des Krieges war das in einem Außenbezirk gelegene Land der Gefahr feindlicher Verwüstung ausgesetzt. Außerdem waren die Eigentumsverhältnisse prekär. im fall eines erneuten Verfassungsumsturzes oder einer Generalamnestie wäre der alte Besitzer zurückgekehrt und hätte womöglich das land zurückerhalten, in welchem fall der zwischenzeitliche Besitzer seine investitionen verloren hätte.191 der 185 Aristot. rhet. 1. 1363a 23: τοῦ δὲ οἰκεῖα εἶναι ἢ μὴ ὅταν ἐφ᾽ αὑτῷ ᾖ ἀπαλλοτριῶσαι: λέγω δὲ ἀπαλλοτρίωσιν δόσιν καὶ πρᾶσιν. 186 Lys. 7. Vgl. Einleitung und Kommentar bei Todd (2007) 477–488, 512–540. 187 Die Interpretation des genauen Anklagepunktes war bereits in der Antike umstritten: Todd (2007) 485–487. Beim Verkauf des Olivenholzes ging es aber wohl in jedem Fall darum, die Zweige des Baumes als Triebe zu verkaufen, mit denen sich wilde Olivenbäume zu fruchtragenden veredeln ließen. Hierin bestand ihr materieller Wert. Vgl. Foxhall (2007) 104–109. 188 Lys. 7. 12 f., Übers. Ingeborg Huber. 189 Zur Person s. Todd (2007) 515 f. 190 Ebd. 6 f. 191 Foxhall (2007) 74–75 f., deren Idee einer stillschweigenden Kooperation mit dem Verbannten allerdings spekulation ist.

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fragliche landbesitz war also nicht „sicher“, asphalēs, wieder in den worten der aristotelischen Rhetorik.192 ein landwirt hatte in einer solchen situation drei möglichkeiten und alle drei wurden in diesem Fall genutzt: (1) Veräußerung. damit entledigte man sich aller risiken, ein guter Verkaufspreis war jedoch nicht zu erwarten, eben weil die Nutzung des Landes riskant war.193 der erste Besitzer, apollodoros, verkaufte das land „kurz vor der Herrschaft der Dreißig“, also 404 v. chr.194 Als Bürger von Megara trennte ihn die größte geographische distanz von seinem Besitz und machte die eigenbewirtschaftung unrentabel. Als Mörder eines Oligarchen des vorangegangenen Regimes dürfte er seinen Besitztitel angesichts der innenpolitischen Lage 404 für gefährdet gehalten haben.195 (2) Verpachtung. sowohl der zweite Besitzer antikles als auch der redner verpachteten das Land, Letzterer zwischen 403 und 396 v. chr.196 die laufzeiten der Pachtverträge waren dabei kurz, zwischen ein bis drei Jahren. das erlaubte es den eigentümern in kurzen abständen zu überprüfen, ob ihnen eine eigenbewirtschaftung inzwischen rentabel erschien. für den Pächter bedeutete die kurze laufzeit umgekehrt eine risikobegrenzung im falle eines feindlichen einfalls. (3) Eine dritte Möglichkeit könnte man modern als asset-stripping bezeichnen. der redner berichtet, dass viele landbesitzer ihr land zwar behalten hätten, die Olivenbäume darauf allerdings fällten oder stutzten und die Äste als Setzlinge verkauften – genau hier lag der Ausgangspunkt des Gerichtsprozesses. Denn die Verlockung war groß, auf diese Weise sogar die heiligen Olivenbäume zu Geld zu machen, solange sie anders keinen ertrag abwarfen und man sich ihres dauerhaften nutzens nicht gewiss war.197 Erst 396 v. chr., sieben Jahre nachdem er das land erworben hatte, begann der Redner es „selbst zu bewirtschafteten“ (αὐτὸς γεωργῶ).198 der krieg gegen sparta war vorbei und eine Rückkehr der Oligarchen stand nicht mehr zu befürchten. Jetzt noch Olivenbäume zu fällen, wäre wenig gewinnbringend gewesen, verglichen mit einer Eigenbewirtschaftung. Und genau so argumentiert der Redner: Es sei nicht 192 Aristot. rhet. 1. 1363a 19: ὅρος δὲ ἀσφαλείας μὲν τὸ ἐνταῦθα καὶ οὕτω κεκτῆσθαι ὥστ᾽ ἐφ᾽ αὑτῷ εἶναι τὴν χρῆσιν αὐτῶν. 193 der schlechte kaufpreis mag sich einerseits aus der kriegsbedrohung ergeben, andererseits daraus, dass sich konfiszierte Güter generell schlechter verkauften, vgl. [Aristot.] oec. 2. 1346b 6–8. 194 Lys. 7. 4. 195 Todd (2007) 516. 196 Lys. 7. 4–10. 197 Ein ähnliches Vorgehen wurde Theopompos vorgeworfen, der irgendwann zwischen 378 und 342 v. Chr. die Olivenbäume auf einem ererbten Grundstück ausgegraben und verkauft haben soll, weil er gewusst habe, dass sein Erbanspruch auf das Land unrechtmäßig war. S. Demosth. 43. 69 f. 198 Lys. 4. 11.

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denkbar, dass er den heiligen Olivenbaum beschädigt habe: Es wäre wirtschaftlich „irrational“, einen großen Schaden – die Verurteilung wegen Frevels – um eines geringen Gewinns wegen zu riskieren.199 Anstelle langfristiger Investitionsstrategien finden wir hier ein Mikro-Management dokumentiert, ein fortwährendes situationsbestimmtes abwägen, wie ein bestimmter Vermögenswert am gewinnträchtigsten einzusetzen sei. ebenso wie die starke Diversifizierung der Vermögen war dieses Mikro-Management an eine wechselhafte umwelt angepasst, an ein auf und ab von Glücksfällen und schicksalsschlägen, eben das wirken der Göttin tyche.200 in einer solchen umwelt war es rationaler, Kapital und Arbeit flexibel zu halten und Risiken zu streuen, anstatt sich durch spezialisierung, technologische entwicklung und längerfristige investitionen auf bestimmte erwerbsformen festzulegen.201 a) akkumulation die anhäufung von Gütern erscheint geradezu als ein Grundmodus des häuslichen wirtschaftens in einer welt, in der die landwirtschaft in einem Jahr Überschüsse produzierte, im nächsten Jahr aber schon wieder mangel herrschen konnte. die antwort auf diese ungewissheit war der Versuch, agrarische Produkte haltbar zu machen, um damit dem Haushalt Planungssicherheit zu geben.202 Xenophon beginnt seine Beschreibung eines idealen Hauses mit den räumen, in denen kostbare stoffe, Gerätschaften, Getreide und wein gelagert sind, direkt in den schlafgemächern der Hausherren oder zumindest in deren nähe.203 und Platons kritik an seinen Zeitgenossen, die reichtümer zusammenrafften und Gold und silber in schatzhäusern verschlössen, bestätigt, wenn auch negativ gewendet, denselben sachverhalt.204 aus sicht der Hauswirtschaft war Geld zu allererst ein wertspeicher. landwirtschaftliche erzeugnisse wie feldfrüchte oder fleisch haben nur eine begrenzte Haltbarkeit und verlieren kontinuierlich an wert durch schädlingsbefall, feuchtigkeit oder trockenheit.205 Außerdem erfordern diese Erzeugnisse Aufbewahrungsräume und -gefäße, deren Anschaffung und Instandhaltung teuer waren.206 Ge199 Ebd. 26: καίτοι οὐ δήπου τὰς μὲν μικρὰς ζημίας οὕτω περὶ πολλοῦ ποιοῦμαι, τοὺς δὲ περὶ τοῦ σώματος κινδύνους οὕτω περὶ οὐδενὸς ἡγοῦμαι. 200 S. o. S. 114 f. 201 Burford (1993) 156–159; Horden / Purcell (2000) 263, 293; Scheidel (2007) 55–57; Foxhall (2007) 53. 202 Gallant (1991) 62–72; Schneider (2002). Vgl. auch die Aufmerksamkeit, die das altrussische Hausbuch Domostroi (16. Jh.) der Konservierung sowie der Verwertung bereits beschädigter Vorräte widmet: Müller (1987) bes. Kap. 63. 203 Xen. oec. 9. 3. 204 Etwa in Plat. rep. 8. 548a; leg. 7. 801b und 12. 955e–956a. 205 Gallant (1991) 94–98. 206 deshalb betrieben kleine Haushalte die sogenannte „attische Haushaltung“, bei welcher der Ernteertrag gleich nach der Ernte verkauft und der Bedarf anschließend auf dem Markt gedeckt wurde. Vgl. [Aristot.] oec. 1. 1344b 31 f. mit Plut. Perikles 16. 4; dazu Reuthner (2006) 112– 116. Große Vorratsgefäße waren Symbole des Reichtums: Diod. 13. 83. 1–3.

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münztes Edelmetall hingegen nahm wenig Raum ein, verlor nicht an Wert und ließ sich zu einem beliebigen Zeitpunkt und in beliebiger menge gegen andere Güter eintauschen. damit diente es Haushalten als Versicherung gegen unvorhergesehene notfälle. für den armen als schutz vor Hunger, für den reichen als schutz vor Prestigeverlust durch Zahlungsunfähigkeit bei besonderen sozialen und politischen ausgaben.207 Das Geld vereinfachte schließlich die Haushaltsführung als ein einheitlicher Maßstab qualitativ verschiedener Güter, auch dann, wenn man bloß den regelmäßigen Verbrauch der Hausgenossen festlegte.208 Als Wertmaßstab war Geld schließlich nützlich, um die eigenen Investitionen in Ansehen, etwa in Form von Liturgien und freiwilligen Wohltaten (Euergetismus), genau zu berechnen und mit der leistung konkurrierender Haushalte zu vergleichen.209 b) Diversifizierung Diversifizierung ist für den klimatisch und geologisch stark fragmentierten Mittelmeerraum eine gut dokumentierte landwirtschaftliche strategie. dies gilt insbesondere für das griechische festland und die Ägäis. landwirte kultivierten verschiedene fruchtsorten und bewirtschafteten landstücke in streulage. Beides verringerte die Risiken, durch jährliche Klimaschwankungen, Ungezieferplagen oder feindliche Raubzüge die Ernte zu verlieren. Zugleich erlaubte Mischwirtschaft, jedes Stück Land seiner Lage und Güte entsprechend zu bewirtschaften: in der fruchtbaren Ebene pflanzte man Getreide, am steinigen Südhang Wein oder Oliven und in marginalen Zonen weidete man das Vieh.210 Diversifizierung war allerdings, was seltener vermerkt wird, keinesfalls auf die landwirtschaft beschränkt.211 So heißt es in der pseudo-aristotelischen Ökonomik:212 Es muss aber der (Gesamt-)Besitz in seine einzelnen Bestandteile aufgegliedert werden. Und der Ertrag bringende Besitz muss größer sein als der unproduktive, und die Unternehmungen müssen so verteilt sein, dass nicht gleichzeitig mit allen ein risiko eingegangen wird.

aus attischen Gerichtsreden wissen wir, dass vermögende Grundeigentümer ihren ohnehin diversen land- und Hausbesitz in streulage noch durch darlehensvergabe für Handelsgeschäfte oder den ankauf von Handwerkssklaven ergänzten, während 207 So urteilt der sog. Anonymus Iamblichi, DK 98. 17. 2: φιλοχρημαστοῦσι δὲ τῶνδε εἵνεκα, ἅπερ φοβεῖ αὐτούς. 208 S. o. Anm. 60. Der legendäre skythische Weise Anacharsis soll auf die Frage, wofür die Griechen „das Geld verwendeten“ (χρῶνται τῷ ἀργυρίῳ), geantwortet haben: „zum Rechnen“ (πρὸς τὸ ἀριθμεῖν). Athen. 4. 159c. Die Zuschreibung ist sicher unhistorisch, doch aufschlussreich für die selbstsicht der Griechen, denen der nicht-Grieche als spiegel eigener sitten dient. 209 manche aufzählungen eigener leistungen vor Gericht haben einen regelrecht buchhalterischen Ton. S. etwa Lys. 19. 28 f. und 42 f., 21. 1–20 und 25; Demosth. 34. 38 f. 210 Osborne (1987) 36–46; Burford (1993) 119; Hanson (1995) 150–167; Horden / Purcell (2000) 263; Halstead (2002) 53–70. 211 Descat (1987) 242; Foxhall (2007) 42–48. Vgl. zur modernen Bedeutung Williamson (1983) 143 f. 212 [Aristot.] oec. 1. 1344b 28 f.: διῃρῆσθαι δὲ δεῖ τούτων ἕκαστον, καὶ πλείω τὰ κάρπιμα εἶναι τῶν ἀκάρπων, καὶ τὰς ἐργασίας οὕτω νενεμῆσθαι, ὅπως μὴ ἅμα κινδυνεύσωσιν ἅπασιν. Übers. renate Zoepffel.

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umgekehrt reiche Gewerbetreibende ihr Vermögen durch die erwerbung von ländereien diversifizierten.213 das Vermögen von demosthenes’ Vater illustriert dies besonders gut. neben zwei mit sklaven betriebenen werkstätten, die messer und Betten fertigten, umfasste der produktive Teil des Vermögens ein Talent Silber (6000 Drachmen), zu 12 % verzinst, ein Seedarlehen von 70 Minen (700 Dr.), insgesamt 3000 Dr. als Einlagen bei zwei Bankleuten, ein Darlehen von 1600 Dr. an seinen Großneffen Demomeles und zinslose Darlehen von 200 bis 300 Dr. im Gesamtwert von einem Talent (1000 Dr.). Demosthenes rechnet schließlich auch Möbel, Bekleidung, Tafelgeschirr und den Schmuck der Mutter im Wert von 10 000 Dr. sowie einen Silberschatz im Wert von 80 Minen (8000 Dr.) hinzu.214 Hinter der trockenen aufzählung verbirgt sich eine komplexe strategie der Streuung von Risiken und Profiten,215 die nicht nur den materiellen Gewinnchancen Rechnung trägt, sondern auch den sozialen Beziehungen zu den jeweiligen Geschäftspartnern. Zum einen die Risiken: Der Silberschatz brachte keine Rendite, aber war so sicher, wie ein schatz eben sein konnte, und diente wohl als notreserve.216 Der Hausrat und Schmuck hatte einen Gebrauchswert, ließ sich aber im Notfall auch ‚versilbern‘. Die Darlehen schließlich changieren von sicheren, niedrigen verzinsten (12 %) über riskantere Seedarlehen, die häufig zu 33 % verzinst waren, bis hin zu zinslosen eranos-darlehen an freunde, die keine materielle rendite einbrachten, aber dafür soziale Verpflichtungen seitens der Nutznießer.217 auch die Geschäftspartner sind nach ihrer sozialen Beziehung zum Hausherrn diversifiziert: von der direkten Geschäftsbeziehung zum nicht weiter bekannten Xuthos, über das Vertrauensverhältnis zum Bankier Pasion, der für demosthenes den Älteren als mittelsmann agierte, bis hin zu seinem neffen demomeles und uns namentlich unbekannten Freunden. Diese Diversifizierung war sinnvoll: Ein Seedarlehen an einen Händler (wenn es sich bei Xuthos um einen solchen handelt) war auch deshalb riskant, weil bei einmaligen transaktionen die soziale kontrolle einer nahbeziehung fehlte. ein darlehen an einen freund oder engen Verwandten versprach hingegen niedrigere oder gar keine pekuniären Gewinne, dafür lag aber auch eine höhere moralische Bringschuld beim schuldner, das Geld zurückzuzahlen und sich bei späterer Gelegenheit zu revanchieren.218

213 Lotze (1990) 139; vgl. Is. 6. 33 f., 8. 35, 11. 41–43; Aischin. 1. 97 f.; vgl. den versteigerten Besitz in den Att. Stelen, Stele 6, z. 18–46, 63–73. 214 Demosth. 27. 9–11 und 33. Die Behauptung, dass dieses Vermögen einzigartig gewesen sei, so Finley (1951) 53–59 und Millett (1983) 52, erscheint kaum berechtigt, wenn man bedenkt, dass die kaufmännischen Vermögen, die bei Lys. 32. 4–7, Demosth. 38. 7 und 48. 12 f. und Lyk. 1. 21–24 erwähnt werden, einen Großteil der überhaupt bekannten Vermögen ausmachen und keiner ackerland erwähnt, obwohl dieses besonders ‚sichtbar‘ war. 215 Schmitz (2014) 121 f.; so bereits Weber (1999) 193 und 713. 216 Vgl. Xen. vect. 7–9; [Aristot.] oec. 1349b 18–27; s. Lys. 12. 9–11 für einen konkreten Notfall. 217 Zu Kreditgeschäften in Athen s. Millett (1991) 97–196; Cohen (1992) 54–60; Christesen (2003) 46–54. 218 Millett (1991) 109–159 hat die Bedeutung von Geldgeschäften unter Freunden und Verwandten herausgearbeitet, dies aber gerade als argument gegen ökonomische rationalität verwand.

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Die bunte Mischung, die große Vermögen in Athen häufig darstellten, ist demnach kein Zeichen mangelnder wirtschaftlicher Vernunft, wie manchmal angenommen wurde,219 sondern diente der streuung von risiken. Gerade weil die Verkehrswirtschaft nicht zu einem transparenten Markt integriert war, erhöhte Diversifizierung zudem die Wahrscheinlichkeit, Gelegenheitsgewinne (windfalls) zu realisieren, indem man auf allen Gebieten in der lage war, die chancen zu ergreifen, die sich durch unvorhergesehene ereignisse ergaben. max weber spricht von „Gelegenheitshandel“, um die Tätigkeit von Mitgliedern der Oberschicht zu beschreiben, die am Handel partizipierten ohne berufsmäßige Händler zu sein.220 die viele Zeit, die griechische Bürger auf der agora und in ladengeschäften im Gespräch verbrachten, war zugleich eine investition in wertvolle informationen darüber, wo sich die nächste günstige Gelegenheit zum Geldverdienen bieten werde.221 Dem Gelegenheitshandel großer Haushalte entsprach die Gelegenheitsarbeit kleinerer Haushalte. Je urbanisierter eine region war, desto mehr möglichkeiten boten sich, um den ertrag des eigenen ackers durch einkünfte aus lohnarbeit oder den Verkauf von in Hausarbeit gefertigten Waren zu ergänzen; Männer verdingten sich als ruderer oder Bauarbeiter, frauen als ammen oder marktverkäuferinnen.222 Für große und kleine Haushalte galt, dass der „Gelegenheitscharakter“ ihrer gewerblichen tätigkeiten dem Hausherrn dabei half, sich bei Bedarf von diesen tätigkeiten zu distanzieren, um einen ehrverlust zu vermeiden. ein mann, der für einen anderen arbeitete, konnte sich damit verteidigen, dass er bloß einen zeitweisen und nicht selbst verschuldeten finanziellen Engpass überbrücke, ohne sich in die „sklavische“ abhängigkeit zu einem einzigen lohngeber begeben zu haben.223 ein anderer entzog sich dem Vorwurf der wucherei, indem er betonte, dass er nur gelegentlich, nicht aber professionell Geld verleihe und eigentlich Händler sei.224 in einer Gesellschaft, die auf kommunikation unter anwesenden beruhte, zählte nämlich weniger, aus welchen Quellen man ein einkommen bezog, als vielmehr, wie erfolgreich man eine bestimmte soziale identität in der städtischen Öffentlichkeit vertreten konnte.225

219 Humphreys (1978) 154; Hopper (1982) 151 f. 220 Weber (1999, zuerst 1921) 193–195. 221 Foxhall (2007) 53: „If Greek householders could ever be considered ‚specialized‘ in any sense, it may have been as gatherers and evaluators of information.“ Vgl. Lewis (1996) 9–23, allerdings mit anderem fokus. 222 S. o. Anm. 76 und 115. 223 Xen. mem. 2. 8. 1–5; vgl. Demosth. 57. 45. 224 Demosth. 37. 52–54: der Angeklagte gehöre nicht zu jenen, οἳ τέχνην τὸ πρᾶγμα πεποιημένοι, ebd. 53. 225 Bereits Weber (1999, zuerst 1921) 196 f. hatte festgestellt, dass es vor allem die ostentative lebensführung war, die über den sozialen status entschied. in diesem sinne darf man es wohl wörtlich verstehen, wenn in Theben demjenigen der Zugang zu den Ämtern gewährt wurde, der sich für zehn Jahre „von der Agora ferngehalten“ habe. S. Aristot. pol. 3. 1278b 20–25; vgl. 6. 1321b 27–32.

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c) konvertierung Die Konvertierung von Kapital, das heißt der Einsatz materieller Güter zum Erwerb von Freundschaften, Ansehen und politischem Einfluss und ebenso umgekehrt der einsatz nicht-materieller Güter zu erwerbszwecken ist bereits en passant angesprochen worden. der mit luxus, freundschaften und Ämtern verbundene materielle aufwand ist aus sicht der umfassenden wirtschaft des Hauses keine Verschwendung, sondern eine Kapitalkonvertierung. der Haushalt erscheint geradezu als eine Verrechnungsstelle verschiedener kapitalformen. der ostentative konsum zielte auf die symbolische Ausblendung jeglichen ökonomischen Kalküls, war jedoch als solcher sorgfältig kalkuliert. Xenophon rät, edle Bekleidung und edles Geschirr getrennt vom alltäglichen Hausrat aufzubewahren und nur zu besonderen anlässen (z.B. Festen) zu verwenden. Die Abnutzung dieser wertvollen Besitztümer lohnte sich nur, wenn es ein Publikum von anwesenden gab, die den reichtum bezeugen konnten.226 Demokritos bringt es auf eine knappe Formel: „Sparsamkeit und Hunger sind nützlich; zum richtigen Augenblick aber auch Aufwand; dies zu erkennen ist sache eines tüchtigen menschen.“227 das soziale und symbolische kapital eines Haushalts war wichtig als eine art ‚Versicherung‘ für den fall, dass der materielle Bestand des Hauses gefährdet wurde. kleine Haushalte schützten sich vor dürre und Hunger,228 große vor politischen Risiken. Je größer das häusliche Vermögen wurde, desto weniger war jede weitere erworbene drachme wert, ihr Grenznutzen nahm ab. umgekehrt stieg mit dem reichtum die wahrscheinlichkeit, dass konkurrenten ihr ansehen oder ihren Einfluss nutzen würden, um diesen Reichtum zu schmälern oder zu erbeuten. Reiche Händler und metöken spendeten Geld oder auch sachgüter, um ansehen, Privilegien oder sogar das Bürgerrecht zu erwerben.229 sie hofften dabei auch auf rechtlichen schutz, der auch zum Vorteil ihrer erwerbsgeschäfte war. so erinnerte etwa der metöke und Händler chrysippos in einem Prozess über ein seedarlehen (um 327/6 v. Chr.) die Jury an seine großzügigen Spenden an die athenischen Bürger in der Vergangenheit.230 wir haben es hier mit sozialen aufsteigern zu tun, die ökonomisches kapital in symbolisches konvertierten. umgekehrt konnte die akkumulation von sozialkapital zumindest für gewisse Zeit vor dem abstieg schützen, wenn ein Haushalt in ökonomische schwierigkeiten geriet. der athener euxitheos war in seiner deme von der Bürgerliste gestrichen worden und legte beim Gericht in athen dagegen nun Widerspruch ein (um 345 v. Chr.). Euxitheos zufolge führten seine Gegner seine armut und die lohnarbeit seiner mutter als argument dafür an, dass sie keine 226 Xen. oik. 8. 7. Manche Athener liehen sich deshalb das Tafelgeschirr nur für besondere Anlässe. S. Theophr. char. 18. 7; Demosth. 49. 22–24. Vgl. die Klage über äußerlichen Luxus bei Isokr. 7. 54. 227 Demokr. Fr. DK 68 B 229: φειδώ τοι καὶ λιμὸς χρηστή· ἐν καιρῶι δὲ καὶ δαπάνη· γινώσκειν δὲ ἀγαθοῦ. Übers. Maria L. Gemelli Marciano. 228 Gallant (1991) 143–169. 229 Eich (2006) 249 f. Vgl. Engen (2010) insbesondere für Ehreninschriften. 230 Demosth. 34. 38 f.; vgl. 36. 57–59.

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Bürger seien.231 um seine Gegenargumente zu untermauern, bot euxitheos nicht nur seinen familienstammbaum auf, sondern setzte auch das ganze soziale kapital ein, das er und seine Familie in früheren Zeiten erworben hatten: Verwandte und Verschwägerte, Phratrien- und Genos-Genossen.232 die konvertierung materiellen reichtums in immaterielle kapitalien war gewissermaßen eine Ausweitung der Strategien von Akkumulation und Diversifizierung auf alle lebensbereiche. wer gegenwärtig einen Überschuss an arbeitskraft oder kapital nutzte, um nachbarn, freunden und Verwandten zu helfen, der akkumulierte moralisch gedeckte ansprüche auf Gegenhilfe.233 kleinere Haushalte tauschten Hausrat und Vorräte, reiche Haushalte profitierten von Dienstleistungen.234 Man spannte dabei weitläufige Netzwerke, um auch hier durch Diversifizierung risiken zu streuen, etwa dann, wenn streit innerhalb der Verwandtschaft ausbrach und man sich unter freunden Verbündete suchen musste. die annahme, dass ehre und freundschaften aus sicht der Hauswirtschaft „kapitalien“ waren, die den materiellen fortbestand des Hauses sicherten, bedeutet nicht, dass griechische Bürger nur instrumentell an ihnen interessiert waren.235 es bedeutet lediglich, dass langfristig nur diejenigen Haushalte ‚überlebten‘, deren sozialer konsum ihres Vermögens sich längerfristig auch materiell bezahlt machte. und auch ein Bürger, für den die ehre zunächst nur selbstzweck war, musste dieser tatsache rechnung tragen. d) autarkie? Warum war Autarkie gerade im 4. Jahrhundert ein vielbeschworenes Ideal, wenn doch, wie wir gesehen haben, nahezu alle städtischen Haushalte in ein dichtes netz von hausübergreifenden transaktionen eingebunden waren? wohl gerade deshalb. Denn Autarkie meinte nicht die absolute Abschließung nach außen, sondern Unabhängigkeit, die hauswirtschaftliche souveränität in der interaktion mit externen akteuren.236 autark zu sein bedeutete, den eigenen Haushalt nach eigenem willen und zum eigenen Vorteil zu führen, anstatt ganz oder teilweise von anderen Haushalten abhängig zu sein. Dieses Leitmotiv teilte der Kleinbauer mit dem Großgrundbesitzer, der kaufmann mit dem Handwerker. der weinbauer dikaiopolis, der in aristophanes’ komödie Die Archarner (425 v. Chr.) auftritt, verflucht zwar den städtischen

231 Demosth. 57. 32–36. 232 Ebd. 38–40 und 45 f. 233 Gallant (1991) 143–169. Vgl. Xen. mem. 2. 4–6; Kyr. 8. 2. 20–22, wo die „Investition“ in freundschaften mit unverhohlen ökonomischer sprache thematisiert wird. 234 Vgl. z.B. Aristoph. Eccl. 446–450; Theophr. char. 4. 14; Demosth. 53. 4. 235 weil die stabilität von treu- und nahbeziehungen auf persönlichem Vertrauen beruht, ist es gerade für deren ökonomischen nutzen entscheidend, dass das ökonomische kalkül aus der Kommunikation ausgeschaltet bleibt. S. Esser (2000b) 253. 236 Horden / Purcell (2000) 151; vgl. Foxhall (2007) 56. In diesem Sinne heißt es gar bei Aristot. pol. 6. 1321b 14–17 „kaufen und verkaufen“ (τὰ μὲν ὠνεῖσθαι τὰ δὲ πωλεῖν) auf dem Markt, sei das „verfügbarste Mittel“ um Autarkie zu erzielen (τοῦτ᾽ ἐστὶν ὑπογυιότατον πρὸς αὐτάρκειαν).

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markt und sehnt sich zurück aufs land, wo er nichts zu kaufen braucht.237 das ist freilich nicht das ende der Geschichte. denn was dikaiopolis verärgert, ist nicht der markt an sich, sondern die für ihn ungünstigen Bedingungen von kriegsbedingter teuerung und seine einseitige abhängigkeit von den Verkäufern. den frieden nutzt er sogleich, um einen markt mit Händlern aus megara und theben abzuhalten, auf dem er die Regeln bestimmt und jetzt selbst die Notlage anderer ausnutzen kann. Der Chor kommentiert: „Hier macht dir keiner Konkurrenz und kauft dir weg die Waren“ (οὐδ᾽ ἄλλος ἀνθρώπων ὑποψωνῶν σε πημανεῖ τι).238 Die Preise für Grundnahrungsmittel (vor allem Getreide) schwankten enorm, je nachdem wie die ernte gewesen oder ob gerade ein Handelsschiff in den Hafen eingelaufen war.239 Deshalb hatte es nicht bloß Prestigegründe, wenn reiche Aufsteiger land kauften. das Ziel dabei war nicht, sich gänzlich vom markt abzuschotten, sondern vielmehr in ein profitables Verhältnis zu einem Markt zu treten, auf dem das Angebot notorisch unberechenbar war, die Nachfrage dabei jedoch ziemlich unelastisch. Hier erhält die devise „billig kaufen, teuer verkaufen“240 ihre eigentliche Bedeutung: Wer über ein eigenes Landgut verfügte, konnte sich (im Gegensatz zur städtischen unterschicht) vor den Preisschwankungen schützen oder sogar von ihnen profitieren, wenn er Getreide hortete und portionsweise verkaufte.241 e) skaleneffekte Wir sind damit bei den spezifischen Skaleneffekten der antiken Hauswirtschaft angelangt. Die Wirtschaftslehre versteht unter positiven Skaleneffekten (economies of scale) Effizienzsteigerung durch Vergrößerung des Betriebs. Heutzutage haben Unternehmen häufig dann einen Wettbewerbsvorteil durch ihre Größe, wenn es um hochspezialisierte und technologieintensive massenproduktion geht, weil sie bei gleichen fixkosten höhere Produktionsmengen realisieren können. Griechische Haushalte erfüllten diese Bedingungen nicht, waren sie doch gerade nicht spezialisiert. Gleichwohl genossen große Haushalte spezifische Wettbewerbsvorteile in der konkurrenz um Gewinn und ehre. eine ausdifferenzierte arbeitsteilung setzte genügend Personal voraus: Nur reiche Haushalte waren dazu in der Lage, dem Ideal der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu genügen242 oder ihre sklaven, entsprechend Demokritos’ Ratschlag, „wie ihre Körperglieder“ für jeweils eine spezifische Aufgabe einzusetzen.243 alle Haushalte setzten zwar die gleichen stra237 238 239 240

Aristoph. Ach. 32–36. Ebd. 719–928, das Zitat in 842. Übers. Ludwig Seegers. S. o. S. 114. Vgl. Xen. mem. 2. 10. 4, laut dem die „guten Hauswirte“ raten, dass man kaufen solle, „wenn man etwas von Wert billig erstünde“ (οἱ μέντοι ἀγαθοὶ οἰκονόμοι, ὅταν τὸ πολλοῦ ἄξιον μικροῦ ἐξῇ πρίασθαι, τότε φασὶ δεῖν ὠνεῖσθαι). Das ist umso bemerkenswerter, als in 3. 7. 6 die Marktleute als Personen charakterisiert werden, „die billig kaufen und teuer verkaufen wollen“ (φροντίζοντας ὅ τι ἐλάττονος πριάμενοι πλείονος ἀποδῶνται). 241 Gallant (1991) 133–142; Halstead (2002) 53–70, der auch die sich hieraus ergebenden zirkulären Verschärfungen der Ungleichheit zwischen kleinen und großen Haushalten beschreibt. 242 Scheidel (1990) 407–409; Hartmann (2002) 121–125. 243 Demokr. fr. DK 68 B 270.

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tegien ein, größere Haushalte jedoch mit größeren Erfolgschancen. Akkumulation setzte voraus, dass man überhaupt Überschüsse produzierte und über lagerungsmöglichkeiten verfügte. Diversifizierung setzte hinreichend umfangreichen Besitz und die Möglichkeit zur Pflege weit gespannter Netzwerke voraus.244 konvertierung schließlich setzte voraus, dass überschüssiges Geld verfügbar war, das man in freundschaften und ansehen investieren konnte. weil die Hauswirtschaft weder wirtschaftlich noch sozial spezialisiert war, gab es für Haushalte keine produktionsspezifische Betriebsgröße,245 sondern es hieß: je größer, desto besser. Dabei wirkten sich Erfolge in einem Bereich auf alle Bereiche vorteilhaft aus, weil der mechanismus der konvertierung langfristig ökonomisches kapital in symbolisches transformierte und umgekehrt. unterbrochen wurde dieser sich selbstverstärkende Prozess einer zunehmenden ungleichheit nur durch die sozialen und politischen Konflikte, die desto wahrscheinlicher waren, je schärfer Statuskonkurrenz und soziale ungleichheit wurden. Politische fehden als auch regelrechte Bürgerkriege führten immer wieder zur Vernichtung oder umverteilung akkumulierter Vermögen, auch ganz ohne revolutionären impetus.246 letztlich stellte aber auch die materielle Vernichtung gegnerischer Haushalte oder die Bereicherung auf ihre kosten nur ein besonders drastisches mittel der statuskonkurrenz dar, die in letzter Konsequenz ein Nullsummenspiel war.247 IV. FAZIT: PFADABHÄNGIGKEITEN dieser aufsatz vertritt eine Gegenthese zu der annahme, dass die Hauswirtschaft zwangsläufig primitiv gewesen sei. Es wurde argumentiert, dass die Hauswirtschaft gerade durch die ausweitung der monetären Verkehrswirtschaft noch an Bedeutung gewann, weil der Haushalt die primäre Organisation gewerblicher Tätigkeiten blieb. Wieso konnte eine Organisationsform, deren institutionelle Grundlagen unter den Bedingungen bäuerlicher dorfgemeinschaften entstanden waren,248 diese rolle spielen? wir haben es hier mit einer pfadabhängigen entwicklung zu tun.249 die 244 Osborne (1987) 36–46; Foxhall (2007) 57. 245 Wenn die eigentlichen „Inputs“ der Produktion bereits optimal eingesetzt sind (also Abläufe und Technologie nicht mehr optimiert werden können), vergrößert sich die Produktionskapazität nur noch linear, während die relativen kosten von Verwaltung und kontrolle sich aufgrund der Überdehnung potenzieren, was die marginale Produktivität des Gesamtunternehmens senkt. Vgl. Coase (1937) 393–397; Williamson (1983) 133–136. 246 dass man Bürgerkriege auch um des Gewinns willen führte, resp. um Verlust zu vermeiden, war ein Gemeinplatz. S. nur Thuk. 3. 82. 8; Antiph. fr. B 1. 2; Lys. 18. 17; Plat. rep. 4. 422e–423a; Aristot. pol. 5. 1302a 32–34. Dazu auch Eich (2006) 543–555. 247 Pomeroy (1994) 221: „The competition for honour is a ‚zero-sum‘ game: the enemy’s loss is his opponent’s gain.“ Zur ökonomischen theorie der statuskonkurrenz als nullsummenspiel s. Hirsch (1977) 15–54. 248 Schmitz (2004) 149–248. 249 Gemeint ist eine evolutionäre Entwicklung, bei der eine für sich genommen effizientere Institution nicht eingeführt wird, weil die kosten und risiken ihrer einführung sehr hoch sind im Vergleich zur Adaption und Beibehaltung bereits vorhandener Strukturen. North (1990) 98.

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ausweitung der hauswirtschaftlichen tätigkeitsbereiche weit über den eigenen Hof hinaus erforderte im besonderen Maße Kontrolle, Vertrauen und Wissen („Humankapital“). mittel also, welche die häusliche kooperation zwischen eheleuten, Verwandten und Hausgenossen ohnehin bereitstellte. deshalb war es auch bei kommerziellen tätigkeiten viel kostengünstiger, auf die etablierten strukturen des Haushalts zurückzugreifen, anstatt theoretisch effizientere Organisationsformen neu zu erfinden, für die weder praktisches Wissen noch soziale Akzeptanz vorhanden war. nicht jeder Haushalt wird die neuen möglichkeiten genutzt haben. manch ein Hausvater wird nicht fähig oder willens gewesen sein, seine individuelle Hauswirtschaft an die neuen Opportunitäten und Restriktionen anzupassen. In der Summe aber fand im Verlauf des 4. Jahrhunderts eine strukturelle Konvergenz von grundbesitzenden und kaufmännischen Haushalten statt: Die einen diversifizierten ihre Vermögen in richtung Gewerbe, die anderen kauften land und strebten nach politischen ehren.250 eine entscheidende rolle bei der anpassung der Hauswirtschaft an die Verkehrswirtschaft kam offenbar der kaufsklaverei in den urbanisierten regionen zu. die sklaverei ermöglichte es, essentielle transaktionen in das Haus hinein zu verlagern und dort Humankapital zu akkumulieren, was die kontrolle über abhängige arbeit und die flexibilität bei der Güterallokation erhöhte. im unterschied zu den europäischen städten des mittelalters fehlten deshalb in den antiken griechischen Städten die wirtschaftlichen Anreize, um Organisationen wie Handelsgesellschaften oder Gilden weiterzuentwickeln; deren primäre Errungenschaften – Vertrauen, Kontrolle und Wissen – waren bereits durch das Haus gesichert. insofern ist die dominanz der Hauswirtschaft in der tat ein Grund dafür, dass die antike wirtschaft vormodern blieb. allerdings nicht, weil sie die entwicklung und ausweitung einer monetären Verkehrswirtschaft gehemmt hätte, sondern umgekehrt, gerade weil sie für die teilnahme an einer solchen wirtschaft ein allzu kostengünstiges Vehikel war, um strukturelle innovationen für den einzelnen akteur attraktiv zu machen.

250 Rostovtzeff (1955) 888–898; Davies (1981) 68–72; Cohen (1992) 87–90. Die gleiche Konvergenz ist in vielen mittelalterlichen Städten ebenfalls zu beobachten. S. o. Anm. 9 und 11.

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Aspekte der trAnsformAtion

ChrematistisChe Poetik mentale haushaltsführung in Geoffrey Chaucers Traumvisionen1 Wolfram R. Keller Im späten 14. Jahrhundert war das, was heute begrifflich als „Wirtschaft“ gefasst werden würde, ein kontroverses thema. als Beispiel dafür mag John Bampton herhalten, dessen Versuch, am 30. mai 1381 in Fopping fällige kopfsteuern für das Königshaus einzutreiben, letztlich mit zum „Bauernaufstand“ (der sog. Peasants’ Revolt) führte – ein aufstand, bei dem es streng genommen weniger die Bauern, sondern die sozial und wirtschaftlich besser gestellten müller waren, die sich gegen das hohe Steueraufkommen auflehnten. Die Empörung über die hohe Besteuerung aufgrund des Kriegs mit Frankreich und über den exzessiven höfischen Prestigekonsum manifestierte sich in offener rebellion gegen das königshaus: richard ii. musste im tower of London schutz suchen; kanzler und schatzmeister der krone wurden im Verlauf des aufstands getötet.2 Die Great Revolt, wie sie etwas vorsichtiger in neueren Geschichtswerken bezeichnet wird, war nur ein symptom für die Probleme mit der königlichen Wirtschaftslenkung im späten Mittelalter, zu denen beispielsweise auch die hohen Kredite gehörten, mit denen Londons Kaufleute zunehmend die Krone finanzierten, was zu einer intensiven Aushandlung der Beziehungen zwischen königlichem Haushalt, Aristokratie und Kaufleuten führte. Auch die Fluktuation des Geldwerts wurde als Problem wahrgenommen. Fragen hinsichtlich der königlich-höfischen Haushaltsführung und der Natur des Geldes sowie der Legitimität von Zugewinn, insbesondere des sich aus Wucher speisenden Profits, waren zentral in einer in verschiedenen Diskursen geführten Debatte über die „Wirtschaft“, in der die aristotelische Unterscheidung zwischen oikonomia und chrēmatistikē, in welcher Form sie auch immer (direkt oder indirekt) im spätmittelalterlichen england tradiert wurde, einen wichtigen Bezugspunkt bildete.3 Die folgenden Ausführungen zeichnen nach, wie sich die Unterscheidung von oikonomia und chrēmatistikē in literarischen Werken der Zeit spiegelt bzw. in welcher Weise Autoren die höfischen Versuche der Aufrechterhaltung von proportional-reziproken Praktiken der haushaltsführung, der moderation des handels und der Beschränkung auf „natürlichen“ Zugewinn literarisch repräsentieren bzw. infrage stellen. Viele autoren des 14. Jahrhunderts waren direkt von aristokratischen haushalten oder vom königlichen haushalt selbst abhängig – und sie zelebrierten 1 2 3

Für hilfreiche Anregungen und Kommentare danke ich Iris Därmann, Sandra Ghose, Andrew James Johnston, Colin king, Verena Lobsien und thomas skowronek. Für eine kurze Zusammenfassung siehe Kluxen (1991) 108–110. Zur Zentralität des Hauses im mittelalterlichen „Wirtschaftsdenken“ sowie zum Antagonismus von Haus- und Geldwirtschaft, siehe Brunner (1956); Oexle (1988); Starkey (1981).

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zumindest oberflächlich Formen der reziproken Hauswirtschaft (beispielsweise in der Fürstenspiegel-Tradition oder in spätmittelalterlichen Romanen). Der Fokus auf Aspekte der Haushaltsführung bzw. der Geldwirtschaft ist nicht nur Werken gemein, die sich direkt mit Fragen des Zugewinns oder handels befassen, sondern findet sich auch in Texten, die auf den ersten Blick weniger mit der Welt der Wirtschaft zu tun haben, z.B. in spätmittelalterlichen traumvisionen. in traumvisionen des 14. und 15. Jahrhunderts werden Fragen der Haus- und Geldwirtschaft adaptiert, um damit den Wert literarisch-historiographischer Arbeit bzw. der Zirkulation literarischen ruhms zu bestimmen und somit auch die Position des literarisch-historiographischen Diskurses zwischen den sich voneinander weg bewegenden Welten der reziproken hauswirtschaft und der Geldwirtschaft auszuloten. im besonderen Maße ist dies in Werken Geoffrey Chaucers der Fall. Der „Vater“ der englischen Dichtung durchlief eine steile Karriere, von bescheidenen Anfängen in höfischen Randpositionen bis hin zu Schlüsselstellungen in der englischen Wirtschaftsverwaltung: er arbeitete u.a. als staatlicher kontrolleur für die abgabe der steuern aus Wollexporten (das wichtigste Exportprodukt Englands) und war am Ende seiner karriere verantwortlich für die Bauprojekte der krone. Die Einbindung von Terminologie und Praktiken der Haushaltsführung sowie der Handels- und Finanzwelt in Chaucers Werken ist bei einem Dichter, der mit einem Fuß im königlichen Haushalt und mit dem anderen in der Welt des Handels stand, nicht weiter verwunderlich; und hinsichtlich der hauptwerke Chaucers, für die Canterbury Tales und Troilus and Criseyde, ist dies auch Gegenstand literaturwissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Im Folgenden geht es jedoch weniger um die terminologischen Bezugnahmen Chaucers, sondern um die dichterische aneignung der genannten Praktiken zum Zwecke der Verhandlung poetologischer aspekte, insbesondere um die Frage, wie sich literarische Autorschaft in einer Welt konfligierender Wirtschaftsformen modellieren lässt. Thematisiert werden soll nicht die direkte Darstellung von Haushaltsführung oder geldwirtschaftlichem Gewinnstreben, die beispielsweise in Chaucers Merchant’s Tale besonders eindringlich vorgeführt werden. Vielmehr steht die Art und Weise im Vordergrund, in der Wirtschaftsfragen der Zeit sich buchstäblich im Hirn des Dichters manifestieren. meine leitende these ist, dass sich in Chaucers traumvisionen eine fortwährende Beschäftigung mit der mentalen Arbeit des Dichters bezeugen lässt, da Gedichte wie House of Fame oder The Parliament of Fowls dem Publikum neuro-psychologische Modelle der Arbeit der Hirnventrikel des Dichters vorstellen. Dabei stellt Chaucer die Arbeit der Kammern des Hirns in Form von Gebäuden (Tempel, Palast, Korbgeflecht) und deren Formen der Bewirtschaftung dar. Hierbei scheint es allerdings vorzugsweise die Misswirtschaft des seelenhaushalts zu sein, die so etwas wie ästhetisch-literarischen mehrwert generiert, der wiederum hervorgeht aus mit dem Zinswucher enggeführten imaginationsleistungen. als Beispiel hierfür muss vor allem das House of Fame gelten – eine allegorische traumvision, die fortlaufend den Status dichterischer Arbeit mitreflektiert. Hier werden epistemologische Fragen synchron zu ökonomischen Fragen verhandelt, wobei letztere die transformation des königlichen Haushalts im Lichte der wachsenden Wirtschaftsleistung (erhöhter Geldumlauf, unstete Geldwerte und Zinswirtschaft) mit Blick auf die

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„Schatztruhe des Gedächtnisses“ nachzeichnen. Konkret verhandelt das House of Fame mithilfe der kommerzialisierung eines im schreibprozess begriffenen hirnapparats die Verortung von Dichtung und Dichter in einer von Dynamik und Fluktuation geprägten Wirtschaftswelt, während die in Anschlag gebrachten, verschiedenen Formen der Bewirtschaftung letztlich zu einer Neubewertung der in den hirnventrikeln ablaufenden kognitiven Prozesse der sinneswahrnehmung, der Beurteilung und des Erinnerns führen. Damit stellt Chaucer den nachfolgenden Dichtergenerationen einen „ventrikular-ökonomischen“ Rahmen bereit, innerhalb dessen sich die Stellung des Dichters vor dem Hintergrund veränderter Wirtschaftsformen immer wieder neu positionieren muss. Bevor jedoch die Bewirtschaftung des mentalen haushalts im House of Fame in den Blick genommen werden kann, müssen zunächst die wirtschaftlichen Veränderungen im england des 14. Jahrhunderts betrachtet werden (I). Danach wende ich mich den imaginationstheoretischen Grundlagen für die mentale Arbeit in Chaucers Traumdichtung (II) zu und zeichne dann die Reise des Dichters durch seinen chrematistisch transformierten Hirnapparat nach (III). i Die wirtschaftlichen Veränderungen im England des 13. und 14. Jahrhunderts werden in der Forschung immer wieder als Phase einer „kommerziellen Revolution“ diskutiert.4 Ob Chaucers Zeitgenossen die Veränderungen in der Welt der Wirtschaft tatsächlich auch als „Revolution“ wahrgenommen haben, ist schwer abzuschätzen, aber im Laufe seiner bereits kurz skizzierten karriere nahm Chaucer sicherlich wahr, dass sich der Wandel in ökonomischen Praktiken in der Entwicklung neuer administrativer Verfahren niederschlug, die teilweise seine arbeitsbereiche direkt betrafen, insbesondere wohl zu der Zeit, in der er für die abgaben aus dem Wollexport verantwortlich war, der zum großen Teil auch den Krieg gegen Frankreich mitfinanzierte. Wie Joel Kaye ausführt, stieg die Wirtschaftsleistung nach den schweren Pestjahren in der mitte des 14. Jahrhunderts wieder sehr schnell an, und es zirkulierte immer mehr Geld, nicht zuletzt auch aufgrund des ebenfalls stärker wachsenden insular-kontinentalen Handelsaufkommens. Dadurch, dass monetäre und kommerzielle Werte alle Lebensbereiche durchdrangen und letztlich alles in Geldwerten gemessen wurde, wuchs auch in der breiteren Öffentlichkeit das Bewusstsein, dass der Geldwert eben nicht fixierbar war, sondern ständigen Schwankungen unterlag. Geld war zunehmend aufgrund seiner anscheinend arbiträren Wertigkeit und durch die nachgeordneten Probleme des „gerechten“ Austauschs ein besonders diskussionswürdiges Medium. Die Moralisten warnten zwar immer wieder vor der Glorifizierung des Geldes und vor dem Gewinnstreben der Menschen, aber das Geld war nichtsdestotrotz das Maß aller Dinge geworden.5 Was Kaye zu4 5

Kaye (1998) 1; s. ferner Britnell (1996) 155–227. Kaye (1998) 17: „The commercial habit of measuring and calculating in monetary terms was extended to all manner of things. […] Despite the fervent warnings of moralists, money was becoming the measure of all things.“ Auch Diana Wood kommt zu dieser Überzeugung: „The

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folge die Menschen besonders beunruhigte, war die doppelte Natur des Geldes: einerseits wurde Geld als erfolgreiches instrument wahrgenommen, um wirtschaftliche Ordnungen zu schaffen sowie Preise und Werte auszutarieren. Andererseits war es aber auch ein element, das genau diese ordnung korrumpierte und pervertierte.6 so sehr die krone sich auch mühte, den Geldwert konstant zu halten und der Entwertung des Geldes entgegenzuwirken: Der illegale Geldmarkt widerstand jedem Eingriff von außen und diktierte letztlich den Münzprägestätten den Wert des Geldes. Im 14. Jahrhundert entwickelte sich dabei in diesem Umfeld der zunehmenden kommerzialisierung des Lebens ein Verständnis des marktgeschehens im sinne eines dynamischen und sich selbst regulierenden systems – auch in den sozialen sphären, die nicht direkt anteil am handelsgeschehen hatten.7 einer der Gründe für die ausprägung eines breiten Bewusstseins für diese Verschiebung war Kayes Meinung nach vorwiegend die Geldpolitik der Krone, die häufig den Geldwert änderte und dies naturgemäß öffentlich zu tun hatte, so dass sich ein breites Bewusstsein für die Geld-Problematik entwickelte.8 auch die scholastik beschäftigte sich mit der moralischen Bewertung von Haus- und Geldwirtschaft (die sich realiter natürlich nicht trennscharf gegenüberstehen), beispielsweise in der kommentierung des fünften Buches der aristotelischen Ethik bzw. in den anfangskapiteln der Politik – eine auseinandersetzung mit Aristoteles mit besonderem Interesse an den Äußerungen zur (doppelten) Natur des Geldes bzw. der Funktion der Hauswirtschaft. In unterschiedlicher Weise erarbeiteten beispielsweise albertus magnus und thomas aquinas relativistische und dynamische Konzeptionen eines „gerechten Preises“. Aristoteles folgend wurde festgehalten, dass Geld letztlich jedwede Werte darstellen könne, wobei Geld vorwiegend die Bedürftigkeit bzw. den Bedarf messe. Daraus entwickelte sich in der Scholastik ein dreiteiliges Modell: Zunächst definiert sich der Wert auszutauschender Güter darüber, wie sehr sie notwendig sind bzw. nachgefragt werden. Geld bemisst sodann die Nachfrage in Form des Preises, der so mathematisch vergleichbar wird. Dies wiederum ermöglicht die Vergleichbarkeit diverser Güter, was in letzter Konsequenz bedeutet, dass der Wert von Objekten nicht ihnen selbst zu eigen ist. In der Formulierung Kayes: „Economic value continually changes relative to changing need. This conception of price is essentially dynamic and relativistic.“9 Im höfischen Bereich und in der königlichen Finanzverwaltung begegnete man solchen

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mathematics of the soul and the tendency to view sacred things in terms of economic exchange were reflections of the progressive dominance of the marketplace and its dynamics in medieval society. At the heart of this was money.“ Wood (2002) 69. Kaye (1998) 18. Siehe auch Beer (1938) 36: „Still, the double aspect of money […] gave rise to much confusion, since man is apt to mistake the outward appearance for the essence of reality. the civil lawyers and schoolmen, based on aristotle, formulated the rule Nummus non est à natura, sed à lege. the confusion became worse confounded through the debasement, deterioration and clipping of the coinage which went on in mediaeval and early modern times, and which caused appearance and reality, denomination and intrinsic value, more and more to diverge.“ Kaye (1998) 20 f., 25. Kaye (1998) 27 f. Kaye (1998) 49.

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dynamisch-relativistischen Modellen als Lösung des Wertproblems offiziell mit skepsis, wenngleich sich die scholastik – vermutlich mit Blick auf die sozialen Implikationen – durchaus dem Vokabular höfischer Hauswirtschaft anpasste und sich bemühte, das dynamische Wertesystem mit traditioneller Hauswirtschaft zu synthetisieren.10 Demnach wurde wirtschaftlicher Austausch hier im Sinne proportionaler reziprozität verstanden, die als Grundform des gesellschaftlichen austausches die Gemeinschaft zusammenhalte: „[E]conomic exchange is governed by proportional reciprocity, and that […] reciprocity forms the basis of the civitas. […] society in this scheme is literally held together by the equation of goods and services in the process of exchange.“11 am relativistischen system wurde als besonders problematisch empfunden, dass dieses sich selbst regulierte, ohne dass es des Eingriffs von Autoritäten bedurfte. Darüber hinaus legte Aristoteles’ Politik eben auch genau die Probleme dar, welche die veränderten Wirtschaftsbedingungen seit den Pestjahren auf die Spitze trieben. Während in der Ethik Geld ganz pragmatisch als ein adäquates mittel des austausches, des ausgleichs und der herstellung ökonomisch-sozialer ordnung erscheint, wird in der Politik zwischen natürlichem und künstlichem reichtum, zwischen oikonomia und chrēmatistikē differenziert: „The accumulation of the necessities, which is morally good, is considered part of Oikonomia, ‚the household art.‘ Money and artificial wealth are the object of ‚wealthgetting,‘ or Chrematistics, which is both unlimited and morally disregarded.“12 Auch wenn Geld keinen intrinsischen Wert habe, stehe in der Bewertung der Menschen Geld an oberster stelle. als ein gesetzlich festgelegtes maß müsse der Geldwert fixiert werden, aber anstelle dessen multipliziere und wuchere Geld, gebäre sich auf unnatürliche Weise selbst: „The desire for natural riches is not infinite: because they suffice for nature in a certain measure. But the desire for artificial wealth is infinite, for it is the servant of disordered concupiscence, which is not curbed, as the Philosopher says.“ Zugewinn werde so als Produkt entgrenzter Begierde und nicht als ein natürlich begrenztes mittel zum Zweck verstanden.13 Es ist müßig zu spekulieren, ob Chaucer mit den scholastischen Debatten bezüglich der Natur des Geldes im 14. Jahrhunderts vertraut war. Aber sicherlich sind ihm die sehr gegensätzlichen Praktiken des wirtschaftlichen handelns zu hofe und bei Londons Kaufleuten kaum verborgen geblieben – die hauswirtschaftliche und kommerzielle Terminologie, die Chaucers Werke durchzieht, belegt dies eindrücklich. Chaucer wird kaum entgangen sein, dass sich der königliche hof im Lichte der marktpraktiken Londons immer mehr veränderte und letztlich kaum mehr dem ideal einer traditionellen hauswirtschaft entsprach, so sehr jener auch nach außen versuchte, einen solchen eindruck zu vermitteln; dies bildet sich vor allem in der höfischen Literatur der Zeit ab, in der proportionale Reziprozität als höchstes Gut

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Die Spannungen zwischen divergenten städtischen und höfischen Wirtschaftsformen werden (allerdings ohne Rückgriff auf die genannte aristotelische Differenzierung) u.a. auch diskutiert in Fradenburg (1991) 3–19. Kaye (1998) 49, 51. Das Neves (2000) 650, bezugnehmend auf (1987) 231. Aquinas (1947) I–II 2. 1. 3. Siehe ferner das Neves (2000) 653.

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dargestellt wird und die Praktiken der oikonomia zelebriert wurden.14 Demgegenüber kommt Elliott Kendall zu dem Schluss, dass die „radikale Einseitigkeit“ von zur schau gestellter Generosität in den Jahren nach der Pest reziproke Prozesse des Austauschs innerhalb der höfischen Welt letztlich aushöhlte, weil hier keinerlei Verpflichtungen gegenüber dem Nehmer ausgebildet wurden. Die Hierarchien und Wege der Reziprozität seien so immer mehr ausgehöhlt und durch einseitige Wirtschaftspraktiken ersetzt worden.15 Der königliche Haushalt wurde zunehmend in das Londoner marktgeschehen mit seinen chrematistischen handels- und Finanzpraktiken eingebunden. Nebenbei sei erwähnt, dass Chaucer aufgrund seiner Tätigkeiten mit einigen der einflussreichsten und reichsten Akteuren in ebendiesem Wirtschaftsleben persönlich vertraut war, wie beispielsweise mit John Pecche, adam de Bury und richard Lyons.16 Diese – und andere reiche Kaufleute der Stadt – gewährten der krone kredite, die so hoch verzinst waren, dass der hof immer tiefer in die Verschuldung abglitt, ohne freilich von problematischen Praktiken wie dem Prestigekonsum abstand zu nehmen, unter anderem wohl auch, um die ländliche aristokratie zu befrieden, die selbstredend mit skepsis auf den schnellen sozialen aufstieg neureicher Kaufleute schielten. In der Unfähigkeit, die Zinslast zu tragen, wurden die Steuern der Kaufleute reduziert, so dass Beamte wie Chaucer wohl nicht selten mit Kaufleuten in Kontakt kamen, die keinerlei oder sehr viel weniger Steuern abzuführen hatten. Die Krone wandelte sich: Aus einem am ökonomischen Vorbild des haushalts orientierten system wurde ein volkswirtschaftliches element, das sich vom Handel finanzierte und die Inflation in die Höhe trieb. Dass sich die wirtschaftlichen Entwicklungen des ausgehenden 14. Jahrhunderts terminologisch und konzeptionell in Chaucers Dichtung widerspiegeln, ist im Lichte Chaucers professioneller Tätigkeit und höfischen Anbindung nicht erstaunlich. Die Chaucer-Forschung hat dabei vor allem die Canterbury Tales und Troilus and Criseyde in den Blick genommen. Der zwischen den einzelnen (der Welt des handels entstammenden) erzählern der Canterbury Tales herrschende Wettbewerb ist beispielsweise im Kontext wirtschaftlicher Rivalität gelesen worden („quiting“), und nicht wenige Erzählungen werden als bewusste Darstellungen der Sphären des handels, des kommerzes und des marktplatzes diskutiert – als orte, an denen eine auf gerechten Austausch ausgerichtete Gemeinschaft zunehmend unter Druck geriet.17 Die Erzählungen der in der Wirtschaftswelt stehenden Charaktere wurden darüber hinaus als Indiz für Chaucers kleinbürgerliche Haltung („bourgeois identity“) interpretiert.18 Kürzlich hat David Carlson Chaucers Arbeitswelt neu in den Blick genommen und ist zu dem Schluss gekommen, dass seine Dichtung homolog 14 15 16 17

Kendall (2008) 9–27; s. ferner Uhlig (1973); Heal (1996); Smith (2003). Kendall (2008) 18–27. Siehe u.a. Wallace (1997) 188–190. Shoaf (1983) 167 f. Zu Chaucers Bezugnahmen auf wirtschaftliche Praktiken in den Canterbury Tales sind zahlreiche Einzelstudien erschienen; siehe hier stellvertretend Bertolet (2013). 18 Siehe Patterson (1991) 322–366. Für Patterson ist Chaucers Dichtung eine „kommerzielle Dichtung“: „Chaucerian poetry does indeed, profoundly and even self-consciously, embrace the ideology of commerce. But it embraces it through an act of dehistoricization, representing it not as a specific historical form of social life but as life itself“ (366).

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zu seiner Arbeit zu lesen und er als „Handlanger“ des Staatsapparats zu sehen sei, der zuvörderst darauf bedacht gewesen sei, die herrschende ordnung zu stützen. Bei Chaucer handle es sich somit um einen „privileged official place-holder. Prone to violence, including rape, assault, and extortion, the poet was employed first at domestic personal service and subsequently at police-work of various sorts, protecting the established order during a period of massive social upset“ – ein Bild, das viele Chaucer-Forscher sicher mit Unbehagen zurücklässt.19 Die folgenden Äußerungen sind allerdings weniger von direkten Engführungen von Arbeits- und Dichterwelt geleitet, sondern denken ausführungen von richard shoaf zu Chaucers Auseinandersetzung mit Dante hinsichtlich der Wertigkeit der Sprache weiter. Shoaf argumentiert, dass Dichter der „Essenz“, denen Shoaf – nicht ganz unproblematisch – Chaucer und Dante zurechnet, automatisch Liebesdichter sein müssten, die wiederum Dichter des Geldes („poets of money“) seien. Dantes Divina Commedia wie auch Chaucers Troilus and Criseyde werden hier als Werke von „Geld-Dichtern“ verstanden, die vorführen, dass keine Person oder Sache außerhalb von Austauschprozessen etwas darstellen oder sein könne. an arbeiten von marc shell zu konzeptionellen Überschneidungen von Geld und Literatur anknüpfend20 sieht Shoaf Chaucer und Dante als Autoren, die sich intensiv dem Problem unnatürlichen Zugewinns widmen, da sie vor allem die Probleme fokussieren, die entstehen, wenn Geld nicht mehr als mittel zum Zweck gesehen, sondern zum selbstweck wird und sich damit eine Begierde ohne externe referenzpunkte entfacht und lediglich selbst akkumuliert – eine entkoppelung und entwertung, die gleichgesetzt wird mit exzessivem, selbst-referentiellem literarischen Sprachgebrauch: „Both poets, committed to community and communication, do not want to see the means to community and communication become ends in themselves; among other casualties were this to happen would be poetry, the sapience of man, the means which is supremely meaning and meaningful.“21 eine die verschiedenen mentalen Bewirtschaftungsformen in den Blick nehmende Lektüre von Chaucers traumvisionen legt letztlich allerdings einen anderen Schluss nahe. Zugespitzt formuliert, erheben diese Werke, vor allem das House of Fame, ausgerechnet den Zinswucher zum modus operandi poetischer Arbeit, einhergehend mit einer grundlegenden Neubewertung von den kognitiven, epistemologischen Prozessen, die dichterischer tätigkeit allererst zugrunde liegen. ii im Verlauf seiner karriere schrieb Chaucer mehrere traumvisionen, angefangen mit dem Book of the Duchess und dem House of Fame bis hin zu einem am ende seiner karriere noch einmal überarbeiteten Prolog zur Legend of Good Women – ein spätes traumgedicht, in dem Chaucer mit einer bibliographischen retrospektive aufwartet und dabei auch eine retrospektive Bewertung seines chrematistisch-poe19 20 21

Carlson (2004). Shell (1978; 1982). Shoaf (1983) 239, 241.

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tischen Programms vorlegt.22 Zu Beginn seiner Karriere übersetzte der Dichter auch den Roman de la Rose, die mittelalterliche traumvision schlechthin. allen Traumvisionen gemein ist ein Interesse an der Natur der Dichtung und an Konzeptionen literarischer autorschaft. im House of Fame und dem Prolog zur Legend of Good Women zum Beispiel wird in längeren Passagen die Dichtung Chaucers zum Gegenstand einer fiktiven (negativen) Beurteilung durch weltliche oder mythologische Autoritäten. Darüber hinaus sind alle Traumvisionen Chaucers an erkenntnistheoretischen Problemen interessiert, einerseits hinsichtlich der Rolle antiken Wissens für die korrekte Auslegung von Träumen (einschließlich der Träume des Dichters selbst) und andererseits in Bezug auf kognitive Prozesse, die kreativer und interpretatorischer arbeit zugrunde liegen. Gleich zu Beginn des House of Fame fragt beispielsweise der Protagonist Geffrey mit Blick auf Macrobius’ Kommentar des Scipio-Traums (Somnium Scipionis), wie denn träume überhaupt entstünden, welche arten von träumen es gebe und wie sie zu deuten seien. schnell allerdings gibt der träumer seine suche nach antworten auf und überantwortet die hermeneutische Arbeit dem Publikum, als wolle er sagen „entscheidet doch Ihr, was das von mir Berichtete wohl bedeutet“.23 Die Sorge, über die potentielle Unmöglichkeit, überhaupt zur wahrhaften ausdeutung von träumen zu gelangen, ist aber auch noch einmal sehr viel tiefer in die textur der traumdichtung Chaucers eingebettet, nämlich auf einer imaginationstheoretischen ebene, die letztlich den träumen vorgeschaltet ist. Die literaturwissenschaftliche Forschung hat sich besonders in den letzten Jahren noch einmal intensiver mit der Rolle von Bildgebungsprozessen (Ekphrasis) und mit den vielen Bezugnahmen auf operationen des imaginierens und erinnerns befasst, die auch in den folgenden ausführungen im Vordergrund stehen. Dabei ist am Rande bereits beobachtet worden, dass Chaucers Traumdichtung, wie die hochmittelalterliche traumdichtung allgemein, immer wieder auch den hirnapparat – d.h. die drei kammern der Imaginatio, Logica und Memoria – zur Darstellung bringt; die Protagonisten erleben also eine traumreise durch eine mentale Landschaft.24 in den meisten arbeiten bleibt es allerdings bei der Feststellung, dass die traumvisionen die drei hirnkammern repräsentieren, ohne dass auf die art und Weise Bezug genommen wird, wie in der Darstellung die mit den Hirnkammern assoziierten kognitiven Prozesse transformiert werden. Ganz wesentlich scheint mir hierbei zu sein, dass die hirnventrikel, die in der Form von Gebäuden dargestellt werden, bestimmten Formen der Bewirtschaftung unterliegen. im idealfall läuft die mentale Verarbeitung entlang traditioneller Haushaltsführung ab: Die oft zu Beginn einer traumreise bei den Protagonisten vorherrschende konfusion löst sich im weiteren Verlauf der Reise in Wohlgefallen auf und endet nach einer Reihung reziproker austauschprozesse mit einer transzendentalen erfahrung, die ordnung schafft oder zumindest einen einblick in göttliche ordnung bietet.25 in

22 23 24 25

Siehe Keller (2014b). Siehe Terrell (1997); Ruffolo (1993); Amtower (2000) 128–142. Für „Ventrikel-Reisen“ allgemein, siehe v.a. Lynch (1988). Für Chaucer siehe Edwards (1989); Lynch (2000) 62 f.; Hoffman (2004); Keller (2014a). Lynch (1988) 11–19, 46–76; Elliott (2013).

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Chaucers Traumdichtung jedoch wird erprobt, wie sich Dichtung ausnimmt, der eine chrematistische Bewirtschaftung der hirnkammern zu eigen ist. im House of Fame reist der Protagonist Geffrey durch seine drei hirnventrikel, die physiologisch und funktional so beschrieben werden, wie dies in der medizinischen und philosophischen Fakultätenlehre der spätantike und des mittelalters der Fall ist (beispielsweise bei Galen, Razes, Haly Abbas, Avicenna). Was die Funktionen der drei Hirnkammern im Detail betrifft, so kommen die verschiedenen Autoritäten jeweils zu geringfügig unterschiedlichen meinungen, was allerdings für die nachfolgende Diskussion nicht weiter entscheidend ist.26 relevant für die folgenden ausführungen ist, dass die physiologische Beschreibung des in drei kammern gegliederten hirnapparats weithin bekannt war, in der Form etwa, wie es in der weit verbreiteten enzyklopädie De proprietatibus rerum des Bartholomäus anglicus beschrieben ist – ein Werk, das im 14. Jahrhundert, zeitlich wohl nach Chaucers Abfassen des House of Fame, von John trevisa ins englische übersetzt wurde. Der Denkapparat ist demnach in drei Kammern unterteilt. Die erste Kammer, so Bartholomäus, ist die der imagination, in der die sinneseindrücke gesammelt werden, ohne dass diese geordnet oder zusammengesetzt werden. Die mittlere kammer ist die der Logik, die von der Fähigkeit des Beurteilens und Zusammensetzens beherrscht wird. Die dritte Kammer ist das Gedächtnis, die Fähigkeit/Tugend des Erinnerns. Diese Fähigkeit nimmt in der Schatzkammer des Hirns diejenigen Dinge auf, die von der Imagination wahrgenommen und von der Logik erkannt wurden: the innere witte is departid aþre by þre regiouns of þe brayn, for in þe brayn beþ þre smale celles. þe formest hatte ymaginatiua, þerin þingis þat þe vttir witte apprhendiþ withoute beþ i-ordeyned and iput togedres withinne, vt dicitur Johannico I. þe middil chambre hatte logica þerin þe vertu estimatiue is maister. þe þridde and þe laste is memoratiua, þe vertu of mynde. þat vertu holdiþ and kepiþ in þe tresour of mynde þingis þat beþ apprehendid and iknowe bi þe ymaginatif and racio.27

Die Arbeitsweise der drei Ventrikel wird im Folgenden spezifiziert. Diejenigen Dinge, die von der Fähigkeit der Imagination geformt und „imaginiert“ wurden, werden von dieser nachfolgend in den Bereich der Ratio überführt. Das, was die Ratio dann von der Imagination aufgenommen hat, wird von der Ratio als „Richter“ bewertet und der Fähigkeit des Erinnerns übereignet. Dieses Vermögen empfängt das Verstandene und „speichert“ es unverändert im Gedächtnis ab, bis sich dieses Wissen wieder in Werken und Taten manifestiert: what þe vertu ymaginatif shapiþ and yamgineþ he sendiþ hit to the doom of resoun. What resoun fongiþ of þe ymaginatiue, resoun demeþ hit as iuge and sendiþ hit to the vertu of mynde. Þe vertu of mynde fongiþ what is [demed in] vndirstondinge and kepeþ it and saueþ it stedefastliche forto he bringe it forþ in acte and in dede.28 26 27 28

Zur mittelalterlichen Hirn- und Imaginationstheorie siehe Bundy (1927); Wolfson (1935); Harvey (1975); Lobsien / Lobsien (2003) 11–35; Carruthers (2008). Seymour (1975) I 98. Das Wort vertu, das an dieser stelle die kognitive Fähigkeit des erinnerns bezeichnet, konnotiert gleichzeitig auch „moralische Qualität“ oder Tugend und unterstreicht damit die Wichtigkeit dieser Kammer (Middle English Dictionary, Online Ausgabe, s.v. vertu). Seymour (1975) I 107.

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in seinem House of Fame reist Geffrey durch diese drei Ventrikel, die – in rückbezug auf antike konzeptionen des seelenhaushalts – architektonischen räumen entsprechen und bestimmten Formen der Bewirtschaftung unterliegen. anders gesagt: Chaucer bildet kognitive Prozesse als Praktiken des haushaltens bzw. des austauschs zwischen verschiedenen Haushalten ab. Dabei bringt das Gedicht zeitgleich (und sich überlagernd) Aspekte und Transformationen der Haushaltsführung, der Funktionsweise der drei Ventrikel und der dichterischen arbeit zur anschauung, mit Konsequenzen für alle drei Diskurse. All dies vollzieht sich in einer Traumvision und somit in einem sonderfall kognitiver arbeit, da beim träumen die Funktionsweise des Wahrnehmungsapparats, insbesondere der zweiten Kammer, eingeschränkt ist. Beim träumen ist die Fähigkeit des ordnens und einordnens suspendiert und führt somit zu einer bunten Durchmischung von Gedächtnisinhalten und noch aus dem tagesgeschäft vorhandenen Bildern. auf der rezeptionsebene des traums wird dem Publikum somit die ordnende, hermeneutische Funktion übereignet: Die Zuhörer oder Leser müssen für die Ordnung sorgen, die sich dem Träumer nicht erschließt. auf der darunter liegenden ebene der erzählung selbst hingegen wird jedoch ein „normaler“ Ablauf der kognitiven Informationsbearbeitung vorgeführt, in dem die vom Träumer im ersten Buch „gesehenen“ Dinge in den nachgeordneten beiden Büchern bzw. hirnkammern von jeweils höherwertigen, kognitiven Vermögen verarbeitet werden. iii Geffreys traumreise beginnt, nachdem er in der einleitenden anrufung der hoffnung ausdruck verleiht, dass allen das widerfahren möge, was ihnen zustehe – eine bestenfalls ironische hoffnung auf reziprozität, wenn man bedenkt, dass die Traumreise des Dichters kaum eine Gelegenheit auslässt, Praktiken des reziproken Austausches zu unterlaufen. Im eigentlichen Traum befindet sich Geffrey zunächst in einem Venus-Tempel. Der Träumer beschreibt nun ausführlich das, was er im Tempel sieht und hört. Die vielen Bezugnahmen auf Prozesse der Sinneswahrnehmungen sind dabei ein erstes indiz dafür, dass sich der träumer im hirnventrikel der Imagination befindet. Im Vordergrund steht Geffreys Verwirrung über die Geschichte, die er im Venus-tempel zu sehen und hören bekommt, die ihn dann am ende des ersten Buchs dazu bewegt, die Frage zu stellen, was denn das Gesehene und Gehörte wohl zu bedeuten habe. Als Erstes fällt Geffrey ein großes Wandbild ins auge, das offensichtlich die Aeneis bildlich nacherzählt. angefangen mit einer volkssprachlichen Übersetzung des ersten Satzes der Aeneis (wohlgemerkt mit Geffreys bescheidenem Zusatz, er wisse nicht, ob er überhaupt in der Lage sei, das Gesehene gut zu beschreiben) wird der inhalt des vergilischen epos bis zu dem Punkt wiedergegeben, an dem aeneas in karthago landet und die Liebesgeschichte von Aeneas und Dido erzählt wird. Fortan überlagert sich das, was Geffrey sieht, mit dem, was Geffrey hört. er sieht nach wie vor die abbildung der aeneis, hört aber gleichzeitig die Wehklage der Dido, wie sie in Ovids Heroides feilgeboten

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wird.29 Noch problematischer als die sich überlagernden Sinneseindrücke ist, dass beide Texte zu anderen Bewertungen der Taten des Aeneas (in Bezug auf Dido) kommen. Just an dieser Stelle hört der Träumer Dido Dinge sagen, die weder in der ovidischen noch in der vergilischen tradition überliefert sind – eine rede, für die, um mit Geffrey zu sprechen, keinerlei (antike) Autorität bürgen kann: „Non other auctour alegge I“ (1. 314). Die Überlagerung verschiedener Bilder in Geffreys erstem Hirnventrikel führt somit zu einer Neuschöpfung, die sich – und dies erscheint mir besonders wichtig – sogleich der Sprache des Kommerzes bemächtigt. Die Generierung neuen poetisch-historischen Wissens wird hier in einen poetologisch-wirtschaftlichen Kontext gesetzt, wenn Dido fragt, ob Männer denn stets neue Frauen bräuchten bzw. warum aeneas drei Frauen benötige: 1) eine Frau für die Vermehrung seines ruhmes, wobei Dido an dieser Stelle sich selbst zu meinen scheint und mit „magnyfying“ ein Wort verwendet, das u.a. auch den aus Zinswucher erwachsenden Profit benennt; 2) eine Frau für Freundschaftsdienste (vermutlich Venus); und 3) eine Frau für das, was im Gedicht als „synguler profit“ bezeichnet wird und einerseits so etwas wie „persönliches Wohlbefinden“ meint, aber andererseits kommerziellen, ja sogar imperialen Zugewinn konnotiert, wenn bedacht wird, dass hier Lavinia gemeint ist (1. 301–310). Mit der in Anschlag gebrachten Terminologie („magnyfycation“, „synguler profit“) wird im Kontext der Frage nach Reputation offen Bezug auf die Welt der Chrematistik genommen: Didos Selbstmord spielt Aeneas’ in der Folgezeit immer weiter erhöhten ruhm in die hände; ihr Verlust an ehre sei damit sein Profit, schlussfolgert Dido. Geffreys nachfolgende Aufforderung, das Publikum möge Vergil oder Ovid hinsichtlich der Bewertungen solcher „Investitionen“ befragen, unterstreicht, dass das ethische Problem sogleich auch ein historiographisch-literarisches ist, da Dichter – Vergil, Ovid, aber eben auch Chaucer – ihren Ruhm durch das Tradieren der Dido-Geschichte bzw. über Erzählungen von verlassenen Frauen erhöhen. Und prompt listet Geffrey zahlreiche andere, von Männern schamlos ausgenutzte und verlassene Frauen auf, denen erstere oft ihren ruhm überhaupt erst zu verdanken haben. Das erste Buch des House of Fame führt den träumer in den haushalt seiner imagination ein, in dem sich überlagernde sinneseindrücke unterschiedliche oder gar gegensätzliche Wertungen evozieren. An der Schnittstelle widersprüchlicher Versionen der Dido-Episode entsteht neues Wissen, das den Träumer in tiefe Verwirrung stürzt, nicht nur, weil der Träumer das Wissen keiner Autorität zuschreiben kann (es entstammt buchstäblich seiner Imagination), sondern auch, weil das neue geschichtlich-literarische Wissen eine brisante poetologisch-ethische Fragestellung aufwirft – nämlich die hinsichtlich der Intervention bzw. Investition des Dichters in das Schicksal männlichen Ruhm schaffender Frauen. Um eine Beurteilung, letztlich um eine erinnerungskulturelle „Ver-Ortung“, dieser konfusen Bilderwelt ringend, verlässt der Träumer den Tempel. Allerdings findet sich auch außerhalb des Venus-tempels keinerlei anhaltspunkt, der bei der erklärung der Vorgänge im Bereich der Imagination helfen kann. Der Tempel befindet sich nämlich inmitten einer 29

Für die Gegenüberstellung von Vergil und Ovid an dieser Stelle siehe auch Fyler (1979) 33.

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Wüste, die mit der Rat- und Erklärungslosigkeit des Träumers korrespondiert. Schließlich flammt dennoch die Hoffnung auf, dass die konfusen Imaginationsbilder von einer Autorität erklärt werden. Denn ein riesiger Adler fliegt auf Geffrey zu, schließt ihn in seine Klauen und fliegt mit ihm in den Himmel empor, gewissermaßen mit dem sich aus der Dido-Episode speisenden Investitionswissen im Gepäck. Intertextuelle Anspielungen rücken Geffreys Reise in die Nähe anderer Himmelsschauen, vor allem der Reise des Scipio Africanus (Somnium Scipionis) bzw. der Aufwärtsbewegung der aus dem Boethius bekannten gefiederten (platonischen) Gedanken (Consolation of Philosophy).30 Vor dem hintergrund solcher reisen ist die Hoffnung geweckt, dass die konfusen Sinneseindrücke aus dem ersten Buch/der ersten Hirnkammer im Folgenden erläutert werden. Dies wird unterstrichen durch das eintreten in die zweite hirnkammer, was zu Beginn des zweiten Buches direkt thematisiert wird: Der Träumer wendet sich hier dem Denken („thought“) als Inspirationskraft zu, das seine Erfahrung in die Schatzkammer seines Hirns („tresorye“) abgelegt hat – nun gelte es zu sehen, ob das „Vermögen des Denkens“ in der Lage sei, den Traum qua seiner Ingenuität und Kraft („engyn“, „myght“) richtig zu erzählen: „O Thought, that wrote al that I mette, / And in the tresorye hyt shette / Of my brayn / now shal men se / Yf any vertu in the be / To tellen al my drem aryght. / Now kythe thyn engyn and myght“ (2. 523–528). Das zweite Buch repräsentiert also diejenige kognitive Fähigkeit, die eigentlich verwirrende sinneseindrücke ordnen, bewerten und zuordnen können sollte. Der sprechende Adler, der mit Geffrey nun höher und höher in den Himmel steigt, scheint zunächst auch ein guter „Steuermann“ zu sein. Er erläutert zunächst, dass die Reise dem Zweck der weiteren (poetischen) Ausbildung Geffreys diene: „for thy lore and for thy prow“ (2. 579). Dabei konnotiert „prow“ nicht nur einen Zugewinn von Wissen, sondern vor allem auch monetären Zugewinn. Erneut kommt es zu einer (für den weiteren Verlauf des Gedichts typischen) Engführung von Dichtung und kommerziellem Profit. Der Adler erklärt weiterhin, er handele im Auftrag Jupiters, der Geffrey für seine poetischen Dienste für Cupido und Venus sehr zu schätzen wisse, wodurch noch einmal auf die vorangehende Zusammenfassung der Aeneis verwiesen wird, insbesondere die hier zentral verhandelte Vermehrung von Aeneas’ und Venus’ Ruhm, die jetzt implizit als Jupiters’ Investment in Geffrey erscheinen muss. Jupiter will Geffrey helfen, indem er ihm Zugriff auf eine größere Menge von Erzählungen („tidings“) gewähren möchte, auch solchen, die eine weite reise hinter sich haben, was wohl in erster Linie auf Chaucers kontinentale Quellen zielt. Vermutlich sind aber auch Geschichten aus Chaucers direkter Nachbarschaft gemeint, die er – das ist die Kritik des Adlers bzw. Jupiters an Geffreys Dichtkunst – nicht genügend zur Kenntnis nehme. Wenn er von seinen Berechnungen („rekenynges“; ein Begriff, der auch Chaucers arbeit im Zollamt treffend beschreiben würde) nach hause käme, dann nur, um sogleich wieder seinen Kopf in die Bücher zu stecken (2. 647–660). Dessen ungeachtet ist Jupiter dankbar für Geffreys hingabe zu Cupido und will sich deshalb, eingekleidet in die sprache 30

Geffrey allerdings bleiben die höheren Sphären verwehrt, in die Boethius’ „gefiederte Gedanken“ oder Scipio Africanus vordringen. Für Parallelen mit Boethius’ Consolatio siehe Fyler (1979) 46; für Chaucers Parodie des Somnium Scipionis siehe Keller (2014a) 115 f.

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proportionaler Reziprozität intellektuell und finanziell erkenntlich zeigen. Auf die – mit den mit der zweiten hirnkammer assoziierten kognitiven Fähigkeiten einhergehende – Bewertung der Dichtung Geffreys folgt also eine Belohnung, die das Wissensdefizit des Träumers ausgleichen soll. Denn in Anerkennung der Intention seiner Arbeit werde Geffrey jetzt mit einer Reise in die Welt der Fama entlohnt, bei der es sich letztlich um nichts anderes als des Träumers Gedächtnis handelt: „In som recompensacion / Of labour and devocion / That thou hast had, loo causeles, / To Cupido the rechcheles. / And thus this god, thorgh his merite, / Wol with som maner thing the quyte“ (2. 665–670). Als Gegenleistung für seine Erhöhung des Aeneas erlangt Geffrey jetzt Wissen darüber, wie das narrative Rohmaterial literarischer Arbeit (Tidings) entsteht und wie es in der Welt verbreitet wird. Er werde eine große menge an Tidings in Ansicht nehmen, vor allem werde er mehr Unwahrheiten sehen, als es Sand in der Wüste gebe: „grenynes ne of sondes“ (2. 691),31 womit Bezug genommen wird auf die im ersten Buch erwähnte Wüste, die sich nun als ein selbst-reproduzierendes Feld literarischer Novellierung in den Bereich des Gedächtnisses einschreibt, dem ethisch und kognitiv wichtigsten Gedächtnisraum. Das Wissen, das Geffrey nachfolgend bezüglich der Tidings erlangt, muss zwangsläufig die Erwartung auf eine sinnvolle Einordnung der Sinneseindrücke aus dem Venus-Tempel dämpfen. Denn die Tidings, die der Träumer auf dem Weg ins reich der Fama beobachtet, sind einem Prozess der ständigen Vergrößerung und Vermehrung unterworfen – „Thurgh hys multiplicacioun“ (2. 784) – und machen dabei einen ohrenbetäubenden Lärm. Nur durch diesen (begrifflich mit kommerziellen Praktiken kurzgeschlossenen Prozess der selbstmehrung) erläutert der adler weiter, können die Tidings überhaupt in die Welt der Fama vordringen. Ferner erklärt er, dass die sich vergrößernden und aus sich selbst vermehrenden Narrateme im Bereich der Fama die Gestalt der Personen annehmen, die sie in die Welt gesetzt haben, was den Übergang von der zweiten Hirnkammer in die dritte antizipiert, in der die bewerteten Sinneseindrücke bildhaft gespeichert werden. Der im dritten Buch evozierte Gedächtnisraum ist dabei in zwei disparate Bereiche untergliedert, denen letztlich aber analoge Formen des (chrematistischen) Bewirtschaftens zugrunde liegen. Neben dem die Arbeit des künstlichen Gedächtnisses repräsentierenden Palast der Fama steht ein Korbgeflecht, das bereits von seiner Architektur her unstrukturierter erscheint und offenbar die arbeit des natürlichen, unsystematisch arbeitenden Gedächtnisses darstellen soll. Der Palast der Fama, den der Träumer zuerst betritt, repräsentiert über seine architektonische Beschaffenheit die arbeit des künstlichen Gedächtnisses, dessen Funktionsweise in verschiedenen, aus der Antike überlieferten Schriften (v.a. Ciceros De oratore, Quintilians Institutio und Ad Herennium) beschrieben und im Mittelalter weithin bekannt war. Das Erinnern erfolgt diesen und anderen mittelalterlichen mnemotechnischen schriften zufolge am besten mithilfe architektonischer metaphern, beispielsweise häuser, kirchen oder Gartenanlagen, in denen Informationen/Bilder in spezifischen Orten durch Illumination hervorgehoben werden können. Die hohe Wertschätzung von Gedächtnisleistungen drückt sich dabei oft zusätzlich in Vergleichen mit schatztruhen oder 31

Siehe hierzu auch Edwards (1989) 102.

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Portemonnaies aus, die über unterschiedliche Fächer für Gold- oder Geldstücke verschiedener Größen und Wertigkeiten verfügen. Ebenfalls antiken Quellen entnommen ist die allegorische ausdeutung von poetischer Gedächtnisarbeit, z.B. der Vergleich Letzterer mit der Arbeit von Bienen, die Honig von verschiedenen Pflanzen sammeln („florilegia“), um sie dann in den Waben abzulegen. (Und Geffreys hirn, dies sei am rande bemerkt, brummt, den umhereilenden Tidings sei Dank, lautstark vor sich her und erinnert so einerseits an das summen der Gedächtnis-Bienen, entspricht aber andererseits auch der Geräuschkulisse mittelalterlicher schreibstuben, in denen die mönche auswendig zu lernende Passagen halblaut vor sich her sprechen).32 im dritten Buch betritt Geffrey nun also, wie bereits im Prolog zum zweiten Buch angekündigt, die schatztruhe seines Gedächtnisses, in dem die herumfliegenden Tidings als monetäre Werte eingeführt werden, deren Platzierungen bzw. Wertzuschreibungen in diesem mentalen Raum völlig arbiträr abzulaufen scheinen. Geffreys Gedächtnis, in dem die Tidings nicht nur arbiträr bewertet werden, sondern darüber hinaus auch immer weiter vor sich hin „wuchern“, führt eine Form des missmanagements vor, das ästhetisch nicht nur die Genese des Gedichtes selbst repräsentiert; die hier praktizierte, chrematistische misswirtschaft wird darüber hinaus zu einem poetischen Programm erhoben. Der erste Blick, den Geffrey auf Famas Palast wirft, offenbart bereits den eher chaotischen Zustand seines Gedächtnisses. Zunächst nimmt der träumer das Fundament des Palastes wahr: auf der sonnenabgewandten seite des aus eis bestehenden Fundaments sind die Namen berühmter Menschen eingeritzt; auf der Sonnenseite aber – korrespondierend mit der Wärme, die oftmals mit der Arbeit der Imagination assoziiert wird – schmelzen die Namen nur so dahin.33 Der Träumer kann allerdings keine Gesetzmäßigkeit ausmachen, nach denen diese Form des erinnerns und Vergessens funktioniert, und bewertet das Fundament bestenfalls als wackelig – „feble fundament“ (3. 1132). Während er sich dem Palast nähert, nimmt der träumer eine schier unendliche Zahl von musikern wahr, die alle gleichzeitig ihre instrumente benutzen; die entstehende kakophonie, die Vermehrung dieser Tidings führt das Gedicht u.a. mit einer nicht enden wollenden aufzählung der musiker und ihrer Instrumente vor. Aber auch im Palast herrschen Unruhe und Disharmonie. hier wird Geffrey unzähliger Tidings gewahr, die die Gestalt vieler menschen aus der ganzen Welt angenommen haben; und sie alle drängen zu Fama, von der sie ein Urteil verlangen, das auf proportionaler Reziprozität beruht: Sie fordern guten Leumund für gute (poetisch-historiographische) Werke (s.u.), sie beanspruchen ihren Platz in Geffreys (kulturellem) Gedächtnis. Dass es sich tatsächlich um eine Darstellung der dritten kammer des hirns handelt, wird an dieser stelle erneut architektonisch-topographisch unterstrichen: Der Palast entspricht nicht nur einer gotischen Kathedrale, sondern die mentale Schatzkammer wird weiter ausstaffiert. So sieht Geffrey nun, dass die Wände des Palastes dick mit Gold ausgelegt sind, von 32

33

Für die mittelalterliche Gedächtnisarbeit generell, siehe Yates (1966) 63–113. Für die o.g. Metaphern für die „Wertigkeit“ von Gedächtnisarbeit, siehe v.a. Carruthers (2008) 89–98, 279 f. Für Chaucers Repräsentation des „künstlichen“ Gedächtnisses, siehe Rowland (1975); Edwards (1989) 114. Edwards (1989) 113.

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dem sich zu wenig in seinem Portemonnaie, dafür aber augenscheinlich zu viel in seinem Hirn befindet. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass es eben nicht nur Gold ist, sondern das Gold venezianischer Dukaten, also einer kommerziell wichtigen Handelswährung: „To tellen yow that every wal / Of hit, and flor, and roof, and al / Was plated half a foote thikke / Of gold, and that nas nothyng wikke, / But for to prove in alle wyse / As fyn as ducat in Venyse, / Of which to lite al in my pouche is“ (3. 1343–1349). Unter „pouche“ versteht man dabei einen sacculus, einen Ledersack mit verschiedengroßen Fächern für unterschiedliche münzgrößen. erneut kommt es zu einer Vermischung ethisch-moralischer und kommerzieller Wertigkeiten, die im Lichte der Unordnung bzw. der ständig wechselnden Zuordnung in Geffreys hirn einen problematischen status annimmt. Die sich implizit andeutende Kommerzialisierung von Geffreys Gedächtnis wird in einem nächsten schritt ergänzt von einer nicht minder problematischen Arbitrarität in der Zuordnung von Wertigkeiten. Als Nächstes bezeugt der Träumer nämlich die ruhmvergabe der Fama, die keinerlei optimistische aussicht auf die gerechte Vergabe von Reputation und Ehre bietet. Basierend auf Vergils Darstellung der Fama, die im Kontext der Verbreitung des Ruhms von Aeneas und Dido eingeführt wird, changiert die Größe von Chaucers Göttin zwischen mickrig klein und riesig groß – wie auch schon bei Vergil ist sie monströs, deformiert und titanisch (3. 1365–1376; Aen. 4. 249–252). Die Vergabe von Ruhm selbst hinterlässt dann keine Zweifel mehr am Unterlaufen von Reziprozität. Die erste Gruppe nähert sich Fama, deren Umfeld sich wie ein Wochenmarkt ausnimmt und formuliert die Erwartung proportionaler Reziprozität: Sie verlangen von Fama („paye“) guten Leumund, den ihre guten Werke („werkes“) auch rechtfertigen: „In full recompensacioun / Of good werkes, yive us good renoun“ (3. 1557–1558). Dieser Wunsch wird ihnen jedoch verwehrt: Fama gibt keinen Laut von sich, so dass zukünftig niemand kenntnis von diesen menschen hat, von denen Geffrey aber sehr genau weiß, dass ihnen ein guter ruf eigentlich zustünde. auch bei den folgenden acht Gruppen urteilt Fama arbiträr: einige bekommen die reputation, die ihnen zusteht, andere wiederum gehen ungerechterweise leer aus. Fama verfährt somit wie Fortuna, die das Gedicht auch direkt mit Fama in Verbindung bringt – „as her suster, dame Fortune“ (3. 1547). Aber es kommt noch schlimmer. Nachdem Geffrey Zeuge der arbiträren Ruhmvergabe der Fama geworden ist, wendet er sich dem bereits erwähnten Korbgeflecht zu. hier irren die Tidings ziellos umher und werden dabei fortwährend größer, was dieses Mal terminologisch als „encres“ gefasst wird und damit u.a. materiellen Profit und Wucher konnotiert. Dies ist eingedenk der literarischen Vorlage für das Korblabyrinth problematisch: Die Beschreibung nimmt Bezug auf ein sehr ähnliches Gebäude, das orosius als das Labyrinth der Geschichtsschreibung ersinnt.34 Bei den umherfliegenden Tidings im Korbgeflecht handelt es sich daher um nichts Geringeres als um das poetisch-historiographischer Arbeit zugrundeliegende Wissen. Und dieses ist nicht nur charakterisiert von unnatürlicher, dem Wucher gleicher Vermehrung (wie sie Geffrey ja auch schon zuvor begegnet ist), sondern die Tidings 34

Siehe Patterson (1991) 99–102.

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im Korbgeflecht führen darüber hinaus auch vor, in welcher Form historisches Wissen durch unnatürliche Verbindungen generiert wird. Geffrey sieht nämlich, wie zwei Tidings gleichzeitig an eine Öffnung gelangen, durch die sie nicht nebeneinander passen. Die Tidings sind gezwungen zu entscheiden, wer denn nun als erstes das Korbgeflecht verlassen darf. Es kommt ein Vertrag zustande: Die Tidings werden sich miteinander verschmelzen – und zwar auf eine Art und Weise, die es keinem menschen je ermöglichen wird, sie später auseinanderzuhalten. sie werden eins: „We wil medle us ech with other, / That no man, be they never so wrothe, / Shal han on [of us] two, but bothe / At ones“ (3. 2102–2104). Terminologisch evoziert „meddling“ u.a. das Kombinieren verschiedener Metalle, wie dies beim Münzgeld der Fall war und markiert somit erneut das einfallen kommerzieller Praktiken in kognitionstheoretische Diskurse. Besonders brisant an der entstehenden Mixtur ist, dass es sich um ein Hybrid aus Lüge und Wahrheit handelt – „Thus saugh I fals and soth compouned“ (3. 2108). Während sich derartige Tidings, die nicht nur das resultat eines wucherhaften Prozesses der selbstgenerierung sind, sondern darüber hinaus auch noch eine ethisch nicht unproblematische Verbindung von Wahrheit und Lüge darstellen, sodann auf dem Weg zu Fama befinden, um dort ihre Reputation zu beziehen, muss dem Publikum wie auch dem träumer klar werden, dass das der Dichtung zugrundeliegende historiographisch-poetische Wissen immer schon einem Prozess von Multiplikation, Wucher und Re-Kombination unterworfen war, in dem die Frage der Wahrheit bestenfalls nebensächlich ist. Dies wiederum lässt allerdings Famas arbiträres handeln rückwirkend in einem anderen, plausibleren Licht erscheinen: Wenn Unwahrheiten und Wahrheit schon immer aktiv solch unheilige allianzen eingegangen sind, dann ist es letztlich egal, welche Form von Management oder Missmanagement die Gedächtnisarbeit betreibt. Wenn Wahrheit immer schon als substanz abgekoppelt ist von ihrer erscheinung, dann ist das einzige System, das fähig ist, Bedeutung und Wert zu generieren, ein solches, das die dynamischen Prozesse, die dem Prozess der Generation von Tidings inhärent ist, repliziert und weiter tradiert. mehr noch: insofern das Gedicht selbst Produkt der beschriebenen chrematistischen Praktiken ist und rückwirkend die sich selbst generierende Dido-Aeneas-Episode legitimiert, werden Wucher und Arbitrarität letztlich zu einem historiographisch-poetischen Programm erhoben. auch das ende des Gedichts – in den beiden relevanten manuskripten bricht es unvollendet ab35 – ist von dieser Warte aus geradezu plausibel: Das Gedicht endet mit dem Erscheinen eines „Mannes mit großer Autorität“ („man of gret auctorite“, 3. 2158), der aber lediglich in der Ferne sichtbar bleibt bzw. bleiben muss, da der hirnapparat des Dichters sich bereits abseits ordnender Autoritäten neu „kalibriert“ hat. Chaucers House of Fame führt eine Bildungsreise vor, in deren Verlauf Geffrey die Verarbeitung von poetisch-historiographischem Wissen in den drei Ventrikeln des Dichterhirns mitverfolgt. Die erwartete, auf Hierarchie abgestellte Ordnung der Sinneserfahrung des Dichters gemäß den Prinzipien der oikonomia wird dabei konterkariert von chrematistischen Praktiken, von mentalem Wucher und unnatürlicher Multiplikation, von der (bewussten) Dislozierung der „Schätze“ des Gedächtnisses 35

Siehe Burrow (1991).

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und des tradierten Wissens. Diese chrematistische Infiltration des dichterischen Haushalts bedingt aber noch eine weitere Transformation, nämlich die Neubewertung imaginationstheoretischen Wissens – zumindest für eine Form der historiographisch-dichterischen arbeit, deren anliegen augenscheinlich nicht die repräsentation von Transzendenzerfahrung ist. Wie es sich für einen mittelalterlichen Dichter gehört, findet Geffrey in seinem Gedächtnis die Rohmaterialien historiographisch-literarischer arbeit im sinne der klassischen inventio vor. aufgrund der erkenntnis, dass tradiertes Wissen immer in Transformationen begriffen ist, die letztlich arbiträre Bewertungen bedingen (können), projiziert Geffrey die normalerweise der Imagination zugeordneten Phänomene des Wucherns in den dritten Hirnventrikel des Gedächtnisses, dessen vorherrschende hierarchisierende ordnungsstrategien sich zugunsten eines dynamischen Modells der Wissensorganisation auflösen. Damit geht die Aufwertung der Leistung der Imagination gegenüber dem Vermögen des Erinnerns einher, nämlich die Wertschätzung des chrematistischen Wuchers als Grundlage historiographisch-poetischer Innovation.36 Das Gedicht markiert somit die imaginationstheoretische Fundierung eines historiographisch-literarischen Programms, das umfängliche Neudeutungen antiken und zeitgenössischen Wissens ermöglicht, wie beispielsweise die Neubewertung der Handlungen der Criseyde in Chaucers Liebesroman Troilus and Criseyde. Für die traumdichter des 15. Jahrhunderts, deren leeres Portemonnaie ein ständiges Anliegen in ihren ökonomisch-fiktionalen Werken ist, eröffnet Chaucer somit Einblicke in eine Literatur, deren hauptanliegen die multiplikation der imagination zum Zwecke ihrer selbst ist, einhergehend mit ihrem metaphorischen oder eben auch tatsächlichen mehrwert. Zumindest aber wirkt Chaucer auf eine chrematistisch-konjugierte Ventrikular-Poetik hin, die Dichter des 15. Jahrhunderts vor die Aufgabe stellt, die Fülle ihrer imagination in die Fülle ihre Portemonnaies umzusetzen, während gleichzeitig der schein traditioneller oikonomia aus Gründen des subsistenzerwerbs gewahrt werden musste.

36

Das Besondere bei Chaucer und nachfolgenden Dichtern ist die Adaption der problematischen Aspekte von Imagination für Gedächtnisarbeit. Für die ambige Stellung der Imagination (erste Stufe der Erkenntnis vs. epistemologischer Fehlerquelle), siehe v.a. Lynch (1988) 26–42. Zum Problemkomplex innovativer Gedächtnisarbeit siehe v.a. Carruthers (2008) 1–17.

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Wolfram R. Keller

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Temporalisierung der oikonomia leon Battista albertis Della famiglia Helmut Pfeiffer

Ô le vilain et sot estude, d’estudier son argent, se plaire à le manier et recomter! (montaigne, De la vanité)

i. oikonomia und chrēmatistikē noch mitte des 18. Jahrhunderts war es üblich, von drei disziplinen der praktischen philosophie zu sprechen: ethik, Ökonomie, politik. so entwirft Christian Wolff eine philosophia practica universalis, der er die Teildisziplinen philosophia moralis, oeconomica und philosophia civilis zuordnet. seit der kantischen Kritik und adam smith’ Wealth of nations (1776) hat diese ordnung ihre plausibilität zweifellos verloren. die systematische gliederung der praktischen philosophie in die Teildisziplinen ethik, Ökonomie und politik geht auf aristoteles zurück. allerdings sind von ihm nur die abhandlungen über die ethik und die politik überliefert. der Haushaltskunst widmet sich aristoteles nur kurz in seiner politischen philosophie. die grundsätzlichen erörterungen, die aristoteles der oikonomia gewidmet hat, finden sich im ersten Buch der Politik. aus der perspektive moderner ökonomischer Theoriebildung hat man in ihnen kaum einen Beitrag zum Verständnis ökonomischer Zusammenhänge finden können, Joseph Schumpeter spricht despektierlich von „pompous common sense“,1 moses Finley resümiert eine gängige Wahrnehmung: „in sum, there is no economic analysis in aristotle, not even in intention.“2 in der Tat geht es aristoteles zu Beginn der Politik in erster linie um den staat, seine Überlegungen zum Haushalt und zur Ökonomie haben kontrastive und komplementäre Funktion. es ist der staat, in dem das Ziel „vollendeter selbstgenügsamkeit“ erreicht ist, er besteht „um des vollkommenen lebens willen“ (aristot. pol. 1252b).3 der staat ist das ganze, und weil das ganze früher sein muss als der Teil, „ist er denn auch der natur nach früher als die Familie und als der einzelne mensch“ (1253a). in der faktischen entwicklung geht allerdings die Familie dem staat voraus, aristoteles verfolgt die Verbindung von Weiblichem und männlichem zum Zweck der Fortpflanzung und die von Herrschendem und Beherrschtem zu 1 2 3

schumpeter (1954) 57. Finley (1987). Übers. eugen rolfes. der staat gehört demnach „zu den von natur bestehenden dingen“, der mensch ist, wie die berühmte Formulierung lautet, „von natur ein staatliches Wesen“ (1253a).

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dem der selbsterhaltung. das Haus oder die Familie sind „die für das tägliche Zusammenleben bestehende natürliche gemeinschaft“ (1252b). die Hausgemeinschaft ist der gegenstand der oikonomia. in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht sind drei gesichtspunkte, die aristoteles hervorhebt, festzuhalten. 1) Hausverwaltung heißt für aristoteles vor allem: „leitung der Familie“ und damit Herrschaft. der Hausvater übt „alleinherrschaft“ (1255b) aus. die Herrschaftsverhältnisse in der Familie sind zu unterscheiden von denen im staat.4 allerdings gibt es analogien. so widmet aristoteles auffällig ausführliche erörterungen der natur und Funktion der sklaverei. der sklave ist im Haushalt ein Werkzeug, ein beseeltes zwar, aber doch eines, dem die Vernunft abgeht, der Herr des Hauses herrscht über ihn wie ein despot. der sklave teilt dieses schicksal übrigens mit dem leib, den die seele auch despotisch führt (1254b). Über Frau und Kinder hingegen herrscht der Herr des Hauses wie über andere freie menschen, „über das Weib nach art des Hauptes eines Freistaats und über Kinder nach art eines Königs“ (1259b). sie können sich allerdings damit trösten, dass es ihnen nicht schlechter geht als dem „strebevermögen“ (1254b), über das der Verstand ebenfalls ein „politisches und königliches regiment“ ausübt. 2) aristoteles handelt so ausführlich von den Herrschaftsverhältnissen im Haus, weil sie für ihn den Kern der lehre vom Besitz ausmachen. dieser wird überwiegend funktional analysiert, der Besitz ist nicht ornament, sondern Werkzeug. die Werkzeuge wiederum sind „teils unbeseelt, teils beseelt“ (1253b), es gibt eine klare Hierarchie, insofern „die sorge des Hausvorstandes sich mehr auf die menschen richtet als auf den toten Besitz“ (1253b). es gibt eine Hierarchie des Besitzes: erst kommt das beseelte eigentum, die menschen, dann das unbeseelte, die dinge. 3) ist die eine seite der oikonomia die lehre vom Besitz, so betrifft die zweite den erwerb. Zwar ist die Frage des erwerbs keine exklusive dimension des Haushalts, auch staaten bedürfen „des gelderwerbs und solcher Hilfsquellen“ (1259a). allerdings wirft der Haushalt das problem des erwerbs in einer dramatischen Zuspitzung auf. es gibt einerseits eine art der erwerbskunst, die „naturgemäß ein Teil der Haushaltungskunst“ (1256b) ist. dazu gehört zum Beispiel die Jagd, für staaten auch der Krieg. Von dieser „natürliche(n) erwerbskunst“ unterscheidet aristoteles scharf die „Kunst des gelderwerbs oder der Bereicherung“ (1256b). oikonomia und chrēmatistikē unterscheiden sich dadurch, dass erstere begrenzt, letztere grenzenlos ist. es gibt einen fundamentalen unterschied zwischen reichtum und gelderwerb; ersterer gehört zweifellos zur Hauswirtschaft, „jener dagegen beruht auf dem Handel und schafft Vermögen rein nur durch Vermögensumsatz“ (1257b).5 die Verwendung des Tausches zum Zwecke der erlangung 4 5

Vgl. aristot. pol. 1252a: „die nun meinen, dass zwischen dem leiter eines Freistaats oder eines Königreichs, einem Hausvater und einem Herrn kein wesentlicher unterschied bestehe, haben unrecht.“ aristoteles ist sich darüber im Klaren, dass der vollkommen autarke Haushalt einen grenzwert darstellt, zumal in komplexeren gemeinschaften. Vgl. pol. 1257a: „in der ältesten gemeinschaft nun, der Familie, bedurfte es natürlich eines Tauschhandels nicht, sondern er wurde erst dann zur notwendigkeit, als die gemeinschaften größer wurden […] ein solcher Tauschhandel also ist weder gegen die natur, noch ist er eine art des geldwerwerbs. er diente zur ergänzung und Vervollständigung des natürlichen selbstgenügens.“

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von gütern, die für den gebrauch eingetauscht werden, gehört zu der natürlichen erwerbsseite der Hauswirtschaft. denn diese Form des Tausches hat eine natürliche grenze, das Bedürfnis. der von den griechischen Völkerschaften praktizierte Tausch von Wein und Korn bewegt sich im rahmen einer solchen Ökonomie des gebrauchs und des Bedürfnisses. die erwerbskunst hingegen, die „Vermögen rein nur durch Vermögensumsatz“ (1257b) schafft, hat keine grenze mehr, sie zielt auf schrankenlose Vermehrung. Durch die Erfindung des Geldes wird Chrematistik möglich. mit ihr verliert die oikonomia ihren Zusammenhang mit dem guten leben,6 der gelderwerb wird zum selbstzweck. seine negativität wird anschaulich in der gestalt des Wucherers, der „aus dem geld selbst gewinn zieht und nicht aus dem, wofür das geld doch allein erfunden ist“ (1258b). ii. Wissen und erFaHrung: grenZen der ‚liTeraTur‘ Della famiglia (1433–1440) ist das erste große vulgärsprachliche Werk leon Battista albertis, ein in vier Büchern entfalteter dialog, der vom Verhältnis der alten zu den Jungen über die ehe, die ordnung des Hauses und die Freundschaft den raum der Ökonomie ausmisst. die erstaunliche ‚modernität‘ der dialogisch entfalteten Konzeptualität des aus dem Fundus der antiken oikonomia-lehre gespeisten Textes ist in der neueren literatur immer wieder hervorgehoben worden.7 der noch nicht dreißigjährige autor macht die gespräche der mitglieder der Familie alberti zum ort einer exploration, die den Horizont der antique istorie ebenso wie den der ricordanze de’ nostri vecchi8 überschreitet. Litterati und mercanti, die Welt der lektüre und die Welt des Handels, sind im gespräch, der konkrete, in den raum ausgreifende Weltbezug des Händlers und die an antiken paradigmen orientierte Bildungswelt des literaten werden im Binnenraum der Familie ineinander gespiegelt – und zwar in jenem moment der Trauer und der selbstvergewisserung, von dem die dialoge ihren ausgang nehmen, dem sterben von leon Battistas Vater lorenzo. Della famiglia präsentiert sich, angesichts einer geradezu alltäglich gewordenen erfahrung des niedergangs und der auslöschung angesehener Familien, als das hohe lied einer durch virtù zu sichernden Kontinuität der Familie im Zusammenspiel von Bildung und Handel, einer doppelten, Wissen und geld umfassenden copia des oikos.9 der Tod des Familienoberhaupts ist der augenblick, in dem sich die Familie ihrer 6 7

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Vgl. 1257b: „der grund dieser denkweise aber liegt darin, dass sie leben wollen und sich um ein gutes leben nicht bekümmern.“ Vgl. petrini (1951). er unterstreicht, dass „la Famiglia è senz’altro la parte più moderna dell’opera albertiana“ (659). gadol (1969) hebt die „startling metamorphosis“ hervor, die „plutarch’s views on liberal education, Cicero’s rhetorical ideas of ‚letters and virtue‘, Xenophon’s notions on domestic economy“ (215) in Della famiglia erfahren. alberti (1960) 3 (im Folgenden mit seitenzahl im Text zitiert). der autor macht deutlich, dass es ihm in den gesprächen der Familienmitglieder stets auch darum geht, welche lehren („precetti“) die antichi scrittori im Blick auf den Zusammenhang von „bene, onore e amplitudine delle famiglie“ (10) hinterlassen haben. Vgl. alberti (1960) 3: „potemmo a’ nostri giorni come altrove così in italia vedere non poche famiglie solere felicissime essere e gloriosissime, le quali ora sono mancate e spente“.

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identität als casa angesichts katastrophischer politischer und ökonomischer Krisenerfahrungen zu versichern sucht. in dem genealogisch artikulierten, aber durch ökonomische und politische Krisen als fragil erfahrenen Zusammenhang der Familie werden antike und moderne, Vergangenheit und gegenwart, Väter und söhne in der zwanglosen Form eines familiären ragionare im interesse gegenwärtiger orientierung und selbstvergewisserung aufeinander bezogen. allerdings hat das stets gewahrte decorum eines im Binnenraum der Familie vollzogenen ragionare unverkennbar scheinhafte Züge. der autor, der die dialoge in den Jahren 1433–34 in rom, wo er als abbreviatore apostolico in den diensten der Kurie stand, entworfen, aber anschließend in Florenz, der Heimat der casa alberta, überarbeitet hatte, blickt aus der perspektive der Florentiner reintegration der Familie – 1428 war der über sie verhängte Bann aufgehoben worden – auf die situation des exils und der Zerstreuung der Familie zurück. alberti selbst wurde in genua geboren, seine studienjahre verbringt er in padua und Bologna, er ist mehr als 25 Jahre alt, als er die Heimatstadt erstmals sieht. die gespräche aber, deren Wiedergabe Alberti fingiert, finden anlässlich des Zusammentreffens der Familienmitglieder statt, die sich 1421 um den im sterben liegenden lorenzo in padua versammeln. im Jahre 1421 ist die casa alberta nach wie vor ihres angestammten Zentrums, der stadt Florenz, beraubt. nur dort funktioniert die eingespielte Konvertibilität von ökonomischem Kapital in symbolisches, politisches und kulturelles Kapital. eine weitere Kalamität betrifft den autor leon Battista und seine prekäre position in der Familienkonstellation. der Tod des Vaters stellt für den unehelichen sohn insofern einen tiefen einschnitt dar, als er seinen platz in der Familie und die legitimität seiner Zugehörigkeit infrage stellt: der Vater hatte ihn als sohn anerkannt und ihm eine gründliche Bildung zukommen lassen. nun aber, nach seinem Tod, decken die ökonomischen interessen der anderen Familienmitglieder jene unterschwellige marginalität des illegitimen sohnes auf, die unsichtbar bleiben konnte, solange – aber eben nur solange – der Vater am leben war.10 es ist kaum ein schärferer Kontrast denkbar als der zwischen der sprache, in der adovardo und lionardo im ersten Buch von Della famiglia leon Battista die Fortdauer der Familienzugehörigkeit zusichern, und jener anderen sprache, in der dieser wenige Jahre später die reaktion der Familie auf Della famiglia in seiner autobiographischen Vita festhält.11 der rhetorik verwandtschaftlicher Fürsorge, die Della famiglia in szene setzt, steht in der Vita die erinnerung an das Verlachen des exzentrischen literaten und seiner literarisch-symbolischen offerten gegenüber. die beiden ersten Bücher von Della famiglia sind durch eine inversion von Wissen und erfahrung charakterisiert: der litteratus,12 dem die lektüre die eigene 10

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Zur position des figlio naturale in der Familienstruktur der renaissance vgl. mancini (1967) 26 ff. und grafton (2000) 6 ff. – eine komparative sozialgeschichte des figlio naturale liefern die Beiträge in laslett (1980). Zur Familienstruktur der italienischen renaissance und zum selbstverständnis der Familie vgl. Kent (1977) und Klapisch-Zuber (1985). Vgl. alberti (1960) 28 und Fubini / menci gallorini (1972) 71 f. der litteratus bei alberti, wie ponte (1981) 112 bemerkt, verkörpert „il dotto, l’uomo di cultura, al di là delle discipline di sua particolare competenza (diritto, medicina, filosofia, gram-

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erfahrung ersetzt, dominiert zunehmend auf Kosten der Figur, um deren erfahrung es geht. so wird das erste Buch von der Figur des unverheirateten und kinderlosen lionardo beherrscht, der dem älteren adovardo ratschläge zur erziehung und zum Verhältnis von Vätern und söhnen gibt. lionardo, der das repertoire der erfahrung sofort auf die Folie des gelesenen projiziert, offeriert angebote eines Wissens, dessen praktikabilität er selbst am allerwenigsten demonstrieren kann. die Krisenerfahrung der gegenwart, welche die genealogische Kontinuität der Familie ebenso gefährdet wie ihre Zentrierung im raum der stadt, wird mit einer aus dem repertoire der antike bezogenen und von den literaten verwalteten Topik bearbeitet. Was der literat lionardo im Binnenraum des ragionare domestico zur sprache bringt, hat die Form einer konzentrierten Wiederholung eines zwar verstreuten, in seiner geltung aber ebenso fraglosen wie zeitlosen Bestandes. die instanz der literatur (litterae) kassiert historische und ignoriert soziale differenz. Für die struktur der beiden ersten Bücher von Della famiglia ist es daher aufschlussreich, dass gerade dem ehe- und kinderlosen lionardo die aufgabe zufällt, die generationenübergreifende Kontinuität der Familie zu artikulieren. es entspricht seiner orientierung am alten Wissen, dass er die Zeit der Familie als Wiederholung begreift. die Kontingenz von expansion und Verlust wird auf das imaginäre eines substantiellen Kerns bezogen. gerade in der situation des exils, den launen der Fortuna ausgesetzt, muss sich die famiglia alberta ihrer identität vergewissern. die Ökonomie des Hauses steht im Zeichen des erbes und des gedächtnisses, der faktischen dispersion antwortet eine norm abbildhafter reduplikation, idealtypisch auf das Verhältnis von Vater und sohn fokussiert. im gedächtnis wie in der Wirklichkeit lebt derjenige weiter, der eine vera imagine seiner selbst zu hinterlassen imstande ist. identitätsstiftung im rekurs auf literatur, lettere, genealogie als substantielle wie semiotische reproduktion – das ist die eine, kontrafaktische seite. ihr gegenüber steht die erfahrung von Krise, diskontinuität, Zentrifugalität. deren potentielle anomie aber kontert der literat durch das literarisierte Wissen des mythos. radikale, bildlose Kontingenz transformiert er in die anschauliche Bildlichkeit der Fortuna. lionardo greift auf, was der autor alberti bereits im prolog zu Della famiglia elegisch evoziert hatte: der durch die ungerechte und unkalkulierbare glücksgöttin verursachte untergang prosperierender Familien. ein zentraler grund der notorischen präsenz der wankelmütigen glücksgöttin in den ethisch, ökonomisch oder politisch orientierten Texten der renaissance ist zweifellos darin zu suchen, dass die Fortuna Kontingenz und unverfügbarkeit thematisierbar macht, ohne durch prägnante mythische Vorgaben eingeschränkt und ohne durch allzu großen Kausalitätsdruck belastet zu sein. anders gesagt: die Fortuna und ihre gegeninstanz, die virtù, erlauben den autoren ein spiel mit grenzen und grenzüberschreitungen. man kann auf eine Vielfalt nichtkanonischer Traditionen zurückgreifen, ohne diese mit dem siegel der unveränderlichkeit auszeichnen zu müssen.13

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matica, retorica)“. er steht über den akademisch institutionalisierten einzeldisziplinen, fragt nicht nach ihren Beziehungen und potentiellen Konflikten. auch albertis lateinische Fiktionen spielen das Verhältnis von virtù und fortuna immer wieder durch. in den intercenales widmen sich vor allem Virtus und Fatum et Fortuna dem Thema. satirisch wird der gegensatz am ende des ersten Buches in momus durchgespielt, wo die bei-

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gerade weil die antik vorgegebene, aber wenig prominente göttin Fortuna nur zur „zweite(n) garnitur der Halbseidenen“14 mit relativ diffusem Wirkungsspektrum zählte, eignete sie sich zur Kartographierung des Territoriums an der grenze von Verfügbarkeit und unverfügbarkeit ebenso wie zu tastenden Versuchen der Verschiebung eben jener grenze. die Fortuna ist in der renaissance populär, weil sie Verhandlungen möglich macht. damit ist zugleich ihre nähe zur Zeit gesetzt, zu einem Zeitmanagement zwischen der leeren Zeit des Chronos und der erfüllten Zeit des Kairos. die agonalität von Virtus und Fortuna erlaubt es, den Zugewinn des Handelns in die Zeitachse zu verlegen, man kann die stürme der Fortuna abwarten, aber man kann auch ihre Wechselhaftigkeit antizipieren und – wie machiavelli am ende des Principe vorschlägt – ihr in schnellem Zugriff zuvorkommen.15 Für Della famiglia bedeutet das: Zeit wird im Zeichen der Fortuna zum zentralen Thema der Ökonomie – und zwar gerade insofern sie aus natürlichen Zeitrhythmen und sozialen Zeitritualen gelöst ist. der prolog zu Della famiglia wirft die Frage nach der macht der Fortuna am Beispiel des untergangs von Familien, städten und staaten auf. der autor ruft die evidenz der alten exempla auf, um sie in einer paradoxen Zuspitzung zu überbieten. seine Versionen des untergangs gewinnt alberti aus den „antique istorie“ ebenso wie aus den „ricordanze de’ nostri vecchi“ (9). aber die macht der Fortuna manifestiert sich gerade dort am stärksten, wo sie nicht nur prosperierende lebensformen und ordnungen auslöscht, sondern auch noch deren platz im kollektiven gedächtnis tilgt. die Fortuna triumphiert in den exempla des niedergangs, mehr aber noch in der löschung der spuren, und das heißt im entzug der exempla, aus denen orientierung zu gewinnen wäre. das rhetorische panorama, das alberti im prolog zu Della famiglia entfaltet, operiert mit der Vorstellung einer grenze des Verschwindens, der Vernichtung des namens und der Zeichen, der Tilgung ihres ortes im gedächtnis der gegenwart. „scorgo molti per loro stultizia scorsi ne’ casi sinistri, biasimarsi della fortuna e dolersi d’essere agitati da quelle fluttuosissime sue unde, nelle quali stolti sé stessi precipitorono“ (4).16 die metaphorik der land-/meergrenze dient auch dem Zweck, eigen- und Fremdattribution zu optimieren. nur wer den sicheren Boden verlässt, auf dem er steht, kann der Fortuna zum opfer fallen. Wer die differenz von festem land und beweglichem Wasser untergräbt, weil er sich selbst zur Fortuna macht, klagt eine instanz an, die er gewissermaßen selbst hervorgebracht hat. eigenattribution von Kontingenz ist insofern ein modus der landnahme, der das reich der Fortuna, das

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den Göttinnen in heftigen Konflikt geraten. – Historisch weiträumig verfolgt das Thema Vogt (2011), zur renaissance v.a. 503 ff.: „Virtù vince fortuna. Zur ideengeschichte eines Topos“. reichert (1985) 14. Zu den (spät-)mittelalterlichen Traditionen der Fortuna vgl. z.B. patch (1927); doren (1922–23); Heitmann (1958). machiavelli (1961) 124 f.: „io iudico bene questo, che sia meglio essere impetuoso che respettivo, perché la fortuna è donna; et è necessario, volendola tenere sotto, batterla e urtarla.“ das Bild wird wenig später noch einmal entfaltet: „[p]er non sapere nelle cose prospere frenarsi e contenersi, o per ancora non essere prudente e forte nelle avverse tempestati a sostenersi e reggersi, la fortuna con suoi immanissimi flutti, ove sé stessi abandonano, infrange e somerge le famiglie“ (10). einer der zentralen Texte der intercenales, Fatum et Fortuna, entwirft eine elaborierte Traumvision vom Fluss des lebens, vgl. alberti (2003) 42 ff.

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wechselvolle meer, beschränkt. die modalitäten, wie das geschehen kann, gehen in zwei richtungen. natürlich ist alberti die stoische empfehlung nicht fremd, man könne sich defensiv durch Rückzug auf das sichere Eigene vor der Perfidie der göttin in sicherheit bringen.17 Aber mit der selbstreflexiven Wendung einer Landnahme durch eigenattribution hat alberti einen anderen Weg eröffnet. ihn in die Welt der Fortuna zu projizieren, heißt, mit einem ensemble von Vermögen, dispositionen und praktiken, mit „industria“, „buone arti“, „constanti opere“, „maturi consigli“, „ragionevoli espettazioni“ usw., nicht nur Verteidigungspositionen abzustecken, sondern an weiterem Terraingewinn zu arbeiten.18 mit dem zweiten Buch, in dem lionardo auf das Thema der masserizia, der Haushaltsführung, übergeht, ändert sich daher die situation. das zeigt sich bereits daran, dass an die stelle der opposition von virtù und fortuna die neue opposition von industria und fortuna tritt. Bereits max Weber hatte in seiner Protestantischen Ethik, die ansonsten Della famiglia als paradigma eines zeitlosen ökonomischen ‚rationalismus‘ liest, im Konzept der industria einen irritierenden Fremdkörper ausgemacht.19 mit der masserizia ist nach den essercizii, den Tätigkeiten und gewerben, gefragt, denen der einzelne nachgehen sollte, aber auch nach der „sollecitudine e cura delle cose“ (144), also der zeitaufwendigen sorge um die gegenstände der Haushaltskunst. der Haushälter, der wie eine spinne sein Beziehungsnetz spannt, muss zu einem „industrissimo animale“ (215) werden. dazu gehören die Künste, die uns ‚gehören‘, „le quali sempre con noi dimorano“ (145), aber auch die intellektuellen Vermögen („opera d’animo“) ebenso wie körperliches geschick („operazioni del corpo“), die beide der Pflege und des Trainings bedürfen, und zwar im Kontext eines ausdifferenzierten Berufswesens, das von architekten und Ärzten bis zu Handwerkern und Künstlern reicht. die andere seite besetzen jene güter (Vermögen, erbschaften, geschenke, aber auch Zinsgewinne), deren kontingente ereignishaftigkeit sich einer stetigen Verfügung entzieht. in der masserizia sind mithin industria und fortuna beständig amalgamiert; die ökonomische leitdifferenz erschwert, im gegensatz zu einer ethisch interpretierten leitdifferenz von virtù und fortuna, die operation mit grenzmarkierungen. nur zum Zweck der ex17

Vgl. z.B. 9, wo albertis argumentation ganz im Zeichen der stoa steht: „[s]i può statuire la fortuna essere invalida e debolissima a rapirci qualunque nostra minima virtù, e dobbiamo giudicare la virtù sufficiente a conscendere e occupare ogni sublime ed eccelsa cosa, amplissimi principati, suppreme laude, eterna fama e immortal gloria.“ 18 die interpretation von sasso (1953) 613, die albertis Konzept der virtù auf eine „pura qualità morale“ reduziert, greift, im Interesse einer Profilierung des Gegensatzes zu einer „virtù di tipo machiavelico“, zu kurz, insofern sie das Thema der Zeit und ihres gebrauchs, das alberti und machiavelli verbindet, beiseite lässt. 19 Festzuhalten ist indes, auch gegen Weber, dass das Konzept der industria in den spätscholastischen normierungen einer Wirtschaftsethik, vor allem bei Bernardino da siena (1380–1444) und antonino da Firenze (1389–1459), die eine generation älter als alberti sind, bereits eine bedeutende rolle spielt, wie beispielsweise de roover (1967) zeigt. Bernardino nennt als Voraussetzungen ökonomischer prosperität industria, solicitudo, labores, neben diese semantik des Fleißes und der sorge tritt aber auch pericula, also so etwas wie risikobereitschaft. – Höffner (1941) geht auf antoninos Konzeption des gerechten preises (iustum pretium) im Konzept spätscholastischer monopolauffassungen ein.

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position der sorge des massaio wird die Fortuna rhetorisch beiseitegeschoben: „escludiamo la fortuna ove noi ragioniamo della industria“ (144). die essercizii, also die Berufsfelder, sind für lionardo in zweifachem sinne erwerbsorientiert, sie operieren chrematistisch, weil sie der anhäufung von reichtum dienen, zugleich akkumuliert man in ihnen allerdings auch symbolisches Kapital, das im reputations- und Ämtersystem der stadt einsetzbar ist. damit aber geraten sie in Kollision mit seinem humanistischen Konzept der literatur. die Handlungstypen, die er am höchsten bewertet, verbinden die freie Betätigung der intellektuellen und körperlichen Fähigkeiten mit der unangreifbarkeit durch die Wechselfälle der Fortuna.20 aber diese normative Hierarchisierung steht quer zu der faktisch unvermeidlichen Verschränkung von industria und fortuna, welche die masserizia prägt. lionardo spricht die sprache der Ökonomie nach den Vorgaben der alten, vornehmlich stoischen ethik. dabei steht ihm deren ökonomisches wie politisches menetekel nur allzu deutlich vor augen: Kriege werden durch unkalkulierbare Wechselfälle entschieden; die literatur und die freien Künste haben vielfältige ökonomische Voraussetzungen; und schließlich, und nunmehr mit präzisem Blick auf die eigene Familiengeschichte, ist ökonomischer erfolg und damit einhergehendes symbolisches Kapital massiv kontingenzexponiert, was sich in jenen risikoexponierten „gran traffichi“ manifestiert, welche die „gran guadagni“ (147) abwerfen, auf deren Basis sich die autorität und reputation des Hauses alberti unter den Bedingungen verschärfter ökonomischer Konkurrenz allererst etablieren konnte. stets war die famiglia alberta „copiosa e abondante di leggiadri ingegni e d’animi prestantissimi“ (74), seit zweihundert Jahren hat sie eine ununterbrochene reihe von vorzüglichen mercatanti (143) hervorgebracht. aber erst der Habitus des massaio, wie ihn exemplarisch adovardo, der dialogpartner des ersten Buches, verkörpert, schließt Chrematistik mit symbolischem Kapital systematisch zusammen. Über ihn heißt es ausdrücklich, er pflege den ganzen Tag eine europaweite geschäftskorrespondenz: [T]tutto il dì ti veggo scrivere, mandare fanti a Bruggia, a Barzalona, a londra, a Vignone, a Rodi, a Ginevra, e d’infiniti luoghi ricevere lettere, e ad infinite persone al continuo rispondere, e fai sì che essendo tu coi tuoi, ancora t’inframetti in molti altri luoghi, e senti e sai quello che per tutto si fa (74).

die Konsequenzen und erfolge dieses rastlosen multitaskings werden dann im zweiten Buch sichtbar: [s]i può gloriare la casa alberta che da ducento e più anni in qua mai fu essa sì povera ch’ella non fusse tra le famiglie di Firenze riputata ricchissima. né a memoria de’ nostri vecchi, né in nostre domestice scritture troverrete che in casa alberta non sempre fussono grandissimi e famosissimi, veri, buoni e interi mercatanti. né per ancora in la patria nostra vederete essere durata ricchezza alcuna sì grande, sì lungo tempo, e con manco biasimo quanto la nostra. (143)

lionardo, der literat, hat für diese ökonomische dynamik keine eigene sprache, er reduziert sie entweder auf einen ethischen Begriff der virtù oder er übersetzt sie in 20

so fasst lionardo eine tradierte Hierarchie zusammen: „e’ primi lodati essercizii, dicono alcuni, sono quegli ne’ quali la fortuna tiene licenza niuna, imperio niuno, ne’ quali l’animo e il corpo non serve.“ (146)

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Topiken militärischer abenteuer oder sozialer anerkennung. die entfaltung der masserizia, welche die junge generation von ihm erwartet, bleibt stecken, der dialog verlangt nach einer neuen sprecherinstanz. seine Fortsetzung im dritten Buch verdankt sich nicht mehr dem lektürehorizont des literaten, sondern der ökonomischen erfahrung eines massaio, der in entscheidenden Hinsichten die Gegenfigur zu lionardo bildet. mit ihm wird das dreieck von ethik, Ökonomie und politik neu justiert. iii. EPimELEia sTaTT epistēmē: XenopHons OikOnOmikOs gegen ende des dritten und umfangreichsten Buchs von Della famiglia kommt der exponent der masserizia, der, wie er sich selbst apostrophiert, idiota21 giannozzo, rückblickend auf seine rolle als experte der Haushaltsführung zu sprechen: „Fuggitosi il tempo ragionando, non ce ne siamo acorti.“ (243) der dialog, dessen zentrales Thema der rechte gebrauch der Zeit ist, hat sich gegenüber der Tagesordnung und Zeitplanung seiner Teilnehmer verselbstständigt, das Thema der masserizia und ihrer Zeit lässt die Zeit des gesprächs vergessen. ordnung der argumente, eloquenter ornat der rede, Fülle der exempla – der den literaten auszeichnende apparat des Wissens und der rhetorischen mittel, die tradierte copia rerum ac verborum stehen dem idiota giannozzo allerdings nicht zu gebote. er setzt vielmehr Wahrheit gegen autorität, eigene gegen fremde rede,22 erfahrung gegen Wissen, praxis gegen literatur: „Tu sai, lionardo, che io non so lettere. io mi sono in vita ingegnato conoscere le cose più colla pruova mia che col dire d’altrui, e quello che io intendo più tosto lo compresi dalla verità che dall’argomentare d’altrui.“ (164)23 21

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diese selbstbeschreibung nimmt die prononcierte Verwendung des Konzepts in den idiota-dialogen (idiota de sapientia, idiota de mente) des nikolaus von Kues vorweg, die um 1450, also gut fünfzehn Jahre nach albertis dialogen, entstanden sind. in der apostelgeschichte 4. 13 werden petrus und Johannes in der Vulgataversion als „homines sine litteris et idiotae“ bezeichnet (in der lutherübersetzung werden sie als „vngelerte leute vnd leien“ apostrophiert). Zum antiken Hintergrund und zum ideengeschichtlichen Kontext vgl. grundmann (1958) und gandillac (1953) 45–61. Cassirer (1927) 52 ff. bringt die idiota-Konzeption des Cusaners mit dem bei alberti und leonardo da Vinci thematisierten Vorrang des bono naturale gegenüber den bone lettere in Zusammenhang. Blumenberg (1966) 506 ff. geht vor allem auf die gestalt des löffelschnitzers in idiota de mente ein, wo das „pathos des ‚schöpferischen‘ menschen […] beim technischen, nicht beim künstlerischen Typus“ ansetze, ohne dass der idiota damit zu einer „gestalt der menschlichen selbstermächtigung“ würde. später, in Blumenberg (1981) 58– 67, interpretiert er den idiota des Cusaners als einen „Typus der unmittelbarkeit“ (63) und der Wissenschaftsskepsis. damit lasse er sich als „frühe ausprägung einer literarischen gattung begreifen, die unter der rubrik ‚moralistik‘ geführt wird“ (65). giannozzo führt allerdings einen namenlosen priester an, dem er die zentralen Konzepte der masserizia verdanke. dessen absicht allerdings sei es nicht gewesen, die Haushaltsführung zu lehren, sondern dem Zuhörer die gaben gottes zu verdeutlichen: „[d]iceva niuna cosa era propria nostra, se non solo un certo arbitrio e forza di mente, e se pure alcuna si poteva chiamare nostra, queste erano le sole tre quali dissi, anima, corpo e tempo“ (173). das motiv wird von giannozzo mehrfach variiert (z.B. 192): „e voglio testé favellare teco come uomo più tosto pratico che litterato, addurti ragioni ed essempli atti all’ingegno mio.“ –

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Ähnlich wie beim löffelschnitzer in Cusanus’ idiota de mente beglaubigt der Ökonom den anspruch seiner rede durch das Zusammenspiel von auge und Hand, „a me basta intendere quello che io mi veggo e sento tra le mani“ (245). die literaten des dialogs vermögen in utramque partem zu argumentieren, weil ihnen die Beglaubigung des machens („fare“) und der erprobung („pruova“) abgeht, das ragionare domestico der pratichi massai bewegt sich hingegen im umfeld des greifund machbaren.24 die Widmung des Economicus, so der Titel des dritten Buches von Della famiglia, hatte die Behandlung der masserizia durch einen padre di famiglia angekündigt, der – nach dem Vorbild Xenophons, „quel greco dolcissimo e suavissimo scrittore“ (156) – einen „nackten“, einfachen stil („stile suo nudo, semplice“, 156) pflege. Das griechische Original von Xenophons sokratischem Dialog oikonomikos war wenige Jahre zuvor, 1427, in italien bekannt geworden, giovanni aurispa hatte Xenophons Werke aus Byzanz mitgebracht.25 sokrates’ gespräche zwischen Kritoboulos, dem die regeln der Haushaltsführung fremd sind, und ischomachos, einem experten der Haus- und landwirtschaft, werden zum zentralen prätext eines dialogs, in dem der leser aus dem munde eines idiota erfahren soll, „come prima sé stessi e poi ciascuna sua cosa bene governi e conservi“ (156). Trotz aller distanz

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am 18.11.1454 schreibt alberti einen Brief an matteo de’ pasti, in dem es um den Tempio malatestiano in rimini geht. in einer polemik gegen den architekten manetti greift er die selbstbeschreibung giannozzos auf: „[i]o credo più a chi fece Therme et pantheon et tutte queste cose maxime che a lui, e molto più alla ragion che a persona. e se lui si regge a oppinione, non mi meraviglerai s’egli errerà spesso“, grayson (1957) 17. alberti setzt auf das machen und die Vernunft gegen die person und die meinung. giannozzo beruft sich auf die „verità“ und die „pruova mia“ gegen das „dire d’altrui“ oder das „argomentare altrui“. Francesco guicciardini wird in seinem Dialogo del reggimento di Firenze (lugnani scarano [1970] 299–473) eine vergleichbare Konstellation in szene setzen. auch dort steht mit Bernardo del nero ein idiota im Vordergrund, an dessen Erfahrung seine literaturaffinen Gesprächspartner appellieren (z.B. 306: es spricht der Vater Francescos, piero guicciardini): „io non so che maggiore diletto mi potessi avere, che udire parlare delle cose publiche e civili uno uomo di grande età e di singolare prudenza, che non ha imparato questi cose in su’ libri da’ filosofi, ma con la esperienza e con le azioni, che è el vero modo del imparare.“ die literatur zu Della famiglia schenkt der von alberti explizit zum ausdruck gebrachten und durch den Titel des dritten Buches unterstrichenen intention einer ‚nachahmung‘ Xenophons meist wenig Beachtung. Für diesen Befund ist vermutlich die verhältnismäßig niedrige reputation der sokratischen dialoge Xenophons (im Vergleich zu den platonischen) verantwortlich, wie vor allem strauss (1970) 83 polemisch moniert hat, im Blick auf ein im 19. Jahrhundert entstandenes Vorurteil: „according to that prejudice Xenophon is so single-minded and narrow-minded or philistine that he cannot have grasped the core or depth of socrates’ thought.“ exemplarisch illustriert wird dieses Vorurteil beispielsweise in Jaspers (1964), wo auf s. 96 der Topos einer fundamentalen differenz von platonischem und xenophontischem sokrates durchgespielt wird: „Xenophon sieht erscheinungen des Vordergrunds, platon der Tiefe […] Xenophon schildert einen etwas pedantischen rationalisten, der ans nützliche denkt, platon den im denken vom eros gelenkten, der das licht des schlechthin guten denkend berührt.“ Hinzu kommt die Vernachlässigung Xenophons in der geschichte des ökonomischen denkens, vgl. etwa die lakonische Bemerkung bei schumpeter (1954) 93 anm. 4: „Xenophon brauchen wir hier nicht heranzuziehen, dessen schrift oekonomicus zu der gleichen art von abhandlungen über Hauswirtschaftsführung gehört wie wir sie bis ins sechzehnte Jahrhundert unter ähnlichen Titeln immer wieder antreffen.“

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zwischen der ländlichen oikonomia Xenophons und der Welt der Florentiner mercatanti muss der oikonomikos alberti angesichts der identitätskrise der casa alberta mit Wucht getroffen haben. es sind also zwei gegenstände, die in dem dialog behandelt werden sollen: selbstherrschaft (Herrschaft über das eigene selbst) und selbsterhaltung, Herrschaft über das eigene (das eigentum) und seine erhaltung. in Xenophons Terminologie: es geht sowohl um enkrateia wie um oikonomia. Von der orientierung an Xenophon, von der in der Widmung die rede ist, weiß natürlich der pratico massaio giannozzo nichts. die spannung zwischen dem dialog als nachahmung und ‚literatur‘ und der mit der Figur des idiota gestellte anspruch des erfahrungswissens ist nur für den autor und den leser sichtbar. Xenophons und albertis Texte verbindet, dass sie einen experten der Haushaltsführung, der oikonomia oder masserizia, in den mittelpunkt rücken. unvermittelt setzt Xenophons oikonomikos mit einem gespräch zwischen sokrates und Kritobolous ein, in dem es um das Wesen der Haushaltsführung geht. seinen Voraussetzungen nach scheint es paradox. es handelt sich um das gespräch zwischen einem philosophen, der sich für (materielle) reichtümer nicht interessiert, und einem Haushaltsvorstand, der die Kunst der Ökonomie nicht beherrscht. die polemik gegen die „mechanischen“ Künste, die den Körper verderben, den umgang mit Freunden und die sorge um die angelegenheiten der stadt erschweren, bereitet sokrates’ Bemerkung über den persischen König vor, von dem behauptet wird, dass er „die landwirtschaft und die Kriegstechnik zu den ehrenvollsten und notwendigsten Beschäftigungen zähle und sich dieser in besonderem maße annehme“.26 das exempel des persischen Königs, in dem es um das Verhältnis von Herrschaft und oikonomia geht, strahlt in doppelter Hinsicht aus. es bereitet die einführung des vollkommenen Haushälters, ischomachos, vor, es spiegelt aber auch das zwischen sokrates und Kritoboulos zu etablierende pädagogische Verhältnis. der eingangsdialog des oikonomikos schneidet damit drei motive an, die in albertis Economicus antrieb der ‚nachahmung‘ werden: 1) die Thematik der epimeleia,27 der sorge und des sich-sorgens, in dem auch pädagogische aspekte und Fragen der Herrschaft eine rolle spielen und die in albertis Konzept der industria aufgegriffen wird; 2) das Verhältnis von landwirtschaft und Kriegskunst und die dimension der unverfügbarkeit. Was bei alberti Fortuna heißen 26 27

Xen. oik. 4. 4 (Übers. Klaus meyer ). auf die zentrale Bedeutung der epimeleia im oikonomikos weist auch meyer (1975) 104 f. hin. einschließlich seiner Varianten und inversionen kommt das Konzept mehr als hundert mal vor, gehäuft im perserexkurs, erwartbarerweise nur drei mal bei Kritoboulos, in vergleichbarer Häufigkeit bei Sokrates und Ischomachos. Vgl. auch Vernant (1985) z.B. 279: „Ainsi se définit, en contraste avec une vie de mollesse, de paresse, d’insouciance, une forme de vie active faite d’énergie, d’initiative, d’occupation: epimeleia.“ – einschlägig ist auch aristoteles’ diskussion der Haushaltsführung im ersten Buch seiner Politik, mit der unterscheidung dreier Teile der Ökonomie: das Herrenverhältnis, das Vaterverhältnis, das eheliche Verhältnis. Jedenfalls stehen bei aristoteles weniger der Besitz als die asymmetrischen Beziehungen der menschen des oikos im Vordergrund, vgl. z.B. aristot. pol. 1259b: „es ist also klar, dass die sorge des Hausvorstandes sich mehr auf die menschen richtet als auf den toten Besitz, und mehr auf die Vortrefflichkeit der ersteren als auf die Fülle des letzteren, die wir Reichtum nennen, und mehr auf die Freien als auf die sklaven.“

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wird, sind bei Xenophon die götter, weil sie „nicht weniger Herren sind über die Werke der landwirtschaft als über die des Krieges“ (Xen. oik. 5. 19); 3) schließlich die – wiederum am Verhältnis von landbau und Krieg illustrierte – Beziehung von innen und außen, die für die oikonomia in ihrem doppelaspekt von ordnung des Hauses und sorge für den Boden von Belang ist. unter diesen prämissen tritt der oikonomikos ischomachos auf. er bildet den prototyp, den albertis giannozzo unter den Bedingungen städtischer Handelskultur transformiert. der augenblick der einführung des ischomachos ist schon deshalb aufschlussreich, weil er die grenze markiert, über die der dialog des haushaltsunerfahrenen sokrates und des haushaltsuntüchtigen Kritoboulos nicht hinausgelangt. in der Tat fasst sokrates die ergebnisse des gesprächs so zusammen, dass er nicht nur die Vorzüge der landwirtschaft (leichte erlernbarkeit, körperliche ertüchtigung, freie Zeit für Freunde und politische angelegenheiten) rekapituliert, sondern zugleich die Ökonomie als einen Typus von Wissen (epistēmē) präsentiert, als „Wissenschaft […] mit deren Hilfe die menschen ihr Hauswesen vergrößern können“ (Xen. oik. 6. 4). Wäre dies eine angemessene auskunft, würde sich die präsentation des ischomachos erübrigen. erst als Kritobolous nachfragt, wie es denn käme, dass einige aus der landwirtschaft gewinn zögen, andere hingegen nicht, macht sokrates das angebot, über seine Begegnung zu berichten. die Frage nach dem richtigen und Falschen, dem nützlichen und abträglichen lässt sich offenbar nicht beantworten, wenn man die oikonomia als (theoretische) Wissenschaft auffasst. sie verwirklicht sich allererst im Zusammenhang von selbst- und Haushaltsdisziplin. alberti wird diesen Konnex auf die Formel bringen, es gehe darum, dass der massaio „prima sé stessi e poi ciascuna sua cosa bene governi e conservi“ (156). sokrates trifft ischomachos in einer situation ungewohnter muße. normalerweise pflegt man ihn bei der Arbeit zu sehen. Der Haushalt bewegt sich innerhalb einer vorgegebenen göttlich-natürlichen ordnung, die dem mann die Besorgungen außerhalb, der Frau die arbeit im Haus auferlegt. diese symmetrische disposition steht allerdings im Zeichen jener signifikanten Asymmetrie, dass der Mann die Frau zu dem erziehen müsse, was sie schließlich sein werde und sein solle. im göttlich sanktionierten Ritual des Einübens in die Pflichten zeigt sich jene Hierarchie an, die den mann als Herrscher und erzieher ausweist. die Frau repräsentiert die Topik des Hauses, während der mann, der sich im Freien aufhält und landwirtschaft betreibt, in enger Beziehung zur göttlichen ordnung der dinge steht. die rituelle inszenierung dieser abhängigkeit steht am anfang seines Tagesablaufs: „[s]o beginne ich denn damit, die götter zu verehren, und versuche zu erreichen, dass es mir mit Hilfe des gebetes gestattet ist, gesundheit, Körperstärke, ansehen in der stadt, Wohlwollen bei den Freunden, ehrenvolle rettung im Krieg und auf ehrliche Weise sich mehrenden reichtum zu erlangen“ (Xen. oik. 11. 8). ist dieses ritual einmal vollzogen, so stehen wiederum die aufgaben der Herrschaft und der erziehung im Vordergrund. Breiten raum nimmt beispielsweise die schulung der Verwalter (epitropoi) ein, weil es nicht nur um ihre arbeit geht, sondern auch darum, in ihnen Verhaltensdispositionen (Zuneigung zum Hausherrn, sorgfalt, rechtschaffenheit etc.) zu erzeugen und auf dauer zu stellen. erst im anschluss an die hierarchische ordnung des Hauses erfolgt der Übergang zur Besprechung der landwirtschaft, eben

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jener Tätigkeit eines freien Bürgers, die ihr analogon in der Kriegskunst hat. dabei ist der entscheidende gesichtspunkt durch die in den Kapiteln über die Frau und die Verwalter manifeste akzentverschiebung von epistēmē zu epimeleia bereits vorbereitet. ischomachos übernimmt gewissermaßen die rolle des platonischen sokrates, indem er die Fragen maieutisch stellt: „es ist wohl“, fragt sokrates schließlich, „die Befragung eine art unterricht?“ (Xen. oik. 19. 15) ischomachos ‚lehrt‘ sokrates die Kunst des landbaus, indem er ihm zeigt, dass er in ihr immer schon zu Hause war. die Beherrschung der landwirtschaft ist keine Frage theoretischen Wissens oder technischen Könnens, die Kultur des landes ist nicht epistēmē oder technē, sondern epimeleia. das gelingen der landwirtschaft, die unter allen Künsten am einfachsten zu erlernen ist, ist zuvörderst eine Frage des sich-Kümmerns (epimelesthai), der sorge um ihre notwendigkeiten. ebenso wie in der abhängigkeit vom Wohlwollen der götter zeigt sich auch hier die analogie von Ökonomie und Kriegskunst, in der ebenfalls die epimeleia eine tragende rolle einnimmt.28 allerdings hat die philanthropische dimension des landbaus, die Tatsache, dass der Boden dem menschen die Kunst, ihn zu bearbeiten, von sich aus lehrt, eine unübersehbare Kehrseite. die tellurische seite der landwirtschaft wird zum instrument einer diagnose der sie bebauenden menschen und ihres ethos. Ökonomischer misserfolg lässt – im gegensatz zu anderen Künsten – die entschuldigung mangelnden Wissens nicht zu, er wird vielmehr zum bedeutsamen Zeichen der götterferne, schlechtigkeit und Trägheit. als göttin ist die erde eine lehrerin der gerechtigkeit, die denen, die ihr am besten dienen, üppigen lohn zukommen lässt. Weil der landbau weder theoretisches Wissen voraussetzt noch elaboriertes technisches Können fordert, wird erfolg oder misserfolg zum indiz der ethischen Verfassung derer, die ihn betreiben. diese Zirkularität von ethik, Ökonomie und politik ist indes nicht geschlossen. die gefahren, die aristoteles im ersten Buch der Politik im Verhältnis von Ökonomie und Chrematistik zur sprache bringt, die rivalität von Haushalt und geldwirtschaft, sie sind bereits bei Xenophon sichtbar und zeichnen sich dem Bild des vollkommenen oikonomikos ein. in der absicht, die Konsequenzen seiner darlegungen weiter zu entfalten, kommt ischomachos auf das Verhalten seines eigenen Vaters zu sprechen. dieses aber tritt aus dem Zusammenhang der epimeleia heraus, der Vater setzt die sorge, die der landbau erfordert, für geldzwecke ein. er kauft vernachlässigte güter, bearbeitet sie, bis sie in einem guten Zustand sind und verkauft sie dann zum mehrfachen des preises, den er dafür bezahlt hat. er ist Haushälter und spekulant in einem. die Zyklen der natur werden überschrieben von der abstrakten linearität der geldvermehrung. so hält bereits bei Xenophon die Chrematistik einzug in die oikonomia. Was seit aristoteles zum zentralen problem werden wird, bleibt allerdings bei Xenophon eine subkutane Hinsicht, die hinter der – ökonomisches wie politisches, ethisches wie militärisches 28

Vgl. z.B. 80: „ebenso unterscheiden sich die Feldherren in manchen strategischen Fragen nicht in ihrem Wissen voneinander und sind daher besser oder schlechter, sondern offenbar infolge ihrer Sorgfalt.“ – Beiläufig kommt Xenophon in diesem Zusammenhang auch auf die Differenz von experte und laie (idiotes) zu sprechen, um sie im Blick auf die Kriegskunst zu nivellieren: Was Feldherren wissen müssen, steht auch der einsicht des laien offen, entscheidend ist die sorgfalt.

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Handelns einschließenden – Herrschaftsthematik zurücksteht. der oikonomikos besitzt „etwas vom Wesen eines Königs“ (ethos basilikou, Xen. oik. 21. 11). er herrscht nicht wie ein Tyrann durch gewalt, sondern durch die Kraft des Vorbilds, seine Herrschaft über die anderen setzt selbstbeherrschung und selbstdisziplin voraus. es ist exakt diese doppelte dimension von Herrschaft als selbstherrschaft und Fremdherrschaft, an die sich die autoren der renaissance, leon Battista alberti an erster stelle, erinnern werden, angesichts unerhörter chrematistischer asymmetrisierungen, die sich durch die internationalisierung des Handels und die entwicklung des Bankwesens auftun. iV. ÖKonomie und ZeiT Xenophon hatte den landbau auch deswegen gerühmt, weil er bei aller sorge, die er vom oikonomikos verlangte, gleichwohl die Freiheit ließ, sich den angelegenheiten der polis zu widmen. diese spannweite wird in der renaissance aufgegriffen, aber neu besetzt. alberti etabliert den ort des massaio von anfang an zwischen der (mittlerweile international ausstrahlenden) Ökonomie des Hauses und dem reputations- und Ämtersystem der stadt. die Welt von Della famiglia ist nicht mehr die der Komplementarität von oikos und polis, sondern die des Hauses als international agierender ökonomischer einheit und der stadt als ort der Konvertibilität ökonomischen und sozialen Kapitals. alberti rechnet mit der Konvertibilität der Kapitalformen geld, macht, anerkennung und amt, von ihr nicht zu wissen ist unter den verschärften Konkurrenzbedingungen nichts anderes als Verrücktheit, pazzia.29 man muss massaio sein, aber das kann man nur sein, wenn man auch massaio scheint, industria und fortuna sind stets verstrickt. die Ökonomie des Hauses operiert in einer Welt der conspicuous consumption, mit deren ansprüchen sie zu rechnen hat. die Konversion der Kapitalformen und die manipulation der ökonomischen und sozialen Zeichen verlangen ein diszipliniertes subjekt.30 ein29

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albertis giannozzo gehört durchaus in eine Vorgeschichte der histoire de la folie à l’âge classique (Foucault). Zu diesem Thema immer noch instruktiv: Kaiser (1963) und die Beiträge in Kinsman (1974), v.a. aber Klein (1963) 16 zur pazzia bei alberti: „les écrits moraux d’alberti fournissent une sorte de miroir de la folie comme il y en a peu dans la littérature […] a la lecture, ce pessimisme universel, la force incisive du trait surprenant, et avant tout une certaine lueur qui erre sans lendemain et sans lieu, apparentent étrangement l’archi-humaniste imbu de lucien à Jérôme Bosch.“ giannozzo berichtet ausführlich von den schwierigkeiten der einübung eines Habitus disziplinierter masserizia, z.B. wo es im Hinblick auf die älteren Familienmitglieder über seine Jugend heißt (160): „e molto più mi dispiacevano quando io stimava lo facessino per masserizia […] in quelli tempi era giovane, spendeva e largheggiava.“ – sombart (1923) 138 ff. macht bei alberti eine umstellung von einer seigneurialen ausgaben- zu einer bürgerlichen einnahmeökonomie aus, die letztlich in ein ethos der sparsamkeit mündet (das allerdings bei alberti keineswegs den Kern der masserizia ausmacht: „[d]ieser sinn, diese neue auffassung von guter Wirtschaftsführung konnte zunächst gar nichts anderes bedeuten, als eine grundsätzliche Verwerfung aller maximen seigneurialer Lebensgestaltung […] alsbald kam zu jenem grundsatz: nicht mehr auszugeben als einzunehmen, der höhere hinzu: weniger auszugeben als einzunehmen: zu sparen. Die idee des sparens trat in die Welt!“

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mal eingeübt, duldet die identität des ökonomisch formierten individuums keine unterbrechung oder diskontinuität, sie prägt die gesamtheit der lebensführung, sein self-fashioning ist umfassend. Für giannozzo gibt es keine autarke Haushaltsführung: die Ökonomie des Hauses bildet sich in den sozialen ordnungen sozialen und symbolischen Kapitals ab, die sie selbst schafft, kontinuierlich prägt und durch die sie ihrerseits stabilisiert wird. diese rekursivität der masserizia aber verlangt ein geformtes subjekt, dessen fortlaufende selbstbeobachtung stets mit der notwendigkeit der selbstkorrektur rechnet. die disziplin des Haushälters ist nur die synekdoche einer umfassenden (selbst-)disziplinierung. der Konnex von ethik, Ökonomie und politik wird von dem idiota giannozzo im ausgang von der ordnung des Hauses artikuliert. die santa masserizia macht unabhängigkeit und autonomie möglich: „[C]onosco la masserizia sola essere sofficiente a mantenerti che mai arai bisogno d’alcuno“ (163). Die Politik tritt nicht mehr als eine sphäre des guten lebens in den Blick, sondern als ort, wo soziales Kapital und impression management in machtpositionen konvertiert werden können.31 auch das selbstverhältnis des individuums wird von den anforderungen der masserizia her artikuliert. masserizia ist stets auf ökonomischen, sozialen und politischen Kredit bezogen, sie verlangt aber primär eine Ökonomie des „eigenen“, der „cose proprie“ (168) des individuums. Was aber sind die wirklich eigenen dinge, die „cose di che noi abbiàno a esser veri e solliciti massai“ (167f.)? und was macht ihren rechten gebrauch aus? Jedenfalls sind es nicht die dinge des Besitzes und des erwerbs. die sorge um den Haushalt kann nur erfolgreich sein, wenn ihr die sorge um das selbst vorgeschaltet ist. die masserizia mit ihrem quasiallegorischen Begleitpersonal (industria, sollecitudine, cura) zielt auf disziplinierung und dynamisierung der Vermögen der person. Zugleich aber bedarf die sorge um das Selbst der Anschauung des Haushalts, um jene Spezifik gewinnen zu können, die sie für die sorge um das ökonomische, soziale und symbolische Kapitel tauglich werden lässt. drei dinge, so erläutert giannozzo den oikos der person, könne der mensch eigen, „proprie“, nennen, denn sie seien ihm als gaben von der natur verliehen, um ihn vom ersten bis zum letzten Tag seines lebens zu begleiten. das erste seien die seele und ihre Bewegungen, vor allem ihre Begehrlichkeiten, „quello mutamento d’animo col quale noi appetiamo e ci cruciamo tra noi“ (168). Von der Vernunft ist nicht die rede, sondern nur vom Begehren (appetire) und von der sorge (crucciare). Giannozzo hat eine dynamische Zirkularität und Reflexivität der Antriebe der seele vor augen. das Zweite der eigenen dinge ist der Körper, das instrument der seele oder der Karren, auf dem sie sich bewegt. die disziplin des „vivere a sé stessi“ (169) spielt sich zwischen dem Begehren, seiner Kontrolle und der instrumentalisierung des Körpers ab. Beides, und namentlich die geselligen spiele und Wettkämpfe, die der Übung und disziplin des Körpers dienen, nehmen bereits im pädagogischen ersten Buch von Della famiglia breiten raum ein, sie kehren am 31

Zur Tendenz einer ‚ökonomischen‘ Kalkulation und interpretation sozialer reputation in albertis Della famiglia vgl. auch romano (1971) 151: „Fama, virtù, gloria, onore non sono, per l’alberti, astratti concetti ad uso di un’improbabile vita nell’aldilà; concretamente, essi costituiscono un capitale, di cui l’uomo può servirsi perfino per accrescere la sua ‚masserizia‘.“

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ende, in dem der Freundschaft gewidmeten vierten Buch wieder. giannozzos begründungslose, apodiktische Identifikation der eigenen Dinge ist im Kontext anthropologischer Vermögenstheorien der renaissance nicht grundsätzlich überraschend. den entscheidenden aspekt seiner exposition der „cose proprie“ sieht giannozzo indes selbst im dritten element, eine „(c)osa preziosissima“, die dem ich näher stehe als die eigenen augen oder Hände: die Zeit.32 dass die Zeit diese auszeichnung erfährt, hat zwei gründe: 1) man kann sie sich restlos zu eigen machen, „non in modo alcuno può quella [i.e. cosa, H.p.] essere non tua, pure che tu la voglia essere tua“ (169). das unterscheidet sie offensichtlich vom Körper, der bei aller disziplin der instrumentalisierung sich widersetzen kann. 2) Während sich die „operazioni dell’animo“ zwischen den individuen austauschen lassen, können die passionen von liebe, Hass, lachen und Weinen geteilt und übertragen werden, stellt sich für die Zeit die Frage nach nutzen und Verlust, aneignung und entgleiten ohne die möglichkeit der substitution und Übertragbarkeit. albertis giannozzo eröffnet die epoche der „eigenzeit“.33 als Zeit des massaio steht sie indes nicht im gegensatz zu einer Fremdzeit, die arbeit hieße, sondern zu einer leeren Zeit des Chronos, welche die nutzlos verstreichende Zeit wäre. die eigenzeit des massaio ist die auf dauer gestellte erfüllte Zeit, ein Kairos, der nicht mehr gabe der götter, sondern eigenes produkt ist. das entscheidende, vielfach variierte Konzept heißt „adoperare“, mit „aneignen durch arbeit“ vielleicht umständlich, aber nicht unzutreffend übersetzt: s’egli è chi […] adoperi il tempo in imparare, pensare ed essercitare cose lodevoli, costui fa il tempo essere suo proprio […] perdesi adunque il tempo nollo adoperando, e di colui sarà il tempo che saprà adoperarlo. (169) [e]ssere massaio delle sue proprie cose, reggere e moderare l’affezioni dell’animo, frenare e contenere gli appetiti del corpo, adattarsi e usufruttare il tempo, osservare e governare la famiglia, mantenere la roba, conservare la casa, cultivare la possessione, guidare la bottega […] Chi sa non perdere tempo sa fare quasi ogni cosa, e chi sa adoperare il tempo, costui sarà signore di qualunque cosa e’ voglia. (214)

die eigenzeit des adoperare meint gerade nicht die Verfügung über ein privates (Zeit-)residuum angesichts der Zumutung öffentlicher ansprüche auf das Zeitbudget des einzelnen, sondern die unter den Bedingungen der Zeitknappheit stehenden essercizii, deren intensive ausübung ökonomische, soziale und symbolische 32

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man nivelliert den anspruch dieser Trias des eigenen, insbesondere ihre Zeitdimension, wenn man ihn auf eine ‚Konkretisierung‘ der stoischen Figur des Weisen reduziert, wie beispielsweise Tateo (1971) 300: „la designazione di queste tre cose, l’animo, il corpo, il tempo, specialmente dell’ultimo, mire a tradurre in un linguaggio concreto il principio stoico del spaiente dominatore del mondo esterno perché dominatore di sé stesso.“ nowotny (1981) lässt in ihrer Beschreibung des anspruchs eigener Zeit die frühneuzeitliche Zeitkonzeption außer acht. ihr geht es zuvörderst um die opposition von öffentlicher Zeit, Zeit der arbeit und privater Zeit des individuums und der Familie: „mit der intensivierung des arbeitslebens und zunehmendem Zeitdruck […] wuchs das Verlangen nach einer neuen Verfügungskategorie: die Verfügung über die eigene Zeit, an der rechte angemeldet werden, so als ginge es darum, daran eigentum zu erwerben.“ (14) damit aber gerät die grenzüberschreitende eigenzeit frühneuzeitlicher oikonomia aus dem Blick.

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Beziehungen aussteuert und steigert. ohne Zeit hat die sorge für die seele und den Körper keinen Boden. Der Literat Lionardo, der alles in den Büchern zu finden glaubte, vergleicht die rede des idiota giannozzo mit dem delphischen orakel,34 die alte maxime der selbsterkenntnis hat ihr modernes ökonomisches gegenstück gefunden. das literatenurteil, man habe es in giannozzos lehre mit ungelesenem zu tun, trifft zumindest für den aufgerufenen prätext zu. in der unverfügbarkeit der Zeit manifestiert sich bei Xenophon gerade die notwendigkeit eines die oikonomia übersteigenden appells an die göttliche ordnung. alberti hingegen ordnet die masserizia del tempo jeder spezifischen Form des Haushaltens vor. Ihm kann deshalb auch nicht mehr die natürliche Zyklik der landwirtschaft das paradigma der oikonomia sein, sondern nur noch die von natürlichen rhythmen emanzipierte Zeit der Warenproduktion und des Handels, und damit die polyzentrische Wirklichkeit der casa alberta. die eigenzeit des massaio ist in ihrer Vernetzung auf das medium der schrift, der ‚Buchführung‘ angewiesen, sie tritt aus dem Horizont mündlicher Überlieferung heraus. dem Händler steht es nicht schlecht an „sempre avere le mani tinte d’inchiostro“ (205). masserizia ist für giannozzo zweiseitig, sie umfasst erhaltung und Bewegung, Bewahrung und anwendung, die Tätigkeiten des serbare und usare. der Haushalt der seele meint eine Verfügung über ihre antriebe und damit die Kontrolle ihrer operazioni, namentlich der leidenschaften. er zielt auf ihren einsatz in der Binnenwelt des selbst, in der international agierenden Familie und in den komplexen sozialen und politischen Verhältnissen der stadt Florenz. Was auch immer der einzelne tut, um mit ingegno und arte sich selbst zu bearbeiten, die „operazioni dell’animo veramente ottime“ (170) richten sich stets auch auf die steuerung des Hauses, die disziplinierung der Familienmitglieder, die selbstdarstellung im symbolrepertoire der stadt. die sorge um den Körper treibt giannozzo auch im alter noch um, er will auf die Pflege des Körpers mit den Mitteln einer angemessenen „dieta“ und eines „essercizio temperato e piacevole“ (175) nicht verzichten. mit dem Haushalt des Körpers schließt alberti an den xenophontischen prätext an. der sokrates des oikonomikos hatte, im gegensatz zum platonischen sokrates vor allem des Phaidon, die Ertüchtigung des Körpers als spezifischen Vorzug der Landwirtschaft gerühmt. sie zwingt zu körperlicher anstrengung und steigert die Kraft des Körpers, was sich wiederum zu militärischen Zwecken nutzen lässt. Während die handwerklichen Tätigkeiten den Körper verweichlichen, dient die landwirtschaft durch seine ertüchtigung dazu, das tun zu können, „was einem freien manne zukommt“ (23). alberti löst die masserizia del corpo aus dem landwirtschaftlich-militärischen Kontext des antiken prätextes, verallgemeinert sie im sinne einer spätantiken Kultur 34

So rät Lionardo den jugendlichen Zuhörern: „Mandate a memoria […] questi non detti de’ filosofi, ma come oraculi d’Apolline ottime e santissime documenti, quali non troverrete in su’ nostri libri.“ (170) – giovanni rucellais Zibaldone quaresimale, das in konzeptueller Hinsicht sich massiv auf den Economicus stützt, formuliert in ähnlich enthusiastischen Worten die Forderung eines Haushalts der Zeit: „Fate masseritia del tempo, però ch’egli è la più cara cosa che noi abbiamo; risparmiatelo, disponete, ordinate le facciende, datevi da fare, non perdete mai tempo invano.“ (Zit. nach der ausgabe des Warburg instituts, london 1969, 8)

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des Körpers,35 und funktionalisiert sie im interesse der masserizia und ihrer ökonomisch-politischen dimensionen. der Körper, den giannozzo möglichst lange „sano, robusto e bello“ erhalten möchte, ist arbeitsinstrument und symbol gleichermaßen. er verklammert den Haushalt der Familie mit dem öffentlichen raum der stadt, die prosperität des oikos mit der anerkennung in der polis: „Tengomi netto, pulito, civile, e sopratutto cerco d’adoperare così le mani, la lingua e ogni membro, come l’ingegno e ogni mia cosa, in onore e fama della patria mia, della famiglia nostra e di me stessi.“ (174) mit der masserizia del tempo, der appropriation der Zeit durch das sich selbst disziplinierende individuum, vollzieht der idiota indes einen schritt, der aus dem Bannkreis von intertextualität und imitatio entschieden heraustritt. mit der Ökonomisierung der Zeit beschreitet der massaio einen Weg, der ihn zwingt, sein Handeln auf die knappe ressource Zeit zu beziehen. Knappheit ist keine objektive eigenschaft der Zeit, sondern das resultat einer Beobachtung, die das Feld der operazioni der seele und des Körpers entgrenzt. der Haushälter könnte immer etwas stattdessen tun – und dabei wird ihm die Zeit knapp. die masserizia del tempo operiert daher nur scheinbar auf der gleichen ebene wie der Haushalt der seele und des Körpers, in Wirklichkeit legt sie sich über diesen, bringt ihn in eine Zeitperspektive und damit unter beständigen Handlungsdruck. im gegensatz zu seele und Körper ist die Zeit für alberti kein jederzeitliches proprium der person, vielmehr wird sie es erst in der Kontinuität der aneignung, dem essercitarsi und adoperarsi. es gibt keine möglichkeit, die Zeit zu konservieren, sie wird nur in der unausgesetzten selbstbetätigung zum eigentum des individuums. der Haushalt der Zeit ist jene paradoxe Form, in der ausgeben und aneignen zusammenfallen. so ist für giannozzo die Zeit nicht der immer schon erfüllte, durch stabile rhythmen skandierte Kreislauf der natürlichen oder sozial regulierten Zeit, sondern die „stagione delle faccende“ (177), deren komprimierte organisation keine vorgegebene ordnung kennt, und die sich über dem dunklen phantasma verstreichender und damit verlorener Zeit wölbt. die aus dieser Konstruktion abgeleiteten imperative schlagen sich in beständiger aktivität und vorausschauender, begleitender und retrospektiver selbstkontrolle nieder. der idiota formuliert seine masserizia del tempo so allgemein, dass sie dem Kaufmann wie dem Humanisten konvenieren kann. sie rekurriert nicht mehr auf die exteriorität einer natürlich-zyklischen Zeit oder die theologisch-soziale reglementierung des Kalenders und der Zeit der gemeinschaft, sondern auf eine selbstkonstituierte rationalität von planung und Zeitorganisation, in der das individuum die synchronisation von Handeln und ‚Zeitort‘ zu instituieren hat. der massaio entwirft am morgen einen Tagesplan, dessen erfüllung am abend in gedanken rekapituliert wird.36 „[m]ai perdere una ora di tempo“ (177) wird zur 35

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allerdings ist in den stoisch-epikureischen philosophien der spätantike, in deren Vertrautheitshorizont sich albertis dialoge bewegen, die sorge um den Körper, seine diät, Hygiene und Pflege, noch weitgehend im Interesse des Wohlbefindens der Seele instrumentalisiert. Man kümmert sich um den Körper, damit er der seele nicht zur last fällt. Vgl. dazu Hadot (1987) und Foucault (1984). Zur Bedeutung dieses Themas in der renaissance vgl. starobinski (1987) v.a. 433 ff. über das Verhältnis zeitlicher disziplin (ponocrates) und hedonistischer Befreiung vom Zwang der Zeit-

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maxime, die jede Tätigkeit begleitet. giannozzos Haushalt der Zeit impliziert keine normativen Vorentscheidungen im Blick auf die Tätigkeitsfelder, vita activa wie vita contemplativa sind Formen des essercitarsi. das Handeln wird seinem Zeitort zugewiesen, dieser ist weder durch die exteriorität der natürlich-zyklischen noch durch die soziale reglementierung des Kalenders und der Zeit der gemeinschaft37 reguliert, sondern ergibt sich aus der selbstkonstituierten rationalität eigener planung und Zeitorganisation: „Tante cose […] e a ciascuna assegno il tempo suo“ (176). die masserizia del tempo, die der idiota formuliert, konveniert dem Kaufmann wie dem Humanisten, sie greift auf Vergangenheit und Zukunft aus und praktiziert eine art mnemotechnischer Verräumlichung der Zeit, nur so kann der potentiell unerträgliche Zeitdruck des Handelns entschärft werden.38 die hyperbolisch gefeierte Wirkung der rede giannozzos auf seine Zuhörer wird plausibel, wenn man sich zwei Kontexte vor augen hält, die der idiota ohne expliziten rekurs transformiert. der erste betrifft den Zeitaspekt stoischer cura sui, wie ihn alberti auch in seinen späteren dialogen theogenius und Profugiorum ab aerumna einlässlich thematisieren wird. in deren Zentrum steht das konsequente abschneiden der Zeithorizonte von Vergangenheit und Zukunft. nur in der gegenwart ist das philosophisch übende subjekt wirklich bei sich selbst, während Vergangenheit und Zukunft das ich gefährden, indem sie durch gedächtnis und imagination leidenschaften aktivieren, die sich auf etwas richten, was sich der Verfügung entzieht. Für giannozzo ist der Haushalt der Zeit Teil einer „erwerbskunst“, für den stoiker nutzlose selbstgefährdung. ihm genügt der jeweilige gegenwärtige augenblick, um sich einer vernünftigen, ebenso raumhaften wie zeitlosen ordnung zu vergewissern. der ausgriff in Vergangenheit und Zukunft kann sich nur auf das Vergangene und deshalb unabänderliche bzw. auf das noch ungeschehene und daher unvorhersehbare richten. er erzeugt die imagination der Kontingenz und trägt unruhe in sich. das exercitium spirituale des stoikers ist ein Therapeutikum der Zeit, keine appropriation von Zeitvektoren wie in der masserizia albertis.39 die stoische sorge um das eigene selbst, die sich Zeit nimmt und nehmen muss, entzieht sich die Zeit in der Reflexion, sie bleibt auf den gegenwärtigen Augenblick fixiert, der allein gewiss ist und der dem Ich notfalls, aber auch prinzipiell, genügen muss, alles das zu sein, was es ist und sein kann.40

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messung (abbaye de Thélème) im Werk von rabelais, mit dem Kommentar von Jauss, ebd., 535–539. Zum historischen Kontext des mittelalters und seine Transformation vgl. gurjewitsch (1986). Vgl. dazu auch Batkin (1979) 170 ff. und schreiner (1987) v.a. 389 ff. zur „Zeit der Wissenschaft und der Bildung“. Vgl. zur stoischen selbstsorge Hadot (1987) 19 f.: „Cette attention au moment présent est en quelque sorte le secret des exercices spirituels. elle délivre de la passion qui est toujours provoquée par le passé et l’avenir qui ne dépendent pas de nous.“ Zur systematik einer Theorie der Zeit in der stoa ausführlicher goldschmidt (1953). das heißt natürlich nicht, dass die stoa nicht über die Zeitordnung der cura sui und ihrer conversio ad se nachdenken würde. Es finden sich zahlreiche Formeln, die ihr bestimmte Tageszeiten zuordnen, um den ansprüchen der seele, aber auch der sorge um den Körper nachkommen zu können. Zu deren repertoire vgl. Foucault (1984) 65 ff.

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giannozzos rede über die masserizia profiliert sich vor dem Hintergrund spätantiker Topoi der selbstsorge, die der literat lionardo präsent hält. auf der anderen Seite aber steht die Spezifik eines Eingriffs, der sich auf eine Diskurstradition bezieht, die in den Texten albertis so gut wie gar nicht repräsentiert ist, obwohl sie für die Verschriftlichungspraktiken des sozialen milieus der Händler und Kaufleute, dem die casa alberta angehört, die genres familienzentrierter ricordi des 14. und 15. Jahrhunderts, zweifelsohne prägend ist. albertis dialoge sind ‚humanistisch‘ in dem elementaren Sinn, dass ihre intertextuelle Oberfläche vom Textrepertoire der vorchristlichen antike geprägt ist. er grenzt damit eine Theologie der Ökonomie aus, die in ihrer auseinandersetzung mit Zins und Wucher notwendig zugleich eine Theologie der Zeit ist. „die Zeit“, so resümiert aron gurjewitsch die theologisch grundierte Zeitkonzeption des Hochmittelalters, „war nicht seine [i.e. des menschen, H.p.] individuelle Zeit, sie gehörte nicht ihm, sondern einer höheren macht, die über ihm stand.“41 nur weil die Zeit das eigentum gottes war, das er seinen geschöpfen in gleicher Weise als gabe, donum, zukommen ließ, ist es unvermeidlich, dass für die mittelalterliche Theologie jede Form des Zinses als Wucher (usura) erscheinen musste, weil der Zins, in welcher Höhe auch immer, einen gewinn aus der Zeit zu ziehen erlaubte. diese prämissen erhellen auch, warum für die frühe neuzeit praktiken wie etwa Währungstransaktionen als optionen der umgehung des Zinsverbots eine eminente Bedeutung gewinnen konnten.42 die Zeit als donum Dei und die Zeit als objekt ökonomischen Kalküls – aus diesem antagonismus erhellt der hochmittelalterlich unlösbare Konflikt von „Zeit der Kirche“ und „Zeit der Händler“, wie ihn Jacques le goff beschrieben hat.43

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gurjewitsch (1986) 174. – Von martin (1974) 14 spricht von dem „wirklichen atheismus“ des renaissanceitalieners, „der für das gesamte Handeln die idee der göttlichen Wirklichkeit ausgeschaltet hat und so auch denkt und schreibt“. aus dieser situation erhellt sich auch die eminente Bedeutung der Konzeption des gerechten preises (iustum pretium), den die scholastische Ökonomie immer wieder umkreist. – Zur Zeitökonomie der renaissance vgl. auch von martin (1974) 38: „solche Zeitökonomie kannte das mittelalter noch nicht: es hatte noch Zeit, und brauchte sie daher nicht als ein teures gut zu schätzen; das wurde die Zeit ja erst, als sie knapp wurde. und knapp wurde sie erst, als man in der liberalen Kategorie des individuums und der ihm ‚zugemessenen‘ Zeit zu denken begann.“ – die situation des Zeitbewusstseins im mittelalter weist im Übrigen bemerkenswerte analogien mit dem Verständnis von scientia auf. Vgl. dazu die aufschlussreichen analysen in post / giocarinis / Kay (1955). da Wissen ein donum Dei ist, kann ihm geld nicht kommensurabel sein, es kann mithin nicht verkauft werden. Wovon sollen dann aber die lehrer der philosophie, Theologie und der artes liberales leben? man muss sie entweder mit öffentlichen mitteln unterhalten, oder ihnen einen lohn für ihre mühe (labor) der Vermittlung des Wissens zukommen lassen („pro labore quem aliquis sustinet infundendo philosophiam“, wie es in einer erfurter Handschrift heißt). Vgl. le goff (1960). dort auch das konzise Zitat aus der Hand eines Franziskaners des frühen 14. Jahrhunderts zum Zinsverbot im Blick auf die mercatores: „venderet tempus et sic usuram committeret vendens non suum.“ außerdem: le goff (1977); Borst (1990). – Bernardino da siena behandelt das Thema des Zeitverkaufs, De temporis venditione, et quando hoc liceat vel non liceat, in einer komplexen Kasuistik der ‚doppelten‘ Zeit, tempus dupliciter considerari potest, vgl. Bernardino da siena (1950–1963), iV, 163 ff.

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Für die masserizia ist die Zeit kein donum Dei mehr, sie setzt die neutralisierung der Zeit zum leeren medium von dauer und Bewegung voraus. sie muss von mythologischen Bedeutungen und metaphysischen Besetzungen befreit werden, um als Zeit der messung zur „identitätslogischen“ Zeit44 zu werden. als qualitätslose Zeit kann sie umso intensiver imaginär besetzt und appropriiert werden. giannozzos masserizia del tempo ist neutralisierung und aneignung zugleich, sie lässt Chronos in Kairos umschlagen. die maximen des adoperare und essercitare muten dem massaio zu, keinen augenblick ungenutzt und bedeutungsleer verstreichen zu lassen – aus der Literatur gewinnt er Bedeutung, aus dem Handel finanzielles Kapital, in der erziehung sorgt er für die Vermittlung der generationen, die gesten der Freundschaft produzieren symbolisches Kapital. auf den wachsenden Hiat von erfüllter und identitätslogischer Zeit antwortet die masserizia mit einer rehomologisierung, der minutiösen messung der identitätslogischen Zeit entspricht die ebenso minutiöse Verdichtung und intensivierung der eigenzeit. aber diese Homologie hat ihren preis. giannozzo beginnt seine diskussion der masserizia, welche die Tradition der oikonomia aufgreift, bei der Figur des Haushälters – und von ihr findet sie nicht mehr in das Haus zurück. Della famiglia eröffnet eine neue „Zeitschere“45 zwischen der eigenzeit des individuums und den sozialen Zeiten, zu denen auch die Zeit des Hauses gehört. die in der neutralisierung der Zeit erreichte erweiterung der spielräume des Handelns erfordert komplexe, rekursive Verfahren von aktion, reaktion und selbstkontrolle. indem die masserizia del tempo die sach- wie die sozialdimension zum material der Zeitökonomie nivelliert, entgrenzt sie die Ökonomie des selbst zur, sit venia verbo, Chrematistik des selbst, in der unablässig Formen des ökonomischen, sozialen, kulturellen, symbolischen Kapitals transformiert und akkumuliert werden. der Zeitdruck ist zugleich ein druck mitlaufender und generalisierter selbstbeobachtung, dem adoperare und essercitare entspricht die Reflexivität von adoperarsi und essercitarsi. Was giannozzo demgegenüber für die oikonomia im alten, ursprünglichen sinn, für den Haushalt der Familie als einer ökonomischen einheit, anzubieten hat, geht kaum über den defensiven empirismus hinaus, dessen Themen er bei Xenophon und seinen römischen nachfolgern entlehnt. Zwar hat giannozzo durchaus die Zirkularität der masserizia im auge. Was er zunächst zum Haushalt des selbst konzentriert, soll auf die Ökonomie der Familie zurückgewendet werden. aber er hatte selbst lange vorher gegen die erwartungen des literaten lionardo darauf hingewiesen, dass die Familie im sinne des ganzen Hauses, im gegensatz zur Zeit, nicht zu den „cose nostre“ zu zählen sei. das Haus wird angesichts der Verstreutheit der Familie zur bloßen metaphorischen Hülle, die Berufung auf die genealogie postuliert identität und produziert doch nur die anschauung von differenz und Zentrifugalität. die defensive Tendenz der Hauswirtschaft giannozzos zeigt sich vorrangig in der Vorliebe für die villa und die landwirtschaft. man ist hier weit entfernt von den weitgespannten Handelsbeziehungen der famiglia alberta, über die in den dialogen berichtet wird. die Vorgaben des oikonomikos erfahren im Blick auf die 44 45

Vgl. zu diesem Begriff (und dem gegenbegriff der „imaginären“ Zeit) Castoriadis (1984) 354 ff. Zu diesem Begriff vgl. Blumenberg (1986).

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landwirtschaft eine bezeichnende Verschiebung. Xenophons plädoyer für die landwirtschaft hatte religiöse motive im auge, zugleich betont er aber die Freisetzung des Haushälters für die politischen Belange der stadt. Bei alberti hingegen folgt der Konzentration der masserizia auf das individuum und dessen eigenzeit eine heftige diatribe gegen die städtische politik und ihre Ämter. in der stadt sei alles „piena di fizione, vanità e bugie“, die politische Vita sei „molestissima, piena di sospetti, di fatiche, pienissima di servitù“ (179 f.).46 demgegenüber vollendet die villa die Tendenz zu einer defensiven ökonomischen autarkie. sie gewährt einen raum des rückzugs aus den Fiktionen und antagonismen des städtischen lebens. Zugleich ist sie ein ort der Kontrolle, und zwar nicht mehr, wie im oikonomikos, des menschen und seines Charakters durch den Boden und seine gerechtigkeit, sondern des menschen durch den menschen. die kontrafaktische imagination des landes fungiert als Korrektiv politisch verzerrter städtischer Verhältnisse, nicht als ökonomisches paradigma. die villa ist indes nicht giannozzos letztes Wort, sein autor lässt ihm die nähe zur esperienza der internationalisierten Ökonomie. gerade weil giannozzo die landwirtschaft nicht mit emphatischen Wahrheits- und gerechtigkeitsattributen ausstattet und sie auf die momente des nutzens und transparenter Verhältnisse reduziert, kann er für das Haus das motiv einer „gemischten“ Ökonomie fortsetzen. er rät, neben der autarkiefördernden landwirtschaft noch ein städtisches „essercizio civile utile alla famiglia“ (203) zu betreiben. er denkt weniger an den internationalen Handel, den ruhmestitel der casa alberta, als an Woll- und seidenverarbeitung, unternehmungen, die mehrfachen nutzen bringen, weil sie wenig eigene mühe erfordern, viele Hände beschäftigen und damit als Werk der pietà auch eine opportune Form des reputationsgewinns darstellen („buona fama“). da giannozzo als repräsentant der ‚alten‘ generation mit der bitteren erfahrung des exils vertraut ist – er selbst lebt in Venedig, der stadt des seehandels, von dem er allerdings abrät –, ist er vor allem an der identität der Familie interessiert. deshalb lösen sich ihm die alten unterscheidungen von Ökonomie und Chrematistik auf. Haushaltstechnisch steht er auf der seite eines erfahrungsgesättigten rezeptwissens, das sich gegen die dominanz des geldes ebenso stemmt wie gegen die dominanz einer ökonomischen Handlungssphäre.47 die vielfältige negativität der Krisen verlangt Anpassungsfähigkeit. So ist seine der Familienkontinuität verpflichtete Ökonomie des Hauses, anders als die masserizia der person, weitgehend reaktiv. sie kennt die macht der Fortuna und verzichtet darauf, ökonomisch alles auf eine Karte zu setzen. 46

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mit der kategorischen Verwerfung der städtischen politik: „ogni altra vita a me sempre piacque più troppo che quella delli, così diremo, statutali.“ nach dem einspruch des literaten lionardo, der über keine ökonomische Kompetenz verfügt, verständigt man sich schließlich auf eine ausgleichsformel: „[p]er reggere altri, mai lasciate di reggere voi stessi; per guidare le cose publiche non lasciate però le vostre private“. – Zu albertis „avversione alla politica“ vgl. auch petrini (1951). Vgl. zu albertis Konzept des Hauses und der Familie auch romano (1971) 153: „la famiglia albertiana si presenta a noi come una cellula chiusa, un microorganismo, un fatto aristocratico, la cui azione è fine a se stessa. Non si scorge mai […] un ‚gruppolo‘ di famiglie, che giungono a formare una civitas, una società.“

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giannozzo bezieht seine autorität nicht aus der literatur, sondern aus der praxis seiner eigenen masserizia del tempo. die Zeit, „ottimo maestro delle cose“, macht ihre aneignungsvirtuosen zu „buoni conoscitori e operatori“. er gehört zu den „uomini non gastigati dalle lettere, ma fatti eruditi dall’uso e dagli anni“ (213). und die erfahrung ihres Haushalts lehrt, dass die aus dem modell der oikonomia, des Haushalts, abgeleitete dynamische Identität der handelnden und reflexiven Person nicht bruchlos auf das Haus zurück übertragen werden kann. die Familie ist in Della famiglia eine Konzeption des literaten, der die Vergangenheit aufbietet, weniger die erfahrungswirklichkeit des zum experten der masserizia gewordenen idiota. dass allerdings die vom Haus gelöste und im individuum radikalisierte oikonomia von seele, Körper und Zeit das ich überfordern könnte, wenn sie nicht durch die norm einer ‚Tagesordnung‘ unterstützt wird, ist eine sorge, die nicht nur den autor nicht loslassen wird. die Hypotheken, die giannozzos masserizia hinterlässt, müssen abgearbeitet werden, die Hypertrophie der chrematistischen eigenzeit wird bis zum ende der renaissance die Bilder der entzogenen Zeit und des fragilen Haushalts des selbst mobilisieren.

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Die OikOs/POlis-Differenz als PrägenDe struktur Der neuzeitlichen ÖkOnOmie/POlitik-fOrmatiOn Birger P. Priddat i. Der OikOs als grunDmODell Der ÖkOnOmie in Der eurOPäischen VOrmODerne Über die antike Wirtschaft wissen wir heute gründlich mehr1 als uns lediglich auf aristoteles, Xenophon etc. zu verlassen. aber aristoteles, Xenophon und die „römischen agrarschriftsteller“ haben das abendländische Bild der Wirtschaft geprägt: als eine vornehmlich agrarische oeconomia, eher autarkisch als marktoffen, eher bedarfs- als gewinnorientiert. Dass sich diese Bilder von der Praxis der geschichtlichen epochen jeweils unterscheiden, ist nicht der Punkt, der uns hier interessieren wird. sondern eine in der neuzeit aufkommende, neu interpretierte Oikos/Polis-Differenz. Das Oikos-modell, die hausherrschaft über familie und sklaven/ knechte, bleibt eine grundstruktur der Organisation wirtschaftlicher einheiten durch die geschichte hindurch (bis in die heutigen ‚haushalte‘ und in familienunternehmen), aber in spannung zu einem Polis-modell, das – gegen-herrschaftlich gedacht – die politische Ökonomie der aufklärung neu entschlüsseln und erklären kann. Oikos/Polis dient als topos der formation der Politik der neuzeit und zwar, scheinbar paradox, als die entwicklung der idee einer bürgerlichen gesellschaft über die handelsentwicklung der märkte. ii. Wirtschaft als herrschaft resP. ÜBergreifenDe Dynastische OrDnung (Der territOrialstaaten) Die einseitige lesart der abendländischen Ökonomie als oeconomica des „ganzen hauses“ geht auf Wilhelm heinrich riehl2 und Otto Brunner3 zurück. Der topos der „hausväterliteratur“ wird auf die Ökonomik Xenophons und aristoteles’ bezogen.4 Bei Xenophon und im ersten Buch der aristotelischen Politik wird die oikonomikē als eine Verwaltungs- bzw. managementkunst der Organisation des hauses vorgestellt; erst im Weiteren der Politik geht es um die außenbeziehung des als ideal autark gedachten Oikos zu anderen Oikoi bzw. zum markt. Das galt bisher als 1 2 3 4

s. z.B. lowry (1987); seaford (2004); eich (2006), Wieland (2012), temin (2013), sommer (2013). riehl (1861). Brunner (1968); tribe (1988) kap. 1; Burckhardt (1990; 2012); vgl. dazu richarz (1991); lehmeier (2006); scherrle (2011). Derks (1996) 223; egner (1978); mitterauer (1978); Weiß (2001).

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abendländische Basiswirtschaftsauffassung.5 Bei Antoine de Montchretien z.B. finden wir allerdings die haushaltungsvorstellung auf die großen territorialstaaten der neuzeit übertragen.6 Die staatshaushaltskunst (oikos/oikonomia im staats-/ reich-format), bald im 16./17. Jahrhundert als kameralismus zu einer eigenständigen konzeption erwachsen, lehrt den fürsten, ihren staat wie ein kluger hausherr zu verwalten.7 es ist eine als herrschaft auftretende Wirtschaft.8 Der fürst agiert wie ein oikodespotēs über seine familia; die untertanen erscheinen als seine kinder (im Deutschen hat sich der Begriff des „landesvaters“ erhalten). insofern haben wir es mit einem reaktivierten antiken modell zu tun, aber in neuzeitlicher ausweitung (eher platonisch königsherrschaftlich).9 Parallel wird der Begriff der politeia (von Platon) übernommen für die form der herrschaftsausübung als „Polizey“,10 die als übergreifende politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung qua anordnung dem staat die Durchsetzungsmacht seiner herrschaft gibt. märkte sind so zuerst noch – bis ins 19. Jahrhundert, d.h. bis zur institutionalisierung von gewerbefreiheit – selber „polizeyliche“ institute, herrschaftlich terminiert und zugelassen.11 iii. restitutiOn Der POlis resP. POlitik: herrschaftsgeWalt BÜrgerliche selBstOrganisatiOn so ist der antike gedanke der Wirtschaft als oikonomia, d.h. haushalts-herrschaft, nicht nur eine dominante form der Organisation der mittelalterlich-neuzeitlichen 5 6 7 8 9

finley (1973). Bürgin (1996) kap. 5. simon (2004); Priddat (2006; 2008). Vgl. foucault (2006). albrecht koschorke begründet das herrschaftsmoment des familialen Vaters – als „rollenanweisung“ – aus einer anderen kulturgeschichtlichen Konfiguration. „Die Entwicklung der Institution familie im abendland lässt sich nicht ohne die stetige auseinandersetzung mit ihrem neutestamentlichen Vorbild verstehen [Vater / sohn / heiliger geist / maria – die „heilige familie“; B.P.]. Vor diesem hintergrund kann es nicht gleichgültig sein, dass sich die europäische modellfamilie schlechthin als eine unvollständige, von einer komplizierten symbolischen Ökonomie gekennzeichnet, durch eine doppelte Vaterschaft doppeldeutige familie erweist. merkwürdigerweise hat sich dafür keine der großen kulturtheorien interessiert. nicht einmal freud, der doch in seiner schrift über den ‚mann moses und die monotheistische religion‘ eine umfassende analyse der Vater/sohn-achse auch im christlichen glauben versucht, geht auf diesen sachverhalt ein. Die geschichte des christlichen monotheismus ist von anbeginn eine geschichte der spaltung der Vaterfunktion: in den empirischen und den transzendenten Part, die anwesende unzuständige und die abwesende, aber aus der ferne herrschende patriarchale instanz. Dieses schisma der Vaterschaft, geknüpft an die kulturträchtige trennung zwischen geschlechtlicher und geistiger Liebe, hat sich zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Geschlechterkonfigurationen niedergeschlagen. Doch enthält es weit mehr als eine – in bestimmten grenzen – kulturell assimilierbare rollenanweisung. es stellt, durch alle historischen einpassungen hindurch, den schlüsselmechanismus in einem machtsystem dar, dessen Direktiven im namen des Vaters ergehen.“ koschorke (2000) 38 f. 10 simon (2004); foucault (2006). 11 Burckhardt (1992); simon (2004).

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familia/„haus“, sondern zugleich modell der herrschaftsformen der neuen staatsgebilde – und die policey ursprung moderner Verwaltungsbürokratien. Dass die politeia zur policey verwandelt wird, ist eine anti-politische Vereinnahmung, die ihre – subtile – erklärung dadurch erlangt, dass die räte, die die verschiedenen „Policeyen“ bilden und ihnen vorstehen, durchaus bürgerliche, urbane räte sind, d.h. bürgerliche Berater der herrscher, die ihre eigene „Politik“ zu formulieren in der lage sind.12 in diesem sinne sind die Policey-Ordnungen gewissermaßen herrschaftlich angeordnete selbstordnungen des Bürgertums, in deren handhabung und ausführung herrschaftliche gewalt in bürgerliche verwandelt erscheint. es bleibt zu untersuchen, inwieweit die mittelalterlichen, bis tief in die neuzeit aktiven gilden und zünfte13 als kooperations- und regulationsinstitute eine politische form (räte, zünfte, gilden, hanse = quasi-bürgerliche/urbane unterlaufung der dynastisch-familialen landwirtschafts-hausordnung) darstellten, und zwar nicht nur, wenn die zünfte/ gilden die – gemeinschaftliche – herrschaft in den räten der städte ausübten, sondern auch unabhängig davon als gemeinschaftsgebilde existierten, die ihre angelegenheiten peer to peer unter sich regelten (mit abstimmungsmodalitäten und satzungen/Verfassungen). hier bleibt das Polis-modell – selbst wenn es historisch gar nicht mehr als solches erinnert wurde – geschichtslebendig: als frühformen bürgerlicher selbst-herrschaft. Das nenne ich eine Polis-form. Die zentrale Dichotomie lautet: Dynastie versus bürgerliche selbstorganisation. iV. rÜckgriff auf einen suBteXt Der aBenDlänDischen geschichte: POlis unD POlitik Die originäre „Politik“ (politeia) bleibt ein subtext der abendländischen geschichte; eine ausnahmeform, die sich explizit von jeder herrschaft absetzt (als selbst-herrschaft der Bürger). Die wenigen republiken (und die rätegeführten „freien städte“) bewahren dieses moment, wenn sie auch eher eine kopie der römischen res publica sind, einer adelsherrschaftsform (des adeligen senatus). Wir werden sehen, dass die politeia in der neuzeit in anderer gestalt, als bürgerliche gesellschaft, reformatiert wird (die Policey-gewalten sind sublime zwischenformen). V. Die oeconomia divina – Der haushalt Des uniVersums unD seine VerWaltung Beide – familiale und landes-hauswirtschaft – spiegeln sich in einer anderen tradition, die aus dem historischen Bewusstsein fast völlig verschwunden ist: in der göttlichen herrschaftsidee des christlichen abendlandes. Die oeconomia divina, später heilsökonomie oder heilsplan gottes, war eine frühchristliche Übernahme der oikonomia-konzeption auf die „haushaltung des universums“, wie novalis 12 13

Priddat (2008). epstein / Prak (2008); Ogilvie (2011).

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noch erinnert.14 Über verschiedene interpretationsstufen war die große göttliche oikonomia verbunden mit der providentia, der Vorhersehung gottes, die alles in einem schöpfungsplan geordnet habe, auch die zukunft.15 gott agiert als der große herrscher über die Welt; die engel sind seine administri, die die Verwaltung der schöpfung besorgen.16 Dass die oeconomia divina wesentlich eine seelenökonomie ist (oikonomia psychon), die das leben als Dispositiv für die gnadenerwählung im himmel betrachtet, ist hier nur anzumerken. in dieser theologischen Ökonomie geht es weniger um das physische Wohlleben, sondern um die mundane Disposition auf das ewige leben der seelen.17 Die Belange irdischer welfare sind angesichts der kurzen frist des Daseins eher marginal; umso schärfer und präziser werden die glaubens- und Demutsattitüden der menschen durchdacht, um die anwartschaft auf den himmel erlangen zu können. Das irdische Dasein ist insofern zu ordnen,18 um das leiden in glauben zu transponieren, in erwartung der ewigen freuden des himmels (wie gottfried Wilhelm leibniz noch seine theodizee begründet, in der er darlegt, weshalb gott das leid in die Welt brachte).19 Diese göttliche herrschaft – 14 15 16 17 18

novalis (1960) 533, nr. 31. agamben (2010); mit Bezug auf das „haus“ scherrle (2011). agamben (2010). Priddat (2013a). auf das begleitende Ordnungsmoment der „heiligen familie“ als modell der christlichen familien und ehen weist albrecht koschorke (2000) hin, insbesondere auf die darin begründete väterliche macht (gottes wie des haushaltsvorstandes [vgl. anm. 9]). 19 um auf eine zwischenstufe aufmerksam zu machen, die man gewöhnlich anders interpretiert: Die mittelalterliche thomasische caritas reduziert die jeweilige christliche hauswirtschaft auf das notwendige (necessarium), um das superfluum den armen zu geben, vgl. Priddat (2012a). genauer gesagt wird das superfluum gott gegeben, die armen fungieren als medium (klein [2010]), in erfüllung der haushaltung gottes (bzw. der kirche als das haus gottes). Das, was man braucht (necessarium), bildet ein Oikos-modell christlicher autarkie, während das, was man nicht braucht, das Überflüssige (superfluum), ein Bestandteil der herrschaft gottes wird. eigentum bzw. Besitz ist vor gott kein entscheidendes unterscheidungskriterium; vor gott sind alle gläubigen „gleich“. „Das christentum unterlegt dem sozialen feld eine in sich widersprüchliche, stets neu auszutarierende doppelkonditionierung. auf der einen seite besteht der stufenbau weitgehend undurchlässiger, in sich abgeschlossener gentilgruppen und stände durch alle historischen abwandlungen hindurch. auf der anderen seite jedoch sind die gläubigen vor gott und die untertanen vor dem kaiser ‚eigentlich‘ gleichgestellt. Diese eigentlichkeit ‚arbeitet‘, sie bringt eine kraftvolle rhetorik der armut mit sich – armut sowohl im materiellen als auch im zeichenhaften sinn, nämlich als Wegfall der herkömmlichen gesellschaftlichen markierungen –, um so das gefüge der mehr oder minder feinen gesellschaftlichen unterschiede zu devalorisieren“ (koschorke [2000] 130 f.). es ist dabei zu beachten, dass das kirchlich inspirierte eherecht im mittelalter „im Dienst einer Politik der kirche gegen die Verwandtschaft“ („schwächung der sippen“) steht (koschorke [2000] 134). und dass Besitz, der innerhalb von familien nicht vererbt werden kann, als stiftung an die kirche fällt. als ecclesia versteht sie sich als das neue, eigentliche gemeinwesen; funktional transferiert sie Privateigentum in „öffentlichen Besitz“ (koschorke [2000] 134 ff.). folglich fördert die kirche (bzw. ihr kanonisches recht) die „konsensuelle ehe“, um den sippen die Verfügung über heirats- und Besitzarrangements zu nehmen. so entsteht eine tendenz zur „konjugalen kernfamilie, die sich als autarke Einheit versteht und aus dem Geflecht der Sippenbindungen herausbegibt“ (koschorke [2000] 137). Die entsippung, entclanung der familie, wird zur gattungsreproduktion.

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„gott der herr“ – war das modell, das in der frühen neuzeit das landesvater-herrschaftsmodell moderner territorialfürstenschaften abgab. Vi. naturrecht unD sOzialVertrag: Die gesellschaft als gesellschaft, POlis OikOs zwei alte konzeptionen – die oikos-hafte Ordnung des familialen haushaltes und die große Weltordnung der universalen haushaltung (römische familia als hintergrundvorbild) – bilden den abendländischen grundbestand der sich fortsetzenden tradition der oikonomia. Das antike Oikos-modell wird über die römische rechtsinstitution der familia transportiert,20 die großhaushaltung des universums durch die katholische kirchenherrschaft (als stellvertreterherrschaft christi auf erden: christos = basileus = „guter alleinherrscher“ versus tyrannos). alles das, was wir heute als Marktwirtschaft gesellschaftlich dominant vorfinden, waren im Mittelalter eher marginale subordnungen. Die schon einigermaßen modern anmutenden markt-, geld-, kredit- und Versicherungskulturen der kleinen händlernetzwerke der frührenaissance, vornehmlich in italien,21 waren marginale elitäre Veranstaltungen, von der christlichen kultur sozial derangiert. erst im naturrechtskontext des 16. und 17. Jahrhunderts wandelt sich das Bild.22 in der idee des sozialvertrages – grotius, hobbes, locke, Pufendorf – wird die gesellschaft als gesellschaft konzipiert. Was bei thomas hobbes noch als durch die gesellschaft über sich selbst eingesetzte herrschaft formuliert wird, ändert sich bei John locke in eine Verfassungskonzeption als eigentumsordnung, die auch der könig nicht aufheben könne (als intellektuelle formierung der konstitutionellen monarchie, die durch die Glorious Revolution 1688 in england begann23). Der soziale Verfassungsvertrag hingegen entspringt einem anderen – alten – muster als dem der oikos-haften herrschaft: es ist eine Polis-konzeption. Das klingt, gegen aristoteles’ Polis gesetzt, erst einmal fremd. aber das naturrecht wiederholt die Erfindung der selbstbewussten Bürgerverfassung der antiken Politikgeschichte: als von natur aus gleich vor gott habe die schöpfung den menschen keine natürliche herrschaft eingesetzt (vor allem keine dynastischen herrscher). folglich – so die sich regende neue idee einer „Politik“ – sei das leben unter den Bürgern selber zu regeln – noch nicht demokratisch oder republikanisch, aber die herrschaft der könige wird verfassungslegitimiert, by consent der Bürger (d.h. hier: der eigentümer). Wenn man aristoteles’ Politik rekapituliert, ist es durchgängig ein Buch über das Verhältnis von eigentumsstruktur und Verfassungsform.24 20

21 22 23 24

Die römische familia unterschied sich vom griechischen Oikos nicht in der struktur, aber in der herausgehobenen gewalt des pater familias – in der patria potestas, sommer (2013) 81. Das herrschaftsmoment des Oikos ist ein römisches moment und dadurch in die europäische konstruktion des „hauses“ eingegangen. le goff (2009); Priddat (2004); rothmann (2012); maifreda (2012). im weiteren kontext maifreda (2012). ludwig (2001); rehm, ludwig (2012). Vgl. Priddat (1989).

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Die oikonomia des ersten Buches trägt die familie, nicht aber die Polis: für die Polis bedarf es ausgreifender analysen der eigentumssicherheit durch Verfassungen (und ihren Wechseln), d.h. einer Reflektion von „politischer Ökonomie“, die sich im ersten Buch der Politik nicht findet.25 Vii. rÜckBlick: Die ursPrÜngliche entstehung Der POlis als OikOs-POlis-Differenzierung Wir haben vielleicht vergessen, dass die konzeption der griechischen Polis eine historische singularität war: ein radikaler ausbruch aus den herrschaftskonzeptionen (bei den griechen in direkter konfrontation mit der orientalischen Despotie). Die politai suchten sich ihre herrschaft selber aus (vgl. den ständigen Wechsel der Verfassungen und ihrer jeweiligen herrschaftsformen26). Der einschneidendste Bruch war die abschaffung der aristokratie als garantieanwärter auf herrschaft (was nicht heißt, dass nicht aristokraten als eingesetzte herrschafter gewählt wurden). Dieser Bruch war identisch mit der abschaffung der clan-strukturen: nicht mehr die dynastischen Familien bekamen die Herrschaft, sondern die Bürger definierten sich als Bürger, nicht mehr über die familien.27 Der Philosoph Wolf D. enkelmann hat das als politische gemeinschaft von fremden analysiert: indem nicht mehr die herrschaftsansprüche von familien galten, waren alle, die die koinōnia der Polis bildeten, gegeneinander strukturell fremde, d.h. nicht familial markiert.28 Diese unwahrscheinliche form der gemeinschaftlichen regierung hat die moderne Demokratie geprägt (wobei bei den griechen die demokratia nur eine der möglichen Verfassungen war, häufig die „schlechteste“). Aber die Herrschaft abgeschafft zu halten und durch Politik zu sichern, d.h. durch bürgerschaftliches gemeinsames regieren mithilfe von abstimmungen, war ein demokratisches kernelement. Die Polis ist definiert durch gemeinschaftliche Verfassungsbestimmung by consent und einen sich darin entwickelt habenden sensus communis (koinōnia). Viii. eigentum, gelD unD arBeit: Das nÖtige – Die grenze – Der ÜBerfluss Das wird im naturrecht des 17. Jahrhunderts wieder aufgenommen, bei John locke in einer entscheidenden doppelten Bestimmung zweier ineinander verwobener sozialer Verträge: dem politischen der eigentumsverfassung und einer geldverfassung.29 25 26 27

28 29

Vgl. Priddat (1989; 2015a); sommer (2013) 82 ff. Priddat (1989). Dieses clan-auflösende Moment expandiert im Christentum. In der ecclesia, der geistigen gemeinschaft der gläubigen (die erst später zur kirche sich durchinstitutionalisierte), lösen sich die alten unterscheidungen zwischen Bürger und nichtbürger, zwischen stadt und land auf. Brown (1995) 195; genauer dazu koschorke (2000) 118 ff. und 127 ff. enkelmann (2006); vgl. auch Priddat (2015a). ludwig (2001); Priddat (2012b).

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Die eigentumsverfassung wird, im fünften kapitel des zweiten Treatise of Government, als relation von arbeit und eigentum behandelt.30 nur dasjenige eigentum ist legitim, das erarbeitet wird (appropriatio). reine herrschaftsbesitzansprüche (occupatio) sind nicht legitim. hier werden die interessen des neuen Bürgertums artikuliert gegen den vererbten adeligen grundbesitz (mit einer intendierten aufwertung des House of commons gegen das House of Lords).31 aber das ist noch nicht das entscheidende: Wenn nur arbeit eigentum legitimiert, wo ist das maß legitimen eigentums, wenn man produktiv ist, d.h. mehr erarbeitet, als man braucht?32 locke nimmt hier die konzeption des aristotelismus des legitimen gebrauchs auf: das autarkeia-maß des Oikos, nur so viel zu erwirtschaften, wie der Oikos zum leben braucht. alles Darüberhinausgehende, insbesondere alle wirtschaftlichen aktivitäten, die gewinn um des gewinnes machen, seien maßlos (apeiron, also hybris, folglich die koinōnia der Polis-gemeinschaftlichkeit gefährdend). iX. VOn Der tugenD zum markt unD Die legitimatiOn Des ÜBerschusses: Der hanDel als nOtWenDige BeDingung mODerner gesellschaften locke aber invertiert diesen klassischen aristotelischen topos, den das abendland so stark angenommen hatte, dass sein Bild das Bild der Wirtschaft bis in die moderne prägt. auch bei locke ist es maßlos, mehr zu erarbeiten, als man braucht, weil der overplus (an früchten) verderbe. aber wenn man ihn anderen zur Verfügung stelle, die ihn brauchen können, ist das maßproblem gelöst: man verkauft ihn denen, die ihn brauchen (handel), was den Überschuss legitimiere. Die lösung wechselt von tugendmodellen zu marktmodellen. Der overplus verdirbt nicht, weil er anderen zukommt, die ihn unmittelbar brauchen; und dafür erhält man etwas unverderblich aufzubewahrendes: metallgeld. Jetzt wird der handel (und das dafür nötige geld, nebst dem kredit) zur notwendigen Bedingung moderner gesellschaften. locke legt, ohne explizit eine Ökonomie entwickelt zu haben,33 die grundlage für eine neue Produktivitätskonzeption, die dann in der Politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts zu einer neuen ökonomischen Wissenschaft ausgebaut werden wird. Die Produktion von overplus ist legitime Wirtschaft – gegen die aristotelischen schranken, aber innerhalb des aristotelischen maßes, nur das zu produzieren, was man brauche –, weil sie das, was man selber nicht braucht, für andere produziert, die es brauchen (wie letzthin schon bei aristoteles). es ist eine legitimation der handels-geldwirtschaft.34 Das Oikos-modell wird als eigentümermodell neuformatiert, aber nicht mehr auf autarkeia (im sinne einer sollipsistischen reproduktionsordnung) festgelegt, sondern produktiv gemacht: als neue form eines super-Oikos, der legitim überschussfähig ist. super-Oikos meint hier: er ist nicht 30 31 32 33 34

locke (1977). Vgl. zur adeligen Wirtschaftsform Jucker (2014). Brocker (1992). Priddat (2012b). Dazu Priddat (2012b).

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mehr (klassisch) auf autarkeia bzw. auf Bedarf, sondern auf positive Produktivität (bzw. später, als folge, auf Bedürfnisse) angelegt. Denn der markt/handel nimmt die Überschüsse legitim und nachfragerelevant auf. Der markt bekommt hier eine gemeinschaftliche form: eine arbeitseilige gebrauchsallokation bzw. die form einer explizit wirtschaftlichen Polis (nämlich eine auf wirtschaftlichen nutzungsnexus beruhende eigene form von koinōnia).35 X. neue ÖkOnOmie: Der hanDel, ÜBerschÜsse unD Die gegenseitigkeit, gelD unD Vertrauen, autOnOm, unaBhängig VOm natiOnalhaushalt erst auf dieser neuen ökonomischen Basis kann Bevölkerungsentwicklung gedacht werden. Die Wirtschaft der gesellschaft, vornehmlich der handel, wird die Basis der neuen gesellschaftlichkeit, die zum einen arbeitsteilig legitim Überschüsse erzeugen darf, zum anderen eine gesellschaft auf gegenseitigkeit wird (philia > kredit > Produktivität > handel). Dass dies auf einer geldverfassungstheorie beruht, hat Bernd ludwig aufgezeigt.36 Die neue politische Verfassung gründet auf einer marktverfassung, die – unabhängig von göttlicher herrschaftsökonomie, aber auch unabhängig von weltlicher hauswirtschaft der nationen – keimform der selbstorganisation der gesellschaft qua markt ist. man kann nicht genug betonen, dass das ein reziprozitäres modell vorstellt: Der Überschuss (overplus) wird gegen geld eingetauscht – die markttransaktion als eine transsubstantiation von etwas Verderblichem in etwas Beständiges. und zwar nicht alchemisch, sondern social crossover: Der, der etwas braucht, tauscht es gegen etwas, das ein anderer dafür aufbewahren kann. Das Überschüssig-Verderbliche findet – marktgesellschaftlich – eine substantiierung: eine Versicherungsform im wertversichernden metallgeld. im geld transformiert sich das, was man nicht braucht, und deshalb abgibt an andere, die es gerade brauchen – in ein universales utilitäres medium. Die so miteinander handeln, bilden eine gesellschaft als gesellschaft, societas (aus den frühen kaufmännischen gesellschafts- und Versicherungsformen erwachsen37). letztlich eine Vertrauenskultur: eine eigene, neue form der koinōnia.38 Xi. aPPRoPRiaTio Vs. occuPaTio: Der hanDel/Die Wirtschaft als urzelle Der „neuen POlis“ Die schottische schule der science of man im 18. Jahrhundert,39 aber auch montesquieu, haben diese zivilgesellschaftliche Dimension weiterentwickelt: sie folgt ei35 36 37 38 39

Priddat (2012b). ludwig (2001). Bonß (1995). mccloskey (2006); fontaine (2006; 2014). francis hutcheson und adam ferguson (vgl. rashid [1987]) letztlich auch adam smith.

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nem – völlig neu konzipierten und natürlich nurmehr schattenhaft kopierten – Polis-Ansatz, scharf allerdings gegen die Herrschaftsfigur der alten oikonomia abgesetzt. Das neue an dieser reanimation der Polis-konzeption ist die gegen das vorherrschende aristotelesverständnis geänderte enge konnotation von Wirtschaft und gesellschaft (was enkelmann bereits für aristoteles nachzeichnet40). Der Begriff des Politischen wird als bürgerschaftliche selbstorganisation angesehen – insofern aristotelisch im kern –, aber die Basis dieser neuen Bürgerschaftlichkeit ist der handel in seiner produktiven Dimension, der eine neue legitimation des erarbeiteten eigentums einführt (appropriatio gegen die reine machtdurchsetzende occupatio), immer bereits im interaktionsmodus der gegenseitigen hilfe und unterstützung. Deirdre mccloskey hat diese Vertrauensdimension der neuzeitlichen händlerkultur herausgestellt;41 was mccloskey als soziale Vertrauens-zivilisationsformation darlegt (ähnlich wie hirschman die zivilisatorische formation des „douce commerce“, des handels, darzulegen imstande war42), ist gleichsam eine neostoische kosmo-Polis, die den krieg als adelige erwerbsform durch den handel/markt als bürgerliche erwerbsform kulturfortschrittlich auszuspielen begann. Die kosmo-Polis-Dimension ist noch wenig untersucht (als frühe Dimension des internationalen handels; ebenso wenig untersucht ist die Polis-Dimension des rousseau’schen Denkens43 – mit interessanten, von marcus twellmann herausgearbeiteten, modernisierungen der familie44). Xii. „POlitische ÖkOnOmie“ = markt + freiheit + WOhlstanD/weaLTH of naTions so lässt sich – aus dieser Perspektive der Oikos/Polis-spannung – die Politische Ökonomie eines adam smith45 neu einordnen; denn es erscheint erst einmal als eigentümlich, eine relativ autonome marktwirtschaftsidee als politische Ökonomie zu bezeichnen, zumal sie mit einer minimierung der staatlichen intervention verbunden war. Der staat bleibt bei smith aber mit der (klassischen) herrschaft verbunden, deren regelungen den neuen markt in seiner selbstorganisatorischen Produktivität und Effizienz stören. Der Markt selber ist eine politische institution, als selbstherrschaft der beteiligten Bürger (der adel wurde bei smith hingegen als unproduktiv, als bloßer Parasit der bürgerlichen Wirtschaft, markiert. Das kapitel über „productive and unproductive labour“ in wealth of nations ist das politisch brisante kapitel der neuen bürgerlichen Ökonomie). hier kommt die reanimierte Polis zu neuer Blüte: Die Bürger, an der herrschaft (der inzwischen bloß konstitutionellen monarchie) nicht beteiligt, entwickeln ihre eigene bürgerschaftliche gemeinschaft im markt – der markt als handelspragmatisch virtuelle Polis. 40 41 42 43 44 45

enkelmann (2006; 2011). mccloskey (2006). hirschman (1977). Petersen (1992). twellmann (2009; 2011); vgl. auch klett (2013) kap. 4. smith (1979).

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Den markt als bürgerliche gemeinschaft virtuell mit der Polis in Verbindung zu bringen, muss präziser als Proto-Polis bzw. Proto-Politik bezeichnet werden. sie zeigt den anspruch der Bürger auf (selbst-)herrschaft, indem sie nachzuweisen versucht, die bürgerliche (markt-)gesellschaft als die produktivere instanz der nation herauszustellen. Darin sind alle emanzipations- und freiheitsaspekte der späteren geschichte bereits enthalten, die im 19. Jahrhundert das zeitalter der republiken, später der Demokratien einleiteten. Der terminus „politische Ökonomie“ ist sinnhaft nur zu interpretieren, wenn man sich der reanimation des Polis-konzeptes versichert hat: Die freie marktwirtschaft (als „natural system of liberty“ bei smith) ist das medium der Politik der neuen produktiven kräfte der neuen (bürgerlichen) gesellschaften. Die eigentümliche form der Politik der Bürger-händler-investoren-gemeinschaft besteht darin, (einkommens-)Wachstum zu generieren, das nicht nur die armen durch arbeit daran beteiligt, sondern auch den „wealth of nations“ steigert (durch erhöhte steuerreinnahmen). letzthin erscheint die bürgerliche gesellschaft, die ja erst nur als marktgesellschaft notiert wird, als der potentiell bessere staat. Xiii. natur Vs. gOtt, naturrecht Vs. kaPitalakkumulatiOn, ÖkOnOmie als POlitik > ziVilität, frieDen Durch hanDel Dass in diesem neuen bürgerlichen selbstbewusstsein – die politische Ökonomie ist lediglich dessen ausformulierung – jede herrschaft, auch die gottes, infrage gestellt wird, ist kein appendix zur säkularisierenden aufklärung, sondern womöglich ihr kern (wieso soll in einer handels-markt-Welt bürgerlicher gegenseitigkeit und daraus resultierender selbstbestimmung noch an anderer stelle ein herrscher weiter legitimiert sein – sei es ein absoluter könig, sei es ein absoluter gott?). adam smith entwickelt die ihm vorliegenden naturrechtlichen Vorarbeiten zu einer – dem naturrecht fremden – kapitalakkumulationsökonomie weiter, deren Profitabilität eng an einen Beschäftigungszuwachs gekoppelt wird (der größte Teil der investitionen sind investitionen in „human capital“), so dass das Wachstum allen Bürgern zukommt: es geht um den „wealth of nations“, nicht um den der kapitaleigner alleine („trans-malthusian-growth“46). Das moment der bürgerlichen gegenseitigkeit wird auf die ganze gesellschaft erweitert. indem die händler-Vertrauens-gemeinschaft als markt-kapital-investitions-gesellschaft für die ganze nation produktiv wird, bezeugt sie ihr (Polis-)gesellschaftsmodell als politische Ökonomie (die Probleme der sozialen spannungen und die daraus rührenden umverteilungen werden dann das 19. Jahrhundert bewegen, mit der lösung durch den Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts). Was in frankreich revolutionär angegangen wurde, die gleichheit und Brüderlichkeit aller menschen herzustellen zu versuchen, wird in der neuen politischen Ökonomie parallel durch den douce commerce einzuleiten versucht. Die formel des friedensstiftenden handels als neue stufe

46

galor (2011).

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der – interkulturellen – zivilität47 wird auf die innere Wirtschaft einer nation erweitert. Der terminus „politische Ökonomie“ weist auf eine neue form gesellschaftlicher Ökonomie, die nicht mehr auf die oikonomia rückgreift (Ökonomie aus der Polis heraus vs. Ökonomie ohne Polis), sondern die Ökonomie als form der Politik einspielt (der konsequent auch die bürgerliche regierung folgen muss). XiV. POlyPOl unD mOnOPOl – selBstregulatiOn Durch kOnkurrenz Der markt dieser politischen Ökonomie ist ein großer abstimmungszusammenhang (< agora)48 über angebot und nachfrage (polypolistische konkurrenz), ständig aber durch oligopolistische und monopolistische formen in lokale herrschaftsgebiete zurückversetzt (die oligopolistische form ist eine eher oligarchische, die monopolistische form eine eher monarchische). Die marktliche konkurrenz (als „natural system of liberty“) ist ein neues Phänomen. Die griechische Polis kannte ein agonales Prinzip, aber die Verfassungen wechselten sich sequentiell diachron ab. in der marktverfassung ändert sich das, wir haben eine synchrone konkurrenz verschiedener koordinationsformen: neben dem reinen Wettbewerbsmarkt formen der marktbeherrschung, die nur durch neue Wettbewerber wieder aufgebrochen werden können.49 Wenn die selbstregulation durch konkurrenz aber aussetzt, dominieren marktherrschaftsformen, d.h. die politische Ökonomie wird in diesen momenten wieder durch oikos-hafte formen ersetzt, die entweder durch eigenständige marktmacht entstanden sind oder politisch forciert (subventionen, Privilegien, steuerbefreiungen, korruption etc.).

47 48

Vgl. montesquieu; aber auch smith’s „commercial society“. Die absolutistischen fürsten agieren auf einer „Bühne der macht“. „eine macht, die ihre Bühne organisiert, gibt bereits zu, dass sie beurteilt wird, dass sie der einschätzung einer öffentlichen meinung unterworfen ist, deren zustimmung es zu erwirken gilt. eben dadurch ist diese macht bereits reif für einen Übergang zur Demokratie. nötig ist dazu nur noch, die grundlage der souveränität vom fürsten auf das Volk hin zu schieben“ (henaff [2014] 93). marcel henaff betont die Wiedergewinnung der Polis am moment der Öffentlichkeit. Dass diese Öffentlichkeit als ausgeprägte handels-kommunikation längst raum gegriffen hat, ohne bereits herrschafts-politisch zu werden, bleibt außerhalb dieser Perspektive. Die Polis ist längst als handels-Polis („commercial society“) präsent. 49 genauer gesagt sind es zwei verschiedene formen von herrschaft: die der (oligopolistischen bzw. monopolistischen) marktbeherrschung und die herrschaft, die die könige und fürsten noch im staat ausüben. Die monopol- oder marktherrschaft ist für smith ein staatsherrschaftlich verliehenes Privileg, also staatsherrschaftsabgeleitet. markt, als „natural system of liberty“, ist für smith herrschaftsfrei. Deshalb sei der staat im markt zu reduzieren, d.h. die ‚falsche‘ politische Ökonomie aufzuheben, die die monopole herrschaftlich fremd in den markt setzt, der so seine Produktivität nicht entfalten kann. Die smith’sche marktverfassung lässt die „herrschaft“ der unternehmen nur soweit zu, wie sie über die konkurrenz gegeneinander gleich werden, d.h. niemand kann dominieren. alle Oikoi/unternehmen bilden zusammen eine zur konkurrenz gleichberechtigte marktgesellschaft.

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XV. freie märkte als fOrtlaufenD gefährDete OikOs/POlis-hyBriDe Das smith’sche ideal des marktes bestand aus einem reinen Polypol, in dem niemand macht über jemand anderen haben konnte, weil die konkurrenz solche anmaßungen ausselegierte. Die freiheit des marktes wird bei smith als antimonopolistische institution eingeführt („natural liberty“ als anti-power-processing). Die freiheit des marktes entspricht dem Polis-ideal des gleichberechtigten Verkehrs der Bürger untereinander, die sich der selbstherrschaft des marktes, aber keiner anderen herrschaft unterstellen. gewinnen einzelne marktteilnehmer marktmacht (über andere), zerbricht die Polis-freiheits-struktur, und Oikos-momente werden dominant: nämlich die herrschaft eines hauses/eines monopol-unternehmens (über oder gegen andere). Was im bürgergesellschaftlichen markt an herrschaftsfreiheit entfaltet wird – das momentum politicum oder Polis-moment des marktes –, kann durch hausherrschaftliche Dominanz oder oikos-hafte momente bedroht werden. Die Oikos/Polis-spannung bleibt vollständig erhalten; märkte bleiben Oikos/Polis-hybride. so wie die unternehmen intern noch immer durchschnittlich oikos-haft organisiert sind (herrschaft des kapitaleigners), versuchen sie, ihre herrschaft auf den markt auf die kunden auszuweiten. Die marktfreiheit bleibt labil: ihre Polis-struktur droht, immer wieder in lokale – temporäre – herrschaftsstrukturen zu kippen (monopole, Oligopole, kartelle).50 XVi. DemOkratisierung Des OikOs: GoveRnmenT > GoveRnance, hierarchie > heterarchie Die Oikos/Polis-Differenz, die wir als generator des großen Bruchs der neuzeit dargelegt haben, ist nicht verschwunden, sondern wirkt in vielfältigen formen heute weiter. so sind die unternehmen im Prinzip oikos-haft organisiert: als (kapitaleigner-)herrschaft über einen arbeitsteilig organisierten Produktionsverband, in dem politische fragen eher marginal gelten (mitbestimmung). in den modernsten Organisationstheorien wird das hierarchische moment gegen ein heterarchisches ausgetauscht, um neue formen der kooperation zu gewinnen, die motivation und leistungsbereitschaft der lohnangestellten zu fördern (aber das ideal einer demokratischen firma bleibt erst nur ein schwerlich einzunehmender horizont51). aber das government-moment der (kapital-)herrschaft wird zur governance, d.h. zur leitungsbestimmung verschiedener anspruchsgruppen (share- and stakeholders),52 eine Polis-tendenz.

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Die gleichgewichtsidee ist eine spätere, im 19. Jahrhundert kondensierte Weise, dieses anti-power-processing zu formalisieren. Dabei wird sie aber zu einer markttechnologie, die den politischen – und moralischen (alvey [1988]) – impetus verloren hat. Die „political economy“ smiths wird zu economics, einer eigenen, sich autonom wähnenden markt-kultur-technik. ellermann (1990). Williamson (2002).

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XVii. DennOch: VOrmODerne oikonomia-herrschaftsfOrmen in Der Wirtschaft auch die moderne Wirtschaft erweist sich als mixtum compositum aus oikos-haften und marktpolitischen aspekten; nur in der theorie lassen wir die polypolistische marktform, den gleichsam politischen abstimmungsmodus dominieren. in der theorie haben wir es mit pure economics zu tun, in der Praxis mit divers verschränkten mischformen. Das sei deswegen betont, um klarzulegen, wie sehr unser abendländisches erbe der oikonomia noch geschichtswirksam ist, wie sehr wir von vormodernen herrschaftsformen, gerade in der Wirtschaft, durchsetzt sind. Wir brauchen gar nicht die sozialistischen Planwirtschaftskonzepte bemühen, die eine eigene form der oikonomia in die gesellschaft implantieren wollten, als zentralverwaltungswirtschaft eine quasi feudale Organisation, die konsequent das Polis-moment der selbstorganisation ausschließt (im kontrast zur rhetorik der Volksherrschaft. ihr fehlte völlig das kernelement aller Politik: der Wechsel der Verfassungen). Die Wirtschaft wurde auf Versorgung umgestellt, mit ungeeigneten mechanismen der Planung, die die Produktivität und das Wachstum hemmten. Wir begreifen erst jetzt wieder, dass das polis-ähnliche modell der selbstorganisierten Wirtschaft die tragende konzeptionelle Basis auch politischer freiheiten bedeutet. Weltweit haben wir es mit einseitigen marktfreiheiten zu tun, die herrschaftsdurchsetzt sind, d.h. nicht by consent durch alle Bürger legitimiert wurden.53 staatsprivilegierte ausbeutungen von rohstoffen, monopolistische märkte, zugangsbarrieren, rentseeking etc. dominieren gesellschaft wie Wirtschaft.54 Darin sind alte Formen der Despotie vorherrschend; die europäische Erfindung der freien Gesellschaft bleibt, trotz aller formalen Demokratisierung, der seltene fall. Das Polis-modell bleibt im Wesentlichen ein europäisches Phänomen mit amerikanischen ablegern. Was wir z.B. in der zone der „arabellion“ erleben, wird eher auf rekonstitution von clanherrschaften (libyen, irak, syrien etc.) hinauslaufen, mit allerdings neuen Verfassungsexperimenten, die anderen gewisse mitspielungen erlauben werden (tunesien, ägypten). auch die formen der Despotien ändern sich. Wirtschaftlich setzt sich der markt als durchgehende Organisationsform durch, aber herrschaftsdurchsetzt (in der mischform korrupt), nicht als polypolistische Quasi-Polis. zu viele clan- und herrschaftsinteressen stehen auf dem spiel, als dass man jedem potentiellen akteur den zugang erlauben wollte. Das herrschaftsgefährdende des Marktes ist der funktionierende Wettbewerb, d.h. die potentielle Auflösung von monopolen und marktbeherrschungen. Die Oikos/Polis-Differenz bleibt bestehen; möglicherweise weist sie auf den kern der globalisierung.

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acemoglu / robertson (2013). Olson (1982); acemoglu / robertson (2013).

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XViii. ein BeisPiel fÜr eine tiefenstrukturelle OikOs-interPretatiOn Der modeRn economics: RaTionaL cHoice als hausVatertugenD es war nicht die hoffnung auf zivilisatorisch erreichte Vernünftigkeit allein, die die Ökonomen die konstruktion des rational actor im 19. Jahrhundert wagen ließ. Das auf rationalen entscheidungen gegründete gleichgewichtsmarktmodell nahm ursprünglich eine andere, alte abendländische konzeption in anspruch: die der guten haushaltung. Rational actors sind – aus dieser tradition betrachtet – vernunftmodernisierte hausväter aus der (antiken) Oikos-tradition, die weit ins 18. Jahrhundert das ausmachte, was man unter Ökonomie verstand.55 Die sorgsame haushaltung56 – die mit der phronesis bzw. mit der prudentia, der klugheit, assoziiert wurde – findet sich im rationalen Entscheiden wieder (so wie der homo oeconomicus ende des 19. Jahrhunderts auch deshalb identisch war mit dem familienvorstand, weil frauen (und kinder) größtenteils keine eigenständigen transaktionsrechte hatten. Bei meinem urgroßvater stand das im ehevertrag. Bis 1958 durften frauen in Deutschland Bankkonten nur mit dem einverständnis ihres ehemannes eröffnen). Die Dimension dieser geschichtlichen inklusion des rational actor ist uns heute kaum noch bewusst (obwohl familienunternehmen bis heute ebenfalls nach dem Prinzip der alten familienökonomie ordiniert sind: der herrschaft des oikodespotēs [lat. pater familias] über familie, eigentum und Besitz57). es geht beim rational actor nicht um das individuum, sondern vordringlich um die unterste entscheidungseinheit einer marktwirtschaft, die im 19. Jahrhundert noch durch den familienvorstand repräsentiert wurde (dem allein, je nach schicht, bürgerliche freiheiten zukamen). Was den solchermaßen nominierten entscheider nach außen zum unabhängigen individuum erheben konnte, war er nur aufgrund der nach innen, in seinen haushalt hinein, gerichteten herrschaft (das oikodespotēs-schema). ihn zum individuum, zum unabhängigen subjekt zu deklarieren, ist eine Verwandlung erst des 20. Jahrhunderts (mit der implikation, die aber erst mitte des 20. Jahrhunderts offenbar wurde, dass er als ein solches individuum auch unabhängig von seinem haushalt und seiner herrschaft gesehen wurde, gleichsam auf selbstherrschaft konditioniert, ohne aber noch die selbstbeherrschung der älteren konzeptionen zu haben, wenn es auf „Bedürfnisbefriedigung“ allein abgestellt ist). Als Haushaltsvorstand ist er die finale Entscheidungs- und Führungseinheit des haushaltes; der haushalt ist klassischerweise – konträr zum markt – eine herrschaftsorganisation. Wir haben es zu Beginn des „älteren systemprogramms“ der Ökonomie mit einer dem 19. Jahrhundert gemäßen soziologie zu tun, die sublunar in die Ökonomie eingezogen wurde. Vor allem aber ist der umsichtig und sorgsam agierende rational actor/hausvater ein gewohnheitstier, das die häuslichen sitten 55 56 57

tribe (1988). so wie im süddeutschen lange zeit noch der Wirt als „Ökonom“ bezeichnet wurde. Burkhardt (1974). Vgl. germershausen (1783, 1778–81); münch (1984); rulffes (2014). Vgl. Wimmer / groth / simon (2004); von schlippe / nischak / el hachimi (2008); aber: Wimmer (2014); stamm (2013) kritisch.

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und gebräuche – die hauswirtschaft – traditional befolgt, die Bedarfe kennt und zuteilt, die märkte weiß und ihre zyklischen Wägbarkeiten.58 Der rational actor wird in der marginal revolution ende des 19. Jahrhunderts allerdings nicht mehr auf die hausvatertugenden gebucht (außer bei Philip Wicksteed59), sondern seine Versorgungsrationalität, wenn wir diesen Begriff einführen wollen, wird durch die grenzprozesse präzisiert:60 dass er dann, wenn er (bzw. seine familie) gesättigt hat, dem zusätzlichen oder grenzprodukt keinen Wert mehr zumisst. hier spielt eine gebrauchswertrationalität herein: dass ein rationaler akteur weiß, was er braucht (aristoteles’ chreia). Der grenznutzen aber ist ein psycho-physisches (gustav theodor fechner) substitut für den „moral behavior“ des klugen hausvaters. es ist jetzt eine andere aussageform dafür, dass der rational actor weiß, was er braucht.61 Die grenznutzentheorie ist sui generis anti-exzessiv; sie versucht, ein maß einzuführen, das letztlich auf einem gebrauchsmaß beruht, d.h. auf einer eigenen art von Vernünftigkeit. Der egoismus begrenzt sich selbst – durch physiologische (statt kognitiv-moralische) sättigungsgrenzen (= grenznutzen). Dazu allerdings braucht man keinen aristotelischen tugendreimport (wie bei Wicksteed62).

Jahreszeiten, Fruchtfolgen etc.; das literarische Pendant finden wir in Schillers Glocke; vgl. auch adalbert stifters nachsommer (1857), wenn auch ästhetizistisch verklärt. twellmann (2009). 59 Philip Wicksteed wollte die grenznutzentheorie als kopie aristotelischer phronesis ausgewiesen haben. Wicksteed (1910/1933); dazu hutchison (1953) 99; Priddat (1986) und erreygers (2001) 104 ff. 60 Wicksteed teilt den rational actor, dessen Jevon’schen „hedonistic utilitarian calculus“ er als zu eng gefasst einschätzt (erreygers [2001] 107 ff.), in zwei subakteure: in die „rational woman“ und in den „wise man“. so meint er seine aristotelesanalogie in der „rational choice“ unterbringen zu können. „in his decription of the ‚economic woman‘ he emphasises her use of judgement according to the circumstances (practical dimension) und her use of moral fairness and equality (axiological dimension) (Wicksteed [1910/1933] 18, 20, 83). When describing the normative dimension in the concept of ‚wise man‘, Wicksteed emphasises the importance of keeping one’s mind alert against the negative influences of inertia, customs and tradition; he also stresses the effects of good judgement on achieving a balanced und regulated mind“ (Wicksteed [1910/1933] 93, 297, 308; erreygers [2001] 107 f.). Wicksteed weist der „rational woman“ die tugenden des hausvaters zu und koppelt sie, als erweiterte fundierung der rational choice, an marktentscheidungen (die traditionell nur dem mann zustehen). Der mann tritt in der form als „wise man“ auf. Beide bedienen sich überlegter und ruhiger urteilsüberlegungen, die Wicksteed scharf vom „hedonistic utilitarian calculus“ Jevons abhebt. hier wird, in schwacher kopie aristoteles’, das Oikos-konzept mit der marginal revolution zu vermählen versucht. nur balancierte, maßvolle urteile können eine rational choice legitimieren, denn „a great part of our conduct is impulsive and a great part unreflecting, and when we reflect our choice is often irrational“, Wicksteed (1910/1933) 28. 61 so sehr die marginal revolution der grenznutzentheorie die alte tauschwert-/gebrauchswertunterscheidung abschaffen wollte, behält sie, verwandelt, den gebrauchswerttopos dennoch bei. „nutzen“ ist nur ein neues nomen für das, was man braucht, nun aber in form einer utilitätsabwägung, d.h. relativ zu anderem, was man auch braucht, unter Budgetrestriktion. Deshalb muss sie als entscheidung formuliert werden: als „rational choice“. 62 Wicksteed (1910/1933). 58

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es ist nicht zufällig – bei herrmann heinrich gossen und William stanley Jevons –, dass epikureische und stoische maßtheoreme einzug halten in die Ökonomik. Der kluge hausvater – das standardmodell des oeconomicus bis ins 18. und 19. Jahrhundert – wird individualisiert. Der rational man ist nicht mehr vollständig aus der oikodespotēs-figur erklärt, sondern seine herrschaft (über die familie) wird zur selbst-herrschaft (seiner individuellen leidenschaften – hier liegt der eigentliche kern einer „protestantischen ethik“, der eher bei heinz kittsteiner63 zu lesen ist als bei max Weber). Die friedliche Dämpfung der leidenschaften war ein Jahrhundert zuvor bereits ein großes thema der theorie des handels: douce commerce64 – vornehmlich erst einmal nicht „des menschen“, sondern des leidenschaftlich-kriegerischen adels (vgl. die Diskurse zum amour de soi65). Über die selbst-herrschaft wird die Psyche zum thema/inhalt des neuen rational man (zumal die theologische governance der oeconomia divina, der seelen-haushaltung, in der aufklärung aussetzt). Das rationale individuum, das die neue Ökonomie ende des 19. Jahrhunderts einführt, nachdem alle klassenzuordnungen abgeschafft wurden, ist ein oikodespotēs seiner selbst. Damit kann das ökonomische individuum, homo oeconomicus, von der familia entkoppelt werden – der geschichtlich überfällige Bruch mit dem europäischen Oikos-modell.66 Wenn man die faktische soziologie des 19. Jahrhunderts hinzudenkt, bleibt das ökonomische individuum haushaltsvorstand (Oikos-schema), ist aber andererseits bereits ein selbstständiges Wesen, das ohne rücksicht auf soziale Bindungen (wie die familie) agieren kann. Die rücksicht auf andere wird als rücksicht auf sich selbst re-formatiert: Rational actors sind durch selbstbeherrschung ausgezeichnet, nämlich nur das zu wählen, was ihnen selber nützt. Der rational man kommt in eine ambiguität: soziologisch in ihre familien eingebunden ist dieses selbst ein familiales Wir; soziologisch entkoppelt kann es egoman interpretiert werden. Die Qualität dieses ich hängt von seiner einbettung (embeddedness; kontext) ab. Was man vorher durch tugendethik meinte regulieren zu sollen, wird jetzt auf normen/institutionen bzw. auf den regulierenden markt umgepolt. Das der familialen sittlichkeit enthobene individuum braucht andere einbettungen. man darf nicht den kontext des marktnarratives vergessen: Dieses selbstständige Individuum agiert idealerweise im sich selber koordinierenden effizienten markt. Dadurch, dass der markt alle – möglichen – individuellen exzesse transaktional ausgleicht, ist der moral order marktsystematisch, nicht mehr durch individuelle tugenden zu erreichen (der markt übernimmt funktional die aufgabe der tugend). Das ist das neue, liberale Programm. Was der nun individuelle akteur verfehlt, wird durch den markt sowieso korrigiert. Das entlastet die individuen von tugendanstrengungen. tugend wird ein systemmerkmal, kein individuelles oder charakterliches mehr – man kann sagen, dass individuelle tugend in marktordnung transponiert ist. Wenn die tugend klassisch ein vormodernes selbst-Ordnungspro63 64 65 66

kittsteiner (1990). montesquieu: hirschman (1977). Häufle (1978). Vgl. rousseau; twellmann (2011); v. Wallwitz (2013) 67 ff.

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gramm von menschen war, verzichtet die neue Ökonomie im 18. Jahrhundert auf tugendhafte menschen, weil sich alle leidenschaften, Begehren und alle gier in der marktkonkurrenz wechselseitig korrigieren. Der markt erhält die funktion einer „sittlichen anstalt“.67 Dennoch bleibt die rational choice im schatten eines tugendprogramms. Denn das rechte Maß zu finden ist jetzt der Eigenverantwortung des Akteurs überlassen. er selber kann sich wiederum nur darauf verlassen, dass der markt ihn mores lehrt. es reicht in diesem konzept, vernünftig/rational zu entscheiden – die ethischen tugenden bei aristoteles werden auf – eingeengte – dianoethische reduziert. Dass man dann – im 19. Jahrhundert – dem staat wieder eine ordnende regulation zusprach (staatwirtschaft, staatsökonomie), ist eine Überzeichnung des erweiterten Oikos-modells, in dem der staat die paternalistische führung übernehmen sollte (die Oikos-Variante der älteren politischen Ökonomie im geiste montchretiens). seit montchretien (oeconomie politique, 1615) „wird das land zu einem großen haushalt mit dem könig als hausvater, der die entsprechende regulierungsgewalt besitzt“.68 Wir reden heute noch vom „Vater staat“. Doch das blieb den ‚reinen Ökonomen‘ fremd, die in der tradition des smith’schen „natural system of liberty“ den staat aus der emergenten Produktivität des marktes herausgehalten wissen wollten (auch wenn léon Walras einen Demiurgen als auktionator einsetzte, der die Preise auswies – ein herrscherrest bzw. ein marktherrscher). in dem moment, in dem die kapital-/investitions-/Beschäftigungsdynamik der smith’schen Wachstumsökonomie 1776 einsetzte,69 übernahm der markt – als investorenarena – die sorge um arbeit, Beschäftigung und einkommen. erst im 19. Jahrhundert, als an der „socialen frage“ sichtbar wurde, dass die arbeiter nicht angemessen beteiligt wurden am kapitalakkumulationssystem und der staat redistributionsmaßnahmen begann, wurde dem staat wieder eine alte/neue hausvaterrolle zugemessen, nämlich sich um die Versorgung aller zu kümmern, vor allem derer, die es aus eigener kraft im markt nicht schaffen. Der Wohlfahrtsstaat begann konzipiert zu werden. auch hegel glaubte dem „Wimmeln der Willkür“ im markt nicht als eigenständige Ordnungsmacht. Die nun aufkommende staatsökonomie war paternalistisch (oikos-haft), bis sie durch demokratische Verfassungen in eine Bestimmbarkeit aus politischer abstimmung verwandelt wurde (polis-haft; unterscheidung zwischen staat und Politik). Der unterschied zur altabendländischen (oder altadeligen) oikonomia bestand aber vornehmlich – der eigentliche modernisierungsschritt – im maximierungsprinzip. Die autarkeia des Oikos wurde in der neuzeit, über den topos der „selbstbehauptung“ (locke), in ein eigeninteresse übersetzt, das sich in einer arbeitsteiligen modernen Wirtschaft als wettbewerbliches handeln herausstellte, das nicht mehr nach dem Bedarf (chreia) wirtschaftet, sondern nach den Bedürfnissen, die durch die angebotsstruktur der märkte evoziert werden.70 Wenn der Bedarf noch 67 68 69 70

Vgl. die klarsichtige kritik hegels in der „rechtsphilosophie“, Priddat (1990). isenmann (2012) sp. 2; vgl. über Bodin auch arendt (2002) 64 f. reid (1989); lowe (1965) kap. 3. „Bedarf“ ist ein Begriff der epoche des malthusian growth, ohne jede Produktivitätsdynamik. galor (2011). erst wenn diese einsetzt, produziert der markt neue angebote, für die erst „Be-

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traditional bestimmt sein konnte, sind die neuen Bedürfnisse in ihrer Vielheit danach zu sortieren, was davon vordringlich gelten soll, und es wäre rational zu entscheiden, was vorteilhafter wäre, erfüllt zu werden. Es empfiehlt sich, fortan das zu nehmen/zu wählen, was die Bedürfnisse am besten erfüllt bzw. sie maximiert. Die rationalität: genauer die rational choice wird nötig, weil es in den dynamischer werdenden märkten ständig neue angebote gibt (neue Preis/mengen-relationen, neue Qualitäten, innovative Produkte etc.), die entschieden werden müssen, ohne dass konventionale oder Bedarfsmuster zur Verfügung stehen. Denn für das neue gibt es keine erfahrung und keine traditionalen Brauchbarkeiten, d.h. keine repetition, mimesis, routine oder konvention. Die dynamischen märkte führen ständig neue unterscheidungen ein, die die menschen für sich klären müssen, indem sie etwas davon auswählen: entscheiden heißt, in den so generierten unterscheidungen wiederum selber eine Differenz zu markieren bzw. eine unterscheidung zu machen. Doch bleibt das alteuropäische erbe der oikonomia noch präsent. Die moderne rationalitätsbasierte gleichgewichtsmarkt-systemtheorie ist selber eine auf Optimierung ausgelegte Oikos-theorie, der prima facie alle merkmale ruhiger märkte und besonnener haushaltung zukommen. in diesem sinne wissen die akteure, was zu tun ist und wie die märkte werden; die epistemologie ist – erfahrungsgeleitet – geklärt. Wenn wir uns dieses hintergrundes vergewissern, verstehen wir umso mehr die gelinde allgemeine anerkennung des sonst sehr abstrakten modells: es wird traditional verstanden und als sittliches system imaginiert. Der neue rational actor steht im 19. Jahrhundert noch im europäischen geschichtserbe. Denn die maximierungen entbehren de intentione jedweder hybris, da das Beste zu wollen vom besonnenen, rationalen hausvater nur für das Wohl der familie erreicht wird (nicht in hinblick auf exzess, sondern anständig bleibende mehrung des familialen Wohls – eine sublunar mitgelieferte form der moralischen Ökonomie, die die legitimität der neuen Ökonomik nur erhöhte). insofern ist der „rationale hausvater“ eine sittliche figur, die auch dem zeitgeist des 19. Jahrhunderts zupasst. Wir haben es mit einer impliziten moral economy zu tun, was erstaunlich ist angesichts der analytischen selbstinterpretation der modern economics, die sich rein technisch oder sachlich verstehen. aber das raster der Oikos-Decodierung dieser theorie offenbart, dass sie nicht als kaltes kalkül verstanden werden musste, sondern – wenn auch missweisend interpretiert – als eine entwickeltere figur des guten hausmannes. Dass diese älteren moral implications nicht für eine moderne interpretation dienlich sind (romantische ausgenommen71), dürfte offensichtlich sein. Das Bild, das wir so entwerfen, ist ein hintergrundbild, das die gleichgewichtsökonomie trägt. adam smith hat sich dieses Bildes nicht bedient: seine marktdynamik hat auch kein statisches gleichgewichtsmodell entworfen (man hat es später in ihn reprojiziert). Eher findet sich noch bei den Physiokraten eine, wenn auch rudimentär kapitaldynamisierte, Oikos-Version.72 aber vorher schon bei John lo-

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dürfnisse“ generiert werden müssen. hegel charakterisiert die modernen märkte explizit als „system der Bedürfnisse“. Vgl. Priddat (1990). Über die entwicklung von Bedarf/Bedürfnis vgl. Welskopp (2014). zur marktentwicklung Dommann (2014). s. z.B. tschajanow (1999). Priddat (2001).

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cke hatten wir es mit einem modernen konzept der eigentümergesellschaft zu tun, das sich vom alten oikonomia-konzept verabschiedete.73 im social contract (wie dann auch bei Rousseau) finden sich Elemente einer Polis-Ökonomie, d.h. einer form der politischen Ökonomie, in der die marktteilnehmer über den handel und in einer geldwirtschaft allein bestimmen, wie sie untereinander kontrahieren. Wenn ich von Polis-Ökonomie rede, betone ich die abschaffung des herrschaftsmomentes des Oikos: in einer Polis-Ökonomie, die in der neuzeit den namen der „Politischen Ökonomie“ bekommt, herrschen alle Beteiligten in einem spezifischen Interaktionsmodus zusammen. in dem sinne ist der markt immer schon eine republik (und der Preismechanismus ein – quasi-politischer – abstimmungsmechanismus). es ist an dieser stelle nicht möglich, die politische form dieser marktökonomie als modernisierungsschritt vollständig darzustellen: Das Politische meint nicht den staat (der ja im 18. Jahrhundert immer noch eine nicht-politische, nämlich eine herrschaftsform ist), sondern die gesellschaft, wie sie ihr leben unterhalb des staates bzw. unterhalb jeder herrschaft selbst organisiert. Die form dieser Organisation ist die – deshalb „freie“ – marktökonomie (als politische form der Ökonomie dezidiert abgesetzt von der herrschaftsform der Ökonomie im (staats-)Oikos). Wir haben es in der neuzeit mit einer auseinandersetzung der form der Ökonomie in der unterscheidung Oikos/Polis zu tun, die im rationalen marktgleichgewichtssystem ende des 19. Jahrhunderts insofern nur noch schwach und konfus aufscheint, als die Polis des marktes von der Polis als staat unterschieden wird: als Wirtschaft/gesellschaft auf der einen seite und als staat/Politik auf der anderen. Diejenigen, die die moderne marktdynamik nicht aushalten, greifen auf das Oikos-Bild zurück, in dem ein – natürlich modernisierter oder demokratischer – oikodespotēs regulierend herrscht; sie konfigurieren verschiedene Varianten einer staatswirtschaft („sociales königtum“: schmoller, Wagner, knies; genossenschaften bzw. korporatistische Versionen, bis hin zum „communismus“ als einem polis-ähnlichen gemeinschaftsmodell). Die pure economics dagegen (Jevons, Walras, menger, gossen) halten die „herrschaft des marktes“ – als emergentes system – als neues Oikos-Bild hoch. es ist das system, das ‚herrscht‘. Wir haben es mit zwei differenten Oikos-hintergrundmodellen zu tun: Das eine setzt auf den ordnenden und verwaltenden staat, das andere auf den sich selbst ordnenden d.h. sich selbst beherrschenden markt. Beide hintergrundbilder sind traditional gebunden; beide unterlaufen das, was in der neuzeit bis smith bereits anders entwickelt wurde: das Bild einer Polis-Ökonomie, in der die Ökonomie nicht als aggregat rationaler – gegeneinander autarker – hausväter aufgefasst wurde, sondern als gesellschaft selbstbewusster eigentümerbürger, die den markt und das geld als gemeinschaftliche institutionen qua gesellschaftsvertrag als ihr proprium tragen. sie treten als politische Bürger einer neuen Polis auf, in der die herrscher in den sozialen Vertrag gebunden werden sollen. Weil die herrscher aber, als absolute oder absolutistische, dem wehren, werden die Bürger, als wirtschaftende menschen, politisch. und zwar nicht aus einem allgemeinen freiheitsimpuls heraus, sondern weil sie ihre eigentü-

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Priddat (2012b).

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mergesellschaft schützen wollen vor unbilligem eingriff des staates (der ja – noch – nicht ihr staat ist, sondern der des herrschers). Deshalb werden sie republikanisch gesonnen, wollen selber die herrschaft als Politik übernehmen. im kapitel „Productive versus unproductive labour“ wird der Wert bürgerlicher Produktivität gegen die unproduktive absorption des adels prononciert – das eigentliche politische kapitel bei adam smith bzw. die legitimationstheorie bürgerlicher selbstherrschaftsansprüche. Dem folgt später die Demokratie als präferierte Politikform (die verhindert, dass eine absolutistische herrschaft je zurückkäme und ihnen den markt ordiniert). Die Demokratie kann übrigens erst aufkommen, als erste formen des Wohlfahrtstaates blühen. Davor waren es nur republikanische muster (eliten-Demokratie). man versteht jetzt genauer, warum die neue Ökonomie des 18. Jahrhunderts als Politische Ökonomie auftrat. Die selbstorganisierte marktökonomie wird als politische form verstanden, die sich absetzt gegen die nicht-Politik der herrschaft des adels. Das antike Polis-erbe wird noch nicht politisch, in einem modernen demokratischen sinn, ausgespielt, sondern die Ökonomie selber ist – unter der Bedingung weiterhin herrschender herrschaft – ein marktliches Polis-konzept.

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Moritz Hinsch

Ökonomik und Hauswirtschaft im klassischen Griechenland hIsTORIA – EInzElschRIfT 265 2021. 658 Seiten mit 2 s/w-Abbildungen und 4 Tabellen 978-3-515-12841-4 gEbUnDEn 978-3-515-12842-1 E-bOOk

Die Antike war die Epoche der Hauswirtschaft. Moritz Hinsch vertritt diese alte These für das klassische Griechenland mit grundlegend neuer Ausrichtung. Der Haushalt blieb die zentrale wirtschaftliche Organisationseinheit, gerade weil seine flexible institutionelle Ordnung die Anpassung an die expandierende Geldwirtschaft im Mittelmeerraum erlaubte. Auch die philosophischen Abhandlungen zur Ökonomik, der Kunst der Haushaltsführung, bewertet Hinsch neu. Diese Texte waren keine praktischen Fachbücher, aber sie geben Auskunft über Grundprinzipien der griechischen Hauswirtschaft. Sie waren literarisch gestaltete Beiträge zu einem normativen Diskurs über Reichtum und Erwerb. Die Zeitgenossen der klassischen Zeit empfanden diese Themen zunehmend als problematisch, weil die gesteigerte Statuskonkurrenz alle Haushalte dazu zwang, effizienter zu wirtschaften und ihren Nutzen zu maximieren. Die zu diesem Zweck verfolgten Strategien waren komplex: Geschlechtsspezi-

fische Arbeitsteilung in der Ehe, Kooperation unter Verwandten und der rationalisierte Einsatz von Sklaven, aber auch die Investition in soziales und symbolisches Kapital durch ostentativen Konsum und ehrenhaftes Geschäftsgebaren. DER AUTOR Moritz Hinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht zu Wirtschaft und Gesellschaft im antiken Griechenland und Rom, zur antiken Komödie als historischer Quelle und zur Rezeption antiker politischer Theorie in Mittelalter und Früher Neuzeit. AUs DEm InhAlT Einführung | Die Theorie der Hauswirtschaft: Die Literarische Ökonomik | Die Praxis der Hauswirtschaft I: Strukturen | Die Praxis der Hauswirtschaft II: Strategien | Schluss | Verzeichnisse | Register

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Philip Aubreville

Der Hass im antiken Rom Studien zur Emotionalität in der späten Republik und frühen Kaiserzeit historia – einzelschrift 266 2021. 356 Seiten 978-3-515-13048-6 gebunden 978-3-515-13054-7 e-book

Hassprediger, Hassverbrechen, Hassrede – der Hass hat heutzutage einen ausgesprochen schlechten Leumund. Im Römischen Reich war das anders: Zwar mahnten auch antike Autoren an, den eigenen Hass möglichst unter Kontrolle zu halten. Zugleich lassen sich aber Diskurse nachweisen, in denen der Hass ausgesprochen positiv bewertet und teilweise sogar regelrecht eingefordert wurde. Das hatte Rückwirkungen auf das Ausdrucksverhalten, für das sich verschiedene Strategien herausarbeiten lassen – von der Maskerade bis zur Verstärkung vorhandener Hassgefühle. Unter Rückgriff auf eine breite begriffsgeschichtliche Analyse dessen, was in Moderne und Antike als „Hass“ verstanden werden konnte, analysiert Philip Aubreville die unterschiedlichen Bewertungsmuster dieses wirkmächtigen Gefühls. Seine Untersuchung füllt so eine Leerstelle im aufstrebenden Feld zur antiken Emotionsgeschichte, die für das

Alte Rom bislang vor allem etwa Angst, Zorn und Neid umfassender in den Blick genommen hat. der autor Philip Aubreville hat Geschichte und Politikwissenschaften in Freiburg, Berlin und Leicester studiert. Aktuell ist er als Redakteur bei der Berliner Zeitung tätig. Zu seinen Forschungsinteressen zählen insbesondere psychische Phänomene im Kontext der Antike. aus dem inhalt Forschungslage | Vorüberlegungen zur Fassbarkeit antiker Emotionalität | Zum Begriff des Hasses | Der Hass als dynamischer Prozess: Versuch einer gegenwärtigen historischen Beschreibung | Die römische Aristokratie – eine „emotionale Gemeinschaft“? Zu den Bewertungen des Hasses | Zeigen oder Schweigen? Zur Kontrolle des Hasses und seines Ausdrucks | Fazit | Verzeichnisse

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Die antike griechische Wirtschaftstheorie unterschied – klassisch bei Aristoteles – die Haushaltung (oikonomia) von einem als naturwidrig angesehenen, grenzenlosen Streben nach Geldgewinn (chrēma­ tistikē). Die Praxis des zeitgenössischen wirtschaftlichen Handelns war dagegen von polisübergreifenden geldwirtschaftlichen Beziehungen und komplex vernetzten Haushalten geprägt. Die Autoren suchen nach den Gründen der

ISBN 978-3-515-12745-5

9 783515 127455

Differenz beider Sachverhalte und fragen am Beispiel spätmittelalterlicher und frühmoderner Texte nach der Wirkung und Transformation der antiken Theorie in der nachantiken europäischen Geschichte. Die Ergebnisse geben Anlass zum Überdenken der Bedeutung antiker oikonomia für eine Analyse der modernen Wirtschaft, aber auch zur methodischen Selbstreflexion moderner Konzeptualisierungen antiker „Ökonomie“.

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