Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts: Anlagenbegriffe, Sicherheitsanforderungen, staatliche Schutzpflicht [1 ed.] 9783428465163, 9783428065165

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Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts: Anlagenbegriffe, Sicherheitsanforderungen, staatliche Schutzpflicht [1 ed.]
 9783428465163, 9783428065165

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 546

Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts Anlagenbegriffe, Sicherheitsanforderungen, staatliche Schutzpflicht

Von Klaus - R. Luckow

Duncker & Humblot · Berlin

KLAUS-R. LÜCHOW Nukleare Brennstofikreisläufe im Spiegel des Atomrechts

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 546

Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts Anlagenbegriffe, Sicherheitsanforderungen, staatliche Schutzpflicht

Von Dr. jur. Klaus-R. Luckow Rechtsanwalt in Regensburg

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Luckow, Klaus-Richard: Nukleare Brennstoffkreisläufe im Spiegel des Atomrechts: Anlagenbegriffe, Sicherheitsanforderungen, staatl. Schutzpflicht / von Klaus-R. Luckow. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 546) Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 1985 ISBN 3-428-06516-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06516-6

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21 Erster Teil Die sicherheitsrechtlich bedeutsamen Stationen nuklearer Brennstofïkreislâufe (Rechtstatsachen)

A. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren I. Versorgung mit Kernbrennstoffen

23 24 24

1. Gewinnung, Aufbereitung, Konversion

24

2. Anreicherung

24

3. Brennelement-Herstellung

25

II. Verwendung der Kernbrennstoffe im Kernkraftwerk III. Entsorgung

25 27

1. Abklingbecken

27

2. Drei Alternativwege

28

3. Transport der abgebrannten Brennelemente

30

4. Wiederaufarbeitung

30

a) Aktivität der Brennelemente

30

b) Brennelementeingangslager

31

c) Entladung aus dem Transportbehälter

31

d) Wiederaufarbeitungsprozeß

32

e) Rückgewinnquote

32

5. Abfall- und Abgasbehandlung a) Abfallbehandlung

33 33

aa) Fertigungsschritte

33

bb) Feste Abfalle aus Zerlegung und Auflösung der Brennelemente

33

cc) Spaltproduktlösung: Lagerung und Verfestigung

33

dd) Ausgangslager (Glasblocklager, Pufferlager)

34

ee) Zeitraum zwischen Uranerzgewinnung und Verfestigung bzw. Endlagerung

35

6

Inhaltsverzeichnis b) Abgasbehandlung

35

6. Wege der Endprodukte der Wiederaufarbeitung

36

7. Mischoxid-Brennelement-Herstellung

37

8. Endlagerung

37

a) Begriff und Funktion

37

b) Endlagerung ohne und nach Wiederaufarbeitung

38

c) Arten und Herkunft radioaktiver Abfälle

38

d) Behandlung und Transport des Abfalls vor der Endlagerung

39

e) Endlagerkonzepte - Überblick

40

f) Bisher praktizierte Konzepte

40

aa) Versenkung im Meer

40

bb) Oberirdische Lagerung

41

cc) Oberflächennahes Vergraben

41

dd) Direktes Einleiten in Oberflächengewässer

41

ee) Versickern im Erdreich

42

f!) Ausschluß der radioaktiven Abfälle aus der Biosphäre? g) Endlagerung in geologischen Formationen aa) Salzformationen (1) Einlagerungskonzepte nach Abfallarten (a) Schwachaktive Abfälle

42 43 43 43 43

(b) Mittelaktive Abfälle

44

(c) Hochaktive Abfalle

44

(2) Eignung von Salzformationen als Endlagerstätte

45

(3) Barrierenkonzept für die Endlagerung hochaktiven Abfalls in Salzstöcken

45

(4) Salzformationen in der Bundesrepublik Deutschland

46

(a) Asse I I

46

(b) Gorleben

47

bb) Eisenerzbergwerk Konrad

48

h) Endlagerung spezieller Abfalle (Sonderabfalle)

49

aa) Tritiumhaltige Abfalle

49

bb) Krypton

50

i) Dauer der Endlagerung bzw. der Isolation vom Biozyklus j) Bedarf an Endlagerkapazitäten in der Bundesrepublik Deutschland

50 52

aa) Abfallmengen in der Vergangenheit und ihr Verbleib

52

bb) Zukünftige Abfallmengen

53

Inhaltsverzeichnis cc) Aufnahmekapazitäten der Endlager

53

dd) Oberirdische Zwischenlagerung radioaktiver Abfalle

53

9. Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente

54

a) Funktionen der Zwischenlagerung

54

b) Arten der Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente

55

c) Kompaktlager

55

d) Externe Brennelement-Zwischenlager

56

e) Dauer der Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente

57

f) Bedarf an Zwischenlagerkapazitäten fur abgebrannte Brennelemente in der Bundesrepublik Deutschland

57

10. Räumliche Zuordnung der Entsorgungsanlagen

58

a) Integriertes nukleares Entsorgungszentrum

58

aa) Bestandteile

58

bb) Vorteile der co-location

59

cc) Erklärung der Niedersächsischen Landesregierung

59

b) Integriertes Entsorgungskonzept

60

c) Konsequenzen

62

B. Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren

62

C. Verhältnis der Brennstoffkreisläufe von Leichtwasser- und Schnellen Brutreaktoren

63

I. Plutoniummenge

63

II. Wiederaufarbeitung

64

1. Quantität

64

2. Verfahren

64

3. Zielrichtungen

65

III. Berührungen und Ineinandergreifen beider Kreisläufe

65

1. Bei Uran-238

65

2. Bei Plutonium

66

3. Gemeinsame Strategie?

66

IV. Verhältnis: Wiederaufarbeitung - Schneller Brutreaktor

67

1. Wiederaufarbeitung als Voraussetzung für den Schnellen Brutreaktor

67

2. Verbund zwischen Wiederaufarbeitung und Schnellem Brutreaktor

67

..

8

Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil Grundsatzentscheidungen über die Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie

68

A. Zuständigkeiten

68

I. Verfassungsgeber

68

II. Gesetzgeber

69

III. Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgeber und Exekutive

69

1. Vorrang des Parlaments?

69

2. Vorbehalt des Gesetzes — „Wesentlichkeitstheorie"

71

3. Bestimmtheitsgrundsatz

72

4. Abgrenzung: Vorbehalt des Gesetzes — Bestimmtheitsgrundsatz

72

5. Prüfungsschritte des Bundesverfassungsgerichts

73

a) Vorbehalt des Gesetzes

73

b) Bestimmtheitsgrundsatz

74

c) Ergebnis

75

IV. Nachfassen staatlicher Organe

75

1. Nachbesserung durch Gesetzgeber

75

2. Verpflichtung der Exekutive

78

3. Verfassungsgerichtliche Überprüfung des Nachfassens

78

B. Normative Grundentscheidung in §1 AtG: Schutz- und Förderungszweck

..

I. Verfassungsrechtlicher Hintergrund

79 79

II. Vorrang des Schutzzwecks

80

C. Offenheit des Atomgesetzes

82

I. Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensvorschriften

83

II. Verordnungsermächtigungen

83

III. Folgen der Offenheit des Atomgesetzes

86

IV. Gründe für die Offenheit des Atomgesetzes

87

1. Kommerzieller Betrieb von Kernkraftwerken

87

2. Schneller Brutreaktor

88

3. Beseitigung radioaktiver Abfalle

88

4. Zeitliche und mengenmäßige Dimension des Brennstoffkreislaufs

...

89

Inhaltsverzeichnis D. Generelle Akzeptanz des nuklearen Risikos durch Gesetzgeber?

89

E. Ergebnis

91 Dritter Teil Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

A. Überblick B. Legaldefinition der Kernbrennstoffe (§2 Abs. 1 Nr. 1 AtG)

92 92 93

I. Lit. a)

93

II. Lit. b)

93

III. Lit. c)

93

IV. Lit. d)

94

V. Lit. e)

94

VI. Natururan

95

VII. Abgrenzung: Kernbrennstoff (§2 Abs. 1 Nr. 1 AtG) - sonstiger radioaktiver Stoff (§2 Abs. 1 Nr. 2 AtG)

95

VIII. Abgrenzung: Kernbrennstoff (§2 Abs.l N r . l AtG) - Kernbrennstoff (§2 Abs. 3 i.V. mit Anlage 1 Abs. 1 Nr. 3 AtG) - Kernmaterialien (§2 Abs. 3 i. V. mit Anlage 1 Abs. 1 Nr. 5 AtG)

95

C. Anlagenbegriff i.S. d. §7 Abs.l AtG

97

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren als Anlagen i.S. d. § 7 Abs. 1 AtG

97

I. Anlagen zur Uranerzaufbereitung, Konversion und Anreicherung als Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen i.S. des §7 Abs.l, 1. Alt. AtG

97

1. I.V. mit §2 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) A t G

97

2. I.V. mit §2 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) AtG

98

II. Anlagen zur Herstellung von Brennelementen als Anlagen zur Be- oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen i.S. des §7 Abs. 1, 2. Alt. AtG

99

1. Zwei Arten der Brennelement-Herstellung im Kreislauf für Leichtwasserreaktoren

99

2. Enge Betrachtungsweise der Begriffe „Be- bzw. Verarbeitung"

99

3. Weite Betrachtungsweise III. Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktor

100 101

1. Bei Verwendung herkömmlicher Brennelemente

101

2. Bei Verwendung von MOX-Brennelementen

101

IV. Anlagen zur Wiederaufarbeitung

102

10

Inhaltsverzeichnis 1. Bestrahlte Kernbrennstoffe

102

2. Anlagen zur Aufarbeitung i.S. des §7 Abs. 1, 4. Alt. AtG

102

V. Anlagen zur externen Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente

. . 102

1. Funktion externer Zwischenlager

102

2. Anlagenbegriff für Zwischenlager

103

a) § 9 a A t G

103

aa) Struktur des §9a A t G

103

bb) Begriff des radioaktiven Abfalls

105

b) Schadlose Verwertung abgebrannter Brennelemente nach dem Stand von Wissenschaft und Technik? 106 aa) Bejahende Stimmen

106

bb) Verneinende Stimmen

106

cc) Vorzugswürdigkeit des Lösungswegs über § 9 a Abs. 1 Nr. 2 i.V. mit Abs. 2 A t G 107 (1) Ausnahmeregelung des § 9 a Abs. 2 Satz 2 A t G 107 (2) Verwertungsfähigkeit — Verwertungsmöglichkeit 108 dd) Die Wiederaufarbeitung durch COGEMA und die drei Alternativen des §9a Abs. 1 Nr.2 AtG

111

ee) Zwischenergebnis

113

c) § 7 statt § 6 A t G für Zwischenlager aa) Zusammenhang zwischen §6 und §5 AtG

113 114

bb) Systematische Auslegung des §6 AtG im Hinblick auf §7 Abs. 1 AtG 114 cc) Vergleich des § 6 A t G mit den Anforderungen für eine Landessammelstelle (1) Funktion und Gefahrdungspotentiale der Landessammelstellen und externer Zwischenlager (2) Strengere Anforderungen des §9 c A t G (3) Gleiche Genehmigungsvoraussetzungen bei gleicher Funktion und gleichem Gefahrdungspotential (4) Genehmigungsvoraussetzungen bei ungleichem Gefahrdungspotential dd) Vergleich des § 6 A t G mit den Anforderungen für ein Kompaktlager

115 115 117 117 118 118

ee) Vergleich des § 6 A t G mit den Anforderungen für ein privates Zwischenlager für schwachaktiven Abfall 119 ff) Derzeitige Genehmigungspraxis

120

gg) Externes Zwischenlager als Anlage zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe i.S. des §7 Abs. 1 A t G

121

(1) Externe Zwischenlagerung als Teil der Wiederaufarbeitung

121

(2) Abweichende Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg 123

Inhaltsverzeichnis d) Rechtslage nach Wegfall der Wiederaufarbeitungsoption

123

3. Ergebnis

124

VI. Schlußfolgerungen fur die Auslegung des §7 Abs. 1 A t G

126

E. Anlagen im Brennstoffkreislauf fur Schnelle Brutreaktoren als Anlagen i.S. des §7 Abs. 1 A t G I. Kernkraftwerke mit Schnellem Brutreaktor

126 126

1. Wörtliche Auslegung

127

2. Historische Auslegung

127

a) Begründung des Atomgesetz-Entwurfs

127

b) Späteres Verhalten des Gesetzgebers

128

3. Zwischenergebnis

129

II. Brennelement-Herstellung für Schnelle Brutreaktoren III. Wiederaufarbeitung der Brennelemente aus Schnellen Brutreaktoren IV. Zwischenergebnis F. Anlagenteile I. Restriktive Auslegung

129 ...

129 130 130 130

II. Funktionaler Zusammenhang zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen 131 1. Unmittelbarer funktionaler Zusammenhang

131

2. Sicherheitstechnisch-funktionaler Zusammenhang

131

3. Sicherheits- und emissionstechnischer Zusammenhang

132

4. Allgemein funktionaler Zusammenhang

132

III. Räumlich betriebstechnischer Zusammenhang zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen 133 1. Art. 74 Nr. I I a GG

133

2. Teleologische Auslegung des Atomgesetzes

134

a) §1 Nrn. 1 und 2 A t G

134

b) Schutzzweck (§ 1 Nr. 2 AtG)

134

3. Systematische Auslegung des Atomgesetzes

134

a) §7 AtG

135

b) §25 AtG

136

4. Wörtliche und historische Auslegung des §7 Abs. 1 AtG

136

5. Systematische Auslegung des Rechts der genehmigungsbedürftigen Anlagen 136

12

Inhaltsverzeichnis 6. Rechtsstaatliches Erfordernis der Tatbestandsklarheit

137

7. Tendenzen zum räumlich betriebstechnischen Verständnis bei Vertretern engerer Anlagenbegriffe 139 8. Ergebnis

140

IV. Beispiele

140

1. Kühlturm

140

a) Räumlich betriebstechnisches Verständnis

140

b) Rückschluß aus §8 Abs. 2 Satzl AtG

141

c) Rechtsprechung und Literatur

141

2. Kompaktlager

143

a) Meinungsstand

143

b) Lösungsvorschlag

144

c) Auffassung von Gleim/Winter und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Darmstadt 145 d) Ergebnis

147

3. Glasblocklager

148

a) Rechtliche Beurteilung seines Inventars

148

b) Teil einer Wiederaufarbeitungsanlage nach § 7 Abs. 1 AtG? c) Glasblöcke als radioaktiver Abfall i.S. des § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG d) Sicherstellung in Bundesanlage (§ 9 a Abs. 3 Satz 1 AtG) e) Privates Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung?

148 ...

149 150 151

aa) Genehmigung über die Ausnahmeregelung des §9a Abs.2 Satz 2 AtG? 151 bb) Genehmigung über § 9 a Abs. 3 Satz 2 AtG?

152

cc) Ergebnis

152

f) Ergebnis

152

G. Ergebnis

153

Vierter

Teil

Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen für Anlagen des nuklearen Brennstoffkreislaufs A. Funktion der sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen

156 156

B. Vorgehensweise bei der Bestimmung der sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen 156 I. Ermittlung der sicherheitsrelevanten Tatsachen

157

Inhaltsverzeichnis 1. Zuständigkeit

157

2. Risikoermittlung: Tatsachenermittlung oder Wertung?

158

a) Definition des Risikos

158

b) Divergierende Risikoermittlungen

158

II. Wertende Entscheidung

158

1. Außerhalb von Naturwissenschaft und Technik

158

2. Staatliche Zuständigkeit

159

C. Struktur des §7 Abs. 2 A t G

160

I. Sicherheitsrelevante anlagenbezogene Genehmigungsvoraussetzungen 1. Genehmigungsvoraussetzungen und/oder Betrieb?

bezüglich

Standortwahl,

2. Technische oder finanzielle Sicherheit?

.. 160

Errichtung 160 160

3. Personenbezogene (subjektive) oder anlagenbezogene (objektive) Genehmigungsvoraussetzungen? 160 4. Nuklearspezifische oder nicht-nukleare Auswirkungen?

161

5. Ergebnis

162

II. Verhältnis zwischen Nrn. 3 und 5 des §7 Abs. 2 AtG 1. Inhalt des §7 Abs. 2 Nr. 5 A t G a) Wörtliche Auslegung

162 162 162

aa) Abgrenzung: Störmaßnahmen — sonstige Einwirkungen Dritter 162 bb) Durch Menschenhand oder durch Naturereignisse ausgelöste Einwirkungen 163 b) Historische Auslegung

163

c) Beschränkung der Nr. 5 auf äußere Einwirkungen?

163

aa) Interne und externe Einwirkungen (1) Interne Einwirkungen (2) Externe Einwirkungen (a) Natürliche Einwirkungen (b) Zivilisatorische Einwirkungen bb) Interne und externe Sabotage

164 164 164 164 164 164

cc) Interne und externe unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf die Anlage durch Betriebsangehörige und Dritte 165 dd) Ergebnis

165

2. Abgrenzende Subsumtion zwischen Nrn. 3 und 5 des §7 Abs. 2 A t G 165 3. Genehmigungspraxis III. Verhältnis zwischen Nr. 6 und Nrn. 3, 5 des §7 Abs. 2 AtG

166 168

14

Inhaltsverzeichnis 1. Meinungsstand

168

a) §7 Abs. 2 Nr. 6 AtG als nuklearspezifische oder nicht-nuklearspezifische Voraussetzung 168 b) Sicherheitsrelevante Standortfaktoren

168

2. Lösungsvorschlag

169

a) Ansatz

169

b) Abgrenzungskriterium zwischen Nr. 6 und Nrn. 3,5 des § 7 Abs. 2 AtG: Ist Ausgleich entgegenstehender ortsbedingter Faktoren durch Auslegung der Anlage gem. Nrn. 3 und 5 denkbar oder nicht? 170 c) Vorzüge des Lösungsvorschlags

171

aa) Eigenständige Funktion des §7 Abs. 2 Nr. 6 AtG

171

bb) Berücksichtigung synergetischer Wirkungen

172

cc) Positive Auswirkungen auf Standortvorbescheid

172

d) Praktikabilität des Lösungsvorschlags

173

aa) Katalog wichtiger Standortkriterien (1) Standortkriterien kungen

bezüglich

173 nicht-nuklearer

Wechselwir174

(2) Standortkriterien bezüglich nuklearspezifischer Wechselwirkungen 175 (3) Teilweise Kongruenz des nuklearspezifischen und nichtnuklearen Kriterienkatalogs 176 bb) Beispiele für die Praktikabilität des Lösungsvorschlags

176

IV. §7 Abs. 2 Nr. 3 A t G als Grundnorm kerntechnischer Sicherheit

177

D. Sicherheitsrelevante Anforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

179

I. Überblick II. Rechtsverordnungen

179 179

1. Verordnungsermächtigungen im Atomgesetz mit Relevanz für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen 179 2. Strahlenschutzverordnung a) Abgrenzung: Atomgesetz — Strahlenschutzverordnung

180 181

aa) Dualismus: Kritikalität — Strahlung

181

bb) Dualismus: Kernbrennstoff—sonstiger radioaktiver Stoff

182

cc) Normenverzahnung zwischen Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung 182 dd) Schlußfolgerungen b) Hinreichende Konkretisierung durch Strahlenschutzverordnung?

183 . . 183

aa) Begriffsbestimmungen

183

bb) Dosisgrenzwerte

184

Inhaltsverzeichnis (1) Beim bestimmungsgemäßen Betrieb

184

(2) Im Störfall

185

cc) Strahlenschutzgrundsätze (1) Abgrenzung: Vermeidungspflicht — Minimierungspflicht

186 . . 186

(2) Minimierungspflicht

188

(3) Vermeidungspflicht

189

dd) Konkretisierungsdefizite

190

III. Verwaltungsinterne Regelungen

191

1. Allgemeine Verwaltungsvorschriften

191

2. Sonstige verwaltungsinterne Regelungen

192

a) Urheber der Regelungen

192

b) Bekanntmachung der verwaltungsinternen Regelungen

193

c) Veröffentlichung verwaltungsinterner Regelungen

194

d) Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz

195

e) Strukturierung der verwaltungsinternen Regelungen

196

aa) Strukturierung nach Art der Anlagen

197

bb) Normative Strukturierung

198

cc) Vorzüge der beiden Strukturierungsansätze

198

f) Die wichtigsten sicherheitsrelevanten anlagenbezogenen verwaltungsinternen Regelungen 199 aa) Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke

200

(1) Anwendungsbereich

200

(2) Inhalt der Sicherheitskriterien

201

(3) Beschränkung auf Zielvorgaben

202

(4) Interpretationen und Praxisbeschreibungen

202

bb) Störfall-Leitlinien

203

(1) Anwendungsbereich

203

(2) Auslegungsstörfälle (a) Ausgrenzungen (b) Radiologisch relevante Störfälle — sonstige auslegungsbestimmende Störfälle ,. (c) Störfallklassen: „RA", „AS" und „SI", „VO" (d) Radiologisch repräsentative Störfälle

204 204 206 206 207

(3) Bedeutung der Störfall-Leitlinien

209

cc) RSK-Leitlinien

211

(1) Rolle der Reaktor-Sicherheitskommission

211

(2) Funktion, Inhalt und Bedeutung der RSK-Leitlinien

212

3. Schlußfolgerungen bezüglich der verwaltungsinternen Regelungen a) Unübersichtlichkeit

. . . 213 213

Inhaltsverzeichnis b) Konkretisierungsbedürftigkeit und Verweisungen c) Rechtliche Bedeutung der verwaltungsinternen Regelungen

214 214

aa) Gegenüber Genehmigungsbehörden

215

bb) Gegenüber der Judikative

216

cc) Gegenüber einzelnen d) Rolle der Gremien aa) Gremien ohne normative Legitimation

217 217 217

bb) Einfluß privater Gremien und Privater in Gremien auf Normkonkretisierung 218 cc) Faktische Dominanz von Naturwissenschaft und Technik bei wertender Entscheidung 218 e) Verwaltungsinterne Regelungen für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren und übrige kerntechnische Anlagen 220 IV. Technische Regelwerke

220

1. Arten technischer Regelwerke

220

2. Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses

222

a) Kerntqchnischer Ausschuß

222

b) Aufstellung der sicherheitstechnischen Regeln

225

c) Funktion und Inhalt der sicherheitstechnischen Regeln

225

d) Schlußfolgerungen bezüglich des Regelwerks des Kerntechnischen Ausschusses 226 aa) Struktur des Ausschusses und Aufstellungsverfahren als Hindernis bei der Erfüllung der dem Regelwerk zugeschriebenen Funktion 226 bb) Partielle Konkretisierungsbedürftigkeit und Verweisungen

228

cc) Vernachlässigung der Ver- und Entsorgungsanlagen sowie des Schnellen Brutreaktors 228 dd) Rechtliche Bedeutung der Regeln des Kerntechnischen Ausschusses 229 ee) Ähnlichkeiten, Unterschiede und Überschneidungen zwischen KTA-Regeln und verwaltungsinternen Regelungen 231 V.· Schlußfolgerungen hinsichtlich der sicherheitsrelevanten Anforderungen auf untergesetzlichen Ebenen 233 1. Defizite des derzeitigen Instrumentariums

233

2. Fehlende Übereinstimmung zwischen derzeitigem und gesetzlich vorgesehenem Instrumentarium 235 3. Nachfassen des Gesetzgebers

238

a) Voraussetzungen und Ansatzpunkte

238

b) Entscheidungsmodelle

238

Inhaltsverzeichnis aa) Modell 1

238

bb) Modell 2

239

cc) Modell 3

239

(1) Beschreibung

239

(2) Flankierende Maßnahmen (a) Ergänzung der Vorschriften über die Zuständigkeiten beim Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften (b) Anhörung beteiligter Kreise (c) Veröffentlichung (d) Verweisungen (e) Beschleunigung durch Übergangsvorschrift

240 240 241 243 243 244

c) Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes, des Atomgesetzes und anderer Gesetze 245 aa) Änderung des Grundgesetzes

245

bb) Änderung des Atomgesetzes

245

(1) §12AtG

245

(2) § 54 AtG

245

(3) §§ 54 a bis c AtG (a) §54 a (Allgemeine Verwaltungsvorschriften) (b) § 54 b (Anhörung beteiligter Kreise) (c) §54c (Übergangsvorschrift)

245 245 246 246

cc) Änderung des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen 247 d) Vorzüge des Entwurfs zur Änderung des Atomgesetzes

247

aa) Beibehaltung und Ausschöpfung des ursprünglich vorgesehenen Instrumentariums 247 bb) Strukturelle Harmonisierung innerhalb des Atomrechts und zwischen Atom- und allgemeinem Immissionsschutzrecht 247 cc) Inhaltliche Systematisierung des materiellen Sicherheitsrechts infolge lückenloser, in sich abgestufter Konkretisierungsstränge 248 dd) Dynamik und Steigerung der Rechtssicherheit infolge der Vermutungsklausel 249 ee) Neuordnung der Gremienarbeit

251

ff) Eindeutige rechtliche Verhältnisse hinsichtlich des Kerntechnischen Ausschusses 254 gg) Beachtung der Wesentlichkeitstheorie

254

hh) Beschleunigter Erlaß von Rechtsverordnungen

255

Fünfter

Teil

Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

257

A. Wörtliche Auslegung — unter Berücksichtigung systematischer, teleologischer und historischer Erwägungen 258

18

Inhaltsverzeichnis I. „Vorsorge gegen Schäden ... treffen"

258

1. Allgemeine Wortbedeutung

258

2. Systematische Absicherung

260

II. „Durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage" III. „Erforderliche" Vorsorge

262 262

1. Erforderliche und nicht erforderliche Schadensvorsorge

262

2. Wertungs- und Abwägungsvorgang

264

IV. „Nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" V. Ergebnis B. Verfassungskonforme Auslegung des §7 Abs. 2 Nr. 3 A t G I. Begriffsverständnis des Bundesverfassungsgerichts

264 265 265 265

1. Schaden — Gefahr — Risiko, Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts 266 2. Gefahrenabwehr — Risikovorsorge — Restrisiko 3. Ergebnis II. Bestimmtheit des §7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

267 269 269

1. Maßstäbe fur die Bestimmtheitsprüfung — dynamischer Grundrechtsschutz 269 2. Stand von Wissenschaft und Technik

271

a) Abgrenzung: allgemein anerkannte Regeln der Technik — Stand der Technik — Stand von Wissenschaft und Technik 271 b) Schlußfolgerungen 3. Grenze zwischen erforderlicher Schadensvorsorge und Restrisiko a) Besonderheit des Regelungsgegenstands

272 275 275

b) Materielle Kriterien für die Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge 276 c) Zwischenergebnis

278

III. Verstoß des §7 AtG gegen Grundrechte oder objektivrechtliche Schutzpflichten? 278 1. Abgrenzung: Grundrechtsverletzung — Grundrechtsgefahrdung a) Terminologie des Bundesverfassungsgerichts

279 279

b) Grundrechtsgefährdungen als verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigungen 280 aa) Faktische Verletzung?

280

bb) Nicht jede beliebige Grundrechtsgefahrdung

281

Inhaltsverzeichnis (1) Erhebliche Grundrechtsgefährdung

281

(2) Schwerwiegende Grundrechtsgefahrdung

281

(3) Maßstab für Erheblichkeit und Schwergewicht

282

cc) Ergebnis

283

2. Unterschiedliche dogmatische Standorte für Grundrechtsverletzung und Grundrechtsgefährdung 283 a) Grundrechtsverletzung: subjektives Abwehrrecht

284

b) Grundrechtsgefährdung: objektivrechtliche Schutzpflicht

285

3. Objektivrechtliche Schutzpflichten

286

a) Ableitung der Schutzpflichten

286

aa) Ausgangspunkt: Art. 1 Abs. 1 Satz2 GG

286

bb) Ableitung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG

286

cc) Ableitung aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG

287

dd) Ableitung im Wege einer Gesamtschau mehrerer Grundrechte? 287 b) Abgrenzung: subjektives Abwehrrecht — objektivrechtliche Schutzpflicht 288 aa) Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Rangverhältnis

288

bb) Bedeutung des subjektiven Abwehrrechts in der dreipoligen Konstellation der objektivrechtlichen Schutzpflicht 289 c) Objektivrechtliche Schutzpflicht und Drittwirkung

289

d) Verwirklichung der Schutzpflicht und deren verfassungsgerichtliche Überprüfung 290 e) Objektivrechtliche tionen?

Schutzpflichten gegenüber künftigen Genera-

aa) Künftige Generationen als Träger subjektiver Abwehrrechte?

291 .. 292

bb) Verbindlichkeit des Grundgesetzes für künftige Generationen? 293 (1) Zukunftskomponenten des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (2) Generationsübergreifender Charakter des Grundgesetzes

293 .. 294

(3) Zukunftsaspekte der Präambel

294

(4) Verfassungsrechtliche Einstandspflichten

295

(5) Zwischenergebnis

296

cc) Umfang der Schutzpflicht gegenüber künftigen Generationen .. 296 4. Objektivrechtliche Schutzpflicht im Atomrecht

297

a) Schutzpflicht als Rettungsanker bei der Auslegung des §7 Abs. 2 AtG 297 b) Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht aa) Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren

298 299

20

Inhaltsverzeichnis (1) Entfernte Wahrscheinlichkeit, „praktische Vernunft"

299

(2) „Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge" 302 (3) Vergleich mit naturgegebenen Risiken (a) Naturgegebene Risiken als Voraustatbestand der Grundrechtsordnung (b) Stade-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts: natürliche und zivilisatorische Risiken als Vergleichsgrößen? (c) Naturgegebene Risiken als Vergleichsgrößen (aa) Natürliche Strahlenbelastung (bb) Natürliche Lebensrisiken (d) Zwischenergebnis

303 303

304 305 306 308 310

bb) Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts 311 cc) Ergebnisse zum Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht im Atomrecht 313 IV. Ergebnisse zur verfassungskonformen Auslegung des §7 Abs. 2 Nr. 3 AtG 315 Literaturverzeichnis

317

Anhang

327

I. Abbildungen zu den Brennstoffkreisläufen

329

Abb. 1 : Schema eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor

329

Abb. 2: Schema eines Kernkraftwerks mit Siedewasserreaktor

330

Abb. 3: Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

331

Abb. 4: Wiederaufarbeitung wasserreaktoren

332

abgebrannter Brennelemente aus Leicht-

Abb. 5 : Aktivität der Brennelemente nach der Entnahme aus einem Leichtwasserreaktor 332 Abb. 6: Brennstoffkreislauf des Schnellen Brutreaktors beim Dauerbetrieb (Zweitausstattungen) 333 Abb. 7: Herkunft der Brennstoffe für die Inbetriebnahme eines Schnellen Brutreaktors (Erstausstattung)

334

II. Rechtsverordnungen zum Atomgesetz

335

III. Verwaltungsinterne Regelungen

336

IV. Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses

343

V. § 7 Abs. 2 AtG im Verständnis der derzeitigen Verwaltungspraxis VI. Projektion der Thesen zur Auslegung des §7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

349 350

Einleitung Die atomrechtliche Diskussion beschäftigte sich lange Jahre überwiegend mit der Errichtung und dem Betrieb von Kernkraftwerken. Mit dem zunehmenden Ausbau der nuklearen Ver- und Entsorgungsanlagen1 erfaßt die atomrechtliche Diskussion in wachsendem Maße auch diese Stationen des nuklearen Brennstoffkreislaufs. Die vorliegende Arbeit möchte dieser Entwicklung Rechnung tragen2. Die Arbeit möchte u. a. verdeutlichen, daß das Atomgesetz für alle Stationen des nuklearen Brennstoffkreislaufs Geltung beansprucht, was bei seiner Anwendung eine Gesamtschau des nuklearen Brennstoffkreislaufs erforderlich macht. Während das Atomgesetz bisher überwiegend im Hinblick auf Kernkraftwerke interpretiert worden ist, möchte die vorliegende Arbeit versuchen, die atomgesetzlichen Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb kerntechnischer Anlagen unter Berücksichtigung aller Stationen des nuklearen Brennstoffkreislaufs zu verstehen und einheitlich und in sich schlüssig auszulegen. Zur Terminologie sei darauf hingewiesen, daß der Bundesminister des Innern 3 und zum Teil auch das Schrifttum zu den „Anlagen des Brennstoffkreislaufs" nur die Ver- und Entsorgungsanlagen, nicht aber die Kernkraftwerke rechnen, was nicht einsichtig ist, da die Kernkraftwerke ein wichtiger Bestandteil des Brennstoffkreislaufs sind. Die vorliegende Arbeit zählt daher zu den Stationen bzw. Anlagen des Brennstoffkreislaufs auch die Kernkraftwerke.

1 Zum Stand des Ausbaus: vgl. Bundesminister des Innern, Anlagen des Brennstoffkreislaufs. 2 Das Manuskript der vorliegenden Arbeit wurde im Sommer 1985 abgeschlossen. Nachfolgende Rechtsprechung und Literatur konnten nicht umfassend berücksichtigt werden. Soweit die vorliegende Arbeit Zuständigkeiten und Tätigkeiten des Bundesministers des Innern behandelt, ist auf den zwischenzeitlich eingetretenen Übergang dessen Zuständigkeiten auf den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hinzuweisen. 3 Vgl. Bundesminister des Innern, Anlagen des Brennstoffkreislaufs.

Erster Teil

Die sicherheitsrechtlich bedeutsamen Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen) Nukleare Brennstoffkreisläufe beschreiben die Versorgung der Kernkraftwerke mit Kernbrennstoffen und deren Entsorgung. Die Brennstoffkreisläufe sind abhängig von dem im Kernkraftwerk eingesetzten Reaktortyp. Die Reaktortypen lassen sich u.a. nach dem verwendeten Kühlmittel klassifizieren 1: — — — — —

Leichtes Wasser (H 2 0) : Leichtwasserreaktor Schweres Wasser (D 2 0): Schwerwasserreaktor Kohlendioxid (C0 2 ) : graphitmoderierter Reaktor Helium : Hochtemperaturreaktor Flüssiges Natrium : Schneller Brutreaktor.

In der Bundesrepublik Deutschland haben sich bisher die Leichtwasserreaktoren wirtschaftlich durchgesetzt2. Sie werden unterteilt nach Siede- und Druckwasserreaktoren. Im Siedewasserreaktor verdampft das Wasser im Druckbehälter, im Druckwasserreaktor im Dampferzeuger eines zweiten Kreislaufs 3. Wirtschaftlich und politisch kontrovers diskutiert wird die Zukunft des Schnellen Brutreaktors. Die Brennstoffkreisläufe für Leichtwasser- und Schnelle Brutreaktoren unterscheiden sich voneinander; daher werden sie im folgenden getrennt dargestellt.

1

Bundesregierung, Dokumentation, S. 84ff., S. 148ff., S. 150f., S. 128ff., S. 119ff; vgl. Koelzer, Lexikon, S. 75 („Kühlmittel"), S. 78 („Leichtwasserreaktor"), S. 123 („Schwerwasserreaktor"). 2 Vgl. Ronellenfltsch, Genehmigungsverfahren, S. 143; Bundesregierung, Dokumentation, S. 84; Koelzer, Lexikon, S. 182 f., 186. Vgl. die Auflistung der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland (Stand: 2.11.1984), in: Umwelt Nr. 107 v. 18.12.1984, S. 3436. 3 Koelzer, Lexikon, S. 78 („Leichtwasserreaktor"), S. 98 ff. Zum Aufbau und zur Technik von Kernkraftwerken mit Druck- und Siedewasserreaktoren vgl. im einzelnen Anhang I, Abb. 1 und 2 und Bundesregierung, Dokumentation, S. 88 ff., 106ff.

24

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

A. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren 4 I. Versorgung mit Kernbrennstoffen 1. Gewinnung, Aufbereitung, Konversion

Der Ausgangsstoff, das Uranerz, wird im Tief- oder Tagebau gewonnen und anschließend durch Zerkleinerung und Lagerung aufbereitet. Das ausgefällte Natururan wird als sog. Yellow Cake in Fässern verpackt5. In einer weiteren Anlage wird das Natururan in Uranhexafluorid (UF 6 ) verwandelt, d.h. konvertiert 6. 2. Anreicherung7

Natururan besteht zu 0,7% aus Uran-235 und zu 99,3% aus Uran-238. In Anreicherungsanlagen muß der geringe Anteil des Uran-235 für den Einsatz in Leichtwasserreaktoren auf 2-3,5% erhöht werden. Für die Erstausstattung eines Leichtwasserreaktors vom Typ Biblis (1200 MWe) z.B. werden etwa 100t angereichertes Uran mit einem Anteil von ca. 2,5% Uran-235 benötigt; für deren Herstellung sind etwa 540t Natururan notwendig. Für die Nachladungen sind jährlich etwa 30 t angereichertes Uran mit einem Anteil von ca. 3% Uran-235 erforderlich; für deren Produktion benötigt man 160 t Natururan 8. Aus diesen 160 t Natururan (mit einem Gehalt von 0,7% Uran-235 und 99,3% Uran-238) entstehen beim Durchgang durch die Anreicherungsanlage 301 angereichertes Uran (mit einem Gehalt in der Regel von 3% Uran-235 und 97% Uran-238) und 130t abgereichertes Uran, das nahezu 100%ig aus Uran-238 besteht9. Beim Anreicherungsprozeß wird also das ursprünglich in der Gesamtmenge enthaltene Uran-235 in der anzureichernden Teilmenge konzentriert. Das abgereicherte Uran kann in Leichtwasserreaktoren nicht eingesetzt werden und scheidet aus dem Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren als Abfall aus10. Nur die 30 t angereichertes Uran gehen als Reaktorbrennstoff weiter in die Brennelement-Herstellung.

4

Vgl. Anhang I, Abb. 3. Bundesregierung, Dokumentation, S. 160 f. 6 Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2; vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 162. 7 Vgl. Anhang I, Abb. 3. 8 Bundesregierung, Dokumentation, S. 162ff.; Faude, Schneller Brüter, S. 2; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2; vgl. auch Closs, Proliferation, S. 21. 9 Faude, Schneller Brüter, S. 2. 10 Faude, Schneller Brüter, S. 2 f. und Abb. 1 (linker Teil). 5

25

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

Abreicherung

Anreicherung

130 t ^abgesichertes Uran

30 t ^ angereichertes Uran (= Reaktorbrennstoff)

3%

0,7% Uran-235

Uran-235 3. Brennelement-Herstellung 11

In der Brennelement-Herstellung wird der Kernbrennstoff in zylindrische Tabletten gepreßt. Diese sog. Pellets (8-15 mm Durchmesser, 10-15 mm Länge) werden als Säule angeordnet und in ein ca. drei Meter langes Hüllrohr aus Zircaloy eingefüllt, das an beiden Enden verschweißt wird. Eine solche Einheit wird als Brennstab bezeichnet. Mehrere derartige Brennstäbe werden in einer tragenden Konstruktion aus Abstandshaltern zu einem Brennelement zusammengefaßt, das ca. 4,5 - 5 m lang ist. Beim Kernkraftwerk Biblis-Α (Druckwasserreaktor; 1204 M We) bilden beispielsweise 236 Brennstäbe, beim Kernkraftwerk Brunsbüttel (Siedewasserreaktor; 770 M We) 49 Brennstäbe ein Brennelement12. II. Verwendung der Kernbrennstoffe im Kernkraftwerk 13

Zur Energieerzeugung kommen die Brennelemente in den Reaktorkern des Kernkraftwerks 14. Im Kernkraftwerk Biblis-Α sind z.B. 193, im Kernkraftwerk Brunsbüttel 532 Brennelemente eingesetzt15. 11

Vgl. Anhang I, Abb. 3. Bundesregierung, Dokumentation, S. 167ff; 90, 108; Koelzer, Lexikon, S. 98 („Pellet"), S. 14 („Biblis-A"), S. 67 („KKB"); Strohm, Katastrophe, S. 151 ff. 13 Vgl. Anhang I, Abb. 3. 14 Zum Aufbau und zur Technik von Kernkraftwerken mit Druck- und Siedewasserreaktoren vgl. im einzelnen Anhang I, Abb. 1 und 2 und Bundesregierung, Dokumentation, S. 88 ff., 106ff. 15 Bundesregierung, Dokumentation, S. 89, 106. 12

26

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Während des Einsatzes der Brennelemente im Reaktor wird durch die Kernspaltung Wärmeenergie erzeugt. Daneben bedingt die Kernspaltung dreierlei: — Die spaltbaren Isotope des Kernbrennstoffs werden verbraucht. Nach drei Jahren hat sich der Gehalt an spaltbarem Uran-235 von 3% auf weniger als 1% reduziert. — Aus dem nicht spaltbaren Uran-238 entsteht (durch Neutroneneinfang) ca. 1% Plutonium. — Es bilden sich neutronenabsorbierende Spaltprodukte: beispielsweise die längerlebigen Radionuklide Krypton-85, Jod-129, Strontium-90, Zäsium134 und 137 sowie stabile Nuklide. Deshalb muß nach ca. drei Jahren das abgebrannte Brennelement aus dem Reaktor entladen werden16. Eine prozentuale mengenmäßige Gegenüberstellung ergibt: — Vor ihrem Einsatz im Reaktor enthalten die Brennelemente17: Uran-235 3% Uran-238 97%. — Die abgebrannten Brennelemente enthalten (ein Jahr nach der Entladung aus dem Reaktor bei einer Anfangsanreicherung von 3,3%)18: Resturan davon: Uran-235 Uran-238 Sonstiges Uran

Plutonium Spaltprodukte Sonstiges

95,4% 0,76% 94,2 % 0,44% 95,4 % 0,9% 3,6%

0,1% 100 %

Eine absolute Berechnung19 ergibt, daß die jährlich eingesetzten 301 Uran 20 durch den Reaktorbetrieb umgesetzt werden in: Resturan davon: Uran-235 Plutonium Spaltprodukte

16

28,7 t =

95,7% 0,85%

0,3 t = 1,0% 1,0 t = 3,3% 30,0 t = 100 %.

Bundesregierung, Dokumentation, S. 178 und Tab. 38, S. 170; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2. 17 Vgl. oben Erster Teil A.I.2. 18 Haug, Reactor Fuels, zitiert nach Bundesregierung, Dokumentation, S. 178, Tab. 38. 19 Faude, Schneller Brüter, S. 2f. mit Abb. 1.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

27

Die Abweichungen beider Berechnungen können ihre Ursache darin haben, daß die Verluste im Brennkraftstoffkreislauf unterschiedlich berücksichtigt21, der Anfangsgehalt des Uran-235 verschieden hoch angesetzt oder der Zeitpunkt der Mengenleistung unterschiedlich gewählt wurde. Aus neutronenphysikalischen Gründen ist es nicht möglich, alle Brennelemente gemeinsam in einem Durchgang durch den Reaktor zu nutzen. Insbesondere fangen die gebildeten Spaltprodukte Neutronen ein und bringen dadurch die Kettenreaktion zum Erliegen22. Daher werden die abgebrannten Brennelemente dergestalt gegen neue Brennelemente ausgewechselt, daß nicht das gesamte Brennelement-Volumen alle drei Jahre, sondern jährlich ein Drittel der Brennlemente ausgetauscht wird, und zwar das Drittel, das bereits drei Jahre als Brennstoff verwendet wurde 23. III. Entsorgung24

Mit der Entnahme der abgebrannten Brennelemente aus dem Reaktor beginnt der Teil des Brennstoffkreislaufs, der als Entsorgung bezeichnet wird 25 . 1. Abklingbecken

Nach der Entladung aus dem Reaktor werden die abgebrannten Brennelemente in einem sog. Abklingbecken für mindestens sechs Monate gelagert26. Während dieses Zeitraums klingt die Radioaktivität der Brennelemente auf 23% ihres bei der Entladung vorhandenen Strahlungswerts ab. Gleichwohl ist die Strahlungsintensität nach Ablauf der sechs Monate noch so hoch, daß die Brennelemente nur in speziellen Behältern abtransportiert werden können. Im Abklingbecken lagern die Brennelemente in Wasser (sog. Naßlagerung), das eine doppelte Funktion erfüllt: es schirmt die Umgebung vor der Strahlung der noch hochaktiven Brennelemente ab und es kühlt die Brennelemente, die durch den Zerfall der Spaltprodukte Wärme entwickeln27. Das Abklingbecken liegt im Reaktorgebäude; bei Druckwasserreaktoren im Bereich zwischen

20

Vgl. oben Erster Teil A.I.2. Vgl. Faude, Schneller Brüter, S. 2. 22 Bundesregierung, Dokumentation, S. 179. 23 Bundesminister für Forschung und Technologie, 24 Vgl. Anhang I, Abb. 3. 25 Bundesministerför Forschung und Technologie, minister des Innern, Begriffserläuterungen, Ziff. 1. 26 Zum EntladungsVorgang s. Strohm, Katastrophe, 27 Bundesminister för Forschung und Technologie, regierung, Dokumentation, S. 180. 21

Nukleare Entsorgung, S. 45. Nukleare Entsorgung, S. 47; BundesS. 621. Nukleare Entsorgung, S. 48;Bundes-

28

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

biologischem Schild und Stahlsicherheitshülle28, bei Siedewasserreaktoren hingegen außerhalb der Sicherheitsumschließung, die bisher (ζ. B. im Kernkraftwerk Brunsbüttel) als kugelförmiger Stahlbehälter, bei der neuen Siedewasserreaktorbaulinie (ζ. B. im Kernkraftwerk Gundremmingen) hingegen als kreiszylindrischer Stahlbetonmantel ausgeführt wird 29 . Die häufig anzutreffende Lagebeschreibung, das Abklingbecken befinde sich „noch innerhalb des Sicherheitsbehälters" 30, ist daher wegen der mangelnden Differenzierung nach Reaktortypen unrichtig. 2. Drei Alternativwege31

Wenn die abgebrannten Brennelemente durch die Lagerung im Abklingbecken ihre Transportfähigkeit erlangt haben, können sie drei Wege gehen: — Zur Verwertung in eine Wiederaufarbeitungsanlage mit nachfolgender Brennstoffrückführung. Dies ist der Weg des sog. geschlossenen Brennstoffkreislaufs 32. — Zur Beseitigung in ein Endlager (ohne Wiederaufarbeitung). Dieser Weg wird offener Brennstoffkreislauf, Direktendlagerung oder auch OnceThrough-Zyklus genannt33. — Zur Lagerung in ein Langzeit-Zwischenlager34. Der dritte Weg muß dann beschritten werden, wenn keine oder nicht ausreichende Wiederaufarbeitungs- oder (Direkt-)Endlagerkapazitäten zur Verfügung stehen. Dieser Weg muß derzeit in der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden; denn im Augenblick gibt es hier weder eine großtechnische Wiederaufarbeitungsanlage (die Anlage in Karlsruhe ist lediglich ein Versuchsprojekt) noch ein Endlager. Die Lagerung in einem Langzeit-Zwischenlager läßt die Option für Wiederaufarbeitung und Direktendlagerung offen 35. Die Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergie-Politik 36 empfiehlt die intensive Verfolgung des „paralle28

Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 102 mit Abb. 57 und Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG, Abgabe-Minimierung, S. 12. 29 Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 107 mit Abb. 60, S. 113 mit Abb. 69, S. 114 mit Abb. 72, S. 115f. mit Abb. 76 und Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG, Abgabe-Minimierung, S. 14f. 30

So ausdrücklich Bundesminster für Forschung und Technologie, Nukleare Entsorgung, S. 48. 31 Vgl. Anhang I, Abb. 3. 32 s. dazu unten Erster Teil A. III. 4. 33 Vgl. Closs, Proliferation, S. 19; s. dazu unten Erster Teil A. III. 8.b). 34 s. dazu unten Erster Teil A. III. 9. 35 Vgl. Regierungserklärung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Niedersächsischer Landtag, 9. Wahlperiode, Protokoll über die 15. Plenarsitzung v. 16. 5. 1979, S. 1706 ff. 36

Deutscher Bundestag, Zukünftige Kernenergie-Politik, S. 302.

29

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

len Ansatzes", d.h. die parallele Prüfung verschiedener Entsorgungstechniken nach einer Zwischenlagerung: Weg A: Behandlung der bestrahlten Brennelemente ohne Wiederaufarbeitung, Endlagerung der behandelten Brennelemente; WegB: Wiederaufarbeitung, Brennstoffrückführung, Abfallbehandlung, Endlagerung des behandelten Abfalls. Erst nach Abschluß der parallelen Prüfung können die Risiken beider Wege gegeneinander abgewogen werden. Eine Bilanz aus dem Jahre 197737 beschreibt die Vor- und Nachteile beider Wege folgendermaßen:

Wiederaufarbeitung (Weg B)

Entsorgung durch Direktendlagerung (Weg A)

Konditionierungsverfahren für abgebrannte Abfälle bekannt und weitgehend erprobt.

Konditionierungskonzept noch nicht entwickelt; keine experimentellen Erfahrungen.

Aufteilung der Spaltprodukte in verschiedene Kategorien.

Aufteilung der Spaltprodukte nicht möglich.

Überführung der Spaltprodukte in auslaugbeständigen Zustand.

Aussagen über Auslaugbeständigkeit des endzulagernden Produktes noch nicht möglich.

Abfallvolumina größer.

Abfallvolumina kleiner.

Größter Teil des Plutoniums kann in Reaktoren verbrannt werden.

Endzulagernde Plutonium-Menge lOOmal größer.

Brennstoffkreislaufkosten (bei U- und PuRückführung) etwas niedriger.

Brennstoffkreislaufkosten etwas höher.

etwa

Risiko eines Pu-Mißbrauchs.

Kein Risiko eines Pu-Mißbrauchs. Unterschied in der radiologischen Belastung sehr gering.

Erhebliche Einsparung an Natururan und Trennarbeit durch U- und Pu-Rückfüh-



rung. Voraussetzung für Brütereinführung.



Diese Bilanz ist um folgende Faktoren zu ergänzen: Überwachungszeit kürzer, d.h. geringeres Überwachungszeit länger, d.h. größeres Langzeitrisiko 38 . Langzeitrisiko. Wegfall der spezifischen Risiken der Wiederaufarbeitung und der Brütertechnolo-

37 Böhm, atw 1977, S. 187; zitiert nach Hofmann, Entsorgung, S. 69. Vgl. auch D W K , Rede-Gegenrede, S. 204ff.

30

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Bezüglich der Plutonium-Menge ist anzumerken, daß die Extraktion des Plutoniums aus den abgebrannten Brennelementen im Rahmen der Wiederaufarbeitung nicht der Reduzierung des Plutonium-Inventars dient, sondern der Herstellung von Plutonium-Brennstoff und bei dessen Einsatz im Schnellen Brüter 40 der planmäßigen Vermehrung des Plutonium-Inventars, was zwangsläufig zu einer entsprechend größeren Plutonium-Abfall-Menge führt 41. 3. Transport der abgebrannten Brennelemente

Wenn die abgebrannten Brennelemente durch die Lagerung im Abklingbecken des Kernkraftwerks ihre Transportfähigkeit erlangt haben, können die Brennelemente in speziellen Behältern zu einem der drei beschriebenen Ziele abtransportiert werden. Die zylindrischen Brennelementbehälter CASTOR wiegen je nach Typ zwischen 80 und 120 t, haben eine Länge von ca. 5,5 m und einen Durchmesser von ca. 1,8 m ; sie fassen 4 bis 16 Brennelemente, d. h. 2,1 - 4,81 Uran 42 . 4. Wiederaufarbeitung 43

a) Aktivität der Brennelemente

Der Beginn der Wiederaufarbeitung ist abhängig von der Aktivität der Brennelemente. Beim Betrieb des Reaktors beträgt die Aktivität mehr als 108 Curie pro Tonne Uran. Nach dem Abschalten des Reaktors nimmt sie wegen des großen Anteils der kurzlebigen Spaltprodukte innerhalb weniger Stunden um eine Größenordnung ab. Später bestimmen die längerlebigen Spaltprodukte den Verlauf der Aktivität: die weitere Abnahme um einen Faktor 10 auf 106 Curie pro Tonne Uran dauert dann bereits etwa zweieinhalb Jahre. Der Verlauf der Aktivitätskurve 44 zeigt deutlich, daß die Dauer der Zwischenlagerung für die Aktivität der Brennelemente bei der Wiederaufarbeitung entscheidend ist 45 . 38

Bundesminister für Forschung und Technologie, Behandlung und Lagerung radioaktiver Abfälle, Bericht der OECD-Kernenergieagentur 1977, Bonn 1978, S. 56ff., 119, 196; zitiert nach Hofmann, Entsorgung, S. 69, 72. 39 So auch Hofmann, Entsorgung, S. 71; Regierungserklärung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Niedersächsischer Landtag, 9. Wahlperiode, Protokoll über die 15. Plenarsitzung v. 16. 5. 1979, S. 1706ff. 40 Dazu siehe unten Erster Teil B. 41 Darauf verweist mit Nachdruck: Hofmann, Entsorgung, S. 42f. 42 D W K / S T E A G , Brennelement-Zwischenlager Ahaus, S. 12ff.; vgl. auch Bundesregierung, Dokumentation, S. 173ff., 182; D W K , Entsorgungszentrum, S. 16ff.; kritisch zu den CASTOR-Behältern : Strohm, Katastrophe, S. 630 ff. 43 Vgl. Anhang I, Abb. 3 und 4. 44 Vgl. Anhang I, Abb. 5. 45 Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 3, Abb. 3.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

31

Die Angaben über den Zeitraum zwischen der Abschaltung des Reaktors bzw. der Entnahme der abgebrannten Brennelemente aus dem Reaktor und dem Beginn der Wiederaufarbeitung sind uneinheitlich und z.T. vage46. Als Mindestlagerzeit im Abklingbecken des Kernkraftwerks werden 180-220 Taiie genannt47; nach den Vorstellungen der Betreiber soll die „Vorlagerzeit" im Kernkraftwerk im Normalfall 540 Tage dauern48. b) Brennelementeingangslager

49

Nach Einlieferung der abgebrannten Brennelemente in die Wiederaufarbeitungsanlage werden sie dort in einem Brennelementeingangslager bis zum Beginn der eigentlichen Wiederaufarbeitung erneut zwischengelagert, nach Angaben der Betreiber für ca. drei Jahre50. Nach dem Konzept der Betreiber beträgt der Zeitraum zwischen der Entnahme der Brennelemente aus dem Reaktor und dem Beginn der Wiederaufarbeitung somit insgesamt viereinhalb Jahre (eineinhalb Jahre Abklingbecken im Kernkraftwerk, drei Jahre Brennelementlager in der Wiederaufarbeitungsanlage). Dies scheint ein mittlerer Wert zu sein, denn die Mindestzwischenlagerzeiten werden anderorts mit drei bis sieben Jahren angegeben51. Das Brennelementeingangslager der Wiederaufarbeitungsanlage wurde ursprünglich als Naßlager konzipiert, bei dem — wie beim Abklingbecken Wasser die Abschirmung der radioaktiven Strahlung und die Kühlung übernimmt 52 . Nunmehr scheint die Trockenlagerung bevorzugt zu werden, bei der die abgebrannten Brennelemente für die Dauer der Lagerung in den oben beschriebenen Transportbehältern verbleiben und deren Nachzerfallswärme über Kühlrippen an der Behälteroberfläche an die Umgebungsluft abgegeben wird 53 . c) Entladung aus dem Transportbehälter

Vor Beginn der Naßlagerung oder nach Beendigung der Trockenlagerung werden die abgebrannten Brennstäbe — naß oder trocken — aus dem 46

Vgl. Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 3; Bundesregierung, Dokumentation, S. 182, 191. 47 Bundesregierung, Dokumentation, S. 180, 182. 48 D W K , Rede — Gegenrede, S. 21. 49 Vgl. Anhang I, Abb. 4. 50 D W K , Rede — Gegenrede, S. 25 ; vgl. auch Bundesregierung, Dokumentation, S. 182. 51 BT-Ds. 9/1231, S. 11. 52 Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 182f.; BT-Ds. 8/1821, S. 17; D W K , Rede — Gegenrede, S. 21; D W K , Entsorgungszentrum, S. 19 ff. 53 D W K , Wiederaufarbeitungsanlage, S. A 5 ; D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 12; Rede — Gegenrede, S. 23; D W K / S T E A G , Brennelement — Zwischenlager Ahaus, S. 16f.

32

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Transportbehälter entladen. Bei der Naßentladung wird der Behälter in ein Entladebecken eingetaucht und unter Wasser geöffnet. Danach können die Brennelemente unter Wasser zur Naßlagerung oder Wiederaufarbeitung gebracht werden. Bei der Trockenentladung wird der Transportbehälter unter besonderen Abschirmungs- und Lüftungsmaßnahmen fernbedient geöffnet. Danach kommen die Brennelemente in ein Naßlager oder weiter zur Wiederaufarbeitung. Nach dem Entladen wird der Transportbehälter dekontaminiert, um wieder eingesetzt werden zu können54. d) Wieder aufarbeitungsprozeß

55

Aus dem Brennelementlager kommen die Brennelemente zur Wiederaufarbeitung. Ziel der Wiederaufarbeitung ist es, die Wertstoffe Uran und Plutonium von den Spaltprodukten abzutrennen und der Wiederverwendung (Recycling) zuzuführen 56. Die Wiederaufarbeitung beginnt im sog. Head-End. Hier werden die Brennelemente in einer „Heißen Zelle" durch Fernbedienung mechanisch zerlegt und die Brennstäbe in ca. 2-5 cm lange Teilstücke zersägt oder zerschnitten, die anschließend in konzentrierte Salpetersäure fallen, in der das Uran, Plutonium und die Spaltprodukte chemisch gelöst werden. Durch den Prozeß im Head-End fallen — neben den gelösten Stoffen — als Abgas flüchtige radioaktive Stoffe und als fester Abfall die leeren Hüllrohr-Teilstücke der Brennstäbe an. Aus der Brennstofflösung werden in der nächsten Prozeßstufe Uran und Plutonium extrahiert. Hierbei wird das PUREX-Verfahren angewendet (Plutonium and Uranium Recovery by Extraction) 57. Als hochradioaktiver Abfall (High Active Waste = HAW) bleibt eine Spaltproduktlösung zurück. Im Tail-End, dem letzten Verfahrensabschnitt der Wiederaufarbeitung, werden die Endprodukte konzentrierte Uranylnitratlösung und konzentrierte Plutoniumnitratlösung bzw. festes Plutoniumoxid hergestellt58. e) Rückgewinnquote

Beim derzeiten Stand der Wiederaufarbeitungstechnologie gelangen ca. 2% des Urans und 1-2% des Plutoniums in den Abfall oder bleiben in den Anlagenteilen zurück 59, d.h. 98% des Urans und 99% des Plutoniums werden zurückgewonnen. 54

Bundesregierung, Dokumentation, S. 182; D W K , Entsorgungszentrum, S. 24 f. Vgl. Anhang I, Abb. 3 und 4. 56 Schleiseik, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2. 57 Bundesregierung, Dokumentation, S. 181. 58 Bundesregierung, Dokumentation, S. 183ff.; BT-Ds. 8/1281, S. 19ff.; D W K , Entsorgungszentrum, S. 25ff., 3Iff.; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2ff. und Abb. 2; D W K , Rede — Gegenrede, S. 26, Abb. 2. 59 BT-Ds. 8/1281, S.20; Bundesregierung, Dokumentation, S. 185; D W K , Rede — Gegenrede, S. 44. 55

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

33

5. Abfall- und Abgasbehandlung60

Die bei der Wiederaufarbeitung anfallenden Abfälle und Abgase müssen weiterbehandelt werden. a) Abfallbehandlung

aa) Fertigungsschritte Die radioaktiven Rohabfälle durchlaufen bis zum endlagergerechten Abfallprodukt verschiedene Fertigungsschritte 61 : — — — —

Übernahme der radioaktiven Rohabfalle; chemische und mechanische Vorbehandlung und Konzentrierung; Verfestigung der Konzentrate in geeigneten Materialien (z.B.Glas, Zement); Verpackung der verfestigten Produkte in Edelstahlbehältern (Kokillen) oder Fässern; — Lagerung der Endabfälle in einem Betriebspufferlager (Ausgangslager) vor dem Transport zum Endlager; — Reinigung der in den Fertigungsschritten entstehenden Abgase und Destillate sowie Behandlung der Sekundärabfälle 62. Zwischen den einzelnen Fertigungsschritten ist teilweise eine Zwischenlagerung erforderlich. bb) Feste Abfälle aus Zerlegung und Auflösung der Brennelemente Metallische Teile der Brennelemente (z.B. Hüllrohrstücke) und unlösliche Rückstände aus der Auflösung des Brennstoffs enthalten zusammen ca. 15% der gesamten Aktivität der Brennelemente. Das ursprüngliche Konzept der mehrjährigen Zwischenlagerung dieser Abfallsorten vor der Verfestigung wurde zugunsten einer sofortigen Verfestigung nach ihrem Abfall geändert63. cc) Spaltproduktlösung: Lagerung und Verfestigung Die bei der Wiederaufarbeitung entstehende flüssige Spaltproduktlösung enthält ca. 85-90% der gesamten Aktivität der abgebrannten Brennelemte64. Diese hochaktive Lösung (HAW) wird für etwa fünf Jahre in Edelstahltanks, die mit mehrfachen Kühlsystemen ausgestattet sind65, zwischengelagert, wobei die 60 61 62 63 64 65

Vgl. Anhang I, Abb. 3 und 4. Vgl. Dippel/Koester, Herstellung endlagerfähiger Abfallprodukte, S. 26. Vgl. D W K , Rede — Gegenrede, S. 61. D W K , Rede — Gegenrede, S. 64; vgl. BT-Ds. 8/1281, S. 22. D W K , Rede — Gegenrede, S. 62; Engelmann, Endlager, S. 31. Vgl. Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 7 f., Abb. 10.

3 Luckow

34

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Aktivität um 75% abfällt 66. Anschließend wird die hochaktive Spaltproduktlösung in Glas verfestigt. Dies umfaßt mehrere Prozeßschritte (Denitrieren, Trocknen, Kalzinieren, Schmelzen, Erstarren). Danach kommen die einzelnen Glasblöcke in einen Endlagerbehälter aus Edelstahl (Kokille)67. Von den verschiedenen Verfestigungsverfahren (VERA, FIPS, PAMELA, AVM, PI VER, HARVEST/FING AL u.a.) scheint das französische AVMVerfahren am weitesten fortgeschritten zu sein. Im Atelier de Vitrification de Marcoule (AVM) wurde 1978 mit dem heißen Betrieb begonnen68. Die deutsche Industrie, die zunächst das AVM-Verfahren favorisiert hatte, scheint nunmehr das deutsche PAMELA-Verfahren vorrangig zu verfolgen 69. dd) Ausgangslager (Glasblocklager, Pufferlager) Unabhängig davon, ob bis zur Inbetriebnahme der Verfestigungsanlage eine Endlagerungsmöglichkeit besteht oder nicht, müssen die verfestigten hochaktiven Abfälle zwischengelagert werden; dies soll im Ausgangslager der Wiederaufarbeitungsanlage geschehen70. Eine derartige Zwischenlagerung läßt die Radioaktivivtät weiter abklingen und verringert die Wärmeproduktion der Glasblöcke, wodurch sie im Salzstock dichter gepackt werden können. Entsprechende Zwischenlager (Glasblocklager) werden bereits in Idaho Falls, Hanford (USA) sowie in Marcoule betrieben und für die Bundesrepublik Deutschland konzipiert (Pufferlager) 71. Als Zeitspanne für die Zwischenlagerung in Ausgangslagern werden „einige Jahre", „Zeiträume von mehreren Jahren" bzw. die „Größenordnung von zehn Jahren" genannt72. Wenn keine Endlagerungsmöglichkeit besteht, müssen die verfestigten hochaktiven Abfälle über den Zeitraum von zehn Jahren hinaus im Ausgangslager der Wiederaufarbeitungsanlage oder in einem anderen, noch zu errichtenden oberirdischen Lager weiter zwischengelagert werden. 66 Bundesregierung, Dokumentation, S. 191, 184; BT-Ds. 8/1281, S.22, 26; D W K , Entsorgungszentrum, S. 38; sehr kritisch hierzu: Strohm, Katastrophe, S. 625f. unter Berufung auf Wollert und Thompson. 67 Engelmann, Endlager, S. 31, Abb. 2; Ehlert, ET 1982, 162. 68 BT-Ds. 8/1281, S.26f.; Bundesregierung, Dokumentation, S. 191f., Abb. 112; Dippel/ Koester, Herstellung endlagerfähiger Abfallprodukte, S. 26ff. und Abb. 3; Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 58-67; D W K , Rede — Gegenrede, S.63; D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 15; D W K , Entsorgungszentrum, S. 39. 69 Scheuten, ET 1982, 115 (117). 70 Vgl. Engelmann, Endlager, S. 53. 71 BT-Ds. 8/1281, S. 26, 32; Bundesregierung, Dokumentation, S. 192f., 180, 173; D W K , Rede — Gegenrede, S. 63 f., 61; D W K , Wiederaufarbeitungsanlage, S. 7; D W K , Entsorgungszentrum, S. 40. 72

Bundesregierung, Dokumentation, S. 131, 180; BT-Ds. 9/1231, S. 11; vgl. auch BTDs. 8/1281, S. 26; Engelmann, Endlager, S. 33, spricht von mindestens drei Jahren. Vor einer Endlagerung in Tonformationen (z. B. in Belgien und Italien) soll die Zwischenlagerung fünfzig Jahre dauern, vgl. BT-Ds. 9/1231, S. 11.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

35

ee) Zeitraum zwischen Uranerzgewinnung und Verfestigung bzw. Endlagerung Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß im Falle der Wiederaufarbeitung von der Uranerzgewinnung bis zur Verfestigung der hochaktiven Spaltproduktlösung mindestens 131/2 Jahre und bis zur Endlagerung mindestens 231/2 Jahre vergehen. Jahre Uranerzgewinnung, Aufbereitung, Konversion, Anreicherung, Brennelement-Herstellung 73 Reaktorbetrieb 74 Abklingen beim Kernkraftwerk 75 Brennelementlager in Wiederaufarbeitungsanlage 76 HAW-Zwischenlagerung in Tanks bis zur Verfestigung 77 Zwischenlagerung nach Verfestigung bis zur Endlagerung

1 3 11/2 3 5 131/2 10 231/2

Wenn sich das Konzept der Wiederaufarbeitungsanlage WA-350 durchsetzt, könnte der Zeitraum bis zur Verfestigung der hochaktiven Spaltproduktlösung insgesamt um zweieinhalb Jahre verkürzt werden. Dieses Konzept sieht zwischen Reaktorentladung und Beginn der Wiederaufarbeitung für die abgebrannten Brennelemente eine (verlängerte) Zwischenlagerung von sieben Jahren vor. Dies soll andererseits eine sofortige Verfestigung der Spaltproduktlösung unmittelbar nach ihrer Abtrennung ermöglichen, so daß sich die HAWZwischenlagerung in Tanks wesentlich verkürzt 78. b) Abgasbehandlung 79

Während der Zerlegung und Auflösung im Rahmen der Wiederaufarbeitung, aber auch bei der Abfallbehandlung werden verschiedene flüchtige radioaktive Stoffe freigesetzt (u.a. Tritium (H-3), Jod-129, Krypton-85, Kohlenstoff-14, Aerosole). Durch bestimmte Verfahren (z.B. Filter, Temperaturabsenkung) werden einige dieser Stoffe—teilweise—zurückgehalten, d. h. am Entweichen in die Umgebungsluft gehindert80.

73

Geschätzt. s. oben Erster Teil Α. II. 75 s. oben Erster Teil Α. II. 4. a). 76 s. oben Erster Teil Α. II. 4. b). 77 s. oben Erster Teil A. III. 5. a) cc). 78 Vgl. MischkejRehnelt, ET 1982, 154 (156); vgl. D W K , Wiederaufarbeitung in Hessen, S. 13 und D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 20. 79 Vgl. Anhang I, Abb. 4. 74

3*

36

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Der Kohlenstoff-14-Anteil des Abgases der Wiederaufarbeitung wird nicht zurückgehalten, „obwohl bekannt ist, daß C-14 in den Biozyklus als C 0 2 eingebaut wird" 81 . Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen wird die Zurückhaltung von C-14 „wegen der geringen Bedeutung (zu geringe Menge) für die Gefährdung des Biozyklus" weltweit bei keiner Wiederaufarbeitungsanlage praktiziert 82. Immerhin erreichen J-129 und C-14 aber als gesamte Dosisleistung bezogen auf die Schilddrüse 39 mrem/a, d. h. 43,4% der nach der Strahlenschutzverordnung zulässigen Dosis (90 mrem/a)83. In der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe wurden Krypton85 und Kohlenstoff-14 zumindest 1977 nicht aus dem Abgas abgetrennt84. Die übrigen flüchtigen radioaktiven Stoffe werden jeweils zu einem bestimmten Teil zurückgehalten85. Einige Stoffe werden nach der Abgasbehandlung zwischengelagert (z.B. Krypton-85 in Druckgasflaschen), die übrigen in die Abfallbehandlung weitergegeben86. 6. Wege der Endprodukte der Wiederaufarbeitung 87

Die Endprodukte der Wiederaufarbeitung (Uranyl- und Plutoniumnitrat) können verschiedene Wege gehen. Das Uranylnitrat kann in den Fertigungsprozeß für Uran-Brennelemente übernommen werden. Es durchläuft dann die Fertigungsschritte Konversion, Anreicherung, Brennelement-Herstellung bis zum erneuten Einsatz im Kernkraftwerk als Uran-Brennelement. Insoweit handelt es sich um einen echten geschlossenen Kreislauf. Das Uranylnitrat kann aber daneben auch für die Herstellung sog. Mischoxid-(MOX)-Brennelemente verwendet werden, die daneben Plutonium enthalten und in Leichtwasserreaktoren eingesetzt werden88.

80 BT-Ds. 8/1281, S.20; vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 183; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 3, 5; D W K , Rede — Gegenrede, S. 89-106; D W K , Entsorgungszentrum, S. 27 f. 81

So wörtlich D W K , Rede — Gegenrede, S. 98. D W K , Rede — Gegenrede, S. 98. 83 Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 5 und Abb. 7. 84 D W K , Entsorgungszentrum, S. 74. 85 Vgl. Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 6 und Abb. 8 ; D W K , Rede — Gegenrede, S. lOOff. 86 Bundesregierung, Dokumentation, S. 183, 190; D W K , Rede — Gegenrede, S. 64, S. 26 mit Abb. 2; BT-Ds. 8/1281, S. 22f. 82

87

Vgl. Anhang I, Abb. 3. Bundesregierung, Dokumentation, S. 173; BT-Ds. 8/1281, S. 24; D W K , Wiederaufarbeitungsanlage, S. A 5 ; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2, Abb. 1. 88

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

37

Das in der Wiederaufarbeitung abgetrennte Plutonium kann entweder in die Brennelement-Herstellung für Schnelle Brutreaktoren oder in die MischoxidBrennelement-Herstellung für Leichtwasserreaktoren gehen89. Ein dritter Weg kann in eine militärische Verwendung des Plutoniums zum Bau eines atomaren Sprengsatzes führen. Da das Plutonium in diesem Prozeßabschnitt in konzentrierter Form auftritt, „ist von hier aus der Weg zum Sprengsatz am dichtesten"90. 7. Mischoxid-Brennelement-Herstellung 91

Bei der Mischoxid-Brennelement-Herstellung werden das aus der Wiederaufarbeitung kommende Uranyl- und Plutoniumnitrat in Mischoxidpulver umgewandelt. Aus diesem Pulvergemisch mit 3% Plutoniumanteil92 werden — wie bei der Uran-Brennstoff-Herstellung — Tabletten (Pellets) gepreßt, diese in Hüllrohre eingefüllt und diese Brennstäbe zu Brennelementen gebündelt. Wegen der hohen Radiotoxizität des Plutoniums93 sind bei der Mischoxid-Brennelement-Herstellung strengere Sicherungsmaßnahmen erforderlich als bei der Uran-Brennelement-Fertigung 94. Die bei der MOX-Brennelement-Herstellung entstehenden Abfälle müssen weiterbehandelt werden (Abfallbehandlung) 95. Die MOX-Brennelemente werden in Leichtwasserreaktoren eingesetzt und gehen danach wiederum in die Wiederaufarbeitung 96. Das Löseverhalten der MOXBrennelemente bei der Wiederaufarbeitung wird unterschiedlich beurteilt 97. 8. Endlagerung

a) Begriff

und Funktion

Endlagerung ist die endgültige, zeitlich unbegrenzte Einlagerung radioaktiver Abfälle 98. Aufgabe der Endlagerung ist es, die radioaktiven Abfälle aus dem 89 Bundesregierung, Dokumentation, S. 170; BT-Ds. 8/1281, S. 25; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2 f., Abb. 1; Faude, Schneller Brüter, S.2; D W K , Rede — Gegenrede, S. 57. 90 So wörtlich Closs, Proliferation, S. 20, vgl. auch S. 19 und Abb. 3: Sellinschegg, Kernmaterialüberwachung, S. 13 f., Abb. 1, Tab. 4. 91 Vgl. Anhang I, Abb. 3. 92 Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 126, 171. 93 Vgl. Koelzer, Plutonium, S. 22. 94 Bundesregierung, Dokumentation, S. 170ff., Abb. 109, Tab. 37; BT-Ds. 8/1281, S. 25; D W K , Wiederaufarbeitungsanlage, S.A6; D W K , Rede — Gegenrede, S. 57f.; D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 14; D W K , Entsorgungszentrum, S. 53 ff. 95 D W K , Wiederaufarbeitungsanlage, S. A 6. 96 BT-Ds. 8/1281, S. 19. 97 Vgl. D W K , Rede — Gegenrede, S. 58 ff., 45. 98 Bundesminister des Innern, Begriffserläuterungen, S. 24.

38

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstofkreisläufe (Rechtstatsachen)

Biozyklus auszuschließen99. Diese umfassende Aufgabenstellung wird in der naturwissenschaftlichen Literatur zum Teil zeitlich und auch quantitativ eingeschränkt. Radioaktive Abfälle seien nicht zeitlich unbegrenzt, sondern „über lange Zeiträume" oder „während des Zeitraumes ihrer Radiotoxizität" sicher von der Biosphäre fernzuhalten 100 ; (nur) „signifikante Mengen" radioaktiver Stoffe seien an der Rückkehr in den Biozyklus zu hindern 101. b) Endlagerung ohne und nach Wiederaufarbeitung

102

Bei der Endlagerung sind zwei Varianten zu unterscheiden: — die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente, d.h. ohne vorhergehende Wiederaufarbeitung, und — die Endlagerung radioaktiver Stoffe, die bei der Wiederaufarbeitung anfallen, und sonstiger radioaktiver Abfälle aus kerntechnischen Anlagen sowie Medizin, Forschung und Industrie. Die Techniken der direkten Endlagerung abgebrannter Brennelemente sind noch im Stadium der Planung, was sich damit erklären läßt, daß die Prüfung dieses Wegs politisch erst relativ spät diskutiert und gefordert wurde 103 . Die Industrie scheint sich aber mit der Entwicklung der Technik der direkten Endlagerung zu befassen 104. Die Techniken für die Endlagerung radioaktiver Stoffe, die bei der Wiederaufarbeitung anfallen, und sonstiger radioaktiver Abfälle sind hingegen schon genauer projektiert und teilweise auch schon versucht worden. Die Techniken dieser Endlagerung bestimmen sich nach der Art der radioaktiven Abfälle. c) Arten und Herkunft

radioaktiver

Abfälle

Nach der Aktivität unterscheidet man drei Abfallklassen: — Hochaktive Abfälle (High Active Waste — HAW) mit mehr als 104 Ci/m3; — Mittelaktive Abfälle (Medium Active Waste — MAW) mit 0,1 -10 4 Ci/m3; — Schwachaktive Abfalle (Low Active Waste — LAW) mit weniger als 0,1 Ci/m 3105 .

99

BT-Ds. 8/1281, S.29. Engelmann, Endlager, S. 30; Ehlert, ET 1982, 162. 101 Merz, ET 1982, 156 (157); vgl. auch Bechthold, Endlager, S. 35. 102 Vgl. Anhang I, Abb. 3 und 4. 103 s. oben Erster Teil A.III.2. (Weg A); Regierungserklärung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Niedersächsischer Landtag, 9. Wahlperiode, Protokoll über die 15. Plenarsitzung v. 16. 5.1979, S. 1706ff. 104 Vgl. Scheuten, Entsorgung, S. 7. 105 Bundesregierung, Dokumentation, S. 187. 100

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

39

Die Aktivitätsgrenzen zwischen den drei Abfallklassen sind noch nicht standardisiert mit der Folge, daß bei der Gesellschaft für Kernforschung mbH in Karlsruhe (GfK) und der Kernforschungsanlage Jülich GmbH (KFA) unterschiedliche Aktivitätsgrenzen für schwachaktiven Abfall gelten106. Außerdem differenziert man radioaktive Abfälle nach ihrem Aggregatzustand (flüssig, fest, gasförmig) 107. Die radioaktiven Abfalle zur Endlagerung stammen hauptsächlich aus Brennelementfabriken, Kernkraftwerken, Abfallbehandlungsanlagen der Wiederaufarbeitungsanlagen, Großforschungszentren und Landessammeistellen. In den letztgenannten Stellen werden radioaktive Abfälle der Medizin und der übrigen Industrie gesammelt und endlagerfähig verpackt. Hochaktiver Abfall kommt ausschließlich aus Wiederaufarbeitungsanlagen 108. d) Behandlung und Transport

des Abfalls vor der Endlagerung

Alle drei Abfallarten müssen vor der Endlagerung behandelt werden. Die Behandlung des hochaktiven Abfalls aus Wiederaufarbeitungsanlagen ist bereits oben beschrieben worden 109. Schwach- und mittelaktive flüssige Stoffe werden verdampft, konzentriert und in Zement oder Bitumen verfestigt; schwach- und mittelaktive Festabfälle werden verbrannt oder zerkleinert und anschließend zementiert110. Die schwach- und mittelaktiven verfestigten Abfälle werden in 200- oder 400-Liter-Rollreifenfassern verpackt 111. Auch beim Transport der behandelten, d.h. endlagerfähigen Abfälle muß weiterhin nach den drei Abfallklassen differenziert werden. Der schwachaktive Abfall wird in den Rollreifenfassern ohne Absicherung transportiert 112. Der mittelaktive Abfall in den Rollreifenfassern wird während des Transports und der Einlagerrungsvorbereitung in Abschirmbehältern eingeschlossen113. Der in Glas verfestigte hochaktive Abfall in der Edelstahlkokille114 benötigt während des Transports und der Einlagerungsvorbereitung einen-Hochaktiv-Abschirm-

106

Bundesregierung, Dokumentation, S. 201, Tab. 39. Bundesregierung, Dokumentation, S. 187. 108 Engelmann, Endlager, S. 30; Bundesregierung, Dokumentation, S. 187; Ehlert, ET 1982, 162; vgl. Anhang I, Abb. 4. 109 s. oben Erster Teil A.III.5.a). 110 Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 188-191, Abb. 110, 111; vgl. Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 37-54 mit instruktiven Fotos und Skizzen. 111 Engelmann, Endlager, S. 30, Abb. 1. 107

112 Bundesregierung, Dokumentation, S. 200-206, Tab. 40, Abb. 117, 118; Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 55; Engelmann, Endlager, S. 30, 32. 113 Bundesregierung, Dokumentation, S. 206-210, Abb. 124, 125; Engelmann, Endlager, S. 3Iff., Abb. 5,7. 114 s. oben Erster Teil A. III. 5. a) cc).

40

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

behälter mit einer Gamma-Strahlenabschirmung aus Blei und einer Neutronenabschirmung aus Polyethylen. Die Nachwärme des hochaktiven Abfalls wird über Stahlrippen an die Behälteroberfläche geleitet115. Diese Abschirmbehälter sind nicht zu verwechseln mit den Brennelementbehältern 116. e) Endlagerkonzepte

Als Endlagerkonzepte werden angeboten

— Überblick 117

:

— Geologische Formationen: — Endlagerung in Salz- oder Gesteinsformationen; — Verpressung in geologischen Speichern; — In-sich-Verfestigung in Kavernen; — Oberirdische Lagerung; — Oberflächennahes Vergraben; — Direktes Einleiten in Oberflächengewässer; — Versickern im Erdreich; — Versenkung im Meer; — Endlagerung im antarktischen Eis; — Schuß in den Weltraum. Die Konzepte der Endlagerung im antarktischen Eis und des Schusses in den Weltraum werden — soweit ersichtlich — nicht mehr ernsthaft erwogen, da sie zu risikoreich und zu teuer sind 118 . International diskutiert, aber bisher noch nicht erprobt wird die Einlagerung von hochaktiven Abfällen in Bohrlöchern im Meeresboden119. f)

Bisher praktizierte

Konzepte

Außerhalb der Bundesrepublik Deutschland wurden bisher folgende Endlagerkonzepte praktiziert. aa) Versenkung im Meer In den Jahren 1967 bis 1981 haben Belgien, Großbritannien, die Niederlande und die Schweiz 86000 t schwachaktive Abfälle auf internationaler Basis unter Aufsicht der Nuclear Energy Agency der OECD im Bereich des Iberischen Beckens im Nord-Ost-Atlantik versenkt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nur an der ersten Probeversenkung im Jahre 1967 mit 180 t verpackter schwachaktiver Abfälle beteiligt120. 115 116

Engelmann, Endlager, S. 31, 33, Abb. 8.

s. oben Erster Teil A. III. 3. 117 Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 196f., Abb. 113, BT-Ds. 8/1281, S. 28ff., 32; D W K , Entsorgungszentrum, S. 44 ff. 118 Bundesregierung, Dokumentation, S. 197. 119 Vgl. hierzu Bundesregierung, Dokumentation, S. 197.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

41

bb) Oberirdische Lagerung Feste oder verfestigte mittel- oder schwachaktive Abfälle werden in den meisten Ländern — teilweise eingebettet in Containern aus Stahlblech oder Beton — an der Erdoberfläche abgelagert. In Frankreich werden die in Betonquadern eingebundenen Abfallbehälter auf der Erdoberfläche abgestellt, teilweise freistehend, teilweise mit Sand überschüttet121. cc) Oberflächennahes Vergraben In den Vereinigten Staaten werden zum Teil nur wenig behandelte mittel- oder schwachaktive Abfälle oberflächennah vergraben. Auf diese Weise sind einige Millionen Kubikmeter mit über 105Ci beseitigt worden. Seit 1970 müssen Abfälle mit einer bestimmten Aktivität gesondert verpackt und in besonders vorbereitete Gräben („concrete lined V-trench" oder „transuranic stab") rückholbar gelagert werden. In dieser Form wurden bisher einige 10000m3 Abfälle mit über einer Tonne Transuranelementen, im wesentlichen Plutonium, eingelagert 122 . Ähnlich wird auch in Großbritannien verfahren. Die oberflächennahe Lagerung radioaktiver Abfälle verlangt ein Drainagesystem, um die Auswaschung von Radioaktivität und deren Verbreitung in der Umgebung zu verhindern. Die Radionuklide werden durch Wasser transportiert, das von der Oberfläche her eindringt 123. dd) Direktes Einleiten in Oberflächengewässer In einigen Staaten werden mittel- und schwachaktive Abfälle direkt in Oberflächengewässer eingeleitet124. Die Wiederaufarbeitungsanlage Usine Plutonium No. 2 (UP 2) in La Hague/Frankreich leitet jß-Strahler mit dem Abwasser in den Atlantik 125 . Die Wiederaufarbeitungsanlage Windscale I I in Großbritannien gibt mit dem Abwasser ß- und α-Strahler sowie Ruthen-106 und Strontium-90 in die Irische See126. Die Wiederaufarbeitungsanlage Tokai Mura

120

Lukner I Kautsky, ET 1982,128 ff., Bild 1, Tab. 1; Bundesregierung, Dokumentation,

S. 196 f. 121

D W K , Entsorgungszentrum, S. 48. Panel on Land Burial, „The Shallow Land Burial of Low-Level Radioactively Contuminated Solid Waste", National Academy of Sciences, TID-2734, Washington, D.C. 1976; zitiert nach D W K , Entsorgungszentrum, S. 48. 123 D W K , Entsorgungszentrum, S. 49. 124 D W K , Entsorgungszentrum, S. 44, 47. 125 D W K , Entsorgungszentrum, S. 70, 4, vgl. auch S. 47. 126 Shore, Secretary of State for the Environment, 15.12.1976, in Parliament, London; Secretary of State for the Environment, 22.7.1977, London; zitiert nach D W K , Entsorgungszentrum, S. 70f., 5, vgl. auch S. 47. 122

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1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

(PNC) in Japan leitet flüssigen schwachaktiven Abfall in den Pazifik 127. Die Wiederaufarbeitungsanlage der Nuclear Fuel Services Inc. (NFS) südlich von Buffalo in USA gab während ihrer Betriebszeit von 1966 bis 1972 α- und ßStrahler sowie Tritium und Strontium-90 als flüssigen Abfall in den Cattarargus Creek bzw. Buttermilk Creek 128. ee) Versickern im Erdreich Flüssige mittel- und schwachaktive Abfälle werden in den USA in abgedeckten Sickerbrunnen (bisher: einige Mio. m 3 mit über 1 Mio. Ci) oder offenen Teichen (bisher: einige 108 m 3 mit über 10000Ci) durch langsames Versickern beseitigt129. ff) Ausschluß der radioaktiven Abfälle aus der Biosphäre? Das direkte Einleiten radioaktiver Abfälle in Oberflächengewässer, das teilweise als „Endlagerkonzept" angesehen wird 130 und auch das Versickern im Erdreich sind keine Endlagerung im Sinne der oben gegebenen Definition; denn die radioaktiven Abfälle werden gerade nicht aus der Biosphäre entfernt, sondern — im Gegenteil — in den Biozyklus eingestreut. Entsprechend wird bei der Ableitung radioaktiver Stoffe in die Umgebungsluft auch nirgends von Endlagerung gesprochen. Aber auch die übrigen bisher außerhalb der Bundesrepublik Deutschland praktizierten und oben beschriebenen Verfahren (Versenkung im Meer, oberirdische Lagerung, oberflächennahes Vergraben) wären nur dann Endlagerung, wenn durch sie die radioaktiven Abfalle aus der Biosphäre ausgeschlossen würden. Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen stellt fest: „Im Sinne einer endgültigen Entfernung radioaktiver Abfälle aus der Biosphäre gibt es bisher in der westlichen Welt kein eigentliches Endlager für radioaktive Abfälle. Entsprechende Verlautbarungen über die Existenz eines Endlagers in der Sowjetunion entziehen sich der Nachprüfbarkeit" 131. Das frühere Salzbergwerk ASSE I I in der Bundesrepublik Deutschland gilt bisher nur als Versuchsendlager132. Alle bisher praktizierten und oben beschriebenen Verfahren wurden auf mittel- und schwachaktiven Abfall angewendet. Sie können — wie gezeigt — 127

D W K , Entsorgungszentrum, S. 75, 9. J. A. Martin, Calculations of Environmental Radiation Exposures and Population Doses due to Effluents from a Nuclear Fuel Reprocessing Plant, Radiation Data and Reports, February 1973; zitiert nach D W K , Entsorgungszentrum, S. 78 ff, 13. 129 D W K , Entsorgungszentrum, S. 46, m.w.N. 130 So Bundesregierung, Dokumentation, S. 196, Abb. 113. 131 D W K , Entsorgungszentrum, S. 44. 132 Vgl. dazu unten Erster Teil A. III. 8. g) aa) (4) (a). 128

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

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nicht als Endlagerung bezeichnet werden. Auch für hochaktive Abfälle gibt es derzeit noch keine Endlagerungsmöglichkeit. Hochaktive Abfalle werden bisher entweder in (unterirdischen) Tanks (z.B. in den Vereinigten Staaten)133 oder — soweit bereits in Glas verfestigt — in oberirdischen Glasblocklagern134 aufbewahrt. Daher werden derzeit für alle radioaktiven Abfallarten Endlagerungskonzepte geplant, erarbeitet und erprobt, die den Ausschluß der radioaktiven Abfälle aus der Biosphäre gewährleisten sollen. g) Endlagerung in geologischen Formationen

In der Bundesrepublik Deutschland wird für die Abfallarten die Endlagerung in geologischen Formationen favorisiert. aa) Salzformationen Dabei stehen Salzformationen an erster Stelle, da sich Steinsalz unter ausreichendem Gebirgsdruck plastisch verhält, eine höhere Wärmeleitfähigkeit als andere Gesteine besitzt und in ihm Strecken und Hohlräume mit relativ geringen Kosten bergmännisch herzustellen sind 135 . Durch das plastische Verhalten schließen sich Spalten und Klüfte, so daß das Eindringen von Flüssigkeiten (insb. Wasser) oder Gasen und umgekehrt das Entweichen eingelagerter radioaktiver Stoffe u.U. verhindert, zumindest aber erschwert wird 136 . Die Wärmeleitfähigkeit ist für die Lagerung hochaktiver Abfälle von Bedeutung, da deren Zerfallswärme das umschließende Gebirge aufheizt 137. (1) Einlagerungskonzepte

nach Abfallarten

Die Konzepte für die Einlagerung in Salzformationen unterscheiden sich nach den drei Abfallarten. (a) Schwachaktive Abfalle Die Rollreifenfässer mit schwachaktiven Abfällen werden mit Förderkörben unter Tage gebracht und mit Schaufelladern vom Schacht zur Einlagerungskammer gefahren. Die Fässer werden aus der Ladeschaufel abgekippt, mit Salz überdeckt und die Firste der Kammern gegen Salzabsturz gesichert138. 133

Vgl. D W K , Entsorgungszentrum, S. 45 f. m.w.N. s. oben Erster Teil A. III. 5. a) dd). 135 Engelmann, Endlager, S. 31 f.; Bechthold, Endlager, S. 36. 136 Bundesregierung, Dokumentation, S. 197. 137 Engelmann, Endlager, S. 32. 138 Engelmann, Endlager, S. 32, Abb. 4; Bundesregierung, Dokumentation, S. 204 f., Abb. 120. 134

44

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

(b) Mittelaktive Abfälle Die Rollreifenfässer mit mittelaktiven Abfällen werden in den Abschirmbehältern bis zur Beschickungskammer am Sohlenende transportiert, die sich — durch eine ca. sechs Meter mächtige Salzschicht getrennt — oberhalb der Endlagerkammer befindet. In der Beschickungskammer wird der Abschirmbehälter auf einen Strahlenschieber gestellt, der Boden des Abschirmbehälters und der Strahlenschieber geöffnet und das Rollreifenfaß an einem Seil in die Endlagerkammer herabgelassen. Der Abschirmbehälter wird wiederverwendet. Die Endlagerkammer kann eingesehen werden durch eine Fernsehkamera, die mit dem Steuerpult in der Beschickungskammer verbunden ist, und durch ein Bleiglasfenster, das sich — in eine Strahlenschutzmauer eingelassen — auf dem gleichen Sohlenniveau wie die Endlagerkammer befindet 139. Als alternative Einlagerungstechnik für mittelaktive Abfälle ist vorgesehen, die Rollreifenfässer aus einer oberirdischen abgeschirmten Umladezelle durch einen Rohrschacht ohne Abschirmung direkt in eine Lagerkaverne unter Tage abzusenken140. (c) Hochaktive Abfälle Der hochaktive verfestigte Abfall in den Edelstahlkokillen soll unter Tage in 50-300 m tiefen vertikalen Bohrlöchern mit 30 cm Durchmesser eingelagert werden, deren Abstände voneinander durch die Wärmeproduktion des hochaktiven Abfalls und die Wärmeleitfähigkeit des das Bohrlich umgebenden Salzes bestimmt werden 141. Die Edelstahlkokille im Hochaktiv-Abschirmbehälter wird im Förderkorb unter Tage, dann von einem Transportfahrzeug zum Bohrloch gebracht und über diesem auf einem Schieber abgestellt. Innerhalb einer abgeschirmten Entlademaschine wird die Edelstahlkokille aus dem Hochaktiv-Abschirmbehälter heraus am geöffneten Schieber vorbei in das Bohrlich eingeführt 142. Ist das Bohrloch mit Kokillen gefüllt, soll es mit Salzgrus und einem Betonstopfen verschlossen werden. Sind alle Bohrlöcher einer Einlagerungsstrecke belegt, soll diese verfüllt und die Einlagerung in einer anderen Strecke forgeführt werden. Ist die Betriebsphase des Endlagers beendet, soll es durch Verfüllen und Versiegeln des Schachtes von der Umwelt abgeschlossen werden 143.

139

Bundesregierung, Dokumentation, S. 206ff., Abb. 123; Engelmann, Endlager, S. 32,

Abb. 6. 140

Bundesregierung,

Dokumentation, S. 209ff., Abb. 127-129; Engelmann, Endlager,

S. 32 f. 141

Bundesregierung, Dokumentation, S. 216, Abb. 135; Engelmann, Endlager, S. 33, Abb. 9; Ehlen, ET 1982, 162 (163, Bild 1). 142 Engelmann, Endlager, S. 33 f., Abb. 10. 143 Bundesregierung, Dokumentation, S. 216.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren (2) Eignung von Salzformationen

45

als Endlagerstätte

Die Eignung von Salzformationen als Endlagerstätte für radioaktive Abfälle wird unterschiedlich beurteilt 144. Das ergibt sich aus den divergierenden naturwissenschaftlichen Einschätzungen möglicher Gefahrenursachen: — Einwirkungen des Grundwassers auf das Salzgestein145; — Auswirkungen des unterirdischen Endlagers (insb. der Zerfallswärme des hochaktiven Abfalls) auf Grundwasser, Gebirgsmechanik, Stabilität des Salzstocks und physikalische Eigenschaften des Salzes146; — Wassereinbruch in Schächte des Endlagers 147; — Laugeneinbruch 148; — Veränderungen der Gebirgsmechanik infolge — von Thermospannungen durch Zerfallswärme, die zwischen 1000 und 10000 Jahren andauern 149; — bergmännischer Aufschlußfehler 150; — seismischer Bewegungen151; — Meteoreinschlags152; — geologischer Veränderungen (Gletscher, Vulkanismus, Kontinentalbewegungen)153; — von Kernwaffenein Wirkung154; — Irrtümlicher Abbau von Salz (als Bodenschatz) durch künftige Generationen aus einem als Endlager dienenden Salzstock155. (3) Barrierenkonzept

für die Endlagerung hochaktiven Abfalls in Salzstöcken

Bei der Endlagerung hochaktiven Abfalls in Salzstöcken soll ein Barrierenkonzept das Freiwerden radioaktiver Stoffe verhindern bzw. zumindest erschweren 156 . Das Barrierenkonzept soll inbesondere den hochaktiven Abfall von 144

Vgl. D W K , Rede — Gegenrede, S. 78ff., 8Iff. Vgl. Merz, ET 1982, 156 (158); D W K , Rede — Gegenrede, S. 80. 146 Vgl. D W K , Rede — Gegenrede, S. 78 ff, S. 81 ff; Hofmann, Entsorgung, S. 65. 147 BT-Ds. 8/1281, S.31; Bundesregierung, Dokumentation, S.217; Merz, ET 1982, 156 (157). 148 BT-Ds. 8/1281, S.31; Bundesregierung, Dokumentation, S.218. 145

149

Vgl. Ehlen, ET 1982, 162ff. (168). Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 218. 151 Bundesregierung, Dokumentation, S. 219f., Abb. 137; Grimmel, Salzstock Gorleben-Rambow, S. 19. 152 Vgl. Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 19 und Faltblatt am Ende des Bandes. 153 Vgl. Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 20 f. 154 Breest I Holtzem, Entsorgung, S. A 50. 155 Bechthold, Endlager, S. 37; vgl. Hofmann, Entsorgung, S. 65. 156 Vgl. D W K , Rede — Gegenrede, S. 76. 150

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1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Wasser isolieren; einerseits, um eine Auslaugung des Abfalls durch unterirdisches Wasser zu verhindern, andererseits, um die Folgen eines oberirdischen Wassereinbruchs abzuwenden, der ζ. B. für die Schachtanlage Asse I I als Störfall maximalen Ausmaßes oder auch als „größter anzunehmender Unfall" (GAU) definiert worden ist 157 . Das Barrierenkonzept kann bis zu fünf Barrieren umfassen 158: — Durch Verfestitung des hochaktiven Abfalls in geeigneten Materialien (ζ. B. in Glas)159 soll ein auslaugresistentes Abfallprodukt entstehen. Dieses Produkt ist jeoch nicht absolut unlöslich160. — Daher wird zunehmend gefordert, den Behälter für verfestigten hochaktiven Abfall (Edelstahlkokille)161 als zweite Barriere auszubilden, die eine absolute Dichtheit während der ersten vierhundert Jahre garantiert 162. — Die Verfüll- und Versatzstoffe zwischen Behälter und Bohrlochwandung können die Funktion einer dritten Barriere erlangen, wenn Stoffe gewählt werden, die das Korrosionsverhalten des Behälters mit Wasser oder Salzlaugen günstig beeinflussen 163. — Vierte Barriere ist der Salzstock selbst164. — Die Dachgebirge bilden die fünfte Barriere 165. (4) Salzformationen

in der Bundesrepublik Deutschland

(a) Asse I I Die Einlagerung mittel- und schwachaktiver Abfalle in Salzformationen ist im ehemaligen Salzbergwerk Asse I I untersucht worden. In diesem sog. Versuchsendlager wurden von 1967 bis 1978 insgesamt 124500 Fässer mit schwachaktiven und von 1972 bis 19771300 Fässer mit mittelaktiven Abfallen eingelagert166. Im Rahmen der Versuchs- und Demonstrationsprogramme im Salzbergwerk 157 Bundesregierung, Dokumentation, S.217; vgl. auch Merz, ET 1982, 156 (157); Hofmann, Entsorgung, S. 63. 158 So Bechthold, Endlager, S. 36f. mit Abb. 4 und auch Merz, ET 1982, 156 (157 mit Bild 1), obgleich er zeichnerisch nur vier Barrieren verlangt. Für nur drei Barrieren : D W K , Rede — Gegenrede, S. 77; vgl. auch BT-Ds. 8/1281, S. 29. 159 s. hierzu oben Erster Teil A. III. 5. a)cc) und Merz, ET 1982,156 (157f., insb. Tab. 1). 160 So ausdrücklich Merz, ET 1982, 156 (157). 161 s. oben Erster Teil A.III.5.a) cc). 162 Merz, ET 1982, 156 (157); a. A. D W K , Rede — Gegenrede, S. 77f. 163 Vgl. Merz, ET 1982,156 (157). Diese Barriere bleibt in D W K , Rede — Gegenrede, S. 77 f. unerwähnt. 164 Zu seinen Eigenschaften: vgl. oben Erster Teil A.III. 8.g) aa). 165 Vgl. hierzu Merz, ET 1982, 156 (157, Bild 1); Bechthold, Endlager, S. 36f., Abb. 4; D W K , Rede — Gegenrede, S. 77. 166 BT-Ds. 9/1231, S. 3 und 5; Schmidt-Küster, ET 1982,119 (121); Albrecht, ET 1982, 125 (126); Merz, ET 1982, 156 (159).

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

47

Asse I I konnte annähernd der gesamte in der Bundesrepublik Deutschland damals anfallende schwach- und mittelaktive Abfall beseitigt werden. 1978 wurde die Genehmigung für weitere Einlagerungen nicht verlängert, weil die Niedersächsische Landesregierung auch für das in Betrieb befindliche Versuchsendlager ein Planfeststellungsverfahren forderte, das § 9b AtG seit 1976 für Errichtung und Betrieb von Endlagern vorschreibt. Seit Anfang 1979 müssen daher alle mittel- und schwachaktiven Abfalle in der Bundesrepublik Deutschland oberirdisch zwischengelagert werden 167. Die zukünftige Nutzung der Asse I I hängt vom Ergebnis eines zur Zeit laufenden hydrogeologischen Untersuchungsprogramms und einer radioökologischen Sicherheitsanalyse ab. Fällt das Ergebnis positiv aus, soll sich ein umfassendes Planfeststellungsverfahren für das Bergwerk Asse I I anschließen. Mit seiner Betriebsbereitschaft als Bundesendlager wird nicht vor 1990 gerechnet 168 . Beabsichtigt ist, die Asse I I als definitives Endlager für schwach- und mittelaktiven Abfall und als Versuchsendlager für hochaktiven Abfall zu nutzen. Der hochaktive Abfall soll dementsprechend in rückholbarer Form eingelagert werden 169. Als definitives Endlager für hochaktiven Abfall wird die Asse I I nicht in Betracht gezogen, u. a. wegen der begrenzten Lager- und Wärmeaufnahmekapazität des Salzbergwerks und wegen der Nähe der durch einen Wassereinbruch vollgelaufenen Schachtanlage Asse I 1 7 0 . (b) Gorleben Der Salzstock Gorleben ist seit 1977 als für ein Bundesendlager möglicherweise geeignete Formation im Gespräch171. Die Reaktor-Sicherheitskommission bestätigte seine Eignungshöffigkeit im Oktober 1977172. Im Rahmen eines hydrogeologischen Untersuchungsprogramms der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in einem 300 km 2 großen Untersuchungsgebiet über dem Salzstock Gorleben wurden von April 1979 bis Juli 1981 insgesamt 386 Bohrungen niedergebracht, um mögliche Einwirkungen des Grundwassers auf den Salzstock und die Auswirkungen eines unterirdischen Endlagers auf das Grundwasser zu erkunden 173. Von Anfang 1980 bis März 1981 wurden vier 167 BT-Ds. 9/1231, S. 9 mit genauen Mengenangaben; s. dazu auch unten Erster Teil A.III.8.j)aa); Schmidt-Küster, ET 1982, 119 (121); Scheuten, ET 1982, 115 (118); Lukner/Kautsky, ET 1982, 128. 168 169 170 171 172 173

Merz, ET 1982, 156 (160); vgl. auch BT-Ds. 9/1231, S. 5. Bundesregierung, Dokumentation, S. 214; Engelmann, Endlager, S. 33. Zu diesen und den übrigen Gründen vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 214f. Vgl. chronologische Übersicht in: BT-Ds. 9/1231, S. 6ff. Vgl. Merz, ET 1982, 156 (1961). PTB aktuell, Ausgabe 7, Dezember 1981, S. Iff.

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1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Tiefbohrungen mit Tiefen zwischen 1930 und 2116m niedergebracht, die u.a. Aufschluß gaben über den strukturellen Aufbau des Salzgebirges. 15 Salzspiegelbohrungen sollen die Salzstockoberfläche erkunden. Anschließende Schachtvorbohrungen sollen klären, ob, wo und wie ein Schacht zur untertägigen Erkundung niedergebracht werden kann 174 . Nach Auffassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt kann bis zum Abschluß einer umfassenden Sicherheitsanalyse niemand eine wissenschaftlich fundierte Antwort auf die Frage geben, ob der Salzstock Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Abfälle geeignet sei oder nicht. Die bisherigen Untersuchungen und deren Auswertung hätten aber keine Erkenntnisse gebracht, die eine solche Eignung grundsätzlich in Frage stellen175. Einige Naturwissenschaftler kommen dagegen zum Schluß, daß die bisherigen Ergebnisse ausreichten, um ein definitives Gutachten über die Nichteignung abzugeben 176 . bb) Eisenerzbergwerk Konrad Neben den Salzformationen Asse I I und Gorleben wird das ehemalige Eisenerzbergwerk Konrad in Salzgitter auf seine Eignung als Endlager für schwachaktive Abfälle und Abfälle aus der Stillegung kerntechnischer Anlagen untersucht 177. Das Erz enthält bis zu acht Gewichtsprozenten Poren- bzw. Kristallwasser. Deshalb kommt es in erster Linie für nicht wärmeentwickelnde Abfälle in Betracht 178. Seit Stillegung der Grube Ende 1976 ist die Eignung als Endlager geo wissenschaftlich, berg- und kerntechnisch untersucht worden. Mitte 1980 wurde ein Zwischenbericht veröffentlicht, der keine grundsätzlichen Mängel feststellt, die gegen eine Verwendung der Grube als Endlager sprechen179. Am 31.8.1982 hat die Physikalisch-Technische Bundesanstalt den Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens gem. § 9 b AtG für die Einrichtung der Schachtanlage Konrad als Anlage des Bundes zur Endlagerung radioaktiver Abfälle gestellt180. Nach optimistischen Einschätzungen könnten 1985/86 die atom- und bergrechtlichen Genehmigungsverfahren abgeschlossen sein, so daß in der 174

PTB aktuell, Ausgabe 4, Oktober 1980, S. 1ff. und Ausgabe 6, Mai 1981, S. 1ff. und

S. 4. 175 PTB aktuell, Ausgabe 6, Mai 1981, S. 1 und Ausgabe 7, Dezember 1981, S. 4; vgl. auch BT-Ds. 9/1231, S. 4. 176 Vgl. Votum v. Grimmel bei Anhörung des Innenausschusses am 24. 6.1980, Woche im Bundestag 10/13/80-11/192; zum Stand der geologischen Diskussion vgl. auch Merz, ET 1982, 156 (161). 177 Vgl. Brewitz/Lukner, ET 1982, 126ff. und BT-Ds. 9/1231, S. 8. 178 Merz, ET 1982, 156 (160). 179 Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung mbH, Eignungsprüfung der Schachtanlage Konrad. 180 Umwelt Nr. 92 v. 9.11. 1982, S. 34.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

49

zweiten Hälfte der achtziger Jahre ein Bundesendlager für schwachaktive Abfälle und Stillegungsabfälle aus Kernkraftwerken in Betrieb genommen werden könnte181. h) Endlagerung spezieller Abfälle (Sonderabfälle)

aa) Tritiumhaltige Abfälle Tritiumhaitiger radioaktiver Abfall fällt in verschiedenen Bereichen der Kerntechnik, insbesondere bei der Wiederaufarbeitung und Abfallbehandlung, sowie in der medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung an 182 . Tritium hat die Fähigkeit, durch viele Materialien hindurchdiffundieren zu können und aus seinen Verbindungen leicht freigesetzt zu werden, so daß es in den Biozyklus gelangen kann. Daher kann es nicht in einem begehbaren Bergwerk (wie ζ. B. Asse II, Gorleben oder Konrad) endgelagert werden, da es in die Wetterführung gelangen und Belegschaft und Umgebung belasten könnte183. Bisher werden tritiumhaltige Abwässer weltweit durch Abgabe in Oberflächengewässer bzw. durch Versickern in porösen Boden beseitigt184. In der Bundesrepublik Deutschland werden derzeit drei alternative Konzepte zur Endlagerung der bei der Wiederaufarbeitung anfallenden tritiumhaltigen Abwässer diskutiert 185: — Bei der Verpressung wird das tritiumhaltige Abwasser in einen geologischen Speicher (ζ. B. ein leergefördertes Erdöllager) in ca. 1000 m Tiefe eingepreßt, der von Grundwasser führenden Schichten getrennt sein muß 186 . — Bei der in-situ-Verfestigung wird das tritiumhaltige Abwasser im Rahmen der Zementfixierung mittel- und schwachaktiver Abfälle beigemengt. Die noch fließfähige Zementsuspension wird über ein Fallrohr in eine unterirdische Kaverne geleitet und härtet dort „in situ" aus. — Bei der Versenkung im Meer wird das tritiumhaltige Abwasser zuvor in 200Liter-Fässern mit Zement verfestigt 187. Tritiumhaltige Abwässer müssen für mindestens einhundert Jahre vom Biozyklus abgetrennt werden 188. 181

Merz, ET 1982, 156 (161). Umwelt Nr. 88 v. 8.4. 1982, S. 31 ; s. oben Erster Teil A. III. 5. b). 183 Umwelt Nr. 88 v. 8.4.1982, S. 31 ; Bundesregierung, Dokumentation, S. 222; vgl. BTDs. 9/1231, S. 9. 184 So wörtlich D W K , Entsorgungszentrum, S. 50. 185 Vgl. Umwelt Nr. 88 v. 8.4. 1982, S. 31. 186 BT-Ds. 8/1281, S. 32,28f. und BT-Ds. 9/1231, S. 9; Bundesregierung, Dokumentation, S. 222; D W K , Entsorgungszentrum, S. 50 f. 187 Vgl. auch Lukner/Kautsky, ET 1982, 128 und BT-Ds. 9/1231, S.9. 188 BT-Ds. 8/1281, S.33; D W K , Entsorgungszentrum, S. 50. 182

4 Luckow

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1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

bb) Krypton Bei Wiederaufarbeitung und Abfallbehandlung wird u.a. Krypton-85 freigesetzt, das ebenfalls nicht in Bergwerken endgelagert werden kann 189 . Nach einer Temperaturabsenkung soll es auf Stahlflaschen gezogen und zwischengelagert werden 190. Danach sollen die Flaschen mit dem abgetrennten Krypton-85 nicht unterirdisch, sondern in einem zwangsbelüfteten, verbunkerten, oberirdisch zu errichtenden Komplex endgelagert werden. Die Flaschen und Ventile werden für eine Mindestlagerzeit von ca. einhundert Jahren ausgelegt191. Daneben wird die Versenkung der Stahlflaschen im Meer diskutiert 192. i) Dauer der Endlagerung bzw. der Isolation vom Biozyklus

Endlagerung wird als endgültige, zeitliche unbegrenzte Einlagerung radioaktiver Abfälle verstanden193. Davon zu trennen ist die Frage, für welchen Zeitraum das Endlager die eingelagerten radioaktiven Abfälle aus dem Biozyklus ausschließen muß. Einige Stimmen fordern die Isolation der endgelagerten radioaktiven Abfälle bis zum vollständigen Zerfall aller darin enthaltenen Radionuklide194. Da ein vollständiger Zerfall der Radionuklide aus physikalischen Gründen unmöglich sein soll 195 , kann diese Forderung auf eine zeitlich unbegrenzte Isolation hinauslaufen. Andere verlangen ein Fernhalten vom Biozyklus nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Radiotoxizität endgelagerter radioaktiver Abfälle mit der oberflächennaher natürlicher Uranerzlager vergleichbar ist 196 . Die Angaben über diesen Zeitpunkt sind nicht einheitlich. Grundsätzlich muß unterschieden werden zwischen (direkter) Endlagerung ohne vorherige Wiederaufarbeitung, d.h. ohne Plutoniumabtrennung, und Endlagerung nach Wiederaufarbeitung, d.h. mit Plutoniumabtrennung. Wenn die Spaltprodukte zusammen mit dem Plutonium endgelagert werden (d.h. Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung), dann dauert es 244000 Jahre, bis die Radiotoxizität des Plutoniums auf 0,1% abgeklungen ist. Sie ist nach einer Million Jahren immer noch größer als die Radiotoxizität einer natürlichen 189 190 191

LuknerIKautsky, ET 1982, 128. s. oben Erster Teil A.III.5.b); vgl. Anhang I, Abb.4.

BT-Ds. 8/1281, S. 32f., 28; D W K , Rede — Gegenrede, S. 64; D W K , Entsorgungszentrum, S. 51; hierzu kritisch Hofmann, Entsorgung, S. 62. 192 Bundesregierung, Dokumentation, S. 197; Lukner/Kautsky, ET 1982, 128 (130). 193 s. oben Erster Teil A. III. 8. a). 194 Vgl. D W K , Rede — Gegenrede, S. 73. 195 D W K , Rede — Gegenrede, S. 73. 196 Bechthold, Endlager, S. 38 und S. 35; D W K , Rede — Gegenrede, S. 74.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

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Uranerzlagerstätte mit 0,2% Urangehalt 197. Diese Tatsache wird insbesondere von Befürwortern der Wiederaufarbeitung hervorgehoben, da durch sie die Radiotoxizität des Plutonomiums bereits auf 0,1% abgereichert und das Langzeitrisiko bei der Endlagerung vermindert werde 198. Werden die Spaltprodukte (HAW) ohne Plutonium endgelagert (d.h. Endlager nach Wiederaufarbeitung), so soll ihre relative Radiotoxizität „nach einigen tausend Jahren" 199 mit der einer natürlichen Uranerzlagerstätte vergleichbar sein. Andere Angaben schwanken zwischen 1000 und 10000 Jahren 200 oder präzisieren auf ein- bzw. zweitausend Jahre, wenn die Uranerzlagerstätte einen Urangehalt von 0,2% hat, wie z.B. Menzenschwand im Schwarzwald oder Ellweiler in der Pfalz 201. Häufig wird als Vergleichsmaßstab nicht die Radiotoxizität der Uranerzlagerstätten, sondern der Uranerz-Aufbereitungsrückstände gewählt202. Hierbei sinkt die relative Radiotoxizität des hochaktiven Aufarbeitungsabfalls (HAW) aus einer Tonne Uran-Plutonium-Kernbrennstoff nach ca. eintausend Jahren unter diejenige der zugehörigen ca. 2000 t Uranerz-Aufbereitungsrückstände. Dieser Vergleich ist aber insofern zweifelhaft, als die Uranerz-Aufbereitungsrückstände — im Gegensatz zu den Uranerzlagerstätten—nicht naturgegeben, sondern erst durch Menschenhand im Kernbrennstoff-Kreislauf entstanden sind und als deren relative Toxizität höher ist (ca. 108) als die der Uranerzlagerstätten (ca. 103). Einigkeit scheint darüber zu bestehen, daß bei den Spaltprodukten (HAW) bis zu ca. fünfhundert Jahren Strontium-90, danach aber Americium und Neptunium dominieren 203. Diese langlebigen α-strahlenden Transurane müssen wegen ihrer meist sehr langen Halbwertszeiten viel länger von der Biosphäre ferngehalten werden. Man spricht von Zeiträumen von hunderttausend bis zu einer Million Jahren 204. Die dargestellten Befunde belegen, daß die Naturwissenschaft die Frage, für welchen Zeitraum das Endlager die eingelagerten radioaktiven Abfalle vom 197

Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 8 mit Abb. (dunkler Kurven verlauf); D W K , Rede — Gegenrede, S. 205. 198 Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 8. 199 D W K , Rede — Gegenrede, S. 74. 200 Bechthold, Endlager, S. 38. 201 Baumgärtner, Nukleare Entsorgung, S. 7 f. mit Abb. (heller Kurven verlauf); Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e. V., Kernenergie, Abb. auf S. 21 und S. 22; vgl. Regierungserklärung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Niedersächsischer Landtag, 9. Wahlperiode, Protokoll über die 15. Plenarsitzung v. 16. 5. 1979, S. 1706ff. 202 Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 214f., Abb. 134; Hofman, Entsorgung, S. 66. 203 Bundesregierung, Dokumentation, S. 215, Abb. 134; Bechthold, Endlager, S. 37 und Abb. 5; Merz, ET 1982, 156 (157). 204 So wörtlich Merz, ET 1982, 156; vgl. auch Breest/Holtzem, S. A48.

4*

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1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Biozyklus isolieren muß, noch nicht gesichert beantworten kann 205 . Die Maximalforderung geht auf eine zeitlich unbegrenzte Isolation hinaus. Die Angaben derer, die einen Vergleich mit natürlichen Uranerzlagern anstellen, schwanken bei Endlagerung nach Wiederaufarbeitung zwischen mindestens eintausend bis ca. einer Million Jahren, bei Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung gehen sie weit darüber hinaus. j) Bedarf an Endlagerkapazitäten

in der Bundesrepublik Deutschland

aa) Abfallmengen in der Vergangenheit und ihr Verbleib Bis zum 31.12. 1980 sind in der Bundesrepublik Deutschland — rund gerechnet — folgende Mengen radioaktiver Abfälle angefallen 206: — Schwachaktiver Abfall: 123000 200-1-Fässer, 13600 400-1-Fässer und 23000 200-1-Fässer in verlorenen Betonabschirmungen. 159 600 Fässer insgesamt. Davon stammen 45% aus Forschungszentren und der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, 33% aus Kernkraftwerken, 12% aus anderen Betriebsstätten des Kernbrennstoffkreislaufs (z.B. Brennelementfabriken), 10% aus der Radio-Isotopenanwendung in Industrie, Forschung und Medizin. — Mittelaktiver Abfall: 2300 200-1-Fässer. Dieser kommt überwiegend aus Forschungszentren, Kernkraftwerken und der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe. — Hochaktiver Abfall: 47 m 3 in der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe in noch unverarbeiteter Form. — 480 m 3 Spezialabfälle (vorwiegend radium- und tritiumhaltige Abfälle) und 5700 m 3 noch unverarbeiteter Rohabfälle in den Landessammelstellen. Bis Ende 1978 wurden von diesen Mengen 124500 Fässer schwachaktiven und 1300 Fässer mittelaktiven Abfalls in Asse I I eingelagert207. Die verbleibenden Differenzmengen müssen seither oberirdisch zwischengelagert werden; dies waren Ende 1980 35200 Fässer schwachaktiven und 1000 Fässer mittelaktiven Abfalls sowie 47 m 3 hochaktiver unverarbeiteter Abfall und die o. g. Speziai- und Rohabfälle 208. 205

Zur ungesicherten Tatsachenlage s. auch Hofmann, Entsorgung, S. 67, Fußn. 90

m.w.N. 206 207 208

BT-Ds. 9/1231, S.2. s. oben Erster Teil A.III.8.g)aa)(4)(a) m.w.N. BT-Ds. 9/1231, S. 9; wegen der Gründe s. oben Erster Teil A.III.8.g)aa)(4)(a).

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

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bb) Zukünftige Abfallmengen Ab 1982 werden nach einer Prognose der Bundesregierung 209 die jährlich anfallenden Mengen radioaktiven Abfalls kontinuierlich ansteigen, so daß im Jahr 2000 folgende Jahresmengen zu erwarten sind: schwachaktiver Abfall 14500-30000 400-1-Fässer, mittelaktiver Abfall 9 000 -12 500 400-1-Fässer, hochaktiver Abfall ca. 525 Glasblöcke zu je 1501. Die bis zum Jahr 2000 erwarteten Jahresmengen summieren sich nach Berechnungen der Bundesregierung zu folgenden Größenordnungen: schwachaktiver Abfall 225 000 - 405 000 400-1-Fässer, mittelaktiver Abfall 70000-100000 400-1-Fässer, hochaktiver Abfall 4 600 Glasblöcke zu je 1501. cc) Aufnahmekapazitäten der Endlager Nach Gegenüberstellung der geplanten jährlichen Aufnahmekapazitäten des Endlagers Gorleben 210 gelangt die Bundesregierung zur Schlußfolgerung, daß die „vorausgeschätzten Abfallmengen nicht allein in dem geplanten Endlager bei Gorleben beseitigt werden können". Es sei dringend erforderlich, für schwachaktive Abfälle möglichst noch in den achtziger Jahren wenigstens eines der geplanten Endlager Konrad oder Asse in Betrieb zu nehmen211. dd) Oberirdische Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle Solange keine der Anlagen zur Endlagerung oder Sicherstellung betriebsbereit ist, müssen die oben beschriebenen erwarteten Abfallmengen sämtlich oberirdisch zwischengelagert werden 212. Dadurch wird sich das bereits vorhandene Volumen zwischengelagerter radioaktiver Abfälle 213 erheblich vergrößern. Dies ist darauf zurückzuführen, daß „die Entwicklung von Verfahren und Methoden zur sicheren Beseitigung radioaktiver Abfälle in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt wurde" 214. Die Zwischenlagerung radioaktiver Abfalle findet derzeit beim Abfallverursacher oder in Landessammelstellen statt, deren Kapazitäten sehr unterschiedlich sind 215 . In den Landessammelstellen werden Behälter mit endlagerfähig kondi209 210 211 212 213 214 215

BT-Ds. 9/1231, S. 2. BT-Ds. 9/1231, S. 8. BT-Ds. 9/1231, S. 2. BT-Ds. 9/1231, S. 9. s. oben Erster Teil A. III. 8. j) aa). So wörtlich Merz, ET 1982, 156.

BT-Plenarprotokoll 8/127, S.9924C und 8/140, Ani. 2, S. 11113Dff. Vgl. auch Strohm, Katastrophe, S. 621. Eine Auflistung der Landessammelstellen nach Bundesländern findet sich in: Bundesminister des Innern, Handbuch, A.11.2.

54

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

tionierten schwach- und mittelaktiven Abfällen, unverarbeitete Rohabfälle sowie tritium- und radiumhaltige Abfalle gelagert216. Landessammelstellen sind geschlossene, überwachte Hallen, die vor Witterungseinflüssen und Zugriffen Unbefugter schützen sollen217. Um die bereits bestehenden Engpässe bei der oberirdischen Zwischenlagerung insbesondere des schwachaktiven Abfalls zu vermindern, beabsichtigt die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen, in Gorleben (am Standort eines Lagers für abgebrannte Brennelemente218) eine Lagerhalle für 35000 Fässer schwachaktiver Abfalle zu errichten 219; deren Kapazität liegt nur knapp über der maximal zu erwartenden Jahresmenge von 30000 Fässern. 9. Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente

a) Funktion der Zwischenlagerung

In zahlreichen Stationen des nuklearen Brennstoffkreislaufs werden radioaktive Stoffe zwischengelagert. Eine Zwischenlagerung wird erforderlich, wenn die nächste Prozeßstufe technisch noch nicht verwirklicht ist bzw. keine ausreichenden Kapazitäten bietet oder wenn Aktivität und Wärmeproduktion der radioaktiven Stoffe vor der nächsten Prozeßstufe durch Zeitablauf vermindert werden müssen220. Bei der oberirdischen Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle in Landessammelstellen und sonstigen Lagerhallen geht es derzeit in erster Linie um die Überbrückung fehlender Endlagerkapazitäten221. Im Rahmen der Wiederaufarbeitung und Abfallbehandlung werden radioaktive Stoffe zwischengelagert, um durch Verminderung der Aktivität und Wärmeproduktion die Handhabung in der jeweils nächsten Prozeßstufe technisch zu erleichtern, aber auch, um fehlende Kapazitäten nachfolgender Prozeßstufen zu kompensieren (ζ. B. Zwischenlagerung im Ausgangslager der Wiederaufarbeitungsanlage bei fehlendem Endlager) 222. Auch bei der Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente sind beide Funktionen der Zwischenlagerung von Bedeutung.

216

Vgl. BT-Ds. 9/1231, S. 10 und 2; s. oben Erster Teil A.III.8. j) aa). BT-Ds. 9/1231, S. 10. 218 Dazu s. unten Erster Teil A.III.9.d). 219 D W K / Brennelementlager Gorleben GmbH, Brennelementlager S. 22ff.; Scheuten, ET 1982, 115 (118). 217

220 221 222

Vgl. BT-Ds. 9/1231, S. 11. s. oben Erster Teil A . I I L 8 J ) dd). s. dazu im einzelnen oben Erster Teil A.III. 4. und 5.

Gorleben,

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

55

b) Arten der Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente

Abgebrannte Brennelemente können zwischengelagert werden in 2 2 3 : — Abklingbecken (herkömmliches Brennelement-Lagerbecken im Reaktorgebäude, auch Normallager genannt); — Kompaktlagern (dichtere Belegung der Abklingbecken); — On-site-Lagern (Lager auf dem Kernkraftwerksgelände außerhalb des Reaktorgebäudes); — externen Zwischenlagern (Lager außerhalb des Kernkraftwerksgeländes für bestrahlte Brennelemente eines oder mehrerer Kernkraftwerke); — Brennelementeingangslagern am Standort der Wiederaufarbeitungsanlage 224 . Soweit die abgebrannten Brennelemente im Abklingbecken (Normallager) zwischengelagert werden, dient dies der Vorbereitung ihres Abtransports aus dem Kernkraftwerk 225. Werden sie darüber hinaus in Kompakt-, On-site- bzw. externen Zwischenlagern aufbewahrt, so sollen dadurch die fehlenden oder nicht ausreichenden Wiederaufarbeitungs- oder (Direkt-)Endlagerkapazitäten überbrückt 226 und — ebenso wie beim Brennelementeingangslager — Aktivität und Wärmeproduktion der abgebrannten Brennelemente vermindert werden. c) Kompaktlager

Durch dichtere (kompaktere) Belegung wird ein herkömmliches Brennelement-Lagerbecken (Normallager) zum sog. Kompaktlager. Wegen der beträchtlich engeren Lagerung (im Kernkraftwerk Ohu I ζ. B. Erhöhung der Abstellpositionen von 1080 auf 2 244)227 muß die im Normallager übliche Abstandshaltung zur Kritikalitätssicherung im Kompaktlager aufgegeben werden zugunsten einer Neutronenabsorption durch borierte Stahlplatten228. Die dichtere Lagerung bringt zudem größere Anforderungen an die Kühlung mit sich. Häufig sind die Kühlsysteme des Lagerbeckens und des Reaktors miteinander vermascht. Wird bei einer Notkühlung des Reaktors die Kühlung des Lagerbeckens abgestellt, kann es zu einem Schmelzen der abgebrannten Brennelemente und des Lagerbeckens kommen229. 223 Ygi Bundesminister 10/327, S.6. 224

des Innern, Begriffserläuterungen, S. 23 f.; vgl. auch BT-Ds.

s. oben Erster Teil A.III.4.b). Vgl. oben Erster Teil A.III. 1.; V G Regensburg, Urt. v. 7.4. 1981, R / V 5 Κ 80 A. 0694, Urteilsausfertigung, S. 10. 226 Vgl. BT-Ds. 9/1231, S. 11 ; vgl. Michaelis, ET 1980,565 (570); Scheuten, Entsorgung, S. 6; s. oben Erster Teil A.III.2. 227 BaySt Anz. Nr. 6 v. 9.2. 1979. 228 Vgl. V G Regensburg, Urt. v. 7.4. 1981, R / N 5 Κ 80 A. 0694, Urteilsausfertigung, S. 10. Kritisch zu den borierten Platten, da sie mit der Zeit ihre Wirksamkeit verlieren sollen : Strohm, Katastrophe, S. 634. 225

56

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Das Kompaktlager befindet sich, da es sich um ein modifiziertes Abklingbecken handelt, ebenso wie dieses230 im Reaktorgebäude; bei Druckwasserreaktoren (z.B. Biblis, Grafenrheinfeld) innerhalb des Sicherheitsbehälters, bei Siedewasserreaktoren (ζ. B. Ohu) hingegen außerhalb der Sicherheitsumschließung231. Ein Kompaktlager kann abgebrannte Brennelemente aus maximal acht Betriebsjahren des betreffenden Kernkraftwerks fassen 232. d) Externe Brennelement-Zwischenlager

Zur Aufnahme abgebrannter Brennelemente aus mehreren Kernkraftwerken werden in der Bundesrepublik Deutschland externe zentrale BrennelementZwischenlager in Ahaus/Münsterland und Gorleben mit einer Kapazität von jeweils 1500 t Uran 233 konzipiert 234. Für das Zwischenlager in Gorleben wurde die atomrechtliche Aufbewahrungsgenehmigung am 5. 9. 1983 erteilt 235. Beide Zwischenlager sind nunmehr als Trockenlager für CASTOR-Brennelemente236 ausgelegt, nachdem Ahaus zunächst als Naßlager mit Wasserbecken konzipiert worden war 237 . Bei der Einlagerung in die CASTOR-Brennelementbehälter produzieren die Brennstabhüllrohre eines Druckwasserreaktor-Brennelements nach einem Jahr Abklingzeit im Abklingbecken des Kernkraftwerks Wärme von maximal 390 °C. Diese Nachzerfallswärme wird über Kühlrippen an der Behälteroberfläche an die Umgebungsluft abgegeben. Von der Behälteroberfläche geht die erwärmte Luft durch Dachöffnungen der Lagerhalle ins Freie, während kältere Außenluft durch Öffnungen in den Seitenwänden der Halle nachströmt. Die Wärmeabfuhr kann bei Einsturz der Lagerhalle (z.B. durch Erdbeben oder Flugzeugabsturz) gestört werden, so daß sich die Temperaturen bei Brennelementen und Behältern erhöhen können238. Gegen Einsturz ist die

229

Vgl. hierzu kritisch mit Beispielen: Strohm, Katastrophe, S. 626ff., 634. s. oben Erster Teil A. III. 1. 231 Vgl. V G Regensburg, Urt. v. 7.4. 1981, R / N 5 Κ 80 A. 0694, Urteilsausfertigung, S. 6, 16. 232 BT-Ds. 8/1281, S. 6. 233 Zum Vergleich: Ein Kernkraftwerk mit 1300 M We (z.B. Biblis-B) entlädt pro Jahr ca. 341 Uran in Form von ausgedienten Brennelementen. S. oben Erster Teil Α. II. Beide Zwischenlager zusammen fassen somit Entladungen eines Kernkraftwerks aus 88 Jahren (fiktiv). 234 D W K / S T E A G , Kernenergie GmbH, Brennelement-Zwischenlager Ahaus, S. 7; DWK/Brennelement Gorleben GmbH, Brennelementlager Gorleben, S. 5. 235 Umwelt Nr. 98 v. 25.10. 1983, S. 29. 236 s. hierzu oben Erster Teil A. III. 3. und auch 4. b). 237 Scheuten, Entsorgung, S. 6; Scheuten, ET 1982, 115 (116); Bundesminister des Innern, Begriffserläuterungen, S. 24. 238 Vgl. hierzu DWK/Brennelementlager Gorleben GmbH, Brennelementlager Gorleben, S. 15 f., 18. 230

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

57

Halle nicht ausgelegt, da die Schutzfunktion gegen äußere Einwirkungen die Brennelementbehälter selbst übernehmen s o l l e n 2 3 9 . e) Dauer der Zwischenlagerung

abgebrannter

Brennelemente

Die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente ist sowohl i m Wasserbecken (Naßlagerung) als auch i n Brennelementbehältern (Trockenlagerung) zeitlich begrenzt. N a c h einem Zeitraum v o n zehn bis zwanzig Jahren ist eine weitere Behandlung der Brennelemente erforderlich 2 4 0 . D i e Naßlagerung w i r d bis zu zwanzig Jahren für möglich gehalten 2 4 1 . f) Bedarf an Zwischenlagerkapazitäten für abgebrannte Brennelemente in der Bundesrepublik

Deutschland

Varianten des KKW-Ausbaus 2 4 2 :

Maximale (A)

Minimale (B)

Realistische (C)

Installierte KKW-Leistung im Jahr 2000 in M W

53000

20000 (kein weiterer Zubau, kontinuierliche Außerbetriebnahme bis 2010)

40000

Menge abgebrannter Brennelemente bis zum Jahr 2000 (kumuliert) in t Uran

15300

9600

14200

Jährliche Mindestmenge abgebrannter Brennelemente ab 2001 in t Uran

1400

520

1100

239 D W K / S T E A G , Kernenergie GmbH, Brennelement-Zwischenlager Ahaus, S. 19. Zum ganzen kritisch: Strohm, Katastrophe, S. 629f. 240 So ausdrücklich D W K , Rede — Gegenrede, S. 24; vgl. Scheuten, Entsorgung, S. 6. 241 Bundesminister für Forschung und Technologie, Nukleare Entsorgung, S. 51. 242 Die Tabelle ist erstellt nach den Daten in: Scheuten, Entsorgung, S. 4f.; vgl. auch Michaelis, ET 1980, 565 (571, Bild 1); D W K , Wiederaufarbeitung in Hessen, S. 9, Abb. 4.

58

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

In der Bundesrepublik Deutschland werden bis zum Jahr 2000 — kumuliert — zwischen 9600 und 15300 t Uran in Form abgebrannter Brennelemente angefallen sein. Davon werden 2300 t in Frankreich durch die Compagnie Générale des Matières Nucléaires (COGEMA) in der Anlage Cap la Hague wiederaufgearbeitet 243. Wenn bis zum Jahr 2000 keine andere Entsorgungsmaßnahme Entlastung bringen sollte, d.h. weder direkte Endlagerung noch Wiederaufarbeitung in Betrieb gegangen sind, müssen — bei voller Auslastung der Kompaktlagerkapazitäten in den Kernkraftwerken mit 13001 Uran — bis zum Jahr 2000 mindestens (Minimal-Variante) vier und höchstens (MaximaiVariante) acht Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente mit einer Kapazität von je 15001 Uran errichtet werden 244. Minimal-Variante (Β)

Maximal-Variante (A)

2300 t 1300 t

2300 t 1300t

6000 t 9600 t

12000 t 15600 t

COGEMA Kompaktlager 4 bzw. 8 Zwischenlager mit jeweils 1500 t

10. Räumliche Zuordnung der Entsorgungsanlagen

a) Integriertes

nukleares Entsorgungszentrum

aa) Bestandteile In der Bundesrepublik Deutschland bemühte man sich seit 1974 um die Verwirklichung des sog. integrierten nuklearen Entsorgungszentrums, das alle Entsorgungsanlagen am Standort des Endlagers zusammenfaßt, d.h. — — — — —

Lager für abgebrannte Brennelemente; Wiederaufarbeitungsanlage mit ihren Zwischenlagern; Anlagen zur Abfall- und Abgasbehandlung; Mischoxid-Brennelement-Herstellung und Endlager

auf einem einzigen Grundstück ansiedelt245.

243 Scheuten, Entsorgung, S. 6. Ν. B. Die bei dieser Wiederaufarbeitung anfallenden radioaktiven Abfälle müssen vertragsgemäß ab 1990 von der Bundesrepublik Deutschland zurückgenommen werden. Vgl. BT-Ds. 9/1231, S. 3,13 und Michaelis, ET 1980,565 (572). 244 245

Vgl. Scheuten, Entsorgung, S. 6. BT-Ds. 8/1281, S. 12ff.

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

59

bb) Vorteile der co-location Durch die co-location aller Entsorgungsanlagen sollte im Hinblick auf Ort, Zeit und Durchführung der Entsorgung ein Optimum an Umweltschutz und Sicherheit erreicht werden 246. Als Vorteile des integrierten Entsorgungszentrums gegenüber einer Ansiedelung der einzelnen Entsorgungsanlagen an verschiedenen Standorten wurden besonders hervorgehoben 247 : — — — — — — —

Verminderung ökologisch bedeutsamer Eingriffe in die Landschaft, Erleicherung der internationalen Spaltstoffkontrolle, Erleichterung des Schutzes vor Eingriffen Dritter, Verringerung der Personen- und Sachkontrollen, zusammengefaßte Überwachung radioaktiver Emissionen, Kostendegression wegen nur einmal zu schaffender Infrastruktur, Reduzierung der Transporte radioaktiver Stoffe auf öffentlichen Straßen und Schienen (externe Transporte) im wesentlichen auf Transport — der abgebrannten Brennelemente von den Kernkraftwerken zum Entsorgungszentrum (Brennelement-Lager) und — der neugefertigten Brennelemente vom Entsorgungszentrum (Mischoxid-Brennelement-Herstellung) zu den Kernkraftwerken 248; mit anderen Worten: keine externen Transporte zwischen den Entsorgungsschritten Wiederaufarbeitung bis Endlagerung sowie kürzestmögliche Transportwege innerhalb des Entsorgungszentrums; dadurch Verringerung radioaktiver Gefährdungen infolge von Transportunfällen 249; während der Transporte Erleichterung des Schutzes vor Eingriffen Dritter und Verringerung der Überwachungsintensität gegenüber dem Bürger. cc) Erklärung der Niedersächsischen Landesregierung

Am 31.3. und 28.7. 1977 wurden die Anträge auf Genehmigung eines integrierten nuklearen Entsorgungszentrums am Standort Gorleben gestellt. Am 20.10. 1977 haben die Reaktor-Sicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission festgestellt, daß das Entsorgungszentrum grundsätzlich sicherheitstechnisch realisierbar sei250. Nach der Anhörung „Rede — Gegenrede" vom 28. 3.-3.4. 1979, dem sog. Gorleben-Hearing, mit 65 Wissenschaftlern aus zehn Nationen auf Einladung der Niedersächsischen Landesregierung erklärte diese u.a. 251 : 246

So ausdrücklich D W K , Rede — Gegenrede, S. 11. Vgl. D W K , Rede — Gegenrede, S. 11 f. ; identisch mit Michaelis, ET 1980,565 (571). 248 Bundesregierung, Dokumentation, S. 173. 249 Zu Transportunfällen: vgl. Strohm, Katastrophe, S. 604ff. 250 BT-Ds. 8/1281, S. 13, 4f. 251 Regierungserklärung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Niedersächsischer Landtag, 9. Wahlperiode, Protokoll über die 15. Plenarsitzung v. 16. 5.1979, S. 1706 ff. 247

60

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

— Ein nukleares Entsorgungszentrum sei grundsätzlich sicherheitstechnisch realisierbar, wenn zusätzliche Anforderungen der Landesregierung erfüllt werden: — Inhärente Sicherung der Lager für abgebrannte Brennelemente, d.h. Unabhängigkeit vom Funktionieren technischer Einrichtungen und menschlicher Zuverlässigkeit252 ; — im Normalbetrieb keine Lagerung hochaktiver Abfälle in flüssiger Form 253 ; — inhärente Sicherung eventueller Puffertanks 254; — im Kriegsfall Auslagerung der dispergierbaren radioaktiven Substanzen unter Tage; — Verbesserung des Schutzes gegen Entwendung von Plutonium durch Belegschaftsmitglieder. — Es bestehe keine wirtschaftspolitische Notwendigkeit für den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage, solange die Entscheidung über die großtechnische Nutzung der Schnellen Brüter offen sei. Diese könne aber erst nach Erprobung des Schnellen Brüters in Kalkar, d.h. des Prototyps, getroffen werden. — Die politischen Voraussetzungen für die Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage seien nicht gegeben, solange es nicht gelinge, breite Schichten der Bevölkerung von der Notwendigkeit und sicherheitstechnischen Vertretbarkeit der Anlage zu überzeugen. — In Gorleben werde — bei positivem Ergebnis der Eignungsprüfung — ein Endlager für alle Arten radioaktiven Abfalls errichtet. — Die Regierung sei bereit, ein externes Langzeit-Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente in Niedersachsen einzurichten255. Mit dieser Erklärung der Niedersächsischen Landesregierung war das geplante nukleare Entsorgungszentrum am Standort Gorleben gescheitert. Gorleben bleibt aber als Standort für ein Endlager und ein Langzeit-Zwischenlager bedeutsam. b) Integriertes

Entsorgungskonzept

Seit dem Scheitern des integrierten Entsorgungszentrums verfolgen Bund, Länder und Betreiber das sog. integrierte Entsorgungskonzept. Ungeachtet der 252 Zum Begriff : Bundesminister des Innern, Begriffserläuterungen, S. 24. Die Betreiber versuchen dieser Anforderung dadurch zu entsprechen, daß sie ihr Konzept beim Brennelementeingangslager einer Wiederaufarbeitungsanlage und auch beim externen Brennelement-Zwischenlager von Naß- auf Trockenkühlung umgestellt haben; dazu s. oben Erster Teil A.III.4.b) und 9.d). 253 Die Betreiber bemühen sich um sofortige Verfestigung nach Anfall der Spaltproduktlösung; dazu s. oben Erster Teil A. III. 5. a) ee). 254 Diese Anforderung scheint bisher noch nicht erfüllt zu sein; s. oben Erster Teil A.III. 5. a) cc). 255 Vgl. hierzu oben Erster Teil A.III.9.d).

Α. Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

61

Bedenken der Niedersächsischen Landesregierung zur Wiederaufarbeitung will dieses Konzept die Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente mit Rückführung der unverbrauchten Kernbrennstoffe, Behandlung und Endlagerung der Wiederaufarbeitungsabfälle verwirklichen 256. Die Betreiber bemühen sich daher um andere Standorte für die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente. Die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen stellte den Antrag auf Erteilung der Errichtungs- und Betriebsgenehmigung für eine Wiederaufarbeitungsanlage in Hessen (bei Merenberg oder Wangershausen) am 25. 2. 1980257 und für eine in Bayern (bei Schwandorf, nach Durchführung eines Raumordnungsverfahrens) am 28.10. 1982258. Jede dieser beiden geplanten Anlagen umfaßt — mit Ausnahme des Endlagers — alle Entsorgungsanlagen, die im integrierten Entsorgungszentrum vorgesehen waren 259, d.h. — ein Lager für abgebrannte Brennelemente (Hessen : 2001 Uran ; Schwandorf : 1500 t Uran), — eine Wiederaufarbeitungsanlage (jeweils mit einem Jahresdurchsatz von 350 t Kernbrennstoff) mit ihren Zwischenlagern, — Anlagen zur Abfall- und Abgasbehandlung und — eine Anlage zur Mischoxid-Brennelement-Herstellung. In Schwandorf soll der Jahresdurchsatz durch eine zweite Ausbaustufe auf 700 t Kernbrennstoff erhöht werden, eine Kapazitätserweiterung des Brennelement-Lagers ist dabei nicht vorgesehen260. Vom ursprünglich geplanten nuklearen Entsorgungszentrum bei Gorleben unterscheidet sich die geplante Anlage bei Schwandorf somit durch die halbierte Kapazität des Brennelementlagers (1500 t statt 3000 t 2 6 1 ), den halbierten Wiederaufarbeitungs-Jahresdurchsatz (7001 statt 14001262) und das fehlende Endlager. Die Anlage bei Schwandorf ist mit anderen Worten das nukleare Entsorgungszentrum ohne Endlager, mit halbierter Lagerkapazität und halbiertem Jahresdurchsatz.

256 Bundesminister des Innern, Begriffserläuterungen, S. 23; Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern zur Entsorgung der Kernkraftwerke v. 28. 9.1979, Bulletin der Bundesregierung, Nr. 122, 11.10.1979, S. 1133 f. 257 D W K , Wiederaufarbeitung in Hessen, S. 20; D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 2. 258 U M W E L T Nr. 93 v. 21.12.1982, S. 60f.; vgl. D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 2 ff. 259 D W K , Wiederaufarbeitung in Hessen, S. 13 ff; D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. lOff; D W K , Wiederaufarbeitungsanlage, S. A2ff. 260 D W K , Wiederaufarbeitungsanlage, S. A2, A4. 261 Vgl. BT-Ds. 8/1281, S. 17. 262 Vgl. BT-Ds. 8/1281, S. 19.

62

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

c) Konsequenzen

Das Scheitern des nuklearen Entsorgungszentrums bei Gorleben und die Verwirklichung des integrierten Entsorgungskonzepts haben mehrere Konsequenzen. Da die Wiederaufarbeitung an anderen Orten angesiedelt wird, fallen sie und die Endlagerung in Gorleben räumlich auseinander. Durch die Verkleinerung der Wiederaufarbeitungs-Jahresdurchsätze werden mehrere Wiederaufarbeitungsanlagen errichtet und deren Standorte somit vermehrt. Externe Langzeit-Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente müssen beschleunigt und über den ursprünglichen Umfang hinaus263 errichtet werden 264, da die kleineren Wiederaufarbeitungsanlagen und ihre Brennelementlager später betriebsbereit sind als die entsprechenden Anlagen im ursprünglich vorgesehenen Entsorgungszentrum 265 und in der Summe geringere Kapazitäten aufweisen. Die drei aufgeführten Konsequenzen des integrierten Entsorgungskonzepts lassen alle oben beschriebenen Vorteile der co-location entfallen; insbesondere verursacht das Auseinanderfallen der Standorte von Wiederaufarbeitung und Endlagerung externe Transporte radioaktiven Abfalls aller Klassen zwischen beiden Standorten, bedingt die Mehrzahl von Wiederaufarbeitungsstandorten darüber hinaus eine Verdichtung des externen Transportwegenetzes, führt die Vermehrung der Zwischenlager zu einer größeren Zahl externer Transporte abgebrannter Brennelemente zwischen ihnen und den Wiederaufarbeitungsstandorten sowie ebenfalls zu einer Verdichtung des externen Transportwegenetzes. B. Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren 266 Die Brennstoffkreisläufe für Schnelle Brutreaktoren und Leichtwasserreaktoren unterscheiden sich voneinander wegen der verschiedenen zum Einsatz kommenden Brennstoffe. Während die Brennelemente bei Leichtwasserreaktoren aus Uran-235 und Uran-238 bestehen267, enthalten die Brennelemente für Schnelle Brutreaktoren Plutonium und Uran-238. Im Schnellen Brutreaktor wird Plutonium durch den Spaltprozeß verbraucht, durch den Brutprozeß gleichzeitig aber aus Uran-238 neu erzeugt. Insgesamt 263

Vgl. BT-Ds. 8/1281, S. 6. So auch Regierungserklärung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Niedersächsischer Landtag, 9. Wahlperiode, Protokoll über die 15. Plenarsitzung v. 16. 5.1979, S. 1706ff.; Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern zur Entsorgung der Kernkraftwerke v. 28.9.1971, Bulletin der Bundesregierung, Nr. 122, 11.10.1979, S. 1133 f. 265 Vgl. BT-Ds. 8/1281, S. 6 mit D W K , Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 2. 266 Vgl. Anhang I, Abb. 6. 267 s. Erster Teil Α. 1.2. und II. ; anders die MOX-Brennelemente, s. oben Erster Teil A. III. 7. 264

C. Verhältnis der Kreisläufe von Leichtwasser- und Brutreaktoren

63

bleibt die Menge an Plutonium nicht nur erhalten, sondern sie nimmt sogar zu 268 . Der französische Brüter-Prototyp Phénix erreicht eine Brutrate von 1,16, d.h. auf einhundert gespaltene Plutonium-Kerne kommen 116 neu erbrütete. Technisch sind Brutraten von 1,3, vom physikalischen Prinzip her bis 1,4 erreichbar 269. Schnelle Brutreaktoren vermehren somit die Plutoniummenge, indem sie mehr Plutonium erbrüten, als sie verbrauchen 270. Ein Schneller Brutreaktor benötigt jährlich für die Erzeugung von eintausend Megawatt elektrische Leistung 1,2 t Plutonium und 18,81 Uran-238. Nach dem Abbrennen im Reaktor enthalten die Brennelemente 1,3 t Plutonium. 17,7t Uran-238 und l t Spaltprodukte. Bei der Wiederaufarbeitung werden diese Teilmengen getrennt und die Spaltprodukte sowie das erbrütete, überschüssige Plutonium (0,11) aus dem Kreislauf herausgenommen. Die verbleibenden 1,2 t Plutonium und 17,7 t Uran-238 gehen weiter in die Brennelement-Herstellung. Damit die Massenbilanz aufgeht, müssen dort 1,1t Uran-238 zugeliefert werden 271. Dieses Uran-238 kann (erstens) aus der Anreicherungsanlage des Leichtwasserreaktor-Kreislaufs kommen. Es fällt dort als sog. abgereichertes Uran an und hat im Leichtwasserreaktor-Kreislauf keine Verwendung mehr 272. Es kann theoretisch (zweitens) aber auch aus der Wiederaufarbeitung von Brennelementen aus Leichtwasserreaktoren stammen und darüber hinaus (drittens) auch direkt aus Natururan gewonnen werden 273.

C. Verhältnis der Brennstoffkreisläufe von Leichtwasser- und Schnellen Brutreaktoren I. Plutoniummenge

Schnelle Brutreaktoren dienen zugleich der Energieerzeugung (durch den Spaltprozeß) und der Erzeugung von Kernbrennstoff (durch den Brutprozeß) 274. Im Leichtwasserreaktor entsteht aus Uran-238 zwar auch Plutonium275, aber in viel geringerem Umfang (0,31) als in einem leistungsgleichen Schnellen Brutreaktor (1,3 t); d.h. in einem Schnellen Brutreaktor ist die zu handhabende Menge Plutonium fast fünfmal größer als in einem leistungsgleichen Leichtwasserreaktor 276 . Während Plutonium im Leichtwasserreaktor als Nebenprodukt anfällt, 268 269 270 271 272 273 274 275 276

S. 8.

Faude, Schneller Brüter, S. 2. Hüper, Brüter-Kernkraftwerke, S. 8. Hüper, Brüter-Kernkraftwerke, S. 8. Faude, Schneller Brüter, S. 2 f. und Abb. 1 rechte Hälfte. s. oben Erster Teil Α. 1.2. Vgl. Faude, Schneller Brüter, S. 4. Hüper, Brüter-Kernkraftwerke, S. 7. s. oben Erster Teil Α. II. Faude, Schneller Brüter, S. 3 mit Abb. 1 und S. 4; Hüper, Brüter-Kernkraftwerke,

64

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

geht es beim Schnellen Brutreaktor um die planmäßige Vermehrung des Plutonium-Inventars 277. II. Wiederaufarbeitung

Die Wiederaufarbeitung in beiden Brennstoffkreisläufen unterscheidet sich nach Quantität, Verfahren und Zielrichtungen. 1. Quantität

Während aus dem jährlichen Brennstoffdurchsatz eines Leichtwasserreaktors mit einer Leistung von eintausend Megawatt elektrische Leistung 28,7 t Uran 0,31 Plutonium 1,0 t Spaltprodukte 30,0 t

= 95,7% = 1,0% = 3,3% = 100 %

in die Wiederaufarbeitung kommen278, sind es bei einem Brutreaktor mit gleicher Leistung279 17,7 t Uran 1,31 Plutonium 1,0 t Spaltprodukte 20,0 t

= 88,5% = 6,5% = 5,0% = 100 %.

Im Brennstoffkreislauf des Schnellen Brutreaktors ist die gleiche Menge an Spaltprodukten, aber die fast fünffache Plutoniummenge wiederaufzuarbeiten. 2. Verfahren

Die Verfahren beider Wiederaufarbeitungen sind nicht identisch. Das Verfahren für die Wiederaufarbeitung im Kreislauf des Schnellen Brutreaktors kann sich zwar in gewissem Umfang auf das aus der Leichtwasserreaktor-Brennelement-Aufarbeitung bekannte Verfahren abstützen280. Die bisher in der Bundesrepublik Deutschland geplanten Wiederaufarbeitungsanlagen dienen aber allein der Aufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren, nicht aus Schnellen Brutreaktoren 281.

277

Hofmann, Entsorgung, S. 72 f. s. oben ErsterTeilA.il. 279 s. oben Erster Teil B. 280 So ausdrücklich Hüper, Brüter-Kernkraftwerke, S. 9 ; s. auch Hofmann, Entsorgung, S. 57f. m.w.N. in Fußn. 61; vgl. Strohm, Katastrophe, S. 780. 281 Vgl. BVerfGE 49, 89 (113). 278

C. Verhältnis der Kreisläufe von Leichtwasser- und Brutreaktoren

65

3. Zielrichtungen

Bei der Wiederaufarbeitung von Brennelementen aus Leichtwasserreaktoren geht es u.a. um 2 8 2 : — Rückführung von Uranylnitrat in — herkömmliche Brennelemente für Leichtwasserreaktoren und — MOX-Brennelemente für Leichtwasserreaktoren; — Herstellung von Plutoniumnitrat für — MOX-Brennelemente für Leichtwasserreaktoren, — Brennelemente für Schnelle Brutreaktoren (Erstausstattung)283, — u. U. militärische Zwecke. Bei der Wiederaufarbeitung von Brennelementen aus Schnellen Brutreaktoren geht es u.a. um 2 8 4 : — Rückführung von — Uran in Brennelemente für Schnelle Brutreaktoren, — Plutonium in Brennelemente für Schnelle Brutreaktoren; — Abtrennung von überschüssigem Plutonium für — Brennelemente für weitere Schnelle Brutreaktoren (Erstausstattung)285, — u. U. militärische Zwecke. Während die Wiederaufarbeitung im Kreislauf der Leichtwasserreaktoren dem eigenen und dem Kreislauf der Schnellen Brutreaktoren dient, soll die Wiederaufarbeitung im Kreislauf der Schnellen Brutreaktoren nur den eigenen Kreislauf versorgen. III. Berührungen und Ineinandergreifen beider Kreisläufe 286 1. Bei Uran-238

Für die Inbetriebnahme (Erstausstattung) und für den Dauerbetrieb (Zweitausstattungen) benötigt ein Schneller Brutreaktor Uran-238. Nur im Dauerbetrieb kommt ein großer Teil des benötigten Uran-238 aus dem eigenen Kreislauf (17,7 t); im übrigen, d.h. für die Erstausstattung in vollem Umfang und für die Zweitausstattungen bezüglich des Restbedarfs von 1,1t, stammt das Uran-238 entweder aus Anreicherungs- oder Wiederaufarbeitungsanlagen im Kreislauf der Leichtwasserreaktoren oder aus der direkten Gewinnung aus Natururan 287.

282 283 284 285 286 287

s. Anhang I, Abb. 3. s. Anhang I, Abb. 7. Vgl. Anhang I, Abb. 6. Vgl. Anhang I, Abb. 7. Vgl. Anhang I, Abb. 3, 6 und 7. s. oben Erster Teil B.

5 Luckow

66

1. Teil: Stationen nuklearer Brennstoffkreisläufe (Rechtstatsachen)

Soweit das Uran-238 aus dem Kreislauf der Leichtwasserreaktoren in den Kreislauf der Schnellen Brutreaktoren übernommen wird, berühren sich beide Kreisläufe hinsichtlich des Uran-238 sowohl bei der Inbetriebnahme als auch beim Dauerbetrieb des Schnellen Brutreaktors. Dies ist allerdings nicht zwingend. Soweit Uran-238 direkt aus Natururan gewonnen wird, ist der Schnelle Brutreaktor bei Inbetriebnahme und Dauerbetrieb hinsichtlich des Uran-238 unabhängig vom Kreislauf der Leichtwasserreaktoren. 2. Bei Plutonium

Plutonium kommt allenfalls bei der Erstausstattung des Schnellen Brutreaktors aus dem Kreislauf der Leichtwasserreaktoren, im Dauerbetrieb hingegen ausschließlich aus dem Kreislauf der Schnellen Brutreaktoren 288. Da der Schnelle Brutreaktor mit seinen überschüssigen Plutoniummengen nach und nach Erstausstattungen für weitere Schnelle Brutreaktoren schafft, werden Schnelle Brutreaktoren bei ihrer Inbetriebnahme zunehmend unabhängiger von der Plutoniumanlieferung aus dem Kreislauf der Leichtwasserreaktoren und langfristig gesehen schließlich — ebenso wie im Dauerbetrieb — sogar völlig unabhängig von Plutonium aus dem Kreislauf der Leichtwasserreaktoren. 3. Gemeinsame Strategie?

Wegen der Berührungen beider Kreisläufe bei Uran-238 und Plutonium wird auf eine gemeinsame (Anfangs-)Strategie bzw. Kombination von Leichtwasserreaktoren und Schnellen Brütern geschlossen289. Dieser Schluß bedarf indessen der Differenzierung. Beim Uran-238 erscheint es sinnvoll, die beiden Kreisläufe ineinandergreifen zu lassen, um das Abfalluran aus den Anreicherungsanlagen des Kreislaufs der Leichtwasserreaktoren zu verwerten; technisch zwingend ist dies — wie gezeigt — hingegen nicht, da Uran-238 auch aus Natururan gewonnen werden kann. Beim Plutonium kann allenfalls von einer Anfangsstrategie gesprochen werden; denn technisch gesehen ist nur die Inbetriebnahme des ersten Schnellen Brutreaktores vom Kreislauf der Leichtwasserreaktoren abhängig. Nur insoweit hat der Kreislauf der Leichtwasserreaktoren eine Initialfunktion für den Kreislauf der Schnellen Brutreaktoren; denn der erste industrielle Schnelle Brutreaktor wäre — wie gezeigt — in der Lage, die Erstausstattungen für weitere Schnelle Brutreaktoren zu schaffen. Beim Dauerbetrieb des Schnellen Brutreaktores bestehen hinsichtlich des Plutoniums überhaupt keine Abhängigkeiten vom Kreislauf der Leichtwasserreaktoren.

288 289

Vgl. Faude, Schneller Brüter, S. 2. Faude, Schneller Brüter, S. 2.

C. Verhältnis der Kreisläufe von Leichtwasser- und Brutreaktoren

67

IV. Verhältnis: Wiederaufarbeitung — Schneller Brutreaktor 1. Wiederaufarbeitung als Voraussetzung für den Schnellen Brutreaktor

Der Satz, Voraussetzung für den kommerziellen Einsatz der Schnellen Brutreaktoren sei die Wiederaufarbeitung 290, bedarf der Differenzierung. Die Wiederaufarbeitung im Kreislauf der Leichtwasserreaktoren ist nur für die Erstausstattung Schneller Brutreaktoren mit Plutonium bedeutsam. Die Wiederaufarbeitung im Kreislauf der Schnellen Brutreaktoren ist Voraussetzung für deren Zweitausstattungen mit Plutonium; (nur) insoweit ist Wiederaufarbeitung integraler Bestandteil des Brutreaktorbetriebs und -kreislaufs 291. Dies ist funktionell zu verstehen; eine räumliche Einheit zwischen Schnellem Brutreaktor und Wiederaufarbeitungsanlage ist zumindest technisch nicht zwingend erforderlich. 2. Verbund zwischen Wiederaufarbeitung und Schnellem Brutreaktor

Umgekehrt verlangt die Wiederaufarbeitung im Kreislauf der Leichtwasserreaktoren (technisch) nicht zwingend die Einführung der Schnellen Brutreaktoren. Nach Auffassung der Niedersächsischen Landesregierung sei aber die Wiederaufarbeitung wirtschaftlich erst im Verbund mit dem Schnellen Brüter sinnvoll. Dieser Verbund ermögliche es, mit einem Kilogramm Kernbrennstoff sechzigmal soviel Energie zu erzeugen wie derzeit in einem Leichtwasserreaktor 292.

290

So Deutscher Bundestag, Zukünftige Kernenergie-Politik, S. 305, Minderheitsvotum ; vgl. auch Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 3. 291 Vgl. Faude, Schneller Brüter, S. 2; Hüper, Brüter-Kernkraftwerke, S. 9. 292 Regierungserklärung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Niedersächsischer Landtag, 9. Wahlperiode, Protokoll über die 15. Plenarsitzung v. 16.5. 1979, S. 1706 ff; vgl. auch Faude, Schneller Brüter, S.4.

5*

Zweiter

Teil

Grundsatzentscheidungen über die Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie A. Zuständigkeiten

Bei der Zuständigkeit für Grundsatzentscheidungen über die Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1 zwischen Verfassungsgeber, Gesetzgeber, Exekutive und Judikative zu trennen. I. Verfassungsgeber

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfassungsgeber die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken durch die Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. I l a GG, die im Jahre 1959 eingefügt wurde, im Grundsatz als zulässig gebilligt. Zwar sei die Problematik einer friedlichen Nutzung der Atomenergie zu diesem Zeitpunkt noch wenig erörtert, diese vielmehr als grundsätzlich positiv der damals besonders umstrittenen militärischen Nutzung gegenübergestellt worden. Dies ändere aber nichts daran, daß auch aus Kompetenzvorschriften der Verfassung eine grundsätzliche Anerkennung und Billigung des darin behandelten Gegenstands durch die Verfassung selbst folge und daß dessen Verfassungsmäßigkeit nicht aufgrund anderer Verfassungsbestimmungen grundsätzlich in Frage gestellt werden könne2. Indessen folgt aus der grundsätzlichen Billigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie durch die Kompetenzvorschrift der Verfassung (Art. 74 Nr. I I a GG) noch kein Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber zur Verwendung und Förderung der Kernenergie, d.h. keine Verpflichtung, ein Atomgesetz zu erlassen3; denn aus einer Zuständigkeitsnorm ergibt sich lediglich das Recht, nicht aber die Pflicht, tätig zu werden. Art. 74 Nr. 1 a GG ist gerade keine „auftragshafte Verfassungsvorschrift", die die friedliche Atomkraftnutzung „konstitutionell festschreibt" 4; denn sie überläßt es dem Bundesgesetzgeber, das Gesetzgebungsrecht wahrzunehmen oder nicht (vgl. Art. 72 Abs. 1 GG). 1 2 3 4

BVerfGE 49, 89 (124ff); 53, 50 (56). BVerfGE 53, 30 (56). Hofmann, Entsorgung, S. 75, 83. So aber Strickrodt, Zulassungsprämissen, S. 27.

Α. Zuständigkeiten

69

Aber auch wenn der Bundesgesetzgeber die konkurrierende Zuständigkeit durch Erlaß eines Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie an sich gezogen hat, verpflichtet ihn die Zuständigkeitsnorm des Art. 74 Nr. I I a GG keineswegs, die Entscheidung zugunsten der Kernenergie für immer aufrecht zu erhalten. Ist der Gesetzgeber durch veränderte Umstände gezwungen, seine Grundentscheidung für die Nutzung der Kernenergie ganz oder teilweise zu revidieren 5, so steht Art. 74 Nr. 1 a GG nicht entgegen. Im Grenzfall eines vollkommenen Verzichts auf Kernenergie würde die Zuständigkeitsvorschrift als Liquidationskompetenz fungieren 6. II. Gesetzgeber

Aufgrund der Kompetenzzuweisung des Art. 74 Nr. I I a GG ist zur normativen Grundsatzentscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie allein der Gesetzgeber berufen 7. Er muß entscheiden, ob eine Technik, die keine Fehler erlaubt, ohne daß außerordentliche Risiken für lebende und auch für künftige Generationen entstehen, überhaupt verantwortet werden kann und gegen den Widerspruch potentiell Betroffener angewendet werden darf, solange nicht alle anderen Möglichkeiten der Energieversorgung ausgeschöpft sind8.

III. Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgeber und Exekutive

Mit dieser Feststellung sind die Zuständigkeiten zwischen Gesetzgeber und Exekutive und damit der Umfang der normativen Grundsatzentscheidung aber noch nicht geklärt. Im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsverteilung werden mehrere Kriterien diskutiert, die darzustellen und voneinander abzugrenzen sind. 1. Vorrang des Parlaments?

Aus der Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und der unmittelbaren Legitimation des Parlaments durch Wahlen wird gelegentlich der Vorrang des Parlaments gegenüber der Exekutive abgeleitet (parlamentarische Entscheidungsprärogative)9, mit der Folge, daß für die Grundsatzentscheidung über Art, Standort und Errichtung einer jeden kern technischen Anlage der 5

Dazu s. unten Zweiter Teil Α. IV. 1. So wörtlich Hofmann, Entsorgung, S. 84; a.A. anscheinend Seilner, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 368, der wohl wegen der Kompetenzverweisung des Art. 74 Nr. I I a GG eine positive Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Nutzung der Kernenergie für irreversibel hält. 7 BVerfGE 53, 30 (56), Leitsatz 3. 8 BVerfGE 53, 30 (56). 9 Listi, DVB1. 1978, 10 (12). 6

70

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

(Landes-)Gesetzgeber als zuständig angesehen wird 10 . Als vergleichbares Modell für ein entsprechendes Landesgesetz werden die Universitätsgründungsgesetze der Länder herangezogen, die sich inhaltlich darauf beschränken, die Errichtung der betreffenden Universität festzustellen und deren Sitz zu bestimmen11. Als wesentlicher Inhalt eines Kernkraft-Gesetzes wird dementsprechend vorgeschlagen: „In X wird ein Kernkraftwerk vom Typ A errichtet" 12. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts darf aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie kein Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als ein alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielender Auslegungsgrundsatz hergeleitet werden13; denn die Verteilung und der Ausgleich staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, dürfe nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlaments Vorbehalts unterlaufen werden14. In der Tat führt die unmittelbare personelle demokratische Legitimation der Mitglieder des Parlaments nicht schlechthin zu einem Entscheidungsmonopol des Parlaments; denn auch die Organe der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt sind durch Art. 20 Abs. 2 GG demokratisch legitimiert. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die „besonderen Organe" aller drei Gewalten (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG), die die Staatsgewalt ausüben, leiten ihre Legitimation vom selben Souverän her. Die demokratische Legitimation bietet somit keinen Ansatzpunkt für eine Rangordnung der Staatsgewalten. Auch der Gesetzesvorrang (Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt) in Art. 20 Abs. 3 GG stellt die Legislative nicht über die Exekutive; denn andernfalls wäre unverständlich, warum die in Art. 20 Abs. 3 GG mit der vollziehenden Gewalt auf eine Stufe gestellte Judikative Entscheidungen des Gesetzgebers kassieren darf 15 . Im übrigen würde eine höhere Rangstufe einer Gewalt noch nicht zwingend deren möglichst umfassende Kompetenz nach sich ziehen16. Ein allumfassender Parlamentsvorbehalt läßt sich somit verfassungsrechtlich nicht begründen. Darüber hinaus berührte ein Vorrang des Parlaments die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers; denn trifft der Gesetzgeber Grundsatzentscheidungen über Art, Standort und Errichtung einer jeden kerntechnischen Anlage durch 10

Listi, DVB1.1978, 10 (15). Vgl. Gesetz v. 18. 7.1962 über die Errichtung der Universität Regensburg (BayGVBl. S. 127). 12 Listi, DVB1.1978, 10 (16), Fn. 61. 13 BVerfGE 49, 89 (126), Leitsatz 1. 14 BVerfGE 49, 89 (125). 15 Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 157. 16 Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 207. 11

Α. Zuständigkeiten

71

förmliches Gesetz, ist hiergegen nur der Weg zu den Verfassungs-, nicht aber zu den mehrinstanzlichen Verwaltungsgerichten eröffnet 17. 2. Vorbehalt des Gesetzes — „Wesentlichkeitstheorie"

Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes verpflichtet den Gesetzgeber, in grundlegenden normativen Bereichen (insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung) — durch förmliches Gesetz zu handeln und dabei — alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen 18. Aus der Sicht des Exekutive bedeuten diese beiden Komponenten des Vorbehalts des Gesetzes, daß — Akte der Exekutive, die den Bereich der Grundrechtsausübung des Bürgers betreffen, der gesetzlichen Grundlage bedürfen und — die Festlegung wesentlicher Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs nicht der Exekutive überlassen werden darf 19. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes wird zwar in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt, seine Geltung ergibt sich jedoch aus Art. 20 Abs. 3 GG 20 . In welchen Bereichen ein förmliches Gesetz erforderlich und eine Entscheidung wesentlich ist, bestimmt sich nach der Besonderheit des jeweiligen Sachbereichs (Regelungsgegenstands), der Intensität der geplanten Regelung und den tragenden Verfassungsprinzipien, insb. den Grundrechten 21. Die zweite Komponente des Vorbehalts des Gesetzes wird häufig mit dem Schlagwort „Wesentlichkeitstheorie" beschrieben22. Das Bundesverfassungsgericht räumt der Wesentlichkeitstheorie keine eigenständige, kompetenzbegründende Bedeutung ein; sie dient dem Gericht vielmehr als Auslegungshilfe bei der Konkretisierung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes23. In der Sexualkundeentscheidung ζ. B. bezeichnet das Bundesverfassungsgericht es als entscheidenden Fortschritt der Wesentlichkeitstheorie, daß der Vorbehalt des Gesetzes von seiner Bindung an überholte Formeln (Eingriff in Freiheit und Eigentum) gelöst und von seiner demokratisch-rechtsstaatlichen Funktion her auf ein neues Fundament gestellt werde24. In der gleichen Entscheidung präzisiert das Bundesverfassungsgericht den Begriff „wesentlich" als „wesentlich 17 18 19 20 21 22 23 24

Das erkennt auch Listi , DVB1.1978, 10 (15), Fn. 56. BVerfGE 49, 89 (126f., 129). BVerfGE 49, 89 (126f., 129). BVerfGE 40, 237 (248). Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 4b ß, S. 635. BVerfGE 49, 89 (127). Vgl. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 154 ff. m.w.N. So auch Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 161, 163. BVerfGE 47, 46 (78 f.).

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

72

für die Verwirklichung der Grundrechte" 25 und führt den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes damit richtigerweise in den grundrechtlichen Bereich zurück. 3. Bestimmtheitsgrundsatz

Der Bestimmtheitsgrundsatz ist ebenfalls im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesetzgeber und Exekutive zu sehen. Er verlangt, daß Gesetze, die die Exekutive zu Eingriffen ermächtigen, nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so daß die Eingriffe meßbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden26. Der Bestimmtheitsgrundsatz wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet; insbesondere der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung fordert nicht nur irgendeine, sondern eine begrenzte und näher bestimmte Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte, d.h. das Gesetz muß die Tätigkeit der Verwaltung inhaltlich normieren und darf sich nicht darauf beschränken, allgemein gehaltene Grundsätze aufzustellen. Zudem ist der Gewaltenteilungsgrundsatz verletzt, wenn die Vollmachten der Exekutive nicht hinreichend bestimmt sind; denn dann führt die Exekutive das jeweilige Gesetz nicht mehr aus und handelt nicht mehr nach den Richtlinien des Gesetzgebers, sondern entscheidet an dessen Stelle27. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber ist gleichwohl grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden28. Die Bestimmtheitsanforderungen im einzelnen richten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstands sowie der Intensität der Regelung. Bei vielgestaltigen Sachverhalten oder bei absehbarer rascher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse werden geringere Anforderungen gestellt29. Ein weiterer Maßstab für die Zulässigkeit unbestimmter Rechtsbegriffe sind die Grundrechte. Ein unbestimmter Rechtsbegriff kann dann unbedenklich sein, wenn er der Dynamisierung des Grundrechtsschutzes dient und damit die Sicherung der Grundrechte fördert 30. 4. Abgrenzung: Vorbehalt des Gesetzes — Bestimmtheitsgrundsatz

Wie eng der Bestimmtheitsgrundsatz und der Vorbehalt des Gesetzes beieinanderliegen, belegt die Identität ihrer verfassungsrechtlichen Maßstäbe. In 25 26 27 28 29 30

BVerfGE 47, 46 (79). BVerfGE 8, 274 (325). BVerfGE 8, 274 (325 f.). BVerfGE 49, 89 (133); 21, 73 (79); 31, 255 (264); 37, 132 (142). BVerfGE 11,234(237); 21,1 (4); 28,175 (183); 8,274(326); 14,245 (251); 49,89 (133). Vgl. BVerfGE 49, 89 (137, 140).

Α. Zuständigkeiten

73

welchen Bereichen ein förmliches Gesetz erforderlich und eine Entscheidung wesentlich (Vorbehalt des Gesetzes) bzw. ein unbestimmter Rechtsbegriff zulässig ist, bemißt sich — wie oben gezeigt — in beiden Fällen nach Regelungsgegenstand, Regelungsintensität und Grundrechten. Auch in ihrer Funktion haben der Vorbehalt des Gesetzes und der Bestimmtheitsgrundsatz eine Gemeinsamkeit; beide dienen u.a. der Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive. Wegen der strukturellen Ähnlichkeiten sieht das Bundesverfassungsgericht 31 zurecht einen „unmittelbaren Zusammenhang" zwischen der zweiten Komponente des Vorbehalts des Gesetzes, nach der der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muß, und dem Bestimmtheitsgrundsatz. Gleichwohl muß beides auseinandergehalten werden; denn zwischen beiden Grundsätzen läßt sich ein im Berührungsbereich zwar fließender, aber dennoch gradueller Unterschied feststellen. Beide Grundsätze stehen in einem Stufenverhältnis zueinander: — ob die normativen Grundlagen vom Gesetzgeber selbst zu treffen und getroffen worden sind, bestimmt sich nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes; — wie weitgehend sich der Gesetzgeber in der einzelnen Norm präzisieren muß, richtet sich nach dem Bestimmtheitsgrundsatz. Diese hier vertretene Auffassung steht in Einklang mit der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß der Bestimmtheitsgrundsatz die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes darstelle32. 5. Prüfungsschritte des Bundesverfassungsgerichts

In dieser Stufenfolge überprüft das Bundesverfassungsgericht auch das Atomgesetz. a) Vorbehalt des Gesetzes

Zunächst stellt es fest, daß die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes sei, zu der allein der Gesetzgeber berufen sei. Es begründet dies mit den weitreichenden Auswirkungen der Kernenergienutzung auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheits- und Gleichheitsbereich, auf die allgemeinen Lebensverhältnisse und mit der notwendigerweise damit verbundenen Art und Intensität der Regelung33. Seiner Berufung sei der Gesetzgeber nachgekommen, 31 32 33

BVerfGE 49, 89 (129). BVerfGE 58, 257 (278). BVerfGE 49, 89 (127), Leitsatz 2.

7 4 2 . Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

indem er in § 1 AtG die Grundentscheidung für die Nutzung der Atomenergie getroffen und durch förmliches Gesetz (1. Komponente des Vorbehalts des Gesetzes) zugleich — im Blick auf die Unabdingbarkeit größtmöglichen Schutzes vor den Gefahren der Kernenergie — die Grenzen der Nutzung bestimmt habe. Innerhalb dieses Rahmens habe er in § 7 Abs. 1 und 2 AtG alle wesentlichen und grundlegenden Fragen der Zulassung geregelt (2. Komponente des Vorbehalts des Gesetzes)34. Auf der Stufe des Vorbehalts des Gesetzes prüft das Bundesverfassungsgericht nur die Frage etwas eingehender, ob Schnelle Brutreaktoren von der Grundentscheidung des Gesetzgebers mit erfaßt sind. Es bejaht sie mit einer systematischen und historischen Auslegung des § 7 Abs. 1 AtG 35 . Zur Frage hingegen, ob die Genehmigungsvoraussetzungen in § 7 Abs. 2 AtG der 2. Komponente des Vorbehalts des Gesetzes entsprechen, stellt das Bundesverfassungsgericht lapidar — ohne Prüfung und Begründung — fest, daß der Gesetzgeber die Voraussetzungen, unter denen kerntechnische Anlagen, darunter auch die Schnellen Brutreaktoren, errichtet, betrieben, innegehabt oder wesentlich verändert werden dürfen, normativ festgelegt habe36. Diese — wegen der fehlenden Prüfung und Begründung vom Bundesverfassungsgericht vermutlich selbst als unbefriedigend empfundene — Feststellung wird gemildert und teilweise kompensiert durch die im Zusammenhang mit dem Vorbehalt des Gesetzes gebrauchte Rechtsfigur des „Nachfassens des Gesetzgebers". Wenn in der gegenwärtigen Lage den aus dem Vorbehalt des Gesetzes entspringenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt sei, so sei damit noch nichts darüber ausgesagt, ob und gegebenenfalls wann der Gesetzgeber über die rechtlichen Voraussetzungen der Errichtung und des Betriebs von Schnellen Brutreaktoren neuerlich befinden müsse37. Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist 38 . b) Bestimmtheitsgrundsatz

In sich konsequent liegt der Schwerpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schnellen Brüter in Kalkar bei der Prüfung des Bestimmtheitsgrundsatzes39. Auf dieser Stufe wird § 7 Abs. 1 AtG nur noch knapp 34

BVerfGE 49, 89 (129). BVerfGE 49, 89 (128); dazu s. ausführlich unter Dritter Teil E.I. 36 BVerfGE 49, 89 (129). 37 BVerfGE 49, 89 (130). 38 So wörtlich BVerfGE 49, 89 (130), Leitsatz 3. Zum Nachfassen siehe ausführlich unten Zweiter Teil Α. IV. 39 BVerfGE 49, 89 (133-140). 35

Α. Zuständigkeiten

75

erwähnt, da er bereits unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes geprüft wurde 40. Am Bestimmtheitsgrundsatz gemessen wird § 7 Abs. 2 AtG und insbesondere dessen Nr. 3 41 . c) Ergebnis

Zwar setzt das Bundesverfassungsgericht sowohl auf der Stufe des Vorbehalts des Gesetzes als auch der des Bestimmtheitsgrundsatzes jeweils mit der Prüfung des § 7 Abs. 1 und 2 AtG 4 2 an; überzeugend durchgeführt wird die Prüfung des § 7 Abs. 1 AtG jedoch nur beim Vorbehalt des Gesetzes und die des § 7 Abs. 2 AtG nur beim Bestimmtheitsgrundsatz. Im Ergebnis schlägt das Bundesverfassungsgericht damit die Genehmigungsbedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 AtG) dem Vorbehalt des Gesetzes und die Genehmigungsfähigkeit (§ 7 Abs. 2 AtG) dem Bestimmtheitsgrundsatz zu. IV. Nachfassen staatlicher Organe

Aufgrund der verfassungsrechtlichen Pflicht, dem Gemeinwohl zu dienen, insbesondere wegen der aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden objektivrechtlichen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu schützen, sind alle staatlichen Organe, d.h. auch der Gesetzgeber, gehalten, alle Anstrengungen zu unternehmen, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und ihnen mit den erforderlichen verfassungsmäßigen Mitteln zu begegnen43. 1. Nachbesserung durch Gesetzgeber

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach festgestellt, daß der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet sein könne, eine ursprünglich als verfassungsmäßig angesehene Regelung im Wege der Nachbesserung neu zu gestalten44. Eine derartige Verpflichtung wird gerade auch im Atomrecht anerkannt. Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist 45 . Eine Nachbesserungspflicht kommt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in grundrechtsrelevanten Bereichen vor allem dann in Betracht, wenn der Staat durch die Schaffung von Genehmi40 41 42 43 44 45

Vgl. BVerfGE 49, 89 (133). BVerfGE 49, 89 (134-140). Vgl. BVerfGE 49, 89 (126, 133). So ausdrücklich BVerfGE 49, 89 (132). BVerfGE 25,1 (12f.); 49, 89 (130ff.); 50, 290 (335, 377f.), 55, 274 (317); 56, 54 (78ff.). So wörtlich BVerfGE 49, 89 (130), Leitsatz 3.

7 6 2 . Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

gungsvoraussetzungen und durch die Erteilung von Genehmigungen eine eigene Mitverantwortung für etwaige Grundrechtsbeeinträchtigungen übernommen hat 46 . In seiner Kalkar-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht es verfassungsrechtlich nicht beanstandet, daß der Gesetzgeber bis zum Zeitpunkt der Entscheidung hinsichtlich der Nutzung der Brütertechnik und ihrer möglichen Folgewirkungen nicht „nachgefaßt" hatte 47 . Zum einen handele es sich bei dem in Kalkar geplanten Schnellen Brutreaktor lediglich um einen Prototyp dieser Baulinie, dessen Bau und Betrieb nicht schon die Entscheidung für die großtechnische Nutzung der Schnellen Brutreaktoren beinhalte, sondern diese erst vorbereiten helfen solle48. Zum anderen habe der Gesetzgeber die Entscheidungen der Exekutive bezüglich der Schnellen Brutreaktoren zustimmend zur Kenntnis genommen und für deren Entwicklung Haushaltsmittel bewilligt49. Im Zusammenhang mit dem ersten Argument (Prototyp) setzt sich das Gericht nur mit den anfallenden Plutoniummengen50 auseinander, behandelt aber nicht das Verhältnis zwischen Wiederaufarbeitung, Brutreaktor und Endlagerung, obgleich das vorlegende Oberverwaltungsgericht dies in seinem Vorlagebeschluß ausdrücklich anspricht51. Das Oberwaltungsgericht rechnet zu den Folgewirkungen des Schnellen Brutreaktors zu Recht die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente; denn für die Erstausstattung Schneller Brutreaktoren mit Plutonium bedarf es der Wiederaufarbeitung im Kreislauf der Leichtwasserreaktoren und für die Zweitausstattung der Wiederaufarbeitung im Kreislauf der Schnellen Brutreaktoren 52. Dies gilt ebenso und ohne jeden Abstrich auch für einen Prototyp. Daher ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, es sei unbestritten, daß die vom Oberwaltungsgericht angesprochenen Folgewirkungen vom Prototyp noch nicht ausgehen53, technisch unrichtig. Sie legt die Vermutung nahe, daß das Bundesverfassungsgericht die Stellung des Schnellen Brutreaktors im Brennstoffkreislauf 54 nicht umfassend gewürdigt oder — was unwahrscheinlicher ist — stillschweigend unterstellt hat, daß die Wiederaufarbeitung für Erst- und Zweitausstattungen des Prototyps im Ausland stattfinde und damit keine nationale Folgewirkung sei. Im Zusammenhang mit dem zweiten Argument (Kenntnisnahme, Einwilligung von Haushaltsmitteln) bleibt zweifelhaft, ob parlamentarische Äußerungen 46 47 48 49 50 51 52 53 54

So BVerfGE 56, 54 (79). BVerfGE 49, 89 (130). BVerfGE 49, 89 (130). BVerfGE 49, 89 (133). Vgl. hierzu oben Erster Teil C. I. Vgl. BVerfGE 49, 89 (95 f.). s. oben Erster Teil C. IV. 1. BVerfGE 49, 89 (130). s. hierzu oben Erster Teil C.

Α. Zuständigkeiten

77

außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens (z.B. schlichte Parlamentsbeschlüsse, Haushaltsbewilligungen und parlamentarische Verhandlungen) legislatives Nachfassen in Gesetzesform ersetzen können55. Beide Argumente des Bundesverfassungsgerichts, warum die unterlassene Nachbesserung des Atomgesetzes hinsichtlich der Brütertechnik nicht zu beanstanden sei, begegnen also gravierenden Bedenken. Jedoch ist positiv anzumerken, daß das vom Bundesverfassungsgericht postulierte Gebot des Nachfassens beim Gesetzgeber nicht ohne Echo geblieben ist. Vier Monate nach dem Kalkar-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts setzte der Deutsche Bundestag u.a. zur Vorbereitung seiner Entscheidungen über die Inbetriebnahme des Prototyps SNR 300 in Kalkar und über die endgültige großtechnische Einführung der Brutreaktortechnologie eine Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" ein 56 . Diese Kommission hat bisher mehrere Berichte erarbeitet: — Bericht: Zukünftige Kernenergie-Politik, Kriterien — Möglichkeiten — Empfehlungen 57; — Zwischenbericht und Empfehlungen über die Inbetriebnahme der Schnellbrüter — Prototypanlage SNR 300 in Kalkar 58 ; — Bericht über den Stand der Arbeit 59. In ihrem Bericht „Zukünftige Kernenergie-Politik" unterstreicht die EnqueteKommission, daß sie als parlamentarische Kommission nicht notwendigerweise an den Bezugsrahmen des Atomgesetzes gebunden sei. Vielmehr könne sie das Atomgesetz unter brüterspezifischen Aspekten überprüfen 60. Dieses richtige Verständnis des Nachfassens könnte zu einer Novellierung des Atomgesetzes bezüglich der rechtlichen Voraussetzungen für Errichtung und Betrieb von Schnellen Brutreaktoren führen 61. Abweichend von der bisher wohl herrschenden Auffassung 62, Schnelle Brutreaktoren fielen unter den Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG und unter die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG, könnte eine Novellierung folgende Wege gehen: — Der Schnelle Brutreaktor wird im Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG belassen, erhält aber eigene Genehmigungsvoraussetzungen (ζ. B. in einem 55

Vgl. hierzu auch Degenhart, Kernenergierecht, S. 194 f. BT-Ds. 8/2370 und 8/2628. 57 BT-Ds. 8/4341 mit einem gesonderten, umfangreichen Materialienband. Die Drucksache wurde auch in der vom Deutschen Bundestag herausgegebenen Reihe „Zur Sache, Themen parlamentarischer Beratung" 1, 2/80, Bonn 1980 veröffentlicht. 58 BT-Ds. 9/2001. 59 BT-Ds. 9/2438 mit einem Materialienband (BT-Ds. 9/2439). 60 Deutscher Bundestag (Hrsg.), Zukünftige Kernenergie-Politik, S. 310, 325. 61 Vgl. auch BVerfGE 49, 89 (132). 62 Vgl. BVerfGE 49, 89 (91, 124). s. dazu im einzelnen unten Dritter Teil E.I. 56

78

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

neuen Absatz des § 7 AtG); d.h. die in § 7 Abs. 1 AtG geregelte Genehmigungsbedürftigkeit Schneller Brutreaktoren bleibt unangetastet, ihre Genehmigungsfähigkeit hingegen wird neu bestimmt. — Der Schnelle Brutreaktor wird aus dem Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG herausgenommen und — entweder als Anlage eigener Art mit eigenen Genehmigungsvoraussetzungen in einer gesonderten Bestimmung erfaßt, d. h. Genehmigungsbedürftigkeit und -fähigkeit werden neu festgelegt, — oder in keiner neuen Bestimmung aufgenommen, mit der Folge, daß der Schnelle Brutreaktor nicht genehmigungsfähig wäre. 2. Verpflichtung der Exekutive

Soweit der Gesetzgeber den bestehenden gesetzlichen Rahmen trotz veränderter Umstände für ausreichend hält, bleibt der Exekutive gleichwohl die Verpflichtung, mögliche Gefahren zu erkennen und ihnen zu begegnen63. Dies kann sich in ihrer Ermessensentscheidung und § 7 Abs. 2 AtG niederschlagen und auch zur völligen Versagung der Genehmigung führen. 3. Verfassungsgerichtliche Überprüfung des Nachfassens

Bei der Überprüfung des unterlassenen oder fehlsamen Nachfassens staatlicher Organe bindet sich das Bundesverfassungsgericht strikt an den Grundsatz des judicial-self-restraint 64. Einen Verfassungsverstoß wegen unterlassener Nachbesserung könne das Bundesverfassungsgericht erst dann feststellen, wenn evident sei, daß eine ursprünglich rechtmäßige Regelung wegen zwischenzeitlicher Änderung der Verhältnisse verfassungsrechtlich untragbar geworden ist, und wenn der Gesetzgeber gleichwohl weiterhin untätig geblieben ist oder offensichtlich fehlsame Nachbesserungsmaßnahmen getroffen hat 65 . Bei Ungewißheiten im tatsächlichen Bereich liege es zuvorderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung, im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Bei einer derartigen Sachlage sei es nicht Aufgabe des Gerichts, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten. Insoweit ermangele es rechtlicher Maßstäbe66. Als eine derart ungewisse Sachlage betrachtet das Bundesverfassungsgericht die im Zeitpunkt seiner Kalkar-Entscheidung — nach seiner Auffassung — noch nicht abschätzbare Nutzen-Schaden-Bilanz der Brütertechnik 67. 63 64 65 66 67

BVerfGE 49, 89 (132). Vgl. BVerfGE 49, 89 (131); 56, 54 (80ff.) und BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573). So ausdrücklich BVerfGE 56, 54 (81). BVerfGE 49, 89 (131), Leitsatz 4. BVerfGE 49, 89 (131).

B. Normative Grundentscheidung in § 1 AtG

79

B. Normative Grundentscheidung in § 1 A t G : Schutz- und Förderungszweck

Der Gesetzgeber hat die normative Grundentscheidung für die friedliche Nutzung der Atomenergie in § 1 AtG getroffen. Zugleich hat er durch Vorschriften im Atomgesetz — im Blick auf die Unabdingbarkeit größtmöglichen Schutzes vor den Gefahren der Kernenergie — die Grenzen der Nutzung bestimmt68. Als Eckdaten für Zulassung und Grenzen der friedlichen Nutzung der Kernenergie hat der Gesetzgeber den Förderungszweck (§ 1 Nr. 1 AtG) und den Schutzzweck (§ 1 Nr. 2 und 3 AtG) 69 vorgegeben. Diese Zweckbestimmungen können bei der teleologischen Auslegung der übrigen Vorschriften des Atomgesetzes herangezogen werden. I. Verfassungsrechtlicher Hintergrund

Der Schutzzweck wird grundrechtlich abgestützt durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Leben, Gesundheit)70 und Art. 14 GG (Sachgüter). Beim Förderungszweck ist im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Hintergrund zu differenzieren. Soweit die Kernenergie zur Energiegewinnung genutzt wird, sind Art. 12 und 14 GG für den Betreiber der kerntechnischen Anlage71 und das Sozialstaatsprinzip (ausreichende Energieversorgung) im Spiel. Bezieht man das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht nur auf die physische Existenz, sondern auch auf die zum Lebensunterhalt nötigen Mittel 72 , dann tritt auf der Seite des Förderungszwecks auch noch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als grundrechtliche Abstützung hinzu. Bei dieser Betrachtungsweise stehen „im Dilemma von Vergiftungs- und Verarmungsrisiko nicht einfach Leben und körperliche Unversehrtheit gegen bloß sekundäre wirtschaftliche Vorteile" 73, sondern Art. 2 Abs. 1 Satz 2 GG steht sowohl auf Seiten des Schutzais auch des Förderungszwecks. Das Atomgesetz regelt zwar hauptsächlich die Verwendung von Kernbrennstoffen zur Energiegewinnung, schafft in seinen §§ 1,11,12,26 Abs. 4 und 5 sowie § 54 aber zugleich auch die Rechtsgrundlage für die gesamte, nicht mit der Energiegewinnung zusammenhängende Nukleartechnik (ζ. B. in Forschung und Heilkunde)74. Soweit die Kernenergie zu Forschungs- oder medizinischen Zwecken in Diagnostik und Therapie genutzt wird, ist der Förderungszweck 68

So ausdrücklich BVerfGE 49, 89 (129). Hofmann, Entsorgung, S. 84. Vgl. BVerfGE 49, 89 (138). 70 BVerfGE 49, 89 (141); Degenhart, Kernenergierecht, S. 144ff. 71 Vgl. BVerfGE 49, 89 (144). Einschränkend: Degenhart, Kernenergierecht, S. 184ΙΓ. 72 So Hofmann, Entsorgung, S. 77 m.w.N. Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2, Rnrn. 26 f. 73 Hofmann, Entsorgung, S. 77. 74 Hofmann, Entsorgung, S. 77. 69

80

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

verfassungsrechtlich in mehrfacher Hinsicht abgestützt: durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Leben und Gesundheit der Patienten), durch Art. 5 Abs. 3 GG (Forschung)75, durch Art. 12 und 14 GG (beruflicher Umgang mit und Eigentum an medizinischen Einrichtungen) und durch das Sozialstaatsprinzip (ausreichendes Gesundheitswesen). II. Vorrang des Schutzzwecks

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts76 hat der Schutzzweck des Atomgesetzes, obwohl er in § 1 AtG erst an zweiter Stelle genannt wird, Vorrang vor dem Förderungszweck. Angesichts des verfassungsrechtlichen Rangs der potentiell betroffenen Rechtsgüter besteht über den Vorrang kein Streit 77. Umstritten ist aber, ob und in welchem Umfang der Förderungszweck neben dem Schutzzweck zu berücksichtigen ist. Bei strikter Beachtung des Vorrangs des Schutzzwecks hätte jegliche Nutzung der Kernenergie eingestellt werden müssen78, der Förderungszweck also keinen Raum. Der Gesetzgeber hat das Spannungsverhältnis zwischen den von ihm selbst geschaffenen, nicht zielkonformen Zweckbestimmungen offengelassen und seine Lösung auf die Exekutive im Rahmen deren Gesetzesanwendung übertragen; d. h. bevor die Exekutive die Zweckbestimmungen des § 1 Nr. 1 und 2 AtG für die teleologische Auslegung eines Rechtsbegriffs einer anderen Vorschrift des Atomgesetzes heranzieht, muß sie den vom Gesetzgeber nicht geklärten und unausgeglichenen Widerspruch zwischen Schutz- und Förderungszweck selbst lösen. Dadurch ist die von § 1 AtG erwartete Funktion als bindende Richtschnur für die Ausfüllung durch spätere Rechtsverordnungen und für die Ausführung durch die Verwaltungsbehörden sowie für die Auslegung und Anwendung des Gesetzes überhaupt79 erschwert, wenn nicht vereiteilt; denn wenn der Verordnungsgeber oder Gesetzesanwender über die Rangfolge der gesetzlichen Ziele selbst befinden muß, entbehrt sie nicht des Verdachts der Relativität80. Nicht nur § 1 AtG läßt das Spannungsverhältnis zwischen Schutz- und Förderungszweck ungelöst, auch die übrigen Bestimmungen des Atomgesetzes klären das Spannungsverhältnis nicht. Zwar durchzieht der Schutzzweck das gesamte Atomgesetz; aber auch der Förderungszweck findet in Bestimmungen außerhalb des § 1 AtG seinen Niederschlag. Dies läßt sich mit der folgenden Gegenüberstellung belegen. 75

Vgl. Fischerhof, Atomgesetz, § 1 AtG, Rnr. 3. Urt. v. 16. 3. 1972 — I C 49.70 —, DVB1. 1972, 678 (680) (Würgassen). 77 Degenhart, Kernenergierecht, S. 33 m.w.N.; Sellner, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 368; Winters, Atom- und Strahlschutzrecht, S. 15; BVerfGE 53, 30 (58) m.w.N. 78 So Hofmann, Entsorgung, S. 227. 79 So Fischerhof, Atomgesetz, § 1 AtG, Rnr. 1. 80 So auch Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 16. 76

Β. Normative Grundentscheidung in § 1 AtG

81

Ausdruck des Schutzzwecks sind u.a.: — das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für den Umgang mit Kernbrennstoffen (§§ 3-7, 9 AtG) 81 ; — die gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen für Schutzmaßnahmen (§12 AtG); — die Deckungsvorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen (§ 13 AtG); — die nachträglichen Auflagen zur Erreichung der in § 1 Nr. 2 und 3 bezeichneten Zwecke (§17 Abs. 1 Satz 3 AtG); — die Rücknahme und der Widerruf von Genehmigungen (§17 Abs. 2 und 3 AtG); — die staatliche Aufsicht nach Genehmigungserteilung (§19 AtG); — die Haftung des Inhabers der Kernanlage (§ 25 ff. AtG). Ausdruck des Förderungszwecks sind u.a.: — das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (§ 3-7, 9 AtG), das nicht nur Schutzfunktion hat, indem es private Tätigkeit staatlicher Kontrolle unterwirft, sondern auch Förderungsfunktion, indem es das Feld der friedlichen Nutzung der Kernenergie der Privatwirtschaft konstitutiv eröffnet 82. Daran ändert auch § 5 AtG nichts, der auf den ersten Blick ein staatliches Verwahrungsmonopol für Kernbrennstoffe einzurichten scheint. Die Ausnahmen in § 5 Abs. 2 AtG zugunsten privater Verwahrung sind nämlich derart umfassend, daß noch kein Fall der staatlichen Verwahrung gemäß § 5 AtG eingetreten, d. h. das normativ angestrebte Regel-Ausnahme-Verhältnis in Wirklichkeit auf den Kopf gestellt worden ist 83 ; — die gebundene Entscheidung über die Genehmigungserteilung („ist zu erteilen") (§§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2, 6 Abs. 2 AtG); — die Entschädigung bei Rücknahme oder Widerruf einer erteilten Genehmigung (§ 18 AtG); — die Haftungshöchstgrenzen (§31 AtG). Zwar läßt die vorstehende Gegenüberstellung eine klare Betonung des Schutzzwecks durch den Gesetzgeber erkennen, gleichwohl bleibt aber die Abgrenzung zum Förderungszweck unklar. Läßt der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis zwischen Schutz- und Förderungszweck ungeklärt, enthält er sich gleichzeitig der gesetzlichen Festlegung der Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko84. Deswegen werden vom Gesetzgeber zunehmend Angaben über das 81

BVerfGE 49, 89 (145); BT-Ds. III/759, S. 19; Mahlmann, Ermessen, S.270; Kimminich, Atomrecht, S. 78. 82 Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 16; Degenhart, Kernenergierecht, S. 184; vgl. auch Mahlmann, Ermessen, S. 270, Fußn. 1. Zum Zustand vor Inkrafttreten des Atomgesetzes: vgl. Kimminich, Atomrecht, S. 33f. 83 Vgl. Kimminich, Atomrecht, S.48f. 84 s. hierzu im einzelnen unter Vierter Teil A. 6 Luckow

82

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

Maß der Sicherheit im Verhältnis zum Förderungszweck des Atomgesetzes verlangt, wozu er nach den rechtsstaatlichen Prinzipien normativer Klarheit und Widerspruchsfreiheit verfassungsrechtlich angehalten sei85. Dieses Verlangen kann in die Forderung münden, zulässige Risikoexpositionen gesetzlich verbindlich vorzugeben86, d.h. das zumutbare (Rest)risiko gesetzlich festzulegen 87. In Kreisen der Naturwissenschaft wird bereits vorgeschlagen, das zumutbare Risiko, das jedem Staatsbürger aufgebürdet werden dürfe, mit fünf Todesfällen pro Million Betroffener jährlich zu quantifizieren 88. Gleich, ob Gesetzgeber oder Exekutive über das Verhältnis zwischen Förderungs- und Schutzzweck zu entscheiden haben, in beiden Fällen geht es wegen der grundrechtlichen Absicherung der potentiell betroffenen Rechtsgüter — materiell — um die Lösung von Grundrechtskollisionen. Für sie gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Prinzip des schonendsten Ausgleichs, d.h. die Kollision soll dergestalt beseitigt werden, daß keines der kollidierenden Grundrechte völlig zurücktreten muß89. Da die Förderungsfunktion des Atomgesetzes (auch) schon darin besteht, die friedliche Nutzung der Kernenergie der Privatwirtschaft zu überlassen und sie nur zum Schutz gegen die nuklearen Gefahren staatlicher Kontrolle zu unterwerfen 90, und da diese Funktion durch den Erlaß des Atomgesetzes bereits erfüllt worden ist, ist der Förderungszweck im übrigen im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Leben und körperliche Unversehrtheit) subsidiär. Erst wenn dem Schutzzweck voll Genüge getan ist, kann der Förderungszweck im übrigen zum Zuge kommen91.

C. Offenheit des Atomgesetzes

Innerhalb des Rahmens von Schutz- und Förderungszweck hat der Gesetzgeber die Zulassung des Umgangs mit Kernbrennstoffen in §§ 3ff. AtG zu regeln versucht.

85

Hofmann, Entsorgung, S. 89 f., 228, 232. L. Rausch, Das zumutbare Risiko, S. 171 (174). 87 Laufs, 4. Referat, S. 137 (139); Smidt, Sicht des Technikers, S. 39 (41). 4 88 L. Rausch, Das zumutbare Risiko, S. 171 (177). Smidt, Sicht des Technikers, S. 39 (41) zitiert einen ungenannten Juristen: „Der Gesetzgeber müßte dann soundsoviel Menschen mit einer Wahrscheinlichkeit von 10" 5 zum Tode verurteilen". 89 BVerfGE 35, 202 (225) und 39, 1 (43). Vgl. auch Marburger, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 64. 86

90 Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 16; Degenhart, Kernenergierecht, S. 184; vgl. auch Mahlmann, Ermessen, S. 270, Fußn. 1. Vgl. BT-Ds. III/759, S. 18, Fischerhof Atomgesetz, § 1 Rnr. 3. 91 Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 16.

C. Offenheit des Atomgesetzes

83

I. Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensvorschriften

Da der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis zwischen Schutz- und Förderungszweck in § 1 AtG offengelassen hat 92 , hat er sich bei den einzelnen Zulassungsregelungen — zwangsläufig — unbestimmter Rechtsbegriffe bedient und darüber hinaus einige Genehmigungsvorschriften (§§ 7 Abs. 2, 9 Abs. 2 AtG) als Ermessensvorschriften ausgestaltet. Die aus § 1 AtG resultierende Unklarheit über die Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko zieht sich damit über die unbestimmten Rechtsbegriffe und die Ermessens vor Schriften auch in das übrige Atomgesetz hinein. Die unbestimmten Rechtsbegriffe sind sowohl bei den Anlagenbegriffen als auch bei den jeweiligen Genehmigungsvoraussetzungen zu finden. Die Anlagenbegriffe sind technologieoffen gefaßt 93 ; vgl. ζ. B. — — — —

die Anlagen zur Aufbewahrung in §§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 6 Abs. 1, die Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1, die Anlagen zur sonstigen Verwendung in § 9 Abs. 1 und die Anlagen zur Zwischen- und Endlagerung in § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG.

In der Übersicht auf Seite 84/85 ist dargestellt, mit welchen unbestimmten Rechtsbegriffen die jeweiligen Genehmigungsvoraussetzungen in den einzelnen Bestimmungen umschrieben sind. II. Verordnungsermächtigungen

Eine weitere Konsequenz des in § 1 AtG ungelösten Spannungsverhältnisses zwischen Schutz- und Förderungszweck sind die zahlreichen Verordnungsermächtigungen des Atomgesetzgebers an die Exekutive. Da der Gesetzgeber die Festlegung der Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko94 in § 1 AtG vermieden hat, mußte er sich zwangsläufig bei den Beschaffenheitsanforderungen detaillierter Regelungen enthalten, d.h. den zentralen, von einem Atomgesetz zu erwartenden Regelungsbereich offenlassen. So hat sich der Gesetzgeber damit begnügt, einerseits in § 12 AtG zu Schutzmaßnahmen durch Rechtsverordnungen zu ermächtigen und andererseits in § 10 AtG Ausnahmen von den gesetzlichen Vorschriften der §§3-7 und 9 AtG durch Rechtsverordnung zuzulassen, d.h. Ausnahmen sowohl hinsichtlich des Anlagenbegriffs als auch der Genehmigungsvoraussetzungen. Kritisch gefragt werden muß, ob bei einem ungelösten Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Zwecken — wie hier in § 1 AtG — der zum Verordnungserlaß ermächtigende Gesetzgeber seiner aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG resultierenden Verpflichtung nachkommen kann, den Zweck der erteilten 92 93 94

6*

s. hierzu oben Zweiter Teil Β. II. Vgl. BVerfGE 49, 89 (102). s. hierzu im einzelnen unten Vierter Teil A.

\

Art der Anlage bzw. Art des \ Umgangs \ \ \ \ \

\

\

1

1

§ 7 II Nr.

1

1

§ 4 II Nr.

§5 I 2

§ 6 II Nr.

1

1

§ 9 II Nr.

1

1 1

1

1 1

1

1

1

en

1

Landessammelste

§ 9b III 1 § 9c i.V.m. i.V.m. § 7 II Nr.; § 9 11 §9b III 2 Nr. Nr.

Anlagen zur externe Beför- staatl. VerAufbewahrung sonstige Ver- Anlagen des Erzeugung, derung von Währung von von Kernwendung von Bundes zur ge yerarbei_ KernbrennKernbrennbrennstoffen KernbrennSicherstellung tung, Spaltung Stoffen Stoffen außerhalb Stoffen und Endlageu. Aufarbeistaatl. Verrung tung von wahrung KernbrennStoffen

erforderliche Fachkunde verantwortlicher Personen

Zuverlässigkeit — des Antragstellers — verantwortlicher Personen 1

Genehmigungsvoraus\ Setzungen \

\

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

5

6

erforderlicher Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter

kein Entgegenstehen überwiegender öffentlicher Interessen

gebundene Entscheidung Ermessensentscheidung

Wohl der Allgemeinheit

+

3

nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch jeweilige Anlage

Bedürfnis

2

notwendige Kenntnisse sonst tätiger Personen

6

5

3

2

+

+

+

4

2

+

+

5

3

6

2

+

5

3

6

2

+

5

3

1

6

2

+

C. Offenheit des Atomgesetzes 85

86

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

Ermächtigung im Gesetz hinreichend zu bestimmen. Dies ist wohl zu verneinen; denn läßt er das Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Zwecken in der grundlegenden Norm (§ 1 AtG) offen, ist er wohl auch bei der Verordnungsermächtigung nicht in der Lage, dem Verordnungsgeber eine widerspruchsfreie und damit hinreichende Zweckbestimmung vorzugeben. Daher bezweifeln einige Stimmen im Schrifttum die Vereinbarkeit der atomgesetzlichen Verordnungsermächtigungen mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG 95 . Derartige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der atomgesetzlichen Verordnungsermächtigungen lassen sich unter Umständen aber durch eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Ermächtigungen beseitigen96. III. Folgen der Offenheit des Atomgesetzes

Da der Atomgesetzgeber in § 1 AtG sich widersprechende Ziele vorgegeben hat, ohne deren Spannungsverhältnis zu klären, und im übrigen Gesetz zwangsläufig mit unbestimmten Rechtsbegriffen, Ermessensvorschriften und Verordnungsermächtigungen arbeiten mußte, hat er die Festlegung der Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko auf den Anwender des Atomgesetzes, die Exekutive, abgewälzt. Somit müssen die Exekutive und — soweit es zu Rechtsstreitigkeiten kommt — auch die Judikative das Regelungsdefizit der normativen Ebene ausgleichen97. Theoretisch müßte die Exekutive zunächst das Spannungsverhältnis zwischen Schutzund Förderungszweck lösen, bevor sie von den Verordnungsermächtigungen oder dem eingeräumten Ermessen Gebrauch macht bzw. die unbestimmten Rechtsbegriffe ausfüllt. Praktisch ist dies aber ein einheitlicher, wechselbezüglicher Vorgang. Die unbestimmten Rechtsbegriffe kann die Exekutive entweder durch Rechtsverordnungen (bei vorhandener Ermächtigung) bzw. durch Verwaltungsvorschriften (Art. 87c i.V. mit Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG) oder — soweit dies nicht geschieht — im Rahmen der Einzelfallentscheidung ausfüllen. Die eigentliche Entscheidung über die Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko98 fällt somit nicht auf der Ebene des Atomgesetzes, sondern auf den nachgeordneten Ebenen der Rechtsverordnung und der Verwaltungsvorschrift oder sogar erst im Rahmen der Einzelfallentscheidung 99.

95 96 97 98 99

Vgl. Lecheler, ZRP 1977, 241 (245 f.). Dazu s. unten Fünfter Teil B. So ausdrücklich BVerfGE 49, 89 (135). s. hierzu im einzelnen unten Vierter Teil A. s. hierzu im einzelnen unten Vierter Teil D.

C. Offenheit des Atomgesetzes

87

IV. Gründe für die Offenheit des Atomgesetzes

Ein Grund für die Offenheit des Atomgesetzes war das Bewußtsein des Gesetzgebers über seinen unzureichenden Erkenntnis- und Erfahrungszustand in der Nukleartechnologie. 1. Kommerzieller Betrieb von Kernkraftwerken

Dem Gesetzgeber waren — theoretisch — zwar wesentliche Stationen des Brennstoffkreislaufs wie Konversion, Anreicherung, Brennelement-Herstellung, Kernkraftwerk und Wiederaufarbeitung 100 bekannt; dies ergibt sich aus der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Atomgesetzes101. Praktische Erfahrungen aus dem kommerziellen Betrieb deutscher Kernkraftwerke lagen dem Atomgesetzgber während des Gesetzgebungsverfahrens hingegen nicht vor. Das Atomgesetz vom 23.12.1959 trat am 1.1.1960 in Kraft, während das erste kommerzielle deutsche Kernkraftwerk (VAK, Kahl) erst am 30.11. 1960 in Betrieb ging 102 . Weltweit wurden bis zum Inkrafttreten des Atomgesetzes nur zwei französische (seit 1958 bzw. 1959), zwei britische (seit 1956 bzw. 1958) und ein sowjetisches Kernkraftwerk (seit 1958) kommerziell betrieben, mit (geringen) Leistungen zwischen 40 und 100 MWe 103 . Detaillierte Gefahrenbeurteilungen leistungsstärkerer kommerzieller Anlagen waren dem Atomgesetzgeber daher nicht möglich104. Seines unzureichenden Erkenntnis- und Erfahrungsstands 105 war sich der Gesetzgeber durchaus bewußt. Er wußte, daß er mit der Kodifizierung des Rechts der Kernenergie Neuland betrat 106. Daher änderte er die ursprünglich als gebundene Entscheidung konzipierte Genehmigung gem. § 7 Abs. 2 AtG während des Gesetzgebungsverfahrens in eine Ermessensentscheidung um, um der Exekutive die Möglichkeit zu geben, die Genehmigung zu versagen, wenn besondere, nach dem damaligen Stand der Erkenntnisse noch nicht vorhersehbare und deshalb in den Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG nicht erfaßte Umstände dies gebieten107. Mit der Ermessensvorschrift in § 7 Abs. 2 AtG hat der Atomgesetzgeber somit eine Sicherheitsreserve eingebaut, um „besondere und unvorhergesehene Umstände"108 abdecken zu können.

100 101 102 103 104 105 106 107 108

Vgl. Anhang I, Abb. 3. s. BT-Ds. III/759, S.22f. Bundesminister des Innern, Umwelt Nr. 93 v. 21.12. 1982, S. 19. Koelzer, Lexikon, S. 183 f., 186. Vgl. Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 14. So wörtlich BVerfGE 49, 89 (146). Vgl. BT-Ds. III/759, S. 50. So ausdrücklich BT-Ds. III/759, S. 59. Vgl. BVerfGE 49, 89 (147).

88

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie 2. Schneller Brutreaktor

Auch im Hinblick auf Technologie und Folgewirkungen des Schnellen Brutreaktors 109 war und ist sich der Gesetzgeber seines unzureichenden Erkenntnisstandes bewußt. Daher setzte er 1978 eine Enquete-Kommission110 ein, die Empfehlungen zur Inbetriebnahme des Prototyps SNR 300 in Kalkar und zur großtechnischen Einführung der Brutreaktortechnologie erarbeiten sollte, damit er die endgültigen Entscheidungen über beide Fragen „auf einer besseren Wissensbasis" treffen könne111. 3. Beseitigung radioaktiver Abfalle

Auch hinsichtlich der Beseitigung radioaktiver Abfälle war sich der Atomgesetzgeber seines unzureichenden Kenntnisstandes bewußt, denn in diesem Bereich unterließ er zunächst jede Regelung, obgleich ihm das Beseitigungserfordernis zumindest im Ansatz bekannt war. Er selbst spricht nämlich von „stark radioaktiven Spaltprodukten", die bei der Wiederaufarbeitung anfallen 112. Auch konnten ihm die Versenkungen radioaktiver Abfälle im Meer durch die USA (ab 1946) und Großbritannien (ab 1952)113 kaum verborgen geblieben sein. Auf jeden Fall ist dem deutschen Atomgesetzgeber das Beseitigungserfordernis durch Art. 25 des Übereinkommens vom 29.4. 1958 über die Hohe See114 und Art. 37 Abs. 1 Euratomvertrag vom 25. 3.1957115 bekannt geworden. Art. 25 des Übereinkommens regelt das Versenken radioaktiver Abfälle, Art. 37 Euratomvertrag die Ableitung radioaktiver Stoffe aller Art, worunter auch die Beseitigung von Abfällen zu verstehen ist 116 . Insofern bedarf die Behauptung, der Gesetzgeber habe das Problem der Beseitigung radioaktiver Abfälle bei der Schaffung des Atomgesetzes in den Jahren 1956-1959 verkannt 117, der Differenzierung. Das Beseitigungserfordernis war ihm — wie dargelegt — im Ansatz bekannt. Dagegen hatte er keine Kenntnisse über die technischen Möglichkeiten der Beseitigung. Deswegen ließ er im Atomgesetz vom 23.12. 1959 hinsichtlich der Beseitigung radioaktiver Abfälle eine Lücke. Erst nach Beginn der Versuchsendlagerungen schwach- und 109

Vgl. hierzu oben Erster Teil B. und C. Vgl. hierzu oben Zweiter Teil A.IV. 1. 111 So wörtlich BT-Ds. 8/2370, S. 4f.; s. dazu BT-Plenarprotokoll 8/125, S. 9836 (C). Vgl. auch BT-Ds. 8/2628. 112 BT-Ds. III/759, S. 23. 113 s. Fischer hof, Atomgesetz, § 9a AtG, Rnr. 14. 110

114

BGBl. 1972 I I S. 1089, für die Bundesrepublik in Kraft seit dem 25. 8. 1973, BGBl. 1975 I I S. 843. 115 BGBl. I I S. 1014, ber. S. 1678. 116 Fischerhof, Atomgesetz, § 9a AtG, Rnr. 15. 117 So Hofmann, Entsorgung, S. 22.

D. Generelle Akzeptanz des nuklearen Risikos durch Gesetzgeber?

89

mittelaktiver Abfälle im Salzbergwerk Asse II in den Jahren 1967 bzw. 1972118, d.h. erst nachdem sich Beseitigungstechnologien abzeichneten, regelte der Gesetzgeber durch das 4. Änderungsgesetz vom 30. 8.1976119 u. a. in den §§ 9 a - c AtG die Verwertung und Beseitigung radioaktiver Abfälle. 4. Zeitliche und mengenmäßige Dimension des Brennstoffkreislaufs

Neben den Bereichen, in denen sich der Gesetzgeber seines unzureichenden nuklearen Erkenntnis- und Erfahrungsstands bewußt war 120 , gab es Bereiche, in denen ihm dieses Bewußtsein völlig fehlte. So ist z.B. nirgends ersichtlich, daß er bei der Schaffung des Atomgesetzes Probleme hinsichtlich der zeitlichen und mengenmäßigen Dimension des nuklearen Brennstoffkreislaufs 121, insbesondere der Zeitdauer und des Umfangs der Endlagerung122 sowie der vorangehenden Zwischenlagerung123 für möglich erachtet hatte.

D . Generelle Akzeptanz des nuklearen Risikos durch Gesetzgeber?

Häufig anzutreffen ist die Behauptung, mit der normativen Grundentscheidung für die friedliche Nutzung der Kernenergie in § 1 AtG 1 2 4 habe der Gesetzgeber zugleich das Risiko der Kernenergie generell akzeptiert 125. Diese Betrachtungsweise basiert — zumeist unausgesprochen — auf der Annahme, keine Technik sei ohne Risiko 126 . Daß diese Annahme zumindest in dieser Allgemeinheit unzutreffend ist, sei am Beispiel des Fingerhuts demonstriert. Technik wird definiert als Nutzung von Mitteln zur Erreichung eines Ziels127. Die Nutzung des Fingerhuts (Mittel) dient dem Ziel, das Nähen mit der Nadel zu erleichtern, insbesondere die Nadel durch dicke Stoffe zu bringen, und ist somit Technik im Sinne der Definition. Die Nutzung des Fingerhuts ist aber — wohl unbestritten — ohne Risiko, so daß die obige Annahme widerlegt ist. Fraglich bleibt freilich, inwieweit ein nicht bestimmungsgemäßer Einsatz der Mittel (z.B. Verschlucken eines herumliegenden Fingerhuts durch ein Kleinkind) in die Betrachtung mit einbezogen werden muß. 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

s. oben Erster Teil A. III. 8. g) aa) (4) (a). BGBL I S. 2573. s. oben Zweiter Teil C.IV. 1. bis 3. Vgl. Erster Teil A.III. 5.a)ee). s. oben Erster Teil A. III. 8. i) und j). s. oben Erster Teil A. III. 8. j) dd) und 9. s. oben Zweiter Teil B. Degenhart, Kernenergierecht, S. 117. Vgl. Birkhoferl Lindackers, Technik und Risiko, S. 97 (98). Birkhof er / Lindackers, Technik und Risiko, S. 97.

90

2. Teil: Grundsatzentscheidungen über Zulässigkeit der Kernenergie

Die eingangs erwähnte Behauptung bedarf jedoch auch noch aus rechtlichen Gründen der Differenzierung und Korrektur. Mit der normativen Grundentscheidung zugunsten der friedlichen Nutzung der Kernenergie in § 1 AtG ist eine generelle Akzeptanz des nuklearen Risikos durch den Gesetzgeber nicht notwendigerweise verbunden. Dies ergibt sich zum einen aus der beschriebenen Offenheit des Atomgesetzes; denn auch und gerade bezüglich der Risikoakzeptanz ist das Atomgesetz offen. Das Gesetz trifft nicht selbst die Bestimmungen darüber, welches Restrisiko für die Erteilung einer Genehmigung noch hingenommen werden darf. Das Gesetz überläßt es damit weithin der Exekutive, sei es im Wege der Rechtsverordnung, sei es bei der Einzelentscheidung über eine Anlage, über Art und insbesondere über das Ausmaß von Risiken, die im Einzelfall hingenommen oder nicht hingenommen werden, zu befinden 128. Überläßt der Gesetzgeber die Akzeptanz des Risikos der Exekutive, was auch zur Versagung der Genehmigung einer kerntechnischen Anlage führen kann, so hat er sich in seiner Grundentscheidung gerade jeglicher Risikoakzeptanz enthalten. Zum anderen spricht gegen eine generelle Risikoakzeptanz durch den Gesetzgeber, daß er die Zulassung der friedlichen Nutzung der Kernenergie offensichtlich nicht als Eingriff in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verstanden hat; denn er hat dieses Grundrecht unter dem Gesichtspunkt des Risikos im Atomgesetz gerade nicht gem. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich eingeschränkt129. Daß der Gesetzgeber dies nicht versehentlich unterlassen hat, belegen § 12 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 19 Abs. 2 Satz 4 AtG, in denen er seiner Zitierpflicht nachgekommen ist. Hat er somit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bewußt nicht eingeschränkt, kann zumindest von einer generellen Risikoakzeptanz keine Rede sein. Auch die Haftungsvorschriften (§ 25 ff. AtG) sprechen nicht für eine generelle Akzeptanz des Risikos. Sie belegen zwar, daß sich der Gesetzgeber des nuklearen Risikos bewußt war (vgl. insbesondere §§28-30 AtG) 1 3 0 ; dies heißt aber nicht zwingend, daß er es auch akzeptiert hat. Er hat zum einen vielmehr eine Sicherung für denn Fall schaffen wollen, daß die Exekutive ein Restrisiko hingenommen hat, das sich schließlich realisiert. Darin steckt gerade keine eigene Akzeptanz des Gesetzgebers. Zum anderen hat er mit den Haftungsvorschriften zulasten des Inhabers der Kernanlage der Subsidiarität der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. i.V. mit Art. 34 GG) zur Wirkung verhelfen wollen. Auch dies bedeutet keine Akzeptanz.

128

So wörtlich BVerfGE 49, 89 (138). Vgl. BVerfGE 49, 89 (141). 130 BVerfGE 49, 89 (143) leitet dieses Bewußtsein des Gesetzgebers daraus ab, daß dieser den Schutzzweck ausdrücklich in das Atomgesetz aufgenommen hat (§ 1 Nrn. 2 und 3 AtG). 129

E. Ergebnis

91

Im übrigen hat der Begriff der generellen Akzeptanz des Risikos eher politische als rechtliche Aussagekraft und Bedeutung. Die „generelle Akzeptanz des Risikos" hilft bei der konkreten Entscheidung über das akzeptable Maß an verbleibendem Risiko nicht weiter und ist daher rechtlich entbehrlich. Deswegen vermeidet das Bundesverfassungsgericht diesen Begriff und kommt daher auch nicht zu dem Schluß, daß die normative Grundentscheidung für die Nutzung der Kernenergie die „Zulassung damit notwendig verbundener Risiken" beinhalte 131 . E. Ergebnis

Der Verfassungsgeber hat mit der Zuständigkeitsnorm des Art. 74 Nr. I I a GG die Entscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie dem Gesetzgeber übertragen. Dieser hat in § 1 AtG die normative Grundentscheidung zugunsten der Nutzung getroffen, die Akzeptanz des nuklearen Risikos aber offengelassen und damit auf die Exekutive verlagert.

131

So aber — unter insoweit unrichtiger Berufung auf BVerfGE 49, 89, (126ff., 137 ff., 141) — Degenhart, Kernenergierecht, S. 117, Fußn. 37.

Dritter

Teil

Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz A. Überblick

Sicherheitsrechtliche Anforderungen an nukleare Anlagen werden normativ dadurch festgelegt, daß zunächst der Kreis der genehmigungsbedürftigen Vorhaben und schließlich die Voraussetzungen für deren Genehmigungsfähigkeit bestimmt werden. Schon bei der Frage der Genehmigungsbedürftigkeit wird sich der Normgeber von Sicherheitsaspekten leiten lassen. In den Kreis genehmigungsbedürftiger Vorhaben wird er die Vorhaben aufnehmen, von denen nach seiner Einschätzung Gefahren ausgehen können. Mit der Feststellung der Genehmigungsbedürftigkeit wird somit der äußere Rahmen des materiellen nuklearen Sicherheitsrechts abgesteckt. Innerhalb dieses Rahmens kann der Normgeber dann je nach Art des Vorhabens unterschiedliche Voraussetzungen für die Genehmigungsfähigkeit postulieren. Die Genehmigungsbedürftigkeit nuklearer Vorhaben wird durch Anlagendefinitionen, deren Genehmigungsfähigkeit durch Genehmigungsvoraussetzungen festgelegt. Die Definition des Anlagenbegriffs entscheidet über Art und Umfang des Genehmigungsgegenstands und damit über die Reichweite der Genehmigung.1 Die bereits geschilderte Offenheit des Atomgesetzes hinsichtlich der Anlagenbegriffe 2 kann allerdinds dazu führen, daß die normative Definition des Anlagenbegriffs die Art (Typ, Technologie) und den Umfang der Anlage ausspart.3 Die aus der Offenheit des Atomgesetzes resultierenden Unklarheiten erstrecken sich also nicht nur auf die Genehmigungsvoraussetzungen (Genehmigungsfähigkeit)4, sondern auch auf die Anlagenbegriffe (Genehmigungsbedürftigkeit), somit auf beide Elemente sicherheitsrechtlicher Anforderungen. Anders als in § 3 Abs. 5 BlmSchG gibt es im Atomgesetz keinen einheitlichen Anlagenbegriff. Eine Mehrzahl von nuklearen Vorhaben ist im Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG zusammengefaßt. Daneben gibt es folgende Anlagenbegriffe:

1 2 3 4

Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 21. s. oben Zweiter Teil C. I. So z.B. § 7 I AtG. s. dazu unten Dritter Teil C. s. dazu unten Vierter Teil.

Β. Legaldefinition der Kernbrennstoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG)

— § 9 Abs. 1 AtG: — §§5 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 AtG: — § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG:

93

Anlagen zum Umgang mit Kernbrennstoffen außerhalb von Anlagen i.S. d § 7 Abs. 1; Anlagen zur Aufbewahrung von KernbrennStoffen; Anlagen zur Zwischen- und Endlagerung sowie zur Sicherstellung radioaktiver Abfalle.

B. Legaldefinition der Kernbrennstoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 A t G )

Bei allen erwähnten Anlagenbegriffen wird der Begriff des Kernbrennstoffs vorausgesetzt. Er ist in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG legaldefiniert. Die unter lit. a) bis e) dieser Bestimmung aufgeführten Kernbrennstoffe sind zum Teil natürliche, zum Teil künstliche5. L Lit. a)

Plutonium-239 kommt in der Natur in uranhaltigen Mineralien (Pechblende, Carnotit) in extrem kleinen Mengen vor: ein Atom Plutonium auf eine Billion und mehr Atome Uran. 6 Ansonsten wird Plutonium-239 künstlich erzeugt, indem Uran-238 in einem Reaktor ein Neutron einfängt und seinem Kern anlagert7. Plutonium-241 (lit. a) entsteht künstlich durch mehrfachen Einfang von Neutronen aus Uran-238.8 II. Lit. b)

Uran-233 wird — ebenfalls künstlich — durch Neutroneneinfang aus Thorium-232 erzeugt.9 III. Lit. c)

Auch „mit Isotopen 235 oder 233 angereichertes Uran" kann nur auf künstlichem Wege hergestellt werden; laut Legaldefinition am Ende des §2 Abs. 1 Nr. 1 AtG handelt es sich hierbei um „Uran, das die Isotope 235 oder 233 oder diese beiden Isotope in einer solchen Menge enthält, daß das Verhältnis der Summe dieser beiden Isotope zum Isotop 238 größer ist als das in der Natur auftretende Verhältnis des Isotops 235 zum Isotop 238". 5 6 7 8 9

Vgl. BT-Ds. III/759, S. 19. Koelzer, Lexikon, S. 100 („Plutonium"). BT-Ds. III/759, S. 19; s. erster Teil A.II. Vgl. Fischerhof, Atomgesetz, § 2 AtG, Rnr. 4. BT-Ds. III/759, S. 19.

94

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Im natürlichen Uran sind 99,3% Uran-238 und 0,7% Uran-235 enthalten.10 Für den Einsatz in Leichtwasserreaktoren muß der geringe Anteil des Uran-235 von 0,7% auf ca. 3% erhöht werden11. Das Verhältnis des Isotops 235 zum Isotop 238 ist dann größer als das in der Natur auftretende Verhältnis, so daß es sich um „mit Isotopen 235 ... angereichertes Uran" i.S. des lit. c) handelt. IV. Lit. d)

Da uranhaltige Mineralien Plutonium-239 enthalten12, könnten sie — im Rahmen einer wörtlichen Auslegung — Kernbrennstoffe i. S. d. lit. d) sein. Der Gesetzgeber hat aber in seiner Begründung zu § 2 AtG 13 klargestellt, daß lit. d) nur Stoffe erfassen soll, die die Stoffe der lit. a) bis c) in Mengen enthalten, „die die Ausbeute noch wirtschaftlich machen, das heißt, in wägbaren Mengen". Den geringen Anteil des Plutonium-239 in uranhaltigen Mineralien von 1:1011 betrachtet der Gesetzgeber als „nicht mehr wägbare Menge". Diese nur durch historische Auslegung zu ermittelnde Einschränkung hätte der Gesetzgeber aus Gründen der rechtsstaatlichen Tatbestandsklarheit in den Wortlaut des lit. d) aufnehmen sollen. Unabhängig davon, ob diese Einschränkung im Gesetzestext selbst oder in der -begründung piaziert ist, bleibt zu bedenken, daß hier — im Gegensatz zu lit. a) bis c) und zu lit. e) — Kernbrennstoffe nicht mehr exakt naturwissenschaftlich, sondern auch wirtschaftlich definiert werden; denn der Gesetzgeber versteht den Begriff der wägbaren Menge als wirtschaftlich gewichtig und nicht als technisch (noch) wägbar. Diese wirtschaftliche Definition erfordert aber — im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Definitionen — eine Bewertung. Insoweit stellt die erwähnte Einschränkung einen Bruch im System des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG dar. V. Lit. e)

Uran und uranhaltige Stoffe der natürlichen Isotopenmischung, d.h. mit 99,3% Uran-238 und mit 0,7% Uran-235, sind gem. lit. e) (nur) dann Kernbrennstoffe, wenn sie so rein sind, daß durch sie in einer geeigneten Anlage (Reaktor) eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrecht erhalten werden kann. Hierzu sind Leichtwasserreaktoren nicht geeignet. Natururan kann nur in speziellen Reaktortypen eingesetzt werden; diese arbeiten aber nicht wirtschaftlich und sind daher selten14.

10 11 12 13 14

s. oben Erster Teil A.I.2.; BT-Ds. III/759, S. 19. s. im einzelnen oben Erster Teil Α. 1.2. s. oben Dritter Teil Β. I. BT-Ds. III/759, S. 19. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 135.

Β. Legaldefinition der Kernbrennstoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG)

95

VI. Natururan

Natururan ist — wie gezeigt — weder ein Kernbrennstoff i. S. des lit. c) noch 1. S. des lit. d). Soweit Natururan nicht so rein ist, daß durch es in einer geegneten Anlage (Reaktor) eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrechterhalten werden kann, handelt es sich um einen sonstigen radioaktiven Stoff i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtG. VII. Abgrenzung: Kernbrennstoff (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG) — sonstiger radioaktiver Stoff (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AtG)

Ein sonstiger radioaktiver Stoff ist laut Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtG ein Stoff, der — ohne Kernbrennstoff zu sein — ionisierende Strahlen spontan aussendet. Mit Blick auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) AtG lassen sich Kernbrennstoffe i. S. der Nr. 1 von den sonstigen radioaktiven Stoffen i. S. der Nr. 2 abgrenzen; bei sonstigen radioaktiven Stoffen geht es nur um die spontane15 Aussendung ionisierender Strahlen, während es bei Kernbrennstoffen über die Eigenschaft der sonstigen radioaktiven Stoffe hinaus auch noch um die sich selbst tragende Kettenreaktion (Kritikalität) 16 geht. Kernbrenn- und sonstige radioaktive Stoffe sind Unterbegriffe des Oberbegriffs „radioaktive Stoffe" (§ 2 Abs. 1 AtG). Für diese enthält § 2 Abs. 2 AtG eine negative Begriffsfiktion. Im übrigen gelten für radioaktive Stoffe die Verordnungsermächtigungen des § 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 5 sowie des § 12 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 5 bis 7 und 10 AtG. VIII. Abgrenzung: Kernbrennstoff (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG) — Kernbrennstoff (§ 2 Abs. 3 i.V. mit Anlage 1 Abs. 1 Nr. 3 AtG) — Kernmaterialien (§ 2 Abs. 3 i.V. mit Anlage 1 Abs. 1 Nr. 5 AtG)

Das Atomgesetz verwendet in seinem verwaltungsrechtlichen Teil (§§3-24 AtG) einen anderen Kernbrennstoffbegriff als im haftungsrechtlichen Teil (§§ 25 40 AtG). Die Divergenz der Begriffe ist durch die Ratifizierung des Pariser Übereinkommens17 entstanden, das für das Haftungsrecht des Atomgesetzes erhebliche sachliche, terminologische und rechtssystematische Änderungen mit sich gebracht hat 18 . Durch das Pariser Übereinkommen völkerrechtlich gebunden, mußte § 2 Abs. 3 i.V. mit Anlage 1 AtG für die Haftung und Deckung die Begriffsbestimmungen dieses Übereinkommens übernehmen.19. 15

D.h. ohne äußere Anregung. Vgl. Fischerhof, Atomgesetz, § 2 AtG, Rnr. 1. Vgl. Koelzer, Lexikon, S. 73 („Kritikalität"). 17 Übereinkommen vom 29. 7. 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.2. 1976 (BGBl. I I S. 310, 311); vgl. § 2 IV AtG. 18 Vgl. Fischerhof, Atomgesetz, § 2 AtG, Rnr. 6. 16

96

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Der Begriff des Kernbrennstoffs i.S. des § 2 Abs. 3 i.V. mit Anlage 1 Abs. 1 Nr. 3 AtG ist weiter als der des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG. Ersterer umfaßt — im Gegensatz zu letzterem — auch Uran-235, daneben Natururan ohne die Reinheitseinschränkung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) AtG und schließlich auch Uranverbindungen, deren geringer Urananteil die Ausbeute unwirtschaftlich macht20. Daß § 2 Abs. 3 AtG den Begriff des Kernbrennstoffs (i. S. der Anlage 1 Abs. 1 Nr. 3 AtG) nicht ausdrücklich aufführt, hat seinen Grund darin, daß dieser Begriff des Kernbrennstoffs—zumindest teilweise — vom Begriff der Kernmaterialie (Anlage 1 Abs. 1 Nr. 5 AtG) umfaßt und nur dieser im Atomgesetz auch gebraucht wird (vgl. § 4b, 13, 14, 25ff., 46 AtG); denn auch § 4a AtG, der die Deckungsvorsorge bei grenzüberschreitender Beförderung im Zusammenhang mit dem Pariser Übereinkommen behandelt, erfaßt nur Kernbrennstoffe i. S. des § 2 Abs. 1 AtG, nicht aber i. S. der Anlage 1 Abs. 1 Nr. 3 AtG. Dies ergibt die historische Auslegung.21 Insofern ist die Nichterwähnung des Begriffs Kernbrennstoff in § 2 Abs. 3 AtG kein versehentliches Unterlassen des Gesetzgebers 22, sondern eine bewußte, systemgerechte und in sich schlüssige Ausklammerung. 23 Somit existieren im Atomgesetz zwar zwei Kernbrennstoffbegriffe ; der i. S. der Anlage 1 Abs. 1 Nr. 3 AtG wird aber nur als Unterbegriff der „Kernmaterialie" i. S. der Anlage 1 Abs. 1 Nr. 5 AtG relevant und tritt im Paragraphenteil des Atomgesetzes selbst gar nicht in Erscheinung. Wenn also das Atomgesetz — von den Anlagen 1 und 2 abgesehen — den Begriff des Kernbrennstoffs erwähnt, meint es den i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG. 24 .

19 Die Überschrift der Anlage 1 muß richtigerweise „Begriffsbestimmungen nach § 2 Abs. 3" heißen. Es handelt sich hierbei um ein Redaktionsversehen; vgl. hierzu Fischerhof, Atomgesetz, § 2 AtG, Rnr. 5 a.E. 20 Vgl. hierzu oben Dritter Teil Β. IV. 21 Vgl. Begründung zum Entwurf des 3. Änderungsgesetzes (BT-Ds. 7/2183, S. 19): „Für Kernmaterialien, die nicht Kernbrennstoffe i. S. des § 2 1 sind, gelten die §§ 4 und 4 a nicht...". 22

Wie wohl Fischerhof, Atomgesetz, § 2 AtG, Rnr. 6 meint. Vgl. BT-Ds. 7/2183, S. 17: „Abs. 3 bringt die Bestimmung der Begriffe, die infolge des Pariser Übereinkommens neu in das Gesetz eingeführt werden. Es handelt sich dabei um die Begriffe Kernmaterialien, nukleares Ereignis, Kernanlage, Inhaber einer Kernanlage und Rechnungseinheiten." 23

24

s. auch BT-Ds. 7/2183, S. 17: Die in § 2 Abs. 3 AtG neu eingeführten Begriffsbestimmungen „gelten für die Haftungsvorschriften des Vierten Abschnitts des Gesetzes. Darüber hinaus wird ... der Begriff Kernmaterialien in §§ 4b und 46 verwendet, im übrigen gelten für das gesamte Gesetz unverändert die Definitionen des § 2 Abs. 1."

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

97

C. Anlagenbegriff i.S.d. § 7 Abs. 1 A t G

Der zentrale Anlagenbegriff des Atomgesetzes in § 7 Abs. 1 beschränkt sich auf eine Umschreibung des verfolgten Zwecks, d.h. auf eine Umschreibung bestimmter Arten des Umgangs mit Kernbrennstoffen. Er erfaßt Anlagen zur Erzeugung (1. Alt.) oder zur Be- oder Verarbeitung (2. Alt.) oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen (3. Alt.) oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe (4. Alt.). Er ist nicht identisch mit dem Begriff der Kernanlage i. S. der Anlage 1 Abs. 1 Nr. 2 AtG, der gem. § 2 Abs. 3 AtG nur für die Vorschriften über die Haftung und Deckung, nicht aber für die Genehmigungsvorschrift des § 7 AtG gilt. Mit der funktionsbezogenen Beschreibung der Anlage in § 7 Abs. 1 AtG hat sich der Atomgesetzgeber an Art. 74 Nr. I I a GG angelehnt, der einen für die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes maßgeblichen Anlagenbegriff enthält, der ebenfalls funktionsbezogen ist („Anlagen, die... der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken ... dienen"). Der verfassungsrechtliche Anlagenbegriff wird durch den atomrechtlichen im Hinblick auf die wesentlichen Stationen des nuklearen Brennstoffkreislaufs aufgefächert und konkretisiert.25 Der funktionsbezogene Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG läßt die Art der Anlage, d.h. deren Typ und Technologie offen, sagt darüber hinaus aber auch nichts über den Umfang der jeweiligen Anlage, d.h. über die Frage, welche Teile und Einrichtungen zu einer Anlage gehören.26 Daher wird im folgenden untersucht, welche Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren bzw. für Schnelle Brutreaktoren Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG sind, und schließlich, welche einzelnen Teile und Einrichtungen einer kerntechnischen Anlage zum Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG gehören. D . Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren als Anlagen i.S.d. § 7 Abs. 1 A t G I. Anlagen zur Uranerzaufbereitung, Konversion und Anreicherung als Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen i. S. des § 7 Abs. 1, 1. Alt. AtG 1. I.V. mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) AtG

Ausgangsstoff für Anlagen zur Uranerzaufbereitung, Konversion und auch Anreicherung ist Natururan 27. Natururan ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) AtG nur dann ein Kernbrennstoff, wenn es so rein ist, daß durch es in einer geeigneten 25 26 27

So auch Ziegler, ET 1978, 664. Zur Offenheit des Atomgesetzes : s. oben Zweiter Teil C. I. s. oben Erster Teil A.I. 1. und 2.

7 Luckow

98

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Anlage (Reaktor) eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrecht erhalten werden kann28. Wird es in den Anlagen zur Uranerzaufbereitung, Konversion oder Anreicherung so rein dargestellt, daß es diese Fähigkeit hat, dann handelt es sich um Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen (§ 7 Abs. 1,1. Alt. AtG). 29 2. I.V. mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) AtG

Wird das Uran in diesen Anlagen nicht so rein dargestellt, daß mit ihm in Reaktoren Kettenreaktionen aufrechterhalten werden können, so sind es gleichwohl Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen; denn Anlagen zur Uranerzaufbereitung, Konversion oder Anreicherung dienen der Erzeugung von mit Isotopen 235 angereichertem Uran 30 und derart angereichertes Uran ist ein Kernbrennstoff i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) AtG 31 . Sie sind damit Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen i.S. des § 7 Abs. 1, 1. Alt. AtG 32 . Daß die Anlagen zur Uranerzaufbereitung und Konversion die Anreicherung nur vorbereiten und als Zwischenprodukt jeweils Natururan in bestimmten Aggregatzuständen (fest bzw. gasförmig) herstellen, hindert nicht, sie als Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen zu sehen. Bei Uranerzaufbereitung, Konversion und Anreicherung handelt es sich um einen technisch-naturwissenschaftlich einheitlichen Vorgang, dessen Zwischenschritte nicht dem Selbstzweck dienen, sondern auf die Herstellung angereicherten Urans ausgerichtet sind. Eine sektorale Betrachtungsweise würde zur Aufsplitterung dieses einheitlichen Vorgangs und darüber hinaus dazu führen, daß auch innerhalb der Anreicherung nur der Anlagenteil, in dem der allerletzte Verfahrensschritt vollzogen wird, d.h. an dessen Ende das angereicherte Uran anfällt, als Anlage i.S. des § 7 Abs. 1, 1. Alt. AtG zu betrachten wäre. Eine einheitliche Betrachtungsweise weicht auch nicht die Abgrenzung zwischen Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen 33 auf; denn es ist durchaus zulässig, — dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG Rechnung tragend — Verfahrensschritte, die — 28

Vgl. oben Dritter Teil Β. V. und VI. Vgl. BT-Ds. III/759, S. 22. 30 Vgl. oben Erster Teil A.I. 1. und 2. 31 s. oben Dritter Teil B.III. 32 Zu diesem Ergebnis kommt auch Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 137, allerdings ohne Subsumtion oder nähere Begründung. Seilner, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 369, rechnet Anreicherungsanlagen ganz allgemein zu Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG, ohne zu spezifizieren oder zu subsumieren. Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 3 a.E., betrachtet Konversionsanlagen als Anlagen zur Be- bzw. Verarbeitung von Kernbrennstoffen i.S. des § 7 Abs. 1, 2. Alt. AtG. Diese Betrachtungsweise ist nur dann richtig, wenn für die Konversionsanlage als Ausgangsstoff bereits ein Kernbrennstoff vorhanden ist. Dies wiederum ist nur dann denkbar, wenn Natururan in der — der Konversion vorangehenden — Uranerzaufbereitung so rein dargestellt wurde, daß durch es in einer geeigneten Anlage (Reaktor) eine in sich selbst tragende Kettenreaktion aufrecht erhalten werden könnte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) AtG). 33 Vgl. hierzu oben Dritter Teil B. VII. 29

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

99

isoliert betrachtet — einen Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen darstellen, über den funktionsbezogenen Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG zu einem einheitlichen Prozeß zusammenzufassen und dem Verfahrensabschnitt zuzurechnen, an dessen Ende Kernbrennstoffe (ent-)stehen. II. Anlagen zur Herstellung von Brennelementen als Anlagen zur Be- oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen i.S. des § 7 Abs. 1, 2. Alt. AtG 1. Zwei Arten der Brennelement-Herstellung im Kreislauf für Leichtwasserreaktoren

Im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren sind zwei Arten der Brennelement-Herstellung zu unterscheiden: — die Brennelement-Herstellung, die zwischen den Stationen Anreicherung und Kernkraftwerk liegt 34 und — die Herstellung von Mischoxid-(MOX)-Brennelementen, die zwischen den Stationen Wiederaufarbeitung und Kernkraftwerk stattfindet 35. Ausgangsstoff für die erstgenannte Art der Brennelement-Herstellung ist mit Isotopen 235 angereichertes Uran 36 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) AtG); Ausgangsstoff für die Herstellung von MOX-Brennelementen ist — neben anderen Stoffen — Plutonium37 (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AtG). Bei beiden Herstellungsarten wird also mit Kernbrennstoffen i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG umgegangen. Die Frage, ob beide Arten der Brennelement-Herstellung als Be- bzw. Verarbeitung von Kernbrennstoffen i.S. des § 7 Abs. 1, 2. Alt. AtG anzusehen sind, wird nicht einheitlich beantwortet. 2. Enge Betrachtungsweise der Begriffe „Be- bzw. Verarbeitung"

Ronellenfitsch sieht in der Brennelement-Herstellung, die der Anreicherung folgt, eine Be- bzw. Verarbeitung i.S.des § 7 Abs. 1, 2. Alt. AtG 38 und in der — von ihm nicht ausrücklich angesprochenen — Herstellung von MOX-Brennelementen — wohl — eine Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe i. S. des § 7 Abs. 1,4. Alt. AtG 39 . Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist eine enge Betrachtungsweise der Begriffe „Be- und Verarbeitung", die „ausschließlich auf die Zustandsfolge im Brennstoffkreislauf bezogen werden" sollen, „die zwischen der 34 35 36 37 38 39

7*

s. oben Erster Teil Α. 1.3. s. oben Erster Teil A. III. 7. s. oben Erster Teil Α. 1.2. s. oben Erster Teil A. III. 7. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 139. Vgl. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 167, aber auch S. 138 f.

100

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Herstellung und Spaltung der Kernbrennstoffe liegt"40. Diese Betrachtungsweise ist aber in mehrfacher Hinsicht in sich widersprüchlich. Eine Zustandsfolge, die „zwischen" Herstellung und Spaltung liegt, schließt die Herstellung auf der einen Seite und die Spaltung auf der anderen Seite begrifflich gerade aus, so daß die Herstellung von Brennelementen nach dieser Betrachtungsweise gerade keine Be- oder Verarbeitung i. S. des § 7 Abs. 1,2. Alt. AtG sein dürfte. Eine engere Betrachtungsweise der Begriffe „Be- und Verarbeitung" könnte man allenfalls auf die Zustandsfolge beziehen, die zwischen Anreicherung und Spaltung der Kernbrennstoffe liegt. Damit wäre zwar die erste Widersprüchlichkeit beseitigt, es bliebe aber auch dann noch ein Widerspruch zur historischen Auslegung der Begriffe „Be- bzw. Verarbeitung". Die dritte Novelle zum Atomgesetz hat die Anlagen zur Be- und Verarbeitung in die Genehmigungspflicht des § 7 Abs. 1 AtG miteinbezogen, da diese nach dem bis dahin geltenden Recht nur eine Betriebsgenehmigung nach § 9 AtG, aber keine Errichtungsgenehmigung nach § 7 AtG benötigen. Dies geschah — einem Bericht des Innenausschusses zufolge, auf den sich Ronellenfitsch gerade ausdrücklich beruft 41 — im Hinblick auf die Brennelementfabriken, „die den — bis dahin — in § 7 Abs. 1 AtG aufgezählten besonders kontrollierungsbedürftigen Anlagen vergleichbar sind, weil in ihnen mit zum Teil hochaktiven Kernbrennstoffen — teilweise auch mit Plutonium — umgegangen wird". 42 Der Hinweis auf das Plutonium belegt den Willen des Gesetzgebers, sowohl die Brennelement-Herstellung, die der Anreicherung folgt, als auch die Herstellung von MOX-Brennelementen, die der Wiederaufarbeitung folgt, als „Be- bzw. Verarbeitung" i.S. des § 7 Abs. 1, 2. Alt. AtG zu verstehen; denn nur bei der Herstellung von MOX-Brennelementen wird mit Plutonium umgegangen43. „Be- bzw. Verarbeitung" umfaßt aber nicht nur die Zustandsfolge zwischen Anreicherung und Spaltung, sondern — mindestens — auch noch die zwischen Wiederaufarbeitung und Spaltung. Im übrigen relativiert Ronellenfitsch seine enge Betrachtungsweise mit der Feststellung, daß „§ 7 Abs. 1 AtG mit den Anlagen zur Be- oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen im wesentlichen Brennelementfabriken meint"44. Dies kann nur so verstanden werden, daß diese Alternative des § 7 Abs. 1 AtG auch noch andere Anlagen erfassen kann. 3. Weite Betrachtungsweise

Statt der widerlegten, von Ronellenfitsch vertretenen engen Betrachtungsweise muß bei der Auslegung der Begriffe „Be- und Verarbeitung" i. S. des § 7 Abs. 1, 40 41 42 43 44

So wörtlich Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 137f. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 139 f. So wörtlich BT-Ds. 7/3225, S. 3. s. oben Erster Teil A. III. 7. und Α. 1.3. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 139.

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

101

2. Alt. AtG eine weite Betrachtungsweise zum Zuge kommen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Schutzgedanken des § 1 Nr. 2 AtG und zum anderen aus dem erwähnten Bericht des Innenausschusses. Aus beidem läßt sich ableiten, daß gefahrvolle Stationen des Brennstoffkreislaufs auch einer Errichtungsgenehmigungspflicht unterliegen sollen. Nach der weiten Betrachtungsweise erfaßt die Be- oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen in § 7 Abs. 1 AtG nicht nur die Brennelement-Herstellung, die der Anreicherung folgt, und die MOX-Brennelement-Herstellung, die der Wiederaufarbeitung folgt, sondern darüber hinaus auch noch andere Formen der Be- oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen, die ein ähnliches Gefährdungspotential in sich bergen wie die übrigen in § 7 Abs. 1 AtG aufgeführten Formen des Umgangs mit Kernbrennstoffen. III. Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktor 1. Bei Verwendung herkömmlicher Brennelemente

Soweit herkömmliche Brennelemente mit angereichertem Uran (3% Uran235, 97% Uran-238) im Leichtwasserreaktor eingesetzt werden, handelt es sich um Kernbrennstoff i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) AtG. Dieser wird — um Wärmeenergie zu erzeugen — im Reaktor gespalten.45 Ein Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor ist somit eine Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen i.S. des §7 Abs. 1, 3. Alt. AtG. Da bei der Kernspaltung aus dem nicht spaltbaren Uran-238 durch Neutroneneinfang (ca. 1%) Plutonium entsteht46 und Plutonium ein Kernbrennstoff i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AtG ist, stellt ein Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor zudem auch noch eine Anlage zur Erzeugung von Kernbrennstoffen i. S. des § 7 Abs. 1, 1. Alt. AtG dar 47 . 2. Bei Verwendung von MOX-Brennelementen

Soweit MOX-Brennelemente im Leichtwasserreaktor eingesetzt werden, handelt es sich um Kernbrennstoff i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) AtG, der sowohl Kernbrennstoff i. S. des lit. c) als auch i. S. des lit. a) enthält.45 Da beide Stoffe gespalten werden, liegt auch hier eine Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen vor. Daneben stellt sich das Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor auch als Anlage zur Erzeugung von Kernbrennstoffen dar 49 . 45 46 47 48 49

s. oben Erster Teil Α. II. s. oben Erster Teil Α. II. So auch Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 137. Vgl. oben Erster Teil A.III.7. Es gilt das eben zu 1. Gesagte entsprechend.

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz IV. Anlagen zur Wiederaufarbeitung 1. Bestrahlte Kernbrennstoffe

In die Wiederaufarbeitung kommen abgebrannte Brennelemente. Diese enthalten — neben anderen Stoffen — Plutonium50 und sind somit Kernbrennstoff i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) i.V. mit lit. a) AtG. Da sie abgebrannt sind, handelt es sich um bestrahlte Kernbrennstoffe i.S. des § 7 Abs. 1, 4. Alt. AtG. 2. Anlagen zur Aufarbeitung i.S. des § 7 Abs. I , 4. Alt. AtG

Zu den Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe zählen Anlagen, in denen bestrahlter Kernbrennstoff aufgeschlossen, von Spaltprodukten abgetrennt und zu neuen Brennelementen verarbeitet wird. 51 Somit erfaßt § 7 Abs. 1, 4. Alt. AtG nicht nur den Wiederaufarbeitungsprozeß im engeren Sinn (Head-End, Extraktion, Tail-End)52, sondern auch die Herstellung der MOXBrennelemente53. V. Anlagen zur externen Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente 1. Funktion externer Zwischenlager

Externe Zwischenlager liegen außerhalb der Kernkraftwerksgelände und nehmen abgebrannte Brennelemente eines oder mehrerer Kernkraftwerke auf. 54 Zwei externe Brennelement-Zwischenlager sollen in Ahaus und Gorleben betrieben werden55. Zwischenlagerung bedeutet vorübergehende Aufbewahrung. Externe Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente können der Überbrückung fehlender oder nicht ausreichender Wiederaufarbeitungs- oder Direkt-Endlagerkapazitäten und auch der Verminderung von Aktivität und Wärmeproduktion der radioaktiven Stoffe vor der nächsten Prozeßstufe dienen.56 Die Lagerung abgebrannter Brennelemente in Zwischenlagern läßt die Option für Wiederaufarbeitung und Direktendlagerung offen. 57 In der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit weder eine großtechnische Wiederaufarbeitungsanlage noch ein Endlager.58 In der Bundesrepublik 50 51 52 53 54 55 56 57

s. oben Erster Teil Α. II. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 167. s. dazu oben Erster Teil A. III. 4. d). s. oben Erster Teil A. III. 7. und auch Dritter Teil D. II. s. oben Erster Teil A.III.9.b). Vgl. im einzelnen oben Erster Teil A.III.9.d). s. dazu oben Erster Teil A. III. 9. a) und b). s. dazu im einzelnen oben Erster Teil A. III. 2 und 8. b).

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

103

Deutschland werden bis zum Jahr 2000 — kumuliert — zwischen 9600 und 15300 t Uran in Form abgebrannter Brennelemente angefallen sein. Davon werden 2300 t in Frankreich durch die COGEMA wiederaufgearbeitet. 59 2. Anlagenbegriff für Zwischenlager

Unter welchen der Anlagenbegriffe des Atomgesetzes60 ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente fällt, ist nicht eindeutig und daher klärungsbedürftig. a) § 9a AtG

Alle Lösungsvorschläge setzen bei § 9 a AtG an. aa) Struktur des § 9a AtG Abs. 1 dieser Bestimmung statuiert u. a. für den Betreiber von Anlagen, in denen mit Kernbrennstoffen umgegangen wird, die Pflicht, dafür zu sorgen, daß anfallende radioaktive Reststoffe sowie aus- oder abgebaute radioaktive Anlagenteile schadlos verwertet werden (Nr. 1) oder, soweit die schadlose Verwertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich, wirtschaftlich nicht vertretbar oder mit den in § 1 Nr. 2 bis AtG bezeichneten Zwecken unvereinbar ist, als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden (Nr. 2). Die dem Betreiber auferlegte Sorge für eine geordnete Beseitigung (Nr. 2) konkretisiert sich in der Pflicht, die radioaktiven Abfälle an eine staatliche Anlage i. S. des § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtG abzuliefern (§ 9 a Abs. 2 Satz 1 AtG) 61 und die Kosten für deren Benutzung zu tragen (§ 21 a AtG) 62 . Die staatlichen Anlagen i.S. des § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG werden, soweit es sich um Landessammelstellen für die Zwischenlagerung der in ihrem Gebiet angefallenen radioaktiven Abfälle handelt, von den Ländern, soweit es um Anlagen zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle geht, vom Bund eingerichtet. §9a AtG führt hinsichtlich der Entsorgung eine Arbeitsteilung ein. Die Anlagen zur geordneten Beseitigung radioaktiver Abfälle liegen in staatlicher Verantwortung, während die schadlose Verwertung von Reststoffen und

58

Vgl. Straßburg, ET 1983,677 (678). Vgl. oben Erster Teil A. III. 2. und 8. f) ff), g) aa) (4) und bb). 59 Vgl. hierzu oben Erster Teil A.III.9.f). 60 s. hierzu oben Dritter Teil A. 61 So auch Straßburg, ET 1983, 677 (679). 62 Gem. § 21 b AtG und der Endlagervorausleistungsverordnung ( = Anhang II, Ziff. 6) können von den Betreibern kerntechnischer Anlagen auch finanzielle Vorausleistungen für Planung, Entwicklung und Errichtung von Bundesanlagen zur Sicherstellung und Endlagerung (§ 9 a Abs. 3 AtG) verlangt werden.

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Anlagenteilen den Verursachern überlassen, d.h. in privater Verantwortung bleibt.63 Aufgabenverteilung zwischen Staat und Privaten gem. § 9a AtG Staat

Private

l

ι

Beseitigung (Abs. 1 Nr. 2)

Verwertung (Abs. 1 Nr.l)

I

Grundsatz: Ablieferung an staatliche Anlagen (Abs. 2 Satz 1 i.V. mit Abs. 3 Satz 1)

1

Abweichungen vom Grundsatz der staatlichen Verantwortung

1 Abs. 2 Satz 2

Abs. 3 Satz 2

Daß der Gesetzgeber die Beseitigung radioaktiver Abfälle grundsätzlich dem Staat überlassen hat, hat zwei Gründe. Die teilweise lange Strahlungsdauer radioaktiver Abfälle 64 verlangt einen dauerhaften Abschluß der Abfälle gegenüber der Biosphäre, der im Rahmen staatlicher Daseinsvorsorge — nach Auffassung des Gesetzgebers — besser durch staatliche als durch private Einrichtungen gewährleistet ist. Außerdem sind staatliche Anlagen besser als private in der Lage, einer auf Dauer nicht kontrollierbaren Streuung der Anlagen entgegenzuwirken.65 Somit hat die zeitliche Dimension der Beseitigung radioaktiver Abfälle — Fischerhof 66 spricht von „säkularer Aufgabe" — den Gesetzgeber bewogen, sie grundsätzlich dem Staat zu überantworten. Vom Grundsatz der staatlichen Verantwortung bei der Beseitigung gibt es zwei Abweichungen. Zum einen § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG, der eine Ausnahme von der Ablieferungspflicht an staatliche Anlagen zuläßt67 ; zum anderen § 9 a Abs. 3 Satz 2 AtG, der bei der Einrichtung 68 der staatlichen Anlagen die Einschaltung Privater zuläßt. Die Möglichkeit nach § 9a Abs. 3 Satz 2 AtG, daß Bund und Länder „sich zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter bedienen können", läßt nach Wortlaut („bedienen") und Systematik (eng zu verstehende Ausnahmevorschrift) nicht zu, daß Bund und Länder ihre Verpflichtungen aus § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtG auf Private delegieren. Auch wenn der Staat Dritte zur Erfüllung seiner Pflichten heranzieht, steht der Ablieferungspflichtige allein zu ihm in einer rechtlichen 63

So auch BT-Ds. 9/1231, S. 11; Straßburg, ET 1983, 677 (678). Vgl. hierzu oben Erster Teil A.III.8.Ì). 65 Vgl. BT-Ds. 7/4794, S. 8; Gutermuth, ET 1983,923 (924); Wagner, Entsorgungsregelung, S. 99 f. 66 Fischerhof, Atomgesetz, § 9a AtG, Rnr. 7. 67 Dazu s. unten Dritter Teil D. V. 2. b) cc) (1). 68 Zur Auslegung dieses Begriffs s. Gutermuth, ET 1983, 923. 64

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

105

Beziehung. Nur dem staatlichen Hoheitsträger gegenüber erfüllt er seine öffentlich-rechtliche Ablieferungspflicht. 69 Die im Ansatz und Grundsatz klare Aufgabenverteilung zwischen Staat und Privaten bei der Entsorgung wird durch die genannten beiden Ausnahmen bei der Beseitigung in erheblicher Weise miteinander verschränkt, was durch die Beteiligung der Privaten an den Kosten70 noch verstärkt wird. Daher wird zunehmend nicht nur bei der Entsorgung insgesamt (Verwertung und Beseitigung), sondern nun auch bezüglich der Beseitigung radioaktiver Abfälle allein von einer „Mischform staatlicher und privater Verantwortung" bzw. „Zusammenarbeit" gesprochen.71 Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es im Rahmen der Beseitigung beim Grundsatz der staatlichen Verantwortung und damit bei einer eindeutigen Vorrangstellung der staatlichen Verpflichtung bleibt.72 bb) Begriff des radioaktiven Abfalls §9a Abs. 1 Nr. 2 AtG verwendet den Begriff „radioaktive Abfälle". Seine Definition ergibt sich — mittelbar — aus § 9 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AtG. Radioaktive Abfälle sind radioaktive Reststoffe sowie aus- oder abgebaute radioaktive Anlagenteile, deren schadlose Verwertung erstens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich, zweitens wirtschaftlich nicht vertretbar oder drittens mit den in § 1 Nr. 2 bis 4 AtG bezeichneten Zwecken unvereinbar ist. Erfüllen abgebrannte Brennelemente eine der drei Alternativen, so stellen sie radioaktive Abfälle dar. 73 Da Brennelemente von vornherein auf den Austausch angelegt sind, wird man sie nicht als Anlagenteile, sondern als Reststoffe ansehen müssen.74 Bis zu diesem Punkt besteht zwischen den verschiedenen Lösungsvorschlägen Übereinstimmung.

69

Hofmann, Entsorgung, S. 214f.; Straßburg, ET 1983,677 (680); Gutermuth, ET 1983, 923 (926). Bei Gutermuth, ET 1983, 923 (925 ff.) findet sich Näheres zum Umfang der Heranziehung Dritter bei Anlagen des Bundes und der Länder. 70

Vgl. §§21a, 21b AtG und die EndlagervorausleistungsVerordnung ( = Anhang II, Ziff. 6). 71 Pelzer ! Gutermuth, ET 1983, 144 (147); Gutermuth, ET 1983, 923 (928). 72 So ausdrücklich PelzerIGutermuth, ET 1983, 144 (147); Gutermuth, ET 1983, 923 (928). 73 Lukes /Dauk, ET 1979, 667 (669), Pelzer, NJW 1980, 1505; VG Darmstadt, Urt. v. 3. 9.1981, ET 1981,883 (884); Kimminich, ET 1982,502 (502/503); Wagner I Ziegler ! Closs, Nukleare Entsorgung, S. 79f.; Wagner, Entsorgungsregelung, S. 97f.; Straßburg, Zwischenlagerung, S. 135; Ziegler, ET 1983, 757 (762). Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit des Begriffs radioaktiver Abfall hegt Hofmann, Entsorgung, S. 205, 254f. 74 So auch, allerdings ohne Begründung: Pelzer, NJW 1980, 1505; BT-Ds. 9/1231, S. 11; V G Regensburg, Urt. v. 7.4. 1981, R / N 5 Κ 80 A. 0694, Urteilsausfertigung, S. 16; V G Darmstadt, ET 1981,883 (884). Kimminich, ET 1982, 502 scheint beides für möglich zu halten.

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz b) Schadlose Verwertung abgebrannter Brennelemente nach dem Stand von Wissenschaft und Technik?

Die Lösungswege scheiden sich bei der Frage, ob die schadlose Verwertung abgebrannter Brennelemente nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglich ist. aa) Bejahende Stimmen Nach wohl überwiegender Meinung wird, selbst wenn keine oder nicht ausreichende Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, die Möglichkeit der schadlosen Verwertung abgebrannter Brennelemente bejaht, mit der Folge, daß abgebrannte Brennelemente als gem. § 9 a Abs. 1 Nr. 1 AtG zu verwertende radioaktive Reststoffe angesehen werden75, wobei über Art, Ort und Zeitpunkt der Verwertung im Atomgesetz keine nähere Bestimmung getroffen sei76. Nach dieser Ansicht ist der Betrieb externer Zwischenlager für abgebrannter Brennelemente in direkter Anwendung des § 6 AtG und dessen Abs. 1 genehmigungsbedürftig und unter den Voraussetzungen dessen Abs. 2 genehmigungsfähig. Die überwiegende Meinung klammert § 9a Abs. 1 Nr. 2 i.V. mit Abs. 2 und 3 AtG also völlig aus, selbst wenn keine oder nicht ausreichende Wiederaufarbeitungskapazitäten bestehen, und kommt daher ungeachtet dieser atomgesetzlichen Beseitigungsbestimmungen zur direkten Anwendung des § 6 AtG für den Betrieb externer Zwischenlager. Die Errichtung externer Zwischenlager bedarf nach dieser Auffassung keiner atomrechtlichen, sondern lediglich einer baurechtlichen Genehmigung.77 bb) Verneinende Stimmen Für die Stimmen, denen zufolge eine schadlose Verwertung abgebrannter Brennelemente nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich ist, sind abgebrannte Brennelemente gem. §9a Abs. 1 Nr. 2 AtG als radioaktive Abfälle geordnet zu beseitigen.78 Der Regelfall der geordneten Beseitigung ist 75 Fischerhof, ET 1980,499/500; Pelzer, NJW 1980,1505 (1506); VG Darmstadt, Urt. v. 3. 9. 1981, ET 1981, 883 (884); BT-Ds. 9/1231, S. 11; OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12. 1981, ET 1982, 145 (147f.); OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.11. 1982, ET 1983, 54 (57); Kimminich, ET 1982, 502/503; Wagner/ Ziegler [ Closs, Nukleare Entsorgung, S. 93; Straßburg, Zwischenlagerung, S. 128, 138; ders., ET 1983, 677 (678f.); Ziegler, ET 1983, 757 (759). 76 BT-Ds. 9/1231, S. 11 f. 77 OVG Lüneburg, Beschl. v. 23. 12. 1981, ET 1982, 145 (146f., 149); OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.11. 1982, ET 1983, 54 (55); Straßburg, Zwischenlagerung, S. 131, 142. Zur rechtstechnischen Koppelung der baurechtlichen Errichtungsgenehmigung mit der atomrechtlichen Betriebsgenehmigung s. OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.11. 1982, ET 1983, 54 (57f.); Straßburg, Zwischenlagerung, S. 132ff.; Ziegler, ET 1983, 757 (761). 78 Pelzer, NJW 1980, 1505 (1506); Fischerhof, ET 1981, 886; V G Regensburg, Urt. v. 7.4. 1981, R / N 5 Κ 80 Α. 0694, Urteilsausfertigung, S. 16.

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

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gem. § 9 a Abs. 2 Satz 1 AtG die Ablieferung an eine Landessammelstelle oder eine Anlage des Bundes zur Sicherstellung oder Endlagerung. Dies gilt aber dann nicht, soweit Abweichendes durch eine auf Grund des Atomgesetzes erlassene Rechtsverordnung bestimmt oder auf Grund des Atomgesetzes oder einer solchen Rechtsverordnung angeordnet oder genehmigt worden ist (§ 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG). 79 Hinsichtlich eines Zwischenlagers für abgebrannte Brennelemente wird dieser Ausnahmetatbestand nach der hier dargestellten Ansicht erfüllt durch eine Genehmigung „auf Grund des Atomgesetzes" selbst, ζ. B. nach § 6 AtG. 80 cc) Vorzugswürdigkeit des Lösungswegs über § 9a Abs. 1 Nr. 2 i.V. mit Abs. 2 AtG Der zuletzt beschriebene Lösungsweg über § 9 a Abs. 1 Nr. 2 i. V. mit Abs. 2 AtG 8 1 ist vorzugswürdig. (1) Ausnahmeregelung des § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG

Dem Gesetzgeber war bekannt, daß in der Bundesrepublik Deutschland einerseits Einrichtungen zur Verwertung und andererseits Anlagen i. S. des § 9 a Abs. 3 AtG zur geordneten Beseitigung fehlen. 82 Dieses Defizit hat er mit der Ausnahmeregelung des § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG überbrücken wollen83, um eine Regelungslücke im Atomgesetz zu vermeiden. Daß er mit dieser Bestimmung auch Zwischenlager erfassen wollte, ergibt sich aus § 12 Abs. 1 Nr. 8 AtG. Diese Vorschrift ermächtigt dazu, durch Rechtsverordnung zu regeln, „welche radioaktiven Abfälle an die Landessammeistellen und an die Anlagen des Bundes nach § 9 a Abs. 3 AtG abzuliefern sind und daß im Hinblick auf das Ausmaß der damit verbundenen Gefahr unter bestimmten Voraussetzungen eine anderweitige Zwischenlagerung

oder sonstige Ausnahmen von der Ablieferungspflicht

zulässig sind oder angeordnet oder genehmigt werden können"84. Gerade hieraus ist eindeutig ersichtlich, daß der Gesetzgeber die anderweitige Zwischenlagerung, d.h. außerhalb von Landessammelstellen, als Ausnahme (§ 9a Abs. 2 Satz 2 AtG) von der Ablieferungspflicht (§ 9 a Abs. 2 Satz 1 AtG) verstanden wissen will. Somit hat der Gesetzgeber über § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG die überbrückende private Zwischenlagerung außerhalb von Landessammelstellen zugelassen. Mit dieser Feststellung ist nichts darüber gesagt, ob auch private Anlagen zur Sicherstellung oder Endlagerung zulässig sind. Dies ist zu verneinen. Über § 9a 79 80 81 82 83 84

Vgl. Fischerhof ET 1980,499 ; Pelzer, NJW 1980,1505 (1506) ; ders., NJW 1980,2794. Vgl. Fischerhof, ET 1980, 499 (500) und ders., ET 1981, 886. s. oben Dritter Teil D. V. 2. b) bb). Straßburg, ET 1983, 677 (678); ders., Zwischenlagerung, S. 141. So auch Fischerhof, ET 1981, 886; bgl. auch Straßburg, ET 1983, 677 (678). Die Hervorhebungen stammen vom Verfasser.

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Abs. 3 Satz 2 AtG kann eine private Trägerschaft der in § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtG aufgeführten staatlichen Anlagen (Landessammelstellen, Bundesanlagen zur Sicherstellung und Endlagerung) nicht konstruiert werden, da eine derartige Delegation gegen Wortlaut und Systematik des § 9 a Abs. 3 AtG verstieße85 ; im Bereich des § 9 a Abs. 3 AtG besteht somit für alle dort genannten Einrichtungen ein staatliches Monopol bezüglich der Trägerschaft. 86 Über § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG läßt sich zwar die private Trägerschaft für Zwischenlager außerhalb von Landessammelstellen begründen, nicht aber für Anlagen zur Sicherstellung oder Endlagerung. Dies ergibt sich aus zwei gesetzessystematischen Erwägungen. Zumeinen ist § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG eine Ausnahmevorschrift und diese ist nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen87, zum anderen spricht die Ermächtigungsnorm des § 12 Abs. 1 Nr. 8 AtG allein von „anderweitiger Zwischenlagerung", nicht aber von anderweitiger Sicherstellung bzw. Endlagerung. Somit ist eine private Trägerschaft allein für Zwischenlager außerhalb von Landessammelstellen zulässig88, und zwar ausschließlich über § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG. (2) Verwertungsfähigkeit

— Verwertungsmöglichkeit

Dem Lösungsweg der überwiegenden Meinung89 liegt die abstrakte Betrachtungsweise zugrunde, daß es bei der Beantwortung der Frage, ob die schadlose Verwertung abgebrannter Brennelemente nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglich ist, allein auf die Verwertungsfähigkeit der abgebrannten Brennelemente ankomme, unabhängig davon, ob Einrichtungen zur Verwertung bestehen oder nicht.90 Nach dieser Auffassung sind abgebrannte Brennelemente als radioaktive Reststoffe anzusehen, solange ihre Verwertung nicht definitiv ausgeschlossen ist. 91 Erst wenn feststehe, daß die abgebrannten Brennelemente nicht verwertet werden können, seien sie radioaktiver Abfall. 92 In diesem Zeitpunkt verwandele sich die Verwertungspflicht in eine Beseitigungspflicht. 93 Der abstrakten Betrachtungsweise der überwiegenden Meinung kann nicht gefolgt werden. Die überwiegende Meinung unterlegt dem § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG 85

Dazu s. oben Dritter Teil D. V. 2. a) aa). (Zumindest) mißverständlich: Straßburg, ET 1983, 677 (680), der das staatliche Monopol anscheinend nur auf Endlager erstrecken will. 87 So auch Wagner, Entsorgungsregelung, S. 100. 88 So — mit anderer, teilweiser unklarer Begründung — im Ergebnis auch: Wagner, Entsorgungsregelung, S. 99ff.; Gutermuth, ET 1983, 923 (925). 89 s. oben Dritter Teil D. V. 2. b) aa). 90 Pelzer, NJW 1980, 1505 (1506). 91 Fischerhof, ET 1980,499; OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12.1981, ET 1982,145 (147). 92 Straßburg, Zwischenlagerung, S. 128; ders., ET 1983,677 (679); Ziegler, ET 1983,757 (759). 93 Straßburg, ET 1983, 677 (679). 86

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einen anderen Wortlaut; nach ihr liegt radioaktiver Abfall vor, soweit die Verwertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik, „ausgeschlossen" ist. 94 „Ausgeschlossen" hat aber eine andere engere Bedeutung als „nicht möglich" ; denn „ausgeschlossen" heißt „endgültig nicht möglich" oder „Unmöglichkeit erwiesen". Darüber hinaus gehört zum Begriff der technischen Möglichkeit auch das Vorhandensein ausreichender Kapazitäten.95 Die Tatsache, daß Verwertung im Ausland oder im kleintechnischen Maßstab auch in der Bundesrepublik Deutschland betrieben wird, ist nicht ausreichend.96 Nur in dem Umfang, in dem abgebrannte Brennelemente tatsächlich verwertet werden können, ist ihre Verwertung nach dem Stand der Technik möglich. Im übrigen, d. h. solange und soweit keine Verwertungskapazitäten zur Verfügung stehen, fingiert § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG — um ein Regelungsvakuum für den Staat zu vermeiden — abgebrannte Brennelemente als radioaktiven Abfall, so daß die Ablieferungspflicht des § 9 a Abs. 2 Satz 1 AtG mit der Ausnahmemöglichkeit des § 9 a Abs. 2 AtG eingreift. Durch diesen Regelungsmechanismus erhält der Staat ein wirksames Instrumentarium. Soweit er die Verwertung für nicht realisierbar erachtet, wird er auf Ablieferung bestehen (§ 9 a Abs. 2 Satz 1 AtG). Hält er hingegen die Verwertung in den erforderlichen Größenordnungen für absehbar, wird er in diesem Umfang von der Ausnahme des § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG Gebrauch machen. Erweist sich seine Einschätzung als richtig und stehen schließlich die notwendigen Verwertungskapazitäten zur Verfügung, dann wird die Verwertung möglich. Damit entfallen — soweit die Verwertung im übrigen wirtschaftlich vertretbar mit den in § 1 Nr. 2-4 AtG bezeichneten Zwecken vereinbar ist, — die Fiktion des § 9a Abs. 1 Nr. 2 AtG und zugleich auch die mit ihr verbundene Überbrückungsfunktion des § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG, so daß die abgebrannten Brennelemente als radioaktive Reststoffe gem. § 9 a Abs. 1 Nr. 1 AtG zu verwerten sind.97 Insoweit greift dann auch bei diesem Lösungsweg das Primat der Verwertungspflicht. 98 Daß — wie hier vertreten — der Weg von der Beseitigung zur Verwertung führen kann, gestehen auch Vertreter der gegenteiligen Meinung ein. Abgebrannte Brennelemente aus dem Kugelhaufenreaktor in Jülich (AVR) und dem Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) sind nach ihrer Auffassung derzeit 94 In die gleiche Richtung und ebenfalls gegen den Wortlaut des Gesetzes gehen Wagner/Ziegler[ Closs, Nukleare Entsorgung, S. 82, mit ihrem FormulierungsVorschlag: soweit die Verwertung „nicht mehr möglich" ist. 95 Zu dieser Ansicht gelangt auch Fischerhof, ET 1981,886, nachdem er zunächst in ET 1980, 499 einen anderen Standpunkt vertreten hatte. 96 So aber noch Fischerhof, ET 1980, 499 (500). 97 Das verkennt OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12. 1981, ET 1982, 145 (148). 98 Vgl. hierzu Fischerhof, Atomgesetz, § 9a Rnr. 6; O V G Lüneburg, Beschl. v. 29.12. 1981, ET 1982, 145 (148); Straßburg, Zwischenlagerung, S. 128, 135; ders., ET 1983, 677 (678); Gutermuth, ET 1983, 923 (924).

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radioaktiver Abfall." Sie wollen aber nicht ausschließen, daß diese in Zukunft noch die Qualität zu verwertender Reststoffe erlangen.100 Der hier vertretene Weg hat den Vorteil, daß der Staat Herr der Entsorgung bleibt. Solange und soweit keine Verwertungskapazitäten vorhanden sind, bleiben die abgebrannten Brennelemente auf dem Gleis der Beseitigung, auf dem — wie oben gezeigt und allgemein anerkannt 101 — der Vorrang der staatlichen Verantwortung gilt. Nur wenn die interessierten Privaten ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der Verwertung (insbesondere der Wiederaufarbeitung) vorantreiben, ausreichende Verwertungskapazitäten schaffen und diese genehmigt worden sind, gehen die abgebrannten Brennelemente auf das Gleis der (privaten) Verwertung und werden damit der Ablieferungspflicht entzogen. Zwar haben es die Privaten dadurch weitgehend selbst in der Hand, den Zeitpunkt und vor allem auch den Umfang des qualitativen Umschlags von der Fiktion des radioaktiven Abfalls zum zu verwertenden radioaktiven Reststoff zu bestimmen, die Genehmigung für die Verwertungskapazitäten wird aber vom Staat ausgesprochen und bis zu diesem Zeitpunkt bleiben die abgetrennten Brennelemente im staatlichen Verantwortungsbereich. Während dieser Zeit kann der Staat das Druckmittel der direkten Endlagerung ins Spiel bringen und die Privaten dadurch anhalten, die Entwicklung der Verwertung und die Bereitstellung ausreichender Kapazitäten voranzutreiben. Dieser Effekt trägt dem Primat der Verwertung Rechnung, das gerade auch von der Gegenansicht immer wieder ins Feld geführt wird. 102 Nach der gegenteiligen Ansicht, nach der abgebrannte Brennelemente Reststoffe sind, solange die Verwertung nicht ausgeschlossen ist, sind es die Privaten, die den qualitativen Umschlag vom Reststoff zum radioaktiven Abfall und damit den Eintritt der Pflicht zur Ablieferung an den staatlichen Verantwortungsbereich bestimmen; denn sie haben es mit ihren Entwicklungsarbeiten in der Hand, über die Verwertungsunfähigkeit der abgebrannten Brennelemente zu befinden. Daher können sie auch den Zeitpunkt der Feststellung, daß die Verwertung ausgeschlossen ist, nach Belieben steuern, d.h. vorziehen oder auch hinauszögern. Die Qualifizierung abgebrannter Brennelemente als radioaktiver Abfall und der daraus resultierende Eintritt der Ablieferungspflicht sind also weitgehend zur Disposition der Privaten gestellt. Der Unterschied zwischen den hier dargestellten Auffassungen liegt somit darin, daß die überwiegende Meinung den Eintritt der Ablieferungspflicht, die hier vertretene Ansicht hingegen das Ende und den Umfang der Ablieferungspflicht zur Disposition der Privaten stellt. Damit beläßt die hier vertretene Auffassung — im Gegensatz zur überwiegenden Meinung — die abgebrannten 99

Vgl. Spranger, Ansprache beim Wirtschaftsverband Kernbrennstoff-Kreislauf e.V. am 15. 12.1983, Umwelt Nr. 100 v. 14.2. 1984, S. 28 (30). 100 Straßburg, Zwischenlagerung, S. 136 f. 101 s. oben Dritter Teil D.V.2.a)aa). 102 Vgl. oben Fußn. 98.

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Brennelemente nicht im privaten, sondern im staatlichen Verantwortungsbereich, solange und soweit keine ausreichenden Verwertungskapazitäten zur Verfügung stehen. Dies wird dem gesetzgeberischen Konzept der vorrangigen staatlichen Verantwortung im Bereich der Entsorgung besser gerecht. Ein weiterer Unterschied beider dargestellter Auffassungen ergibt sich hinsichtlich der direkten Endlagerung, d. h. der Endlagerung ohne vorhergehende Wiederaufarbeitung. Nach der überwiegenden Meinung wäre die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente derzeit unzulässig.103 Nach ihr sind abgebrannte Brennelemente wegen ihrer Verwertungsfähigkeit zu verwertende Reststoffe. Damit ist der Weg ins direkte Endlager über § 9 a Abs. 1 Nr. 2 i. V. mit Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AtG versperrt. Da — wie eben gezeigt — als Konsequenz der überwiegenden Meinung die Qualifizierung abgebrannter Brennelemente als radioaktiver Abfall weitgehend zur Disposition der Privaten steht, könnten diese — folgte man der überwiegenden Meinung — den Weg zum direkten Endlager gänzlich blockieren oder seine Öffnung nach eigenem Belieben zumindest verzögern. Damit würden zugleich die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die Einrichtung eines Direkt-Endlagers in Frage gestellt. Die hier vertretene Auffassung hingegen läßt die Option für die DirektEndlagerung offen. Nach ihr kann der Staat, soweit und solange keine ausreichenden Verwertungskapazitäten vorhanden sind, die direkte Endlagërung betreiben. Dies führt zu einer sinnvollen Konkurrenz zwischen Staat und Privaten. Der Staat wird seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die Einrichtung eines Direkt-Endlagers vorantreiben, während die Privaten ihrerseits die Schaffung ausreichender Verwertungskapazitäten forcieren werden, um die abgebrannten Brennelemente von der gesetzlichen Fiktion als radioaktiver Abfall zu befreien und sie als zu verwertenden Brennstoff zurückzugewinnen. Diese Konkurrenzsituation wäre unter dem Blickwinkel des atomrechtlichen Schutzzwecks (§ 1 Nr. 2 AtG) wünschenswert, da sie der bisher noch unvollständigen Bilanz aller Vor- und Nachteile der direkten Endlagerung einerseits und der Wiederaufarbeitung mit nachfolgender Endlagerung andererseits 104 weitere Argumente liefern könnte und damit die Abwägung zwischen beiden Lösungen förderte. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die hier vertretene Auffassung vorzugswürdig. dd) Die Wiederaufarbeitung durch COGEMA und die drei Alternativen des § 9a Abs. 1 Nr. 2 AtG Kimminich 105, der die Verwertung abgebrannter Brennelemente nach dem Stand von Wissenschaft und Technik für möglich hält, stützt seine Ansicht mit dem Wiederaufarbeitungsvertrag zwischen deutschen Kernkraftwerksbetrei103 So ausdrücklich Spranger, Ansprache beim Wirtschaftsverband KernbrennstoffKreislauf e. V. am 15.12. 1983, Umwelt Nr. 100 v. 14.2. 1984, S. 28 (30). 104 s. oben Erster Teil A.III.2. 105 ET 1982, 502 (503); vgl. auch Fischerhof, ET 1980, 499 (500).

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bern und der französischen COGEMA. Diese Betrachtungsweise bedarf indessen der Differenzierung, da die COGEMA nicht alle, sondern nur einen Teil der in der Bundesrepublik Deutschland anfallenden abgebrannten Brennelemente wiederaufarbeitet 106. Nur in dem mit der COGEMA vertraglich vereinbarten Umfang ist die Verwertung abgebrannter Brennelemente nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglich, im übrigen nicht. Diese differenzierende Betrachtungsweise wird gestützt durch den Wortlaut des § 9a Abs. 1 Nr. 2 AtG („soweit"). Damit sind die vom Vertrag mit der COGEMA nicht erfaßten abgebrannten Brennelemente als radioaktive Abfälle geordnet zu beseitigen (§9 a Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. AtG). Umgekehrt ist mit der Feststellung, daß für die vom Vertrag erfaßten abgebrannten Brennelemente die Verwertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglich ist, noch nicht gesagt, daß diese Brennelemente zu verwertende radioaktive Reststoffe i.S. des § 9a Abs. 1 Nr. 1 AtG sind; denn es kann bezüglich der Anlage der COGEMA zumindest zweifelhaft sein, ob die dortige Verwertung wirtschaftlich vertretbar ist (§ 9 a Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. AtG) 107 . Noch größere Zweifel sind angebracht, ob die von der COGEMA praktizierte Verwertung mit dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG vereinbar ist (§9 a Abs. 1 Nr. 2, 3. Alt. AtG), da die bei der dortigen Wiederaufarbeitung anfallenden radioaktiven Abfälle teilweise oberirdisch und freistehend abgestellt 108 oder — soweit es sich um ß-Strahler handelt — mit dem Abwasser in den Atlantik eingeleitet werden 109. Der Schutzzweck des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AtG erstreckt sich auch auf die Wiederaufarbeitung deutscher abgebrannter Brennelemente im Ausland. Wenn man nämlich im Rahmen des § 9a Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. AtG die Verwertung in ausländischen Einrichtungen ausreichen läßt, dann muß auch der Schutzgedanke des § 9a Abs. 1 Nr. 2, 3. Alt. i.V. mit § 1 AtG für diese Einrichtungen zum Tragen kommen; denn deutsche Betreiber dürfen sich durch Verlagerung einzelner nuklearer Prozeßschritte ins Ausland wegen fehlender inländischer Kapazitäten nicht dem umfassenden Schutzzweck des deutschen Atomgesetzes entziehen. Aus diesem umfassenden Schutzgedanken läßt sich möglicherweise sogar die Verpflichtung der Betreiber ableiten, dem ausländischen Partner die Beachtung des § 1 Nr. 2 AtG vertraglich aufzuerlegen. Dies soll hier aber nicht weiter vertieft werden. Jedenfalls verbessert die hier vertretene Auffassung auch den Schutz der im Geltungsbereich des deutschen Atomgesetzes Lebenden ; denn sie verhindert, daß Fisch mit inkorporierten ß-Strahler-Rückständen aus den Einrichtungen der COGEMA auf den Teller des deutschen Verbrauchers gelangt. 106

s. oben Dritter Teil D. V. 1. mit weiteren Nachweisen. Auch Pelzer, NJW 1980, 1505 (1506), spricht das Problem der wirtschaftlichen Vertretbarkeit an, allerdings ganz allgemein und nicht im Blick auf die COGEMA. 108 s. oben Erster Teil A.III.8. f)ff) m.w.N. 109 s. oben Erster Teil A.III. 8.f) dd) m.w.N. 107

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Nach der hier entwickelten Auffassung ist die Verwertung der vom Vertrag mit der COGEMA erfaßten abgebrannten Brennelemente gem. §9a Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. AtG zwar möglich, sie ist aber mit dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG unvereinbar (§ 9 a Abs. 1 Nr. 2), 3. Alt. AtG). Ist — wie hier — auch nur eine der Alternativen des § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG erfüllt, handelt es sich um radioaktive Abfälle. ee) Zwischenergebnis Soweit für abgebrannte Brennelemente keine Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, ist ihre Verwertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich ; sie sind als radioaktive Abfälle gem. § 9 a Abs. 1 Nr. 2 i. V. mit Abs. 2 AtG geordnet zu beseitigen. Soweit für abgebrannte Brennelemente Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, die Verwertung wirtschaftlich vertretbar und mit den in § 1 Nr. 2-4 AtG bezeichneten Zwecken vereinbar ist, sind sie als radioaktive Reststoffe gem. §9a Abs.l Nr. 1 AtG schadlos zu verwerten. Da in der Bundesrepbulik Deutschland derzeit keine großtechnischen Wiederaufarbeitungsanlagen in Betrieb sind und die Verwertung durch die COGEMA nach der hier vertretenen Ansicht mit dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG unvereinbar ist, sind die in der Bundesrepublik Deutschland anfallenden abgebrannten Brennelemente — mit Ausnahme derer, die an die Wiederaufarbeitungsanlage des Kernforschungszentrums Karlsruhe gehen — derzeit als radioaktive Abfälle gem. § 9 a Abs. 1 Nr. 2 i. V. mit Abs. 2 AtG geordnet zu beseitigen. Soweit der Staat von der Ausnahmemöglichkeit des § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG Gebrauch macht, ist die spätere Verwertung nicht ausgeschlossen. c) § 7 statt § 6 AtGför Zwischenlager

Unabhängig davon, ob der Lösungsweg über § 9a Abs. 1 Nr. 1 AtG 1 1 0 oder über § 9a Abs. 1 Nr. 2 i.V. mit Abs. 2 AtG 1 1 1 eingeschlagen wird, kommen — soweit ersichtlich — die gesamte Literaturmeinung 112 und die Genehmigungspraxis 113 auf beiden Wegen zur Anwendung des § 6 AtG auf externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente, mit der bereits erörterten Folge, daß nur der Betrieb, nicht aber die Errichtung eines Zwischenlagers einer atomrechtlichen Genehmigung bedarf. 114 § 6 AtG ist aber nicht der richtige Genehmigungstatbestand; externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente fallen vielmehr unter den Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG, und zwar insoweit, als die Brennelemente anschließend 110 111 112 113 114

s. oben Dritter Teil D. V. 2. b) aa). s. oben Dritter Teil D. V. 2. b) bb) und cc). s. oben Dritter Teil D. V. 2. b) aa) und bb). Vgl. BT-Ds. 10/305, Ziff. 2.1. s. oben Dritter Teil D. V. 2. b) aa).

8 Luckow

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

in einer Wiederaufarbeitungsanlage verwertet werden oder für sie eine Wiederaufarbeitungsoption offengehalten wird. Für diese Auffassung finden sich — soweit ersichtlich — bisher keine Stimmen115 ; sie ergibt sich aber aus verschiedenen Überlegungen. aa) Zusammenhang zwischen § 6 und § 5 AtG § 6 AtG ist im Zusammenhang mit §5 AtG zu sehen. Beide Bestimmungen regeln die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen : § 5 AtG die staatliche, § 6 AtG die private. Sie sind in der Weise miteinander verzahnt, daß die Pflicht zur staatlichen Verwahrung (§5 Abs. 1 Satz 1 AtG) zurücktritt, wenn eine Genehmigung zur privaten Aufbewahrung nach § 6 AtG erteilt wird (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 AtG). § 5 AtG gilt nicht für Kernbrennstoffe, die in radioaktiven Abfällen enthalten sind (§ 5 Abs. 6 AtG). Der Grund hierfür liegt in § 9 a Abs. 2 i. V. mit Abs. 3 AtG ; diese Bestimmung enthält die speziellere Regelung.116 Soweit abgebrannte Brennelemente radioaktive Abfalle darstellen 117, ist § 5 AtG daher nicht anwendbar.118 Wegen des dargestellten systematischen Zusammenhangs zwischen §§ 5 und 6 AtG ist auch § 6 AtG in diesem Fall nicht anwendbar. Dies ergibt sich auch daraus, daß § 9a Abs. 2 AtG in seinem Satz 1 nicht nur die Ablieferungspflicht besonders geregelt hat (als lex specialis zu § 5 Abs. 3 AtG), sondern in seinem Satz 2 auch Ausnahmemöglichkeiten für die private Aufbewahrung eröffnet hat. 119 bb) Systematische Auslegung des § 6 AtG im Hinblick auf § 7 Abs. 1 AtG Daß § 6 AtG für bestrahlte Brennelemente nicht gelten soll, zeigt auch eine Gegenüberstellung mit § 7 Abs. 1 AtG. Dort sind „bestrahlte Kernbrennstoffe" ausdrücklich aufgeführt; in § 6 Abs. 1 AtG wird lediglich von „Kernbrennstoffen" gesprochen. Die von der Gegenansicht120 ins Feld geführte historische Auslegung muß gegenüber der systematischen Auslegung zurückstehen, da die Gesetzesmaterialien widersprüchlich sind.121 Einerseits hat die Bundesregierung dort festgestellt : 115 OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12. 1981, ET 1982, 145 (148) streift das Problem lediglich und kommt zu einem ablehnenden Ergebnis. Auch der Bundesminister des Innern verneint die Anwendbarkeit des § 7 A t G auf Zwischenlager bestrahlter Brennelemente, allerdings ohne Begründung; vgl. BT-Ds. 10/305, Ziff. 2.1. 116 BT-Ds. 7/4794, Gegenäußerung der Bundesregierung Nr. 1. 117 118 119

Vgl. oben Dritter Teil D.V.2.b)ee). So auch Pelzer, NJW 1980, 1505 (1506). So auch Gleim/Winter, NJW 1980,1088 (1089); vgl. auch Fischerhof, ET 1980,499

(500). 120 Fischerhof, ET 1980,499 (500); OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12.1981, ET 1982,145 (147); OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.11. 1982, ET 1983, 54 (56).

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„Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß auch bestrahlte Kernbrennstoffe Kernbrennstoffe im Sinne des Gesetzes sind. Im übrigen werden bestrahlte Kernbrennstoffe ohnehin durch § 2 Nr. 1 Buchst, d erfaßt."

Andererseits geht die Bundesregierung von der Vorstellung aus: „Die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen ist weder mit Immissionen noch mit der Aussendung von Strahlen auf andere Grundstücke verbunden."

Dies trifft für die Aufbewahrung bestrahlter Kernbrennstoffe aber gerade nicht zu, da diese durch den Zerfall der Spaltprodukte sehr wohl Wärme entwickeln und Wärme eine Immission darstellt (vgl. § 3 Abs. 2 BImSchG) und da diese hochaktiven abgebrannten Brennelemente außerdem Strahlen aussenden.122 Zwei Deutungen der widersprüchlichen Äußerungen der Bundesregierung sind denkbar. Entweder ist die Bundesregierung von der richtigen Tatsachenlage ausgegangen, daß abgebrannte Brennelemente Wärme und Strahlung entwickeln. Dann wollte sie — das ist dem zweiten Zitat zu entnehmen — § 6 AtG auf abgebrannte Brennelemente nicht angewendet wissen. In diesem Fall ist der terminologische Widerspruch zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 Lit. d) AtG, den der Gesetzgeber nicht gesehen hat, dahingehend zu lösen, daß die Erklärungen der Bundesregierung zum spezielleren § 6 AtG ihren Äußerungen zum § 2 AtG vorgehen. Oder die Bundesregierung ist von der unrichtigen Tatsachenlage ausgegangen, daß abgebrannte Brennelemente keine Wärme und Strahlung entwickeln. In diesem Fall müßte der Gesetzgeber das Atomgesetz insoweit nachbessern123, daß § 6 AtG für die Aufbewahrung abgebrannter Brennelemente nicht zur Anwendung kommt. cc) Vergleich des § 6 AtG mit den Anforderungen für eine Landessammelstelle Wird § 6 AtG auf ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente angewendet, unterliegt es weniger strengen Genehmigungsanforderungen als eine Landessammelstelle, obgleich beide Anlagearten zur Lagerung des gleichen Gefährdungspotentials bestimmt sind. (1) Funktion und Gefährdungspotentiale der Landessammelstellen und externer Zwischenlager

Für die Zwischenlagerung der in ihrem Gebiet angefallenen radioaktiven Abfälle haben die Länder gem. § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG Landessammelstellen einzurichten. Da abgebrannte Brennelemente unter bestimmten Voraussetzun121

BT-Ds. III/759, S. 59. Hierauf verweist auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.11.1982, ET 1983, 54 (56). 122 s. oben Erster Teil A. III. 1. und 4. a), b) sowie Anhang I, Abb. 5. 123 Zur Figur des Nachfassens staatlicher Organe : s. oben Zweiter Teil Α. IV.

*

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

gen radioaktive Abfälle sind 124 , sind Landessammelstellen insoweit für deren Lagerung zuständig. Auch aus § 47 Abs. 2 StrlSchV ergibt sich, daß Landessammelstellen für die Aufnahme abgebrannter Brennelemente bestimmt sind.125 Derzeit nehmen die Landessammelstellen zwar keine abgebrannten Brennelemente auf, sondern lagern lediglich Behälter mit endlagerfähig konditionierten schwach- und mittelaktiven Abfällen, unverarbeitete Rohabfälle sowie tritiumund radiumhaltige Abfalle. 126 Dies hat aber keine rechtlichen Ursachen, sondern hängt unter anderem damit zusammen, daß sich diese Abfallarten wegen fehlender Endlagerkapazitäten in den Landessammelstellen stauen, so daß kein Raum für abgebrannte Brennelemente bleibt. Daher ergibt sich die Notwendigkeit, abgebrannte Brennelemente außerhalb von Landessammelstellen anderweitig zu lagern. 127 Diese Tatsachenlage ändert aber nichts daran, daß Landessammelstellen — nach der Gesetzeslage — zur Aufnahme abgebrannter Brennelemente bestimmt sind. Die gegenteilige Auffassung, daß Landessammelstellen grundsätzlich nur für die Zwischenlagerung der Abfälle aus Medizin, Forschung und sonstiger industrieller Nutzung, nicht aber für Abfälle aus Kernkraftwerken zuständig seien128, findet keinen Rückhalt im Wortlaut des § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG. Diese Auffassung wurzelt in der — unrichtigen — Betrachtungsweise, abgebrannte Brennelemente seien unter keinen Umständen radioaktive Abfalle; außerdem aber schießt sie — in sich unschlüssig — auch noch über den eigenen Ansatz hinaus, indem sie die übrigen aus einem Kernkraftwerk stammenden Abfälle (z.B. die kontaminierten Betriebsmittel wie Filtermaterialien, Konzentrate, Reinigungsmittel, Arbeitskleidung und aus- oder abgebaute nicht verwertbare Anlagenteile) — bezogen auf die Landessammelstellen — den abgebrannten Brennelementen gleichstellt und diese radioaktiven Abfälle ebenfalls von der Zwischenlagerung in Landessammelstellen ausschließt. Dies läßt sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt rechtfertigen und steht auch im Widerspruch zur Genehmigungspraxis. So soll z.B. die Bayerische Landessammelstelle in Mitterteich /Oberpfalz nicht nur schwach- und mittelaktive Abfälle aus Industrie und Medizin, sondern auch aus Kernkraftwerken aufnehmen. 129 Eine Landessammelstelle hat somit vom Wortlaut des Gesetzes her auch die Funktion, abgebrannte Brennelemente zu lagern, und birgt damit das gleiche Gefährdungspotential wie ein externes Zwischenlager.

124 125 126 127 128 129

s. oben Dritter Teil D.V.2.b)ee). Vgl. Gutermuth, ET 1983, 923 (924). s. oben Erster Teil A. III. 8.j) dd). So wohl auch Pelzer, NJW 1980, 1505 (1506). So ausdrücklich Spranger, Umwelt Nr. 96 v. 8. 7. 1983, S. 32 (33). Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 24. 2. und 19. 3. 1984.

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren (2) Strengere Anforderungen

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des § 9c AtG

Trotz gleichen Gefährdungspotentials sind die Genehmigungsanforderungen für ein externes Zwischenlager, das gem. § 6 AtG genehmigt werden soll, weniger streng als für eine Landessammelstelle. Landessammelstellen i. S. des § 9 a Abs. 3 AtG werden gem. § 9 c AtG nach § 9 AtG oder nach §§ 3 und 6 StrlSchV genehmigt. Die materiellen Anforderungen des § 9 c i. V. mit § 9 AtG sind in mehrfacher Hinsicht strenger als die des § 6 AtG : — § 9c AtG macht Errichtung und Betrieb genehmigungspflichtig, § 6 Abs. 1 AtG hingegen nur den Betrieb. — Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 AtG sind in § 6 Abs. 2 AtG nicht enthalten. — Die Genehmigung nach § 6 Abs. 2 AtG ist eine gebundene Entscheidung („ist zu erteilen"), während die nach § 9 Abs. 2 AtG in das Ermessen der Behörde gestellt ist, so daß eine Versagung der Genehmigung — trotz Vorliegens aller Genehmigungsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 AtG — möglich ist, wenn „besondere und unvorhergesehene Umstände es einmal notwendig machen".130 Die materiellen Anforderungen des § 9 c AtG i. V. mit §§ 3 und 6 StrlSchV sind ebenfalls in mehrfacher Hinsicht strenger als die des § 6 AtG. Zwar ist die Genehmigung nach § 6 Abs. 1 StrlSchV ebenso wie die nach § 6 AtG eine gebundene Entscheidung, aber § 9 c AtG macht nicht nur den Betrieb, sondern auch die Errichtung genehmigungspflichtig und dem § 6 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 8 StrlSchV entsprechemde Genehmigungsvoraussetzungen fehlen in § 6 Abs. 2 AtG völlig. (3) Gleiche Genehmigungsvoraussetzungen bei gleicher Funktion und gleichem Gefährdungspotential

Daß bei identischer Funktion (Lagerung abgebrannter Brennelemente) und gleichem Gefährdungspotential an ein privates externes Zwischenlager gem. § 6 AtG geringere Genehmigungsanforderungen gestellt werden als an eine staatliche Landessammelstelle gem. § 9c AtG, führt auch zu Wertungswidersprüchen mit anderen Bestimmungen des Atomgesetzes. Zum einen ergibt ein Vergleich zwischen § 5 Abs. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 2 AtG, daß das Atomgesetz an die staatliche Verwahrung geringere Anforderungen stellt als an die private und nicht umgekehrt. Zum anderen gebietet der Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG, daß bei gleicher Funktion und gleichem Gefährdungspotential zweier Anlagen für sie die gleichen Genehmigungsvoraussetzungen gelten müssen. Wenn der Gesetzgeber über § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG und die Verordnungsermächtigung in § 12 Abs. 1 Nr. 8 AtG einen Weg zur Lagerung außerhalb von 130

So wörtlich BVerfGE 49, 89 (147) zur — insoweit gleich zu erachtenden — Ermessensvorschrift des § 7 Abs. 2 AtG.

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Landessammelstellen eröffnet hat, so hat er damit keineswegs zum Ausdruck gebracht, daß für diese externen Lager geringere Anforderungen genügen sollen als für eine Landessammelstelle. Wenn abgebrannte Brennelemente in Landessammelstellen gelagert werden können und hierfür bestimmte Anforderungen gelten, dann dürfen für eine Lagerung abgebrannter Brennelemente außerhalb von Landessammelstellen keine geringeren Voraussetzungen gefordert werden. (4) Genehmigungsvoraussetzungen

bei ungleichem Gefährdungspotential

Schließt man sich der Auffassung an, daß Landessammelstellen nicht zur Aufnahme abgebrannter Brennelemente bestimmt seien, vergrößerte sich der Wertungswiderspruch sogar noch. Das Gefährdungspotential des für die Landessammelstellen nach dieser Ansicht vorgesehenen Inventars (schwachund mittelaktiver Abfall) wäre nämlich geringer als das der externen Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente. Gleichwohl wären die Genehmigungsanforderungen für die staatliche Landessammelstelle (§ 9 c i. V. mit § 9 AtG bzw. §§3,6 StrlSchV) strenger als für das private externe Zwischenlager (§6 AtG). 131 Gebietet der Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG schon bei gleichem Gefährdungspotential, daß für die Lagerung abgebrannter Brennelemente außerhalb von Landessammelstellen keine geringeren Voraussetzungen gefordert werden dürfen als für eine Landessammelstelle132, so gilt dies erst recht, wenn die Landessammelstelle ein geringeres Gefährdungspotential aufweist als das externe Zwischenlager. dd) Vergleich des § 6 AtG mit den Anforderungen für ein Kompaktlager Würde § 6 AtG auf ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente angewendet, unterläge es weniger strengen Genehmigungsanforderungen als ein Kompaktlager, obgleich beide Anlagearten zur Lagerung des gleichen Gefährdungspotentials bestimmt sind.133 Externe Zwischenlager und Kompaktlager dienen gleichermaßen der Lagerung abgebrannter Brennelemente, um die fehlenden Kapazitäten der nächsten Prozeßstufe zu überbrücken und Aktivität sowie Wärmeproduktion der abgebrannten Brennelemente zu vermindern. 134 Gleichwohl wären die Genehmigungsanforderungen für ein externes Zwischenlager, das gem. § 6 AtG genehmigt würde, weniger streng als für ein Kompaktlager.

131

Vgl. oben Dritter Teil D. V. 2. c) cc) (2). s. oben Dritter Teil D. V. 2. c) cc) (3). 133 Auch Knüppel, DÖV 1981, 19 (21) stellt fest, daß die von abgebrannten Brennelementen ausgehende Gefahr bei externer und interner Lagerung gleich ist. 134 Vgl. im einzelnen oben Erster Teil A. III. 9. a), b). 132

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

119

Kompaktlager unterliegen nach überwiegender Meinung dem Genehmigungstatbestand des § 7 AtG. 135 Die materiellen Anforderungen des § 7 AtG sind in mehrfacher Hinsicht strenger als die des § 6 AtG: — § 7 Abs. 1 AtG macht Errichtung und Betrieb genehmigungspflichtig, § 6 Abs. 1 AtG hingegen nur den Betrieb. — Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 AtG fehlen in § 6 Abs. 3 AtG völlig. — Die Genehmigung nach § 6 Abs. 2 AtG ist eine gebundene Entscheidung, während die nach § 7 Abs. 2 AtG in das Ermessen der Behörde gestellt ist. Daß bei identischer Funktion und gleichem Gefahrdungspotential des Inventars an ein externes Zwischenlager gem. § 6 AtG geringere Genehmigungsanforderungen gestellt werden sollen als an ein Kompaktlager, stellt einen Wertungswiderspruch dar, der im Hinblick auf den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG nur in dem Sinne gelöst werden kann, daß für externe Zwischenlager keine geringeren Voraussetzungen verlangt werden dürfen als für Kompaktlager. Daß die Nähe des Kompaktlagers zum Reaktor des Kernkraftwerks zusätzliche Gefahren für das eingelagerte Inventar mit sich bringt 136 , muß bei der Frage nach dem richtigen Genehmigungstatbestand für externe Zwischenlager (Genehmigungsbedürftigkeit) außer Betracht bleiben; denn das Gefährdungspotential des Inventars selbst ist bei beiden Lagerarten identisch. Die Gefahrerhöhung ist erst bei der Prüfung, ob die anlageinterne Zwischenlagerung die bestmögliche Schadensvorsorge gewährleistet, also bei der Frage der Genehmigungsfähigkeit bedeutsam.137 ee) Vergleich des § 6 AtG mit den Anforderungen für ein privates Zwischenlager für schwachaktiven Abfall Würde § 6 AtG auf ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente angewendet, unterläge es weniger strengen Genehmigungsanforderungen als ein privates Zwischenlager für schwachaktiven Abfall, obgleich das Gefährdungspotential eines Lagers für abgebrannte Brennelemente größer ist als das eines Lagers für schwachaktiven Abfall. 138 Ein privates Zwischenlager für schwachaktiven Abfall ist bei Gorleben im Bau.139 Nach herrschender Meinung und der gegenwärtigen Genehmigungspraxis bedarf ein derartiges Zwischenlager einer Genehmigung nach § 3 StrlSchV. 140 135 136 137 138

s. im einzelnen unten Dritter Teil F. IV. 2. a). s. hierzu oben Erster Teil A. III. 9. c). Dazu s. unten Vierter Teil.

s. auch schon oben Dritter Teil D. V. 2. c) cc) (4). s. oben Erster Teil A. III. 8. j) dd). 140 OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12.1981, ET 1982,145 (149); ihm folgend : Straßburg, Zwischenlagerung, S. 134; ders., ET 1983, 677 (679); BT-Ds. 10/305, Ziff. 2.1. 139

120

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Der „Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen" (§ 3 Abs. 1 StrlSchV) schließe das „Lagern" ein. Dies ergebe sich aus der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1 AtG. Die Zulässigkeit dieser privaten Zwischenlagerung wird über die Ausnahmeregelung des § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG konstruiert. Aus § 9c AtG sei nicht der Schluß zu ziehen, daß allein die dort genannten Landessammelstellen einer Genehmigung nach § 3 StrlSchV zugänglich seien. Vielmehr unterlägen diese nur den gleichen Genehmigungsvoraussetzungen wie private Zwischenlager.141 Mit dieser Feststellung verkennen das Oberverwaltungsgericht Lüneburg und Straßburg allerdings, daß § 9c AtG für die Landessammelstellen eine atomrechtliche Genehmigung für deren Betrieb und deren Errichtung vorschreibt, während § 3 Abs. 1 StrlSchV allein nur den Betrieb („umgeht") genehmigungspflichtig macht. Somit liegen gerade ungleiche Genehmigungsvoraussetzungen vor. Dies führt zu einem Wertungswiderspruch, da an das private Zwischenlager geringere Anforderungen gestellt wurden als an die staatliche Landessammelstelle. Diese Divergenz, die wohl auch der Gesetzgeber bei der Einführung der §§ 9a-9c AtG nicht erkannt hat, kann in dem hier interessierenden Zusammenhang jedoch außer Betracht bleiben. Die materiellen Anforderungen der §§3,6 StrlSchV für private Zwischenlager schwachaktiven Abfalls sind strenger als die des § 6 AtG, der für externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente zur Anwendung kommen soll. Zwar machen § 3 Abs. 1 StrlSchV und § 6 Abs. 1 AtG beide jeweils nur den Betrieb, nicht aber die Errichtung genehmigungspflichtig; auch handelt es sich bei den Genehmigungen nach § 6 Abs. 1 StrlSchV und § 6 Abs. 2 AtG jeweils um gebundene Entscheidungen. Genehmigungsvoraussetzungen, die denen des § 6 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 8 StrlSchV entsprechen, fehlen jedoch in § 6 Abs. 2 AtG völlig. Daß beim gefährlicheren Lager für abgebrannte Brennelemente geringere Anforderungen genügen sollen als beim privaten Zwischenlager für schwachaktiven Abfall, ist ein Wertungswiderspruch, der im Hinblick auf den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG nur in dem Sinne gelöst werden kann, daß für externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente keine geringeren Voraussetzungen verlangt werden dürfen als für private Zwischenlager schwachaktiven Abfalls. ff) Derzeitige Genehmigungspraxis Die Genehmigungspraxis, die auf externe Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente § 6 AtG anwendet, hat die Schwachstellen dieser Bestimmung anscheinend erkannt und — im Einvernehmen mit den Antragstellern — weitere Genehmigungsvoraussetzungen aufgestellt. Obgleich das Genehmigungsverfahren nach § 6 AtG dem Verwaltungsverfahrensgesetz unterliegt, das keine speziellen Aussagen zur Beteiligung der Öffentlichkeit enthält, wurde in den 141 So OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12. 1981, ET 1982, 145 (149); Straßburg, Zwischenlagerung, S. 134.

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

121

Verfahren für die Brennelement-Zwischenlager in Ahaus und Gorleben — entsprechend den Regelungen der Atomrechtlichen Verfahrens ver Ordnung142 — das Vorhaben öffentlich bekanntgemacht, Antrag, Sicherheitsbericht und Kurzbeschreibung zur Einsicht für zwei Monate ausgelegt und ein Termin zur Erörterung von Einwendungen abgehalten.143 gg) Externes Zwischenlager als Anlage zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe i. S. des § 7 Abs. 1 AtG Aus den vorstehenden Darlegungen läßt sich ersehen, daß § 6 AtG als Genehmigungstatbestand für externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente nicht in Frage kommen kann. Vielmehr ergibt sich insbesondere aus den Vergleichen des § 6 AtG mit den Anforderungen für eine Landessammelstelle, ein Kompaktlager und ein privates Zwischenlager für schwachaktiven Abfall, daß eine Genehmigungsvorschrift zur Anwendung kommen muß, deren Voraussetzungen denen des § 9c AtG i.V. mit §9 AtG bzw. mit §§ 3, 6 StrlSchV (Landessammelstelle) bzw. denen des § 7 AtG (Kompaktlager) bzw. denen der §§ 3, 6 StrlSchV (privates Zwischenlager für schwachaktiven Abfall) mindestens entsprechen.144 Für externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente kommt § 7 AtG in Frage; denn unter bestimmten Bedingungen fällt ein derartiges Lager unter den Begriff der „Anlage zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe" i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. (1) Externe Zwischenlagerung als Teil der Wieder auf arbeitung

Die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente kann zwei Funktionen erfüllen; einerseits die Überbrückung fehlender Kapazitäten der nächsten Prozeßstufe, andererseits die Verminderung von Aktivität und Wärmeproduktion der abgebrannten Brennelemente.145 Soweit für abgebrannte Brennelemente Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, dient die Zwischenlagerung allein der Verminderung ihrer Aktivität und Wärmeproduktion und damit der Wiederaufarbeitung. Die externe Zwischenlagerung erfüllt insoweit die gleiche Funktion wie das Brennelementeingangslager einer Wiederaufarbeitungsanlage. 146 Die externe Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente ist daher insoweit — ebenso wie das Brennelementeingangslager — Teil der „Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe" i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. Ob die Brennelemente im Bereich der Wiederauf142

Anhang II, Ziff. 1. Arbeitsgemeinschaft Brennelement-Zwischenlager, Ahaus, S. 3 ; OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.11. 1982, ET 1983, 54 (56). 143

144 145 146

s. oben Dritter Teil D. V. 2.c)cc)-ee). s. oben Erster Teil A. III. 9. a), b). s. oben Erster Teil A.III.4.b) und 9.b).

122

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

arbeitungsanlage oder von ihr räumlich getrennt (extern) gelagert werden, ist unerheblich. Das gleiche gilt, soweit Wiederaufarbeitungskapazitäten für abgebrannte Brennelemente nicht vorhanden sind, die Option für ihre Wiederaufarbeitung aber noch offengehalten wird. Auch in diesem Fall dient die Zwischenlagerung — neben der Überbrückung fehlender Kapazitäten der nächsten Prozeßstufe — der Verminderung von Aktivität und Wärmeproduktion der abgebrannten Brennelemente und damit der Wiederaufarbeitung. Ihre Zwischenlagerung ist daher ebenfalls Teil der Aufarbeitung i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. Die hier vertretene Betrachtungsweise, § 7 AtG statt § 6 AtG auf externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente anzuwenden, wird durch Vorschriften im Atomgesetz und der Strahlenschutzverordnung gestützt. Zum einen ist § 6 AtG im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsvorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 4 AtG zu lesen. Danach gilt § 6 AtG nicht für die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen, soweit diese Vorbereitung oder Teil einer nach §§ 7 oder 9 AtG genehmigungsbedürftigen Tätigkeit ist. Die Zwischenlagerung ist — im dargestellten Umfang — Teil der Aufarbeitung und damit Teil einer nach § 7 AtG genehmigungsbedürftigen Tätigkeit. Zum anderen hat der Verordnungsgeber in § 47 Abs. 1 Satz 1 StrlSchV mit dem Passus „soweit... die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen nach ... § 7 AtG ... genehmigt worden ist" zu erkennen gegeben, daß die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen nicht nur nach § 6 AtG, sondern auch nach § 7 AtG genehmigt werden kann. Auch hieraus ergibt sich, daß die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen Teil einer nach § 7 AtG genehmigungsbedürftigen Tätigkeit sein kann. Im übrigen gilt für Anlagen i. S. des § 7 AtG die Atomrechtliche Verfahrensverordnung (vgl. § 1 AtVfV), so daß die derzeitige Genehmigungspraxis, im Rahmen des § 6 AtG — contra legem, aber im Einvernehmen mit den Antragstellern — die Atomrechtliche Verfahrensverordnung anstelle des Verwaltungsverfahrensgesetzes anzuwenden147, entbehrlich ist. Darüber hinaus käme die hier vertretene Ansicht der Auffassung von Fischerhof 1AS entgegen, der im Rahmen der Genehmigung nach § 6 AtG für externe Zwischenlager ohnehin § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG analog anwenden möchte. Vergleicht man die hier vertretene Auffassung mit der Ansicht von Fischerhof und der derzeitigen Genehmigungspraxis, so stellt sie in dreifacher Hinsicht höhere Anforderungen. § 7 Abs. 1 AtG verlangt — anders als § 6 Abs. 1 AtG — nicht nur für den Betrieb, sondern auch für die Errichtung eine atomrechtliche Genehmigung; § 7 Abs. 2 AtG stellt die Genehmigungserteilung in das Ermessen der Behörde, während die Erteilung nach § 6 Abs. 2 AtG gebunden ist ; die Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AtG hat in § 6 Abs. 2 AtG keine Entsprechung. 147 148

s. hierzu oben Dritter Teil D. V. 2. c) ff). ET 1980, 499 (500).

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren (2) Abweichende Ansicht des Oberverwaltungsgerichts

123

Lüneburg

Die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg 149, die die hier vertretene Auffassung ablehnt, ist nicht haltbar. Die Feststellung des Gerichts, daß die Zwischenlagerung die Aufarbeitung nicht erleichtere, sondern mit zunehmender Dauer eher erschwere, ist unrichtig; denn Aktivität und Wärmeproduktion der abgebrannten Brennelemente nehmen mit zunehmender Lagerdauer ab 150 , was die Wiederaufarbeitung unter sicherheitstechnischen Aspekten erleichtert. Außerdem verkennt das Gericht bei seiner, mit dieser (unrichtigen) Feststellung in Zusammenhang stehenden rechtlichen Erörterung des § 23 Abs. 1 Nr. 4 AtG, daß diese Bestimmung nicht nur auf die „Vorbereitung" abstellt, sondern auch darauf, ob etwas „Teil einer nach § 7 oder § 9 genehmigungsbedürftigen Tätigkeit" ist. Bei dieser Alternative kommt es aber gerade nicht darauf an, ob die Zwischenlagerung die Aufarbeitung erleichtert oder erschwert; denn eine Erschwerung vereitelt nicht die Eigenschaft als „Teil". Darüber hinaus ist die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts in sich nicht schlüssig. Käme es bei der Frage, ob etwas Teil der Wiederaufarbeitung ist, auf eine mögliche Erleichterung oder Erschwerung an, dann könnte — denkt man die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts konsequent weiter — auch das Brennelementeingangslager einer Wiederaufarbeitungsanlage nicht Teil derselben sein, da — unterstellt man die (unrichtige) Feststellung des Gerichts — die Zwischenlagerung im Eingangslager (ebenso wie die im insoweit funktionsgleichen externen Lager) die Aufarbeitung erschwert. Andererseits will das Gericht das Brennelementeingangslager aber unter § 7 Abs. 1 AtG subsumieren.151 Wegen dieser dargelegten Widersprüchlichkeiten ist die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht haltbar. Das externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente ist vielmehr — ebenso wie das Brennelementeingangslager — Teil der „Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe" i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. d) Rechtslage nach Wegfall

der Wieder aufarbeitungsoption

Soweit für abgebrannte Brennelemente keine Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind und die Wiederaufarbeitungsoption zugunsten der direkten Endlagerung fallengelassen worden ist, können externe Zwischenlager nicht nach § 7 AtG genehmigt werden, da die Aufbewahrung der Wiederaufarbeitung insoweit nicht mehr dienen und daher nicht Teil der Aufarbeitung sein kann. § 9 AtG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da Zwischenlagerung keine „sonstige Verwendung" i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 AtG ist.

149 150 151

Beschl. v. 29.12. 1981, ET 1982, 145 (148). s. oben Erster Teil A. III. 4. a), b) und Anhang I, Abb. 5. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.12. 1981, ET 1982, 145 (148).

124

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Nach Wegfall der Wiederaufarbeitungsoption ist eine private Lagerung der abgebrannten Brennelemente überhaupt nicht mehr möglich; denn der Weg über den überbrückenden Ausnahmetatbestand des § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG ist nicht mehr gangbar, da der Staat auf Ablieferung (§ 9 a Abs. 2 Satz 1 AtG) bestehen muß, wenn er die Verwertung als nicht realisierbar erachtet.152 Die Gründe für den Wegfall der Wiederaufarbeitungsoption sind belanglos; sie können ζ. B. politischer oder technischer Natur sein. Entscheidend ist allein, ob der Staat die Verwertung als realisierbar erachtet. Ist dies nicht der Fall, so lebt die durch § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG suspendierte AblieferungsVerpflichtung des § 9a Abs. 2 Satz 1 AtG wieder auf. Die private Ausnahmelagerung fällt damit zurück in den staatlichen Aufgabenbereich. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen. Entweder werden die bestehenden privaten Zwischenlager abgebrannter Brennelemente aufgelöst und ihr Inventar an bereits bestehende oder neueinzurichtende staatliche Anlagen i. S. des § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtG abgeliefert, oder sie werden dem Staat übergeben, der sie als Anlagen i.S. des § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG in eigener Verantwortung führt. Die übergebenen, vormals privaten Zwischenlager bekämen die Qualität einer Landessammelstelle bzw. einer Bundesanlage zur Sicherstellung, soweit die Verwirklichung eines Endlagers noch denkbar ist. Ist die Schaffung eines Endlagers hingegen „als schlechthin in absehbarer Zeit unmöglich zu betrachten", so erhielten die Zwischenlager selbst den Charakter von Endlagern.153 Da den Staat gem. § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG eine Rechtspflicht zur Einrichtung trifft, ist er zur Neueinrichtung staatlicher Anlagen i.S. des § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG bzw. zur Übernahme der bestehenden privaten Zwischenlager verpflichtet, um ausreichende Lagerkapazitäten für abgebrannte Brennelemente zur Verfügung zu haben. Kommt der Staat seiner Einrichtungsverpflichtung — aus welchen Gründen auch immer — nicht nach, bleibt zu erwägen, aus § 9a Abs. 3 Satz 2 AtG einen Anspruch auf Beteiligung der privaten Betreiber abzuleiten.154 Dies darf aber nichts am Grundsatz der staatlichen Verantwortung bei der Beseitigung radioaktiver Abfälle ändern. 155 3. Ergebnis

a) Soweit für abgebrannte Brennelemente Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, die Verwertung wirtschaftlich vertretbar und mit den in § 1 Nrn. 2-4 AtG bezeichneten Zwecken vereinbar ist, sind sie als radioaktive Reststoffe gem. §9a Nr. 1 AtG schadlos zu verwerten. In diesem Fall sind externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente „Anlagen zur Aufarbeitung 152

s. oben Dritter Teil D. V. 2. b) cc) (2). So ausdrücklich OVG Lüneburg, Beschl. v. 29. 12. 1981, ET 1982,145 (149). Dieser Rechtsprechung folgt Straßburg, Zwischenlagerung, S. 129. 154 Vgl. Wagner, Entsorgungsregelung, S. 101 f., 124; Straßburg, ET 1983, 677 (679). 155 s. hierzu oben Dritter Teil D. V. 2. a) aa). 153

D. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

125

bestrahlter Kernbrennstoffe" i. S. des § 7 Abs. 1 AtG, der unmittelbar zur Anwendung kommt. Auch soweit Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, können externe Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente erforderlich sein. Sie können als Sammelstation für die Brennelemente vor deren Weitertransport an die Wiederaufarbeitungsanlage oder auch als vorbereitendes Lager für die Wiederaufarbeitung fungieren, falls die Brennelementeingangslager der Wiederaufarbeitungsanlagen aus Sicherheitsgründen möglichst klein gehalten werden, so daß sie nur die Aufarbeitungskapazität weniger Tage aufnehmen können. b) Soweit für abgebrannte Brennelemente keine Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, ist ihre Verwertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich ; sie sind als radioaktive Abfälle gem. § 9 a Abs. 1 Nr. 2 i. V. mit Abs. 2 AtG geordnet zu beseitigen. aa) Soweit bei fehlenden Wiederaufarbeitungskapazitäten die Option für die Wiederaufarbeitung offengehalten wird, sind externe Zwischenlager abgebrannter Brennelemente „Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe" i. S. des § 7 Abs. 1 AtG, der im Rahmen des § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG zur Anwendung kommt. Daß somit im externen Zwischenlager radioaktiver Abfall auf Wiederaufarbeitung wartet, ist kein Widerspruch; denn in dem Augenblick, in dem Wiederaufarbeitungskapazitäten zur Verfügung stehen, erlischt im selben Umfang die gesetzliche Fiktion des § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG, und erlangen die abgebrannten Brennelemente die Qualität zu verwertender Reststoffe i. S. des § 9 a Abs. 1 Nr. 1 AtG. Bei § 7 Abs. 1 AtG hingegen macht es keinen Unterschied, ob Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind oder nicht. Hier genügt — anders als bei § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG — die bloße Aufarbeitungsfähigkeit. Solange nur die Option für die Wiederaufarbeitung offengehalten wird, solange dient die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente der Wiederaufarbeitung und ist damit Teil der Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. bb) Soweit und sobald aber bei fehlenden Wiederaufarbeitungskapazitäten die Option für die Wiederaufarbeitung entfällt, scheidet § 7 AtG als Genehmigungstatbestand aus, da die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente der Wiederaufarbeitung insoweit nun nicht mehr dienen kann. Zudem entfällt die Ausnahmemöglichkeit des § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG, so daß die suspendierte Ablieferungsverpflichtung des § 9 a Abs. 2 Satz 1 AtG wieder auflebt. Nach Wegfall der Wiederaufarbeitungsoption sind abgebrannte Brennelemente somit an Anlagen i.S. des § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG abzuliefern.

126

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

VI. Schlußfolgerungen für die Auslegung des § 7 Abs. 1 AtG

Aus den voranstehenden Darlegungen156 lassen sich Schlußfolgerungen für eine extensive Auslegung der Anlagenbegriffe des § 7 Abs. 1 AtG ableiten. Der Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG gebietet, kerntechnische (nukleare) Tätigkeiten und Produktionsschritte, die in technisch-naturwissenschaftlichem Zusammenhang mit den in § 7 Abs. 1 AtG aufgeführten Handlungsformen (Erzeugung, Be-, Verarbeitung, Spaltung, Aufarbeitung) stehen, diesen vorangehen oder folgen und ein vergleichbares Gefährdungspotential in sich bergen, als Teil dieser Handlungsformen zu betrachten. Der Schutzzweck verleiht dem Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG insoweit eine Klammerwirkung für vorangehende und nachfolgende kerntechnische Tätigkeiten. Diese Tätigkeiten dürfen nicht durch eine sektorale oder isolierte Betrachtungsweise technisch-naturwissenschaftlich einheitlicher Vorgänge vom Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG abgetrennt werden; denn dadurch würden sie unter Anlagenbegriffe fallen, für die geringere Genehmigungsanforderungen gelten (z.B. §§ 6 und 9 AtG). Daß eine extensive Auslegung der Alternativen des § 7 Abs. 1 AtG dazu führen kann, daß ein und dieselbe Station des Brennstoffkreislaufs von mehreren Alternativen zugleich erfaßt wird 157 , ist unschädlich und dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG eher zu- als abträglich. Die Alternativen des § 7 Abs. 1 AtG stehen gleichwertig nebeneinander; bei den hier angesprochenen Überschneidungen gibt es keine Subsidiarität einzelner Alternativen. Im übrigen entspricht eine extensive Auslegung der Anlagenbegriffe des § 7 Abs. 1 AtG der Konzeption des Atomgesetzgebers, die Anlagenbegriffe entwicklungsoffen zu formulieren. 158 E. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren als Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG I. Kernkraftwerke mit Schnellem Brutreaktor

Kernkraftwerke mit Schnellem Brutreaktor sind Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. Im Ergebnis herrscht hierüber in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit 159 . Jedoch sind die Begründungen dieses Ergebnisses — wenn sie nicht völlig fehlen — vielfach oberflächlich oder ungenau. 156

Vgl. insb. oben Dritter Teil D.I.2., II.2. und 3. sowie V.2.c). Vgl. z.B. oben Dritter Teil D . I I I . 1. 158 Vgl. oben Zweiter Teil C.I. und II. 159 Kimminich, Atomrecht, S. 79; Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 145 ff., 165; Mandelartz, JA 1977, 576 (577), Anm. zu O V G Münster, ET 1977, 705 ff.; OVG Münster, ET 1977, 705 (706); BVerfGE 49, 89 (99, 102f., 106, 128). 157

E. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren

127

1. Wörtliche Auslegung

Im Schnellem Brutreaktor wird Plutonium-239 gespalten und durch den Brutprozeß gleichzeitig — aus Uran-238 — neu erzeugt160. Da Plutonium-239 gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AtG ein Kernbrennstoff ist, ist der Schnelle Brutreaktor nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 AtG eine Anlage zur Erzeugung und zur Spaltung von Kernbrennstoffen. Der Wortlaut grenzt die sog. fortschrittlichen Reaktortypen wie Schnellen Brutreaktor und Hochtemperaturreaktor nicht aus, d. h. er macht keinen Unterschied zwischen herkömmlichen und fortschrittlichen Reaktortypen161. 2. Historische Auslegung

Die wörtliche Auslegung steht im Einklang mit der Konzeption des Gesetzgebers, den Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG — auch im Hinblick auf den Förderungszweck des § 1 Nr. 1 AtG — entwicklungs- und technologieoffen zu halten. Auch im übrigen ist kein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers ersichtlich; er hat es vielmehr in seinen Willen aufgenommen, daß der Schnelle Brutreaktor vom Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG erfaßt wird 162 . a) Begründung des Atomgesetz-Entwurfs

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Atomgesetzes konnte dem Gesetzgeber die Existenz der Technologie des Schnellen Brutreaktors nicht verborgen geblieben sein 163 ; denn bereits acht Jahre zuvor, d.h. im Jahre 1951, war in den USA der natriumgekühlte Schnelle Brutreaktor EBR I als Versuchsreaktor in Betrieb genommen worden 164. Gleichwohl hat der Gesetzgeber den Schnellen Brutreaktor auch in der Begründung des Atomgesetz-Entwurfs nicht ausgegrenzt; er hat vielmehr formuliert: „Zu den Anlagen im Sinne des § 7 gehören: 3. Reaktoren, in denen Kernbrennstoffe gespalten oder Plutonium-239 ... erzeugt werden .. ." 1 6 5 .

Hierunter fallen sowohl Leichtwasser- als auch Schnelle Brutreaktoren; erstere spalten das mit Isotopen 235 angereicherte Uran (Kernbrennstoff i.S. des § 2

160

Vgl. oben Erster Teil B; Koelzer, Lexikon, S. 121 („Schneller Brutreaktor"). Hierauf verweisen auch Mandelartz, JA 1977, 576 (577) und Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 145. 162 Vgl. BVerfGE 49, 89 (102). 163 So auch BVerfGE 49, 89 (128). 164 Koelzer, Lexikon, S. 191. 165 BT-Ds. III/759, S.22f. 161

128

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Abs.l Nr. 1 lit.c) AtG) und erzeugen Plutonium-239166; letztere spalten Plutonium-239 (Kernbrennstoff i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AtG) und erzeugen Plutonium-239167. Der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts 168, mit der zitierten Passage aus der Begründung seien in erster Linie die Schnellen Brutreaktoren angesprochen, da nur sie auf Spaltung und Erzeugung von Plutonium-239 hin angelegt seien und bei den Leichtwasserreaktoren Plutonium-239 dagegen nur die Rolle eines unvermeidlichen Koppelprodukts spiele, kann nicht gefolgt werden. Zum einen spricht die Begründung gerade nicht — wie das Bundesverfassungsgericht meint — von „Spaltung und Erzeugung von Plutonium-239", sondern von Spaltung von Kernbrennstoffen und Erzeugung von Plutonium-239. Diese Formulierung ist weiter, da sie hinsichtlich der Spaltung nicht nur Plutonium239, sondern alle in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG aufgeführten Kernbrennstoffe erfaßt, so daß Leichtwasserreaktoren gerade gleichwertig mit eingeschlossen sind. Zum anderen gibt die Begründungspassage nichts für eine Differenzierung nach gewünschtem Haupt- und ungewolltem Nebenprodukt her. Sie spricht vielmehr ohne jede Finalität von „Reaktoren, in denen ... Plutonium-239 ... erzeugt" wird. Dies ist aber — wie eben gezeigt — gerade auch bei Leichtwasserreaktoren der Fall. Selbst wenn man die Passage — wie das Bundesverfassungsgericht — final interpretierte, wäre noch ungewiß, ob Plutonium-239 bei Leichtwasserreaktoren tatsächlich nur die Rolle eines unvermeidlichen Koppelprodukts spielt. Ohne daß dies für die Bundesrepublik Deutschland unterstellt werden soll, ist es durchaus denkbar, daß Errichtung und Betrieb von Leichtwasserreaktoren vom Gedanken getragen sind, das anfallende Plutonium-239 als Ausgangsstoff für die nukleare Waffenproduktion zu gewinnen169. In einem solchen Fall spielte Plutonium-239 bei Leichtwasserreaktoren keinesfalls nur die Rolle eines unvermeidlichen Koppelprodukts; es wäre dann ein mindestens ebenso erwünschtes Hauptprodukt wie der Energiegewinn. b) Späteres Verhalten des Gesetzgebers

Auch nach Erlaß des Atomgesetzes finden sich nur Hinweise darauf, daß der Gesetzgeber es in seinen Willen aufgenommen hatte und es bisher dabei belassen hat, daß der Schnelle Brutreaktor vom Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG erfaßt wird. Der Bundestag hat die Atomprogramme der Bundesregierung, in denen auch die Entwicklung der Schnellen Brutreaktoren erwähnt wird, bisher zustimmend zur Kenntnis genommen und seit 1971 eigene Haushaltsmittel für die Entwicklung dieses Reaktortyps in Höhe von ca. drei Milliarden DM bewilligt170. Trotz des wachsenden Bewußtseins des Gesetzgebers über seinen 166 167 168 169

s. oben Erster Teil A.II, und Dritter Teil D . I I I . 1. s. oben Erster Teil B. BVerfGE 49, 89 (128). Vgl. Koelzer, Lexikon, S. 102f. („Plutoniumbombe"); Closs, Proliferation, S. 18ff.

E. Anlagen im Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren

129

unzureichenden Erkenntnisstand im Hinblick auf Technologie und Folgewirkungen des Schnellen Brutreaktors, das er 1978 mit der Einsetzung der EnqueteKommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" schließlich offenbarte 171, hat er die bisherigen Novellierungen des Atomgesetzes nicht zum Anlaß genommen, Sonderregelungen für Schnelle Brutreaktoren zu treffen, etwa durch eine Beschränkung oder Begrenzung der technologieoffenen Konzeption des § 7 AtG 172 . 3. Zwischenergebnis

Kernkraftwerke mit Schnellem Brutreaktor sind somit nach der derzeitigen Gesetzeslage Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG und damit nach dieser Bestimmung genehmigungsbedürftig. Davon streng zu trennen ist die Frage, ob die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG, deren Vorliegen über die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens entscheidet173, im Hinblick auf den Schnellen Brutreaktor hinreichend bestimmt sind. II. Brennelement-Herstellung für Schnelle Brutreaktoren

Bei der Brennelement-Herstellung für Schnelle Brutreaktoren werden Uran238 und Plutonium-239 be- und verarbeitet. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Brennelemente für die Erst- als auch hinsichtlich derer für die Zweitausstattung 174 . Plutonium-239 ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AtG ein Kernbrennstoff. Somit handelt es sich bei der Brennelement-Herstellung für Schnelle Brutreaktoren um eine Anlage zur Be- und Verarbeitung von Kernbrennstoffen i. S. des § 7 Abs. 1, 2. Alt. AtG. III. Wiederaufarbeitung der Brennelemente aus Schnellen Brutreaktoren

Abgebrannte Brennelemente aus Schnellen Brutreaktoren enthalten u.a. Plutonium-239. Dies ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AtG ein Kernbrennstoff. Die Wiederaufarbeitung der Brennelemente aus Schnellen Brutreaktoren ist somit Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe i.S. des § 7 Abs. 1, 4. Alt. AtG.

170

Hierauf verweisen BVerfGE 49, 89 (102f, 106, 133) und Mandelartz, JA 1977, 576

(577). 171

Vgl. oben Zweiter Teil C.IV.2. m.w.N. Vgl. BVerfGE 49, 89 (102 f.). Zu den denkbaren Novellierungsalternativen hinsichtlich des Schnellen Brutreaktors vgl. oben Zweiter Teil A.IV. 1. 173 Dazu siehe unten Vierter Teil. 174 s. hierzu oben Erster Teil C.III. 1. und 2. 172

9 Luckow

130

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

IV. Zwischenergebnis

Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 AtG grenzt weder den Schnellen Brutreaktor selbst noch die Anlagen zu seiner Ver- und Entsorgung aus. Kernkraftwerke mit Schnellem Brutreaktor sowie Anlagen zur Brennelement-Herstellung für Schnelle Brutreaktoren und zur Wiederaufarbeitung von Brennelementen aus Schnellen Brutreaktoren unterliegen damit dem Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG. F. Anlagenteile Bei der Untersuchung, welche Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren bzw. für Schnelle Brutreaktoren Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG sind, wurde noch nicht geklärt, welche einzelnen Teile und Einrichtungen einer kerntechnischen Anlage unter den Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG fallen. Daher wird im folgenden — zunächst allgemein — dargestellt, welche Teile einer kerntechnischen Anlage vom Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG erfaßt werden, und das Ergebnis dieser Darstellung anschließend an Hand konkreter Beispiele überprüft. I. Restriktive Auslegung

In der Literatur findet sich häufig die Feststellung, die wohl herrschende Meinung vertrete einen engen, sog. nuklearspezifischen Anlagenbegriff, der allein die nuklearen Teile einer kerntechnischen Anlage umfasse 175. Als Vertreter dieser Meinung werden — unrichtigerweise — Fischerhof 176 und Sternberg 177 zitiert; diese Autoren lassen aber unter bestimmten Voraussetzungen gerade auch nicht-nukleare Anlagenteile unter den Anlagenbegriff fallen 178. Nur Lukes ! Vollmer 119 wollen den Anlagenbegriff auf den nuklearen Anlagenteil, insbesondere den Reaktor, begrenzt wissen; sie relativieren ihre Auffassung indessen mit der Erkenntnis, daß nukleare und nicht-nukleare Anlagenteile wegen der technischen Einheit der Gesamtanlage immer mehr oder weniger stark auch im Hinblick auf potentielle Störfälle miteinander verbunden seien. 175

So ausdrücklich Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 21 und Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 172 f. 176 Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 4. 177 Sternberg, Probleme, S. 52 ff. 178 Fischerhof, Atomgesetz, §7 AtG, Rnr. 4: „Man wird aber bei der gegenseitigen technischen Verbundenheit und z.T. gegenseitigen Bedingtheit die gesamte Maschineneinrichtung zur Stromerzeugung (Turbinen und wohl auch Generatoren) einbeziehen müssen, ...". Sternberg, Probleme, S. 55 : „... wenn Bestandteile des Kernkraftwerks (Gebäude oder Systeme) ... im sicherheitstechnisch-funktionalen Zusammenhang mit der nuklearen Anlage stehen." 179 Lukes / Vollmer, Atomrechtliches Planfeststellungsverfahren, S. 22.

F. Anlagenteile

131

Ziegler 180 spricht zwar von einer inhaltlichen Beschränkung des Anlagenbegriffs auf Anlagen, von denen „spezifisch nukleare und radioökologische Gefahren" ausgehen können, stellt diese Auffassung aber auch nur dar, ohne sich ihr anzuschließen. Festzustellen bleibt, daß die restriktive Auslegung des Anlagenbegriffs nicht ernsthaft und schon gar nicht von einer „wohl herrschenden Meinung" vertreten worden ist. Die vereinzelt versuchte enge Auslegung kann als überwunden gelten. II. Funktionaler Zusammenhang zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen

Die herrschende Meinung geht vielmehr dahin, auch nicht spezifisch nukleare oder radioökoligische Anlagenteile unter den Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG zu subsumieren, wenn diese Teile in funktionalem Zusammenhang mit den spezifisch nuklearen oder radioökologischen Teilen stehen. Unklarheit herrscht jedoch über Art und Umfang des funktionalen Zusammenhangs. 1. Unmittelbarer funktionaler Zusammenhang

Zum Teil wird ein unmittelbarer funktionaler Zusammenhang verlangt. Nicht zu einer Anlage gehören danach Teile und Einrichtungen, die nur mittelbar dem Zwecke der Anlage zu dienen bestimmt sind 181 . 2. Sicherheitstechnisch-funktionaler Zusammenhang

Die wohl überwiegende Meinung versteht den funktionalen Zusammenhang allein sicherheitstechnisch. Nach dieser Auffassung erstreckt sich der Anlagenbegriff i. S. des § 7 Abs. 1 AtG auf alle Teile, die in einem sicherheitstechnischfunktionalen Zusammenhang mit dem nuklearen Teil der Anlage stehen182. Für Fischerhof 183 ist bei der Ermittlung des funktionalen Zusammenhangs die „Gefährlichkeit" maßgebend184. Dieser Begriff meint nichts anderes als die hier interessierende sicherheitstechnische Relevanz. Nach dieser wohl überwiegenden Meinung wird eine Anlage i. S. des § 7 Abs. 1 AtG von ihren sicherheitstechnisch relevanten Anlageteilen gebildet185. 180

Ziegler, ET 1978, 664f. So ausdrücklich der ausformulierte Lösungsvorschlag von Ziegler, ET 1978, 664 (667); vgl. auch Lukes / Vollmer, Atomrechtliches Planfeststellungsverfahren, S. 22. 182 Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 21; Sternberg, Probleme, S. 55; V G Regensburg, Urt. v. 7.4. 1981, Urteilsausfertigung, S. 10. 183 Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 4. 184 Ihm folgen Degenhart, Kernenergierecht, S. 44, Fußn. 206 a.E., Kimminich, ET 1982, 502 (505) und Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 177. 185 Vgl. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 177. 181

*

132

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Ronellenfitsch 186 bestimmt die sicherheitstechnisch relevanten Anlagenteile im Hinblick auf ihre Funktion beim Abschalten des Reaktors. Er konkretisiert die sicherheitstechnisch relevanten Anlagenteile als Teile, „die erforderlich sind, den Reaktor abzuschalten, ihn in abgeschaltetem Zustand zu halten, die Nachwärme abzuführen und eine unzulässige Freisetzung radioaktiver Stoffe zu verhindern". Bei der Beurteilung der Schaltwarte schlägt er nur deren Teile, „die für das gefahrlose Abschalten des Reaktors verantwortlich sind", dem Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG zu. 3. Sicherheits- und emissionstechnischer Zusammenhang

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg sieht in einer jüngeren Entscheidung den funktionalen Zusammenhang nicht allein sicherheitstechnisch, sondern darüber hinaus auch emissionstechnisch. Soweit Anlagenteile (einschließlich der sie aufnehmenden Gebäude) der nuklearen Funktion der Anlage dienen und mit der Kernspaltung in einem sicherheitstechnischen oder emissionstechnischen Zusammenhang stehen, sind sie nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Teile der „ortsfesten Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen" i.S. des § 7 Abs. 1 AtG 1 8 7 . 4. Allgemein funktionaler Zusammenhang

Noch weiter geht eine Auffassung, die einen allgemeinen funktionalen Zusammehang zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen genügen läßt. In einer früheren Entscheidung beschränkte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den wechselseitigen Zusammenhang zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen nicht auf sicherheits- oder emissionstechnische Aspekte, sondern bejahte den funktionalen Zusammenhang allein mit der Erwägung, daß ein nicht-nuklearer Anlagenteil (Kühlturm) den technischen Typ des Kernkraftwerks ganz wesentlich bestimme188. Auch dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof 189 genügt ein lediglich „enger Zusammenhang" zwischen den nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen, der keineswegs auf sicherheits- oder emissionstechnische Aspekte beschränkt ist. Einige Stimmen in der Literatur scheinen ebenfalls zu einem sehr weiten Anlagenbegriff zu tendieren. Auch sie wollen den Zusammenhang zwischen den nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen nicht nur sicherheits- oder emissionstechnisch, sondern darüber hinaus allgemein technisch verstanden wissen. Mahlmann 190 186 187 188 189 190

Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 179f. V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3. 1982, Urteilsausfertigung, S. 78. V G H Baden-Württemberg, Beschluß v. 8.10. 1975, DVB1. 1976, 538 (545). Bay VGH, Urt. v. 9.4. 1979, DVB1. 1979, 673 (677). Mahlmann, Fortentwicklung, S. 65.

F. Anlagenteile

133

ζ. Β. möchte unter den Anlagenbegriff i. S. des § 7 Abs. 1 AtG alle Anlagenteile subsumieren, die in einem „engen räumlichen und technischen Zusammenhang" mit dem Nuklearteil stehen191. III. Räumlich betriebstechnischer Zusammenhang zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen

Vorzugswürdig ist es, den funktionalen Zusammenhang räumlich betriebstechnisch zu sehen. Diese — hier vertretene — Auffassung beschränkt einerseits den funktionalen Zusammenhang nicht auf sicherheits- und emissionstechnische Aspekte192, läßt andererseits aber einen irgendwie gearteten allgemein funktionalen Zusammenhang nicht ausreichen193. Nach dieser Auffassung erfaßt der Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG alle nuklearen Anlagenteile und alle nichtnuklearen Teile, die mit den nuklearen in einem räumlich betriebstechnischen Zusammenhang stehen. Für diese Auffassung sprechen mehrere Gründe. 1. Art. 74 Nr. I I a GG

Der Anlagenbegriff der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsnorm des Art. 74 Nr. 11 aGG ist nicht auf sicherheits- oder emissionstechnische Aspekte beschränkt; denn Art. 74 Nr. l a GG spricht nicht nur vom „Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen", sondern auch von „Errichtung und Betrieb von Anlagen, die der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie dienen". Der Wortlaut der Verfassungsvorschrift deutet also auch auf ein betriebstechnisches Verständnis hin. Alle Teile, die der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie dienen, bilden zusammen die Anlage, ohne Rücksicht darauf, ob diese Teile nuklear oder nichtnuklear sind oder einen sicherheits- oder emissionstechnischen Bezug haben194. Der Bund hat aufgrund dieses weiten verfassungsrechtlichen Anlagenbegriffs eine umfassende Regelungskompetenz. Ob der Atomgesetzgeber diese voll ausgeschöpft oder sich im Rahmen des Atomgesetzes mit einem engeren Anlagenbegriff begnügt hat, läßt sich nur durch eine Analyse des Atomgesetzes ermitteln 195. Klarstellen ist in diesem Zusammenhang, daß die inhaltliche Bestimmung des Anlagenbegriffs keinesfalls Sache des Betreibers ist 196 , sondern allein im staatlichen Zuständigkeitsbereich liegt 197 . 191

Ähnlich ist der Lösungsvorschlag von Ziegler, ET 1978, 664 (667). s. oben II. 3. 193 Vgl. hierzu oben II. 4. 194 Vgl. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 175 f. und V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3.1982, Urteilsausfertigung, S. 77; a. A. anscheinend Sternberg, Probleme, S. 53 mit Fußn. 26. 195 Dazu s. unten 2.-4. 196 So aber ausdrücklich Ziegler, ET 1978, 664 (667). 197 s. hierzu auch unten Vierter Teil Β. II. 2. 192

134

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz 2. Teleologische Auslegung des Atomgesetzes

Eine teleologische Auslegung des Atomgesetzes ergibt, daß der Anlagenbegriff i. S. des § 7 Abs. 1 AtG nicht nur sicherheitstechnisch zu verstehen ist. a) § 1 Nrn. Î und 2 AtG

Bei einer Gesamtschau von Förder- und Schutzzweck (§ 1 Nrn. 1 und 2 AtG) zeigt sich, daß der Anlagenbegriff außer den sicherheitstechnisch relevanten Anlagenteilen alle Anlagenteile umfaßt, die der „Nutzung der Kernenergie" (§ 1 Nr. 1 AtG) dienen. Auch Anhänger eines engeren Anlagenbegriffs räumen daher ein, daß § 1 AtG einen weiten Anlagenbegriff zuläßt198. b) Schutzzweck (§ 1 Nr. 2 AtG)

Ein weiter Anlagenbegriff wird im übrigen dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG besser gerecht199. Bei einer Beschränkung des Anlagenbegriffs auf sicherheitstechnische Zusammenhänge erhöht sich die Zahl der Genehmigungsbehörden für die nichtnuklearen Anlagenteile. Dies erschwert eine einheitliche Prüfung und Beurteilung eines einheitlichen Gesamtsystems und eröffnet darüber hinaus Abstimmungsschwierigkeiten oder -fehler zwischen den verschiedenen Genehmigungsbehörden. Wird die Prüfung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens hingegen nicht auf sicherheitstechnische Zusammenhänge beschränkt, sondern umfaßt sie betriebstechnische Zusammenhänge insgesamt, so konzentriert sich die Prüfung aller Anlagenteile bei der für die nuklearen Teile zuständigen Genehmigungsbehörde. Dadurch wächst die Wahrscheinlichkeit, daß diese in nuklearen Angelegenheiten versierte Behörde bei ihrer einheitlichen Prüfung aller betriebstechnischen Zusammenhänge auch bisher unerkannte sicherheitsrelevante Wechselwirkungen zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen entdeckt und entsprechende Schutzmaßnahmen verlangt. Somit kann bei einer extensiven Interpretation des Anlagenbegriffs der Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG besser erreicht werden. 3. Systematische Auslegung des Atomgesetzes

Die hier vertretene Auffassung, den funktionalen Zusammenhang räumlich betriebstechnisch zu sehen, wird auch durch eine systematische Auslegung des Atomgesetzes gestützt. 198

Vgl. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 176. Hierauf verweist auch Hansmann, NVwZ 1983, 16 (17). Vgl. auch Winters, Atomund Strahlenschutzrecht, S. 21, der den Schutzzweck des Atomgesetzes ebenfalls zur extensiveren Auslegung des Anlagenbegriffs heranzieht, allerdings beim sicherheitstechnisch-funktionalen Verständnis stehenbleibt. 199

F. Anlagenteile

135

a) §7 AtG

Eine systematische Auslegung des § 7 AtG ergibt, daß der Anlagenbegriff nicht nur unter nuklear-sicherheitsrelevanten Aspekten zu bestimmen ist. In einer Norm, deren erster Absatz über die Genehmigungsbedürftigkeit einer Anlage und deren zweiter Absatz über die Genehmigungsfähigkeit einer Anlage befindet, ist der Anlagenbegriff in beiden Absätzen identisch. Daher ist es zulässig, bei der Bestimmung des Anlagenbegriffs auf die Genehmigungsvoraussetzungen in § 7 Abs. 2 AtG zurückzugreifen 200. § 7 Abs. 2 AtG statuiert nicht nur nuklear-sicherheitsrelevante Voraussetzungen, sondern § 7 Nr. 6 AtG erfaßt darüber hinaus auch sonstige betriebsbedingte nicht-nukleare Auswirkungen der Anlage; denn diese Bestimmung schützt das öffentliche Interesse an der Umweltverträglichkeit atomarer Anlagen in nicht-nuklearer Hinsicht201. Auch § 1 Nr. 2 AtG spricht dafür, die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG nicht ausschließlich nuklearspezifisch zu verstehen202. Nach seinem Wortlaut will § 1 Nr. 2 AtG gerade auch vor nicht-nuklearen Auswirkungen schützen. Lediglich der Schutz vor der „schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen" ist allein nuklearer Natur; der Schutz vor den „Gefahren der Kernenergie" hingegen ist vom Wortlaut her nicht auf nukleare Auswirkungen beschränkt. Die „Gefahren der Kernenergie" i. S. des § 1 Nr. 2 AtG sind daher sowohl nuklearspezifischer als auch nicht-nuklearer Natur 203 . Im übrigen gebietet der in § 1 Nr. 2 AtG statuierte Schutzzweck, die Schutznorm selbst nicht restriktiv auszulegen. Da bei der Bestimmung des Anlagenbegriffs i. S. des § 7 Abs. 1 AtG im Rahmen einer systematischen Auslegung auf § 7 Abs. 2 AtG zurückgegriffen werden darf, da § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG — im Einklang mit dem Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG — auch nicht-nukleare Auswirkungen der Anlage erfaßt und da nichtnukleare Beeinträchtigungen der Umwelt insbesondere von den nicht-nuklearen Anlagenteilen herrühren, umfaßt der Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG auch nicht-nukleare Anlagenteile, die mit den nuklearen Teilen räumlich betriebstechnisch verbunden sind.

200

So auch Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 177; a. A. anscheinend Ziegler, ET 1978, 664 (666). 201 V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3.1982, Urteilsausfertigung, S. 80; Obenhaus, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 77 \Rauschning, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 85; Kröncke, Genehmigung, S. 12. 202

So im Ergebnis auch, allerdings mit anderer Begründung: V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3. 1982, Urteilsausfertigung, S. 80. 203 Α. A. wohl Hansmann, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 94.

136

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

b) § 25 AtG

§ 25 AtG, der in seiner alten und neuen Fassung gelegentlich einer erweiterten Auslegung des Anlagenbegriffs i. S. des § 7 Abs. 1 AtG entgegengehalten wird 20*, widerspricht nicht der hier vertretenen Ansicht, den funktionalen Zusammenhang räumlich betriebstechnisch zu sehen. Wie schon oben dargelegt205, stimmen die Begriffsbestimmungen des verwaltungsrechtlichen Teils des Atomgesetzes (§§ 3-24 AtG) nicht mit denen des haftungsrechtlichen Teils §§25-40 AtG) überein, so daß die Auslegung des Begriffs der „Kernanlage" i. S. des § 25 Abs.l i.V. mit §2 Abs. 3 AtG und dessen Anlage 1 Abs.l Nr. 2 keinen Rückschluß auf das Verständnis des Anlagenbegriffs i. S. des § 7 Abs. 1 AtG zuläßt; beide Begriffe sind vielmehr streng zu trennen 206. 4. Wörtliche und historische Auslegung des § 7 Abs. 1 AtG

Die wörtliche und historische Interpretation des § 7 Abs. 1 AtG stehen der hier vertretenen Auffassung ebenfalls nicht entgegen. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 AtG ist nicht eindeutig festzustellen, auf welche Teile einer kerntechnischen Anlage sich die Genehmigungspflicht erstreckt 207. Der insoweit auslegungsbedürftige, aber auch auslegungsfähige Wortlaut des § 7 Abs. 1 AtG läßt die hier vertretene Auslegung zu. Aus der Entstehungsgeschichte des Atomgesetzes läßt sich für die Auslegung nichts gewinnen208; daher kann die hier vertretene Auffassung mit einer historischen Auslegung auch nicht in Konflikt geraten. 5. Systematische Auslegung des Rechts der genehmigungsbedürftigen Anlagen

Eine systematische Auslegung des Rechts der genehmigungsbedürftigen Anlagen bekräftigt die hier vertretene Auffassung, den funktionalen Zusammenhang räumlich betriebstechnisch zu verstehen. Atom- und Bundesimmissionsschutzgesetz lassen sich beide dem Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen zuordnen. Gehören Gesetze dem gleichen Rechtsgebiet an, können Auslegungstendenzen hinsichtlich gemeinsamer Inhalte von einem Gesetz auf das andere übertragen werden. Eine zentrale Regelungsmaterie ist für das Atom- und das Bundesimmissionsschutzgesetz die Bestim204 So z.B. Fischerhof, 1975, DVBl. 1976, 549. 205

Anm. zum Beschluß des V G H Baden-Württemberg v. 8.10.

Dritter Teil B.VIIL So auch Mahlmann, Fortentwicklung, S. 62; vgl. auch V G H Baden-Württemberg, Urteil v. 30. 3. 1982, Urteilsausfertigung S. 81 f. und Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 176. 207 So auch Stellungnahme des Bundesrates zum Vierten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes, BT-Ds. 7/4911, S. 3f. 208 Vgl. BT-Ds. III/759, S. 22. 206

F. Anlagenteile

137

mung des Anlagenbegriffs, so daß Auslegungstendenzen hinsichtlich der Anlagenbegriffe vom einen auf das andere Gesetz übertragen werden können, ohne das Verhältnis zwischen Atom- und Bundesimmissionsschutzgesetz im übrigen vollständig ausloten zu müssen. In der amtlichen Begründung zum Bundesimmissionsschutzgesetz wird — im Gegensatz zum älteren Atomgesetz, das hierüber keine Aussage enthält — ausdrücklich festgestellt, daß zu den Anlagen auch die in „örtlichem und betriebstechnischem" Zusammenhang stehenden Nebeneinrichtungen gehören 209 . Ausgenommen seien lediglich Einrichtungen, die nicht im eigentlichen Sinne betrieben werden könnten, z.B. Gebäude, in denen ausschließlich Büroräume untergebracht seien. Auch Rechtsprechung und Literatur zum Bundesimmissionsschutzgesetz verstehen den immissionsschutzrechtlichen Anlagenbegriff in einem umfassenden Sinn und lassen sich vom Grundsatz leiten, die Zugehörigkeit einer Nebeneinrichtung zur Anlage im Zweifel zu bejahen210. Die Erwägung, daß die mögliche Beeinflussung der Rauchgasfahne des KohleKraftwerksblocks durch die Kühlturmemissionen für eine Einbeziehung des Kühlturms in den immissionsschutzrechtlichen Anlagenbegriff spreche211, zeigt, daß der funktionale Zusammenhang zwischen Haupt- und Nebenanlagen hier räumlich und betriebstechnisch verstanden wird. Die beschriebene Auslegungstendenz im Bundesimmissionsschutzgesetz, das im Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen eine zentrale Stellung einnimt, läßt sich im Wege einer systematischen Auslegung dieses Rechtsgebiets auf das ebenfalls dem Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen angehörende Atomgesetz übertragen 212. 6. Rechtsstaatliches Erfordernis der Tatbestandsklarheit

Die hier vertretene räumlich betriebstechnische Auslegung des Anlagenbegriffs i. S. des § 7 Abs. 1 AtG entspricht dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Tatbestandsklarheit besser als die engeren Auslegungen, die auf einen sicherheits-emissionstechnischen oder auf einen bloß sicherheitstechnischen Zusammenhang213 abstellen. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Norm- bzw. Tatbestandsklarheit verlangt, daß der Inhalt einer Gesetzesnorm so gefaßt sein muß, daß die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten 209

BT-Ds. 7/179, S. 30. So OVG Münster, Urt. v. 7. 7.1976, DVB1.1976,790 (792); Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, § 4 Anm. 8. 211 So OVG Münster, Urt. v. 7. 7. 1976, DVB1. 1976, 790 (792). 212 So im Ergebnis auch V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3.1982, Urteilsausfertigung, S. 83. 213 Vgl. oben Dritter Teil F. II. 3. und 2. 210

138

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

können 214 . Die engeren Auslegungen zersplittern technisch einheitliche Gesamtanlagen, aber auch einzelne, in sich geschlossene Untersysteme in genehmigungsrechtliche Teilstücke und erschweren damit die Zuordnung einzelner Anlagenteile zum Anlagenbegriff, so daß die Rechtslage für die Betroffenen verworrener wird und ihre Möglichkeiten, ihr Verhalten nach der Rechtslage einzurichten, abnehmen. Der Hauptzweck des rechtsstaatlichen Erfordernisses der Tatbestandsklarheit, staatliche Entscheidungen für die Betroffenen vorhersehbar und transparent zu machen, wird durch die engeren Auslegungen des Anlagenbegriffs also eher vereitelt als gefördert. Bei Anwendung des sicherheitstechnischen Anlagenbegriffs müßte ζ. B. das Kühlwassersystem eines Kernkraftwerks, das ein in sich geschlossenes Untersystem der Gesamtanlage darstellt 215, genehmigungsrechtlich zerlegt werden in sicherheitstechnisch relevante Teile (ζ. B. Nachkühl- und Sicherheitseinspeisesystem) und nicht-sicherheitstechnisch relevante Teile 216 . Diese genehmigungsrechtliche „Atomisierung" einheitlicher Systeme vernebelt nicht nur die Tatbestandsklarheit, sie verlängert auch die Genehmigungsdauer durch zusätzliche Koordinierungsverfahren zwischen den vermehrten Genehmigungsbehörden und ist — wie bereits gezeigt217 — der Sicherheit der Anlage nicht dienlich. Die engeren Auslegungen des Anlagenbegriffs führen darüber hinaus zu eklatant divergierenden Subsumtionsergebnissen, was die rechtliche Einschätzung insbesondere seitens der betroffenen Antragsteller und deren Möglichkeit, ihr Verhalten nach der Rechtslage einrichten zu können, wesentlich erschwert. Dies berührt aber gerade das rechtsstaatliche Erfordernis der Norm- bzw. Tatbestandsklarheit. Anhänger des gleichen Anlagenbegriffs kommen bei identischem Ausgangspunkt (sicherheitstechnisch-funktionaler Zusammenhang 218 ) zu gegensätzlichen Subsumtionsergebnissen. Während Fischerhof 219 das Maschinenhaus eines Leistungsreaktors, in dem u.a. Einrichtungen zur Stromerzeugung (Turbinen und Generatoren) untergebracht sind 220 , generell zur Anlage i. S. des § 7 Abs. 1 AtG zählt, gehören nach Ronellenfitsch 221 nur die Maschinenhäuser von Siedewasserreaktoren zur Anlage i. S. des § 7 Abs. 1 AtG,

214

BVerfGE 21, 73 (79). s. hierzu Bundesregierung, Dokumentation, S. 105, Abb. 59. 216 So ausdrücklich Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 180, wobei er den Kühlturm als sicherheitstechnisch nicht relevant betrachtet. Dazu noch unten Dritter Teil F. IV. 1. — Ebenso zerlegt Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 179 f., die Schaltanlage eines Kernkraftwerks, obgleich sie — nach seinen eigenen Worten — das „Aktionszentrum" der Gesamtanlage darstellt. Zu seiner Beurteilung der Schaltwarte s. bereits oben Dritter Teil F. II. 2. 215

217 218 219 220 221

s. oben Dritter Teil F. III. 2. b). Vgl. oben Dritter Teil F. II. 2. Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 4. Vgl. Anhang I, Abb. 1 und 2. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 180ff.

F. Anlagenteile

139

nicht hingegen die Maschinenhäuser von Druckwasser- und Hochtemperaturreaktoren. Die hier vertretene räumlich betriebstechnische Auslegung des Anlagenbegriffs vermeidet die geschilderten Schwierigkeiten der engeren Auslegungen. Sie ermöglicht eindeutige rechtliche Zuordnungen der einzelnen Anlagenteile zum Anlagenbegriff und erhöht damit die rechtsstaatlich geforderte Tatbestandsklarheit, was auch und gerade im Interesse der antragstellenden Anlagenbetreiber liegt 222 . 7. Tendenzen zum räumlich betriebstechnischen Verständnis bei Vertretern engerer Anlagenbegriffe

Ansätze für den hier vertretenen räumlich betriebstechnischen Anlagenbegriff sind auch bei Anhängern engerer Anlagenbegriffe zu erkennen. So finden sich überraschenderweise bei Fischerhof, der Anhänger des sicherheitstechnischen Anlagenbegriffs ist 223 , Formulierungen wie „gegenseitige technische Verbundenheit", „gegenseitige Bedingtheit", „funktionaler Zusammenhang" und „gegenseitige funktionale Rückwirkung" 224. Diese Formulierungen und die Auflistung der Anlagenteile, die nach Fischerhof zur Anlage i. S. des § 7 Abs. 1 AtG gehören 225, machen deutlich, daß auch er zu einem räumlich betriebstechnischen Verständnis tendiert. Das ergibt sich insbesondere aus der von ihm beschriebenen gegenseitigen technischen Verbundenheit und funktionalen Rückwirkung. Beides deutet auf auf eine betriebstechnische Verbundenheit hin. Auch seine Zuordnung des Maschinenhauses einschließlich der gesamten Maschineneinrichtung zur Stromerzeugung (Turbinen und Generatoren) zum Anlagenbegriff i. S. des § 7 Abs. 1 AtG belegen seine Tendenz zur räumlich betriebstechnischen Betrachtungsweise. Zu weit dürfte allerdings Hofmann 226 gehen, der anscheinend bei Fischerhof eine Tendenz zum noch weiteren allgemein funktionalen Anlagenbegriff sieht. Auch in der jüngeren Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofs BadenWürttemberg, die den sicherheits-emissionstechnischen Anlagenbegriff vertritt 2 2 7 ,finden sich Ansätze zu einem betriebsbezogenen Verständnis. So rechnet das Gericht das Hauptwärmeabfuhrsystem zur Anlage i. S. des § 7 Abs. 1 AtG, da es „im Betrieb" die Wärmeleistung des Reaktors aufnehme; ebenso das 222 Ohne die hier angestellten Erwägungen stellt auch Mahlmann, Fortentwicklung, S. 65 fest, daß ein weiterer Anlagenbegriff auch den Interessen der Betreiber besser gerecht werde. 223 s. oben Dritter Teil F. II. 2. 224 Fischerhof Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 4 und ders., Anm. zum Beschluß des V G H Baden-Württemberg v. 8.10. 1975, DVB1. 1976, 549 (550). 225 Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 4. 226 Hof mann, Entsorgung, S. 122. 2 . oben Dritter Teil F. II. 3.

140

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Reaktorhilfsanlagengebäude, ohne das der Reaktor nicht „betrieben" werden könne228. Festzuhalten bleibt, daß auch bei Vertretern engerer Anlagenbegriffe Ansätze zu einer räumlich betriebstechnischen Betrachtungsweise zu erkennen sind. 8. Ergebnis

Die vorstehend angeführten Gründe sprechen dafür, den funktionalen Zusammenhang zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen räumlich betriebstechnisch zu verstehen. Bei diesem Verständnis erfaßt der Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG alle nuklearen Anlagenteile und alle nicht-nuklearen Teile, die mit den nuklearen in einem räumlich betriebstechnischen Zusammenhang stehen. Damit entfallen einerseits ortsverschiedene nicht-nukleare Einrichtungen, die dem Betrieb der Anlage dienen (ζ. B. Zulieferstätten), andererseits ortsgleiche (interne) nicht-nukleare Einrichtungen, die mit den nuklearen Teilen bloß verwaltungsmäßig zusammenhängen (z.B. Bürogebäude, Sozialbauten, nicht-nukleare Lagerhallen, Garagen). IV. Beispiele 1. Kühlturm

α) Räumlich betriebstechnisches

Verständnis

Nach dem hier vertretenen räumlich betriebstechnischen Verständnis des Anlagenbegriffs ist der Kühlturm eines Kernkraftwerks Bestandteil der Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. Der Kühlturm ist räumlich mit den nuklearen Anlagenteilen des Kernkraftwerks verbunden. Zwischen Kühlturm und den nuklearen Teilen besteht auch ein betriebstechnischer Zusammenhang; denn die Kühlwassersysteme einschließlich des Kühlturms dienen, indem sie die Abwärme abführen, der Funktion der nuklearen Teile der Anlage, da ohne die Abfuhr der Abwärme die Kernspaltung nicht betrieben werden könnte229. Der Kühlturm als Hauptwärmesenke dient somit der Funktionsfähigkeit des nuklearen Systems230. Die Subsumtion des Kühlturms unter den räumlich betriebstechnischen Anlagenbegriff bereitet demnach keine Schwierigkeiten.

228

V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3. 1982, Urteilsausfertigung, S. 84. Vgl. V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3. 1982, Urteilsausfertigung, S. 84; vgl. auch Sternberg, Probleme, S. 53. 230 So ausdrücklich Fischerhof, Atomgesetz, § 8 AtG, Rnr. 3. 229

F. Anlagenteile

141

b) Rückschluß aus § 8 Abs. 2 Satz 1 AtG

Darüber hinaus läßt sich aus § 8 Abs. 2 Satz 1 AtG herleiten, daß Kühltürme Bestandteile der Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG sind. Diese Vorschrift dient der Verfahrenskonzentration. Ist eine Anlage sowohl nach § 4 BImSchG als auch nach § 7 AtG genehmigungsbedürftig, so schließt die Genehmigung nach § 7 AtG die nach § 4 BImSchG ein. Ginge man von einem engen Anlagenbegriff aus, verstünde man also ζ. B. nur den Reaktor als Anlage i. S. des § 7 Abs. 1 AtG, so liefe § 8 Abs. 2 Satz 1 AtG für Kernkraftwerke leer; denn Reaktoren sind gem. § 4 Abs. 1 BImSchG i. V. mit § 1 Abs. 1 der 4. BImSchV nicht genehmigungsbedürftig. In § 2 Nr. 17 a.E. der 4. BImSchV sind Anlagen zur Erzeugung, Spaltung oder Aufarbeitung von Kernbrennstoffen von der Genehmigungsbedürftigkeit nach dem BundesImmissionsschutzgesetz sogar ausdrücklich ausgenommen. § 8 Abs. 2 Satz 1 AtG erhält im Hinblick auf Kernkraftwerke jedoch einen Sinn, wenn Kühltürme als Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG verstanden werden. Da auch § 2 Nr. 1 a. E. der 4. BImSchV Kühltürme erfaßt, ist dann eine doppelte Genehmigungsbedürftigkeit nach Atom- und Bundes-Immissionsschutzgesetz gegeben, die § 8 Abs. 2 Satz 1 AtG als Tatbestandsvoraussetzung verlangt. Nur dann kann die in der Rechtsfolge der Norm angeordnete Konzentrationswirkung eintreten 231. § 8 Abs. 2 Satz 1 AtG läßt somit den Rückschluß zu, daß Kühltürme nach § 7 Abs. 1 AtG genehmigungsbedürftige Anlagenteile sind 232 . c) Rechtsprechung und Literatur

Auch nach der Rechtsprechung, die entweder den allgemeinen funktionalen Zusammenhang233 oder den sicherheits-emissionstechnischen Zusammenhang 234 zwischen nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen genügen läßt, ist der Kühlturm ein nach § 7 Abs. 1 AtG genehmigungsbedürftiger Anlagenteil des Kernkraftwerks 235. Die Anhänger des sicherheitstechnischen Anlagenbegriffs 236 kommen bei der Subsumtion des Kühlturms unter den Anlagenbegriff i. S. des § 7 Abs. 1 AtG zu 231 So auch V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3. 1982, Urteilsausfertigung, S. 79; vgl. auch Rauschning, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 84. 232 So im Ergebnis auch Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 37; vgl. auch BayVGH, Urt. v. 9.4. 1979, DVB1. 1979, 673 (677). 233 s. oben Dritter Teil F. II. 4.; V G H Baden-Württemberg, Beschluß v. 8.10.1975, DVB1. 1976, 538 (595); BayVGH, Urt. v. 9.4. 1979, DVB1. 1979, 673 (677). 234 s. oben Dritter Teil F. II. 3.; V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30.3. 1982, Urteilsausfertigung, S. 78. 235 Vgl. V G H Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 3. 1982, Urteilsausfertigung, S. 76, 84f.; vgl. auch Rengeling, JZ 1977, 542 (543). 23 . oben Dritter Teil F. II. 2.

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

uneinheitlichen Ergebnissen. Winters läßt die Frage bewußt unbeantwortet, scheint aber im Hinblick auf § 8 Abs. 2 AtG dazu zu neigen, Kühltürme als nach § 7 AtG genehmigungsbedürftige Anlagentile anzusehen237. Sternberg 238 kritisiert zwar die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg 239 , liefert aber kein eindeutiges Subsumtionsergebnis. Nach Ronellenfitsch sind Kühltürme „grundsätzlich" sicherheitstechnisch nicht relevant und damit kein Anlagenteil i. S. des § 7 Abs. 1 AtG 2 4 0 . Sein Subsumtionsergebnis mag darauf zurückzuführen sein, daß er die Bedeutung des § 8 Abs. 2 AtG in bezug auf die Kühltürme Verkennt. Zwar ist ihm zuzugeben, daß eine Aussage über die Konzentrationseinwirkung, d.h. über die Rechtsfolge des § 8 Abs. 2 Satz 1 AtG erst gemacht werden kann, nachdem die Reichweite des Anlagenbegriffs i. S. des § 7 Abs. 1 AtG geklärt worden ist 241 . Dies schließt aber nicht aus, daß im Wege einer systematischen Auslegung aus § 8 Abs. 2 AtG in Verbindung mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz Rückschlüsse für das Verständnis des Anlagenbegriffs i. S. des § 7 Abs. 1 AtG gezogen werden können. Die Kommentierung bei Fischerhof ist nicht schlüssig. Einerseits rechnen Kühltürme nach seiner Auffassung grundsätzlich nicht zur Anlage i.S. des § 7 AtG, „zumal" sich ihre Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz i. V. mit § 2 Nr. 1 a. E. der 4. BImSchV regele 242. Andererseits zählt er zu den Anlagen, die sowohl nach § 7 AtG als auch nach § 4 BImSchG genehmigungsbedürftig sind, insbesondere Kühltürme, soweit sie unmittelbar oder mittelbar auch nuklearspezifische Auswirkungen auf die Umwelt hätten oder haben könnten. Wo die im Reaktor gebildete Wärme über einen Kühlturm abgeführt werde, gehöre der Kühlturm als Hauptwärmesenke zur Funktionsfähigkeit des nuklearen Systems und bilde andererseits auch einen möglichen Kontaminationspfad für radioaktive Emissionen aus dem Abluftkamin in die Atmosphäre und in Wasser, Luft und Boden243. Die Aussage des erstgenannten Zitats steht zu der des letztgenannten Zitats in deutlichem Widerspruch. Im erstgenannten Zitat scheint Fischerhof zu verkennen, daß die Genehmigungsbedürftigkeit nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht immer auch eine Genehmigung nach diesem Gesetz nach sich zieht, sondern daß bei doppelter Genehmigungsbedürftigkeit nach Atom- und Bundes-Immissionsschutzgesetz vielmehr eine Genehmigung nach dem Atomgesetz erforderlich wird, die gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 AtG die Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz einschließt. Die 237

Winters, Atom-und Strahlenschutzrecht, S. 21 und 37. Sternberg, Probleme, S. 52ff. 239 V G H Baden-Württemberg, Beschluß v. 8.10. 1975, DVB1. 1976, 538 (545). 240 Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 180; ihm folgt — unkritisch — Kröncke, Genehmigung, S. 15. 241 Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 176. 242 Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 4. 243 Fischerhof, Atomgesetz, § 8 AtG, Rnr. 3 ; in diese Richtung tendiert wohl auch ders., Anm. zum Beschluß des V G H Baden-Württemberg v. 8.10. 1975, DVB1. 1976, 549 (550). 238

F. Anlagenteile

143

Aussage des letztgenannten Zitats kommt der hier vertretenen Auffassung sehr nahe und ist oben zu ihrer Stützung auch bereits herangezogen worden 244. 2. Kompaktlager

In einem Kompaktlager werden abgebrannte Brennelemente aufbewahrt; es befindet sich im Reaktorgebäude des Kernkraftwerks 245. a) Meinungsstand

Die rechtliche Behandlung der Kompaktlager ist kontrovers. Der nachträgliche Einbau von Kompaktlagerstellen in das herkömmliche BrennelementLagerbecken innerhalb des Reaktorgebäudes (Abklingbecken) zur Erhöhung dessen Aufnahmekapazität stellt nach wohl überwiegender Meinung eine wesentliche Änderung einer bestehenden Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen dar, die gem. § 7 Abs. 1 AtG genehmigungsbedürftig ist 246 . Bei neu zu errichtenden Kernkraftwerken will man die Kompaktlagergestelle bereits in die Errichtungs- und Betriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk nach § 7 Abs. 1 AtG „im Interesse größerer Flexibilität des Betriebes" miteinbeziehen247. Vereinzelt wird § 7 AtG auf Kompaktlager nur analog angewendet248. Für Pelzer sind Kompaktlager je nach Einzelfall gem. § 6 oder § 7 AtG — in jeweils direkter Anwendung — genehmigungsbedürftig; andere Stimmen halten die Kompaktlagerung für rechtswidrig, da das Atomgesetz für diese Art der Zwischenlagerung im Kernkraftwerk keinen Genehmigungstatbestand enthalte 249 . Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Frage, ob Kompaktlager als anlageninterne Zwischenlager überhaupt genehmigungsfähig seien und, falls dies zu bejahen sein sollte, auf welche Rechtsgrundlage die Genehmigung richtigerweise zu stützen sei (§ 7 Abs. 1, § 6 oder andere Genehmigungstat bestände des Atomgesetzes), offen gelassen250. 244

s. oben a). Zu Funktion, Beschaffenheit und Lage eines Kompaktlagers im einzelnen : s. oben Erster Teil A.III.9.c). 246 Lukes/Dauk, ET 1979, 667 (675); Fischerhof, ET 1989, 499; Bayer. Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, zitiert nach BayVGH, Beschl. v. 20. 8. 1981, DVB1.1982, 35 (36) = ET 1981,886 (887); V G Regensburg, Urt. v. 7.4.1981, R / N 5 Κ 80 Α. 0694, Urteilsausfertigung, S. 10 (nicht rechtskräftig) = atw 1981,341 ; Antwort der Bundesregierung v. 22.12. 1981, BT-Ds. 9/1231, S. l l f . ; Kimminich, ET 1982, 502 (506); Wagner / Ziegler / Closs, Nukleare Entsorgung, S. 87 ; Wagner, Entsorgungsregelung, S. 94; Straßburg, Zwischenlagerung, S. 127; ders., ET 1983, 677 (679); Ziegler, ET 1983, 757 (759); Degenhart, ET 1983, 230 (238). 247 So ausdrücklich Fischerhof, ET 1980,499; vgl. auch Straßburg, ET 1983, 677 (679). 248 Knüppel, DÖV 1981, 19 (21). 249 Pelzer, NJW 1980, 1505 (1506) und 2794; Gleim/ Winter, NJW 1980, 1088 (1089); V G Darmstadt, Urt. v. 3.9.1981, ET 1981, 883. 250 BayVGH, Beschl. v. 20. 8. 1981, DVB1. 1982, 35 (36f.) = ET 1981, 886 (888). 245

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

b) Lösungsvorschlag

Im Gegensatz zur wohl überwiegenden Meinung, die das Kompaktlager als Teil einer Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG betrachtet, wird hier die Auffassung vertreten, daß ein Kompaktlager — ebenso wie ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente — unter bestimmten Bedingungen Teil einer Anlage zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe i. S. des § 7 Abs. 1 AtG ist. Wie oben251 dargelegt, erfaßt der Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG alle nuklearen Anlagenteile und alle nicht-nuklearen Teile, die mit den nuklearen in einem räumlich betriebstechnischen Zusammenhang stehen. Entscheidend ist, daß es bei der Bestimmung der nuklearen Anlagenteile — anders als bei der Bestimmung der nicht-nuklearen Teile — auf einen räumlich Zusammenhang mit den übrigen nuklearen Anlagenteilen nicht ankommt252. Als Folge der funktionsbezogenen Anlagenbeschreibungen in § 7 Abs. 1 AtG 2 5 3 liegt ein nuklearer Anlagenteil allein schon dann vor, wenn er einer der in § 7 Abs. 1 AtG aufgeführten Handlungsformen dient („zur Erzeugung, Be-, Verarbeitung, Spaltung, Aufarbeitung"). Hierbei genügt es, wenn die Funktion des nuklearen Anlagenteils in einem technisch-naturwissenschaftlichen Zusammenhang mit einer der in § 7 Abs. 1 AtG aufgeführten Handlungsformen steht und ein vergleichbares Gefährdungspotential in sich birgt 254 . Ein Kompaktlager ist nuklearer Natur, weil es ein nukleares Inventar (abgebrannte Brennelemente) aufnimmt. Da es bei nuklearen Anlagenteilen auf einen räumlichen Bezug nicht ankommt, muß nur geprüft werden, welcher der in § 7 Abs. 1 AtG aufgeführten Handlungsformen die Kompaktlagerung dient. Das Kompaktlager wird häufig als modifiziertes Abklingbecken beschrieben 255 . Anders als ein Abklingbecken dient das Kompaktlager aber nicht der Spaltung von Kernbrennstoffen. Das Abklingbecken dient der Spaltung von Kernbrennstoffen dadurch, daß es als Entladebecken für das Inventar des Reaktors fungiert 256. Im Notfall nimmt es die gesamte Reaktorladung auf, im Normalfall das jährlich auszutauschende Drittel der Brennelemente257. Die abgebrannten Brennelemente müssen für mindestens sechs Monate im Abklingbecken verbleiben, um durch Abklingen ihrer Radioaktivität transportfähig zu werden 258. Das Abklingbecken dient mit dessen beiden Funktionen (Störfallvor251

Dritter Teil F. III. 8. s. oben Dritter Teil D. V. 2.c) gg) (1). 253 s. hierzu oben Dritter Teil C. 254 s. oben Dritter Teil D. VI. 255 s. oben Erster Teil A. III. 9. c). 256 Vgl. Gleim/ Winter, NJW 1980, 1088f.; VG Darmstadt, Urt. v. 3. 9. 1981, ET 1981, 883 (884). 257 s. oben Erster Teil Α. II. 258 s. oben Erster Teil A.III. 1. 252

F. Anlagenteile

145

sorge und Vorbereitung des Abtransports) der Spaltung von Kernbrennstoffen; denn ohne sie könnte der Reaktor nicht betrieben werden. Diese Funktion erfüllt sein Kompaktlager aber gerade nicht. Ein Kompaktlager ist nichts anderes als ein internes Zwischenlager und hat daher die gleichen Funktionen wie ein externes Zwischenlager259, so daß die für die externe Zwischenlagerung entwickelten Lösungsvorschläge auch für die Kompaktlagerung Geltung beanspruchen können260. Soweit für abgebrannte Brennelemente Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden sind, dienen externe und interne Zwischenlagerung allein der Verminderung ihrer Aktivität und Wärmeproduktion und damit der Wiederaufarbeitung. Beide Arten der Zwischenlagerung erfüllen insoweit die gleiche Funktion wie das Brennelementeingangslager einer Wiederaufarbeitungsanlage. Die Kompaktlagerung ist daher insoweit — ebenso wie das externe Zwischenlager und das Brennelementeingangslager — Teil der „Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe" i. S. des § 7 Abs. 1 AtG. Das gleiche gilt, soweit Wiederaufarbeitungskapazitäten für abgebrannte Brennelemente nicht vorhanden sind, die Wiederaufarbeitungsoption aber noch offengehalten wird. Auch in diesem Fall dient die Kompaktlagerung —neben der Überbrückung fehlender Kapazitäten der nächsten Prozeßstufe — der Verminderung von Aktivität und Wärmeproduktion der abgebrannten Brennelemente und damit der Wiederaufarbeitung. Soweit und sobald aber bei fehlenden Wiederaufarbeitungskapazitäten die Option für die Wiederaufarbeitung entfällt, scheidet § 7 AtG als Genehmigungstatbestand aus, da die Kompaktlagerung abgebrannter Brennelemente der Wiederaufarbeitung insoweit nun nicht mehr dienen kann. Außerdem entfällt die Ausnahmemöglichkeit des § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG, so daß die suspendierte Ablieferungsverpflichtung des §9a Abs. 2 Satz 1 AtG wieder auflebt. Nach Wegfall der Wiederaufarbeitungsoption sind abgebrannte Brennelemente somit an Anlagen i.S. des § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG abzuliefern. Bestehende Kompaktlager wären aufzulösen oder in staatliche Verantwortung zu übergeben261. c) Auffassung von Gleim/ Winter und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Darmstadt

Nach der Auffassung von Gleim / Winter 262 und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Darmstadt 263 enthält das Atomgesetz keinen Genehmi259

s. oben Dritter Teil D. V. 2.c) dd). s. oben Dritter Teil D. V. 2. und 3.; die dort gemachten Ausführungen zur externen Zwischenlagerung gelten für die Kompaktlagerung entsprechend. 261 Die Ausführungen zum externen Zwischenlager gelten entsprechend, vgl. oben Dritter Teil D. V. 2.d) und 3. 262 Gleim/Winter, NJW 1980, 1088 (1089). 263 V G Darmstadt, Urt. v. 3. 9. 1981, ET 1981, 883 f. 260

10 Luckow

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3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

gungstatbestand für die Kompaktlagerung. Dieser Auffassung kann nur teilweise gefolgt werden. Sie ist richtig, soweit bei fehlenden Wiederaufarbeitungskapazitäten die Option für die Wiederaufarbeitung entfällt. In diesem Fall enthält das Atomgesetz für die privaten Kompaktlager tatsächlich keinen Genehmigungstatbestand, da abgebrannte Brennelemente in dieser Konstellation als radioaktiver Abfall gem. § 9a Abs. 2 Satz 1 AtG ohne die Ausnahmemöglichkeit des § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG an die staatlichen Anlagen nach § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG abgeliefert werden müssen264. Im übrigen aber ist die zitierte Auffassung unrichtig. Zwar geht sie vom richtigen Ansatz aus, daß das Kompaktlager kein Teil einer Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG ist, weil es — anders als das Abklingbecken — nicht der Transportvorbereitung und Störfallvorsorge, sondern allein der Zwischenlagerung dient 265 . Damit ist aber noch nicht gesagt, daß § 7 Abs. 1 AtG als Genehmigungstatbestand ausscheidet; denn er enthält noch weitere Alternativen. Wie oben dargelegt266, ist die Kompaktlagerung Teil der Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe i. S. des § 7 Abs. 1 AtG, soweit Aufarbeitungskapazitäten vorhanden sind oder soweit bei fehlenden Aufarbeitungskapazitäten die Wiederaufarbeitungsoption offengehalten wird. Im ersten Fall kommt § 7 Abs. 1 AtG direkt zur Anwendung, im zweiten Fall über § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG 2 6 7 . Unabhängig davon verkennt das Verwaltungsgericht Darmstadt 268, daß der Gesetzgeber, um die ihm bekannten Lücken im Entsorgungssystem zu überbrücken, die private Zwischenlagerung außerhalb von Landessammelstellen zugelassen hat; denn gem. § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG besteht keine Ablieferungspflicht, „soweit Abweichendes ... auf Grund dieses Gesetzes ... genehmigt worden ist" 269 . Aus diesem eindeutigen Wortlaut ergibt sich, daß § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG selbst dazu ermächtigt, eine Genehmigung nach einer anderen Vorschrift des Atomgesetzes zu erteilen 270. Dies ist bei der externen und internen Zwischenlagerung § 7 AtG 2 7 1 . Das Verwaltungsgericht Darmstadt begründet seine Rechtsprechung u.a. mit dem Grundsatz der eindimensionalen Anlagenkonzeption, wonach eine Anlage nur einen Zweck erfüllen, aber entweder Betriebs- oder Entsorgungsanlage sein könne, nicht also beides zugleich. Das Gericht leitet dieses selbst entwickelte 264 265 266 267 268 269 270 271

s. oben Dritter Teil F. IV. 2.b). Vgl. Gleirnj Winter, NJW 1980, 1088 (1089). s. oben Dritter Teil F. IV. 2.b). Vgl. oben Dritter Teil D. V. 3. V G Darmstadt, Urt. v. 3. 9. 1981, ET 1981, 883 (884). s. oben Dritter Teil D. V. 2.b) cc) (1). So auch Fischerhof, ET 1981, 886. Dies verkennen Gleim/Winter, NJW 1980, 1088 (1089).

F. Anlagenteile

147

Prinzip der eindimensionalen Anlagenkonzeption offenbar aus dem materiellen Grundsatz der bestmöglichen Schadensvorsorge ab 272 . In Anbetracht der Konzeption des Atomgesetzgebers, die Anlagenbegriffe entwicklungsoffen zu formulieren 273, erscheint es jedoch verkehrt, den Grundsatz der bestmöglichen Schadensvorsorge bereits beim Anlagenbegriff, d. h. im Rahmen der Genehmigungsbedürftigkeit, in Form eines Grundsatzes der eindimensionalen Anlagenkonzeption konkretisieren und festschreiben zu wollen. Dies würde die vom Gesetzgeber gewollte Entwicklungsoffenheit torpedieren 274. Ob die bestmögliche Schadensvorsorge getroffen worden ist, ist vielmehr im Rahmen der Genehmigungsfähigkeit, d.h. soweit § 7 AtG einschlägig ist, in dessen Abs. 2 Nr. 3 zu prüfen. Eine nach § 7 Abs. 1 AtG genehmigungsbedürftige Anlage kann bei dieser Prüfung durchaus als nicht genehmigungsfähig scheitern. Gerade bei der derzeitig praktizierten Kompaktlagerung ist es sehr zweifelhaft, ob die bestmögliche Schadensvorsorge getroffen worden ist. Zunächst wäre zu fragen, ob nicht unter Vorsorgeaspekten die externe Zwischenlagerung gegenüber der anlageninternen Kompaktlagerung vorzugswürdig wäre. Bei dieser Prüfung kämen — nunmehr an der dogmatisch richtigen Stelle — alle Gesichtspunkte zum Tragen, die das Verwaltungsgericht Darmstadt über seine Figur der eindimensionalen Anlagenkonzeption in die Prüfung der Genehmigungsbedürftigkeit vorverlagern möchte. Bei der Prüfung der bestmöglichen Schadensvorsorge im Rahmen der Genehmigungsfähigkeit wäre weiter zu fragen, ob die anlageninterne Zwischenlagerung nicht zumindest als On-siteLager 275 vom Abklingbecken räumlich getrennt und zeitlich sowie mengenmäßig beschränkt werden muß 276 . d) Ergebnis

Kompaktlager und externe Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente sind hinsichtlich des Anlagenbegriffs und damit des Genehmigungstatbestands gleichzubehandeln. Ihre Genehmigungsbedürftigkeit bestimmt sich daher nach den gleichen Rechtsgrundlagen. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß Kompakt- und externe Zwischenlagerung auch in gleicher Weise genehmigungsfähig sind.

272 V G Darmstadt, Urt. v. 3. 9. 1981, ET 1981, 883 (884) spricht von „bestmöglicher Gefahrenbeherrschung". Zum Grundsatz der bestmöglichen Schadensvorsorge s. BVerfGE 49, 89 (139) und unten Fünfter Teil. 273 Vgl. hierzu oben Zweiter Teil C. I. 274 s. dazu auch Degenhart, ET 1983, 230 (238). 275 s. hierzu oben Erster Teil A.III.9.b). 276 s. hierzu unten Fünfter Teil. 10*

148

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz 3. Glasblocklager

a) Rechtliche Beurteilung seines Inventars

Die bei der Wiederaufarbeitung anfallende hochaktive Spaltproduktlösung wird in Glas verfestigt. Die Glasblöcke mit den verfestigten Stoffen sollen vor der Endlagerung im Ausgangslager der Wiederaufarbeitungsanlage gelagert werden. Dieses Lager wird auch Glasblock- oder Pufferlager genannt277. Da die Bestandteile der abgebrannten Brennelemente (Resturan, Plutonium, Spaltprodukte, Sonstiges)278 bei der Wiederaufarbeitung nicht im gesamten Umfang voneinander getrennt werden können 279 , enthält die verfestigte hochaktive Spaltlösung u.a. auch Spuren von Uran-235 und Plutonium 280 . Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) i. V. mit lit. c) und a) AtG wäre die verfestigte hochaktive Spaltlösung somit Kernbrennstoff. Der Gesetzgeber hat aber in seiner Begründung zu § 2 AtG 2 8 1 klargestellt, daß lit. d) nur Stoffe erfassen soll, die die Stoffe der lit. a) bis c) in Mengen enthalten, „die die Ausbeute noch wirtschaftlich machen, das heißt, in wägbaren Mengen"282. In der Literatur wird der Standpunkt vertreten, daß eine weitere Extraktion der hochaktiven Spaltlösung keine „wirtschaftliche Ausbeute" erbringe 283. Unterstellt, diese Auffassung wäre richtig 284 , so wäre die verfestigte hochaktive Spaltlösung kein Kernbrennstoff, sondern „sonstiger radioaktiver Stoff" i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtG, da sie, ohne Kernbrennstoff zu sein, ionisierende Strahlen spontan aussendet. b) Teil einer Wiederaufarbeitungsanlage

nach § 7 Abs. 1 AtG?

285

Spranger hält es für denkbar, ein Glasblocklager als Teil einer Wiederaufarbeitungsanlage nach § 7 Abs. 1 AtG zu betrachten. Hier wird man differenzieren müssen. Soweit und solange die Glasblöcke gelagert werden müssen, um die Transportfähigkeit zu erlangen, sind sie Teil der Wiederaufarbeitungsanlage, so daß 277

Im einzelnen s. oben Erster Teil A. III. 5. a) cc), dd). s. hierzu oben Erster Teil Α. II. 279 Daher liegt die Rückgewinnquote für Uran und Plutonium auch unter 100% ; vgl. oben Erster Teil A. III. 4. e). 280 Vgl. Straßburg, Zwischenlagerung, S. 137, der allerdings ohne genaue Spezifikation nur allgemein von „Spurenelementen von Kernbrennstoffen" spricht. 281 BT-Ds. III/759, S. 19. 282 Vgl. hierzu und zu den rechtsdogmatischen Bedenken gegen diese — nur durch historische Auslegung zu ermittelnde — Einschränkung oben Dritter Teil Β. IV. 283 Straßburg, Zwischenlagerung, S. 137. 284 Eine abschließende Beurteilung ist hier - mangels ausreichenden Informationsstands — nicht möglich. Jedenfalls ist — soweit ersichtlich — in der Literatur bisher nichts vorgebracht worden, was für die Wirtschaftlichkeit einer weiteren Extraktion spricht. 285 Spranger, Umwelt Nr. 96 v. 8. 7. 1983, S. 32 (36). 278

F. Anlagenteile

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sie dem Genehmigungstatbestand des § 7 Abs. 1 AtG unterliegen. Dies läßt sich mit dem hier vertretenen weiten nuklearen Anlagenbegriff rechtfertigen, demzufolge nukleare Tätigkeiten, die in technisch-naturwissenschaftlichem Zusammenhang mit den in § 7 Abs. 1 AtG aufgeführten Handlungsformen stehen, diesen vorangehen oder folgen und ein vergleichbares Gefährdungspotential in sich bergen, als Teil dieser Handlungsformen zu betrachten sind 286 . Die Lagerung der hochaktiven Glasblöcke zur Erlangung der Transportfähigkeit ist eine nukleare Tätigkeit, die mit der vorangehenden Wiederaufarbeitung in technisch-naturwissenschaftlichem Zusammenhang steht und wegen der Hochaktivität ein vergleichbares Gefährdungspotential in sich birgt 287 . Diese Betrachtungsweise ähnelt der beim Abklingbecken, das ebenfalls als Teil der vorausgehenden Prozeßstufe angesehen wird 288 . Daß im Glasblocklager selbst kein Kernbrennstoff enthalten ist 289 , ändert nichts daran, daß es Teil der vorangehenden Wiederaufarbeitung ist. Es genügt, daß (bestrahlte) Kernbrennstoffe in den Aufarbeitungsprozeß eingebracht werden. Der technisch-naturwissenschaftliche Zusammenhang zwischen Wiederaufarbeitung und Glasblocklagerung endet aber dann, wenn die Glasblöcke ihre Transportfähigkeit erlangt haben. Von diesem Zeitpunkt ab dient das Glasblocklager nicht mehr als Entladelager für die Wiederaufarbeitung, sondern allein der Vorbereitung der Endlagerung; denn während dieser Zwischenlagerung klingt die Radioaktivität weiter ab und verringert sich die Wärmeproduktion der Glasblöcke, wodurch sie im Endlager (Salzstock) dichter gepackt werden können. Eine derartige, die Endlagerung vorbereitende Lagerung der Glasblöcke wird als zwingend erachtet. Sie soll ca. zehn Jahre dauern 290. Diese die Endlagerung vorbereitende Lagerung der Glasblöcke steht mit der Wiederaufarbeitung in keinerlei Zusammenhang mehr, so daß § 7 Abs. 1 AtG für sie als Genehmigungstatbestand ausscheidet. c) Glasblöcke als radioaktiver

Abfall i.S. des § 9a Abs. 1 Nr. 2 AtG

Wenn die Glasblöcke ihre Transportfähigkeit erlangen und ihre Lagerung somit nicht mehr Teil der Wiederaufarbeitung i. S. des § 7 Abs. 1 AtG ist, so daß diese Bestimmung als Genehmigungstatbestand entfällt, kommen sie in den Regelungsmechanismus des § 9 a AtG. Die Glasblöcke sind zwar schon vor ihrer Transportfähigkeit „radioaktive Reststoffe" i. S. des § 9a Abs. 1 AtG; sie „fallen" 286

s. oben Dritter Teil D. VI. Das gleiche gilt für die Anlagen, in denen die Abfälle aus der Wiederaufarbeitung konditioniert werden. Das verkennt wohl Hofmann, Entsorgung, S. 122f; Konditionierungsanlagen werden nicht lediglich in einem betriebswirtschaftlichen Zusammenhang mit der Wiederaufarbeitungsanlage betrieben; sie stehen vielmehr in einem technischnaturwissenschaftlichen Folgeverhältnis zur vorangehenden Wiederaufarbeitung. 287

288 289 290

s. oben Dritter Teil F. IV. 2.b). Argument des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) AtG; s. oben Dritter Teil F. IV. 3.a). s. oben Erster Teil A. III. 5. a) dd) und ee).

150

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

i. S. dieser Vorschrift aber erst „an", wenn sie ihre Transportfähigkeit erlangt haben. Erst in diesem Zeitpunkt können die Handlungspflichten der Betreiber gem. § 9a Abs. 1 und 2 Satz 1 AtG und die staatlichen Entsorgungspflichten gem. § 9a Abs. 2 und 3 AtG tatsächlich erfüllt werden 291. Mit dem Eintritt ihrer Transportfähigkeit sind die hochaktiven Glasblöcke nach § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG als radioaktiver Abfall geordnet zu beseitigen. Da eine weitere Extraktion der hochaktiven Spaltlösung keine wirtschaftliche Ausbeute erbringt 292, ist eine Verwertung der im Glas verfestigten Spaltstoffe wirtschaftlich nicht vertretbar (§ 9 a Abs. 1 Nr. 2,2. Alt. AtG). Ist die Verwertung wirtschaftlich nicht vertretbar, kommt es auf die Möglichkeit der Verwertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik (§ 9 a Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. AtG) nicht an 293 . Das Vorliegen einer der drei Alternativen des § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG genügt zur Qualifikation als radioaktiver Abfall 29*. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Vertretbarkeit zeigt sich eine Kongruenz zwischen dem Begriff des Kernbrennstoffs i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) AtG und dem Begriff des radioaktiven Abfalls, obgleich beide Begriffe voneinander unabhängig sind; denn bestrahlte Kernbrennstoffe können — wie oben gezeigt295 — sowohl radioaktive Reststoffe als auch radioaktiver Abfall sein. d) Sicherstellung

in Bundesanlage (§ 9a Abs. 3 Satz 1 AtG)

Radioaktiver Abfall ist gem. § 9a Abs. 2 Satz 1 AtG an Anlagen nach Abs. 3 Satz 1 abzuliefern. Von den drei dort genannten Anlagen (Landessammelstelle, Bundesanlagen zur Sicherstellung bzw. Endlagerung) kommt für die Glasblöcke mit den hochaktiven verfestigten Spaltstoffen die Bundesanlage zur Sicherstellung in Betracht. In solchen Anlagen sollen Abfälle Aufnahme finden, die aufgrund ihrer Spezifikation vor ihrer Endlagerung noch einige Jahre anderwärtig zu lagern sind. Nur diese Auslegung wird dem Wortlaut des § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtG gerecht; denn würde man unter einer Bundesanlage zur Sicherstellung das betriebsbedingt notwendige Eingangslager eines Endlagers verstehen, so wäre nicht erklärlich, warum die Sicherstellung neben der Endlagerung ausdrücklich Erwähnung gefunden hat 296 . Da die Glasblöcke mit den hochaktiven verfestigten Spaltstoffen vor ihrer Endlagerung für ca. zehn Jahre oberirdisch gelagert werden müssen, um insbesondere ihre Wärmeentwicklung im Hinblick auf das

291 Diese Feststellung gilt entsprechend für die abgebrannten Brennelemente und ihr Verlassen des Abklingbeckens bei Transportfähigkeit. 292 s. dazu oben Dritter Teil F. IV. 3.a). 293 Nach Straßburg, Zwischenlagerung, S. 197, erscheint eine weitere Extraktion „technisch kaum möglich". 294 s. oben Dritter Teil D. V. 2.a) bb). 295 s. oben Dritter Teil D. V. 3. 296 Vgl. Straßburg, ET 1983, 677 (680).

151

F. Anlagenteile

Endlagermedium zu vermindern 297, sind sie in einer Bundesanlage sicherzustellen 298 . e) Privates Glasblocklager zur Vorbereitung

der Endlagerung?

aa) Genehmigung über die Ausnahmeregelung des § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG? Abschließend muß untersucht werden, ob ein privates Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung über die Ausnahmeregelung des §9a Abs. 2 Satz 2 AtG genehmigt werden kann. Als Genehmigungstatbestand käme § 3 Abs. 1,1. Alt. StrlSchV in Betracht 299. §§ 6,7 und 9 AtG entfallen, da die verfestigten Spaltstoffe keine Stoffe i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) AtG und damit keine Kernbrennstoffe sind, was aber Tatbestandsvoraussetzung für alle drei Bestimmungen wäre. Da bei der Glasblocklagerung zur Vorbereitung der Endlagerung, d.h. bei der Lagerung nach Eintritt der Transportfähigkeit der Glasblöcke keinerlei Zusammenhang mit der Wiederaufarbeitung mehr besteht, scheidet § 7 Abs. 1 AtG auch insoweit aus. § 3 Abs. 1, 2. Alt StrlSchV kommt nicht in Betracht, da die verfestigten hochaktiven Spaltstoffe mangels Kernbrennstoffqualität keinen „kernbrennstoffhaltigen Abfall" darstellen 300; sie sind vielmehr „sonstige radioaktive Stoffe" i. S. des § 3 Abs. 1,1. Alt. StrlSchV i. V. mit § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtG, da sie, ohne Kernbrennstoff zu sein, ionisierende Strahlen spontan aussenden. Ein privates Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung scheitert indessen an § 9a Abs. 2 Satz 2 AtG selbst. Wie oben bereits ausgeführt 301, läßt sich über § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG zwar die private Trägerschaft für Zwischenlager außerhalb von Landessammelstellen begründen, nicht aber für Anlagen zur Sicherstellung oder Endlagerung; denn zum einen ist § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG eine Ausnahmevorschrift und diese ist nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen; zum anderen spricht die Ermächtigungsnorm des § 12 Abs. 1 Nr. 8 AtG allein von „anderweitiger Zwischenlagerung", nicht aber von anderweitiger Sicherstellung bzw. Endlagerung, und außerdem stellte es einen Wertungswiderspruch dar, wenn das private Glasblocklager über § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG lediglich einer Genehmigung nach § 3 Abs. 1 StrlSchV in einem Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung bedürfte, während für die staatliche Bundesanlage zur 297

s. oben Erster Teil A. III. 5.a) dd). So im Ergebnis wohl auch der Länderausschuß für Atomkernenergie, von dem Spranger, Umwelt Nr. 96 v. 8.7. 1983, S. 32 (36), berichtet: „Nach Abstimmung im Länderausschuß für Atomkernenergie ist vorgegeben, das... Lager (gemeint ist das für die Glasblöcke mit hochaktiven Abfällen) grundsätzlich als Anlage des Bundes nach § 9a Abs. 3 Atomgesetz, d.h. als Sicherstellungslager ... zu errichten und zu betreiben." 299 So wohl auch Straßburg, ET 1983, 677 (680). 300 So auch Straßburg, Zwischenlagerung, S. 137. 301 Dritter Teil D. V. 2.b) cc) (1). 298

152

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

Sicherstellung gem. §9b Abs. 1 AtG eine Planfeststellung vorgesehen ist 302 . Somit ist eine private Trägerschaft allein für Zwischenlager außerhalb von Landessammelstellen zulässig. Da Glasblöcke mit verfestigten Spaltstoffen vor ihrer Endlagerung nach der Konzeption des §9a AtG aber gerade nicht in Landessammelstellen, sondern in Bundesanlagen zur Sicherstellung gelagert werden sollen und für diese eine private Trägerschaft über § 9 a Abs. 2 Satz 2 AtG nicht begründbar ist, lassen sich private Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung über diese Ausnahmeregelung nicht genehmigen. bb) Genehmigung über § 9a Abs. 3 Satz 2 AtG? Auch über §9a Abs. 3 Satz 2 AtG kann ein privates Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung nicht genehmigt werden; denn über diese Bestimmung kann eine private Trägerschaft der in §9a Abs. 3 Satz 1 AtG aufgeführten staatlichen Anlagen (u. a. Bundesanlagen zur Sicherstellung) nicht konstruiert werden, da eine derartige Delegation gegen Wortlaut und Systematik des § 9a Abs. 3 AtG verstieße303. Im Bereich des § 9a Abs. 3 AtG besteht somit für alle dort genannten Einrichtungen ein staatliches Monopol bezüglich der Trägerschaft. Kommt der Staat seiner Einrichtungsverpflichtung nicht nach, bleibt allenfalls zu erwägen, aus § 9 a Abs. 3 Satz 2 AtG einen Anspruch auf Beteiligung der privaten Betreiber abzuleiten304. Aber selbst dann bliebe es bei der staatlichen Trägerschaft, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt ein privates Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung über § 9 a Abs. 3 Satz 2 AtG nicht denkbar ist. cc) Ergebnis Für ein privates Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung gibt es im Atomgesetz keinen Genehmigungst at bestand305. f) Ergebnis

aa) Bis zum Eintritt ihrer Transportfähigkeit ist die Lagerung von Glasblöcken mit hochaktiven verfestigten Stoffen Teil der Wiederaufarbeitung und unterliegt dem Genehmigungstatbestand des § 7 Abs. 1 AtG. bb) Mit dem Eintritt ihrer Transportfähigkeit sind die hochaktiven Glasblöcke nach § 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG als radioaktiver Abfall geordnet zu beseitigen und gem. § 9a Abs. 2 Satz 1 AtG an eine Bundesanlage zur Sicherstellung (§ 9a 302

Vgl. Wagner, Entsorgungsregelung, S. 100 f. Dazu s. im einzelnen oben Dritter Teil D. V. 2.a) aa) und b) cc) (1). 304 Vgl. oben Dritter Teil D. V. 2.d). 305 So im Ergebnis auch Wagner, Entsorgungsregelung, S. 101. Ohne Ergebnis bleibt Straßburg, ET 1983, 677 (680). 303

G. Ergebnis

153

Abs. 3 Satz 1 AtG) abzuliefern. Ein privates Glasblocklager zur Vorbereitung der Endlagerung ist nicht zulässig. G. Ergebnis Aus den Ausführungen und Feststellungen im Dritten Teil ergeben sich: I. Die bereits formulierten Einzel- und Zwischenergebnisse306. II. Erkenntnisse für die Auslegung des § 7 Abs. 1 AtG. 1. Der Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG gebietet, den Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG extensiv auszulegen. Die extensive Auslegung des Anlagenbegriffs erschließt den materiellen Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG, zugleich aber auch der verfahrensrechtlichen Präklusionswirkung (§7 Abs. 4 Satz 3 AtG i.V. mit §10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG und § 7 Abs. 1 Satz 2 AtVfV) einen erweiterten Anwendungsbereich. 2. Der Anlagenbegriff des § 7 Abs. 1 AtG erfaßt: a) Alle nuklearen Anlagenteile, die mit den in § 7 Abs. 1 AtG aufgeführten Handlungsformen (Erzeugung, Be-, Verarbeitung, Spaltung, Aufarbeitung) in einem technisch-naturwissenschaftlichen Zusammenhang stehen, diesen vorangehen oder folgen und ein vergleichbares Gefährdungspotential in sich bergen. b) Alle nicht-nuklearen Anlagenteile, die mit den nuklearen in einem räumlich betriebstechnischen Zusammenhang stehen. 3. Bei den nuklearen Anlagenteilen ist — anders als im Verhältnis zwischen nicht-nuklearen und nuklearen Teilen — ein räumlicher Bezug nicht erforderlich. 4. Bei nuklearen Anlagenteilen, die Stoffe aus der vorangehenden Prozeßstufe lagern (ζ. B. Abklingbecken, Glasblocklager), endet der technischnaturwissenschaftliche Zusammenhang mit der nuklearen Anlage der vorangehenden Prozeßstufe regelmäßig mit dem Eintritt der Transportfähigkeit der eingelagerten Stoffe. III. Erkenntnisse für die Auslegung des § 9 a AtG. 1. Die Transportfähigkeit wirkt sich auch auf den Beginn des Regelungsmechanismus des §9a AtG aus. Radioaktive Reststoffe können erst „anfallen" (§9a Abs.l AtG), wenn sie — nach Durchlaufen einer vorangehenden Prozeßstufe — ihre Transportfähigkeit erlangt haben.

306 s. insbesondere oben Dritter Teil D. V. 2. b) ee) und 3. sowie VI.; E. 1.3. und IV.; F. III. 8. und IV. 2. d) sowie 3.e) cc) Und f).

154

3. Teil: Die Systematik der Anlagenbegriffe im Atomgesetz

2. Kernbrennstoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG) und sonstige radioaktive Stoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AtG) einerseits sowie radioaktive Reststoffe (§ 9 a Abs. 1 Nr. 1 AtG) und radioaktive Abfälle (§ 9 a Abs. 1 Nr. 2 AtG) andererseits sind zwei Dualismen, deren begriffliche Definitionen voneinander unabhängig sind. IV. Bei der Lagerung abgebrannter Brennelemente ist rechtlich zu differenzieren. 1. Bis zum Eintritt ihrer Transportfähigkeit sind Lagerbecken für abgebrannte Brennelemente (Abklingbecken) Teil einer Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen (§ 7 Abs. 1 AtG). 2. Mit dem Eintritt der Transportfahigkeit abgebrannter Brennelemente sind für deren Zwischenlagerung (Kompaktlager wie externe Zwischenlagerung) folgende Genehmigungstatbestände bzw. Wege denkbar: a) Sind Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden: §7 Abs. 1 AtG (Teil einer Anlage zur Wiederaufarbeitung). b) Sind keine Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden, besteht aber eine Wiederaufarbeitungsoption : § 7 Abs. 1 AtG (Teil einer Anlage zur Wiederaufarbeitung) über § 9a Abs. 2 Satz2 AtG). c) Bestehen weder Wiederaufarbeitungskapazitäten noch -option: Ablieferung an staatliche Anlagen i.S. des § 9a Abs. 3 Satz 1 AtG (§ 9a Abs. 2 Satz 1 AtG). In dieser Variante sind private Zwischenlager — anders als in den beiden vorangehenden Varianten — nicht zulässig. 3. Das Ergebnis kann auch tabellarisch ausgedrückt werden:

-

-

4-

Wiederaufarbeitungskapazitäten vorhanden

Wenn ...

+

Wiederaufarbeitungsoption besteht

dann ...

+

(§9aINr.l)

+

+

+

-

+

(§9aINr.2) (§7 1)

ReststofT Abfall „zur Wiederaufarbeitung" Kembrenn-

+

4-

§ 9a II 1 i.V. mit III 1 (Ablieferung an staatliche Anlage)

(Teil einer Anlage zur Wiederaufarbeitung)

§ 71 direkt (Teil einer Anlage zur Wiederaufarbeitung)

stoffe"

Rechtsfolge

+ § 7 1 über § 9a II 2

(§7 1)

„bestrahlter

Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente (Kompakt- und externe Lagerung)

G. Ergebnis 155

Vierter

Teil

Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen für Anlagen des nuklearen Brennstoffkreislaufs A. Funktion der sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen

Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen für die Errichtung und den Betrieb kerntechnischer Anlagen markieren die Grenze zwischen — der erforderlichen Sicherheit, die für eine Anlage verlangt wird, und — dem akzeptierten Maß an verbleibendem Risiko, das von dieser Anlage ausgeht (Restrisiko); d. h. in der Terminologie des Atomgesetzes (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) die Grenze zwischen — der „erforderlichen Vorsorge gegen Schäden" und — dem akzeptierten Rest an Schadensmöglichkeiten, gegen den eine (weitere) Vorsorge für nicht erforderlich gehalten wird. Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen sind um so strenger, je geringer das akzeptierte Maß an verbleibendem Risiko angesetzt wird. Die politische, aber auch die verfassungsrechtliche Kontroverse geht um eben diese zumutbare Größe des Risikos. Die — öffentlich — diskutierten Größenordnungen schwanken zwischen „Nullrisiko" und einem Risiko, das kleiner ist als das „unabweisliche naturgegebene Lebensrisiko", jenes aber — unwesentlich — steigern darf 1. Die rechtliche Diskussion kreist im übrigen um die Frage, ob und wie das Risiko normativ zu fassen und zu konkretisieren ist. B. Vorgehensweise bei der Bestimmung der sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen

Die Bestimmung der sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen vollzieht sich in zwei Phasen. Zunächst sind die sicherheitsrelevanten Tatsachen zu ermitteln; unter Berücksichtigung dieser ermittelten Tatsachen schließt sich eine wertende Entscheidung an2. 1 Vgl. L. Rausch, Das zumutbare Risiko, S. 171 (177); Feldmann, Umwelt Nr. 97 v. 26.8. 1983, S. 24 (29). 2 Vgl. Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 3 f. Die Mehrphasigkeit erkennt auch — wenngleich ohne genaue Systematisierung — H. Rausch, Schweizerisches Atomenergierecht, S. 117.

Β. Vorgehensweise bei der Bestimmung der Voraussetzungen

157

In der ersten Phase ist zu ermitteln, — — — —

ob und welche Schäden von einer kerntechnischen Anlage ausgehen können, über welche Kausalketten sich diese Schäden verwirklichen können, ob und welche Mittel den Eintritt dieser Schäden ausschließen können, soweit ein Schadenseintritt nicht ausgeschlossen werden kann, — welche Mittel die Eintrittswahrscheinlichkeit vermindern können und — durch welche Mittel sich das Schadensausmaß begrenzen läßt und schließlich — ob und welche Schäden die Mittel ihrerseits hervorrufen. In Kenntnis der ermittelten sicherheitsrelevanten Tatsachen ist in einer zweiten Phase wertend darüber zu entscheiden, — ob und welche Mittel für erforderlich gehalten werden, um den Eintritt von Schäden auszuschließen, und — soweit dies nicht möglich ist, ob und welche Mittel für erforderlich gehalten werden, um — die Eintrittswahrscheinlichkeit zu vermindern und — das Schadensausmaß zu begrenzen. In dieser zweiten Phase müssen zugleich die Nachteile, die das jeweilige Mittel abwenden soll und die es seinerseits hervorruft, gegeneinander abgewogen werden. In der zweiten, wertenden Phase fallt die Entscheidung darüber, welches Sicherheitsniveau erreicht werden soll („Wie sicher ist sicher genug?"), und zugleich (negativ) auch darüber, daß die verbleibenden, d.h. von den für erforderlich gehaltenen Mitteln nicht erfaßten Schadensmöglichkeiten in Kauf genommen werden sollen. I. Ermittlung der sicherheitsrelevanten Tatsachen 1. Zuständigkeit

Zuständig für die Ermittlung der sicherheitsrelevanten Tatsachen sind die exakten Wissenschaften (Naturwissenschaften) und die Technik3. Hierbei ist es unerheblich, ob diese privat oder staatlich betrieben werden. Aus beiden Sphären sind die Erkenntnisse für die sicherheitsrelevanten Tatsachen heranzuziehen.

3

Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 4.

158

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen 2. Risikoermittlung: Tatsachenermittlung oder Wertung?

a) Definition

des Risikos

Das Risiko wird als naturwissenschaftliche Größe definiert; es ist das Produkt aus Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (Eintrittswahrscheinlichkeit) und Schadensausmaß4. b) Divergierende

Risikoermittlungen

Die Ermittlung des Risikos läuft ausschließlich innerhalb der Grenzen von Naturwissenschaft und Technik ab5. Im Bereich der exakten Wissenschaften kann man —jedenfalls theoretisch — erwarten, daß auf konkrete Fragestellungen, ζ. B. ob eine Schadensmöglichkeit besteht und ob und mit welcher Wirkung ein bestimmtes Mittel ihr begegnen kann, eindeutige Antworten gegeben werden6. Bei der Risikoermittlung beansprucht die Naturwissenschaft aber gerade eine wertende Auswahl von Phänomenen, wobei solche, die keine relevanten Beiträge liefern, vernachlässigt werden. Dieses Vorgehen wird damit gerechtfertigt, daß diese Wertung auf einen rein mathematischen Größenvergleich zwischen verschiedenen Risikobeiträgen hinausläuft 7. Diese wertende Auswahl von Phänomenen durch die Naturwissenschaft erklärt ζ. B. Divergenzen zwischen der amerikanischen Reactor Safety Study — auch bekannt als „Rasmussen-Bericht" (WASH-1400) — und der Deutschen Risikostudie bei der Häufigkeitsverteilung der frühen und späten Todesfälle 8. II. Wertende Entscheidung 1. Außerhalb von Naturwissenschaft und Technik

Die Bewertung der von Naturwissenschaft und Technik ermittelten Tatsachen liegt außerhalb des Rahmens von Naturwissenschaft und Technik9. Naturwissenschaft und Technik entscheiden insbesondere nicht über die Erforderlichkeit von Mitteln gegen Schadensmöglichkeiten und somit auch nicht (negativ) darüber, welcher Rest an Schadensmöglichkeiten in Kauf genommen, d.h. ob ein durch sie ermitteltes Risiko akzeptiert werden soll. Dies hat zwei Gründe. Zum einen sind die Akzeptanz von Risiken und die Erforderlichkeit von Mitteln Wertfragen, die mehrere Antworten zulassen. Mehrere Antworten auf eine 4

Smidt, Vorsorge gegen Schäden, S. 39; ders., Sicht des Technikers, S. 39. Smidt, Sicht des Technikers, S. 39. 6 Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 4. 7 Smidt, Sicht des Technikers, S. 39. 8 Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Die Deutsche Risikostudie, Kurzfassung, Bonn 8. 8. 1979, S. 36, S. 39 Bild 10, S. 40 Bild 11. 9 Winters, DÖV 1978, 265 (271); Smidt, Sicht des Technikers, S. 39. 5

Β. Vorgehensweise bei der Bestimmung der Voraussetzungen

159

Fragestellung sind den exakten Naturwissenschaften aber gerade fremd. Zum anderen muß die wertende Entscheidung eine Vielzahl von Kriterien, die auch aus nicht naturwissenschaftlichen Kategorien kommen10, zur Bewertung heranziehen und diese schließlich gegeneinander abwägen. Als Kriterien kommen u. a. in Betracht: — die ermittelten sicherheitsrelevanten Tatsachen (insbesondere Risiken und Mittel gegen Schadensmöglichkeiten), — ethische Gesichtspunkte, — die Rechtsordnung des jeweiligen Staates und der Staatengemeinschaft, — Ökologie, — Ökonomie (insbesondere der Nutzen der kerntechnischen Anlage)11. Dieser — nicht abschließende — Kriterienkatalog belegt, daß Naturwissenschaft und Technik bei der Frage der Akzeptanz und der Erforderlichkeit nur eine vorbereitende Hilfsfunktion bekleiden. Dies gilt auch dann, wenn sie neben dem Risiko der Kernkraftnutzung das Risiko alternativer Technologien oder das Risiko des Verzichts auf bestimmte Technologien ermitteln; denn auch dies sind nur Vorarbeiten auf der Tatsachenebene, die erst in den Wertungsprozeß eingeführt werden müssen. 2. Staatliche Zuständigkeit

Die wertende Entscheidung bei der Bestimmung der sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen obliegt in einem demokratischen Rechtsstaat der staatlichen Gewalt12; wertende Entscheidungen mit einer derart gesamtgesellschaftlichen Relevanz sind Ausübung von Staatsgewalt. Welche der drei Staatsgewalten (Legislative, Exekutive oder Judikative) hierzu legitimiert sind, ist mit Hilfe der Verfassung zu ermitteln. Wie oben dargelegt13, hat der Verfassungsgeber mit der Zuständigkeitsnorm des Art. 74 Nr. I I a GG die Entscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie dem Gesetzgeber übertragen. Der Gesetzgeber hat in § 1 AtG die normative Grundentscheidung zugunsten der Nutzung getroffen, die Akzeptanz des nuklearen Risikos aber offengelassen. Deswegen mußte er sich bei den einzelnen Zulassungsregelungen unbestimmter Rechtsbegriffe bedienen. Darüber hinaus hat er einige Genehmigungsvorschriften als Ermessensvorschriften ausgestaltet. Die aus § 1 AtG resultierende Unklarheit über die Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko zieht sich damit über die unbestimmten Rechtsbegriffe und die Ermessensvorschrif10

Vgl. L. Rausch, Das zumutbare Risiko, S. 171 (173). Vgl. Duwendag, Eröffnungsansprache, S. 3. 12 Vgl. BVerfGE 49, 89 (132); Kuhnt, Technische Regeln, S. 107 (108f.); Lecheler, ZRP 1977, 241 (243); Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 19; Smidt, Sicht des Technikers, S. 39,41; Ossenbühl, Bewertung, S. 50; Hofmann, Entsorgung, S. 89. 13 Zweiter Teil E. 11

160

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

ten auch in das übrige Atomgesetz hinein. Dies gilt insbesondere für den Genehmigungstatbestand des § 7 Abs. 2 AtG. C. Struktur des § 7 Abs. 2 A t G I. Sicherheitsrelevante anlagenbezogene Genehmigungsvoraussetzungen

Die Genehmigungsvoraussetzungen der Nrn. 1 bis 6 des § 7 Abs. 2 AtG lassen sich unter verschiedenen Gesichtspunkten systematisieren. Hierzu bieten sich verschiedene Differenzierungsmerkmale an. Für die vorliegende Untersuchung sind von besonderem Interesse die sicherheitsrelevanten anlagenbezogenen Genehmigungsvoraussetzungen. 1. Genehmigungsvoraussetzungen bezüglich Standortwahl, Errichtung und/oder Betrieb?

Die Genehmigungsvoraussetzungen der Nrn. 1 und 3 bis 5 beziehen sich auf die Errichtung und den Betrieb der kerntechnischen Anlage, während die Genehmigungsvoraussetzungen der Nr. 2 nur den Betrieb und der Nr. 6 die Wahl des Standorts der Anlage erfassen. Die Standortwahl geht der Errichtung und dem Betrieb zwar zeitlich voran, gleichwohl geht es auch hier um die Errichtung und den Betrieb der Anlage; denn bei Wahl und Bewertung des Standorts werden Errichtung und Betrieb bereits simuliert, um die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Anlage und Standortgegebenheiten erkennen und berücksichtigen zu können. Folgerichtig dienen die Standortkriterien für eine kerntechnische Anlage (ζ. B. Bevölkerungsverteilung, Baugrundbeschaffenheit, Erdbeben, Hochwasser, Abstand zu potentiellen Explosionsorten) auch der Sicherheit bei Errichtung und Betrieb 14. 2. Technische oder finanzieUe Sicherheit?

Die Genehmigungsvoraussetzungen der Nrn. 1 bis 3 und 5 bis 6 betreffen die technische Sicherheit, während Nr. 4 die finanzielle Sicherheit (Deckungsvorsorge) anspricht. Da bei der vorliegenden Untersuchung die technische Sicherheit im Mittelpunkt steht, kann § 7 Abs. 2 Nr. 4 AtG hier außer Betracht bleiben. 3. Personenbezogene (subjektive) oder anlagenbezogene (objektive) Genehmigungsvoraussetzungen?

Da es sich bei einer kerntechnischen Anlage um ein Mensch-MaschineSystem handelt, mußten beide Komponenten dieses Systems durch Genehmigungsvoraussetzungen geregelt werden. In der Literatur wird zwischen subjekti14 Vgl. Kriterien zur Standortvorauswahl für Wiederaufbereitungsanlagen ( = Anhang III, Ziff. 3.28), Ziff. 2.2, 3.3; Degenhart, Kernenergierecht, S. 50ff.

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

161

ven und objektiven Genehmigungsvoraussetzungen unterschieden15. Inhaltlich wohl gleichbedeutend, aber sprachlich genauer ist die Differenz nach personenund anlagenbezogenen Voraussetzungen. Die Voraussetzungen der Nrn. 1 (Zuverlässigkeit, Fachkunde) und 2 (Kenntnisse) sind personenbezogen, diejenigen der Nrn. 3, 5 und 6 anlagenbezogen. In der Bundesrepublik Deutschland besteht eine starke Tendenz, die Sicherheitssysteme kerntechnischer Anlagen soweit wie möglich zu automatisieren16. Automatisch eingreifende Systeme sollen die Möglichkeit menschlichen Fehlverhaltens mit nachteiligen Folgen verhindern bzw. auffangen. Ein Eingriff in den automatischen Ablauf soll nur insoweit möglich sein, als dies im Hinblick auf den speziellen Anlagenzustand erforderlich ist 17 . Da durch diese Automatisierungstendenz der Faktor Mensch an Bedeutung verliert, vernachlässigt die vorliegende Untersuchung die personenbezogenen Genehmigungsvoraussetzungen und konzentriert sich auf die anlagenbezogenen Voraussetzungen, ohne indessen zu verkennen, daß zwischen beiden eine Wechselwirkung besteht. 4. Nuklearspezifische oder nicht-nukleare Auswirkungen?

Einige Stimmen in der Literatur unterscheiden danach, ob sich die Genehmigungsvoraussetzungen des §7 Abs. 2 AtG auf nuklearspezifische und/oder nicht-nukleare Auswirkungen der Anlage beziehen18. Insbesondere bei Nr. 6 des § 7 Abs. 2 AtG wird nach nuklearspezifischen und nicht-nuklearen Auswirkungen unterschieden19. Diese Differenzierung ist zu trennen von der Unterscheidung nach nuklearen und nicht-nuklearen Anlagenteilen20. Von nuklearen Anlagenteilen können nuklearspezifische und nicht-nukleare Auswirkungen ausgehen, von nichtnuklearen Anlagenteilen unmittelbar nur nicht-nukleare Auswirkungen. Soweit aber ein nukleares Anlagenteil in seiner Funktion von einem nicht-nuklearen abhängt, kann ein Versagen oder eine Störung des nicht-nuklearen Anlagenteils zu einem Ausfall oder einer Fehlfunktion des nuklearen Anlagenteils führen und dadurch — mittelbar — nuklearspezifische Auswirkungen hervorrufen. Die Unterscheidung nach nuklearspezifischen und nicht-nuklearen Auswirkungen führt bei der Abgrenzung der Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 15

Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 14; Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 190. 16 Birkhof er ! Lindackers, Technik und Risiko, S. 99. 17 Schnauder ! Smidt, Faktor Mensch, S. 67; vgl. in diesem Zusammenhang das Problem der manuellen Steuerung der Sicherheitsventile bei: Sommer, Richterliche Kontrolle, S.23f. 18 Vgl. Rengeling, JZ 1977, 542 (543); Lecheler, ZRP 1977, 241 (242); Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 240. 19 Vgl. Degenhart, Kernenergierecht, S.46ff., 50ff. 20 Dazu s. ausführlich oben Dritter Teil F. 11 Luckow

162

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Abs. 2 AtG untereinander nicht weiter, da § 1 Nr. 2 AtG, der für die Auslegung des § 7 Abs. 2 AtG heranzuziehen ist, sowohl vor nuklearspezifischen als auch vor nicht-nuklearen Auswirkungen schützen will. Lediglich der Schutz vor der „schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen" ist allein nuklearer Natur; der Schutz vor den „Gefahren der Kernenergie" hingegen ist vom Wortlaut her nicht auf nukleare Auswirkungen beschränkt. Die „Gefahren der Kernenergie" i.S. des § 1 Nr. 2 AtG sind daher sowohl nuklearspezifischer als auch nichtnuklearer Natur 21 . Dieses Verständnis des §1 Nr. 2 AtG schlägt auf die Auslegung des § 7 Abs. 2 AtG bindend durch und gilt im übrigen auch für den insoweit wortgleichen § 8 Abs. 1, 2. Halbsatz AtG. 5. Ergebnis

Sicherheitsrelevante anlagenbezogene Genehmigungsvoraussetzungen sind die Nrn. 3, 5 und 6 des § 7 Abs. 2 AtG. Die Nrn. 1 und 2 sind personenbezogen, Nr. 4 betrifft lediglich die finanzielle, nicht die technische Sicherheit. I I . Verhältnis zwischen Nrn. 3 und 5 des § 7 Abs. 2 A t G 1. Inhalt des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG

Das Verhältnis zwischen den Nrn. 3 und 5 des § 7 Abs. 2 AtG ist leichter zu klären, wenn zunächst der Inhalt der Nr. 5 bestimmt wird. a) Wörtliche

Auslegung

Gem. Nr. 5 darf eine Genehmigung nur erteilt werden, wenn der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist. Im Rahmen einer wörtlichen Auslegung läßt sich folgendes ermitteln: aa) Abgrenzung: Störmaßnahmen — sonstige Einwirkungen Dritter Im Begriff der „Störmaßnahme" liegen Absicht und Ziel zu stören; denn eine „Maßnahme" ist beabsichtigt und zielgerichtet — im Gegensatz zur „Handlung", die auch unbeabsichtigt und ohne Finalität erfolgen kann. Nr. 5 wählt aber gerade nicht den Begriff der „störenden Handlung", sondern der „Störmaßnahme". Eine „Störmaßnahme" i. S. der Nr. 5 ist somit eine Einwirkung auf die kerntechnische Anlage mit der Absicht und dem Ziel zu stören 22. Eine Störmaßnahme kann sowohl gegen den Funktionsablauf der Anlagentechnik als auch gegen das Bedienungspersonal der Anlage gerichtet sein, zum Beispiel wenn dieses am Betreten der Anlage gehindert wird. Der Wortlaut der Nr. 5 gibt 21

Vgl. oben Dritter Teil F. III. 3.a). Strenger ist die Formulierung von Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S."28: .Störmaßnahmen sind Einwirkungen in Schädigungsabsicht". 22

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

163

nichts dafür her, die Zielrichtung der Störmaßnahme auf die Anlagentechnik einzugrenzen23. Die gegenseitige Ansicht verkennt, daß der Funktionsablauf einer kerntechnischen Anlage sogar bei fortschreitender Automatisierung immer noch auch vom Bedienungspersonal abhängt. Die „sonstigen Einwirkungen Dritter" verlangen — anders als die „Störmaßnahme" — keine Absicht oder Finalität. Die „sonstigen Einwirkungen Dritter" erfassen somit alle unbeabsichtigten und ungezielten Einwirkungen auf die Anlage24, die „Störmaßnahme" hingegen die Einwirkungen mit der Absicht und dem Ziel, die kerntechnische Anlage zu stören. bb) Durch Menschenhand oder durch Naturereignisse ausgelöste Einwirkungen Sowohl aus dem Begriff der ,,-maßnahme" als auch aus dem Begriff des „Dritten" läßt sich ableiten, daß die Nr. 5 nur Einwirkungen erfaßt, die durch Menschenhand ausgelöst werden. Durch Naturereignisse bedingte Einwirkungen fallen demnach nicht unter diese Bestimmung. b) Historische Auslegung

Aus der Begründung zu § 12 Nr. 10 AtG 2 5 ergibt sich, daß der Gesetzgeber unter Störmaßnahmen „Sabotageakte" und unter sonstigen Einwirkungen Dritter „die unbefugten Einwirkungen" versteht. Diese historische Interpretation steht den Ergebnissen der wörtlichen Auslegung nicht entgegen; denn zum einen sind Sabotageakte Einwirkungen mit der Absicht und dem Ziel, die Anlage zu stören; zum anderen sind auch unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf eine Anlage unbefugte Einwirkungen. Darüber hinaus unterstreicht die historische Auslegung, daß die Nr. 5 nur Einwirkungen erfaßt, die durch Menschenhand ausgelöst werden; denn die Begriffe „Sabotage" und „unbefugt" deuten auf von Menschen verursachte Einwirkungen. c) Beschränkung der Nr. 5 auf äußere Einwirkungen?

Häufig wird die Genehmigungsvoraussetzung der Nr. 5 gleichgesetzt mit dem Schutz der Anlage vor äußeren Einwirkungen 26. Diese Auffassung bedarf indessen der Differenzierung.

23 24 25 26

11*

So aber Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 273. So im Ergebnis auch Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 29. BT-Ds. III/759, S. 27. So z.B. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 28.

164

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

aa) Interne und externe Einwirkungen Die genannte Auffassung basiert auf der Unterscheidung zwischen internen und externen Einwirkungen auf die Anlage27. (1) Interne Einwirkungen

Zu den internen Einwirkungen werden material-, konstruktions- und betriebsbedingte Ereignisse gerechnet. Interne Sabotage wird hier in der Regel nicht erwähnt, obgleich sie an dieser Stelle zu rubrizieren ist. (2) Externe Einwirkungen

Bei den externen Einwirkungen wird nochmals differenziert nach natürlichen und zivilisatorischen Einwirkungen. (a) Natürliche Einwirkungen Zu den externen natürlichen Einwirkungen zählen: Erdbeben, Erdrutsch, Hochwasser, Sturmflut, Blitzschlag, Wind, Eis, Schnee, Meteorit-Einschlag, Brände natürlichen Ursprungs (z. B. durch Blitzeinschlag), Einwirkungen von biologischen Organismen (z. B. Vogelschwärme, Muschelbewuchs). (b) Zivilisatorische Einwirkungen Zu den externen zivilisatorischen Einwirkungen gehören: Flugzeugabsturz, Brände zivilisatorischen Ursprungs, Einwirkung gefahrlicher Stoffe, Druckwellen, externe Sabotage. bb) Interne und externe Sabotage Einer gesonderten Betrachtung bedarf die Sabotage. Sabotage kann innerhalb und außerhalb der Anlage stattfinden; sie kann von Betriebsangehörigen und Dritten betrieben werden. Den Betriebsangehörigen gleichzustellen sind Personen, die in keinem Arbeitsverhältnis zum Betreiber der Anlage stehen, aber zur Erledigung bestimmter Aufgaben innerhalb der Anlage vom Betreiber herangezogen werden (z. B. Fremdarbeitnehmer eines Subunternehmers); denn auch dieser Personenkreis dient der betrieblichen Funktion der Anlage. Dritte sind alle übrigen Personen (z. B. Besucher, Lieferanten). Sabotage ist eine „Störmaßnahme" i. S. des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG, gleichviel, ob sie von Dritten oder Betriebsangehörigen betrieben wird; denn der Wortlaut der Nr. 5 rechtfertigt es, den Begriff des Dritten nur den „sonstigen Einwirkun27

Vgl. Feldmann, ET 1983, 385 (390).

165

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

gen", nicht aber den „Störmaßnahmen" zuzuordnen28, so daß „Störmaßnahmen" i.S. der Nr. 5 von jedermann, d.h. auch von Betriebsangehörigen, unternommen werden können. Diese Auslegung gilt sowohl für die interne als auch die externe Sabotage. Nr. 5 bietet keinen Anhaltspunkt dafür, diese Bestimmung auf eine der beiden Sabotagearten zu beschränken. cc) Interne und externe unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf die Anlage durch Betriebsangehörige und Dritte Externe unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf die Anlage durch Betriebsangehörige sind „sonstige Einwirkungen Dritter" i. S. der Nr. 5, da der Betriebsangehörige hierbei dem Dritten gleichsteht. Interne unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf die Anlage durch Betriebsangehörige können hingegen keine „sonstigen Einwirkungen Dritter" i.S. der Nr. 5 sein, weil sich der Betriebsangehörige im internen Bereich der Anlage wegen seiner betrieblichen Funktion sehr wohl vom Dritten unterscheidet. Interne unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf die Anlage durch Betriebsangehörige werden vielmehr einerseits von den personenbezogenen Genehmigungsvoraussetzungen der Nrn. 1 und 2 und andererseits von der anlagenbezogenen Voraussetzung der Nr. 3 erfaßt; denn „Fachkunde" (Nr. 1) und „Kenntnisse über einen sicheren Betrieb der Anlage..." (Nr. 2) sowie eine Auslegung der Anlage gem. Nr. 3 können derartige Einwirkungen verhindern 29. Dagegen sind interne unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf die Anlage durch Dritte (z.B. Besucher) „sonstige Einwirkungen Dritter" i.S. der Nr. 5. Der Wortlaut der Nr. 5 rechtfertigt es nicht, die sonstigen Einwirkungen Dritter auf externe Einwirkungen zu beschränken. Der erforderliche Schutz gegen interne unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkungen auf die Anlage durch Dritte muß somit gem. § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG gewährleistet sein. dd) Ergebnis „Störmaßnahmen" und „sonstige Einwirkungen Dritter" i.S. der Nr. 5 umfassen externe und interne Einwirkungen auf die Anlage. Die Nr. 5 des § 7 Abs. 2 AtG auf äußere Einwirkungen beschränken zu wollen ist daher nicht vertretbar. 2. Abgrenzende Subsumtion zwischen Nrn. 3 und 5 des § 7 Abs. 2 AtG

Die Auslegung der Anlage gegen material-, konstruktions- und betriebsbedingte Ereignisse bestimmt sich nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG; ebenso die 28

So auch Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 278. So im Ergebnis auch, allerdings mit anderer Begründung, Ronellenfitsch, gungsverfahren, S. 277 f. 29

Genehmi-

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Auslegung gegen externe natürliche Einwirkungen, da durch Naturereignisse bedingte Einwirkungen von § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG nicht erfaßt werden. Externe zivilisatorische Einwirkungen hingegen fallen unter § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG, da diese Bestimmung Einwirkungen erfaßt, die durch Menschenhand ausgelöst werden. Soweit diese externen zivilisatorischen Einwirkungen von der Absicht und mit dem Ziel getragen sind, die kerntechnische Anlage zu stören (ζ. B. Kamikaze-Flugzeugabsturz, absichtlich gelegte Brände, absichtlich herbeigeführte Explosionen oder sonstige externe Sabotage), handelt es sich um „Störmaßnahmen" i. S. des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG. Soweit die externen zivilisatorischen Einwirkungen auf die kerntechnische Anlage unbeabsichtigt und ungezielt sind (ζ. B. unglücksbedingter Flugzeugabsturz oder unglücksbedingte Brände, Einwirkung gefahrlicher Stoffe und Druckwellen aus der Umgebung der kerntechnischen Anlage), handelt es sich um „sonstige Einwirkungen Dritter" i.S. des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG. Die übrigen Ergebnisse zur Abgrenzung zwischen den Nrn. 3 und 5 sind bereits oben festgehalten 30. Alle Ergebnisse zur Abgrenzung zwischen den Nrn. 3 und 5 des § 7 Abs. 2 AtG sind in der Übersicht auf Seite 167 zusammengestellt. 3. Genehmigungspraxis

Die vorstehenden Ergebnisse zur Abgrenzung zwischen den Nrn. 3 und 5 des § 7 Abs. 2 AtG werden durch die derzeitige Genehmigungspraxis zumindest teilweise bestätigt. Zwar lassen die Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke 31, die der Konkretisierung des § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG dienen, nicht erkennen, welche Art von Einwirkungen der Nr. 3 bzw. der Nr. 5 zuzuordnen sind; andere Bekanntmachungen des Bundesministers des Innern jedoch enthalten zur Frage der Abgrenzung zwischen den Nrn. 3 und 5 genauere Aussagen. Die Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen32 ζ. B. behandelt den Schutz gegen chemische Reaktionen explosionsfähiger Stoffe, mit denen in der Umgebung des Kernkraftwerks umgegangen wird. Im Vorwort zur Richtlinie ist ausdrücklich bestimmt, daß sie der Konkretisierung des erforderlichen Schutzes gegen sonstige Einwirkungen Dritter in § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG 3 3 dient. Hieraus ergibt sich, daß die Genehmigungspraxis externe Druckwellen aus chemischen Reaktionen dem § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG zuordnet. Da Kriterium 2.6 der bereits erwähnten Sicherheitskriterien Einwirkungen von explosionsfa30

s. oben l.c)bb) und cc). Anhang III, Ziff. 3.1. 32 Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen aus chemischen Reaktionen durch Auslegung der Kernkraftwerke hinsichtlich ihrer Festigkeit und induzierten Schwingungen sowie durch Sicherheitsabstände ( = Anhang III, Ziff. 3.6). 33 Diese Vorschrift ist identisch mit § 7 Abs. 2 Nr. 4 A t G a.F. 31

167

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

Einwirkungen

§ 7 Abs. 2 A t G ΝίΓΓ ' Sr. 5 Störsonstige maßEinwirnahme kung Dritter

Intern — Material-, konstruktions- und betriebsbedingte Ereignisse (z.B. interne Brände, Explosionen, Überflutungen; Kühlmittelverlust, Leckagen) — Sabotage durch Betriebsangehörige und Dritte — unbeabsichtigte und ungezielte Einwirkung durch — Betriebsangehörige — Dritte Extern — natürliche Einwirkungen (Erdbeben, Erdrutsch, Hochwasser, Sturmflut, Blitzschlag, Wind, Eis, Schnee, Meteorit-Einschlag, Brände natürlichen Ursprungs (ζ. B. durch Blitzschlag), Einwirkungen von biologischen Organismen (z.B. Vogelschwärme, Muschelbewuchs))

+

— zivilisatorische Einwirkungen (Flugzeugabsturz, Brände zivilisatorischen Ursprungs, Einwirkung gefährlicher Stoffe, Druckwellen) — mit Absicht und Ziel, die Anlage zu stören (Sabotage), durch Betriebsangehörige und Dritte — unbeabsichtigt und ungezielt, durch Betriebsangehörige und Dritte

higen Stoffen, also Druckwellen, den übrigen Einwirkungen von außen (wie ζ. B. Flugzeugabsturz, Einwirkungen von gefährlichen Stoffen, aber auch Störmaßnahmen Dritter) gleichstellt, läßt eine Gesamtschau des Kriteriums Nr. 2.6 und der Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen den Schluß zu, daß die Genehmigungspraxis externe zivilisatorische Einwirkungen insgesamt unter die Nr. 5 des § 7 Abs. 2 AtG subsumiert. Aus dieser Gesamtschau läßt sich weiter folgern, daß externe zivilisatorische Einwirkungen mit der Absicht und dem Ziel, die Anlage zu stören, „Störmaßnahmen" i. S. der Nr. 5 sind, während externe Einwirkungen, die beim Umgang mit zivilisatorischen Mitteln in der Umgebung der kerntechnischen Anlage im

168

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Hinblick auf diese unbeabsichtigt und ungezielt entstehen, „sonstige Einwirkungen Dritter" i.S. der Nr. 5 darstellen. Die Störfall-Leitlinien 34 dienen — wie in ihrem Vorwort ausgeführt wird — der Konkretisierung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Zu den Störfällen, gegen die anlagentechnische Schadensvorsorge getroffen werden muß, rechnen die Leitlinien Erdbeben35 sowie sonstige naturbedingte Einwirkungen (ζ. B. Hochwasser, Blitzschlag, Wind, Eis, Schnee, äußere Brände)36. Hieraus ergibt sich, daß die Genehmigungspraxis externe natürliche Einwirkungen dem § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG zuordnet. I I I . Verhältnis zwischen Nr. 6 und Nrn. 3, 5 des § 7 Abs. 2 AtG 1. Meinungsstand

a) § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG als nuklear spezifische oder nicht-nuklearspezifische Voraussetzung

Fischerhof 7 versteht die Nr. 6 als nuklearspezifische Voraussetzung; denn die atomrechtliche Genehmigungsbehörde könne nur nach nuklearspezifischen Gesichtspunkten entscheiden, da sie anderen behördlichen Verfahren nicht vorgreifen dürfe. Andere Stimmen sehen die Nr. 6 ausschließlich als nicht-nuklearspezifische Voraussetzung38. Die nuklearspezifischen Anforderungen seien bereits von den Nrn. 1 bis 5, insbesondere der Nr. 3 erfaßt. Wenn den Anforderungen der Nrn. 1 bis 5 genügt sei, könnten nuklearspezifische Gesichtspunkte der Wahl des Standorts gem. der Nr. 6 nicht mehr als öffentliche Interessen entgegenstehen39. b) Sicherheitsrelevante

Standortfaktoren

Nach Ronellenfitsch 40 fallen—neben den nicht-nuklearspezifischen Gesichtspunkten —nur die nuklearspezifischen Belange unter § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG, die 34 Leitlinien zur Beurteilung der Auslegung von Kernkraftwerken mit Druckwasserreaktoren gegen Störfälle im Sinne des § 28 Abs. 3 der Strahlenschutzverordnung ( = Anhang III, Ziff. 3.33). 35 Tab. I, Ziff. I. 7. 36 Tab. II, Ziff. II. 9. 37 Fischerhof, Atomgesetz, § 7 AtG, Rnr. 20. Ihm folgt Hansmann, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 94f. 38 Rauschning, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 83-85; Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 30. Nicht ganz eindeutig: Sellner, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 383, nach dessen Ansicht die Nr. 6 „in erster Linie" nicht-nuklearspeziflsche Belange umfaßt. 39 Rauschning, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 83; Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 30. 40 Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 286.

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

169

nichts mit der Anlagensicherheit zu tun haben. Im Hinblick auf Sicherheitserwägungen seien § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG die spezielleren Normen. Sicherheitsaspekte der Standortwahl würden somit „mittelbar" bereits durch § 7 Abs. 2 Nrn. 2 bis 5 AtG erfaßt; insoweit sei für die Nr. 6 kein Raum. Das von Ronellenfitsch genannte Beispiel für einen nuklearspezifischen Belang, der nichts mit der Anlagensicherheit zu tun hat, verwirrt 41 . Die Belastung der Landschaft infolge einer durch billigen Atomstrom hervorgerufenen Industrieansiedlung ist wohl eher nicht-nuklearspezifischer als nuklearspezifischer Natur. Auch konventionelle Kraftwerke ziehen Industrieansiedlungen nach sich, die die Landschaft belasten. Dieses Phänomen ist nicht nuklearspezifisch. Soweit Ronellenfitsch auf die Preiswürdigkeit des Atomstroms abstellt, muß er sich entgegenhalten lassen, daß die nuklearen Folgelasten (Zwischenund Endlagerung; Stillegung kerntechnischer Anlagen) selten oder nicht in die Kostenrechnung eingestellt werden und darüber hinaus nukleare Forschung sowie nukleare Pilotanlagen (z.B. der Schnelle Brutreaktor in Kalkar) nicht ausschließlich von den Stromerzeugern, sondern in nicht unbeträchtlichem Umfang durch staatliche Förderung finanziert werden. Werden diese Posten in die Rechnung eingestellt, wird sich die Prämisse vom billigen Atomstrom kaum halten lassen. Im übrigen muß Ronellenfitsch sich entgegenhalten lassen, daß die Ausklammerung der sicherheitsrelevanten Standortfaktoren aus § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG den Wert des Vorbescheids nach § 7a Abs. 1 AtG, der „insbesondere zur Wahl des Standorts einer Anlage" erteilt werden kann, weitgehend relativiert; denn Sinn des Standortvorbescheids ist es gerade, auch sicherheitsrelevante Standortfaktoren zu erfassen. Kröncke 42 folgt Ronellenfitsch — unkritisch — darin, daß unter § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG nur die nuklearspezifischen Belange fallen, die nichts mit der Anlagensicherheit zu tun haben. Im Widerspruch hierzu steht seine Aussage, daß § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG eine nicht-nuklearspezifische Genehmigungsvoraussetzung sei, da die Nr. 6 bei nuklearspezifischem Verständnis überflüssig sei. 2. Lösungsvorschlag

a) Ansatz

§ 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG erfaßt sowohl nuklear- und nicht-nuklearspezifische als auch sicherheits- und nicht-sicherheitsrelevante Belange43. Wie oben bereits ausgeführt 44, erstreckt sich der Schutz des § 1 Nr. 2 AtG, der für die Auslegung aller Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG 41 42 43 44

Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 286, Fußn. 33. Kröncke, Genehmigung, S. 12. So auch Degenhart, Kernenergierecht, S. 46ff., 50ff. Vierter Teil C. I. 4.

170

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

heranzuziehen ist, sowohl auf nuklear- als auch nicht-nuklearspezifìsche Belange; denn der Schutz vor den „Gefahren der Kernenergie" ist vom Wortlaut her nicht auf nukleare Auswirkungen beschränkt. Bei der Prüfung der Standortwahl gem. § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG sind somit sowohl nuklear- als auch nicht-nuklearspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Ebensowenig lassen sich im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG sicherheits- und nicht-sicherheitsrelevante Belange trennen. Wer — wie Ronellenfitsch — die sicherheitsrelevanten Standortfaktoren aus § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG herausnimmt und den Nrn. 3 und 5 des § 7 Abs. 2 AtG zuschlägt, der verkennt, daß es sicherheitsrelevante Standortfaktoren gibt, bei denen von vornherein feststeht, daß sie durch eine entsprechende Auslegung der Anlage nicht kompensiert werden können; zumindest derartige Faktoren müssen bereits im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG geprüft und dürfen nicht auf das Gleis der Nrn. 3 und 5 des § 7 Abs. 2 AtG geschoben werden; denn diese beiden Nummern betreffen die Auslegung der Anlage, die bei fehlender Kompensationsmöglichkeit gerade keine Rolle spielt. Der folgende Lösungsvorschlag geht somit davon aus, daß § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG sich auf nuklear- und nicht-nuklearspezifische sowie auf sicherheits- und nicht-sicherheitsrelevante Belange erstreckt. Dies wird auch dem Wortlaut der Nr. 6, der keinen Anhaltspunkt für entsprechende Differenzierungen bietet, besser gerecht. b) Abgrenzungskriterium zwischen Nr. 6 und Nrn. 3, 5 des § 7 Abs. 2 AtG: Ist Ausgleich entgegenstehender ortsbedingter Faktoren durch Auslegung der Anlage gem. Nrn. 3 und 5 denkbar oder nicht?

Die Standortbewertung betrifft die Wechselwirkung zwischen orts- und anlagenbedingten Faktoren. Ortsbedingte Faktoren (z.B. Zone bekannter seismischer Aktivität) können anlagenbedingte Faktoren beeinflussen (z.B. vergrößern oder verkleinern, verschärfen oder mildern); aber auch anlagenbedingte Faktoren (z. B. Eigengewicht der Anlage, Emissionen, optisches Erscheinungsbild) können — umgekehrt — ortsbedingte Faktoren beeinflussen (z.B. Bodenstabilität, Nahrungspfade, Landschaftsbild). Im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG ist durch Abwägung („überwiegende. ..") festzustellen, ob ortsbedingte Faktoren der Standortwahl entgegenstehen. Ist dies nicht der Fall, so ist die Voraussetzung der Nr. 6 erfüllt. Stehen hingegen ortsbedingte Faktoren der Standortwahl entgegen, so ist weiter zu prüfen, ob ein Ausgleich dieser entgegenstehenden Faktoren durch eine Auslegung der Anlage gem. § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG denkbar ist. Ist dies nicht der Fall (z. B. Standort über einem Bergwerk oder unterhalb des höchsten Hochwasserspiegels), so liegt die Voraussetzung der Nr. 6 nicht vor; die Genehmigung der Anlage muß für diesen Standort somit versagt werden.

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

171

Ist ein Ausgleich der entgegenstehenden ortsbedingten Faktoren durch eine Auslegung der Anlage gem. § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG hingegen denkbar, dann muß im Rahmen der Nrn. 3 und 5 weiter geprüft werden, ob gegen die entgegenstehenden ortsbedingten Faktoren die erforderliche Vorsorge getroffen bzw. der erforderliche Schutz gewährleistet ist. Ist dies nicht der Fall, so ist die Genehmigung zu versagen. Andernfalls darf sie — sofern die übrigen Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG vorliegen — nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt werden. c) Vorzüge des Lösungsvorschlags

aa) Eigenständige Funktion des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG Der hier vorgeschlagene Lösungsweg beläßt dem § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG auch im nuklearspezifischen und sicherheitsrelevanten Bereich eine eigenständige Funktion gegenüber den übrigen Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG. Hierbei filtert die Nr. 6 alle Standorte aus, deren Nachteile durch eine Auslegung der Anlage keinesfalls kompensiert werden können45. Ist eine Kompensation durch eine entsprechende Auslegung der Anlage hingegen denkbar, wird die Prüfung — sachgerecht — verlagert auf die Nrn. 3 und 5, also auf die Genehmigungsvoraussetzungen, die für die Auslegung kerntechnischer Anlagen einschlägig sind. Hierdurch wird zugleich deutlich, daß § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG einerseits standortunabhängige, andererseits aber auch standortspezifische Anforderungen abdecken4*. Dies hat die Literatur für § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gelegentlich anerkannt. Nach Rauschning 47 gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß die nach Nr. 3 erforderliche Schadensvorsorge nur standortunabhängig zu verstehen sei. Nach der Ansicht von Feldmann 48 hat der Antragsteller natürliche und zivilisatorische Vorbelastungen des Standorts auszugleichen und dagegen gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG Vorsorge zu treffen. Feldmann verkennt allerdings, daß dies im Hinblick auf sonstige Einwirkungen Dritter i.S. der Nr. 5 ebenso gilt 49 .

45 Auch das OVG Münster scheint die Funktion des § 7 Abs. 2 Nr. 6 A t G ähnlich zu sehen; denn es stellt darauf ab, ob dem Vorhaben „von vornherein unüberwindliche rechtliche Hindernisse" entgegenstehen. Vgl. OVG Münster, Urt. v. 20. 2. 1975, V I I A 911/69, Urteilsausfertigung, S. 79. 46 Zum Dualismus standortunabhängig — standortspezifisch vgl. Projektgruppe Kernenergiestandorte, Standortwahl, S. 29, und Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 285. 47 Rauschning, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 83. 48 Feldmann, ET 1983, 385 (390). 49 Dieser Ansicht scheint auch Degenhart, Kernenergierecht, S. 5, zu sein; denn er spricht von „Auslegung entsprechend den Standortgegebenheiten", ohne sich auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G zu beschränken.

172

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

bb) Berücksichtigung synergetischer Wirkungen Die hier entwickelte Lösung besitzt den Vorzug, daß alle Standortfaktoren im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren umfassend gewürdigt werden. Dadurch, daß § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG auf nuklear- und nicht-nuklearspezifische sowie auf sicherheits- und nicht-sicherheitsrelevante Belange erstreckt wird, ermöglicht die hier vorgestellte Lösung, daß synergetische Wirkungen zwischen am Standort bereits vorhandenen Schadstoffen einerseits und den nuklearen sowie nicht-nuklearen Emissionen der kerntechnischen Anlage andererseits50 einheitlich, umfassend und durch eine mit nuklearem Sachverstand ausgestattete Behörde berücksichtigt werden können. cc) Positive Auswirkungen auf Standortvorbescheid Der hier vorgestellte Lösungsvorschlag könnte darüber hinaus das Instrument des atomrechtlichen Standortvorbescheids, das bisher nur vereinzelt angewendet worden ist 51 , attraktiver gestalten. Gem. § 7a Abs. 1 Satz 1 AtG kann zur Wahl des Standorts einer Anlage ein Vorbescheid erlassen werden. Dadurch wird die Prüfung des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG gegenüber den übrigen Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG zeitlich vorgezogen. Diese verfahrensrechtliche Möglichkeit der zeitlichen Vorverlagerung der materiellen atomrechtlichen Prüfung der Standortfrage trägt der Tatsache Rechnung, daß die Standortfrage im Planungsablauf chronologisch an erster Stelle steht, weil von ihr die gesamte weitere Planung (Anlagentyp und -große, Sicherheitsgrundkonzept usw.) abhängt. Der hier vertretene Lösungsvorschlag bietet nun die Möglichkeit, durch einen Vorbescheid den gewählten Standort für die geplante Anlage zu bestätigen, wenn — was höchst selten oder möglicherweise nie vorkommen wird — keine ortsbedingten Faktoren der Standortwahl entgegenstehen, oder abzulehnen, wenn eine Kompensation entgegenstehender Standortfaktoren durch eine Auslegung der Anlage von vornherein undenkbar ist (ζ. B. bei Standorten in ehemaligen oder potentiellen Epizentren oder in durch Sturmfluten gefährdeten Küstengebieten). Ist eine Kompensation durch eine entsprechende Auslegung hingegen nicht ausgeschlossen, so wird im Vorbescheid festgestellt, daß der Standortwahl überwiegende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen, wenn der Anlagenbetreiber bestimmte Standortvorbelastungen ausgleicht, d. h. gegen diese Nachteile durch Auslegung der Anlage die nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG erforderliche Vorsorge trifft und den nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG erforderlichen Schutz gewährleistet. Damit signalisiert die Genehmigungsbehörde dem Betrei50

Zum risikosteigernden Zusammenwirken chemischer Schadstoffe mit radioaktiven Strahlungen vgl. Degenhart, Kernenergierecht, S. 56 mit weiteren Nachweisen. Zu Reaktionen chemischer Schadstoffe untereinander vgl. Projektgruppe Kernenergiestandorte, Standortwahl, S. 29. 51 Fischerhof, Atomgesetz, § 7a AtG, Rnr. 3.

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

173

ber im frühestmöglichen Verfahrensstadium, gegen welche Standortvorbelastungen sie Vorsorge- und Schutzmaßnahmen für notwendig erachtet, ohne auf informelle Verständigungsverfahren mit dem Betreiber angewiesen zu sein. Für den Betreiber bringt dies Vorteile hinsichtlich Zeit und Kosten; er kann sein Planungskonzept (z. B. Anlagentyp und -kapazität, Sicherheitsgrundkonzept) frühzeitig und kostensparend korrigieren und den Vorstellungen der Genehmigungsbehörde anpassen. Auch im prozessualen Bereich ergeben sich Vorteile. Soweit das Standortvorbescheidsverfahren nicht gewählt wird, muß die Standortfrage im Rahmen der in der Regel ergehenden ersten Teilerrichtungsgenehmigung zusammen mit anderen Fragen behördlich geklärt 52 und im Verwaltungsprozeß um diese erste Teilgenehmigung gerichtlich ausgetragen werden. Als Folge der hier vorgestellten Lösung wird die Standortfrage hingegen — zumindest im Grundsatz — Gegenstand eines selbständigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits um den Vorbescheid. Da der Fall, daß keine ortsbedingten Faktoren der Standortwahl entgegenstehen, höchst selten oder möglicherweise nie vorkommen wird, wird es beim verwaltungsgerichtlichen Streit hinsichtlich des Standortvorbescheids nur um die Frage gehen, ob eine Kompensation entgegenstehender Standortfaktoren durch eine Auslegung der Anlage von vornherein undenkbar ist. Ob gegen bestimmte Standortfaktoren die erforderliche Vorsorge i. S. des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG getroffen und der erforderliche Schutz i.S. des §7 Abs. 2 Nr. 5 AtG gewährleistet ist, wird — wie bisher — im Verwaltungsprozeß über die erste oder die folgenden Teilerrichtungsgenehmigungen geklärt. Immerhin wird — als Folge des hier vorgestellten Lösungsvorschlags — die verwaltungsgerichtliche Behandlung eines Teils der standortbedingten Streitfragen, nämlich der grundsätzlichen Standortfragen, zeitlich vorgezogen und der Streitstoff des Verwaltungsprozesses über die Teilerrichtungsgenehmigung entsprechend verringert. Die Anlagenbetreiber, die sich des Standortvorbescheidsverfahrens wegen der verwaltungsgerichtlichen Anfechtbarkeit des Vorbescheids nur vereinzelt bedient haben53, könnten ihre bisherige Zurückhaltung nunmehr aufgeben, da der Rechtsstreit um den Standortvorbescheid — nach der hier dargestellten Lösung — auf grundsätzliche Standortfragen beschränkt ist. Der Rechtsschutz Dritter wird hierdurch nicht geschmälert. d) Praktikabilität

des Lösungsvorschlags

aa) Katalog wichtiger Standortkriterien Standortkriterien lassen sich danach differenzieren, ob sie die nuklearspezifischen oder die nicht-nuklearen Wechselwirkungen zwischen orts- und anlagenbedingten Faktoren betreffen. 52 53

Fischerhof, Fischerhof,

Atomgesetz, § 7 a AtG, Rnr. 4. Atomgesetz, § 7a AtG, Rnr. 3.

174

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

(1) Standortkriterien

bezüglich nicht-nuklearer

Wechselwirkungen

Auch Standortkriterien bezüglich nicht-nuklearer Wechselwirkungen können sicherheitsrelevant sein (ζ. B. Einwirkungen nicht-nuklearer Schadstoffe auf die Nahrungskette über Luft, Boden und Wasser, kurz: konventionelle Belastungspfade). Daher müssen diese Standortkriterien in der vorliegenden Untersuchung mitberücksichtigt werden. Lediglich die Untergruppe der raumplanerischen Gesichtspunkte (Raumordnung, Ortsplanung, Wirtschaft) wird wegen fehlender Sicherheitsrelevanz ausgeklammert. Soweit Raumordnungsverfahren durchgeführt werden, werden die raumplanerischen Aspekte bereits dort erörtert 54. Die nachfolgenden Kriterien betreffen in erster Linie den Umweltschutz. Wichtige Kriterien sind55: — Naturschutz; — Landschaftspflege; — Ökosysteme (Luft, Boden, Wasser): z.B. Lokalklima, Nebel, Umlenkung der Luftzirkulation; Pufferwirkung des Bodens; Einwirkungen nicht-nuklearer Schadstoffe auf die Nahrungskette über Luft, Boden und Wasser (konventionelle Belastungspfade); — Pflanzen- und Tierwelt: ζ. B. Rückzugsgebiete, Regenerationszonen; — Landschaftsbild: ζ. B. Verdrahtung, Kühltürme; — Forstliche Belange: ζ. B. Inanspruchnahme von Wald; — Wasserwirtschaft: z.B. Trinkwasserschutzgebiete, Gewässererwärmung des Vorfluters; — Immissionsschutz (Luft): ζ. B. synergetische Wirkungen zwischen am Standort bereits vorhandenen Schadstoffen und Emissionen der kerntechnischen Anlage; — Immissionsschutz (Lärm). 54 So z.B. im Raumordnungsverfahren für eine Wiederaufarbeitungsanlage in der Oberpfalz im Freistaat Bayern. Zu raumplanerischen Gesichtspunkten vgl. Projektgruppe Kernenergiestandorte, Standortwahl, S. 23-28, und Katalog der nicht-nuklearspezifischen Kriterien zur Standortvorauswahl einer Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstoffe des Landes Hessen, Ziff. 3. und 6., in: WAA, Kriterien zur Standortvorauswahl, Sonderdruck aus dem Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 23. März 1981, Eine Information des Hessischen Ministers für Landesentwicklung, Umwelt, Landwirtschaft und Forsten, Wiesbaden, S. 8-14. 55 Die Zusammenstellung dieser Kriterien basiert auf dem Katalog der nichtnuklearspezifischen Kriterien zur Standortvorauswahl einer Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstoffe des Landes Hessen, Ziff. 3. II. und 6. II., in: WAA, Kriterien zur Standortvorauswahl, Sonderdruck aus dem Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 23. März 1981, Eine Information des Hessischen Ministers für Landesentwicklung, Umwelt, Landwirtschaft und Forsten, Wiesbaden, S. 8 und 15-18, sowie auf dem Kriterienkatalog der Projektgruppe Kernenergiestandorte, Standortwahl, S. 28 f. Nicht vollständig ist der Katalog bei Rauschning, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 84. Auch Degenhart, Kernenergierecht, S. 46-50, greift nur einige der nicht-nuklearspezifischen Standortkriterien heraus.

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

175

Häufig wird die Prüfung der vorstehenden Kriterien als Umweltverträglichkeitsprüfung bezeichnet56. Dies birgt jedoch die Gefahr, die Umweltverträglichkeit zu eng zu verstehen; denn die Umweltverträglichkeit ist nicht auf nichtnukleare Aspekte beschränkt; vielmehr ist sie auch und gerade in nuklearspezifischer Hinsicht von Bedeutung. Das gesamte atomrechtliche Genehmigungsverfahren ist — nach Ziel und Ausgestaltung als präventives Kontroll- und Überwachungsinstrument — nämlich ein projektbezogenes Verfahren zur Prüfung der Umwelt Verträglichkeit bestimmter kern technischer Anlagen57. Während einige Stimmen in der Literatur die nuklearspezifische Umweltverträglichkeit nun ausschließlich dem § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG zuordnen58, spielt die nuklearspezifische Umweltverträglichkeit nach der hier vertretenen Auffassung darüber hinaus auch im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG eine Rolle. (2) Standortkriterien

bezüglich nuklear spezifischer

Wechselwirkungen

Standortkriterien bezüglich nuklearspezifischer Wechselwirkungen, die im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG zu berücksichtigen sind, lassen sich aus dem Katalog der nuklearspezifischen Kriterien zur Standortvorauswahl für Wiederaufarbeitungsanlagen des Bundesministers des Innern ableiten; denn dieser Katalog bezweckt, die Vorauswahl von Standorten für Wiederaufarbeitungsanlagen in einer Weise zu unterstützen, daß diese „den Genehmigungsanforderungen des § 7 AtG voraussichtlich entsprechen"59. Nach dem Selbstverständnis dieses Katalogs sollen dessen Kriterien also mit den standortrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG übereinstimmen. Zu den standortrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen zählen § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG sowie die Nrn. 3 und 5 60 . Standortkriterien bezüglich nuklearspezifischer Wechselwirkungen stehen mit der nuklearen Sicherheit, dem Strahlen- und dem Notfallschutz in engstem Zusammenhang. Erstere können letztere positiv wie negativ beeinflussen 61. Wichtige Standortkriterien bezüglich nuklearspezifischer Wechselwirkungen sind62: 56

Vgl. Degenhart, Kernenergierecht, S. 46-50. So wörtlich Obenhaus, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 76. 58 Vgl. Rauschning, Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 83. 59 Kriterien zur Standortvorauswahl für Wiederaufarbeitungsanlagen ( = Anhang III, Ziff. 3.28), Ziff. 2.1. 60 Vgl. oben c)aa). 61 Vgl. Kriterien zur Standortvorauswahl für Wiederaufarbeitungsanlagen ( = Anhang III, Ziff. 3.28), Ziff. 2.3. 62 Die Zusammenstellung dieser Kriterien basiert auf den Kriterien zur Standortvorauswahl für Wiederaufarbeitungsanlagen ( = Anhang III, Ziff. 3.28), Ziff. 3.2.1., 3.3. und 7. sowie auf dem Kriterienkatalog der Projektgruppe Kernenergiestandorte, Standortwahl, S. 29 - 31. Degenhart, Kernenergierecht, S. 50 - 57, greift nur einige der nuklearspezifischen Standortkriterien heraus. 57

176

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

— Meteorologie: ζ. B. Wind, Niederschläge, austauscharme Wetterlagen; — Hydrologie: z.B. Trinkwasserschutzgebiete, Strahlenexposition über den Belastungspfad Wasser; — Bevölkerungsverteilung: ζ. B. in Kreisringen mit wachsendem Radius (Nah-, Mittel-, Fernzone), in Ringsektoren häufiger Windrichtung; — Baugrundbeschaffenheit: ζ. B. statische Bodenstabilität, Lage zu Bergwerksanlagen mit Bodensenkungsgefahr; — Lage zu Erdbebenzonen; — Hochwasser (an der Küste, an Binnengewässern, aus Niederschlägen); — Lage zu potentiellen Explosionsorten (Druckwellen); — Lage zu Flughäfen und -strecken; — Verkehrswege (Schiene, Straße); — Lage zu Anlagen der militärischen und zivilen Verteidigung; — Radioaktive Anreicherungsketten (Belastungspfade): z.B. Lage zu Landund Fischereiwirtschaft sowie Nahrungsmittel und Pharmaindustrie; — Katastrophenschutz: z.B. Evakuierungsmöglichkeiten, medizinische Versorgungskapazitäten; — Radioaktive Vorbelastung des Standorts; — Synergetische Wirkungen zwischen am Standort bereits vorhandenen chemischen Schadstoffen und radioaktiven Emissionen der geplanten Anlage63. (3) Teilweise Kongruenz des nuklearspezifischen nicht-nuklearen Kriterienkatalogs

und

Daß manche Aspekte (ζ. B. Meteorologie, Hydrologie) sowohl im nuklearspezifischen als auch im nicht-nuklearen Kriterienkatalog aufgeführt sind, ist kein Versehen oder Schlüssigkeitsirrtum. Vielmehr sind manche Wechselwirkungen zwischen orts- und anlagenbedingten Faktoren sowohl nuklearspezifischer als auch nicht-nuklearer Natur und müssen daher in beiderlei Hinsicht berücksichtigt werden64. bb) Beispiele für die Praktikabilität des Lösungsvorschlags Bei allen vorstehend aufgeführten Standortkriterien läßt sich der hier vertretene Lösungsvorschlag anwenden; denn bei allen Kriterien läßt sich prüfen, ob ortsbedingte Faktoren der Standortwahl entgegenstehen und, wenn ja, ob ein Ausgleich dieser entgegenstehenden Faktoren durch eine Auslegung der Anlage gem. § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG von vornherein ausgeschlossen ist. 63

Zur synergetischen Wirkung chemischer und radioaktiver Schadstoffe vgl. Degenhart, Kernenergierecht, S. 56. 64 So auch Katalog der nicht-nuklearspezifischen Kriterien zur Standortvorauswahl einer Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstoffe des Landes Hessen, Ziff. 3., in: WAA, Kriterien zur Standortvorauswahl, Sonderdruck aus dem Staatsanzeiger für das Land Hessen v. 23. März 1981, Eine Information des Hessischen Ministers für Landesentwicklung, Umwelt, Landwirtschaft und Forsten, Wiesbaden, S. 8.

C. Struktur des § 7 Abs. 2 AtG

177

Sind entgegenstehende ortsbedingte Faktoren keinesfalls kompensierbar, so scheitert der beabsichtigte Standort bereits an § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG. Ist eine Kompensation hingegen zunächst denkbar, lassen sich aber die erforderliche Vorsorge und der erforderliche Schutz dann noch nicht treffen bzw. gewährleisten, so scheitert der geplante Standort an § 7 Abs. 2 Nrn. 3 oder 5 AtG. Beispielsweise filtert § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG Standorte aus, die unmittelbar über Bergwerken oder unterhalb des höchsten Hochwasserspiegels liegen, da diese ortsbedingten Faktoren durch Auslegung der Anlage keinesfalls kompensierbar sind. Dies gilt ebenso für Standorte in Zonen mit bekannt hoher seismischer Aktivität 65 . Die Kompensation geringerer seismischer Aktivität durch eine entsprechende Auslegung der Anlage ist indessen denkbar. Sie bestimmt sich nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG 6 6 . IV. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG als Grundnorm kerntechnischer Sicherheit

In der Literatur finden sich — wenn überhaupt — nur vage Aussagen über mögliche Konkurrenzen zwischen den Nrn. 3, 5 und 6 des § 7 Abs. 2 AtG. Ronellenfitsch 67 sieht in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG eine „allgemeine Leitlinie". Die erforderliche Vorsorge i. S. dieser Bestimmung und der nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG erforderliche Schutz seien von der Standortwahl (§ 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG) ebenso abhängig wie von den personenbezogenen Voraussetzungen der Nrn. 1 und 2 des § 7 Abs. 2 AtG. Zwischen allen Voraussetzungen bestehe eine Wechselwirkung. Nach der Auffassung von Backhaus 68 ist § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG die Grundnorm der Sicherheit atomarer Anlagen. Diese Bestimmung betreffe die Vorsorge gegen alle Schäden, die durch die geplante Anlage entstehen können, sofern diese nicht in den Genehmigungsvoraussetzungen der Nrn. 1, 2, 5 und 6 des § 7 Abs. 2 AtG spezieller behandelt würden. Das Konkurrenzverhältnis zwischen den Nrn. 5,6 einerseits und der Nr. 3 des § 7 Abs. 2 AtG andererseits bedarf indessen einer differenzierten Betrachtungsweise. Es ist von zwei gegenläufigen Konkurrenzen geprägt. Im Hinblick darauf, was in die materielle Prüfung eingestellt werden muß, sind die Nrn. 5 und 6 gegenüber der Nr. 3 die spezielleren Tatbestände. Die Nrn. 5 und 6 betreffen Einwirkungen Dritter bzw. Standortkriterien, während die Nr. 3 alle übrigen Schadensmöglichkeiten erfaßt, die durch Errichtung und Betrieb der Anlage auftreten können. Die Nr. 3 erfüllt insoweit die Funktion eines Auffangtatbestands. 65

Vgl. Projektgruppe Kernenergiestandorte, Standortwahl, S. 30. Degenhart, Kernenergierecht, S. 55, scheint das Verhältnis zwischen Nrn. 6 und 3 des § 7 Abs. 2 A t G ähnlich zu sehen. Nach seiner Auffassung ist der Schutz gegenüber Erdbebeneinwirkungen „im übrigen" eine Frage der sicherheitstechnischen Auslegung. 67 Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 190. 68 Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 2. 66

12 Luckow

178

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Im Hinblick auf den materiellen Abwägungsvorgang selbst ist dagegen die Nr. 3 gegenüber den Nrn. 5 und 6 der speziellere Tatbestand. Nach der Nr. 3 ist „die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge" zu treffen, während nach Nr. 5 — etwas unpräziser — „der erforderliche Schutz" zu gewährleisten ist und nach Nr. 6 — lediglich — „überwiegende öffentliche Interessen" nicht entgegenstehen dürfen. Die Sicherheitsabwägung nach Nr. 3 ist die differenzierteste, die nach Nr. 6 die am wenigsten differenzierte 69. Die Nr. 5 liegt zwischen beiden. Die relativ differenzierteste Sicherheitsabwägung der Nr. 3 muß auch bei den Abwägungen nach Nrn. 5 und 6 vorgenommen werden, wenn der Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG erfüllt werden soll. Da die Nrn. 3, 5 und 6 allesamt und in gleicher Weise sicherheitsrelevante Belange der Anlage betreffen 70, können bei ihnen keine graduell unterschiedlichen Sicherheitsabwägungen stattfinden. Vielmehr muß die relativ differenzierteste Abwägung der Nr. 3 bei allen Sicherheitsabwägungen in § 7 Abs. 2 AtG zur Anwendung kommen. Diese hier vertretene These findet einen Rückhalt in der gegenwärtigen Genehmigungspraxis; denn die Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen 71 stellt ausdrücklich fest, daß auch die Erforderlichkeit des Schutzes nach Nr. 5 des § 7 Abs. 2 AtG 7 2 nach dem „Stand von Wissenschaft und Technik" bestimmt wird; dies, obgleich § 7 Abs. 2 AtG den Stand von Wissenschaft und Technik lediglich in der Sicherheitsabwägung der Nr. 3 erwähnt 73. Die erste Aussage des hier getroffenen Befundes, daß nämlich im Hinblick darauf, was in die materielle Prüfung eingestellt werden muß, die Nrn. 5 und 6 gegenüber der Nr. 3 die spezielleren Tatbestände sind, rechtfertigt, daß in der vorstehenden Untersuchung die Nrn. 5 und 6 des § 7 Abs. 2 AtG eingehend analysiert worden sind. Aus ihnen lassen sich wesentliche Anhaltspunkte dafür gewinnen, welche Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umgebung (Standort, Einwirkungen) zu berücksichtigen und in die Sicherheitsabwägung einzustellen sind. Der Abwägungsvorgang selbst — und dies ist die zweite Aussage des hier getroffenen Befundes — vollzieht sich hingegen nach dem Standard der Nr. 3 des § 7 Abs. 2 AtG („die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge").

69

Vgl. Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 286. s. oben Vierter Teil C. I. 71 Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen aus chemischen Reaktionen durch Auslegung der Kernkraftwerke hinsichtlich ihrer Festigkeit und induzierten Schwingungen sowie durch Sicherheitsabstände ( = Anhang I I I , Ziff. 3.6). 72 Nr. 5 ist identisch mit § 7 Abs. 2 Nr. 4 A t G a.F. 73 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 29. Nach seiner Auffassung richtet sich die Erforderlichkeit der Schutzvorkehrungen i.S. der Nr. 5 nach dem Ausmaß der möglichen Schadensfolgen und dem Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts. Somit scheint auch Winters von einer Identität der Abwägungsvorgänge in Nrn. 3 und 5 auszugehen. 70

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

179

Der hier getroffene Befund, daß — erstens — die Nr. 3 des § 7 Abs. 2 AtG alle von den Nrn. 5 und 6 nicht geregelten Schadensmöglichkeiten erfaßt (Auffangtatbestand) und daß — zweitens — die Sicherheitsabwägung der Nr. 3 bei allen Sicherheitsabwägungen in § 7 Abs. 2 AtG zur Anwendung kommt, steht in Einklang mit der oben beschriebenen Auffassung von Ronellenfitsch, daß die Nr. 3 eine „allgemeine Leitlinie" sei und mit allen übrigen Nummern des § 7 Abs. 2 AtG eine Wechselwirkung bestehe, sowie insbesondere mit der oben geschilderten Ansicht von Backhaus, daß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG die Grundnorm der Sicherheit atomarer Anlagen sei. Wegen der zentralen Bedeutung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG konzentriert sich der folgende Teil der Untersuchung im wesentlichen auf diese Bestimmung.

D . Sicherheitsrelevante Anforderungen auf untergesetzlichen Ebenen I. Überblick

Die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG („die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden") und die Ausgestaltung des § 7 Abs. 2 AtG als Ermessensvorschrift („darf nur erteilt werden") lassen den genauen Verlauf der Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko auf der Gesetzesebene ungeregelt. Damit hat der Gesetzgeber die Bestimmung dieser Grenze auf die Exekutive abgewälzt, so daß diese das Maß des zumutbaren verbleibenden Risikos wegen der unpräzisen einfachgesetzlichen Vorgaben selbst festlegen muß. Die Exekutive bedient sich bei der Bestimmung des zumutbaren Risikos derzeit eines vielgestaltigen Instrumentariums. Dieses läßt sich unterteilen nach Rechtsverordnungen, verwaltungsinternen Regelungen und technischen Regelwerken 74. II. Rechtsverordnungen 1. Verordnungsermächtigungen im Atomgesetz mit Relevanz für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen

Das Atomgesetz enthält zahlreiche Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen, von denen die Exekutive bisher nur einige genutzt hat. Die bisher erlassenen Rechtsverordnungen stützen sich — nach ihrer jeweiligen Eingangsformel — auf folgende Ermächtigungen: 74 Vgl. Stellungnahme des Bundesministers des Innern, RS I 2, Umwelt Nr. 75 v. 21. 3. 1980, S. 21 ff. = ET 1980, 361 ff. Ähnlich unterteilen auch Rittstieg, Konkretisierung, S. 76-91 und Marburger, Schadensvorsorge, S. 129-143. 12*

180

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

— die Atomrechtliche Verfahrensverordnung 75 auf § 7 Abs. 4 Satz 3 und Abs. 5, § 7a Abs. 2 AtG; — die Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung 76 auf § 13 Abs. 3 AtG; — die Kostenverordnung 77 auf § 21 Abs. 3 AtG; — die Strahlenschutzverordnung 78 auf §§ 10 bis 12 AtG; — die Röntgenverordnung 79 auf §§11 und 12 AtG und — die Endlagervorausleistungsverordnung 80 auf § 21 b Abs. 3 AtG. Für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen ist von den eben genannten Ermächtigungen nur § 12 Abs. 1 AtG bedeutsam. In dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die Exekutive u.a. dazu ermächtigt, die (unbestimmten) sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG für kerntechnische Anlagen durch Recht s ver Ordnungen zu konkretisieren. Ermächtigungsadressat ist die Bundesregierung mit Delegationsmöglichkeit auf den für die kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesminister (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 AtG). Die Ermächtigungen in § 12 Abs. 1 AtG wurden bisher nur durch die Strahlenschutzverordnung genutzt81. Für weitere sicherheitsrelevante Rechtsverordnungen wurde § 12 Abs. 1 AtG bisher nicht herangezogen. Von der Strahlenschutzverordnung abgesehen, hat die Exekutive somit bisher weder die „erforderliche Vorsorge gegen Schäden" i. S. des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG noch den „erforderlichen Schutz gegen Einwirkungen Dritter" i.S. des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG durch Rechtsverordnungen konkretisiert, obgleich § 12 Abs. 1 Nr. 1 AtG („Vorsorgemaßnahmen zum Schutz einzelner und der Allgemeinheit... bei... Anlagen im Sinne des § 7 AtG") bzw. Nr. 10 („Schutz... von Anlagen im Sinne des § 7 AtG gegen . . . Einwirkungen Dritter") hierzu ausdrücklich ermächtigen82. 2. Strahlenschutzverordnung

Die bisher einzige Rechtsverordnung mit Relevanz für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen, die Strahlenschutzverordnung, wirft zwei wichtige Fragen auf. Zum einen, wie die scheinbar systemlose Verzahnung zwischen Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung strukturiert werden kann; zum anderen, ob die 75

Anhang II, Ziff. 1. Anhang II, Ziff. 2. 77 Anhang II, Ziff. 3. 78 Anhang II, Ziff. 4. 79 Anhang II, Ziff. 5. 80 Anhang II, Ziff. 6. 81 So auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 129. 82 Vgl. Seilner, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 373 und Marburger, Schadensvorsorge, S. 132. s. auch Rittstieg, Konkretisierung, S. 79, der jedoch die verschiedenen Verordnungsermächtigungen des § 12 A t G nicht herausarbeitet. 76

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

181

Strahlenschutzverordnung den an sie gerichteten Anspruch, die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG zu konkretisieren, hinreichend erfüllt. a) Abgrenzung: Atomgesetz — Strahlenschutzverordnung

Der Schlüssel zur Abgrenzung zwischen Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung liegt in der Klärung und wechselseitigen Zuordnung der Dualismen Kritikalität und Strahlung sowie Kernbrennstoff und sonstiger radioaktiver Stoff. aa) Dualismus: Kritikalität — Strahlung Die friedliche Nutzung der Kernenergie birgt im wesentlichen zwei Risiken: einerseits die Kritikalität, d.h. die sich selbst tragende Kettenreaktion, und andererseits die Strahlung. Verfassungs-, Gesetz- und Verordnungsgeber haben dementsprechend differenziert. Art. 74 Nr. I I a GG unterscheidet zwischen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie, und solchen, die durch ionisierende Strahlen entstehen. § 1 Nr. 2 AtG differenziert zwischen den Gefahren der Kernenergie und denen der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen, § 10 AtG zwischen Schäden infolge einer sich selbst tragenden Kettenraktion und Schäden infolge der Wirkung ionisierender Strahlen. Auch die Einteilung der radioaktiven Stoffe in § 2 Abs. 1 AtG in Kernbrennstoffe (Nr. 1) und sonstige radioaktive Stoffe (Nr. 2) basiert auf den beiden unterschiedlichen Gefahren; bei den Kernbrennstoffen geht es um Kritikalität und Strahlung, bei den sonstigen radioaktiven Stoffen hingegen nur um Strahlung83. Die Strahlenschutzverordnung enthält in ihrem Dritten Teil (§§ 28 - 80) schwerpunktmäßig Vorschriften zum Schutz vor Gefahren ionisierender Strahlen. Diese Bestimmungen des Dritten Teils erfassen den Umgang sowohl mit Kernbrenn- als auch mit sonstigen radioaktiven Stoffen; denn „radioaktive Stoffe" i.S. des §28 Abs. 1 i.V. mit §1 Abs. 1 StrlSchV umfassen beide Stoffarten (§ 2 Abs. 1 AtG). Für den Dritten Teil der Strahlenschutzverordnung finden sich die entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungen im wesentlichen in § 12 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AtG. § 47 StrlSchV hat seine Ermächtigung darüber hinaus in § 12 Abs. 1 Nr. 8 AtG. Neben den Strahlenschutzvorschriften enthält die Strahlenschutzverordnung aber auch Bestimmungen zum Schutz vor Kritikalität (vgl. § 74 Abs. 2 StrlSchV). Für diese Vorschriften ist § 12 Abs. 1 Nr. 1 AtG die gesetzliche Ermächtigung.

83

Vgl. oben Dritter Teil Β. VII.

182

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

bb) Dualismus: Kernbrennstoff — sonstiger radioaktiver Stoff In ihrem Zweiten Teil enthält die Strahlenschutzverordnung Genehmigungsvorschriften für sonstige radioaktive Stoffe (§§ 3, 6, 8,10,11,14 StrlSchV) und gemeinsame Genehmigungsbefreiungen für Kernbrenn- und sonstige radioaktive Stoffe (§§ 4, 9, 12, 13 StrlSchV). Für diese Genehmigungsvorschriften und -befreiungen enthalten §§10 und 11 AtG die entsprechenden Ermächtigungen. Das Atomgesetz hingegen regelt schwerpunktmäßig die Genehmigung des Umgangs mit Kernbrennstoffen (§§3-7,9,10 AtG), wobei der Schutz vor deren Strahlungsgefahren mit der Ermächtigung in § 12 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AtG aus dem Atomgesetz ausgegliedert und die Konkretisierung dieses Schutzes der Strahlenschutzverordnung überantwortet wurde. Daneben enthält das Atomgesetz aber auch Vorschriften für radioaktive Stoffe (§§ 9a, 19 AtG), d.h. sowohl für Kernbrenn- als auch für sonstige radioaktive Stoffe (§ 2 Abs. 1 AtG). cc) Normenverzahnung zwischen Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung Die scheinbar systemlose Verzahnung zwischen Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung hat mehrfach Kritik gefunden 84. Insbesondere wird gerügt, daß die Genehmigungsvorschriften für radioaktive Stoffe auf unterschiedlichen Normebenen geregelt sind (für Kernbrennstoffe im Atomgesetz, für sonstige radioaktive Stoffe in der Strahlenschutzverordnung) und daß darüber hinaus die Genehmigungsvorschriften für Kernbrennstoffe im Atomgesetz nicht abschließend sind, sondern die Strahlenschutzverordnung — wie bereits dargelegt — gemeinsame Genehmigungsbefreiungen für Kernbrenn- und sonstige radioaktive Stoffe enthält; dadurch werden die im Atomgesetz selbst geregelten Genehmigungstatbestände durch eine Rechtsverordnung modifiziert. Hierzu hat der Atomgesetzgeber in § 10 AtG zwar selbst ermächtigt; das ändert aber nichts an der berechtigten Kritik der verwirrenden Normenverzahnung und auch nichts an dem politischen Sprengsatz, den die Exekutive mit der vollen Ausnutzung der Ermächtigung des § 10 AtG zünden kann 85 , und zwar auch dann, wenn sie diese Bestimmung im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungskonform auslegt und anwendet.

84

Mennicken, Strahlenschutzverordnung, S. 27; Mahlmann, Fortentwicklung, S. 63 f.; Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 13. 85 Zur Absicht der Bundesregierung, für Forschungs- und Demonstrationsobjekte sowie forschungs- und entwicklungsorientierte Betriebsstätten oder Teilbetriebe eine Rechtsverordnung auf der Grundlage des § 10 A t G zu erlassen, vgl. Bericht der Bundesregierung über Möglichkeiten zur Beschleunigung der atomrechtlichen Genehmigungsverfahren für Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufes, in: Umwelt Nr. 95 v. 10. 5. 1983, S. 31 (34).

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

183

dd) Schlußfolgerungen Als Systematisierungshilfe bei der Abgrenzung zwischen Atomgesetz und Strahlenschutzverordnung bleibt festzuhalten: — Der Atomgesetzgeber hat die Genehmigung des Umgangs mit Kernbrennstoffen wenigstens in den Grundzügen im Atomgesetz selbst geregelt, während er den Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen im Atomgesetz — §§ 9 a und 19 AtG abgesehen — ungeregelt gelassen und sich insoweit auf Verordnungsermächtigungen für die Exekutive beschränkt hat. — Der sachliche Geltungsbereich der Strahlenschutzverordnung ist nicht auf die sonstigen radioaktiven Stoffe beschränkt. — Die materiellen Strahlenschutzvorschriften, die für die Genehmigungstatbestände sowohl im Atomgesetz als auch in der Strahlenschutzverordnung gelten, sind ausschließlich in der Strahlenschutzverordnung zu finden. b) Hinreichende Konkretisierung

durch Strahlenschutzverordnung?

Die Beantwortung der Frage, ob die Strahlenschutzverordnung die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG hinsichtlich des Strahlenschutzes hinreichend konkretisiert, hängt davon ab, welche Anforderungen sie an die Strahlensicherheit kerntechnischer Anlagen stellt. Die Strahlenschutzverordnung enthält zwei Grundaussagen zur Strahlensicherheit. Zum einen legt sie Dosisgrenzwerte, zum anderen Strahlenschutzgrundsätze fest. Grenzwerte und Grundsätze haben einerseits verschiedene Betriebszustände, andererseits verschiedene örtliche Bereiche zu berücksichtigen. aa) Begriffsbestimmungen Die Betriebszustände werden eingeteilt in bestimmungsgemäßen Betrieb, Störfall und Unfall. Die beiden letzteren sind in Anlage I zu § 2 StrlSchV definiert. Ein Störfall ist danach ein „Ereignisablauf, bei dessen Eintreten der Betrieb der Anlage . . . aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann und für den die Anlage ausgelegt ist ...". Ein Unfall ist ein „Ereignisablauf, der für eine oder mehrere Personen eine die Grenzwerte übersteigende Strahlenexposition oder Inkorporation radioaktiver Stoffe zur Folge haben kann, soweit er nicht zu den Störfällen zählt". Der Begriff des bestimmungsgemäßen Betriebs läßt sich — negativ — aus dem Störfallbegriff ableiten. Zum bestimmungsgemäßen Betrieb zählen der Normalbetrieb, für den die Anlage konzipiert ist, der anomale Betrieb, dessen Fortführung sich aus sicherheitstechnischen Gründen nicht verbietet, und die Instandhaltung (Inspektion, Wartung, Reparatur) 86. 86

So auch Marburger,

Schadensvorsorge, S. 77.

184

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Die örtlichen Bereiche werden eingeteilt in einen Strahlenschutzbereich und Bereiche, die nicht Strahlenschutzbereich sind87. Der Strahlenschutzbereich wird gestaffelt in Sperrbereich, Kontrollbereich, betrieblichen und außerbetrieblichen Überwachungsbereich88. bb) Dosisgrenzwerte ( 1 ) Beim bestimmungsgemäßen Betrieb

Für den bestimmungsgemäßen Betrieb der kerntechnischen Anlage setzt § 45 S. 1 i.V. mit Anlage X Spalte 2 StrlSchV für Bereiche, die nicht Strahlenschutzbereiche sind, folgende Dosisgrenzwerte pro Jahr fest: — Ganzkörper, Knochenmark, Gonaden, Uterus: — Hände, Unterarme, Füße, Unterschenkel, Knöchel einschließlich der dazugehörigen Haut: — Haut, falls nur diese der Strahlenexposition unterliegt, ausgenommen die Haut der Hände, Unterarme, Füße, Unterschenkel und Knöchel: — Knochen: — Schilddrüse (3 /1000): — andere Organe:

30 mrem 89; 360 mrem; 180 mrem; 180 mrem; 90 mrem; 90 mrem.

Diese Höchstwerte, die nicht überschritten werden dürfen, markieren die Grenze dessen, was der Verordnungsgeber dem einzelnen jenseits der Überwachungsbereiche kerntechnischer Anlagen an Strahlungsbelastung aus dem bestimmungsgemäßen Betrieb — unter Einbeziehung bestehender Vorbelastungen — zumutet90. Wohl im Hinblick auf die Ganzkörperdosis von 30 mrem spricht man im Zusammenhang mit den Dosisgrenzwerten des § 45 S. 1 StrlSchV vom „30-millirem-Konzept" 91. Innerhalb der Strahlenschutzbereiche liegen die Grenzwerte höher. Für außerbetriebliche bzw. betriebliche Überwachungsbereiche setzen §§ 44 bzw. 51 StrlSchV Dosisgrenzwerte fest. Daneben enthalten §§49, 52-54 StrlSchV wichtige Dosisgrenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen beim bestimmungsgemäßen Betrieb kerntechnischer Anlagen.

87

Vgl. die amtliche Überschrift des § 45 StrlSchV. Vgl. die Begriffsbestimmungen in Anlage I zu § 2 StrlSchV sowie §§ 57, 58, 60 AtG. 89 Dieser Grenzwert errechnet sich folgendermaßen: 3x5 3 / 500 von 5 Rem = ^ ^ rem = 0,03 rem = 30 mrem. Auch für die übrigen Grenzwerte 88

der Anlage X Spalte 2 StrlSchV sind 3 / 500 in Ansatz zu bringen. Einzige Ausnahme bildet der Grenzwert für die Schilddrüse; hier sind 3/1000 anzusetzen. 90 So auch BVerwG NJW 1981, 1393 (1393). 91 Vgl. BVerwG NJW 1981, 1393 (1394); Rittstieg, Konkretisierung, S. 79.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

185

(2) Im Störfall

Für einen Störfall in oder an einem Kernkraftwerk legt § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV für dessen Umgebung als Dosisgrenzwerte die Werte der Anlage X Spalte 2 StrlSchV fest. Anders als beim bestimmungsgemäßen Betrieb gelten die in Anlage X Spalte 2 StrlSchV angegebenen Werte beim Störfall ohne Abstriche; nur der Wert für die Schilddrüse halbiert sich auf 15 rem (§ 28 Abs. 3 Satz 2 StrlSchV). Die Dosisgrenzwerte des § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV werden auch als „Störfallplanungsdosis" 92 oder „5-rem-Störfallkonzept" 93 umschrieben. Auffällig ist, daß § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV sich auf Kernkraftwerke beschränkt, während § 45 Satz 1 StrlSchV für alle Anlagen des § 7 AtG und darüber hinaus auch noch für andere Anlagen und Tätigkeiten gilt; dies ergibt sich aus der Verweisung des § 45 Satz 1 auf § 29 Abs. 1 StrlSchV. Während somit hinsichtlich des bestimmungsgemäßen Betriebs für alle Anlagen des § 7 AtG einheitliche Dosisgrenzwerte festgelegt sind, enthält die Strahlenschutzverordnung hinsichtlich des Störfalls nur Dosisgrenzwerte für die Umgebung von Kernkraftwerken, nicht aber für die Umgebung anderer kerntechnischer Anlagen (ζ. B. Brennelementfabriken, Wiederaufarbeitungsanlagen). Vielmehr delegiert § 28 Abs. 3 Satz 5 StrlSchV die Festsetzung der Dosisgrenzwerte für andere kerntechnische Anlagen auf die Genehmigungsbehörde; denn nach dieser Bestimmung kann die Genehmigungsbehörde für andere Anlagen nach § 7 AtG unter Berücksichtigung des Einzelfalls „auch andere Werte" als die in § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV festlegen 94. Vom Wortlaut des § 28 Abs. 3 Satz 5 StrlSchV („andere") kann die Genehmigungsbehörde die Grenzwerte des § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV über- oder unterschreiten. Sie ist in ihrer Entscheidung aber nicht frei, da § 28 Abs. 3 Satz 5 StrlSchV als Maßstab das „Gefährdungspotential der Anlage" und die „Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Störfalls" vorgibt. Dieses Begriffspaar ist identisch mit den Begriffen „Schadensausmaß" und „Eintrittswahrscheinlichkeit" aus der Risikodefinition. Das Produkt aus Gefährdungspotential und Wahrscheinlichkeit stellt somit das Risiko der Anlage dar. Ist das Risiko bei der anderen kerntechnischen Anlage größer als bei einem Kernkraftwerk, müssen die Grenzwerte für die andere Anlage diejenigen für das Kernkraftwerk i. S. des § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV unterschreiten; ist es kleiner, können die Grenzwerte für die andere Anlage diejenigen für das Kernkraftwerk überschreiten.

92

Vgl. Degenhart, Kernenergierecht, S. 18 f. und Marburger, Schadensvorsorge, S. 130. 93 Rittstieg, Konkretisierung, S. 79 m.w.N. Diese Bezeichnung stellt wohl ab auf die Ganzkörperdosis von 5 rem in Anlage X Spalte 2 StrlSchV. 94 Das gleiche gilt auch für Kernkraftwerke mit Demonstrations- und Prototypcharakter (§ 28 Abs. 3 Satz 5 StrlSchV). Dieser Dispens von den Dosisgrenzwerten des § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV ist ζ. B. für den Schnellen Brutreaktor in Kalkar von Bedeutung, da er als Prototyp betrachtet wird (vgl. BVerfGE 49, 89 (130)).

186

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Bei dieser Rechtslage muß die Genehmigungsbehörde bei der Genehmigung anderer Anlagen u.a. auch einen Risikovergleich zwischen der jeweiligen anderen Anlage und einem Kernkraftwerk anstellen, um die Relation zu den Dosisgrenzwerten des § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV zu wahren. Dieser Vergleich kann Probleme aufwerfen. Beim Risikovergleich zwischen Wiederaufarbeitungsanlagen und Kernkraftwerken z.B. gehen die Meinungen diametral auseinander. Während einige Stimmen mehr als 90% des Gesamtrisikos des nuklearen Brennstoffkreislaufs dem Kernkraftwerk zurechnen95, sehen andere bei der Wiederaufarbeitungsanlage das größte Risiko 96 . Neben den Dosisgrenzwerten des § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV für die Umgebung von Kernkraftwerken im Störfall finden sich noch Dosisgrenzwerte in § 50 StrlSchV für beruflich strahlenexponierte Personen im Störfall. cc) Strahlenschutzgrundsätze (i)

Abgrenzung: Vermeidungspflicht

— Minimierungspflicht

§ 28 Abs. 1 StrlSchV verpflichtet dazu, — „jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütern oder der Umwelt zu vermeiden" (Nr. 1, Vermeidungspflicht) und — „jede Strahlenexposition oder Kontamination . . . auch unterhalb der in dieser Verordnung festgesetzten Grenzwerte so gering wie möglich zu halten" (Nr. 2, Minimierungspflicht). Vermeidungs- und Minimierungspflicht sind streng zu trennen97. Dies ergibt sich zum einen aus § 28 Abs. 1 StrlSchV selbst, der beide Pflichten gesondert aufführt, zum anderen aus § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV, der lediglich auf die Minimierungspflicht (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV) verweist. Bei der Vermeidungspflicht ist zu prüfen, ob Strahlenexposition und Kontamination nötig sind. Sie sind immer dann unnötig, wenn — sich das angestrebte Ziel auch ohne oder — mit geringerer Strahlenexposition oder Kontamination erreichen läßt 98 oder — das angestrebte Ziel die Strahlenexposition oder Kontamination nicht rechtfertigt. Dies ist dann der Fall, wenn sich im Rahmen einer RisikoNutzen-Bilanz herausstellt, daß das Risiko infolge der Strahlenexposition oder Kontamination größer ist als der Nutzen des angestrebten Zieles99. Der 95

Merz, ET 1982, 156. Strohm, Katastrophe, S. 624. 97 Vgl. im Gegensatz hierzu Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 66f., der zwischen beiden Pflichten nicht differenziert. 98 So auch Lukes IFeldmannIKnüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 180 und Marburger, Schadensvorsorge, S. 81 unten und S. 82 Mitte. Vgl. auch Kramer/Zerlett, Strahlenschutzverordnung, § 28 Anm. 5. 96

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

7

Nutzen wird damit zum maßgeblichen Kriterium dafür, ob eine Strahlenexposition oder Kontamination zugelassen werden darf 100 . Die hierbei anzustellende Abwägung stellt eine Prüfung der Angemessenheit, d.h. der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, dar 101 . Bei der Minimierungspflicht geht es hingegen allein um die zweite Komponente der Vermeidungspflicht, nämlich darum, jede Strahlenexposition oder Kontamination so gering wie möglich zu halten. Nur insoweit sind beide Pflichten kongruent 102; im übrigen ist die Vermeidungspflicht weiter, da sie — wie eben gezeigt — noch zwei andere Komponenten enthält103. Somit wird die grundsätzliche Zulässigkeit der Strahlenexposition oder Kontamination, die bei der Vermeidungspflicht im Rahmen der beschriebenen Risiko-Nutzen-Bilanz ermittelt wird, bei der Minimierungspflicht nicht in Frage gestellt104, sondern als gegeben unterstellt. Der Schlußfolgerung von Lukes / Feldmann / Knüppel 105, daß Vermeidungs-

und Minimierungspflicht in einem gestuften Prüfungsverhältnis stehen, kann nicht gefolgt werden. Nach ihrer Auffassung muß zunächst die grundsätzliche Zulässigkeit der Strahlenexposition nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV festgestellt und danach gem. § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV über das Ausmaß der Strahlenbelastung entschieden werden. Nach dieser Ansicht würde das „ob" im Rahmen der Nr. 1 und das „wie hoch" im Rahmen der Nr. 2 des § 28 Abs. 1 StrlSchV geprüft. Diese Auffassung ist indessen nicht schlüssig; denn sie steht im Widerspruch zum eigenen Ansatz. Auch nach Lukes / Feldmann / Knüppel ist eine Strahlenexposition oder Kontamination „unnötig" i. S. des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV, wenn sich das angestrebte Ziel mit geringerer Strahlenexposition oder Kontamination erreichen läßt 106 . Somit enthält die Vermeidungspflicht auch nach ihrem Verständnis eine Minimierungskomponente, so daß das Ausmaß der Strahlenbelastung („wie hoch") nach ihrem eigenen Ansatzpunkt schon im Rahmen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV und nicht erst — wie an anderer Stelle behauptet — im Rahmen der Nr. 2 zu prüfen ist. Im übrigen verlangen Lukes I Feldmann I Knüppel 101 bei der Prüfung der Notwendigkeit der Strahlenexposition oder Kontamination i. S. 99 Vgl. das Beispiel aus dem medizinischen Anwendungsbereich radioaktiver Strahlen bei Lukes ! Feldmann j Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 180. 100 So ausdrücklich Lukes IFeldmannIKnüppel, Gefahrenbeurteilung, S. 181. 101 Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 82, der für die Vermeidungspflicht (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV) ebenfalls die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips verlangt. 102 So auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 82. 103 Insofern ist die Feststellung von Marburger, Schadensvorsorge, S. 81 und 130, daß beide Pflichten sich „weitgehend" deckten, nicht ganz zutreffend. 104 So auch Lukes IFeldmann IKnüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 181. 105 Lukes IFeldmannIKnüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 181. 106 Lukes ! Feldmann I Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 180. 107 Lukes ! Feldmann ! Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 180 f.

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV — zu Recht — eine Risiko-Nutzen-Abwägung. Diese Abwägung kann aber nicht unabhängig von der Intensität, d.h. dem Ausmaß, von Strahlenexposition oder Kontamination vollzogen werden; denn eine hohe Strahlenbelastung oder Kontamination hat in der Risiko-NutzenBilanz einen anderen Stellenwert als eine geringere. Somit ist das Ausmaß der Strahlenexposition oder Kontamination („wie hoch") nach dem eigenen Ansatz von Lukes j Feldmann I Knüppel bereits im Rahmen der Vermeidungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV mehrfach zu berücksichtigen und zu prüfen, so daß ihre Schlußfolgerung, das „ob" sei im Rahmen der Nr. 1 und das „wie hoch" im Rahmen der Nr. 2 des § 28 Abs. 1 StrlSchV zu prüfen, nicht schlüssig ist. Vermeidungs- und Minimierungspflicht stehen also — wie eben gezeigt — in keinem gestuften Prüfungsverhältnis zueinander, sondern in einem aliudVerhältnis. Jede der beiden Pflichten bezieht sich — wie im folgenden zu zeigen ist — auf unterschiedliche Anlagen und Tätigkeiten. (2) Minimierungspflicht

Auf Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1 AtG erstreckt sich lediglich die Minimierungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV, nicht jedoch die Vermeidungspflicht. Für den bestimmungsgemäßen Betrieb ergibt sich dies aus §§ 45 S. 1 und 46 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV, die beide für Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1 AtG gelten108. Nach diesen Vorschriften sind die Strahlenexposition des Menschen (Immission) bzw. die abgeleitete Aktivität (Emission) „so gering wie möglich" zu halten. Mit dieser Wendung wird lediglich auf die Minimierungspflicht i. S. des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV Bezug genommen, der insoweit im Wortlaut identisch ist. Für den Störfall in oder an einem Kernkraftwerk ergibt sich die Minimierungspflicht durch die ausdrückliche Verweisung des § 28 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV auf seinen Absatz 1 Nr. 2. Für Störfälle in oder an anderen Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG (z.B. Brennelementfabriken, Wiederaufarbeitungsanlagen) ist die Beschränkung auf die Minimierungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV nicht ausdrücklich geregelt. Sie läßt sich aber im Wege einer systematischen Auslegung der Sätze 1 und 5 des Abs. 3 des § 28 StrlSchV ermitteln. Da Satz 5 für andere Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1 AtG nur bezüglich der Grenzwerte des Satzes 1 Ausnahmen zuläßt, kann man schließen, daß im Hinblick auf die Minimierungspflicht für andere Anlagen nach § 7 AtG keine Ausnahme gelten soll. Dieses Auslegungsergebnis wird zudem durch die folgende Argumentation erhärtet, die sich auf alle Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG bezieht. Ein weiteres Argument dafür, daß sich auf (alle) Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1 AtG lediglich die Minimierungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV erstreckt, ergibt sich aus der Verweisung des § 28 Abs. 1 StrlSchV auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 108

Bei § 45 S. 1 folgt dies aus der Verweisung auf § 23 Abs. 1 StrlSchV.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

StrlSchV. Durch diese Verweisung werden Errichtung und Betrieb einer Anlage i.S. des § 7 AtG vorausgesetzt. Damit entfallen für Anlagen i.S. des § 7 AtG diejenigen Strahlengrundsätze, die die Zulässigkeit dieser Anlagen in Frage stellen. Die grundsätzliche Zulässigkeit von Strahlenexposition oder Kontamination wird bei der Vermeidungspflicht, nicht aber bei der Minimierungspflicht in Frage gestellt109. Somit kann bei Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1 AtG nur die Minimierungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV greifen 110. Errichtung und Betrieb kerntechnischer Anlagen des nuklearen Brennstoffkreislaufs können also nicht unter Hinweis auf § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV mit der Begründung untersagt werden, die damit einhergehende Strahlenexposition und Kontamination seien unnötig, weil sich Energie auch auf konventionelle Weise erzeugen lasse111. Vielmehr ist im Rahmen der Minimierungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV bei Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG lediglich zu untersuchen, ob die einzelnen Errichtungs- oder Betriebsvorgänge, die eine Strahlenexposition oder Kontamination mit sich bringen, durch eine nicht oder weniger belastende Verfahrensweise substituiert werden können112. (3) Vermeidungspflich

t

Auch wenn die Vermeidungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV — wie eben gezeigt — sich nicht auf Anlagen i. S. des § 7 Abs. 1 AtG erstreckt, so bleibt für die Vermeidungspflicht innerhalb derStrahlenschutzverordnung gleichwohl ein großer Anwendungsbereich übrig; denn die Strahlenschutzverordnung gilt gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV ganz allgemein für den Umgang mit radioaktiven Stoffen. Während eine Tätigkeit nach den speziellen Tatbeständen des § 1 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 StrlSchV im Rahmen des § 28 Abs. 1 StrlSchV als grundsätzlich zulässig vorausgesetzt wird 113 , muß die Zulässigkeit einer Tätigkeit nach dem allgemeinen Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV im Einzelfall ermittelt werden, da dieser Auffangtatbestand nicht auf normativ fest umrissene 109

s. oben (1). A . A . Lukes ! Feldmann I Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 181 und Marburger, Schadensvorsorge, S. 82, die bei Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1 A t G auch § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV anwenden. 111 So auch — allerdings beschränkt auf Kernkraftwerke — Marburger, Schadensvorsorge, S. 82. Diese Aussage muß darüber hinaus aber auch für alle übrigen kerntechnischen Anlagen des nuklearen Brennstoffkreislaufs gelten, da sie der Ver- bzw. Entsorgung und damit dem Betrieb der Kernkraftwerke dienen. Festzustellen bleibt, daß die hier getroffene Aussage einer Bedürfnisprüfung, die sich auf andere Rechtsgrundlagen als § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV stützt, nicht entgegensteht. 112 Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 82, der trotz richtiger Ansätze und Differenzierungen nicht die Konsequenz zieht, auf Anlagen i.S. des §7 Abs. 1 A t G nur die Minimierungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV zu erstrecken. 113 s. oben (2), wo dies für Anlagen i.S. des § 7 Abs. 1 A t G untersucht worden ist. 110

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

Tätigkeiten oder Anlagen verweist 114. Die grundsätzliche Zulässigkeit von Strahlenexposition und Kontamination wird bei der Vermeidungspflicht, nicht aber bei der Minimierungspflicht in Frage gestellt115. Während somit für eine Tätigkeit nach den speziellen Tatbeständen des § 1 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 StrlSchV die Minimierungspflicht (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV) gilt, kommt für den Umgang mit radioaktiven Stoffen nach dem Auffangtatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV die weitergehende Vermeidungspflicht (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV) zur Anwendung. Die hier vertretene Differenzierung wird ζ. B. gestützt durch § 41 StrlSchV, der die Anwendung radioaktiver Stoffe in der medizinischen Forschung, also einen Umgang mit radioaktiven Stoffen i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV behandelt. In § 41 Abs. 1 Nrn. 1-5 und Abs. 3 StrlSchV werden Anforderungen gestellt, die mit den Inhalten der Vermeidungspflicht 116 übereinstimmen. In den Nrn. 1 und 2 des Absatzes 1 sowie in Abs. 3 des § 41 StrlSchV werden RisikoNutzen-Abwägungen verlangt, in den Nrn. 3-5 des Absatzes 1 kommt die Minimierungskomponente der Vermeidungspflicht zum Tragen. Somit läßt sich am Beispiel des § 41 StrlSchV nachweisen, daß der Verordnungsgeber für den Umgang mit radioaktiven Stoffen i.S. des §1 Abs.l Nr. 1 StrlSchV die Vermeidungspflicht des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV statuiert hat. dd) Konkretisierungsdefizite Die Strahlenschutzverordnung wird ihrer Aufgabe, die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 7 Abs. 2 Nrn. 3 und 5 AtG hinsichtlich des Strahlenschutzes zu konkretisieren, in mehrfacher Beziehung nicht gerecht. Zwar legt die Strahlenschutzverordnung — wie oben ausgeführt — hinsichtlich des bestimmungsgemäßen Betriebs für alle Anlagen des § 7 AtG Dosisgrenzwerte fest; hinsichtlich des Störfalls enthält sie jedoch nur Dosisgrenzwerte für die Umgebung von Kernkraftwerken, nicht aber für die Umgebung anderer kerntechnischer Anlagen (ζ. B. Brennelementfabriken, Wiederaufarbeitungsanlagen). Außerdem bedient sich die Strahlenschutzverordnung ihrerseits zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe (z.B. „unnötig" in § 28 Abs. 1 Nr. 1; „Stand von Wissenschaft und Technik" in § 28 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 3 sowie in § 41 Abs. 1 Nr. 4; „so gering wie möglich" in § 28 Abs. 1 Nr. 2, § 45 S. 1 und § 46 Abs. 1 Nr. 2; in § 41 Abs. 1: „zwingendes Bedürfnis", „notwendig", „vertretbar"). Darüber hinaus normiert die Strahlenschutzverordnung lediglich Schutzziele, nicht aber die Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen117. 114 A . A . Marburger, Schadensvorsorge, S. 82, nach dessen nicht differenzierender Auffassung im Rahmen des § 28 Abs. 1 StrlSchV alle Tätigkeiten nach § 1 Abs. 1 StrlSchV vorausgesetzt werden. 115 s. oben (1). 116 s. hierzu oben (1). 117 So auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 131.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

Wegen der vorstehend aufgeführten Regelungsdefizite ist die Strahlenschutzverordnung ihrerseits wiederum konkretisierungsbedürftig 118. Der Verordnungsgeber war sich dieser Konsequenz durchaus bewußt. Daher hat er die Festsetzung von Anforderungen bezüglich der Strahlensicherheit ausdrücklich weiterdelegiert auf Rechtsebenen unterhalb der Strahlenschutzverordnung (ζ. B. in § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV) oder auf die Entscheidung im Einzelfall (z.B. in § 28 Abs. 3 Satz 5 StrlSchV). § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV enthält eine Vermutungsklausel119. Danach kann die Genehmigungsbehörde die Einhaltung der Dosisgrenzwerte (§ 28 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StrlSchV) sowie der Minimierungspflicht (§ 28 Abs. 3 Satz 1 und 3 StrlSchV) insbesondere dann als getroffen ansehen, wenn der Antragsteller bei der Störfall-Auslegung der Anlage Sicherheitskriterien und Leitlinien für Kernkraftwerke des Bundesministers des Innern zugrunde gelegt hat 120 . Die Vermutungsklausel des § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV gilt nur für Kernkraftwerke, nicht aber für andere Anlagen i. S. des § 7 AtG. Dies ergibt sich aus der Stellung des Satzes 4 innerhalb des Absatzes 3 des § 28 StrlSchV sowie aus seinem — insoweit — eindeutigen Wortlaut. Für andere Anlagen i. S. des § 7 AtG (ζ. B. Wiederaufarbeitungsanlagen) muß die Genehmigungsbehörde die Dosisgrenzwerte (vgl. § 28 I I I 5 StrlSchV) und die aus der Minimierungspflicht (§ 281 Nr. 2 StrlSchV) abzuleitenden Anforderungen ohne eine Vermutungsklausel im Einzelfall selbständig festsetzen. I I I . Verwaltungsinterne Regelungen 1. Allgemeine Verwaltungsvorschriften

Zur Konkretisierung sicherheitsrelevanter Anforderungen kommen unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung allgemeine Verwaltungsvorschriften in Betracht. Da es sich bei der Genehmigung kerntechnischer Anlagen um Bundesauftragsverwaltung der Länder handelt (Art. 87c GG i.V. mit §24 Abs. 1 Satz 1 AtG), kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates für diese Genehmigungstätigkeit gem. Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Von dieser Möglichkeit hat sie bisher aber keinen Gebrauch gemacht121.

118

Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 130. So auch Hohlefeider, ET 1983, 392 (395). 120 Vgl. Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke ( = Anhang III, Ziff. 3.1) und StörfallLeitlinien ( = Anhang III, Ziff. 3.33). S. dazu im einzelnen unten Vierter Teil D. III. 2.f). 121 Vgl. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 99, 495; Rittstieg, Konkretisierung, S. 80. Vgl. auch Bundesminister des Innern, Handbuch, dessen Abschnitt 2 „Allgemeine Verwaltungsvorschriften" keinen Eintrag enthält. Hierauf verweist auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 133, Fußn. 472. 119

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge 2. Sonstige verwaltungsinterne Regelungen

Statt allgemeiner Verwaltungsvorschriften existiert unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung eine schwer zu überschauende Zahl verwaltungsinterner Regelungen, die die unterschiedlichsten Bezeichnungen tragen: Anforderungen, Daten, Empfehlungen, Grundlagen, Grundsätze, Interpretationen, Kriterien, Leitlinien, Leitsätze, Merkposten, Merkpostenaufstellung, Praxisbeschreibungen, Rahmenempfehlungen, Rahmenrichtlinien, Regelungsrichtlinie, Weisungsbeschlüsse, Zusammenstellung u. a. m. 122 . Die Bezeichnungen allein lassen keinen Ansatzpunkt für eine Strukturierung oder abgrenzende Systematisierung der verwaltungsinternen Regelungen erkennen; denn sie scheinen mehr oder weniger frei gewählt zu sein. a) Urheber der Regelungen

Die verwaltungsinternen Regelungen lassen sich aber nach ihren Urhebern klassifizieren. Urheber verwaltungsinterner Regelungen waren bisher: — Die Regierungschefs von Bund und Ländern 123. — Der Bundesminister des Innern 124 . — Der Länderausschuß für Atomenergie 125. In diesem Ausschuß sind die für den Vollzug des Atomgesetzes zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden der Länder sowie der Bundesminister des Innern vertreten. — Die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) 126 . Diese Kommission ist beim Bundesminister des Innern angebunden und besteht aus weisungsunabhängigen Mitgliedern 127. — Die Strahlenschutzkommission (SSK)128. Diese Kommission ist ebenfalls beim Bundesminister des Innern angebunden und besteht gleichfalls aus weisungsunabhängigen Mitgliedern 129. — Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mbH, Glockengasse 2, 5000 Köln l 1 3 0 . 122

Vgl. Anhang I I I , Ziff. 3 bis 5 und Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A.9.2, A.9.3, A.10. 123 Vgl. Anhang III, Ziff. 3.25. 124 Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.6, 3.28, 3.33, 3.49. 125 Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.1, 3.12, 3.13, 3.14, 3.25, 3.28, 3.37.1, 3.50, 3.51, 3.55. Vgl. auch die Auflistung in: Bundesregierung, Dokumentation, S. 313 f. 126 Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.33 und 4. 127 Vgl. § 1 Satz 1 und § 3 Abs. 1 Satz 2 der Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 40). 128 Vgl. z.B. Anhang I I I , Ziff. 3.33, 3.37 und 5. 129 Vgl. § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 3 Satz 2 der Bekanntmachung über die Bildung einer Strahlenschutzkommission ( = Anhang III, Ziff. 5.0).

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

— Das Institut für Reaktorsicherheit (1RS) der Technischen ÜberwachungsVereine e.V., Glockengasse 2, 5000 Köln l 1 3 1 . — Die TÜV-Leitstelle Kerntechnik bei der Vereinigung der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV) 132 . Die Leitstelle koordiniert die Tätigkeiten der Technischen Überwachungs-Vereine und des Instituts für Reaktorsicherheit bei Begutachtung und Prüfung kerntechnischer Anlagen i.S. des § 7 AtG 1 3 3 . — Der Ausschuß „Kerntechnischer Ingenieurbau" des Instituts für Bautechnik 1 3 4 . — Ad-hoc-Arbeitsgruppen, die vom Bundesminister des Innern gebildet wurden. Diesen Arbeitsgremien können z.B. Vertreter der Hersteller und der Betreiber von Kernkraftwerken, der Sachverständigen und der Behörden angehören135. Gelegentlich wirken bei der Erstellung verwaltungsinterner Regelungen auch mehrere der genannten Urheber zusammen136. b) Bekanntmachung der verwaltungsinternen

Regelungen

Obgleich der Bundesminister des Innern in vielen Fällen gar nicht der Urheber oder alleinige Urheber der verwaltungsinternen Regelungen ist, werden sie grundsätzlich von ihm bekanntgemacht. Dies gilt für alle Regelungen des Länderausschusses für Atomkernenergie 137, der Reaktor-Sicherheitskommission 138 , der Strahlenschutzkommission139 und der Ad-hoc-Arbeitsgruppen

130 Vgl. ζ. B. Anhang III, Ziff. 3.11, 3.49.1 sowie Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10.1, A. 10.2, A. 10.5. 131 Vgl. z.B. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10.3, A. 10.4. 132 Ygi Verzeichnis der Weisungsbeschlüsse der TÜV-Leitstelle, in: Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 9.3. Vgl. auch Bundesregierung, Dokumentation, S. 395. 133 V g L Präambel und § 1 Abs. 1 der Geschäftsordnung der TÜV-Leitstelle Kerntechnik bei der VdTÜV, in: Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 9.1, vgl. auch Ziff. A. 9.2. 134 Vgl. Richtlinien für die Bemessung von Stahlbetonbauteilen von Kernkraftwerken für außergewöhnliche äußere Belastungen (Erdbeben, äußere Explosionen, Flugzeugabsturz), in: Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 15. 135 So war es bei der Erarbeitung der Richtlinie über die Anforderungen an Sicherheitsspezifikationen für Kernkraftwerke ( = Anhang III, Ziff. 3.4). 136 Ygi z β Anhang III, Ziff. 3.28 („unter der Federführung des Bundesministers des Innern in Zusammenarbeit mit dem Bund/Länder-Ausschuß für Atomkernenergie") und Ziff. 3.33 (Gemeinsame Empfehlung der Reaktor-Sicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission zu den Störfallberechnungsgrundlagen). 137

Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.1, 3.13, 3.14, 3.25, 3.28, 3.37.1, 3.50, 3.51, 3.55. 138 y g i § 12 Abs. 4 der Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0). 139

Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.33.

13 Luckow

1

9

4

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Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

beim Bundesminister des Innern 140 . Der Grund hierfür liegt ersichtlich in der besonderen institutionellen Bindung zwischen den genannten Gremien und dem Bundesminister des Innern: entweder ist er Mitglied (so im Länderausschuß), oder die Gremien sind ihm beigeordnet. Darüber hinaus macht der Bundesminister des Innern auch Regelungen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit bekannt, die diese in seinem Auftrag erarbeitet hat 141 . Einige verwaltungsinterne Regelungen werden indessen von den Urhebern selbst bekanntgemacht. Dies sind insbesondere die Praxisbeschreibungen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und des Instituts für Reaktorsicherheit 142 sowie die Weisungsbeschlüsse der TÜV-Leitstelle Kerntechnik 143. c) Veröffentlichung

verwaltungsinterner

Regelungen

Von der Frage, wer verwaltungsinterne Regelungen bekanntmacht, ist streng zu trennen, ob und wo sie veröffentlicht werden. Verwaltungsinterne Regelungen werden höchst uneinheitlich oder manchmal überhaupt nicht veröffentlicht. Bekanntmachungen des Bundesministers des Innern werden — ungeachtet des Urhebers der Regelung — in den Amtsblättern „Bundesanzeiger"144 und „Gemeinsames Ministerialblatt" 145 oder im Informationsblatt „Umwelt" des Bundesministers des Innern 140 oder in Schriften Privater 147 bzw. privater Verlage148 veröffentlicht. Ein Ordnungsprinzip, welche Bekanntmachungen in welchen Publikationen erscheinen, läßt sich nicht erkennen. Lediglich die Regelungen der Reaktor-Sicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission erscheinen ausschließlich im Bundesanzeiger. Einige verwaltungsinterne Regelungen wurden bisher in keiner der genannten Publikationen veröffentlicht 149 . Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit mbH, das Institut für Reaktorsicherheit e.V. und die TÜV-Leitstelle Kerntechnik können als Private nicht auf Amtsblätter zurückgreifen; sie geben ihre Bekanntmachungen selbst heraus 150 oder veröffentlichen sie über private Verlage 151. 140

Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.4. Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.11. 142 Ygi Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10. 143 y g i Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 9.3. 141

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Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.1, 3.6, 3.25, 3.33, 4.5. Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.4, 3.13, 3.14, 3.28, 3.37, 3.37.1, 3.49, 3.50, 3.51, 3.55. 14 « Vgl. z.B. Anhang I I I , Ziff. 3.12. 147 Vgl. z.B. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 15 (Erfassung von Hilfsmöglichkeiten bei Zwischenfallen mit ionisierender Strahlung, S. 1, 3). 148 Vgl. z.B. Anhang I I I , Ziff. 3.19. 149 Vgl. z.B. Anhang I I I , Ziff. 3.11, 3.49.1, 5.3. 150 Vgl. z.B. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10 sowie die IRSKurzinformation. 145

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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d) Handbuch Reaktor Sicherheit und Strahlenschutz

Die uneinheitliche Veröffentlichungspraxis hat zunächst private Zusammenstellungen verwaltungsinterner Regelungen152 und schließlich den Bundesminister des Innern veranlaßt, seit Mai 1978 das „Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" herauszugeben. Dieses Handbuch faßt in seinem dritten bis fünften Abschnitt und seinem Anhang wesentliche verwaltungsinterne Regelungen zumeist im Wortlaut, gelegentlich aber auch nur als Fundstellenverzeichnis zusammen. Es enthält auch verwaltungsinterne Regelungen, die andernorts nicht veröffentlicht worden sind 153 . Im ersten Abschnitt des Handbuchs sind Gesetze und Rechtsverordnungen, in seinem sechsten Abschnitt Regeln und Regelentwürfe des Kerntechnischen Ausschusses (KTA) —jeweils als Fundstellenverzeichnis — zusammengestellt. Sein zweiter Abschnitt „Allgemeine Verwaltungsvorschriften" ist unbesetzt. Den Schwerpunkt des Handbuchs bilden derzeit somit die verwaltungsinternen Regelungen. Im Deckblatt des Handbuchs ist ausgewiesen, daß es vom Bundesminister des Innern herausgegeben und von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit mbH, Köln gedruckt und vertrieben wird. Ob diese Arbeitsteilung auch tatsächlich eingehalten wird, ist zumindest zweifelhaft. Das Vorwort zur 8. Ergänzungslieferung jedenfalls scheint eher darauf hinzudeuten, daß die Gesellschaft Funktionen wahrnimmt, die über Druck und Vertrieb hinausgehen. Zum einen gibt sie anscheinend die Austauschanweisungen für die Loseblattsammlung; dafür spricht die Ortsangabe Köln. Zum anderen scheint sie auch Inhalt und Gliederung des Handbuchs eigenverantwortlich und nicht unwesentlich mitzugestalten. Ein Indiz hierfür ist die Passage: „Die RSK-Leitlinien . . . werden auf Wunsch des BMI beibehalten, jedoch dem Abschnitt... zugeordnet." Wenn der Herausgeber gegenüber dem Druckleger Wünsche äußert, spricht dies kaum für eine uneingeschränkte Herrschaftsgewalt des Herausgebers, sondern eher für eine nicht unerhebliche Mitwirkung des Drucklegers. Diese keineswegs selbstverständliche Mitgestaltung und Verantwortung eines Privaten bezüglich des Inhalts einer amtlichen Sammlung verwaltungsinterner Regelungen wird noch übertroffen von der materiellen Feststellung im Vorwort zur 7. Ergänzungslieferung zum Handbuch. Dort heißt es: „Die Unterlagen . . . sind herauzunehmen, da diese zum einen nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen und zum anderen in die KTA-Regelerarbeitung eingeflossen sind." Bedenklich hieran ist, daß in einem amtlichen Handbuch materielle Aussagen von einem Privaten getroffen werden. Eine weitere Unzulänglichkeit des Handbuchs liegt in seiner Loseblattform; denn eine amtliche Normsammlung in Form einer Loseblattsammlung bietet dem Rechtsanwender keine Sicherheit hinsichtlich ihrer Vollständigkeit und 151

Vgl. z.B. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 9.2, A. 9.3. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, Anhang II, S. 495 ff.; Pfaffelhuber, 1978, 151 (161). 153 Vgl. z.B. Anhang III, Ziff. 3.11, 3.49.1, 5.3. 152

13*

ET

19

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

birgt zudem die Gefahr von Irrtümern und Verwechslungen beim Erstellen oder Einfügen der Ergänzungslieferungen. Das Handbuchexemplar z.B., das der Verfasser einer Gerichtsbibliothek entliehen hatte, war unter dem Gliederungspunkt A. 15 doppelt belegt154; im übrigen waren Inhalt und Inhaltsverzeichnis nicht immer deckungsgleich. Ob dies auf Fehlern der Austauschanweisungen oder auf Nichtbeachtung dieser Anweisungen beruhte, konnte der Verfasser nicht klären, ist aber auch gleichgültig; denn an der Kritik am Loseblattsystem für amtliche Normsammlungen ändert sich nichts. Ein solches System fordert Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung geradezu heraus. Dies ist um so gravierender, als das Normengefüge auf der Ebene der verwaltungsinternen Regelungen wegen seines Umfangs und zahlreicher Verschränkungen ohnehin sehr schwer überschaubar ist. Zahl und Umfang verwaltungsinterner Regelungen werden vom Handbuch eindrucksvoll unterstrichen. Obgleich es sich teilweise auf bloße Fundstellenverzeichnisse beschränkt155 oder lediglich auf andere Sammlungen verweist 156, umfaßt das „Handbuch" drei Ordner. e) Strukturierung

der verwaltungsinternen

Regelungen

Die Ebene der verwaltungsinternen Regelungen in ihrem derzeitigen Zustand wird nicht zu Unrecht als „Durch- und Nebeneinander"157 bzw. als „schwer überschaubares Geflecht" 158 beschrieben. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist bei zahlreichen verwaltungsinternen Regelungen die Anbindung an höherrangige Rechtsnormen nicht klar erkennbar, zum anderen sind die verwaltungsinternen Regelungen untereinander in vielfältiger Weise verschränkt, außerdem fehlt eine umfassende inhaltliche Systematisierung159. Für eine Strukturierung der verwaltungsinternen Regelungen nach ihrem Inhalt bieten sich zwei Ansätze: einerseits eine rechtstatsächliche Gliederung nach der Art der Anlagen, andererseits eine normative Gliederung, die die verwaltungsinternen Regelungen nach ihrem Verhältnis zu höherrangigen Rechtsnormen oder nach ihrem Verhältnis untereinander klassifiziert. 154 Zum einen mit den „Richtlinien für die Bemessung von Stahlbetonbauteilen von Kernkraftwerken für außergewöhnliche äußere Belastungen (Erdbeben, äußere Explosionen, Flugzeugabsturz)"; zum anderen mit der „Erfassung von Hilfsmöglichkeiten bei Zwischenfallen mit ionisierender Strahlung". 155

Vgl. z.B. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 9.3. Vgl. Z.B.Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 15 (Erfassung von Hilfsmöglichkeiten bei Zwischenfallen mit ionisierender Strahlung, S. 3). 156

157

So Rittstieg, Konkretisierung, S. 113. So Marburger, Schadensvorsorge, S. 132. 159 Ein alphabetisches Stichwortverzeichnis wie z. B. zu Abschnitt 3 des Handbuchs Reaktorsicherheit und Strahlenschutz ermöglicht noch keinen systematischen und strukturellen Durchblick. Zu den Mängeln der Auflistung nach Hauptstichworten im selben Handbuch s. sogleich unten cc). 158

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

7

aa) Strukturierung nach Art der Anlagen Strukturiert man die verwaltungsinternen Regelungen nach der Art der Anlagen, so ergibt sich das folgende Gliederungsschema. Geltung der verwaltungsinternen Regelungen für: (1) Alle Anlagen aller Brennstoffkreisläufe 160 (2) Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren (a) Alle Anlagen dieses Brennstoffkreislaufs (b) Anlagen zur Uranerzaufbereitung, Konversion und Anreicherung 161 (c) Anlagen zur Brennelement-Herstellung 162 (d) Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktor 163 (e) Anlagen zur Wiederaufarbeitung 164 (f) Anlagen zur Zwischenlagerung165 (3) Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren (a) Alle Anlagen dieses Brennstoffkreislaufs (b) Anlagen zur Brennelement-Herstellung (c) Kernkraftwerke mit Schnellem Brutreaktor 166 (d) Anlagen zur Wiederaufarbeitung (e) Anlagen zur Zwischenlagerung (4) Endlager 167 (5) Beförderung. Jeder der genannten Gliederungspunkte ist in folgende Unterpunkte weiter aufzufächern: — — — — — — — — —

Antragsunterlagen Genehmigung Standort der Anlage Auslegung der Anlage Fachkunde Instandhaltung der Anlage Notfall- und Katastrophenschutz Aufsicht und Überwachung der Anlage Medizinische Personenüberwachung.

160 161 162 163 164 165 166 167

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

z.B. z.B. z.B. z.B. z.B. z.B. z.B. z.B.

Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang

III, III, III, III, III, III, III, III,

Ziff. Ziff. Ziff. Ziff. Ziff. Ziff. Ziff. Ziff.

3.19, 3.37. 3.11, 4.6.4. 3.11. 3.1, 3.6, 3.33, 3.49 bis 3.51, 4.1.1, 5.12. 3.28, 5.1, 5.13. 3.18, 4.6.13. 3.1, 3.6, 4.6.0. 3.13, 4.6.9, 4.6.14.

198

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungeii

bb) Normative Strukturierung Einen zweiten Ansatz zur Strukturierung verwaltungsinterner Regelungen bietet eine normative Gliederung. Zum einen sind verwaltungsinterne Regelungen den höherrangigen Rechtsnormen zuzuordnen, mit denen sie in Zusammenhang stehen. Daraus ergibt sich eine Gliederung nach Rechtsverordnungen; beispielsweise: — Strahlenschutzverordnung — Zu § 28 Abs. 3 StrlSchV: Störfall-Leitlinien 168 — Zu § 45 StrlSchV: Allgemeine Berechnungsgrundlage für Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit der Abluft oder in Oberflächengewässer169 — Rechtsverordnung Y usw. Zum anderen sind die verwaltungsinternen Regelungen untereinander in Beziehung zu setzen, soweit sie einander ergänzen. Zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke 170 sind z.B. Interpretationen 171 und Praxisbeschreibungen172 ergangen, die einander — ohne Rangverhältnis — ergänzen; die Interpretationen haben die gleiche Bedeutung und Verbindlichkeit wie die Sicherheitskriterien selbst173. Ein weiteres Beispiel sind die Störfallberechnungsgrundlagen, die die Störfall-Leitlinien ergänzen174. In einem engen, einander ergänzenden Verhältnis stehen auch die Empfehlungen und Leitlinien der Reaktor-Sicherheitskommission 175. Diejenigen Empfehlungen, die Bedeutung über den Einzelfall hinaus haben, werden in den RSK-Leitlinien zusammengestellt. Diese Leitlinien legt die Kommission ihren Beratungen weiterer Empfehlungen zugrunde 176. cc) Vorzüge der beiden Strukturierungsansätze Das oben vorgeschlagene Gliederungsschema, das bei der Art der Anlage ansetzt, ermöglicht eine vollständige Erfassung und eine sinnvolle Differenzierung der verwaltungsinternen Regelungen und macht die Ebene der verwaltungsinternen Regelungen insgesamt übersichtlicher. Die normative Strukturie168

Vgl. Anhang III, Ziff. 3.33. Vgl. Anhang III, Ziff. 3.37. 170 Anhang I I I , Ziff. 3.1. 171 Anhang I I I , Ziff. 3.49, 3.50, 3.51. 172 Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10. 173 So ausdrücklich: Vorwort zu den Interpretationen ( = Anhang III, Ziff. 3.49). s. hierzu auch Rittstieg, Konkretisierung, S. 81 f. 174 Beide: Anhang III, Ziff. 3.33. 175 Anhang III, Ziff. 4. 176 Bundesregierung, Dokumentation, S. 394. Vgl. auch Vorwort zu RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren ( = Anhang III, Ziff. 4.1.1). 169

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

rung hingegen kann die verwaltungsinternen Regelungen noch nicht vollständig erfassen, da derzeit noch einige Rechtsverordnungen fehlen, denen die verwaltungsinternen Regelungen zugeordnet werden könnten. Nutzt der Verordnungsgeber aber die ihm erteilten Ermächtigungen, so wird auch dieser Strukturierungsansatz voll durchgreifen. Immerhin ist er schon jetzt geeignet, normative Zusammenhänge zwischen verwaltungsinternen Regelungen und bestehenden höherrangigen Rechtsnormen sowie zwischen verwaltungsinternen Regelungen untereinander zu klären. Um das oben beklagte „Durch- und Nebeneinander" bzw. das „schwer überschaubare Geflecht" auf der Ebene der verwaltungsinternen Regelungen zu entwirren und in den Griff zu bekommen, müssen beide Strukturierungsansätze gleichzeitig und parallel verfolgt werden. Dabei dürfen die beiden Ansätze aber nicht miteinander vermengt werden. Daran krankt insbesondere die Auflistung nach Hauptstichworten, die mit der achten Ergänzungslieferung zum Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz versucht worden ist 177 . Ζ. B. finden sich die „Berechnungsgrundlagen zur Strahlenschutzverordnung", ein eindeutig normativer Ansatz, inmitten von Gliederungspunkten, die eher einen rechtstatsächlichen Charakter haben. Die schwerpunktmäßige Sortierung nach Hauptstichworten im Handbuch hat darüber hinaus weitere Mängel. Sie differenziert nicht nach Brennstoffkreisläufen und nicht ausreichend nach Anlagearten. Außerdem fehlen in der Auflistung völlig die in der Praxis sehr bedeutsamen Leitlinien und Empfehlungen der Reaktor-Sicherheits- sowie der Strahlenschutzkommission, obgleich auch sie vom Bundesminister des Innern bekanntgemacht werden. Schließlich sind einzelne Regelungen durch das Hauptstichwort nicht treffend charakterisiert. So betreffen ζ. B. die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke 178 oder die Empfehlung über den Regelungsinhalt von Bescheiden bezüglich der Ableitung radioaktiver Stoffe aus Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktor 179 eher die materielle Genehmigung als das „Genehmigungsverfahren" 180. f) Die wichtigsten sicherheitsrelevanten anlagenbezogenen verwaltungsinternen Regelungen

In Zahl und Umfang am weitesten vorangeschritten sind die verwaltungsinternen Regelungen für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren. Für die übrigen Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren existieren außer einigen Empfehlungen der Reaktor-Sicherheits- und der Strahlenschutzkommission nur wenige verwaltungsinterne Regelungen. Für Anlagen im 177 178 179 180

Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. 3., S. A l bis A 14. Anhang III, Ziff. 3.25. Anhang I I I , Ziff. 3.37.1. So aber Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. 3., S. A3.

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren gibt es derzeit nur eine spezifische Regelung181. Die wichtigsten sicherheitsrelevanten verwaltungsinternen Regelungen für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren werden im folgenden erörtert. aa) Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke 182 (1) Anwendungsbereich

Die Sicherheitskriterien sind konzipiert für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren. Für alle übrigen Kernkraftwerkstypen gelten sie in den nichtanlagespeziflschen Forderungen uneingeschränkt, in den anlagespezifischen Forderungen sinngemäß183. Die Sicherheitskriterien sind somit für alle Kernkraftwerkstypen von grundlegender Bedeutung. Die Sicherheitskriterien knüpfen an § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV, der eine Vermutungsklausel enthält. Danach kann die Genehmigungsbehörde die Einhaltung der Dosisgrenzwerte (§ 28 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StrlSchV) sowie der Minimierungspflicht (§ 28 Abs. 3 Satz 1 und 3 StrlSchV) insbesondere dann als getroffen ansehen, wenn der Antragsteller bei der Störfall-Auslegung der Anlage die „Sicherheitskriterien" des Bundesministers des Innern zugrunde gelegt hat. Die Sicherheitskriterien enthalten aber nicht nur Aussagen für den Störfall 184, sondern auch Aussagen für den bestimmungsgemäßen Betrieb 185 und für den Unfall 186 , d. h. für alle Betriebszustände. Soweit die Sicherheitskriterien über die Vorsorge gegen Störfälle hinausgehen, sind sie durch die Ermächtigung des § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV nicht gedeckt undfinden auch in der übrigen Strahlenschutzverordnung keine Grundlage 187. Die über die Störfallvorsorge hinausgehenden Sicherheitskriterien wären nur dann von der Strahlenschutzverordnung gedeckt, wenn man die drei Betriebszustände als „drei sich überdeckende Sicherheitsebenen (Basissicherheit, Störfallverhinderung und Störfallfolgenbegrenzung)" begreift 188, so daß die Störfallvorsorge teilweise sowohl in den Bereich des bestimmungsgemäßen Betriebs (Basissicherheit) als auch in den Bereich des Unfalls (Störfallfolgenbegrenzung) hineinreicht 189. Dieser Versuch, den Störfallbegriff beidseitig extensiv zu öffnen, 181 182 183 184 185 186 187 188

Vgl. Anhang III, Ziff. 4.6.0. Anhang III, Ziff. 3.1. So ausdrücklich Vorwort zu den Sicherheitskriterien ( = Anhang III, Ziff. 3.1). Vgl. Kriterium 1.1 und 1.1.2. Vgl. Kriterium 1.1 und 1.1.1. Vgl. Kriterium 1.1.2. a.E. So auch Lukes ! Feldmann ! Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 185. So wohl Smidt, Vorsorge gegen Schäden, S. 41. Vgl. auch Bochmann, Auslegung,

S. 19. 189

Daraufscheint es im Ergebnis bei Lukes I Feldmann I Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 186 f. hinauslaufen.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

20

steht aber in klarem Widerspruch zur Definition des Störfalls in Anlage I zur Strahlenschutzverordnung, die von den Sicherheitskriterien wortgleich übernommen worden ist 190 . Es bleibt daher bei dem Befund, daß die über den Störfall hinausgehenden Sicherheitskriterien von der Strahlenschutzverordnung nicht gedeckt sind. Daß die Sicherheitskriterien die Ermächtigung in der Strahlenschutzverordnung teilweise überschreiten, wäre unproblematisch, wenn der Kriteriengeber, der Bundesminister des Innern, auf der Ebene der Rechtsverordnungen für diesen überschreitenden Teil eine entsprechende Zuständigkeit besäße. Daran fehlt es aber. Zuständig für den Erlaß von Rechtsverordnungen aufgrund des hier einschlägigen § 12 AtG ist die Bundesregierung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 AtG). Eine Delegationsrechts Verordnung i.S. des §54 Abs. 3 A t G zugunsten des

Bundesministers des Innern ist bisher nicht ergangen. (2) Inhalt der Sicherheitskriterien

Die Sicherheitskriterien enthalten Grundsätze für sicherheitstechnische Anforderungen, die der Auslegung von Kernkraftwerken zugrunde gelegt werden 191 . Die drei Basisaufgaben der Sicherheit (Abschaltung, Nach wärmeabfuhr, Einschluß)192 sind eingangs, im Kriterium 1.1, beschrieben: „Ein Kernkraftwerk muß so beschaffen sein und so betrieben werden, daß die Reaktoranlage jederzeit im bestimmungsgemäßen Betrieb und bei Störfallen sicher abgeschaltet und in abgeschaltetem Zustand gehalten, die Nachwärme abgeführt und die Strahlenexposition des Personals und der Umgebung unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik auch unterhalb der Dosisgrenzwerte (der Strahlenschutzverordnung, der Verf.) so gering wie möglich gehalten werden kann, . . . "

Als erster und vorrangiger Grundsatz der Sicherheitsvorsorge fordert Kriterium 1.1.1. „hohe Anforderungen an die Auslegung und die Qualität der Anlage ...". Als sicherheitsfördernde Auslegungs-, Fertigungs- und Betriebsgrundsätze werden beispielhaft aufgezählt: ausreichende Sicherheitszuschläge, Verwendung überprüfter Werkstoffe, Instandhaltungsfreundlichkeit, Qualitätssicherung, wiederkehrende Prüfungen, Überwachung usw. Als zweiten Grundsatz der Sicherheitsvorsorge verlangt Kriterium 1.1.2. die „Beherrschung von Störfällen". Bei den diesbezüglichen technischen Sicherheitseinrichtungen sind als Auslegungsgrundsätze u.a. zu berücksichtigen: Redundanz (Mehrfachauslegung), Diversität (Verwendung unterschiedlicher Konstruktionsprinzipien bei mehrfach vorhandenen Sicherheitseinrichtungen), weitgehende Entmaschung von Teilsystemen, räumliche Trennung redundanter Teilsysteme. Den Grund190

Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke ( = Anhang III, Ziff. 3.1), Definitionen,

Ziff. 2. 191 192

So das Vorwort zu den Sicherheitskriterien ( = Anhang III, Ziff. 3.1). Vgl. Smidt, Vorsorge gegen Schäden, S. 41.

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

sätzen der Sicherheitsvorsorge im Kriterium 1.1 schließen sich Kriterien zu einzelnen sicherheitsrelevanten Gesichtspunkten an. (3) Beschränkung auf Zielvorgaben

Die Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke beschränken sich darauf, Ziele und Unterziele vorzugeben. Aussagen über Mittel und Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele fehlen. Dies gilt sowohl für die Grundsätze der Sicherheitsvorsorge im oben zitierten Kriterium 1.1 als auch für die Kriterien zu den Einzelaspekten (2.1 bis 11.1). Typisch für die Sicherheitskriterien ist die Formulierung: „ . . . Anlageteile müssen so beschaffen/angeordnet/ausgelegt . . . sein, daß . . . " das jeweilig definierte Schutzziel erreicht wird 193 . Kriterium 2.3 (Strahlenexposition in der Umgebung) z.B. verlangt: „Zum Schutz der Umgebung vor den Auswirkungen des Kernkraftwerkes muß gewährleistet sein, daß alle sicherheitstechnisch wichtigen Anlagenteile so ausgelegt sind und sich in einem solchen Zustand befinden und gehalten werden, daß die Strahlenexposition in der Umgebung durch Direktstrahlung aus der Anlage sowie Ableitung und etwaige Freisetzung radioaktiver Stoffe unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik auch unterhalb der zugelassenen Werte so gering wie möglich gehalten wird."

Soweit bestimmte „Systeme/Einrichtungen/Anlagen" verlangt werden 194, handelt es sich nur scheinbar um Aussagen über Maßnahmen; denn einerseits ist diesen Systemen usw. nur eine allgemeine Funktionsbeschreibung („System zur ...") beigegeben, zum anderen liegt der Schwerpunkt wiederum auf der Definition eines Schutzziels. Kriterium 8.5 (Wärmeabfuhr aus dem Sicherheitseinschluß) z.B. fordert: „Ein zuverlässiges, redundantes System zur Abfuhr der Wärme aus dem Sicherheitseinschluß muß vorhanden und so ausgelegt und beschaffen sein, daß auch bei Auftreten eines Einzelfehlers im System bei Störfallen Temperatur und Druck im Sicherheitseinschluß abgesenkt werden können."

Mittel und Maßnahmen zur Errichtung dieses Schutzziels bleiben offen. (4) Interpretationen

und Praxisbeschreibungen

Da Zielvorgaben den Schwerpunkt der Sicherheitskriterien ausmachen, müssen die Kriterien folgerichtig eine Vielzahl unbestimmter Begriffe verwenden; ζ. B. „sicherheitstechnische Bedeutung" und „angemessen" (Kriterium 2.1), „in hinreichendem Umfang" (Kriterium 2.2), „so gering wie möglich" (Kriterien 193

Vgl. z.B. Kriterien 1.1, 2.2 bis 2.7, 2.10, 3.1 bis 3.3, 4.1, 8.2, 8.3, 11.1. Ζ. B. „ein zuverlässiges, redundantes System zur Nachwärmeabfuhr" (Kriterium 4.2), „ . . . für die Notkühlung" (4.3), „Reaktorschutzsystem" (6.1), „Sicherheitseinschluß" (8.1), „zuverlässige lüftungstechnische Anlagen" (9.1), Einrichtungen zur Handhabung, Einschließung und Lagerung der Kernbrennstoffe (11.1). 194

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

20

2.2 und 2.3), „erforderlich" (Kriterium 2.6). Diese Begriffe sind ihrerseits konkretisierungsbedürftig 195. Zu einer Reihe von Begriffen sind daher Interpretationen ergangen: ζ. B. zum Begriff des Einzelfehlers im Kriterium 4.2,4.3, 6.1, 7.1, 8.5 196 , zum Begriff des gefährlichen Stoffes i.S. des Kriteriums 2.6 197 und zum Begriff der sicherheitstechnisch wichtigen Anlagenteile i. S. des Kriteriums 2 3198. Während sich die Sicherheitskriterien — wie eben dargelegt — auf die Vorgabe von Zielen und Unterzielen beschränken,finden sich in den Interpretationen u.a. auch Aussagen über die Erforderlichkeit von Maßnahmen und Mitteln 199 . Zum eben zitierten Kriterium 8.5 z.B. stellt die entsprechende Interpretation 200 fest: „Der zusätzliche Einbau eines Gebäudesprühsystems ist . . . dann nicht notwendig, wenn nachgewiesen wird, daß die im Sicherheitskriterium 8.5 festgelegten sicherheitstechnischen Aufgaben zuverlässig durch die Nachwärmeabfuhrsysteme erfüllt werden."

Nicht nur die erwähnten Interpretationen, sondern auch die sog. Praxisbeschreibungen201 ergänzen die konkretisierungsbedürftigen Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke. In diesen „Beschreibungen der gegenwärtigen Praxis zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke" wird — ebenfalls — dargelegt, wie die in den Sicherheitskriterien definierten Ziele erreicht werden 202. bb) Störfall-Leitlinien 203 (I) Anwendungsbereich

Die Störfall-Leitlinien sind für Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktoren, einer Untergruppe der Leichtwasserreaktoren, konzipiert. Für Kernkraftwerke mit anderen Reaktortypen sind die Störfall-Leitlinien nicht anwendbar. Die Störfall-Leitlinien knüpfen — ebenso wie die Sicherheitskriterien — an § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV. Sie dienen zusammen mit den Sicherheitskriterien der Konkretisierung der gem. § 28 Abs. 3 StrlSchV gegen Störfalle zu treffenden 195

Vgl. auch Marburger, Schadensvorsorge, S.92, 135. Vgl. Anhang III, Ziff. 3.49. 197 Vgl. Anhang III, Ziff. 3.50. 198 Vgl. Anhang III, Ziff. 3.51. 199 Insoweit ist die Stellung der Interpretationen hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bestimmtheit keineswegs schwer zu charakterisieren, was aber Rittstieg, Konkretisierung, S. 81 annimmt. 200 Anhang III, Ziff. 3.50. 201 Vgl. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10. 202 So ausdrücklich die Einleitungen zu den Praxisbeschreibungen. 203 Anhang III, Ziff. 3.33. 196

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

Vorsorge 204. Anders als die Sicherheitskriterien finden die Störfall-Leitlinien auf bloße Betriebsstörungen während der Betriebsphase keine Anwendung205. (2) Auslegungsstörfälle

Aufgrund der bisherigen Praxis und Erfahrungen bei der sicherheitstechnischen Analyse, der Begutachtung und dem Betrieb von Druckwasserreaktoren legen die Störfall-Leitlinien fest, welche Störfälle für die sicherheitstechnische Auslegung von Kernkraftwerken mit Druckwasserreaktoren bestimmend sind und welche Nachweise vom Antragsteller zu erbringen sind 206 . Gegenstand der Leitlinien sind ausschließlich die Störfälle, die i.S. des §28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV derAuslegung von Kernkraftwerken zugrunde zu legen sind (Auslegungsstörfalle) 207. (a) Ausgrenzungen Im Vorwort der Störfall-Leitlinien werden ausdrücklich („nicht Gegenstand der Leitlinien") ausgeklammert: — Ereignisse infolge Flugzeugabsturzes, äußerer Einwirkungen gefährlicher Stoffe, äußerer Druckwellen aus chemischen Reaktionen sowie äußerer Einwirkungen von Mehrblockanlagen (kurz: bestimmte externe zivilisatorische Einwirkungen); — Betriebstransienten 208 mit unterstelltem Ausfall des Schnellabschaltsystems; — Ereignisse infolge Störmaßnahmen oder sonstiger Einwirkungen Dritter nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG. Über diesen bloßen Negativ-Katalog hinaus enthält das Vorwort der StörfallLeitlinien für die erwähnten externen zivilisatorischen Einwirkungen und Betriebstransienten eine bedeutende materielle Aussage. Diese Ereignisse seien „wegen ihres geringen Risikos keine Auslegungsstörfalle". Maßnahmen gegen diese Ereignisse dienten der Risikominimierung und damit dem Schutz der Allgemeinheit; sie wurden gemäß den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke 204

So ausdrücklich Teil 1, Ziff. 1 der Störfall-Leitlinien. So ausdrücklich Vorwort und Teil 1, Ziff. 2.3 der Störfall-Leitlinien. Feldmann, ET 1983, 385 (390) bezeichnet die Betriebsstörungen als „anomale Betriebszustände" und greift damit auf die Terminologie der Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke ( = Anhang III, Ziff. 3.1), Definitionen Ziff. 1. (2) und Kriterium 1.1.1. zurück. 206 So ausdrücklich Vorbemerkung vor den Störfall-Leitlinien. Vgl. auch Teil 2, Abs. 1 der Störfall-Leilinien. 207 So wörtlich Vorwort der Leitlinien. Vgl. auch Teil 1, Ziff. 1 der Leitlinien. 208 Transienten werden bei Koelzer, Lexikon, S. 147 definiert als: „Jede wesentliche Abweichung der Betriebsparameter eines Kernkraftwerkes (u.a. Leistung, Druck, Temperatur, Kühlmitteldurchsatz) von den Sollwerten, die zu einem Ungleichgewicht zwischen Wärmeerzeugung und Wärmeabfuhr im Reaktor führen kann, soweit diese Abweichung nicht durch Lecks in Leitungen oder Behältern bedingt ist." 205

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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und den zugehörigen Interpretationen, der Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen aus chemischen Reaktionen, den RSKLeitlinien und den geltenden Regeln des Kerntechnischen Ausschusses getroffen 209 . Mit dieser materiellen Aussage schreiben die Störfall-Leitlinien die derzeitige Rechtsauffassung der Genehmigungsbehörden fest, die gelegentlich auch als „Staatspraxis" bezeichnet wird 210 . Der Gefahrenabwehr (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) werden Störfall und Individualrisiko, der Risikominimierung (§ 7 Abs. 2 AtG) Unfall und Bevölkerungsrisiko (positiv ausgedrückt: Schutz der Allgemeinheit) zugeordnet211. Diesem Schema entsprechend rubrizieren die Störfall-Leitlinien bestimmte externe zivilisatorische Einwirkungen und die erwähnten Betriebstransienten „wegen ihres geringen Risikos" bei der Risikominimierung und damit als Unfall 212 . Projiziert man den Regelungsgehalt des Vorworts der Leitlinien auf die Gesetzesebene des § 7 Abs. 2 AtG — wie sie von der Verwaltungspraxis derzeit verstanden wird 213 —, so ergeben sich mehrere Erkenntnisse. Die Leitlinien beziehen sich ausdrücklich auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, der—wie oben ausführlich dargelegt214 — externe natürliche und interne Einwirkungen erfaßt. Obgleich Betriebstransienten als interne Ereignisse zum Anwendungsbereich des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gehörten, nehmen die Störfall-Leitlinien die Transienten aus dem Anwendungsbereich dieser gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzung heraus, indem die Leitlinien in ihrem Vorwort die Transienten nicht nur negativ ausgrenzen („nicht Gegenstand der Leitlinien"), sondern sie positiv einem anderen Bereich („Risikominimierung", Unfall) zuordnen. Damit werden bestimmte anlageninterne Ereignisse durch eine untergesetzliche verwaltungsinterne Regelung aus dem Bereich einer gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzung (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) ausgekoppelt und dem gesetzlichen Ermessensbereich (§ 7 Abs. 2 AtG) zugeschlagen215. Da die Leitlinien bei § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG anknüpfen, ist die negative Ausgrenzung von Ereignissen infolge Einwirkungen Dritter nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG (am Ende des Vorworts) nur folgerichtig. Diese gesetzliche Bestimmung erfaßt — wie oben gezeigt216 — alle externen zivilisatorischen Einwirkungen. Einer gesonderten Erwähnung bestimmter externer zivilisatorischer Einwirkungen (Flugzeugabsturz, gefahrliche Stoffe, Druckwellen, Mehrblockanla209

s. Anhang III, Ziff. 3.1, 3.49 bis 3.51, 3.6, 4.1.1, 6. So Hohlefeider, ET 1983, 392 (394). 211 Vgl. Übersicht bei Hohlefelder, ET 1983, 392 (396) ( = Anhang V); Feldmann, ET 1983, 385 (390). 212 Dazu s. unten Fünfter Teil. 213 Vgl. Anhang V. 214 Vierter Teil C. II. 2., 3. 215 s. dazu unten Fünfter Teil. 216 Vierter Teil C. II. 2. 210

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzunge

gen) hätte es im Vorwort daher gar nicht bedurft, wenn diese nicht — über die negative Ausgrenzung hinaus — positiv einem anderen Bereich („Risikominimierung", Unfall) zugeordnet worden wären. Festzuhalten bleibt somit, daß die Störfall-Leitlinien externe zivilisatorische Einwirkungen nicht einheitlich behandeln; denn hinsichtlich der übrigen, im Vorwort nicht eigens aufgezählten externen zivilisatorischen Einwirkungen enthalten sich die Störfall-Leitlinien einer über die negative Ausgrenzung hinausgehenden materiellen Aussage. (b) Radiologisch relevante Störfalle — sonstige auslegungsbestimmende Störfalle Die Störfall-Leitlinien unterteilen die auslegungsbestimmenden Störfalle in: — Radiologisch relevante Störfalle, d. h. Störfälle, gegen die anlagentechnische Schadensvorsorge getroffen werden muß und die bezüglich ihrer radiologischen Auswirkungen auf die Umgebung relevant sind 217 . — Sonstige auslegungsbestimmende Störfalle, d.h. Störfalle, gegen die anlagentechnische Schadensvorsorge getroffen werden muß, die aber dann aufgrund der getroffenen Vorsorge in ihren radiologischen Auswirkungen auf die Umgebung nicht mehr von Bedeutung sind 218 . Die beiden Störfallarten unterscheiden sich in ihren radiologischen Auswirkungen auf die Umgebung; gleich sind sie sich aber darin, daß gegen beide anlagen technische Schadensvorsorge getroffen werden muß. (c) Störfallklassen: „RA", „AS" und „SI", „VO" Innerhalb des Dualismus „radiologisch relevante Störfalle" — „sonstige auslegungsbestimmende Störfälle" haben die Störfall-Leitlinien ein abgestuftes System der Störfallbetrachtung etabliert. Drei verschiedene Störfallklassen sind zu erkennen. In der Gruppe der radiologisch relevanten Störfalle 219 sind radiologisch repräsentative Störfälle durch die Bezeichnung „RA" und Kursivschrift besonders hervorgehoben. Für diese radiologisch repräsentativen Störfalle ist die Einhaltung der Störfallplanungswerte des § 28 Abs. 3 StrlSchV durch Berechnung der möglichen radiologischen Störfallauswirkungen nachzuweisen220. Diese Berechnung bestimmt sich nach Teil 1, Ziffern 4.2 bis 4.9 der Leitlinien und den Störfallberechnungsgrundlagen gemäß den Empfehlungen der Reaktor-Sicherheitskommission sowie der Strahlenschutzkommission221. 217 218 219 220 221

Teil 2, Tab. I. Teil 2, Tab. II. Teil 2, Tab. I. Teil 1, Ziff. 4.1. Anhang III, Ziff. 3.33.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

207

Eine zweite Klasse von Störfällen ist mit „AS" oder „SI" gekennzeichnet; sie finden sich sowohl bei den radiologisch relevanten als auch bei den sonstigen auslegungsbestimmenden Störfallen 222. Die mit „AS" gekennzeichneten Störfalle sind hinsichtlich der Auslegung von Sicherheitseinrichtungen oder Gegenmaßnahmen, die mit „SI" gekennzeichneten Störfalle hinsichtlich der Standsicherheit oder Integrität von Komponenten oder baulichen Anlagen zu analysieren; die Wirksamkeit der baulichen oder sonstigen technischen Schutzmaßnahmen ist nachzuweisen223. Bei dieser zweiten Klasse von Störfallen ist also — anders als bei den radiologisch repräsentativen Störfallen — im Rahmen der Störfallanalyse keine Berechnung der möglichen radiologischen Störfallauswirkungen erforderlich. Außerdem ist nicht die Einhaltung der Störfallplanungswerte, sondern die Wirksamkeit der technischen Schutzmaßnahmen nachzuweisen. Eine dritte Klasse von Störfallen, die mit „VO" gekennzeichnet sind, findet sich in der Gruppe der sonstigen auslegungsbestimmenden Störfalle 224. Bei dieser Klasse von Störfällen bedarf es keiner Störfallanalyse, wenn die in der 4. Spalte der Tabelle I I genannten Vorsorgemaßnahmen als getroffen nachgewiesen werden. Der jeweilige Störfall wird durch diese Vorsorgemaßnahmen vermieden oder beherrscht 225. Das abgestufte System der Störfallklassen läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Störfallklasse

Störfallanalyse

Nachweis

RA

durch Berechnung

der Einhaltung der nungswerte

AS, SI

ohne Berechnung (vgl. Teil 1, Ziffern 4.1 und 4.10) keine Störfallanalyse

der Wirksamkeit der technischen Schutzmaßnahmen der Verwirklichung der in Tabelle II, Spalte 4 genannten Vorsorgemaßnahmen

VO

Störfallpla-

(d) Radiologisch repräsentative Störfalle Die zur Gruppe der radiologisch relevanten Störfälle gehörenden radiologisch repräsentativen Störfälle sind „solche Ereignisabläufe aus dem Gesamtspektrum der die sicherheitstechnische Auslegung von Druckwasserreaktoren 222 223 224 225

Vgl. Teil 1, Ziffern 4.1 und 4.10 sowie Teil 2, Tabellen I und II. Teil 1, Ziffern 4.1 und 4.10; Teil 2. Vgl. Teil 1, Ziff. 4.10; Teil 2, Tab. II. So ausdrücklich Teil 2 „VO".

208

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

bestimmenden Störfälle, die bezüglich ihrer radiologischen Auswirkungen auf die Umgebung relevant und in dem Sinne repräsentativ sind, daß sie in ihren radiologischen Auswirkungen eine Klasse ähnlich ablaufender Ereignisse abdecken"226. In dieser Definition klingt ein Konzept an, das in der Literatur als Konzept der „abdeckenden oder einhüllenden"227 bzw. „umhüllenden"228 Störfalle beschrieben wird. Nach diesem Konzept werden einzelne Fehlfunktionen und Versagensfälle sowie durch sie bewirkte Folgen zu repräsentativen Ereignisabläufen zusammengefaßt. Die Auswahl und Festsetzung dieser repräsentativen Ereignisabläufe muß nach Bochmann229 in zweierlei Hinsicht für die Gesamtheit der abzudeckenden Ereignisabläufe repräsentativ sein, nämlich zum einen für die bestimmenden anlagendynamischen und physikalischen Prozesse einschließlich anlageninterner und -externer Folgen und zum anderen für die Eintrittswahrscheinlichkeiten, mit denen die repräsentativen Ereignisabläufe zu Schadensfolgen führen können230. Decken die repräsentativen Störfälle in ihren radiologischen Auswirkungen eine Klasse ähnlich ablaufender Ereignisse ab, genügt es, die Einhaltung der Störfallplanungswerte der Strahlenschutzverordnung für die repräsentativen Ereignisabläufe nachzuweisen231. In sich konsequent werden in den Störfallberechnungsgrundlagen Annahmen und Parameter nur für die radiologisch repräsentativen Störfälle, d. h. für die in Teil 2, Tabelle I der Störfall-Leitlinien mit „RA" gekennzeichneten Störfälle vorgegeben232. Ein Beispiel für einen „eingehüllten" bzw. „umhüllten" Störfall liefert Teil 2, Ziffer 1.7 der Störfall-Leitlinien. Danach werden die radiologischen Auswirkungen eines Erdbebens auf Reaktor-, Notspeise-, Schaltanlagen- und Notstromdieselgebäude sowie Nebenkühlwasserbauwerke durch den Störfall „Langandauernder Ausfall der Hauptwärmesenke" unter Ziffer 1.3.1 abgedeckt. Nicht abgedeckt hingegen werden Erdbebenauswirkungen auf das Reaktorhilfsanlagengebäude. Sie stellen vielmehr selbst einen radiologisch repräsentativen Störfall („RA") dar 233 .

226 So die Definition in der Vorbemerkung zu den Störfallberechnungsgrundlagen für die Störfall-Leitlinien ( = Anhang III, Ziff. 3.33). 227 So Bochmann, Auslegung, S. 27 und Feldmann, ET 1983, 385 (390). 228 So Hohlefeider, ET 1983, 392 (395). 229 Bochmann, Auslegung, S. 27. 230 So auch Feldmann, ET 1983, 385 (390) und Hohlefelder, ET 1983, 392 (395), allerdings wohl mit der weitergehenden Aussage, daß der bei Bochmann nur als Forderung formulierte Grundsatz von den Störfall-Leitlinien erfüllt sei. 231 So ausdrücklich Vorbemerkung zu den Störfallberechnungsgrundlagen für die Störfall-Leitlinien ( = Anhang III, Ziff. 3.33). 232 s. Vorbemerkung und Ziff. 3. der Störfallberechnungsgrundlagen für die StörfallLeitlinien ( = Anhang III, Ziff. 3.33).

233

Vgl. Teil 2, Ziff. I. 7.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

209

(3) Bedeutung der Stör fall-Leitlinien

Die Bedeutung der Störfall-Leitlinien liegt darin, daß sie Auslegungsstörfälle auflisten, Grundlagen der Störfallanalyse bestimmen, die vom Antragsteller zu erbringenden Nachweise postulieren und darüber hinaus auch, daß sie vereinzelt bestimmte Maßnahmen, d. h. Mittel, vorschreiben 234. Damit tragen die StörfallLeitlinien zur Konkretisierung des § 28 Abs. 3 StrlSchV bei und füllen eine Lücke, die in der Literatur mehrfach beklagt worden war und die man mit einer Merkpostenaufstellung 235 zu überbrücken versucht hatte, was dogmatisch aber nicht befriedigte, da diese Merkpostenaufstellung in § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV nicht aufgeführt ist und deshalb an der Rechtswirkung dieser Norm nicht teilnehmen konnte 236. Das Maß für die Ausgrenzungen aus der Liste der Auslegungsstörfälle (hinsichtlich der Störfallanalyse und der zu erbringenden Nachweise) ist das von den Ereignissen ausgehende Risiko, d.h. das Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß. Das klingt in den Störfall-Leitlinien mehrfach an. Zum einen werden — wie oben ausgeführt 237 — bestimmte externe zivilisatorische Einwirkungen sowie Betriebstransienten aus der Liste der Auslegungsstörfälle ausgegrenzt und „wegen ihres geringen Risikos" dem Bereich der Risikominimierung und damit dem Unfall zugeschlagen. Zum anderen muß die Auswahl der radiologisch repräsentativen Störfälle („RA") repräsentativ sein für die Eintrittswahrscheinlichkeiten der repräsentierten, d. h. abzudeckenden Ereignisabläufe und für deren anlageninterne und -externe Folgen, d. h. deren Schadensausmaß238. Darüber hinaus erwähnen die Störfall-Leitlinien in Teil 1, Ziff. 4.6 ausdrücklich die beiden Faktoren des Risikos, Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß. Unbefriedigend bleibt, daß sich in den Störfall-Leitlinien nirgends eine nachvollziehbare quantitative Überlegung zum Risiko finden läßt. Zwar läßt sich erkennen, daß das Risiko zum Maß erhoben worden ist; in den StörfallLeitlinien wird dann aber lediglich ein unbegründetes Ergebnis in Form der Auslegungsstörfall-Tabellen und anderer Festlegungen präsentiert. Insbesonde234

Vgl. ζ. B. Teil 2, Ziff. I. 7 der Störfall-Leitlinien: „Gebäudeauslegung gegen Bemessungserdbeben gemäß K T A 2201.1, Klasse 1; erdbebenfeste Gebäudeabschlußklappen; Erhaltung der Brandabschnitte; . . . " oder Teil 2, Ziff. II. 4: „Ausführung der Frischdampfleitung als Doppelrohr", „Kompaktarmaturenblock außerhalb des Sicherheitsbehälters" oder Teil 2, Ziff. II. 6: „Auslegung und Betrieb der Hebezeuge gemäß K T A 3902 und 3903". 235 Merkpostenaufstellung mit Gliederung für einen Standardsicherheitsbericht für Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktor oder Siedewasserreaktor ( = Anhang III, Ziff. 3.5). 236 y g i hierzu Lukes IFeldmannIKnüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 189ff.; Marburger, Schadensvorsorge, S. 92, 132. 237 Vierter Teil D. III. 2.0 bb) (2) (a). 238 s. oben Vierter Teil D. III. 2.0 bb) (2) (d). 14 Luckow

210

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

re offenbaren die Störfall-Leitlinien nicht, innerhalb welcher Eintrittswahrscheinlichkeiten sich ein Auslegungsstörfall zu bewegen hat (Soll-Aussage) und ob und wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit für die einzelnen, schließlich ausgewählten Ereignisse veranschlagt worden ist (Ist-Aussage). Dies ist um so bedauerlicher, als die Eintrittswahrscheinlichkeit bei Störfallen und Unfällen der bestimmende Risikofaktor ist 239 und als sie damit auch die zentrale Rolle bei der Bestimmung der Nahtstelle zwischen Störfall und Unfall spielt. Diese Nahtstelle ist indessen höchst bedeutsam, weil die herrschende Genehmigungspraxis Störfall und Unfall verschiedenen Bereichen zuordnet (Gefahrenabwehr bzw. Risikominimierung), in denen jeweils gegenteilige Grundsätze gelten; bei der Gefahrenabwehr: keine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, Individualrisiko, Drittschutz, Dosisgrenzwerte; bei der Risikominimierung: Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, Bevölkerungsrisiko, kein Drittschutz, Strahlenminimierung 240. Wenn sich die Störfall-Leitlinien schon nicht auf Rahmenwerte für Eintrittswahrscheinlichkeiten bei Störfallen und Unfällen 241, d. h. auf eine Soll-Aussage, festlegen wollten, so hätten sie wenigstens angeben können, wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit für die in die Tabellen aufgenommenen Auslegungsstörfalle jeweils veranschlagt worden ist. Aus solchen Ist-Aussagen hätte sich zumindest ableiten lassen, innerhalb welchen Spektrums sich die Eintrittswahrscheinkeiten der aufgelisteten Auslegungsstörfalle bewegen. Darüber hinaus könnten derartige Ist-Aussagen erste Anhaltspunkte und -linien für die Bestimmung der Soll-Werte liefern. Da dies aber alles unterblieben ist, bleibt es — neben dem Unbehagen, ob die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Auslegungsstörfalle überhaupt ermittelt und veranschlagt worden sind — bei dem Befund, daß die Störfall-Leitlinien Ergebnisse präsentieren, die weder nachvollziehbar noch quantitativ faßbar sind und nur den Anspruch erheben können, auf „der bisherigen Praxis" und den „bisherigen Erfahrungen bei der sicherheitstechnischen Analyse, der Begutachtung und dem Betrieb von Druckwasserreaktoren" zu fußen 242. Bei diesem Befund erscheint es recht fragwürdig, ob die Genehmigungsbehörde die erforderliche Vorsorge gegen Störfälle tatsächlich als getroffen ansehen kann, wenn der Antragsteller die Anlage gegen die Störfälle in Teil 2 der Leitlinien ausgelegt hat 243 . Es spricht vielmehr einiges dafür, daß sich die Genehmigungsbehörde trotz der bestehenden Störfall-Leitlinien im Einzelfall 239

So wohl auch Marburger,

Schadensvorsorge, S. 88 und Hohlefelder,

ET 1983, 392

(395). 240

Vgl. Übersicht bei Hohlefelder, ET 1983, 392 (396) ( = Anhang V). Vgl. hierzu Marburger, Schadensvorsorge, S. 88. 242 Vgl. Teil 2, Abs. 1 der Störfall-Leitlinien. 243 So ausdrücklich Teil 1, Ziff. 3.3 der Leitlinien. Diese Ziffer ist in ihrem Wortlaut und ihrer Ausgestaltung als Vermutungsklausel dem § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV nachempfunden. 241

D. Sicherheitsanforderungen auf unter gesetzlichen Ebenen

211

mit Eintrittswahrscheinlichkeiten befassen muß, da diese in den Leitlinien ausgespart sind 244 . Dies stellt aber die eben zitierte Vermutungsklausel der Ziffer 3.3 in Teil 1 der Leitlinien in Frage und torpediert den in Ziffer 1 selbst vorgegebenen Konkretisierungszweck. cc) RSK-Leitlinien (1) Rolle der Reaktor-Sicherheitskommission

Das Genehmigungsverfahren nach § 7 AtG wird von den Ländern im Auftrag des Bundes durchgeführt (Art. 87 c GG, §24 Abs.l Satz 1 AtG). Bei der Auftragsverwaltung unterstehen die Landesbehörden den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden (Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG). Für den Bereich der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes ist die Zuständigkeit dem Bundesminister des Innern übertragen worden 245. Tatsächlich werden die in Auftragsverwaltung durchgeführten atomrechtlichen Genehmigungsverfahren weitgehend durch Weisungen des Bundesministers des Innern gesteuert24**. Bei der Wahrnehmung der Bundesaufsicht gem. Art. 85 GG läßt sich der Bundesminister des Innern u.a. von der Strahlenschutz- und der ReaktorSicherheitskommission beraten 247. Die Mitglieder dieser Beratungsgremien kommen aus Naturwissenschaft und Technik248. Während die Strahlenschutzkommission nicht zu jedem kerntechnischen Einzelprojekt Stellung nimmt 249 , gibt die Reaktor-Sicherheitskommission zu jedem kerntechnischen Vorhaben Empfehlungen 250, obgleich sich ihre Beratungen auf „Probleme grundsätzlicher 244 Insoweit bleibt es im wesentlichen bei dem Rechtszustand, der in der Zeit vor dem Erlaß der Störfall-Leitlinien galt. Vgl. hierzu Lukes / Feldmann / Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 190. 245 Vgl. Organisationserlaß des Bundeskanzlers v. 15.12.1972 (BAnz. Nr. 118 v. 29. 6. 1973,S. 1) und BT-Ds. 7/3871, S. 32. Dieser Organisationserlaß wirkt sich teilweise auch auf den Erlaß von Rechtsverordnungen aus; denn er bezeichnet den „für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständigen Bundesminister" (§ 54 Abs. 1 Satz 3 AtG). Der Organisationserlaß enthält hingegen keine Delegation i. S. des § 54 Abs. 3 AtG. 246 Vgl. Rittstieg, Konkretisierung, S. 82; Marburger, Schadensvorsorge, S. 137 m.w.N. 247 Vgl. § 2 Abs. 1 der Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0). 248 Vgl. § 3 Abs. 1 der Bekanntmachung über die Bildung einer Strahlenschutzkommission ( = Anhang I I I , Ziff. 5.0) und §7 der Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0). Zur Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise der beiden Kommissionen vgl. die beiden eben genannten Bekanntmachungen und Rittstieg, Konkretisierung, S. 83 f. 249 Vgl. den Katalog ihrer Empfehlungen ( = Anhang III, Ziffern 5.1 ff.). 250 Vgl. den Katalog ihrer Empfehlungen ( = Anhang III, Ziffern 4.2 ff.) und im einzelnen Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziffern 4.2 ff.; Pfaffelhuber, ET 1978,151 (153). 14*

21

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Bedeutung" konzentrieren sollen251. Über diese Empfehlungen zu den einzelnen Projekten hinaus hat die Reaktor-Sicherheitskommission Leitlinien für Druckwasserreaktoren 252 verabschiedet. (2) Funktion, Inhalt und Bedeutung der RSK-Leitlinien

Die RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren enthalten eine von den Einzelprojekten losgelöste Zusammenfassung sicherheitstechnischer Anforderungen, die „bei der Auslegung, dem Bau und dem Betrieb eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor erfüllt werden sollen" 253 . Auch ihrer im Vorwort zum Ausdruck gebrachten Zweckbestimmung sollen die Leitlinien den Beratungsprozeß innerhalb der Reaktor-Sicherheitskommission vereinfachen und bereits frühzeitig Hinweise auf die von der Reaktor-Sicherheitskommission für notwendig erachteten Sicherheitstechnischen Anforderungen geben. Ebenso wie die Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke 254 enthalten die RSKLeitlinien überwiegend Schutzzielbestimmungen255. Die Ziele sind in den RSKLeitlinien aber präziser und enger gefaßt als in den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke. Die RSK-Leitlinien stellen an die verschiedenen Teile und Systeme eines Druckwasserreaktors konkrete technische Anforderungen, ohne jedoch die technischen Mittel zur Verwirklichung dieser Anforderungen zu benennen. Beispielsweise verlangt Ziff. 4.1.2 Abs. 2 der RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren 256: „Die Druckführende Umschließung des Reaktorkühlmittels muß so ausgelegt werden, daß sie hinreichend oft den während des bestimmungsgemäßen Betriebs und bei Störfallen maximal auftretenden Belastungen ausgesetzt werden kann."

Innerhalb der RSK-Leitlinien läßt sich ein gestaffeltes System erkennen, das Ziele in Unter- und Unter-Unterziele aufschlüsselt. Beispielsweise schreibt Ziff. 4.1.2 Abs. 6 der RSK-Leitlinien vor: Satz 1: „Durch Werkstoffauswahl und sachgerechte Formgebung, Schweißung und Wärmebehandlung muß an allen Stellen der Druckführenden Umschließung bei allen betriebs- und störfallmäßig durchfahrbaren Anlagenzuständen ein ausreichend zäher Werkstoffzustand während der Lebensdauer der Anlage erhalten bleiben." Satz 2: „Dieses ist u. a. durch eine Begrenzung der maximalen Neutronenfluenz im kernnahen Bereich der Wand des Reaktordruckbehälters auf 1 · 10 19 cm 2 (Energie > 1 MeV) sicherzustellen."

251

So ausdrücklich § 2 I I I der Bekanntmachung über die Bildung einer ReaktorSicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0). 252 Anhang III, Ziff. 4.1.1. 253 Vorwort der RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren ( = Anhang III, Ziff. 4.1.1). 254 255 256

s. hierzu oben Vierter Teil D. III. 2.f) aa). So auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 138. Anhang III, Ziff. 4.1.1.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

2

Der zitierte Satz 1 des Absatzes 6 ist ein Unterziel des weiter oben zitierten Absatzes 2 der Ziffer 4.1.2. Der zuletzt zitierte Satz 2 des Absatzes 6 ist wiederum ein Unterziel des Satzes 1 des Absatzes 6. Auch bei der Aufschlüsselung in Unter- und Unter-Unterziele bleiben die technischen Mittel zur Erreichung dieser Ziele jedoch ungenannt und damit offen. So enthält ζ. B. die in Satz 2 des Absatzes 6 geforderte „Begrenzung" keine Aussage über das technische Mittel zur Einhaltung des vorgegebenen Grenzwerts. Dementsprechend enthalten die RSK-Leitlinien zahlreiche weiterführende Verweisungen. Einerseits wird auf die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses Bezug genommen257, andererseits aber auch auf ausländische Normung 258. Die im Vergleich zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke präzisere Fassung der RSK-Leitlinien und die zahlreichen Verweisungen der RSKLeitlinien auf die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses geben Anhaltspunkte für den Standort der RSK-Leitlinien. Hinsichtlich ihres Konkretisierungsgrades stehen sie zwischen den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke und den technischen Regelwerken259. Für die Genehmigungspraxis sind die RSKLeitlinien von großer Bedeutung, da sich der Bundesminister des Innern bei seinen Weisungen auf die Leitlinien bezieht und diese im Einzelfall für die jeweils angewiesene Genehmigungsbehörde verwaltungsintern verbindlich werden 260. 3. Schlußfolgerungen bezüglich der verwaltungsinternen Regelungen

a) Unübersichtlichkeit

Die Ebene der verwaltungsinternen Regelungen ist höchst unübersichtlich, was die Anwendung der Regelungen wesentlich erschwert. Die Unübersichtlichkeit hat mehrere Gründe. Die verwaltungsinternen Regelungen tragen die unterschiedlichsten Bezeichnungen, haben eine Vielzahl von Urhebern, werden höchst uneinheitlich, manchmal überhaupt nicht veröffentlicht, ihre Zahl und ihr Umfang sind sehr beträchtlich und sie sind inhaltlich untereinander in vielfältiger Weise verschränkt 261. Angesichts dieser Unübersichtlichkeit kann man wohl kaum von einem „System unterhalb der Rechtsetzungsebene" sprechen262. Die Ebene der verwaltungsinternen Regelungen könnte dann 257

Vgl. z.B. Ziff.4.1 der RSK-Leitlinien ( = Anhang III, Ziff. 4.1.1). Vgl. z.B. Ziff. 5.1 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 der RSK-Leitlinien, die auf einen „ANSStandard" verweist. Der Verfasser vermutet hinter der Abkürzung „ A N S " die American Nuclear Society; vgl. Koelzer, Lexikon, S. 6. 259 So auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 139. 260 y g i Rittstieg, Konkretisierung, S. 84 und Marburger, Schadensvorsorge, S. 138 m.w.N. Rittstieg spricht — mißverständlich — von einer „Außenwirkung" der RSKLeitlinien, wobei unklar bleibt, ob der Adressat der Wirkung außerhalb der ReaktorSicherheitskommission, des Bundesministeriums des Innern oder der Landesgenehmigungsbehörde anzusiedeln ist. 258

261 262

s. hierzu oben Vierter Teil D. III. 2.a), c), e). So aber Bochmann, Auslegung, S. 26.

2

1

4

.

Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

übersichtlicher werden, wenn die oben263 vorgeschlagenen Strukturierungsansätze aufgegriffen würden. Diese Ansätze ermöglichen bei konsequenter Durchführung eine inhaltliche und normative Systematisierung der Ebene der verwaltungsinternen Regelungen. b) Konkretisierungsbedürftigkeit

und Verweisungen

Die verwaltungsinternen Regelungen enthalten fast ausschließlich Schutzzielbestimmungen, die einer weiteren Konkretisierung bedürfen 264. Zum Teil werden sie durch andere verwaltungsinterne Regelungen, also auf der gleichen Regelungsebene, konkretisiert (die Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke ζ. B. durch die Interpretationen und Praxisbeschreibungen sowie durch die RSKLeitlinien); zum Teil verweisen die verwaltungsinternen Regelungen aber auch auf technische Regelwerke oder auf ausländische Normung, d.h. auf eine andere, tieferstehende Regelungsebene, die weitere Konkretisierungen bringt. So nehmen ζ. B. die Störfall-Leitlinien, die Störfallberechnungsgrundlagen oder die RSK-Leitlinien Bezug auf Regeln des Kerntechnischen Ausschusses265 und die Sicherheitsanforderungen für Kernbrennstoffversorgungsanlagen 266 Bezug sowohl auf inländische technische Regelwerke (DIN und KTA-Regeln) als auch auf ausländische bzw. internationale Normung (ANSI, ISO-Norm, ORO, USAEC), wobei die dort angegebenen Fundstellen wegen fehlender Abkürzungserklärungen und fehlender Ortsangaben dem Anwender Schwierigkeiten bereiten können267. c) Rechtliche Bedeutung der verwaltungsinternen

Regelungen

Allgemeine Verwaltungsvorschriften und sonstige verwaltungsinterne Regelungen schaffen kein objektives Recht268; sie sind keine Rechtsnormen mit allgemein verbindlicher Geltung269.

263

Vierter Teil D. III. 2.e). So auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 135, 137f. 265 Z.B. Störfall-Leitlinien ( = Anhang III, Ziff. 3.33) auf KTA-Regel 2201.1 ( = Anhang IV), Ziff. 2.4.1 Störfallberechnungsgrundlagen ( = Anhang III, Ziff. 3.33) auf KTA-Regel 3405 ( = Anhang IV), Ziff. 4.1 RSK-Leitlinien ( = Anhang III, Ziff. 4.1.1) auf KTA-Regeln 3201.1, 3201.2 und 3201.3 ( = Anhang IV). 264

266

Teil I, Ziff. 3., S. 41 ff. ( = Anhang I I I , Ziff. 3.11). ANSI steht für American National Standards Institute (vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 398), ISO für Internationale Standardisierungsorganisation (vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 446) und USAEC für United States Atomic Energy Commission, die Ende 1974 aufgelöst worden ist (vgl. Koelzer, Lexikon, S. 155). 268 Vgl. BVerfG, EuGRZ 1983, 572 (574). 269 So auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 144. 267

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

2

aa) Gegenüber Genehmigungsbehörden Gegenüber der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde erlangt eine verwaltungsinterne Regelung allerdings dann Bindungswirkung, wenn entweder der Bundesminister des Innern bei seinen Weisungen an die Genehmigungsbehörde gem. Art. 85 Abs. 3 GG auf die Regelung Bezug nimmt oder wenn die Genehmigungsbehörde sich durch Anwendung der Regelung in einem gleichgelagerten Fall über den Gleichheitssatz des Art. 3 GG an sie selbst gebunden hat. Außerdem wird eine Bindungswirkung für die Genehmigungsbehörde immer dann anzunehmen sein, wenn die verwaltungsinterne Regelung von einem Gremium verabschiedet worden ist, in dem das Land der Genehmigungsbehörde Mitglied ist; denn hierbei handelt es sich um Verpflichtungen aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag. Somit binden z.B. die verwaltungsinternen Regelungen, die von den Regierungschefs von Bund und Ländern oder vom Länderausschuß für Atomkernenergie beschlossen worden sind 270 , die atomrechtlichen Landesgenehmigungsbehörden271, soweit normativ nichts anderes bestimmt ist 272 . Im übrigen entfalten die verwaltungsinternen Regelungen gegenüber den Genehmigungsbehörden keinen Befolgungszwang; die Genehmigungsbehörden haben sie lediglich im Rahmen der Sachverhaltsermittlung (§14 AtVfV) als Entscheidungshilfen heranzuziehen273. Dieç gilt insbesondere für die verwaltungsinternen Regelungen des Bundesministers des Innern sowie der ReaktorSicherheits- und Strahlenschutzkommission274, soweit sie nicht über eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG Bindungswirkung erlangt haben. So sieht ζ. B. auch der Bundesminster des Innern in seiner Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen eine bloße „Entscheidungsregel", die die zuständigen Behörden bei der Prüfung der atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen zugrunde legen275. Auch die Störfall-Leitlinien des Bundesministers des Innern 276 entfalten gegenüber der Genehmigungsbehörde keine Bindungswirkung. Dies ergibt sich u. a. aus § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV, der lediglich eine Vermutungsklausel enthält. Der Versuch, verwaltungsinternen Regelungen über die Figur der „Allgemeinen Weisung" Bindungswirkung gegenüber den Genehmigungsbehörden zu 270

Vgl. hierzu oben Vierter Teil D. III. 2.a). Das übersieht wohl Marburger, Schadensvorsorge, S. 144. 272 Gemäß §28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV haben z.B. die Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke ( = Anhang I I I , Ziff. 3.1), die vom Länderausschuß für Atomkernenergie festgelegt werden, gegenüber der Genehmigungsbehörde lediglich eine Vermutungs-, aber keine Bindungswirkung. 273 So ausdrücklich Marburger, Schadensvorsorge, S. 144. 274 Vgl. hierzu oben Vierter Teil D. III. 2.a). 275 y g i Y o r w o r t zu dieser Richtlinie ( = Anhang III, Ziff. 3.6). 271

276

Anhang III, Ziff. 3.33.

21

. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

verleihen 277, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Eine systematische Auslegung des Art. 85 GG ergibt, daß dessen Absatz 2 für abstrakt-generelle Regelungen allgemeine Verwaltungsvorschriften vorsieht, so daß Weisungen i. S. des Absatzes 3 nur für den Einzelfall in Frage kommen können. Die Figur der „Allgemeinen Weisung" hat im System des Art. 85 GG somit keinen Platz 278 . bb) Gegenüber der Judikative Gegenüber der Judikative haben die verwaltungsinternen Regelungen keine Bindungswirkung, da sie kein objektives Recht schaffen und somit keine Rechtsnormqualität besitzen279. Ob die Figur des antizipierten Sachverständigengutachtens280 vom Immissionsschutzrecht auf das Atomrecht übertragen werden kann 281 , kann hier offenbleiben; denn das antizipierte Sachverständigengutachten vermag nichts an der Tatsache der fehlenden normativen Geltung und der fehlenden rechtlichen Bindungswirkung verwaltungsinterner Regelungen zu ändern 282. Im übrigen wäre die Qualifizierung verwaltungsinterner Regelungen als antizipiertes Sachverständigengutachten nicht unproblematisch. Sachverständigengutachten müssen objektiv und unparteiisch sein, dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken der §§ 20 Abs. 1 Nr. 6, 21 Abs. 1 Satz 1 und § 65 Abs. 1 Satz 2 VwVfG i.V. mit §§ 406, 42, 41 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 ZPO. Die Unparteilichkeit ist aber gerade nicht gesichert. Urheber verwaltungsinterner Regelungen ist in der Regel die Exekutive (ζ. B. die Regierungschefs von Bund und Ländern, der Bundesminister des Innern, der Länderausschuß für Atomkernenergie 283). Sähe man verwaltungsinterne Regelungen als antizipierte Sachverständigengutachten, wäre die Exekutive — als Urheber verwaltungsinterner Regelungen — Sachverständiger und somit in einem Verwaltungsprozeß über eine atomrechtliche Genehmigung Sachverständiger und Partei zugleich, was der geforderten Unparteilichkeit des Sachverständigen widerspräche. Diese Bedenken betreffen auch die RSK-Leitlinien, da diese nicht als unparteiliche Gutachten, sondern als Beratungsgrundlage für den Bundesminister des Innern konzipiert sind 284 .

277 Hiervon berichtet Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 100; vgl. auch Bochmann, Auslegung, S. 24. 278 So wohl auch Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 100. 279 Vgl. BVerfG EuGRZ 1983, 572 (574) und BVerwGE 55, 250 (255). 280 s. hierzu BVerwGE 55, 250 (258 ff.). 281 Zu dieser Frage s. Rittstieg, Konkretisierung, S. 206ff. 282 Vgl. BVerwGE 55, 250 (256). 283 s. oben Vierter Teil D. III. 2.a). 284 Ygi g 2 Abs. 1 der Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0). So auch ausdrücklich Rittstieg, Konkretisierung, S. 207 f.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

2

cc) Gegenüber einzelnen Gegenüber dem einzelnen haben verwaltungsinterne Regelungen wegen fehlender Rechtsnormqualität ebenfalls keine Bindungswirkung 285. Dies gilt sowohl für Hersteller, Errichter und Betreiber kerntechnischer Anlagen als auch für Personen, die von kerntechnischen Anlagen betroffen sind 286 . Verwaltungsinterne Regelungen können dem einzelnen gegenüber — allenfalls — mittelbar verbindlich werden, wenn und soweit die Genehmigungsbehörde in ihrer Einzelentscheidung Bezug auf verwaltungsinterne Regelungen nimmt 287 . Wegen ihrer fehlenden Rechtsnormqualität bringen die verwaltungsinternen Regelungen dem einzelnen keine Rechtssicherheit. Gleichwohl ist ihre faktische Bedeutung für den einzelnen in der Genehmigungspraxis nicht zu unterschätzen; denn verwaltungsinterne Regelungen geben dem einzelnen Hinweise auf für notwendig erachtete sicherheitstechnische Anforderungen bzw. Rahmenbedingungen288. Damit liefern verwaltungsinterne Regelungen dem einzelnen zwar eine gewisse Richtschnur, an der er sich orientieren kann; sie können aber für oder gegen den einzelnen keine Rechte oder Pflichten begründen. d) Rolle der Gremien

aa) Gremien ohne normative Legitimation Ein beträchtlicher Teil der verwaltungsinternen Regelungen wird von Gremien erlassen, die normativ, d. h. durch Gesetz oder Rechtsverordnung, nicht vorgesehen sind. Derartige normativ nicht legitimierte Gremien sind ζ. B. der Länderausschuß für Atomkernenergie, die Reaktor-Sicherheits- und die Strahlenschutzkommission, die Gesellschaft für Reaktorsicherheit, das Institut für Reaktorsicherheit, die TÜV-Leitstelle Kerntechnik sowie Ad-hoc-Arbeitsgruppen, die vom Bundesminister des Innern gebildet werden 289. Einige dieser Gremien sind durch einen exekutiven Organisationserlaß geschaffen worden, ζ. B. die Reaktor-Sicherheits- und die Strahlenschutzkommission. Die Mitgliederzahl wurde indessen für beide Kommissionen nicht exakt festgelegt; § 1 der Bekanntmachung über die Bildung einer ReaktorSicherheitskommission290 spricht von „etwa" 20 Mitgliedern, § 3 Abs. 1 der Bekanntmachung über die Bildung einer Strahlenschutzkommission291 von „in der Regel" 15 Mitgliedern. 285

So ausdrücklich BVerfG EuGRZ 1983, 572 (574). Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 144 und BVerwGE 55, 250 (255). 287 Ähnlich Marburger, Schadensvorsorge, S. 144 f. 288 Vgl. z.B. Vorwort der RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren ( = Anhang III, Ziff. 4.1.1). 289 Vgl. oben Vierter Teil D. III. 2.a). 290 Anhang III, Ziff. 4.0. 291 Anhang III, Ziff. 5.0. 286

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

bb) Einfluß privater Gremien und Privater in Gremien auf Normkonkretisierung Einige der Gremien sind privatrechtlich organisiert, ζ. B. die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mbH, das Institut für Reaktorsicherheit (1RS) der Technischen Überwachungs-Vereine e. V. sowie die TÜV-Leitstelle Kerntechnik bei der Vereinigung der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV). Mit ihren Praxisbeschreibungen bzw. Weisungsbeschlüssen292 üben diese privaten Gremien einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Ausfüllung und Konkretisierung unbestimmter Gesetzesbegriffe aus. Darüber hinaus haben diese privaten Gremien einen mittelbaren, aber gleichwohl nicht unerheblichen Einfluß auf die Normkonkretisierung, soweit sie verwaltungsinterne Regelungen im Auftrag der Exekutive erstellen. So heißt es z.B. im Vorwort der Sicherheitsanforderungen für Kernbrennstoffversorgungsanlagen 293 ausdrücklich, daß diese Sicherheitsanforderungen, die die Gesellschaft für Reaktorsicherheit mbH im Auftrag des Bundesministers des Innern erstellt hat, „eine nähere Bestimmung des Standes von Wissenschaft und Technik im Hinblick auf die nach § 7 AtG erforderliche Vorsorge" darstellen. Ein nicht zu unterschätzender Einfluß Privater auf die Normkonkretisierung geht auch von den Mitgliedern der Reaktor-Sicherheits- und der Strahlenschutzkommission aus. Zwar sind die Kommissionen durch ihre Anbindung beim Bundesminister des Innern 294 öffentlich-rechtlicher Natur, im Vordergrund stehen aber die fachkundigen Meinungen und Anschauungen der einzelnen unabhängigen und weisungsungebundenen, nicht vertretbaren Mitglieder 295, d. h. die Meinungen und Anschauungen Privater, die dann lediglich in einer Kommission gebündelt werden. cc) Faktische Dominanz von Naturwissenschaft und Technik bei wertender Entscheidung Einige der Gremien setzen sich aus Mitgliedern zusammen, die aus Naturwissenschaft und Technik kommen. Dies sind die Reaktor-Sicherheits- und die Strahlenschutzkommission296, die Gesellschaft für Reaktorsicherheit, das Insti292

Vgl .Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10 und A. 9.3. Anhang III, Ziff. 3.11. 294 Vgl. § 1 Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0), § 1 Abs. 1 Bekanntmachung über die Bildung einer Strahlenschutzkommission ( = Anhang III, Ziff. 5.0). 295 Vgl. § 3 Abs. 1 Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0) und § 3 Abs. 3 Bekanntmachung über die Bildung einer Strahlenschutzkommission ( = Anhang III, Ziff. 5.0). 296 Vgl. § 7 der Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0) und § 3 Abs. 1 der Bekanntmachung über die Bildung einer Strahlenschutzkommission ( = Anhang III, Ziff. 5.0). 293

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

29

tut für Reaktorsicherheit und die TÜV-Leitstelle Kerntechnik bei der Vereinigung der Technischen Überwachungsvereine. Naturwissenschaft und Technik haben bei der Bestimmung und der Konkretisierung sicherheitsrelevanter Genehmigungsvoraussetzungen — theoretisch — einen präzis abgesteckten Aufgabenbereich. Wie oben dargelegt 297, vollzieht sich die Bestimmung bzw. die Konkretisierung sicherheitsrelevanter Genehmigungsvoraussetzungen in zwei Phasen. Zunächst sind die sicherheitsrelevanten Tatsachen zu ermitteln; unter Berücksichtigung dieser ermittelten Tatsachen schließt sich eine wertende Entscheidung an. Für die Ermittlung der sicherheitsrelevanten Tatsachen sind Naturwissenschaft und Technik, für die wertende Entscheidung ausschließlich die staatliche Gewalt zuständig. Naturwissenschaft und Technik entscheiden insbesondere nicht über die Erforderlichkeit von Mitteln gegen Schadensmöglichkeiten und somit auch nicht (negativ) darüber, welcher Rest an Schadensmöglichkeiten in Kauf genommen, d.h. ob ein durch sie ermitteltes Risiko akzeptiert werden soll. Bei der Frage der Erforderlichkeit und der Akzeptanz kommt der Naturwissenschaft und Technik allenfalls eine vorbereitende Hilfsfunktion zu. Diese staatsrechtlich gebotene Aufgabenteilung zwischen Naturwissenschaft und Technik einerseits und staatlicher Gewalt andererseits scheint, betrachtet man die Ebene der verwaltungsinternen Regelungen genau, nicht immer eingehalten zu werden. Die Reaktor-Sicherheitskommission, deren Mitglieder ausschließlich aus Naturwissenschaft und Technik kommen298, nimmt z.B. zu Fragen der Risikoakzeptanz, d.h. zur wertenden Entscheidung, die der staatlichen Gewalt vorbehalten ist, Stellung. In Ziffer 4.2 der Empfehlung zum Brennelementzwischenlager Ahaus und Gorleben 299 stellt sie z.B. fest: „Der Lastfall Explosionsdruckwelle gehört ebenso wie der Lastfall Flugzeugabsturz wegen seines geringen Risikos zu den dem Bereich des Restrisikos zuzuordnenden hypothetischen Ereignissen . . . " .

Derartige Stellungnahmen und Empfehlungen haben eine bloß vorbereitende Hilfsfunktion, wenn und solange die staatliche Gewalt diese Stellungnahmen und Empfehlungen als solche versteht, sie kritisch würdigt und überprüft. Daran scheint es in der Praxis aber zu fehlen. Es hat den Anschein, als übernehme die staatliche Gewalt (insbesondere die Exekutive, weniger wohl die Judikative) die Stellungnahmen und Empfehlungen von Naturwissenschaft und Technik zur wertenden Entscheidung weitgehend unkritisch und daher wohl auch ungeprüft, so daß Naturwissenschaft und Technik faktisch die dominierende Rolle bei der — an sich der staatlichen Gewalt vorbehaltenen — wertenden 297

s. Vierter Teil B. Vgl. § 7 der Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission ( = Anhang III, Ziff. 4.0). 299 Anhang I I I , Ziff. 4.6.13. 298

20

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Entscheidung spielen300. Zwar wird man Naturwissenschaft und Technik nicht verwehren können und dürfen, auch zu Wertungsfragen — abstrakt-generell oder konkret-individuell — Stellung zu nehmen. Die staatliche Gewalt muß aber ihr Bewußtsein dafür schärfen, daß Naturwissenschaft und Technik im Bereich der wertenden Entscheidung nur eine vorbereitende Hilfsfunktion bekleiden und kein Entscheidungsmonopol besitzen, dem sich die staatliche Gewalt unterwerfen müßte. Die wertende Entscheidung über die Erforderlichkeit von Mitteln und die Akzeptanz von Risiken obliegt der staatlichen Gewalt, die hierbei zwar auf Stellungnahmen und Empfehlungen von Naturwissenschaft und Technik zurückgreifen kann, in ihrer wertenden Entscheidung aber unabhängig zu sein hat. e) Verwaltungsinterne mit Leichtwasserreaktoren

Regelungen für Kernkraftwerke und übrige kerntechnische Anlagen

In Zahl und Umfang überwiegen bei weitem die verwaltungsinternen Regelungen für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren. Für die übrigen Anlagen im Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren existieren außer einigen Empfehlungen der Reaktor-Sicherheits- und der Strahlenschutzkommission nur wenige verwaltungsinterne Regelungen301. Für Anlagen im Brennstoffkreislauf für Schnelle Brutreaktoren gibt es derzeit nur eine spezifische Regelung. Angesichts dieses Defizits zeichnet sich insbesondere für die Entsorgungsanlagen im Kreislauf für Leichtwasserreaktoren und für die Ver- und Entsorgungsanlagen im Kreislauf für Schnelle Brutreaktoren ein Nachholbedarf an verwaltungsinternen Regelungen ab. IV. Technische Regelwerke

Unterhalb der Ebene der verwaltungsinternen Regelungen bilden Technische Regelwerke eine weitere Regelungsebene. 1. Arten technischer Regelwerke

Zum einen gibt es technische Regelwerke für die nicht-nukleare Technik, die bei Errichtung und Betrieb kerntechnischer Anlagen ebenfalls eine Rolle spielt. Dies sind z. B. Normen des Deutschen Instituts für Normung (DIN), Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Bestimmungen des Verbands Deutscher Elektrotechniker (VDE), Arbeitsblätter des Deutschen Vereins des Gasund Wasserfaches (DVGW), Werkstoffblätter der Vereinigung der Technischen 300 Die faktische Bedeutung von Wissenschaft und Technik heben auch Degenhart, Kernenergierecht, S. 128 und 131 sowie Marburger, Schadensvorsorge, S. 146 hervor. Beide sprechen von „Vorprägung" durch Wissenschaft und Technik. 301 Vgl. die Zusammenstellung oben Vierter Teil D. III. 2.e)aa).

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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Überwachungs-Vereine (VdTÜV) oder die technischen Vorschriften der technischen Ausschüsse i.S. des § 24 Abs. 4 Satz 3 GewO302. Zum anderen gibt es spezifisch kern technische Regelwerke. Diese können internationaler, ausländischer oder nationaler Natur sein. Internationaler Natur sind z.B.: — die Safety Codes und Safety Guides der Internationalen Atom-EnergieOrganisation (IAEO). Diese sicherheitstechnischen Richtlinien betreffen die deutschen Hersteller kerntechnischer Anlagen insoweit, als sie in Verträgen mit Drittländern häufig für verbindlich erklärt werden 303; — die Standards der Internationalen Standardisierungsorganisation (ISO) 304 ; — die Empfehlungen der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) 305 . Ob und inwieweit die Empfehlungen und sonstigen Instrumente anderer staatlicher und nichtstaatlicher internationaler Organisationen als kerntechnisches Regelwerk anzusehen sind, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit offenbleiben. Dies gilt insbesondere für die Instrumente des United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR), der OECD und ihrer European Nuclear Energy Agency (ENEA), der EURATOM, der International Commission on Radiological Protection (ICRP), der International Commission on Radiological Units and Measurements (ICRU) und der International Nuclear Fuel Cycle Evaluation (INFCE) 306 . Ausländische Regelwerke sind z.B.: — die Normen des American National Standards Institute (ANSI) oder — die Normen der — nicht mehr bestehenden — United States Atomic Energy Commission (USAEC).

302

s. hierzu Marburger, Regeln, S. 66ff., 205ff., 21 Iff., 255f.; Marburger, Schadensvorsorge, S. 139; Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 197f.; Rittstieg, Konkretisierung, S. 85. 303 Ygi Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 199 und Bundesregierung, Dokumentation, S. 396 f. mit einer Auflistung der Safety Codes und Guides. 304 Vgl. Bundesregierung, Dokumentation, S. 397 m.w.N. 305 Ygi Bundesregierung, Dokumentation, S. 397 m.w.N. 306 Zur Rolle dieser Organisationen siehe im einzelnen: UNSCEAR: Kimminich, Atomrecht, S. 199, Fußn. 276, S. 206; Bundesregierung, Dokumentation, S. 413 mit Fußn. 28; Bischof, ET 1978, 671 f. OECD, ENEA: Kimminich, Atomrecht, S. 136, 205, 208-213, 220. EURATOM: Kimminich, Atomrecht, S. 136, 187, 189, 193, 201; Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 106 f.; Hof mann, Entsorgung, S. 142 f.; Bundesregierung, Dokumentation, S. 252, 371. ICRP: Kimminich, Atomrecht, S. 205; Bundesregierung, Dokumentation, S. 251, 255, 370; Bischof, ET 1978, 671 f. ICRU: Bundesregierung, Dokumentation, S. 251; Bischof, ET 1978, 671. INFCE: Patermann, ET 1981, 194-198; Closs, Proliferation, S. 16.

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Deutsche kern technische Regelwerke sind z.B.: — die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses (KTA) 307 und — die DIN-Normen Kerntechnik, Strahlenschutz und Radiologie308. An ihrer Erstellung ist der Normenausschuß Kernenergie (NKe) maßgeblich beteiligt 309 . Die DIN-Normen behandeln den gleichen Gegenstand wie die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses. Obgleich beide Regelwerke wegen ihrer unterschiedlichen Urheber getrennt zu betrachten sind, bestehen zwischen beiden Berührungspunkte. DIN-Normen können zugleich als Regeln des Kerntechnischen Ausschusses ergehen, und Regeln des Kerntechnischen Ausschusses können auch dann in das Deutsche Normenwerk übernommen werden, wenn sie nicht auf Vorarbeiten des Normenausschusses Kernenergie beruhen 310. Auf kerntechnische Regelwerke wird in verwaltungsinternen Regelungen häufig verwiesen. Diese Verweisungen beschränken sich keineswegs auf KTARegeln. Die Sicherheitsanforderungen für Kernbrennstoffversorgungsanlagen311 nehmen z.B. auch Bezug auf Normen der Internationalen Standardisierungsorganisation (ISO), auf Normen des American National Standards Institute (ANSI) sowie der United States Atomic Energy Commission (USAEC) und auf DIN-Normen. 2. Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses

a) Kerntechnischer

Ausschuß

Der Kerntechnische Ausschuß ist durch einen Organisationserlaß des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft gegründet worden 312 und nunmehr beim Bundesminister des Innern angebunden313. Er orientiert sich am Vorbild der technischen Ausschüsse im Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen, hat aber — anders als diese (vgl. § 24 IV GewO) — keine normative Grundlage 314. 307

Dazu sogleich unten 2. Vgl. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 2. 309 Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 143. 310 So ausdrücklich Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 197 m.w.N. Vgl. auch Kuhnt, Technische Regeln, S. 115. 311 Teil I, Ziff. 3./II/, /ΙΟ/, /20/, /4/, /9/ und /18/, S. 41 ff. ( = Anhang III, Ziff. 3.11). 312 Vgl. Bekanntmachung v. 1. 9.1972, BAnz. Nr. 172 v. 13. 9.1972. Zur Entstehungsgeschichte s. Vieweg, Technische Normung, S. 23-27 und Schwarzer/ Eichner, ET 1984, 377. 313 Vgl. Bekanntmachung v. 27.9. 1974, BAnz. Nr. 193 v. 15.10. 1974, und §1 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). 314 Vgl. Vieweg, Technische Normung, S. 24ff.; Rittstieg, Konkretisierung, S. 85; Marburger, Schadensvorsorge, S. 140f.; Scharzer/Eichner, ET 1984, 377. 308

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

2

Wegen seiner Entstehungsgeschichte, seiner Gründung durch die Exekutive, seiner Anbindung bei der Exekutive und seiner Anlehnung an die technischen Ausschüsse i.S. des §24 IV GewO ist der Kerntechnische Ausschuß dem öffentlichen Recht zuzuordnen315. Im übrigen ist der rechtliche Status des Kerntechnischen Ausschusses nicht eindeutig. Das rührt u. a. daher, daß der Kerntechnische Ausschuß zwar beim Bundesminister des Innern gebildet, seine Geschäftsstelle aber verwaltungsorganisatorisch der Gesellschaft für Reaktorsicherheit mbH eingegliedert ist 316 . Vieweg kommt in seiner gründlichen Untersuchung zu dem Ergebnis, daß der Kerntechnische Ausschuß nicht rechtsfähig sei, organisationsrechtlich vom Bundesminister des Innern getragen werde und als ein nebengeordneter Organbzw. Behördenteil des Bundesministeriums des Innern anzusehen sei. Mit dieser Qualifizierung komme einerseits die rechtliche Unselbstständigkeit des Kerntechnischen Ausschusses gegenüber dem Bundesminister des Innern zum Ausdruck; andererseits werde mit dem Merkmal der Nebenordnung die von der Aufgabenstellung her gebotene Verselbständigung in einzelnen Beziehungen veranschaulicht317. Diesem Ergebnis stehe die verwaltungsorganisatorische Eingliederung der KTA-Geschäftsstelle in die Gesellschaft für Reaktorsicherheit nicht entgegen, da diese Eingliederung nur eine Aussagen über die Geschäftsstelle selbst, nicht aber über die organisatorische Zuordnung des Kerntechnischen Ausschusses insgesamt erlaube 318. Der rechtliche Status des Kerntechnischen Ausschusses braucht im Rahmen der vorliegenden Arbeit im einzelnen nicht weiter vertieft zu werden. Vielmehr ist festzustellen, daß trotz der—unbestritten — öffentlich-rechtlichen Natur des Kerntechnischen Ausschusses in ihm mehrheitlich privater Einfluß vertreten ist. Von den fünfzig Mitgliedern des Kerntechnischen Ausschusses sind mindestens 28 Vertreter Privater (10 Vertreter der Hersteller und Ersteller von Atomanlagen, 10 Vertreter der Betreiber von Atomanlagen, 6 Vertreter der Vereinigung der Technischen Überwachungsvereine e.V. und der Technischen Überwachungsvereine e.V. und 2 Vertreter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit mbH) 319 . Da für alle wichtigen Entscheidungen des Kerntechnischen Ausschusses, insbesondere auch für die Aufstellung der Regeln, eine Mehrheit von fünf

315 So im Ergebnis auch Vieweg, Technische Normung, S. 55-75; Rittstieg, Konkretisierung, S. 85; Marburger, Schadensvorsorge, S. 141; Schwarzer/Eichner, ET 1984, 377; Bundesregierung, Dokumentation, S. 391. 316 s. §§ 1 und 5 Abs. 3 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). Vgl. auch Rittstieg, Konkretisierung, S. 86. 317 Vieweg, Technische Normung, S. 89, 101, 116. Hierzu kritisch Marburger, Schadensvorsorge, S. 141 f. 318 Vieweg, Technische Normung, S. 74. 319 Vgl. § 3 Abs. 1 lit. a) Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0).

2

4

.

Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Sechsteln der berufenen fünfzig Mitglieder erforderlich ist 3 2 0 , kann gegen die 28 Stimmen der Privaten keine sicherheitstechnische Regel aufgestellt werden. Daher wird die Aufstellung wegen Aussichtslosigkeit gar nicht erst in Angriff genommen, wenn das Regelvorhaben im Lager der Privaten von vornherein als nicht durchsetzbar erscheint 321. Die Möglichkeit, die Regelerstellung zu blockieren oder zumindest zu verzögern, macht den Einfluß Privater auf das Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses dominant. Diese Feststellung relativiert die Aussage von Vieweg 322, den Behörden Vertretern komme als Wahrern des Allgemeininteresses wegen der qualifizierten Mehrheitserfordernisse ein entscheidender Einfluß bei der Willensbildung im Kerntechnischen Ausschuß zu; denn die Behördenvertreter werden als Wahrer des Allgemeininteresses bei der Regelerstellung eher eine treibende als eine hemmende Kraft sein. Untersucht man die Einflußsphären; aus denen die Mitglieder des Kerntechnischen Ausschusses kommen, noch weiter, so fallt auf, daß die Vertreter wissenschaftlicher Einrichtungen gänzlich unterrepräsentiert sind 323 . Unter den 50 Mitgliedern gibt es nur einen Vertreter der Kernforschungseinrichtungen und einen Vertreter des Bundesministers für Forschung und Technologie; im übrigen dominieren die Vertreter der Technik324. Im Gegensatz zu den unabhängigen, weisungsungebundenen, nicht vertretbaren Mitgliedern der Reaktor-Sicherheits- und der Strahlenschutzkommission sind die Mitglieder des Kerntechnischen Ausschusses Vertreter ihrer jeweiligen Interessengruppe oder Stelle und als solche abhängig, vertretbar und nicht zur Neutralität verpflichtet 325. Sind die Mitglieder eines Gremiums abhängig von Interessengruppen und nicht zur Neutralität verpflichtet, so läßt sich das Gremium selbst, d. h. hier der Kerntechnische Ausschuß, nicht als unabhängig und neutral qualifizieren. Vieweg, der die Unabhängigkeit und Neutralität des Kerntechnischen Ausschusses nur im Verhältnis zum Bundesminister des Innern untersucht, kommt indessen zu dem — insoweit richtigen — Ergebnis, daß der Kerntechnische Ausschuß gegenüber dem Bundesminister des Innern fachlich unabhängig und als nebengeordneter Organteil des Ministeriums auch neutral sei 326 . Vieweg übersieht aber, daß sich eine Untersuchung der Unabhängigkeit und Neutralität des Kerntechnischen Ausschusses nicht auf das Verhältnis zum 320 § 6 Abs. 3 Satz 1 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). 321 Vgl. auch Ritt stieg, Konkretisierung, S. 87, der allerdings die Rolle der Privaten in diesem Zusammenhang nicht herausarbeitet. 322 Vieweg, Technische Normung, S. 149. 323 So auch Vieweg, Technische Normung, S. 240, 245. 324 Vgl. § 3 Abs. 1 Bekanntmachung über die Bildung eines Kern technischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). 325 Vgl. § 3 Abs. 2 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). So auch SchwarzerIEichner, ET 1984, 377 (378). 326 Vieweg, Technische Normung, S. 240f., 245.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

2

Bundesminister des Innern beschränken darf, sondern auch die übrigen Konstellationen einbeziehen muß. b) Aufstellung der sicherheitstechnischen

Regeln

Aufgabe des Kerntechnischen Ausschusses ist es, „auf Gebieten der Kerntechnik, bei denen sich auf Grund von Erfahrungen eine einheitliche Meinung von Fachleuten der Hersteller, Ersteller und Betreiber von Atomanlagen, der Gutachter und der Behörden abzeichnet, für die Aufstellung sicherheitstechnischer Regeln zu sorgen und deren Anwendung zu fördern" 327. Für die Aufstellung der sicherheitstechnischen Regeln ist ein bestimmtes Verfahren vorgeschrieben 328; die vom Kerntechnischen Ausschuß schließlich beschlossenen sicherheitstechnischen Regeln veröffentlicht der Bundesminister des Innern im Bundesanzeiger329. Das Aufstellungsverfahren ist schwerfällig und kompliziert, was die lange Dauer der Erarbeitung einer Regel erklärt. Durchschnittlich vergehen von der Formulierung des Regelthemas bis zur Veröffentlichung der beschlossenen Regel fünf Jahre 330. Im Januar 1984 umfaßte das Regelwerk des Kern technischen Ausschusses 41 beschlossene Regeln, 15 Regelentwürfe und 6 Regeländerungsentwürfe 331. 57 weitere Regeln befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung. Außerdem werden mehrere beschlossene Regeln auf ihre Änderungsbedürftigkeit überprüft 332. Das Regelprogramm des Kerntechnischen Ausschusses umfaßt somit derzeit 113 Vorhaben (41 + 15 + 57) 333 . c) Funktion und Inhalt der sicherheitstechnischen

Regeln

Die Funktion der sicherheitstechnischen Regeln wird in der Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses334 nicht erwähnt. Berg 335 hebt fünf Funktionen hervor, die von den sicherheitstechnischen Regeln 327 § 2 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses (Anhang IV, Ziff. 6.0).

328 Ygi g η Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). s. auch die Flußdiagramme für die Erarbeitung sicherheitstechnischer Regeln des KTA bei Vieweg, Technische Normung, S. 276-279 sowie S. 43-52; Rittstieg, Konkretisierung, S. 87ff.; Marburger, Schadensvorsorge, S. 142; Schwarzerl Eichner, ET 1984, 377 (378 f.). 329 § 7 Abs. 4 Satz 3 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). 330

So ausdrücklich Schwarzer/Eichner, ET 1984, 377 (379). s. Anhang IV. 332 Schwarzer!Eichner, ET 1984, 377 (379). 333 Diese Zahl nennt auch Roser, ET 1984,627. Die Themen des Regelprogramms sind aufgelistet in: Bundesregierung, Dokumentation, S. 391-393. 334 Anhang IV, Ziff. 6.0. 335 Berg, Technische Regeln, S. 97-100. 331

15 Luckow

2

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

„erhofft" werden können: Rationalisierung, Sicherheit, Ausbildung, Rechenschaft und Rechtfertigung. Marburger 336 mißt den sicherheitstechnischen Regeln außerdem die Funktion der Standardisierung von Kernkraftwerken bei. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung interessiert die Sicherheitsfunktion. Die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses sollen die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 AtG) und den nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG erforderlichen Schutz gegen Einwirkungen Dritter durch technische Detailfestlegungen konkretisieren 337. Die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses schreiben — abstrakt-generell — spezielle Lösungsmodelle für das jeweilige Detailproblem fest 338 . Im Gegensatz zu den verwaltungsinternen Regelungen, die fast ausschließlich Schutzzielbestimmungen enthalten, liegt der Schwerpunkt der sicherheitstechnischen Regeln auf der Beschreibung von Wegen und Mitteln, die zur Erreichung andernorts fixierter Ziele gewählt werden können 339 . So legt ζ. B. die sicherheitstechnische Regel KTA 3201.2 (Fassung 10/80) 340 , die sich mit Auslegung, Konstruktion und Berechnung von Komponenten des Primärkreises von Leichtwasserreaktoren befaßt, in ihrem Abschnitt 5 (Konstruktive Gestaltung) die zulässigen Ausführungsformen und Elemente bestimmter Anlagenteile textlich und zum Teil auch zeichnerisch fest 341 und bestimmt in ihrem Anhang A die Dimensionierung der einzelnen Bauteile unter innerem und äußerem Überdruck. Diese technischen Detailfestlegungen sind äußerst umfangreich. Die zitierte KTA-Regel 3201.2 umfaßt allein 92 DIN A 4 Druckseiten. d) Schlußfolgerungen bezüglich des Regelwerks des Kerntechnischen Ausschusses

aa) Struktur des Ausschusses und Aufstellungsverfahren als Hindernis bei der Erfüllung der dem Regelwerk zugeschriebenen Funktion Die KTA-Regeln werden von einem Gremium erstellt, das keine normative Grundlage hat, in dem mehrheitlich privater Einfluß vertreten ist, in dem Vertreter wissenschaftlicher Einrichtungen im Verhältnis zu den Vertretern der Technik sehr stark unterrepräsentiert sind und das — anders als die Reaktor336

Marburger, Schadensvorsorge, S. 143. So ausdrücklich Marburger, Schadensvorsorge, S. 143. s. auch Berg, Technische Regeln, S. 100 und Roser, ET 1984, 627. 338 y g i Marburger, Schadensvorsorge, S. 139. 337

339

Vgl. Kuhnt, Technische Regeln, S. 110, 113. Anhang IV, Ziff. 6. 341 Vgl. ζ. B. Ziff. 5.3.1, Ziff. 5.3.2.1 mit Bildern 5.3 -1 und 5.3-2, Ziff. 5.3.3 mit Bild 5.3 3, Ziff. 5.3.4 Abs. 2 mit Bildern 5.3-4 und 5.3-5, Ziff. 5.3.5 mit Bild 5.3-6, Ziff. 5.3.6 mit Bild 5.3-7. 340

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

2

Sicherheits- und die Strahlenschutzkommission — nicht fachgebiets-, sondern interessenspezifisch zusammengesetzt ist 342 , so daß die Mitglieder von ihrer jeweiligen Interessengruppe abhängig, vertretbar und nicht zur Neutralität verpflichtet sind. Diese Schlußfolgerung ist um so beachtlicher, als den technischen Regelwerken — zu Recht — eine große faktische Bedeutung beigemessen wird 343 . Ob die sicherheitstechnischen Regeln ihre Funktion, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden zu konkretisieren, tatsächlich erfüllen können, muß aus mehreren Gründen bezweifelt werden. Zum einen läßt die beachtliche Unterrepräsentanz der Vertreter wissenschaftlicher Einrichtungen und die damit einhergehende Dominanz der Technik Zweifel aufkommen, ob der Kerntechnische Ausschuß das geeignete Gremium ist, den Stand der Wissenschaft zu konkretisieren. Zum anderen ergeben sich Zweifel wegen des geringen Aktualitätsgrads der sicherheitstechnischen Regeln. Durchschnittlich vergehen von der Formulierung des Regelthemas bis zur Veröffentlichung der beschlossenen Regel fünf Jahre 344. Dabei wird ein Regelvorhaben überhaupt nur dann in Angriff genommen, wenn sich „eine einheitliche Meinung . . . abzeichnet"345 und die erforderliche fünf-Sechstel-Mehrheit als gesichert erscheint346. Im übrigen erweist sich das Änderungsverfahren einer einmal beschlossenen Regel347 nicht zuletzt wegen der wiederum erforderlichen fünf-Sechstel-Mehrheit 348 als schwerfällig, was eine Aktualisierung verzögert. Da die sicherheitstechnischen Regeln somit lediglich einen zeitlich zurückliegenden, allseits konsensfähigen Mindeststandard mit geringer Aktualisierungsaussicht festlegen, muß nachhaltig bezweifelt werden, ob diese Regeln den Stand der Technik, der vom Bundesverfassungsgericht als „Front der technischen Entwicklung" verstanden wird 349 , zu konkretisieren in der Lage sind 350 . Jedenfalls kann schon an dieser Stelle festgestellt werden, daß die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses bei dessen derzeitiger Zusammensetzung und bei den derzeitigen Verfahren für die Erstellung und Änderung der Regeln nicht geeignet sind, der Entwicklung von Wissenschaft und Technik eine bestimmte Richtung zu geben351. 342

Vgl. Vieweg, Technische Normung, S. 239. Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 146. 344 s. oben Vierter Teil D. IV. 2.b). 345 Vgl. § 2 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). 346 So auch Rittstieg, Konkretisierung, S. 87. 347 Vgl. § 7 Abs. 5 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses ( = Anhang IV, Ziff. 6.0). 348 Zu den übrigen Gründen s. Vieweg, Technische Normung, S. 244 f. 349 BVerfGE 49, 89 (135). 350 Dazu s. im einzelnen unten Fünfter Teil Β. II. 2.a). 351 So im Ergebnis wohl auch Kuhnt, Technische Regeln, S. 112; Rittstieg, Konkretisierung, S. 87. 343

15*

2

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

bb) Partielle Konkretisierungsbedürftigkeit und Verweisungen Die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses sind nicht das letzte Glied in der bisher dargestellten Konkretisierungskette. Das hat zwei Gründe. Zum einen enthalten die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses, obgleich sie sich schwerpunktmäßig mit Wegen und Mitteln befassen, zum Teil auch Zwischen- und Unterziele 352, die einer weiteren Konkretisierung durch die Einzelentscheidung der Genehmigungsbehörde bedürfen. Zum anderen finden sich manche Konkretisierungen erst in weiteren technischen Regelwerken, auf die die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses verweisen. Diese in Bezug genommenen Regelwerke, die von privaten Normungsverbänden erstellt sind 353 , können sowohl konventioneller als auch kerntechnischer Natur sein354. Die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses bedienen sich bei der Inbezugnahme der verfassungsrechtlich unbedenklichen statischen Verweisung. So bezeichnet z.B. die bereits erwähnte KTA-Regel 3201.2 (Fassung 10/80) 355 in ihrem Anhang F die in Bezug genommenenen DIN-Vorschriften jeweils genau mit Monat und Jahr. Anders als bei einer dynamischen Verweisung bleibt bei der statischen Verweisung die Verantwortung für die inhaltliche Ausgestaltung der KTA-Regeln beim Kerntechnischen Ausschuß356. cc) Vernachlässigung der Ver- und Entsorgungsanlagen sowie des Schnellen Brutreaktors Das bisher veröffentlichte Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses357 bezieht sich fast ausschließlich auf Kernkraftwerke. Spezifische Regeln für die übrigen Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufs fehlen derzeit noch völlig. Nur einige (unspezifische) Regeln gelten sowohl für Kernkraftwerke als auch für andere Anlagen des Brennstoffkreislaufs 358. Bei den Regeln für die Kernkraftwerke dominieren die Regeln für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren. Neben einer großen Zahl spezifischer Regeln für Leichtwasserreaktoren gibt es derzeit nur für Hochtemperaturreaktoren spezifische Regeln359; für Schnelle Brutreaktoren fehlen spezifische Regeln völlig. Einige (unspezifische) Regeln gelten für alle Arten von Kernkraftwerken 360.

352

So auch Kuhnt, Technische Regeln, S. 110. Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 143; Schwarzer/Eichner, ET 1984, 377 (378). 354 Vgl. hierzu oben Vierter Teil D. IV. 1. 355 Anhang IV, Ziff. 6. 356 Vgl. Rittstieg, Konkretisierung, S. 89. 357 s. Anhang IV, Ziff. 6. 358 Vgl. z.B. KTA-Regeln 3902 (Fassung 6/78) und 3903 (Fassung 11/82) ( = Anhang IV, Ziff. 6). Beide Regeln betreffen Hebezeuge in kerntechnischen Anlagen. 359 Dies sind die KTA-Regeln 3102.1 (Fassung 6/78), 3102.2 (Fassung 6/83) und 3102.3 (Fassung 3/81) ( = Anhang IV, Ziff. 6). 353

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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Das Fehlen spezifischer kerntechnischer Regeln für Wiederaufarbeitungsanlagen und externe Brennelement-Zwischenlager sowie für Schnelle Brutreaktoren verwundert um so mehr, als für diese Anlagen atomrechtliche Genehmigungsverfahren bereits laufen oder sogar schon abgeschlossen sind. Gleichwohl denkt der Kerntechnische Ausschuß — nach Aussagen seines Geschäftsführers — erst für die fernere Zukunft daran, das kerntechnische Regelprogramm auf fortgeschrittene Reaktortypen und auf die übrigen Anlagen des Brennstoff kreislaufs auszudehnen361. Das Fehlen spezifischer kerntechnischer Regeln für fortgeschrittene Reaktortypen und für die übrigen Anlagen des Brennstoffkreislaufs scheint die Genehmigungsbehörden dazu zu verleiten, Regeln des Kerntechnischen Ausschusses, die nur für Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren erstellt worden sind, auch in Genehmigungsverfahren für andere kerntechnische Anlagen heranzuziehen und sinngemäß anzuwenden. Roser 362 berichtet über entsprechende Klagen von Inhabern sonstiger kerntechnischer Anlagen. Diese extensive bis analoge Anwendung bestehender Regeln des Kern technischen Ausschusses auf bisher nicht geregelte Bereiche unterstreicht die bereits erwähnte große faktische Bedeutung der Regeln des Kerntechnischen Ausschusses für die Genehmigungsbehörde bei ihrer Einzelentscheidung. dd) Rechtliche Bedeutung der Regeln des Kerntechnischen Ausschusses Von geringerem Gewicht als die faktische Bedeutung ist die rechtliche Bedeutung der Regeln des Kerntechnischen Ausschusses. Die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses sind öffentlich-rechtlicher Natur. Für diese Bewertung sprechen drei Gründe. Zum einen basiert das gesamte Verfahren der Regelaufstellung auf einem öffentlichrechtlichen Organisationserlaß des Bundesministers des Innern. Zum anderen werden die Regeln von einem Gremium erarbeitet, das dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist 363 . Zwar kann ein öffentlich-rechtliches Subjekt sowohl in öffentlich-rechtlichen als auch privatrechtlichen Formen handeln. Für die Einstufung als privatrechtliches Handeln bedarf es indessen besonderer Anhaltspunkte; diese sind in der Bekanntmachung über die Bildung eines Kern technischen Ausschusses364 aber nicht erkennbar. Die sicherheitstechni360

Vgl. z.B. KTA-Regeln 2201.1 (Fassung 6/75), 2207 (Fassung6/82), 3402 (Fassung 11/76), 3403 (Fassung 10/80), 3409 (Fassung 6/79), 3701.1 (Fassung 6/78), 3701.2 (Fassung 6/82) ( = Anhang IV, Ziff. 6). 361 So ausdrücklich Schwarzer/ Eichner, ET 1984, 377 (379). Schwarzer ist Geschäftsführer des Kern technischen Ausschusses. 362 ET 1984, 627. 363 s. dazu oben Vierter Teil D. IV. 2.a). 364 Anhang IV, Ziff. 6.0.

20

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

sehen Regeln sind somit Ergebnisse öffentlich-rechtlichen Handelns. Außerdem werden die vom Kerntechnischen Ausschuß beschlossenen Regeln vom Bundesminister des Innern im Bundesanzeiger veröffentlicht 365. Da die sicherheitstechnischen Regeln lediglich technische Lösungsempfehlungen enthalten366, fehlt ihnen eine unmittelbare Rechtswirkung367. Als Lösungsempfehlungen können sie nur der Vorbereitung regelnder Verwaltungshandlungen dienen. Die sicherheitstechnischen Regeln sind somit als schlichte Verwaltungshandlungen zu qualifizieren 368. Als schlichte Verwaltungshandlungen entfalten die sicherheitstechnischen Regeln keinerlei Bindungswirkung. Sie binden weder den Bundesminister des Innern noch die atomrechtlichen Genehmigungsbehörden noch die Judikative noch einzelne (Antragsteller, Drittbetroffene) 369. Allenfalls mittelbar können die sicherheitstechnischen Regeln Bindungswirkungen erlangen. Dies kann durch sog. administrative Rezeption geschehen370, z.B. wenn der Bundesminister des Innern bei seinen Weisungen an die atomrechtliche Genehmigungsbehörde gem. Art. 85 Abs. 3 GG oder wenn die Genehmigungsbehörde in ihrer Einzelentscheidung auf eine sicherheitstechnische Regel Bezug nehmen. Die These von Vieweg* 11, sicherheitstechnische Regeln seien schlichte Verwaltungshandlungen mit der ergänzenden Qualität generell-abstrakter antizipierter Sachverständigengutachten, begegnet Bedenken. Sachverständigengutachten müssen objektiv und unparteiisch sein. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken der §§ 20 Abs. 1 Nr. 6, 21 Abs. 1 Satz 1 und § 65 Abs. 1 Satz 2 VwVfG i.V. mit §§ 406, 42, 41 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 ZPO 372 . Objektivität und Neutralität sind im Kerntechnischen Ausschuß angesichts seiner Zusammensetzung aber gerade nicht gesichert; denn — wie oben bereits ausgeführt 373 — ist der Kerntechnische Ausschuß nicht fachgebiets-, sondern interessenspezifisch zusammengesetzt, so daß die Mitglieder von ihrer jeweiligen Interessengruppe abhängig, vertretbar und nicht zur Neutralität verpflichtet sind. Die Sachverständigeneigenschaft scheitert also an der vorgegebenen personellen Struktur des Kerntechnischen Ausschusses. Der Kenntnisreichtum und Sachverstand seiner Mitglieder soll mit dieser Schlußfolgerung keinesfalls in Frage gestellt 365 y g i Viewegt Technische Normung, S. 144-146, 149. 366

So ausdrücklich Roser, ET 1984, 627 (628). Vgl. § 35 Satz 1 VwVfG. 368 Zu diesem Ergebnis kommt auch — nach gründlicher Untersuchung — Vieweg, Technische Normung, S. 171 f., 150-170. Zu den Begriffsmerkmalen schlichter Verwaltungshandlungen vgl. WolffI Bachof, Verwaltungsrecht, Band 1, § 45 IIa, S. 364. 369 So im Ergebnis auch Vieweg, Technische Normung, S. 180; Marburger, Schadensvorsorge, S. 144-146; Kuhnt, Technische Regeln, S. 112; Roser, ET 1984, 627 (628). 370 Vgl. Vieweg, Technische Normung, S. 183. 371 Technische Normung, S. 172-176, 180. 372 Vgl. auch schon oben Vierter Teil D. III. 3.c) bb). 373 Vierter Teil D. IV. 2.d) aa). 367

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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werden. Eine Person mit Sachverstand wird indessen nur mit organisatorischer Absicherung und mit der rechtlichen Verpflichtung zu Objektivität und Neutralität zum Sachverständigen. Diese Erfordernisse statuiert die Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses aber gerade nicht 374 . Ein weiteres Bedenken, sicherheitstechnische Regeln als antizipierte Sachverständigengutachten zu qualifizieren, ergibt sich aus dem geringen Aktualitätsgrad der Regeln, der auf der langen Verfahrensdauer der Regelerstellung und auf der späten Inangriffnahme der Regelvorhaben beruht 375. Angesichts der dargelegten Bedenken ist die These von Vieweg nur schwer zu halten. Man wird vielmehr davon ausgehen müssen, daß die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses weder eine Ausschließlichkeitsnoch eine Richtigkeitsvermutung für sich beanspruchen können376 und daß sie die Ermittlung des Standes von Wissenschaft und Technik im Einzelfall nicht ersetzen377. Positiv ausgedrückt, können die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses nach ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger durch den Bundesminister des Innern 378 als unverbindliche, abstrakt-generelle Hinweise des Bundesministers des Innern über seine zukünftige aufsichtsbehördliche Praxis im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren verstanden werden 379 . Mit dieser Qualifizierung wird einerseits ihrer faktischen Bedeutung als Richtschnur für Antragsteller und Genehmigungsbehörden Rechnung getragen, andererseits aber auch klar zum Ausdruck gebracht, daß die sicherheitstechnischen Regeln in keiner Richtung Rechte oder Pflichten begründen können. ee) Ähnlichkeiten, Unterschiede und Überschneidungen zwischen KTA-Regeln und verwaltungsinternen Regelungen In ihrer fehlenden Bindungswirkung gleichen die sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses den verwaltungsinternen Regelungen380. Daher leisten weder die sicherheitstechnischen Regeln noch die verwaltungsinternen Regelungen einen Beitrag zur Rechtssicherheit. Unter diesem 374 Dies verkennt Vieweg, Technische Normung, S. 173, obgleich er selbst (S. 239) den Ausschuß als ein interessenspezifisches, nicht aber fachgebietsspezifisches Gremium qualifiziert. 375

s. dazu oben Vierter Teil D. IV. 2.d) aa). Vgl. Kuhnt, Technische Regeln, S. 112 und Roser, ET 1984, 627 (628). 377 So ausdrücklich Roser, ET 1984, 627. 378 Zur Frage der Befugnis des Bundesministers des Innern zur Überprüfung der ihm zugeleiteten Regeln und zum Problem einer möglichen Veröffentlichungspflicht des Bundesministers des Innern sowie zu Folgeproblemen: vgl. Vieweg, Technische Normung, S. 122 ff. 379 Vieweg, Technische Normung, S. 178-180 spricht von „Auskünften". Im Hinblick auf den fehlenden Bindungswillen des Bundesministers des Innern und die fehlende Bindungswirkung ist der Begriff „Hinweise" der (noch) vorsichtiger gewählte. 380 Vgl. oben Vierter Teil D. III. 3.c). 376

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Gesichtspunkt könnte man die hier getroffene Unterscheidung zwischen verwaltungsinternen Regelungen einerseits und sicherheitstechnischen Regeln andererseits für gekünstelt und daher für überflüssig halten. Die Differenzierung zwischen beiden Regelungsarten ist aber aus anderen Gründen erforderlich. Zum einen unterscheiden sich beide Regelungsarten hinsichtlich der Struktur der Gremien, die die Regelungen beschließen. Während die für die verwaltungsinternen Regelungen verantwortlichen Gremien eher fachgebietsspezifisch zusammengesetzt sind, sind der die sicherheitstechnischen Regeln beschließende Kerntechnische Ausschuß und auch die übrigen Normungsgremien interessenspezifisch strukturiert. Zum anderen unterscheiden sich verwaltungsinterne Regelungen und sicherheitstechnische Regeln hinsichtlich des Dualismus Ziele und Mittel. Während die verwaltungsinternen Regelungen fast ausschließlich Schutzzielbestimmungen enthalten381, liegt der Schwerpunkt der sicherheitstechnischen Regeln auf der Beschreibung von Wegen und Mitteln, die zur Erreichung andernorts fixierter Ziele gewählt werden können. Im übrigen sind die Grenzen zwischen verwaltungsinternen Regelungen einerseits und sicherheitstechnischen Regeln andererseits teilweise schwimmend. Die Leitlinien der Reaktor-Sicherheitskommission z.B., die als verwaltungsinterne Regelungen einzustufen sind, sind immer dann ausführlicher gestaltet, wenn zu einer bestimmten sicherheitstechnischen Problematik sicherheitstechnische Regeln des Kerntechnischen Ausschusses noch nicht ergangen sind. Insoweit können die Leitlinien den sicherheitstechnischen Regeln vorgreifen 382 . Ähnlich verhält es sich mit den Praxisbeschreibungen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und des Instituts für Reaktorsicherheit 383, die ebenfalls als verwaltungsinterne Regelungen zu qualifizieren sind. Nach ihrem Selbstverständnis werden diese Praxisbeschreibungen für diejenigen Gebiete der Kerntechnik verfaßt, „für die das insbesondere vom Kerntechnischen Ausschuß zu erstellende Regelwerk noch unvollständig ist" 384 . In beiden Fällen also greifen verwaltungsinterne Regelungen dem sicherheitstechnischen Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses vor. Vergleichbare Überschneidungen existieren auch zwischen den Weisungsbeschlüssen der TÜV-Leitstelle Kerntechnik bzw. den Richtlinien für die Bemessung von Stahlbetonbauteilen von Kernkraftwerken für außergewöhnliche äußere Belastungen385 einerseits und den sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses andererseits.

381

s. oben Vierter Teil D. III. 3.b). 382 ygi Rittstieg, Konkretisierung, S. 84; Marburger, Schadensvorsorge, S. 139. 383 Vgl. Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziff. A. 10. 384 So ausdrücklich die jeweiligen Deckblätter zu den einzelnen Praxisbeschreibungen. 385 Ygi Bundesminister des Innern, Handbuch, Ziffern A.9.2 und A.9.3 sowie A.15.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

2

V. Schlußfolgerungen hinsichtlich der sicherheitsrelevanten Anforderungen auf untergesetzlichen Ebenen 1. Defizite des derzeitigen Instrumentariums

Sicherheitsrelevante Anforderungen für kerntechnische Anlagen finden sich derzeit auf insgesamt vier Regelungsebenen. Dies sind die Ebene des Atomgesetzes und die drei untergesetzlichen Ebenen der Rechtsverordnungen, der verwaltungsinternen Regelungen und des technischen Regelwerks. Während das Atomgesetz und die atomrechtlichen Verordnungen als Rechtssätze normative Wirkungen, d.h. insbesondere Außenwirkung, haben, entfalten die verwaltungsinternen Regelungen und das technische Regelwerk — ohne legislative oder administrative Rezeption — keine Bindungswirkung. Auf jeder der vier Regelungsebenen finden sich Bestimmungen, die die gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG konkretisieren sollen. Auf der Ebene des Atomgesetzes sind dies die Verordnungsermächtigungen in § 12 Abs. 1 AtG, auf der Ebene der Rechtsverordnungen bisher lediglich die Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung über Dosisgrenzwerte und Strahlenschutzgrundsätze; auf den beiden nicht-normativen Regelungsebenen sind es die einzelnen, oben dargestellten verwaltungsinternen Regelungen und technischen Regelwerke. Einen durchgehenden Konkretisierungsstrang von der Ebene des Atomgesetzes bis zur Ebene des technischen Regelwerks gibt es bisher nur in einer einzigen Konstellation. Auf der Grundlage der gesetzlichen Verordnungsermächtigung in § 12 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AtG ist die Strahlenschutzverordnung ergangen. Deren § 28 Abs. 3 Satz 4 verweist auf Sicherheitskriterien und Leitlinien. Die auf dieser Grundlage erstellten Störfall-Leitlinien und die sie ergänzenden Störfallberechnungsgrundlagen386 verweisen ihrerseits weiter auf Regeln des Kerntechnischen Ausschusses. Dieser Konkretisierungsstrang läßt sich graphisch folgendermaßen beschreiben:

386

Anhang III, Ziff. 3.33.

2

4

.

Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Im übrigen lassen sich durchgehende Stränge abgestufter bzw. gestaffelter Konkretisierungen von der Ebene des Atomgesetzes bis zur Ebene des technischen Regelwerks nicht ermitteln. Das hat zahlreiche Ursachen: — Die Verordnungsermächtigungen in § 12 Abs. 1 Nrn. 1 und 10 AtG wurden bisher nicht genutzt, so daß ein möglicher Konkretisierungsstrang auf der Ebene der Rechtsverordnung unterbrochen ist. — Zwischen den beiden normativen Ebenen des Atomgesetzes und der Rechtsverordnungen einerseits und den beiden nicht-normativen Regelungsebenen der verwaltungsinternen Regelungen und des technischen Regelwerks andererseits gibt es — von der eben geschilderten Ausnahme des § 28 III 4 StrlSchV abgesehen — keine normative Verbindung, da die nichtnormativen Regelungen (ansonsten) nirgends normativ rezipiert sind. Durch diesen Umstand werden mögliche Konkretisierungsstränge an der Nahtstelle Rechtsverordnung/verwaltungsinterne Regelung unterbrochen. — Manche Konkretisierungsstränge ließen sich auch bei — unterstellter — Vollständigkeit der Ebene der Rechtsverordnungen nicht bis auf die unteren Ebenen durchziehen, da für zahlreiche Regelungsbereiche verwaltungsinterne Regelungen bzw. technisches Regelwerk teilweise oder völlig fehlen. Dies gilt insbesondere für die Ver- und Entsorgungsanlagen im Brennstoffkreislauf und für fortgeschrittene Reaktortypen. — Für die Entwicklung durchgehender Konkretisierungsstränge ist es besonders hinderlich, daß Konkretisierungsinhalte bzw. -grad zwischen und innerhalb der Regelungsebenen nicht eindeutig abgegrenzt sind. Dies führt zu Überschneidungen zwischen und auch innerhalb der Regelungsebenen. Besonders auf der Ebene der verwaltungsinternen Regelungen müßte sich ein Konkretisierungsstrang in eine Vielzahl untereinander verschränkter

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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Regelungen verästeln (ζ. B. die Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke, die sie ergänzenden Interpretationen und Praxisbeschreibungen, die StörfallLeitlinien, die sie ergänzenden Störfallberechnungsgrundlagen, die RSKLeitlinien usw.). Der Konkretisierungsgrad der einzelnen Regelungsebenen läßt sich nur der Tendenz nach beschreiben. Mit abnehmender rechtlicher Verbindlichkeit wächst der Grad der Konkretisierung. Den höchsten Konkretisierungsgrad erreichen die technischen Regeln, da sie Wege und Mittel in Form technischer Detailanforderungen festlegen. Gerade dieser hohe Konkretisierungsgrad erklärt die große faktische Bedeutung der sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses für Antragsteller und Genehmigungsbehörden. Eine Gesamtschau des derzeitigen Instumentariums, dessen sich die Exekutive bei der Bestimmung der Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko bedient, ergibt, daß das Instrumentarium diese Grenzziehung zwar durch Konkretisierungen vorbereitet und unterstützt, daß es aber die Grenze im Einzelfall für die zu genehmigende Anlage selbst nicht verbindlich festzulegen vermag. Der Grund hierfür liegt darin, daß einerseits die Vorschriften der beiden normativen Regelungsebenen zwar rechtsverbindlich sind, aber keine Wege und Mittel beschreiben, was für die Bestimmung der erforderlichen Sicherheit gerade notwendig wäre, und daß andererseits die verwaltungsinternen Regelungen und technischen Regelwerke zwar die für diese Bestimmung notwendigen sicherheitstechnischen Detailfestlegungen enthalten, aber wegen fehlender normativer Rezeption grundsätzlich keine rechtliche Bindungswirkung entfalten. Die Entscheidung über die Grenze zwischen erforderlicher Sicherheit und zumutbarem verbleibenden Risiko muß somit die atomrechtliche Genehmigungsbehörde in ihrer Einzelgenehmigung treffen 387. Bei diesem behördlichen Entscheidungsprozeß darf der faktische Einfluß der nicht-normativen Regelungen, insbesondere der technischen Regelwerke, nicht unterschätzt werden. Diese nicht zu leugnende, aber doch bloß faktische Bedeutung der nicht-normativen Regelungen für die Genehmigungsbehörde kann indessen auf seiten der Antragsteller und Drittbetroffenen zu einer auch nur faktischen Vorhersehbarkeit der Behördenentscheidung führen. Rechtssicherheit schafft das derzeitige Instrumentarium der verschiedenen Regelungsebenen folglich nicht. 2. Fehlende Übereinstimmung zwischen derzeitigem und gesetzlich vorgesehenem Instrumentarium

Das derzeit von der Exekutive genutzte Instrumentarium unterhalb der Gesetzesebene deckt sich mit dem gesetzlich vorgesehenen Instrumentarium nur in wenigen Punkten. Der Atomgesetzgeber hat die Exekutive in § 12 Abs. 1 AtG zum Erlaß zahlreicher Rechtsverordnungen ermächtigt; außerdem hat der 387 Zu diesem Befund kommen auch BVerfGE 49, 89 (138) und Marburger, vorsorge, S. 146.

Schadens-

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

verfassungsändernde Gesetzgeber mit Art. 87c i.V. mit Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG der Exekutive die Möglichkeit eröffnet, im Bereich der Erzeugung und Nutzung von Kernenergie allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Die Verordnungsermächtigungen in § 12 Abs. 1 AtG hat die Exekutive bisher nur zum Erlaß der Strahlenschutzverordnung genutzt. Allgemeine Verwaltungsvorschriften i.S. des Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG sind bisher überhaupt nicht ergangen. Eine Umdeutung der bestehenden verwaltungsinternen Regelungen und sicherheitstechnischen Regeln des Kerntechnischen Ausschusses in allgemeine VerwaltungsVorschriften scheitert an divergierender Urheberschaft. Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind gem. Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen. Die verwaltungsinternen Regelungen und die technischen Regeln, die im Handbuch für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz aufgeführt sind, haben indessen allesamt andere Urheber 388. Statt sich des gesetzlich vorgesehenen Instrumentariums zu bedienen, hat sich die Exekutive ein eigenes — mehr nach pragmatischen Bedürfnissen gewachsenes — Instrumentarium geschaffen, das sie — zusammen mit weiteren Regelungen Privater — für ihre Genehmigungsentscheidungen heranzieht. Daß sich die Exekutive über die gesetzlich vorgesehenen Formen der Rechtsverordnung und der allgemeinen Verwaltungsvorschrift hinweggesetzt hat, wäre rechtlich unerheblich, wenn die Exekutive in der Wahl der Formen frei wäre. Formenfreiheit besteht sicherlich dann, wenn die zur Auswahl stehenden Handlungsformen rechtlich gleichbedeutend und gleichwertig sind. Gerade hieran fehlt es aber im vorliegenden Fall; denn das derzeit von der Exekutive genutzte Instrumentarium unterhalb der Gesetzesebene weicht in zumindest drei Punkten vom gesetzlich vorgesehenen Instrumentarium in rechtlich bedeutsamer Weise ab: — Wenn Regelungsinhalte, für die die gesetzlichen Ermächtigungen (vgl. insbesondere den weiten § 12 Abs. 1 Nr. 1 AtG) die Form der Rechtsverordnung vorsehen, auf nicht-normative Regelungsebenen verlagert werden, so büßen diese Inhalte die vorgesehene Qualität eines Rechtssatzes mit Außenwirkung ein. — Darüber hinaus hält das derzeit von der Exekutive genutzte Instrumentarium nicht die Zuständigkeiten ein, die für das gesetzlich vorgesehene Instrumentarium festgelegt sind. Während Rechtsverordnungen i. S. des § 12 Abs. 1 AtG und allgemeine Verwaltungs Vorschriften i. S. des Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG von der Bundesregierung zu erlassen sind (§ 54 Abs. 1 Satz 1 AtG, Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG) 3 8 9 und beide der Zustimmung des Bundesrates bedürfen (§ 54 Abs. 2 Satz 1 AtG, Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG), werden die verwaltungsinternen Regelungen und die technischen Regelwerke vom Bundesminister des Innern oder von gesetzlich nicht vorgesehenen Gremien, 388 389

Vgl. oben Vierter Teil D. III. 2.a). Eine Delegationsverordnung i. S. des § 54 Abs. 3 A t G ist bisher nicht ergangen.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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die teils öffentlich-, teils privat-rechtlicher Natur sind, ohne jede Beteiligung des Bundesrats erlassen. Die fehlende Beteiligung des Bundesrates kann auch nicht durch die Mitwirkung des Länderausschusses für Atomkernenergie kompensiert werden. — Schließlich hält das derzeit von der Exekutive genutzte Instrumentarium — zumindest teilweise — nicht die Publikationserfordernisse ein, die für das gesetzlich vorgesehene Instrumentarium festgelegt sind oder als notwendig erachtet werden. Rechtsverordnungen des Bundes sind im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger zu verkünden; auf Rechtsverordnungen, die im Bundesanzeiger verkündet werden, ist nachrichtlich im Bundesgesetzblatt hinzuweisen (vgl. Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG i. V. mit § 1 Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen 390). Für allgemeine Verwaltungsvorschriften fehlt zwar eine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung; die höchstricherliche Rechtsprechung scheint aber dahin zu tendieren, daß das Rechtsstaatsprinzip die Veröffentlichung allgemeiner Verwaltungsvorschriften gebieten kann 391 . Im Gegensatz dazu ist eine Vielzahl der verwaltungsinternen Regelungen und der technischen Regelwerke weder im Bundesgesetzblatt noch im Bundesanzeiger, sondern in anderen Organen oder überhaupt nicht amtlich veröffentlicht. Soweit verwaltungsinterne Regelungen oder technische Regelwerke im Bundesanzeiger veröffentlicht sind, fehlt der nachrichtliche Hinweis im Bundesgesetzblatt. Zumindest diejenigen Regelungen des derzeit von der Exekutive genutzten Instrumentariums, die überhaupt nicht amtlich veröffentlicht werden, erfüllen nicht die Publikationserfordernisse, die für das gesetzlich vorgesehene Instrumentarium (Rechtsverordnung und allgemeine Verwaltungsvorschrift) festgelegt sind oder als notwendig erachtet werden. Wegen der drei eben beschriebenen Rechtsverschiedenheiten zwischen den gesetzlich vorgesehenen Handlungsformen der Rechtsverordnung und allgemeinen Verwaltungsvorschrift einerseits sowie den tatsächlich genutzten Handlungsformen der verwaltungsinternen Regelung und des technischen Regelwerks andererseits besteht für die Exekutive zwischen beiden Handlungsformen keine Wahlfreiheit. Die gelegentlich ins Feld geführte Behauptung, das schnellere Erstellungs- und Änderungsverfahren für verwaltungsinterne Regelungen sowie technische Regelwerke und die daraus resultierende größere Flexibilität und Dynamik rechtfertigen die freie Formenwahl der Exekutive, widerlegt sich angesichts der durchschnittlich fünfjährigen Verfahrensdauer für die Erstellung kerntechnischer Regeln392 von selbst; denn normative Vorhaben dürften eher weniger Zeit beanspruchen, zumal (zumindest) Gesetzesvorhaben durch die Triebfeder der Diskontinuität beschleunigt werden.

390 391 392

Vom 30.1. 1950 (BGBl. I S. 23). Vgl. BVerwGE 61, 15 (21) m.w.N. s. Schwarzer!Eichner, ET 1984, 377 (379).

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen 3. Nachfassen des Gesetzgebers

a) Voraussetzungen und Ansatzpunkte

Das derzeit von der Exekutive genutzte Instrumentarium unterhalb der Gesetzesebene läuft — von der Strahlenschutzverordnung abgesehen — am gesetzlich vorgesehenen Instrumentarium vorbei. Die derzeitige Praxis der Exekutive, fast ausschließlich unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung und vollständig außerhalb der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu arbeiten, stellt die Konzeption des Atomgesetzgebers, die unbestimmten Gesetzesbegriffe durch Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften konkretisieren zu lassen, entscheidend in Frage. Diese Entwicklung der Praxis der Exekutive konnte der Atomgesetzgeber im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses nicht vorhersehen. Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist 393 . Der verfassungsrechtliche Ansatzpunkt für eine Überprüfungspflicht des Gesetzgebers findet sich im Rechtsstaatsprinzip. Das Fehlen durchgehender Konkretisierungsstränge, der unklare Konkretisierungsgrad der einzelnen Regelungsebenen, die Vielzahl untereinander verschränkter und verzahnter Regelungen der verschiedenen Ebenen und die uneinheitliche Veröffentlichungspraxis berühren die Grundsätze der Rechtsklarheit und der Rechtssciherheit, die beide wesentliche Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips sind 394 . Ein weiterer Ansatzpunkt für eine Überprüfungspflicht des Gesetzgebers kann sich daraus ergeben, daß er der Erstarkung der bisher nicht-normativen Regelungsebenen zu Gewohnheitsrecht entgegenwirken muß, da Gewohnheitsrecht im sicherheitstechnischen Anlagenrecht rechtsstaatlich bedenklich ist. b) Entscheidungsmodelle

Im Rahmen seiner Überprüfung bieten sich dem Gesetzgeber verschiedene Entscheidungsmodelle an. aa) Modell 1 Das derzeit von der Exekutive genutzte Instrumentarium unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung könnte in die gesetzlich vorgesehenen Formen der Rechtsverordnung und der allgemeinen Verwaltungsvorschrift gebracht werden, so daß die derzeitigen Handlungsformen der verwaltungsinternen Regelung und des kerntechnischen Regelwerks entfielen. Dieses Modell würde die 393 So wörtlich BVerfGE 49, 89 (130), Leitsatz 3. Zum Nachfassen siehe ausführlich oben Zweiter Teil Α. IV. 394 Vgl. BVerfGE 25, 269 (289, 290).

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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ursprüngliche Entscheidung des Gesetzgebers aufrechterhalten, weil die veränderten „Umstände" seiner Entscheidung angepaßt würden. bb) Modell 2 Das gegensätzliche Modell wäre eine Beibehaltung der derzeitigen Handlungsformen der Exekutive, verbunden mit einer Vermutungsklausel auf Gesetzes- oder Verordnungsebene in bezug auf verwaltungsinterne Regelungen und technische Regelwerke395. In einer derartigen Klausel würde die Vermutung ausgesprochen, daß die nach Gesetz oder Rechtsverordnung erforderliche Vorsorge als getroffen anzusehen ist, wenn die in Bezug genommenen verwaltungsinternen Regelungen und technischen Regelwerke bei der Auslegung der kerntechnischen Anlage zugrunde gelegt worden sind. Eine derartige Klausel könnte sich an der Konstruktion des § 28 Abs. 3 Satz 4 StrlSchV orientieren. Nach diesem Modell würde die ursprüngliche Konzeption des Atomgesetzgebers, die unbestimmten Gesetzesbegriffe durch Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften konkretisieren zu lassen, vollends aufgegeben und somit die ursprüngliche Entscheidung des Gesetzgebers den veränderten Umständen angepaßt. cc) Modell 3 (1) Beschreibung

Ein drittes Entscheidungsmodell, das Ansätze und Elemente der beiden eben beschriebenen Modelle miteinander kombiniert, könnte folgendermaßen aussehen: Das derzeit von der Exekutive genutzte Instrumentarium unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung wird in die gesetzlich vorgesehenen Formen der Rechtsverordnung und der allgemeinen Verwaltungsvorschrift gebracht, so daß die derzeitigen Handlungsformen der verwaltungsinternen Regelung und des technischen Regelwerks entfallen. Dabei könnten die Inhalte für Rechtsverordnung und allgemeine Verwaltungsvorschrift gestaffelt und abgestuft werden. Zumindest die grundlegenden Schutzzielbestimmungen müßten in die Rechtsverordnungen eingehen, während nachrangige Zwischen- und Unterziele sowie Beschreibungen von Wegen und Mitteln in Form technischer Detailfestlegungen ihren Platz in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften finden sollten. So könnten ζ. B. die Schutzbestimmungen, die bisher in den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke, den Störfall-Leitlinien und den RSK-Leitlinien aufgeführt sind, auf die Ebene der Rechtsverordnung angehoben und die in diesen verwaltungsinternen Regelungen enthaltenen Zwischen- und Unterziele sowie 395 Anhänger dieses Modells sind z.B. Rittstieg, Konkretisierung, S. 241 m.w.N.; Marburger, Schadensvorsorge, S. 226-231. Der Bundesminister des Innern erwägt, „eine Vermutungsklausel zugunsten technischer Regeln sachverständiger Stellen" in einer zu erlassenden „Anlagenerrichtungsverordnung" zu verankern; vgl. Umwelt Nr. 103 v. 8. 6. 1984, S. 25.

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4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses in allgemeine Verwaltungsvorschriften überführt werden. Dieser Ansatz, der dem Modell 1 entliehen ist, wird mit einem Element des Modells 2, der Vermutungsklausel, kombiniert. In die zu schaffenden Rechtsverordnungen werden Vermutungsklauseln aufgenommen, wonach die nach der jeweiligen Rechtsverordnung erforderliche Vorsorge als getroffen anzusehen ist, wenn die in Bezug genommenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften bei der Auslegung der kerntechnischen Anlage zugrunde gelegt worden sind. (2) Flankierende

Maßnahmen

Um das insoweit beschriebene Modell 3 nicht dem Vorwurf innerer Widersprüche auszusetzen und um die oben beklagten Mängel des derzeit von der Exekutive genutzten Instrumentariums nicht in das hier vorgestellte Modell 3 zu übernehmen, bedarf das Modell 3 einiger flankierender Maßnahmen. (a) Ergänzung der Vorschriften über die Zuständigkeiten beim Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften Während die Zuständigkeiten für den Erlaß atomrechtlicher Rechtsverordnungen in § 54 AtG mit der Delegationsmöglichkeit in Abs. 3 und mit den Ausnahmen von der Zustimmungspflicht des Bundesrates in Abs. 2 Satz 2 zufriedenstellend geregelt sind und insoweit keiner Änderung bedürfen, ist bei den in Art. 87c i. V. mit Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG geregelten Zuständigkeiten für den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften im Bereich des Atomrechts zu überlegen, ob diese ergänzt werden müssen. Zum einen wäre daran zu denken, der Bundesregierung die Möglichkeit einzuräumen, den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften auf den für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesminister zu delegieren; zum anderen wäre zu erwägen, ob die Zustimmung des Bundesrates entfallen kann, wenn sich allgemeine Verwaltungsvorschriften darauf beschränken, die in allgemeinen Verwaltungsvorschriften festgelegten physikalischen, technischen und strahlenbiologischen Werte durch andere Werte zu ersetzen. Diese Vorschläge werden durch einen de-maiore-ad-minus-Schluß gerechtfertigt. Wenn § 54 AtG für den Erlaß von Rechtsverordnungen Delegationsmöglichkeiten (Abs. 3) und Ausnahmen von der Zustimmungspflicht des Bundesrates (Abs. 2 Satz 2) zuläßt, dann muß dies erst recht für die unterhalb der Rechtsverordnung rangierende allgemeine Verwaltungsvorschrift gelten. Daß mit diesen Vorschlägen die Bestimmung des allgemeinen Immissionsschutzrechtes über Verwaltungsvorschriften (§ 48 BImSchG) nicht eingehalten wird, ist zu vernachlässigen, da § 54 AtG für das vorliegende Problem die systematisch näherstehende Bestimmung ist. Im übrigen läßt sich gerade aus § 48 BImschG, wenn man ihn zusammen mit § 7 Abs. 1 BImSchG betrachtet, ableiten, daß innerhalb eines Gesetzeswerkes an den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschrif-

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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ten keine weitergehenden Bedingungen geknüpft werden dürfen als an den Erlaß von Rechtsverordnungen; denn im Geltungsbereich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterliegen der Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften und der Erlaß von Rechtsverordnungen den gleichen Bedingungen (Bundesregierung, Zustimmung des Bundesrates, Anhörung beteiligter Kreise). Im Atomrecht hingegen knüpfen Art. 87 c i. V. mit Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG an den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften weitergehende Bedingungen als § 54 AtG an den Erlaß von Rechtsverordnungen; denn die allgemeinen Verwaltungsvorschriften müssen — anders als die Rechtsverordnungen nach § 54 AtG — ausnahmslos von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden. Daher ist im Atomrecht eine Angleichung der Bedingungen für den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften an die Bedingungen für den Erlaß von Rechtsverordnungen nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Für eine derartige Angleichung müßte zunächst der verfassungsändernde Gesetzgeber tätig werden. Er könnte an den bestehenden Art. 87 c GG einen Satz 2 anfügen: „Der Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften wird durch ein Bundesgesetz geregelt." Auf dieser Grundlage könnte der einfache Gesetzgeber eine Bestimmung in das Atomgesetz einfügen, die den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften unter Berücksichtigung der hier gemachten Vorschläge regelt. (b) Anhörung beteiligter Kreise Die Bundesregierung und der für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständige Bundesminister, die nach dem hier vorgestellten Modell 3 für den Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften zuständig sind, bedürfen hierbei der Unterstützung sachkundiger Kreise. Es liegt nahe, bereits bestehende Gremien, die auf langjährige Erfahrungen zurückblicken können, in diese Unterstützung einzubeziehen. Hierfür kommen insbesondere in Betracht der Länderausschuß für Atomkernenergie, die Reaktor-Sicherheits- und die Strahlenschutzkommission sowie der Kerntechnische Ausschuß, unter Umständen auch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit mbH, das Institut für Reaktorsicherheit sowie die TÜV-Leitstelle Kerntechnik. Die bisherige große faktische Bedeutung der Arbeitsergebnisse dieser Gremien, die bisher zumeist in selbständigen verwaltungsinternen Regelungen oder technischen Regelwerken ihren Niederschlag fanden, wird sich nicht ändern, wenn die Arbeitsergebnisse nunmehr der Bundesregierung oder dem für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesminister (bloß noch) als Beratungsvorlagen dienen. Auch wenn den bestehenden Gremien durch das Modell 3 die Zuständigkeit zum selbständigen Erlaß von Regelungen genommen wird, würden die oben gerügten strukturellen Mängel der bestehenden Gremien über die unverändert große faktische Bedeutung ihrer Arbeitsergebnisse weiterhin qualitativ durchschlagen. Daher müssen die oben gerügten strukturellen Mängel der bestehenden Gremien zunächst einmal beseitigt 16 Luckow

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Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

werden, bevor diese Gremien in das hier entwickelte Modell 3 übernommen werden. Strukturelle Mängel sind oben in erster Linie bei den Gremien des öffentlichen Rechts, insbesondere beim Kerntechnischen Ausschuß, festgestellt und kritisiert worden 396. Aus den bestehenden Mängeln lassen sich für die Zusammensetzung öffentlich-rechtlicher Gremien die folgenden vier Forderungen ableiten. Soweit das Gremium nicht ausschließlich aus Behördenvertretern besteht (wie ζ. B. der Länderausschuß für Atomkernenergie), sollte sichergestellt werden, daß das Gremium fachgebiets- und nicht interessenspezifisch zusammengesetzt wird und — damit zusammenhängend — daß seine Mitglieder, mit Ausnahme der Behördenvertreter, unabhängig und weisungsungebunden sind, so wie es bei der Reaktor-Sicherheits- und Strahlenschutzkommission bereits der Fall ist. Darüber hinaus sollten die Bereiche Naturwissenschaft und Technik gleichgewichtig vertreten sein und mindestens die Hälfte seiner Mitglieder Vertreter von Körperschaften des öffentlichen Rechts sein, damit zum einen die derzeitige technische Dominanz und zum anderen die derzeitige private Dominanz in Gremien des öffentlichen Rechts für die Zukunft ausgeschaltet ist. Damit sind die Privaten aus den öffentlich-rechtlichen Gremien keineswegs verbannt, aber mit den Vertretern öffentlich-rechtlicher Körperschaften in ein Gleichgewicht gebracht. Neben diesen Gremien des öffentlichen Rechts sollten auch rein privatrechtliche Gremien (wie ζ. B. die Gesellschaft für Reaktorsicherheit mbH, das Institut für Reaktorsicherheit und die TÜV-Leitstelle Kerntechnik) in die Beratung der Bundesregierung bzw. des für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesministers einbezogen werden. Auf die Zusammensetzung der rein privatrechtlichen Gremien sollte mit Rücksicht auf die Privatautonomie kein Einfluß genommen werden. Sie können durchaus interessenspezifisch zusammengesetzt sein. Die beratene Bundesregierung bzw. der beratene zuständige Bundesminister werden eine möglicherweise interessenspezifische Zusammensetzung der privatrechtlichen Gremien bei deren Ratschlägen in Rechnung stellen. Sachkundige Gremien des öffentlichen sowie des Privatrechts lassen sich in die Unterstützung der Bundesregierung bzw. des zuständigen Bundesministers beim Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften am besten dadurch einzubeziehen, daß deren Anhörung gesetzlich — entsprechend dem Vorbild der §§ 7 Abs. 1 und 48 BImSchG—vorgeschrieben wird. Die oben geforderten Rahmenbedingungen für die Zusammensetzung der öffentlich-rechtlichen Gremien sollten hierbei gesetzlich mitverankert werden. Die gesetzliche Bestimmung sollte außerdem dazu ermächtigen, daß die öffentlichrechtlichen Gremien von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung gebildet werden. In dieser sollten dann die Aufgaben und die Zusammensetzung des 396

s. Vierter Teil D. IV. 2.d) aa).

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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Gremiums, die Berufung und Entlassung seiner Mitglieder sowie die Abstimmungsmehrheiten näher bestimmt werden. Dadurch würden die Gremien des öffentlichen Rechts auf eine normative Grundlage gestellt und für ihre Arbeit präzisere Vorgaben erhalten als bisher. (c) Veröffentlichung Für Rechtsverordnungen des Bundes ist deren Verkündung im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger vorgeschrieben; für allgemeine Verwaltungsvorschriften scheint die Rechtsprechung dahin zu tendieren, daß das Rechtsstaatsprinzip deren Veröffentlichung gebieten kann 397 . Da im Modell 3 die Rechtsverordnungen allgemeine Verwaltungsvorschriften in Bezug nehmen können und daran eine Vermutungswirkung geknüpft werden kann, ist eine Veröffentlichung der allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechtsklarheit geboten. Um eine für alle mit dem Atomrecht Befaßten praktikable Veröffentlichung zu gewährleisten, sollte ein neues spezifisches Amtsblatt, ζ. B. mit der Bezeichnung „Amtsblatt für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz", geschaffen werden, das der für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständige Bundesminister herausgeben könnte. In diesem Amtsblatt sollten sämtliche atom- und strahlenschutzrechtlichen Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften veröffentlicht werden. Mit einem spezifischen Amtsblatt könnte das derzeitige Veröffentlichungswirrwarr und das langwierige Zusammensuchen einschlägiger atom- und strahlenschutzrechtlicher Bestimmungen aus verschiedenen Publikationsorganen, insbesondere aus einer Vielzahl von Bänden des Bundesanzeigers und dessen Beilagebänden, beendet werden. Die Einführung eines Amtsblatts für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz sollte zusammen mit der Veröffentlichungspflicht für atom- und strahlenschutzrechtliche Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften im Atomgesetz verankert werden. Außerdem müßte das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen entsprechend geändert werden. (d) Verweisungen Um eine größtmögliche Rechtsklarheit zu erreichen, sollten Rechtsverordnungen nur auf Gesetze, andere Rechtsverordnungen sowie allgemeine Verwaltungsvorschriften verweisen dürfen. Auch bei allgemeinen Verwaltungsvorschriften sollte mit Verweisungen sparsam umgegangen werden. Allerdings werden sich Verweisungen auf Regelwerke privater Normungsorganisationen auch in Zukunft nicht völlig ausschließen lassen. Der Atomgesetzgeber sollte hierfür jedoch einen präzisen Rahmen 397

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s. oben Vierter Teil D. V. 2. m.w.N.

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Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

vorgeben. Er sollte die privaten Normungsorganisationen, auf deren Regelwerke die allgemeinen Verwaltungsvorschriften verweisen dürfen, namentlich benennen. Hierbei sollte er sich auf inländische Normungsorganisationen beschränken; denn bei Einbeziehung internationaler und ausländischer Normungsorganisationen würde die normative Verweisung über die Kette Rechtsverordnung/Vermutungswirkung zugunsten der allgemeinen Verwaltungsvorschriften/Verweisung in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften auf internationales oder ausländisches Regelwerk in einerseits schwer zugänglichen und andererseits fremdsprachlichen Regelwerken enden. Dies stünde in Widerspruch zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechtsklarheit. Außerdem sollte der Atomgesetzgeber sicherstellen, daß nur statische Verweisungen zulässig und die in Bezug genommenen Regelwerke allgemein zugänglich sind. Gesetzestechnisch könnte der Gesetzgeber hierfür auf das Vorbild des § 7 Abs. 2 BImSchG zurückgreifen. (e) Beschleunigung durch Übergangsvorschrift Der Atomgesetzgeber sollte in einer Übergangsvorschrift die für den Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften zuständigen Exekutivorgane — dies sind im Modell 3 die Bundesregierung und der von ihr ermächtigte, für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständige Bundesminister — auffordern, die bisher im Bereich des Atom- und Strahlenschutzrechts erlassenen verwaltungsinternen Regelungen des Bundes und Regeln des Kerntechnischen Ausschusses unverzüglich in die Form von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu überführen. Der Gesetzgeber kann diese Aufforderung mit einer Frist verbinden (z.B. „längstens binnen χ Jahren nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes"). Die Aufforderung zur unverzüglichen Transformation würde — zusammen mit einer Frist — die Ausnutzung der bisher brachliegenden Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen (§12 Abs. 1 AtG) und zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften (Art. 87 c i.V. mit Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG) erheblich stimulieren. Der Atomgesetzgeber könnte seiner fristgebundenen Aufforderung an die Bundesregierung und den zuständigen Bundesminister durch eine ergänzende Bestimmung Nachdruck verleihen, in der er den Genehmigungsbehörden verbietet, nach Ablauf der Frist verwaltungsinterne Regelungen des Bundes und Regeln des Kerntechnischen Ausschusses im Genehmigungsverfahren als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Der drohende Verlust von Prüfungsmaßstäben, der die Genehmigungstätigkeit der Einzelbehörden erschwerte, würde einen spürbaren Druck auf die Bundesregierung bzw. den zuständigen Bundesminister ausüben, die verwaltungsinternen Regelungen des Bundes und die Regeln des Kerntechnischen Ausschusses fristgerecht in Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften zu transformieren.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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c) Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes, des Atomgesetzes und anderer Gesetze

Wenn das beschriebene Modell 3 mit seinen flankierenden Maßnahmen Rechtswirklichkeit werden soll, wären die folgenden Gesetzesänderungen erforderlich: aa) Änderung des Grundgesetzes Nach Art. 87 c GG wird folgender Satz 2 eingefügt: „ 2 D e r Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften wird durch ein Bundesgesetz geregelt."

bb) Änderung des Atomgesetzes (1) § 12 AtG

(a) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 eingefügt: „(2) x Die Rechtsverordnungen enthalten grundlegende Schutzzielbestimmungen.2 Die Rechtsverordnungen dürfen nur auf Gesetze, andere Rechtsverordnungen oder allgemeine Verwaltungsvorschriften (§ 54a) verweisen. 3 I n den Rechtsverordnungen kann bestimmt werden, daß die Genehmigungsbehörde die nach der Rechtsverordnung erforderliche Vorsorge gegen Schäden in der Regel als getroffen anzusehen hat, wenn die in Bezug genommenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften (§ 54 a) bei der Auslegung der kerntechnischen Anlage zugrunde gelegt und eingehalten werden."

(b) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3. (2) § 54 AtG

Nach Absatz 1 Satz 3 werden folgende Sätze 4 und 5 eingefügt: „ 4 Die Rechtsverordnungen werden nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 54 b) erlassen. 5 Die Rechtsverordnungen werden im Amtsblatt für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz verkündet, das vom für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesminister herausgegeben wird."

(3) §§ 54a bis c AtG

Nach § 54 AtG werden folgende §§ 54 a bis c AtG eingefügt: (a) „§ 54 a (Allgemeine Verwaltungsvorschriften) (1) ^ i e Bundesregierung oder der von ihr ermächtigte, für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständige Bundesminister erläßt nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 54 b) mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen des Bundes allgemeine Verwaltungsvorschriften. 2 Sie enthalten Zwischen- und Unterziele, die den grundlegenden Schutzzielbestimmungen in den Rechtsverordnungen (§ 12) nachgeordnet sind, sowie Be-

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Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

Schreibungen von Wegen und Mitteln in Form einzelner technischer Festlegungen.3Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind im Amtsblatt für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz zu veröffentlichen, das vom für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesminister herausgegeben wird. (2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie sich darauf beschränken, die in allgemeinen Verwaltungsvorschriften festgelegten physikalischen, technischen und strahlenbiologischen Werte durch andere Werte zu ersetzen. (3) ^ i e allgemeinen Verwaltungsvorschriften dürfen — vorbehaltlich des Satzes 2 — keine Verweisungen enthalten. 2 A u f jedermann zugängliche technische Regelwerke des Deutschen Instituts für Normung, des Vereins Deutscher Ingenieure, des Verbandes Deutscher Elektrotechniker . . . kann verwiesen werden; hierbei ist 1. in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift das Datum des Regelwerks anzugeben und die Bezugsquelle genau zu bezeichnen und 2. das Regelwerk bei dem Deutschen Patentamt archivmäßig gesichert niederzulegen und in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift darauf hinzuweisen."

(b) „§ 54 b (Anhörung beteiligter Kreise) (1) Soweit Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften die Anhörung der beteiligten Kreise vorschreiben, sind Gremien, die in den Bereichen der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes sachkundig sind, zu hören, insbesondere der Länderausschuß für Atomkernenergie, die Reaktor-Sicherheits- und die Strahlenschutzkommission sowie der Kerntechnische Ausschuß. (2) 1 Für jedes Gremium des öffentlichen Rechtes, soweit es nicht ausschließlich aus Behördenvertretern besteht, muß gewährleistet sein, daß 1. es fachgebietsspezifisch zusammengesetzt ist, 2. seine Mitglieder, mit Ausnahme der Behördenvertreter, unabhängig und weisungsungebunden sind, 3. die Bereiche Naturwissenschaft und Technik gleichgewichtig vertreten sind und 4. mindestens die Hälfte seiner Mitglieder Vertreter von Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind. 2 Gremien des öffentlichen Rechtes bildet die Bundesregierung durch Rechtsverordnung, in der auch die Aufgaben und die Zusammensetzung des Gremiums, die Berufung und Entlassung seiner Mitglieder sowie die Abstimmungsmehrheiten festzulegen sind."

(c) „§ 54 c (Übergangsvorschrift) 1

Die im Bereich des Atom- und Strahlenschutzrechts bestehenden verwaltungsinternen Regelungen des Bundes und Regeln des Kerntechnischen Ausschusses sind unverzüglich, längstens binnen χ Jahren nach Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes in die Form von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu überführen. 2 Nach Ablauf der Frist können verwaltungsinterne Regelungen des Bundes und Regeln des Kerntechnischen Ausschusses im Genehmigungsverfahren nicht mehr als Prüfungsmaßstab herangezogen werden."

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

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cc) Änderung des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen § 1 wird wie folgt geändert: „(1) Rechtsverordnungen des Bundes werden im Bundesgesetzblatt, im Bundesanzeiger oder im Amtsblatt für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz verkündet. (2) Auf Rechtsverordnungen, die im Bundesanzeiger oder im Amtsblatt für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz verkündet werden, ist unter Angabe der Stelle ihrer Veröffentlichung und des Tages ihres Inkrafttretens nachrichtlich im Bundesgesetzblatt hinzuweisen."

d) Vorzüge des Entwurfs

zur Änderung des Atomgesetzes

Der hier vorgestellte Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes (ÄndEntwurfAtG) vereint in sich eine Vielzahl von Vorzügen. aa) Beibehaltung und Ausschöpfung des ursprünglich vorgesehenen Instrumentariums Das vom Atomgesetzgeber ursprünglich vorgesehene Instrumentarium der Rechtsverordnung und der allgemeinen Verwaltungsvorschrift wird vollständig beibehalten; in einigen Punkten wird es ausgebaut und verfeinert. Der Entwurf bewirkt, daß das bisher nur teilweise oder gar nicht genutzte Instrumentarium der Rechtsverordnung und der allgemeinen Verwaltungsvorschrift ausgeschöpft wird. Hierin unterscheidet sich der Entwurf von Vorschlägen in der Literatur, die lediglich die Ebene der Rechtsverordnung stärker als bisher nutzen wollen, das Instrument der allgemeinen Verwaltungsvorschrift aber weiterhin völlig ausklammern398, was dem Willen des Atomgesetzgebers widerspricht. bb) Strukturelle Harmonisierung innerhalb des Atomrechts und zwischen Atom- und allgemeinem Immissionsschutzrecht Innerhalb des Atomrechts findet eine systematische Anpassung statt, indem die für die Rechtsverordnung bestehenden Möglichkeiten der Delegation auf den für kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz zuständigen Bundesminister (§ 54 Abs. 3 AtG) und der Ausnahme von der Zustimmungspflicht des Bundesrates (§ 54 Abs. 2 Satz 2 AtG) auf die allgemeine VerwaltungsVorschrift übertragen werden (§ 54 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ÄndEntwurf-AtG). In zentralen Punkten wird das Atomrecht dem allgemeinen Immissionsschutzrecht angeglichen. Aus dem allgemeinen Immissionsschutzrecht (§ 51 i. V. mit §§ 7 Abs. 1 und 48 BImSchG) wird für die Rechts ver Ordnung und die allgemeine Verwaltungsvorschrift des Atomrechts die Anhörung der beteiligten 398 Vgl. Rittstieg, Konkretisierung, S. 221-229, 237f.; Marburger, S. 217-233; Roser, ET 1984, 627 (628).

Schadensvorsorge,

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Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsoraussetzungen

Kreise übernommen (§ 54b i.V. mit §§54 Satz 4 und 54a Satz 1 Abs. 1 ÄndEntwurf-AtG). Bei der Verweisung allgemeiner Verwaltungsvorschriften auf private technische Regelwerke (§ 54 a Abs. 3 Satz 2 ÄndEntwurf-AtG) wird das Vorbild des § 7 Abs. 1 BImSchG herangezogen. Schließlich wird bei der Verpflichtung, die grundlegenden Schutzzielbestimmungen der derzeit bestehenden Störfall-Leitlinien in einer atomrechtlichen Rechtsverordnung zu verankern (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 und § 54 c Satz 1 ÄndEntwurf-AtG), auf ein Modell des allgemeinen Immissionsschutzrechts zurückgegriffen, das grundlegende Bestimmungen zum Schutz vor Störfällen auf der Ebene der Rechtsverordnung getroffen hat (Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung) — 12. BImSchV — 3 "). Auch die Verpflichtung, die übrigen Inhalte der derzeit bestehenden Störfall-Leitlinien in allgemeinen Verwaltungsvorschriften aufzunehmen (§ 54a Abs. 1 Satz 2 und § 54c Satz 1 ÄndEntwurf-AtG), basiert auf dem Vorbild des allgemeinen Immissionsschutzrechts, das ergänzende Vorschriften zur Störfall-Verordnung als allgemeine Verwaltungsvorschriften ausgebildet hat 400 . Die Angleichung des Atomgesetzes an das Bundes-Immissionsschutzgesetz in zentralen Punkten führt zu einer strukturellen Harmonisierung beider Rechtsgebiete, was dogmatisch durchaus wünschenswert erscheint, da das Atomrecht besonderes Immissionsschutzrecht ist. cc) Inhaltliche Systematisierung des materiellen Sicherheitsrechts infolge lückenloser, in sich abgestufter Konkretisierungsstränge Der hier vorgestellte Entwurf ermöglicht durchgehende Stränge abgestufter bzw. gestaffelter Konkretisierungen von der Ebene des Atomgesetzes bis zum privaten technischen Regelwerk. Anders als bisher wird der Konkretisierungsgrad für die Rechtsverordnung und die allgemeine Verwaltungsvorschrift gesetzlich vorgegeben. Während Rechtsverordnungen gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG grundlegende Schutzzielbestimmungen festlegen, enthalten allgemeine Verwaltungsvorschriften gemäß § 54 a Abs. 1 Satz 2 ÄndEntwurf-AtG Zwischen- und Unterziele, die den grundlegenden Schutzzielbestimmungen nachgeordnet sind, sowie Beschreibungen von Wegen und Mitteln in Form einzelner technischer Festlegungen. Mit diesen gesetzlichen Vorgaben wird ein System abgestufter Konkretisierungsgrade auf unterschiedlichen Ebenen geschaffen. Die verschiedenen Konkretisierungsebenen sind dergestalt miteinander verknüpft, daß durchgehende Konkretisierungsstränge erzwungen werden. Auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 AtG, insbesondere dessen Nummern 1 und 10, 399

Vom 27. 6. 1980 (BGBl. I S. 772). Vgl. 1. Störfall-Verwaltungsvorschrift des Bundesministers des Innern v. 23. 4.1981 (GMB1. S. 178). 400

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

werden Rechtsverordnungen erlassen. Diese Rechtsverordnungen dürfen in Richtung unterer Regelungsebenen nur auf allgemeine Verwaltungsvorschriften, nicht aber auf private technische Regelwerke verweisen (§12 Abs. 2 Satz 2 ÄndEntwurf-AtG), so daß die Ebene der allgemeinen Verwaltungsvorschriften nicht übersprungen werden kann. Gegenläufig dürfen allgemeine Verwaltungsvorschriften nur zur Durchführung der Rechtsverordnungen, nicht aber zur Durchführung des Atomgesetzes selbst erlassen werden (§ 54 a Abs. 1 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG), so daß ohne eine entsprechende Rechtsverordnung keine allgemeine Verwaltungsvorschrift ergehen und mithin die Ebene der Rechtsverordnung beim oder durch den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften nicht übergangen werden kann. Darüber hinaus dürfen die allgemeinen Verwaltungsvorschriften nur auf private technische Regelwerke verweisen und auch nur unter den engen Voraussetzungen, daß die Regelwerke jedermann zugänglich und in einem öffentlichen Archiv niedergelegt sind und daß die Verweisung statisch ist (§ 54a Abs. 3 Satz 2 ÄndEntwurf-AtG). Da der Entwurf sicherstellt, daß bei der Konkretisierung keine Regelungsebene übersprungen werden kann, und da die Verweisungen der allgemeinen Verwaltungsvorschriften in eindeutig belegbare Regelwerke führen, ist die Konkretisierung durch alle Ebenen hindurch lückenlos gesichert. Die in dem hier vorgestellten Entwurf vorgeschriebenen lückenlosen, in sich abgestuften Konkretisierungsstränge werden zu einer inhaltlichen Systematisierung und Strukturierung des materiellen Sicherheitsrechts führen und diese — derzeit schwer durchschaubare — Materie von der Gesetzesebene bis zum privaten technischen Regelwerk transparenter machen, was unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Rechtsklarheit höchst wünschenswert erscheint. dd) Dynamik und Steigerung der Rechtssicherheit infolge der Vermutungsklausel § 12 Abs. 2 Satz 3 ÄndEntwurf-AtG fördert die Dynamik sicherheitsrelevanter Anforderungen, steigert zugleich aber auch die Rechtssicherheit in diesem Bereich. Diese hier vorgeschlagene Bestimmung bietet die Möglichkeit, in die Rechtsverordnung eine Vermutungsklausel des Inhalts aufzunehmen, daß die Genehmigungsbehörde die nach der Rechtsverordnung erforderliche Vorsorge gegen Schäden in der Regel als getroffen anzusehen hat, wenn die in Bezug genommenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften (§ 54 a ÄndEntwurf-AtG) bei der Auslegung der kerntechnischen Anlage zugrunde gelegt und eingehalten werden. Die Vermutung („als getroffen") zugunsten der in Bezug genommenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften ist widerlegbar; dies ergibt sich aus der Formulierung „in der Regel". Die Vermutung kann in zwei Richtungen widerlegt werden. Zum einen negativ dahin, daß die erforderliche Vorsorge gegen Schäden bei Einhaltung der in Bezug genommenen allgemeinen Verwalt-

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

ungsvorschriften nicht getroffen ist (Widerlegung der Richtigkeit der allgemeinen Verwaltungsvorschriften); zum anderen positiv dahin, daß die erforderliche Vorsorge gegen Schäden auch dann getroffen ist, wenn andere, in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften nicht enthaltene Anforderungen eingehalten werden (Widerlegung der Vollständigkeit der allgemeinen Verwaltungsvorschriften). Sowohl die positive als auch die negative Widerlegung fördern die Dynamik sicherheitsrelevanter Anforderungen. Ist nämlich in einem Genehmigungsverfahren für eine kerntechnische Anlage die Richtigkeit oder die Vollständigkeit einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift widerlegt worden, so wird dies nicht ohne Auswirkungen bleiben; denn durch die Widerlegung geraten die für den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften Zuständigen (vgl. § 54 a Abs. 1 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG) unter Druck, die allgemeine Verwaltungsvorschrift entsprechend zu ändern. Die Widerlegung im Einzelfall bewirkt daher eine dynamische Fortschreibung der sicherheitsrelevanten Anforderungen in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften, was unter dem Aspekt der Dynamik des Grundrechtsschutzes 401 höchst wünschenswert erscheint. Gelingt die Widerlegung der Richtigkeit oder der Vollständigkeit einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift nicht und hegt die Genehmigungsbehörde hinsichtlich der sicherheitsrelevanten Anforderungen nicht ausräumbare Zweifel, dann greift die Vermutung des § 12 Abs. 2 Satz 3 ÄndEntwurf-AtG, so daß die Genehmigungsbehörde bei Einhaltung der in Bezug genommenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften die nach der Rechtsverordnung erforderliche Vorsorge gegen Schäden als getroffen anzusehen hat. Dies ist sachgerecht, weil dadurch in Zweifelslagen diejenigen sicherheitsrelevanten Anforderungen zum Zuge kommen, an deren Erlaß unabhängige Gremien beteiligt sind, in denen Naturwissenschaft und Technik ausgewogen vertreten sind (vgl. § 54 b Abs. 2 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG). Da wegen der Vermutung zugunsten der allgemeinen Verwaltungsvorschriften in Zweifelslagen die allgemeinen Verwaltungsvorschriften Anwendung finden müssen, wird die Vorhersehbarkeit der Behördenentscheidung erleichtert und die Rechtssicherheit für die am Genehmigungsverfahren Beteiligten somit gesteigert. Da die Vermutung zugunsten der allgemeinen Verwaltungsvorschriften in einer Rechtsverordnung, also in einem Rechtssatz, ausgesprochen wird und somit Außenwirkung besitzt, steigert sich auch die Rechtssicherheit im Verwaltungsprozeß. Da die rechtsprechende Gewalt an die Vermutung wegen deren normativer Außenwirkung gebunden ist, darf sie die Anwendung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift durch die Genehmigungsbehörde in Zweifelslagen nicht beanstanden, wenn und soweit die Richtigkeit und Vollständigkeit der allgemeinen Verwaltungsvorschrift im Verwaltungsprozeß nicht widerlegt worden sind. Dogmatisch bedeutsam ist es, daß die allgemeinen Verwaltungsvorschriften bei der Einbindung durch eine normative Vermutung weiterhin ohne Rechtssatzqualität und damit ohne Außenwirkung bleiben; denn die 401

Vgl. BVerfGE 49, 89 (137). s. dazu unten Fünfter Teil.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

251

Außenwirkung wird über die normative Vermutung, nicht aber über das Vermutungsobjekt, d. h. die allgemeine Verwaltungsvorschrift, erzeugt. Die beschriebene Vermutungsklausel im hier vertretenen Modell 3 unterscheidet sich grundlegend von der im Schrifttum entwickelten Vermutungsklausel, die oben 402 als Modell 2 dargestellt worden ist. Die Vermutungsklausel des Modells 2 unterliegt gravierenden rechtlichen Bedenken. Während das Modell 3 eine Vermutung zugunsten allgemeiner Verwaltungsvorschriften ausspricht, erstreckt sich die Vermutung des Modells 2 auf die vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen verwaltungsinternen Regelungen und auf die technischen Regeln privater Gremien sowie des Kerntechnischen Ausschusses in seiner derzeitigen Organisationsform. Während sich somit im Modell 3 die Vermutung auf Vorschriften legitimierter staatlicher Gewalt bezieht403, unterwirft die Vermutungsklausel des Modells 2 Exekutive und Judikative in Zweifelsfragen verwaltungsinternen Regelungen und technischen Regeln, die von demokratisch nicht legitimierten Gremien erlassen werden 404. Dies ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar. Die gegenteilige Auffassung von Marburger 405 verkennt, daß „institutionalisierter und organisierter Sachverstand" die demokratische Legitimation eines Gremiums weder herstellen noch ersetzen kann. Ein weiteres Bedenken gegen die Vermutungsklausel des Modells 2 ergibt sich daraus, daß Anhänger dieses Modells diese Klausel als „widerlegbare . . . Tatsachenvermutung" im Sinne einer Beweislastregel verstehen406. Bei einem Beweis geht es um Tatsachen. Die Vermutungsklausel zielt jedoch nicht auf Tatsachen, sondern auf die sicherheitsrelevanten Anforderungen, die in den in Bezug genommenen verwaltungsinternen Regelungen und technischen Regeln enthalten sind. Daher ist es rechtsbegrifflich unrichtig und irreführend, die Vermutungsklausel als Beweislastregel zu qualifizieren 407. ee) Neuordnung der Gremienarbeit Ein weiterer Vorzug des hier vertretenen Änderungsentwurfs liegt in der Neuordnung der Gremienarbeit. Derzeit werden sicherheitsrelevante Vorschriften unterhalb der Gesetzesebene von einer Vielzahl verschiedener Organe und Gremien erlassen408, wodurch die Verantwortung für die nukleartechnische Sicherheit auf viele Schultern 402 403 404 405 406 407 408

Vierter Teil D. V. 3.b) bb). Das verkennt Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 66. Vgl. Backhaus, Begriff „Stand von Wissenchaft und Technik", S. 63. Marburger, Schadensvorsorge, S. 227 f. So Marburger, Schadensvorsorge, S. 227. Vgl. Backhaus, Begriff „Stand von Wissenschaft und Technik", S. 62. s. oben Vierter Teil D. III. 2.a).

252

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

verteilt wird. Die Bestimmung der Verantwortlichen für die sicherheitsrelevanten Vorschriften unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung wird noch dadurch erschwert, daß nicht die Urheber dieser Vorschriften, sondern der Bundesminister des Innern diese Vorschriften bekanntmacht409, wobei die Frage, wem die Verantwortung für diese Vorschriften zuzuordnen ist, ungeklärt ist. Die derzeitige Zuständigkeitsvielfalt der verschiedensten Organe und Gremien ohne klare Zuordnung der Verantwortlichkeiten reduziert der hier vertretene Änderungsentwurf zum Atomgesetz auf die Zuständigkeit der Bundesregierung bzw. des durch sie ermächtigten Bundesministers (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 AtG, § 54a Abs. 1 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG), was eine eindeutige Zuordnung der Verantwortlichkeit ermöglicht. Soweit die Zuständigkeiten für den Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung bisher bei den diversen Gremien lagen, gehen diese Zuständigkeiten — mit der Überführung des derzeitigen Instrumentariums der verwaltungsinternen Regelung und des kerntechnischen Regelwerks in die Form von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungs Vorschriften (§ 54 c S. 1 ÄndEntwurf-AtG) — auf die für den Erlaß von RechtsverOrdnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften zuständige Bundesregierung bzw. auf den durch sie ermächtigten Bundesminister über. Damit konzentriert und monopolies sich die Zuständigkeit für den Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften unterhalb der Gesetzesebene auf staatliche Organe, die dem Parlament verantwortlich sind. Dies wird dem Demokratieprinzip weit besser gerecht als die derzeit praktizierte Zuständigkeitsverteilung, nach der sicherheitsrelevante Vorschriften auch von Gremien erlassen werden, deren Rechtsstatus und Einbindung innerhalb der Exekutive umstritten ist oder die privater Natur sind, so daß gegenüber dem Parlament keine Verantwortung besteht. Der hier vorgestellte Änderungsentwurf nimmt den derzeitigen Gremien zwar die Zuständigkeit für den Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung, er löst sie aber nicht auf, sondern er will ihren angesammelten Erfahrungsschatz und Sachverstand durch eine beratende Beteiligung beim Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften nutzbar machen (§ 54b Abs. 1 ÄndEntwurf-AtG). Der Status der derzeitigen Gremien wird dadurch keineswegs verschlechtert; denn die bisherigen, gesetzlich nicht geregelten Zuständigkeiten zum Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften unterhalb der Ebene der Rechtsverordnung wandeln sich in eine gesetzlich garantierte Anhörung beim Erlaß nicht nur von allgemeinen Verwaltungsvorschriften, sondern auch von Rechtsverordnungen. Der hier vertretene Änderungsentwurf bewirkt, daß die Kompetenzen zwischen staatlicher Gewalt einerseits und den be- und fortbestehenden Gremien andererseits klar gegeneinander abgegrenzt werden. Die staatliche Gewalt (Bundesregierung bzw. ermächtigter Bundesminister) ist für den Erlaß 409

Vgl. oben Vierter Teil D. III. 2.b).

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

253

sicherheitsrelevanter Vorschriften zuständig; die Gremien beraten die staatliche Gewalt hierbei im Rahmen der gesetzlich garantierten Anhörung (§ 54 b Abs. 1 ÄndEntwurf-AtG). Durch diese Kompetenzabgrenzung wird sichergestellt, daß die wertende Entscheidung über die erforderliche Vorsorge gegen Schäden — eindeutig — in der Zuständigkeit staatlicher Gewalt liegt und daß nicht die in den Gremien vertretene Naturwissenschaft und Technik über die Erforderlichkeit von Mitteln gegen Schadensmöglichkeiten und somit (negativ) darüber entscheiden, welcher Rest an Schadensmöglichkeiten in Kauf genommen werden soll. Zwar können Naturwissenschaft und Technik im Rahmen der Anhörung zur Frage der Erforderlichkeit von Mitteln und der Akzeptanz von Schadensmöglichkeiten beratend Stellung nehmen, sie bleiben dabei aber auf eine lediglich vorbereitende Hilfsfunktion beschränkt. Die eigentliche Entscheidung über die erforderliche Schadensvorsorge trifft ausschließlich die für den Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften zuständige staatliche Gewalt. Damit entspricht der hier vertretene Änderungsentwurf der vom Demokratieprinzip gebotenen Aufgabenteilung zwischen staatlicher Gewalt einerseits und Naturwissenschaft und Technik andererseits 410. Ein weiterer Vorzug des hier vertretenen Änderungsentwurfs liegt in der klaren Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Gremien. Während die öffentlich-rechtlichen Gremien fachspezifisch und mit unabhängigen Mitgliedern besetzt sein müssen411, können private Gremien—wie bisher— interessenspezifisch ausgerichtet sein. Die beratene öffentliche Gewalt wird diese unterschiedliche Besetzungsqualität der öffentlich-rechtlichen und privaten Gremien bei deren Stellungnahme zu berücksichtigen wissen. Der Änderungsentwurf ermöglicht weiterhin die Beteiligung Privater beim Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften. Diese Beteiligung erfolgt entweder durch private Gremien (vgl. § 54 b Abs. 1 ÄndEntwurf-AtG) oder durch Mitwirkung Privater in öffentlich-rechtlichen Gremien (vgl. § 54b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ÄndEntwurf-AtG). Damit erkennt der Änderungsentwurf an, daß die Beteiligung Privater beim Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften wünschenswert und unentbehrlich ist. Der Änderungsentwurf begrenzt den privaten Einfluß aber in zwei Punkten. Zum einen darf die Mitwirkung Privater in öffentlich-rechtlichen Gremien nicht überwiegen (§ 54b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ÄndEntwurf-AtG); zum anderen ist jede private Mitwirkung — anders als bisher — auf eine beratende Beteiligung (Anhörung) beschränkt. Damit führt der Änderungsentwurf den Erlaß sicherheitsrelevanter Vorschriften in die ausschließliche Verantwortung staatlicher Gewalt zurück.

410 411

Vgl. oben Vierter Teil Β. II. m.w.N. § 54b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ÄndEntwurf-AtG.

254

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

ff) Eindeutige rechtliche Verhältnisse hinsichtlich des Kerntechnischen Ausschusses Der hier vertretene Änderungsentwurf trägt dazu bei, bestehende rechtliche Unsicherheiten hinsichtlich des Kerntechnischen Ausschusses zu beseitigen. Der Kerntechnische Ausschuß bleibt weiterhin als öffentlich-rechtliches Gremium bestehen. Die Zusammensetzung des Ausschusses ist nunmehr gesetzlich vorgegeben (§ 54 b Abs. 2 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG). Diese Vorgaben berücksichtigen die oben geäußerte Kritik an der derzeitigen Zusammensetzung des Kerntechnischen Ausschusses. § 54b Abs. 2 Satz 2 ÄndEntwurf-AtG stellt den Kerntechnischen Ausschuß auf eine normative Rechtsgrundlage (Rechtsverordnung). Das bisher nicht eindeutige rechtliche Verhältnis zwischen Kerntechnischem Ausschuß und dem Bundesminister des Innern klärt der Änderungsentwurf dahingehend, daß kerntechnische Regeln in Zukunft von der Bundesregierung oder vom ermächtigten Bundesminister als allgemeine Verwaltungsvorschriften (§ 54 a Abs. 1 Satz 2 ÄndEntwurf-AtG) erlassen werden, wobei auch die bestehenden Regeln des Kerntechnischen Ausschusses in die Form allgemeiner Verwaltungsvorschriften zu überführen sind (§ 54c S. 1 ÄndEntwurf-AtG), während der Kerntechnische Ausschuß im Rahmen der gesetzlich garantierten Anhörung beratende Funktionen ausübt (§ 54 b Abs. 1 ÄndEntwurf-AtG). Mit dieser Neuordnung der Zuständigkeiten können kerntechnische Regeln nunmehr auch erlassen werden, wenn ein Konsens im Kerntechnischen Ausschuß nicht in Sicht ist, und sogar auch dann, wenn der Ausschuß eine gegenteilige Stellungnahme abgegeben hat. Damit eröffnet der Änderungsentwurf die Möglichkeit, das kerntechnische Regelwerk zu dynamisieren. Dadurch trägt der Änderungsentwurf einerseits der oben geäußerten Kritik am geringen Aktualitätsgrad des derzeitigen kerntechnischen Regelwerks412 Rechnung und erfüllt andererseits die vom Bundesverfassungsgericht erhobene Forderung nach einem dynamischen Grundrechtsschutz 413. gg) Beachtung der Wesentlichkeitstheorie Ein weiterer Vorzug des hier vertretenen Änderungsentwurfs ist es, daß er der Wesentlichkeitstheorie Rechnung trägt. Zu den wesentlichen Entscheidungen des Atomgesetzgebers im Sinne der Wesentlichkeitstheorie414 gehört die gesetzliche Vorgabe des untergesetzlichen Instrumentariums. Nach dem Willen des Atomgesetzgebers sollten als Instrumentarium unterhalb der Gesetzesebene Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften dienen (vgl. z.B. § 12 Abs. 1 i.V. mit § 54 AtG und 412 413 414

Vierter Teil D. IV. 2.d) aa). BVerfGE 49, 89 (137). s. oben Zweiter Teil A. III. 2.

D. Sicherheitsanforderungen auf untergesetzlichen Ebenen

255

Art. 87c i.V. mit Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG). Dieses gesetzlich vorgesehene Instrumentarium hat die Exekutive umlaufen, indem sie auf verwaltungsinterne Regelungen und technische Regeln ausgewichen ist. Damit hat die Exekutive wesentliche Entscheidungen des Atomgesetzgebers in Frage gestellt. Der hier vertretene Änderungsentwurf zum Atomgesetz will nun — im Wege gesetzgeberischen Nachfassens — sicherstellen, daß die vom ursprünglichen Atomgesetzgeber für wesentlich erachteten instrumenteilen Entscheidungen respektiert und eingehalten werden. Um einem erneuten Ausbrechen der Exekutive aus dem gesetzlich vorgezeichneten Rahmen vorzubeugen, gibt der hier vertretene Änderungsentwurf mehrere Eckdaten vor. Zum einen werden die wesentlichen Inhalte von Rechtsverordnung und allgemeiner Verwaltungsvorschrift umrissen (§12 Abs. 2 sowie § 54a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 ÄndEntwurfAtG). Zum anderen wird die Zusammensetzung der zu beteiligenden öffentlichrechtlichen Gremien gesetzlich vorgegeben (§ 54b Abs. 2 Satz 1 ÄndEntwurfAtG). Schließlich untersagt der Änderungsentwurf, das derzeitige Instrumentarium der Exekutive weiterhin anzuwenden (§ 54c S. 2 ÄndEntwurf-AtG). Diese Eckdaten sind wesentlich im Sinne der Wesentlichkeitstheorie; denn sie dienen dazu, die vom ursprünglichen Atomgesetzgeber für wesentlich erachteten instrumentellen Vorgaben bei der Exekutive durchzusetzen. Die Festsetzung dieser Eckdaten ist daher dem Gesetzgeber vorzubehalten. hh) Beschleunigter Erlaß von Rechtsverordnungen Ein weiterer Vorzug des hier vertretenen Änderungsentwurfs besteht darin, daß er den Erlaß von Rechtsverordnungen beschleunigen wird. Soweit bei Inkrafttreten des Änderungsgesetzes verwaltungsinterne Regelungen und kerntechnische Regeln bestehen, müssen diese innerhalb der von § 54 c S. 1 ÄndEntwurf-AtG gesetzten Frist transformiert werden, wenn sie nach Fristablauf weiter berücksichtigt werden sollen. Soweit ihr Inhalt in Rechtsverordnungen eingehen muß (§12 Abs. 1 ÄndEntwurf-AtG), ergibt sich der Zwang zum Erlaß von Rechtsverordnungen unmittelbar; soweit ihr Inhalt in allgemeine Verwaltungsvorschriften überführt werden muß (§ 54a Abs. 1 Satz 2 ÄndEntwurf-AtG), ergibt sich der Zwang hierzu mittelbar daraus, daß allgemeine Verwaltungsvorschriften nur zur Durchführung von Rechtsverordnungen erlassen werden dürfen (§ 54 a Abs. 1 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG), so daß die entsprechende Rechtsverordnung gleichzeitig miterlassen werden muß. Auf diesem Wege hätte es der Gesetzgeber durch eine knappe Fristbemessung in der Hand, den Erlaß einer „Anlagen-" bzw. „Anlagensicherheits-" bzw. „Anlagenerrichtungsverordnung" zu beschleunigen. Soweit bei Inkrafttreten des Änderungsgesetzes verwaltungsinterne Regelungen und kerntechnische Regeln nicht bestehen, müssen für neu zu regelnde Bereiche — ohne Übergangsfrist — die Formen der Rechtsverordnung und der allgemeinen Verwaltungsvorschrift gewählt werden. Da keine Verwaltungsvor-

256

4. Teil: Sicherheitsrelevante Genehmigungsvoraussetzungen

schrift ohne entsprechende Rechtsverordnung erlassen werden darf (§ 54 a Abs. 1 Satz 1 ÄndEntwurf-AtG), wird — bei einem zu erwartenden Bedarf an allgemeinen Verwaltungsvorschriften — der Erlaß von Rechtsverordnungen ebenfalls beschleunigt. Von diesem Umstand könnten insbesondere die sonstigen Anlagen des nuklearen Brennstoffkreislaufs profitieren, bei denen — wie oben gezeigt — im Gegensatz zu den Kernkraftwerken ein beträchtliches Defizit an sicherheitsrelevanten Vorschriften besteht. Der beschleunigte Erlaß von Rechtsverordnungen würde, da es sich hierbei um Rechtssätze mit Außenwirkung handelt, die Rechtssicherheit und damit ein bedeutendes Element des Rechtsstaatsprinzips415 fördern.

415

Vgl. BVerfGE 60, 253 (267).

Fünfter

Teil

Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G Im Vierten Teil wurde die Frage erörtert, wie das Instrumentarium auf den untergesetzlichen Ebenen auszugestalten ist, dessen sich die Exekutive bei der Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG („die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden") zu bedienen hat. Diese Erörterung enthält noch keine Antwort auf die Frage, wie die unbestimmten Rechtsbegriffe materiell auszulegen sind. Dieser Frage wird im folgenden nachgegangen. Die Zahl der Versuche in der rechtswissenschaftlichen Literatur, die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG auszulegen, ist nicht mehr überschaubar1. Auch im naturwissenschaftlich-technischen Schrifttum ist zur Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG Stellung genommen worden2. Ein Überblick über die Auslegungsversuche und ein Vergleich der unterschiedlichen Meinungen wird durch eine terminologische Vielfalt, die man kritisch auch als Begriffswirrwarr bezeichnen kann, erschwert. Als Beispiele seien nur folgende 1 Daher erhebt die nachfolgende Aufstellung des Schrifttums zur Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Benda, Technische Risiken und Grundgesetz, S.5ff.; Bender, NJW 1979, 1425ff.; ders., DÖV 1980, 633 ff.; Bettermann, Gefahrenbewertung, S. 15 ff.; Bochmann, Auslegung, S. 19ff.; Breuer, DVB1. 1978,829ff.; ders., WiVerw. 1981,219ff.; ders., Der Staat 20 (1981), 393ff.; Buiren/Beierstedt/Grimm, Technisches Risiko, S. 68ff., 86ff., 102ff., 118ff., 126ff., 182ff.; Degenhart, Kernenergierecht, S. 7ff.; Feldmann, ET 1983, 385ff.; Hanning)Schmieder, DB 1977, Beil. Nr. 14, S. Iff.; Hansen-Dix, Gefahr, S. 81 ff., 112ff., 167ff., 216ff.; Hansmann, DVB1. 1981,898ff.; Hofmann, Entsorgung, S. 328ff.; Hohlefelder, ET 1983,392ff.; Kramer, NJW 1981,260 ff.; Kutscheidt, Vorsorge gegen Schäden, S. 71 ff.; Lieb, ZfU 1978, 279 ff.; Lukes, Vorsorge gegen Schäden, S. 49ff; Lukes /Feldmann/Knüppel, Gefahrenbeurteilungen, S. 171 ff.; Marburger, Schadensvorsorge, S. 7ff.; ders., Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 51 ff.; ders., ET 1984,209ff.; Nicklisch, BB 1981,505 ff.; ders., NJW 1982,2633ff.; Nolte, Anforderungen, S. 34ff., 37ff., 75ff.; Obenhaus/Kuckuck, DVB1.1980,154ff.; Ossenbühl, DÖV 1981, 1 (3); ders., Bewertung von Risiken, S. 45ff.; ders., Bewertung technischer Risiken, S. 155ff.; ders., DÖV 1982, 833ff.; Plagemann/Tietzsch, Rechtsbegriffe, S. 9ff.; Rittstieg, Konkretisierung, S. 31 ff.; Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 212ff.; Seilner, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 371 ff.; ders., Bewertung technischer Risiken, S. 183 ff.; ders., Technischer Fortschritt, S. 273 ff.; Sommer, Richterliche Kontrolle, S. 28ff.; Wagner, DÖV 1980, 269ff.; ders., NJW 1980, 665ff.; ders., BB 1980, 1809ff.; Weber, Kontrolldichte, S. 85 ff.; Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 24ff. 2 Vgl. statt vieler z. B. Hawickhorst, ET 1983, 844ff.; Smidt, Vorsorge gegen Schäden, S. 39ff; ders., Sicht des Technikers, S. 39ff.

17 Luckow

258

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Begriffe genannt3: Gefahrenabwehr, Gefahrenvorsorge, Gefahrenverdacht, Risikovorsorge, Restrisiko, Risikorest, Risiko unterhalb der Gefahrenschwelle, Risiken mit und ohne erkannter Gefahrenqualität 4, Risiken mit und ohne Gefahrenwert, Risiko Vorsorge unterhalb der Schädlichkeitsschwelle und unterhalb der Schwelle praktischer Vorstellbarkeit eines theoretisch möglichen Schadenseintrittes5, als Gefahr erkannte Entwicklungsmöglichkeit, Schadensvorsorge, Restschaden, Mindestschaden. Ossenbühl 6 vermutet zu Recht, daß in den aufgeführten Begriffen nicht nur sprachliche Vielfalt, sondern auch „sachliche Hilflosigkeit angesichts eines kaum lösbaren Problems" zum Ausdruck komme. Die vorliegende Arbeit verzichtet bewußt darauf, den Meinungsstand in verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und Literatur im einzelnen nachzuzeichnen, und verweist insoweit auf die ausführlichen Darstellungen bei Ronellenfitsch,

Rittstieg und Marburger

1

. Die vorliegende Untersuchung be-

schränkt sich vielmehr darauf, § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG wörtlich — unter Berücksichtigung systematischer, teleologischer und historischer Erwägungen — auszulegen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung dieser Norm zu analysieren. A. Wörtliche Auslegung — unter Berücksichtigung systematischer, teleologischer und historischer Erwägungen Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG darfeine Genehmigung nur erteilt werden, wenn die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist. I. „Vorsorge gegen Schäden : . . treffen 64 1. Allgemeine Wortbedeutung

Eine wörtliche Auslegung sollte beim Begriff „Vorsorge . . . getroffen" beginnen. Vorsorge treffen heißt von der allgemeinen Wortbedeutung her, im Hinblick auf ein Ereignis Maßnahmen zu ergreifen. Die Sorge liegt zeitlich vor dem Ereignis; somit wird die Vorsorge zur einen Seite hin vom Eintritt des 3 Vgl. hierzu auch Benda, Technische Risiken und Grundgesetz, S. 5; Ossenbühl, Bewertung von Risiken, S. 45; Rittstieg, Konkretisierung, S. 35 m.w.N. 4 So Bender, NJW 1979, 1425 (1426); ders., DÖV 1980, 633 (634). 5 So Breuer, DVB1. 1978, 829 (836 ff.). 6 Ossenbühl, Bewertung von Risiken, S. 45. 7 Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 218-232; Rittstieg, Konkretisierung, S. 37-41; Marburger, Schadensvorsorge, S. 60-63.

Α. Wörtliche Auslegung

259

Ereignisses begrenzt. Begrifflich ist Vorsorge nur dort denkbar, wo der Eintritt des Ereignisses nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Die Vorsorge beginnt also jenseits des Punktes, an dem der Eintritt des Ereignisses von vornherein ausgeschlossen, d. h. absolut unwahrscheinlich ist. Das weite Auseinanderliegen der Begrenzungspunkte (einerseits: Eintritt des Ereignisses von vornherein ausgeschlossen — andererseits: Eintritt des Ereignisses) zeigt, daß Vorsorge nicht nur einen dicht vor dem Ereigniseintritt liegenden Bereich umfaßt, sondern auch den übrigen, vom Ereigniseintritt weiter entfernt liegenden Bereich, in dem die Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts einen geringeren Grad aufweist, aber größer als Null ist. Der Begriff der Vorsorge umfaßt somit nicht nur die dicht vor dem Ereigniseintritt liegende Abwehr des Ereignisses, sondern auch den jenseits der Abwehr liegenden Bereich geringerer Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts (Vorsorge i.e.S.). Damit ist zugleich gesagt, daß das Differenzierungskriterium auf der Skala der Vorsorge die Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts ist. Diese geht von Null — zunehmend — bis zum Ereigniseintritt. Der Begriff der Vorsorge ist in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG kombiniert mit dem Begriff des Schadens. Das bisher abstrakt umschriebene „Ereignis" bedeutet in dieser Kombination also Schaden. Vorsorge gegen Schäden treffen heißt somit, im Hinblick auf einen Schaden Maßnahmen zu ergreifen. Von der Wortbedeutung her deckt „Vorsorge gegen Schäden" einen weiten Bereich ab. Schadensvorsorge kann so weit gehen, daß ein Schadenseintritt ausgeschlossen werden muß; sie muß aber nicht so weit gehen; denn „Schadensvorsorge" heißt nicht zwingend Schadensausschluß. Somit deckt der Begriff der Schadensvorsorge einen Teilbereich, in dem ein Schadenseintritt ausgeschlossen werden muß, und einen Teilbereich, in dem ein Schaden nicht ausgeschlossen werden muß. Der Teilbereich, in dem ein Schadenseintritt nicht ausgeschlossen werden muß, ist auf der Vorsorgeskala dort zu lokalisieren, wo die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts geringer ist, also in dem Bereich der Skala, der in Richtung auf den Nullwert geht und an diesen grenzt. Der Teilbereich hingegen, in dem ein Schadenseintritt ausgeschlossen werden muß, ist auf der Vorsorgeskala dort zu lokalisieren, wo die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts größer ist, also in dem Bereich der Skala, der dicht vor dem Schadenseintritt liegt. Nicht nur hinsichtlich der Lage auf der Vorsorgeskala, sondern auch hinsichtlich der zu ergreifenden Vorsorgemaßnahmen ist zwischen beiden genannten Teilbereichen zu differenzieren. In dem einen Teilbereich sind Maßnahmen zu treffen, die einen Schaden ausschließen; in dem anderen Teilbereich, in dem ein Schadenseintritt nicht ausgeschlossen werden muß, sind Maßnahmen zur Verhinderung eines Schadenseintritts und für den Fall eines gleichwohl eintretenden Schadens vorbeugende Maßnahmen zur Begrenzung des Ausmaßes des Schadens zu ergreifen. Die Schadensvorsorge i.S. des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG umfaßt also verschiedene Maßnahmearten. 17*

260

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Die Entwicklung und das Ergebnis der wörtlichen Auslegung des Begriffs „Vorsorge gegen Schäden . . . treffen" lassen sich bildlich folgendermaßen festhalten: THESE A : Eintritt des Ereignisses „Vorsorge ... treffen" = im Hinblick auf ein Ereignis Maßnahmen ergreifen Abwehr des Ereignisses

Vorsorge i. e. S.

Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts

Eintritt des Ereignisses von vornherein ausgeschlossen = absolut unwahrscheinlich, d. h. Wahrscheinlichkeit ist Null Null

THESE B: Schadenseintritt Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts „Vorsorge gegen Schäden ... treffen" = Maßnahmen gegen Schäden ergreifen

Schadenseintritt von vornherein ausgeschlossen = absolut unwahrscheinlich, d. h. Wahrscheinlichkeit ist Null

kann heißen: Schadenseintritt muß ausgeschlossen werden

Schadenseintritt muß nicht ausgeschlossen werden

Maßnahmen zum Schadensausschluß

Maßnahmen zur Verhinderung eines Schadenseintritts und vorbeugende Maßnahmen zur Begrenzung des Ausmaßes eines gleichwohl eintretenden Schadens

2. Systematische Absicherung

Die hier vorgenommene wörtliche Auslegung des Begriffs „Vorsorge gegen Schäden" läßt sich mit einer systematischen Betrachtung absichern. Das Atomgesetz und das Bundesimmissionsschutzgesetz gehören beide zum Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen8 und darüber hinaus beide zum Immissionsschutzrecht, da Strahlen als Immissionen gelten (§ 3 I I BImSchG). Daher können Atom- und Bundesimmissionsschutzgesetz unter systematischen und strukturellen Gesichtspunkten miteinander verglichen werden. Die Tatsache, daß der Atomgesetzgeber den im allgemeinen Sicherheitsrecht zentralen Begriff der Gefahrenabwehr nicht in das Atomgesetz übernommen 8

Vgl. hierzu schon oben Dritter Teil F. III. 5.

Α. Wörtliche Auslegung

261

und statt dessen — soweit ersichtlich erstmalig — den Begriff „Vorsorge gegen Schäden" gewählt hat, belegt, daß der Atomgesetzgeber in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG qualitativ etwas anderes verlangt als eine reine Gefahrenabwehr. Wie im Rahmen der wörtlichen Auslegung festgestellt, ist der Begriff der Vorsorge weitergehend als der Begriff der Abwehr. Diese im Atomgesetz angelegte Unterscheidung zwischen Vorsorge und Abwehr arbeitet der Gesetzgeber im späteren Bundesimmissionsschutzgesetz stärker heraus, indem er das der Gefahrenabwehr zuzuordnende Schutzprinzip (§1,1. Alt., § 5 Nr. 1 BImSchG) durch das Vorsorgeprinzip (§1,2. Alt., § 5 Nr. 2 BImSchG) ergänzt. Sinn des Vorsorgeprinzips ist es u.a., eine Sicherheitszone vor der Gefahrenschwelle zu schaffen 9. Die präzisere Differenzierung im Bundesimmissionsschutzgsetz zwischen Schutz- und Vorsorgeprinzip konturiert die im Atomgesetz angelegte Unterscheidung zwischen Abwehr und Vorsorge. Eine Gesamtschau beider Gesetze läßt daher den Schluß zu, daß der Gesetzgeber im Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen und im Immissionsschutzrecht allgemein Gefahrenabwehr und Vorsorge qualitativ und graduell unterschiedlich verstanden wissen will 10 . Daß das Vorsorgeprinzip im Atomrecht nicht so deutlich wie im späteren Bundesimmissionsschutzgesetz ausgeformt ist, steht der gefundenen Schlußfolgerung nicht entgegen. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß der Begriff der Vorsorge — wie gezeigt — ausdrücklich und bewußt im Atomgesetz aufgeführt ist 11 . Im Gegensatz zur hier vertretenen Auffassung versteht Ronellenfitsch den atomrechtlichen Vorsorgebegriff eigenständig; die atomrechtliche Schadensvorsorge habe mit dem Vorsorgegrundsatz des Bundesimmissionsschutzgesetzes nichts zu tun 12 . Diese Betrachtungsweise verkennt die oben aufgezeigten systematischen und strukturellen Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten beider Gesetze und beruht nicht zuletzt auf der unrichtigen Annahme, Vorsorge i.S. des § 5 Nr. 2 BImSchG bedeute ausschließlich die Erhaltung von Freiräumen13. Dies ist aber gerade nicht der Fall; denn — wie eben gezeigt — bezweckt §5 Br. 2 BImSchG auch, eine Sicherheitszone vor der Gefahrenschwelle zu schaffen.

9 Vgl. Bericht des Innenausschusses, BT-Ds. 7/1518, S. 2; Harming ISchmieder, DB 1977, Beil. Nr. 14, S. 1 (14); Seilner, Grundpflichten, S. 603 (609); ders., NJW 1980,1255 (1256ff.); Breuer, Der Staat 20 (1981), 393 (411 ff.); Hansmann, DVB1. 1981, 898ff.; Rengeling, DVB1. 1982, 622 (624 f.); Kutscheidt, Öffentliches Immissionsschutzrecht, S. 237 (251); Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, § 5, Rnrn. 26, 35. 10 In diese Richtung tendiert wohl auch Breuer, DVB1. 1978, 829 (836). 11 Das verkennen Hanning/Schmieder, DB 1977, Beil. Nr. 14, S. 1 (7). 12 Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 236. 13 So ausdrücklich Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 236. Vgl. hierzu Feldhaus, DVB1. 1980, 133 (135); Martens, DVB1. 1981, 597 (602f.).

262

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG II. „Durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage44

Aus dem Wortlaut läßt sich nicht eindeutig erschließen, ob die Wendung „durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage" dem Begriff des Schadens oder dem Begriff „getroffen" zuzuordnen ist. Im ersteren Fall wären Errichtung und Betrieb der Anlage als Schadensursache14, im zweiten Fall als Mittel der Schadensvorsorge gemeint15. Eine historische und eine teleologische Betrachtung ergeben indessen, daß „die Errichtung und der Betrieb der Anlage" sowohl als Schadensursache als auch als Schadensvorsorge zu verstehen sind. Für das Verständnis als Schadensursache spricht die Begründung zum Entwurf des Atomgesetzes, in der ausgeführt wird 16 : „Wer eine Genehmigung beantragt, muß . . . nachweisen, daß . . . Vorsorge dafür getroffen ist, daß durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage keine Schäden entstehen können."

Diese Entwurfsbegründung versteht Errichtung und Betrieb der Anlage eindeutig als Schadensursache17. Für das Verständnis als Schadensvorsorge sprechen Sinn und Zweck des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Da die Nr. 3 eine Voraussetzung für die Genehmigung einer Anlage bildet, diese Genehmigung sich an den Anlageninhaber richtet und dieser Genehmigungsadressat nur in seiner Eigenschaft als Anlageninhaber verpflichtet werden kann, kann er Vorsorge i. S. der Nr. 3 auch nur durch Errichtung und Betrieb der Anlage treffen. Die Vorsorgemaßnahmen i. S. der Nr. 3 sind somit gegenständlich begrenzt auf die Errichtung und den Betrieb der Anlage, wobei die Auslegung der Anlage in den Bereich der „Errichtung" und die Bedienung der Anlage in den Bereich des „Betriebs" fallen. Festzuhalten bleibt somit, daß die Wendung „durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage" sowohl als Schadensursache als auch als Schadensvorsorge zu verstehen ist. I I I . „Erforderliche 44 Vorsorge

Aus dem Begriff „erforderlich" lassen sich im Wege einer wörtlichen Auslegung zwei Schlußfolgerungen ziehen. I . Erforderliche und nicht erforderliche Schadensvorsorge

Zum einen läßt sich — negativ — folgern, daß es innerhalb des Bereichs „Vorsorge gegen Schäden . . . treffen" neben einem Teilbereich der erforderli14 15 16 17

So Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 235. So Marburger, Schadensvorsorge, S. 30f. BT-Ds. III/759, S. 23. Das übersieht Marburger, Schadensvorsorge, S. 30.

Α. Wörtliche Auslegung

263

chen Schadensvorsorge einen Teilbereich der nicht erforderlichen Schadensvorsorge gibt. Damit eröffnet der Gesetzgeber einen Teilbereich, in dem Maßnahmen gegen einen Schadenseintritt nicht ergriffen werden müssen und somit Schadensmöglichkeiten in Kauf genommen werden. T H E S E C: „Vorsorge gegen Schäden .. . treffen" „Erforderliche Vorsorge gegen Schäden" (§7 Abs. 2 Nr. 3 AtG)

Vorsorge, d.h. Maßnahmen, nicht erforderlich Schadensmöglichkeiten werden in Kauf genommen

Projiziert man den Teilbereich der nicht erforderlichen Schadensvorsorge auf die oben entwickelte Vorsorgeskala 18, so ergibt sich folgendes: Der Teilbereich, in dem Schadensmöglichkeiten in Kauf genommen werden, kann nur dem Teilbereich zugeordnet werden, in dem ein Schadenseintritt nicht ausgeschlossen werden muß; denn in dem Teilbereich, in dem ein Schadenseintritt ausgeschlossen werden muß, ist ein Restraum in Kauf genommener Schadensmöglichkeiten begrifflich nicht denkbar. Innerhalb des Teilbereichs, in dem ein Schadenseintritt nicht ausgeschlossen werden muß, ist der Teilbereich, in dem Schadensmöglichkeiten in Kauf genommen werden, dort anzusiedeln, wo die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts am geringsten ist, also in dem Bereich der Vorsorgeskala, der in Richtung auf den Nullwert geht und an diesen grenzt. Welche Maßnahmen innerhalb der „erforderlichen Vorsorge gegen Schäden" im einzelnen ergriffen werden müssen, sagt der Wortlaut des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht. Immerhin läßt sich aber feststellen, daß sowohl Maßnahmen zum Schadensausschluß als auch Maßnahmen zur Verhinderung eines Schadenseintritts sowie vorbeugende Maßnahmen zur Begrenzung des Ausmaßes eines gleichwohl eintretenden Schadens vom Begriff der „erforderlichen Vorsorge gegen Schäden" gedeckt sind. Nur die erforderliche Schadensvorsorge ist gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG Genehmigungsvoraussetzung. Ist eine nicht erforderliche Schadensvorsorge nicht getroffen, hindert dies die Genehmigung nicht. Insoweit nimmt der Gesetzgeber Schadensmöglichkeiten in Kauf.

18

Vgl. hierzu die zeichnerische Darstellung i m A n h a n g V I , P r o j e k t i o n der Thesen Β u n d C.

264

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG 2. Wertungs- und Abwägungsvorgang

Aus dem Begriff „erforderlich" läßt sich außerdem folgern, daß eine Wertung und eine Abwägung vorzunehmen sind; denn dem Begriff der Erforderlichkeit ist ein solcher Vorgang immanent. Eine Bestimmung der Erforderlichkeit vollzieht sich nämlich in mehreren Schritten. Zunächst werden Kriterien, die für oder gegen die Erforderlichkeit sprechen, zusammengestellt. Anschließend wird die Wertigkeit jedes Kriteriums ermittelt. U.U. werdçn bereits in diesem Stadium Kriterien mit geringer Wertigkeit ausgesondert. Die verbleibenden Kriterien werden gegenübergestellt und miteinander abgewogen. Das Ergebnis dieser Abwägung enthält die Aussage über die Erforderlichkeit oder NichtErforderlichkeit. Als Resultat einer wörtlichen Auslegung bleibt somit festzuhalten, daß die Erforderlichkeit durch einen Wertungs- und Abwägungsvorgang ermittelt wird.

IV. „Nach dem Stand von Wissenschaft und Technik64

Die Wendung „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" erlaubt zwei Deutungen. Einerseits wäre es denkbar, diese Wendung als einschränkendes Attribut der „erforderlichen Vorsorge" zu verstehen. In diesem Fall verlangte § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht die erforderliche Schadensvorsorge schlechthin, sondern nur die, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik machbar ist 19 . Andererseits wäre es denkbar, die Bezugnahme auf den „Stand von Wissenschaft und Technik" nicht als eine Beschränkung der erforderlichen Schadensvorsorge, sondern als eine Beschreibung der Mittel, Methoden und Quellen der Erkenntnis bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge zu verstehen20. Vom Wortlaut her ergeben sich keine Lösungsansätze zugunsten einer der beiden möglichen Deutungen21. Auch die Gesetzesmaterialien liefern keine Lösungshinweise22. Die wortgleiche Formulierung in § 24 Abs. 4 GewO, die durch die Novellierung im Jahr 1953 eingefügt worden ist 23 , hilft bei der Auslegung im Atomrecht ebenfalls nicht weiter, da — wie Lukes 24 nachgewiesen hat — der „Stand von Wissenschaft und Technik" im Gewerberecht als „allgemein anerkannte Regeln der Technik" verstanden wird.

19

Vgl. hierzu Marburger, Schadensvorsorge, S. 28 f. Hierzu tendieren Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 240 und Marburger, Schadensvorsorge, S. 30. 21 In diesem Sinne auch Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 236. 22 So auch Lukes, Vorsorge gegen Schäden, S. 49 (58). 23 Gesetz v. 29. 9. 1953 (BGBl. I, S. 1459ff.). 24 Lukes, Vorsorge gegen Schäden, S. 49 (58). 20

Β. Verfassungskonforme Auslegung

265

Die Probleme bei der Auslegung der Wendung „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" ergeben sich aus der Kumulation der Begriffe Wissenschaft und Technik, da wissenschaftlicher und technischer Kenntnisstand in den seltensten Fällen kongruent sind. Diese Schwierigkeiten — und dies läßt sich als Zwischenergebnis festhalten — können mit den klassischen Methoden der wörtlichen, systematischen, teleologischen und historischen Auslegung nicht gelöst werden. V. Ergebnis

1. Die bisherigen Ergebnisse zur Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG sind in der Projektion im Anhang VI (Thesen A bis C) zeichnerisch zusammengefaßt. 2. Eine wörtliche Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG liefert auch unter Berücksichtigung systematischer, teleologischer und historischer Erwägungen keine materiellen Kriterien für den Verlauf der Grenze zwischen der „erforderlichen Vorsorge gegen Schäden" und dem vom Gesetzgeber in Kauf genommenen Rest an Schadensmöglichkeiten, gegen den eine Vorsorge für nicht erforderlich gehalten wird.

B. Verfassungskonforme Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG Materielle Kriterien für den Verlauf der Grenze zwischen erforderlicher Schadensvorsorge und in Kauf genommenem Rest an Schadensmöglichkeiten lassen sich möglicherweise im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gewinnen. Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung wird die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts analysiert und zu Fragen Stellung genommen, die diese Rechtsprechung aufgeworfen hat. I. Begriffsverständnis des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht vermeidet in seiner Kalkar-Entscheidung zwar Begriffsbestimmungen 25, gleichwohl läßt die Art der Verwendung einiger zentraler Begriffe Rückschlüsse auf ein Begriffsverständnis zu, das im folgenden — als Ausgangsbasis der Analyse — zu umreißen ist.

25 BVerfGE 49,89 (140): „Wie auch immer die Begriffe der Vorsorge, des Schadens und — damit im Zusammenhang - der Gefahr oder des Restrisikos bei Auslegung dieser Vorschrift zu bestimmen sind, . . . " .

266

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG 1. Schaden — Gefahr — Risiko, Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts

Das Bundesverfassungsgericht führt aus, „daß der Gesetzgeber grundsätzlich jede Art von . . . Schäden, Gefahren und Risiken in Bedacht genommen wissen will .. ," 2 6 Die Aufzählung „Schäden, Gefahren und Risiken" läßt erkennen, daß das Bundesverfassungsgericht diesen Begriffen unterschiedliche Bedeutung beimißt. Die Reihenfolge der Aufzählung läßt darüber hinaus darauf schließen, daß den Begriffen eine abgestufte Intensität beigegeben wird. Ein derartiges Begriffsverständnis steht im Einklang mit der Wortbedeutung dieser Begriffe im klassischen Sicherheitsrecht und im herkömmlichen Sprachgebrauch. Ein Vergleich mit dem klassischen Sicherheitsrecht ist zulässig, da das technische Sicherheitsrecht — ungeachtet seiner Besonderheiten — seine Wurzeln im Recht der polizeilichen Gefahrenabwehr hat 27 . Damit ist zwar nicht gesagt, daß sich die Begriffe des technischen Sicherheitsrechts ausschließlich durch einen Rückgriff auf polizeirechtliche Grundsätze klären ließen28, wohl aber lassen sich die Maßstäbe der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr als Mindestumiang der Sicherheitspflichten einschätzen, die bei Errichtung und Betrieb einer kerntechnischen Anlage einzuhalten sind29. Im klassischen Sicherheitsrecht versteht man unter Schaden die objektive Minderung eines tatsächlich vorhandenen Bestands an Rechtsgütern durch äußere regelwidrige Einflüsse 30 und unter Gefahr eine Lage, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintreten würde 31. Der Begriff des Risikos ist im klassischen Sicherheitsrecht nicht zu finden. Das Risiko wird herkömmlicherweise als ein qualitatives Minus zur Gefahr verstanden32. Während bei der Gefahr ein Schaden hinreichend wahrscheinlich sein müsse, genüge für das Risiko die Möglichkeit eines Schadens33. Aus dem dargelegten Verständnis der Begriffe Schaden, Gefahr und Risiko im klassischen Sicherheitsrecht sowie im herkömmlichen Sprachgebrauch folgt, daß die drei Begriffe in einem Verhältnis abgestufter Intensität zueinander 26

BVerfGE 49, 89 (138). Vgl. hierzu Hansen-Dix, Gefahr, S. 15, 112ff., 156f., 187ff. und Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 241 ff. 28 Z.B. bezweifelt Marburger, Regeln der Technik, S. 112ff., die Tauglichkeit des polizeirechtlichen Gefahrbegriffs für das technische Sicherheitsrecht. Hiergegen HansenDix, Gefahr, S. 187 ff. 29 So wohl auch Marburger, Schadensvorsorge, S. 31. 30 Drews I Wacke / Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 2, S. 108; vgl. auch Götz, Ordnungsrecht, S. 57; Hansen-Dix, Gefahr, S. 112; Marburger, Schadensvorsorge, S. 31. 31 Vgl. PrOVG 67, 334; 77, 341 (345); 78, 272 (278); 87, 301 (310); BVerwGE 28, 310 (315); 45,51 (57); BVerwG NJW 1970,1890 (1892); Drews / Wachet Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 2, S. 106; Hansen-Dix, Gefahr, S. 19 f.; Marburger, Schadensvorsorge, S. 73. 32 Vgl. Marburger, Schadensvorsorge, S. 73 m.w.N. 33 Steiger, Grundlagen, S. 21 (36, 38). 27

Β. Verfassungskonforme Auslegung

267

stehen, wobei der jeweilige Intensitätsgrad durch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestimmt wird. Ist die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts Null, ist ein Schaden absolut unwahrscheinlich. Dieser Nullpunkt begrenzt die Skala der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zur einen Seite hin. Von diesem Nullpunkt aus nimmt die Wahrscheinlichkeit auf der Skala zu. Das Ende der Skala der Wahrscheinlichkeit wird begrenzt durch den tatsächlich eingetretenen Schaden. Zwischen den beiden Endpunkten der Skala, d.h. zwischen Nullpunkt einerseits und eingetretenem Schaden andererseits, liegen Gefahr und Risiko eines Schadenseintritts, wobei die Gefahr den Bereich der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und das Risiko den Bereich einer geringeren Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts abdeckt. Zeichnerisch läßt sich die geschilderte Schlußfolgerung folgendermaßen darstellen: THESE D: Schadenseintritt Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts Hinreichende Wahrscheinlichkeit Schaden

Gefahr

Risiko

Absolute Unwahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts Null

Vergleicht man das vorstehende Ergebnis zur Abgrenzung der Begriffe Schaden, Gefahr, Risiko mit dem Begriffsverständnis des Bundesverfassungsgerichts, so wird deutlich, daß sowohl das klassische Sicherheitsrecht und der herkömmliche Sprachgebrauch als auch das Bundesverfassungsgericht der Begriffstrias Schaden, Gefahr, Risiko ein Verhältnis abgestufter Intensität beimessen. Der Intensitätsgrad der einzelnen Begriffe wird durch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht bringt dieses Verständnis dadurch zum Ausdruck, daß es in seiner KalkarEntscheidung unmittelbar im Zusammenhang mit der Aufzählung „Schäden, Gefahren und Risiken" die „Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadensereignisses" erwähnt 34. 2. Gefahrenabwehr — Risikovorsorge — Restrisiko

In seiner Kalkar-Entscheidung behandelt das Bundesverfassungsgericht an zwei Stellen den „Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge". Es führt aus: „Insbesondere mit der Anknüpfung an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik legt das Gesetz . . . die Exekutive normativ auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge fest." 35 34 35

BVerfGE 49, 89 (138). BVerfGE 49, 89 (138 f.).

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

268

„ . . . so hat der Gesetzgeber durch die in § 1 Nr. 2 und in § 7 Abs. 2 AtomG niedergelegten Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge "36

Beide Zitate lassen den Schluß zu, daß das Bundesverfassungsgericht die „Vorsorge gegen Schäden" i.S. des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG als Gefahrenabwehr und Risikovorsorge versteht. Diese Schlußfolgerung wird noch erhärtet durch eine Passage in der Mülheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der auf den in der Kalkar-Entscheidung behandelten Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge Bezug genommen und im Zusammenhang damit der Schadensvorsorge des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG offensichtlich als Oberbegriff verstanden wird 37 . Der an der Mülheim-KärlichEntscheidung beteiligte Richter Dr. Benda hat dieses Verständnis der Schadensvorsorge als Oberbegriff für Gefahrenabwehr und Risikovorsorge in einem späteren Aufsatz bestätigt38. Das Verständnis der Schadensvorsorge des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG als Gefahrenabwehr und Risikovorsorge geht — soweit ersichtlich — zurück auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, die von Hönning / Schmieder kritisiert und von Breuer aufgegriffen und fortentwickelt wurde 39. Die in der Kalkar-Entscheidung vorgenommene Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge ist im späteren Schrifttum u. a. von Bender diskutiert worden 40. Für den Bereich jenseits der Gefahrenabwehr und der Risikovorsorge führt die Kalkar-Entscheidung den Begriff des Restrisikos mit folgenden Darlegungen ein: „§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG läßt Genehmigungen dann zu, wenn die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadens nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist." 4 1 „§ 7 Abs. 1 und 2 AtomG läßt indes Genehmigungen auch dann zu, wenn es sich nicht völlig ausschließen läßt, daß künftig durch die Errichtung oder den Betrieb der Anlage ein Schaden auftreten wird. Die Vorschrift nimmt insoweit . . . ein Restrisiko in Kauf." 4 2

Aus beiden zitierten Passagen ergibt sich, daß im Bereich des Restrisikos eine „Vorsorge gegen Schäden" gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht erforderlich ist. Innerhalb dieses Bereichs dürfen Genehmigungen erteilt werden, ohne daß Vorsorgemaßnahmen getroffen werden müßten. 36

BVerfGE 49, 89 (143). BVerfGE 53, 30 (58 f.). 38 Benda, Technische Risiken und Grundgesetz, S. 5: „ . . . § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G . . . ,Schadensvorsorge 4 (Gefahrenabwehr und Risikovorsorge) 39 OVG Lüneburg, DVB1. 1977, 340 (341, 343 f.); Hanning/Schmieder, DB 1977, Beil. Br. 14, S. 1 (3 ff.); Breuer, DVB1. 1978, 829 (832ff). 40 Bender, NJW 1979, 1425 (1426f.). 41 BVerfGE 49, 89 (137). 42 BVerfGE 49, 89 (141). 37

Β. Verfassungskonforme Auslegung

269

Das Begriffsverständnis des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Restrisiko läßt sich zeichnerisch folgendermaßen darstellen: THESE E: Gefahrenabwehr

Risikovorsorge

Restrisiko Vorsorge nicht erforderlich

3. Ergebnis

Das geschilderte Begriffsverständnis des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich Schaden, Gefahr, Risiko sowie Gefahrenabwehr, Risikovorsorge, Restrisiko stimmt in sich und steht darüber hinaus auch in Einklang mit der oben entwickelten wörtlichen Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Dies läßt sich dadurch veranschaulichen, daß man die bisherigen Ergebnisse aufeinander projiziert 43. II. Bestimmtheit des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG 1. Maßstäbe für die Bestimmtheitsprüfung — dynamischer Grundrechtsschutz

Für die Prüfung, ob ein Gesetz dem verfassungsrechtlichen Erfordernis hinreichender Bestimmtheit genügt, gibt das Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar-Entscheidung folgende Maßstäbe vor 44 : — Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. — Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im einzelnen erfüllt sein müssen, sind die Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstands sowie die Regelungsintensität zu berücksichtigen. — Geringere Anforderungen sind vor allem bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen oder wenn zu erwarten ist, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse rasch ändern werden. Diese Maßstäbe haben für die Prüfung der Bestimmtheit des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG in mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Die Besonderheit des Regelungsgegenstands liegt darin, daß auf dem Gebiet der Nutzung der Kernenergie ein Erkenntnis- und Entwicklungsstand in den seltensten Fällen als abgeschlossen gelten kann. Vielmehr ändern sich gerade auf diesem hochtechnischen Gebiet die tatsächlichen Verhältnisse sehr rasch, so daß mit einem ständigen Fortschrei43 44

s. hierzu die zeichnerische Darstellung im Anhang VI, Projektion der Thesen A bis E. BVerfGE 49, 89 (133) m.w.N. auf die eigene Rechtsprechung.

270

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

ten des Erkenntnis- und Entwicklungsstands zu rechnen ist 45 . Unter diesem Gesichtspunkt sind — in Anwendung des an dritter Stelle genannten Maßstabes — an die Bestimmtheit atomrechtlicher Gesetzesvorschriften geringere Anforderungen zu stellen. Hinsichtlich der erwähnten Regelungsintensität sind die Gefahren der Kernenergie für Leben, Gesundheit und Sachgüter sowie die schädliche Wirkung ionisierender Strahlen, die der Atomgesetzgeber für möglich hält (vgl. § 1 Nr. 2 AtG), zu berücksichtigen, da diese Grundrechtsbeeinträchtigungen nach sich ziehen können. Diesem Umstand müssen die Anforderungen an die Bestimmtheit atomgesetzlicher Genehmigungsvorschriften Rechnung tragen. Gerade im Hinblick auf einen wirkungsvollen Grundrechtsschutz hält das Bundesverfassungsgericht einen geringeren Bestimmtheitsgrad für richtig. Es argumentiert 40: „Bei § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG sprechen gute Gründe für die Verwendung der in ihm enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe. Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils bestmöglich zu verwirklichen. Die gesetzliche Fixierung eines bestimmten Sicherheitsstandards durch die Aufstellung starrer Regeln würde demgegenüber, wenn sie sich überhaupt bewerkstelligen ließe, die technische Weiterentwicklung wie die ihr jeweils angemessene Sicherung der Grundrechte eher hemmen als fördern. Sie wäre ein Rückschritt auf Kosten der Sicherheit."

Mit dem Argument des dynamischen Grundrechtsschutzes hat das Bundesverfassungsgericht einerseits einen geringeren Bestimmtheitsgrad für richtig erachtet, von der anderen Seite her betrachtet aber eine verfassungsrechtliche Vorgabe für die Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gemacht; denn das Argument des dynamischen Grundrechtsschutzes kann auch so verstanden werden, daß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nur dann als hinreichend bestimmt anzusehen ist, wenn der dynamische Grundrechtsschutz bei Auslegung und Anwendung dieser Norm gewährleistet ist. Von daher betrachtet, handelt es sich beim Argument des dynamischen Grundrechtsschutzes um eine verfassungskonforme Auslegung, die § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG vor der Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz bewahren soll. Die dargelegten Maßstäbe für die Bestimmtheitsprüfung sind sowohl bei der Prüfung des Begriffs „Stand von Wissenschaft und Technik" als auch bei der Prüfung des Begriffs „erforderliche Vorsorge gegen Schäden" heranzuziehen47.

45 46 47

In diesem Sinne auch BVerfGE, 49, 89 (134). BVerfGE 49, 89 (137). So auch BVerfGE 49, 89 (133, 136, 137 ff.).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

271

2. Stand von Wissenschaft und Technik

a) Abgrenzung: allgemein anerkannte Regeln der Technik — Stand der Technik — Stand von Wissenschaft und Technik

Um rechtliche Pflichten und Standards an tatsächliche Erkenntnisse und Entwicklungen in Wissenschaft und Technik zu koppeln, bieten sich dem Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten. Das Gesetz kann z.B. auf die „allgemein anerkannten Regeln der Technik" oder auf den „Stand der Technik" oder auf den „Stand der Wissenschaft und Technik" verweisen. Bei den „allgemein anerkannten Regeln der Technik", die z.B. in § 3 Abs. 1 des Gesetzes über technische Arbeitsmittel 45 in Bezug genommen werden, handelt es sich um die „herrschende Auffassung unter den technischen Praktikern" 49. Da die rechtlichen Pflichten und Standards hierbei an eine „herrschende Auffassung" gekoppelt werden, läuft das Recht bef dieser Lösungsmöglichkeit einer weiterstrebenden technischen Entwicklung immer einen oder mehrere Schritte hinterher. Ein Gleichschritt mit einer weiterstrebenden technischen Entwicklung wird hingegen erreicht, wenn das Gesetz — wie ζ. B. in § 5 Nr. 2 BImSchG — auf den „Stand der Technik" verweist; denn unter diesem Begriff ist die „Front der technischen Entwicklung"50 zu verstehen, da die Legaldefinition in § 3 Abs. 6 BImSchG weder auf eine allgemeine Anerkennung noch auf eine praktische Bewährung abstellt. Die Legaldefinition spricht vielmehr von einem „Entwicklungsstand ..., der die praktische Eignung . . . gesichert erscheinen läßt", und von „Erprobung". Beide Begriffe lassen sich weder im Sinne einer herrschenden Auffassung unter den technischen Praktikern noch im Sinne einer praktischen Bewährung verstehen; denn die Worte „Eignung", „erscheinen" und „Erprobung" deuten nur auf abgeschlossene Versuche mit gesicherter Erfolgsprognose für eine künftige großtechnische Bewährung, nicht aber auf eine bereits erwiesene praktische Bewährung, die von allgemeiner Anerkennung getragen ist. Die hier angestellte Auseinandersetzung mit der Legaldefinition des § 3 Abs. 6 BImSchG zeigt, daß die Gleichsetzung des Stands der Technik mit der Front der technischen Entwicklung bereits aus einer wörtlichen Auslegung der Legaldefinition gewonnen werden kann, ohne daß auf eine verfassungskonforme Auslegung zurückgegriffen werden müßte. In der Kalkar-Entscheidung hingegen wird nicht klar, auf welchem Weg das Bundesverfassungsgericht zu der Gleichsetzung des Stands der Technik mit der Front der technischen Entwicklung gelangt ist, da eine Auseinandersetzung mit § 3 Abs. 6 BImSchG unterblieben ist. 4« Vom 24. 6. 1968 (BGBl. I, S. 717). So ausdrücklich BVerfGE 49, 89 (135). 50 So ausdrücklich BVerfGE 49, 89 (135).

49

272

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Weitergehend als die Verweisung auf den „Stand der Technik" ist die Koppelung an den „Stand von Wissenschaft und Technik" in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus51: „ M i t der Bezugnahme auch auf den Stand der Wissenschaft übt der Gesetzgeber einen noch stärkeren Zwang dahin aus, daß die rechtliche Regelung mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt hält. Es muß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Läßt sie sich technisch noch nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt."

Diese Auslegung des Begriffs „Stand von Wissenschaft und Technik" gewinnt das Bundesverfassungsgericht in erster Linie durch die Bezugnahme auf den dynamischen Grundrechtsschutz und somit durch eine verfassungskonforme Auslegung52. b) Schlußfolgerungen

aa) Die „allgemein anerkannten Regeln der Technik", der „Stand der Technik" und der „Stand von Wissenschaft und Technik" stehen in einem Stufenverhältnis zueinander. Während die „allgemein anerkannten Regeln der Technik" einen Stand beschreiben, der unter dem Niveau fortschrittlicher technischer Entwicklungen liegt, zieht der „Stand der Technik" mit diesem Niveau gleich, während der „Stand von Wissenschaft und Technik" über dieses Niveau hinausgeht. bb) Innerhalb des Begriffs „Stand von Wissenschaft und Technik" nimmt die Wissenschaft die Schrittmacherfunktion wahr und genießt gegenüber der Technik Priorität. cc) Der „Stand von Wissenschaft und Technik" muß sich nicht nach einer herrschenden Auffassung oder nach der Meinung der jeweils führenden Fachvertreter oder — kumuliert — nach der Mehrheitsauffassung unter den jeweils führenden Fachleuten53 bestimmen; denn zum einen wird der „Stand" in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht einschränkend beschrieben; es heißt zum Beispiel gerade nicht „allgemein anerkannter Stand ...", so daß der „Stand" durchaus auch von Meinungen einzelner Experten geprägt werden kann. Zum anderen spricht für dieses Verständnis das dargelegte Stufen Verhältnis zwischen den „allgemein anerkannten Regeln der Technik", dem „Stand der Technik" und dem „Stand der Wissenschaft und Technik". Nur die „allgemein anerkannten Regeln der Technik" bestimmen sich nach der herrschenden Auffassung nach einer bestimmten Personengruppe. Schon beim „Stand der Technik" hingegen ist die allgemeine Anerkennung — wie oben gezeigt — nicht ausschlaggebend; dies gilt erst recht für den „Stand von Wissenschaft und Technik". 51 52 53

BVerfGE 49, 89 (136) m.w.N. Vgl. BVerfGE 49, 89 (136 f.). So ausdrücklich Nicklisch, NJW 1982, 2633 (2639 ff.).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

273

Auch die am Ende einer Bestimmtheitsprüfung getroffene Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Exekutive „alle wissenschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse" heranzuziehen habe54, spricht für die hier vertretene Ansicht, daß sich der „Stand von Wissenschaft und Technik" nicht nach einer herrschenden Auffassung oder nach der Meinung der jeweils führenden Fachvertreter oder — kumuliert — nach der Mehrheitsauffassung unter den jeweils führenden Fachleuten bestimmen muß; denn die Vertretbarkeit einer Erkenntnis hängt nicht davon ab, ob für sie Mehrheiten bestehen oder ob ihr Vertreter der führende Experte des jeweiligen Sachgebiets ist. Auch Marburger, der einen Kriterienkatalog dafür entwickelt hat, wann eine Erkenntnis als vertretbar zu erachten ist, rechnet hierzu nicht das Bestehen von Mehrheiten oder einen ausgewiesenen Führungsanspruch des jeweiligen Experten. Nach Marburger kommt es für die Vertretbarkeit einer Erkenntnis vielmehr auf folgendes an 55 : — Sachkompetenz des Urhebers; — Beachtung der in der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin anerkannten Grundlagen der Erkenntnis, namentlich der Naturgesetze und der allgemeinen Denkgesetze der Logik; — innere Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit; — soweit möglich, experimentelle oder sonstige empirische Überprüfung und Bewährung gegen Falsifikation; — sorgfältige Auseinandersetzung mit allen zum Problem vertretenen Ansichten; — Freiheit von methodischen Schwächen, namentlich unzulässigen Simplifikationen; — rationale Überprüfbarkeit, insbesondere Freiheit von Dogmatismus und ideologischer Voreingenommenheit. Dieser Kriterienkatalog illustriert sehr deutlich, daß der „Stand von Wissenschaft und Technik" i.S. des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG durchaus auch von Meinungen einzelner Experten beeinflußt und geprägt werden kann. Festzuhalten bleibt, daß die Versuche im Schrifttum, den „Stand von Wissenschaft und Technik" nach der Mehrheitsauffassung unter den jeweils führenden Fachleuten bestimmen zu wollen56, mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den aus ihr hier gezogenen Schlußfolgerungen nicht vereinbar sind. dd) Für die Beantwortung der im Rahmen der wörtlichen Auslegung offengebliebenen Frage, ob die Wendung „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" als einschränkendes Attribut der „erforderlichen Vorsorge" oder 54

BVerfGE 49, 89 (140). Marburger, Schadensvorsorge, S.47f:, ders., ET 1984, 209 (211). 56 So ζ. B. Nicklisch, NJW 1982, 2633 (2639 ff.) und — ihm im Grundsatz folgend — Sommer, Richterliche Kontrolle, S. 29. 55

18 Luckow

274

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

als eine Beschreibung der Mittel, Methoden und Quellen der Erkenntnis bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge zu verstehen ist 57 , lassen sich aus der Kalkar-Entscheidung Rückschlüsse ziehen. Insbesondere aus der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß die erforderliche Vorsorge nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt werde 58, ergibt sich, daß die Wendung „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" gerade nicht als einschränkendes Attribut der erforderlichen Vorsorge verstanden werden kann. Diese Wendung beschreibt vielmehr die Mittel, Methoden und Quellen der Erkenntnis bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge, wobei Mittel, Methoden und Quellen den „neuesten . . . Erkenntnissen" entsprechen müssen59. Die Notwendigkeit, bei der Auswahl der Mittel, Methoden und Quellen progressiv vorzugehen, wird unterstrichen durch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, daß nur eine laufende Anpassung der für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umstände an den jeweils neuesten Erkenntnisstand dem Grundsatz einer bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu genügen vermöge60. Aus den beiden wiedergegebenen Passagen der Kalkar-Entscheidung läßt sich somit folgern, daß die Wendung „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" dahingehend zu verstehen ist, daß bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge die neuesten Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik heranzuziehen sind. Diese Schlußfolgerung steht im Einklang mit der oben getroffenen Feststellung 61 , daß für die wertende Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge ausschließlich die staatliche Gewalt und nicht Naturwissenschaft und Technik zuständig sind. Naturwissenschaft und Technik liefern lediglich die Tatsachen; die Bewertung dieser Tatsachen obliegt der staatlichen Gewalt. Naturwissenschaft und Technik erfüllen somit hinsichtlich der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge nur eine vorbereitende Hilfsfunktion. Diese Zuständigkeitsverteilung läßt sich mit zwei Erwägungen absichern. Zum einen: Die wertende Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge hat wegen des Gefahrdungspotentials kerntechnischer Anlagen gesamtgesellschaftliche Relevanz. Derartige Entscheidungen obliegen in einem demokratischen Rechtsstaat der staatlichen Gewalt. Zum anderen ist der Begriff der Erforderlichkeit ein normativer Begriff, den auszufüllen und anzuwenden Aufgabe und Pflicht der staatlichen Gewalt ist. Die hier vertretene Zuständigkeitsverteilung zwischen staatlicher Gewalt einerseits sowie Wissenschaft und Technik andererseits ist auch von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gedeckt. Aus der Feststellung in seiner Kalkar-Entscheidung, daß die Exekutive bei der Anwendung des § 7 57 58 59 60 61

s. oben Fünfter Teil Α. IV. BVerfGE 49, 89 (136) m.w.N. BVerfGE 49, 89 (136). BVerfGE 49, 89 (139). Vgl. oben Vierter Teil Β. I. 1. und II.

Β. Verfassungskonforme Auslegung

275

Abs. 2 Nr. 3 AtG alle wissenschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse heranzuziehen habe62, ist zu folgern, daß das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge der staatlichen Gewalt zuordnet und Wissenschaft und Technik als Lieferanten von Rechtstatsachen ansieht. ee) Aus den vorstehenden Schlußfolgerungen ergeben sich — zusammenfassend — folgende Thesen: (1) Die oben vertretene Auffassung 63, daß sich die Bestimmung sicherheitsrelevanter Genehmigungsvoraussetzungen in zwei Phasen vollziehe (Ermittlung sicherheitsrelevanter Tatsachen /wertende Entscheidung), steht in Einklang mit der hier entwickelten Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Der Begriff „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" umfaßt die Phase der Ermittlung sicherheitsrelevanter Tatsachen, der Begriff „erforderliche Vorsorge" die Phase der wertenden Entscheidung. (2) Für die Ermittlung und Bereitstellung sicherheitsrelevanter Rechtstatsachen sind Naturwissenschaft und Technik, für die wertende Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge ist die staatliche Gewalt zuständig. (3) Der Begriff „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" bedeutet, daß bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge — als Rechtstatsachen — die neuesten vertretbaren Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik heranzuziehen sind. (4) Die Vertretbarkeit einer Erkenntnis hängt nicht davon ab, ob für sie Mehrheiten bestehen oder ob ihr Vertreter der führende Experte des jeweiligen Sachgebiets ist. (5) Innerhalb des Begriffspaars „Wissenschaft und Technik" nimmt die Wissenschaft die Schrittmacherfunktion wahr und genießt gegenüber der Technik Priorität. Die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erforderliche Vorsorge wird nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt. 3. Grenze zwischen erforderlicher Schadensvorsorge und Restrisiko

a) Besonderheit des Regelungsgegenstands

Der Verlauf der Grenze zwischen erforderlicher Schadensvorsorge und Restrisiko wird in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht festgelegt. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung läßt sich nur entnehmen, daß der Grenzverlauf im Wege einer Prüfung der Erforderlichkeit gezogen wird und daß diese Erforderlich62 63

*

BVerfGE 49, 89 (140). Vgl. oben Vierter Teil B.

276

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

keitsprüfung Wertungs- und Abwägungsvorgänge enthält64. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich — wie eben dargestellt65 — außerdem noch folgern, daß bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge — als Rechtstatsachen — die neuesten vertretbaren Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik heranzuziehen sind. Nirgends aber finden sich materielle Kriterien für die Entscheidung über die Erforderlichkeit. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt fest, daß das Atomgesetz nicht selbst die Bestimmungen darüber trifft, welches Restrisiko für die Ermittlung einer Genehmigung noch hingenommen werden dürfe, und daß das Gesetz auch über das Verfahren zur Ermittlung solcher Risikos selbst keine näheren Regelungen enthält66. Hiergegen hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz — wie es vorsichtig formuliert — „keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken"67. Das Gericht argumentiert hierbei mit der Besonderheit des Regelungsgegenstands68, die es in erster Linie wohl darin sieht, daß zahlreiche Risikofaktoren mit dem Fortgang der wissenschaftlichen, technologischen und technischen Entwicklung einer laufenden Veränderung unterworfen sind69. Diese laufende Veränderung einerseits erfordert andererseits eine laufende Anpassung der für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umstände an den jeweils neuesten Erkenntnisstand. Da der Gesetzgeber aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots des dynamischen Grundrechtsschutzes zu einer laufenden Anpassung verpflichtet ist, diese laufende Anpassung sich aber nur über einen weniger bestimmten Gesetzesbegriff bewerkstelligen läßt, reduziert sich insoweit das rechtsstaatliche Bestimmtheitserfordernis. b) Materielle Kriterien för die Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge

Mit einigen Eckdaten versucht das Bundesverfassungsgericht, ein Auseinanderlaufen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernisses und des Gebots dynamischen Grundrechtsschutzes zu verhindern. Diese Eckdaten leitet das Gericht nur scheinbar aus dem Atomgesetz ab 70 . Liest man nämlich genau, gewinnt das Bundesverfassungsgericht diese Eckdaten aus dem verfassungs64

Dazu s. oben Fünfter Teil A. III. 2. s. oben Fünfter Teil Β. II. 2. b) ee) (3). 66 BVerfGE 49, 89 (138). 67 BVerfGE 49, 89 (138). 68 s. hierzu oben Fünfter Teil Β. II. 1. 69 BVerfGE 49, 89 (138 f.). 70 Vgl. BVerfGE 49, 89 (138): „ . . . ergibt sich auch für eine verfassungsrechtliche Beurteilung aus dem Schutzzweck des § 1 Nrn. 2 und 3 sowie aus den damit verbundenen Grundsätzen der Gefahrenabwehr und der Schadens Vorsorge in § 7 Abs. 2 AtomG — bestätigt auch durch den Sinn und Zweck der einschlägigen Ermächtigungen in §§ 10 bis 12 AtomG — hinreichend deutlich, daß . . . " . 65

Β. Verfassungskonforme Auslegung

277

rechtlichen Gebot des dynamischen Grundrechtsschutzes („Dies wäre . . . dem Schutz verfassungsrechtlicher Rechtsgüter eher abträglich." „Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes"71). Eine andere Vorgehensweise wäre auch dogmatisch unbefriedigend; denn bei Konflikten zwischen im Verfassungsrang stehenden Positionen können Lösungsansätze nur aus der Verfassung selbst, nicht aber aus einfachem Gesetzesrecht gewonnen werden. Die Eckdaten des Bundesverfassungsgerichts sind also — genau betrachtet — aus der Verfassung abgeleitet. Sie interpretieren das Spannungsverhältnis zwischen rechtsstaatlichem Bestimmtheitserfordernis und verfassungsrechtlichem Gebot dynamischen Grundrechtsschutzes im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Die Eckdaten dienen somit als verfassungsrechtliche Vorgaben bei der verfassungskonformen Auslegung dieser gesetzlichen Bestimmung und sind bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge als materielle Kriterien zu beachten. Im einzelnen formuliert das Bundesverfassungsgericht drei materielle Kriterien für die Entscheidung über die Erforderlichkeit 72: — Jede Art von anlage- und betriebsspezifischen Schäden, Gefahren und Risiken sind in Bedacht zu nehmen. — Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadensereignisses, die bei einer Genehmigung hingenommen werden darf, — muß so gering wie möglich sein, — und zwar um so geringer, je schwerwiegender die Schadensart und die Schadensfolgen sein können. — Insbesondere mit der Anknüpfung an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik ist die Exekutive normativ auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge festgelegt. Dieser Grundsatz verlangt z.B., daß die für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umstände laufend an den jeweils neuesten Erkenntnisstand angepaßt werden73. Das erste Kriterium beschreibt verbindlich, was in die Erforderlichkeitsprüfung einzustellen ist. Das zweite Kriterium stellt eine Relation zwischen Eintrittswahrscheinlichkeit auf der einen Seite und Schadensart und -folgen, d. h. Schadensausmaß, auf der anderen Seite her. Dieses Kriterium verpflichtet dazu, Schadensausmaße verschiedener Schadensereignisse miteinander zu vergleichen und danach die hinzunehmenden Eintrittswahrscheinlichkeiten der verschiedenen Schadensereignisse zu bestimmen. Sind die Schadensausmaße verschiedener Schadensereignisse gleich groß, so muß die hinzunehmende Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Schadensereignisse identisch sein. Ist das Schadensausmaß eines Schadensereignisses hingegen schwerwiegender als das eines anderen Ereignisses, so muß die hinzunehmende Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Schadensereignisses geringer angesetzt werden als die des anderen 71 72 73

BVerfGE 49, 89 (139/140). BVerfGE 49, 89 (138 f.). BVerfGE 49, 89 (139).

278

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Ereignisses. Das zweite Kriterium verbindet somit nicht nur — horizontal — Schadensausmaß und hinzunehmende Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadensereignisses miteinander, sondern verbindet durch die Verpflichtung zum Vergleich auch — vertikal — jeweils die Schadensausmaße und die hinzunehmenden Eintrittswahrscheinlichkeiten verschiedener Schadensereignisse untereinander. Diese Konstruktion des zweiten materiellen Kriteriums bietet für die Bestimmung der hinzunehmenden Eintrittswahrscheinlichkeiten zwar keine absoluten Größen, wohl aber einen tauglichen relativen Maßstab. Dem dritten materiellen Kriterium, dem Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, läßt sich entnehmen, daß beim Wertungsund Abwägungsvorgang innerhalb der Erforderlichkeitsprüfung 74 dynamische und progressive Elemente gegenüber statischen und retardierenden Elementen Vorrang genießen. Durch die Verknüpfung dieses dritten Kriteriums mit dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik wird unterstrichen, daß Wissenschaft und Technik als Stimulanz für Dynamik und Progressivität zu verstehen sind75. c) Zwischenergebnis

In Thesenform läßt sich als Zwischenergebnis festhalten: aa) Die drei hier dargestellten materiellen Kriterien liefern zwar keine absoluten, wohl aber relative Anhaltspunkte für die Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge. bb) Nur wenn bei Auslegung und Anwendung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG die drei aus dem Gebot des dynamischen Grundrechtsschutzes entwickelten materiellen Kriterien beachtet werden, ist diese Vorschrift als hinreichend bestimmt anzusehen. Wird diese Vorschrift nicht derart verfassungskonform ausgelegt und angewendet, begegnet sie mangels hinreichender Bestimmtheit durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. I I I . Verstoß des § 7 AtG gegen Grundrechte oder objektivrechtliche Schutzpflichten?

Weitere materielle Kriterien für die Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge lassen sich aus den Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts gewinnen, die es bei der Prüfung möglicher Verstöße des § 7 AtG gegen Grundrechte oder objektivrechtliche Schutzpflichten anstellt76. Grundlage dieser Prüfung ist die Unterscheidung zwischen Grundrechtsverletzung und Grundrechtsgefahrdung. Da diese Unterscheidung in späteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts fortgeführt wird, im atomrechtlichen Schrifttum 74 75 76

s. hierzu oben Fünfter Teil A. III. 2. s. hierzu oben Fünfter Teil Β. II. 2. b). BVerfGE 49, 89 (140-143).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

279

aber — soweit ersichtlich — bisher vernachlässigt worden ist, bedarf diese Unterscheidung einer genaueren Untersuchung. 1. Abgrenzung: Grundrechtsverletzung — Grundrechtsgefährdung

a) Terminologie

des Bundesverfassungsgerichts

Schon in frühen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden im Hinblick auf die Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwer zwischen Grundrechtsverletzung und Grundrechtsgefährdung unterschieden77. Im Rahmen der Begründetheit hingegen differenziert das Bundesverfassungsgericht — soweit ersichtlich — erstmalig in seiner Kalkar-Entscheidung zwischen Grundrechtsverletzung und Grundrechtsgefahrdung 78. In späteren Entscheidungen wird diese Differenzierung verfeinert 79. Grundrechtsverletzung und Grundrechtsgefährdung werden vom Bundesverfassungsgericht als Unterfalle der Grundrechtsbeeinträchtigung verstanden80. THESE F: Grundrechtsbeeinträchtigung

GrundrechtsVerletzung

Grundrechtsgefahrdung

Schwierigkeiten ergeben sich bei der Abgrenzung der Grundrechtsverletzung einerseits von der Grundrechtsgefahrdung andererseits. Rein begrifflich versteht das Bundesverfassungsgericht die Gefährdung als „drohende Verletzung" 81 oder als „Gefahr von Verletzungen"82. In seiner Kalkar-Entscheidung ordnet das Bundesverfassungsgericht gegenwärtige Schäden der Grundrechtsverletzung und das Risiko eines künftigen Schadens der Grundrechtsgefährdung zu 83 . THESE G: Grundrechtsverletzung

Grundrechtsgefahrdung (= drohende Verletzung)

gegenwärtige Schäden

künftige Schäden

Schadenseintritt 77 78 79 80 81 82 83

Vgl. BVerfGE 24, 289 (294f.) m.w.N. BVerfGE 49, 89 (140f.). BVerfGE 51,324(346f.); 52,214(220f.); 53,30(51,58f.); 56,54(77f.); 66,39 (57ff.). Vgl. BVerfGE 51, 324 (346); 52, 214 (220); 66, 39 (58). So wörtlich BVerfGE 66, 39 (57). So wörtlich BVerfGE 49, 89 (142). BVerfGE 49, 89 (141).

280

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Überschneidungen der — im' Ansatz zu trennenden — Grundrechtsverletzung und Grundrechtsgefahrdung können sich dadurch ergeben, daß Grundrechtsgefahrdungen unter bestimmten Voraussetzungen Grundrechtsverletzungen gleichzuachten sein können84. Den Bereich, in dem Grundrechtsgefahrdungen Grundrechtsverletzungen gleichzuachten sein können, charakterisiert das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung als „Grundrechtsverletzung im weiteren Sinne"85, in einer anderen als „verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung" 86. THESE H: GrundrechtsVerletzung

„Grundrechtsverletzung i. w. S." = „verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung" t

Gleichachtung

Grundrechtsgefährung

b) Grundrechtsgefährdungen als verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigungen

Unter welchen Voraussetzungen Grundrechtsgefährdungen als verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigungen anzusehen sind, hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht abschließend entschieden87. Einige richtungsweisende Anhaltspunkte hierzu lassen sich aber im Wege einer Analyse einschlägiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts herausarbeiten. aa) Faktische Verletzung? In seiner Entscheidung zum Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich streicht das Bundesverfassungsgericht heraus, daß ein Grundrecht (im entschiedenen Fall: das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) nicht erst durch eine faktische Verletzung der geschützten Rechtsgüter beeinträchtigt werde; es solle einer solchen faktischen Verletzung vielmehr vorbeugen und könne daher auch dann eingreifen, wenn bei der Errichtung von Kernkraftwerken vorbeugende Maßnahmen gegen spätere Betriebsgefahren außer acht bleiben88. Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts verdeutlicht, daß eine verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung keine faktische Verletzung erfordert. Diese Aussage zielt auf die 84

So ausdrücklich BVerfGE 66, 39 (58) unter Berufung auf BVerfGE 49, 89 (141) und 51, 324 (346 f.). So auch BVerfGE 52, 214 (220). 85 BVerfGE 51, 324 (347). 86 BVerfGE 66, 39 (59). 87 Dies räumt das Bundesverfassungsgericht selbst ein. Vgl. BVerfGE 66, 39 (58). 88 BVerfGE 53, 30 (51).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

281

Nahtstelle Grundrechtsverletzung / verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung; sie enthält indessen keine Anhaltspunkte dafür, wo die verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung beginnt. Dieses Problem wird in anderen Entscheidungen behandelt. bb) Nicht jede beliebige Grundrechtsgefahrdung In verschiedenen Entscheidungen liefert das Bundesverfassungsgericht Kriterien dafür, von welchem Punkt ab Grundrechtsgefahrdungen als verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigungen zu qualifizieren sind. Diese, im folgenden darzustellenden Entscheidungen haben den gemeinsamen Ansatz, daß nicht jede beliebige Grundrechtsgefahrdung eine verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt. (1) Erhebliche Grundrechtsgefährdung

In mehreren Entscheidungen stellt das Bundesverfassungsgericht auf die Erheblichkeit der Grundrechtsgefährdung ab; erhebliche Grundrechtsgefahrdungen sieht es als verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung. Im Rahmen der Begründetheitsprüfung stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar-Entscheidung fest, daß Regelungen, die im Laufe ihrer Vollziehung zu einer „nicht unerheblichen Grundrechtsgefahrdung" führen, mit dem Grundgesetz in Widerspruch geraten könnten89. Unter Berufung auf diese Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht später aus, daß auch eine Gefährdung von Grundrechten, deren „erhebliche" Beeinträchtigung durch einen staatlichen Eingriff ernsthaft zu besorgen ist, in besonderen Fällen einer Grundrechtsverletzung gleichzuachten sein könne90. Auch in seiner Entscheidung zum Flughafen Düsseldorf-Lohausen stellt das Bundesverfassungsgericht darauf ab, daß eine „nicht unerhebliche Gefahrdung" (der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Unversehrtheit) zu befürchten sei91. (2) Schwerwiegende

Grundrechtsgefährdung

Das Kriterium der Erheblichkeit führt bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen Grundrechtsgefahrdungen als verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigungen anzusehen sind, zwar weiter, es kann Einzelproblemen aber durchaus Antworten schuldig bleiben. Daher stellt das Bundesverfassungsgericht in einigen Entscheidungen auf ein weiteres Kriterium ab. Danach liegt eine verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung zumindest immer dann vor, wenn die Grundrechtsgefahrdung schwerwiegend ist. Dies ergibt sich insbesondere aus zwei Entscheidungen. In einem Beschluß zu den verfassungsrechtlichen 89 90 91

BVerfGE 49, 89 (141). BVerfGE 52, 214 (220). BVerfGE 56, 54 (77).

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

282

Grenzen für die Durchführung einer Hauptverhandlung im Hinblick auf die Verhandlungsfahigkeit eines kranken Angeklagten hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß eine — einer Grundrechtsverletzung im weiteren Sinne gleichzuachtende — Grundrechtsgefahrdung jedenfalls dann vorliege, wenn ernsthaft zu befürchten sei, daß der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder „schwerwiegenden" Schaden an seiner Gesundheit nehmen werde 92. Auch in einer Entscheidung zu Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen stellt das Bundesverfassungsgericht auf drohende „schwerwiegende" Grundrechtsbeeinträchtigungen ab 93 . (3) Maßstab för Erheblichkeit

und Schwergewicht

Maßstab dafür, ob eine Grundrechtsgefahrdung ergeblich oder schwerwiegend ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Eintrittswahrscheinlichkeit der geltend gemachten Gefahren. Mit Hilfe dieses Maßstabs soll z.B. im Bereich des Art. 2 Abs. 2 GG der „Steigerungsgrad der Gefahr für Leib und Leben" ermittelt werden94. Diese hier vertretene Auffassung läßt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine einstweilige Anordnung zur Aufstellung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in der Bundesrepublik Deutschland gewinnen. In dieser Entscheidung führt das Gericht aus, daß in den Fällen Kalkar und Mülheim-Kärlich, aber auch bei den Entscheidungen über die Durchführung einer Hauptverhandlung sowie über die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sich hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit der geltend gemachten Gefahren gewisse, nicht völlig unbestimmte Annahmen hätten treffen lassen, während im Pershing-Fall keine Verfahren zur Verfügung stünden, mit deren Hilfe der Steigerungsgrad der Gefahr für Leib und Leben ermittelt werden könnte, da es sich bei der maßgeblichen Quelle dieser Gefahrdung um Entscheidungen eines fremden souveränen Staates handele95. Die hier als Maßstab herausgearbeitete Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts beginnt bei Null und wächst bis zu dem Punkt, wo sich der Ereigniseintritt realisiert. Zwischen diesen beiden Endpunkten liegt der Bereich der Grundrechtsgefahrdung, wobei die schwerwiegenden oder erheblichen Gefährdungen an den Ereigniseintritt und die sonstigen Gefahrdungen an den Nullpunkt grenzen.

92 93 94 95

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

51, 52, 66, 66,

324 (347), vgl. auch BVerfGE 66, 39 (58). 214 (220). 39 (59). 39 (59).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

283

cc) Ergebnis Eine Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt, daß Grundrechtsgefahrdungen dann als verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigungen anzusehen sind, wenn sie schwerwiegend oder erheblich sind. Sonstige Grundrechtsgefahrdungen sind einer Grundrechtsverletzung nicht gleichzuachten. Maßstab für das Schwergewicht oder die Erheblichkeit der Grundrechtsgefahrdung ist die Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts. Zeichnerisch läßt sich die geschilderte Schlußfolgerung folgendermaßen darstellen: THESE I: Eintritt des Ereignisses Grundrechtsverletzung

Verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung Î

Gleichachtung

Schwerwiegende oder erhebliche Grundrechtsgefährdung

sonstige Grundrechtsgefahrdung

Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts

Da die hier entworfene Skala der Grundrechtsgefahrdungen 96 ebenso wie die oben entwickelte Vorsorgeskala 97 als Maßstab die Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts verwendet, können die beiden Skalen aufeinander projiziert werden98. 2. Unterschiedliche dogmatische Standorte für Grundrechtsverletzung und Grundrechtsgefährdung

In der Sicht des Bundesverfassungsgerichts haben Grundrechtsverletzung einerseits und Grundrechtsgefahrdung andererseits unterschiedliche dogmatische Standorte. Soweit das Bundesverfassungsgericht die Figur der Grundrechtsverletzung anspricht, behandelt es das betreffende Grundrecht als subjektives Abwehrrecht des einzelnen gegen staatliche Eingriffe, während es die Figur der Grundrechtsgefährdung im Bereich der objektivrechtlichen, aus der Grundrechtsordnung herzuleitenden Schutzpflichten ansiedelt99. Die Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts wird von der Erkenntnis getragen, daß ein Grundrecht zwei Funktionen haben kann. Zum einen soll es staatliche Eingriffe in die 96

Vgl. Thesen F bis I. Vgl. Thesen A bis E. 98 Vgl. hierzu die zeichnerische Darstellung im Anhang VI, Projektion der Thesen A bis E einerseits und F bis I andererseits. 99 Vgl. BVerfGE 49, 89 (140 ff.). 97

284

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Rechtssphäre des einzelnen abwehren (Abwehrrecht); zum anderen kann es die staatliche Gewalt dazu verpflichten, die einzelnen vor Gefahrdungen durch andere Private zu schützen (Schutzpflicht) 100. a) Grundrechtsverletzung:

subjektives Abwehrrecht

Soweit das Bundesverfassungsgericht die Figur der Grundrechtsverletzung anspricht, behandelt es das betreffende Grundrecht als subjektives Abwehrrecht. Im Atomrecht steht für den betroffenen einzelnen Bürger das Abwehrrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Mittelpunkt. In dieses Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit darf gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden, wobei das eingreifende Gesetz das eingeschränkte Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen muß (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Da § 7 Abs. 2 AtG das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht ausdrücklich einschränkt, folgert das Bundesverfassungsgericht — im Wege des Umkehrschlusses —, daß es durch die Genehmigungen gem. § 7 Abs. 2 AtG und ihre Folgen nicht zu Grundrechtsverletzungen kommen dürfe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht schließe das Gesetz die Genehmigung dann aus, wenn die Errichtung oder der Betrieb der Anlage zu Schäden führe, die sich als Grundrechtsverletzungen darstellten. Das Gesetz nehme insoweit jedenfalls keinen anlagespezifischen Rest- oder Mindestschaden irgendwelcher Art in Kauf, der im Lichte des Grundrechts des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG oder anderer Grundrechte als Grundrechtsverletzung anzusehen wäre. Denn — so argumentiert das Bundesverfassungsgericht — anderenfalls hätte das Atomgesetz, da es sich im Hinblick auf die Art dieser Schäden um völlig neuartige Grundrechtseinschränkungen handele, das entsprechende Grundrecht gem. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich einschränken müssen, wie das beispielsweise in § 12 Abs. 2 nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 4 AtG (Körpermessungen, ärztliche Untersuchung und Behandlung) geschehen sei 101 . Diese Argumentation des Bundesverfassungsgerichts belegt, daß es § 7 Abs. 2 AtG verfassungskonform ausgelegt hat, um eine Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung zu vermeiden. Nähme das Atomgesetz einen Rest- oder Mindestschaden in Kauf, der sich als Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstellte, so wäre § 7 Abs. 2 AtG wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungswidrig. Die hier wiedergegebene Argumentation des Bundesverfassungsgerichts bestätigt außerdem die bereits oben vertretene These, daß der Bereich des Schadens mit dem der Grundrechtsverletzung korrespondiert 102.

100 y g i Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 28 und Benda, Technische Risiken und Grundgesetz, S. 6. 101 102

BVerfGE 49, 89 (140 f.). s. oben Fünfter Teil B. III. 1. a), These G.

285

Β. Verfassungskonforme Auslegung b) Grundrechtsgefährdung:

objektivrechtliche

Schutzpflicht

Im Gegensatz zur Figur der Grundrechtsverletzung sieht das Bundesverfassungsgericht den dogmatischen Standort für die Figur der Grundrechtsgefährdung im Bereich der objektivrechtlichen, aus der Grundrechtsordnung herzuleitenden Schutzpflichten. Dies wird erstmalig in der Kalkar-Entscheidung deutlich, in der das Gericht ausführt: „Auch Regelungen, die im Laufe ihrer Vollziehung zu einer nicht unerheblichen GrmdrQchtsgefährdung führen, können selbst schon mit dem Grundgesetz in Widerspruch geraten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten die grundrechtlichen Verbürgungen nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern stellen zugleich objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gelten und Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben (vgl. BVerfGE 7,198 (205); 35, 79 (114) m.w.N.; 39, 1 (41 f.)); dies wird am deutlichsten in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ausgesprochen, wonach es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Daraus können sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab." 1 0 3

Daß das Bundesverfassungsgericht die Figur der Grundrechtsgefahrung dogmatisch dem Bereich der objektivrechtlichen Schutzpflichten zuordnet, wird durch die Entscheidung zum Flughafen Düsseldorf-Lohausen erhärtet, in der das Gericht — unter ausdrücklicher Berufung auf die Kalkar-Entscheidung — feststellt: „Daß auch eine auf Grundrechtsgefahrdungen bezogene Risikovorsorge von der Schutzpflicht der staatlichen Organe umfaßt werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits mehrfach zum Ausdruck gekommen (vgl. BVerfGE 49, 89 (140 ff.) — Kalkar; ferner BVerfGE 53, 30 (57) — Mülheim-Kärlich; BVerfGE 52, 214 (220) — Vollstreckungsschutz)." 104 .

Mit der hier vorgenommenen begrifflichen Zuordnung der Figur der Grundrechtsgefahrdung zum Bereich der objektivrechtlichen Schutzpflichten ist indessen noch nichts über deren materiellen Gehalt und Umfang ausgesagt. Dies muß daher im folgenden untersucht werden.

103 104

BVerfGE 49, 89 (141 f.). BVerfGE 56, 54 (78).

286

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG 3. Objektivrechtliche Schutzpflichten

a) Ableitung der Schutzpflichten

aa) Ausgangspunkt: Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG Schon in der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festigte sich die Auffassung, daß die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen den Staat enthalten, sondern zugleich eine objektive Wertordnung verkörpern, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und der staatlichen Gewalt Richtlinien gibt 105 . Diese Auffassung stützte sich auf Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach es die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen106. bb) Ableitung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Die allgemeine Erkenntnis, daß Grundrechte objektivrechtliche Wertentscheidungen enthalten, hat das Bundesverfassungsgericht für ein spezielles Grundrecht erstmalig in seiner Entscheidung zur Fristenlösung konkretisiert. Aus dem objektivrechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG lasse sich unmittelbar die Pflicht des Staates ableiten, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese umfassende Schutzpflicht gebiete es dem Staat, sich schützend und fördernd vor das menschliche Leben zu stellen und es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren107. Diese Rechtsprechung zur Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zur lebenslangen Freiheitsstrafe 108, zur Schleyer-Entführung 109, zum Kontaktsperregesetz 110 und zur Lebensgefahr für Zeugen111 bestätigt. In seinen Entscheidungen zu Kalkar und MülheimKärlich 112 hat das Bundesverfassungsgericht die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch auf das Atomrecht und in seinen Entscheidungen zum Flughafen Düsseldorf-Lohausen (Fluglärm) 113 und zur Bekämpfung der Luftverunreinigung 114 auf weitere Bereiche des Umweltschutzes angewandt. In 105

Vgl. BVerfGE 7, 198 (205) — Lüth; 35, 79 (114) m.w.N. — Hochschulurteil. Vgl. BVerfGE 49, 89 (142). 107 BVerfGE 39, 1 (41 f.). 108 BVerfGE 45, 187 (254 f.). 109 BVerfGE 46, 160 (164). 110 BVerfGE 49, 24 (53). 111 BVerfGE 57, 250 (284 f.). 112 BVerfGE 49, 89 (142 f.); 53, 30 (57). 113 BVerfGE 56, 54, (73). 114 BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573). Diese Entscheidung ist in der Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts nicht veröffentlicht. 106

Β. Verfassungskonforme Auslegung

287

den vier letztgenannten Umweltentscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht zugleich klargestellt, daß sich die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf alle in diesem Grundrecht genannten Rechtsgüter bezieht, also nicht nur auf das Rechtsgut „Leben", sondern auch auf das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit 115. cc) Ableitung aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG Während die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG — wie eben gezeigt — Gegenstand zahlreicher Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts war, hat sich das Gericht bei der Klärung der Frage, inwieweit sich hinsichtlich anderer Grundrechte staatliche Schutzpflichten konkretisieren lassen, bisher zurückgehalten. Immerhin ergibt sich aber aus einer jüngeren Entscheidung, daß Schutzpflichten nicht nur aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern auch aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet werden können116. Diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hatte sich hinsichtlich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in seiner Kalkar-Entscheidung und hinsichtlich des Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Entscheidung zur Freilassung von Straftätern bei erpresserischer Geiselnahme (Pohle)117 angedeutet. In der Kalkar-Entscheidung hatte das Gericht im Zusammenhang mit der Schutzpflicht auch „Schäden an . . . Sachgütern"118 angesprochen und somit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in den Kreis der Grundrechte aufgenommen, aus denen sich Schutzpflichten ableiten lassen. In der Entscheidung zur Freilassung von Straftätern erwähnt das Gericht „die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger . . . zu schützen"119. Da der Begriff der Sicherheit der Bürger nicht nur deren Schutz hinsichtlich Leben und körperlicher Unversehrtheit umfaßt, sondern darüber hinaus auch deren persönliche Handlungsfreiheit, kommt über diesen Begriff auch Art. 2 Abs. 1 GG in den Kreis der Grundrechte, aus denen sich Schutzpflichten ableiten lassen. dd) Ableitung im Wege einer Gesamtschau mehrerer Grundrechte? Nicht gewiß ist, ob das Bundesverfassungsgericht für die Konkretisierung von Schutzpflichten auch eine Gesamtschau mehrerer Grundrechte zuläßt. Eine Feststellung in seiner Entscheidung zur Bekämpfung der Luftverunreinigung scheint indessen in diese Richtung zu tendieren. Dort führt das Gericht aus:

115

Vgl. BVerfGE 49,89 (143); 53, 30 (57); 56, 54 (73); BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573). BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573): „Der Gesetzgeber hat eine etwaige, aus Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 G G folgende Schutzpflicht... nicht . . . verletzt." 117 BVerfGE 46, 214 (223). 118 BVerfGE 49, 89 (143). 119 BVerfGE 46, 214 (223). 116

288

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

„Eine Schutzpflicht, die den Gesetzgeber zum Erlaß von Regelungen mit dem Ziel einer erheblichen Herabsetzung der Gesamtemissionsmenge verpflichtete, ist allenfalls im Wege der Verfassungsinterpretation aus den in den Grundrechten verkörperten Grundentscheidungen herzuleiten." 120

b) Abgrenzung: subjektives Abwehrrecht — objektivrechtliche

Schutzpflicht

aa) Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Rangverhältnis Die Gemeinsamkeiten von subjektivem Abwehrrecht und objektivrechtlicher Schutzpflicht erschöpfen sich darin, daß beide je eine Grundrechtsfunktion darstellen und beide das Ziel anstreben, Grundrechtsbeeinträchtigungen einzudämmern. Im übrigen bestehen zwischen beiden gravierende Unterschiede. Beim subjektiven Abwehrrecht geht es um die Abwehrposition des einzelnen gegen staatliche Eingriffe, bei der objektivrechtlichen Schutzpflicht dagegen um die Verpflichtung staatlicher Organe, einzelne vor Gefahrdungen durch andere Private zu schützen. Im ersten Fall handelt es sich also um ein zweipoliges Verhältnis (Bürger—Staat), im zweiten Fall hingegen um ein dreipoliges Verhältnis (Staat—Bürger—Bürger).Darüber hinaus gehen das subjektive Abwehrrecht und die objektivrechtliche Schutzpflicht in verschiedene Richtungen. Während das subjektive Abwehrrecht staatliches Handeln unterbinden soll, soll die objektivrechtliche Schutzpflicht staatliches Handeln ermöglichen. Außerdem verkörpern subjektives Abwehrrecht und objektivrechtliche Schutzpflicht unterschiedliche Maßstäbe. Das subjektive Abwehrrecht dient als Maßstab für staatliches Handeln zulasten des Bürgers, die objektivrechtliche Schutzpflicht hingegen als Maßstab für staatliches Handeln zugunsten des Bürgers. Wegen der dargestellten Unterschiede stellt sich die objektivrechtliche Schutzpflicht im Verhältnis zum subjektiven Abwehrrecht als qualitatives aliud dar 121 , wobei die objektivrechtliche Schutzpflicht den gleichen verfassungsrechtlichen Rang wie das subjektive Abwehrrecht innehat. Dies ergibt sich aus der folgenden Überlegung. Die Grundrechtsfunktionen subjektives Abwehrrecht und objektivrechtliche Schutzpflicht begründen beide Verpflichtungen für die staatliche Gewalt. Soweit die Funktion des subjektiven Abwehrrechts im Spiel ist, muß die staatliche Gewalt die Grundrechte (negativ) achten (Achtungspflicht); soweit die Funktion der objektivrechtlichen Schutzpflicht im Blickfeld steht, muß die staatliche Gewalt die Grundrechte (positiv) schützen (Schutzpflicht). Bei der Achtungs- und Schutzpflicht handelt es sich um zwei 120

BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573). In diese Richtung tendiert wohl auch Kloepfer in seinem Diskussionsbeitrag in: Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen / Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Siebtes Deutsches Atomrechts-Symposium, Referate und Diskussionsberichte, S. 143 (144). 121

Β. Verfassungskonforme Auslegung

289

Pflichtenaspekte derselben Grundrechte 122. Beide Pflichtenaspekte sind in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG gleichrangig aufgeführt („zu achten und zu schützen"). Aus dieser grundlegenden Verfassungsaussage in Art. 1 GG ist zu folgern, daß die Verfassung die beiden Grundrechtsfunktionen subjektives Abwehrrecht und objektivrechtliche Schutzpflicht gleichrangig angelegt hat und so verstanden wissen will. bb) Bedeutung des subjektiven Abwehrrechts in der dreipoligen Konstellation der objektivrechtlichen Schutzpflicht In der dreipoligen Konstellation der objektivrechtlichen Schutzpflicht darf nicht verkannt werden, daß die objektivrechtliche Schutzpflicht zugunsten des gefährdeten Bürgers zugleich einen Eingriffstitel zulasten des Verursachers der Gefährdung beinhaltet123. So begründet z.B. die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitete Schutzpflicht zugunsten des nasciturus einen staatlichen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Schwangeren (Art. 2 Abs. 1 GG) 1 2 4 und die ebenfalls aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitete Schutzpflicht zugunsten des Nachbarn einer emittierenden großtechnischen Anlage einen staatlichen Eingriff in die Eigentumsrechte des Anlagenbetreibers (Art. 14 Abs. 1 GG). Bei diesen staatlichen Eingriffen fungieren die betreffenden Grundrechte des Verursachers der Gefahrdung (im Beispiel: Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG) als subjektive Abwehrrechte. Folglich müssen in die Entscheidung über staatliche Maßnahmen aufgrund der objektivrechtlichen Schutzpflicht die subjektiven Abwehrrechte des Verursachers der Gefahrdung mit eingestellt und den die Schutzpflicht begründenden Grundrechten gegenübergestellt werden. c) Objektivrechtliche

Schutzpflicht

und Drittwirkung

Benda hat die Schutzpflicht der staatlichen Organe zur Abwehr von Grundrechtsgefahrdungen als wesentlichen „Transmissionsriemen" für die Drittwirkung der Grundrechte bezeichnet125. Dieses Bild bedarf indessen einer differenzierenden Betrachtung. Der Ansatzpunkt für eine vergleichende Betrachtung beider Rechtsfiguren liegt darin, daß beide das Rechtsverhältnis Bürger—Bürger beinhalten. Dieser gemeinsame Ansatzpunkt darf jedoch die bestehenden strukturellen Unterschiede zwischen beiden Rechtsfiguren nicht verwischen. Beim zweipoligen Drittwirkungsverhältnis Bürger—Bürger geht es um die Frage, inwieweit Grundrechte auf das zwischen ihnen bestehende Privatverhältnis durchschlagen 122

So auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 33. Vgl. in diesem Zusammenhang die Bedenken in der abweichenden Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck und des Richters Dr. Simon zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Fristenlösung, BVerfGE 39, 68 (73 ff.). 124 Hierauf verweist auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 28. 125 Benda, Technische Risiken und Grundgesetz, S. 6. 123

19 Luckow

290

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

können. Bei der dreipoligen Rechtsfigur der objektivrechtlichen Schutzpflicht geht es hingegen um das grundrechtliche Verhältnis des Staates zum gefährdeten Bürger einerseits und zum gefährdenden Bürger andererseits. Bei dieser Rechtsfigur steht insbesondere die Frage im Mittelpunkt, welchen Einfluß die Schutzpflicht zugunsten des Gefährdeten auf die staatlichen Maßnahmen gegenüber dem Gefährdenden hat 126 . Aufbauend auf diesen strukturellen Unterschieden zwischen Drittwirkung und Schutzpflicht, kann das Bild des „Transmissionsriemens" dahingehend gedeutet werden, daß der Grundrechtskonflikt Bürger—Bürger nicht allein auf dem privatrechtlichen Schauplatz mit direkter verfahrensmäßiger Berührung der beiden Privaten untereinander, sondern — über den „Transmissionsriemen" der Schutzpflicht — auch auf dem öffentlich-rechtlichen Schauplatz via Staat — ohne direkte verfahrensmäßige Berührung der beiden Privaten untereinander — ausgetragen werden kann. Daß ein Interessenkonflikt zwischen zwei Privaten via Staat öffentlich-rechtlich ausgetragen werden kann, zeigt für die Ebene des Verwaltungsrechts die Figur des Verwaltungsakts mit Doppelwirkung, wo Begünstigter und Belasteter im Wege des Verwaltungsrechtsstreits gegen den staatlichen Verwaltungsakt vorgehen. Die Schutzpflicht — um im Bild zu bleiben — „transmittiert" also die — im Rahmen der Drittwirkung privatrechtliche — Konfliktlösung auf das öffentlich-rechtliche Gleis und sichert die Konfliktlösung somit von der hoheitlichen Seite ab. Ein so verstandener „Transmissionsriemen" wahrt die strukturellen Unterschiede zwischen Drittwirkung und Schutzpflicht 127. d) Verwirklichung der Schutzpflicht und deren verfassungsgerichtliche Überprüfung

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben über die Art und Weise, wie die aus den Grundrechten abgeleiteten Schutzpflichten zu erfüllen sind, die staatlichen Organe in eigener Verantwortung zu entscheiden; sie befinden darüber, welche Maßnahmen zweckdienlich und geboten sind, um einen wirksamen Schutz zu gewährleisten128. In seinen beiden Entscheidungen zum Immissionsschutz betont das Bundesverfassungsgericht, daß die Entscheidung über die Schutzmaßnahmen nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip in die Verantwortung des vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgebers gehören 129. Dabei räumt das Bundesverfassungs126

In diesem Sinne auch Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, S. 182, Fußn. 44. Diese Unterschiede betont auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 35 f. Wohl zu weitgehend ist aber seine Feststellung, das Konzept der grundrechtlichen Schutz- und Eingriffsbeziehungen habe mit der Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte nichts zu tun. 128 Vgl. BVerfGE 39, 1 (44); 46, 160 (164); 56, 54 (80 f.). 129 BVerfGE 56, 54 (81); BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573). 127

291

Β. Verfassungskonforme Auslegung

gericht dem Gesetzgeber angemessene Erfahrungs- und Anpassungsspielräume ein, wenn verläßliche Erkenntnisse noch nicht vorliegen 130. Aus diesem Grund reduziert das Bundesverfassungsgericht in den beiden genannten Entscheidungen zum Immissionsschutz seine Überprüfung möglicher Schutzverpflichtungen seitens des Gesetzgebers ausdrücklich auf eine Evidenzkontrolle. Das Bundesverfassungsgericht könne bei der Bekämpfung des Fluglärms und der Luftverunreinigung erst dann eingreifen, wenn der Gesetzgeber Schutzpflichten evident verletzt habe; somit sei es ohne Bedeutung, ob auf den Gebieten der Bekämpfung des Fluglärms und der Luftverunreinigung bereits befriedigende Verhältnisse erreicht oder alle denkbaren Schutzmaßnahmen verwirklicht worden seien131. Diese Einschränkung gilt indessen nur für die verfassungsgerichtliche Überprüfung; der materiellrechtliche Gehalt der Schutzpflicht wird dadurch nicht berührt. Daß zwischen materiellrechtlichem Gehalt der Schutzpflicht einerseits und der verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Schutzpflicht andererseits streng zu trennen ist, betont das Bundesverfassungsgericht in seiner Fluglärmentscheidung. Dort führt es aus: „Selbst wenn der Gesetzgeber aufgrund der aus Art. 2 Abs. 2 GG herzuleitenden Schutzpflichten gehalten war, seine ursprünglich getroffenen Lärmschutzvorkehrungen nachzubessern, führt die Begründetheitsprüfung zu dem Ergebnis, daß dem Gesetzgeber eine verfassungsgerichtlich zu beanstandende Verletzung dieser Pflicht nicht zur Last gelegt werden kann" 1 3 2 .

Festzuhalten bleibt außerdem, daß im Gegensatz zu den beiden Entscheidungen zum Immissionsschutz in den beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Atomrecht bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung möglicher Schutzpflichtverletzungen seitens des Gesetzgebers eine ausdrückliche Beschränkung auf eine Evidenzkontrolle fehlt 133 . e) Objektivrechtliche Schutzpflichten künftigen Generationen?

gegenüber

Die Stellung künftiger Generationen in verfassungsrechtlicher Sicht ist weitgehend ungeklärt. Fraglich ist insbesondere, ob das Verfassungsrecht künftigen Generationen subjektive Rechtspositionen gewährt oder ob es ihnen gegenüber zumindest objektivrechtliche Schutzpflichten begründet. Für die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Fragen bietet seine Entscheidung zur Fristenlösung einen Anhaltspunkt, wenn man den nasciturus als chronologisch ersten Vertreter kommender Generationen ansieht.

130

BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573). BVerfGE 56, 54 (80 f.); BVerfG EuGRZ 1983, 572 (573). 132 BVerfGE 56, 54 (73). Die Hervorhebung stammt vom Verfasser. 133 Vgl. BVerfGE 49, 89 (142 f.); 53, 30 (57 ff.). 131

*

292

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

aa) Künftige Generationen als Träger subjektiver Abwehrrechte? In der Entscheidung zur Fristenlösung hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen gelassen, ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist 134 . Diese Frage offen zu lassen war möglich, weil das Bundesverfassungsgericht Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in dieser Entscheidung nicht als subjektives Abwehrrecht, sondern unter dem Gesichtspunkt der aus diesem Grundrecht abzuleitenden objektivrechtlichen Schutzpflicht geprüft hat 135 . Daß die Bejahung einer objektivrechtlichen Schutzpflicht zugunsten des nasciturus nicht automatisch dessen Grundrechtsfähigkeit und -trägerschaft und somit die Anerkennung des entsprechenden subjektiven Abwehrrechts in seiner Person nach sich zieht, liegt darin begründet, daß es im Recht und insbesondere im öffentlichen Recht auch nicht wechselbezügliche Recht-Pflicht-Verhältnisse gibt. Der objektivrechtlichen Schutzpflicht muß nicht zwangsläufig ein subjektives Abwehrrecht korrespondieren 136. Der nasciturus kann daher als Schutzdestinatär ohne Anspruchsberechtigung bezeichnet werden 137. Wenn schon beim nasciturus hinsichtlich der Frage der Grundrechtsfähgkeit Zurückhaltung geübt wird, so muß dies erst recht bei noch nicht gezeugten künftigen Generationen gelten. Daher verneint — soweit ersichtlich — die Literatur wohl überwiegend, daß künftige Generationen Grundrechtsträger sein und subjektive grundrechtliche Abwehransprüche haben können138. Die daran anschließende Folgerung, der Staat könne dann auch keine Rechtspflichten gegenüber künftigen Generationen haben, ist indessen nicht zwingend. Wie eben dargelegt, kennt gerade das öffentliche Recht auch nicht wechselbezügliche Recht-Pflicht-Verhältnisse, so daß eine staatliche Pflicht gegenüber künftigen Generationen sehr wohl bestehen kann, auch wenn deren Grundrechtsfähigkeit verneint oder zumindest offengelassen wird. Die insoweit bestehende Unabhängigkeit zwischen dem subjektiven grundrechtlichen Abwehranspruch und der objektivrechtlichen staatlichen Schutzpflicht wird in der Literatur zum Teil verkannt 139. Daß objektivrechtliche Schutzpflichten bei fehlender Grundrechtsfähigkeit — wie eben gezeigt — nicht ausgeschlossen sind, heißt noch nicht, daß sie in jedem Fall bestehen müssen. Dies bedarf vielmehr einer genauen Ableitung. Daher muß im folgenden untersucht werden, wie sich die Schutzpflichten zugunsten künftiger Generationen begründen lassen.

134

BVerfGE 39, 1 (41). BVerfGE 39, 1 (41 ff.). 136 So wohl auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 28. 137 Vgl. Hofmann, Entsorgung, S. 261. 138 Ygi Wagner IZieglerI Closs, Nukleare Entsorgung, S. 166. 139 s. Wagner j Ziegler j Closs, Nukleare Entsorgung, S. 166. 135

Β. Verfassungskonforme Auslegung

293

bb) Verbindlichkeit des Grundgesetzes für künftige Generationen? Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fristenlösung, in der eine objektivrechtliche Schutzpflicht der staatlichen Organe (nur) gegenüber dem nasciturus anerkannt worden ist, kann auf künftige Generationen nicht ohne weiteres übertragen werden; sie kann insoweit nur als Richtungsweiser verstanden werden. Vielmehr müssen sich aus der Verfassung zusätzliche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß das Grundgesetz auch für künftige Generationen Verbindlichkeit beansprucht. (Î)

Zukunftskomponenten

des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, in dessen Bereich die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht erstmalig konkretisiert wurde, enthält selbst zwei Komponenten, die in die Zukunft und damit auf künftige Generationen weisen. Das Recht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist hinsichtlich der Grundrechtssubjektivität („jeder") und seines Gehalts ein Menschenrecht. Die im Grundgesetz festgeschriebenen Menschenrechte gehen über die Weimarer Reichsverfassung und die Paulskirchenverfassung auf die französische Déclaration des droits de 1'homme et du citoyen vom 26. 8.1789 und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 4. 7. 1776 zurück. Die französische Erklärung bezeichnet die Rechte des Menschen als unverjährbar (imprescriptible), die amerikanische als unveräußerlich (inalienable). In beiden, wohl stärker in der französischen Erklärung, bekommen die Menschenrechte eine zeitliche Dimension, die in die Zukunft weist und künftige Generationen einbezieht140. Darüber hinaus enthält Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG inhaltlich selbst eine Zukunftskomponente. Zur körperlichen Unversehrtheit gehört nach allgemeiner Anschauung auch die Fähigkeit, Leben weitergeben zu können141. Diese Komponente weist zunächst in die unmittelbar folgende Generation, gleichsam als Kettenreaktion aber dann auch in die jeweils folgenden. Zwar stammen beide Zukunftskomponenten des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (unverjährbares Menschenrecht und Weitergabe gesunden Lebens) aus dem subjektiven Gehalt des Grundrechts (Abwehrrecht). Sie sind aber ohne weiteres auf den objektivrechtlichen Gehalt (Schutzpflicht) übertragbar. Dem unverjährbaren Menschenrecht entspricht die unverjährbare Schutzpflicht, dem Recht auf Weitergabe gesunden Lebens die staatliche Pflicht, die Weitergabe gesunden Lebens zu schützen und zu fördern.

140 141

Vgl. Hofmann, Entsorgung, S. 268. Dürig, in Maunz/Dürig u.a., Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2, Rnr. 30.

294

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

(2) Generationsübergreifender

Charakter des Grundgesetzes

Nicht nur aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern auch aus anderen Bestimmungen des Grundgesetzes ergibt sich, daß die Verfassung generationsübergreifend angelegt ist und dies sowohl bezüglich vorangehender als auch nachfolgender Generationen. Art. 6 GG weist über die Lebenden hinaus und bezieht sich zumindest auf die unmittelbar folgende Generation 142. Die in den Art. 74 Nr. 9 und 10 GG angesprochene Wiedergutmachung und Kriegsopferversorgung regeln Folgen von Ursachen, die vorangegangene Generationen gesetzt haben. Die in Art. 87 Abs. 2 GG erwähnten Sozialversicherungen sichern die noch lebende ältere Generation bzw. Hinterbliebene vorangegangener Generationen durch Beiträge der im Berufsleben stehenden Generation. Die in Art. 74 Nr. 13 GG angesprochenen Ausbildungsbeihilfen fördern die Ausbildung der jüngeren (schon lebenden) Generation, der in Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 GG geregelte Hochschulbau darüber hinaus auch die Ausbildung der noch nicht lebenden künftigen Generationen. Während die Wiedergutmachung und die Versorgung der Kriegsopfer eine einmalige Ursache haben und ihr Vollzug zeitlich begrenzt ist, basieren die Sozialversicherungen, die Ausbildungsförderung und der Hochschulbau auf dem kontinuierlichen und zeitlich unbegrenzten System des Generationenvertrags. Dieser Vertrag beinhaltet einen Leistungsaus tausch zwischen den Generationen. Bei der Sozialversicherung erbringt die im Berufsleben stehende Generation der älteren Generation eine soziale Sicherung als Gegenleistung für die Übernahme eines intakten wirtschaftlichen und sozialen Systems sowie für die erfahrene, von der Vorgeneration finanzierte Ausbildung. Im Bereich der Ausbildungsförderung und des Hochschulbaus leistet die steuerpflichtige Generation den nachfolgenden Generationen einen Beitrag zur Wissens(weiter-) Vermittlung. Diese Leistung kann als Ausgleich gesehen werden für den Verbrauch unwiederbringbaren ökologischen Kapitals und sonstiger endlicher Ressourcen, die den nachfolgenden Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Gerade dieses Beispiel für den generationsübergreifenden Charakter des Grundgesetzes belegt plastisch, daß das Grundgesetz Verbindlichkeit auch für künftige Generationen beansprucht. (3) Zukunftsaspekte

der Präambel

Dieser Befund wird durch die Präambel des Grundgesetzes noch erhärtet. Der Vorspruch der Verfassung kann in die Untersuchung mit einbezogen werden, da er nicht nur politische, sondern auch rechtliche Aussagekraft hat 143 . 142 de Witt, Kernenergie und Rechtsstaat, S. 151 f.; Wagner/Ziegler/ Entsorgung, S. 166. 143 BVerfGE 5, 85 (127 ff.); 36, 1 (17 ff.).

Closs, Nukleare

Β. Verfassungskonforme Auslegung

295

Dies läßt sich — systematisch — damit begründen, daß die Präambel Bestandteil des Grundgesetzes ist; denn einerseits lautet der die Präambel einführende Satz: „Das Grundgesetz wird hiermit... veröffentlicht"; andererseits heißt es am Ende des ersten Satzes der Präambel „dieses Grundgesetz" und nicht „das nachfolgende Grundgesetz"144. Die Präambel hat zwei Zukunftsaspekte. Zum einen weist ihr dritter Satz mit der Aufforderung, in freier Sebstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, in eine unabsehbare Zukunft 145 . Zum anderen beziehen die Eingangsworte im ersten Satz der Präambel („Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen") die Zukunft mit ein; denn sich seiner Verantwortung bewußt zu sein heißt, daß man für die absehbaren Folgen seines Tuns einstehen muß 140 . (4) Verfassungsrechtliche

Einstandspflichten

Diese in die Zukunft reichenden Einstandspflichten lassen sich auch noch aus einer weiteren Überlegung ableiten. Wie Art. 74 Nr. 9 bis 10 a GG zeigt, soll die Nachkriegsgeneration für Kriegsschäden, Wiedergutmachung, Versorgung der Kriegsopfer und Kriegsgräber einstehen. Diese Einstandsverpflichtung durch die Verfassung kann wohl kaum Ausdruck einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Pflicht im Rahmen eines Generationenvertrags sein, sondern ist eher Ausdruck einer moralischen Erwartungshaltung. Entscheidend ist hierbei, daß die Verfassung eine Einstandsverpflichtung für Kriegsfolgelasten postuliert, obgleich die Nachkriegsgeneration keinen Verursachungsanteil trägt. Muß eine Generation schon für Folgen einstehen, deren Ursachen sie nicht gesetzt hat, so muß sie erst recht Verantwortung tragen für Ursachen, die sie selbst gesetzt hat. Diese in die Zukunft weisende Verantwortung ist um so höher, je größer die Gefahrdung für die künftigen Generationen ist. In diesem Zusammenhang muß festgehalten werden, daß keine Generation zuvor ein auch nur annähernd langfristiges Gefahrdungspotential an nachfolgende Generationen weitergegeben hat, wie die Generation, die die Nutzung der Kernenergie betrieben und damit die Endlagerung hochaktiven Abfalls verursacht hat 147 . Auch die nicht zu verharmlosenden Folgen des Zweiten Weltkriegs lassen sich in einen Vergleich hiermit nicht einstellen, da sie zeitlich begrenzt und übersehbar waren.

144 145 146 147

Vgl. Art. 1 Abs. 3 GG, wo von den „nachfolgenden Grundrechten" die Rede ist. Vgl. Hofmann, Entsorgung, S. 264. So Hofmann, Entsorgung, S. 270. Vgl. υ. Weizsäcker, Wege in der Gefahr, S. 28.

296

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

(5) Zwischenergebnis

Die vorstehende Untersuchung ergibt, daß das Grundgesetz auch Verbindlichkeit für künftige Generationen beansprucht und daß die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter zu stellen, somit auch gegenüber künftigen Generationen besteht. Damit ist die Auffassung widerlegt, der Staat des Grundgesetzes könne nicht auf unbestimmte Zeit hinaus Träger von Rechtspflichten gegenüber einem nach Art und Umfang unbestimmten Personenkreis sein148. Die Zeitdauer bestimmt sich nach Art und Umfang des an die künftigen Generationen weitergegebenen Belastungspotentials. Für die Bestimmbarkeit des Personenkreises genügt es in diesem Zusammenhang, daß es sich um Menschen i. S. des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG handeln wird. cc) Umfang der Schutzpflicht gegenüber künftigen Generationen Der Umfang der staatlichen Schutzpflicht gegenüber künftigen Generationen läßt sich bestimmen, indem man als Vergleichsgröße die Schutzpflicht gegenüber lebenden Generationen heranzieht. Im Grundgesetz findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Schutzpflicht gegenüber künftigen Generationen umfangreicher ist als gegenüber lebenden. Umgekehrt läßt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ableiten, daß die Schutzpflicht gegenüber künftigen Generationen nicht schwächer ausgestaltet sein darf als gegenüber lebenden; denn was im räumlichen Nebeneinander der Menschen unter das Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung fällt, das ist bei unveränderter Sachlage auch in ihrem zeitlichen Nacheinander nicht zulässig149. Die Reichweite moderner Techniken, die die räumliche und zeitliche Nachbarschaft enger macht, zwingt dazu, den Gleichheitssatz auch in der Dimension der Zeit zu denken150. Demnach darf der Staat künftigen Generationen nichts auferlegen, was ihm den Lebenden gegenüber verboten ist 151 ; d.h. er darf Grundrechtsgefährdungen gegenüber künftigen Generationen zumindest nicht in größerem Umfang zulassen als gegenüber Lebenden152. Diese Aussage gilt für die Dauer der Gefährdung für alle späteren Generationen. Der Umfang der Schutzpflicht gegenüber künftigen Generationen nimmt mit wachsendem Zeitabstand nicht ab; denn es gibt keinen zeitlichen Abbau von Grundrechtspositionen, d.h. keine „juristische Zerfallszeit" 153. Was sich heute 148 So Wagner/ Ziegler/ Closs, Nukleare Entsorgung, S. 166 unter unrichtiger Berufung auf Hofmann, Entsorgung, S. 260f. 149 Hofmann, Entsorgung, S. 283. 150 So ausdrücklich Hofmann, Entsorgung, S. 283 f. 151 Hofmann, Entsorgung, S. 273. 152 Hof mann, Entsorgung, S. 281 ; auf ihn verweist — ohne sich von ihm zu distanzieren — Benda, Technische Risiken und Grundgesetz, S. 7. 153 So (sehr plastisch) Hartkopf Umwelt Nr. 95 v. 10. 5. 1983, S. 27 (30).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

297

als eine verfassungswidrige Belastung der Lebenden darstellt, gilt auch späterhin für künftige Generationen. Im Umkehrschluß ist zu folgern: was heute als eine verfassungsmäßige Belastung der Lebenden erachtet wird, ist auch künftigen Generationen zuzumuten154. 4. Objektivrechtliche Schutzpflicht im Atomrecht

a) Schutzpflicht

als Rettungsanker bei der Auslegung des § 7 Abs. 2 AtG

In der Mülheim-Kärlich-Entscheidung legitimiert das Bundesverfassungsgericht die objektivrechtliche Schutzpflicht im Atomrecht speziell über die Mitverantwortung des Staates für die nuklearen Gefährdungen durch kern technische Anlagen. Das Gericht führt aus: „Wird . . . ein Kernkraftwerk trotz des in ihm verkörperten außerordentlichen Gefährdungspotentials im Allgemeininteresse an der Energieversorgung genehmigt, so bedeutet dies, daß die körperliche Integrität Dritter Gefahrdungen ausgesetzt werden kann, die diese nicht beeinflussen und denen sie kaum ausweichen können. Damit übernimmt der Staat seinerseits eine eigene Mitverantwortung für diese Gefahrdungen. Demgemäß erscheint es geboten, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung von Kernkraftwerken nicht weniger strenge Maßstäbe anzulegen als bei der Prüfung staatlicher Eingriffsgesetze" 155.

In dieser Feststellung des Gerichts kommt zum Ausdruck, daß Grundrechtsgefährdungen duchaus „Eingriffsqualität" 156 erlangen und somit eingriffsgleich sein können. Trägt der Staat „eigene Mitverantwortung" 157 für Grundrechtsgefahrdungen, die Eingriffsqualität haben, so läge es theoretisch nicht fern, seine diesbezüglichen Handlungen (hier: Genehmigungen) als staatliche Eingriffe zu qualifizieren 158 und so den Weg über das objektive Abwehrrecht einzuschlagen. Dieser Weg ist aber im Fall des Atomgesetzes versperrt; denn der Vorbehalt für Eingriffe des Gesetzgebers in ein subjektives Abwehrrecht (vgl. den Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG) kann nur wirksam ausgefüllt werden, wenn das eingreifende Gesetz das einzuschränkende Grundrecht zitiert (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Daran fehlt es bei § 7 Abs. 2 AtG aber gerade. Wegen des fehlenden Zitats mußte die Kalkar-Entscheidung für § 7 Abs. 2 AtG auf den Pfad der objektivrechtlichen Schutzpflicht ausweichen. Bei der objektivrechtlichen Schutzpflicht nämlich gilt — im Gegensatz zum subjektiven 154

Darauf verweist zu Recht: Hartkopf, Umwelt Nr. 95 v. 10. 5. 1983, S. 27 (30). BVerfGE 53, 30 (58). 156 So (später) wörtlich BVerfGE 66, 39 (59) — Pershing II, unter ausdrücklicher Berufung auf die Mülheim-Kärlich-Entscheidung. 157 So BVerfGE 53, 30 (58); 56, 54 (79). 158 Hiergegen Rauschning, Entsorgung, S. 87: „ . . . unter Mitverantwortung — was immer damit auch gemeint ist — wird . . . nicht ein Eingriff des Staates verstanden". 155

298

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Abwehrrecht — das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht. Das ergibt sich aus folgender Überlegung 159. Da bei der objektivrechtlichen Schutzpflicht gegenüber dem Gefährdeten gerade kein Eingriff in dessen Grundrechte stattfindet, können der Eingriffsvorbehalt (vgl. z. B. Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG) und das an ihn gekoppelte Zitiergebot in diesem Fall nicht greifen. Die Unanwendbarkeit des Zitiergebots ergibt sich darüber hinaus auch direkt aus dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG. Im Rahmen der objektivrechtlichen Schutzpflicht wird das Grundrecht des Gefährdeten gerade nicht eingeschränkt; vielmehr werden die staatlichen Organe verpflichtet, sich schützend und fördernd vor die im Grundrecht enthaltenen Rechtsgüter zu stellen. Die vorstehenden Ausführungen belegen, daß die objektivrechtliche Schutzpflicht in den atomrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als konstruktiver Rettungsanker gedient hat. Wegen der Nichtbeachtung des Zitiergebots bei § 7 Abs. 2 AtG mußte der Bereich Grundrechtsverletzung / subjektives Abwehrrecht/Gesetzesvorbehalt umschifft werden. Dies ist dem Bundesverfassungsgericht dadurch gelungen, daß es die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG verfassungskonform dahingehend ausgelegt hat, daß durch die Genehmigungen und ihre Folgen keine Grundrechtsverletzungen eintreten dürfen, andernfalls die Genehmigung ausgeschlossen ist 160 . Mit dieser verfassungskonformen Auslegung wurde aber lediglich die Verfassungswidrigkeit des § 7 Abs. 2 AtG wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot vermieden. Für den materiellrechtlichen Sicherheitsstandard hingegen war mit dieser Auslegung nur wenig gewonnen. Vielmehr wurde diese Problematik im wesentlichen auf den Bereich Grundrechtsgefährdung / objektivrechtliche Schutzpflicht verlagert und muß dort bei der Frage des Umfangs der Schutzpflicht gelöst werden. b) Umfang der objektivrechtlichen

Schutzpflicht

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bestimmt sich der Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht allgemein einerseits nach Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren, andererseits nach Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts161. In dieser Feststellung kommt zunächst einmal zum Ausdruck, daß objektivrechtliche Schutzpflichten Begrenzungen haben. Insoweit teilen sie das Schicksal der subjektiven Abwehrrechte, die ebenfalls Beschränkungen unterliegen. Inhaltlich und konstruktiv sind diese Restriktionen jedoch verschieden. Die Beschränkungen der subjektiven Abwehrrechte erlauben dem Staat, in diese Rechte einzugreifen (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG), während es bei den 159 Vgl. hierzu auch Götz, Dosisgrenzwerte, S. 184f., 266; Rauschning, Entsorgung, S. 89, 146. 160 BVerfGE 49, 89 (140 f.). 161 BVerfGE 49, 89 (142).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

299

Begrenzungen der Schutzpflicht gerade darum geht, daß der Staat nicht handeln muß. Aus diesem inhaltlichen Unterschied folgt zugleich, daß die Begrenzungen der Schutzpflicht sich von ihrer Konstruktion her nicht an den Beschränkungen der subjektiven Abwehrrechte orientieren können. Wie oben in anderem Zusammenhang schon dargelegt, greift nämlich die Figur des Gesetzesvorbehalts, der eine Schranke des subjektiven Abwehrrechts bildet (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG), bei der objektivrechtlichen Schutzpflicht nicht, da bei dieser Schutzpflicht gegenüber dem Gefährdeten gerade kein Eingriff in dessen Grundrechte stattfindet. Die Begrenzungen der objektivrechtlichen Schutzpflicht bestimmen sich vielmehr nach eigenen Kriterien 162 . aa) Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren Die oben wiedergegebene Formel des Bundesverfassungsgerichts zum Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht allgemein konkretisiert das Gericht für das Atomrecht in seiner Kalkar-Entscheidung hinsichtlich Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren. (1) Entfernte

Wahrscheinlichkeit,

„praktische

Vernunft"

Nach der Kalkar-Entscheidung muß bei der Art und Schwere der möglichen Gefahren bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen163. Aus dieser Feststellung des Bundesverfassungsgerichts ist zu folgern: Der Punkt der „entfernten Wahrscheinlichkeit" liegt zwar dicht am Punkt der absoluten Unwahrscheinlichkeit, fallt mit diesem aber—wie sich aus der Wortbedeutung ergibt — nicht zusammen; vielmehr liegt zwischen beiden Punkten ein Bereich, in dem die Schutzpflicht nicht ausgelöst wird. Da der Punkt der absoluten Unwahrscheinlichkeit des Schadenseintritts mit dem Punkt des völligen Schadensausschlusses identisch ist und da die Schutzpflicht (erst) jenseits des Punktes der absoluten Unwahrscheinlichkeit bei der entfernten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts einsetzt, ist weiter zu folgern, daß die Schutzpflicht keinen absoluten Schadensausschluß bzw. keinen absoluten Ausschluß von Grundrechtsgefahrdungen verlangt. Nach der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts müssen der Schadenseintritt bzw. die Gefahrdung aber „praktisch" ausgeschlossen sein164. 162 Dies scheint Rauschning, Entsorgung, S. 88 zu verkennen, der den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 G G offensichtlich auf die Begrenzungen der objektivrechtlichen Schutzpflicht angewendet wissen will. Hiergegen auch Kloepfer in seinem Diskussionsbeitrag zu Rauschnings Thesen, in: Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen / Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Siebtes Deutsches Atomrechts-Symposium, Referate und Diskussionsberichte, S. 143 (144). 163 BVerfGE 49, 89 (142). 164 BVerfGE 49, 89 (143).

300

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Anhaltspunkte dafür, was das Bundesverfassungsgericht unter dem „praktischen" Ausschluß des Schadenseintritts versteht, ergeben sich aus der folgenden Passage der Kalkar-Entscheidung: „Erfahrungswissen dieser Art (d.h. Schlüsse aus der Beobachtung vergangener tatsächlicher Geschehnisse und aus simulierten Verläufen), selbst wenn es sich zur Form des naturwissenschaftlichen Gesetzes verdichtet hat, ist, solange menschliche Erfahrung nicht abgeschlossen ist, immer nur Annäherungswissen, das nicht volle Gewißheit vermittelt, sondern durch jede neue Erfahrung korrigierbar ist und sich insofern immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet. Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefahrdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anhand praktischer Vernunft bewenden. Was die Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern anbetrifft, so hat der Gesetzgeber durch die in § 1 Nr. 2 und in § 7 Abs. 2 AtomG niedergelegten Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur dann zuläßt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, daß solche Schadensereignisse eintreten werden... Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft haben die Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens; sie sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen." 165

Da das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Begriff der „praktischen Vernunft" auf die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens abstellt166, wird durch diesen Begriff bei der atomrechtlichen Genehmigung (nur) die Möglichkeit des Irrtums oder der Nichterkennung von Problemen durch den Menschen zugelassen. Damit trägt das Bundesverfassungsgericht dem Umstand Rechnung, daß Erfahrungswissen, insbesondere aus simulierten Verläufen, „immer nur Annäherungswissen . . . ist, das . . . sich . . . auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet" 167. Wollte man diesen Umstand eliminieren, dürfte der Staat die Nutzung der Technik nicht mehr zulassen; in diesem Fall wäre ein Schadenseintritt absolut ausgeschlossen. Die Verbannung der Nutzung der Technik will das Bundesverfassungsgericht aber gerade vermeiden. Die Tatsache, daß der Mensch wegen seines begrenzten Erkenntnisvermögens irren oder nicht alle Probleme erkennen kann, soll die staatliche Zulassung der Nutzung der Technik nicht verhindern. Im Gegenzug soll damit aber nicht jedwede Gefahrdung durch die Technik und deren Nutzung zugelassen werden, sondern allein die Gefahrdung, die in der Möglichkeit des Irrtums oder der Nichterkennung von Problemen durch den Menschen liegt. 165

BVerfGE 49, 89 (143). Klammerzusätze und Hervorhebungen stammen vom Verfasser. 166 Hierauf verweist auch Steiger, Grundlagen, S. 21 (37). 167 BVerfGE 49, 89 (143).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

301

Die Akzeptanz dieser Gefährdung darf aber keineswegs dazu ermuntern, das Sammeln von Erfahrungswissen durch Auswertung vergangener Geschehnisse und Simulation künftiger Verläufe zu vernachlässigen oder gar einzustellen. Nur, was bei besten Anstrengungen — und hier bestätigt sich das progressive Verständnis des „Stands von Wissenschaft und Technik"168 — an Möglichkeiten des menschlichen Irrtums und Nichterkennens von Problemen verbleibt, sind die „Ungewißheiten jenseits der Schwelle praktischer Vernunft, die ihre Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens haben, unentrinnbar und insofern als sozial-adäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen sind" 169 . Als Ergebnis dieser Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist somit festzuhalten: Mit dem Hinweis auf die „praktische Vernunft" ist bei der atomrechtlichen Genehmigung lediglich der Einwand abgeschnitten, das lückenhafte und fehlsame Erkenntnisvermögen des Menschen hindere die staatliche Zulassung der Technik. Ein positiver Abgrenzungsmaßstab ist damit allerdings noch nicht gegeben. Dies verkennt Marburger, der aus der — nach seiner Auffassung — mißverständlichen Gleichsetzung der „Schwelle praktischer Vernunft" mit den „Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens" folgert, daß der „Standard praktischer Vernunft" dann gleichbedeutend mit dem „(unerreichbaren) Standard absoluter Sicherheit" sei 170 . Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die „praktische Vernunft" schafft für sich allein noch keinen positiven Sicherheitsstandard, sondern grenzt lediglich den Einwand des lückenhaften und fehlsamen menschlichen Erkenntnisvermögens negativ aus. Der Sicherheitsstandard bestimmt sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts vielmehr dadurch, daß Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren einerseits und Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts andererseits zueinander und untereinander in Beziehung gesetzt werden, wobei als „Maßstab" die „Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge" gelten171. Die in Literatur und auch verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung aufgegriffene Formel der „praktischen Vernunft" kann also nicht dazu dienen, den Sicherheitsstandard beliebig herabzusetzen. Vielmehr ist umgekehrt festzustellen, daß die „praktische Vernunft" im hier analysierten Verständnis des Bundesverfassungsgerichts einem höchstmöglichen Sicherheitsstandard, ermittelt nach den „Grundsätzen der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge", keineswegs im Wege steht, sondern ihm den Weg sogar öffnet 172.

168

s. hierzu oben Fünfter Teil Β. II. 2. b). BVerfGE 49, 89 (143). 170 Marburger, Schadensvorsorge, S. 97. 171 BVerfGE 49, 89 (142 f.). 172 Daher kann der Sichtweise von Ossenbühl, Bewertung von Risiken, S. 45 (46), das Bundesverfassungsgericht habe den Satz der „bestmöglichen Gefahrenabwehr" durch den „Standard der praktischen Vernunft" relativiert, nicht gefolgt werden. 169

302

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

(2) „Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr

und Risikovorsorge"

Da die „praktische Vernunft" im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts — wie oben gezeigt — lediglich den Einwand des lückenhaften und fehlsamen menschlichen Erkenntnisvermögens negativ ausgrenzt, ohne einen positiven Sicherheitsstandard zu bieten, kommt den „Grundsätzen der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Riskovorsorge" bei der Bestimmung des Sicherheitsstandards entscheidende Bedeutung zu. In seiner Kalkar-Entscheidung betrachtet das Bundesverfassungsgericht diese Grundsätze demgemäß als Maßstab für die Genehmigungserteilung173. Aus der Kalkar-Entscheidung läßt sich darüber hinaus folgern, daß die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Auslösefaktor für die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht darstellt, denn nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts korrespondieren die Schutzpflicht und die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge miteinander und müssen daher zusammen gesehen werden 174. Klärungsbedürftig ist der Begriff der Bestmöglichkeit. Anhaltspunkte für sein Verständnis liefern eine wörtliche Auslegung und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selbst. Eine wörtliche Auslegung ergibt einerseits, daß „bestmöglich" von seiner Wortbedeutung her nicht identisch ist mit absoluter Vollkommenheit. Daraus läßt sich folgern, daß die „Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge" keinen absoluten Schadensausschluß verlangen. Andererseits heißt „bestmöglich" von seiner Wortbedeutung her, beste Anstrengungen zu unternehmen. „Bestmöglich", bezogen auf Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, muß vom Wortsinn somit zumindest dahin verstanden werden, jede vermeidbare Gefahren- bzw. Risikoerhöhung zu unterlassen. Das Ergebnis dieser Wortanalyse wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einem sehr progressiven Sinne fortentwickelt. In seiner Kalkar-Entscheidung sieht das Gericht eine wechselbezügliche Abhängigkeit zwischen den Grundsätzen der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge und dem Stand von Wissenschaft und Technik175. Da — wie oben dargestellt176 — die Wissenschaft nach Auffassung des Gerichts 177 Schrittmacherfunktionen wahrnimmt und gegenüber der Technik Priorität genießt, kommt dem Begriff der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risiko173 BVerfGE 49, 89 (143): „ . . . so hat der Gesetzgeber durch die . . . Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigung nur . . . zuläßt . . . " . 174 Vgl. BVerfGE 49, 89 (143). Siehe auch BVerfGE 49, 89 (137), wo die Bestmöglichkeit an den dynamischen Grundrechtsschutz gekoppelt wird. 175 BVerfGE 49, 89 (138f., 143). 176 s. oben Fünfter Teil Β. II. 2. 177

Vgl. BVerfGE 49, 89 (136): „Es muß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. . . . die erforderliche Vorsorge wird . . . nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt."

Β. Verfassungskonforme Auslegung

303

Vorsorge die Bedeutung zu, jede nach wissenschaftlichen Erkenntnissen vermeidbare Gefahren- bzw. Risikoerhöhung zu unterlassen. Sieht man die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nun wiederum im Zusammenhang mit der objektivrechtlichen staatlichen Schutzpflicht, so bedeutet die hier vertretene Auslegung des Begriffs der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, daß die technische Unmöglichkeit keinen Hinderungsgrund darstellt, die objektivrechtliche Schutzpflicht auszulösen178. (3) Vergleich mit naturgegebenen Risiken

(a) Naturgegebene Risiken als Voraustatbestand der Grundrechtsordnung Bisher wurde — soweit ersichtlich — nicht versucht, den Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht aus Überlegungen zur Grundrechtsordnung selbst abzuleiten. Dies ist jedoch naheliegend, da die Schutzpflichten aus der Grundrechtsordnung entwickelt werden. Schafft ein Staat sich eine Grundrechtsordnung, so baut diese — quasi als staatlicher Überbau — auf den im Staatsgebiet vorgefundenen. natürlichen Lebensgrundlagen auf. Diese vorhandenen natürlichen Lebensgrundlagen mit ihren Gefahren und Risiken bilden den Voraustatbestand für die Schaffung der Grundrechtsordnung und werden von dieser — stillschweigend — akzeptiert. Damit liegen der Grundrechtsordnung von vornherein bestimmte naturgegebene Risikogrößen zugrunde. Da die objektivrechtliche Schutzpflicht aus eben dieser Grundrechtsordnung abgeleitet wird, setzt die Schutzpflicht dort ein, wo diese vorhandenen naturgegebenen Risikogrößen überstiegen werden. Bezogen auf technische, von Menschen geschaffene Gefahrdungen, bedeutet dies, daß die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht hinsichtlich dieser Gefahrdungen unter dem Gesichtspunkt der vorgefundenen naturgegebenen Risiken ausgelöst wird, wenn diese vorhandenen natürlichen Risikogrößen überstiegen werden. Die hier entwickelte Betrachtungsweise, naturgegebene Risiken als Voraustatbestand der Grundrechtsordnung anzusehen, steht in Einklang mit dem im Rahmen der wörtlichen Auslegung des Begriffs „bestmöglich" gefundenen Ergebnis, daß die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge keinen absoluten Schadensausschluß verlangt 179.

178 179

In diesem Sinne auch BVerfGE 56, 54 (79 f.). s. hierzu soeben oben (2).

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5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

(b) Stade-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts: natürliche und zivilisatorische Risiken als Vergleichsgrößen? Daß natürliche Risiken als Vergleichsgröße herangezogen werden können, wird durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt. In seiner Entscheidung zum Kernkraftwerk Stade führt das Gericht aus: „ . . . dieses (d. h. das mit den Dosisgrenzwerten des § 45 StrlSchV verbundene) Risiko ist kleiner als das mit der natürlichen Strahlenbelastung verbundene, dem jeder einzelne vom Beginn seines Lebens an unentrinnbar ausgesetzt ist, und um mehrere Größenordnungen geringer als andere Zivilisations- und Lebensrisiken... Es brauchte daher nach den Maßstäben praktischer Vernunft nicht mehr in Rechnung gestellt zu werden." 180

Abgesehen von dem richtigen Ansatz, naturgegebene Risiken als Vergleichsgröße heranzuziehen, unterliegt das auszugsweise zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts drei grundsätzlichen Bedenken. Zum einen hat das Gericht nicht versucht, den richtigen Ansatz der naturgegebenen Vergleichsgröße dogmatisch abzuleiten und zu begründen181. Zum anderen sieht das Gericht die naturgegebenen Risiken in Zusammenhang mit dem „Maßstab praktischer Vernunft", obgleich die „praktische Vernunft" im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts — wie oben gezeigt — nur den Einwand des lückenhaften und fehlsamen menschlichen Erkenntnisvermögens negativ ausgrenzt und gerade keinen positiven Sicherheitsmaßstab bietet. Ein drittes Bedenken gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Kernkraftwerk Stade ergibt sich daraus, daß das Gericht als Vergleichsgröße außer der natürlichen Strahlenbelastung auch „Zivilisationsrisiken" heranzieht. Zivilisatorische Risiken sind ζ. B. die medizinische Strahlenbelastung, der Straßen- und Luftverkehr sowie der Betrieb von Industrieanlagen oder Kohlekraftwerken. Derartige zivilisatorische Risiken können zwar veranschaulichen, wie hoch die Summe der nationalen Risiken bereits angestiegen ist, können aber „kein noch so geringes Mehr an Risiken . . . legitimieren" 182. Dies hat seinen Grund zum einen darin, daß zivilisatorische Risiken — anders als naturgegebene Risiken — keinen absoluten bzw. konstanten Vorausfaktor bei der Schaffung der Grundrechtsordnung bilden, zum anderen darin, daß ein Teil der zivilisatorischen Risiken für den einzelnen in ungleich besserem Maße steuerbar ist als das Risiko kerntechnischer Anlagen. So kann der einzelne ζ. B. der medizinischen Strahlenbelastung völlig entsagen oder das Risiko des Straßenverkehrs durch eine Fülle selbstgewählter Maßnahmen steuern, insbesondere durch

180 BVerwGE 61, 256 (265). Klammerzusätze und Hervorhebungen stammen vom Verfasser. 181 Vgl. dagegen soeben oben (a), wo die naturgegebenen Risikogrößen als Voraustatbestand der Grundrechtsordnung dogmatisch entwickelt werden. 182 So wörtlich Ossenbühl, Bewertung von Risiken, S. 45 (47); ihm folgend Marburger, Schadensvorsorge, S. 98 f.; beide indessen ohne dogmatische Begründung.

Β. Verfassungskonforme Auslegung

305

— Wahl der Verkehrsmittel nach Sicherheitsgesichtspunkten: Fahrrad, Motorrad, Kraftwagen, öffentliche Verkehrsmittel; — Wahl des Kraftwagens und seiner Ausstattung nach Sicherheitsgesichtspunkten: Cabriolet oder geschlossene Karosserie, Knautschzonenverhalten; — Flankenschutz, Anti-Blockier-System, Bereifung, Air-Bag, Gurtstrammer usw.; — Eigenes Fahrverhalten: offensiv oder defensiv; — Minimierung der Teilnahme am Straßenverkehr durch Ausweichen auf wegelose Kommunikationsformen (Telefon, Korrespondenz, bildschirmgestützte Kommunikationssysteme). Das Risiko kerntechnischer Anlagen hingegen läßt sich für den einzelnen in aktiver Weise, d. h. an der Risikoquelle selbst, überhaupt nicht und in passiver Weise in ungleich schwierigerem Maße steuern; denn passiv bleibt dem einzelnen nur der Bau von Schutzräumen für den Fall erhöhter Strahlenbelastung oder die dauernde Entfernung von der Risikoquelle (Umzug oder Auswanderung an weniger gefährdete Orte). Aus allen aufgeführten Gründen können zivilisatorische Risiken bei der Risikobestimmung kerntechnischer Anlagen somit nicht als Vergleichsgröße herangezogen werden. (c) Naturgegebene Risiken als Vergleichsgrößen Scheiden die zivilisatorischen Risiken — wie eben gezeigt — als Vergleichsgröße bei der Risikobestimmung kerntechnischer Anlagen aus, bleiben als Vergleichsgröße lediglich die naturgegebenen Risiken. Als naturgegebene Risiken kommen in Betracht einerseits die natürliche Strahlenbelastung, andererseits die natürlichen Lebensrisiken183. Die natürliche Strahlenbelastung ergibt sich aus der Strahlung kosmischen Ursprungs und der Strahlung radioaktiver Stoffe im Erdboden (terrestrische Strahlung) 184. Natürliche Lebensrisiken können sich verwirklichen durch Hagel- und Blitzschlag, Meteoreinschlag, Erdbeben, Überschwemmungen, Wind und ähnliche Naturphänomene. Allen genannten naturgegebenen Risiken ist gemeinsam, daß der einzelne diese Risiken aktiv überhaupt nicht und passiv nur durch den Bau von Schutzeinrichtungen oder durch räumliches Ausweichen von stärker zu weniger gefährdeten Orten steuern kann. Da die naturgegebenen Risiken somit für den einzelnen gleich schwer steuerbar sind wie die Risiken kerntechnischer Anlagen185, sind beide Risikoarten grundsätzlich miteinander vergleichbar. 183

Die Stade-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, BVerwGE 61, 256 (265), erwähnt die „natürliche Strahlenbelastung" und die „Lebensrisiken" ausdrücklich. Daß das Gericht die Lebensrisiken nicht auf die natürlichen Lebensrisiken beschränkt, ist unschädlich; jedenfalls sind die natürlichen Lebensrisiken mitumfaßt. 184 185

Vgl. Koelzer, Lexikon, S. 134. s. dazu soeben oben (b).

20 Luckow

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5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

(aa) Natürliche Strahlenbelastung Ein quantitativer Vergleich zwischen natürlicher Strahlenbelastung und der Strahlenbelastung aus kern technischen Anlagen steht unter dem Vorbehalt, daß beide Arten der Strahlenbelastung qualitativ gleich zu beurteilen sind. Soweit ersichtlich, gibt es indessen für einen qualitativen Unterschied beider Arten bisher keine gesicherten Erkenntnisse. Die natürliche Strahlenbelastung stellt eine natürliche Dauerbelastung dar und ist daher insoweit vergleichbar mit der von der kerntechnischen Anlage ausgehenden Dauerbelastung des bestimmungsgemäßen Betriebs (im folgenden „kerntechnische Strahlenbelastung" genannt). Die entscheidende Frage für einen quantitativen Vergleich zwischen natürlicher und kerntechnischer Strahlenbelastung ist nun, auf welche Weise die natürliche und die kerntechnische Dauerbelastung zueinander in Beziehung gesetzt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die natürliche Strahlenbelastung ortsabhängig ist und von Ort zu Ort schwankt; dies gilt sowohl hinsichtlich der kosmischen als auch der terrestrischen Strahlung 186. Angesichts dieser Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung kommt als Vergleichsmaßstab das arithmetische Mittel aller örtlichen natürlichen Strahlenbelastungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Betracht. Dieses nationale arithmetische Mittel der natürlichen Strahlenbelastung bildet den — oben näher beschriebenen187 — Voraustatbestand bei der Schaffung der Grundrechtsordnung. Da die Grundrechtsordnung innerhalb des gesamten Staatsgebiets gilt, muß auch auf einen nationalen Durchschnittswert aller Teile des Staatsgebiets abgestellt werden. Nicht zulässig wäre es, den höchsten oder niedrigsten lokalen Wert als nationalen Wert auszugeben; denn beide Werte wären nicht repräsentativ für die Gesamtheit des Staatsgebiets und könnten daher auch nicht als Voraustatbestand der nationalen Grundrechtsordnung angesehen werden. Bildet das nationale arithmetische Mittel der natürlichen Strahlenbelastung den Voraustatbestand der Grundrechtsordnung, so akzeptiert die Grundrechtsordnung Strahlenbelastungen bis zu dieser Größe. Dies bedeutet nun aber nicht, daß die von kerntechnischen Anlagen ausgehende Strahlung diesen Wert allein ausschöpfen dürfte. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß am Ort der kerntechnischen Anlage eine natürliche Strahlen(vor)belastung vorhanden ist. Wegen dieser Kumulation natürlicher und kerntechnischer Strahlenbelastung am gleichen Ort müssen beide Belastungen addiert werden. Hierbei müssen zwei Fälle unterschieden werden: — Ist die Summe der natürlichen und kerntechnischen Strahlenbelastung am Ort der Anlage gleich oder kleiner als das nationale arithmetische Mittel der natürlichen Strahlenbelastung, liegt sie innerhalb der von der Grundrechtsordnung akzeptierten Größenordnung. In diesem Fall würde die objektiv186 187

Vgl. hierzu Koelzer, Lexikon, S. 133-136. s. oben (a).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

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rechtliche staatliche Schutzpflicht zumindest unter dem Gesichtspunkt der von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risiken nicht ausgelöst; denn unter diesem Gesichtspunkt setzt die Schutzpflicht erst dort ein, wo die von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risikogrößen überstiegen werden 188. Jedoch ist es in diesem Fall nicht ausgeschlossen, daß die Schutzpflicht durch die Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge ausgelöst wird 189 . — Ist die Summe der natürlichen und kerntechnischen Strahlenbelastung am Ort der Anlage hingegen größer als das nationale arithmetische Mittel der natürlichen Strahlenbelastung, werden die von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Größenordnungen überstiegen, so daß die objektivrechtliche Schutzpflicht ausgelöst wird. Hierbei müssen bezüglich der inhaltlichen Reichweite der ausgelösten Schutzpflicht zwei Unterfälle unterschieden werden: — Ist die natürliche Strahlenbelastung am Ort der kerntechnischen Anlage für sich allein gesehen kleiner als ihr nationales arithmetisches Mittel, so gebietet die — unter dem Gesichtspunkt der naturgegebenen Risiken ausgelöste — Schutzpflicht dem Staat, sicherzustellen, daß die von der kerntechnischen Anlage im bestimmungsgemäßen Betrieb ausgehende Strahlenbelastung durch eine entsprechende Auslegung der Anlage in dem Maße reduziert wird, daß die Summe der natürlichen und kerntechnischen Strahlenbelastung das nationale arithmetische Mittel der natürlichen Strahlenbelastung nicht mehr übersteigt. Eine weitere Senkung der kerntechnischen Strahlenbelastung ist darüber hinaus nach den Grundsätzen der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge denkbar, die ebenfalls einen Auslösefaktor für die Schutzpflicht darstellen 190 . — Ist die natürliche Strahlenbelastung am Ort der kerntechnischen Anlage für sich allein gesehen hingegen gleich oder größer als ihr nationales arithmetisches Mittel, so gebietet die — unter dem Gesichtspunkt der naturgegebenen Risiken ausgelöste — Schutzpflicht dem Staat, sicherzustellen, daß die von der kerntechnischen Anlage im bestimmungsgemäßen Betrieb ausgehende Strahlenbelastung durch eine entsprechende Auslegung der Anlage auf Null reduziert wird; denn da die natürliche Strahlenbelastung in diesem Unterfall ihr nationales arithmetisches Mittel erreicht oder sogar übersteigt und da die Grundrechtsordnung — wie eben gezeigt — Strahlenbelastungen nur bis zur Größe dieses nationalen arithmetischen Mittels akzeptiert, bleibt über dem nationalen arithmetischen Mittel kein Raum mehr für zusätzliche Strahlenbelastungen. 188 189 190

20*

s. dazu oben (a). s. hierzu oben (2). s. hierzu oben (2).

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5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Während die — unter dem Gesichtspunkt der naturgegebenen Risiken ausgelöste — Schutzpflicht im ersten Unterfall keine Reduktion der kerntechnischen Strahlenbelastung auf Null verlangt, muß im zweiten Unterfall die kerntechnische Strahlenbelastung durch eine entsprechende Auslegung der kerntechnischen Anlage auf Null reduziert werden. Gelingt dies nicht, kann die Anlage am vorgesehenen Standort nicht, möglicherweise aber an Orten mit geringerer natürlicher Strahlen(vor)belastung genehmigt werden. (bb) Natürliche Lebensrisiken Die natürlichen Lebensrisiken im oben beschriebenen Sinn resultieren aus naturgegebenen Ausnahmeerscheinungen und Ausnahmeereignissen (Hagelund Blitzschlag, Meteoreinschlag, Erdbeben, Überschwemmungen, Wind und ähnlichen Naturphänomenen) und sind daher insoweit vergleichbar mit den Lebensrisiken aus kerntechnischen Ereignissen außerhalb des bestimmungsgemäßen Betriebs einer kerntechnischen Anlage (im folgenden „kerntechnische Ausnahmeereignisse" genannt). Die entscheidende Frage für einen quantitativen Vergleich zwischen den natürlichen Lebensrisiken und den Lebensrisiken durch kerntechnische Ausnahmeereignisse (im folgenden „kerntechnische Lebensrisiken" genannt) ist nun, auf welche Weise die beiden Lebensrisiken zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Die Vergleichs- und Bezugsgröße für natürliche und kerntechnische Lebensrisiken ist die Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher bzw. kerntechnischer Ausnahmeereignisse. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse ortsabhängig ist und von Ort zu Ort schwankt; dies gilt für alle oben beschriebenen Naturphänomene. Angesichts dieser Schwankungsbreite der Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse kommt als Vergleichsmaßstab das arithmetische Mittel aller lokalen Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse innerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Betracht. Dieses nationale arithmetische Mittel bildet den Voraustatbestand bei der Schaffung der Grundrechtsordnung 191 . Da die Grundrechtsordnung innerhalb des gesamten Staatsgebiets gilt, muß auch — wie oben bereits ausgeführt 192 — auf einen nationalen Durchschnittswert aller Teile des Staatsgebiets abgestellt werden. Nicht zulässig wäre es, den höchsten oder niedrigsten lokalen Wert als nationalen Wert auszugeben; denn beide Werte wären nicht repräsentativ für die Gesamtheit des Staatsgebiets und könnten daher auch nicht als Voraustatbestand der nationalen Grundrechtsordnung angesehen werden. Daß das arithmetische Mittel aller lokalen Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse innerhalb der Bundesrepublik 191 192

s. hierzu oben (a). s. oben (aa).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

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Deutschland — soweit ersichtlich — noch nicht errechnet ist, hindert nicht, dieses arithmetische Mittel — wie hier geschehen — als Vergleichsmaßstab vorzuschlagen. Entscheidend ist vielmehr, daß dieses arithmetische Mittel im Wege der mathematischen Wahrscheinlichkeitsberechnung sehr wohl errechnet werden könnte. Als Basiswerte wären dieser Berechnung die langjährigen Daten aus Meteorologie, Geologie und Seismologie sowie aus den Beobachtungen naturbedingter Unfälle und Katastrophen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugrundezulegen. Bildet das nationale arithmetische Mittel aller lokalen Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse den Voraustatbestand der Grundrechtsordnung, so akzeptiert die Grundrechtsordnung Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes bis zu dieser Größe. Dies bedeutet nun aber nicht, daß die Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge kerntechnischer Ausnahmeereignisse diesen Wert allein ausschöpfen dürften. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß am Ort der kerntechnischen Anlage bereits eine Vorbelastung natürlicher Lebensrisiken vorhanden ist. Wegen dieser Kumulation natürlicher und kerntechnischer Lebensrisiken am gleichen Ort müssen beide Belastungen addiert werden. Hierbei müssen zwei Fälle unterschieden werden: — Ist die Summe der natürlichen und kerntechnischen Lebensrisiken am Ort der Anlage gleich oder kleiner als das nationale arithmetische Mittel aller lokalen Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse, liegt diese Summe innerhalb der von der Grundrechtsordnung akzeptierten Größenordnung. In diesem Fall würde die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht zumindest unter dem Gesichtspunkt der von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risiken nicht ausgelöst; denn unter diesem Gesichtspunkt setzt die Schutzpflicht erst dort ein, wo die von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risikogrößen überstiegen werden 193. Jedoch ist es in diesem Fall nicht ausgeschlossen, daß die Schutzpflicht durch die Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risiko Vorsorge ausgelöst wird 194 . — Ist die Summe der natürlichen und kerntechnischen Lebensrisiken am Ort der Anlage hingegen größer als das nationale arithmetische Mittel aller lokalen Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse, werden die von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Größenordnungen überstiegen, so daß die objektivrechtliche Schutzpflicht ausgelöst wird. Hierbei müssen bezüglich der inhaltlichen Reichweite der ausgelösten Schutzpflicht zwei Unterfalle unterschieden werden: — Ist die Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse am Ort der kerntechnischen Anlage für sich allein gesehen 193 194

s. dazu oben (a). s. hierzu oben (2).

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5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

kleiner als ihr nationales arithmetisches Mittel, so gebietet die — unter dem Gesichtspunkt der naturgegebenen Risiken ausgelöste — Schutzpflicht dem Staat, sicherzustellen, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge kern technischer Ausnahmeereignisse durch eine entsprechende Auslegung der Anlage in dem Maße reduziert wird, daß die Summe der Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher und kerntechnischer Ausnahmeereignisse das nationale arithmetische Mittel aller lokalen Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse nicht mehr übersteigt. Eine weitere Senkung der Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge kerntechnischer Ausnahmeereignisse ist darüber hinaus nach den Grundsätzen der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge denkbar, die ebenfalls einen Auslösefaktor für die Schutzpflicht darstellen 195. — Ist die Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse am Ort der kerntechnischen Anlage für sich allein gesehen hingegen gleich oder größer als ihr nationales arithmetisches Mittel, so gebietet die — unter dem Gesichtspunkt der naturgegebenen Risiken ausgelöste — Schutzpflicht dem Staat, sicherzustellen, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge kerntechnischer Ausnahmeereignisse durch eine entsprechende Auslegung der Anlage auf Null reduziert wird; denn da die Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse in diesem Unterfall ihr nationales arithmetisches Mittel erreicht oder sogar übersteigt und da die Grundrechtsordnung — wie eben gezeigt — Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes nur bis zur Größe dieses nationalen arithmetischen Mittels akzeptiert, bleibt über dem nationalen arithmetischen Mittel kein Raum mehr für zusätzliche Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes. Während die — unter dem Gesichtspunkt der naturgegebenen Risiken ausgelöste — Schutzpflicht im ersten Unterfall keine Reduktion der Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge kerntechnischer Ausnahmeereignisse auf Null verlangt, muß diese Eintrittswahrscheinlichkeit im zweiten Unterfall durch eine entsprechende Auslegung der kerntechnischen Anlage auf Null reduziert werden. Gelingt dies nicht, kann die Anlage am vorgesehenen Standort nicht, möglicherweise aber an Orten genehmigt werden, deren Vorbelastung durch Eintrittswahrscheinlichkeiten des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse geringer ist. (d) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Unter dem Gesichtspunkt der durch die Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risiken wird die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht dort ausgelöst, wo das nationale arithmeti195

s. hierzu oben (2).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

311

sehe Mittel der natürlichen Strahlenbelastung oder das nationale arithmetische Mittel der Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse überschritten werden. bb) Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bestimmt sich der Umfang der objektivrechtlichen staatlichen Schutzpflicht nicht nur nach Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren 196, sondern auch nach Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts197. Während die Kalkar-Entscheidung hinsichtlich Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren weiterführende Konkretisierungen enthält198,finden sich in dieser Entscheidung bezüglich Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts keine Konkretisierungen. Aus der vom Bundesverfassungsgericht anvisierten Differenzierung nach Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts läßt sich aber immerhin ableiten, daß die Schwelle, an der die objektivrechtlichen Schutzpflichten einsetzen, nicht für alle grundrechtlichen Rechtsgüter einheitlich ist. Vielmehr bestimmen Art und Rang des jeweiligen grundrechtlichen Rechtsguts, wo die jeweilige Schwelle für das Einsetzen der Schutzpflicht liegt. Mit dieser Erkenntnis läßt sich die Schutzpflicht-Schwelle für ein bestimmtes grundrechtliches Rechtsgut zwar nicht absolut, wohl aber relativ, d. h. im Verhältnis zu einem anderen grundrechtlichen Rechtsgut lokalisieren. Im Atomrecht steht hierbei das Verhältnis zwischen den Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einerseits und dem Rechtsgut Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG andererseits im Vordergrund 199. Setzt man diese Rechtsgüter zueinander in Bezug, läßt sich hinsichtlich der Schutzpflicht-Schwelle eine allgemeingültige Aussage treffen. Die Schutzbedürftigkeit setzt bei den Vitalgütern Leben und körperliche Unversehrtheit früher ein als bei dem Sachgut Eigentum. Der Grund hierfür liegt darin, daß der Staat seinen Schutzbefohlenen Bürgern die Hinnahme von Risiken eher zumuten kann, wenn sich der drohende Schaden später ersetzen läßt, als wenn er irreparabel ist 200 . Zur Ermittlung der Schutzpflicht-Schwelle für das Vitalgut der körperlichen Unversehrtheit ist — neben der eben vorgenommenen relativen Rangbestimmung — auch die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Umfang des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit von Bedeutung. In seiner Entscheidung zum Flughafen Düsseldorf-Lohausen behandelt das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob sich die aus Art. 2 Abs. 2 GG folgende 196 197 198 199 200

Dazu s. ausführlich oben aa). BVerfGE 49, 89 (142). s. hierzu oben aa) (1) und (2). Vgl. hierzu oben Zweiter Teil Β I. So auch ausdrücklich Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 38.

312

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

Schutzpflicht ausschließlich auf einen Schutz der körperlichen Unversehrtheit in biologisch-physiologischer Hinsicht beschränkt oder ob sie sich auch auf den geistig-seelischen Bereich, also das psychische Wohlbefinden erstreckt oder sogar das soziale Wohlbefinden umfaßt 201. Im Rahmen der Erörterung dieser Frage zeigt sich eine Tendenz des Bundesverfassungsgerichts zum extensiven Verständnis der körperlichen Unversehrtheit. Zum einen liebäugelt das Gericht ersichtlich damit — ohne indessen hierüber abschließend entscheiden zu müssen —, die körperliche Unversehrtheit auf den geistig-seelischen Bereich auszudehnen. Es argumentiert hierbei insbesondere mit der Einheit von Leib, Seele und Geist sowie mit der Wechselwirkung zwischen psychischen und physischen Gesundheitsstörungen und setzt zumindest solche nichtkörperlichen Einwirkungen den körperlichen Einwirkungen gleich, die das Befinden einer Person in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerzen entspricht 202. Zum anderen qualifiziert das Gericht auch beim engen, überlieferten Verständnis der körperlichen Unversehrtheit Schlafstörungen bereits als Einwirkungen auf die körperliche Unversehrtheit. Hierzu führt das Gericht aus: „Selbst wenn aber der in Art. 2 Abs. 2 GG verwendete Begriff »körperliche Unversehrtheit4 im engen Sinn auszulegen wäre, ließe sich die staatliche Schutzpflicht nicht schon mit der Begründung verneinen, daß der durch den Betrieb von Verkehrsflughäfen entstehende Fluglärm keinerlei somatische Folgen haben könne, sondern sich in einer Beeinträchtigung des psychischen und sozialen Wohlbefindens erschöpfe. Zumindest in Gestalt von Schlafstörungen lassen sich Einwirkungen auf die körperliche Unversehrtheit schwerlich bestreiten." 203

Aus den beiden dargestellten Argumentationslinien in der Entscheidung zum Flughafen Düsseldorf-Lohausen läßt sich eindeutig die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts zum extensiven Verständnis des Schutzbereichs der körperlichen Unversehrtheit ablesen. Bei einem extensiveren Verständnis des Schutzbereichs der körperlichen Unversehrtheit setzt aber auch zugleich die objektivrechtliche Schutzpflicht entsprechend früher ein, so daß die Tendenz zum extensiven Verständnis des Schutzbereichs der körperlichen Unversehrtheit gleichbedeutend ist mit der Tendenz, die Schutzpflicht-Schwelle hinsichtlich des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit höher anzusetzen. Diese Tendenz wirkt sich im Atomrecht insbesondere bei der objektrechtlichen Schutzpflicht hinsichtlich kleiner Strahlendosen aus; denn bei einem extensiveren Verständnis des Schutzbereichs der körperlichen Unversehrtheit tangieren bereits kleinere Strahlendosen den Schutzbereich, entsprechend früher setzt die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht ein.

201 202 203

BVerfGE 56, 54 (73 ff.). BVerfGE 56, 54 (75). BVerfGE 56, 54 (76).

Β. Verfassungskonforme Auslegung

313

cc) Ergebnisse zum Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht im Atomrecht (1) Die Formel des Bundesverfassungsgerichts zum Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht allgemein besteht aus zwei Komponenten: — Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren sowie — Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts. (2) Die erste Komponente (Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren) läßt sich für das Atomrecht durch drei die Schutzpflicht auslösende Faktoren konkretisieren: — entfernte Wahrscheinlichkeit, — bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sowie — Vergleich mit von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risiken. Während die beiden erstgenannten Auslösefaktoren aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgeleitet werden, wird der zuletzt genannte Auslösefaktor ohne Rückendeckung des Bundesverfassungsgerichts aus Überlegungen zur Grundrechtsordnung entwickelt. (3) Bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge bedeutet im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, jede nach wissenschaftlichen Erkenntnissen vermeidbare Gefahren- bzw. Risikoerhöhung zu unterlassen. (4) Nach dem hier entwickelten Vergleichsmodell mit naturgegebenen Risiken sind Gefahren- bzw. Risikoerhöhungen durch kerntechnische Anlagen zulässig, soweit die naturgegebene Vorbelastung am Ort der kerntechnischen Anlage zuzüglich der Gefahren- bzw. Risikoerhöhung durch die kerntechnische Anlage das nationale arithmetische Mittel der natürlichen Strahlenbelastung oder das nationale arithmetische Mittel der Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse nicht übersteigen. (5) Eine hiernach mögliche Gefahren- bzw. Risikoerhöhung wird aber zugleich durch die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge gesteuert und muß daher auch deren Standards entsprechen. Hieraus ergibt sich für das Verhältnis zwischen der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einerseits sowie dem hier entwickelten Vergleichsmodell andererseits: Jeder der beiden Auslösefaktoren hat immer dann selbständige Bedeutung, wenn sein Standard höher ist als der des anderen Faktors. Ist der Standard der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge höher als der des Vergleichsmodells, wird die Schutzpflicht durch die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge ausgelöst, ist er niedriger, wird die Schutzpflicht durch das Vergleichsmodell ausgelöst.

314

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

(6) Die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht verlangt keinen absoluten Schadensausschluß. Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die „praktische Vernunft" schafft für sich allein keinen positiven Auslösefaktor für die Schutzpflicht, sondern grenzt lediglich den Einwand des lückenhaften und fehlsamen menschlichen Erkenntnisvermögens negativ aus. Der Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht bestimmt sich vielmehr nach Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren (einschließlich der hier entwickelten Konkretisierungen) sowie nach Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts. (7) Zur Ermittlung der Schutzpflicht-Schwelle für einzelne grundrechtliche Rechtsgüter ist dessen (relatives) Rangverhältnis zu anderen grundrechtlichen Rechtsgütern zu bestimmen. Bei der Ermittlung der SchutzpflichtSchwelle für das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ist die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts zum extensiven Verständnis des Schutzbereichs der körperlichen Unversehrtheit zu beachten. (8) Die vorstehenden Ergebnisse lassen sich zeichnerisch folgendermaßen zusammenfassen: THESE J: Eintritt des Ereignisses Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts Objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht J keine Schutzpflicht

Null Eintritt des Ereignisses absolut unwahrscheinlich = absolut ausgeschlossen

Diese Linie bestimmt sich nach — Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren: — entfernte Wahrscheinlichkeit — bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge — Vergleich mit von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risiken. — Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts.

Da die hier entworfene Skala zur objektivrechtlichen staatlichen Schutzpflicht ebenso wie die oben entwickelten Skalen als Maßstab die Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts verwendet, kann sie auf die übrigen Skalen projiziert werden 204.

204 Vgl. hierzu die zeichnerische Darstellung im Anhang VI, Projektion der Thesen A bis I einerseits und der These J andererseits.

Β. Verfassungskonforme Auslegung

315

IV. Ergebnisse zur verfassungskonformen Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

1. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG hinsichtlich Bestimmtheit und objektivrechtlicher Schutzpflicht liefert materielle Kriterien für den Verlauf der Grenze zwischen der erforderlichen Schadensvorsorge und dem in Kauf genommenen Rest an Schadensmöglichkeiten (Restrisiko). 2. Aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bestimmtheitsprüfung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG lassen sich drei materielle Kriterien für die Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schadensvorsorge ableiten: — Jede Art von anlage- und betriebsspezifischen Schäden, Gefahren und Risiken ist in Betracht zu nehmen. — Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadensereignisses, die bei einer Genehmigung hingenommen werden darf, — muß so gering wie möglich sein, — und zwar um so geringer, je schwerwiegender die Schadensart und die Schadensfolgen sein können („je — desto"). — Insbesondere mit der Anknüpfung an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik ist die Exekutive normativ auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge festgelegt. Nur wenn bei Auslegung und Anwendung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG diese drei, aus dem Gebot des dynamischen Grundrechtsschutzes entwickelten materiellen Kriterien beachtet werden, ist diese Vorschrift als hinreichend bestimmt anzusehen. 3. Vergleicht man die Ergebnisse zur Bestimmtheitsprüfung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG mit den eben dargestellten Ergebnissen zum Umfang der objektivrechtlichen Schutzpflicht im Atomrecht, so ergeben sich folgende Gemeinsamkeiten: a) Nicht nur bei der objektivrechtlichen Schutzpflicht — was selbstverständlich ist —, sondern auch bei der Frage der Bestimmtheit (Stichwort: dynamischer Grundrechtsschutz) spielen die Grundrechtsdogmatik und ihre Konsequenzen die ausschlaggebende Rolle. b) Der Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sowohl bei der Frage der Bestimmtheit als auch bei der Frage des Umfangs der objektivrechtlichen Schutzpflicht der bestimmende Grundsatz. Er bildet die dogmatische Klammer zwischen Bestimmtheit und Schutzpflicht und verhindert dadurch, daß die verfassungsrechtlichen Bewertungen bei der Bestimmtheit einerseits und der Schutzpflicht andererseits voneinander abweichen oder gar auseinanderlaufen.

316

5. Teil: Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

c) Sowohl bei der Frage der Bestimmtheit als auch bei der Frage des Umfangs der objektivrechtlichen Schutzpflicht wird ein Beziehungsgefüge zwischen dem Ausmaß des Schadens einerseits und seiner Eintrittswahrscheinlichkeit andererseits hergestellt („je — desto"). d) Soweit die Ergebnisse zur verfassungskonformen Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgeleitet und entwickelt worden sind, ist ihnen gemeinsam, einen zwar tauglichen, aber bloß relativen Maßstab zu liefern. Das hier — ohne Rückendeckung des Bundesverfassungsgerichts — für die Schutzpflicht, aus Überlegungen zur Grundrechtsordnung entwickelte Vergleichsmodell führt dagegen die absolute Größe des nationalen arithmetischen Mittels der natürlichen Strahlenbelastung bzw. des nationalen arithmetischen Mittels der Eintrittswahrscheinlichkeit des Todes infolge natürlicher Ausnahmeereignisse ein. e) Alle hier abgeleiteten und entwickelten Kriterien, Auslösefaktoren und Maßstäbe zusammengenommen bilden einen höchstmöglichen Sicherheitsstandard. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann demnach keinesfalls für eine restriktive Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG hinsichtlich seiner Sicherheitsanforderungen herhalten.

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Anhang

Maschinenhaus

Elektrizitätswerk

AG (Hrsg.), Abgabe — Minimierung, S. 10f., Bild 3.

Abb. 1: Schema eines Kernkraftwerks mit Druckwasserreaktor

Reaktordruckbehälter © Turbine ® Kühlwasserpump· Dampferzeuger OD Kondensator ® Generator Hauptkühlmittel pumpe © Speisewasserpumpe ® Transformator

Quelle: Rheinisch-Westfälisches

§

Reaktorgebäude

Anhang I: Abbildungen zu den Brennstoffkreisläufen

Kühlturm

A n h a n g I : A b b i l d u n g e n z u den Brennstoffkreisläufen 329

Quelle: Rheinisch-Westfälisches

Elektrizitätswerk

AG (Hrsg.), Abgabe — Minimierung S. 14f., Bild 5.

Abb. 2: Schema eines Kernkraftwerks mit Siedewasserreaktor (Gundremmingen KRB II)

330 Anhang I: Abbildungen zu den Brennstoffkreisläufen

/

Anreicherung



/ /

\J

/

/ /

/ /

/

/

/

/ /

Konversion

/ /

/ / / I

Reaktor

—I

Zwischenlager

^

Ψ

y/

ν

Ί

1

j

Pufferlager



Verfestigung

Abfallbehandlung

Endlagerung

insb.

^

Abgasbehandlung

U m gebung sluft

1

Militärische Zwrrice? Zwecke?

> Abfallbehandlung >

Abb. 3: Brennstoffkreislauf für Leichtwasserreaktoren

Beginn der Entsorgung

Abgebrannte Brennelemente > Abklingbecken

Φ

1

ZZH^HII^ZZIZZIIZ HAW . . _ t > Lagerung in Tanks Fester Abfall

Flüchtige radioaktive Stoffe

^

Τ

Plutoniumnitrat

Wiederaufarbeitung

Langzeit-

/

/

* /f»

/

Erstausstattung Schnellen Brutreaktor (s. Abb. 7)

Mischoxid-BrennelementBrennelementHerstellung für nrenneiement,, £ ς , Herstellung reaktor

Χ Uranyl/ \ nitrat

^

Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor

\ Brennelement

BrennelementHerstellung

Angereichertes Uran ( 3 % Uran-235, 97 % Uran-238^

Abgereichertes Uran 100 % Uran-238)

/

h im? χ / Uran lUF^j /

/

,

fi"

Quellen: Bundesregierung, Dokumentation, S. 417, Abb. 201; Koelzer, Lexikon, S. 18; Bundesminister für Forschung und Technologie, Nukleare Entsorgung, S. 78, 47; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2; Closs, Proliferation, S. 19; DKWj Steag Kernenergie GmbH, Brennelement-Zwischenlager Ahaus, S. 6, Bild 1; Ruhbaum, ET 1984,194(197, Bild 6).

/N

Für Erst- und weitere iT u T" eTS schnellen Brutreaktors (s. Abb. 7 und 6)

Natururan (0,7 % Uran-235. 99,3 % Uran-238) "

Uranerz Gewinnung Aufbereitung

Anhang I: Abbildungen zu den Brennstoffkreisläufen 331

332

Anhang I: Abbildungen zu den Brennstoffkreisläufen BrennelementLager

> Umgebungsluft

Ψ Head End: - mechanische Zerlegung - chemische Auflösung >t Extraktion (PUREX) I I u Verarbeitung zu Urany Initrat

flüchtige I rodinflktivp * Abgasbehand- ^ Zwischenlager u lung ^ s*off e fester Abfäll ZZ^Z!

îester

ADtÄU

_ Spaltprodukt-^ Lagerung in lösung (HAW)1 Tanks

Tail-End

1

y ^ Abfallbehandlung, insb. Verfestigung >f Ausgangslager (Pufferlager)

ψ Verarbeitung zu Plutoniumnitrat

ψ

ψ Endlager unterirdisch oberirdisch Abb. 4: Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren Quellen: Mischke/ Rehnelt, ET 1982, 154ff., Bild 1; Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 2, Abb. 2; DWK, Rede—Gegenrede, S. 26, Abb. 2; DWK, Wiederaufarbeitung in Bayern, S. 13.

Aktivität [Cl/tU]

36000 MWd/tU

uri 0

1 1

2

1 3

4

1 5

6

1 7

10 Jahre Abb. 5: Aktivität der Brennelemente nach der Entnahme aus einem Leichtwasserreaktor Quelle: Schleisiek, Wiederaufarbeitungsanlagen, S. 3, Abb. 3.

8

9

Anhang I: Abbildungen zu den Brennstoffkreisläufen Aus:

Natururan

^

Kreislauf der Leichtwaseerreaktoren: - Anreicherungsanlage (s. Abb. 3) oder - Wiederaufarbeitungsanlage

oder

^

Z.B. für Erstausstattungen weiterer Schneller Brutreaktoren (s. Abb. 7) a

^

Endlagerung A 1,1 t Uran-238

0,1 t Plutonium verschiedene Zwischenschritte A

1,0t Spaltprodukte (HAW)

ψ Brennelement-Her- ^ Stellung für Schnelle Brutreaktoren

1,2 t Plutonium 17,7 t Uran-238

Wiederaufarbeitung der SBR-Brennelemente

Brennelemente: 18,8 t Uran-238 1,2 t Plutonium

gebrannte Brennelemente: \

Kernkraftwerk mit / Schnellem Brutreaktor

7Ü7TTT

17,7 t Uran-238 1,3 t Plutonium 1,0 t Spaltprodukte 2ÏÏ7TT

Abb. 6: Brennstoffkreislauf des Schnellen Brutreaktors beim Dauerbetrieb (Zweitausstattungen) Quelle: Faude, Schneller Brüter, S. 2 f. und Abb. 1 rechte Hälfte.

334

Anhang I: Abbildungen zu den Brennstoffkreisläufen Aue:

Natururan

V

oder

Ν.

Kreislauf der Leichtwasserreaktoren : - Anreicherungsanlage (s. Abb. 3) oder - Wiederaufarbeitungsanlage

f l

18,8 t Λ Uran-238 ) — J

BrennelementHerstellung für Schnelle Brutreaktoren Wieder&ufarbeitungsanlage für Leichtwasserreaktoren (s. Abb. 3)

\

\

oder

^

Wiederaufarbeitungsanlage für Schnelle Brutreaktoren (s. Abb. 6)

/ l

^

Zur Fortsetzung s. Abb. 6

1,2 t λ Plutonium J J ^ ^

Kernkraftwerk mit Schnellem Brutreaktor Abb. 7: Herkunft der Brennstoffe für die Inbetriebnahme eines Schnellen Brutreaktors (Erstausstattung)

Anhang II: Rechtsverordnungen zum Atomgesetz

335

Anhang II Rechtsverordnungen zum Atomgesetz Stand: Januar 1986 1. Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach §7 des Atomgesetzes (Atomrechtliche Verfahrensverordnung — AtVjV) vom 31. März 1982 (BGBl. I, S. 412) 2. Verordnung über die Deckungsvorsorge nach dem Atomgesetz (Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung — AtDeckV) vom 25. Januar 1977 (BGBl. I, S. 220) 3. Kostenverordnung zum Atomgesetz (AtKostV) S.1457)

vom 17. Dezember 1981 (BGBl. I,

4. Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung — StrlSchV) vom 13. Oktober 1976 (BGBl. I, S. 2905; BGBl. I, 1977, S. 184, 269), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Mai 1981 (BGBl. I, S. 445) 5. Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung — RöV) vom 1. März 1973 (BGBl. I, S. 173), zuletzt geändert durch § 84 der Strahlenschutzverordnung vom 14. Oktober 1976 (BGBl. I, S. 2905) 6. Verordnung über Vorausleistungen für die Einrichtung von Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfalle (Endlagervorausleistungsverordnung — EndlagerVIV) vom 28. April 1982 (BGBl. I, S. 562)

Anhang III: Verwaltungsinterne Regelungen

336

Anhang III Verwaltungsinterne Regelungen* 3. Bekanntmachungen des Bundesministers des Innern 3.1

Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke vom 21.10. 1977 (Bundesanzeiger Nr. 206 vom 3.11. 1977)

3.2

Richtlinie für den Fachkundenachweis von Kernkraftwerkspersonal vom 17.5. 1979 (GMB1. 1979, S. 233)

3.3

Richtlinie für den Fachkundenachweis von Forschungsreaktorpersonal vom 18.3. 1976 ( B M I RS I 6)

3.4

Richtlinien über die Anforderungen an Sicherheitsspezifikationen für Kernkraftwerke vom 27.4. 197$ (GMB1. 1976, S. 199)

3.5

Merkpostenaufstellung mit Gliederung für einen Standardsicherheitsbericht für Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktor oder Siedewasserreaktor vom 26. 7. 1976 (GMB1. 1976, S. 418)

3.6

Richtlinie für den Schutz von Kernkraftwerken gegen Druckwellen aus chemischen Reaktionen durch Auslegung der Kernkraftwerke hinsichtlich ihrer Festigkeit und induzierten Schwingungen sowie durch Sicherheitsabstände vom 13. 9. 1976 (Bundesanzeiger Nr. 179 vom 22. 9. 1976)

3.7.1

Zusammenstellung der in atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren für Kernkraftwerke zur Prüfung erforderlichen Informationen vom 20. Oktober 1982 (Bundesanzeiger Nr. 6 a vom 11.1. 1983)

3.7.2

Zusammenstellung der zur bauaufsichtlichen Prüfung kerntechnischer Anlagen erforderlichen Unterlagen vom 6.11. 1981 (GMB1. 1981, S. 518)

3.8

Grundsätze für die Vergabe von Unteraufträgen durch Sachverständige — Beschluß des Länderausschusses für Atomkernenergie — Kerntechnische Anlagen vom 7.10. 1981 (GMB1. 1981, S. 517)

3.9.1

Grundsätze zur Dokumentation technischer Unterlagen durch Antragsteller/Genehmigungsinhaber bei Errichtung, Betrieb und Stillegung von Kernkraftwerken vom 4.12. 1981 (GMB1. 1981, S. 542)

3.9.2

Anforderungen an die Dokumentation bei Kernkraftwerken vom 5. 8. 1982 (GMB1. 1982, S. 546)

3.10

Durchführung der Strahlenschutzverordnung und der Röntgenverordnung; Berichterstattung über besondere Vorkommnisse vom 14.12. 1981 (GMB1. 1982, S. 61)

3.11

Sicherheitsanforderungen an Kernbrennstoffversorgungsanlagen; Juni 1983 (BMI-RS-AKG 5-510321/2)

3.12

Bewertungsdaten für die Eigenschaften von Kernkraftwerksstandorten aus der Sicht von Reaktorsicherheit und Strahlenschutz vom 11.6. 1975 (Umwelt Nr. 43, 1975)

* Die Aufstellungen sind dem vom Bundesminister des Innern herausgegebenen Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz, Köln, Stand Januar 1984, entnommen. Gliederung und Ziffern des Handbuchs wurden nicht verändert.

Anhang III: Verwaltungsinterne Regelungen 3.13

Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk vom 20. 4. 1983 (GMB1. 1983, S. 220)

3.14

Auslegungsrichtlinien und -richtwerte für Jod-Sorptionsfilter zur Abscheidung von gasförmigem Spaltjod in Kernkraftwerken vom 25. 2. 1976 (GMB1. 1976, S. 168)

3.15

Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen vom 17. 10. 1977 (GMB1. 1977, S. 683)

3.15.1 Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen Ergänzung: Maßnahmen zur medizinischen Betreuung im Rahmen des Katastrophenschutzes in der Umgebung kerntechnischer Anlagen vom 9. 3. 1981 (GMB1. 1981, S. 188) 3.15.2 Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen; Jod-Merkblätter zu Kapitel D5 „Ausgabe von Jodtabletten" vom 11. 3. 1981 (GMB1. 1981, S. 191) 3.16

Empfehlungen zum Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren für den Umgang mit Radionuklidquellen in Herzschrittmachern vom 31.10.1973 (GMB1.1973, S. 509)

3.17

Richtlinie für den Strahlenschutz bei Verwendung radioaktiver Stoffe und beim Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen und Bestrahlungseinrichtungen mit radioaktiven Quellen in der Medizin (Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin) vom 18.10. 1979 (GMB1. 1979, S. 638)

3.18

Genehmigungen gemäß § 3 Abs. 1 StrlSchV oder § 6 A t G für die Zwischenlagerung von abgereichertem bzw. natürlichem und angereichertem Uran in Form von Uranhexafluorid (UF 6 ); hier: Genehmigungsvoraussetzungen und Auflagen vom 15. 2. 1979 (GMB1. 1979, S. 91)

3.19

Grundsätze für die ärztliche Überwachung von beruflich strahlenexponierten Personen, 1978 (Schriftenreihe des Bundesministers des Innern, Band 9, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, ISBN-3-17-004742-6)

3.20

Strahlenschutzkontrolle mittels biologischer Indikatoren: Chromosomenaberrationsanalyse beim Institut für Strahlenhygiene des Bundesgesundheitsamtes vom 9. 3. 1983 (GMB1. 1983, S. 176)

3.21

Auslegung des § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2e StrlSchV vom 20. 9.1979 (GMB1.1979, S. 631)

3.22

Beachtung gesetzlicher Vorschriften bei der Umsetzung behördlicher Richtlinien vom 17. 10. 1979 ( B M I RS I 6)

3.23

Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechnischer Anlagen vom 16.10. 1979 (GMB1. 1979, S. 688)

3.24

Richtlinien über Prüffristen bei Dichtheitsprüfungen an umschlossenen radioaktiven Stoffen vom 23. 3. 1979 (GMB1. 1979, S. 120)

3.25

Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke vom 19. 3. 1980 (Bundesanzeiger Nr. 58 vom 22. 3. 1980)

3.26

Rahmenrichtlinie zu Überprüfungen nach § 76 StrlSchV vom 4.12. 1980 (GMB1. 1981, S. 26)

22 Luckow

Anhang III: Verwaltungsinterne Regelungen

338 3.27

Richtlinie über die Gewährleistung der notwendigen Kenntnisse der beim Betrieb von Kernkraftwerken sonst tätigen Personen vom 30.10.1980 (GMB1. 1980, S. 658)

3.28

Kriterien zur Standortvorauswahl für Wiederaufarbeitungsanlagen vom 15.1. 1981 (GMB1. 1981, S. 56)

3.29

Regelung der Rechtsetzungskompetenzen bei der Beförderung radioaktiver Stoffe und Regelung der Zuständigkeitsverteilung bei der Aufsicht über die Beförderung radioaktiver Stoffe ( B M I RS I I 1)

3.30

Anforderungen an die nach Landesrecht zuständige Meßstelle nach § 63 Abs. 3 Satz 1 StrlSchV und § 40 Abs. 2 Satz 4 RöV vom 3. 7. 1979 (GMB1. 1979, S. 441)

3.31

Empfehlungen zur Planung von Notfallschutzmaßnahmen durch Betreiber von Kernkraftwerken vom 27.12. 1976 (GMB1. 1977, S. 48)

3.32

Änderung der Empfehlungen zur Planung von Notfallschutzmaßnahmen durch Betreiber von Kernkraftwerken vom 18.10. 1977 (GMB1. 1977, S. 664)

3.33

Leitlinien zur Beurteilung der Auslegung von Kernkraftwerken mit D W R gegen Störfalle i.S.d. § 28 Abs. 3 StrlSchV (Störfalleitlinien) vom 20. Oktober 1983 (Bundesanzeiger Nr. 245 a vom 31. Dezember 1983) Störfallberechnungsgrundlagen für die Leitlinien des B M I zur Beurteilung der Auslegung von Kernkraftwerken mit D W R gemäß § 28 Abs. 3 StrlSchV (Bundesanzeiger Nr. 245 a vom 31. Dezember 1983)

3.34

Rahmenrichtlinie über die Gestaltung von Sachverständigengutachten in atomrechtlichen Verwaltungsverfahren (GMB1. 1984, S. 219)

3.35

Merkposten zu Antragsunterlagen in den Genehmigungsverfahren für Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen vom 19.1. 1978 (GMB1. 1978, S. 51)

3.36

Leitsätze für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Katastrophenschutzplanung in der Umgebung von kerntechnischen Anlagen vom 10. 2.1978 (Umwelt Nr. 61, 1978)

3.37

Allgemeine Berechnungsgrundlage für die Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit der Abluft oder in Oberflächengewässer (Richtlinie zu § 45 StrlSchV) vom 15. 8.1979 (GMB1.1979, S. 371), (siehe auch Nr. 5.9) berichtigt am 9.10. 1980 (GMB1. 1980, S. 576) zuletzt berichtigt und geändert am 6.10. 1982 (GMB1. 1982, S. 735)

3.37.1 Empfehlung über den Regelungsinhalt von Bescheiden bezüglich der Ableitung radioaktiver Stoffe aus Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktor vom 6.10. 1982 (GMB1. 1982, S. 735) 3.38

Richtlinie für Programme zur Erhaltung der Fachkunde des verantwortlichen Schichtpersonals in Kernkraftwerken vom 17. 5. 1979 (GMB1. 1979, S. 238)

3.39

Richtlinie für den Erhalt der Fachkundeprüfung des verantwortlichen Schichtpersonals in Kernkraftwerken vom 10. 8. 1978 (GMB1. 1978, S. 431)

3.40

Richtlinie über die Fachkunde im Strahlenschutz vom 17. 9.1982(GMB1.1982, S. 592)

3.41

Richtlinie für das Verfahren zur Vorbereitung und Durchführung von Instandhaltungs- und Änderungsarbeiten in Kernkraftwerken vom 1. 6. 1978 (GMB1. 1978, S. 342; Arbeitsschutz, Heft 22/1978, S. 435)

Anhang III: Verwaltungsinterne Regelungen 3.42

339

Richtlinie für die physikalische Strahlenschutzkontrolle (§§ 62 und 63 StrlSchV) vom 5. 6. 1978 (GMB1. 1978, S. 348)

3.42.1 Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Körperdosis bei innerer Strahlenexposition (Richtlinie zu §63 StrlSchV) vom 10.8. 1981 (GMB1. 1981, S. 322) 3.43

Richtlinie für den Strahlenschutz des Personals bei der Durchführung von Instandhaltungsarbeiten in Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktor „Die während der Planung der Anlage zu treffende Vorsorge" vom 10. 7. 1978 (GMB1. 1978, S.418)

3.43.1 Richtlinie für den Strahlenschutz des Personals bei der Durchführung von Instandhaltungsarbeiten in Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktor; Teil II: Die Strahlenschutzmaßnahmen während der Inbetriebsetzung und des Betriebs der Anlage vom 4. 8. 1981 (GMB1. 1981, S. 363) 3.44

Kontrolle der Eigenüberwachung radioaktiver Emissionen aus Kernkraftwerken vom 10. 5. 1978 (GMB1. 1978, S. 313)

3.45

Genehmigungen gemäß § 3 Abs. 1 StrlSchV zur ortsveränderlichen Verwendung und Lagerung umschlossener radioaktiver Stoffe für Durchstrahlungsprüfungen im Rahmen der zerstörungsfreien Materialprüfung vom 23. 6.1978 (GMB1. 1978, S. 371)

3.46

Genehmigung gemäß § 8 Abs. 1 StrlSchV zur Beförderung radioaktiver Stoffe für Durchstrahlungsprüfungen im Rahmen der zerstörungsfreien Materialprüfung vom 29. 5. 1978 (GMB1. 1978, S. 334)

3.46.1 Genehmigungen gemäß § 8 Abs. 1 StrlSchV zur Beförderung radioaktiver Stoffe für Durchstrahlungsprüfungen im Rahmen der zerstörungsfreien Materialprüfung; Merkblatt für die Beförderung radioaktiver Stoffe für Durchstrahlungsprüfungen im Rahmen der zerstörungsfreien Materialprüfung vom 20.11. 1981 (GMB1. 1982, S. 229) 3.47

Genehmigungen gemäß §20a Strahlenschutzverordnung vom 18.7. 1978 (GMB1. 1978, S. 426)

3.48

Richtlinie für die Bauartzulassung von Ionisationsrauchmeldern (IRM) vom 31.10. 1978 (GMB1. 1978, S. 618)

3.49

Interpretationen zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke; Einzelfehlerkonzept — Grundsätze für die Anwendung des Einzelfehlerkriteriums vom 4.12. 1981 (GMB1. 1981, S. 544)

3.49.1 Beispielliste zum Einzelfehlerkonzept vom 4.12. 1981 ( B M I RS I 6) 3.50

Interpretationen zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke vom 17. 5. 1979 (GMB1. 1979, S. 161) 1. Interpretation zu dem Sicherheitskriterium 2.6: „Einwirkungen von außen" 2. Interpretation zu dem Sicherheitskriterium 8.5: „Wärmeabfuhr aus dem Sicherheitseinschluß"

3.51

Interpretationen zu den Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke vom 28.11. 1979 (GMB1. 1980, S. 90) 1. Interpretation zu dem Sicherheitskriterium 2.2: „Prüfbarkeit" 2. Interpretation zu dem Sicherheitskriterium 2.3: „Strahlenbelastung in der Umgebung"

22*

340

Anhang III: Verwaltungsinterne Regelungen 3. Interpretation zu dem Sicherheitskriterium 2.6: „Einwirkungen von außen" 4. Interpretation zu dem Sicherheitskriterium 2.7: „Brand- und Explosionsschutz" 5. Ergänzende Interpretation zu dem Sicherheitskriterium 4:3: „Nachwärmeabfuhr nach Kühlmittelverlusten"

3.52

Bauartzulassung von Ionisationsrauchmeldern hier: Vereinbarung über die Anwendung der Richtlinie für die Bauartzulassung von Ionisationsrauchmeldern vom 21. 2. 1980 (GMB1. 1980, S. 187)

3.53

Richtlinie für den Inhalt der Fachkundeprüfung des verantwortlichen Schichtpersonals in Forschungsreaktoren vom 30.11. 1979 (GMB1. 1980, S. 92)

3.54

Rahmenempfehlung für die Fernüberwachung von Kernkraftwerken vom 6. 10. 1980 (GMB1. 1980, S. 577)

3.54.1 Empfehlung zur Berechnung der Gebühr nach § 5 AtKostV für die Fernüberwachung von Kernkraftwerken (KFÜ) vom 21.1. 1983 (GMB1. 1983, S. 146) 3.55

Musterbenutzungsordnung der Landessammelstellen für radioaktive Abfalle in der Bundesrepublik Deutschland vom 17. 3. 1981 (GMB1. 1981, S. 163)

3.55.1 Grundsätzliche Konzeption für den Ausbau der Landessammelstellen für radioaktive Abfälle vom 26.10. 1981 (GMB1. 1981, S. 511) 4. Empfehlungen der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) * 4.0

Bekanntmachung über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) in der Fassung vom 15. Dezember 1980 (Bundesanzeiger Nr. 10 vom 16.1. 1981) Geschäftsordnung der Reaktor-Sicherheitskommission (Bundesanzeiger Nr. 118 vom 29. 6.1973), geändert am 25. 4.1974 (Bundesanzeiger Nr. 87 vom 10. 5. 1974) Bekanntmachung über die Zusammensetzung der Reaktor-Sicherheitskommission vom 28. 2. 1983 (Bundesanzeiger Nr. 49 vom 11.3. 1983)

4.1

RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren, 1. Ausgabe vom 24. 4.1974 (ersetzt durch 3. Ausgabe, siehe 4.1.1) RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren, 2. Ausgabe vom 24.1.1979 (ersetzt durch 3. Ausgabe, siehe 4.1.1) Anhänge zu Kapitel 4.2 1. Auflistung der Systeme und Komponenten 2. Rahmenspezifikation Basissicherheit (Stand: 25. April 1979) (Bundesanzeiger Nr. 167a vom 6. 9. 1979)

4.1.1

RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren 3. Ausgabe vom 14. Oktober 1981 (Bundesanzeiger Nr. 69 vom 14. 4. 1982, Beilage Nr. 19/82), Leitlinie 21.2 in der Neufassung der 181. RSK-Sitzung (Bundesanzeiger Nr. 106 vom 10.6. 1983)

* Die Empfehlungen der Reaktor-Sicherheitskommission sind hier nur auszugsweise wiedergegeben. Eine lückenlose Aufstellung der RSK-Empfehlungen findet sich in dem vom Bundesminister des Innern herausgegebenen Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz, Köln, Stand Januar 1984, Abschnitt 4.

Anhang III: Verwaltungsinterne Regelungen 4.2

Empfehlungen der RSK 1971 -1974 (Seiten 1-1 bis 1-116)

4.3

Empfehlungen der RSK 1974-1975 (Seiten 1-117 bis 1-145)

4.4

Empfehlungen der RSK 1975 -1977 (Seiten 1-146 bis 1-276)

4.5

Empfehlungen der RSK 1978-1980 (Seiten 1-277 bis 1-309)

4.6.0

160. Sitzung am 12.11. 1980 (BAnz. Nr. 225 vom 3.12. 1982) Kernkraftwerk Kalkar (SNR-300); Notkühlsystem, Bodenkühleinrichtung und Auslegung des Reaktorgebäudes gegen Flugzeugabsturz

4.6.4

167. Sitzung am 1. 7. 1981 (BAnz. Nr. 222 vom 27.11. 1981) 1. Kernkraftwerk Hamm-Uentrop (THTR-300); Lüftungssysteme (Primärteil) 2. Urananreicherungsanlage Gronau (UAG); Standort und Sicherheitskonzept, Lastfall Flugzeugabsturz, Ökologisches Gutachten

4.6.9

178. Sitzung am 15. 9. 1982 (BAnz. Nr. 2 vom 5.1. 1983) Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk

4.6.13 184. Sitzung am 23. 3. 1983 (BAnz. Nr. 106 vom 10. 6. 1983) Brennelementzwischenlager (Transportbehälterlager) Ahaus und Gorleben 4.6.14 187. Sitzung am 22. 6. 1983 (BAnz. Nr. 232 vom 13.12. 1983) Eignung des Salzstockes Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Abfalle; Ergebnisse der bisher durchgeführten Standortuntersuchungen 5. Empfehlungen der Strahlenschutzkommission (SSK), soweit nicht bereits unter 3. erfaßt 5.0

Bekanntmachung über die Bildung einer Strahlenschutzkommission vom 19. April 1974 (Bundesanzeiger Nr. 92 vom 17. 5. 1974) Geschäftsordnung der Strahlenschutzkommission (Bundesanzeiger Nr. 34 vom 19. 2. 1975) Geschäftsordnung der Ausschüsse bei der Strahlenschutzkommission (GMB1. 1977, S. 68) Bekanntmachung über die Zusammensetzung der Strahlenschutzkommission vom 19. März 1981 (Bundesanzeiger Nr. 64 vom 2. 4. 1981)

5.1

Abtrennung von Krypton-85 aus den Abgasen von Wiederaufarbeitungsanlagen vom 2. 7. 1975 (Bundesanzeiger Nr. 132 vom 23. 7. 1975)

5.2

Erstellung von Emissionskatastern vom 2.7. 1975 (Bundesanzeiger Nr. 132 vom 23.7. 1975)

5.3

Zur Toxizität inhalierter heißer Partikel, insbesondere von Plutonium vom 19. 2. 1976 ( B M I RS I I 2)

5.4

Backfittingmaßnahmen für die Jodfilterung von Kernkraftwerken vom 10.12. 1976 (Bundesanzeiger Nr. 8 vom 13.1. 1977)

5.5

Erfassung von kritischen Expositionspfaden bei der Ableitung radioaktiver Stoffe durch Isotopenanwender vom 10.12. 1976 (Bundesanzeiger Nr. 8 vom 13. 1. 1977)

342

Anhang III: Verwaltungsinterne Regelungen 5.6

Vergleichbarkeit der natürlichen Strahlenexposition mit der Strahlenexposition durch kerntechnische Anlagen vom 4. 7. 1977 (Bundesanzeiger Nr. 137 vom 27. 7. 1977)

5.7

Synergismus und Strahlenschutz vom 18.10. 1977 (Bundesanzeiger Nr. 212 vom 11.11. 1977)

5.8

Stellungnahme der SSK zur Radon-Exposition der Bevölkerung vom 24. 4. 1980 (Bundesanzeiger Nr. 208 vom 6.11. 1980)

5.9

Empfehlung der Strahlenschutzkommission zur Anwendung der „Allgemeinen Berechnungsgrundlage für die Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit der Abluft oder in Oberflächengewässer (Richtlinie zu § 45 StrlSchV)" in derzeit laufenden Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen vom 19. 3. 1981 (Bundesanzeiger Nr. 64 vom 2.4. 1981)

5.10

Entwicklung der Strahlenschutzforschung in der Bundesrepublik Deutschland — Stellungnahme der Strahlenschutzkommission auf ihrer 33. Sitzung am 19./20. Februar 1981 (Bundesanzeiger Nr. 88 vom 13. Mai 1981)

5.11

Stellungnahme der Strahlenschutzkomission zum Vergleich der Strahlenexposition der Bevölkerung durch Emissionen radioaktiver Stoffe aus Kohlekraftwerken und aus Kernkraftwerken vom 2. Juli 1981 (Bundesanzeiger Nr. 150 vom 15. August 1981)

5.12

Empfehlung für die Begrenzung von Kurzzeitableitungen bei Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktor vom 14. Januar 1982 (Bundesanzeiger Nr. 12 vom 19. Januar 1982)

5.13

Empfehlung der Strahlenschutzkommission zur Rückhaltung radioaktiver Stoffe bei einer Wiederaufarbeitungsanlage (Bundesanzeiger Nr. 128 vom 14. Juli 1983)



Grundsätzliche sicherheitstechnische Realisierbarkeit des Entsorgungszentrums. Beurteilung und Empfehlungen der SSK (in 4.4, Seite 1-260, enthalten)



Empfehlung der Strahlenschutzkommission zu Störfallberechnungsgrundlagen für die Leitlinien des B M I zur Beurteilung der Auslegung von Kernkraftwerken mit DWR gemäß § 28 Abs. 3 StrlSchV (im Wortlaut in 3.33 enthalten)

Anhang IV: Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses

343

Anhang IV Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses* 6. Kerntechnischer Ausschuß (KTA) — Fundstellenverzeichnis — 6.0

Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses (KTA) in der Neufassung vom 1. Dezember 1981 (Bundesanzeiger Nr. 240 vom 23. Dezember 1981)



KTA-Handbuch herausgegeben von der Geschäftsstelle des Kerntechnischen Ausschusses bei der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mbH, Schwertnergasse 1, 5000 Köln 1. Das KTA-Handbuch enthält die formalen Grundlagen und die Verfahrensregeln des K T A , Listen der Mitglieder des K T A und seiner Unterausschüsse sowie Material über die regelerarbeitende Tätigkeit des KTA.



Beschlossene KTA-Regeln (R) und Regelentwürfe KTANr.

Fassung

(RE)

Titel

1201 R

3/81

1202 RE

11/83

Anforderungen an das Prüfhandbuch (BAnz. Nr. 230 vom 9. Dezember 1983)

1301.1 RE

11/83

Berücksichtigung des Strahlenschutzes der Arbeitskräfte bei Auslegung und Betrieb von Kernkraftwerken Teil 1: Auslegung (BAnz. Nr. 230 vom 9. Dezember 1983)

1301.2 R

6/82

1401 R 1501 R

2/80

Berücksichtigung des Strahlenschutzes der Arbeitskräfte bei Auslegung und Betrieb von Kernkraftwerken Teil 2: Betrieb (BAnz. Nr. 173 a vom 17. September 1982) Allgemeine Anforderungen an die Qualitätssicherung (BAnz. Nr. 106a vom 11. Juni 1981) Ortsfestes System zur Überwachung von Ortsdosisleistungen innerhalb von Kernkraftwerken (BAnz. Nr. 234 vom 15. Dezember 1977)

1502 RE

10/77

6/82

Anforderungen an das Betriebshandbuch (ersetzt Fassung 2/78) (BAnz. Nr. 136a vom 28. Juli 1981)

Überwachung der Radioaktivität in der Raumluft von Kernkraftwerken (BAnz. Nr. 121 vom 7. Juli 1982)

* Die nachfolgende Aufstellung ist dem vom Bundesminister des Innern herausgegebenen Handbuch Reaktorsicherheit und Strahlenschutz, Köln, Stand Januar 1984, entnommen. Gliederung und Ziffern des Handbuchs wurden nicht verändert.

Anhang IV: Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses KTANr.

Fassung

1503.1 R

2/79

1504 R

6/78

1507 RE

6/83

Titel Messung und Überwachung der Ableitung gasförmiger und aerosolgebundener radioaktiver Stoffe Teil 1 : Messung und Überwachung der Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Kaminabluft bei bestimmungsgemäßem Betrieb (BAnz. Nr. 133 vom 20. Juli 1979) Messung flüssiger radioaktiver Stoffe zur Überwachung der radioaktiven Ableitungen (BAnz. Nr. 189 vom 6. Oktober 1978) Messung gasförmiger, aerosolgebundener und flüssiger radioaktiver Stoffe zur Überwachung der Ableitungen bei Forschungsreaktoren (BAnz. Nr. 116 vom 28. Juni 1983)

2201.1 R

6/75

Auslegung von Kernkraftwerken gegen seismische Einwirkungen Teil 1 : Grundsätze (BAnz. Nr. 130 vom 19. Juli 1975)

2201.2 R

11/82

Auslegung von Kernkraftwerken gegen seismische Einwirkungen Teil 2: Baugrund (BAnz. Nr. 64 vom 6. April 1983)

2201.4 RE

11/83

Auslegung von Kernkraftwerken gegen seismische Einwirkungen Teil 4: Auslegung der maschinen- und elektrotechnischen Anlagen (BAnz. Nr. 230 vom 9. Dezember 1983)

2201.5 R

6/77

2207 R

6/82

3101.1 R

2/80

3102.1 R

6/78

Auslegung von Kernkraftwerken gegen seismische Einwirkungen Teil 5: Seismische Instrumentierung (BAnz. Nr. 144 vom 5. August 1977) Schutz von Kernkraftwerken gegen Hochwasser (BAnz. Nr. 173 a vom 17. September 1982, berichtigt durch BAnz. Nr. 211 vom 11. November 1982) Auslegung der Reaktorkerne von Druck- und Siedewasserreaktoren Teil 1 : Grundsätze der thermohydraulischen Auslegung (BAnz. Nr. 92 vom 20. Mai 1980) Auslegung der Reaktorkerne von gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren Teil 1 : Berechnung der Helium-Stoffwerte (BAnz. Nr. 189 vom 6. Oktober 1978)

Anhang IV: Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses KTANr.

Fassung

345

Titel

3102.2 R

6/83

Auslegung der Reaktorkerne von gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren Teil 2: Wärmeübergang im Kugelhaufen (BAnz. Nr. 194 vom 14. Oktober 1983)

3102.3 R

3/81

Auslegung der Reaktorkerne von gasgekühlten Hochtemperaturreaktoren Teil 3: Reibungsdruckverlust im Kugelhaufen (BAnz. Nr. 136a vom 28. Juli 1981)

3103 RE

3/82

Abschaltsysteme von Leichtwasserreaktoren (BAnz. Nr. 69 vom 14. April 1982)

3104 R

10 / 79

Ermittlung der Abschaltreaktivität (BAnz. Nr. 19 vom 29. Januar 1980)

3201.1 R

11/82

Komponenten des Primärkreises von Leichtwasserreaktoren Teil 1: Werkstoffe (BAnz. Nr. 68 a vom 12. April 1983)

3201.2 R

10/80

Komponenten des Primärkreises von Leichtwasserreaktoren Teil 2: Auslegung, Konstruktion und Berechnung (BAnz. Nr. 152a vom 19. August 1981; berichtigt durch BAnz. Nr. 180 vom 26. September 1981)

3201.2 RE

11 / 82

Änderung der Regel K T A 3201.2 (BAnz. Nr. 239 vom 23. Dezember 1982)

3201.3 R

10/79

Komponenten des Primärkreises von Leichtwasserreaktoren Teil 3: Herstellung (BAnz. Nr. 125 vom 11. Juli 1980)

3201.4 R

6/82

Komponenten des Primärkreises von Leichtwasserreaktoren Teil 4: Wiederkehrende Prüfungen und Betriebsüberwachung (BAnz. Nr. 215 vom 19. November 1982)

3203 RE

11 / 82

Überwachung der Strahlenversprödung von Werkstoffen des Reaktordruckbehälters von Leichtwasserreaktoren (BAnz. Nr. 239 vom 23. Dezember 1982)

3204 RE

6/83

Reaktordruckbehälter-Einbauten (BAnz. Nr. 116 vom 28. Juni 1983)

3205.1 R

6/82

Komponentenstützkonstruktionen mit nichtintegralen Anschlüssen Teil 1: Komponentenstützkonstruktionen mit nichtintegralen Anschlüssen für Primärkreiskomponenten (BAnz. Nr. 215 vom 19. November 1982) Nachwärmeabfuhrsysteme von Leichtwasserreaktoren (BAnz. Nr. 239 vom 23. Dezember 1982)

3301 RE

11/82

3401.1 R

11/82

Reaktorsicherheitsbehälter aus Stahl Teil 1: Werkstoffe (BAnz. Nr. 69a vom 13. April 1983)

Anhang IV: Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses KTANr.

Fassung

Titel

3401.2 R

6/80

Reaktorsicherheitsbehälter aus Stahl Teil 2: Auslegung, Konstruktion und Berechnung (BAnz. Nr. 188 vom 8. Oktober 1980)

3401.2 RE

11 / 82

Änderung der Regel K T A 3401.2 (BAnz. Nr. 239 vom 23. Dezember 1982)

3401.3 R

10/79

Reaktorsicherheitsbehälter aus Stahl Teil 3: Herstellung (BAnz. Nr. 57 vom 21. März 1980)

3401.3 RE

6/83

Änderung der Regel K T A 3401.3 (BAnz. Nr. 116 vom 28. Juni 1983)

3401.4 R

3/81

Reaktorsicherheitsbehälter aus Stahl Teil 4: Wiederkehrende Prüfungen (BAnz. Nr. 136a vom 28. Juli 1981)

3402 R

11 / 76

Schleusen am Reaktorsicherheitsbehälter von Kernkraftwerken — Personenschleusen (BAnz. Nr. 38 vom 23. Februar 1977)

3403 R

10/80

Kabeldurchführungen im Reaktorsicherheitsbehälter von Kernkraftwerken (BAnz. Nr. 44 vom 5. März 1981)

3404 RE

6/77

Abschließung der den Reaktorsicherheitsbehälter durchdringenden Rohrleitungen im Falle einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen innerhalb des Reaktorsicherheitsbehälters (BAnz. Nr. 119 vom 1. Juli 1977)

3405 R

2/79

3409 R

6/79

3501 R

3/77

Integrale Leckratenprüfung des Sicherheitsbehälters mit der Absolutdruckmethode (BAnz. Nr. 133 vom 20. Juli 1979) Schleusen am Reaktorsicherheitsbehälter von Kernkraftwerken — Materialschleusen (BAnz. Nr. 137 vom 26. Juli 1979) Reaktorschutzsystem und Überwachung von Sicherheitseinrichtungen (BAnz. Nr. 107 vom 11. Juni 1977)

3501 RE

10/80

Änderung der Regel K T A 3501 (BAnz. Nr. 206 vom 4. November 1980)

3502 R

11 / 82

Störfallinstrumentierung (BAnz. Nr. 64 vom 6. April 1983)

3503

6/82

Typprüfung von elektrischen Baugruppen des Reaktor-

6/83

(BAnz. Nr. 173 a vom 7. Juli 1982, berichtigt durch BAnz. Nr. 211 vom 11. November 1982) Typprüfung von Meßwertgebern und Meßumformern des Reaktorschutzsystems (BAnz. Nr. 116 vom 28. Juni 1983)

R

3505 RE

Schutzsystems

Anhang IV: Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses KTANr.

Fassung

347

Titel

3506 RE

6/83

Systemprüfung der leittechnischen Einrichtungen des Sicherheitssystems (BÀnz. Nr. 116 vom 28. Juni 1983)

3507 RE

11 / 82

Werksprüfungen an leittechnischen Geräten des Sicherheitssystems (BAnz. Nr. 239 vom 23. Dezember 1982)

3601 RE

10/79

Lüftungstechnische Anlagen in Kernkraftwerken (BAnz. Nr. 213 vom 13. November 1979)

3602 R

6/82

3602 RE

11/83

3603 R

2/80

Anlagen zur Behandlung von radioaktiv kontaminiertem Wasser in Kernkraftwerken (BAnz. Nr. 96 vom 24. Mai 1980)

3604 R

11 / 82

Lagerung, Handhabung und innerbetrieblicher Transport radioaktiver Stoffe (mit Ausnahme von Brennelementen) in Kernkraftwerken (BAnz. Nr. 194 vom 14. Oktober 1983)

3701.1 R

6/78

Übergeordnete Anforderungen an die elektrische Energieversorgung des Sicherheitssystems in Kernkraftwerken Teil 1: Einblockanlagen (BAnz. Nr. 189 vom 6. Oktober 1978)

3701.2 R

6/82

Übergeordnete Anforderungen an die elektrische Energieversorgung des Sicherheitssystems in Kernkraftwerken Teil 2: Kernkraft-Mehrblockanlagen (BAnz. Nr. 173 a vom 17. September 1982)

3702.1 R

6/80

Notstromerzeugungsanlagen mit Dieselaggregaten in Kernkraftwerken Teil 1: Auslegung (BAnz. Nr. 185 vom 3. Oktober 1980)

3702.2 R

11 / 82

3704 RE

11/83

3901 R

3/81

Notstromerzeugungsanlagen mit Dieselaggregaten in Kernkraftwerken Teil 2: Prüfungen (BAnz. Nr. 64 vom 6. April 1983) Notstromanlagen mit Gleichstrom/Wechselstrom-Umformern (BAnz. Nr. 230 vom 9. Dezember 1983) Kommunikationsmittel für Kernkraftwerke (ersetzt K T A 3901.1, Fassung 3/77)

Lagerung und Handhabung von Brennelementen, Steuerelementen und Neutronenquellen in Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktor (BAnz. Nr. 173 a vom 7. Juli 1982) Änderung der Regel K T A 3602 (BAnz. Nr. 230 vom 9. Dezember 1983)

(BAnz. Nr. 136a vom 28. Juli 1981, berichtigt durch BAnz. Nr. 155 vom 22. August 1981)

348

Anhang IV: Technisches Regelwerk des Kerntechnischen Ausschusses KTANr.

Fassung

Titel

3902 R

6/78

3902 RE

11/82

Änderung der Regel K T A 3902 (BAnz. Nr. 239 vom 23. Dezember 1982)

3903 R

11/82

Prüfungen und Betrieb von Hebezeugen in kerntechnischen Anlagen (BAnz. Nr. 86a vom 6. Mai 1983, ergänzt durch BAnz. Nr. 134 vom 22. Juli 1983)

Hebezeuge in kerntechnischen Anlagen (BAnz. Nr. 189 vom 6. Oktober 1978)

Anhang V: § 7 Abs. 2 A t G im Verständnis der derzeitigen Verwaltungspraxis 349

Anhang V § 7 Abs. 2 AtG im Verständnis der derzeitigen Verwaltungspraxis Gefahr = Risiko § 1 Nr. 2 A t G Gefahrenabwehr (§ 7 I I 3 AtG)

Restrisiko Restrisikominimierung (§ 7 I I AtG)

— Genehmigungsvoraussetzung

— Ermessen

— keine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

— Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

— Individualrisiko

— Bevölkerungsrisiko

— Drittschutz

— kein Drittschutz

— Dosisgrenzwerte (§45 StrlSchV)

— Strahlenminimierung

- Störfall

- Unfall

explizit: Sozialadäquanz ermittelt durch Vergleich mit Zivilisations- und Lebensrisiken

) hingenommenes Restrisiko (AtG)

\ — Anlage, so wie sie dasteht

J

Unterschiedlich für einzelne Anlagen. Im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entscheidend: — Geeignetheit einschließlich Ausgewogenheit — Erforderlichkeit einschließlich Nutzen/Kosten

implizit: — Störfall-Leitlinie — Dosisgrenzwerte Quelle: Hohlefelder, ET 1983, 392 (396).

Zur Regelung der Gefahrenabwehr bei Kernenergieanlagen in der deutschen Rechtsordnung,

350

Anhang VI: Projektion der Thesen zur Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G

Anhang VI Projektion der Thesen zur Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG THESE A: Eintritt des Ereignisses „Vorsorge ... treffen" = im Hinblick auf ein Ereignis Maßnahmen ergreifen Abwehr des Ereignisses

Vorsorge i. e. S.

Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts

Eintritt des Ereignisses von vornherein ausgeschlossen = absolut unwahrscheinlich, d. h. Wahrscheinlichkeit ist Null Null

THESE B: Schadenseintritt Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts „Vorsorge gegen Schäden ... treffen" = Maßnahmen gegen Schäden ergreifen kann heißen: Schadenseintritt muß Schadenseintritt muß ausgeschlossen nicht ausgeschlossen werden werden

Maßnahmen zum Schadensausschluß

Maßnahmen zur Verhinderung eines Schadenseintritts und vorbeugende Maßnahmen zur Begrenzung des Ausmaßes eines gleichwohl eintretenden Schadens

THESE C: „Vorsorge gegen Schäden .. . treffen" „Erforderliche Vorsorge gegen Schäden" (§7 Abs. 2 Nr. 3 AtG)

Vorsorge, d.h. Maßnahmen, nicht erforderlich Schadensmöglichkeiten werden in Kauf genommen

Schadenseintritt von vornherein ausgeschlossen = absolut unwahrscheinlich, d. h. Wahrscheinlichkeit ist Null

Anhang VI: Projektion der Thesen zur Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G

THESE D: Schadenseintritt Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts Hinreichende Wahrscheinlichkeit Risiko

Gefahr

Schaden

THESE E: Gefahrenabwehr

Risikovorsorge

Restrisiko Vorsorge nicht erforderlich

THESE F: Grundrechtsbeeinträchtigung

GrundrechtsVerletzung

Grundrechtsgefahrdung

THESE G: Grundrechtsverletzung

Grundrechtsgefährdung (= drohende Verletzung)

gegenwärtige Schäden

künftige Schäden

Schadenseintritt

THESE H: GrundrechtsVerletzung

„Grundrechtsverletzung i. w. S. u = „verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung" t

Gleichachtung

Grundrechtsgefahrung

Absolute Unwahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts Null

352

Anhang VI: Projektion der Thesen zur Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G

THESE I: Eintritt des Ereignisses Grundrechtsverletzung

Verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung t

Gleichachtung

Schwerwiegende oder erhebliche Grundrechtsgefährdung

sonstige Grundrechtsgefährdung

Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts

THESE J: Eintritt des Ereignisses Zunehmende Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts Objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht J keine Schutzpflicht

Null Eintritt des Ereignisses absolut unwahrscheinlich = absolut ausgeschlossen

Diese Linie bestimmt sich nach — Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren: — entfernte Wahrscheinlichkeit — bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge — Vergleich mit von der Grundrechtsordnung akzeptierten naturgegebenen Risiken. — Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts.