Staatliche Verhaltenspflichten im völkerrechtlichen Katastrophenfall [1 ed.] 9783428551705, 9783428151707

Schwere (Natur)Katastrophen können vom betroffenen Staat häufig nicht autonom bewältigt werden. Die Arbeit untersucht, w

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Staatliche Verhaltenspflichten im völkerrechtlichen Katastrophenfall [1 ed.]
 9783428551705, 9783428151707

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Schriften zum Völkerrecht Band 227

Staatliche Verhaltenspflichten im völkerrechtlichen Katastrophenfall Von

Anna-Katharina Josephine Hübler

Duncker & Humblot · Berlin

ANNA-KATHARINA JOSEPHINE HÜBLER

Staatliche Verhaltenspflichten im völkerrechtlichen Katastrophenfall

Schriften zum Völkerrecht Band 227

Staatliche Verhaltenspflichten im völkerrechtlichen Katastrophenfall

Von

Anna-Katharina Joephine Hübler

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-15170-7 (Print) ISBN 978-3-428-55170-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-85170-6 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015 / 2016 vom Fach­ bereich Rechtswissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Staatenpraxis und Literatur konnten bis zum Sommer 2015 berücksichtigt werden. Ich danke meiner Doktormutter Prof. Dr. Vöneky, die mir bei der Erstel­ lung der Dissertation großen Freiraum gewährte, zugleich aber stets neue gedankliche Impulse setzte. Prof. Dr. Haltern danke ich sehr herzlich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch dem gesamten Team des Lehrstuhls am Institut für Völkerrecht und Rechtsvergleichung für viele schöne Gespräche und die angenehme Arbeitsatmosphäre. Vor allem Felix Beck und Sigrid Ringwald, aber auch Birgit Schönrock vom Dekanat der Juristischen Fakultät, waren mir in vielfältiger Weise eine große Hilfe. Besonderer Dank gilt der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die die vorliegende Arbeit mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert sowie auch umfassend ideell begleitet hat. Darüber hinaus danke ich allen, die mir durch Anregungen und Kritik, aber auch die notwendige Ablenkung bei der Fertigstellung dieser Disserta­ tion geholfen haben. Aufrichtigen Dank schulde ich meinen Eltern, die mir die juristische Ausbildung ermöglicht und mich, auch bei der Veröffentlichung dieser Dis­ sertation, stets großzügig unterstützt haben. Schließlich möchte ich Fabian Ast für seine liebevolle Geduld danken, die er mir immer entgegenbringt. Sein Rückhalt war während des gesamten Dissertationsvorhabens unverzichtbar. Heidelberg, im Februar 2017

Anna-Katharina Josephine Hübler

Inhaltsverzeichnis Einführung 

23

I. Zunehmende Häufung von extremen Katastrophenfällen . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Die potentiellen Verantwortlichen im Katastrophenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Fehlende Leitlinien in der internationalen Katastrophenhilfe . . . . . . . . . . . . 27 Erster Teil

Internationaler Katastrophenschutz und die Entwicklung eines neuen Teilbereichs des besonderen Völkerrechts 

32

A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Historische Entwicklung des Umgangs mit Katastrophenfällen . . . . . . 32 1. Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Christianisierung im Mittelalter: Gründung souveräner Ritterorden zur Bewältigung humanitärer Aufgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Zeit der Aufklärung und der naturrechtlichen Lehre . . . . . . . . . . . . 40 4. Gründung des Roten Kreuzes im 19. Jahrhundert  . . . . . . . . . . . . . . 41 5. Institutionalisierung: Gründung der International Relief Union (IRU) 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 6. Die Arbeit der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit ­Katastrophenfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Erste Maßnahmen und Resolutionen der internationalen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe in den 1960er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Resolutionen der UN-Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . 50 bb) Institutionalisierung der Katastrophenhilfe im UN-System  . 59 c) „Internationale Dekade für die Verringerung von Naturkatastro­ phen“ und Fokussierung auf humanitäre Hilfe . . . . . . . . . . . . . . 63 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 7. Sonstige Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . 69 a) North Atlantic Treaty Organization (NATO) . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) . . . . . . . . . . . . . . . 72

8

Inhaltsverzeichnis

II.

8. Zwischenergebnis: Humanitäre Hilfe in Krieg und Frieden . . . . . . 72 Anlass und Motivation für die völkerrechtliche Beschäftigung mit dem Bereich der internationalen Katastrophenhilfe im 21. Jahrhundert   74 1. Rechtliche Vernachlässigung der internationalen Katastrophenhilfe in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Entstehung eines neuen Rechtsgebiets in Gestalt des Katastro­ phenhilfe- bzw. -schutzvölkerrechts im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . 76 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  . . . . 79 I. Definition des Katastrophenfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Allgemeiner Sprachgebrauch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Definition anhand von Art und Ursache der Katastrophe  . . . . . . . 82 a) Wesenskern des Katastrophenbegriffs: Beschränkung auf Naturkatastrophen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Plötzliche und sich langsam entwickelnde Naturkatastrophen . . 87 c) Erweiterte Begriffsbestimmung: Mit Naturkatastrophen ver­ gleichbare Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Katastrophen natürlichen Ursprungs, für deren Entstehung Menschen mitursächlich waren oder gewesen sein können  . 91 bb) Industrieunfälle, technische Unfälle, Zwischenfälle und Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) (Internationale) bewaffnete Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Internationale bewaffnete Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Nicht-internationale bewaffnete Konflikte . . . . . . . . . . . 99 (3) Interne Unruhen und Spannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 dd) Wirtschaftliche und politische Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 ee) Flüchtlingskrisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 ff) Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Indikatoren zur Bestimmung von Wirkung und Effekt der Katastrophe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Ausmaß der negativen Folgen der Katastrophen  . . . . . . . . . . . . 111 aa) Geographische Verteilung der Schäden: Internationalität des Katastrophenfalles  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Leidtragende der Katastrophe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 cc) Schadenseintritt vs. Gefährdungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 dd) Quantität der Schäden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Negativabgrenzung: Fehlende Kapazität des Staates, die Katastrophe eigenständig zu bewältigen  . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Auswirkungen der Katastrophe auf die Gesellschaft . . . . . . . . . 125 d) Bestimmung anhand existierender vergleichbarer Begriffe für Notlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126



Inhaltsverzeichnis

II.

9

aa) Katastrophe als Anwendungsfall von force majeure im Sinne von Art. 23 der Artikel der ILC zur Staatenverant­ wortlichkeit bzw. als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 lit. c IGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Katastrophe als Fall des öffentlichen Notstands im Sinne von Art. 15 EMRK  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Katastrophe als Fall des öffentlichen Notstands im Sinne von Art. 4 IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4. Arbeitshypothese zur Definition des Katastrophenfalles . . . . . . . . . 132 5. Eingrenzung der internationalen Katastrophenhilfe ratione tempo­ ris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Befugnis zur Feststellung des Vorliegens eines Katastrophenfalles . . . 137

C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe  – das Katastrophenhilfevölkerrecht als Untersuchungs­gegenstand bei der Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur (Art. 38 Abs. 1 lit. a IGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Internationales Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung (Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut) . . . . . 145 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Quellen zur Feststellung der Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Rechtsüberzeugung (opinio iuris) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Soft law: Relevanz für die Feststellung von Völkergewohnheits­ recht oder Rechtsquelle eigener Art? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Definition  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Wichtige soft law Instrumente der internationalen Katastrophen­hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Private Rechtsetzung als soft law? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Von den Kulturvölkern anerkannte allgemeine ­Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 IV. Richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler als Hilfsmittel für die Feststellung von Rechtsnormen (Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

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Zweiter Teil

Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall 

169

A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Dogmatische Herleitung der Verhaltens- und Schutzpflichten des betroffenen Staates gegenüber der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Primäre Rolle des Staates im Katastrophenfall . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Herleitung aus dem Prinzip der Souveränität  . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Völkergewohnheitsrechtliche Verankerung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Inhalt der primären Rolle des betroffenen Staates im Katastro­ phenfall  – originäre Schutzpflichten gegenüber der Zivilbevölke­ rung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Menschenrechtliche Verträge und ihre Vorgaben für den Schutz der Bevölkerung im Katastrophenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Verpflichtung zum Schutz des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Schutz der Gesundheit und Recht auf Nahrung und Wasser . 182 cc) Besondere Gewährleistungen im Katastrophenfall . . . . . . . . 186 b) Völkergewohnheitsrechtlich verankerte menschenrechtliche Vorgaben für den Schutz der Bevölkerung im Katastrophenfall . 187 c) Ein Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall? . 187 d) Responsibility to Protect? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 e) Kooperationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 f) Analoge Anwendung des humanitären Völkerrechts? . . . . . . . . . 199 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Aufgaben des betroffenen Staates im Katastrophenfall: Gefahren­ abwehr  – Katastrophenschutz  – Katastrophenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . 201 B. Pflicht des betroffenen Staates zur subsidiären ­Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 I. Pflicht des betroffenen Staates, internationale humanitäre Hilfe anzufordern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Völkerrechtliche Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen, als Bestandteil der völkerrechtlich bindenden Pflicht zum Schutz der Menschenrechte der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen, als Norm des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (1) Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Praxis begründende Handlungen und Unterlassungen von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Opinio iuris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) Nationale Katastrophenschutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . 212



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II.

(2) Staatenäußerungen bei Internationalen Organisationen und vor internationalen Ausschüssen  . . . . . . . . . . . . . . 214 (3) Soft law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Rechtserkenntnisquellen – Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut  . 219 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Voraussetzungen de lege ferenda für die Auslösung einer Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 4. Normativer Gehalt de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 5. Beweismöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Pflicht zur Hilfsannahme und zum Einlass von fremden Staaten, Nichtregierungsorganisationen und sonstigen ­nicht-staatlichen ­Akteuren in das Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Grundsatz der Zustimmungspflichtigkeit externer Katastrophen­ hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Rechtsverbindlichkeit einer Pflicht, fremde Hilfe anzunehmen  . . . 230 3. Modifikation der Zustimmungspflicht: Verbot der willkürlichen Zustimmungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 4. Inhalt der de lege ferenda bestehenden Pflicht, Hilfsangebote nicht willkürlich abzulehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Fehlende Notwendigkeit fremder Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Mangelhafte Hilfsangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Überblick über die Ablehnung von Hilfsangeboten als mangelhaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Völkerrechtliche Zulässigkeit der angeführten Mängel – Vergleich mit anderen Bereichen des Völkerrechts . . . . . . . 240 cc) Anwendung anderer Bereiche des Völkerrechts auf das Katastrophenhilfevölkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Sonstige abwägungs- und ermessensrelevante Gründe  . . . . . . . 246 aa) Generelle Willkürklassifikation bei dominierender politi­ scher Motivation für die Ablehnung der fremden Hilfe . . . . 246 (1) Myanmar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (2) Nordkorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (3) Pakistan  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (4) Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (5) Afrika  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (6) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Abwägung im Einzelfall  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 d) Fehlende Angabe von Gründen für die Verweigerung der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 e) Angabe von unzutreffenden Gründen für die Verweigerung der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

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III. Sonstige Verhaltenspflichten gegenüber fremden Staaten, Nichtregie­ rungsorganisationen und nicht-staatlichen Akteuren  . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Faktische Probleme der Helfer im Katastrophenfall  . . . . . . . . . . . . 258 2. Verhaltenspflichten des Hilfe empfangenden Staates . . . . . . . . . . . . 260 a) Schutz des Hilfspersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Effektive und zeitnahe Durchführung der Hilfsmaßnahmen . . . . 262 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch den betroffenen Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Anwendung der Normen über die Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . 269 II. Unterlassene Hilfeleistung gegenüber der eigenen Bevölkerung als völkerrechtliches Delikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Sanktionen durch internationale Organisationen, insbesondere Befug­ nisse des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VI und Kapitel VII der UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Einordnung einer Katastrophe als Situation, die geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden (Kapitel VI UN-Charta) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Feststellung der Gefährdungssituation im Sinne von Art. 33 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Reaktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Einordnung einer Katastrophe als Bedrohung oder Bruch des ­Friedens im Sinne von Art. 39 UN-Charta (Kapitel VII UNCharta) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Feststellung der Bedrohung oder des Bruches des Friedens im Sinne von Art. 39 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Reaktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 IV. Anwendbarkeit der Responsibility to Protect? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 V. Duldungspflicht einer humanitären Intervention durch die Staaten­ gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 VI. Unterlassene Hilfeleistung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Maßgabe des IStGH-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Handlung im Sinne von Art. 7 Abs. 1  IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . 281 a) Vorsätzliche Tötung (Art. 7 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut) . . . . . . . 281 b) Ausrottung (Art. 7 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . 284 c) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung (Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 d) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaf­ ten aus politischen oder anderen als unzulässig anerkannten Gründen (Art. 7 Abs. 1 lit. h) IStGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . . . 286 e) Andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art (Art. 7 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Ausgedehnter oder systematischer Angriff gegen die Zivilbevölke­ rung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288



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3. Kenntnis des Angriffs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4. Fallbeispiel: Subsumtion unter Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut im Falle des Umgangs der myanmarischen Militärregierung mit Zyklon Nargis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Fehlende Gerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Beweissituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 aa) Erforderliches Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 bb) Beweislage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Täter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Haftung der Untergebenen (Subsumtion unter Art. 7 IStGHStatut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (1) Verwirklichungsmöglichkeiten von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut (Objektiver Tatbestand und Tathandlung) . . . . . . . . . . . 295 (a) Mord und Ausrottung (Art. 7 Abs. 1 lit. a) und lit. b) IStGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (b) Vertreibung und zwangsweise Überführung (Art. 7 Abs. 1 lit. d IStGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . 296 (c) Andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art (Art. 7 Abs. 1 lit. k IStGH-Statut) . . . . . . . . . . . . . . 298 (d) Verfolgung (Art. 7 Abs. 1 lit. h IStGH-Statut) . . . . 300 (2) Systematischer oder weitreichender Angriff . . . . . . . . . 300 (3) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (4) Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 bb) Haftung der militärischen Befehlshaber (Art. 28 IStGHStatut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Teil

Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft 

304

A. Dogmatische Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatenge­ meinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 I. Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 1. Abstrakte Definitionsansätze des Solidaritätsbegriffes . . . . . . . . . . . 306 2. Völkerrechtlicher Aussagegehalt des Solidaritätsbegriffes . . . . . . . . 307 a) Solidarität als Zustand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 b) Solidarität als Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 aa) Auslegungshilfe für bestimmte Bereiche des Besonderen Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Auslegungshilfe für das gesamte Völkerrecht als Koopera­ tionsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Solidarität als Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

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d) Solidarität als Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 3. Materielle Bindungskraft des „Solidaritätsprinzips“ . . . . . . . . . . . . . 314 a) Staatenpraxis (Muster der Solidarisierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Fehlende Rechtsüberzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 II. Kooperationsprinzip im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 III. Courtoisie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 IV. Responsibility to Protect . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 V. Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . 325 I. Völkerrechtliche Rechte der Staatengemeinschaft im Verhältnis zu dem betroffenen Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Recht der Staatengemeinschaft und Internationaler Organisationen, dem betroffenen Staat Hilfe anzubieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Recht, den eigenen Staatsangehörigen auf dem Staatsgebiet des betroffenen Staates Hilfe zu leisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 II. Völkerrechtliche Pflichten der Staatengemeinschaft gegenüber dem betroffenen Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Einordnung der Pflicht, von Katastrophen betroffenen Staaten ­Hilfe anzubieten und zu leisten, als Norm des Völkervertrags­ rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 a) Verpflichtungen von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 aa) Allgemeine völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 bb) Multilaterale Verträge auf dem Gebiet des Katastrophen­ hilfevölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 cc) Sonderfall: Bereichsspezifische Verträge, die sich auf ­Katastrophen außerhalb jedweden Staatsgebietes beziehen . 334 dd) Zwischenergebnis zum völkervertraglichen Stand von Hilfspflichten der Staatengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Verpflichtungen von Internationalen Organisationen: Institutio­ nalisierte Herangehensweise an Katastrophen . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Einordnung der Pflicht, von Katastrophen betroffenen Staaten Hilfe anzubieten und zu leisten, als Norm des Völkergewohnheits­ rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 a) Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 aa) Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 bb) Praxis begründende Handlungen und Unterlassungen von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 (1) Fallbeispiele für die zahlenmäßige Beteiligung der Staatengemeinschaft bei der Katastrophenhilfe im Zeitraum 2004 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 (a) Tsunami in Südostasien 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . 343



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(b) Hurrikan Katrina in den Vereinigten Staaten von Amerika 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 (c) Erdbeben in Kaschmir 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 (d) Zyklon Nargis in Myanmar 2008 . . . . . . . . . . . . . . 347 (e) Erdbeben in Haiti 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 (f) Überflutungen in Pakistan 2010 . . . . . . . . . . . . . . . 349 (g) Tsunami und Erdbeben in Fukushima / Japan 2011 . 350 (h) Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 . . . . . . . . . . . . 351 (i) Erdbeben in Nepal im April und Mai 2015 . . . . . . 351 (j) Regional begrenzte Katastrophenfälle ohne extrem hohe Opferzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 (2) Analyse und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (a) Vergleichbarkeit der bestehenden Staatenpraxis unter Berücksichtigung des Schadensausmaßes . . . 355 (b) Kontraindikationen gegen eine einheitliche Staa­ tenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 b) Opinio iuris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 aa) Staatenäußerungen bei internationalen Organisationen und vor internationalen Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 bb) Soft law  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 c) Rechtserkenntnisquellen zur Feststellung von Völkergewohn­ heitsrecht, Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 3. Etablierung einer Pflicht, Hilfsanfragen des betroffenen Staates mit der gebotenen Sorgfalt und ermessensfehlerfrei zu prüfen . . . . 366 a) Originäre völkergewohnheitsrechtliche Pflicht zur ermessens­ fehlerfreien Reaktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 b) Aus dem Solidaritätsprinzip und Kooperationsprinzip abgelei­ tete Pflicht zur ermessenfehlerfreien Reaktion . . . . . . . . . . . . . . 367 c) Parameter, die bei der Entscheidung über Art und Umfang der Hilfeleistung relevant sind und die zudem zur Abwendung einer bestehenden Hilfspflicht führen können . . . . . . . . . . . . . . . 368 4. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 III. Verhaltenspflichten bei der Durchführung der zwischenstaatlichen Hilfe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Einhaltung der Gesetze des betroffenen Staates und Relevanz sonstiger humanitärer Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 a) Grundsatz: Organisationsverantwortung des betroffenen Staates . 373 b) Geltung weiterer humanitärer Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 aa) Humanität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 bb) Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 cc) Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

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dd) Nichtdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 (1) Fehlende Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 (2) Geltung als allgemeine Rechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (3) Praktischer Aussagegehalt des Humanitäts- und Nichtdiskriminierungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 (4) Konflikt zwischen den Anordnungen des betroffenen Staates und den humanitären Grundsätzen  – Fall­ beispiel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 2. Sonderfall: Einsatz von militärischen Streitkräften oder Kräften zur Zivilverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 3. Konsequenzen bei der Verletzung von Verhaltenspflichten in Ausführung von Hilfsmaßnahmen, insbesondere Haftungsfragen . . 397 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 4. Teil

Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick 

401

A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der International Law Commis­ sion unter Berücksichtigung der Arbeit der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 I. Überblick über die Draft Articles on the Protection of Persons in the Event of Disasters durch die International Law Commission . . . . . . . 402 1. Zielsetzung und Entstehungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 2. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 II. Überblick über die Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes . . . . . . . 406 1. Zielsetzung und Entstehungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 2. Inhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 III. Evaluation der Arbeit der ILC unter Berücksichtigung der unter Berücksichtigung der Arbeit der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 1. DAPPED: Kritik an Struktur und äußerer Form . . . . . . . . . . . . . . . 408 2. DAPPED: Kritik an der inhaltlichen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . 409 3. Kritik am Gesamtkonzept und dessen potentieller Wirkung auf die internationale Katastrophenhilfe unter Berücksichtigung der IFRKGuidelines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 B. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick auf zukünftige Entwick­ lungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 I. Zusammenfassung der Ergebnisse   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417



Inhaltsverzeichnis

II.

17

2. Verhaltenspflichten des betroffenen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 a) Völkergewohnheitsrechtlich geltende Verhaltenspflichten  . . . . . 418 b) De lege ferenda wünschenswerte Verhaltenspflichten . . . . . . . . . 420 c) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen verbindliche Verhaltens­ pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 3. Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 a) Pflicht zur Hilfeleistung in extremen Katastrophenfällen . . . . . . 421 b) Pflicht zur ermessensfehlerfreien Prüfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 c) Operative Verhaltenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 Ausblick auf zukünftig zu untersuchende Schwerpunkte bei der Auseinandersetzung mit dem Katastrophenhilfevölkerrecht . . . . . . . . . 422 Annex



Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines 

426

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 I. II.

Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

Abkürzungsverzeichnis AADMER ABl. ACHR ACP ACRWR ACS AEMR AEUV ALI Am. J. Psych. AMRK ARS ASEAN BayKSG BBK BGBl. BIP Brook. J. Int’l. L BSEC Cal.W.Int’l L.J. CAP CAPRADE CDEMA CDERA CEDAW CERF Colum.J.Envtl.L. CRC Crit. Rev. Food   Sci. Nutr.

ASEAN Agreement on Disaster Management and Emergen­ cy Response Amtsblatt Arab Charter on Human Rights African, Caribbean, and Pacific Group of States African Charter on the Rights and Welfare of the Child Association of Caribbean States Allgemeine Erkärung der Menschenrechte Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Kon­ solidierte Fassung American Law Institute American Journal of Psychiatry American Convention on Human Rights Articles on the Responsibility of States for Wrongful Acts Association of Southeast Asian Nations Bayerisches Katastrophenschutzgesetz Bundesamt für Katastrophenschutz Bundesgesetzblatt Bruttoinlandsprodukt Brooklyn Journal of International Law Agreement among the Governments of the Participating States of the Black Sea Economic Cooperation California Western International Law Journal Consolidated Appeals Process Comité Andino para la Prevención y Atención de Desastres Caribbean Disaster Emergency Management Agency Caribbean Disaster Emergency Response Agency Convention on the Elimination of All Forms of Discrimina­ tion Against Women United Nations Central Emergency Response Fund Columbia Journal of Environmental Law Convention on the Rights of the Child Critical Reviews in Food Science and Nutrition



CRPD DAPPED Denv.J.Int’l   L.& Pol’y EADRCC EAPC ECOSOC EGMR EJIL EMRK Eng. Geol. ERC EuR EWG FAO FCCDA FCDA FEMA FIP Online Fn. GATT GG GMO GoJIL GVO HKLJ HRC Hum. Rts. Q. HuV-I IASC IBRK ICERD ICFST

Abkürzungsverzeichnis

19

Convention on the Rights of Persons with Disabilities Draft Articles on the Protection of Persons in the Event of Disasters Denver Journal of International Law and Policy Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre Euro-Atlantic Partnership Council Economic and Social Council Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Journal of International Law Europäische Menschenrechtskonvention Engineering Geology Emergency Response Centre Europarecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Food and Agricultural Organization Framework Convention on Civil Defence Assistance Federal Civil Defense Administration Federal Emergency Management Agency Freiburger Informationspapiere zum Völkerrecht und Öffent­ lichen Recht Fußnote General Agreement on Tariffs and Trade Grundgesetz Genetisch modifizierte Organismen Goettingen Journal of International Law Genetisch veränderte Organismen Hong Kong Law Journal Human Rights Committee Human Rights Quarterly Humanitäres Völkerrecht: Informationsschriften Inter-Agency Standing Committee Internationale Bewegung des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination International Convention for the Suppression of the Financ­ ing of Terrorism

ICLQ

International & Comparative Law Quarterly

ICVA

International Council for Voluntary Agencies

20

Abkürzungsverzeichnis

IDI

Institut de droit international

IDRL

International Disaster Relief Law

IFRK

Internationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes

IHR

Revision of the International Health Regulations

IJIEL

Indian Journal of International Economic Law

IKRK

Internationales Komitee des Roten Kreuzes und Roten Halb­ mondes

ILC

International Law Commission

ILO

International Labour Organization

ILSA Journal of Int’l ILSA Journal of International and Comparative Law   and Comp Law Int Hist Rev

International history review

IOM

International Organization for Migration

IPbpR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kultu­ relle Rechte

IPwskR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Recht

IRO

International Refugee Organization

IRU

International Relief Union

IStGH-Statut

Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes

i. V. m.

in Verbindung mit

IYHR

Israel Yearbook on Human Rights

japKatSG

Disaster Countermeasures Basic Act

J. Appl.   Soc. Psychol.

Journal of Applied Social Psychology

JCSL

Journal of Conflict and Security Law

J. Infect. Dis.

Journal of Infectious Diseases

J. Med. Ethics

Journal of Medical Ethics

J. Trauma. Stress

Journal of Traumatic Stress

JZ

Juristenzeitung

KatSG Berlin

Berliner Gesetz über die Gefahrenabwehr bei Katastrophen

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechts­ wissenschaft

LKatSG BW

Landeskatastrophenschutzgesetz Baden-Württemberg

LKatSG Gesetz über den Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein   Schleswig-Holstein Melb. J. Int. Law

Melbourne Journal of International Law

Mich. St. U. Coll.   L. J. Int’l L.

Michigan State University College of Law Journal of International Law.



Abkürzungsverzeichnis21

MPEPIL

Max Planck Encyclopedia of Public International Law

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NAFTA

North American Free Trade Agreement

Naval L. Rev.

Naval Law Review

Naval War Coll. Rev. Naval War College Review New York Univ.   J. Int’l L. & Pol.

NYU Journal of International Law and Politics

NILR

Netherlands International Law Review

N.Y.U.L.Rev.

NYU Law Review

OAS

Organization of American States

OMC

Open Method of Coordination

Oö. KatSchG

Landesgesetz, mit dem Bestimmungen über den Katastro­ phenschutz in Oberösterreich erlassen werden

Para.

Paragraph

Protocol I

Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 Au­ gust 1949, and relating to the Protection of Victims of Inter­ national Armed Conflicts

Protocol II

Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 Au­ gust 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts

Rdnr.

Randnummer

S.

Seite

SAARC

South Asian Association for Regional Cooperation

SC

Security Council

SCHR

Steering Committee for Humanitarian Response

SPDC

State and Peace Development Council

StGB

Strafgesetzbuch

SUA Convention

Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

TTN

Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften

UNCCD

Convention to Combat Desertification in Those Countries Experiencing Serious Drought and / or Desertification, par­ ticularly in Africa

UNCLOS

United Nations Convention on the Law of the Sea

UNDP

United Nations Development Programme

UNEP

United Nations Environmental Programme

UNFCCC

United Nations Framework Convention on Climate Change

UNFPA

United Nations Population Funds

UNHABITAT

United Nations Human Settlements Programme

22

UNHCHR UNHCR UNICEF UNITAR UNOCHA

Abkürzungsverzeichnis

United Nations High Commissioner for Human Rights United Nations High Commissioner for Refugee Rights United Nations International Children’s Emergency Fund United Nations Institute for Training and Research United Nations Organisation for the Coordination of Hu­ manitarian Affairs UNRRA United Nations Relief and Rehabilitation Administration UNRWA United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East USC The United States Code U. Tas. L. Rev. University of Tasmania Law Review Vand. J. Transnat’l L. Vanderbilt Journal of Transnational Law VCLT Vienna Convention on the Law of Treaties WFP World Food Programme WHO World Health Organization WMO World Meterological Organization WTO World Trade Organization ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völker­ recht ZSKG Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz ZuR Zeitschrift für Umweltrecht

Einführung I. Zunehmende Häufung von extremen Katastrophenfällen Große Katastrophen, die die tatsächlichen Notfallversorgungskapazitäten der betroffenen Länder überschreiten, gibt es seit jeher. Als Beispiel sei nur die pompejische Eruption des Vesuvs 79 v. Chr. genannt, die ca. 12.000– 15.000 Todesopfer forderte und damit nahezu die gesamte Bevölkerung Pompejis auslöschte.1 Erdbeben, Taifune, Überflutungen, Waldbrände, Epi­ demien und Hungersnöte ereigneten sich ebenfalls in vielen Epochen der Weltgeschichte. Insgesamt häufen sich aber gerade in den vergangenen 30  Jahren Katastrophen2 sowie das Ausmaß der mit ihnen verbundenen Schäden. Das zunehmende Risiko von Naturkatastrophen ist nicht nur ob­ jektiv nachweisbar, sondern wird auch subjektiv von nicht betroffenen Be­ völkerungen aufgrund der zunehmenden globalen Medienberichterstattung und damit einhergehenden Informationsverflechtung stärker als omnipräsent wahrgenommen. Als Katastrophen mit besonders schwerwiegenden Folgen3 sind hervorzuheben das Erdbeben auf Haiti 2010 (222.570 Tote)4, der Tsu­ nami in Südostasien 2004 (220.000 Tote), die Sturmflut in Bangladesch 1991 (139.000 Tote), Zyklon Nargis 2008 in Myanmar (138.300 Tote)5, das 1  Pompeji, Brockhaus Enzyklopädie Band  17 (20. Aufl. 1998); ILC, ‚Preliminary report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valen­ cia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5.  Mai 2008) UN Doc. A/CN.4/598, Rdnr.  14. 2  Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, ‚GeoRisikoForschung NatCatSER­ VICE: Studie Naturkatastrophen 2011‘ (Januar 2012) , 4 und 5. 3  Alle Zahlen soweit nicht anders angegeben aus Münchener RückversicherungsGesellschaft, ‚Bedeutende Naturkatastrophen 1980–2011, Die 10 tödlichsten Ereig­ nisse‘ (Stand Januar 2012) . 4  Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, ‚Bedeutende Naturkatastrophen 1980–2011, Die 10 tödlichsten Ereignisse‘ (Stand Januar 2012). 5  ,Ike, Gustav, Nargis & Co  – Katastrophenjahr 2008: 225 Milliarden Dollar Schäden‘ FAZ (18.  Dezember 2008) .

24

Einführung

Erdbeben in Kaschmir 2005 (88.000 Tote), das japanische Tohuku-Erdbeben 2011 (16.000 Tote)6, 2014 / 2015 die Ebola-Epidemie in Westafrika mit über 10.000 Toten7, das Erdbeben in Nepal 2015 (9.000 Tote)8, Hurrikan Katrina 2005 (1.300 Tote) sowie im Herbst 2012 Hurrikan Sandy an der US-ameri­ kanischen Ostküste mit 110 Toten.9 Nach Aussagen des Rückversicherers Munich RE war 2011 das Jahr mit den höchsten (finanziellen) Schäden aus Naturkatastrophen aller Zeiten.10 Im Jahr 2012 wurde allein der Schaden, den Hurrikan Sandy versursachte, auf ca. 20 Milliarden US-Dollar ge­ schätzt.11 Dass an der konstanten Zunahme von Naturkatastrophen keine Zweifel mehr bestehen, indizieren auch die hohen, stetig steigenden Rück­ stellungen von Unternehmen bei Rückversicherern. So verdoppelte sich 2011 die Summe der versicherten Schäden weltweit von ca. 49 Mrd. USDollar im Vorjahr auf ca. 105 Mrd. US-Dollar.12 Darüber hinaus wächst der Markt für Katastrophenanleihen.13 Neben den finanziellen Schäden sind es 6  Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, Naturkatastrophen-Bilanz 2011: Erdbeben führen zu den höchsten Schäden aller Zeiten, Presseinformation (4.  Janu­ ar 2012) . 7  ,Ebola in graphics: The toll of a tragedy‘ The Economist (2. April 2015) . 8  OCHA (Logistics Cluster), ‚Nepal Concept of Operations, 22 September 2015‘ (29.  September 2015) . 9  Centres for Disease Control and Prevention, Deaths Associated with Hurricane Sandy  – October–November 2012, 62 Morbidity and Mortality Weekly Report (24.  Mai 2013), 393. 10  Der gesamtwirtschaftliche Schaden belief sich auf 380 Mrd. US-Dollar welt­ weit; zudem kamen bei den insgesamt 820 schadensrelevanten wetterbedingten und geophysikalischen Ereignissen insgesamt 27.000 Menschen ums Leben, Münche­ner Rückversicherungs-Gesellschaft, ibid. Zu beachten ist allerdings, dass der Anstieg der Schadenssummen insbesondere in den Industrienationen auch auf den steigenden Wert der Wirtschaftsgüter zurückzuführen ist, siehe hierzu Münchener Rückversiche­ rungs-Gesellschaft, ‚Topics Geo – Natural catastrophes 2012: Analyses, assessments, positions, 2013 issues‘, , 56–59. 11  ,Sandy’s Aftermath: Damage Estimates Top $20 Billion, Among The Worst U.S. Storms Of All Time‘ Forbes (30.  Oktober 2012) . 12  Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, ‚Studie Naturkatastrophen welt­ weit 1980 bis 2011. Gesamtschäden und versicherte Schäden mit Trend, Stand Ja­ nuar 2012‘, . 13  Die sogenannten Cat(astrophe)-Bonds sind von makroökonomischen Entwick­ lungen weitgehend unabhängig, allerdings kann es zu massiven Verlusten kommen,



Einführung25

aber vor allem die Auswirkungen auf den Entwicklungsstand der von der Katastrophe betroffenen Länder, die nicht nur Strategien zur Katastrophen­ vermeidung, sondern schnelle, zuverlässige und kompetente Katastrophen­ hilfe durch die Staatengemeinschaft, Intergouvernementale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen erfordern.

II. Die potentiellen Verantwortlichen im Katastrophenfall Katastrophen können vom betroffenen Staat oft nicht ohne fremde Hilfe bewältigt werden. Dies ist ein Grund, für eine völkerrechtliche Hilfeleis­ tungspflicht der Staatengemeinschaft zu argumentieren. Diesen Gedanken statuierte bereits 1758 der Schweizer Diplomat und Jurist Emer de Vattel in einem viel zitierten14 Passus: „Every nation is on occasion to labour for the preservation of others, and for securing them from destruction and ruin as far as it can, without exposing itself too much.“15 Weiter heißt es „Whatever be the calamity with which a nation is afflicted, the like assistance is due to it.“16 Es handele sich um „common offices of those duties of humanity to which nations are reciprocally bound one to another.“17 wenn die verbrieften Naturrisiken eintreten. Cat-Bonds werden zum einen für Inves­ toren als Alternative zu Rückversicherungen immer beliebter. Sie emittieren solche Anleihen, um z. B. Hurrikan- und Sturmrisiken an den Kapitalmarkt zu transferieren, siehe Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, Munich Re transferiert Hurrikanund Sturmrisiken an dem Kapitalmarkt, Pressemitteilung (31. Oktober 2011), . Doch auch die Rückversicherer erhalten durch solche Anleihen die Möglichkeit, ihr Regulierungsrisiko bei Eintritt der in den Cat-Bonds verbrieften Naturkatastrophen auf den Finanzmarkt abzuwälzen, ‚Risikoscheue Anleger entde­ cken Cat-Bonds‘ Cash Wirtschafts- und Finanzinfo (3.  Februar 2011) . 14  Siehe nur Focarelli, Duty to Protect in Cases of Natural Disasters, MPEPIL (2010) Rdnr.  1; ILC, ‚Preliminary report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5. Mai 2008) UN Doc. A/CN.4/598, Rdnr.  14. 15  Vattel, The law of nations: or, Principles of the law of nature; applied to the conduct and affairs of nations and sovereigns: A work tending to display the true interest of power (First American edition, corrected and revised from the latest Lon­ don edition) (1796), Buch  II, Kapitel  I, § 4. 16  Vattel, The law of nations: or, Principles of the law of nature; applied to the conduct and affairs of nations and sovereigns: A work tending to display the true interest of power (First American edition, corrected and revised from the latest Lon­ don edition) (1796), Buch  II, Kapitel  I, § 5. 17  Vattel, The law of nations: or, Principles of the law of nature; applied to the conduct and affairs of nations and sovereigns: A work tending to display the true interest of power (First American edition, corrected and revised from the latest Lon­ don edition) (1796), Buch  II, Kapitel  I, § 2.

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Einführung

Tatsächlich entspricht das Verhalten der Staatengemeinschaft nicht immer dem Idealbild der großzügigen gegenseitigen Hilfeleistung. Dies verdeut­ licht das Beispiel der Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 und 2015, als sich die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Vereinten Nationen, zu spät und zu zurückhaltend in die Bekämpfung der Krankheit einschaltete.18 Nicht selten unterliegt die Bereitschaft zur Hilfeleistung auch politischen Erwägungen, wie ein Vergleich des Erdbebens auf Haiti 2011 mit den mon­ sunbedingten Überschwemmungen des Indus in Pakistan 2011 zeigt. Das Erdbeben forderte 222.570 Tote, während in Pakistan 2.000 Todesfälle verzeichnet wurden, landesweit aber 20 Mio. Menschen direkt betroffen waren.19 Dennoch wurden in den ersten fünf Wochen nach dem Erdbeben $  750  Mio. Spenden gesammelt, für Pakistan lediglich $  25  Mio.20 Demgegenüber gibt es auch Situationen, in denen die Staatengemeinschaft zur Hilfe bereit ist, der von der Katastrophe betroffene Staat sich aber wei­ gert, Hilfe anzunehmen. Mögliche Gründe für die Verweigerung von Hilfe sind z. B. auch die Angst vor Spionage durch Fremde sowie missbräuch­ liches oder nicht fachgerechtes Verhalten von Hilfsorganisationen. So impf­ te eine unbekannte Nichtregierungsorganisation während der TsunamiHilfsmaßnahmen in Banda Aceh 2004 Kinder, ohne dies zu dokumentieren und ohne kenntlich zu machen, welches Kind bereits geimpft worden war.21 Viele Nichtregierungsorganisationen hielten standardisierte Verfahren nicht ein und christliche Hilfsorganisationen versuchten, die muslimische Bevöl­ kerung zu christianisieren.22 Eine weitere Motivation für die Verweigerung von fremder Hilfe kann die Angst des betroffenen Staates sein, dass die Helfer anlässlich der Katastrophe generelle Missstände aufdecken, z. B. systematische Menschenrechtsverletzungen, nicht ausreichend entwickelte 18  Global health agencies were too slow in responding to the Ebola crisis, Vox Media (14.  Mai 2015), . 19  OCHA, Pakistan: UN launches response to help millions affected by monsoon floods (13.  September 2011) . 20  ,The Special Pain of a Slow Disaster‘ The New York Times (10.  November 2010) . 21  Bannon/Fisher, Legal Lessons in Disaster Relief from the Tsunami, the Pakistan Earthquake and Hurricane Katrina (ASIL Insights Vol. 10, Ausgabe 6, 2006) unter Verweis auf Macan-Markar, Tsunami Impact: NGOs Can Add to Disasters, Inter Press Service (5.  Oktober 2005) . 22  Bannon/Fisher, Legal Lessons in Disaster Relief from the Tsunami, the Pakistan Earthquake and Hurricane Katrina; ‚Religious aid groups try to convert victims‘ The Guardian (16.  Januar 2005) .



Einführung

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Infrastruktur, mangelnde Trinkwasserversorgung, schlechte Hygienezustände oder grundsätzlich fehlende medizinische Versorgung. Die Staatengemein­ schaft kann hier oft nur Vermutungen für die ablehnende Haltung des be­ troffenen Staates anstellen. Es zeigt sich danach, dass die Zunahme von Katastrophen das Völker­ recht vor neue Herausforderungen stellt und die Forderung de Vattels zur gegenseitigen Katastrophenhilfe auf ihre Anwendbarkeit im 21. Jahrhundert hin überprüft werden muss.

III. Fehlende Leitlinien in der internationalen Katastrophenhilfe Im Jahr 2014 wurden weltweit 21 ‚totale‘ Kriege, 25 partielle Kriege (limited wars) sowie 223 sonstige gewaltsame Konflikte ausgetragen.23 Die Bedeutung von humanitärer Hilfe im Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts ist damit ungebrochen. Die rechtlichen Aspekte humanitärer Hilfe in (internationalen) bewaffneten Konflikten sind durch das Genfer und Haager Recht auch extensiv normiert. Zu nennen ist hier beispielsweise Art. 38 der IV. Genfer Konvention,24 wonach zu gewährleisten ist, dass die geschützten Personen Einzel- und Sammelhilfesendungen erhalten und zu­ gestellt bekommen. Nach Art. 70 Abs. 2 des 1. Zusatzprotokolls zu den Rotkreuzabkommen25 müssen die am Konflikt beteiligten Parteien sowie alle Vertragsparteien den schnellen und ungehinderten Durchlass von Hilfs­ sendungen, -ausrüstung und -personal genehmigen und erleichtern, auch wenn die Hilfe für die Zivilbevölkerung der gegnerischen Partei bestimmt ist. Auch im Bereich der Flüchtlingshilfe, einem anderen Anwendungsgebiet humanitärer Hilfe, wurde bereits am 28. Juli 1951 das Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen verabschiedet26 und 1967 um ein Zusatz­ protokoll ergänzt.27 23  Heidelberg Institute for International Conflict Research, ‚Conflict Barometer 2014: Disputes, non-violent crises, violent crises, limited wars, wars‘ (2015) , 15 f. 24  1949 Geneva Convention (IV) Relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, v. 12.  August 1949 (in Kraft getreten am 21.  Oktober 1950), 75 UNTS 287. 25  Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and rela­ ting to the Protection of Victims of International Armed Conflicts (Protocol I), v. 8.  Juni 1977 (in Kraft getreten am 7.  Dezember 1978), 1125 UNTS 3. 26  Convention Relating to the Status of Refugees (1951 Refugee Convention), v. 28.  Juli 1951 (in Kraft getreten am 22. April 1954), 189 UNTS 150. 27  Protocol Relating to the Status of Refugees, v. 31.  Januar 1967 (in Kraft ge­ treten am 4.  Oktober 1967), 606 UNTS 267.

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Einführung

Betrachtet man demgegenüber die Entwicklung der durch Naturkatastro­ phen generierten Opferzahlen und Schadenssummen sowie die ungebrochen starke Hilfsbedürftigkeit von den besonders katastrophenanfälligen Entwick­ lungsländern, so zeigt sich, dass die Bedeutung von humanitärer Hilfe in Friedenszeiten in den kommenden Jahren möglicherweise die der notwendi­ gen humanitären Hilfe in bewaffneten Konflikte übersteigen wird. Auf völkerrechtlicher Ebene ist bislang aber ungeklärt, welche Verhaltenspflich­ ten im Katastrophenfall verbindlich sind. Der Bereich der internationalen Katastrophenhilfe ist stark fragmentiert und lässt noch keine Systematik hinsichtlich der vorhandenen Regelungsdichte erkennen.28 Es existieren zwar ca. 150 bilaterale Verträge, Memoranda of Understanding sowie sons­ tige Regelungsinstrumente, die Teilbereiche der internationalen Katastro­ phenhilfe ansprechen.29 Universell gültige Verträge sowie institutionalisierte Verfahren fehlen aber. Die existierenden Verträge sind allesamt bereichsspe­ zifisch ausgestaltet. Hier ist zunächst die Framework Convention on Civil Defence Assistance zu nennen, die sich mit der Kooperation von nationalen Einheiten zum Bevölkerungsschutz auseinandersetzt.30 Hervorzuheben ist auch die Tampere Convention on the Provision of Telecommunication Re­ sources for Disaster Mitigation and Relief Operations von 1998, welche die Koordination von jeglichen Telekommunikationsvorgängen während des Katastrophenfalles regelt.31 Beide Verträge weisen indes keine rege Beteili­ gung auf und werden im Katastrophenfall nur rudimentär beachtet und in­ effektiv umgesetzt.32 Schließlich gibt es auch bereichsspezifische Abkom­ 28  Matz-Lück, Solidarität, Souveränität und Völkerrecht: Grundzüge einer interna­ tionalen Solidargemeinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen, in: Hestermeyer/Kö­ nig/Matz-Lück/Röben/Seibert-Fohr/Stoll/Vöneky (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity  – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, Bd. I (2012), 153. 29  Koroma, Solidarity, Evidence of an Emerging International Legal Principle, in: Hestermeyer/König/Matz-Lück/Röben/Seibert-Fohr/Stoll/Vöneky (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, Bd. I (2012), 124. 30  Framework Convention on Civil Defence Assistance (FCCDA), v. 22.  Mai 2000, 2172 UNTS 231. 31  Tampere Convention on the Provision of Telecommunication Resources for Disaster Mitigation and Relief Operations (Tampere Convention), v. 18.  Juni 1998 (in Kraft getreten am 8.  Januar 2005), 2296 UNTS 5. 32  Die FCCDA wurde nur von 9 Staaten ratifiziert (Ägypten, Benin, Jordanien, Libyen, Marokko, Senegal, Tunesien, Ukraine, Vereinigte Arabische Emirate) und lediglich fünf weitere Staaten (Mali, Mongolei, Russland, Sudan und Syrien) sind beigetreten. Die Tampere Convention ist von 48 Staaten ratifiziert (aktueller Ratifika­ tionsstand abrufbar unter Tampere Convention on the Provision of Telecommunica­ tion Resources for Disaster Mitigation and Relief Operations – Treaty Status, ); zuletzt kam am 3.  September 2014 Albanien dazu. Deutschland, Russland und USA haben die Tampere Convention nicht ratifiziert.



Einführung

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men zur Katastrophenvorsorge und -information, wie z. B. für den Bereich der nuklearen Unfälle33, sowie Vorsorgeübereinkommen auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes.34 Daneben existieren zahlreiche bilaterale Abkom­ men auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe.35 Insgesamt dominieren aber sogenannte soft law Instrumente wie Resolutionen und Konferenzbeschlüsse von Internationalen Organisationen. Auch Nichtregierungsorganisationen und Juristenvereinigungen haben eine Vielzahl von Richtlinien und Verhal­ tenskodizes erarbeitet, die in vielen Bereichen der internationalen Katastro­ phenhilfe wegweisend sind. Die Völkerrechtswissenschaft hat erst in den vergangenen Jahren das zunehmende Bedürfnis nach Harmonisierung und Strukturierung der inter­ nationalen Katastrophenhilfe erkannt und sich der Materie sowie der vertief­ ten Aus­einandersetzung mit der Rolle des Völkerrechts in der Katastrophen­ hilfe angenommen.36 Mittlerweile wird von manchen Autoren bereits von einem eigenständigen Teilbereich des Völkerrechts gesprochen, der als Ka­ tastrophenhilfevölkerrecht (International Disaster Response Law oder auch International Disaster Relief Law  – IDRL37) bezeichnet wird.38 Die vorlie­ 33  Convention on Early Notification of Nuclear Accidents (Notification Conven­ tion), v. 26.  September 1986 (in Kraft getreten am 27.  Oktober 1986), 1439 UNTS 275; Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, v. 26.  September 1986 (in Kraft getreten am 26.  Februar 1987), 1457 UNTS 134. 34  Z. B. die International Convention Relating to Intervention on the High Seas in Cases of Oil Pollution Casualties, v. 29.  November 1969 (in Kraft getreten am 6.  Mai 1975), 970 UNTS 211. 35  Die Bundesrepublik Deutschland hat beispielsweise mit 12 Staaten Abkommen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen abgeschlossen. Hier zählen neben den direkten Anrainerstaaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxembourg, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz und der Tschechischen Republik auch Li­ tauen, Ungarn und die Russische Föderation. Vgl. hierzu IFRK, ‚Case Study Report Summary Germany‘ (2003) sowie Deutscher Feuerwehr Verband, ‚Bilate­ rale Katastrophenhilfeleistungsabkommen, Einführung und Übersicht‘ (28.  Oktober 2008) . 36  Vgl. jüngst nur die Sammelbände de Guttry/Gestri/Venturini (Hrsg.), Interna­ tional Disaster Response Law (2012); Caron/Kelly/Telesetsky (Hrsg.), The Interna­ tional Law of Disaster Relief (2014) und Zwitter/Lamont/Heintze/Herman (Hrsg.), Humanitarian Action  – Global, Regional and Domestic Legal Responses (2014). 37  Die Abkürzung ‚IDRL‘ wird zudem von der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes (IFRK) als Bezeichnung für das Internation­ al Disaster Reponse Laws, Rules and Principles (IDRL) Programme verwendet. Es wurde 2001 vom Rat der Delegierten des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes in einer Resolution ins Leben gerufen „to explore the role of law in the response to disasters, particularly international disaster relief,“ siehe IFRK, Background on the

30

Einführung

gende Arbeit möchte einen Beitrag zur Systematisierung und Vereinheit­ lichung der internationalen Katastrophenhilfe auf der Grundlage der aufge­ führten Regelungsinstrumente, aber auch der de facto angewendeten Verhal­ tensmaßstäbe leisten. Ziel ist es, herauszuarbeiten, ob und in welchem Umfang sich bereits völkergewohnheitsrechtliche Verhaltensvorgaben zum zwischenstaatlichen Umgang mit Katastrophen etabliert haben. Ausgangs­ situation ist die Feststellung, dass sich der Katastrophenschutz auf völker­ rechtlicher Ebene im Spannungsfeld zwischen staatlicher Souveränität, dem Interventionsverbot und dem Schutz der Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung bewegt. Dabei werden auch viele Probleme des Allgemeinen Völkerrechts angesprochen, z. B. hinsichtlich Fragen der inneren Sicherheit, Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit und der Bedeutung von Koope­ ration und Solidarität in der internationalen Gemeinschaft sowohl auf zwi­ schenstaatlicher Ebene, aber auch im Beziehungsgeflecht internationaler programme, sowie Rat der Delegierten des Roten Kreuzes und Roten Halb­ mondes, Resolution 5: International Disaster Response Law, v.  November 2001. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff ausschließlich als Bezeichnung für alle Gesetze, Leitlinien, Regularien und Rechtssätze, die sich mit internationaler Kata­ strophenhilfe auseinandersetzen, verwendet. Simultan wird der Begriff des Katastro­ phenhilfevölkerrechts herangezogen. 38  Troppmann, Auf dem Weg zu einem Recht der Internationalen Katastrophen­ hilfe  – die Regelungsvorschläge der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, HuV-I (1/2008), 17 (18); die Entwicklung eines eigenständigen Teilbereichs „Internationa­ les Katastrophenschutzrecht“ ablehnend Matz-Lück, Solidarität, Souveränität und Völkerrecht: Grundzüge einer internationalen Solidargemeinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen (2012), 150 und Pronto, Consideration of the Protection of Per­ sons in the Event of Disasters by the International Law Commission, 15 ILSA Journal of Int’l and Comp Law (2008–2009), 449 (454) sowie Clement, International Disaster Response Laws, Rules, and Principles: A Pragmatic Approach to Strengthe­ ning International Disaster Response Mechanisms, in: Caron/Kelly/Telesetsky (Hrsg.), The International Law of Disaster Relief (2014), 5.  Kapitel, Rdnr.  67, der den Bereich der internationalen Katastrophenhilfe einer „internationalen Moral“ zu­ ordnen möchte. Die Verwendung des Begriffes ‚Katastrophenhilfevölkerrecht‘ er­ scheint insofern begrüßenswert, als damit die wachsende Bedeutung der internatio­ nalen Katastrophenhilfe in den internationalen Beziehungen als Themenbereich in­ nerhalb des Besonderen Teils des Völkerrechts zum Ausdruck gebracht wird  – etwa in Abgrenzung zum Umweltrecht oder Flüchtlingsrecht. Zu beachten ist dabei aber, dass die Einordnung als neues Rechtsgebiet entscheidend davon abhängt, in wel­ chem Ausmaß man bereits von etablierten Rechtsnormen, Grundsätzen und Leitlini­ en sprechen kann. Dies ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Die Bezeichnung ‚Katastrophenhilfevölkerrecht‘ bzw. ‚IDRL‘ soll daher im Verlauf der vorliegenden Arbeit nur als Sammelbegriff für alle Regelungen und Dokumente verwendet wer­ den, die sich mit der internationalen Katastrophenhilfe auseinandersetzen. Ob sich ein eigenständiges Rechtsgebiet, d. h. ein Bereich mit von anerkannten völkerrecht­ lichen Grundsätzen abweichenden oder diese ergänzenden Regelungen, bereits eta­ bliert hat, wird in der abschließenden Gesamtbetrachtung resümiert.



Einführung31

Organisationen. Vor diesem Hintergrund steht zum einen die Betrachtung der Verhaltenspflichten des von einer Katastrophe betroffenen Staates im Katastrophenfall im Zentrum der Untersuchung, zum anderen die Untersu­ chung möglicher Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft im Katastro­ phenfall, d. h. vor allem nicht betroffener Staaten, aber auch internationaler Organisationen. Zum besseren Verständnis der aktuellen Stimmungslage in internationalen Beziehungen werden im ersten Teil  die dogmatischen Grundlagen für eine Beschäftigung mit internationaler Katastrophenhilfe herausgearbeitet. Zu­ nächst wird in einem kursorischen Überblick die Entwicklung der nationa­ len, aber auch zwischenstaatlichen Katastrophenhilfe von der Antike über das Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert, unter besonderer Berücksichtigung der Bestrebungen der Vereinen Nationen auf diesem Gebiet, dargestellt und analysiert, weshalb dem Bereich aktuell vermehrte Aufmerksamkeit zu­ kommt (1.  Teil, A.). Im Anschluss wird der Anwendungsbereich der inter­ nationalen Katastrophenhilfe ratione materiae und ratione temporis heraus­ gearbeitet (1.  Teil, B.). Das 3. Kapitel (1. Teil, C.) legt dar, welche Rechts­ quellen und sonstigen Instrumente zur Ermittlung des aktuellen Acquis eines ‚Katastrophenhilfevölkerrechts‘ herangezogen werden müssen. Der zweite Teil der Arbeit untersucht die Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall, der dritte Teil  setzt sich mit der Rolle nicht betroffener Staaten und internationaler Organisationen auseinander. Vor dem Hinter­ grund der im zweiten und dritten Teil  herausgearbeiteten Grundsätze wird im abschließenden vierten Teil  der derzeitige Status quo der Kodifikations­ bemühungen durch die International Law Commission (ILC) und die Inter­ nationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes (IFRK) analysiert. Als Ergebnis der Arbeit steht die zusammenfassende Darstellung eines Kerns an  – insbesondere menschenrechtlich vorgeprägten  – Verhal­ tenspflichten der betroffenen Staaten im Katastrophenfall gegenüber der eigenen Bevölkerung, die von Kooperationspflichten gegenüber der Staaten­ gemeinschaft, aber auch Mitwirkungspflichten der Staatengemeinschaft selbst flankiert werden.

Erster Teil

Internationaler Katastrophenschutz und die Entwicklung eines neuen Teilbereichs des besonderen Völkerrechts A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts I. Historische Entwicklung des Umgangs mit Katastrophenfällen1 Unglücksfälle und Naturkatastrophen ereigneten sich in allen Epochen der Menschheit.2 Sie stellen die betroffenen Staaten seit jeher vor die gro­ ße Herausforderung, Resilienz im Umgang mit ihren Folgen zu entwickeln. 1. Antike Historische Aufzeichnungen belegen, dass der Ausbruch des Vesuvs 79 v. Chr. nicht die einzige antike Großkatastrophe war. Es waren vor allem Erdbeben wie in Sparta 464 v. Chr. (ca. 20.000 Todesopfer), auf der Insel Kos 412 / 11 v. Chr., in Antiochia 65 v. Chr. (ca. 170.000 Todesopfer), in Ju­ däa 31 v. Chr. (ca. 30.000 Todesopfer), in Kampanien 62 n. Chr. sowie be­ sonders zahlreich im römischen Umland, den hellenischen Provinzen und in Kleinasien, womit sich die Bevölkerung regelmäßig konfrontiert sah.3 Natur­ 1  Der Begriff der Katastrophe wird in diesem ersten einführenden Kapitel (A.) untechnisch für solche Katastrophen verwendet, die hohe humanitäre Verluste oder wirtschaftliche Schäden nach sich zogen. 2  Einen Überblick über bedeutende Katastrophen sowie den Umgang der Menschheit mit Katastrophen in Geschichte und Gegenwart, insbesondere aus kul­ turhistorischer Sicht, bietet Schenk (Hrsg.), Katastrophen: Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel (2009). Vgl. zu Katastrophen im Bronzezeitalter Peiser (Hrsg.), Natural catastrophes during Bronze Age civilisations (1998). 3  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), ‚59, 135 f., 155. Die starke Verbreitung von Erdbeben im Mittelmeer­ raum beruht auf der seismischen Aktivität des alpidischen Gebirges sowie der Sub­ duktion der afrikanischen unter die eurasische Platte am Südrand des Mittelmeerrau­ mes, Sauerwein, Erdbeben im Mittelmeergebiet als Folge plattentektonischer Vorgänge, in: Olshausen/Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastrophen in der antiken Welt.



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 33

katastrophen hatten auf das Leben in der Antike einen massiven Einfluss. Sie wurden von der archaischen Zeit bis in die Spätantike seitens der Bevölke­ rung in erster Linie religiös und nicht wissenschaftlich gedeutet.4 Gelehrte führten den Glauben an die Götter daher auch auf die Erfahrung von Natur­ katastrophen zurück.5 Aus Angst vor katastrophalen Ereignissen suchten die Menschen Zuflucht bei den Göttern.6 Naturkatastrophen stellten aus der Sicht der Bevölkerung aber zugleich eine Art göttliche Strafe, zumeist für ein Fehlverhalten der Herrscher, oder ein Vorzeichen für weitere Katastro­ phen dar.7 Sie sollten durch Sühne in Form von rituellen Opfergaben und die dadurch bezweckte Besänftigung der Götter verhindert werden. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 6, 1996 (Geogra­ phica Historica Bd. 10) (1998), 139. 4  von Bredow, Die mythischen Bilder der Naturkatastrophen, in: Olshausen/ Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastrophen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 6, 1996 (Geographica Historica Bd. 10) (1998), 168. Allerdings untersuchten insbesondere griechische Gelehrte wie Thakes, Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Metrodoros, Poseidonios, Pherekydes und, erläuternd, Aristoteles, bereits ab ca. 600 v. Chr. naturwissenschaftliche, v. a. geophy­ sikalische Ursachen für Erdbeben, von Bredow, Die mythischen Bilder der Naturka­ tastrophen (1998), 166; im Sammelband von Olshausen und Sonnabend ebenso Barceló, Die Darstellung von Naturkatastrophen in der spätantiken Literatur, in: Olshausen/Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastrophen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 6, 1996 (Geographica His­ torica Bd. 10) (1998), 99; Meißner, Naturkatastrophen und zwischenstaatliche Soli­ darität im klassischen und hellenistischen Griechenland, in: Olshausen/Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastrophen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Histori­ schen Geographie des Altertums 6, 1996 (Geographica Historica Bd. 10) (1998), 247; Bianchetti, Der Ausbruch des Ätna und die Erklärungsversuche der Antike in: Olshausen/Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastrophen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 6, 1996 (Geographica His­ torica Bd. 10) (1998), 124 ff. Walter wehrt sich gegen eine „Infantilisierung“ alter Gesellschaften dahingehend, dass sie auf den irrationalen Umgang mit Katastrophen beschränkt werden. Er stellt die These auf, „dass religiöse und symbolische Erklä­ rungsschemata global und langlebig sind und dass ihr Wirkungsfeld weit über das Zeitalter der sogenannten Aufklärung hinausreicht.“ Auch Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert (2010), 12. Er untermauert seine These damit, dass „rationale und religiöse Lesarten (…) vom 16. bis zum 20. Jahrhundert nebeneinander [bestehen], ohne dass man sie zwangsläufig als ge­ gensätzlich aufgefasst hätte“, ibid. 5  Siehe dazu Cicero, De divinatione, Liber I, Rdnr.  97 ff., 112, 118, 124, 127. Vgl. Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 120 ff. 6  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 120 ff. 7  Barceló, Die Darstellung von Naturkatastrophen in der spätantiken Literatur (1998), 100, mit vielen Nachweisen zu den antiken Originalquellen; Sonnabend, Na­ turkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung – Deutung – Wirkung (1999), 139, 148.

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

a) Griechenland In der klassischen Polis-Zeit im Griechenland des 5. und 4. Jh. v. Chr. sind kaum Beispiele für ein die Grenzen der jeweils betroffenen Polis über­ schreitendes koordiniertes Vorgehen zur Katastrophenhilfe dokumentiert.8 Die Stadtstaaten leisteten sich keine gegenseitige Katastrophenhilfe und erkannten auch keine Verpflichtung hierzu an.9 Dies lässt sich darauf zu­ rückführen, dass Griechenland zu dieser Zeit in ca. 700 kleine autonome Gemeinden unterteilt war.10 Solidaritätsgedanken gegenüber von einer Ka­ tastrophe betroffenen fremden Gemeinden kamen aufgrund eines ausgepräg­ ten Autonomieverständnisses sowie der Fokussierung auf Partikularinteres­ sen jeder einzelnen Polis nicht auf.11 Der Autonomiegedanke erfasste dabei einerseits die Freiheit, selbst mit Katastrophen umgehen zu müssen, aber andererseits auch die Gewissheit, niemandem (im Gegenzug) zu Hilfe oder Dankbarkeit verpflichtet zu sein.12 Auch die Mitgliedschaft in einem politi­ schen Bund verpflichtete die Bündnispartner nicht zur gegenseitigen Hilfe.13 Im hellenistischen Griechenland14 kam es hingegen zu zahlreichen Fällen von erster ‚internationaler‘ Katastrophenhilfe. Die Bedeutung der Polis und 8  Als die Stadt Helike 373 v. Chr. von einem Erd- und Seebeben vernichtet wur­ de, eilten zwar 2.000 wohl vom Achaiischen Bund, einem Zusammenschluss ver­ schiedener Städte um Helike, entsandte Helfer herbei. Menschenleben konnten aber keine mehr gerettet werden. Auch auf einen Wiederaufbau der Stadt wurde verzich­ tet, stattdessen teilte der Achaiische Bund das Territorium von Helike unter den Mitgliedsstädten des Bundes auf, Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wirkung (1999), 191 f. 9  Meißner, Naturkatastrophen und zwischenstaatliche Solidarität im klassischen und hellenistischen Griechenland (1998), 243. 10  von Ungern-Sternberg, Griechische Studien. Beiträge zur Altertumskunde (Band 266) (2009), 4. 11  Vgl. zum Begriff der Autonomie und seiner Bedeutung im antiken Griechenland Siewert, Föderalismus in der griechischen Welt bis 338 v. Chr., in: Aigner-Foresti/ Siewert (Hrsg.), Föderalismus in der griechischen und römischen Antike (2005), 21. 12  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 192 ff.; von Ungern-Sternberg, Griechische Studien. Beiträge zur Al­ tertumskunde (Band 266) (2009), 143 f. 13  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 193. 14  Mit dem Begriff des Hellenismus wird die Zeit ab der Eroberung Griechen­ lands durch Philipp II. von Makedonien in der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. bis ca. 30 v. Chr., als das römische Reich sich Ägypten und damit die letzte makedoni­ sche Großdynastie einverleibte, bezeichnet. Es existierten keine autonomen Stadt­ staaten mehr, sondern drei Großreiche  – Makedonien, Syrien und Ägypten  – sowie eine Reihe kleinerer Reiche. Lotze, Griechische Geschichte: Von den Anfängen bis zum Hellenismus (8. Aufl. 2010), 93; Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wirkung (1999), 199.



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des Autonomiedenkens hatte abgenommen und die bestehenden Reiche wur­ den monarchisch organisiert. Die Denkschule des Kosmopolitanismus15 pro­ pagierte laut Walter Toleranz gegenüber Fremden und eine humanitäre Grundhaltung auch im Krieg.16 Daneben begann ein langsamer Prozess der Säkularisierung, Erdbeben wurden „entsakralisiert und verloren ihre Bedeu­ tung als Scheu einfordernde, warnende göttliche Zeichen.“17 Ereigneten sich in anderen Reichen oder Reichsteilen Katastrophen, so halfen sich die Re­ genten und deren Administration untereinander. ‚Internationale‘ Katastro­ phenhilfe für andere Provinzen war für die Herrscher eine Methode, sich Prestige und Anerkennung zu sichern und ihre finanziellen Kapazitäten au­ ßenwirksam zu demonstrieren. Beim Erdbeben von Rhodos 227 v. Chr., bei dem der Koloss von Rhodos, die Helios-Statue, zerstört wurde, wurden Geldund Sachspenden – etwa in Form von Schiffen, Holzbalken oder Eisen – aus vielen Teilen des hellenischen Gebietes überbracht; besonders hilfsbereit wa­ ren die Herrscher von Syrakus, Ägypten, Makedonien und Syrien.18 Finan­ zielle Mittel als Form der zwischen-königstümlichen Katastrophenhilfe zu Zwecken des Wiederaufbaus wurden auch bei weiteren Erdbeben bereitwillig zur Verfügung gestellt, zum Beispiel beim Erdbeben von Kytenion 227 und / oder 224 v. Chr.19 Auch Privatpersonen leisteten individuell, wenn auch nicht organisiert, gegenüber betroffenen Bevölkerungsteilen medizinische und praktische Katastrophenhilfe.20 Ob sich die Monarchen und Privatperso­ 15  Siehe hierzu Nida-Rümelin, Zur Philosophie des Kosmopolitismus, 13 Zeitschrift für Internationale Beziehungen (2006), 231, der den Kosmopolitismus als „Spektrum von philosophischen, politikwissenschaftlichen, politischen und weltan­ schaulichen Positionen“ bezeichnet. Müller versteht unter Kosmopolitismus „eine Vorstellung, die prinzipiell (mit naturrechtlicher Begründung) oder historisch (unter Hinweis auf die durch die Globalisierung entstandene Vernetzung der Menschheit) eine globale Vergemeinschaftung unterstellt, die als Grundlage für ein minimales, durchsetzungsfähiges Weltbürgerrecht (…) oder gar für ausdifferenzierte, weltrechts­ gestützte Formen verbindlichen und sanktionsfähigen Regierens mit allgemeiner Teil- habe (…) tauge“, Müller, Liberaler Kosmopolitismus: Eine partikularistische Emanation mit Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen, 13 Zeitschrift für Internationale Beziehungen (2006), 239. 16  Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert (2010), 43. 17  Meißner, Naturkatastrophen und zwischenstaatliche Solidarität im klassischen und hellenistischen Griechenland (1998), 247, 249. 18  Polybios, Historíai 5, 88–90. Vgl. hierzu auch Winter, Strukturelle Mechanis­ men kaiserlicher Hilfsmaßnahmen, in: Olshausen/Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastro­ phen in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 6, 1996 (Geographica Historica Bd. 10) (1998), 147. 19  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 204. 20  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 207.

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

nen zur Katastrophenhilfe verpflichtet fühlten, ist jedoch nicht belegt. Es ist naheliegend, dass die gegenseitige Hilfe durch ideologische Faktoren oder zumindest Zweckmäßigkeitserwägungen  – auch unter Berücksichtigung der künftig zu erwartenden Bedeutung des hilfsbedürftigen Gebietes für die Hil­ feleistenden – bedingt wurde.21 Allenfalls kann man von einer politisch-mo­ ralischen ‚Hilfsobliegenheit‘ sprechen, da sich in den Quellen zumindest kei­ ne Nachweise darüber finden, dass es bei unterlassener Hilfeleistung zu Sanktionen kam bzw. die Erbringung von Hilfe zwangsweise eingefordert wurde. Weitere Gründe für eine solche Hilfsobliegenheit konnten das Beste­ hen von Verwandtschaftsbeziehungen eines Herrschers zu betroffenen Regio­ nen sein oder das Vorliegen einer wechselseitigen Verbundenheit aus Dank­ barkeit, wenn ein Herrscher selbst bereits einmal Hilfe von einer Region er­ halten hatte, die nun ihrerseits um seine Hilfe bat.22 b) Rom Für die Zeit der römischen Republik23 finden sich, ebenso wie für die Polis-Zeit Griechenlands, keine Belege für gegenseitige Katastrophenhilfe im Verhältnis zu anderen Regionen.24 Zwar sind die entsprechenden Lücken in den Quellen kein Beweis dafür, dass es tatsächlich an strukturierten Aufbau-Maßnahmen fehlte. Allerdings sind Art und Ausmaß vieler Naturka­ tastrophen detailliert überliefert, so dass dem Fehlen entsprechender Aus­ führungen zum strukturierten Umgang mit Katastrophen eine Indizwirkung zugewiesen werden kann.25 21  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 208 f. Allerdings berichtet Polybios, dass die Rhodier durch das ge­ schickte Vorbringen von Anfragen nach Wiederaufbauhilfe gegenüber potentiellen Geldgebern eine starke Betroffenheit hervorriefen, so dass diese sich womöglich zur Hilfeleistung verpflichtet fühlten; Polybios, Historíai 5, 88–90; Winter, Strukturelle Mechanismen kaiserlicher Hilfsmaßnahmen (1998), 153. Uneindeutig zur Frage ei­ ner Hilfspflicht Meißner, Naturkatastrophen und zwischenstaatliche Solidarität im klassischen und hellenistischen Griechenland (1998), 252 f.: Er spricht einmal von einer Hilfspflicht (S. 252), dann wieder von der bloßen Zweckmäßigkeit, Hilfe zu leisten (S. 253) sowie von einer „Norm gegenseitiger Hilfeleistung“ (S. 253). 22  Meißner, Naturkatastrophen und zwischenstaatliche Solidarität im klassischen und hellenistischen Griechenland (1998), 255 ff. 23  Damit wird die Zeit zwischen dem Ende der römischer Königsherrschaft durch die Vertreibung des letzten tyrannischen Königs, L. Tarquinius Superbus, ca. 509 v. Chr., bis zum Beginn der Kaiserzeit bezeichnet, Bleicken, Geschichte der römi­ schen Republik (2004), 16. 24  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 209 ff., 213. 25  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 189.



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 

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Bei rein innerstaatlichen Katastrophen wurde den betroffenen Regionen von der Regierung zunächst lediglich religiöse Hilfe geleistet, indem Zere­ monien und Prozessionen zur Versöhnung der Götter abgehalten wurden. Der Historiker Sonnabend erklärt die Zurückhaltung tatsächlicher Katastro­ phenhilfe damit, dass die damalige Gesellschaftsform der Aristokratie es der römischen nobilitas versagte, sich durch großzügige Hilfe für Katastrophen­ opfer zu viele Klienten zu verschaffen und dadurch die eigene Stellung in der Elite zu verbessern, wodurch das Gleichgewicht innerhalb der Füh­ rungsschicht gefährdet worden wäre.26 Das Fehlen von Solidarität gegenüber der eigenen Bevölkerung änderte sich mit dem Beginn der Kaiserzeit, als es in Gestalt des Kaisers einen pater patriae gab, der seinem Reich zur Fürsorge verpflichtet war. Die Herrscher ab dem ersten Kaiser Augustus bis in die Spätantike und auch noch zur Zeit des byzantinischen Reichs agierten sehr hilfsbereit.27 Gerade weil die Bevölkerung vor allem Fehler in der Regierungsführung der Herr­ scher als Auslöser für göttlichen Zorn und damit für die Naturkatastrophen betrachteten, oblag faktisch auch die Verantwortung für die Bewältigung der Katastrophen und die Wiederherstellung des status quo ante in erster Linie der politischen Führung eines Landes.28 Der engagierte Umgang mit Natur­ katastrophen und ihren Folgen hatte dabei aber zugleich starken symboli­ schen Wert für die Regenten und diente als Mittel zur Sicherung der Herr­ schaft.29 Die Katastrophenhilfe beruhte dabei jeweils auf drei Elementen, wobei aber auch immer auf die Besonderheiten des Einzelfalles eingegangen wurde:30 Einerseits wurden die betroffenen Regionen finanziell unterstützt, um den Wiederaufbau und die Beseitigung der Katastrophenschäden zu er­ möglichen.31 Hinzu kamen großzügige Steuer- und Abgabenerleichterun­ 26  Vgl. Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wirkung (1999), 214. 27  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 209 f., 230. 28  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 148 ff. 29  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 211, 218. 30  Winter, Strukturelle Mechanismen kaiserlicher Hilfsmaßnahmen (1998), 154. 31  Suetonius Tranquillus, C. Suetoni Tranquilli divvs vespasianvs (hrsg. von Braithwaite) (1927), Kapitel  17; Augustus, Res gestae Divi Avgvsti (hrsg. von Diehl) (2. Aufl. 1910), Kapitel  5, Anhang  4; Barceló, Die Darstellung von Natur­ katastrophen in der spätantiken Literatur (1998), 100; Winter, Strukturelle Mecha­ nismen kaiserlicher Hilfsmaßnahmen (1998), 149 mit Verweis auf Kloft, Freigebig­ keit und Finanzen, der soziale und finanzielle Aspekt der augusteischen Liberalitas, in: Binder (Hrsg.), Saeculum Augustum I. Herrschaft und Gesellschaft (1987), 383.

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

gen.32 Darüber hinaus entsandte der Kaiser stets einen Experten  – einen Senator oder Konsul  –, der vor Ort administrative Aufgaben übernahm und den praktischen Ablauf der Hilfsaktionen koordinierte. Beispiele für ein solches Vorgehen liefern Erdbeben auf den Inseln Chios und Kos um 26  v. Chr. sowie das sogenannte 12-Städte-Beben in Kleinasien, das sich 17 n. Chr. ereignete.33 Neben der Hilfe durch den Kaiser gab es auch in der Kaiserzeit private Katastrophenhilfe, insbesondere von Einzelpersonen. Die private Hilfsbereitschaft ließ lediglich in der Spätantike nach.34 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bereits sowohl im hellenisti­ schen Griechenland sowie in der römischen Kaiserzeit die jeweiligen Regen­ ten, aber auch Privatpersonen die von Naturkatastrophen betroffenen Regio­ nen und Bevölkerungsgruppen im Nachgang der Katastrophen vor allem fi­ nanziell und administrativ unterstützten. Internationale Katastrophenhilfe wurde nur von Griechenland und nicht aus Solidarität, sondern Reziprozität geleistet, während Rom in diesem Bereich Zurückhaltung zeigte. 2. Christianisierung im Mittelalter: Gründung souveräner Ritterorden zur Bewältigung humanitärer Aufgaben Im Mittelalter konnte man eine zunehmende Professionalisierung und Institutionalisierung des Katastrophenschutzes beobachten. Diese erfolgte 32  Tacitus, Annalen (hrsg. von Heller) (6. Aufl. 2010), 2,47; 4,13,1; 12,58,2; Barceló, Die Darstellung von Naturkatastrophen in der spätantiken Literatur (1998), 100. Steuererleichtungen für die Opfer von Katastrophen sind auch ein beliebtes politisches Instrument der Moderne. So hat Präsident Barack Obama den Opfern des Hurrikans Sandy gewisse Steuererleichtungen gewährt. U. a. wurden die Abgabeter­ mine für die Steuererklärungen der Steuerpflichtigen, die in den als „disaster affect­ ed area“ festgelegten Gebieten leben, nach hinten verschoben. Darüber hinaus dürfen die betroffenen Steuerpflichtigen die Schäden, die nicht von Versicherungen abge­ deckt sind, als außergewöhnliche Belastungen steuerbegünstigend absetzen, Internal Revenue Service, Tax Relief for Victims of Hurricane Sandy in New York (4.  Feb­ ruar 2013), mit Verweis auf Department of the Trea­sury (Internal Revenue Service), Instructions for Form 4684 (Casualties and Theft) (2014) . 33  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 216, 218. 34  Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wir­ kung (1999), 234, 236. Die nachlassende Solidarität unter den Reichsbewohnern dokumentiert auch die an Kaiser Gordian III. gerichtete Beschwerde der Bewohner der Stadt Aphrodisias in Kleinasien um 241 n. Chr. Die Versammlung in der Provinz wollte sie dazu verpflichten, Erdbebenopfern in der Region zu helfen. Sie teilten diese Auffassung nicht. Der Kaiser gab ihnen Recht, da aus seiner Sicht Hilfe nur auf freiwilliger Basis erfolgen könne, Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Wirkung (1999), 229.



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im internationalen Bereich vor allem, bedingt durch den Einfluss des Chris­ tentums, durch die Gründung von Hospitalbruderschaften, insbesondere in Form von souveränen Ritterorden.35 Zu deren Aufgabengebiet zählte auch die Leistung von humanitärer Hilfe in Notsituationen.36 Die Ritterorden stellen dabei zugleich das erste Beispiel der Geschichte für kollektive Hilfs­ aktionen dar.37 Als noch heute aktiver, humanitär tätiger Ritterorden ist der ‚Souveräne Ritter- und Hospitalorden vom Hl. Johannes zu Jerusalem, ge­ nannt von Rhodos, genannt von Malta‘ hervorzuheben, der auch als Souve­ räner Malteserorden bezeichnet wird und ein historisch gewachsenes Völ­ kerrechtssubjekt darstellt.38 Dieser wurde um 1100 n. Chr. gegründet. Seine ursprünglichen Aufgaben bewegten sich im religiösen, karitativen und me­ dizinischen Bereich.39 Der Orden befasste sich vor allem mit der Versorgung von Kranken sowie der Organisation von Krankenhäusern für Pilger und Kaufleute.40 Jede militärische Tätigkeit, d. h. insbesondere die Verteidigung Jerusalems, sollte die Aufgabe der Krankenpflege nicht in den Hintergrund rücken lassen.41 Auch im 21. Jahrhundert verfolgt der Malteserorden noch seinen „historischen Auftrag, […] den Kranken, Notleidenden und Bedräng­ ten Hilfe und Beistand zu leisten“, und das „unparteiisch, d. h. zu Gunsten Not leidender Menschen jedweder Glaubensrichtung […], gleich ob musli­ mischer, orthodoxer, katholischer, protestantischer oder hebräischer Konfession.“42 Er ist dabei in 120 Ländern vor allem im medizinischen und sozialen Bereich aktiv. Daneben leistet er aber auch Hilfe für die Opfer von bewaffneten Konflikten oder Naturkatastrophen.43 Zur Erfüllung dieser Auf­ gabe wurde 2005 das internationale Hilfswerk des Malteserordens, Malteser 35  Waldstein-Wartenberg,

Rechtsgeschichte des Malteserordens (1969), 18. International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Ac­ tions in International Law and Organization (1985), 9. 37  Beigbeder, The Role and Status of International Humanitarian Volunteers and Organizations. The Right and Duty to Humanitarian Assistance (1991), 8. 38  Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht (6. Aufl. 2013), 3.  Kapitel, Rdnr.  40. 39  d’Olivier Farran, The Sovereign Order of Malta in International Law, 3 ICLQ (1954), 217 (219). 40  Gazzoni, Malta, Order of, MPEPIL (2009) Rdnr.  1, 14; Waldstein-Wartenberg, Rechtsgeschichte des Malteserordens (1969), 22. 41  Waldstein-Wartenberg, Rechtsgeschichte des Malteserordens (1969), 47. 42  Der Malteserorden (Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom Hl. Johannes zu Jerusalem, Medizinische und humanitäre Aktivitäten: Der Auftrag Kranken und Not­ leidenden beizustehen, . 43  Der Malteserorden (Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom Hl. Johannes zu Jerusalem, Medizinische und humanitäre Aktivitäten: Der Auftrag Kranken und Not­ leidenden beizustehen, . 36  Macalister-Smith,

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

International, mit Sitz in Köln und Washington D.C. gegründet. Malteser International ging aus dem deutschen Malteser Hilfsdienst e. V. und dessen Auslandsdienst hervor und ist rechtlich als Bereich des deutschen Malteser Hilfsdienstes e. V. anzusehen.44 Zu seinen Aufgaben gehören die weltweite Nothilfe im Katastrophenfall und die Umsetzung von Wiederaufbaumaßnah­ men, aber auch Katastrophenvorsorge, insbesondere auf Dorf- und Gemein­ deebene. Neben den organisierten Ritterorden nahmen sich im Mittelalter im natio­ nalen, vor allem kommunalen, Bereich beispielsweise in Deutschland prak­ tizierende Ärzte der Versorgung von Kranken und Betroffenen von Kata­ strophen an. Sie wurden von den Städten mit den heute den Gesundheits­ ämtern obliegenden Aufgaben betraut und erfüllten in diesem Zusammen­ hang erste Funktionen im Bereich des Katastrophenschutzes, v. a. bei der Seuchenbekämpfung.45 3. Zeit der Aufklärung und der naturrechtlichen Lehre Im 18. Jahrhundert begannen Naturrechtler wie der Schweizer Diplomat und Jurist Emer de Vattel sich aus humanistischer Perspektive mit Katastro­ phen und ihren Folgen auseinanderzusetzen. Eine wichtige Rolle spielten die anlässlich einer Katastrophe geltenden naturrechtlichen Verpflichtungen der Staatengemeinschaft.46 Zur Untermauerung seiner Thesen und als Beleg für das Bestehen internationaler Solidarität diente de Vattel eine erste zwischen­ staatliche Hilfsaktion im 18. Jahrhundert: Als Lissabon 1755 von einem der schwersten Erdbeben seit Menschengedenken sowie einem Tsunami mit 15  Meter hohen Wellen zu 85 % zerstört wurde47, bat König George II. das englische Parlament unter Bezugnahme auf religiöse und humanitäre Erwä­ gungen eingehend um rasche und effektive Hilfe.48 Auch andere Staaten leis­ 44  Malteser International (Order of Malta Worldwide Relief), Portrait: Mission Statement, . 45  Michels, Katastrophenschutz und Öffentlicher Gesundheitsdienst, in: Bundes­ verband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (Hrsg.), Engagement für die Gesundheit der Bevölkerung (2010), 14.  Kapitel, 155. 46  Siehe oben Einführung II. Die potentiellen Verantwortlichen im Katastrophen­ fall. 47  ,Nach wie vor Unklarheit über den geologischen Auslöser: Lissabon 1755  – das Erdbeben, das die Welt veränderte‘ NZZ (26.  Oktober 2005) . 48  Vattel, The law of nations: or, Principles of the law of nature; applied to the conduct and affairs of nations and sovereigns: A work tending to display the true interest of power (First American edition, corrected and revised from the latest Lon­ don edition) (1796), Buch  II, Kapitel  I, § 5; Cobbett’s Parliamentary History of England: From the Norman conquest, in 1066. To the year, 1803. From which last-



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teten bereitwillig Hilfe, da Portugal im 18. Jahrhundert ein Knotenpunkt des internationalen Handels war. Das Erdbeben wird noch heute als „Keimzelle des modernen Katastrophenmanagements“ bezeichnet.49 4. Gründung des Roten Kreuzes im 19. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert bezog sich der Anwendungsbereich der humanitären Hilfe in erster Linie auf den Umgang mit Verwundeten in bewaffneten Konflikten und Bürgerkriegen bzw. anderen Situationen, die typischerweise von Gewalt geprägt sind.50 Darin bestand auch die primäre Aufgabe des auf Vorschlag des Schweizers Jean-Henry Dunant 1863 gegründeten Internatio­ nalen Komitees der Hilfsgesellschaft für die Verwundetenpflege, welches seit 1876 den Namen ‚Internationales Komitee vom Roten Kreuz‘ trägt.51 So legte die Abschlussresolution der Ersten Internationalen Genfer Konfe­ renz vom 26. bis zum 29.  Oktober 1863 in ihrer Präambel sowie ihren Artikeln 1, 5, 6 und 7 fest, dass die militärischen medizinischen Einheiten unterstützt werden sollten, um die Versorgung der im Krieg Verwundeten sicherzustellen.52 mentioned epoch it is continued downwards in the work entitled, „Cobbett’s Par­ liamentary debates“ (Parliamentary History Vol. XV, AD 1753–1756) (1813) 29 George II, Third session of the eleventh parliament of Great Britain, 544; vgl. auch Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 17. 49  ,Nach wie vor Unklarheit über den geologischen Auslöser: Lissabon 1755  – das Erdbeben, das die Welt veränderte‘ NZZ (26.  Oktober 2005) . 50  Der Teilbereich des Völkerrechts, der sich mit dem jus in bello auseinander­ setzt, wird aufgrund seines menschenschützenden Grundanliegens als ‚humanitäres Völkerrecht‘ bezeichnet wird, vgl. Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht (6. Aufl. 2013), 8.  Kapitel, Rdnr.  60. 51  Vgl. Eckart, Illustrierte Geschichte der Medizin: Von der französischen Revolu­ tion bis zur Gegenwart (2011), 247. Das IKRK ist neben der Internationalen Födera­ tion des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes (IFRK) sowie den 186 Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes (NGRK) einer der drei Bestandteile der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung (IBRK), Art. 1 Abs. 2 des Statute of the International Red Cross and Red Crescent Movement, angenommen von der 25. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Ok­ tober 1986, geändert von der 26. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Dezember 1995 und von der 29. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Juni 2006, abgedruckt in IKRK/IFRK, Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 14. Aufl. 2008, S. 517–534 (2008), (IBRK-Statut); Wilms, Inter­ national Red Cross and Red Crescent Movement, MPEPIL (2010), Rdnr. 1. 52  IKRK, Resolutions of the Geneva International Conference, Geneva Interna­ tional Conference (Genf, 26.–29.  Oktober 1863).

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Auch wenn dem IKRK durch die Genfer Konventionen somit insbeson­ dere humanitäre Aufgaben im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten zugewiesen werden, war seine Tätigkeit nie hierauf beschränkt. Die Hilfe bei Naturkatastrophen hatte bereits der Gründer des Roten Kreuzes, Henry Dunant, als Vision für den künftigen Aufgabenbereich des Roten Kreuzes genannt.53 Resolutionen der Genfer Konferenz von 1863 belegen, dass auch in Friedenszeiten humanitäre Aufgaben übernommen werden soll­ ten.54 So legte Art. 4 der Abschlussresolution von 1863 fest, dass die na­ tionalen Gesellschaften und Einheiten des Roten Kreuzes in Friedenszeiten alle Maßnahmen ergreifen sollten, um ihre Effektivität in Kriegszeiten zu verstärken, z. B. durch die Vorbereitung von Hilfsgütern und die Ausbil­ dung von medizinischen Fachkräften.55 Gemäß Art. 9 der Abschlussresolu­ tion durften die Nationalen Komitees und Sektionen des Roten Kreuzes in den einzelnen Nationalstaaten selbst darüber bestimmen, welche Maßnah­ men sie im Interesse ihrer Arbeit ergreifen  – dies konnte sich, in Verbin­ dung mit Art. 4 der Abschlussresolution, daher auch auf Aktivitäten in Friedenszeiten beziehen.56 Auch auf nachfolgenden Internationalen Konfe­ renzen der Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halb­ mondes wurden die Nationalen Gesellschaften aufgefordert, sich auch im Friedensfall der humanitären Hilfe zu widmen, etwa im Fall von öffentli­ chen Notsituationen.57 Im Rahmen der Diplomatischen Konferenz von 1929 wurde die Bedeutung der Nationalen Gesellschaften des Roten Kreu­ zes sowie sonstiger freiwilliger Hilfsorganisationen für die Solidarität zwi­ schen den Nationen hervorgehoben und festgelegt, dass ihnen gerade auch in Friedenszeiten alle Einrichtungen und Immunitäten für die Ausübung ihrer Funktionen zustehen sollten, insbesondere mit Blick auf den Einsatz medizinischer Fachkräfte und ihrer Aktivitäten im Rahmen der Kranken­ 53  Siehe hierzu auch Huber, Das internationale Rote Kreuz. Idee und Wirklichkeit (Aus Ansprachen und Aufsätzen ausgewählt und herausgegeben von Gertrurd Spör­ ri) (1951), 51. 54  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Ac­ tions in International Law and Organization (1985), 17. 55  IKRK, Resolutions of the Geneva International Conference, Geneva Interna­ tional Conference (Genf, 26.–29.  Oktober 1863). 56  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Ac­ tions in International Law and Organization (1985), 17. 57  Kolosov, Mise en oeuvre regionale, nationale et internationale du droit a l’assistance humanitaire in UNESCO, ‚Le droit a l’assistance humanitaire  – Actes du Colloque organisé par l’UNESCO (Paris, 23.–25.  Januar 1995)‘ (1995) SHS-96/ WS/9, 45; Summary of Conference discussions: Concerning Relief Societies‘ action in peacetime, Resolution III, IInd International Conference of the Red Cross (Berlin, 1869), abgedruckt in Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 805 (3. Aufl. 1994).



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 43

fürsorge.58 Neben der Hilfe für Verwundete und Kranke in Friedenszeiten erweiterte das Rote Kreuz seinen Aufgabenbereich in den 1930er Jahren auch um die Sorge um Opfer von Unglücksfällen und die Hilfe bei Natur­ katastrophen.59 Auch heute besteht der Aufgabenbereich des IKRK zwar nach seinem Statut vor allem in der Wahrnehmung der ihm in den Genfer Rotkreuzab­ kommen von 1949 übertragenen Aufgaben, d. h. insbesondere in der Durch­ führung humanitärer Hilfeleistungen in bewaffneten Konflikten, wie z. B. dem Besuch von Kriegsgefangenen oder der Koordinierung von logistischen Operationen.60 Daneben hat sich aber das Aufgabenspektrum des IKRK sowie der Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes, gerade auch auf­ 58  Art. 5 Swiss Federal Council, Final Act of the Diplomatic Conference (Geneva, 27. Juli 1929), in: Schindler/Toman, The Laws of Armed Conflicts, Martinus Nihjoff Publisher, 1988, 321–323. 59  Huber, Das internationale Rote Kreuz. Idee und Wirklichkeit (Aus Ansprachen und Aufsätzen ausgewählt und herausgegeben von Gertrurd Spörri) (1951), 50 f. 60  In Art. 4 der Statutes of the International Committee of the Red Cross v. 21. Juni 1973, abgedruckt in IKRK/IFRK, Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 14. Aufl. 2008, S. 549–555 (2008), ist die Rolle des Komitees wie folgt definiert: Article 4  – Role 1.  The role of the ICRC shall be in particular: a)  to maintain and disseminate the Fundamental Principles of the Movement, name­ ly humanity, impartiality, neutrality, independence, voluntary service, unity and universality; b)  to recognize any newly established or reconstituted National Society which ful­ fils the conditions for recognition set out in the Statutes of the Movement, and to notify other National Societies of such recognition; c)  to undertake the tasks incumbent upon it under the Geneva Conventions, to work for the faithful application of international humanitarian law applicable in armed conflicts and to take cognizance of any complaints based on alleged breaches of that law; d)  to endeavour at all times  – as a neutral institution whose humanitarian work is carried out particularly in time of international and other armed conflicts or internal strife  – to ensure the protection of and assistance to military and civilian victims of such events and of their direct results; e)  to ensure the operation of the Central Tracing Agency as provided in the Geneva Conventions; f)  to contribute, in anticipation of armed conflicts, to the training of medical person­ nel and the preparation of medical equipment, in cooperation with the National Societies, the military and civilian medical services and other competent authorities; g)  to work for the understanding and dissemination of knowledge of international humanitarian law applicable in armed conflicts and to prepare any development thereof; h)  to carry out mandates entrusted to it by the International Conference of the Red Cross and Red Crescent (the International Conference).

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

grund eines extensiveren Verständnisses des Begriffes ‚humanitäre Hilfe‘, ausgeweitet. Auch wenn es keine allgemeingültige Definition gibt, so ver­ steht man unter humanitärer Hilfe aktuell im Allgemeinen Hilfe für Opfer von Krisen, Konflikten und Katastrophen, die geleistet wird, um im Ein­ klang mit dem sog. humanitären Imperativ unabhängig von der ethnischen, religiösen und politischen Zugehörigkeit der Opfer Leben zu retten und menschliches Leid zu lindern.61 Gemäß Art. 4 Abs. 2 seines Statuts, das insofern seit 1953 unverändert ist62, ist das IKRK ermächtigt, humanitäre Initiativen jedweder Art durchzuführen, die mit seiner Rolle als neutrale und unabhängige Organisation in Einklang stehen.63 In Anwendung dieser Be­ fugnis geht das IKRK daher heute von einem Initiativrecht, gerade auch seitens der Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halb­ mondes, in jeder Situation, die humanitäres Tätigwerden erfordert, aus. Zu diesem Zweck darf das IKRK seine entsprechenden Dienste auch jeder Regierung anbieten, ohne dass dieses Angebot eine Einmischung in die in­ neren Angelegenheiten des Staates darstellen würde.64 Das IKRK befasst sich heute somit in Ergänzung zu seinem historischen Auftrag von 1863 in mindestens gleichwertigem Umfang auch mit der (internationalen) Katastro­ phenhilfe, v. a. bei Naturkatastrophen.65 Auch die Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes sind nicht nur für die Hilfe für 61  Vgl. in diesem Sinne Auswärtiges Amt, Humanitäre Hilfe der Bundesregierung , 3; Verband Entwicklungspolitik Deut scher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), Humanitäre Hilfe, ; kritisch zur Verwendung des Begriffs der humani­ tären Hilfe im allgemeinen Sprachgebrauch Munz, Im Zentrum der Katastrophe. Was es wirklich bedeutet, vor Ort zu helfen (2007), 12 ff. Vgl. auch Treptow, Katastro­ phenhilfe und Humanitäre Hilfe  – zur Einführung, in: Treptow (Hrsg.), Katastro­ phenhilfe und Humanitäre Hilfe (2007), 21. 62  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 76. 63  Art. 4 Abs. 2 Statutes of the International Committee of the Red Cross v. 21. Juni 1973, abgedruckt in IKRK/IFRK, Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 14. Aufl. 2008, S. 549–555 (2008), (IKRK-Statut): „The ICRC may also take any humanitarian initiative which comes within its role as a specifically neutral and independent institution and consider any questions requiring examination by such an institution.“ (Hervorhebung durch Verf.). 64  IKRK, The ICRC’s mandate and mission, . Siehe hierzu unten 3.  Teil, Kapi­ tel  B., Abschnitt I.1. 65  Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (2013), Rdnr.  41. In manchen Staaten ist die jeweilige Nationale Gesellschaften des Roten Keuzes und Roten Halbmondes sogar die hauptverantwortliche Institution für die Durchführung von Katastrophenhilfe, während sie in anderen Staaten die Anordnungen der Regie­



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 45

Opfer bewaffneter Konflikte nach Maßgabe der Genfer Konventionen zu­ ständig; gemäß Art. 3 Abs. 2  Unterabs.  2 IBRK-Statut organisieren sie auch Hilfe für die Opfer von Naturkatastrophen und anderer Notfälle. Manche Nationalen Gesellschaften befassen sich heute sogar hauptsächlich mit sol­ chen spezifischen Friedenstätigkeiten. Gleiches gilt für die Internationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, die nach Art. 5 Abs. 1  B lit. a und b ihres Statuts66 Hilfsaktionen für die Opfer von Kata­ strophen organisiert und durchführt.67 5. Institutionalisierung: Gründung der International Relief Union (IRU) 1927 Parallel zur Entwicklung des Roten Kreuzes kam ein Bedürfnis nach globaler Institutionalisierung und damit sogleich Regulierung der Katastro­ phenhilfe verstärkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck. Auf einen Vorschlag68 des damaligen Präsidenten des italienischen Roten Kreuzes, Giovanni Ciraolo, sowie auf Betreiben der League of Nations wurde am 12.  Juli 1927 in Genf die International Relief Union gegründet.69 Ziel war die Gewährleistung gegenseitiger humanitärer Hilfe und koordinierter Un­ terstützung in auf Grund von „höherer Gewalt“ eingetretenen Katastrophen­ fällen oder „öffentlichen“ Katastrophenfällen.70 Die International Relief Union sollte dabei dem in der Präambel der Satzung des Völkerbundes rungen durchführt, Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance – Disas­ ter Relief Actions in International Law and Organization (1985), 78. 66  Statutory texts of the International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (2007), . 67  Red Cross action in peacetime, Resolution XII, VIIth International Con­ference of the Red Cross (St. Petersburg, 1902), abgedruckt in Handbook of the Internatio­ nal Red Cross and Red Crescent Movement, 805–806 (3. Aufl. 1994). 68  Hutchinson, Disasters and the International Order – II: The International Re­lief Union, 23 Int Hist Rev (2011), 253 (261). 69  Art. 2 Convention and Statute Establishing an International Relief Union (IRU Convention and Statute), v. 12. Juli 1927 (in Kraft getreten am 27. Dezember 1932), 135 LNTS 247. 70  Art. 2 IRU Convention and Statute formuliert: „The objects of the International Relief Union are: In the event of any disaster due to force majeure, the exceptional gravity of which exceeds the limits of the powers and resources of the stricken people, to furnish to the suffering population first aid and to assemble for this purpose funds, resources and assistance of all kinds; In the event of any public disaster, to co-ordinate as occasion offers the efforts made by relief organisations, and, in a general way, to encourage the study of pre­ ventive measures against disasters and to induce, in a general way, to encourage the

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

festgeschriebenen Zweck der internationalen Kooperation dienen71 und da­ bei stets die Souveränität der Mitgliedsstaaten respektieren sowie den Grundsatz der Nicht-Diskriminierung verfolgen.72 Die gemeinsame Koope­ ration sollte gemäß Art. 5 der Konvention und des Statuts der IRU vor allem zwischen den Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes und den mit ihnen affiliierten Einheiten sowie mit sonstigen offiziellen oder nicht-offiziellen Organisationen, die sich dem Schutz betrof­ fener Personen verschrieben haben, erfolgen. Die geringe Unterstützung der Mitgliedstaaten sowie eine unzureichende Ausstattung mit finanziellen Mit­ teln73 angesichts der Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren verhinderten ein erfolgreiches Tätigwerden der IRU74: Sie intervenierte in keinem einzigen Katastrophenfall und ihre Haupttätigkeit bestand in der Erstellung einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift zum Katastrophenschutz.75 Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte sie ihre Tätigkeit de facto ein.76 Spätere Versuche, die IRU zu reaktivieren, scheiterten.77 Auf Anregung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen78 wurden ihre wissen­ schaftlichen Aufgaben 1968 vollständig auf die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur79 übertragen80 und 1982 das Sekretariat der IRU endgültig geschlossen.81

study of preventive measures against disasters and to induce all peoples to render mutual international assistance.“ 71  Covenant of the League of Nations, v. 28.  April 1919 (in Kraft getreten am 10.  Januar 1920), 34 LNTS: „The High Contracting Parties, In order to promote international co-operation and to achieve international peace and security […] (Hervorhebung durch Verf.). 72  Art. 4 und Art. 3 IRU Convention and Statute; Beigbeder, The Role and Status of International Humanitarian Volunteers and Organizations. The Right and Duty to Humanitarian Assistance (1991), 24. 73  Gemäß Art. 11 IRU Convention and Statute sollten die finanziellen Mittel der IRU aus freiwilligen Zusagen der Mitgliedsstaaten, privaten Beiträgen sowie Spen­ den und Vermächtnissen bestehen. 74  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 20 f. 75  Die Vertretungen Deutschlands in Genf, The International Relief Union/P IUS, . 76  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 95. 77  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 95. 78  United Nations Economic and Social Council (ECOSOC). Siehe ECOSOC, Res 1268 (XLIII) [Transfer to the United Nations of the responsibilities and assets of the International Relief Union], v. 4. August 1967. 79  United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO).



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 

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6. Die Arbeit der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit Katastrophenfällen Bis 1980 spielten die Vereinten Nationen nur eine geringe Rolle im Be­ reich der internationalen Katastrophenhilfe. Sie befassten sich fast aus­ schließlich mit humanitären Katastrophen insbesondere im Zusammenhang mit Kriegsfolgen, nicht mit plötzlich einsetzenden Naturkatastrophen [a)]. Die Ursache lag im Wesentlichen in der mit dem Kalten Krieg verbundenen Aufteilung der Welt in zwei Blöcke. Der Umgang mit Katastrophenfällen wurde von den jeweiligen Großmächten und verbündeten Staaten als ihre alleinige Aufgabe angesehen. Zudem standen nur begrenzte finanzielle Mit­ tel zur Verfügung. Erst von 1960 bis 1990 befassten sich die Vereinten Nationen sporadisch und einzelfallbezogen mit plötzlich eintretenden Natur­ katastrophen, ohne ein schlüssiges Konzept und eine einheitliche Strategie zu verfolgen. Im Wesentlichen wurden Resolutionen der UN-Generalver­ sammlung verabschiedet [b)]. Erst nach 1990 änderte sich die Beteiligung der Vereinten Nationen an der internationalen Katastrophenhilfe signifikant [c)]. a) United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) Bereits vor der Gründung der Vereinten Nationen wurde 1943 die United Nations Relief and Rehabilitation Administration ins Leben gerufen.82 Ziel der 44 Vertragsstaaten der UNRRA war es, kriegsgeschädigten Staaten und ihrer Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen, indem beispielsweise die Folgen von unmittelbaren Nachkriegsproblemen wie Hunger, Zerstörung und Krankheiten durch sofortige Hilfe und Grundversorgung für die befrei­ 80  Agreement on the Transfer to the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization of Certain Responsibilities and of the Assets of the Interna­ tional Relief Union, v. 18.  Dezember 1968 (in Kraft getreten am 24.  Dezember 1968), 656 UNTS 345. 81  Die Vertretungen Deutschlands in Genf, The International Relief Union/P IUS, . 82  Auch wenn der Aufgabenbereich der UNRRA damit nicht klassisch auf den in Teil 1, Kapitel B. dieser Arbeit zugrunde gelegten Katastrophenbegriff zugeschnitten war, verdeutlicht die Existenz der UNRRA ein zunehmendes internationales Koope­ rationsbedürfnis bei internationalen Notlagen, die von einzelnen Staaten nicht effek­ tiv selbst bewältigt werden können. Besonders bemerkenswert an der UNRRA ist dabei vor allem, dass erstmals China eine wichtige Rolle bei der internationalen Zusammenarbeit eingeräumt wurde und auch das erste Mal Russland in eine in­ ternationale Kampagne zur Lösung globaler Probleme einbezogen wurde, Jessup, UNRRA, Sample of World Organization, 22 FOREIGN AFFAIRS (1944), 362 (368).

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

te Bevölkerung gemildert bzw. beseitigt werden sollten.83 Als Katastrophen im weiteren Sinne standen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges daher in erster Linie  – wie die Arbeit der UNRRA zeigt84  – typische Nachkriegs­ probleme wie Hunger und Flüchtlingsströme.85 Bezüglich Naturkatastrophen ging man in der unmittelbaren Nachkriegszeit davon aus, dass diese in den Kompetenzbereich des IKRK bzw. der Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes sowie sonstiger Hilfsorganisationen sowie der nationalen Regierun­ gen fielen.86 Mit Naturkatastrophen befassten sich die Vereinten Nationen daher nur zögerlich und ausschließlich einzelfallbezogen. Beispiele hierfür bilden die Reaktion des Wirtschafts- und Sozialrates auf ein Erdbeben in Ecuador 1949.87 Während nach dem Ersten Weltkrieg internationale Hilfe zum Wieder­ aufbau rein finanziell durch die Gewährung von Darlehen geprägt war und von den USA dominiert wurde, stellte die UNRRA somit die erste inter­ nationale Organisation dar, die sich auf kurzfristig verfügbare, praktische, 83  Präambel des Agreement for United Nations Relief and Rehabilitation Ad­ ministration, British Command Paper, Cmd. 6491, v. 9.  November 1943, 38 AJIL Supplement, S. 33–39. Vgl. auch Stephens, The United Nations Disaster Relief Of­ fice: The Politics and Administration of International Relief Assistance (1978), 31 f. 84  Für den Wiederaufbau Koreas nach dem Korea-Krieg wurde eine eigene UNInstitution ins Leben gerufen, die Agentur für den Wiederaufbau Koreas (United Nations Korean Reconstruction Agency  – UNKRA), siehe UNGA, Res 410 (V) [Relief and rehabilitation of Korea], v. 1.  Dezember 1950. 85  Mit der besonderen Situation der Flüchtlinge bzw. von Migranten setzten sich folgende Unterorganisationen der Vereinten Nationen auseinander: die Internationale Flüchtlingsorganisation (International Refugee Organization  – IRO), der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (United Nations High Commissionar for Refugees – UNHCR), das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flücht­ linge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Re­ fugees in the Near East  – UNRWA) sowie die Internationale Organisation für Mig­ ration (International Organization for Migration  – IOM). Unterorganisationen der Vereinten Nationen in anderen Problemfeldern der internationalen Katastrophenhilfe waren und sind bis heute das UN-Kinderhilfswerk (United Nations International Children’s Emergency Fund  – UNICEF), die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization  – WHO), das Welternährungsprogramm (United Nations World Food Programme  – WFP), die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations  – FAO), die Internationale Ar­ beitsorganisation (International Labour Organization  – ILO), die Weltorganisation für Meterologie (World Meterological Organization – WMO) sowie das Umweltpro­ gramm der Vereinten Nationen (United Nations Environmental Programme – UNEP). 86  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980) , 3. 87  UNGA, Res 254 (IX) [Measures to be adopted in connexion with the earth­ quake in Ecuador], v. 13. August 1949.



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 

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physische Wiederaufbau- und Hilfsmaßnahmen spezialisierte.88 Sie arbeite­ te dabei mit anderen internationalen Organisationen, u. a. der Internationa­ len Arbeitsorganisation sowie ca. 125 Nichtregierungsorganisationen zu­ sammen.89 1946 arbeiteten 1800 Mitarbeiter im Hauptquartier der UNRRA in New York und weitere 1600 im europäischen Regionalbüro in London. Insgesamt gab es 24 Ländermissionen, an denen zwischen zehn (Ukraine) und 1300 (China) Mitarbeiter beteiligt waren.90 In erster Linie sollten Staaten unterstützt und zur Selbsthilfe befähigt werden, die den Wiederauf­ bau nicht aus eigener finanzieller Kraft umsetzen konnten.91 Die UNRRA agierte bei ihren Operationen dabei stets nur mit Zustimmung der betrof­ fenen Regierungen und führte die Hilfsmaßnahmen im Rahmen der vor­ handenen Regierungsstrukturen durch, vgl. Art. I Abs. 2a  Satz  3 UNRRAAgreement.92 Hilfsgüter, die von der UNRRA bereitgestellt wurden, sollten dabei unter Kontrolle der UNRRA durch die betroffenen Länder selbst nach den Grundsätzen der Gleichheit und Nicht-Diskriminierung verteilt werden.93 Auch wenn die Arbeit der UNRAA insgesamt als erfolgreich angesehen werden kann,94 wurden ihre Aufgaben 1947 vollständig vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen übernommen.95 Die ein­ 88  Haslam, United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), MPEPIL (2006) Rdnr.  3, 6; Jessup, 22 FOREIGN AFFAIRS (1944), 367. 89  Haslam, United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), MPEPIL, Rdnr.  10; vgl. z. B. Art. IV Abs. 2  Satz  3 Agreement for United Nations Relief and Rehabilitation Administration, British Command Paper, Cmd. 6491. 90  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 13. 91  Beigbeder, The Role and Status of International Humanitarian Volunteers and Organizations. The Right and Duty to Humanitarian Assistance (1991), 27. 92  Siehe dazu auch oben Teil  2, Kapitel  B., Abschnitt II.1. 93  Haslam, United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), MPEPIL, Rdnr.  13. 94  Die UNRRA verteilte insgesamt Verbrauchsgüter im Wert von US-$ 2.903.412,90; Nahrungsmittel im Wert von US-$ 1.236.018,70; Kleidung im Wert von US-$ 432.160,8; Medikamente und medizinische Hilfsmittel im Wert von US-$ 117.599,50; die Beiträge zur landwirtschaftlichen und industriellen Wiedernutzbar­ machung der betroffenen Ländern beliefen sich auf US-$ 320.587,20 bzw. US-$ 680.949,70. Quelle: UNRRA Final Operational Report, zitiert in Haslam, United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), MPEPIL, Rdnr.  14. Auch Präsident Truman äußerte sich 1947 entsprechend in einer Rede: „I am sure that, when the figures are known, the congress and the people will be proud of the success of this international organization.“, zitiert in ‚Truman lauds Near-Final UNRRA Relief operations‘ Eugene Register Guard (31.  August 1947) 17. Vgl. zu den Erfolgen der UNRRA weiter Macalister-Smith, International Humanitarian As­ sistance – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 13. 95  UNGA, Res 58 (I) [Transfer to the United Nations of the advisory social welfare functions of UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administra­

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

zelnen Arbeitsbereiche der UNRRA wurden v. a. auf Spezialorganisationen und teil-autonome Einheiten wie z. B. das UN-Kinderhilfswerk, die UNFlüchtlingsorganisation bzw. ihre Nachfolger, den Hohen Kommissar für Flüchtlinge, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation sowie die Weltgesundheitsorganisation übertragen.96 b) Erste Maßnahmen und Resolutionen der internationalen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe in den 1960er Jahren aa) Resolutionen der UN-Generalversammlung Die Vereinten Nationen begannen erst knapp anderthalb Jahrzehnte nach ihrer Gründung, sich mit dem Themenbereich der internationalen Katastro­ phenhilfe auseinanderzusetzen. In den 1960er Jahren häuften sich spezifi­ sche Resolutionen der UN-Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrates97, wie die Generalversammlungs-Resolutionen zu einem Erd­ beben im Iran 196298 und 196899 sowie in Skopje 1963100 sowie einem tion)], v. 14. Dezember 1946; UNGA, Res 48 (I) [Relief Needs after the termina­tion of UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration)], v. 11.  De­ zember 1946. Die aktive Tätigkeit der UNRRA in Europa endete am 31.  Dezember 1946 und in Fernost im März 1947, vgl. UNGA, Res 6 (I) [United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA)], v. 1.  Februar 1946. 96  Stephens, The United Nations Disaster Relief Office: The Politics and Ad­ ministration of International Relief Assistance (1978), 34. 97  Z. B. ECOSOC, Res 1014 (XXXVII) [Emergency aid to Costa Rica], v. 28. Juli 1964; ECOSOC, Res 1254 (XLIII) [Natural disasters in Turkey, Colombia, Venezue­ la and Pakistan], v. 1.  August 1967; ECOSOC, UN Doc. E/RES/1518 (XLIX) [Measures to be taken following the earthquake in Peru], v. 10. Juli 1970; ECOSOC, Res 1704 (LIII) [Measures to be taken following the natural disasters in the Philip­ pines], v. 25.  Juli 1972; ECOSOC, Assistance to the drought-stricken areas of Ethiopia v. 4.  Mai 1979, UN Doc. E/RES/1979; ECOSOC, Res 1982/5 [Measures to be taken following the cyclones and floods in Madagascar], v. 28.  April 1982 sowie ECOSOC, Res 1984/3 [Measures to be taken following the cyclones and floods in Madagascar], v. 11.  Mai 1984; ECOSOC, Res 1982/6 [Measures to be taken following the heavy floods which have affected Democratic Yemen], v. 28. April 1982; ECOSOC, Res 1989/1 [Emergency assistance to Democratic Yemen], v. 10.  Mai 1989; ECOSOC, Res 1989/2 [Emergency assistance to Djibouti], v. 12.  Mai 1989. 98  ECOSOC, Res 1753 (XVII) [Measures to be adopted in connexion with the earthquake in Iran], v. 5.  Oktober 1962. 99  UNGA, Res 2378 (XXIII) [Assistance to Iran in connexion with the earth­ quake of August 1968], v. 23.  Oktober 1968. 100  ECOSOC, Res 1882 (XVII) [Measures in connection with the earthquake at Skopje, Yugoslavia], v. 14.  Oktober 1963.



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 51

Hurrikan in der Karibik 1963 zeigen.101 Konkret wurde vor allem von Spezialorganisationen wie, im Falle Ecuadors, von der Weltgesundheits­ organisation sowie dem UN-Kinderhilfswerk, oder im Falle des Irans vom Welternährungsprogramm, der Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie der Weltorganisation für Meterologie, Hilfe angefordert.102 Darüber hinaus wurde die internationale Gemeinschaft zur (finanziellen) Katastrophenhilfe „eingeladen“103 sowie zur Kooperation bei der Katastro­ phenvorsorge, z. B. in Form der gemeinsamen seismologischen Forschung, der Entwicklung erdbeben-resistenter Gebäude, im Rahmen der TsunamiFrühwarnung und generell bei Hilfsmaßnahmen, aufgefordert.104 Der UNGeneralsekretär gründete auch in einzelnen Fällen Notfallfonds für Kata­ strophenhilfe.105 1964 wurde der UN-Generalsekretär durch den Wirtschafts- und Sozialrat mit einer Untersuchung darüber beauftragt, welche Art von pauschaler Un­ terstützung die Vereinten Nationen bei Katastrophenfällen anbieten könnten, welche Ressourcen hierfür erforderlich wären und wie zusätzliche Ressour­ cen für die Katastrophenhilfe, etwa durch die Etablierung eines Fonds, ge­ wonnen werden könnten.106 Zudem sollten mögliche Verbesserungen bei der internationalen Kooperation auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe in Be­ tracht gezogen werden.107 Im Zusammenhang mit der Bearbeitung dieses Auftrages wurden die verschiedenen Möglichkeiten der Vereinten Nationen im Rahmen der Katastrophenhilfe erörtert. Insgesamt gelangte man zu dem Ergebnis, dass die Vereinten Nationen vor allem dadurch einen Beitrag zur Katastrophenhilfe leisten können, indem sie die Regierungen weltweit für die Notwendigkeit von Katastrophenvorsorge und das Erarbeiten von Reak­ 101  ECOSOC, Res 1888 (XVII) [Measures in connexion with the hurricane which has just struck the territories of Cuba, the Dominican Republic, Haiti, Jamaica and Trinidad and Tobago], v. 1.  November 1963. Vgl. zu den ersten Resolutionen der UN-Generalversammlung auch Macalister-Smith, International Humanitarian Assis­ tance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 93 f. 102  ECOSOC, Res 1753 (XVII) (5.  Oktober 1962), Abs. 4 und 7. 103  Vgl. z. B. ECOSOC, Res 1049 (XXXVIII) [Emergency aid to Costa Rica], v. 28.  Juli 1964, Abs. 3. 104  ECOSOC, Res 1753 (XVII) (5.  Oktober 1962), Abs. 6. 105  Ein Beispiel für einen echten Ad-Hoc-Fonds stellt der anlässlich des Aus­ bruchs des costa-ricanischen Vulkans Irazú durch den UN-Generalsekretär etablierte Sonderhilfsfonds dar, ECOSOC, Res 1049 (XXXVIII) (28.  Juli 1964) PräambelAbs. 3. 106  ECOSOC, Res 1049 (XXXVII) [Assistance in cases of natural disasters], v. 15.  August 1964, Abs. 1; vgl. auch Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 94. 107  ECOSOC, Res 1049 (XXXVII) (15. August 1964), Abs. 3.

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

tionsmöglichkeiten sensibilisierten.108 Arbeitsergebnis des Berichts war die Grundlagenresolution 2034 (XX) der UN-Generalversammlung zur gegen­ seitigen Hilfe bei Naturkatastrophen.109 Diese enthielt zum einen die Auf­ forderung an alle hilfeleistenden Staaten, dem UN-Generalsekretär im Ka­ tastrophenfall anzuzeigen, welche konkrete Art von Hilfsmaßnahmen sie anbieten können.110 Die verschiedenen UN-Organisationen auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe sollten ihre Koordination untereinander verbessern. Schließlich wurde der UN-Generalsekretär auch ermächtigt, aus dem Fonds des UN-Netto-Umlaufvermögens jedes Jahr 100.000 US-$ für Zwecke der Katastrophenhilfe zu entnehmen, wobei jedem von einer Katastrophe betrof­ fenen Land grundsätzlich 20.000 US-$ jährlich zustehen sollten.111 1968 / 69 wurde diese Grundlagenresolution in der Resolution 2435 (XXII) um einige wichtige Punkte erweitert.112 So wurden alle Mitgliedstaaten aufgefordert, eigene Vorsorgemaßnahmen für eventuelle Katastrophen zu treffen, z. B. durch die Ausbildung von Hilfspersonal, der wissenschaftlichen Forschung im Bereich von Naturkatastrophen und der Entwicklung von Frühwarnsys­ temen. Auch sollte der UN-Generalsekretär die personelle Situation im Generalsekretariat sowie die allgemeine Koordination im Falle von Natur­ 108  UNGA, ‚Official Records of the General Assembly, Twentieth session, An­ nexes, Agenda Item 53‘ (1965) UN Doc. A/5845; Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance – Disaster Relief Actions in International Law and Organi­ zation (1985), 94. 109  UNGA, Res 2034 (XX) [Assistance in cases of natural disasters], v. 7.  De­ zember 1965. 110  UNGA, Res 2034 (XX) (7.  Dezember 1965), Abs. 2. 111  UNGA, Res 2034 (XX) (7.  Dezember 1965), Abs. 5. Von 1965–1967 wurden das Netto-Umlaufvermögen der Vereinten Nationen auf diese Weise insgesamt acht Mal in Anspruch genommen. 1975 wurde die entnahmefähige Summe pro Land auf 30.000 US-§ erhöht, UNGA, Res 3532 (XXX) [Office of the United Nations Disas­ ter Relied Co-ordinator: financing of emergency relief assistance and technical cooperation activities], v. 17. Dezember 1975, Abs. 2; 1982 erfolgte eine Erhöhung auf 50.000 US-$ pro Land, wobei 20.000 US-$ aus freiwilligen Beiträgen generiert werden sollten, UNGA, Res 37/144 [Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator], v. 17.  Dezember 1982, Abs. 5. Ab dem 1.  Januar 1984 gab es dann einen eigenen Sonderfonds, der direkt beim Amt des UN-Nothilfe-Koordinators an­ gesiedelt war, ibid. Für den Zeitraum 1990/91 verfügte der Sonderfonds über insge­ samt 360.000 US-$, wobei noch immer jeweils maximal 30.000 US-$ als Darlehen einem von einer Katastrophe betroffenen Land seitens der Vereinten Nationen be­ reitgestellt werden durften, siehe UNGA, Res 45/221 [Strengthening of the Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator], v. 21.  Dezember 1990, Abs. 6. 112  UNGA, Res 2435 (XXII) [Assistance in cases of natural disasters], v. 19. De­ zember 1968. Darüber hinaus wurde das entnahmefähige Volumen des Sonderbe­ zugsrechts aus dem Nettoumlaufvermögen auf 150.000,00 US-$ erhöht, UNGA, Res 2608 (XXIV) [Assistance in cases of natural disasters], v. 16.  Dezember 1969. Siehe auch Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Re­ lief Actions in International Law and Organization (1985), 95.



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katastrophen verbessern. Die Mitgliedstaaten wurden erneut gebeten, ande­ ren Staaten in Katastrophenfällen zu helfen. Besonders bemerkenswert an dieser zweiten allgemeinen Resolution zur Katastrophenhilfe ist, dass zum ersten Mal auch an rechtliche Aspekte in Zusammenhang mit Naturkatast­ rophen gedacht wurde: Der Generalsekretär wurde aufgefordert, eine Studie über den rechtlichen Status von UN-Einheiten beim Einsatz im Katastro­ phenfall durchzuführen.113 In den 1970er und 1980er Jahren intensivierten sich sowohl das Ausmaß als auch die Auswirkungen von Katastrophen konstant, auch wenn die An­ zahl der Katastrophen selbst relativ stabil blieb.114 Besonders Entwicklungs­ länder waren von den Katastrophen betroffen. So ereignete sich in Afghanis­ tan zwei Jahre lang eine schwere Dürreperiode, der schätzungsweise 100.000 Menschen zum Opfer fielen und die die wirtschaftliche Stagnation im Land sowie politische Unruhen bewirkten.115 Ähnliche Probleme erlebten der Su­ dan und die Sahelzone sowie Äthiopien und die Kapverdischen Inseln, wobei insbesondere die Dürren in der Sudan- und Sahelzone sowie in Äthiopien in den 1970er und 1980er Jahren beinahe jährlich auf der Agenda der UN-Ge­ neralversammlung standen116, häufig auch im Zusammenhang mit den 113  UNGA, Res 2435 (XXII) (19. Dezember 1968), Abs. 6. Diese Frage wurde in der Folge auch von der International Law Commission (ILC) aufgegriffen. Im Rah­ men der Ausarbeitung der Entwurfsartikel zur Staatenverantwortlichkeit wurden die verschiedenen Möglichkeiten der rechtliche Einordnung von UN-Truppen im Katastrophenfall erörtert. Diskutiert wurde die Einordnung als Unterorgan der Ver­ einten Nationen, als separate, rechtlich von den Vereinten Nationen unabhängige Einheit oder die Eingliederung in das nationale Rechtssystem eines Mitgliedstaates. Siehe hierzu ILC, ‚The International Law Commission’s Draft Articles on State Responsibility (Part 1, Articles 1–35), Compiled and Edited with an introduction by Shabtai Rosenne‘, Martinus Nijhoff Publishers (1991), Commentary Art. 13, 134. 114  Green, International Disaster Relief: Toward a Responsive System (1980), 17. Siehe auch UNGA, Res 41/201 [Office of the United Nations Disaster Relief Coordinator], v. 8.  Dezember 1986, Abs. 5, wonach die Anzahl der Katastrophen, bei denen der UN-Katastrophenhilfe-Koordinator eingeschaltet wurde, zwischen 1980 und 1985 von 12 Katastrophen 1980 auf 53 Katastrophen 1985 angestiegen ist. 115  Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Afghanistan, Afghanistan im 19. und 20. Jahrhundert (13.  Juni 2012), . Vgl. hierzu auch die Resolution der UN-Generalversammlung UNGA, Res 2757 (XXVI) [Assistance to Afghanistan following two years of severe drought], v. 11.  Oktober 1971. 116  Siehe hierzu beispielhafte Reaktionen der Vereinten Nationen in Form der Ge­ neralversammlungs-Resolutionen für die Sahelzone: UNGA, Res 3054 (XXVIII) [Consideration in the social and economic situation of the Sudano-Sahelian region stricken by drought and measures to be taken for the benefit of that region], v. 17. Ok­ tober 1973; UNGA, Res 3512 (XXX) [Consideration in the social and economic situ­ ation of the Sudano-Sahelian region stricken by drought and measures to be taken for the benefit of that region], v. 15. Dezember 1975; UNGA, Res 32/170 [Measures to

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Agendaplänen zum Kampf gegen Desertifikation.117 Bangladesch wurde von schweren Überflutungen heimgesucht.118 Neben klimatischen Veränderungen und der ansteigenden ökologischen Überbelastung der Natur wurde die welt­ weit wachsende Bevölkerung als ein Grund für diese Entwicklung gesehen.119 Darüber hinaus machte die zunehmende ungeplante Urbanisierung, d. h. die Ansiedlung in Ballungsräumen ohne gleichzeitigen Aufbau von Infrastruktur, vor allem in Afrika und Südostasien, die dort lebende Bevölkerung besonders verletzlich bei Katastrophen.120 Den Vereinten Nationen zufolge starben bei Naturkatastrophen im Zeitraum von 1967 bis 1987 ca. 3 Millionen Men­ schen, weitere 800 Millionen Menschen waren auf verschiedenste Weise von den Katastrophen betroffen; der unmittelbare wirtschaftliche Schaden belief sich insgesamt auf 23 Mrd. US-$.121 Die Vereinten Nationen reagierten auf die gravierendsten Katastrophen auch weiterhin stets mit der Verabschiedung einzelfallbezogener General­ versammlungs-Resolutionen, deren Inhalt sich im Wesentlichen ähnelte. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wurden dazu eingeladen (Formulie­ rung: „The General Assembly invites / calls upon“), sich zu überlegen, wel­ che Hilfe sie den von den jeweiligen Katastrophen betroffenen Staaten zu­ kommen lassen könnten.122 In späteren Resolutionen wurde die Dringlichkeit in den Formulierungen verstärkt, indem die Mitgliedstaaten gebeten wurden (Formulierung: „The General Assembly appeals / requests“), ihre Hilfsbemü­ be taken for the benefit of the Sudano-Sahelian region], v. 19.  Dezember 1977; für Äthiopien: UNGA, Res 3441 (XXX) [Assistance to the drought-stricken areas of Ethiopia], v. 9. Dezember 1975; UNGA, Res 31/172 [Assistance to drought-stricken areas of Ethiopia], v. 21.  Dezember 1976; UNGA, Res 32/55 [Assistance to the drought-stricken areas of Ethiopia], v. 8. Dezember 1977; UNGA, Res 33/21 [Assis­ tance to the drought-stricken areas of Ethiopia], v. 29. November 1978; UNGA, Res 34/54 [Assistance to the drought-stricken areas of Ethiopia], v. 29. November 1979; UNGA, Res 35/91 [Assistance to the drought-stricken areas of Ethiopia], v. 5.  De­ zember 1980; für die Kapverdischen Inseln: UNGA, Res 31/17 [Assistance to Cape Verde], v. 22. November 1976. 117  UNGA, Res 37/152 [Assistance to Cape Verde], v. 17. Dezember 1982, Abs. 2 und 3; UNGA, Res 33/88 [Measures to be taken for the benefit of the Sudano-Sa­ helian region], v. 15.  Dezember 1978. 118  UNGA, Res 34/187 [Implementation in the Sudano-Sahelian region of the Plan of Action to Combat Desertification], v. 18.  Dezember 1979. 119  Green, International Disaster Relief: Toward a Responsive System (1980), 17 f.; zu den klimabedingten Katastrophen auch S. 25 und 27. 120  Green, International Disaster Relief: Toward a Responsive System (1980), 17. 121  UNGA, International Decade for Natural Disaster Reduction: Successor ar­ range­ments, v. 3.  Februar 2000, UN Doc. A/RES/54/219, Präambel-Abs. 3. 122  UNGA, Res 2378 (XXIII) (23.  Oktober 1968), Abs. 2; UNGA, Res 2757 (XXVI) (11.  Oktober 1971), Abs. 3; UNGA, Res 43/7 [Emergency assistance to Jamaica], v. 18.  Oktober 1988, Abs. 3.



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hungen zu verstärken123 und, beispielsweise im Falle einer Flutkatastrophe in Bangladesch 1974, der Dürre auf den Kapverdischen Inseln und anläss­ lich zweier Hurrikane in der Dominikanischen Republik 1979 sogar ge­ drängt (Formulierungen: The General Assembly „urges / urgently appeals“), ihre Bemühungen und die Kooperation bei unmittelbaren Hilfsaktionen zu intensivieren124, aber auch langfristige Hilfe anzubieten125 oder sich zumin­ dest finanziell an den Bemühungen der Vereinten Nationen auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes zu beteiligen.126 Die Länder, die besonders anfäl­ lig für Naturkatastrophen waren, wurden auch gebeten, Maßnahmen für die Planung und Vorbereitung der Katastrophenhilfe für Opfer von Naturkata­ strophen durchzuführen und dabei mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.127 Die Vereinten Nationen erkannten immer wieder an, dass die zentrale Verantwortung bei Naturkatastrophen bei dem von der Katastrophe unmittelbar betroffenen Staat liegt.128 Darüber hinaus wurden 123  UNGA, Res 3153 (XXVIII) [Aid to the Sudano-Sahelian populations threat­ ened with famine], v. 14.  Dezember 1973, Abs. 2; UNGA, Res 38/217 [Special as­ sistance to alleviate the economic and social problems faced in the regions of Honduras and Nicaragua as a result of the May 1982 floods and other subsequent natural disasters], v. 20.  Dezember 1983, UN Doc. A/RES/38/217, Abs. 5; UNGA, Res 47/228 [Emergency assistance to Cuba], v. 16.  Juli 1993, UN Doc. A/RES/ 47/228, Abs. 2. 124  UNGA, Res 3244 (XXIX) [Measures to assist Bangladesh following severe flooding disaster], v. 29. November 1974, Abs. 1; UNGA, Res 31/17 (22. November 1976), Abs. 2; UNGA, Res 34/18 [International assistance for the rehabilitation, reconstruction and development of the Dominican Republic], v. 9.  November 1979, Abs. 2; UNGA, Res 34/19 [International assistance for the rehabilitation, reconstruc­ tion and development of Dominica], v. 9.  November 1979, Abs. 3; UNGA, Res 43/17 [Emergency assistance to Nicaragua, Costa Rica, Panama and other countries affected by hurricane Joan], v. 28, Oktober 1988, UN Doc. A/RES/43/17, Abs. 3; UNGA, Res 44/3 [Emergency assistance to Antigua and Barbuda, the British Virgin Islands, Dominica, Montserrat and Saint Kitts and Nevis], v. 12.  Oktober 1989, UN Doc. A/RES/44/3Abs. 3; UNGA, Res 45/262 [Emergency assistance to Costa Rica and Panama], v. 3.  Mai 1991, UN Doc. A/RES/45/262, Abs. 2; UNGA, Res 45/263 [Assistance to Bangladesh in the wake of a devastating cyclone], v. 3.  Mai 1991, UN Doc. A/RES/45/263, Abs. 2. 125  Z. B. UNGA, Res 32/55 (8.  Dezember 1977), Abs. 3; UNGA, Res 33/133 [Implementation of the medium-term and long-term recovery and rehabilitation pro­ gramme in the Sudano-Sahelian region], v. 19.  Dezember 1978. 126  UNGA, Res 34/55 [Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordina­ tor], v. 29.  November 1979, Abs. 10; UNGA, Res 35/107 [Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator], v. 5.  Dezember 1980, Abs. 5; UNGA, Res 46/177 [Emergency assistance to the Philippines], v. 19.  Dezember 1991, Abs. 3. 127  UNGA, Res 32/56 [Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordina­ tor], v. 8.  Dezember 1977, Abs. 4. 128  UNGA, Res 37/144 (17.  Dezember 1982), Präambel-Abs. 6; UNGA, Res/ 38/202 [Strengthening the capacity of the United Nations system to respond to nat­

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jeweils der Generalsekretär der Vereinten Nationen sowie die Verantwort­ lichen der UN-Unterorganisationen, die sich auf dem Gebiet der Katastro­ phenhilfe betätigen, gebeten, die Bedürfnisse des jeweils von der Katastro­ phe betroffenen Landes bei der Verteilung ihrer Ressourcen zu berücksich­ tigen sowie generell ihre volle Unterstützung für die Opfer der Katastrophen anzubieten, indem sie sich beispielsweise im Sinne der Bestrebungen des UN-Generalsekretärs engagieren oder auf die Hilfsanfragen der betroffenen Länder reagieren.129 Der UN-Generalsekretär sollte auch über die Kapazitä­ ten verfügen, als erster im Katastrophenfall reagieren zu können und Hilfs­ maßnahmen anzubieten.130 Oft griff die UN-Generalversammlung in ihren Resolutionen auch die Empfehlungen des Wirtschafts- und Sozialrates zu einzelnen Katastrophen­ fällen auf und bestätigte die Notwendigkeit, gemäß diesen Empfehlungen zu handeln.131 Die Vereinten Nationen reagierten ferner auf Naturkatastrophen, indem sie gezielte Aktionen bezüglich bestimmter Arten von Naturkatastro­ phen initiierten, beispielsweise die weltweite Aktion zur Abmilderung von Sturm-, Zyklon- und Hurrikanschäden,132 sowie der Aufruf zum internatio­ nalen Kampf gegen Desertifikation.133 Daneben zeigten die Vereinten Nati­ ural disasters and other disaster situations], v. 20.  Dezember 1983, Präambel-Abs. 8 sowie Abs. 4. 129  UNGA, Res 3244 (XXIX) (29.  November 1974), Abs. 3; UNGA, Res 32/56 (8.  Dezember 1977), Abs. 5. 130  UNGA, Res 32/56 (8.  Dezember 1977), Abs. 6. 131  UNGA, Res 34/56 [Measures to be taken in connexion with the earthquake in Montenegro, Yugoslavia], v. 29.  November 1979, Abs. 2; UNGA, Res 38/222 [Assistance to Bolivia, Ecuador and Peru to alleviate the effects of natural disasters], v. 20.  Dezember 1983, Abs. 4. 132  UNGA, Res 2914 (XXVII) [International action for the mitigation of the harmful effects of storms], v. 9.  November 1972. 133  Z. B. UNGA, Res 3337 (XXIX) [International co-operation to combat deser­ tification], v. 17.  Dezember 1974; UNGA, Res 3511 (XXX) [United Nations Con­ ference on Desertification], v. 15.  Dezember 1975. Siehe ferner auch den UNGA, Res 33/89 [Plan of Action to Combat Desertification], v. 15. Dezember 1978, dessen Umsetzung aber am Fehlen adäquater finanzieller Mittel scheiterte; im ersten Jahr nach Verabschiedung des Aktionsplanes stellte kein UN-Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung hierfür bereit, UNGA, Res 34/184 [Plan of Action to Combat Deser­ tification], v. 18.  Dezember 1979, Abs. 2 und 3 sowie UNGA, Res 35/73 [Imple­ mentation of the Plan of Action to Combat Desertification], v. 5.  Dezember 1980, Abs. 1, so dass 1981 eine Studie zur Untersuchung, wie die finanzielle Unterstüt­ zung sichergestellt werden könne, in Auftrag gegeben wurde: UNGA, Res 36/191 [Study on Financing the Plan of Action to Combat Desertification], v. 17. Dezember 1981, UN Doc. A/RES/36/191. Es beteiligten sich aber kaum Länder an dieser Stu­ die (UNGA, Res 37/220 [Study on Financing the Plan of Action to Combat Deser­ tification], v. 20.  Dezember 1982, UN Doc. A/RES/37/220, Abs. 2, sowie UNGA, Res 38/163 [Study on Financing the Plan of Action to Combat Desertification], v.



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 

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onen eine deutliche Tendenz,134 nicht nur Soforthilfe bei Naturkatastrophen zu mobilisieren, sondern nach der Katastrophe auch den langfristigen Wie­ deraufbau und die Fortentwicklung der betroffenen Länder zu begleiten und zu unterstützen, beispielsweise beim Wiederaufbau des Jemen nach einem schweren Erdbeben 1982 oder anlässlich der schweren klimatischen Bedin­ gungen auf Madagaskar und in Bangladesch, die dort regelmäßig zu Zyklo­ nen und Überflutungen führen.135 Hervorzuheben ist auch die Operation Lifeline Sudan, durch die der Sudan seit 1989 mit humanitärer Hilfe, ins­ besondere in Form von Nahrungsmittelhilfe, versorgt wurde.136 In gleicher Weise wurden auch gezielte Programme zur Katastrophenvorsorge und besseren Vorbereitung einzelner Länder auf zukünftige Katastrophen initi­ iert, beispielsweise durch den Ausbau des Küstenschutzes auf den Maledi­ 19.  Dezember 1983, UN Doc. A/RES/38/163, Abs. 2), und auch in den Folgejahren blieb die finanzielle Unterstützung für den Aktionsplan aus, vgl. UNGA, Res 37/218 [Implementation of the Plan of Action to Combat Desertification], v. 20.  Dezember 1982 UN Doc. A/RES/37/218 sowie UNGA, Res 44/172 [Implementation of the Plan of Action to Combat Desertification], v. 19. Dezember 1989, UN Doc. A/RES/ 44/172, Abs. 2. Ländern, die häufig von Dürren und Desertifikation betroffen sind, widmete sich auch die Resolution UNGA, Res 38/208 [Countries stricken by drought and desertification], v. 17. Dezember 1984, UN Doc. A/RES/39/208 sowie eine vom UN-Generalsekretär speziell für die Notsituation in Afrika eingesetzte Arbeitsgrup­ pe, vgl. UNGA, Res 39/207 [Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordi­ nator], v. 17.  Dezember 1984, Abs. 12. 134  Zur schwierigen und vor allem von den Vereinten Nationen nicht immer ein­ gehaltenen Abgrenzung von Katastrophenhilfe im engeren Sinne und Entwicklungs­ hilfe siehe unten Teil  1, Kapitel  B. 135  UNGA, Res 39/190 [Assistance to Yemen], v. 17.  Dezember 1984; UNGA, Res 44/179 [Assistance to Democratic Yemen], v. 19.  Dezember 1989; UNGA, Res 39/191 [Assistance to Madagascar], v. 17.  Dezember 1984 (besonders Absatz 3); UNGA, Res 40/230 [Assistance to Madagascar], v. 17. Dezember 1985; UNGA, Res 40/231 [Long-term and effective solution of the problems caused by natural disasters in Bangladesh], v. 17.  Dezember 1985; UNGA, Res 43/9 [Short-term, medium-term and long-term solutions to the problems of natural disasters in Bangladesh], v. 18.  Oktober 1988. Siehe auch UNGA, Res 39/204 [Assistance to Nicaragua], v. 17. Dezember 1984 bezüglich Überflutungen und Dürreperioden 1982 sowie UNGA, Res 39/207 (17.  Dezember 1984), Abs. 9, wo ausdrücklich die Verantwortung des UN-Katastrophenhilfe-Koordinators zur Mithilfe beim Übergang in die Wiederauf­ bauphase, z. B. durch Informationsweitergabe, festgelegt wird. Siehe auch im Fall eines schweren Erdbebens in El Salvador 1986 die langfristigen Hilfsbemühungen der Vereinten Nationen in UNGA, Res 43/203 [Assistance to El Salvador], v. 11.  Dezember 1987, sowie, mit Blick auf die ebenfalls schwierigen klimatischen Bedingungen, die zu schweren Überflutungen führen, für Djibouti: UNGA, Res 45/228 [Assistance for the reconstruction and development of Djibouti], v. 21.  De­ zember 1990. 136  UNGA, Res 44/12 [Operation Lifeline Sudan], v. 24. Oktober 1989. Siehe zur Operation Lifeline Sudan auch Taylor-Robinson, Operation Lifeline Sudan, 28 J. Med. Ethics (2002), 49 (51).

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

ven137 oder durch die generelle Befassung mit den Problemen, die durch Überflutungen sowie Heuschreckenplagen entstehen.138 Zusammenfassend lässt sich festhalten: Auch wenn den Resolutionen der Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrates mangels Rechts­ setzungsbefugnis dieser beiden politischen UN-Organe139 kein rechtsver­ bindlicher Charakter zukommt,140 zeigen sie doch, dass die internationale Gemeinschaft schon vor der in den vergangenen Jahren erlebten Zunahme von Naturkatastrophen diese als Teil  des Aufgabenbereichs der Vereinten Nationen gesehen hat und nicht allein als rein nationalstaatliches Problem einordnete. Dieser Sichtweise ist für die Mitgliedstaaten letztlich zumindest auch politisch und damit „funktionsadäquat“ verpflichtend.141 Schließlich ist ausweislich Art. 1  Nr. 3 UN-Charta gerade die internationale Zusammenar­ beit zur Lösung von Problemen wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art  – und zu letzteren gehören die Folgen von Naturkatastro­ phen  – ein erklärtes Ziel der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen erkannten in ihren zahlreichen Resolutionen die Notwendigkeit an, dass sich UN-Mitgliedstaaten im Falle von Naturkatastrophen gegenseitig Hilfe leis­ ten und Solidarität zeigen sollen.142 Dies galt bereits damals insbesondere 137  UNGA, Res 42/202 [Special assistance to Maldives for disaster relief and the strengthening of its coastal defenses], v. 11.  Dezember 1987. 138  UNGA, Res 43/202 [International Decade for Natural Disaster Reduction], v. 20.  Dezember 1988, Abs. 9; UNGA, Res 43/203 [International strategy for the fight against locust and grasshopper infestation, particularly in Africa], v. 20.  Dezember 1988. 139  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance, 109. 140  Dies ergibt sich schon aus dem UN-intern geltenden Interventionsverbot ge­ mäß Art. 2 Nr. 7 UN-Charta (Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta), v. 24. Ok­ tober 1945, 1 UNTS XVI), vgl. Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts, in: Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht (6. Aufl. 2013), Kapitel  1, Rdnr.  15. Vgl. zum Einfluss nicht-bindender UN-Resolutionen, insbesondere der UN-Generalversammlung, auf die Entwicklung des Völkerrechts unten ausführlich Teil  1, Kapitel  C. 141  Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  15. 142  Vgl. hierzu etwa auch die explizite Aufnahme dieses Gedankens in eine Re­ solution anlässlich der Dürren in Afrika: „The General Assembly (…), Bearing in mind the urgent need for the international community to render assistance to Mem­ ber States in the event of natural disasters (…)“, UNGA, Res 39/205 [Assistance to the drought-stricken areas of Djibouti, Ethiopia, Kenya, Somalia, the Sudan and Uganda], v. 17.  Dezember 1984. Siehe auch die Resolution UNGA, Res 40/1 [In­ ternational relief for Mexico], v. 24.  September 1985, in der die UN-Generalver­ sammlung anlässlich eines schweren Erdbebens in Mexiko in der Präambel aner­ kennt, dass „a demonstration of international solidarity and humanitarian concern to ensure broad multilateral cooperation in order to meet the immediate emergency situation in the affected areas, as well as to undertake the process of reconstruction“



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 

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dann, wenn sich Naturkatastrophen in Entwicklungsländern ereigneten. Neben den Hilfsaufrufen konzentrierten sich die Vereinten Nationen darüber hinaus hauptsächlich auf den Bereich der Katastrophenvorsorge, bezüglich der alle Länder individuell, aber insbesondere Entwicklungsländer auch durch Technologietransfer und sonstige Hilfe der Industrienationen einen besseren Stand erreichen sollten. bb) Institutionalisierung der Katastrophenhilfe im UN-System Ende der 1960er Jahre bzw. zu Beginn der 1970er Jahre wurde Kritik daran laut, dass es zu zahlreiche UN-Unterorganisationen gab, die sich mit den verschiedensten Aspekten und Erscheinungsformen von Katastrophen bzw. Situationen, in denen humanitäre Hilfe erforderlich war, auseinander­ setzten.143 Um der Fragmentierung vorzubeugen bzw. die Koordinierung der einzelnen Organisationen zu ermöglichen, wurde 1971 die Einsetzung eines Amts des Koordinators der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Katast­ rophenhilfe beschlossen.144 Durch ihn sollte die Katastrophenhilfe durch UN-Organe wirtschaftlicher und effektiver gestaltet werden.145 Der jeweils für fünf Jahre vom UN-Generalsekretär eingesetzte Koordinator sollte die Kooperation der zahlreichen Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen untereinander, aber auch mit Nichtregierungsorganisationen und dem Inter­ nationalen Roten Kreuz, gewährleisten und im Falle einer Katastrophe die zur Unterstützung des betroffenen Staates notwendige Hilfe mobilisieren und koordinieren. Er wurde teilweise auch als Sonderbeauftragter des UNGeneralsekretärs eingesetzt.146 Zur Erhöhung seiner Effektivität, Erweite­ rung seiner Ressourcen und Stärkung seiner Möglichkeiten im Bereich des Katastrophenschutzes sollte er ab 1974 auf zusätzliche finanzielle Mittel, die zunächst aus freiwilligen Spenden generiert werden und in einem Trust gesammelt werden sollten, zugreifen können.147 Die Zielvorgabe dieses notwendig sind. Die identische Formulierung findet sich auch in UNGA, Res/41/2 [Emergency Assistance to El Salvador], v. 14.  Oktober 1986, Präambel-Abs. 5, so­ wie UNGA, Res 43/7 (18.  Oktober 1988), Präambel-Abs. 6. 143  Vgl. oben Fn. 85; ferner Beigbeder, The Role and Status of International Hu­ manitarian Volunteers and Organizations. The Right and Duty to Humanitarian As­ sistance (1991), 47 und ECOSOC, Res 1546 (XLIX) [Assistance in cases of natural disasters], v. 30.  Juli 1970, Abs. 10. 144  Office of the United Nations Disaster Relief Coordinator  – UNDRO, siehe UNGA, Res 2816 (XXVI) [Assistance in cases of natural disasters and other disas­ ter situations], v. 14.  Dezember 1971. 145  UNGA, Res 37/144 (17.  Dezember 1982), Abs. 13. 146  UNGA, Res 43/9 (18.  Oktober 1988), Abs. 2. 147  UNGA, Res 3243 (XXIX) [Strengthening of the office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator], v. 29.  November 1974 Abschnitt  2. Der Zweck des

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Fonds sah ab 1975 vor, dass für Notfallkatastrophenhilfe 400.000 US-$ bereitstehen sollten und für die langfristige Katastrophenvorsorge sowie technische Katastrophenvermeidung 600.000 US-$.148 Die Arbeit des UNDRO, insbesondere in den Jahren von 1976–1980, wurde 1980 durch die Inspektionseinheit der Vereinten Nationen149 mit er­ nüchterndem Ergebnis evaluiert und dem UNDRO größtenteils Ineffektivi­ tät konstatiert.150 Der JIU zufolge hatte UNDRO große Schwierigkeiten damit, das vorgesehene Programm umzusetzen, und konnte sich weder als zentraler Dreh- und Angelpunkt der internationalen Katastrophenhilfe eta­ blieren noch als Koordinator und Katalysator des effizienteren Umgangs mit Katastrophen profilieren.151 Dies lag womöglich auch an dem unspe­ zifischen Aufgabenspektrum des UNDRO, das von der unmittelbaren Ka­ tastrophenhilfe bis zur Vorsorge sowie dem langfristigen Wiederaufbau reichte.152 Das UNDRO war tatsächlich aber nur in sehr geringem Umfang in Hilfsmaßnahmen involviert.153 Zwischen 1972 und 1980 war UNDRO Fonds wurde bereits ein Jahr später erweitert; bei Katastrophen sollte den betroffe­ nen Ländern Soforthilfe aus dem Fonds gewährt werden; darüber hinaus sollten alle Regierungen technische Unterstützung für die Katastrophenvorsorge erhalten, siehe UNGA, Res 3440 (XXX) [Assistance in cases of natural disasters and other disastersituations], v. 9.  Dezember 1975, Abs. 1. 148  UNGA, Res 3532 (XXX) (17.  Dezember 1975). 149  Joint Inspection Unit (JIU). Die JIU wurde 1966 zunächst probeweise und ab 1976 dauerhaft von der UN-Generalversammlung etabliert. Es handelt sich dabei um eine Untersuchungskommission, deren Aufgabe es ist, alle Angelegenheiten zu unter­ suchen, die Auswirkungen auf die Effizienz der UN-Dienste sowie die ordnungsge­ mäße Mittelverwendung haben könnten, Art. 5 Nr. 1 des Statuts der JIU (Statute of the Joint Inspection Unit, Res 31/192, v. 22.  Dezember 1976). Sie soll unabhängige Untersuchungen und Evaluationen durchführen, die auch darauf gerichtet sein sollen, Verbesserungen hinsichtlich der Leitung, den Methoden und der besseren Koordina­ tion der einzelnen UN-Untereinheiten zu ermöglichen, Art. 5 Nr. 2 des Status der JIU. Zur JIU ausführlich auch Münch, The Joint Inspection Unit of the United Nations and Specialized Agencies  – The Role and Working Methods of a Comprehensive Over­ sight Institution in the United Nations System, in: Frowein/Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Yearbook of United Nations Law Vol. 2 (1998), 287–306. 150  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980). Eine kritische Kurzbeurteilung über die Arbeit des UNDRO nimmt auch Beigbeder, The Role and Status of International Humanitarian Volunteers and Organizations. The Right and Duty to Humanitarian Assistance (1991), 52–55, vor. 151  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980) ii, 33. 152  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), 6 ff. 153  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), ii.



A. Herausbildung des Katastrophenhilfevölkerrechts 

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nur bei 46 % aller sich weltweit ereignenden Naturkatastrophen an der Ka­ tastrophenhilfe beteiligt.154 Eine intensive Beteiligung (in Form der Erstel­ lung von Lageberichten, der finanziellen Unterstützung, der Durchführun­ gen von Feldmissionen zur Lagebeurteilung sowie die Koordination von Spenden) erfolgte nur in 10 % aller Fälle von Naturkatastrophen.155 In den Jahren 1978 / 79 trug UNDRO beispielsweise lediglich 3 % zu den weltweit verteilten Finanzhilfen an von Naturkatastrophen betroffene Länder bei, während der Rest des UN-Systems ebenfalls nur für 20,8 % der Finanzhil­ fen aufkam.156 Im Jahresdurchschnitt führte UNDRO nur fünf Notfallhilfs­ aktionen pro Jahr durch.157 Darüber hinaus hatte UNDRO mit internen Problemen zu kämpfen, viele Stellen blieben unbesetzt.158 Schließlich ließ die Akzeptanz von UNDRO Defizite erkennen. Andere Hilfsorganisationen der UN-Familie erkannten die dem UNDRO zugewiesene Führungsposition im Rahmen der Katastrophenhilfe der Vereinten Nationen nicht an, auch Geberländer waren gegenüber UNDRO sehr skeptisch eingestellt.159 Dem­ gegenüber wünschten sich die von Katastrophen betroffenen Länder teil­ weise einen engeren, auch persönlichen, Kontakt zu UNDRO160; andere von Katastrophen betroffene Länder lehnten demgegenüber einen Einsatz von UNDRO auf ihrem Territorium kategorisch ab.161 Schließlich war das finanzielle Budget von UNDRO limitiert: Verglichen mit den weltweiten Gesamtausgaben für die Katastrophenhilfe (175.980.239  US-$) war das für die unmittelbare Hilfe und Kooperation im Katastrophenfall vorgesehene UNDRO-Budget von 3.551.000  US-$ im Zeitraum 1978 / 79 überschau­ bar.162 154  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), 9. 155  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), 9. 156  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), 9; der größte Teil  an Finanzhilfen wurde von Regierungen bereitgestellt (insgesamt 52,3 %), ibid. 157  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), 11. 158  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), ii. 159  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), ii. 160  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), ii. 161  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), 8. 162  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), Annex 1.

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

1981 sollte die Rolle des UN-Katastrophenhilfekoordinators und seines Büros  – wohl auch vor dem Hintergrund des Urteils der JIU  – gestärkt werden, indem seine Befugnisse erweitert wurden. Er sollte nun auch fak­ tisch die unangefochtene Hauptanlaufstelle für die Aktionen der Vereinten Nationen im Bereich der Katastrophenhilfe sein und bei Katastrophen eine möglichst sofortige und höchst effektive Hilfe durch die Vereinten Natio­ nen gewährleisten, dabei aber auch mit dem UN-Generalsekretär zusam­ menarbeiten.163 Er wurde ausdrücklich ermächtigt, Ad-Hoc Konsultationen und Konferenzen zur Planung konzertierter Soforthilfsaktionen im akuten Katastrophenfall mit den Vertretern der betroffenen Länder sowie den ein­ zelnen UN-Organisationen im Bereich des Katastrophenschutzes einzuberu­ fen.164 In gleicher Weise wurde er ermächtigt, Treffen der einschlägigen UN-Organisationen und Institutionen zur Erarbeitung von Programmen zur Katastrophenvorsorge einzuberufen, zu denen auch Nichtregierungsorgani­ sationen sowie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes eingeladen werden konnten.165 Bei besonders schweren und komplexen Katastrophen sollte allerdings der UN-Generalsekretär ein Leitungsgremium, bestehend aus Vertretern der einzelnen UN-Katastrophenschutz-Einheiten bzw. -Orga­ nisationen, dem Amt des UN-Koordinators für Katastrophenhilfe166 sowie den lokalen UN-Einheiten im betroffenen Land zusammenstellen, das sich um die Planung und Ausführung der Hilfsmaßnahmen in dem bei sehr komplexen Katastrophen erforderlichen größeren Rahmen kümmern soll­ te.167 Im Wesentlichen bestand das UN-Katastrophenhilfe-Regime folglich aus zwei Komponenten: Bei ‚normalen‘ Katastrophen sollte Hilfe durch die Kooperation internationaler Organisationen, inklusiver der Vereinten Nationen, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sichergestellt werden, während in schwierigen Fällen ad-hoc Hilfe über den UN-Gene­ ralsekretär gewährleistet werden sollte.168 Ferner wurden alle Staaten zur gemeinsamen Kooperation, gerade auch durch Informationsaustausch mit den Vereinten Nationen, sowie zur Durchführung von und Hilfe bei Kata­ strophenvorsorgemaßnahmen sowie zur finanziellen Unterstützung der UN163  Der UN-Generalsekretär bediente sich bei seinen eigenen Aufgaben im Kata­ strophenfall auch häufig des Amtes des Koordinators für Katastrophenhilfe, vgl. UNGA, Res 37/166 [Assistance to Yemen], v. 14.  Dezember 1982, Abs. 4. 164  UNGA, Res 36/225 [Strengthening the capacity of the United Nations system to respond to natural disasters and other disaster situations], v. 17.  Dezember 1981, UN Doc. A/RES/36/225, Abs. 9. 165  UNGA, Res 36/225 (17.  Dezember 1981) UN Doc. A/RES/36/225, Abs. 8. 166  United Nations Emergency Relief Coordinator  – ERC. 167  UNGA, Res 36/225 (17.  Dezember 1981) UN Doc. A/RES/36/225, Abs. 10. 168  Beigbeder, The Role and Status of International Humanitarian Volunteers and Organizations. The Right and Duty to Humanitarian Assistance (1991), 54.



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Aktivitäten auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes aufgefordert.169 Die Regierungen der UN-Mitgliedsstaaten sollten dem UN-Koordinator für Ka­ tastrophenhilfe insbesondere auch die Namen von zur Katastrophenhilfe geeigneten Personen zukommen lassen, damit diese bei Hilfsoperationen gezielt eingesetzt werden können.170 Die UN-Unterorganisationen und sonstige Agenturen, die sich mit dem Katastrophenschutz befassten, sowie die Regierungen der betroffenen Länder sollten ferner untereinander ihre Kooperation intensivieren.171 c) „Internationale Dekade für die Verringerung von Naturkatastrophen“ und Fokussierung auf humanitäre Hilfe Mit dem Ende des Kalten Krieges ging eine deutliche Zunahme des En­ gagements der Vereinten Nationen auf dem Bereich der Internationalen Katastrophenhilfe auch bei Naturkatastrophen einher. Den vorläufigen Hö­ hepunkt der zunehmenden Sensibilisierung für Naturkatastrophen und ihre gravierenden Folgen bildete der Entschluss der Vereinten Nationen, die 1990er Jahre zur ‚Internationalen Dekade für die Verringerung von Natur­ katastrophen‘ zu erklären und seit 1989 den jeweils zweiten Mittwoch im Oktober zum ‚Internationalen Tag zur Vermeidung von Naturkatastrophen‘ zu benennen.172 Ziel der Dekade war es, durch konzertierte gemeinsame Bemühungen die gravierenden Auswirkungen von Naturkatastrophen (To­ desfälle, Sachbeschädigung, soziale und wirtschaftliche Probleme) vor allem in den Entwicklungsländern abzumildern.173 Ferner sollten von Naturkatas­ trophen betroffene Länder vor allem durch Informations-, Technologie- und Wissenstransfer zur Selbsthilfe im Katastrophenfall befähigt werden.174 Auf nationaler politischer Ebene sollten alle Staaten weitreichende nationale 169  UNGA,

19.

170  UNGA,

Res 36/225 (17.  Dezember 1981) UN Doc. A/RES/36/225, Abs. 15–

Res 36/225 (17.  Dezember 1981) UN Doc. A/RES/36/225, Abs. 10. Res/38/202 (20.  Dezember 1983), Abs. 7 und 8. 172  UNGA, Res 42/169 [International decade for natural disaster reduction], v. 11.  Dezember 1987, UN Doc. A/RES/42/169 (Initiierende Resolution); UNGA, Res 44/236 [International Decade for Natural Disaster Reduction], v. 22 December 1989(Resolution, mit der die Dekade offiziell ausgerufen wurde). 173  UNGA, Res 42/169 (11.  Dezember 1987) UN Doc. A/RES/42/169, Abs. 3. 174  UNGA, Res 42/169 (11.  Dezember 1987) UN Doc. A/RES/42/169, Abs. 4 a; UNGA, Res 44/236 (22 December 1989), Annex: International Framework of Action for the International Decade of Disaster Reduction, Section A: Objective ans Goals, Absatz 2 a). Der Wissenstransfer findet seit 1996 über die von UN-Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten (United Nations Office for the Co-ordi­ nation of Humanitarian Affairs  – UNOCHA) betriebene Internetseite http://relief web.int statt. 171  UNGA,

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Programme zur Reduzierung von Naturkatastrophen etablieren, indem zum Beispiel die Öffentlichkeit für das Thema Naturkatastrophen sensibilisiert wird, sowie, auf wissenschaftlicher und technischer Ebene, Mechanismen und Einrichtungen zur Vermeidung von Naturkatastrophen ausgearbeitet werden.175 In die gemeinsamen Bemühungen, Naturkatastrophen zu reduzie­ ren, sollten auch private Akteure wie wissenschaftliche, technische und Fi­ nanzinstitutionen sowie Versicherungen eingebunden werden.176 Auf UNEbene wurde darüber hinaus u. a. ein wissenschaftlich-technisches Komitee eingesetzt, das verschiedene Programme für die Dekade entwickeln und dabei die nationalen Besonderheiten, z. B. durch Zusammenarbeit mit na­ tionalen Komitees, berücksichtigen sollten.177 Nationale Komitees wurden zur Kooperation aufgefordert; so konnte beispielsweise 1991 in Südamerika ein Regionaltreffen nationaler Katastrophenschutzorganisationen abgehalten werden.178 Der Vorteil der Beschäftigung mit nationalen Strategien zur Ka­ tastrophenvorsorge bzw. -vermeidung lag für die internationale Gemein­ schaft insbesondere darin, sich zwar einem wichtigen und aktuellen Thema im gemeinsamen Dialog annehmen zu können, dabei aber mit Blick auf die Umsetzung der erarbeiteten Ergebnisse autonom die eigene Politik und die eigenen Regierungsziele verfolgen zu können, ohne Kompromisse mit an­ 175  UNGA, Res 42/169 (11.  Dezember 1987) UN Doc. A/RES/42/169, Abs. 4 c) – e) und 7 sowie, zu den Maßnahmen, die auf nationaler Ebene getroffen werden sollen: UNGA, Res 44/236 (22 December 1989), Annex: Framework of Action for the International Decade of Disaster Reduction, Section B: Policy Measures to be taken at the national level. Weitere Vorschläge der Vereinten Nationen sahen vor, dass die einzelnen Staaten versuchen, die notwendige Unterstützung aus dem priva­ ten und öffentlichen Sektor für die Ziele der Dekade mobilisieren und z. B. wichtige infrastrukturelle Einrichtungen wie Krankenhäuser besonders vor den Auswirkungen der Katastrophe zu schützen, ibid., Absatz 3 c) und f). 176  UNGA, Res 42/169 (11.  Dezember 1987) UN Doc. A/RES/42/169, Abs. 5; UNGA, Res 44/236 (22 December 1989), Annex: International Framework of Action for the International Decade of Disaster Reduction, Section B: Policy Measures to be taken at the national level, Abs. 4. 177  UNGA, Res 44/236 (22 December 1989), Annex: Framework of Action for the International Decade of Disaster Reduction, Section D.2: Scientific and technical committee on the International Decade of Disaster Reduction, Abs. 12–13. Das Ko­ mitee veröffentlichte ab 1991 jährlich einen Bericht über die bisherigen Ergebnisse und gab dort Empfehlungen heraus, siehe UNGA, Res 46/149 [International Decade for Disaster Reduction], v. 18. Dezember 1991, UN Doc. A/RES/46/149, Abs. 2. Der Abschlussbericht wurde 1999 veröffentlicht (,Final Report of the Scientific and Technical Committee of the International Decade of Disaster Reduction‘ (18.  Juni 1999) UN Doc. A/54/132/Add.1  – UN Doc. E/1999/1999/80/Add.1. 178  Das Treffen wurde von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation, dem Regionalbüro der Weltgesundheitsorganisation für Amerika, der Organisation ameri­ kanischer Staaten sowie dem Büro des UN-Katastrophen-Koordinators organisiert, siehe UNGA, Res 46/149 (18.  Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/149, Abs. 5.



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deren Staaten eingehen zu müssen. Resultate der Arbeit der UN auf dem Gebiet der Katastrophenvermeidung war, neben der Verabschiedung der Yokohama Principles, Strategy and Plan of Action for a Safer World179 insbesondere der Beschluss der Internationalen Strategie zur Katastrophen­ vermeidung 2000180 und der Hyogo-Erklärung 2005181 auf der UN-Weltkon­ ferenz zur Reduzierung von Katastrophen.182 Neben dem Ausruf der internationalen Dekade zur Vermeidung von Na­ turkatastrophen setzten sich die Vereinten Nationen ab 1988183  – in gerin­ gem Umfang  – mit humanitärer Hilfe jedweder Art auseinander184, insbe­ 179  Yokohama Strategy and Plan of Action for a Safer World, Guidelines for Natural Disaster Prevention, Preparedness and Mitigation, World Conference on Natural Disaster Reduction (Yokohama, Japan, 23.–27.  Mai 1994). 180  Vgl. z. B. ‚Activities of the International Decade of Disaster Reduction, Re­ port of the Secretary-General‘ (21.  Juli 1999) UN Doc. A/54/132-E/1999/80; ferner UNGA, International Decade for Natural Disaster Reduction: Successor arrange­ ments (3.  Februar 2000) UN Doc. A/RES/54/219 sowie ‚Implementation of the In­ ternational Strategy for Disaster Reduction, Report of the Secretary-General‘ (27. August 2012) (2012) UN Doc. A/67/335. 181  United Nations World Conference on Disaster Reduction, ‚Hyogo Declara­ tion‘ (16.  März 2005) Resolution 1, Auszug aus dem Abschlussbericht der World Conference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6. 182  Vgl. hierzu auch Fassbender, „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch?“ Die Internationalisierung von Risiken und die Entwicklung des völkerrecht­ lichen Katastrophenschutzrechts, KritV (2005), 375 (390). 183  Infolge des verstärkten Fokus auf Katastrophenhilfe seitens der Vereinten Nationen ließ sich 1988 im Vergleich zu den beiden Vorjahren auch ein tatsächlicher Anstieg bei den Aktivitäten der UN-Mitgliedstaaten und des UN-Systems, z. B. durch den UN-Nothilfe-Koordinator, auf dem Gebiet der Katastrophenvorsorge und -vermeidung beobachten (UNGA, Res 43/202 [Special economic and disaster relief assistance], v. 20. Dezember 1988, Präambel-Abs. 4). Zur weiteren Verbesserung des gemeinsamen Informationsaustausches wurde sodann auch das International Disaster Management Information Network initiiert und der UN-Nothilfekoordinator erneut aufgefordert, die Beziehungen mit den nationalen Katastrophenschutzeinheiten zu verstärken (UNGA, Res 43/131 [Humanitarian assistance to victims of natural disas­ ters and similiar emergency situations], v. 8.  Dezember 1988, Abs. 1 und 3). Wei­ terhin wurde der UN-Generalsekretär gebeten, zu prüfen, ob es möglich sei, eine Liste mit den Namen der Personen zu erstellen, die ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der humanitären Hilfe im Katastrophenfall sind. Auf diese sollten die Verein­ ten Nationen im Katastrophenfall zurückgreifen können und sie beispielsweise mit der Erstellung einer Bestandsaufnahme der Auswirkungen der jeweiligen Katastro­ phe und der Ermittlung der effizientesten Hilfsmaßnahmen betrauen (ibid., Ab­ satz  9). 184  UNGA, Res 43/129 [New international humanitarian order], v. 8.  Dezember 1988; UNGA, Res 45/101 [New international humanitarian order], v. 14.  Dezember 1990, UN Doc. A/RES/45/101; UNGA, Res 47/106 [New international humanitarian order], v. 26. April 1993, UN Doc. A/RES/47/106; UNGA, Res 43/130 [Promotion of international co-operation in the humanitarian field], v. 8.  Dezember 1988;

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

sondere aber auch im Zusammenhang mit den Opfern von Naturkatastrophen wurde nun auch ein unmittelbarer Blick auf die betroffene Bevölkerung und nicht mehr nur das Land an sich geworfen.185 In diesem Zusammenhang wurden 1991 in einer für die zukünftige Arbeit der Vereinten Nationen zentralen Resolution Leitlinien zur humanitären Hilfe in Notfallsituationen verabschiedet, die in besonderem Maße bzw. fast ausschließlich auf huma­ nitäre Hilfe bei Naturkatastrophen zugeschnitten waren.186 Sie kodifizieren in generalisierter Weise die Eckpunkte, welche die Vereinten Nationen wiederholt in ihren Resolutionen auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe zum Ausdruck gebracht haben und zeigen die Grundprinzipien auf, die in jedem Katastrophenfall von allen Beteiligten berücksichtigt werden sollen. Sie können damit auch als Ergebnis bzw. Essenz aller bis dahin ergangenen Resolutionen der UN-Generalversammlung im Bereich der Katastrophenhil­ fe aufgefasst werden. Besonders bemerkenswert an den Leitlinien von 1991 ist, dass die Vereinten Nationen die Katastrophenhilfe zum ersten Mal auch in einem rechtlichen Kontext betrachten. So heißt es im Leitprinzip 5, dass internationale Kooperation im Rahmen der Katastrophenhilfe stets im Ein­ klang mit dem Völkerrecht sowie dem nationalen Recht des von der Kata­ strophe betroffenen Landes geleistet werden sollte.187 Die Fokussierung auf humanitäre Hilfe im Allgemeinen führte schließlich dazu, dass das UNDRO 1991 in die neu gegründete Abteilung für humanitäre Angelegenheiten eingegliedert wurde.188 Zugleich wurde die Position eines Nothilfekoordinators mit dem Status eines Unter-Generalsekretariats ge­ schaffen, dessen Funktion aus einer Kombination der Aufgaben des früheren Koordinators auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe sowie der Aufgaben der Vertreter des UN-Generalsekretariats bei großen und komplexen Notfallsitu­ ationen bestand.189 Ferner wurden der Ständige inter-institutionelle Aus­ UNGA, Res 45/102 [Promotion of international co-operation in the humanitarian field], v. 14.  Dezember 1990, UN Doc. A/RES/45/102. 185  UNGA, Res 43/131 (8.  Dezember 1988); UNGA, Res 45/100 [Humanitarian assistance to victims of natural disasters and similiar emergency situations], v. 14.  Dezember 1990, UN Doc. A/RES/45/100. 186  UNGA, Res 46/182 [Strengthening of the coordination of humanitarian emer­ gency assistance of the United Nations], v. 19.  Dezember 1991, UN Doc. A/ RES/46/182, Annex. 187  UNGA, Res 46/182 (19.  Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182, Annex: I. Guiding Principles. 188  United Nations Department for Humanitarian Affairs  – DHA, siehe UNGA, Res 46/182 (19. Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182 sowie UNGA, Res 47/168 [Strengthening of the coordination of humanitarian emergency assistance of the United Nations], v. 7. April 1993, UN Doc. A/RES/47/168, Präambel-Abs. 6. 189  ERC, siehe UNGA, Res 46/182 (19. Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182, Abschnitt  VI (a) 34, 35.



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schuss190 sowie der Zentrale Fonds für die Reaktion auf Notsituationen191 gegründet und der Prozess eines konsolidierten Hilfsappelles192 etabliert. 1993 wurde dann eine wegweisende Resolution verabschiedet, die den Ein­ satz der Vereinten Nationen bereits zu Beginn einer Krise ermöglichte.193 2005 nahmen die Vereinten Nationen die sogenannte ‚Humanitarian Reform‘ vor. Dieses Programm wurde vom ERC und IASC initiiert. Ziel war, die Ef­ fektivität humanitärer Hilfe zu erhöhen und für den betroffenen Staat trans­ parenter zu machen, mit welcher Art und welchem Umfang von Hilfe er im Katastrophenfall rechnen kann und welche Maßnahmen er selbst vorbereiten muss. Die Umsetzung erfolgte durch die Etablierung des sogenannten ‚Cluster Approach‘.194 Dabei werden in neun Sektoren195 der humanitären Hilfe Cluster, d. h. Gruppierungen aus UN-Organisationen und Nicht-UN-Organi­ sationen, gebildet. Sie werden von einer Organisation angeführt und sind ei­ nerseits global tätig, aber auch fest in bestimmten Ländern etabliert, um ei­ nen Ansprechpartner für die Regierung und ggf. den jeweiligen Koordinator für Katastrophenhilfe zu bilden. Die Reformbemühungen der Vereinten Nati­ 190  Inter-Agency Standing Committee  – IASC. Es besteht aus allen im Bereich der humanitären Hilfe tätigen UN-Organisationen. Derzeitige Vollmitglieder sind die FAO, das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angele­ genheiten (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs  – OCHA), das UN-Entwicklungsprogramm (United Nations Development Program­ me  – UNDP), der UN-Bevölkerungsfonds (United Nations Population Funds  – UNFPA), das Programm der Vereinten Nationan für menschlische Siedlungen (United Nations Human Settlements Programme  – UNHABITAT), UNHCR, UNICEF, WFP und WHO. Ständige Gäste sind das Internationale Kommitee des Roten Kreuzes, der International Council for Voluntary Agencies (ICVA), die Inter­ nationale Föderation der Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, InterAction, die IMO, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschen­ rechte (United Nations High Commissioner for Human Rights  – UNHCHR), das Steering Committee for Humanitarian Response (SCHR), das Amt des besonderen Berichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von Binnenvertrie­ benen (Office of the Special Rapporteur of the Human Rights of Internally Dis­ placed Persons) sowie die Weltbank. 191  Central Emergency Revolving Fund  – CERF. 192  Consolidated Appeal Process  – CAP, siehe UNGA, Res 46/182 (19.  Dezem­ ber 1991) UN Doc. A/RES/46/182, Abschnitt  V. 193  UNGA, Res 48/57, v. 14.  Dezember 1993, UN Doc. A/Res/48/57, Abs. 12. 194  Siehe hierzu ausführlich OCHA, OCHA on Message: The Cluster Approach, . 195  Cluster bestehen für die folgenden Bereiche, in Klammern ist die vorsitzende Organisation angegeben: Logistik (WFP), Ernährung (UNICEF), Notunterkünfte (UNHCR und IFRK), Lagerkontrolle- und management (UNHCR und IOM), Ge­ sundheit (WHO), Schutz (UNHCR), Lebensmittelsicherheit (FAO und WFP), Not­ falltelekommunikation (WFP), Schneller Wiederaufbau (UNDO), Bildung (UNICEF und Save the Children) sowie Sanitäre Anlagen, Wasser, Hygiene (UNICEF).

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onen gipfelten 1998 darin, dass die Abteilung für humanitäre Angelegenhei­ ten in das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten umge­ wandelt wurde.196 OCHA ist heute mit 1900 Mitarbeitern als Büro des UNGeneralsekretariats organisiert und keine eigenständige UN-Behörde. Sie deckt einen breiten Themenbereich der internationalen Katastrophenhilfe ab, leidet aber darunter, dass sie einerseits eine politische Funktion innehat und andererseits operative Funktionen wahrnimmt. d) Zusammenfassung In Erfüllung ihrer in Art. 1 Nr. 3 UN-Charta niedergelegten Pflicht, inter­ nationale Probleme humanitärer Art zu lösen, haben sich die Vereinten Nati­ onen im Laufe ihrer Entwicklung zunehmend mit internationaler Katastro­ phenhilfe bei Naturkatastrophen befasst. Dieser Prozess wurde zumeist durch sich aktuell ereignende Naturkatastrophen katalysiert.197 Während anfangs die internationale Staatengemeinschaft lediglich eingeladen wurde, bei Na­ turkatastrophen Hilfe zu leisten, haben die Vereinten Nationen später zu­ nächst durch Sonderorganisationen, wie beispielsweise UNICEF, UNDP und WHO, sowie durch eigens für die Hilfe bei Naturkatastrophen zuständige Sondereinheiten (UNDRO, ERC) ihr diesbezügliches Engagement sukzessi­ ve ausgebaut. Heute besteht ihre wichtigste Aufgabe in der Koordination von Hilfsmaßnahmen. Angesichts der Zunahme von Naturkatastrophen sowie den mit ihnen verbundenen Schäden sind die Vereinten Nationen dabei aber, da­ mals wie heute, auf die enge Kooperation mit anderen Akteuren der interna­ tionalen Gemeinschaft, insbesondere Regierungen, sonstigen internationalen Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen, angewiesen, da die ko­ ordinativen Kapazitäten der UN in der Vergangenheit nicht ausreichend effi­ zient waren, eine Führungsrolle bei der internationalen Katastrophenhilfe zu übernehmen. Dies liegt unter anderem auch daran, dass viele Stellen in den mit Katastrophenhilfe betrauten Unter(organisationen) im UN-System nur temporär anlässlich einer Katastrophe ausgeschrieben und besetzt werden.198 Die sofort einsatzbereiten reaktionsfähigen Kernteams sind häufig sehr klein. Bis der Einstellungsprozess abgeschlossen ist, vergeht oft wertvolle Zeit, die bei der Koordination fehlt. Darüber hinaus sind zahlreiche der Maßnahmen 196  United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs – OCHA. OCHA wurde erstmals in UNGA, Res 53/629 [New international humanitarian or­ der], v. 10.  Februar 1999, UN Doc. A/RES/53/620, Präambel-Abs. 3 erwähnt. 197  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 110. 198  ,W.H.O. Leader Describes the Agency’s Ebola Operations‘ The New York Times (4.  September 2014) .



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der Vereinten Nationen abhängig von der freiwilligen finanziellen Unterstüt­ zung durch Mitgliedstaaten und andere Akteure.199 Dies zeigte sich in der jüngeren Vergangenheit insbesondere im Scheitern der Weltgesundheitsorga­ nisation beim Umgang mit der Ebola-Epidemie in Westafrika 2014. Die lan­ ge Inaktivität der Organisation wurde unter anderem auf fehlende finanzielle Mittel zurückgeführt, zumal die WHO zu 75 % auf private Spenden angewie­ sen ist, um ihr Budget zu decken.200 7. Sonstige Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe nach dem Zweiten Weltkrieg a) North Atlantic Treaty Organization (NATO) Die NATO befasste sich bereits 1953, nach heftigen Flutwellen an der Nordseeküste, mit der Problematik der internationalen Katastrophenhilfe.201 Es wurde im gleichen Jahr ein Programm verabschiedet, das die Katastro­ phenhilfe zwischen NATO-Mitgliedstaaten regelte.202 1958 arbeitete der NATO-Rat Richtlinien für die Koordination der gegenseitigen Hilfe der NATO-Mitgliedstaaten im Fall von Naturkatastrophen aus.203 Tatsächlich war die Beteiligung der NATO an Katastrophenhilfeeinsätzen bis in die 1990er Jahren zunächst nur moderat und bestand hauptsächlich aus techni­ scher Unterstützung. Bei Überschwemmungen in Italien wurde die NATO z. B. bei der Bewahrung von durch das Wasser bedrohter Kunstwerke in Florenz und Pisa aktiv.204 In den 1970er Jahren versuchte die NATO, ähn­ 199  Vgl. hierzu auch Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 109. 200  Global health agencies were too slow in responding to the Ebola crisis, Vox Media (14.  Mai 2015), . 201  NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ tion Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001) ferner NATO, ‚Backgrounder: NATO’s Role in Civil Emer­ gency Planning‘, NATO Public Diplomacy Division (Hrsg.) (2006) , 3. 202  Siehe hierzu IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007) , 75 mit Verweis auf NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disas­ ter Response Coordination Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 14. 203  NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ tion Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 5. 204  NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ tion Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 7.

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

lich wie die Vereinten Nationen, die Institutionalisierung der Katastrophen­ hilfe sowohl NATO-intern als auch mit humanitären Hilfsorganisationen zu verstärken. Hierzu wurden die Verfahrensrichtlinien von 1958 überarbeitet und in der geänderten Form erstmals 1975 bei einem Erdbeben im Südosten der Türkei angewendet.205 Die Hauptaufgabe der NATO bestand dabei in einer Analyse der benötigen Arten von Hilfe. Ein Jahr später übernahm die NATO bei einem schweren Erdbeben in Italien erstmal aktiv die Koordina­ tion der von Kanada, Frankreich, den Niederlanden und den USA angebo­ tenen Hilfe.206 In anderen Fällen verhinderte allerdings die durch den Kalten Krieg angespannte politische Lage effektive Hilfe durch die NATO: Zwar leisteten einige NATO-Staaten Armenien 1988 Hilfe, als das Land von ei­ nem schweren Erdbeben erschüttert wurde; die Hilfe wäre nach eigenen Angaben der NATO aber effektiver gewesen, wenn alle Hilfsmaßnahmen gemeinsam koordiniert worden wären.207 Auch bei einem Erdbeben in Kir­ gisistan 1992 erfolgte keine Koordination durch die NATO; die NATO rief lediglich  – nachdem sie von der Türkei darum gebeten worden war  – ihre Mitgliedsstaaten zur Hilfe auf.208 Die moderate Beteiligung an Katastrophenhilfeeinsätzen änderte sich in den 1990er Jahren. 1992 wurde die Kompetenz der NATO auch auf Kata­ strophen in Nicht-Mitgliedstaaten erweitert.209 Im Rahmen der am 29.  Mai 1998 vom Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat210 verabschiedeten Policy on Enhanced Practical Cooperation in the Field of International Disaster Re­ lief211 wurde im Juni 1998 das Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ 205  NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ tion Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 7 f. 206  NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ tion Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 8. 207  NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ tion Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 10. 208  Ursprünglich hatte UNDRO die NATO zur Hilfe aufgerufen. Hierauf durfte die NATO aber nicht reagieren; die NATO durfte in „out-of-area“ Katastrophenfällen nur auf Anfrage eines NATO-Mitgliedstaates tätig werden, NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 11. 209  NATO Civil Emergency Planning, Euro-Atlantic Disaster Response Coordina­ tion Centre (Hrsg.), ‚NATO’s Role in Disaster Assistance‘ (2001), 14. 210  Euro-Atlantic Partnership Council  – EAPC. Der Rat besteht aus 50 Mitglie­ dern, die sich aus den 28 NATO-Mitgliedstaaten und 22 Partnerstaaten zusammen­ setzen. 211  NATO-EAPC Policy on Enhanced Practical Cooperation in the Field of Inter­ national Disaster Relief, EAPC(C)D(98)10(Revised) (1998) (Enhanced Practical Cooperation Policy).



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tion Centre (EADRCC) gegründet.212 Das Zentrum ist für die Koordination der Katastrophenhilfe in Zusammenarbeit mit den NATO-Mitgliedstaaten bzw. den Mitgliedstaaten des EAPC, mit einer freiwilligen, nicht ständigen Einsatzeinheit der NATO-Mitgliedstaaten213 sowie den Vereinten Nationen, insbesondere OCHA, zuständig.214 Das EADRCC nimmt dabei offiziell nur eine subsidiäre, unterstützende Rolle ein, während die zentrale Verantwor­ tung für das Management und die Koordination der Hilfsmaßnahmen bei dem betroffenen Staat und den Vereinten Nationen liegen soll.215 2004 er­ weiterte die NATO das Mandat des EADRCC auf alle Regionen, in denen das Bündnis militärisch im Einsatz ist.216 In der jüngeren Vergangenheit hat die NATO nach Maßgabe der in der Enhanced Practical Cooperation Policy festgelegten Grundsätze vor allem eine zentrale koordinative Rolle, z. B. bei den Hilfsmaßnahmen nach Hurrikan Katrina in den USA 2005 sowie Über­ schwemmungen in Pakistan im gleichen Jahr eingenommen.217 2010 hat die NATO in ihrem Neuen Strategischen Konzept zudem betont, dass sie in Zukunft auch weiterhin außerhalb des Eintritts des Bündnisfalles aktiv Ka­ tastrophenhilfe gegenüber NATO-Mitgliedstaaten und Mitgliedern des EAPC leisten möchte, aber auch gegenüber Drittländern.218 So hatte sich die ­NATO bei den schweren Überflutungen in Pakistan 2010 besonders aktiv koordi­

212  Abs. 6.1.NATO-EAPC Policy on Enhanced Practical Cooperation in the Field of International Disaster Relief, EAPC(C)D(98)10(Revised) (1998). 213  Euro-Atlantic Disaster Response Unit  – EADRU. Gemäß Abs. 2.1.1. der NATO, Standing Operating Procedures for the Euro-Atlantic Disaster Response Unit (EADRU) (2007) ist die EADRU: „a nonstanding, multi-national mix of national civil and military elements (qualified per­ sonnel of rescue, medical and other units; equipment and materials; assets and transport).“ 214  Abs. 6.1., Abs. 9 und 10 NATO-EAPC Policy on Enhanced Practical Coope­ ration in the Field of International Disaster Relief, EAPC(C)D(98)10(Revised) (1998); IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 75. 215  Abs. 7.2., 7.3. NATO-EAPC Policy on Enhanced Practical Cooperation in the Field of International Disaster Relief, EAPC(C)D(98)10 (Revised) (1998). 216  The Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre, NATO (10. Februar 2015), , Historical Back­ ground. 217  NATO (Hrsg.), ‚NATO Brief: Operationen: damals und heute  – Die zuneh­ mende humanitäre Bedeutung der NATO‘ (Frühjahr 2006) . 218  ,Active Engagement, Modern Defence: Strategic Concept for the Defence and Security of the Members of the North Atlantic Treaty Organisation adopted by Heads of State and Government in Lisbon‘, NATO Public Diplomacy Division (Hrsg.) (19.–20. November 2010) , Rdnr.  25 Abs. 3.

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1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

nativ und unterstützend beteiligt, indem z. B. Sachspenden des WFP ausge­ flogen wurden.219 b) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft leistet vor allem einen finanzi­ ellen Beitrag zu internationalen Katastrophenhilfe. Gemäß Art. 59 Abs. 1 der Lomé I-Konvention220 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemein­ schaft und 54 Staaten aus der 1975 gegründeten Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) konnten außergewöhnliche Son­ dermittel an AKP-Staaten bereitgestellt werden, wenn diese aufgrund von Naturkatastrophen oder sonstigen besonderen Umständen in Schwierigkei­ ten geraten waren. Diese Klausel wurde auch in den nachfolgenden LoméKonventionen (II-IV)221 aufrechterhalten, wobei die Katastrophenhilfe ab Lomé II bereits keine außergewöhnliche Hilfe mehr darstellte, sondern re­ gulär als Notfallhilfe bereitgestellt werden konnte, vgl. z. B. Art. 137 Abs. 1 Lomé II. Darüber hinaus wurden auch die Bedingungen festgelegt, zu de­ nen die Mittels der EWG-Hilfen finanzierten Hilfsaktionen durchgeführt werden mussten (Art. 137 Abs. 8 Lomé II). Die EWG leistete außerhalb der Lomé-Konventionen auch Staaten, die nicht in der AKP-Gruppe waren, bei Naturkatastrophen finanzielle Hilfe und beteiligte sich darüber hinaus auch an den Hilfsprogrammen internationaler Organisationen, wie der UN, sowie Nichtregierungsorganisationen wie dem IKRK und Oxfam.222 8. Zwischenergebnis: Humanitäre Hilfe in Krieg und Frieden Die Aufzählung der historischen Entwicklung des praktischen Umgangs mit Naturkatastrophen hat gezeigt, dass schon seit der Antike ein Grund­ konsens dahingehend besteht, dass internationale Kooperation oft ein geeig­ netes Mittel zur Abmilderung der Auswirkungen von Katastrophen sein kann und sie daher grundsätzlich wünschenswert ist. Auch kommt ihr eine 219  More NATO humanitarian relief flights to Pakistan’s flood victims, NATO (30.  September 2010), . 220  ACP-EEC Convention of Lomé (Lomé I), v. 28.  Februar 1975, 14 ILM 595. 221  Second ACP-EEC Convention of Lomé (Lomé II), v. 31.  Oktober 1979, 19 ILM 327; Third ACP-EEC Convention of Lomé (Lomé III), v. 8.  Dezember 1984, 24 ILM 571; Fourth ACP-EEC Convention of Lomé (Lomé IV), v. 15.  Dezember 1989, 29 ILM 783. 222  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 113–115.



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hohe politische Symbolkraft zu und kann zur Legitimation der agierenden Regierungen beitragen. Lange Zeit wurde mit Naturkatastrophen höchst pragmatisch und einzelfallbezogen umgegangen. Dabei gab es durchaus auch Versuche, den Umgang mit Katastrophen zunächst systematisch zu organisieren und strukturieren sowie durch Kooperation auf internationaler Ebene zu professionalisieren. In der Antike wurde gegenseitige Katastro­ phenhilfe geleistet, wenn es die politische Situation erforderte. Insbesonde­ re im Römischen Reich wurden dabei sogar erste standardisierte Verfahren als Reaktion auf Katastrophen eingehalten. Im Mittelalter, zu Zeiten der Gründung der Ritterorden sowie des Internationalen Roten Kreuzes, florier­ te die internationale Hilfe gerade vor dem Hintergrund einer zunehmenden Christianisierung und es wurde kein Unterschied dabei gemacht, aus wel­ chen Gründen Länder und Individuen Hilfe benötigen  – sei es aufgrund von Epidemien, bewaffneten Konflikten oder auch Naturkatastrophen. Im ausgehenden 20. Jahrhundert wurde humanitäre Hilfe in erster Linie mit Kriegen und sonstigen bewaffneten Konflikten in Zusammenhang gebracht. Naturkatastrophen standen angesichts des Ersten Weltkrieges nicht im Fo­ kus der internationalen Gemeinschaft. Ereigneten sie sich, so ging man da­ von aus, dass die Katastrophenhilfe in den Kompetenzbereich des Roten Kreuzes fiele.223 Versuche, die internationale Kooperation bei Naturkatast­ rophen zu institutionalisieren, scheiterten vor allem an ungünstigen exter­ nen Faktoren wie der Weltwirtschaftskrise sowie dem Ausbruch des Zwei­ ten Weltkrieges. Die Vereinten Nationen realisierten nur langsam, dass sie eine wichtige Rolle bei Naturkatastrophen spielen können. Trotz zunehmen­ der Befassung mit Naturkatastrophen konnten sie ihre theoretische Rolle im Rahmen der internationalen Katastrophenhilfe, gerade auch bei deren Ko­ ordination und der Überwachung der Hilfsmaßnahmen, nicht in die Praxis umsetzen. Das komplexe Netzwerk verschiedenster UN-Unterorganisatio­ nen und die Unfähigkeit, bereits die eigenen Abteilungen und Unterorgani­ sationen für die Zwecke der Katastrophenhilfe zu koordinieren, stehen den Vereinten Nationen bis heute im Weg. Bis heute fehlt ein funktionierendes System der internationalen Hilfe bei Naturkatastrophen, wie jüngst die un­ zulängliche Reaktion der WHO auf die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 und 2015 gezeigt hat.

223  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), 3.

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II. Anlass und Motivation für die völkerrechtliche Beschäftigung mit dem Bereich der internationalen Katastrophenhilfe im 21. Jahrhundert 1. Rechtliche Vernachlässigung der internationalen Katastrophenhilfe in der Vergangenheit Bislang agieren die Beteiligten bei Katastrophen in Friedenszeiten scheinbar im rechtsfreien Raum und konzentrierten sich auf die operative Durchführung der Katastrophenhilfe, ohne dabei bestimmten Leitlinien oder einer Systematik zu folgen. Mit den rechtlichen Erwägungen, die der Katastrophenhilfe zugrunde liegen, hat sich die internationale Gemein­ schaft in der Vergangenheit nur selten auseinandergesetzt. In der UN-Ge­ neralversammlung sowie im Generalsekretariat begannen 1965 erste Dis­ kussionen über Fragen des rechtlichen Status von, der Jurisdiktion über und ferner die Haftung von Katastrophenhilfeeinheiten.224 1971 wurden die UN-Mitgliedstaaten gebeten, sich Gedanken über geeignete nationale rechtliche Rahmenbedingungen zu machen, um die technische Ausführung der Katastrophenhilfe zu erleichtern.225 1977 veröffentlichten UNDRO und die Liga der Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes226 eine Studie zu diesem Thema der operativen Katastrophenhilfe, in der es vor allem um die Hürden, die der Durchführung internationaler Katastrophenhilfe und der Fortbewegung des Hilfspersonal vor Ort entgegenstanden, ging.227 Es wurden auch Vorschläge unterbreitet, wie man diese Hürden überwin­ den könne. Der Wirtschafts- und Sozialrat forderte 1977 die UN-Mitglied­ staaten auf, diese Verbesserungsvorschläge durch entsprechende legislative, administrative oder operative Maßnahmen auf nationaler Ebene umzuset­ 224  Siehe oben Fn. 113. Hierzu auch ausführlich Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Orga­ nization (1985), 150 f. Die Lage konnte nur eindeutig für solche Einheiten gelöst werden, die Nebenorgane der Vereinten Nationen im Sinne von Art. 29 UN-Charta sind. Für diese gelten die Bestimmungen der Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations, v. 13.  Februar 1946 (in Kraft getreten am 17.  September 1946), 1 UNTS 15. Auch für sonstiges UN-Personal gelten teilwei­ se Vorschriften dieser Konvention, auch wenn sie keine Mitglieder einer UNNebenorgan-Einheit sind (z. B. Art. VI und VII), Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Orga­ nization (1985), 150 f. 225  UNGA, Res 2816 (XXVI) (14.  Dezember 1971), Abs. 8 e). 226  Heute: Internationale Föderation der Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes. 227  ,Report of the Secretary-General, Office of the UN Disaster Relief Co-ordi­ nator‘ (12.  Mai 1977) UN Doc. A/32/64, Corr. 1 Annex II.



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zen228; die UN-Generalversammlung schloss sich dem an.229 In der Praxis der UN-Mitgliedstaaten erfuhren die Verbesserungsvorschläge aber kaum Aufmerksamkeit.230 Gleiches gilt für die ersten Modellgesetze zur Kata­ strophenhilfe. Die International Law Association231 arbeitete zu Beginn der 1970er Jahre den ersten sehr detaillierten Entwurf eines Modellgeset­ zes für die internationale Katastrophenhilfe aus.232 1982 veröffentlichte das UN-Institut für Ausbildung und Forschung233 Modellregelungen für Hilfs­ missionen,234 die sich ebenfalls in erster Linie mit den operativ-techni­ schen Aspekten der Katastrophenhilfe befassten und nach eigenen Anga­ ben der UNITAR eine Fortentwicklung der Empfehlungen des UNDRO und der Liga des Roten Kreuzes von 1977 darstellten.235 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die zaghaften ersten Ansätze zur regulatorischen Beschäftigung mit Katastrophenhilfe Ende des 20. Jahr­ hunderts den Blick ausschließlich auf eine stärkere Regulierung des opera­ tiven Teils der Katastrophenhilfe richteten. An die Grundfragen der Kata­ strophenhilfe, d. h. die Frage nach einer Verpflichtung zur Durchführung oder Duldung internationaler Katastrophenhilfe, wagte man sich nicht heran, auch wenn es durchaus auf nicht-institutioneller Ebene erste Wünsche dies­ bezüglich gab.236 228  ECOSOC, Res 2102 (LXIII) [Measures to expedite international relief], v. 3. August 1977, Abs. 3. 229  UNGA, Res 32/56 (8. Dezember 1977) Abs. 3; Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance – Disaster Relief Actions in International Law and Organi­ zation (1985), 154 f. 230  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 154 f. 231  Die International Law Association (ILA) ist eine internationale Nichtregie­ rungsorganisation, die 1873 in Brüssel gegründet wurde und mittlerweile Beobach­ terstatus bei zahlreichen UN-Unterorganisationen hat. Gemäß Art. 3.1 ihres Statuts besteht die Aufgabe der ILA in der Untersuchung, Präzisierung und Entwicklung des internationalen Privatrechts und des Völkerrechts, sowie in der Förderung des welt­ weiten Verständnisses und der Anerkennung des internationalen Rechts. Siehe auch die Homepage der ILA unter International Law Association, Welcome to the ILA, . 232  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 153. 233  United Nations Institute for Training and Research (UNITAR). 234  Model Rules for Disaster Relief Operations, UNITAR, v. 1982, . 235  Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 156. 236  Beispielsweise vorgebracht durch die United Nations Association of the United States, Macalister-Smith, International Humanitarian Assistance  – Disaster Relief Actions in International Law and Organization (1985), 157.

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2. Entstehung eines neuen Rechtsgebiets in Gestalt des Katastrophenhilfe- bzw. -schutzvölkerrechts im 21. Jahrhundert Die Scheu der Staatengemeinschaft vor einer Regulierung und Systema­ tisierung der internationalen Katastrophenhilfe änderte sich mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts. Es lassen sich drei Gründe als Katalysatoren der ver­ stärkten Beschäftigung mit den Möglichkeiten der internationalen Gemein­ schaft beim Umgang mit Naturkatastrophen identifizieren: Neben der  – zu­ mindest in der exorbitanten Medienberichterstattung als solche wahrgenom­ menen  – Zunahme von Naturkatastrophen in den vergangenen Jahren237 ist dies zum einen die fehlende Sensibilisierung und Vorbereitung zahlreicher Staaten auf Katastrophen und Großschadenslagen, zum anderen sind es die oben bereits angesprochenen Probleme und Gefahren, die entstehen können, wenn humanitäre Hilfe bei Naturkatastrophen ohne Regeln und ohne Koor­ dination ausgeführt wird. Als Meilensteine im Entstehungsprozess eines ‚internationalen Katastro­ phenhilfe- bzw. -schutzrechts238‘ sind insbesondere die von der Internatio­ nalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung entwickelten Instrumente her­ vorzuheben, aber auch die Arbeit von Regionalorganisationen und Juristen­ vereinigungen.239 Die Vereinten Nationen haben die völkerrechtlichen Im­ plikationen des Katastrophenschutzes das erste Mal intensiv im Jahr 2004 angesprochen. In der Arbeitsgruppe für die Gestaltung des langfristigen Programmes der ILC als Unterabteilung der Generalversammlung wurde angeregt, den Bereich des Schutzes von Personen in kritischen Situationen auf die Agenda der ILC zu setzen.240 Nach dem Tsunami 2004 in Südost­ 237  Siehe

dazu die Einführung oben. der zunehmenden Entwicklung in diesem Bereich sehen noch immer einige Völkerrechtler den Bereich der internationalen Katastrophenhilfe nicht als Bestandteil des Völkerrechts an, sondern ordnen ihn der „internationalen Moral“ zu, siehe z. B. Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  67. 239  Siehe dazu ausführlich Teil  1, Kapitel  C. 240  Nach Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta „veranlasst die Generalversammlung Untersuchungen und gibt Empfehlungen ab, um (…) die fortschreitende Entwick­ lung des Völkerrechts sowie seine Kodifizierung zu begünstigen.“ Zur Umsetzung dieser Zielvorgabe wurde mit der Generalversammlungs-Resolution UNGA, Res 174 (II) [Establishment of an International Law Commission], v. 21. November 1947 die ILC ins Leben gerufen. Nach Art. 1 Abs. 1 des ILC-Statuts von 1947 ist deren Auf­ gabe die Förderung der progressiven Entwicklung des internationalen Rechts sowie dessen Kodifikation. Gemäß Art. 15 ILC-Statut sollen Entwurfs-Konventionen für Themenkomplexe erstellt werden, die bisher noch nicht durch das Völkerrecht gere­ gelt wurden oder in denen sich noch das Recht auf Grundlage der Staatenpraxis noch nicht hinreichend entwickelt hat. Darüber hinaus sollen Regeln des internatio­ 238  Trotz



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asien wurden der Arbeitsgruppe der ILC 2006 verschiedene Vorschläge zur Ausgestaltung der Arbeit an dem Themenkomplex der internationalen Kata­ strophenhilfe vorgelegt.241 Die ILC hat dann auf ihrem 2929. Treffen am 1.  Juni 2007 beschlossen, das Thema ‚Protection of persons in the event of disasters‘ mittels der Erarbeitung von Draft Articles aufzugreifen und Valencia-Ospina zum Berichterstatter zu ernennen.242 Bei der Arbeit an den Draft Articles on the Protection of Persons in the Event of Disasters (DAPPED) steht die progressive Entwicklung des Völkerrechts im Vordergrund, wobei Überschneidungen mit der Feststellung und Kodifikation bestehenden Rechts nicht auszuschließen sind. Die ILC sieht es als besondere Heraus­ forderung an, eine überzeugende Balance zwischen lex lata und lex ferenda zu finden. 3. Zusammenfassung Der Versuch, sich den Folgen von Naturkatastrophen als chaotischen, oft als höhere Gewalt beschriebenen Zuständen aus einer rechtlichen und damit geordneten, systematisierten Perspektive zu nähern, scheint zunächst fernzu­ liegen.243 Dies könnte ein Grund dafür sein, warum die internationale Ka­ tastrophenhilfe juristisch bzw. völkerrechtlich bis in die vergangenen Jahre hinein völlig vernachlässigt wurde.244 Ein weiterer Grund, warum es der Staatengemeinschaft so schwer gefallen ist, einen Konsens auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe herzustellen, ist ein ausgeprägtes Souveränitätsden­ ken.245 Die potentiellen Geberstaaten möchten sich nicht dazu verpflichten lassen, im Staatshaushalt ein Budget für Katastrophenhilfe vorzusehen, Militär oder sonstige Staatsbedienstete als Hilfstruppen abzuordnen oder Logistik und Infrastruktur in anderen Staaten bereitzustellen. Dies gilt ins­ nalen Rechts in Bereichen, in denen es bereits extensive Staatenpraxis, Präzedenz­ fälle und Lehrmeinungen gibt, präzise zusammengefasst und systematisiert werden. 241  UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eight session‘ (1.  Mai–9.  Juni; 3.  Juli–11.  August 2006) UN Doc. A/61/10, Annex C. 242  UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-ninth session‘ (7. Mai–5. Juni 2007, 9. Juli–10. August 2007) UN Doc. A/62/10, Kapitel  X Rdnr.  375. 243  Kloepfer, Einführung, in: Kloepfer (Hrsg.), Katastrophenrecht: Grundlagen und Perspektiven (1. Aufl. 2008), 9. 244  IFRK, ‚World Disasters Report‘ (2000) ,157 f.; ebenfalls zitiert in Fidler, Disaster Relief and Governance after the Indian Ocean Tsunami: What Role for International Law?, 6 Melb. J. Int. Law (2005), 458 (459). 245  Fidler, 6 Melb. J. Int. Law (2005), 461, 466; Fassbender, KritV (2005), 377 f., 397.

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besondere für Länder, gegenüber denen politische Ressentiments bestehen, die ohnehin bereits viele Zuwendungen im Rahmen der regulären Entwick­ lungshilfe erhalten, die durch eigene Unzulänglichkeiten nicht ausreichend für den Katastrophenfall bzw. dessen Vermeidung vorgesorgt haben. Umge­ kehrt gehört das Katastrophenabwehrrecht zur ureigenen Verantwortung ei­ nes Staates, in das Einmischungen von außen unerwünscht und nach dem völkerrechtlichen Interventionsverbot246 grundsätzlich verboten sind. Dieses ‚Souveränitätsdilemma‘ erklärt auch, dass sich die internationale Gemein­ schaft in der Vergangenheit bevorzugt mit nationalen Katastrophenvermei­ destrategien auseinandergesetzt hat, anstatt ein gemeinsames Fundament und verbindliche Leitlinien für die gegenseitige internationale Katastrophen­ hilfe zu entwickeln.247 Von Naturkatastrophen betroffene Länder sind damit bislang entweder auf den Altruismus anderer Staaten angewiesen, oder müssen sich selbst durch Katastrophenvorsorge und nationale Hilfsmechanismen bei Naturkatastro­ phen helfen. Angesichts der Tatsache, dass sich Naturkatastrophen gerade in den geographisch besonders verwundbar gelegenen Entwicklungsländern ohne funktionierende Infrastruktur ereignen248, gelingt die Selbsthilfe jedoch selten. Auf internationale Kooperation und vor allem Koordination kann daher nicht verzichtet werden, da nur durch sie Staaten zur Selbsthilfe be­ fähigt werden können. Ob die Staatengemeinschaft oder einzelne Staaten verpflichtet sind, einem durch eine Naturkatastrophe in Not geratenem Staat und dessen Bevölkerung finanzielle und / oder operative Katastrophenhilfe zu leisten, ist aber bislang ungeklärt. Dies gilt sowohl für die Konstellation, dass der betroffene Staat explizit Hilfe anfordert, als auch für den Fall, dass der betroffene Staat selbst untätig bleibt und die Bevölkerung ohne externe Hilfe großem Leiden ausgesetzt ist. Auf der anderen Seite steht ebenso wenig fest, ob der von der Katastrophe betroffene Staat verpflichtet ist, sich notfalls auch gegen seinen erklärten Willen und gar gewaltsam fremde Hil­ 246  Das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte und aus der souveränen Gleich­ heit aller Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) abgeleitete Interventionsverbot besagt, dass es den Staaten untersagt ist, sich in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Siehe hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völker­ recht  – Die Grundlagen. Die VölkerrechtssubjekteI/1 (2. Aufl. 1989), 797; Kunig, Intervention, Prohibition of, MPEPIL (2008), Rdnr.  1. 247  Fidler, 6 Melb. J. Int. Law (2005), 472. 248  Vgl. World Bank, ‚The International Decade for Natural Disaster Reduction: Disaster Prevention for Sustainable Development (economic and policy issues)‘ (1995) 12–15. Siehe auch Freeman, Estimating chronic risk from natural disasters in developing countries: A case study on Honduras in ‚Annual Bank Conference on Development Economics-Europe De­ velopment Thinking at the Millenium (Paris, 26.–28.  Juni 2000)‘ (2004).



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fe oktroyieren zu lassen. Diesen Fragen möchte sich die vorliegende Arbeit durch eine systematische Analyse der Lage de lege lata widmen, um nicht nur eine wissenschaftliche Klärung der Grundprobleme der internationalen Katastrophenhilfe zu erreichen, sondern auch de lege ferenda Überlegungen zur Verbesserung der die Lebenswirklichkeit vieler Staaten immer stärker bestimmenden internationalen humanitären Hilfe bei Naturkatastrophen auf­ zuzeigen.

B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles I. Definition des Katastrophenfalles Das Wort ‚Katastrophe‘ ist kein feststehender juristischer Fachbegriff.249 Seine Bedeutung ist durch Auslegung im Rahmen einer Gesamtschau der bisher verwendeten Katastrophenbegriffe in den bestehenden Normen des Katastrophenschutzvölkerrechts zu ermitteln. Als Auslegungshilfe ist die in Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtkonvention250 normierten Ausle­ gungsregel heranzuziehen, wonach ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem 249  Zahlreiche Regelungsinstrumente verzichten daher vollständig auf eine De­ finition, wie auch der Sonderberichterstatter der ILC zutreffend anmerkt (ILC, ‚Second report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Edu­ ardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (7.  Mai 2009) UN Doc. A/CN.4/615, Rdnr.  31). Beispiele für Regelungsinstrumente ohne Definition sind z. B. das deutsche Ge­ setz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG), v. 25.  März 1998, BGBl. I 726. Eine Definition fehlt auch in zahlreichen bilateralen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit ihren Nachbarstaaten, z. B. im Gesetz zu dem Abkommen vom 2.  März 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen, v. 7.  Juli 1981, BGBl. II 445 sowie im gleichlautenden Gesetz zu dem Abkommen vom 23.  Dezember 1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Bun­ desrepublik Österreich über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen und Unglücksfällen, v. 20. März 1992, BGBl. II 593, im Gesetz zu dem Abkommen vom 28.  November 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizeri­ schen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen und Unglücksfällen, v. 22.  Januar 1987, BGBl. II 967 sowie im Gesetz zu dem Abkom­ men vom 3.  Februar 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen und Unglücksfällen, v. 14.  Januar 1980, BGBl. II 1438. 250  Vienna Convention on the Law of Treaties (VCLT), v. 18.  April 1961 (in Kraft getreten am 27.  Januar 1980), 500 UNTS 95.

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Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist. Auch wenn explizit nur auf völkerrechtliche Ver­ träge bezogen, kann die bezeichnete Methode mittlerweile auch als allge­ meines Rechtsprinzip im Völkerrecht bezeichnet werden und findet damit entsprechende Anwendung auch für sonstige Regelungsformen des Völker­ rechts, insbesondere für das von Internationalen Organisationen geschaffene Sekundärrecht sowie einseitige Akte und Erklärungen.251 1. Allgemeiner Sprachgebrauch Bevor seine spezifische völkerrechtliche Bedeutung untersucht wird, ist zunächst zu prüfen, ob dem Begriff der Katastrophe im allgemeinen Sprach­ gebrauch hinreichend Grenzen gezogen sind, die für seine juristische Ver­ wendung genutzt werden können. Etymologisch stammt das Wort Katastro­ phe aus dem Altgriechischen (καταστροφή) und setzt sich zusammen aus dem Präfix kata (κατά = schlecht, unter, herab) und dem Verb strephein (στρέφειν = wenden).252 In der deutschen Sprache bezeichnet der Begriff der Katastrophe ein schweres Unglück oder ein Naturereignis mit verherren­ den Folgen.253 In der englischen Sprache werden die Begriffe ‚disaster‘, ‚catastrophe‘ und ‚calamity‘ synonym verwendet. ‚Catastrophe‘ bezieht sich – vor allem im literarischen Zusammenhang – auf ein „folgenschweres tragisches Ereignis, das sich auf ein extremes Unglück oder einen komplet­ ten Umsturz oder den völligen Ruin erstrecken kann.“254 Der Begriff kann sich aber auch auf eine gewaltsame und plötzliche Veränderung der Erde oder ein gewaltsames, meist zerstörerisches Naturereignis beziehen.255 Als ‚disaster‘ wird ein plötzliches schicksalhaftes Ereignis bezeichnet, das gro­ ße Schäden, Verluste oder Zerstörung nach sich zieht.256 Im weiteren Sinne bezeichnet der Begriff auch ganz allgemein ein plötzliches oder schwerwie­ 251  Herdegen,

Interpretation in International Law, MPEPIL (2013), Rdnr.  50, 53. Taschenwörterbuch Altgriechisch (Völlige Neubearb. 2013) Langenscheidt, Berlin, München. 253  Definition ‚Katastrophe‘, Duden Online, . 254  Definition ‚catastrophe‘, Merriam Webster Dictionary/Webster’s Online Dic­ tionary, „momentous trag­ ic event ranging from extreme misfortune to utter overthrow or ruin.“ 255  Definition ‚catastrophe‘, Merriam Webster Dictionary/Webster’s Online Dic­ tionary, „a violent and sudden change in a feature of the earth“; „violent usually destructive natural event.“ 256  Definition ‚disaster‘, Merriam Webster Dictionary/Webster’s Online Dictio­ nary, „sudden calamitous event bringing great damage, loss, or destruction“. 252  Langenscheidt



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 81

gendes Unglück oder ein Scheitern.257 Auch in der französischen Sprache werden für den Begriff der Katastrophe die Wörter ‚désastre‘, ‚catastrophe‘ und ‚calamité‘ synonym verwendet, mit ähnlichen Bedeutungen wie die englischen Lehnwörter. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff ‚Katastrophe‘ haupt­ sächlich im literarischen Kontext verwandt, bevor er dann seine heutige Bedeutung erhielt.258 Im allgemeinen Sprachgebrauch sind dabei zwei ent­ scheidende Wesensmerkmale mit dem Katastrophenbegriff assoziiert. Zum einen wohnt der Katastrophe ein schicksalhaftes, unkontrollierbares Moment inne. Daneben zeichnet sich die Katastrophe vor allem durch ihre negativen Folgen aus. Der Historiker Francois Walter definiert daher die Katastrophe treffend „als konkrete, Schaden hervorrufende Realisierung eines möglichen Risikos.“259 Der Eintritt des Risikos ist auch deswegen „schicksalhaft“, weil sich nicht alle möglichen Risiken vorher antizipieren lassen.260 Da sich die in dieser Definition enthaltenen Wesensmerkmale aber auf zahlreiche weltgeschichtliche Vorgänge übertragen lassen, sind dem Begriff der Katastrophe im allgemeinen Sprachgebrauch keine Grenzen gezogen. Um den Begriff als Untersuchungsgegenstand des Katastrophenschutzvölker­ rechts brauchbar zu machen und damit den potentiellen Anwendungsbereich der herauszuarbeitenden Verhaltenspflichten im Katastrophenfall bestimmen zu können, muss der Tatbestand des Katastrophenfalles zumindest prima facie für die Zwecke der vorliegenden Arbeit in einen rechtlichen Kontext ge­ setzt und konkretisiert werden.261 Ausgehend vom allgemeinen Sprachge­ brauch sind dabei als notwendige Definitionselemente festzuhalten, dass eine Katastrophe zunächst ein auf einer oder mehreren bestimmten Ursachen (I.2.) beruhendes Ereignis oder eine Kette von Ereignissen darstellt, das oder die in bestimmtem Ausmaß negative Auswirkungen hat (I.3.).262 257  Definition ‚disaster‘, Merriam Webster Dictionary/Webster’s Online Dictio­ nary, „sudden or great mis­ fortune or failure.“ 258  Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert (2010), 17. 259  Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert (2010), 15. 260  Dies hat der Fall Fukushima 2011 gezeigt. Siehe zu diesem Themenbereich auch Schleissing, Risikoforschung und Gerichtsverstehen: Technik im Zeichen der Katastrophe, TTN-Info (2013/I), 1. 261  Siehe zur Funktion der Definition, einen Begriff für bestimmte besondere Zwecke einzugrenzen Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (1. Aufl. 1977), Rdnr.  69. 262  Kloepfer, ‚Gastbeitrag: Der Staat in der Verantwortung‘ FAZ (2.  Mai 2012) . Teilweise wird in den Materialien zu Regelungsentwürfen der Ge­

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2. Definition anhand von Art und Ursache der Katastrophe Eine erste Annäherung an den Katastrophenbegriff kann anhand der Be­ stimmung von Art und Ursachen eines als Katastrophe in Betracht kommen­ den Ereignisses vorgenommen werden. Orientiert man sich an einem risiko­ theoretischen Verständnis, kommt es also darauf an, welches Risiko sich in einer Katastrophe realisiert. a) Wesenskern des Katastrophenbegriffs: Beschränkung auf Naturkatastrophen Als Ausgangspunkt könnte man eine Differenzierung zwischen Naturka­ tastrophen einerseits und ‚menschengemachten‘ Katastrophen in Erwägung ziehen und das Katastrophenhilfevölkerrecht in seinem Anwendungsbereich auf Naturkatastrophen begrenzen.263 Die kategorische Gegenüberstellung zwischen Naturkatastrophen und menschengemachten Katastrophen ist all­ danke aufgeworfen, ob ein Ereignis selbst die Katastrophe darstellt oder erst in Verbindung mit seinen negativen Auswirkungen zur Katastrophe wird. Dies ist ein thereotisches Problem, denn in jedem Fall setzt stets das Ereignis selbst die ent­ scheidende Kausalkette für die Entstehung von Schäden in Gang. Die negativen Folgen einer Katastrophe sind dabei nicht notwendig Bestandteil der Katastrophe selbst, sondern indizieren, dass ein katastrophales Ereignis stattgefunden hat. Siehe dazu auch Giorgio Gaja, ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20. Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 5 und Nugroho Wisnumurti, ILC, ‚Pro­ visional summary record of the 3018th meeting‘ (27.  August 2010) UN Doc. A/ CN.4/SR.3018, S. 4. Vor diesem Hintergrund hat sich die ILC auch dazu entschie­ den, eine Katastrophe als „Ereignis oder Kette von Ereignissen“ zu definieren, die eine Störung des gesellschaftlichen Funktionsfähigkeit bewirken, und nicht als Stö­ rung der gesellschaftlichen Funktionsfähigkeit selbst, wie es z. B. in der Tampere Conventionsowie dem IFRK/OCHA/Inter-Parliamentary Union, Model Act for the Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, Pilot Version November 2011, erfolgt. Siehe ILC, ‚Pro­ visional summary record of the 3029th meeting‘ (13.  August 2009) UN Doc. A/ CN.4/SR.3029, S. 8. 263  Auch die ILC wollte ihre Arbeit an den DAPPED ursprünglich auf Natur­ katastrophen beschränken, siehe ILC, ‚Preliminary report on the protection of per­ sons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5.  Mai 2008) UN Doc. A/CN.4/598, Rdnr.  49; UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eight session‘ (1.  Mai–9.  Juni; 3.  Juli– 11.  August 2006) UN Doc. A/61/10,Annex C, Rdnr.  2: „See, however, the Secre­ tariat’s subsequent study where it took a more inclusive approach, noting that while the bulk of the study pertained to disasters emanating from natural phenomena, few of the legal instruments and texts cited maintained a clear distinction between nat­ ural and man-made disasters (…).“ Auch kulturhistorisch, so Walter, drängt sich „die Gleichsetzung von Katastrophe und Naturunglück (…) dem abendländischen Be­



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gemein anerkannt und wird im juristischen Kontext, z. B. in Deutschland in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG und auf europäischer Ebene in Art. 21 Abs. 2 lit. g EU-Vertrag, aufgegriffen.264 Die IFRK definiert Naturkatastrophen als auf natürliche Weise entstehende physikalische Phänomene, die entweder durch plötzliche oder sich langsam entwickelnde Ereignisse hervorgerufen werden. Sie können geophysikalischer Art sein (Erdbeben, Erdrutsche, Tsunamis, vulkanische Aktivität), hydrologischer Art (Lawinen und Hochwasser), kli­ matischer Art (extreme Temperaturen, Dürren und Waldbrände), meteorolo­ gischer Art (Zyklone, Stürme, Sturmfluten) oder biologischer Natur (Krank­ heitsepidemien und Insektenplagen bzw. sonstige Tierinvasionen).265 Studien haben gezeigt, dass zwar quantitativ die Anzahl an menschengemachten Katastrophen bis 2009 größer war als die Zahl der Naturkatastrophen266, Naturkatastrophen aber konstant  – teilweise signifikant  – höhere Opferzah­ len aufweisen.267 Tatsächlich findet sich eine Beschränkung auf Naturkatastrophen auch in einigen wenigen regionalen Regelungsinstrumenten auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes.268 So haben sich beispielsweise die Vereinten Natio­ wusstein zwangsläufig auf“, Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert (2010), 19. 264  Vgl. die Katastrophendefinition des Internationally Agreed Glossary of basic terms related to Disaster Management, Department of Humanitarian Affairs (1992), : „(…) Disasters are often classified according to their cause (man-made or natural).“ Siehe ebenso de Guttry, Surveying the Law, in: de Guttry/Gestri/Venturini (Hrsg.), International Disaster Response Law (2012), 1.  Kapitel, 7. 265  IFRK, Types of disasters: definition of hazard, . 266  Swiss Re, ‚sigma 2/2013: Natural and man-made catastrophes 2012: a year of extreme weather events in the US‘ (2013) , S. 2 Abb. 1. Im Jahr 2009 hat die Zahl der Naturkatastro­ phen die der menschengemachten Katastrophen erstmals überschritten. 267  Swiss Re, ‚sigma 2/2013: Natural and man-made catastrophes 2012: a year of extreme weather events in the US‘ (2013), S. 3 Abb. 2, lediglich in den Jahren 1979 und 1984 war die Opferzahl bei menschengemachten Katastrophen höher als die Zahl der Opfer bei Naturkatastrophen. 268  Vgl. z. B. das Emergency Technical Co-operation Agreement between the Pan American Health Organization and the Government of Dominica in case of a major natural disaster, v. 24. Juni 1983 (Registrierung bei der WHO), UNTS 21954 und das Emergency technical co-operation Ag­ reement between the Pan American Health Organization and Suriname in case of a major natural disaster, v. 18.  Februar 1983 (Registrierung bei der WHO), UNTS 21598 , die auf Naturkatastrophen be­ schränkt sind. Erwähnung findet die Differenzierung zwischen menschengemachten Katastrophen und Naturkatastrophen auch in anderen Regelungsinstrumenten, ohne

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nen lange Zeit nur mit der humanitären Hilfe bei Naturkatastrophen be­ fasst.269 Die von den Vereinten Nationen initiierte Internationale Dekade zur Verringerung von Katastrophen war in ihrem Anwendungsbereich auf Na­ turkatastrophen, d. h. „Erdbeben, Windstürme, Tsunamis, Überflutungen, Vulkanausbrüche, Feuer, Grashüpfer- und Heuschreckenplagen, Dürre, De­ sertifikation und andere schwere Unglücke, die einen natürlichen Ursprung aufweisen“, beschränkt.270 Auch das Hyogo Framework of Action von 2005 bezieht sich auf Gefahren natürlichen Ursprungs und erweitert seinen An­ wendungsbereich lediglich auf mit solchen Gefahren zusammenhängende ökologische und technische Gefahren und Risiken.271 Eine Definition, die sich allein auf Naturkatastrophen beschränkt, ist je­ doch folgenden drei Kritikpunkten ausgesetzt. Das erste Problem bei einer solchen Vorgehensweise besteht in der Uneindeutigkeit des Begriffs der ‚menschengemachten‘ (man-made) Katastrophe als Gegenpol zu Naturkata­ strophen.272 Im herkömmlichen Sinne müsste man unter einer menschenge­ machten Katastrophe solche Ereignisse verstehen, deren Entstehung unmit­ telbar auf vorsätzliches oder fahrlässiges menschliches Verhalten zurückzu­ führen ist. In der Vergangenheit finden sich jedoch nur wenige solcher Fälle der unmittelbaren Verursachung. Ein Beispiel bilden die von Saddam dass dort eine Beschränkung auf die eine oder andere Art von Katastrophen vorge­ nommen wird. Vgl. z. B. die Definition der Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), S. 1 Teil  I Abs. 2 sowie Art. 1 Abs. 2 der Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session, Institute de Droit International, 16th commission, v. 2.  September 2003, . 269  Vgl. die Resolutionen der UN Generalversamlung ‚Assistance in cases of Natural Disasters’, die seit 1965 fast jährlich erscheinen (vgl. oben Teil  1, Kapi­ tel A., Abschnitt I.6.b)]. 270  UNGA, Res 42/169 (11.  Dezember 1987) UN Doc. A/RES/42/169, Annex A Objectives and Goals, Absatz 1. 271  United Nations World Conference on Disaster Reduction, ‚Hyogo Framework for Action 2005–2015: Building the Resilience of Nations and Communities to Di­ sasters‘ (16.  März 2005) Resolution 2, Auszug aus dem Abschlussbericht der World Conference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6, S. 1 Fn. 3. 272  Die Joint Inspection Unit hat vor diesem Hintergrund bei der Evaluation des UNDRO Kratastrophen anhand von vier Kategorien vorgenommen: „There are no precise, agreed definitions of what constitutes a ‚disaster‘, but in general it involves an extreme phenomenon inflicting damage and death upon a vulnerable human group. Such disasters may be of four broad types: ‚sudden natural‘ (such as floods, hurricanes, earthquakes, volcanic eruptions or fires); ‚creeping‘ or ‚long-term natur­ al‘ (such as droughts and epidemics); ‚deliberate man-made‘ (such as international or civil wars and disturbances); and ‚accidental‘ “, vgl. Joint Inspection Unit, ‚Eval­ uation of the Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator, JIU/ REP/80/11‘ (1980), S. 1 Teil  I Abs. 2.



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Hussein angeordneten Brände der kuwaitischen Ölfelder 1991273, ein weite­ res die von der Sowjetunion veranlasste Ableitung von Wasser aus dem Aralsee zur Versorgung umliegender Industriefabriken in den 1960er Jahren, die zu einer Verkleinerung des Sees um 90 % führte.274 Zweitens ist es in vielen Fällen nicht möglich, einen dominierenden Kausalfaktor für die Ent­ stehung der Katastrophe zu identifizieren.275 Katastrophen natürlichen Ur­ sprungs können darüber hinaus gerade durch menschengemachte sonstige Faktoren intensiviert werden, z. B. durch politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Schwachstellen wie sie beispielsweise durch bewaffnete Konflikte, mangelhafte Bauweise in dicht besiedelten Gebieten, Armut oder fehlende Bildung erzeugt werden.276 So wurde auch die Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 von der abschließenden Untersuchungskommission als man-made Katastrophe eingeordnet, obwohl die Kausalkette, die zu dem Versagen der Kühlsysteme und der teilweisen Kernschmelze führte, durch das Seebeben und den Tsunami erst in Gang gesetzt wurde. Entscheidend sei dennoch gewesen, dass die Betreiberfirma sowie die zuständigen Auf­ sichtsbehörden trotz Kenntnis von Tsunamirisiken keine ausreichenden Si­ cherheitsstandards ausgearbeitet und befolgt hatten und das Kernkraftwerk in Fukushima damit weder Erdbeben noch Flutwellen standhalten konnte.277 Schließlich kann es auch komplexe Fälle geben, in denen de facto nicht abschließend geklärt werden kann, ob es sich um eine Naturkatastrophe 273  Kuwait still recovering from Gulf War fires, CNN (3.  Januar 2003), . 274  UNESCO, Country: Uzbekistan, Human influences on desertification, Exam­ ple: Aral Sea, . 275  Siehe auch ILC, ‚Provisional summary record of the 3015th meeting‘ (15. Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3015, S. 10; ebenso Hanquin Xue in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 10. 276  United Nations World Conference on Disaster Reduction, ‚Hyogo Framework for Action 2005–2015: Building the Resilience of Nations and Communities to Di­ sasters‘ (16.  März 2005) Resolution 2, Auszug aus dem Abschlussbericht der World Conference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6, S. 1; Allan/O’Donnell, A Call to Alms? Natural Disasters, R2P, Duties of Cooperation and Uncharted Con­ sequences, 17 JCSL (2012), 337 (371). Das Ausmaß der Ebola-Epidemie 2014/15 in Westafrika war unter anderem deshalb so gravierend, da die fehlende Kenntnis der Bevölkerung über die Ansteckungsgefahr die Übertragung der Krankheit beschleu­ nigte, indem weiterhin ohne Sicherheitsvorkehrungen, z. B. bei Begräbnissen oder im öffentlichen Personennahverkehr, Kontakt mit infizierten Personen oder Verstor­ benen stattfand. Siehe hierzu Hübler, Ebola  – International Disaster Response to a Global Health Emergency, FIP Online (2015), abrufbar unter http://www.jura.unifreiburg.de/institute/ioeffr2/online-papers/fip-6-2015-hubler-ebola.pdf, 3. 277  The National Diet of Japan/The Fukushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission, ‚Official Report  – Executive Summary‘ (2012) , 16.

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oder eine ‚menschengemachte‘ Katastrophe handelt. Beispielsweise ist noch immer nicht abschließend geklärt, ob die 2006 begonnenen und auch 2015 noch immer andauernden massiven Ausbrüche des Lusi-Schlammvulkans auf Java, Indonesien, durch häufige Erdbeben ausgelöst wurden oder ob mangelhaft ausgeführte Erdbohrungen des privaten Unternehmens PT La­ pindo Brantas dafür verantwortlich sind.278 Reduziert man den Anwen­ dungsbereich des Katastrophenschutzvölkerrechts auf bestimmte Arten von Katastrophen, wird dies letztlich nicht dem Schutzzweck dieses Rechtsge­ bietes gerecht. Dieser besteht darin, durch die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen effektive Hilfe für die von einer Katastrophe betroffe­ nen Menschen zu ermöglichen, indem ihre Rettung, ihr Schutz und die Wahrung ihrer Bedürfnisse gewährleistet werden.279 Diese Zwecksetzung ist nach Art. 31 Abs. 1 WVRK auch bei der Auslegung der bestehenden und in der Entwicklung befindlichen völkerrechtlichen Verträge zum Katastrophen­ schutzvölkerrecht zu berücksichtigen. Zur Erreichung dieses Ziels ist es aber unerheblich, auf welchen Gründen die Hilfs- und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Bevölkerung beruht. Beweisschwierigkeiten bei der oft langwierigen Ursachenforschung  – wie z. B. auf Java  – können nicht zum Nachteil der betroffenen Bevölkerung gereichen. Dennoch gibt es auch Gründe, die dafür sprechen, eine Beschränkung auf Naturkatastrophen zumindest als Ausgangspunkt der Definition zu befür­ worten. Beschränkt man den Begriff auf die Ereignisse, die von der IFRK als Naturkatastrophen definiert werden, ergibt sich eine allgemein verständ­ liche, vereinfachte und transparente Möglichkeit zur Eingrenzung des Kata­ 278  Siehe hierzu die jüngste Studie von Geologen der ETH Zürich, die die These des Erdbebens als Auslöser stützt: Lupi/Saenger/Fuchs/Miller, Lusi mud eruption triggered by geometric focusing of seismic waves Nature Geoscience (21.  Juli 2013  – Vorab-Online-Publikation) . Der Geologe Richard Davies geht demgegenüber in seinen wissenschaflich hoch anerkannten Studien demgegenüber davon aus, dass die Bohrungen den Vulkanausbruch auslösten: Davies/Manga/Tingay/Swarbrick, Discus­ sion: Fluid transport properties and estimation of overpressure at the Lusi mud volcano, East Java Basin (Tanikawa et al. 2010), 121 Eng. Geol. (2011), 97 (97–99). Das Java-Beispiel wird auch angeführt von Nugroho Wisnumurti in ILC, ‚Provi­ sional summary record of the 3018th meeting‘ (27. August 2010) UN Doc. A/CN.4/ SR.3018, S. 4. 279  In diesem Sinne wird auch der Zweck der ILC Draft Articles formuliert, vgl. Art. 2 DAPPED (ILC, Texts and titles of draft articles 1, 2, 3, 4 and 5 provisionally adopted by the Drafting Committee, UN Doc. A/CN.4/L.758 (24.  Juli 2009)); siehe auch schon ILC, ‚Provisional summary record of the 3015th meeting‘ (15.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3015, S. 10; ILC, ‚Report of the International Law Com­ mission on the work of its Sixtieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai–7.  Juni, 7.  Juli–8.  August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  233.



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strophenhilfevölkerrechts. Darüber hinaus wird von den Befürwortern einer solchen Reduktion zutreffend angeführt, dass Naturkatastrophen politisch weniger sensible Themen seien als menschengemachte Katastrophen. Zu­ dem seien menschengemachte Katastrophen in vielen Fällen bereits Gegen­ stand internationaler Regulationen, z. B. bei nuklearen Unfällen, Industrie­ unfällen oder Ölkatastrophen.280 Festzuhalten ist damit, dass das Katastrophenhilfevölkerrecht in seinem Ausgangspunkt auf Naturkatastrophen zu beschränken ist. Die vorläufige Definition der Katastrophe lässt sich damit zusammenfassen, dass es sich bei einer Katastrophe um ein natürliches Phänomen aufgrund physikalischer Ereignisse handeln muss, das geophysikalischer, hydrologischer, klimati­ scher, meteorologischer oder biologischer Art sein kann. Die Problematik, dass sich manche Ereignisse nicht eindeutig als Naturkatastrophen einord­ nen lassen bzw. die Ursachen eines Ereignisses aufgrund dessen Komplexi­ tät unklar sind, kann dadurch aufgelöst werden, dass man ausgehend von dem Grundtatbestand der Katastrophe in Form der Naturkatastrophe Fall­ gruppen281 bildet, bei denen eine Gleichbehandlung mit Naturkatastrophen und damit die Anwendbarkeit des Katastrophenhilfevölkerrechts geboten ist.282 b) Plötzliche und sich langsam entwickelnde Naturkatastrophen Naturkatastrophen werden häufig in plötzlich einsetzende Ereignisse (sudden onset) und sich erst langsam zur Katastrophe entwickelnde Krisen­ situationen (slow-onset) eingeteilt.283 Teilweise werden nur die plötzlichen Katastrophen als Katastrophe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts eingeordnet.284 In der Vergangenheit wurde z. B. von der JIU angeregt, die 280  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtieth session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5. Mai–7. Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  234. 281  Eine Liste mit Ausnahmen vom Katastrophenbegriff, ggf. in Verbindung mit einer Aufzählung der möglichen, von den DAPPED erfassten Ursachen für Katast­ rophen, schlägt auch der jordanische ILC-Repräsentant Hmoud vor, ILC, ‚Provision­ al summary record of the 3018th meeting‘ (27.  August 2010) UN Doc. A/CN.4/ SR.3018, S. 19. 282  Siehe unten c) Erweiterte Begriffsbestimmung: Mit Naturkatastrophen ver­ gleichbare Fallkonstellationen. 283  Hierunter fallen z. B. Dürren, Hungersnöte und Epidemien, siehe Joint Inspec­ tion Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordi­ nator, JIU/REP/80/11‘ (1980), S. 34 Rdnr.  143. 284  Caflish in ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27. Au­ gust 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 10; Art. 1 (d) Agreement Establishing a Caribbean Disaster Emergency Management Agency (CDEMA), v. 1. Juli 2008 (vor­

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Arbeit der Vereinten Nationen im Rahmen des UNDRO auf plötzliche Na­ turkatastrophen zu begrenzen.285 Begründet wurde dies damit, dass UNDRO die praktische Arbeit ohnehin fast ausschließlich – bis auf die Hilfsaktionen im Zusammenhang mit der äthiopischen Dürre  – auf plötzlich einsetzende Ereignisse beschränkt hatte.286 Zudem ging man davon aus, dass die Effizi­ enz des UNDRO durch eine sachliche Beschränkung des Tätigkeitsbereichs auf plötzlich eintretende Katastrophen gesteigert werden könnte. Dies wurde jedoch vom damaligen UN-Generalsekretär anders eingeschätzt.287 Auch wenn in dieser Art von Katastrophen der Hauptaufgabenbereich des ­UNDRO lag, sollte nicht riskiert werden, sonstige Situationen unabgesichert zu las­ sen. Dies wurde damit gestützt, dass UNDRO im Zeitraum von 1972 bis 1981 immerhin in 32 Katastrophen, die von der UN nicht als plötzliche Naturkatastrophen eingeordnet wurden, involviert war, wie z. B. bei Brän­ den, Stromausfällen, Dürren und Epidemien.288 Für die Ansicht des UN-Generalsekretärs und der UNDRO, auch sich langsam entwickelnde Szenarien in den Katastrophenbegriff einzubeziehen, spricht, dass eine eindeutige Abschichtung zwischen plötzlichen und sich langsam entwickelnden Katastrophen nicht in allen Fällen möglich ist. Waldbrände entwickeln sich z. B. häufig aufgrund langanhaltender Trocken­ heit, ihre volle Zerstörungskraft entfaltet sich aber plötzlich. Auch Vulkan­ ausbrüche kündigen sich oft weit im Vorfeld an. Darüber hinaus besteht mit Blick auf die Schadensintensität kein grundsätzlicher Unterschied zwischen plötzlichen Katastrophen und solchen, die sich erst langsam entwickeln. Vor diesem Hintergrund erscheint es daher vorzugswürdig, keine Differenzie­ rung zwischen plötzlich eintretenden oder sich länger entwickelnden Kata­ strophen zu fordern.289

läufig angewendet seit dem 4.  Juli 2008), . 285  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), S. 33 Teil  IV Abs. 139, S. 34 Abs. 143. 286  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), S. 6 Teil  II B. Abs. 25. 287  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), Rdnr.  27. 288  Siehe United Nations Department of Public Information Section, UNDRO explains role in man-made, accidental and longer-term disaster situations, Press Re­ lease ND/168 (12.  Oktober 1981), S. 2. 289  So ausdrücklich auch Art. 3 Abs. 6 IFRK/OCHA/Inter-Parliamentary Union, Model Act for the Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, Pilot Version November 2011, sowie Art. 1 Abs. 6 Tam­ pere Convention.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 

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Allerdings ist zu bedenken, dass die Behandlung lang anhaltender Krisen­ situationen insbesondere in Entwicklungsländern bereits über die Instrumen­ te der Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit angegangen wird.290 Häufigste Ursachen für Hungersnöte können sowohl ausbleibende Regenfälle, aber auch strukturelle Entwicklungsdefizite sein.291 Viele Schä­ den, die das Erdbeben auf Haiti 2010 angerichtet hatte, hätten verhindert werden können, wenn die haitianische Regierung in Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemeinschaft vorab im Rahmen der Entwick­ lungszusammenarbeit grundlegende Dienstleistungen sichergestellt hätte, um die Bevölkerung für Naturkatastrophen weniger anfällig zu machen.292 In Haiti findet schon lange Entwicklungshilfe abseits des Fokus der Öffentlich­ keit statt. Erst durch das schwere Erdbeben 2010 aber erreichte die Situati­ on in Haiti eine große Medienöffentlichkeit, die Beteiligung der internatio­ nalen Gemeinschaft an Notfallkatastrophenhilfe war enorm. Auch aufgrund der fehlenden Koordination mit den Entwicklungshelfern vor Ort und der schweren strukturellen Probleme in Haiti lebt die Bevölkerung drei Jahre nach dem Erdbeben aber noch immer in Wellblechhütten und Zelten.293 Dies ist ein Defizit der internationalen Aufbau- und Entwicklungshilfe, die eine effektive Umsetzung des Katastrophenhilfevölkerrechts bei zukünftigen Katastrophen erschwert. Es stellt sich daher die Frage, wie das Verhältnis zwischen Entwick­ lungshilfe und dem Katastrophenhilfevölkerrecht zu definieren ist. Generell ist es Aufgabe des Katastrophenhilfevölkerrechts, die akut durch Katastro­ phen verursachten Schäden zu beseitigen und Leiden ad hoc und kurzfris­ tig zu lindern, so dass der status quo ante im betroffenen Staat wieder hergestellt werden kann. Katastrophenhilfe ist Notfallhilfe. Die Helfer müssen daher die Grundsätze der Unabhängigkeit und Neutralität wahren, um Beeinträchtigungen ihrer Arbeit zu verhindern.294 Ziel von Entwick­ lungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist es, die Lebensbedingungen 290  Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Pressemeldung: Das Bundesentwicklungsministerium engagiert sich lang­ fristig am Horn von Afrika (20.  Juli 2011) ; ‚Dür­ re in Ostafrika, Die beste Entwicklungspolitik stärkt die Bauern‘ Die Zeit (14.  Sep­ tember 2011) . 291  Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Pressemeldung: Das Bundesentwicklungsministerium engagiert sich lang­ fristig am Horn von Afrika (20.  Juli 2011). 292  Neuber, Katastrophenhilfe: Haitis falsche Entwicklung, 109 Deutsches Ärzteblatt (2012), A 2402. 293  Neuber, 109 Deutsches Ärzteblatt (2012), A 2402. 294  Troppmann, HuV-I (1/2008), 19.

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von Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern langfristig zu ver­ bessern.295 Dieser langfristige Ansatz bringt es mit sich, dass Entwick­ lungshilfe auch durch politische Ziele motiviert ist, im Gegensatz zur Un­ abhängigkeit der Katastrophenhilfe.296 Entwicklungshelfer sind darauf spe­ zialisiert, nachhaltige Lösungen für Probleme zu suchen. Die Behandlung sich erst langsam entwickelnder sowie lang anhaltender Krisensituationen fällt damit in das Aufgabenfeld der internationalen Entwicklungszusam­ menarbeit. Hierzu zählen durch den Klimawandel hervorgerufene Szenari­ en wie der Anstieg der Meeresspiegel, der zum Untergang von pazifischen Inselstaaten führen kann, ebenso wie Dürreperioden und Hungersnöte. Auch wenn es in diesen Bereichen zwischen Entwicklungshilfe und Kata­ strophenhilfevölkerrecht Überschneidungen gibt und die Notfallkatastro­ phenhelfer die Kooperation mit den Entwicklungshelfern suchen sollten, sind beide Bereiche von unterschiedlichen Herausforderungen geprägt. Dass das Recht der internationalen Katastrophenhilfe und die Entwick­ lungshilfe zwei sich teilweise überschneidende, aber grundsätzlich vonein­ ander zu trennende Bereiche sind und auch sein müssen, hat sich in der Vergangenheit vor allem bei dem Tsunami in Südostasien 2004 sowie beim Erdbeben in Haiti 2010 gezeigt. In Südostasien verlagerten viele Organi­ sationen, die sich langfristig in den betroffenen Ländern engagierten, ihre Bemühungen von nachhaltigen sozialen Projekten um auf kurzfristige Ka­ tastrophenhilfe anlässlich des Tsunami; dies führte zur Ressourcenknapp­ heit bei den langfristigen Projekten.297 Vor dem Hintergrund der Abgrenzung gegenüber der internationalen Ent­ wicklungshilfe ist es daher vorzugswürdig, das Katastrophenhilfevölkerrecht auf plötzlich einsetzende Großschadenslagen zu begrenzen. Der Begriff ‚plötzlich‘ ist dabei auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Eintritts der Groß­ schadenslage zu beziehen. So können auch Großschadenslagen, deren Ein­ tritt sich durch wissenschaftlich-technische Vorhersagen oder sonst wahr­ nehmbare Vorzeichen ankündigt, noch darunter gefasst werden, da auch hier der Eintritt des Ereignisses noch spontan ist und das schädigende Ereignis an sich nicht über einen längeren Zeitraum erstreckt. Damit sind insbeson­ dere auch solche Ereignisse vom Katastrophenbegriff erfasst, die durch den

295  Dabei dienen v. a. die acht Milleniums-Entwicklungsziele der Vereinten Na­ tionen als Wegweiser, UNDP, The Millenium Development Goals: Eight Goals for 2015, . 296  Troppmann, HuV-I (1/2008), 19. 297  Tometten, Internationale Katastrophenhilfe, in: Anmerkungen zum Katastro­ phenrecht, Sammelband des 2. gesellschaftswissenschaftlichen Kollegs der Studien­ stiftung des Deutschen Volkes (2008) , 117 (121).



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 

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Klimawandel ausgelöst werden.298 So ist auch gewährleistet, dass alle Fälle der akuten Hilfsbedürftigkeit, z. B. verursacht durch kurzfristig entstehende Versorgungsengpässe, innerhalb einer sich langsam entwickelnden Katastro­ phe erfasst sind, da diese ihrerseits eine plötzlich eintretende Katastrophe darstellen können. c) Erweiterte Begriffsbestimmung: Mit Naturkatastrophen vergleichbare Fallkonstellationen Ausgehend von dem bereits angesprochenen Schutzzweck des Katastro­ phenhilfevölkerrechts, Menschen in Notsituationen Hilfe zu leisten, ist der zur Definition verwendete Kernbegriff der Naturkatastrophe um weitere Großschadenslagen zu ergänzen.299 Bei ihrem Eintritt kann die Schutzbe­ dürftigkeit der betroffenen Bevölkerung genauso hoch sein wie bei Natur­ katastrophen. Für die Beurteilung, auf welche Situationen der Begriff der Katastrophe ausgedehnt werden sollte, ist jeweils zu prüfen, ob es sich bei diesen Fällen um (im Wesentlichen) mit Naturkatastrophen vergleichbare Situationen handelt. aa) Katastrophen natürlichen Ursprungs, für deren Entstehung Menschen mitursächlich waren oder gewesen sein können Aufgrund der Beweisschwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Na­ turkatastrophen und menschengemachten Katastrophen bietet sich eine Gleichbehandlung mit Naturkatastrophen insbesondere bei Schadensereig­ nissen infolge natürlicher Phänomene an, für deren Entstehung Menschen entweder mitkausal waren oder an deren Entstehung Menschen mittelbar mitgewirkt haben, zumindest aus objektiver ex-ante Betrachtung. Kloepfer sieht die Mitverursachungsverantwortung der Menschen bei Ereignissen natürlichen Ursprungs prononciert darin, dass diese ein Schadenspotential geschaffen haben, das aus natürlichen Ereignissen Naturkatastrophen macht bzw. – im Sinne dieser Arbeit – mit ihnen vergleichbare Situationen.300 Man

298  Siehe hierzu UNGA, ‚United Nations Framework Convention on Climate Change: Slow onset events (Technical paper)‘ (26.  November 2012) UN Doc. FCCC/TP/2012/7. 299  So im Ergebnis auch ILC, ‚Preliminary report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5. Mai 2008) UN Doc. A/CN.4/598, Rdnr.  49. 300  Kloepfer, ‚Gastbeitrag: Der Staat in der Verantwortung‘ FAZ (2.  Mai 2012) .

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kann hier von Katastrophen aufgrund menschlichen Einflusses sprechen.301 Ein Beispiel für eine solche Mitkausalität stellt das Problem der Desertifi­ kation dar. Desertifikation ist das kumulative Ergebnis ungünstiger klimati­ scher Bedingungen  – d. h. vor allem langer Trockenzeiten  – sowie der schlecht an die klimatischen Bedingungen angepassten bzw. darauf unzurei­ chend vorbereiteten Landnutzung.302 Die zunehmende Abholzung der Wäl­ der beschleunigt bzw. begünstigt Überflutungen.303 Die heranrückende Wohnbebauung an Auen erhöht die Anfälligkeit für Hochwasser.304 Als weiteres Beispiel kann man Fälle der Ölknappheit nennen.305 Sie kann aus politischen Gründen entstehen, indem ölexportierende Länder die Versor­ gung unterbrechen, aber auch aufgrund der Erschöpfung natürlicher Res­ sourcen im eigenen Land aufgrund gestiegenen Konsums. In diesen Fällen ist die Grenzziehung zwischen natürlichem Ursprung bzw. Auslöser der Katastrophe und Multiplikation durch menschliches Verhalten kaum mög­ lich. Um Schutzlücken zu vermeiden, ist eine Gleichbehandlung mit klassi­ schen Naturkatastrophen erforderlich. Fraglich ist dabei, ob eine Gleichbehandlung auch dann noch geboten ist, wenn ein Schadensereignis grob fahrlässig oder vorsätzlich zurechenbar 301  So spricht auch das Agreement Establishing CDEMA in Art. 1  (d) von Kata­ strophen aufgrund „humanitarian intervention“. Das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Zusam­ menarbeit im Bereich der Risikovorsorge und -vorbeugung und der gegenseitigen Hilfeleistung bei natürlichen oder durch menschliche Tätigkeit verursachten Kata­ strophen (Übersetzung des italienischen Originaltextes RU 2000, 1796) v. 2.  Mai 1995 (in Kraft getreten am 26.  Mai 1996), differenziert sprachlich ebenfalls zwi­ schen natürlichen Katastrophen oder durch menschliche Tätigkeit verursachten Ka­ tastrophen, findet aber auf beide Arten von Katastrophen Anwendung). 302  UNESCO, How does desertification occur, . Siehe auch Präambel, Absatz 6 der Convention to Combat Desertification in Those Countries Experiencing Serious Drought and/or Desertifica­ tion, particularly in Africa (UNCCD), v. 12.  September 1994 (in Kraft getreten am 26.  Dezember 1996), UN Doc. A/AC.241/27. 303  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtieth session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5. Mai–7. Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  233. Auf das Zusammenspiel zwi­ schen menschlicher Aktivität und Naturkatastrophen weist auch Beck, Risikogesell­ schaft: Auf dem Weg in eine neue Moderne (1. Aufl. 1986), 9, 28, passim, hin. 304  Siehe hierzu ‚Hochwasserschutz: Aus Schaden nicht klug geworden‘ FAZ (3.  Juni 2013) . 305  Ölknappheit aus dem Begriff der Katastrophe  – zumindest nach EU-Recht  – ausschließend von Ondarza/Parkes, Europäische Solidarität in Katastrophenschutz und Terrorabwehr? Vorschläge zur Umsetzung der Solidaritätsklausel des Vertrags von Lissabon (SWP Aktuell Vol. 54, Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (Hrsg.) Juli 2010), 3.



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durch einen Staat oder privaten Akteur verursacht worden ist oder ob es sich um ein schicksalhaftes, unvorhergesehenes  – nicht notwendigerweise unvorhersehbares  – Ereignis handeln muss. Teile der Literatur gehen davon aus, dass die vorsätzliche Verursachung eines Ereignisses keine Auswirkung auf dessen Kategorisierung als Katastrophe hat.306 Es sei unerheblich, ob ein Ereignis durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit oder durch Umstände, die der menschlichen Kontrolle entzogen sind, hervorgerufen werde. Dem ist zuzu­ stimmen.307 Bei der Frage, ob eine vorsätzliche Verursachung vorliegt, kann es schwierige Abgrenzungsprobleme geben. Die Vermeidung und Abmilde­ rung der Folgen von Katastrophen fällt in den menschlichen Verantwor­ tungsbereich. Kümmert sich der verantwortliche Staat oder beispielsweise – wie im Fall von Fukushima  – die Betreibergesellschaft eines Atomreaktors trotz sicheren Wissens von den Gefahren, die eine Naturkatastrophe im ei­ genen Verantwortungsbereich auslösen kann, vorsätzlich oder grob fahrläs­ sig nicht um Katastrophenabwehrstrategien, kann der Bereich der vorsätzli­ chen Unterlassungsstrafbarkeit eröffnet sein.308 So wird in der Yokohama Strategy zutreffend festgestellt, dass die Naturgewalten, die häufig zur Entstehung von Katastrophen führen, menschlicher Kontrolle zwar weitest­ gehend entzogen sind, die Schwachstellen im Katastrophenschutz, welche die Auswirkungen der Katastrophen negativ beeinflussen, aber auf mensch­ liche Aktivität zurückzuführen sind.309 Es erscheint insofern vorzugswürdig, die Klärung der Frage der vorsätzlichen Verursachung einer Katastrophe erst auf Rechtsfolgenebene zu untersuchen, wenn es um die völkerrechtliche Verantwortung des Verursachers sowie etwaige Schadensersatzansprüche betroffener Staaten oder Individuen geht.

306  de

Guttry, Surveying the Law (2012), 7. wurde diese Problematik vom UNDRO behandelt. Dieser sah seinen Wirkungsbereich in allen Ereignissen außer bewusst verursachten menschengemach­ ten Katastrophen wie bewaffneten Konflikten und Völkermord, Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), S. 6, II. B. 27. 308  Beispielsweise wurde es in der ostdeutschen Stadt Grimma, die 2002 von heftigem Hochwasser überflutet wurde, bis 2013 nicht geschafft, die Innenstadt mit feststehenden Spundwänden vor erneutem Hochwasser zu schützen. 2013 wurde die Altstadt daher erneut überflutet, siehe „Versäumter Hochwasserschutz: ‚Die Flut kommt vier Jahre zu früh‘ “, Der Spiegel (4.  Juni 2013) . 309  Yokohama Strategy and Plan of Action for a Safer World, Guidelines for Natural Disaster Prevention, Preparedness and Mitigation, World Conference on Natural Disaster Reduction (Yokohama, Japan, 23.–27.  Mai 1994), S. 6 A.1 (Basis for the Strategy). 307  Anders

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bb) Industrieunfälle, technische Unfälle, Zwischenfälle und Störungen Eine Gleichbehandlung mit Naturkatastrophen erscheint ebenfalls bei In­ dustrieunfällen und sonstigen technischen Unfällen oder Zwischenfällen, d. h. Unfällen unter Beteiligung technischer Einrichtungen oder Maschinen, ohne Unterschied zwischen deren zufälliger, fahrlässiger oder vorsätzlicher Verursachung geboten.310 Hiervon geht auch die IFRK aus, indem in ihrer Datenbank zum Katastrophenhilfevölkerrecht explizit technologische Un­ glücke und die wenigen hierfür geltenden nationalen und internationalen Regelungsinstrumente als Bestandteil des Katastrophenhilfevölkerrechts aufgeführt werden.311 Ein Unfall hat mit Naturkatastrophen gemeinsam, dass es sich bei beiden Kategorien um unkontrollierte, unerwartete oder ungewöhnliche Ereignisse handelt. Bei einem Unfall beruhen die Ursachen aber im Wesentlichen nicht auf Naturphänomenen, sondern auf sonstigen externen Ursachen. Bei Indus­ trieunfällen setzt in der Regel technisches Versagen oder menschliches Handeln oder Unterlassen den Auslöser für ein Unglück. Der Begriff des Unfalls wird im internationalen Recht z. B. in der Konvention über grenz­ überschreitende Auswirkungen von Industrieunfällen, als Ereignis definiert, das aufgrund einer unkontrollierten Entwicklung bei Aktivitäten mit schäd­ lichen Substanzen entsteht.312 Das Internationale Übereinkommen über Maßnahmen auf hoher See bei Ölverschmutzungs-Unfällen definiert den Begriff des Seeunfalls in Art. II Abs. 1 als Schiffszusammenstoß, das Stran­ den oder einen anderen nautischen Vorfall oder ein sonstiges Ereignis an Bord oder außerhalb eines Schiffes, durch das Sachschaden an Schiff oder Ladung entsteht oder unmittelbar zu entstehen droht. Im internationalen Luftverkehr wird von einem Unfall ausgegangen, wenn ein Passagier durch 310  Z. B. auch Zugunglücke wie in Enschede 1999 oder in Kandada 2013, siehe Engine shutdown may have started Canadian train disaster, railway says, CNN (8.  Juli 2013), . Eine Gleichbehandlung sehen auch vor Art. 1 Abs. 2 der Resolution on Hu­ manitarian Assistance, Bruges Session; Art. 1 Abs. 1 Charter On Cooperation To Achieve The Coordinated Use Of Space Facilities In The Event Of Natural Or Technological Disasters, v. 25.  April 2000, Rev.3 (25/4/2000).2 sowie auf nationaler Ebene Art. 35 Abs. 3 GG (Gleichbehandlung von Naturkatastrophen und Unglücksfällen). So im Ergebnis auch Ehrenberg, Internationale Katastophenhilfe (Univ. Diss. Osnabrück) (2006), 7 f. 311  IFRK, Disaster Law Database, , z. B. Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Ac­ cident or Radiological Emergency. 312  Art. 1 (a) Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents, v. 17.  März 1992 (in Kraft getreten am 19. April 2000), 2105 UNTS 457.



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ein unerwartetes oder ungewöhnliches externes Ereignis außerhalb des Ein­ flussbereichs des Passagiers verletzt oder getötet wird.313 Die Gleichbehandlung mit Naturkatastrophen lässt sich schließlich auch damit begründen, dass die Auswirkungen von industriellen oder sonstigen technischen Unfällen sich oft erst in der Umwelt zu ihrer vollen Zerstö­ rungskraft entfalten bzw. im Zusammenspiel mit Umwelteinflüssen multipli­ zieren. Hier könnte man jeweils vertreten, dass die Menschen durch das Setzen einer Gefahrenquelle in Form der Errichtung von Industrieanlagen die Möglichkeit diesbezüglicher ‚Industriekatastrophen‘ begünstigen  – eine Gleichbehandlung mit Naturkatastrophen ist in diesen Fällen erst recht ge­ boten. Als Beispiele sind der Gasunfall im indischen Phopal am 3.  Dezem­ ber 1984314, die Tschernobyl-Katastrophe 1986315 und der Ölunfall der Erdölplattform Deepwater Horizon 2010316 anzuführen. Auch das Reaktor­ unglück von Fukushima wurde zwar initial durch einen Tsunami ausgelöst, die langfristige Gefahr ging aber direkt vom Reaktor selbst und der durch das Schmelzen der Brennstäbe drohenden Kernschmelze aus, was auf die fehlenden Sicherheitsvorkehrungen des Betreibers TEPCO zurückzuführen war.317

313  Zur Bedeutung des Unfalls im Sinne der Convention for the Unification of Certain Rules for International Carriage by Air (Montreal Convention), v. 28.  Mai 1999 (in Kraft getreten am 4. November 2003), 2242 UNTS 309 siehe die Entschei­ dungen England and Wales Court of Appeal (Civil Division), Barclay v British Airways, EWCA Civ 1419 (2008), Rdnr.  30. Siehe auch US Supreme Court, Air France v Saks, 470 US 392 (1985) zu Art. 17 der vor der Montreal Convention geltenden Convention for the Unification of Certain Rules Relating to International Carriage by Air (Warsaw Convention), v. 12.  Oktober 1929 (in Kraft getreten am 13.  Februar 1933), 137 LNTS 11 . 314  ,Seven convicted over 1984 Bhopal gas disaster‘ The Guardian (7. Juni 2010) . 315  Siehe hierzu ausführlich Malone, The Chernobyl Accident  – A Case Study in International Law Regulating State Responsibility for Transboundary Nuclear Pollu­ tion, 12 Colum.J.Envtl.L. (1987), 203. 316  Siehe für einen Überblick über die Fakten Bundeszentrale für politische Bil­ dung, Deepwater Horizon. Ein Jahr danach: Die Ölkatastrophe im Golf von Mexico (13.  Juni 2012), . 317  New Scientist, Special Report: The Fallout from Fukushima, .

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cc) (Internationale) bewaffnete Konflikte Das Verhältnis zwischen humanitärem Völkerrecht und Katastrophen­ hilfevölkerrecht ist komplex.318 Ob eine Gleichbehandlung mit Naturkata­ strophen geboten ist, ist für internationale bewaffnete Konflikte, nicht-inter­ nationale bewaffnete Konflikte sowie innere Spannungen und Unruhen ­separat zu untersuchen. (1) Internationale bewaffnete Konflikte Oft wird argumentiert, der Bereich der internationalen bewaffneten Kon­ flikte sei in materieller Hinsicht aus dem Begriff der Katastrophe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts herauszunehmen.319 Begründet wird diese These damit, dass für das humanitäre Völkerrecht in diesem Bereich eigen­ ständige Regeln zum Schutz der betroffenen Bevölkerung gelten. Der Schutz 318  Zu den langwierigen Debatten in der ILC zu diesem Thema siehe nur ILC, ‚Provisional summary record of the 3029th meeting‘ (13. August 2009) UN Doc. A/ CN.4/SR.3029, S. 9 ff. 319  Siehe z. B. auch Art. 1 (d) Agreement Establishing CDEMA. Diesem Ansatz folgt auch die ILC in den DAPPED, indem in Art. 4 DAPPED bewaffnete Konflik­ te aus dem Anwendungsbereich des Katastrophenhilfevölkerrechts herausgenommen werden: „The present draft articles do not apply to situations to which the rules of international humanitarian law are applicable.“ Ursprünglich hatte der Sonderbe­ richterstatter, Valencia-Ospina, die Ausnahme internationaler bewaffneter Konflikte sogar in die Definition aufgenommen (Art. 2 DAPPED Entwurfsfassung, ILC, ‚Re­ port of the International Law Commission on the work of its Sixty-first session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (4. Mai–5. Juni, 6. Juli– 7. August 2009) UN Doc. A/64/10, Abs. 157 Fn. 845). Dies traf unter den Mitglie­ dern der ILC und dem Drafting Committee aber nicht auf Zustimmung, so dass man sich für die Variante einer isolierten Definition in Art. 3 und einer Bereichsausnahme für internationale bewaffnete Konflikte und sonstige Bereiche des Völkerrechts in Art. 4 DAPPED entschied. Allerdings war auch die im Ergebnis gewählte Formulie­ rung im Rahmen der Entwurfs-Diskussionen nicht unumstritten. Escarameia schlug eine Formulierung vor, wonach die Arbeit der ILC ohne Auswirkungen auf die Regelungen des humanitären Völkerrechts oder anderer Bereich des Völkerrechts sein solle, ILC, ‚Provisional summary record of the 3016th meeting‘ (28.  April 2011) UN Doc. A/CN.4/SR.3016, S. 19. Sir Wood brachte den Vorschlag, klarzustel­ len, dass die DAPPED nicht die Bereiche regeln würden, die bereits durch das hu­ manitäre Völkerrecht abgedeckt seien, ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27. August 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 12. Auch die Draft Convention on expediting the delivery and emergency assistance, v. 18.  Juni 1984, UN Doc. A/39/267/Add.2-E/1984/96, Add. 2 nimmt in Art. 1 (b) explizit bewaffne­ te Konflikte aus der Definition der Katastrophe aus. Siehe aus der Literatur nur Kälin, The Human Rights Dimension of Natural or Human-Made Disasters, 55 German Yearbook of International Law (2012), 119 (121).



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von Personen in internationalen bewaffneten Konflikten ist insbesondere in den vier Genfer Konventionen von 1949, ihren beiden Zusatzprotokollen von 1977 sowie dem Dritten Zusatzprotokoll von 2005 geregelt. Nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali320 würden diese Regelungen das Katastrophenhilfevölkerrecht verdrängen.321 Aufgrund der insoweit ab­ schließenden und umfassenden Regelung im humanitären Völkerrecht sei es nicht erforderlich, internationale bewaffnete Konflikte und die einzelnen Kampfhandlungen der Konfliktparteien322 als Katastrophe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts anzusehen.323 Als zweiter Grund für den Aus­ schluss bewaffneter Konflikte aus dem Katastrophenhilfevölkerrecht wird deren gegenüber z. B. Naturkatastrophen politisch höhere Sensitivität sowie die unterschiedlichen operativen Anforderungen angeführt, die aus prakti­ schen Gründen eine Differenzierung gebieten.324 Problematisch an diesem Befund ist, dass er auf einem unsauberen Um­ gang mit dem lex specialis-Grundsatz basiert. Voraussetzung dieses Grund­ satzes ist, dass Normen bezüglich eines einheitlichen Lebenssachverhalts konkurrieren, d. h. für diesen Sachverhalt unterschiedliche Rechtsnormen

320  Zur universellen Akzeptanz dieser Regel im Völkerrecht als allgemeines Rechtsprinzip sowie mit kritischen Anmerkungen siehe nur ILC/Koskenniemi, ‚Stu­ dy Group on Fragmentation, Fragmentation of International Law, Topic (a): The function and scope of the lex specialis rule and the question of ‚self-contained re­ gimes‘: An outline‘, , 4 ff. 321  Hmoud in ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27. Au­ gust 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 7; von Ondarza/Parkes, Europäische Solidarität in Katastrophenschutz und Terrorabwehr? Vorschläge zur Umsetzung der Solidaritätsklausel des Vertrags von Lissabon, 36. 322  Zur Problematik umweltschädlicher Konflikthandlungen, die nicht durch das humanitäre Völkerrecht untersagt sind, Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölker­ rechts in internationalen bewaffneten Konflikten (2001), 534 ff. 323  Andere Ansicht: Art. 1 Abs. 2 der Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session, wo bewaffnete Konflikte oder Gewalt explizit in die Definition des Katastrophenbegriffes einbezogen werden. Auch Escarameia argumentiert für eine Einbeziehung internationaler bewaffneter Konflikte mit der Begründung, dass der Ansatz des IDI diese Notwendigkeit indiziere, ILC, ‚Provisional summary record of the 3016th meeting‘ (28. April 2011) UN Doc. A/CN.4/SR.3016, S. 18. Anders auch Ehrenberg, Internationale Katastophenhilfe (Univ. Diss. Osnabrück) (2006), 7 mit teilweise nicht schlüssiger Argumentation, wonach ein großer Teil von Katastrophen außer Acht bleiben würde, würde man internationale bewaffnete Konflikte ausklam­ mern. Bei einer Definition geht es indes gerade um die Einschränkung eines ansons­ ten unübersichtlichen Lebenssachverhalts. 324  IFRK, ‚Annotations to the Draft Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance Version of 26 October 2007‘ (26.  Oktober 2007), 6.

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angeordnet werden.325 Dazu müsste aber zunächst festgestellt werden, in­ wiefern die Regelungen des humanitären Völkerrechts sich tatsächlich vom Katastrophenhilfevölkerrecht unterscheiden und damit überhaupt spezieller sein können als die Regelungen des Katastrophenhilfevölkerrechts. Dies muss grundsätzlich für jede einzelne Regelung individuell betrachtet wer­ den, keine Vertragsvorschrift kann abstrakt, d. h. ohne sie in Relation zu einer anderen Norm zu setzen, als ‚spezieller‘ oder ‚genereller‘ bezeichnet werden.326 Welche Regelungen zum Schutz von Personen im Katastrophen­ fall bestehen, muss aber zunächst noch erarbeitet werden. Solange nicht feststeht, welcher Kanon an internationalen Verpflichtungen im Katastro­ phenfall besteht, kann auch nicht abschließend geklärt werden, ob diese Regelungen insgesamt weitreichender oder weniger weitreichend als die Regelungen des humanitären Völkerrechts sind bzw. ob sie von diesen ab­ weichen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn man das humanitäre Völ­ kerrecht als in sich abgeschlossenes Rechtsgebiet (self-contained regime) betrachten würde, das nicht durch andere Regelungen ergänzt werden kann.327 Dann würde sich eine Vermischung des Kriegsvölkerrechts mit dem Katastrophenhilfevölkerrecht verbieten und ersterer würde letzteren Normenkomplex ausschließen. Dies ist jedoch nicht abschließend geklärt bzw. wird z. B. dadurch kontra-indiziert, dass insbesondere Aspekte des Menschenrechtsschutzes über die Martens’sche Klausel Eingang in das Kriegsvölkerrecht haben können.328 Allerdings lässt sich durchaus vertreten, dass zumindest der internationa­ le bewaffnete Konflikt als solcher, der Umgang der Konfliktparteien unter­ einander, die erlaubten Kampfhandlungen sowie die zulässigen Aktivitäten dritter Schutzmächte in der von den Vertragsparteien der Genfer Konventi­ onen akzeptierten Weise umfassend durch das humanitäre Völkerrecht gere­ gelt sind. Eine Gleichbehandlung von internationalen bewaffneten Konflik­ ten mit Naturkatastrophen ist daher prima facie  – d. h. bis zur abschließen­ den Klärung durch die Völkerrechtswissenschaft und einer vergleichenden Untersuchung der Überschneidungen von Katastrophenhilfevölkerrecht und 325  ILC/Koskenniemi, ‚Study Group on Fragmentation, Fragmentation of Interna­ tional Law, Topic (a): The function and scope of the lex specialis rule and the question of ‚self-contained regimes‘: An outline‘, S. 5 Abs. 2.4. 326  ILC/Koskenniemi, ‚Study Group on Fragmentation, Fragmentation of Interna­ tional Law, Topic (a): The function and scope of the lex specialis rule and the question of ‚self-contained regimes‘: An outline‘, S. 5 Abs. 2.3. 327  Hierfür ILC/Koskenniemi, ‚Study Group on Fragmentation, Fragmentation of International Law, Topic (a): The function and scope of the lex specialis rule and the question of ‚self-contained regimes‘: An outline‘, S. 3 Abs. 1.2. 328  Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffne­ ten Konflikten (2001), 352 f.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 

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humanitärem Völkerrecht – weder erforderlich noch geboten. Dies entspricht auch der Praxis des IKRK und der IFRK, die sowohl im humanitären Völ­ kerrecht als auch im Katastrophenhilfevölkerrecht eine Sonderrolle einneh­ men und beide Bereiche in ihrer täglichen Arbeit strikt trennen. Ferner differenzieren auch völkerrechtliche Notstandsklauseln in aller Regel expli­ zit zwischen Krieg und sonstigen Fällen öffentlicher Ausnahmezustände, z. B. in Art. 15 EMRK, was auf die Notwendigkeit einer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung hindeutet.329 Von diesem Befund unberührt bleibt aber die Möglichkeit, dass es wäh­ rend eines internationalen bewaffneten Konfliktes zeitgleich zu einer nicht von den Konfliktparteien herbeigeführten Katastrophe im Sinne des Kata­ strophenhilfevölkerrechts kommen kann, auf welche dann die in dieser Ar­ beit festzustellenden Regeln zusätzlich zu den Vorgaben des humanitären Völkerrechts Anwendung finden.330 (2) Nicht-internationale bewaffnete Konflikte Fraglich ist, ob auch nicht-internationale bewaffnete Konflikte als wesent­ lich ungleich gegenüber Naturkatastrophen anzusehen sind. Die Argumenta­ tion mit dem lex specialis Charakter des humanitären Völkerrechts greift hier auf den ersten Blick nicht durch. Nicht-internationale bewaffnete Kon­ flikte sind nicht in gleicher Weise umfassend geregelt wie internationale bewaffnete Konflikte. Das humanitäre Völkerrecht gilt klassisch nur für zwischenstaatliche Konflikte.331 Bei innerstaatlichen Konflikten stehen sich 329  Siehe unten d) Bestimmung anhand existierender vergleichbarer Begriffe für Notlagen. So trennen Art. 15 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), v. 4.  November 1950 (in Kraft getreten am 3.  September 1953), 2002 BGBl. II S. 1055, Art. 30 Europäische Sozialcharta, v. 3.  Mai 1996 (in Kraft getreten am 1.  Juli 1999), SEV-Nr. 163 und Art. 27 American Convention on Human Rights (AMRK), v. 22. November 1969 (in Kraft getreten am 18. Juli 1978), OAS Treaty Series No. 36 ausdrücklich zwischen Krieg und anderen Fällen des öffentlichen Notstandes. 330  Hmoud in ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27. Au­ gust 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 7. 331  Allerdings argumentierte schon de Vattel dafür, dass Staaten das Kriegsrecht auch gegenüber bewaffneten und aufständischen Gruppen beachten müssen, Vattel, The law of nations: or, Principles of the law of nature; applied to the conduct and affairs of nations and sovereigns: A work tending to display the true interest of power (First American edition, corrected and revised from the latest London edition) (1796), Buch III, Kapitel XVIII, §§ 287, 293, zitiert auch in Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of NonInternational Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987), General Introduc­ tion, Rdnr.  4343.

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nicht zwei souveräne Staaten und damit grundsätzlich keine zwei Völker­ rechtssubjekte gegenüber, sondern ein Völkerrechtssubjekt (der Staat) und eine bewaffnete (aufständische) Gruppierung.332 Sie wurden daher vom humanitären Völkerrecht ab dem 19. Jahrhundert bis zur Verabschiedung der vier Genfer Konventionen 1949 nur abgedeckt, wenn der Staat die Auf­ ständischen als kriegsführende Partei anerkannte bzw. den Kriegszustand als solchen anerkannte.333 Erst nach 1949 hat sich im humanitären Völkerrecht auch für nicht-internationale bewaffnete Konflikte ein Mindestschutzstan­ dard etabliert. Mit Blick auf den gemeinsamen Art. 3 aller vier Genfer Konventionen334, das 1977 verabschiedete Zweite Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte335 sowie die völkergewohnheitsrecht­ lich geltenden Bestimmungen sind zumindest auch bei nicht-internationalen Konflikten im Sinne des Genfer Rechts keine gravierenden Schutzlücken zu befürchten.336 Auch hier ist daher die Anwendung des Katastrophenhilfevöl­ kerrechts nicht erforderlich.337

332  Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Pro­ tocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987), Part I  – Scope of the Protocol, Rdnr.  4339. 333  Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Pro­ tocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987), General Introduction, Rdnr.  4343, 4344 ff., v. a. 4349. 334  1949 Geneva Convention (I) for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field, v. 12. August 1949 (in Kraft ge­ treten am 21.  Oktober 1950), 75 UNTS 31; 1949 Geneva Convention (II) for the Amelioration of the Condition of Wounded, Sick and Shipwrecked Members of Armed Forces at Sea, v. 12. August 1949 (in Kraft getreten am 21.  Oktober 1950), 75 UNTS 85; 1949 Geneva Convention (III) Relative to the Treatment of Prisoners of War, v. 12. August 1949 (in Kraft getreten am 21. Oktober 1950), 75 UNTS 135; Geneva Convention (IV). 335  Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and rela­ ting to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), v. 8.  Juni 1977 (in Kraft getreten am 7.  Dezember 1978), 1125 UNTS 609. 336  Art. 18 des Genfer Zusatzprotokolls II gewährleistet beispielsweise die exis­ tentielle Versorgung der Zivilbevölkerung während eines nicht-internationalen be­ waffneten Konflikts. 337  Für einen solchen engen Ansatz siehe z. B. die Äußerungen der Niederlande vor dem Sechsten Ausschuss der Vereinten Nationen, UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (20.  November 2008) UN Doc. A/C.6/63/ SR.22, Rdnr.  63.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 101

(3) Interne Unruhen und Spannungen Bei internen Unruhen und Spannungen muss genau untersucht werden, ob sie in den Anwendungsbereich des Katastrophenhilfevölkerrechts fallen oder aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden sollen.338 Die Ab­ grenzung ist deshalb so anspruchsvoll, da der Aussagegehalt und die Ein­ ordnung von ‚internen Unruhen und Spannungen‘ im humanitären Völker­ recht nicht abschließend geklärt sind. Selbst wenn ein Staat Polizeikräfte und das Militär einsetzt, sind Störungen, die mit isolierten oder sporadischen gewaltsamen Auseinandersetzungen und Aufständen einhergehen, jedenfalls nicht automatisch als nicht-internationale bewaffnete Konflikte im Sinne des humanitären Völkerrechts einzuordnen.339 Aus dem Anwendungsbereich des Zweiten Zusatzprotokolls fallen sie ausweislich dessen Art. 1 Abs. 2 he­ raus.340 Ob der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen anwendbar ist, hängt von einer Wertung des Einzelfalles ab. Das IKRK hatte bei den Ver­ tragsverhandlungen zwar versucht, den Anwendungsbereich des gemeinsa­ men Art. 3 schon im Wortlaut auf alle Arten nicht-internationaler bewaffne­ ter Konflikte auszudehnen, war damit aber auf Widerstand gestoßen, um zu 338  Die ILC umgeht eine inhaltliche Prüfung dieser Problematik, indem in Art. 4 DAPPED die Anwendung der DAPPED für alle Situationen ausgeschlossen ist, in denen das humanitäre Völkerrecht gilt. Die Problematik der Anwendbarkeit des Ka­ tastrophenhilfevölkerrechts wird damit in den Bereich des humanitären Völkerrechts verlagert. 339  Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Pro­ tocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987), Rdnr. 4341. Auf den Verhandlungskonferenzen zum Genfer Zusatzpro­ tokoll II war man sich einig, dass interne Unruhen nicht unter den Begriff fallen sollten, weil der Bereich bereits durch die Menschenrechte abgedeckt sei, Internati­ onales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987), General Introduction, Rdnr.  4378. 340  Zur Definition von internen Unruhen und Spannungen IKRK, Protection of victims of non-international armed conflicts, Conference of Government Experts on the Reaffirmation and Development of the International Humanitarian Law applica­ ble in Armed Conflict (Genf, 24.  Mai–12.  Juni 1971), CE/5b S. 79: „This involves situations in which there is no non-international armed conflict as such, but there exists a confrontation within the country, which is characterized by a certain serious­ ness or duration and which involves acts of violence. These latter can assume vari­ ous forms, all the way from the spontaneous generation of acts of revolt to the struggle between more or less organized groups and the authorities in power. In these situations, which do not necessarily degenerate into open struggle, the au­ thorities in power call upon extensive police forces, or even armed forces, to restore internal order. The high number of victims has made necessary the application of a minimum of humanitarian rules.“

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verhindern, dass jegliche Form der Gewalt wie z. B. auch Rebellionen dar­ unter subsumiert werden können.341 Die Version, auf die sich die Vertrags­ parteien auf der Diplomatischen Konferenz zu den vier Genfer Konventio­ nen342 im Ergebnis einigten, lässt Interpretationsspielraum. Eine Definition des Begriffs ‚nicht-internationaler bewaffneter Konflikt‘ oder eine Enume­ ration der Anwendungsvoraussetzungen wurden zwar von der Diplomati­ schen Konferenz als wünschenswert angesehen, konnten aber nicht umge­ setzt werden.343 Stattdessen hat das IKRK gewisse Kriterien herausgearbei­ tet, die das Vorliegen eines nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes indizieren.344 Die Empfehlungen des IKRK und die von ihm vorgenomme­ 341  „In all cases of armed conflict which are not of an international character (…)“, Pictet (Hrsg.), The Geneva Conventions of 12 August 1949  – Commentary  – I Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces on the field (1952), Art. 3 S. 42. 342  Siehe zur Diplomatischen Konferenz über die Neubestätigung und Weiterent­ wicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts ausführlich Bothe/Ipsen/Partsch, Abhandlungen: Die Genfer Konferenz über huma­ nitäres Völkerrecht. Verlauf und Ergebnisse, 38 ZaöRV (1978), 1. 343  Pictet (Hrsg.), The Geneva Conventions of 12 August 1949  – Commentary  – I Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces on the field (1952), Art. 3 S. 48. 344  Ob ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des gemeinsamen Art. 3 vorliegt, beurteilt sich u. a. nach den unter der Ägide des IKRK im Kommen­ tar zu den Genfer Konventionen von 1952 herausgearbeiteten Kriterien. Kriterien, die bei der Beurteilung eine Rolle spielen, sind z. B. der Organisationsgrad der auf­ ständischen Gruppierungen, die Frage, ob die de jure Regierung das Militär gegen die Aufständischen einsetzt bzw. einsetzen muss, ob die Aufständischen bereits Teile des Landes erobert haben, die Anerkennung der Aufständischen als kriegsfüh­ rende Partei durch die de jure Regierung, sei es generell oder nur für die Zwecke der Genfer Konventionen, ob die de jure Regierung für sich selbst die Rechte einer kriegsführenden Partei wahrnimmt, ob die Auseinandersetzung dem UN- Sicher­ heitsrat vorgelegt wurde, ob die Aufständischen bereits eine staatsähnliche Organi­ sation haben, ob sie de facto Kontrolle über bestimmte Gebiete haben oder ob sie sich an die Vorgaben der Genfer Konventionen gebunden halten (siehe Pictet (Hrsg.), The Geneva Conventions of 12 August 1949 – Commentary – I Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces on the field (1952), Art. 3 S. 49 Paragraph 1. 1.A). Das IKRK plädiert für eine mög­ lichst weite Auslegung des Begriffs ‚nicht-internationaler bewaffneter Konflikt‘ im Sinne des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen. Auf den Verhandlungskon­ ferenzen zum Zweiten Zusatzprotokoll war man sich jedoch einig, dass interne Unruhen nicht unter den Begriff fallen sollten, weil der Bereich bereits durch die Menschenrechte abgedeckt sei, Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8. Juni 1977 (1987), General Introduction, Rdnr. 4378. Als nicht-inter­ nationale bewaffnete Konflikte wurden in jüngster Zeit die Kampfhandlungen in Mali Anfang 2012 zwischen bewaffneten Gruppen und dem malischen Militär, sowie



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 103

nen rechtlichen Einordnungen von Konfliktsituationen sind zwar für die Vertragsparteien nicht bindend, haben aber vor dem Hintergrund des Man­ dats des IKRK im Rahmen der Genfer Konventionen und seiner historischen Rolle bei der Entwicklung des humanitären Völkerrechts besonderes Ge­ wicht.345 Das IKRK hat sich vor dem Hintergrund der offenen Tatbestands­ formulierung für die weitest mögliche Interpretation des Begriffs ‚nicht-in­ ternationaler bewaffneter Konflikt‘ entschieden. Eine Beschneidung der Souveränität der Vertragsstaaten in Fällen, in denen das IKRK eine weite Auslegung vornimmt, geht damit nicht einher. Das IKRK betont selbst, dass die weite Interpretation in keiner Weise die Befugnis des Staates beschränkt, die Aufständischen zurückzudrängen. Ebenfalls würde so die Macht der Aufständischen nicht erhöht.346 Im Vordergrund steht einzig das Ziel, die Menschenwürde und die Menschenrechte der betroffenen, von Art. 3 ratione personae geschützten Bevölkerungsgruppen zu wahren.347 Es ist damit je­ denfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass auch interne Unruhen und Spannungen prinzipiell in den Anwendungsbereich fallen können, wenn die Kriterien zur Auslegung des gemeinsamen Art. 3  – aus Sicht des IKRK  – vorliegen. Über den gemeinsamen Art. 3 Abs. 2 der Genfer Konventionen ist damit auch ein gewisser Mindestschutz für verwundete und kranke Per­ sonen in diesen Situationen sichergestellt. Materiell-qualitativ sind innere Unruhen und Spannungen damit potentiell auch noch dem Bereich des hu­ manitären Völkerrechts und nicht dem Katastrophenhilfevölkerrecht zuzu­ ordnen. Hinsichtlich der inneren Auseinandersetzungen, die quantitativ im Einzel­ fall – auch aus Sicht es IKRK – nicht mehr in den Anwendungsbereich des gemeinsamen Art. 3 fallen bzw. nicht von der gesamten Staatengemeinschaft als Konflikte im Sinne des Art. 3 eingeordnet werden, ist demgegenüber zu die Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierungstruppen in Syrien seit 2012 eingeordnet, siehe IKRK, Internal conflicts or other situations of violence  – what is the difference for victims? Interview with Kathleen Lawand (10.  Dezember 2012), . 345  IKRK, Internal conflicts or other situations of violence  – what is the diffe­ rence for victims? Interview with Kathleen Lawand (10.  Dezember 2012), . 346  Pictet (Hrsg.), The Geneva Conventions of 12 August 1949  – Commentary  – I Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces on the field (1952), Art. 3 S. 56, 61. 347  Momtaz, The minimum humanitarian rules applicable in periods of internal tension and strife (originally printed in International Review Of The Red Cross Issue No. 324 (1998), 455) .

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konstatieren, dass diese insofern aus dem Anwendungsbereich des humani­ tären Völkerrechts ausgenommen sind.348 Ob eine Einordnung in den Be­ reich des Katastrophenhilfevölkerrechts geboten ist, ist fraglich. Für die von internen Spannungen und Unruhen betroffene Personen gelten  – wenn auch mit der Maßgabe bestehender Notstandaderogationsmöglichkeiten – ohnehin zumindest die im Friedensfall im betroffenen Gebiet anwendbaren univer­ sellen und regionalen Menschenrechte.349 Die Nichtanwendbarkeit der Son­ derregelungen des humanitären Völkerrechts für diese Situationen muss dabei auch als bewusste Entscheidung der Vertragsparteien angesehen wer­ den, um die domainé reservé der Nationalstaaten zu wahren.350 Schutzlü­ cken, die durch diese Nichtanwendbarkeit des humanitären Völkerrechts entstehen, wurden von den Vertragsparteien bewusst in Kauf genommen, als die Auslegungskriterien für den gemeinsamen Art. 3 herausgearbeitet wur­ den. Die Entscheidung zur Nichtregelung von inneren Unruhen und Span­ nungen geringerer Intensität wurde bislang auch in der Staatenpraxis auf­ recht erhalten.351 Geht man perspektivisch davon aus, dass das Katastro­ 348  Ungeachtet der abstrakt-generellen Einordnung von inneren Unruhen und Spannungen unterhalb der Schwelle des gemeinsamen Art. 3 ist ohnehin zweifelhaft, ob derartige Situationen aufgrund ihrer geringen Intensität überhaupt die übrigen Voraussetzungen der herausgearbeiteten Katastrophendefinition erfüllen. Insbesonde­ re das Erfordernis, dass der betroffene Staat nicht mehr alleine zur Krisenbewälti­ gung in der Lage ist, dürfte nicht erfüllt sein. Dies zeigte sich etwa am Beispiel Ägyptens. Die Unruhen 2011, die zum Sturz von Präsident Mubarak führten, wurden vom IKRK nicht als nicht-internationaler bewaffneter Konflikt eingeordnet. Das Militär konnte die Ausschreitungen auch derart unter Kontrolle bringen, dass Neu­ wahlen durchgeführt werden konnten. 349  Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Pro­ tocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987), Rdnr.  4479. 350  Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Pro­ tocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987) General Introduction, Rdnr.  4412. Dies wird auch dadurch deutlich, dass das IKRK vorgeschlagen hat, das Zweite Zusatzprotokoll zu einem späteren Zeitpunkt um einen oder mehrere Annexe zu ergänzen, in denen Sonderfälle geregelt werden könnten, um den Anwendungsbereich des Genfer Rechts zum Schutz der Opfer zu erweitern  – z. B. auch auf Konflikte im größeren Umfang, Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987) General Introduction, Rdnr.  4389. 351  Perspektivisch anderer Ansicht ILC, ‚Report of the International Law Com­ mission on the work of its Sixtieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai–7.  Juni, 7.  Juli–8.  August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  237.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 105

phenhilfevölkerrecht teleologisch den Grundsätzen des humanitären Völker­ rechts ähnelt, kann diese Regelungslücke nicht durch eine Verlagerung innerer Unruhen und Spannungen in den insofern wesensgleichen Bereich des Katastrophenhilfevölkerrechts umgangen werden. Dieses Ergebnis fördert mit Blick auf die politische Sensibilität innerer Unruhen und Bürgerkriege auch die Akzeptanz eines neu entstehenden Be­ reichs des Katastrophenhilfevölkerrechts und überzeugt damit auch aus prag­ matischer Perspektive. Naturkatastrophen und Unglücksfälle destabilisieren Regierungen in aller Regel nicht in der gleichen Intensivität wie innere Un­ ruhen und Spannungen. Einmischung durch außen ist in letzteren Fällen oft nicht erwünscht, wie die Unruhen z. B. in Syrien seit 2011 zeigen. Würde der Anwendungsbereich des Katastrophenhilfevölkerrechts aber von vornherein auf diese Konstellationen ausgedehnt werden, stünde ein großer Teil  der Staatengemeinschaft dem Katastrophenhilfevölkerrecht insgesamt mit hoher Wahrscheinlichkeit ablehnend gegenüber.352 Es ist daher vorzugswürdig, sei­ nen Anwendungsbereich auf politisch neutralere Gebiete zu begrenzen.353 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass internationale bewaffnete Kon­ flikte, nicht-internationale bewaffnete Konflikte sowie innere Unruhen und Spannungen, die nicht unter den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konven­ tionen gefasst werden können, sowie die jeweiligen Kampfhandlungen im Rahmen dieser Kategorien keine Katastrophen im Sinne des Katastrophen­ hilfevölkerrechts darstellen, sondern eine eigenständige Kategorie im inter­ nationalen Rechtsrahmen der humanitären Hilfe bilden.354 Dies wird auch 352  Schließlich ist auch zu beachten, dass sich nicht von Art. 3 erfasste interne Unruhen und Spannungen bei zunehmender Intensität rasch zu von Art. 3 erfassten nicht-internationalen bewaffneten Konflikten entwickeln können. Die Übergänge sind oft fließend. Der im Frühjahr 2011 einsetzende bewaffnete Gewalt in Syrien wurde durch die UN bereits ab November 2011 die Tendenz zugesprochen, sich in einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt zu entwickeln. Ab Februar 2012 ging die UN davon aus, dass Syrien ganz nah an der Schwelle zum nicht-interna­ tionalen bewaffneten Konflikt stand, Human Rights Council, Report of the indepen­ dent international commission of inquiry in the Syrian Arab Republic, v. 22.  Febru­ ar 2012, UN Doc. A/HRC/19/69. Seit dem 17.  Juli 2012 ordnet das IKRK die Situ­ ation in Syrien als nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ein, IKRK, Operational Update Syria: ICRC and Syrian Arab Red Crescent maintain aid effort amid in­ creased fighting (17.  Juli 2012), . 353  Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist die „Abwehr innerer Unruhen, die von Menschen ausgehen“ in Art. 91 i. V. m. Art. 87a GG geregelt, während der Umgang mit Naturkatastrophen in Art. 35  GG angesprochen werden, Dürig/Maunz (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar (2015), Art. 35 Rdnr.  15. 354  So auch Art. 1  (d) Agreement Establishing CDEMA, wonach neben Krieg auch militärische Auseinandersetzungen aus dem Begriff der Katastrophe ausgenom­ men sind.

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von der Staatenpraxis gestützt. In vergangenen Situationen bewaffneter Konflikte wendete die internationale Gemeinschaft im Kern die Regelungen des humanitären Völkerrechts an355, auch innere Unruhen und Spannungen führten nicht zur Anwendung von Leitlinien und Grundsätzen aus dem Ka­ tastrophenhilfevölkerrecht. Diese Staatenpraxis wird auch von der Rechts­ überzeugung vieler Staaten gedeckt, die eine Ausdehnung z. B. der DAPPED auf bewaffnete Konflikte nicht befürworten.356 Ereignet sich parallel zu diesen Situationen eine Katastrophe anderen Ursprungs im Sinne des Kata­ strophenhilfevölkerrechts, so sind dessen Regelungen aber zusätzlich an­ wendbar, solange und soweit das humanitäre Völkerrecht keine Regelungen enthält.357 dd) Wirtschaftliche und politische Krisen Wirtschaftliche Krisen358 werden im allgemeinen Sprachgebrauch mitun­ ter auch als ‚Katastrophen‘ bezeichnet.359 In Namibia werden explizit auch 355  Neben den auch in bewaffneten Konflikten fortgeltenden völkerrechtlichen Verträgen, siehe hierzu Vöneky, Armed Conflict, Effect on Treaties, MPEPIL (2011). 356  Äußerung Finnlands im Namen der nordischen Staaten in UNGA Sixth Com­ mittee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (20.  November 2008) UN Doc. A/C.6/63/SR.22, Rdnr.  54; Äußerung Großbritanniens in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (20.  November 2008) UN Doc. A/C.6/63/ SR.22, Rdnr.  64. 357  Damit können auch die Bedenken der ILC, komplexe Notfälle im Kontext des humanitären Völkerrechts nicht aus dem Anwendungsbereich des Katastrophenhilfe­ völkerrechts ausschließen zu wollen, beseitigt werden, siehe ILC, ‚Provisional sum­ mary record of the 3029th meeting‘ (13. August 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3029, S. 10. 358  Zur Definition des Begriffs ‚Wirtschaftskrise‘ sei auf folgende Definition ver­ wiesen: „Bezeichnung für einen wirtschaftlichen Zusammenbruch, von dem die meisten Länder der Erde betroffen sind. Die erste Weltwirtschaftskrise ereignete sich 1857–1859 und wurde durch Bankenzusammenbrüche als Folge von Fehlspekulati­ onen und Preisstürzen bei Gold ausgelöst. Das bekannteste Beispiel ist jedoch die Weltwirtschaftskrise 1929–32, die durch Unternehmenszusammenbrüche, fallende Löhne und Preise sowie Massenarbeitslosigkeit in den wichtigsten Industrieländern gekennzeichnet war. Die Ende 2007 in den USA ausgebrochene Finanzmarktkrise hat mit einiger Verzögerung auch die Realwirtschaft erfasst. Die Schwere des Kon­ junktureinbruchs mit schrumpfender Wirtschaftsleistung, schrumpfendem Welthandel und steigender Arbeitslosigkeit weckt Erinnerungen an die Depression in den 1930er–Jahren und wird auch als neue Weltwirtschaftskrise bezeichnet.“ (aus: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und All­ tag (5. Aufl. (Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung) 2013). 359  ,Schuldenexplosion: EZB vergleicht Griechenland-Krise mit Lehman-Desaster‘ Der Spiegel (26.  April 2011) ; ‚Schuldenkrise: Ökonomen warnen vor Euro-Katastrophe‘ Der Spiegel (27. Juli 2012)



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  107

wirtschaftliche Störungen (‚economic failure‘) in den Begriff der Katastro­ phe für die Zwecke des nationalen Katastrophenschutzes einbezogen.360 Die ILC schließt allerdings politische und wirtschaftliche Krisen aus dem An­ wendungsbereich des Katastrophenhilfevölkerrechts aus,361 auch die UNMenschenrechtskommission verneint einen öffentlichen Notstand im Sinne von Art. 4 IPbpR, wenn nur eine wirtschaftliche Krise vorliegt.362 Für diese Einordnung spricht, dass Staaten bei originär politischen oder wirtschaftli­ chen Krisen externe Hilfe a priori als zu weitgehende Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten ansehen könnten. Dadurch würde die Akzeptanz des Katastrophenhilfevölkerrechts geschwächt, auch für die politisch grund­ sätzlich eher unproblematischen Bereiche wie Naturkatastrophen.363 Aller­ dings ist zu beachten, dass Krisen, die in ihrem Ursprung einen politischen oder ökonomischen Hintergrund aufweisen, im weiteren Verlauf durchaus mit Naturkatastrophen vergleichbare Auswirkungen für die Bevölkerung entwickeln können. Dies ließ sich in der Vergangenheit während der Euro­ krise 2015 in Griechenland erahnen, als Nahrungsmittel und Medikamente knapp wurden und der Beginn einer humanitären Krise drohte.364 Zumindest in politischen und wirtschaftlichen Notsituationen, die negative Auswirkun­ ; Greece euro exit would be catastrophic, says Samaras, BBC (16. September 2012), . 360  Disaster Risk Management Act (Namibia), Act No. 10, v. 3.  September 2012, Government Gazette of the Republic of Namibia No. 5029, No. 228 Art. 1, Defini­ tion ‚Disaster‘, lit. (g): „ ‚disaster‘ means any serious disruption of the functioning of a community or society, posing a significant, widespread threat to human life, health, property or the environment, which exceeds the ability of the affected com­ munity or society to cope using its own resources resulting from  – (…) (g) eco­ nomic failure.“ 361  McRae in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 8; ILC, ‚Provisional summary record of the 3029th meeting‘ (13. August 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3029, S. 7. 362  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (20. Novem­ ber 2008) UN Doc. A/C.6/63/SR.22, Rdnr.  41. 363  Wirtschaftliche Krisen sind z. B. auch nicht ausreichend für die Berufung auf das Institut des Notstands im Rahmen von Art. 4 des International Covenant on Civil and Political Rights (IPbpR), v. 16.  Dezember 1966 (in Kraft getreten am 23.  März 1976), 999 UNTS 171, siehe Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar (1. Aufl. 1989), Art. 4 Rdnr.  16. 364  United Nations News Centre, As Europe confronts Greek debt crisis, UN ex­ pert says new measures must not lose sight of human rights (15.  Juli 2015) ; ‚Finanzkrise: Griechenland kann Patienten nicht mehr versorgen‘ Die Zeit (11. Juni 2012) .

108 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

gen auf die Lebensbedingungen eines Großteils der Bevölkerung365 haben, können nicht per se aus dem Katastrophenbegriff im Sinne des Katastro­ phenhilfevölkerrechts ausgeklammert werden. ee) Flüchtlingskrisen Flüchtlingskrisen können durch Katastrophen im Sinne des Katastrophen­ hilfevölkerrechts ausgelöst werden, etwa durch Wirtschaftskrisen, Naturka­ tastrophen oder nicht von den Genfer Konventionen erfasste innere Unruhen und Spannungen. Indes sind sie, unabhängig von ihrem Ursprung, selbst nicht als Katastrophen zu qualifizieren, die den Anwendungsbereich des Katastrophenhilfevölkerrechts eröffnen würden. Für den Umgang mit inter­ nationalen sowie nationalen Flüchtlingsbewegungen gelten eigenständige, abschließende völkerrechtliche Regelungen, die den von den Vertragsstaaten festzulegenden Rechtsrahmen für den Umgang mit Flüchtlingen normie­ ren.366 Nur dann, wenn durch eine Flüchtlingskrise selbst eine Katastro­ phensituation ausgelöst wird, z. B. in Form der Nahrungsmittelknappheit, können auf die damit verbundenen Folgen Regelungen des Katastrophen­ hilfevölkerrechts angewendet werden. ff) Terrorismus Terrorismus lässt sich definieren als eine Handlung, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die in einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teil­ nimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen367 oder „die politischen, verfassungsrechtlichen, 365  Diese Formulierung wird etwa auch zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des Solidaritätsfonds der Europäischen Union verwendet, wenn die durch eine Na­ turkatastrophe verursachten Schäden nicht bestimmte wirtschaftliche Grenzwerte (Schäden höher als 3 Mrd. EUR oder 0,6 % des BIP) überschreiten, siehe Art. 2 Abs. 1 und 2 Verordnung (EG) des Rates vom 11.  November 2002 zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, Nr. 2012/2002, ABl. EU L 311/3 (14.  November 2002). 366  Kernstück des Flüchtlingsvölkerrechts ist die 1951 Refugee Convention. Die Situation von Binnenvertriebenen ist in den Guiding Principles on Internal Displace­ ment reguliert, siehe Commission on Human Rights, Guiding Principles on Internal Displacement, v. 11.  Februar 1998, UN Doc. E/CN.4/1998/53/Add.2. 367  Art. 2 Abs. 1 lit. b International Convention for the Suppression of the Financ­ ing of Terrorism (ICFST), v. 9.  Dezember 1999 (in Kraft getreten am 10.  April



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  109

wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer in­ ternationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“368 Die Frage, ob terroristische Anschläge als Katastrophen im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts zu betrachten sind, ist differenziert zu beant­ worten. Terroristische Anschläge können, wie im Fall der Anschläge vom 11.  September 2001, als Erstschlag im Rahmen eines internationalen be­ waffneten Konflikts eingeordnet werden.369 Dann sind sie dem humanitä­ ren Völkerrecht zuzuordnen und aus dem Bereich des Katastrophenhilfe­ völkerrechts herauszunehmen. Terroristische Akte, die nicht vom humani­ tären Völkerrecht abgedeckt sind, sind demgegenüber wie Naturkatastro­ phen als Katastrophen im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts zu behandeln. Sie weisen einige Gemeinsamkeiten mit Naturkatastrophen auf, die eine Gleichbehandlung rechtfertigen. Ebenso, wie es mannigfaltige Ar­ ten von Naturkatastrophen gibt, sind die Erscheinungsformen des interna­ tionalen Terrorismus so vielfältig wie perfide, so dass sich die Staatenge­ meinschaft auf die möglichen Modalitäten nicht im Einzelnen einstellen kann. Weder bei Naturkatastrophen noch bei terroristischen Akten sind abschließende, allumfassende Sicherungs- und Schutzmaßnahmen möglich. Ebenso wie bei Naturkatastrophen lassen sich auch terroristische Akte nur schwer voraussagen. Ein terroristischer Akt kann über einen Staat genauso spontan und heftig wie eine Naturkatastrophe hereinbrechen. Schließlich gibt es zwar zahlreiche internationale und nationale Übereinkommen, die sich mit internationalem Terrorismus befassen, sie regeln aber in erster Linie die internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Terrorismus sowie den Umgang mit Terroristen, nicht aber den Umgang mit den un­ mittelbaren Folgen nach Eintritt eines terroristischen Anschlags.370 Insofern besteht diesbezüglich auch eine Regelungslücke, die durch die Anwendung der Regelungen des Katastrophenhilfevölkerrechts auf terroristische Akte gelöst werden kann.

2002), 2178 UNTS 197. Zu den Problemen, den Begriff des Terrorismus zu definie­ ren, auch Walter, Terrorism, MPEPIL (2011), Rdnr.  16 ff. 368  Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschluss des Rates vom 13.  Juni 2002 zur Terro­ rismusbekämpfung, 2002/475/JI, ABl. EU L 164/3 (22.  Juni 2002). 369  IKRK, International humanitarian law and terrorism (1. Januar 2011), . 370  Siehe z. B. Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the ­Safety of Maritime Navigation (SUA Convention), v. 10.  März 1988 (in Kraft ge­ treten am 1.  März 1992), 1678 UNTS 221; Convention for the Suppression of Un­ lawful Acts against the Safety of Civil Aviation (Civil Aviation Convention), v. 23.  September 1971 (in Kraft getreten am 26.  Januar 1973), 974 UNTS 177 sowie allgemein zum Thema Walter, Terrorism, MPEPIL, Rdnr.  16 ff.

110 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

gg) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass der Begriff der Katastro­ phe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts sowohl Naturkatastrophen im Sinne der Definition der IFRK371 als auch durch Menschen mitverur­ sachte oder katalysierte Schadensereignisse natürlichen Ursprungs, techni­ sche Unfälle und Zwischenfälle, Industrieunfälle sowie terroristische Akte erfassen kann.372 Auch politische Krisen und Wirtschaftskrisen können als mit Naturkatastrophen vergleichbar eingeordnet werden, sofern sie gravie­ rende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben und die Versorgung der Bevölkerung haben. Dies stimmt auch mit verschiedenen Regelungsinstrumenten des Kata­ strophenhilfevölkerrechts überein. So gehen sowohl die Tampere Conven­ tion in Art. 1 Abs. 6373 sowie Art. 3 Abs. 6 des Modellgesetzes der interna­ tionalen Föderation der Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes374 davon aus, dass eine Katastrophe unabhängig davon vorliegt, ob sie auf einen Unfall, die Natur oder menschliche Aktivität zurückzufüh­ ren ist. Auch die auf die Vermeidung von Katastrophen ausgelegte Yokoha­ ma Strategy konstatiert, dass die entsprechenden Ansätze zur Katastrophen­ vorsorge ganz allgemein auf jedwede ökologischen und technischen Katas­ trophen ausgedehnt werden sollten, auch wenn diese Arten von Katastrophen außerhalb des eigenen Anwendungsbereichs liegen.375 Schließlich verzichten auch die DAPPED der ILC sowie der Code of Conduct for the International Red Cross and Red Crescent Movement and Non-Governmental Organiza­ tions in Disaster Relief gänzlich darauf, zwischen Naturkatastrophen oder 371  Siehe

oben Fn. 265. Konkurrenzverhältnis zwischen spezialgesetzlichen Regelungen zu tech­ nischen Unfällen stellt sich indes erst auf Rechtsfolgenebene. 373  Art. 1 Abs. 6 Tampere Convention: „Disaster means a serious disruption of the functioning of society, posing a significant, widespread threat to human life, health, property or the environment, whether caused by accident, nature or human activity, and whether developing suddenly or as the result of complex, long-term processes.“ 374  Art. 3 Abs. 6 IFRK/OCHA/Inter-Parliamentary Union, Model Act for the Fa­ cilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assis­ tance, Pilot Version November 2011: „ ,Disaster‘ [is defined as set out in Article *** of the [national disaster management act] [or means a serious disruption of the functioning of society, which poses a significant, widespread threat to human life, health, property or the environment, whether arising from accident, nature, or human activity, whether developing suddenly or as the result of long-term processes, but excluding armed conflict.].“ 375  Yokohama Strategy and Plan of Action for a Safer World, Guidelines for Natural Disaster Prevention, Preparedness and Mitigation, World Conference on Natural Disaster Reduction (Yokohama, Japan, 23.–27.  Mai 1994), S. 8, I. 372  Das



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 111

menschengemachten Katstrophen zu differenzieren.376 In nationalen Rechts­ ordnungen oder auf Regionalebene werden Naturkatastrophen und sonstige Unglücksfälle ebenfalls gleichwertig als Katastrophen behandelt, in denen gegenseitige Hilfe notwendig sein kann.377 3. Indikatoren zur Bestimmung von Wirkung und Effekt der Katastrophe Unabhängig von Art und Ursache der Katastrophe sind zur Bestimmung der Frage, ob eine Katastrophe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts vorliegt, in erster Linie ihre negativen Auswirkungen und die ihnen gegen­ über bestehende Verwundbarkeit der betroffenen Gesellschaft entschei­ dend.378 Herauszuarbeiten ist folglich, von welcher Art und welchem Ge­ wicht die Schäden sein müssen, um den Tatbestand des völkerrechtlichen Katastrophenbegriffs zu erfüllen. a) Ausmaß der negativen Folgen der Katastrophen Zur Eingrenzung des Katastrophenbegriffes erscheint es sinnvoll, den Begriff auf solche Schadenslagen zu begrenzen, die ein bestimmtes Ausmaß an Schäden und sonstigen Auswirkungen verursachen. Fraglich ist zunächst, welche ‚qualitativen‘ Anforderungen an diese negativen Auswirkungen zu stellen sind.

376  Art. 3 DAPPED; 26th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, Code of Conduct for the International Red Cross and Red Crescent Move­ ment and Non-Governmental Organizations in Disaster Relief, Document 95/C.II/2/1 (3.–7.  Dezember 1995). 377  Vgl. z. B. für Deutschland Art. 35 Abs. 3  GG; für Österreich exemplarisch § 2  Nr. 1 Landesgesetz, mit dem Bestimmungen über den Katastrophenschutz in Oberösterreich erlassen werden (Oö. Katastrophenschutzgesetz  – Oö. KatSchG), LGBl.Nr. 32/2007; für die USA Title 42, Chapter 68, Subchapter I, § 5122 para. (1) The United States Code (USC), sowie auf EU-Ebene Art. 21 Abs. 2 lit. g EU-Vertrag. 378  Walter führt diesen Ansatz kulturhistorisch auf die Antrophologie zurück, die „in den 1970–80er Jahren (…)“ im Rahmen der „Strukturierung von Katastrophen­ erfahrungen (…) die Verwundbarkeit zum zentralen Konzept gemacht“ habe, Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert (2010), 19.

112 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

aa) Geographische Verteilung der Schäden: Internationalität des Katastrophenfalles Ein grenzüberschreitender Bezug von Katastrophen ist nicht erforderlich, um den völkerrechtlichen Katastrophenbegriff zu erfüllen. Weder muss sich eine Katastrophe zwingend in mehr als nur einem Staat gleichzeitig oder außerhalb jedweden Staatsgebietes in einem Gemeinschaftsraum wie der Hohen See ereignen, noch müssen grenzüberschreitende Auswirkungen wie z. B. Flüchtlingsströme zu befürchten sein. Das Erfordernis eines grenzüber­ schreitenden Bezugs findet sich weder in den existierenden Reglungsinstru­ menten auf dem Gebiet des Katastrophenschutzvölkerrechts noch würde eine solche Einschränkung mit Sinn und Zweck dieses Rechtsgebiets in Einklang stehen. Die Internationalität einer Katastrophe ergibt sich allein daraus, dass ein Staat selbst weder durch seine staatlichen noch durch seine nicht-staatlichen Akteure vollumfänglich in der Lage ist, mit den Folgen der Katastrophe umzugehen und mangels entsprechender eigener personeller, technischer oder materieller Ressourcen auf internationale Hilfe von außen angewiesen ist.379 Ein völkerrechtlich relevanter Katastrophenfall entsteht damit gerade erst durch die Involvierung verschiedener Akteure der interna­ tionalen Gemeinschaft.380 Diese ‚weiche‘ Handhabung des internationalen Bezugs deckt sich auch mit dem bereits seit den 1990er Jahren zu verzeich­ nenden Trend in der internationalen Gemeinschaft im Blick auf sonstige Krisensituationen, in denen internationale humanitäre Hilfe erforderlich wird. Wurde früher z. B. bei Bürgerkriegen ein Tätigwerden des UN-Sicher­ heitsrates im Rahmen seines Mandats gemäß Art. 24 UN-Charta zur Wah­ rung des Friedens und der internationalen Sicherheit nur bei möglichen grenzüberschreitenden Auswirkungen angenommen, genügt mittlerweile ein gravierender landesinterner Verlauf des Bürgerkrieges, etwa in Form einer massiven humanitären Krise.381 379  Nolte in ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27.  Au­ gust 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 7; Ojo in ibid., S. 9: „A disaster should be the business of the international community if it was of such magnitude that it was beyond the human, material, technical and other resources of local State or nonState actors.“ 380  Auf nationalstaatlicher Ebene geht man spiegelbildlich in vielen Ländern ebenfalls erst dann von einem nationalen Katastrophenfall aus, wenn das Katastro­ phenmanagement die Kapazitäten lokaler Behörden oder einer einzelnen Regie­ rungsbehörde übersteigt, so dass Ressourcen auf nationaler und manchmal internati­ onaler Ebene angefordert werden müssen. Vgl. zum Beispiel für Namibia den Di­ saster Risk Management Act (Namibia), Art. 30 Abs. 4 (b). 381  Siehe hierzu beispielhaft die Resolutionen UN Security Council, Res 794 (1992) [Somalia], v. 3.  Dezember 1992, UN Doc. S/RES/794 (1992), PräambelAbs. 3; UN Security Council, Res 940 (1994) [Haiti], v. 31.  Juli 1994, UN Doc. S/



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 113

bb) Leidtragende der Katastrophe Teilweise wird der Katastrophenbegriff auf solche Ereignisse beschränkt, bei denen es zu menschlichen Verlusten  – d. h. dem Verlust von Menschen­ leben oder der Schädigung von Menschen in anderer Form  – kommt.382 Materielle Schäden sollen nur dann erfasst sein, wenn sie die Vermögens­ werte der Bevölkerung bedrohen oder bedrohliche Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung haben.383 Andere Regelungsinstrumente, wie z. B. die DAPPED, gehen davon aus, dass auch Schädigungen der Umwelt oder von Eigentum ausreichen, um einen Katastrophenfall zu begründen.384 Nach dem Recht der Europäischen Union genügen sogar Auswirkungen auf die Wirtschaft des betroffenen Landes.385 RES/940 (1994), Präambel-Abs. 10 sowie UN Security Council, Res 1556 (2004) [Darfur], v. 30.  Juli 2004, UN Doc. S/RES/1556 (2004), Präambel-Abs. 21. 382  Häufig findet sich die Formulierung ‚betroffene Personen‘ (affected persons) bei der Bestimmung des Ausmaßes einer Katastrophe. Eine Person wird als „betrof­ fen“ angesehen, wenn sie irgendeine Form von Hilfe benötigt, sei es kurzfristige humanitäre Hilfe oder langfristige Wiederaufbauhilfe (Zitat des UN OCHA-Spre­ chers M. Giuliano, wiedergegeben in ‚Bad weather hampers Pakistan flood relief effort‘ The Guardian (9.  August 2010) . 383  Vgl. z. B. Art. 1 Abs. 1  Satz 2 des Agreement between Denmark and the Fed­ eral Repulic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious ac­ cidents (with exchange of notes), v. 16.  Mai 1985 (in Kraft getreten am 1. August 1988), 1523 UNTS 26375: „(…) a disaster shall mean an incident which harms or threatens the life or health of a large number of people, or harms or threatens the material assets or the vital supplies of the population (…).“ Siehe ebenso Art. 1 Abs. 2 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session: „ ‚Disaster‘ means calami­ tous events which endanger life, health, physical integrity, or the right not to be sub­ jected to cruel, inhuman or degrading treatment, or other fundamental human rights, or the essential needs of the population.“ Auch das Rote Kreuz fordert in seinem Modellgesetz neben materiellen Schäden stets zusätzlich menschliche Verluste, 26th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, Code of Conduct for the International Red Cross and Red Crescent Movement and Non-Governmental Or­ ganizations in Disaster Relief, Document 95/C.II/2/1 (3.–7. Dezember 1995), S. 2. 384  Art. 3 DAPPED, ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15. Mai 2014); Art. 1 Abs. 6 Tampere Convention; Art. 1 (c) FCCDA; Brookings-Bern Project on Internal Displacement, ‚Operational Guidelines and Field Manual on Human Rights Protection in Situation of Natural Disasters (Pilot Version)‘ (März 2008) Glos­ sary, S. 5, ‚Natural disaster‘. Die Beschädigung von Eigentum oder menschliche Verluste lässt demgegenüber Art. 1 der Charter On Cooperation To Achieve The Coordinated Use Of Space Facilities In The Event Of Natural Or Technological Disasters ausreichen. 385  Art. 2 Abs. 1 Verordnung (EG) des Rates vom 11. November 2002 zur Errich­ tung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, Nr. 2012/2002, ABl. EU L 311/3

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Dies ist ein sinnvoller Ansatz, da negative Auswirkungen auf Umwelt und Eigentum sowie die wirtschaftliche Gesamtsituation die Lebensqualität der Bevölkerung unmittelbar negativ beeinträchtigen können.386 cc) Schadenseintritt vs. Gefährdungslage Erstreckt man den Begriff der Katastrophe auf negative Auswirkungen für die Bevölkerung, materielle Werte sowie die Umwelt, so ist ferner frag­ lich, ob eine Katastrophe nur vorliegt, wenn Schäden bereits eingetreten sind, oder ob es ausreichen soll, dass Verluste mit einer gewissen Wahr­ scheinlichkeit zu erwarten sind und eine Bedrohung für Rechtsgüter vor­ liegt.387 Die Tampere Convention sowie das Hyogo Framework for Action lassen eine Bedrohung für menschliches Leben, Gesundheit, Eigentum und Umwelt ausreichen.388 Die ILC geht demgegenüber in den DAPPED davon aus, dass bezüglich menschlicher Verluste zumindest schon ein Zustand des Leidens oder eine Notlage eingetreten sein muss.389 Auch hinsichtlich Ver­ mögenswerte und der Umwelt müssen bereits Schäden vorliegen.390 Hierfür spricht, dass die Katastrophenhilfe ihrer Natur nach responsiv erfolgt, d. h. (14.  November 2002). Nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung gilt als Katastrophe grö­ ßeren Ausmaßes dabei „eine Katastrophe, die in zumindest einem der betroffenen Staaten Schäden verursacht, die auf über 3 Mrd. EUR, zu Preisen von 2002 oder mehr als 0,6 % seines BIP geschätzt werden.“ 386  Beispielsweise können Hochwasser neben existenzbedrohenden Eigentums­ verlusten auch die Entstehung von Seuchen begünstigen, siehe WHO, Flooding and communicable diseases factsheet, . Zur Interdependenz von Mensch und Umwelt äußerte sich auch der Internati­ onale Gerichtshof: „the environment is not an abstraction but represents the living space, the quality of life and the very health of human beings, including generations unborn“ (IGH, Advisory Opinion, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (8.  Juli 1996) ICJ Reports 1996, 226, 241, Rdnr.  29, zitiert in ILC, ‚Second report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo ValenciaOspina, Special Rapporteur‘ (7.  Mai 2009) UN Doc. A/CN.4/615, S. 13 f. 387  So etwa Art. 1  (c) FCCDA sowie Art. 1 Abs. 6 der Tampere Convention. 388  Art. 1 Abs. 6 Tampere Convention; Art. 3 Abs. 6 IFRK/OCHA/Inter-Parlia­ mentary Union, Model Act for the Facilitation and Regulation of International Di­ saster Relief and Initial Recovery Assistance, Pilot Version November 2011, United Nations World Conference on Disaster Reduction, ‚Hyogo Framework for Action 2005–2015: Building the Resilience of Nations and Communities to Disasters‘ (16.  März 2005) Resolution 2, Auszug aus dem Abschlussbericht der World Con­ ference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6, S. 1 Fn. 2: „Hazards can include latent conditions that may represent future threats and can have different origins: natural (geological, hydrometeorological and biological) or induced by hu­ man processes (environmental degradation and technological hazards.“ 389  „(…) great human suffering or distress“, Art. 3 DAPPED. 390  „Large-scale material or environmental damage“, Art. 3 DAPPED.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 115

als Reaktion zur Beseitigung eines eingetretenen Zustandes, in dem Hilfe notwendig wird. Im Ergebnis kann dieser Ansatz jedoch nicht überzeugen. Zunächst ist zu beachten, dass ein Staat in einer Situation unmittelbar vor Eintritt der Katastrophe in vielen Fällen ebenso handlungsunfähig bzw. hil­ febedürftig sei kann wie ab dem Eintritt der Katastrophe. Katastrophenhil­ fe kann auch schon in diesem Vorfeldstadium effektiv und geboten sein. Bereits das Wissen, dass der Eintritt von Schäden und Verlusten unmittel­ bar bevorsteht und er dies nicht abwenden kann, kann einen Staat hand­ lungsunfähig machen. Gerade bei Erdbeben, Tsunamis und Hochwasser gibt es mittlerweile Frühwarnsysteme, die die frühzeitige Kenntnis vom Aus­ bruch einer Katastrophe ermöglichen. Vorstellbar ist in diesem Zusammen­ hang etwa das Szenario, dass sich ein Seebeben vor der Westküste der Vereinigten Staaten von Amerika Richtung Japan ausbreitet. Die Bevölke­ rung der pazifischen Inselstaaten, wie etwa Nauru, der Salomon-Inseln und Tuvalu, hätte dank effektiver Frühwarnsysteme noch ausreichend Zeit, die Küstenregionen zu evakuieren. Dieser Vorbereitungszeitraum kann entschei­ dend sein, um akute Präventionsmaßnahmen oder Maßnahmen zur Ab­ schwächung der Folgen der Katastrophe zu treffen.391 Es kann z. B. auch wertungsmäßig keinen Unterschied machen, ob vor einem herannahenden Hochwasser Schutzwälle errichtet werden und dafür auf die Hilfe anderer Staaten zurückgegriffen wird, oder ob abgewartet wird, bis das Hochwasser bereits eingetroffen ist. Dies zeigt sich auch daran, dass auf nationalstaat­ licher Ebene, z. B. in manchen Bundesländern der Bundesrepublik Deutsch­ land, Katastrophenalarm bereits im unmittelbaren Vorfeld der Katastrophe selbst ausgelöst wird.392 Schließlich ist auch der Ansatz der ILC in sich nicht konsistent: Zwar werden Gefährdungslagen aus dem Katastrophenbe­ griff herausgenommen, jedoch wird zugleich der Anwendungsbereich der DAPPED auf alle Arten von Katastrophenhilfe erstreckt, die eine geeignete und effektive Reaktion auf Katastrophen darstellen.393 Von dieser Formulie­ rung kann gerade auch der Zeitraum unmittelbar vor der Katastrophe er­ 391  Melescanu in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017 S. 14 f. 392  Im Land Berlin kann die Senatsverwaltung Katastrophenalarm schon dann auslösen, wenn der Eintritt einer Katastrophe droht, siehe § 7 Abs. 1 Berliner Gesetz über die Gefahrenabwehr bei Katastrophen (KatSG Berlin), v. 11.  Februar 1999, GVBl. 1999 S. 78. In Schleswig-Holstein kann die Katastrophenschutzbehörde Ka­ tastrophenvoralarm auslösen, wenn Tatsachen dafür sprechen, dass eine Katastrophe im Sinne des Gesetzes eintreten kann, § 20 Abs. 1 Gesetz über den Katastrophen­ schutz in Schleswig-Holstein (LKatSG Schleswig-Holstein), v. 10.  Dezember 2000, GVBl. Schl.-H. 2000 S. 665. 393  Art. 2 DAPPED: „The purpose of the present draft articles is to facilitate an adequate and effective response to disasters that meets the essential needs of the persons concerned, with full respect for their rights.“

116 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

fasst sein, wenn Hilfe in Form der präventiven Katastrophenhilfe geleistet wird.394 Somit ist im Ergebnis der Zeitpunkt, zu dem eine Katastrophe unmittelbar bevorsteht und mit ihrem jederzeitigen Eintritt gerechnet werden kann, in den Begriff der Katastrophe einzubeziehen und bereits als Bestandteil der Katastrophe (impact phase) selbst anzusehen.395 dd) Quantität der Schäden Fraglich ist weiterhin, welche quantitativen Kriterien für die Auswirkun­ gen von Katastrophen angeführt werden können. Gerade weil ein interna­ tionaler Bezug von Großschadenslagen nicht erforderlich ist, ist ein Korrek­ tiv erforderlich, um nicht für jedes nationale schadenbegleitete Ereignis den Anwendungsbereich der internationalen Katastrophenhilfe zu eröffnen. Man könnte diesbezüglich in Erwägung ziehen, dieses Ziel bereits durch das Etablieren einer quantitativen Mindestschwelle der Auswirkungen der Kata­ strophe auf Tatbestandsebene zu erreichen. Für manche Arten von Katastrophen haben sich bereits objektive Bewer­ tungsmethoden etabliert. Bei der Bewertung nuklearer Unfälle wird die INES-Skala angewendet.396 Bei ihr werden  – in einer von drei Katego­ rien  – vor allem die Auswirkungen auf die Bevölkerung auf einer Skala von 1 bis 7 bewertet. Die Stufen 2 und 3 liegen vor, wenn Arbeiter radio­ aktiver Strahlung in Höhe des jährlichen Limits und Außenstehende min­ destens 10  mSv ausgesetzt wurden bzw. generell jemand dem zehnjährli­ chen Limit radioaktiver Strahlung ausgesetzt wurde. Stufe 4 erfordert min­ destens einen, Stufe 5 mehrere Tote. Stufe 6 und 7 liegen vor, wenn es zu einem signifikanten bzw. sehr starkem Austritt radioaktiven Materials kommt. Auch Erdbeben werden anhand eines objektiven Maßstabes, näm­ lich nach ihrer Magnitude anhand der Richter-Skala sowie nach ihrer In­ tensität in 12 Stufen bewertet.397 394  ILC, ‚Provisional summary record of the 3029th meeting‘ (13. August 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3029, S. 6. Der Sonderberichterstatter der ILC hatte in seiner ursprünglichen Entwurfsfassung den Anwendungsbereich explizit auf alle Phasen einer Katastrophe ausgedehnt, ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixty-first session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (4.  Mai–5.  Juni, 6.  Juli–7. August 2009) UN Doc. A/64/10, Rdnr.  156 bzw. Art. 1 DAPPED Entwurfsfassung, Rdnr.  156 Fn. 843. 395  So auch Melescanu in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th mee­ ting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 14 f. 396  Internationale Atomenergiebehörde, INES  – The International Nuclear and Radiological Event Scale, .



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  117

Die Übertragung fester Skalenwerte auf sonstige Katastrophen könnte z. B. in der Festlegung bestimmter Mindestopferzahlen erfolgen. Man könn­ te beispielsweise ab einer Opferzahl von mehr als 1.000 Menschen von einer Katastrophe ausgehen oder von mindestens 0,1 % der Gesamtbevölke­ rung. Dies entspricht der Vorgehensweise der weltweit größten Datenbank für Naturkatastrophen EM-DAT.398 Ereignisse werden nur in die Datenbank aufgenommen, wenn entweder mehr als zehn Menschen ums Leben kamen oder mehr als 100 Menschen betroffen sind.399 Ginge man von einer ökonomischen Betrachtungsweise aus, würde man auf die Schadenssummen abstellen. Hinsichtlich der materiellen Schäden wäre es dann z. B. denkbar, objektiv ab einer bezifferten Schadenssumme oder ab Erreichen eines bestimmten Prozentsatzes des Bruttoinlandsprodukts (BIP), oder subjektiv von einem gewissen Prozentsatz des Vermögens der betroffenen Bevölkerungsgruppen von einer Katastrophe auszugehen. So erhält ein Mitgliedstaat der Europäischen Union bei Naturkatastrophen nur dann Hilfe aus dem Solidaritätsfonds der Europäischen Union, wenn es sich um eine ‚Katastrophe größeren Ausmaßes‘ handelt. Eine solche liegt vor, wenn die Katastrophe zumindest in einem der betroffenen Staaten „Schäden versursacht, die auf über 3 Mrd. EUR, zu Preisen von 2002 oder mehr als 0,6 % seines BIP geschätzt werden.“400 Von einer politischen Sichtweise aus könnte man die Auswirkungen auf die Infrastruktur, insbesondere die Dauer der Unterbrechung grundlegender 397  GeoForschungsZentrum Potsdam (Hrsg.)/Bormann, Was ist die Magnitude und was ist die Intensität eines Erdbebens? , 1. 398  EM-DAT wurde ursprünglich von der WHO und mit Unterstützung der belgi­ schen Regierung ins Leben gerufen. Die Datenbank listet über 18.000 Katastrophen auf und wird anhand von unterschiedlichen Quellen, auch seitens der Vereinten Nationen, erstellt. Siehe EM-DAT: The International Disaster Database, . 399  Betroffen sein bedeutet nach EM-DAT, dass man unmittelbare Unterstützung während einer Notfallsituation benötigt, z. B. in Form von existentiellen Hilfsgütern wie Nahrung, Wasser, Unterkunft, sanitärer Einrichtungen sowie medizinischer Ver­ sorgung, siehe EM-DAT: The International Disaster Database  – Criteria and Defini­ tion, . 400  Art. 2 Abs. 1  Unterabs.  1 Verordnung (EG) des Rates vom 11.  November 2002 zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, Nr. 2012/2002, ABl. EU L 311/3 (14.  November 2002). 2013 wurde vorgeschlagen, auch regionale Katastrophen aufzunehmen, d. h. Katastrophen, die auf der Ebene einer NUTS-2 Gebietseinheit der Europäischen Union einen Schaden von 1,5 % des BIP der Re­gion versursachen, Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäi­ schen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, COM(2013) 522 final, 2013/0248 (COD) (25.  Juli 2013), 11.

118 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Infrastruktur, berücksichtigen. Eine soziologische Sichtweise würde danach fragen, wie die betroffene Bevölkerung subjektiv unter den Folgen der Ka­ tastrophe gelitten hat und wie lange es dauert, bist sich die betroffenen Personengruppen wieder von den Folgen der Katastrophe regeneriert haben und zum Alltag zurückkehren. Indes ist eine durch quantitative Maßstäbe konkretisierte Definition kri­ tisch zu bewerten. Der Vorteil an diesen Arten der Quantifizierung scheint auf den ersten Blick ihre Transparenz und Klarheit zu sein. Jedoch lässt sich eine genaue Bezifferung des Ausmaßes und der Höhe der Schäden oft erst Monate nach der Katastrophe erstellen. Würde man bis zu einem exakten Ergebnis abwarten mit der internationalen Katastrophenhilfe, käme diese in den meisten Fällen viel zu spät. Darüber hinaus bestehen häufig Unsicher­ heiten hinsichtlich der Genauigkeit der Schadensberechnung.401 Mit Blick auf Umweltschäden ist problematisch, dass sich diese oft gar nicht quanti­ fizieren lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es gar nicht möglich ist, die Umweltschäden zu beseitigen, so dass auch keine fiktiven Beseitigungs­ kosten zur Quantifizierung angesetzt werden können.402 Zuletzt können quantitative Maßstäbe die tatsächlichen Zustände und Bedürfnisse vor Ort selten realitätsgetreu abbilden. Ein rein quantitativer Ansatz ist damit wenig überzeugend. Er findet sich auch in keinem der geltenden Regelungsinstru­ mente zur internationalen Katastrophenhilfe. Zudem ist zu beachten, dass jeder erforderliche zu bestimmende Mindestschaden immer auch nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv definiert werden kann. Dabei ist  – in Ori­ entierung an der normativen Risikotheorie  – aber gerade auch die ethische Qualifizierung von Schadens- bzw. Nutzensbewertungen vor dem Hinter­ grund des mit der Bewertung zu erreichenden Ziels zu berücksichtigen.403 Im Vordergrund muss daher die Frage stehen, welche subjektiv geltend gemachten Schädigungen normativ für die Zwecke des Katastrophenhilfe­ völkerrechts relevant sind. Ziel des Katastrophenhilfevölkerrechts ist der Schutz und die Rettung von den Gruppen von Individuen, die von Scha­ densereignissen betroffen sind. Vor dieser Überlegung ergibt sich als Aus­ gangspunkt, dass die quantitativen Anforderungen an den Katastrophenbe­ 401  Hinsichtlich Zyklon Nargis in Birma divergierten die offiziellen Schätzungen der Opferzahlen knapp drei Wochen nach der Katastrophe erheblich: Die birmesische Regierung ging offiziell von 78.000 Toten aus, die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz schätzten die Todeszahl auf mindestens 100.000, wenn nicht sogar bis zu 138.000, ‚Myanmar mourns victims of cyclone‘ The New York Times (20. Mai 2008) . 402  Vgl. zur Thematik der ‚fiktiven Beseitigungskosten‘, d. h. der Kosten, die entstehen würden, wenn man den entstandenen Schaden beseitigen würde, die aktu­ elle Forschung von Vöneky zum Haftungsannex des Antarktis-Vertrages. 403  Siehe zur Schadensbestimmung nach der normativen Risikotheorie NidaRümelin/Rath/Schulenburg, Risikoethik (2012), 18 ff.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  119

griff nicht zu hoch angesetzt werden dürfen, um keine Schutzlücken für die Schutzobjekte zu generieren. Schließlich ist auch zu beachten, dass die Verwundbarkeit einer Gesellschaft auch immer von unterschiedlichen Fak­ toren abhängig ist, z. B. dem Grad der bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.404 Von einem risikotheoretischen Standpunkt aus kann man den Begriff der Katastrophe daher übergreifend definieren als Situationen, in denen ein Ungleichgewicht zwischen einem abstrakten Risi­ ko und der Vorbereitung der Betroffenen auf dieses Risiko besteht. In den vorhandenen Regelungsinstrumenten des Katastrophenhilfevölker­ rechts wird das relevante Ausmaß der Folgen einer Katastrophe dementspre­ chend häufig nur anhand nicht näher erläuterter Generalklauseln umschrie­ ben. So fordert beispielsweise die Tampere Convention signifikante und großflächige bzw. ausgedehnte Folgen für Menschen, Umwelt und Eigen­ tum.405 Bilaterale Abkommen der Bundesrepublik Deutschland fordern eine große Zahl menschlicher Verluste.406 Die DAPPED der ILC fordern, dass es sich um großflächige bzw. ausgedehnte Verluste von Menschenleben, schwe­ re menschliche Verluste und Notlagen oder umfangreiche materielle oder umweltbezogene Schäden handeln muss.407 Eine Definition oder Konkreti­ sierung dessen, wann solche Verluste vorliegen, findet sich in den DAPPED und den Kommentaren zu Art. 3 DAPPED nicht.408 Schwere menschliche Verluste können nämlich einerseits dann vorliegen, wenn viele Menschen betroffen sind, aber auch, wenn wenige Menschen sehr stark betroffen sind und schwere Verletzungen erlitten haben, sowie ferner wenn die Schäden weniger Menschen z. B. langanhaltend sein. Auch hier ist fraglich, ob diese Konstellation von dem seitens der ILC postulierten Erfordernis der ‚schwe­ ren‘ Schäden erfasst wäre. Schließlich mag eine Todeszahl von 500 Perso­ nen für ein bevölkerungsreiches Land wie Deutschland oder die USA nicht erheblich erscheinen, in kleinen Ländern, z. B. pazifischen Inselstaaten, hin­ gegen schon.409 Auch der Nutzen des Formulierung ‚umfangreiche materiel­ le- oder Umweltschäden‘ ist unklar. Mit umfangreichen materiellen oder 404  Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert (2010), 19. 405  „Significant, widespread threat“, Art. 1 Abs. 6 Tampere Convention. 406  Art. 1 Abs. 1  Satz  2 Agreement between Denmark and the Federal Repulic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (with exchange of notes). 407  Art. 3 DAPPED: „(…) widespread loss of life, great human suffering and distress, or large-scale material or environmental damage (…).“ 408  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtysixth session  – Chapter V: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 6.  Juni, 7.  Juli–8. August 2014) UN Doc. A/69/10, S. 93–95. 409  Z. B. Tuvalu mit nur 10.700 Einwohnern, siehe CIA World Factbook Tuvalu (2013), .

120 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

umweltbezogenen Schäden können hohe finanzielle Schäden gemeint sein oder räumlich weitreichende Schäden  – erfasst sein könnte z. B. die Zerstö­ rung eines unbewohnten, leerstehenden Wolkenkratzers in Manhattan durch ein Erdbeben oder eines Slums in Soweto durch Überschwemmungen.410 Obwohl andere internationale Regelungsinstrumente zur humanitären Hilfe sehr ähnliche Begriffe wie die DAPPED zur Quantifizierung des erforderli­ chen Schadensausmaßes verwenden, helfen sie bei deren Konkretisierung ebenfalls nicht weiter. Nach Art. 35 Abs. 3 sowie Art. 55 Abs. 1 des 1. Zu­ satzprotokolls zu den Genfer Konventionen ist Kriegsführung verboten, wenn sie ‚weitreichend‘ und ‚schwerwiegend‘ Umweltschäden verursacht. Die Begriffe sind aber weder dort noch in den grundsätzlich als Auslegungs­ hilfen heranziehbaren travaux preparatoires definiert.411 Auszugehen ist aber jedenfalls von einer engen Interpretation, die nur signifikante Schäden erfas­ sen soll.412 Auch die ENMOD-Konvention verwendet die Begriffe ‚weitrei­ chend‘ und ‚schwerwiegend‘ in Bezug auf die Konkretisierung des Ausma­ ßes von Schäden413, die für diese Begriffe von den Vertragsparteien entwi­ ckelten Begriffsbestimmungen414 wurden aber explizit auf die Zwecke der 410  Hurrikan Sandy hat 2012 zwar absolut betrachtet nur 117 Todesopfer gefor­ dert, allerdings waren die finanziellen Schäden enorm, siehe Kälin, 55 German ­Yearbook of International Law (2012), 120 sowie Centres for Disease Control and Prevention, 62 Morbidity and Mortality Weekly Report (24.  Mai 2013), (394). 411  Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffne­ ten Konflikten (2001), 39. 412  Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffne­ ten Konflikten (2001), 39. In der Literatur wird z. B. vorgeschlagen, den Begriff ‚schwerwiegend‘ auf Ereignisse zu beziehen, die den Tod, Gesundheitsschädigungen oder Existenzbedrohungen von tausenden Menschen hervorrufen, Leibler, Deliberate Wartime Enviornmental Damage; New Challenges for International Law, 23 Cal.W.Int’l L.J. (1992–1993), 67 (111). Weitreichend soll bedeuten, dass hundert Quadratkilometer betroffen sein müssen, wenn auch eine Zahl im niedrigen Hunder­ terbereich ausreichen soll, siehe Dinstein, The Conduct of Hostilities under the Law of International Armed Conflict (2004), 191. 413  Art. 1 Abs. 1 Convention on the prohibition of military or any hostile use of environmental modification techniques (ENMOD Convention), v. 10.  Dezember 1976, UN Doc. A/Res/31/72: „Each State Party to this Convention undertakes not to engage in military or any other hostile use of environmental modification tech­ niques having widespread, longlasting or severe effects as the means of destruction, damage or injury to any other State Party.“ 414  „It is the understanding of the Committee that, for the purposes of this Con­ vention, the terms „widespread“, „long-lasting“ and „severe“ shall be interpreted as follows: a)  „widespread“: encompassing an area on the scale of several hundred square kilometres; b)  „long-lasting“: lasting for a period of months, or approximately a season; c)  „severe“: involving serious or significant disruption or harm to human life, natural and economic resources or other assets.“



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 121

ENMOD-Konvention beschränkt; sie sollen anderslautende Interpretationen der Begriffe im Kontext anderer Regelungsinstrumente nicht präjudizie­ ren.415 Sie kann somit allenfalls als Hilfsmittel für die praktische Anwen­ dung und Interpretation z. B. der DAPPED herangezogen werden, ersetzt eine eigenständige Definition aber nicht. Selbst wenn man aber die Definiti­ on aus der ENMOD-Konvention zu Grunde legt, ergibt sich daraus keine befriedigende Lösung für das Katastrophenhilfevölkerrecht.416 Nach der ­ENMOD-Konvention ist es nur erforderlich, dass die Schäden ein Gebiet von mehreren hundert Quadratkilometern treffen. Situationen, bei denen in einer abgegrenzten kleinen Region sehr viele Menschen sterben bzw. Schä­ den erleiden, lassen sich nicht mehr als ‚weitreichende‘ Schädigungen im Sinne der ENMOD-Konvention definieren. Den Begriff der ernsthaften Schäden definiert die ENMOD-Konvention schließlich selbst nicht hinrei­ chend konkret, indem sie schwere Schäden fast tautologisch bei schweren oder signifikanten Unterbrechungen oder Schäden für menschliche, natürli­ che oder wirtschaftliche Ressourcen annimmt, ohne eine Schwelle für die Schwere oder Signifikanz dieser Schäden festzulegen.417 Da die Kriterien der ENMOD-Konvention auch hauptsächlich dazu dienen, Klagen wegen marginalen oder nicht verifizierbaren Schäden auszuschließen, ist die mit der dort gewählten Formulierung verbundene Intention nicht zu Auslegungszwe­ cken auf das Katastrophenhilfevölkerrecht übertragbar. Es wird deutlich, dass Begrifflichkeiten wie ‚weitreichende Schäden‘ zur Definition des Katastrophenbegriffes auch im Rahmen der internationalen Katastrophenhilfe nicht weiterführend sind.418 Sie sind so unpräzise, dass Siehe Understandings regarding the Convention on the prohibition of military or any hostile use of environmental modification techniques (Annex of the Convention), v. 18.  Mai 1977, , Abs. 1. Die Understandings sind Auslegungen des Vertragestextes seitens der Conference of the Committee on Disarmament. Der Status der Understandings ist aber umstritten. Sie sind nicht Teil der Konvention, können aber wohl als Vertragsbestandteil im Sinne des Art. 31 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention angesehen warden, Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten (2001), 53 Fn. 101. 415  ENMOD Understandings, Abs. 2. 416  Kritisch zu den von der ILC verwendeten Adjektiven in Art. 3 DAPPED (ex Art. 2) auch Escarameia in ILC, ‚Provisional summary record of the 3016th meet­ ing‘ (28. April 2011) UN Doc. A/CN.4/SR.3016, S. 18. Sie fordert, dass die ILC die Bedeutung dieser Begriffe in den Kommentaren zu den DAPPED näher erläutern bzw. klarstellen müsste. Kritisch auch Gaja in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 5 f. 417  Kritisch zu lit. c der Understandings auch Dinstein, The Conduct of Hostilities under the Law of International Armed Conflict (2004), 190. 418  Kritisch zu den von der ILC in den DAPPED eingeführten Adjektiven auch Xue in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20. Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 12. Sie stellt zutreffend fest, dass diese einschränkenden

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letztendlich fast jedes plötzliche, schadensauslösende Ereignis darunter ge­ fasst werden kann. Aspekte wie das regionale oder quantitative Ausmaß der Katastrophenfolgen sollten besser bei der Frage nach dem konkreten Hilfs­ bedürfnis des Staates bzw. der betroffenen Bevölkerung berücksichtigt werden, und nicht bereits auf Tatbestandsebene internationale Katastrophen­ hilfe a priori ausschließen. Im Ergebnis erscheint es daher am sachgerech­ testen, im Rahmen der Subsumtion unter den Katastrophenbegriff das erfor­ derliche Ausmaß der Schädigungen im Wege einer objektiven Gesamtbe­ trachtung der Umstände zu bestimmen, die auch (subjektive) Wertungsas­ pekte berücksichtigt. Dabei können die Opferzahlen und das Ausmaß der Schäden Indizwirkung haben. Hierbei ist auf Tatbestandsebene aber kein zu strenger Maßstab anzulegen. Das Ausmaß der Schädigungen ist vielmehr auf Sekundärebene bei der Untersuchung der erforderlichen Maßnahmen zur Katastrophenhilfe und der Beurteilung des Verhaltens der Beteiligten auf seine Rechtmäßigkeit hin zu untersuchen. b) Negativabgrenzung: Fehlende Kapazität des Staates, die Katastrophe eigenständig zu bewältigen Zur Bestimmung der erforderlichen Mindestauswirkungen eines interna­ tionalen Katastrophenfalles kann neben dem Ausmaß der Folgen der Kata­ strophe die fehlende Katastrophenbewältigungskompetenz eines Staates entscheidend sein. Fraglich ist, ob eine Katastrophe nur dann vorliegt, wenn sie die Kapazitäten des betroffenen Staates übersteigt, d. h., wenn die personellen, technischen, finanziellen oder infrastrukturellen Mittel des Staates nicht ausreichen, um mit der Katastrophe und ihren Folgen in der erforderlichen Weise umzugehen. Entsprechende Formulierungen finden sich zum Beispiel im internationalen Glossar zum Katastrophen­manage­ ment,419 in den Operational Guidelines and Field Manual420 sowie in regi­ onalen421 oder  – angedeutet  – in nationalen Katastrophenschutzgesetzen, Adjektive jedweder logischen Grundage entbehren und den Rechte-basierten Ansatz der ILC, bei dem der Schutz der Opfer im Vordergrund stehen soll, konterkarieren. 419  Internationally Agreed Glossary of basic terms related to Disaster Management, Department of Humanitarian Affairs (1992), . Siehe ebenso United Nations International Strategy for Disaster Reduction (UNIS­ DR), ‚UNISDR 2009 Terminology on Disaster Risk Reduction‘ (2009) ‚Disaster‘, S. 9. 420  Brookings-Bern Project on Internal Displacement, ‚Operational Guidelines and Field Manual on Human Rights Protection in Situation of Natural Disasters (Pilot Version)‘ (März 2008). 421  Art. 1 (d) Agreement Establishing the Caribbean Disaster Emergency Response Agency.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 123

wie zum Beispiel auch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Li­ tauen, Ungarn und Polen.422 Auch in der Literatur findet sich diese defini­ torische Einschränkung. So geht Ehrenberg davon aus, dass die Überfor­ derung des betroffenen Staates eine Voraussetzung für die Definition des Katastrophenfalles ist, wenn er schreibt, dass „Katastrophen ‚kleineren Ausmaßes‘, (die) von dem betreffenden Staat ohne Probleme mit eigenen Mitteln und Kräften bewältigt werden können“ (…) „im Rahmen der völ­ kerrechtlichen Fragen nicht zu berücksichtigen“ seien.423 422  Disaster Risk Management Act (Namibia), Art. 30 Abs. 4 (b); allerdings be­ zieht sich die dort enthaltene Katastrophendefinition nur auf den nationalen Kata­ strophenfall. Zur BRD: Gesetz zu dem Abkommen vom 9.  Juni 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Ungarn über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen, v. 7. Juli 1998, BGBl. II 1998, S. 1189–1198; ebenso mit der gleichen Formulierung Gesetz zu dem Abkommen vom 15.  März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Kata­ strophen oder schweren Unglücksfällen, v. 12. Januar 1996, BGBl. II 1996, S. 27–33. Dort heißt es jeweils in Art. 1 Abs. 1: „Die Vertragsstaaten helfen einander entspre­ chend ihrer Möglichkeiten bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen, die ernsthafte Schäden oder Gefahren für die körperliche Unversehrtheit von Personen, für Güter oder die Umwelt nach sich ziehen und die mit eigenen Mitteln des hil­ feersuchenden Vertragsstaats offensichtlich nicht bewältigt werden können.“ Zu Polen: Gesetz zu dem Abkommen vom 10. April 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Kata­ strophen oder schweren Unglücksfällen, v. 7. Juli 1998, BGBl. II 1998, S. 1178–1188. 423  Ehrenberg, Internationale Katastophenhilfe (Univ. Diss. Osnabrück) (2006), 9. Zur Unterstützung seiner Thesen erwähnt er bilaterale Verträge der Bundesrepublik Deutschland, z. B. mit der Republik Litauen, Ungarn und Polen. Ehrenbergs Ausfüh­ rungen überzeugen nicht. Weder erläutert er, was aus seiner Sicht eine „kleinere“ Katastrophe sein soll, noch wird ersichtlich, warum nicht auch eine kleine Katastro­ phe – wenn man z. B. ‚klein‘ im Sinne von ‚sich in einem räumlich sehr beschränk­ ten Bereich ereignend‘ definiert  – die Katastrophenbewältigungskompetenz eines Staates übersteigen kann. Auch die Bezugnahme auf die Abkommen zwischen der BRD und Litauen sowie Ungarn zum Zwecke der Definition des Katastrophenbe­ griffs überzeugt nicht. Die Abkommen legen in dem zitierten Passus nur fest, wann eine Katastrophe ein Ausmaß erreicht, dass die gegenseitige vertragliche Hilfspflicht auslöst. Sie definieren den Begriff der Katastrophe an sich, sondern setzen ihn folg­ lich voraus. Es handelt sich um keine Begriffsbestimmung, wie sie in anderen Re­ gelungsinstrumenten, wie z. B. den DAPPED, enthalten ist. Unklar ist auch, weshalb Ehrenberg auch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Polen zitiert, da die Formulierung dort lautet: „Die Vertragsstaaten helfen einander entsprechend ih­ ren Möglichkeiten bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen, die ernsthafte Schäden oder Gefahren für die körperliche Unversehrtheit von Personen, für Güter oder für die Umwelt nach sich ziehen und die mit eigenen Mitteln des hilfeersu­ chenden Vertragsstaats nicht gänzlich bewältigt werden können.“ (Gesetz zu dem Abkommen vom 10. April 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen). Die offensichtliche Unfähigkeit, die Katastrophe zu bewältigen

124 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Gegen diese Einschränkung spricht, dass es objektiv selten sicher zu beurteilen ist, ob und wann eine Katastrophe die Kapazitäten des betroffe­ nen Landes zur Folgenbeseitigung übersteigt. Vor diesem Hintergrund sind auch die genannten nationalen Katastrophenhilfeabkommen der Bundesre­ publik Deutschland kritisch zu betrachten, die auf die offensichtliche Unfä­ higkeit zur Katastrophenbewältigung abstellen. Eine solche offensichtliche Unfähigkeit wird sich aufgrund der Komplexität von Katastrophenfällen sowie der Tatsache, dass außenstehende Staaten die nationalen Methoden zur Katastrophenbewältigung sowie ihrer Effektivität im Einzelfall oft nicht einschätzen können, nur in seltenen Fällen nachweisen lassen.424 Schutzbe­ hauptungen des betroffenen Landes in der Weise, dass man die Katastro­ phensituation unter Kontrolle habe, könnten ferner das Eintreffen interna­ tionaler Hilfe verzögern.425 Wartet man zudem so lange, bis sich ein Kapa­ zitätsengpass zeigt, kann externe Unterstützung möglicherweise nicht schnell genug Abhilfe schaffen. Vor diesem Hintergrund hat auch die ILC keinen entsprechenden Passus in die DAPPED aufgenommen, um die betroffene Bevölkerung als Opfer nicht aus dem Fokus zu verlieren.426 Überzeugender ist es daher, das Vorhandensein ausreichend eigener Kapazitäten des betrof­ fenen Staates erst bei der Frage zu berücksichtigen, ob der betroffene Staat möglicherweise trotz eigener Ressourcen zur Annahme zusätzlicher Hilfe von außen verpflichtet ist.

(wie in den Abkommen mit Litauen und Ungarn angeführt), und die Tatsache, dass der betroffene Staat die Katastrophe ‚nicht gänzlich‘ bewältigen kann, knüpfen an andere Beurteilungsmaßstäbe an. Die Abkommen der BRD mit Litauen und Ungarn beziehen sich auf die objektiv erkennbare individuelle Katastrophenbewältigungs­ kompetenz des Vertragsstaats an, während in dem Abkommen mit Polen auf das objektive Ausmaß der Katastrophe rekurriert wird. In katastrophenunerfahrenen Ländern kann auch eine kleine oder sehr ungewöhnliche Katastrophe die Katastro­ phenbewältigungskompetenz übersteigen; demgegenüber kann es auch bei einer großen Katastrophe sein, dass der betroffene Staat lediglich einen geographischen oder infrastrukturellen Teilbereich der Auswirkungen nicht alleine bewältigen kann. 424  Selbst den betroffenen Staaten fällt es oft schwer, die Lage und die eigenen Reaktionsmöglichkeiten rasch realistisch einzuschätzen, siehe ‚Japan Admits Disas­ ters Overwhelmed Government‘ Huffington Post (18.  März 2011) . 425  Dies hat in der Vergangenheit z. B. der Umgang der US-amerikanischen Re­ gierung mit Hurrikan Katrina und der japanischen Regierung mit dem Erdbeben und Tsunami 2011 gezeigt, siehe hierzu ausführlich unten in Teil  2, Kapitel  B. 426  ILC, ‚Provisional summary record of the 3015th meeting‘ (15. Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3015, S. 10, ebenso ILC, ‚Second report on the protection of per­ sons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (7.  Mai 2009) UN Doc. A/CN.4/615, S. 16.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 125

c) Auswirkungen der Katastrophe auf die Gesellschaft Einige Definitionen für den Begriff der Katastrophe fordern, dass eine Katastrophe nur vorliegt, wenn ein Ereignis zu einer schwerwiegenden Un­ terbrechung, der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit oder dem Zusam­ menbruch der Gesellschaft führt.427 Diese Formulierung geht durch die Bezugnahme auf die Gesellschaft über das Erreichen der Grenzen der Ka­ tastrophenbewältigungskapazität des Staates und seiner Organe hinaus. Streng genommen müsste das Vorliegen der Funktionsunfähigkeit der Ge­ sellschaft eine weitestgehende Lähmung des täglichen Lebens nach sich ziehen; dem allgemeinen Begriffsverständnis nach liegt eine Dysfunktion der Gesellschaft nicht schon bei politischen oder wirtschaftlichen Unregel­ mäßigkeiten vor.428 Unklar ist zudem, ob sich die Funktionsfähigkeit nur auf die Katastrophenregionen beziehen soll oder den gesamten Staat. Die fehlende Funktionalität dieses Ansatzes zeigt sich in der Praxis ganz deut­ lich. Betrachtet man besondere Katastrophen der vergangenen Jahre, so fällt es schwer, bei den unbestritten als Katastrophen geltenden Unglücksfällen eine Funktionsunfähigkeit der Gesellschaft zu identifizieren. In Japan funk­ tionierte 2011 z. B. das Geschäftsleben außerhalb der Katastrophenregionen normal weiter. In Haiti war die Gesellschaft durch die Machtverhältnisse und politische Situation sowie die große Armut des Landes bereits vor dem Erdbeben 2010 erheblich in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Über­ schwemmungen in Pakistan oder Waldbrände in Australien brachten zwar ebenfalls den Alltag der Bevölkerung  – teils erheblich  – aus der Routine. Allerdings kann auch hier nicht davon gesprochen werden, dass die Ge­ samtgesellschaft, die staatlichen Institutionen und das Funktionieren grund­ legender gesellschaftlicher Abläufe unmöglich wurde. Die einzige offen­ sichtliche Ausnahme bildete die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014. Durch die Erkrankung von medizinischem Personal mit dem Virus kam es zur Überforderung von Ärzten und Krankenhäusern, so dass Kliniken geschlos­

427  Art. 1 Abs. 6 Tampere Convention: „Disaster means a serious disruption of the functioning of society (…),“ ebenso Art. 3 DAPPED: „ ‚Disaster‘ means a ca­ lamitous event or series of events (…) seriously disrupting the functioning of soci­ ety.“ Ähnlich auch Brookings-Bern Project on Internal Displacement, ‚Operational Guidelines and Field Manual on Human Rights Protection in Situation of Natural Disasters (Pilot Version)‘ (März 2008): „(…) Such disasters seriously disrupt the functioning of a community or society (…)“ sowie United Nations International Strategy for Disaster Reduction (UNISDR), ‚UNISDR 2009 Terminology on Disas­ ter Risk Reduction‘ (2009) ‚Disaster‘. 428  Chairman Petrič in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 20.

126 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

sen wurden.429 Patienten mit anderen Krankheiten, wie z. B. Malaria und Typhus, konnten nicht mehr versorgt werden. Liberias Präsidentin erklärte den nationalen Notstand mit der Begründung, dass das Ebola-Virus die öf­ fentliche Gesundheit, Sicherheit und den öffentlichen Wohlstand bedrohe.430 Dennoch ist eine solche offensichtliche und umfassende Beeinträchtigung der Funktionsweise der Gesellschaft selten. Die generelle Einschränkung, dass die Funktionsweise der Gesellschaft beeinträchtigt werden müsse, ist daher zu weitgehend und muss aus der Definition der Katastrophe ausge­ klammert werden.431 d) Bestimmung anhand existierender vergleichbarer Begriffe für Notlagen Das erforderliche Ausmaß, das eine Katastrophe haben muss, um als Anwendungsfall des Katastrophenhilfevölkerrechts betrachtet zu werden, ist, wie dargestellt, bislang nicht abschließend geklärt. Es finden sich aber im Völkerrecht sowohl in dessen allgemeinen Regelungen, insbesondere aber in menschenrechtlichen Verträgen, vergleichbare Begriffe, die zur Aus­ legung herangezogen werden könnten. aa) Katastrophe als Anwendungsfall von force majeure im Sinne von Art. 23 der Artikel der ILC zur Staatenverantwortlichkeit bzw. als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 lit. c  IGH-Statut Ein bislang in der Literatur noch nicht vertretener Ansatz wäre es, den Begriff der Katastrophe im Gleichklang mit dem aus der Staatenverantwort­ lichkeit bekannten Rechtfertigungsgrund der höheren Gewalt (force ma­jeure) zu definieren.432 Für die Definition der Katastrophe könnte man das Institut 429  ,Ebola-Epidemie: Liberia ruft Notstand aus‘ Der Spiegel (7.  August 2014) . 430  Statement on the Declaration of a State of Emergency by President Ellen John­ son Sirleaf, R.L., August 6, 2014 (2014) , 1. 431  So auch Xue in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 12. 432  Einzig die IRU hat in ihrem Statut bereits eine Verbindung zwischen Kata­ strophen und force majeure hergestellt. Die IRU wurde bei auf Grund von ‚höherer Gewalt‘ eingetretenen Katastrophenfällen tätig, siehe oben Teil  1, Kapitel  A., Ab­ schnitt  I.5. Dieser Ansatz der IRU überzeugte aber nicht. Katastrophen treten nicht aufgrund von höherer Gewalt ein, sondern können dem betroffenen Staat lediglich



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  127

der force majeure in der Weise nutzen, dass eine Katastrophe immer dann vorliegt, wenn sich der von ihr betroffene Staat bei der hypothetischen Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen gegenüber einem anderen Staat auf force majeure berufen könnte. Der Rechtfertigungsgrund der force majeure ist mittlerweile als allgemei­ ner Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 lit. c) IGH-Statut anerkannt433 und darüber hinaus in Art. 23 der Artikel der ILC zur Staatenverantwortlich­ keit kodifiziert.434 Dort heißt es: „The wrongfulness of an act of a State not in conformity with an international obligation of that State is precluded if the act is due to force majeure, that is the occurrence of an irresistible force or of an unfore- seen event, beyond the control of the State, making it materially impossible in the circumstances to perform the obligation.“435

Anders als bei den Rechtfertigungsgründen der Notlage (Art. 24 ARS) oder des Notstandes (Art. 25 ARS) im allgemeinen Völkerrecht setzt force majeure voraus, dass ein Staat unfreiwillig handelt oder zumindest keine freie Wahlmöglichkeit bezüglich seines Verhaltens hat.436 Tatsächliche Un­ möglichkeit zur Erfüllung einer Verpflichtung kann gerade durch physikali­ sche oder in der Natur begründete Ereignisse verursacht werden.437 Es ist nicht ausreichend, wenn die Erfüllung einer Verpflichtung nur erschwert einen Grund liefern, um sich auf force majeure zu berufen. Katastrophen sind damit selbst ein Fall von höherer Gewalt. 433  Siehe z. B. die auch in den ILC Commentaries (ILC, ‚Articles on Responsibil­ ity of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Art. 23 para. (9) Fn. 357) erwähnten Fälle des Europäi­ schen Gerichtshofes EuGH, Case 145/85 N. K. Denkavit v. Belgium (1987) ECR 565; EuGH, Case 101/84 Commission of the European Communities v. Italian Republic (1985) ECR 2629. 434  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10. 435  Resolution 56/83, Verantwortung der Staaten für völkerrechtswidrige Hand­ lungen, Offizielle Übersetzung des Deutschen Übersetzungsdienstes der UN (DÜD), Art. 23 Abs. 1, S. 533. 436  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Kommentar zu Art. 23, Rdnr.  1. 437  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Kommentar zu Art. 23, Rdnr.  3.

128 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

wird, z. B. aufgrund von politischen oder wirtschaftlichen Krisen. Ebenfalls nicht ausreichend sind Situationen, die auf Nachlässigkeit beruhen. Die Verknüpfung des Katastrophenbegriffs mit dem Faktor der unwider­ stehlichen Gewalt oder eines unvorhergesehenen (wenn auch nicht unvor­ hersehbaren) Ereignisses findet sich auch heute zumindest ansatzweise in manchen Regelungsinstrumenten. So wird teilweise explizit betont, dass es sich bei einer Katastrophe um ein unheilvolles Ereignis438 oder zumindest extremes, außergewöhnliches Phänomen439 handeln muss, d. h. um ein Er­ eignis oder um eine Kette von Ereignissen, das bzw. die eine Notlage aus­ löst und ungewöhnliche Gegenmaßnahmen erfordern. Ein Vorteil dieser analogen Anwendung des Begriffs der force majeure ist, dass die praktische Handhabung des Instituts der force majeure in Staa­ tenpraxis, Rechtsprechung und Literatur weitgehend geklärt ist und viele Präzedenzfälle existieren. Hierauf ließe sich im Rahmen des Katastrophen­ hilfevölkerrechts aufbauen. Zudem fällt die Subsumtion unter diese Defini­ tion nicht schwer, da sie an objektiven Kriterien orientiert ist und keine Überprüfung der tatsächlichen staatlichen Katastrophenbewältigungskompe­ tenz erfordert. Problematisch an einer nicht modifizierten Übertragung der force ma­jeure Grundsätze auf das erforderliche Ausmaß einer Katastrophe ist aber, dass Katastrophen, die durch eine im Verantwortungsbereich des Staates liegende Ursache entstehen oder schädigendes Verhalten eines Staates im Sinne des Art. 23 Abs. 2 ARS darstellen, danach aus dem Anwendungsbereich des Katastrophenhilfevölkerrechts herausgenommen wären. In entsprechender Anwendung von Art. 23 Abs. 2 ARS könnte sich ein Staat dann nicht auf das Vorliegen einer Katastrophe berufen, wenn die Katastrophensituation entweder ausschließlich oder zusammen mit anderen Umständen auf das Verhalten des Staates zurückzuführen ist oder wenn der Staat die Gefahr des Eintretens der Katastrophe in Kauf genommen hat.440 Die Frage der vor­ 438  Art. 3 DAPPED; Art. 1 Abs. 2 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session; § 1 Abs. 2 Landeskatastrophenschutzgesetz Baden-Württemberg (LKatSG BW), v. 22.  November 1999, GBl. 1999, 625. 439  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), S. 1 Abs. 2 und S. 6 Abs. 25; Art. 1 c) FCCDA; auf das Erfordernis außergewöhnlicher Reaktionsmaßnahmen abstellend Art. 1 (b) Draft Convention on expediting the delivery and emergency assistance; ebenso Agreement between Denmark and the Federal Repulic of Germany on mu­ tual assistance in the event of disasters or serious accidents (with exchange of notes). 440  Die englische Fassung verwendet hier die Formulierung „Paragraph 1 does not apply if a) the situation of force majeure is due, either alone or in combination



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  129

sätzlichen Verursachung kann aber für die Zwecke des Katastrophenhilfe­ völkerrechts auf Tatbestandsebene keine Rolle spielen, wie oben bereits dargelegt wurde, sondern darf erst auf Rechtsfolgenebene Berücksichtigung finden.441 Damit reicht es nicht aus, zur Definition der Katastrophe allein auf die Grundsätze von force majeure zurückzugreifen. Festhalten lässt sich einzig, dass eine Katastrophe zwar in jedem Fall dann vorliegt, wenn sich der Staat diesbezüglich erfolgreich auf force majeure berufen könnte. Allerdings kön­ nen auch Ereignisse, die aufgrund der staatlichen Beteiligung an ihrer Ver­ ursachung eine Berufung auf force majeure verhindern, eine Katastrophe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts darstellen. bb) Katastrophe als Fall des öffentlichen Notstands im Sinne von Art. 15 EMRK Art. 15 EMRK lässt Abweichungen von den in der EMRK vorgesehenen Verpflichtungen zu, wenn ein öffentlicher Notstand das Leben der Nation bedroht. Man könnte den Begriff des öffentlichen Notstandes und die zu dessen Auslegung entwickelnden Kriterien für die Definition der Katastro­ phe heranziehen und die These aufstellen, dass eine Katastrophe zumindest dann vorliegt, wenn sich ein Staat auf die Derogationsmöglichkeiten nach Art. 15 EMRK berufen könnte. Ein öffentlicher Notstand im Sinne von Art. 15 EMRK liegt vor, wenn es sich um eine außergewöhnliche Krise oder Notstandssituation handelt, die die gesamte Bevölkerung berührt und eine Bedrohung für das alltägliche Gemeinschaftsleben darstellt.442 Dies wurde im Griechenland-Fall von der Kommission der EMRK dahingehend präzisiert, dass die Fortführung des organisierten Zusammenlebens der Ge­ sellschaft als Ganzes berührt sein muss.443 Es reiche zwar aus, wenn nur bestimmte Regionen von der Notstandssituation betroffen sind, allerdings with other factors, to the conduct of the State invoking it (…).“ Das Wort ‚due‘ verdeutlicht stärker, dass das staatliche Verhalten eine dominierende Rolle in der Entstehung des Grundes für force majeure gespielt haben muss. 441  Siehe oben aa) Katastrophen natürlichen Ursprungs, für deren Entstehung Menschen mitursächlich waren oder gewesen sein können. 442  EGMR, Lawless v. Ireland (Urteil), Application no. 332/57 (1.  Juli 1961) EHHR 1, 15 [1961], Series A No. 3, Rdnr.  28. Siehe auch Krieger, Kapitel  8: Not­ stand, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG Konkordanz Kommentar (2006), Rdnr.  16. 443  EKMR, Greek Case, Applications nos. 3321/67 (Denmark v. Greece); 3322/67 (Norway v. Greece); 3323/67 (Sweden v. Greece); 3344 (Netherlands v. Greece) (Judgment) (18.  November 1969) 12 Yearbook of the European Commission on Human Rights 1, 153.

130 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

müsse die Notstandssituation auf den Gesamtstaat ausstrahlen.444 Die Schwelle, einen öffentlichen Notstand anzunehmen, ist jedoch hoch: in der Judikatur des EGMR befassten sich die meisten Fälle zu Notstandssituatio­ nen mit der Terrorismusbekämpfung in Nordirland und der Türkei.445 Da zudem auch Auswirkungen auf das gesamtstaatliche Gemeinschaftsleben erforderlich sind, und damit Schadensereignisse, die nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe betreffen, außer Betracht bleiben, trägt auch der Be­ griff des Notstandes nicht abschließend zur Definition der Katastrophe bei. Zudem stellt sich auch hier die Frage, wann das gesamtstaatliche Gemein­ schaftsleben in erforderlichem Maße gestört ist. Ebenso wie im Fall von force majeure lässt sich damit allein konstatieren, dass eine Katastrophe zumindest dann das für die Anwendung des Katastrophenhilfevölkerrechts erforderliche Ausmaß erreicht, wenn sich der betroffene Staat anlässlich der Katastrophe auf Art. 15 EMRK berufen könnte. Dies schließt es aber nicht aus, dass auch Schadensereignisse, deren Auswirkungen die Schwelle von Art. 15 EMRK nicht erreichen, in den Anwendungsbereich des Katastro­ phenhilfevölkerrechts fallen können. cc) Katastrophe als Fall des öffentlichen Notstands im Sinne von Art. 4 IPbpR Art. 4 IPbpR eröffnet den Vertragsstaaten die Möglichkeit, im Falle eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht und der amtlich verkündet ist, Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Verpflichtungen aus dem IPbpR unter bestimmten zusätzlichen Maßgaben außer Kraft setzen. Art. 4 IPbpR soll Staaten damit auch die Möglichkeit bieten, Schaden für die Allgemeinheit abzuwenden, der z. B. auch durch gravierende Umwelt- und Naturkatastrophen bedingt ist.446 Auch für Art. 4 IPbpR ist es daher erfor­ derlich, dass die Auswirkungen von Natur- oder Umweltkatastrophen oder vergleichbarer Ereignisse „das organisierte Leben großer Teile der Gemein­ schaft in Frage stellen.“447 Eine Bedrohung für das Leben der Nation liegt nach den Siracusa-Auslegungsregeln der UN-Kommission für Menschen­ rechte448 nur dann vor, wenn der Katastrophenfall 444  Krieger, Kapitel  8: Notstand (2006), Rdnr.  18 mit Verweis auf EGMR, Aksoy v. Turkey (Judgment), Application no. 21987/93 (18.  Dezember 1996) Slg. 1996-VI, 2260, Rdnr.  8 f., 70. 445  Krieger, Kapitel  8: Notstand (2006), Rdnr.  6. 446  Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativpro­ tokoll, CCPR-Kommentar (1989), Art. 4 Rdnr.  1. 447  Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativpro­ tokoll, CCPR-Kommentar (1989), Art. 4 Rdnr.  16. 448  Die Siracusa-Principles zur Einschränkung und Derogation der Bestimmungen des IPbpR wurden unter the Ägide der UN-Menschenrechtskommission unter Zu­



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 131

„(a)  [a]ffects the whole of the population and either the whole or part of the territory of the State, and (b)  [t]hreatens the physical integrity of the population, the political independence or the territorial integrity of the State or the existence or basic functioning of institutions indispensable to ensure and protect the rights recognized in the Covenant.“449

Zur Auslegung des Notstandsbegriffes können darüber hinaus die zu Art. 15 EMRK herausgearbeiteten Grundsätze herangezogen werden.450 Art. 4 IPbpR greift folglich nur unter hohen Voraussetzungen. In der Ver­ gangenheit haben nur wenige Staaten den Notstand im Sinne von Art. 4 IPbpR ausgerufen.451 Im Ergebnis trägt damit auch Art. 4 IPbpR nicht ent­ scheidend zur Abgrenzung des Katastrophenbegriffs bzw. der für eine Kata­ strophe erforderlichen Auswirkungen bei. Man kann sagen, dass immer dann, wenn ein Schadensereignis die Ausmaße von Art. 4 IPbpR erreicht, eine Katastrophe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts vorliegt, es aber daneben auch Katastrophen im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts geben kann, die nicht den Anwendungsbereich von Art. 4 IPbpR eröffnen.452 e) Zwischenergebnis In den bisher zum Katastrophenschutzvölkerrecht entwickelten Abkom­ men, Verträgen, Modellgesetzen und Studien sowie der wachsenden Litera­ tur finden sich zahlreiche Ansätze zur Bestimmung der erforderlichen Qualität und Quantität der Katastrophenfolgen. Sie unterscheiden sich zum Großteil nur in Nuancen.453 Diese Nuancen können im Ernstfall aber zu sammenarbeit von 31 Menschenrechtsexperten der International Commission of Ju­ rists, der International Association of Penal Law, der American Association for the International Commission of Jurists, des Urban Morgan Institute for Human Rights und des International Institute of Higher Studies in Criminal Sciences ausgearbeitet, ECOSOC/UN Commission on Human Rights, Status of the International Covenants on Human Rights: Note verbale dated 24 August 1984 from the Permanent Repre­ sentative of the Netherlands to the United Nations Office at Geneva addressed to the Secretary-General, v. 28.  September 1984, UN Doc. E/CN.4/1985/4, S. 1. 449  ECOSOC/UN Commission on Human Rights, The Siracusa Principles on the Limitation and Derogation Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights, v. 28.  September 1984, UN Doc. E/CN.4/1985/4 Annex, Rdnr.  39. 450  Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativproto­ koll, CCPR-Kommentar (1989), Art. 4 Rdnr. 14; Buergenthal, To Respect and to En­ sure: State Obligations and Permissible Derogations, in: Henkin (Hrsg.), The Interna­ tional Bill of Rights: The Covenant on Civil and Political Rights (1981), 72, 79 f. 451  Kälin, 55 German Yearbook of International Law (2012), 131. 452  HRC, General Comment No. 29  – State of Emergency (Art. 4) v. 31. August 2001, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.11, Rdnr.  3. 453  de Guttry, Surveying the Law (2012), 6.

132 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

entscheidenden Unterschieden führen. Zur Eingrenzung des Katastrophenbe­ griffes empfiehlt es sich daher, verschiedene Charakteristika heranzuziehen, die bei kumulativem Vorliegen gemeinsam mit den Entstehungskriterien einer Katastrophe den Tatbestand des völkerrechtlichen Katastrophenfalles erfüllen. Zu diesen Kriterien gehören insbesondere die geographische Ver­ teilung der Schäden, die durch eine Katastrophe hervorgerufenen quantita­ tiven Auswirkungen auf die Bevölkerung, die Belastbarkeit der nationalen Katastrophenbewältigungskompetenzen sowie die Vergleichbarkeit des Schadensereignisses mit im allgemeinen Völkerrecht anerkannten Definitio­ nen von Rechtfertigungsgründen wie force majeure und Notstand. 4. Arbeitshypothese zur Definition des Katastrophenfalles Es zeigt sich, dass es keine letztverbindliche Definition des Katastrophen­ begriffes gibt.454 Alle bisher existierenden Ansätze weisen Schwächen auf und zeichnen sich insbesondere durch begriffliche Unbestimmtheit aus. Dadurch wird die Funktion einer Definition, den Anwendungsbereich eines Rechtsgebietes zu begrenzen, konterkariert. Es kann folglich nur versucht werden, den Begriff mit Blick auf die bisher herausgearbeiteten Ziele des Katastrophenhilfevölkerrechts für die Zwecke der vorliegenden Untersu­ chung zu definieren. Als Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist daher eine Katastrophe zu definieren als ein Fall unwiderstehlicher Gewalt oder ein unvorhergesehenes Ereignis, das negative Folgen für Teile der Bevölkerung, ihr Eigentum oder die Umwelt nach sich zieht. Das erforder­ liche Ausmaß der Schädigungen, ab dem die Mechanismen des Katastro­ phenhilfevölkerrechts greifen, ist anhand von Wertungsgesichtspunkten zu bestimmen. Während die aufgeführten Kriterien zur Definition der Katast­ rophe, etwa in Form der quantitativen Schadensevaluation oder der Annä­ herung über im Völkerrecht zur Rechtfertigung anerkannte Begriffe für Notlagen, im Einzelnen nicht ausreichen, können sie aber jedenfalls als Indikatoren bei der Abwägung, ob eine Katastrophe vorliegt, im Einzelfall herangezogen werden. Da auf dem Gebiet des Katastrophenhilfevölkerrechts Fragestellungen im Vordergrund stehen, die erst entstehen, wenn unter Zeit­ druck, ohne langwierige Abstimmungsprozesse, gehandelt werden muss, um der betroffenen Bevölkerung zu helfen und die Folgen der Katastrophe zu beseitigen, ist es überzeugend, den Anwendungsbereich des Katastrophen­ hilfevölkerrechts auf sich erst plötzlich entwickelnde Katastrophenszenarien 454  Fomba in ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27. Au­ gust 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 9: „With regard to draft article 2 (Defini­ tion of disaster), it was illusory to aspire to a perfect and universally acceptable definition. Some attempts had, however, been made and the Special Rapporteur had decided to pick the least bad among them.“



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 133

zu beschränken. Details zum konkreten Anwendungsumfang des Katastro­ phenhilfevölkerrechts sind auf Sekundärebene zu klären, wenn es um die Rechtspflichten der Beteiligten im jeweiligen Katastrophenfall geht.455 Zusammenfassen lässt sich der Begriff der Katastrophe für die vorliegen­ de Untersuchung prima facie wie folgt bestimmen: Eine Katastrophe ist ein plötzlich auftretendes, unvermeidbares oder unvorherge­ sehenes Ereignis oder eine Kette von Ereignissen in Form einer Naturkatastrophe, eines technischen oder industriellen Un- bzw. Zwischenfalles, eines durch mensch­ liches Zutun hervorgerufenen oder verstärkten natürlichen Phänomens oder ähnli­ chen Schadensereignisses sowie terroristischer Akte, die in einem ungewöhnlichen Ausmaß Schäden an geschützten Rechtsgütern mit sich zieht, so dass es notwendig erscheint, die Hilfe von ausländischen Einheiten oder Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, die normalerweise und dauerhaft nicht benötigt wird. Negative Aus­ wirkungen mit ungewöhnlichem Ausmaß liegen vor, wenn das Leben oder die Gesundheit oder die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern einer größeren An­ zahl von Menschen oder die Umwelt in einem größeren Gebiet oder mit hoher Intensität geschädigt oder verletzt wird oder es zu geographisch weiträumigen materiellen oder hohen finanziellen Schäden kommt.

5. Eingrenzung der internationalen Katastrophenhilfe ratione temporis Der Begriff der Katastrophe bezeichnet in zeitlicher Hinsicht das kata­ strophale Ereignis selbst. Im Verlauf einer Katastrophe lassen sich aber vier unterschiedliche Reaktionsphasen identifizieren. Zum einen gibt es den Zeitraum vor der Katastrophe, der sich wiederum in einen weit vor dem Ereignis der Katastrophe liegenden Zeitraum sowie einen unmittelbar dem Entstehen der Katastrophe vorgelagerten Zeitraum unterteilen lässt (PreDisaster Phase). Daran schließt sich der Eintritt der Katastrophe an (Impact Phase), gefolgt von der Notfallphase (Emergency Phase), in der lebensret­ tende Maßnahmen getroffen werden. Im Anschluss folgt die Wiederherstel­ lungsphase (Rehabilitation Phase), in der Grundbedürfnisse wie medizini­ sche Hilfe befriedigt werden, und die Wiederaufbauphase (Reconstruction Phase), in welcher Normalität hergestellt werden soll.456 455  So kann auch die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Katastrophenhilfe kontrolliert werden, wenn Staaten leichtfertig bzw. rechtsmissbräuchlich internatio­ nale Katastrophenhilfemechanismen auslösen, um ihre eigenen Ressourcen zu scho­ nen. Siehe zu entsprechenden Bedenken im europäischen Rechtsraum von Ondarza/ Parkes, Europäische Solidarität in Katastrophenschutz und Terrorabwehr? Vorschläge zur Umsetzung der Solidaritätsklausel des Vertrags von Lissabon, 3. 456  Joint Inspection Unit, ‚Evaluation of the Office of the United Nations Disas­ ter Relief Co-ordinator, JIU/REP/80/11‘ (1980), S. 1 Teil  I Abs. 3.

134 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Es gibt gute Gründe dafür, die Pre-Disaster Phase, die in keinem unmit­ telbar zeitlichen Zusammenhang mit einer Katastrophe steht, begrifflich aus dem Bereich des Katastrophenschutzvölkerrechts auszunehmen. Mit den Herausforderungen, die sich in diesem Zeitraum stellen, befasst sich der gesonderte Fachbereich der Katastrophenvorsorge und -vermeidung sowie der Resilienzforschung.457 Man könnte die bestehenden Regelungen der Katastrophenvorsorge somit als Spezialvorschriften im Vergleich zur akuten Katastrophenhilfe ansehen. Zudem stehen bei der Katastrophenvorsorge langfristig angelegte Maßnahmen im Vordergrund, wobei insbesondere der gegenseitige Technologietransfer eine große Rolle spielt. Es müssen nach­ haltige Konzepte zur Katastrophenvermeidung geschaffen werden. Dem Planungs- und Entscheidungsprozess sowie der gegenseitigen Abstimmung kann dabei mehr Raum gegeben werden als bei der Katastrophenhilfe an­ lässlich bereits eingetretener Katastrophen, ebenso ist kein Handeln unter Zeitdruck erforderlich. Die Katastrophenvorsorge ist somit aus dem Bereich der internationalen Katastrophenhilfe im Sinne echter Notfallhilfe herauszu­ nehmen. Diesem Ergebnis entspricht auch der Ansatz der ILC, die sich in ihrer Arbeit auf die Katastrophenhilfe als unmittelbare Reaktion auf eine Katastrophe sowie die ersten Stadien der Anschlusshilfe fokussiert hat.458 Der Zeitpunkt, zu dem eine Katastrophe unmittelbar bevorsteht und mit ihrem jederzeitigen Eintritt gerechnet werden kann, ist demgegenüber in den Bereich der Katastrophenhilfe im engeren Sinne einzubeziehen und, wie oben dargestellt, bereits als Bestandteil der Katastrophe (impact phase) selbst anzusehen.459 Fraglich ist, in welchem zeitlichen Rahmen die Periode nach der Katast­ rophe erfasst ist. Denkbar ist einerseits, nur die unmittelbare Reaktion auf Katastrophen zu erfassen, bis die Schäden der Katastrophe wieder beseitigt sind. Sinnvoller ist es, auch den Rehabilitationsprozess abzudecken. Das Katastrophenhilfevölkerrecht sollte sich auf den gesamten Zeitraum erstre­ 457  Der Begriff der Resilizenz wird in verschiedenen Lebensbereichen verwendet, z. B. in der Psychologie und Ökologie. Abstrakt kann der Begriff nach Klein et al. definiert werden als „the amount of disturbance a system can absorb and still remain within the same state or domain of attraction; [and] the degree to which the system is capable of self-organisation“, Klein/Nicholls/Thomalla, Resilience to natural haz­ ards: How useful is this concept?, 5 Environmental Hazards (2003), 35 (43). 458  ILC, ‚Provisional summary record of the 3015th meeting‘ (15. Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3015, S. 8. Als Begründung für das Ausklammern der pre-disaster Phase wurde indes die Arbeitsökonomie genannt, man wolle nicht die Arbeit anderer Institutionen zur Katastrophenvorsorge wiederholen bzw. verdoppeln, siehe Äuße­ rungen von Escarameia in ILC, ‚Provisional summary record of the 3016th meeting‘ (28. April 2011) UN Doc. A/CN.4/SR.3016, S. 18. 459  Melescanu in ILC, ‚Provisional summary record of the 3017th meeting‘ (20.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3017, S. 14 f.



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles 135

cken, bis der Staat mit den Konsequenzen der Katastrophe wieder aus eige­ ner Kraft umgehen kann.460 Auch hier ist wieder der oben bereits eingeführ­ te Trennungsgrundsatz zwischen Katastrophenhilfevölkerrecht und Entwick­ lungshilfe zu berücksichtigen.461 6. Ergebnis Der Begriff der Katastrophe ist zeitlich (ratione temporis) eng, aber be­ grifflich (ratione materiae) weit zu fassen.462 Ratione temporis ist allein abzustellen auf die Phase zwischen dem (unmittelbar bevorstehenden) Ein­ tritt der Katastrophe und dem Zeitpunkt, in dem die Grundfunktionen der Gesellschaft wieder hergestellt und die schwerwiegendsten Katastrophenfol­ gen beseitigt sind. Außerhalb dieser Zeitspanne handelt es sich nicht um Katastrophenhilfe, sondern Katastrophenvorsorge, z. B. durch Frühwarnsys­ teme, sowie Katastrophenvorsorge als Teilbereich der Entwicklungshilfe, für die eigene völkerrechtliche Regelungen gelten.463 In zeitlicher Hinsicht müssen zudem sich langsam erst entwickelnde (slow-onset) Krisensituatio­ nen464 aus dem Katastrophenbegriff im Sinne des Katastrophenhilfevölker­ rechts ausgeklammert werden.465 Zwischen slow-onset Situationen und akuten Katastrophen besteht nicht nur ein gradueller, sondern ein strukturel­ ler Unterschied. Während die Herausforderung bei einer akuten Katastrophe gerade in dem Bedürfnis nach spontaner, gleichwohl aber koordinierter in­ ternationaler Hilfe liegt, bedarf es bei slow-onset Situationen seitens der internationalen Gemeinschaft längerfristiger Präventionsmaßnahmen sowie 460  Dieser Zeitraum kann nach Angaben der IFRK einen bis sechs Monate dau­ ern, siehe IFRK, Responding to disasters, . 461  Siehe oben b). 462  Die Notwendigkeit einer weiten Definition sieht auch die ILC, ‚Provisional summary record of the 3015th meeting‘ (15.  Juli 2009) UN Doc. A/CN.4/SR.3015, S. 9. 463  Die DAPPED der ILC beziehen demgegenüber auch die Recovery-Phase in ihren Anwendungsbereich ein, ILC, ‚Provisional summary record of the 3138th meet­ ing‘ (2. August 2012) UN Doc. A/CN.4/SR.3138, S. 6. 464  Eine solche langsam ihren Lauf nehmende und an Intensität gewinnende Kri­ sensituation ist z. B. in Bezug auf pazifische Inselstaaten anzunehmen, denen auf­ grund steigender Meeresspiegel der Verlust des Staatsgebietes droht. Siehe dazu Stahl, Unprotected Ground: The Plight of Vanishing Island Nations, 23 N.Y.U. L. Rev. (2010), 1. 465  Vgl. z. B. Art. 1 (d) Agreement Between The Government Of Malaysia And the Government Of The French Republic On Co-Operation For Disaster Prevention And Management And Public Safety, v. 25.  Mai 1998, ; Art. 1 (d) Agreement Es­ tablishing CDEMA.

136 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Evakuierungsplänen im Falle der endgültigen Verwirklichung der latenten Bedrohungssituation.466 Ebenso verhält es sich mit allgemeinen humanitären Notsituationen, wie beispielsweise generell fehlender medizinischer und hygienischer Versorgung. Ratione materiae ist zu beachten, dass nicht jede Krise, in der Menschen auf Unterstützung und humanitäre Hilfe angewiesen sind, unter Wertungs­ aspekten eine Katastrophe im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts ist  – auch wenn sie, wie Nolte zutreffend feststellt, im Einzelfall katastrophale Folgen haben kann.467 Dies wird auch anhand der Entwicklungsgeschichte des Katastrophenhilfevölkerrechts deutlich. Gerade die Vereinten Nationen, aber auch das IKRK, haben Katastrophenhilfe im Kern am häufigsten bei Naturkatastrophen geleistet. Schließlich könnte eine zu extensive Auswei­ tung des Katastrophenhilfevölkerrechts zur Erreichung dessen Schutzzwecks auch kontraproduktiv sein. In je mehr Situationen die Regeln des Katastro­ phenhilfevölkerrechts potentiell greifen, desto zurückhaltender ist die Staa­ tengemeinschaft womöglich, souveränitätsbeschränkende Regelungen über­ haupt zuzulassen oder die Anwendung des Katastrophenhilfevölkerrechts zu akzeptieren. Für die Untersuchung des Katastrophenhilfevölkerrechts ist der Begriff der Katastrophe daher auf Naturkatastrophen, mit ihnen vergleich­ bare menschenverursachte Großschadenslagen, Industrieunfälle, technische Zwischenfälle bzw. Störungen, terroristische Akte sowie wirtschaftliche und politische Krisen mit gravierenden Auswirkungen auf die Lebensbedingun­ gen der Bevölkerung zu begrenzen. Die Ereignisse müssen dabei aber eine gewisse Mindestschwelle erreichen, um als Anwendungsfall des Katastro­ phenhilfevölkerrechts eingestuft zu werden.468 Es muss zu Schädigungen von Menschen oder der Umwelt und insgesamt schwerwiegenden Störungen innerhalb des betroffenen Staates, der betroffenen Region oder der Gesell­ schaft allgemein kommen.469 Dies ist anhand einer Überprüfung des Einzel­ hierzu Stahl, 23 N.Y.U. L. Rev. (2010), 1–53. in ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27.  Au­ gust 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 6. 468  Diese Methodik findet sich auch im humanitären Völkerrecht, wo die Defini­ tion des nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes bei der Abfassung des Zweiten Zusatzprotokolls zu den vier Genfer Konventionen 1977 extrem umstritten war. Die Vertragsparteien einigten sich dann darauf, die Mindestschwelle in Art. 1 Abs. 2 des Zweiten Zusatzprotokolls durch Ausschluss interner Unruhen und Spannungen fest­ zulegen, um ein zu ausuferendes Begriffsverständnis zu verhindern, siehe Junod in Internationales Komitee des Roten Kreuzes (Hrsg.), Commentary on the Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Pro­ tection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.  Juni 1977 (1987) Art. 1 Rdnr.  4453. 469  In diesem Sinne zum Beispiel auch der derzeitige Entwurf von Art 3 DAP­ PED (ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee 466  Vgl.

467  Nolte



B. Definition und Feststellung des völkerrechtlichen Katastrophenfalles  137

falles nach objektiven Wertungsgesichtspunkten vorzunehmen. Solche Wertungsgesichtspunkte können die Anzahl der Todesopfer sein, das Aus­ maß der Schäden sowohl in geographischer Sicht als auch aus finanziellen Aspekten, oder die Schwierigkeit, die Folgen der Katastrophe zu beseitigen. Es sind daran jedoch keine zu hohen Anforderungen zu stellen, um den Schutz der Opfer nicht zu verringern. Auf Tatbestandsebene nicht entschei­ dend ist, ob das jeweilige Ereignis die Kapazitäten des betroffenen Staates übersteigt.470

II. Befugnis zur Feststellung des Vorliegens eines Katastrophenfalles Zu klären ist abschließend, wer die Befugnis zur Feststellung eines Kata­ strophenfalles innehat. Man könnte hier einerseits dafür argumentieren, dass es grundsätzlich die Aufgabe des betroffenen Staates sei, festzustellen und zu erklären, ob ein Katastrophenfall vorliegt oder nicht.471 Allerdings eröff­ net dies Missbrauchsmöglichkeiten. Aus Skepsis gegenüber den Regeln des Katastrophenhilfevölkerrechts könnten manche Staaten zurückhaltend bei der Erklärung von Katastrophenfällen reagieren. Verneint ein Staat das Vor­ on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/ CN.4/L.831 (15.  Mai 2014)); Art. 2 Abs. 1 IFRK, Guidelines for the Domestic Fa­ cilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assis­ tance, 30IC/07/R4 annex; Art. 1 Abs. 6 Tampere Convention. 470  Vgl. Art. 1 Abs. 3 SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disas­ ters, v. 25.–26.  Mai 2011, . 471  Hmoud in ILC, ‚Provisional summary record of the 3018th meeting‘ (27. Au­ gust 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3018, S. 7. So obliegt es bei den Notstandsklauseln in internationalen Menschenrechtsverträgen primär dem betroffenen Staat, nach Prüfung der Voraussetzung den Notstand auszurufen bzw. zu erklären, wobei die jeweiligen Konventionsorgane die Entscheidung auf ihre Stichhaltigkeit prüfen. Auch über das Vorliegen eines Notstandes im Sinne der EMRK entscheiden die Konventionsorgane. Einzelne Vertragsstaaten haben zwar im Sinne einer „political question doctrine“ gefordert, die Notstandsfeststellung der gerichtlichen Prüfung zu entziehen, hatten damit aber keinen Erfolg. Den betroffenen Staaten wird aber ein weiter Beurteilungsspielraum dabei eingeräumt, über das Vorliegen einer Notstands­ situation und die zu treffenden Maßnahmen zu entscheiden. Der betroffene Staat könne die eigene Lage grundsätzlich besser einschätzen. Allerdings wird ihm bei seiner Lagebeurteilung nicht carte blanche erteilt, vielmehr obliegt die letztverbind­ liche Einschätzung den Konventionsorganen, wenn diese die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach den Vorgaben der EMRK überprüfen. Dabei kontrollieren sie in­ zident, ob ex ante vom Vorliegen eines Notstandes vernünftigerweise ausgegangen werden konnte, um die Einhaltung der Konventionsverpflichtungen sicherzustellen. Siehe Krieger, Kapitel 8: Notstand (2006), Rdnr. 7, 8. Vgl. ferner dazu auch EGMR, Lawless v. Ireland (Urteil), Application no. 332/57 (1.  Juli 1961) EHHR 1, 15 [1961], Series A No. 3, Rdnr.  28.

138 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

liegen eines Katastrophenfalles, obwohl objektiv ein solcher vorliegt, wür­ den der betroffenen Bevölkerung die Rechte und Verfahrensgarantien des Katastrophenhilfevölkerrechts versagt werden. Zudem sind die nationalen Kriterien, wann und ob der Notstand ausgerufen wird oder lediglich eine Krisensituation vorliegt, für die Staatengemeinschaft oft nicht nachvollzieh­ bar, was zu Missverständnissen und Verzögerungen bei der Vorbereitung von Hilfsmaßnahmen führen kann.472 Sinnvoller erscheint daher ein objek­ tiver Ansatz. Die Regelungen des Katastrophenhilfevölkerrechts finden so­ mit automatisch Anwendung, wenn objektiv die dargelegten Kriterien eines Katastrophenfalles erfüllt sind. So kann dem humanitären Grundgedanken des Katastrophenhilfevölkerrechts Rechnung getragen werden, indem seine Anwendung nicht in das Ermessen eines Staates zum Nachteil der Opfer gestellt wird. Dadurch wird ein hoher Schutzstandard für die Opfer von Katastrophenfällen gewährleistet. Dieser objektive Ansatz hat sich auch in anderen Bereichen des Völkerrechts bewährt. So wird im ebenfalls auf hu­ manitären Grundgedanken basierenden und damit artverwandten humanitä­ ren Völkerrecht die Frage, ob ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt, objektiv beurteilt. Der gemeinsame Art. 3 und das 2. Zusatzproto­ koll finden immer dann automatisch Anwendung, wenn de facto ein bewaff­ neter Konflikt vorliegt. Ein Vorschlag einer Delegation, das Vorliegen eines nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes in das Ermessen des betroffe­ nen Staates zu stellen, wurde beim Beschluss des Zweiten Zusatzprotokolls abgelehnt, um den nach 1949 erreichten Schutzstandard nicht abzusenken.473 Neben der Selbsteinschätzung des betroffenen Staates kann in diesem Zusammenhang den Untersuchungen internationaler Organisationen und sonstiger Akteure bei unklaren Fällen Indizwirkung eingeräumt werden.474 472  So haben die Malediven nach dem Brand einer Meerwasser-Entsalzunganlage 2014 nicht klar kommuniziert, ob nur eine Krise oder der Notstand vorliegen, ‚CORRECTED-Maldives declares state of crisis as it faces water shortage‘ Reuters (5.  Dezember 2014) . 473  IKRK, ‚Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of the International Humanitarian Law applicable in Armed Con­ flict, Geneva, 1974–1979‘, Federal Political Department Bern (1978) CDDH/SR.49 Band  XII, S. 66–68, v. a. Abs. 39, 51–52. Siehe auch Pictet (Hrsg.), The Geneva Conventions of 12 August 1949 – Commentary – I Geneva Convention for the Ame­ lioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces on the field (1952), S. 47. 474  Siehe zur Rolle des IKRK bei der Feststellung, ob ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt, sowie der Möglichkeit, Untersuchungskommissionen für die Feststellung einzusetzen, IKRK, Internal conflicts or other situations of vio­ lence  – what is the difference for victims? Interview with Kathleen Lawand (10.  Dezember 2012), und Human Rights Council,



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 

139

So hat z. B. die WHO am 8. August 2014 den Ausbruch des Ebola-Virus in den westafrikanischen Ländern Guinea, Liberia, Nigeria und Sierra Leone offiziell als globalen Gesundheitsnotstand deklariert,475 während Guinea den Notstand erst einige Tage später ausgerufen hat.476 Auch die Tatsache, dass sich die Vereinten Nationen mit der Ebola-Epidemie als einer konkreten Katastrophensituation befassten und konstatierten, dass die nationalen Ka­ pazitäten erschöpft sein könnten, legt den Schluss nahe, dass von einer Katastrophensituation im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts auszuge­ hen ist.477

C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe – das Katastrophenhilfevölkerrecht als Untersuchungsgegenstand bei der Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht Aus der Beteiligung unterschiedlichster Akteure  – Staaten, Militär, inter­ nationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen – im Katastro­ phenfall resultiert ein erhöhtes Bedürfnis nach Regulierung und Vereinheit­ lichung der für sie geltenden Verhaltensstandards. Indes ist das Völkerrecht im Bereich des Katastrophenschutzes und der Katastrophenhilfe derzeit nicht nur hinsichtlich der Beteiligten, sondern auch hinsichtlich des beste­ henden Regelungsrahmens stark fragmentiert.478 Auf allen Stufen des inter­ nationalen Mehrebenensystems gibt es eine Vielzahl von Regelungsinstru­ menten unterschiedlichen normativen Charakters. Koroma geht davon aus, dass gerade das Fehlen eines universellen Vertragstextes zum IDRL zu Report of the independent international commission of inquiry in the Syrian Arab Republic (22.  Februar 2012) UN Doc. A/HRC/19/69. 475  WHO, Statement on the 1st meeting of the IHR Emergency Committee on the 2014 Ebola outbreak in West Africa (8.  August 2014) . 476  Ebola outbreak: Guinea declares emergency, BBC News (14.  August 2014), . 477  UN Security Council, Res 2177 (2014) [Peace and security in Africa], v. 18.  September 2014, UN Doc. S/RES/2177 (2014). Die Resolution des UN-Sicher­ heitsrates nahm auch die Ausrufung des Notstandes in Nigeria vorweg, Nigeria’s Jonathan declares state of emergency over Ebola, Reuters (8. August 2014), . 478  Eine gute Übersicht über alle bestehenden internationalen Rechtsinstrumente zum Katastrophenhilfevölkerrecht gibt IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 33–82.

140 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

dessen rapider Entwicklung auf anderen Wegen geführt hat.479 Ob sich da­ raus völkerrechtlich verbindliche Verhaltensvorgaben destillieren lassen, bedarf einer sorgfältigen Analyse, deren Ausgangspunkt für jede potentielle Verhaltensvorgabe Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut bildet.480 Um rechtsverbindlich zu sein, muss es sich bei einem Verhaltensstandard um den Bestandteil einer der dort aufgeführten völkerrechtlichen Rechtsquellen handeln. Moralische Prinzipien können nur berücksichtigt werden, wenn sie ihren Niederschlag in Rechtsregeln bereits gefunden haben. Humanitäre Zielsetzungen, wie sie dem IDRL zu Grunde liegen, können allein kein Geltungsgrund sein: „Law exists, it is said, to serve a social need; but precisely for that reason, it can do so only through and within the limits of its own discipline. […] Humanitarian considerations may constitute the inspirational basis for rules of law, just as, for instance, the preambular parts of the United Nations Charter constitute moral and political basis for the specific legal provisions thereafter set out. Such considera­ tions do not, however, themselves amount to rules of law.“481

Zu klären ist daher, welchen in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut anerkannten Rechtsquellen die bisher im Bereich des Katastrophenschutzvölkerrechts entwickelten Regelungsinstrumente zuzuordnen sind, um auf dieser Grund­ lage Aussagen über den verbindlichen Bestand des IDRL treffen zu können.

I. Internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur (Art. 38 Abs. 1 lit. a IGH-Statut) Auf völkerrechtlicher Ebene existieren nur zwei Verträge, die unmittelbar dem Katastrophenschutzvölkerrecht zuzuordnen sind. Hierzu zählt zunächst die Framework Convention on Civil Defence Assistance, die sich mit dem Einsatz und der Kooperation von nationalen Bevölkerungsschutzeinheiten auseinandersetzt.482 Daneben existiert die Tampere Convention on the Pro­ vision of Telecommunication Resources for Disaster Mitigation and Relief Operations von 1998, welche die Einrichtung von Telekommunikationsinfra­ 479  Koroma, Solidarity, Evidence of an Emerging International Legal Principle (2012), 124. 480  Dahm/Delbrück/Wolfrum weisen zutreffend darauf hin, dass „Art. 38 IGHStatut unmittelbar nur für die Rechtsfindung des IGH“ gilt, die Norm aber darüber hinaus „als allgemein gültige Beschreibung des geltenden Rechts“ angesehen wird, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 44. 481  IGH, South West Africa Cases (Ethiopia/South Africa; Liberia/South Africa), Second Phase, Judgment (18.  Juli 1966) ICJ Reports 1966, 6, 34 para. 49, 50; die­ ser Abschnitt wird ebenfalls zititert von Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commen­ tary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  113. 482  FCCDA.



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 141

struktur erleichtert und Koordination von Telekommunikation während des Katastrophenfalles regelt.483 Beide Verträge weisen indes keine rege Betei­ ligung auf. Die FCCDA wurde nur von neun Staaten ratifiziert (Ägypten, Benin, Jordanien, Libyen, Marokko, Senegal, Tunesien, Ukraine, Vereinigte Arabische Emirate) und lediglich fünf weitere Staaten (Mali, Mongolei, Russland, Sudan und Syrien) sind beigetreten.484 Die Tampere Convention ist von 47 Staaten ratifiziert. Deutschland, Russland und USA haben die Tampere Convention nicht ratifiziert.485 Darüber hinaus beschäftigen sich beide Konventionen ohnehin nur mit sehr spezifischen Aspekten des Kata­ strophenschutzes, so dass von ihnen kaum Rückschlüsse auf allgemeine Verhaltensregeln im Katastrophenfall gezogen werden können.486 Schließ­ lich gibt es auch in anderen Bereichen des Völkerrechts Berührungspunkte mit Fragen der internationalen Katastrophenhilfe, indem z. B. in den dort geltenden internationalen Verträgen einzelne Klauseln enthalten sind, wie im Kontext einer Katastrophe mit dem geregelten Bereich umzugehen ist. Das gilt insbesondere für das internationale Zollrecht,487 in dessen Anwen­ dungsbereich z. B. das Kyoto Zoll-Übereinkommen hervorzuheben ist.488 Es hat zwar 91 Vertragsparteien, beschränkt sich aber bezüglich des IDRL auf Erleichterungen für die Einfuhr von Hilfslieferungen. In einer Studie der IFRK werden ferner das Humanitäre Völkerrecht, das Flüchtlingsrecht und Recht der Binnenvertriebenen, Privilegien und Immunitäten, das Transport­ recht, das Recht der internationalen Entwicklungshilfe, Zivilverteidigung und Gesundheitsrecht genannt, ebenfalls aufgeführt werden das Umwelt­ recht und das Recht der Industrieunfälle.489 In den beiden zuletzt genannten Teilgebieten gibt es auch bereichsspezifische (‚sektorale‘) Abkommen zur 483  Tampere

Convention. verfügbarer Ratifikationsstand 1.  Juli 2009, siehe International Civil Defence Organisation, Framework Convention on Civil Defence Assistance: Signa­ tures  – Ratifications  – Accessions as of 1 July 2009, . 485  Der aktuelle Ratifikationsstand der Tampere Convention ist online abrufbar unter http://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXV-4 &chapter=25&lang=en). 486  Bannon, International Disaster Response Law and the Commonwealth: Answering the Call to Action, in: Borda (Hrsg.), International Humanitarian Law and the International Red Cross and Red Crescent Movement (2010), 10.  Kapitel, 104. 487  Siehe hierzu ausführlich IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 40 ff. 488  International convention on the simplification and harmonisation of customs procedures (Kyoto Convention), v. 18.  Mai 1973 (in Kraft getreten am 25.  Septem­ ber 1974), BGBl. II 2093, v. a. Annex J Kapitel  5. 489  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 36–52. 484  Letzter

142 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Katastrophenvorsorge und -information, wie z. B. für den Bereich der nu­ klearen Unfälle,490 sowie Vorsorgeübereinkommen auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes491 und Regelungen für Industrieunfälle.492 Deutlich häufiger als universelle multilaterale Verträge sind regionale Abkommen zur Kooperation im Katastrophenfall, von denen es derzeit etwa 30 gibt.493 Zu nennen sind hier in Asien das Übereinkommen über Kata­ strophenmanagement und Notfallreaktion494 des Verbandes Südostasiatischer Nationen495 und das Übereinkommen der Südasiatischen Vereinigung für regionale Kooperation496 über den beschleunigten Umgang mit Katastro­ phen.497 Im amerikanischen Raum gibt es die Inter-amerikanische Konven­ tion zur Vereinfachung der Katastrophenhilfe498 und das Abkommen zum Aufbau einer karibischen Katastrophenmanagementbehörde.499 In Afrika gibt es bislang zwar noch kein umfassendes multilaterales Abkommen zur Katastrophenhilfe, allerdings haben viele regionale bzw. sub-regionale Or­ ganisationen ein Mandat zur Befassung mit Fragen der Katastrophenhilfe in ihre Gründungsverträge aufgenommen, die teilweise auch die gegenseitige Kooperation mit einschließen.500 Auf europäischer Ebene regelt u. a. Art. 196 AEUV die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und Unionsorgane im Kata­ strophenfall; Art. 222 AEUV legt gegenseitige Solidaritätsverpflichtungen 490  Notification Convention; Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency. 491  Z. B. International Convention Relating to Intervention on the High Seas in Cases of Oil Pollution Casualties.Weitere bereichsspezifische Abkommen, die As­ pekte des Katastrophenschutzes berühren, z. B. im Kontext von Land, Luft und Wasser-Transport, werden aufgeführt in UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eight session‘ (1.  Mai–9.  Juni; 3.  Juli–11. Au­ gust 2006) UN Doc. A/61/10, Annex C, Rdnr.  13 Fn. 23. 492  Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents. 493  IFRK, Disaster Law Database, . 494  ASEAN Agreement on Disaster Management and Emergency Response (AADMER), v. 26.  Juli 2005 (in Kraft getreten am 24.  Dezember 2009), 2005 ASEAN Document Series 157 (AADMER). 495  Association of South East Asian Nations (ASEAN). 496  South Asia Association for Regional Cooperation (SAARC). 497  SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters v. 25./26.  Mai 2011, http://www.ifrc.org/docs/idrl/N840EN.pdf. 498  Inter-American Convention to Facilitate Disaster Assistance, General Assem­ bly of the Organization of American States, v. 6. Juli 1991, OAS A-54 . 499  Agreement Establishing CDEMA. 500  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 62 f.



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 143

fest.501 Hervorzuheben ist auch der europäische Zivilschutzmechanismus, der die institutionelle Unterstützung für Zivilschutz im Katastrophenfall sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU fördern will.502 Ergänzt wird er von Verordnungen der Europäischen Rates zur Katastrophenhilfe, die nach Art. 288 Abs. 2 AEUV in all ihren Teilen verbindlich sind und unmit­ telbar für die Mitgliedstaaten gelten, sowie Beschlüssen, die ebenfalls in allen Teilen verbindlich sind (Art. 288 Abs. 4 AEUV).503 Mit der europäi­ schen Zusammenarbeit bei Katastrophen beschäftigt sich auch die LoméKonvention, ein internationales Hilfs- und Handelsabkommen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten.504 Das Offene Teilabkommen des Europarates über größere Risiken stärkt ebenfalls die Zusammenarbeit bei der Katastrophenvorbeugung und Durchführung von Katastrophenhilfe seitens der Mitgliedstaaten bei Natur­ katastrophen und technischen Katastrophen.505 Zu nennen ist auch das ­Abkommen zur Notfallhilfe der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation.506 In 501  Siehe hierzu ausführlich von Ondarza/Parkes, Europäische Solidarität in Katastrophenschutz und Terrorabwehr? Vorschläge zur Umsetzung der Solidaritätsklausel des Vertrags von Lissabon. 502  Rat der Europäischen Union, Entscheidung des Rates über ein Gemeinschafts­ verfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) (Text von Bedeutung für den EWR) 2007/779/EG, Euratom, v. 8.  November 2007, ABl. EU L 314/9. 503  Rat der Europäischen Union, Verordnung (EG) Nr. 1257/96 des Rates über die humanitäre Hilfe, v. 20.  Juni 1996, ABl. EG Nr. L 163/1; Rat der Europäischen Union, Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Mitglied­ staaten zur Verbesserung der gegenseitigen Hilfeleistung zwischen Mitgliedstaaten hei natur- oder technologiebedingten Katastrophen (91/C 198/01), v. 8.  Juli 1991, ABl. EG C 198/1. 504  African, Caribbean and Pacific Group of States  – ACP-Staaten. Art. 55 der Lomé-Konvention beschäftigt sich mit der verbesserten Anpassung der Bevölke­ rung an den Einfluss von Katastrophen, Art. 196 legt Hilfsleistungen fest, wenn die Ernte infolge von Katastrophen in den ACP-Staaten minimiert wird, in Art. 229 Abs. 1 lit. q wird die Möglichkeit zur Unterstützung der ACP-Staaten bei der Ka­ tastrophenvorsorge und -vorbereitung eröffnet. 505  Europarat (Ministerkomitee), Setting up a co-operation group for the preven­ tion of, protection against, and organisation of relief in major natural and techno­ logical disasters (EUR-OPA Major Hazards Agreement), v. 20.  März 1987, Resolu­ tion 87 (2). 506  Agreement among the Governments of the Participating States of the Black Sea Economic Cooperation (BSEC) on collaboration in Emergency Assistance and Emer­ gency Response to natural and man-made Disasters, v. 15 April 1998 (in Kraft getre­ ten am 11.  März 2003), . Es gilt bereits für Armenien, Bulgarien, Georgien, Griechenland, Moldawien, Rumä­nien, Russland und die Ukraine, siehe Organization of the Black Sea Economic Coopera­ tion, Legal Documents – Agreements & MoUs – Emergency, .

144 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

ihm werden gemäß Art. 1 Prinzipien und Rahmenbedingungen für koordi­ nierte Hilfsmaßnahmen der Vertragsparteien bei Naturkatastrophen und von Menschen verursachte Katastrophen festgelegt, die von der betroffenen Vertragspartei nicht mehr mit eigenen Mitteln bekämpft werden können. Die Zusammenarbeit zwischen Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden bei radiologischen Unfällen regelt das Nordic Mututal Assistance Agree­ ment.507 Daneben existieren auch zahlreiche508 bilaterale Abkommen auf dem Ge­ biet der Katastrophenhilfe, in denen sich die Vertragsparteien gegenseitige Unterstützung im Katastrophenfall zusichern und Modalitäten für die Anfra­ ge nach und Reaktion auf Katastrophenfälle festlegen.509 Weitere Regelungs­ bereiche der bilateralen Abkommen sind die Einreise und der Zugang von Hilfspersonal und -gütern, die Kosten für die Katastrophenhilfe sowie Haf­ tungsfragen. Hinsichtlich der geographischen Verteilung bilateraler Verträge ist aber zu beachten, dass sie nahezu flächendeckend nur zwischen europäi­ schen Staaten verbreitet sind.510 Insgesamt gibt es knapp 50 bilaterale Kata­ strophenhilfeabkommen in Europa. In Südamerika gibt es nur zwei bilaterale Katastrophenhilfeabkommen. In Afrika hat nur Südafrika mit sieben Staaten bilaterale Abkommen geschlossen. Daneben bestehen 16 interkontinentale bilaterale Abkommen. Zusätzlich haben die Vereinigten Staaten von Amerika mit 27 Staaten bilaterale Katastrophenhilfeabkommen abgeschlossen.511 507  Nordic Mutual Assistance Agreement in connection with radiation accidents, International Atomic Energy Agency, v. 17.  Oktober 1963, 525 UNTS 75. 508  In der Datenbank der IFRK finden sich 87 bilaterale Abkommen (IFRK, Disas ter Law Database, ), Koroma spricht sogar von 150 Abkommen, Koroma, Solidarity, Evidence of an Emerg­ing International Legal Principle (2012), 124. Die Vereinten Nationen geben 103 Abkommen an, ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memoran­ dum by the Secretariat, Annex 2 (List of instruments)‘ (31. März 2008) UN Doc. A/ CN.4/590 Add.2, S. 6–14. 509  Die Bundesrepublik Deutschland hat beispielsweise mit 12 Staaten Abkom­ men über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen abgeschlossen. Hier zählen neben den direkten Anrainerstaaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxembourg, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz und der Tschechischen Republik auch Li­ tauen, Ungarn und die Russische Föderation, Deutscher Feuerwehr Verband, ‚Bila­ terale Katastrophenhilfeleistungsabkommen, Einführung und Übersicht‘ (28.  Okto­ ber 2008)‚ 1. 510  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat, Annex 2 (List of instruments)‘ (31.  März 2008) UN Doc. A/CN.4/590 Add.2, S. 6–14. Siehe dazu auch Ehrenberg, Internationale Katastophenhilfe (Univ. Diss. Osnabrück) (2006), 61 ff. 511  Zusammenstellung aller Angaben ermittelt anhand von ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat, Annex 2 (List of instruments)‘ (31.  März 2008) UN Doc. A/CN.4/590 Add.2, S. 6–14.



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 145

Neben den speziellen vertraglichen Regelungen zum Katastrophenschutz wird der Bereich der internationalen Katastrophenhilfe daneben in besonde­ rem Maße geprägt durch multilaterale Menschenrechtsverträge, da das Schutzgut des internationalen Katastrophenhilfevölkerrechts die betroffene Zivilbevölkerung ist. Zu nennen sind hier der Internationale Pakt über bür­ gerliche und politische Rechte512, der Internationale Pakt über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte513, die Europäische Menschenrechts­ konvention514, die Amerikanische Menschenrechtskonvention515, die Afrika­ nische Charta für Menschenrechte und die Rechte der Völker516 sowie die Arabische Charta für Menschenrechte.517 Zusätzlich spielen Spezialgesetze eine Rolle, z. B. das Übereinkommen über die Rechte der Kinder.518

II. Internationales Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung (Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut) 1. Grundsätze Ob, und wenn ja, welche Bereiche im Rahmen des Katastrophenschutz­ völkerrechts schon als Völkergewohnheitsrecht und damit völkerrechtlich verbindlich angesehen werden können, ist bisher ungeklärt. Zur Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht ist nach einer Staatenpraxis mit entsprechender Rechtsüberzeugung (opinio iuris sive necessitatis) im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit.b IGH-Statut zu suchen.519 Von einer ausreichenden Staatenpraxis kann man dann sprechen, wenn sich „Staaten oder andere zur Rechtsetzung befugte Völkerrechtssubjekte (…) im internationalen Rechtsverkehr über 512  IPbpR.

513  International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (IPwskR), v. 16.  Dezember 1966 (in Kraft getreten am 17.  Januar 1976), 999 UNTS 3. 514  EMRK. 515  AMRK. 516  African Charter on Human and Peoples’ Rights (Banjul Charter), v. 27.  Juni 1981(in Kraft getreten am 21.  Oktober 1986), OAU Doc. CAB/LEG/67/3 rev. 5, 21 ILM 58. 517  Arab Charter on Human Rights (ACHR), v. 22.  Mai 2004 (in Kraft getreten am 15.  März 2008), abgedruckt in 12 Int‘l Hum. Rts. Rep. 893. Vertragsparteien sind Algerien, Bahrain, Jordanien, Kuwait, Libyen, Marokko, Palästina, Saudi-Ara­ bien, Syrien, die Vereinigten Arabischen Emirate. 518  Convention on the Rights of the Child (CRC), v. 20.  November 1989 (in Kraft getreten am 2.  September 1990), 1577 UNTS 3. 519  Brownlie, Principles of Public International Law (7. Aufl. 2008), 6 ff.; IGH, North Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany/Netherlands) (20.  Fe­ bruar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 13 ff.

146 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

eine längere Zeit und im Wesentlichen übereinstimmend verhalten.“520 Auch ein konstantes Unterlassen einer bestimmten Handlung kann Staatenpraxis begründen.521 Die Praxis muss grundsätzlich über eine gewisse Zeitspanne ausgeführt werden, wobei nur selten auf das Zeitelement verzichtet werden kann (instant custom).522 Weiter muss es sich um eine generelle Praxis handeln, wobei es aber möglich ist, vor allem auf die von der zu untersu­ chenden Materie besonders betroffenen Staaten abzustellen523, d. h. vorlie­ gend auf besonders katastrophengefährdete Staaten oder Staaten mit einem großen Budget oder sonstigen Ressourcen für humanitäre Hilfe. Schließlich muss die Staatenpraxis konstant und einheitlich sein.524 Zu beachten ist, dass es bei sich dynamisch entwickelnden Rechtsberei­ chen – wie dem IDRL – in besonderem Maße schwerfällt, den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem Staaten ein bestimmtes Verhalten befolgen, weil sie da­ von ausgehen, dazu (völkergewohnheits)rechtlich verpflichtet zu sein. Vor dem Erreichen dieses Zeitpunkts kann es eine lange Phase geben, in denen die Staaten lediglich der Auffassung sind, dass sie an eine Verhaltensregel gebunden sein sollten und sie daher – bis die Bindung für alle Staaten etab­ liert ist – dieses bestimmte Verhalten befolgen, weil sie an eine entsprechen­ de Sollensanforderung glauben oder daran, dass die Sollensanforderung bald zu Recht wird.525 Die Übergänge zwischen diesen Stadien sind fließend. Praktisch erfordert die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht damit auch immer eine wertende Betrachtung. Entscheidend kann dabei unter anderem sein, wie andere Staaten auf den Rechterschaffungsprozess reagieren.526 520  Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 56. Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 58. 522  Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 221. 523  IGH, North Sea Continental Shelf (20. Februar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 43 para. 74. 524  IGH, North Sea Continental Shelf (20. Februar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 43 para. 74. 525  Lefkowitz, The Sources of International Law: Some Philosophical Reflections, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), The Philosophy of International Law (2010), 8. Kapitel, Er lässt vor diesem Hintergrund die Bedeutung der Staatenpraxis zurücktreten, für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht sei stattdessen die Anerkennung einer Norm als rechtlich verbindlich ausschlaggebend: „N is a customary legal norm if most states regard it as a customary legal norm […], and what makes it a customary legal norm is that most states regard it as such.“ (id., S. 200). Die Staatenpraxis diene nur der Kommunikation zwischen den Staaten, um ihre Überzeugung von der rechtlichen Verbindlichkeit der Norm nach außen zu manifestieren (id., S. 201 f.). Zum ­„Rechts­werdungsprozess“ auch Shaw, International Law (6. Aufl. 2008), 86 f. 526  Shaw, International Law (2008), 87. Der Rechtsphilosoph Hart argumentiert, dass die Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht letztendlich einen Konsens der 521  Dahm/Delbrück/Wolfrum,



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 

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2. Quellen zur Feststellung der Staatenpraxis Die Quellen, die zur Feststellung der Staatenpraxis hilfreich sein können, sind vielfältig.527 Ausgangspunkt bildet das tatsächliche Verhalten der Staa­ ten in der Welt.528 In einer ersten Indiziengruppe lassen sich diesbezüglich einseitige Äußerungen der Staaten zusammenfassen. Dazu gehören diploma­ tische Korrespondenz, Grundsatzerklärungen, Pressemitteilungen, die Ein­ schätzungen offizieller Rechtsberater der Regierung, offizielle Handbücher zu rechtlichen Fragen und Kommentare der Regierung zu Entwürfen der ILC.529 Wichtig Rückschlüsse auf Staatenpraxis lassen sich auch den kol­ lektiven Haltungen von Staaten auf diplomatischen Konferenzen oder in Internationalen Organisationen entnehmen.530 Auf dem Gebiet des Katastro­ phenhilfevölkerrechts ist besonderes Augenmerk auf staatliche Äußerungen im Zusammenhang mit nationalen Katastrophen sowie Einschätzungen der Regierung zu externen Katastrophen zu legen. Aufgrund der Tatsache, dass die ILC sich umfassend mit Entwurfsartikeln zum Katastrophenhilfevölker­ recht auseinandersetzt, kommt den Diskussionen dieser Entwürfe durch die Staatenvertreter vor dem Rechtsausschuss der Vereinten Nationen ebenfalls hohes Gewicht zu. Eine zweite Gruppe bilden innerstaatliche Akte wie staatliche Gesetzge­ bung531 und nationale Gerichtsentscheidungen532 sowie Verwaltungsakte.533 Staaten voraussetzt, eine bestimmte Norm zu akzeptieren, Hart, The Concept of Law (1961), 230. 527  Die folgenden Beispiele als Nachweis für Staatenpraxis finden sich bei Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 6 f. 528  Siehe dazu Charney, J. I., The Persistent Objector Rule and the Development of Customary International Law, BYIL 56 (1985), 1–24. 529  Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 6 f.; Shaw, Interna­ tional Law (2008), 82. Zur Bedeutung der Staatenäußerungen im Verlauf der Arbeit der ILC für die Staatenpraxis IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany/ Italy, Greece intervening) (3.  Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, 24 para. 55. 530  Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 219. 531  IGH, Jurisdictional Immunities (3.  Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, 30 para. 70; IGH, Fisheries Case (United Kingdom/Norway), Urteil (18.  Dezember 1951) ICJ Reports 1951, 116, 131; Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commen­ tary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  217; Shaw, International Law (2008), 83. 532  IGH, Jurisdictional Immunities (3.  Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, 31 para. 72; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 57; Greenwood, Sources of International Law: An Introduction (2008) , 2. 533  Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38

148 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Wie gezeigt werden wird, ist Katastrophenschutz grundsätzlich originäre Aufgabe des betroffenen Staates. Nationale Katastrophenschutzgesetze gibt es in einer zunehmenden Anzahl von Staaten.534 Sie bilden damit eine wich­ tige Quelle für den Nachweis der Staatenpraxis. Nationale Gerichtsentschei­ dungen zum internationalen Katastrophenschutz fehlen, jedoch gibt es Ent­ scheidungen, die sich mit dem innerstaatlichen Umgang der nationalen Katastrophenschutzbehörden auseinandersetzen.535 In die dritte Gruppe der relevanten Instrumente zum Nachweis von Staa­ tenpraxis fallen internationale Gerichtsentscheidungen. Hier sind v. a. einige wenige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrech­ te zu nennen, die sich mit dem Katastrophenschutz und dessen Auswirkun­ gen auf die Menschenrechte befassen.536 Eine vierte Gruppe rekurriert zum Nachweis von Staatenpraxis auf wie­ derkehrende Muster internationaler Verträge und Erwägungsgründe zu inter­ nationalen Rechtsinstrumenten.537 Enthalten sie Verweise auf die besondere Rolle des betroffenen Staates im Katastrophenfall, so können im Beitritt oder der Ratifikation der entsprechenden Regelwerke staatenpraxisbegrün­ dende Handlungen liegen.538 Rdnr.  217 Fn. 884 mit Verweis auf IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Portugal/India), Merits (12. April 1960) ICJ Reports 1960, 6, 24. 534  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtieth session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5. Mai–7. Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  224. 535  Z. B. für Deutschland BGH, Urteil v. 11. November 2004, Az. III ZR 200/03, NVwZ-RR 2004, 149  – Verspätete Überschwemmungswarnung, zur Amtspflicht zur Warnung der Bevölkerung vor drohenden Überschwemmungen; BGH, Urteil v. 27. Januar 1994, Az. III ZR 109/92, NVwZ 1994, 823  – Haftung des Landes für Hochwasserschaden, ebenfalls zur Haftung wegen nicht ausreichender Bevölke­ rungswarnung; für Österreich zu den Schäden für ein Jahrtausendhochwasser Obers­ ter Gerichtshof der Republik Österreich, Beschluss v. 24. Juni 2005, 1 Ob 285/04z (1987); für die USA US Supreme Court, West Virginia v. United States, 479 US 305 (1987) zum finanziellen Ausgleich zwischen einem Bundesstaat und dem Gesamt­ staat in Bezug auf die Ausgaben für temporäre Unterkünfte für Katastrophenopfer. 536  Siehe z. B. EGMR, Urteil Budayeva et al. v. Russische Föderation (Urteil), Applications nos. 15339/02, 21166/02, 20058/02, 11673/02 and 15343/02 (29.  Sep­ tember 2008); EGMR, Urteil Öneryildiz v. Türkei (Urteil), Application no. 48939/99 (30.  November 2004); EGMR, Murillo Saldias et al. v. Spanien (Entscheidung), Application no. 76973/01 (28.  November 2006). 537  Zur wohl herrschenden Auffassung, dass der Beitritt und die Ratifikation völ­ kerrechtlicher Verträge ein Element gewohnheitsrechtlich relevanter allgemeiner Übung darstellen kann Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in interna­ tionalen bewaffneten Konflikten (2001), 144. 538  Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffne­ ten Konflikten (2001), 144.



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 

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3. Rechtsüberzeugung (opinio iuris) Die Staatenpraxis muss von der Überzeugung der Staaten begleitet sein, rechtlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet zu sein. Prinzipiell gibt das Vorliegen umfassender und genereller Staatenpraxis häufig bereits Anlass zur Vermutung, dass diesbezüglich auch von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staaten auszugehen ist.539 Dies gilt umso mehr, als dass manche Indizien zum Nachweis von Staatenpraxis auch als Nachweis für eine Rechtsüberzeugung herangezogen werden können, z. B. die Hand­ lungen und Handlungsinstrumente der staatlichen Organe auf nationaler Ebene. Hinweise auf die opinio iuris geben dabei insbesondere die natio­ nale Gesetzgebung sowie nationalen Gerichtsurteile, v. a. wenn diese be­ stimmte Regeln als Völkergewohnheitsrecht bezeichnen.540 Die Tatsache, dass sich die Indizien für Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung praktisch häufig überschneiden, führt dazu, dass auch der IGH die Suche nach der Rechtsüberzeugung regelmäßig mit der Staatenpraxis verknüpft und in vie­ len Urteilen nicht gesondert auf den Nachweis einer opinio iuris ein­ geht.541 Allerdings besteht im Rahmen eines kraft Natur der Sache politischen und von Solidarität und Altruismus geprägtem Gebiet wie dem IDRL die Gefahr, dass die Hilfeleistung faktisch allein aufgrund von Courtoisie (Völ­ kersitte, comitas gentium) oder internationaler Moral542 heraus praktiziert 539  Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 8 f.; mit Verweis auf Lauterpacht, The General Works (International Law. Being the Collected Papers of Hersch Lauterpacht. Systematically arranged and edited by E. Lauterpacht Vol. I, Cambridge University Press, 1970), 63; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 60; Baxter, Treaties and Custom, I Recueil de Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law (1970), 36 (69). 540  IGH, Jurisdictional Immunities (3.  Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, 30 para. 70, 31 para. 72, 33 para. 77; Lauterpacht, The General Works, 67. 541  Siehe z. B. IGH, Jurisdictional Immunities (3.  Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, 33 para. 77–78, wo als Nachweis für opinio iuris (hinsichtlich des Beste­ hens von völkergewohnheitsrechtlichem Immunitätsschutz für Handlungen der Streitkräfte auf fremdem Staatsgebiet während eines bewaffneten Konflikts) ledig­ lich auf die Haltung der Staaten rekurriert, ohne diese näher zu erläutern, und im übrigen auf nationale Gerichtsentscheidungen sowie das Fehlen gegenteiliger Äuße­ rungen der Staaten über die Arbeit der ILC zum Thema Immunität verweist. Eine dezidierte Prüfung der opinio iuris wird darüber hinaus nicht vorgenommen; Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the Interna­ tional Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  235. 542  Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  67 ordnet die Katastrophenhilfe pauschal als Regel der internationalen Moral ein.

150 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

wird.543 Notwendig sind vor diesem Hintergrund positive Indizien für eine bestimmte Rechtsüberzeugung. Dies sind v. a. Äußerungen vor internationa­ len Gremien544 sowie die gegenüber bestimmten Verträgen entweder bei der Vertragsverhandlung oder bezüglich der Akzeptanz des Vertrages zum Aus­ druck gebrachte Haltung der Staaten.545 4. Soft law: Relevanz für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht oder Rechtsquelle eigener Art? a) Definition Von Bedeutung für die Feststellung von opinio iuris ist in zunehmendem Maße sogenanntes soft law. Unter dem Begriff des soft law, dessen Einfüh­ rung in die Völkerrechtsdebatte häufig Lord McNair zugeschrieben wird,546 versteht man von einem formellen Standpunkt547 aus völkerrechtlich unver­ bindliche Entschließungen von völkerrechtlichen Hoheitsträgern, d. h. Völ­ kerrechtssubjekten, die eine außerrechtlich steuernde Verhaltensregel enthal­ ten.548 Hierzu zählen vor allem Internationale Organisationen, deren Organe sowie von internationalen Staatenkonferenzen verabschiedete bzw. veröffent­ 543  Allgemein zu diesen Abgrenzungsschwierigkeiten Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 60. 544  Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffne­ ten Konflikten (2001), 153 Fn. 66; IGH, Jurisdictional Immunities (3. Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, 29 para. 69, 36 para. 89, 100 para. 188, wo jeweils umfang­ reich auf Staatenäußerungen in Debatten des 6. Ausschusses der UN-Generalver­ sammlung (Rechtsausschuss) für den Nachweis von opinio iuris rekurriert wird. 545  Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 227. 546  Im Schrifttum wird für diese Aussage häufig auf Dupuy, „Declaratory Law and Programmatory Law: From Revolutionary Custom to ‚Soft Law‘ “, in: Akker­ man et  al. (Hrsg.), Declarations of Principles. A Quest for Universal Peace (1977), 247–257, v. a. 252 verwiesen, siehe nur Fitzmaurice/Elias, Contemporary issues in the law of treaties (2005), 34; d’Aspremont, Softness in International Law: A SelfServing Quest for New Legal Materials, 19 EJIL (2011), 1075 (1081), der aber darauf hinweist, dass Lord McNair den Begriff soft law lediglich als Synonym für den Begriff lex ferenda verwendet haben könnte; Klabbers, The Concept of Treaty in International Law (1996), 160 Fn. 7. 547  Von einem materiellen Standpunkt aus kann der Begriff soft law auch verwen­ det werden, um innerhalb einer im Sinne des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut verbindli­ chen Rechtsinstruments Normen geringerer Bindungskraft zu bezeichnen, Besson, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), The Philosophy of International Law (2010), 7.  Kapitel, 548  Siehe zu den Elementen des soft law Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 216–220.



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 151

lichte Entschließungen, Aktionsprogramme, interpretative Erklärungen, Ver­ haltenskodizes, Empfehlungen, Berichte, Kommentare und noch nicht in Kraft getretene oder noch nicht verbindliche Abkommen.549 Auf europäischer Ebene erfasst das soft law nach einem Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments „Grün- und Weißbücher, Schlussfolgerungen des Rates, Gemeinsamen Erklärungen, Entschließungen des Rates, Verhaltensko­ dizes, Leitlinien, Mitteilungen und Empfehlungen bis zu dem als „ ,Ko-Regu­ lierung‘ bekannten Phänomen“ sowie „Verfahren wie die „Methode der offe­ nen Koordinierung“ oder „open method of coordination – OMC.“550 Alle soft law Instrumente sind Normen faktischer Geltungswirkung, aber keiner der in Art. 38 Abs. 1 lit. a-c IGH-Statut aufgeführten Rechtsquellen des Völkerrechts unmittelbar zuzuordnen.551 Sie weisen damit keine unmit­ telbare völkerrechtliche Verbindlichkeit auf, ihnen kommt aber außerrecht­ liche, normative Verbindlichkeit552 in der Weise zu, dass sie für die an ihrer Entstehung Beteiligten abstrakt-generelle Verhaltensregeln festlegen.553 Ihre Verletzung kann durch unfreundliche Akte und Retorsion geahndet wer­ den.554 Lauterpacht bemerkt zusätzlich, dass die Einhaltung der in soft law enthaltenen Verhaltensempfehlungen nach Treu und Glauben berücksichtigt werden sollte und jede Nichteinhaltung zumindest rechtfertigungsbedürftig ist.555 In jedem Fall hat soft law Indizwirkung für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht:556 Genuin anerkannt ist von der herrschenden Meinung mittlerweile, die Entschließungen Internationaler Organisationen, die Verhaltenspraxis internationaler Organe dieser Organisationen sowie 549  Thürer,

Soft law, MPEPIL (2010), Rdnr.  2. des Europäischen Parlamentes, Arbeitsdokument zu instituti­ onellen und rechtlichen Auswirkungen der Anwendung der Instrumente des „Soft law“ (Berichterstatter: Manuel Medina Ortega), v. 22. Februar 2007, PE 384.581v0200, 2. Siehe hierzu auch Schwarze, Soft Law im Recht der Europäischen Union, EuR (2011), 3–18. 551  Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  113 Fn. 272. 552  Zur Normativität im Völkerrecht Besson, Theorizing the Sources of Internati­ onal Law (2010), 174 f. 553  Vöneky, Recht, Moral und Ethik. Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien (2010), 283; Thürer, Soft law, MPEPIL, Rdnr.  2. 554  Vöneky, Recht, Moral und Ethik. Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien (2010), 284. 555  IGH, Advisory Opinion, Voting Procedures on Questions Relating to Reports and Petitions Concerning the Territory of South-West Africa, Separate Opinion of Judge Lauterpacht (7.  Juni 1955) ICJ Reports 1955, 90, 118 f. 556  Greenwood, Sources of International Law: An Introduction (2008) 550  Rechtsausschuss

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durch internationale Konferenzen verabschiedete Vertragsentwürfe als Nach­ weis für opinio iuris heranzuziehen.557 Relevant ist dabei vor allem das Abstimmungsverhalten der Staaten sowie deren generelle Einstellung ge­ genüber den in Rede stehenden Instrumenten.558 Dies gilt insbesondere für Resolutionen der UN-Generalversammlung und die Haltung der Staaten diesbezüglich,559 auf die sich auch der IGH in seiner Rechtsfindung häufig stützt.560 Soft law kann ferner auch zur Auslegung anderer Rechtsquellen dienen sowie dazu, Rückschlüsse auf Fortentwicklungstendenzen im Völ­ kerrecht (lex ferenda) zu ziehen.561 557  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 72; Vöneky, Die Fortgeltung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten (2001), 164. 558  Pellet in Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 227; Shaw, International Law (2008), 88. 559  Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the In­ ternational Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  227; Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 15; Vöneky, Die Fortgel­ tung des Umweltvölkerrechts in internationalen bewaffneten Konflikten (2001), 164 f.; Meron, Human Rights and Humanitarian Law as Customary Law (1989), 113; Pellet, in: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 60, Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  228; Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr. 150; Klabbers, The Concept of Treaty in International Law (1996), 161 f. Zu beachten ist aber, dass Resolutionen internationaler Organisationen aufgrund des geltenden Kon­ sensprinzips von Staaten vielleicht auch gerade in Kenntnis deren rechtlichen Un­ verbindlichkeit leichtfertig verabschiedet werden, ohne damit eine Rechtsüberzeu­ gung zum Ausdruck bringen zu wollen. 560  Besson, Theorizing the Sources of International Law (2010), 170; IGH, Legal­ ity of the Threat or Use of Nuclear Weapons (8.  Juli 1996) ICJ Reports 1996, 226, 99 f. para. 188, 103 para. 193, 107 para. 203; IGH, Military and Paramilitary Activ­ ities in and against Nicaragua (Nicaragua/United States of America), Merits (27.  Juni 1986) ICJ Reports 1986, 14, 100 para. 189. Pellet weist darauf hin, dass der IGH Resolutionen der UN-Generalversammlung teilweise auch als „judicial ­joker“ für den Nachweis von Staatenpraxis und opinio iuris einsetzt, Zimmermann/ Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 228. Manche – sich diesbezüg­ lich in der Mindermeinung befindliche  – Autoren gehen davon aus, dass die Ausar­ beitung von und die Abstimmung über nicht rechtsverbindliche Instrumente, wie Resolutionen, eine Art der Staatenpraxis darstellen können, siehe kritisch hierzu z. B. Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the Internatio­ nal Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  238. Als Staaten­ praxis können die Resolutionen nur herangezogen werden, wenn es um organisato­ rische und institutionelle Angelegenheiten der Vereinten Nationen geht. 561  Shelton, Introduction. Law, Non-Law and the Problem of ‚Soft Law‘, in: Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance. The Role of Non- Binding Norms in



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 153

Soft law hat im Vergleich zu hard law viele Vorteile, was dazu führt, dass seine Bedeutung und Akzeptanz als Regelungsform für zwischenstaatliche Beziehungen dynamisch wachsen. Dies gilt besonders für das Wirtschaftsund Umweltvölkerrecht.562 Vöneky weist diesbezüglich darauf hin, dass sich über eine zunächst unverbindliche Verhaltensvorgabe einfacher und schnel­ ler Konsens erzielen lasse als über eine bindende Rechtsnorm, die zudem erst noch von den Staaten in das nationale Recht umgesetzt werden müs­ se.563 Des Weiteren beschleunigen multilaterale Rechtsetzungsprozesse, wie sie mit der Schaffung von soft law regelmäßig einhergehen, die Demokra­ tisierung der internationalen Beziehungen durch rechtsetzungsähnliche Me­ chanismen, denen ausführliche Beratungen vorausgehen und somit auch hohe Transparenz zukommt.564 Tatsache ist, dass Instrumente des soft law die Grenzen zwischen „law-making, law determining and law evidencing“565 verschwimmen lassen und damit die Trennung zwischen Recht und NichtRecht erschweren.566 Teilweise wird soft law auch als Rechtsquelle eigener Art angesehen. Pellet spricht hier von „quasi-formalen Quellen des Rechts.“567 Diese Einschätzung korreliert mit einer neuen Tendenz im Völ­ kerrecht, für eine Modifikation des (Rechtsquellen)formalismus zu argu­ mentieren. Dies wird damit begründet, dass nicht nur rechtliche Vorgaben, sondern auch andere Regelungsformen verhaltenslenkend sein können und ihre Nichtbeachtung mit ‚sozialen‘ Sanktionen geahndet wird.568 Allerdings the International Legal System (2000), 1.  Kapitel, 1; Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  68, 152; Ehm, Das völkerrecht­ liche Demokratiegebot (2013), 199. 562  Shaw, International Law (2008), 118; Besson, Theorizing the Sources of In­ ternational Law (2010), 179. 563  Vöneky, Recht, Moral und Ethik. Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien (2010), 284 Fn. 312 sowie Shaw, der zusammenfasst: „Such agreements may be more flexible, easier to conclude and easier to adhere to for domestic reasons“, Shaw, International Law (2008), 118. 564  Besson, Theorizing the Sources of International Law (2010), 179. 565  Shaw, International Law (2008), 114. 566  Shaw, International Law (2008), 114; Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 222. 567  Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 106. 568  Ungarn hat sich z. B. von seiner umstrittenenVerfassungsänderung (4. Verfas­ sungsnovelle) im Frühjahr 2013 zunächst auch nicht durch die Kritik der Europäi­ schen Union und deren Mitgliedstaaten sowie die Einleitung eines Vertragsverlet­ zungsverfahrens und Androhung des Stimmrechtsverlusts nach Art. 7 EUV davon abhalten lassen, die Verfassungsnovelle zu verabschieden, ‚Umstrittene Verfassungs­ änderung: EU-Kommission droht Ungarn mit Verfahren‘ Süddeutsche Zeitung (17.  April 2013) . Erst im September 2013 wurden die kritisierten Passagen der 4. Verfassungsnovelle durch eine 5. Verfassungsnovelle

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haben diese außerrechtlichen Sanktionen nicht immer eine mit den Folgen eines Rechtsverstoßes vergleichbare Wirkung auf Staaten. Manche Staaten lassen sich nicht von internationaler diplomatischer Kritik beeindrucken, während andere sich diplomatischem oder wirtschaftlichem Druck beu­ gen.569 Hier wird durch die Beurteilung der Sanktionswirkung von Reak­ tionen auf außerrechtliches Fehlverhalten ein Wertungsspielraum eröffnet, welcher dem Konsensprinzip als Grundpfeiler des Völkerrechts570 zuwider läuft. Zudem können die evolvierenden Erscheinungsformen zur Festsetzung von Verhaltensvorgaben auch im bestehenden Rahmen der Rechtsquellen des Völkerrechts hinreichend berücksichtigt werden. Formalismus ist im Völkerrecht entscheidend, um ihm eine Kontur zu geben. Er dient nicht dem bloßen Selbstzweck, sondern gewährleistet Rechtssicherheit und damit Funktionalität. Eine Erweiterung des Rechtsquellenkanons des Art. 38 IGHStatut, etwa um soft law als eigenständiger Rechtsquelle, hat sich bislang in der Völkerrechtswissenschaft daher zutreffend nicht durchgesetzt.571 Es lässt sich demnach festhalten, dass soft law derzeit allein Indizwirkung für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht hat, indem es die Rechts­ überzeugung der an seiner Entstehung beteiligten Staaten widerspiegelt. b) Wichtige soft law Instrumente der internationalen Katastrophenhilfe Zentrale soft law Dokumente für das IDRL bilden zum einen die Resolu­ tionen der UN-Generalversammlung sowie des ECOSOC.572 Insbesondere die Resolution 46 / 182 vom 19.  Dezember 1991 ist von ihrer Konzeption her mit Resolutionen in anderen Bereichen des Völkerrechts zu vergleichen, abgeändert, Spengler/Friedrich, Länderbericht: Fünfte Verfassungsänderung in Un­ garn verabschiedet, Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. (24.  September 2013) . 569  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 225. 570  Lefkowitz, The Sources of International Law: Some Philosophical Reflections (2010), 199. 571  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 223. Eine Ausnahme bilden einseitige Akte, die als Rechtsquelle anerkannt sind, sofern sie nicht zu Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals eines Rechtsnorm vorgenommen werden oder schon mittelbar in Art 38 Abs. 1 lit. a oder b IGH-Statut erfasst werden, Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  141. 572  Siehe hierzu ausführlich Teil  1, Kapitel  A., Abschnitt I.6.b), vgl. z. B. die jüngste Resolution der UNGA zur Katastrophenhilfe UNGA, Res 67/231, v. 21. De­ zember 2012, UN Doc. A/RES/67/231, sowie die als UN-Grundlagenresolution für das Katastrophenhilfevölkerrecht angesehene Resolution UNGA, Res 46/182 (19.  Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182.



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 155

die für diese Bereiche entscheidende Nachweise von Staatenpraxis darstel­ len.573 Seitens der UN zu nennen sind zudem die Hyogo Declaration on Disaster Reduction574 und das Hyogo Framework for Action575, die von allen 168 teilnehmenden UN-Mitgliedstaaten576 auf der Weltkonferenz zur Reduktion von Katastrophen577 verabschiedet wurden.578 Mit dem Einsatz von militärischen Mitteln und Mitteln des Zivilschutzes setzen sich die Guidelines on the Use of Military and Civil Defense Assets in Disaster 573  Siehe z. B. die UNGA, Res 1962 (XVIII) [Declaration of Legal Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space], v. 13.  Dezember 1963, siehe hierzu auch Shaw, International Law (2008), 116. Die Resolution 46/182 enthält in ihrem Titel zwar nicht die Formulierung „Declaration“ oder einen vergleichbaren Hinweis auf ihren Inhalt, jedoch werden sogar weit aus­ führlicher als in Res 1962 (XVIII) grundlegende Prinzipien festgelegt. 574  United Nations World Conference on Disaster Reduction, ‚Hyogo Declara­ tion‘ (16.  März 2005) Resolution 1, Auszug aus dem Abschlussbericht der World Conference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6. Es handelt sich hierbei um eine Absichtserklärung zur verstärkten internationalen Zusammenarbeit in ver­ schiedenen Bereichen der Katastrophenhilfe, insbesondere der Risikoreduzierung sowie des Kapazitätsaufbaus in besonders katastrophenanfälligen Ländern. 575  United Nations World Conference on Disaster Reduction, ‚Hyogo Framework for Action 2005–2015: Building the Resilience of Nations and Communities to Di­ sasters‘ (16.  März 2005) Resolution 2, Auszug aus dem Abschlussbericht der World Conference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6. Das Hyogo Framework for Action hat den Ansatz, sich von der ausschließlichen Fokussierung auf die reak­ tive Katastrophenhilfe hin zu einem gesamtheitlichen Ansatz zu entfernen, indem auch die Risikoreduktion sowie Katastrophenvorsorge und -vorbereitung in den Blick genommen werden. 576  Eine Liste der beteiligten Staaten, Internationalen Organisationen, Nichtregie­ rungsorganisationen und Pressevertretern ist aufgestellt in ‚World Conference on Disaster Reduction, Kobe, Hyogo, Japan 18–22 January 2005: List of participants‘ (22.  Januar 2005) UN Doc. A/CONF.206/INF.3. Nicht beteiligt waren Bahrain, Bir­ ma, Gabun, Gambia, Guyana, Guinea, Katar, Laos, Libyen, Liechtenstein, Malawi, Moldawien, Nauru, Niger, Nordkorea, Ruanda, San Marino, Sao Tomé und Principe, Saudi-Arabien, Sierra Leone, Slowakai, Suriname, Togo, Turkmenistan und Vanuatu. 577  World Conference on Disaster Reduction  – WCDR. 578  Die Konferenz wurde durch die UN-Generalversammlung einberufen (UNGA, Res 58/214, v. 27.  Februar 2004, UN Doc. A/RES/58/214, Abs. 7). Ziel sollte es sein, den seit 1994 erreichten Acquis der Bemühungen zur Reduzierung von Kata­ strophenrisiken zu evaluieren und Pläne für die nächsten zehn Jahre zu machen. Als Sekretariat für die Konferenz wurde das Sekretariat der International Strategy for Disaster Reduction eingesetzt. Die WCDR selbst bestand aus drei Segmenten, einem intergouvernementalem, einem thematischen und einem öffentlichen Forum. Am intergouvernmentalen Segment nahmen Delegationen aus 160 UN-Mitgliedstaaten teil, die generelle Äußerungen zur Katastrophenminimierung machten und die Er­ gebnisdokumente der WCDR verabschiedeten. Siehe hierzu World Conference on Disaster Reduction, Brief history of the WCDR process, .

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Relief auseinander.579 Sie wurden ursprünglich von den Vereinten Nationen ausgearbeitet, 1994 dann auf einer internationalen Konferenz verabschiedet und 2006 erneuert.580 Die Model Rules for Relief Operations des UNAusbildungs- und Forschungsinstituts581 geben Staaten Empfehlungen, wie bilaterale zwischenstaatliche Hilfsabkommen zwischen Staaten und Organi­ sationen formuliert werden können.582 Ebenfalls unter den Begriff des soft law fallen die Resolutionen der In­ ternationalen Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes.583 Eine 579  OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007) . 580  Fisher, The Law of International Disaster Response: Overview and Ramifica­ tions for Military Actors, in: Carsten (Hrsg.), Global legal challenges. Command of the Commons, Strategic Communications and Natural Disasters (2008), 19.  Kapitel, 308. 581  United Nations Institute for Training and Research  – UNITAR. 582  UNITAR Model Rules for Disaster Relief Operations. 583  Die Internationale Konferenz ist das höchste Beratungsorgan der Internationa­ len Bewegung des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes (IBRK), siehe Art. 8 des Statute of the International Red Cross and Red Crescent Movement, angenommen von der 25. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Oktober 1986, geändert von der 26. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Dezem­ ber 1995 und von der 29. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Juni 2006, abgedruckt in IKRK/IFRK, Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 14. Aufl. 2008, S. 517–534 (2008), (IBRK-Statut). Sie setzt sich aus Delegationen der Nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmon­ des, dem IKRK, der IFRK sowie allen Vertragsparteien der Genfer Konventionen zusammen, denen allen jeweils gleiche Stimmrechte zukommen, Art. 9 Abs. 1 und 2 IBRK-Statut. Die Delegationen der Komponenten der IBRK sind im Rat der Dele­ gierten des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes zusammengefasst. Die Aufgabe der Internationalen Konferenz besteht darin, die Internationale Rotkreuz-Bewegung zusammenzuhalten sowie zur internationalen Beachtung und Entwicklung des Hu­ manitären Völkerrechts beizutragen (Art. 10 Abs. 1 und 2 IBRK-Satut). Allein die Internationale Konferenz kann die Statuten und Verfahrensregeln der IBRK ändern, Art. 10 Abs. 3 IBRK-Statut. Die Beschlüsse werden mit Konsens verabschiedet oder, wenn sich dieser nicht erzielen lässt, mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Kom­ ponenten der IBRK sowie der Vertragsparteien der Genfer Konventionen, Art. 11 Abs. 7 IBRK-Statut i. V. m. Rule 14 der Rules of Procedure of the International Red Cross and Red Crescent Movement angenommen von der 25. Internationalen Kon­ ferenz des Roten Kreuzes in Genf, Oktober 1986, geändert von der 26. Internatio­ nalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Dezember 1995 und von der 29. In­ ternationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Juni 2006 (Rules of Procedure). Resolutionen werden im Konsens, d. h. unter Abwesenheit von Gegenstimmen, oder mit einfacher Mehr­ heit der anwesenden und abstimmenden Teilnehmer der Internationalen Konferenz angeneommen, Rule 19 der Rules of Procedure. Zur Bedeutung der Internationalen



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erste wichtige Resolution war die Resolution über Measures to Expedite International Relief.584 Von Bedeutung für die praktische Durchführung von Katastrophenhilfe ist ferner der von der Internationalen Konferenz des Ro­ ten Kreuzes und Roten Halbmondes verabschiedete Verhaltenskodex, der für die Internationale Bewegung des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes und Nichtregierungsorganisationen gilt.585 Daneben hat der Rat der Dele­ gierten des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes 2001 eine Resolution verabschiedet, mit der das Programm International Disaster Response Laws, Rules and Principles (IDRL) ins Leben gerufen wurde, um zu untersuchen, wie rechtliche Rahmenvorgaben die effektive Erbringung von Katastrophen­ schutzmaßnahmen erleichtern können.586 Im Rahmen dieses Programmes wurden 2007 auf Grundlage der durchgeführten Untersuchungen die Guide­ lines for the domestic facilitation and regulation of international disaster relief and initial recovery assistance von den Vertragsparteien der Genfer Konventionen sowie den drei Einheiten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung einstimmig verabschiedet.587 Die UN-Generalver­ sammlung hat die Staatengemeinschaft 2009 in drei Resolutionen aufgefor­ dert, die Richtlinien umzusetzen.588 Das Interesse der Staatengemeinschaft Konferenz für das Katastropenhilfevölkerrecht siehe IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 56. 584  Measures to Expedite International Relief, 23rd International Conference of the Red Cross and Red Crescent (Bukarest, 1977), abgedruckt in Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 811-15 (3. Aufl.1994). 585  26th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, Code of Conduct for the International Red Cross and Red Crescent Movement and NonGovernmental Organizations in Disaster Relief, Document 95/C.II/2/1 (3.–7.  De­ zember 1995). 586  Rat der Delegierten des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, Resolution 5: International Disaster Response Law (November 2001), Abs. 1. Ziel dieses Program­ mes ist die Förderung der Kooperation zwischen IFRK, den 186 Nationalen Gesell­ schaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes sowie dem IKRK zur Entwick­ lung, Verbesserung und tatsächlichen Anwendung des Katastrophenhilfevölkerrechts, indem die diesbezüglich existierenden Regelungswerke gesichtet, zusammengestellt und evaluiert werden sollen. Dies soll den Nationalstaaten die Umsetzung von recht­ lichen Aspekten der internationaler Katastrophenhilfe in ihre nationalen Gesetze ermöglichen. 587  Adoption of the Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, Resolution 4, 30th International Conference of the Red Cross and Red Crescent (Genf, 26.–30. Novem­ ber 2007). 588  Strengthening emergency relief, rehabilitation, reconstruction and prevention in the aftermath of the Indian Ocean tsunami disaster, Resolution v. 3.  März 2009, UN Doc. A/RES/63/137; Strengthening of the coordination of emergency humanita­ rian assistance of the United Nations, Resolution v. 5.  März 2009, UN Doc. A/ RES/63/139; International cooperation on humanitarian assistance in the field of

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an den IFRK-Guidelines ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Die große Bedeutung der IFRK für den Bereich des Katastrophenhilfevölker­ rechts und insbesondere der Guidelines ist allgemein anerkannt.589 Nach eigenen Angaben der IFRK haben bereits zahlreiche Länder die Guidelines in nationales Recht umgesetzt bzw. überprüfen den bestehenden nationalen legislativen Rahmen für den Katastrophenschutz auf seine Kompatibilität mit den Guidelines.590 2011 wurden die Richtlinien um den Model Act for the Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, d. h. eine Art Modellgesetz, ergänzt, das Staaten die Umsetzung der Guidelines von 2007 erleichtern soll bzw. als Vorlage für ein nationales Katastrophenschutzgesetz dienen kann.591 Das Modellgesetz enthält insbesondere zahlreiche Vorschriften zur Durchführung internationa­ ler Katastrophenhilfe in Form von Zollbestimmungen, Erleichterungen der Einfuhrregelungen und des Transports von Hilfsgütern sowie Verhaltensvor­ haben für Hilfspersonal. Auch regional gibt es viele soft law Instrumente. Zu nennen sind in ­Asien die verschiedenen Resolutionen von Regionalorganisationen wie der ASEAN und SAARC.592 Exemplarisch für den afrikanischen Raum sind Resolutio­ natural disasters, from relief to development, Resolution v. 10. März 2009, UN Doc. A/RES/63/141. 589  UNGA, Res 63/139, v. 11.  Dezember 2008, UN Doc. A/RES/63/139, Abs. 8; UNGA, Res 63/137, v. 11.  Dezember 2008, UN Doc. A/RES/63/137, Abs. 6. 590  Finnland, Indonesien, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Panama, Peru, die Philippinen und die USA haben auf Grundlage der Guidelines neue Gesetze geschaffen. Den bestehenden gesetzgeberischen Rahmen überprüfen (darüber hin­ aus) z. B. in Afrika Mosambik, Namibia, Sierra Leone und Uganda; in Südamerika Haiti, Kolumbien und Peru; in Asien Kambodscha, Laos, Nepal, Pakistan, Vanuatu und Vietnam; in Europa Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Ka­ sachstan, die Niederlande, Norwegen, Österreich und Tadschikistan, Background report: Progress in the implementation of the Guidelines for the Domestic Facilita­ tion and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance. Document prepared by the International Federation of the Red Cross and Red Cres­ cent Societies in consultation with the International Committee of the Red Cross, 31st International Conference of the Red Cross and Red Crescent (Genf, 28.  No­ vember–1.  Dezember 2011), 1, 5. Siehe dazu auch die Äußerung des Beobachters der IFRK in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25 Rdnr.  45. 591  IFRK, Model Act for the Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, Pilot Version 2011, http://www.ifrc.org/Page Files/88609/Pilot %20Model %20Act %20on %20IDRL %20(English).pdf. 592  Z. B. ASEAN Committee on Disaster Management, ASEAN Declaration on Mutual Assistance on Natural Disasters, v. 26.  Juni 1976; Special ASEAN Leaders’ Meeting on Aftermath of Earthquake and Tsunami, Declaration on Action to Strengthen Emergency Relief, Rehabilitation, Reconstruction and Prevention on the Aftermath of Earthquake and Tsunami Disaster of 26 December 2004, v. 6.  Januar



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nen der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) und der Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten593 zu nennen.594 In Amerika beschäftigt sich z. B. die Organisation Amerikanischer Staaten595 in Resolutionen mit Katastrophenhilfe. Ihre Mitgliedstaaten haben 2012 in einer Resolution596 den Inter-American Plan for Disaster Prevention and Response and the Coordination of Humanitarian Assistance597 angenommen, dessen Umsetzung der freiwilligen Entscheidung der Mitgliedstaaten über­ lassen wird. In Südamerika wurde das Andenkomitee zur Katastrophenver­ meidung und -hilfe (CAPRADE) gegründet, das Diskussionsentwürfe zu Fragen der gegenseitigen Katastrophenhilfe ausarbeitet.598 In der Karibik hat die Vereinigung karibischer Staaten599 ein Abkommen zur regionalen Kooperation bei Naturkatastrophen verabschiedet, das noch nicht in Kraft getreten ist und damit derzeit noch den Status von soft law einnimmt.600 In Europa sind als soft law Dokumente z. B. die Mitteilungen der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat im Rahmen des Europäischen Zivilschutzmechanismus zu nennen.601 2005; SAARC, Comprehensive Framework on Disaster Management, v. 2005. Das SAARC-Agreement wurde bislang erst von Indien ratifziert (South Asian Associa­ tion for Regional Cooperation, India ratifies the Agreement on Natural Disasters (21.  August 2012), ) und tritt gemäß Art. XXI erst nach der achten Ra­ tifzierung in Kraft. 593  Economic Community of West African States  – ECOWAS. 594  ECOWAS/Humanitarian Affairs Department, ‚ECOWAS Policy for Disaster Risk Reduction‘ (2006) ; IGAD, ‚IGAD’S Regional Perspective in Disaster Risk Reduction‘, . Siehe zu anderen regionalen Aktivitäten in Afrika IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 62. 595  Organization of American States  – OAS. 596  OAS General Assembly, Existing mechanisms for disaster prevention and response and humanitarian assistance among the member states, v. 4. Juni 2012, AG/ RES.2750 (XLII-0/12). 597  OAS, Matriz general de „Plan interamericano para la prevención, la atención de los desastres y la coordinación de la asistencia humanitaria“, v. 9.  Mai 2012, OEA/Ser.W/IV, CEPCIDI/1053/12. 598  Andean Council of Foreign Ministers, Creation of the Andean Committee for Disaster Prevention and Care (CAPRADE), Decision 529 . 599  Association of Caribbean States  –ACS.  600  Agreement between Member States and Associate Members of the Associa­ tion of Caribbean States for Regional Cooperation on Natural Disasters, v. 17. April 1999, ACS/2012/DRR.20/INF.010. 601  Europäische Kommission, Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat  – Stärkung der Katastrophenabwehrkapazitäten

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c) Private Rechtsetzung als soft law? Teilweise wird auch argumentiert, private Rechtsetzung unter den Begriff des soft law zu fassen und ihr damit auch Indizwirkung bei der Feststellung von Völkergewohnheitsrecht zuzusprechen.602 Die Beantwortung dieser Frage ist für das Katastrophenhilfevölkerrecht besonders relevant, da in diesem Bereich insbesondere Private, wie z. B. Nichtregierungsorganisatio­ nen, die Entwicklung prägen. Als Beispiel für ein von Privaten ausgearbei­ tetes Regelungsinstrument ist das Sphere Handbuch mit der Humanitarian Charta and Minimum Standards in Humanitarian Response des Sphere Projects, einer internationalen freiwilligen Initiative bestehend aus 18 NGOs, das Prinzipien und Mindeststandards für die praktische Durchführung von Katastrophenhilfe enthält.603 Die Anerkennung privater Bemühungen zur Ausarbeitung von Verhaltensgrundsätzen als soft law ist insofern kritisch zu würdigen, als dass der Geltungsgrund des Völkerrechts darin besteht, dass sich Staaten dem von ihnen gesetzten oder zumindest mehrheitlich mitbe­ einflussten Recht unterwerfen. Staaten sind damit zugleich die alleinigen Rechtssetzer und Rechtsunterworfenen. Allerdings kann es als soft law gelten, wenn Rechtsetzungsprozesse von Völkerrechtssubjekten durch Priva­ te beeinflusst oder von diesen mitgetragen werden. Private, insbesondere Nichtregierungsorganisationen, verfügen in den Bereichen, auf die sie sich spezialisiert haben, regelmäßig über detailliertes Expertenwissen. Auch bei der Ermittlung von Sachverhalten kommt ihnen eine wichtige Rolle zu, da sie in alle Regel neutral und unabhängig arbeiten und flexibler als von Staaten entsandte Beobachtermissionen Fakten sammeln können.604 Dadurch der Europäischen Union, v. 5.  März 2008, KOM (2008) 130 endg.; Europäische Kommission, Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parla­ ment und den Rat  – Auf dem Weg zu einer verstärkten europäischen Katastrophen­ abwehr: Die Rolle von Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe (Text von Bedeu­ tung für den EWR), v. 26.  Oktober 2010, KOM (2010) 600 endg. 602  Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem  – dort im Ergebnis abgelehn­ ten  – Ansatz bietet Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehr­ ebenensystem (2010), 212. 603  The Sphere Project, Humanitarian Charter and Minimum Standards in Huma­ nitarian Response (2011) . 604  Zur Bedeutung von NGOs bei der Faktenermittlung siehe Montgomery, FactFinding by Human Rights Non-Governmental Organizations: Challenges, Strategies, and the Shaping of Archival Evidence, 58 Archivaria (2004), 22 ff. Welche wichtige Rolle Nichtregierungsorganisationen spielen zeigt auch das Beispiel Syrien 2013. Russland hat die Arbeitsergebnisse der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen als „subjektiv gefärbt“ bezeichnet, Journalisten konnten aus Sicherheits­ gründen nicht umfassend in Syrien recherchieren. Die investigative Lücke wurde dann durch Nichtregierungsorganisationen gefüllt, insbesondere durch die Organisa­ tion Human Rights Watch, die bereits sechs Tage vor den Vereinten Nationen ihren



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haben Staaten und sonstige Völkerrechtssubjekte durchaus auch ein Bedürf­ nis, den Auffassungen Privater Beachtung zu schenken.605 Dies gilt z. B. für internationale Konferenzen, an denen neben Staaten auch Nichtregierungs­ organisationen und private Vereine teilnehmen.606 Ein Beispiel für eine ständige gemischte internationale Konferenz ist die Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, an der neben den Vertragspar­ teien der Genfer Konventionen auch die nationalen Gesellschaften des Ro­ ten Kreuzes und Roten Halbmondes teilnehmen. Eine weitere beachtenswer­ te gemischte Konferenz war auch die World Conference on Disaster Reduc­ tion.607 Die Konstellation der inhaltlichen Mitbeeinflussung durch Private stellt insofern keine Besonderheit dar, als in diesem Fall das erarbeitete Dokument allein von den oder dem beteiligten Hoheitsträger verabschiedet wird und die Art und Weise, wie die Völkerrechtssubjekte den theoretischen Hintergrund für die Entschließung akquirieren, in ihrem eigenen Ermessen steht. Problematisch kann es lediglich werden, wenn sich die Völkerrechts­ subjekte in ihrer Entscheidungsfindung allein auf die Einschätzung Privater verlassen. Das erarbeitete Dokument muss den Völkerrechtssubjekten in jedem Fall noch zurechenbar sein.608 Indes ist von einem formalen Stand­ punkt aus zu konstatieren, dass die inhaltliche Akzeptanz, das Dokument als selbstgeschaffene Entschließung für und gegen sich gelten zu lassen, allein aus der Zustimmung der Völkerrechtssubjekte zu dem Dokument folgt. Diesbezüglich kann der in Art. 11 ARS zum Ausdruck gebrachte Rechtsge­ danke utilisiert werden: Danach ist ein Verhalten Staaten jedenfalls dann zuzurechnen, wenn sie dieses Verhalten als eigenes Verhalten anerkennen und annehmen. Übertragen auf Regelungsinstrumente sind diese einem eigenen Untersuchungsabschlussbericht veröffentlichte, der in den Medien weltweit große Aufmerksamkeit erfuhr. Die Berichte von Human Rights Watch werden von Juristen, Journalisten und Fachexperten angefertigt und muss hohen Qualitätsanfor­ derungen genpgen, was ihre Glaubwürdigkeit stärkt. Siehe hierzu Bohlen, ‚In Syria, Advocates Step in to Sift for Truth‘ The New York Times (27.  September 2013) . 605  Zur wachsenden Einbeziehung nicht nur Internationaler Organisationen, son­ dern auch Privater in den Rechtsetzungsprozess Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 217 ff. 606  Knauff nennt auch das Beispiel des Atomausstiegs Deutschlands 2002, dem der Atomkonsens zwischen der Bundesregierung und den betroffenen Energieversor­ gungsunternehmen vorausgegangen ist, Besson, Theorizing the Sources of Interna­ tional Law (2010), 167. Ein weiteres Beispiel für Einflußnahme Privater auf die Rechtsetzung sind z. B. auch der Entstehungsprozess des Leistungsschutzrechts (Einflußnahme durch Google) oder auch die Empfehlungen des Ethikrates. 607  Siehe oben Fn. 578. 608  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 218 f.

162 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Staat folglich immer dann zurechenbar, wenn er sie  – etwa durch sein Ab­ stimmungsverhalten auf der Konferenz  – anerkennt und annimmt. In der Situation, in der das erarbeitete Dokument von Privaten und Völkerrechts­ subjekten zugleich getragen wird, kann nichts anderes gelten. Die Annahme des Regelungsinstruments durch zumindest zwei Staaten oder eine interna­ tionale Organisation begründet die Zurechnung. Darauf, in welchem Um­ fang die zustimmenden Völkerrechtssubjekte am Entstehungsprozess nicht nur formal mitgewirkt haben, sondern z. B. auch in der Ausarbeitungsphase entscheidend zur Diskussion beigetragen haben und dieser Beitrag sich auch noch im finalen Dokument niederschlägt, kommt es nicht an.609 Die Mit­ wirkung Privater kann dann bei der Auslegung des Dokuments eine Rolle spielen, beeinflusst dessen Charakter als soft law aber nicht. 5. Zwischenfazit Das Katastrophenschutzvölkerrecht stellt die Analyse seines potentiellen völkergewohnheitsrechtlichen Bestandes vor zwei Herausforderungen. Zwar mehrt sich die absolute Zahl von Großkatastrophen weltweit. Die Fälle, in denen nationale Katastrophen aber internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Staatengemeinschaft zu Äußerungen bezüglich der Katastro­ phe sowie zu (Rechts)einschätzungen der Situation verleiten, sind indes überschaubar. Fallstudien zur Ermittlung der Praxis sind daher nur bedingt aussagekräftig, um als Beweis für eine generelle Praxis herangezogen zu werden. Schwer wiegt auch, dass die Notwendigkeit, internationale Katast­ rophenhilfe in einen rechtlichen Rahmen einzubetten, erst seit wenigen Jahren Beachtung erfährt.610 Dadurch fällt die Differenzierung zwischen dem objektiven Element der Übung und dem subjektiven Element der An­ erkennung der Übung als Ausdruck einer Rechtspflicht schwer: Es gilt bei der Feststellung der Rechtsüberzeugung zu überprüfen, ob ein Staat gerade mit Rücksicht auf eine Rechtspflicht fremde Hilfe erlaubt, geduldet oder geleistet hat. Denkbar ist, dass Katastrophenhilfe allein faktisch aus Cour­ toisie (Völkersitte, comitas gentium), internationaler Moral oder in Befol­ gung einer mit limitierter normativer Ausstrahlungswirkung anerkannten Sollensvorgabe des soft law erbracht wird, nicht aus opinio iuris.611 Auch 609  So im Ergebnis auch Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem (2010), 219 f. der von der Möglichkeit der „ ‚gespaltenen‘ Natur“ solcher Dokumente spricht, d. h. eine Verbindlichkeit für Hoheitsträger im Sinne der soft law Definition zulässt, wenn die Staaten dies  – zum Ausdruck gebracht durch ihre Zustimmung  – beabsichtigt haben. 610  Siehe oben Teil  1, Kapitel A., Abschnitt II. 611  Matz-Lück, Solidarität, Souveränität und Völkerrecht: Grundzüge einer inter­ nationalen Solidargemeinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen (2012), 154.



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 

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können die Gründe für unterlassene Hilfeleistung vielfältig sein und nicht nur auf fehlender Rechtsüberzeugung beruhen.612 Dies erschwert die Fest­ stellung des Zeitpunktes, in dem gewünschte Sollensvorgaben zu rechtlichen Verhaltenspflichten transformieren und damit als Völkergewohnheitsrecht gelten. Im Kern muss die Ermittlung von Gewohnheitsrecht somit gerade für das IDRL zum großen Teil  Wertungsfrage sein.613

III. Von den Kulturvölkern anerkannte allgemeine ­Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut) Allgemeine Rechtsgrundsätze werden auch als „überstaatliches Gemeinrecht“614 bezeichnet. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz liegt vor, wenn er in der Gesamtheit der Kultur- und Rechtskreise angewandt wird.615 Praktisch handelt es sich bei allgemeinen Rechtsgrundsätzen in aller Regel um Grundsätze zu gerichtlichen Verfahren, wie z. B. Beweisgrundsätze, Prozessregeln und Regeln zum Verfahrensablauf sowie Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben und Ansätze zur Ausgestaltung des Privatrechts.616 Es muss sich um Grundsätze handeln, die der gesamten Rechtsordnung zu Grunde liegen und sie durchziehen. Zur Regelung des zwischenstaatlichen Umgangs mit Katastrophen haben allgemeine Rechts­ grundsätze der nationalen Rechtsordnung derzeit keine Relevanz. Nationale Regelungen zum Katastrophenschutzrecht sind allein im Rahmen der Fest­ stellung von Gewohnheitsrecht als Nachweis für Staatenpraxis oder opinio iuris bedeutsam. Selbst wenn sich in diesem Zusammenhang bereits be­ stimmte Grundprinzipien in einer Vielzahl von Staaten herausgebildet hät­ ten, so betreffen sie nur einen Teilbereich des nationalen Rechtsrahmens. 612  Saechao, Natural Disasters and the Responsibility to Protect: From Chaos to Clarity, 32 Brook. J. Int’l. L (2007), 663 (679). 613  Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts, in: Vitz­ thum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht (5. Aufl. 2010), 1, ‚ unter Verweis auf Bernhardt, Customary International Law, in EPIL I (Gedruckte Ausgabe 1992), 898 (900 f.). Siehe hierzu auch Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  236, der schreibt: „[…] law in general, and international law in par­ ticular, is more ‚art‘ (ars juris) than a hard science, and that it calls for more an esprit de finesse than for an esprit de géométrie, and […] discovering a customary rule clearly is a typical matter where sensitivity and wise intuition unavoidably play a part (…).“ 614  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 64. 615  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 65. 616  Shaw, International Law (2008), 100, 103.

164 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

Sie können daher nicht als Fundament einer nationalen Rechtsordnung an­ gesehen und somit nicht im Rahmen von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut angewendet werden.

IV. Richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler als Hilfsmittel für die Feststellung von Rechtsnormen (Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut) Die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler wird in Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut als Hilfsquelle zur Ermittlung von Völkerrecht aufgeführt. In der Praxis des IGH wird nur höchst ausnahmsweise auf einzelne Autoren rekur­ riert.617 Demgegenüber stützt sich der IGH aber zum Nachweis für die Exis­ tenz von Völkergewohnheitsrecht zunehmend häufig auf die Arbeit der ILC, die als Juristenvereinigung ebenfalls unter Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut zu subsumieren ist. Der IGH hat in vergangenen Urteilen regelmäßig auf von der ILC ausgearbeitete Entwürfe, Ergebnisse, in den ILC-Jahrbüchern abge­ druckten Diskussionen sowie die Kommentare der jeweiligen Sonderbericht­ erstatter Bezug genommen.618 Die ILC wurde 1947 von der UN-Generalver­ sammlung ins Leben gerufen.619 Sie besteht aus 34 nach einem geographi­ schen Schlüssel620 sowie ihrer juristischen Kompetenz ausgewählten Völker­ rechtlern, zu denen u. a. Rechtsberater der Regierungen gehören.621 Sie sollen die in Art. 13 Abs. 1 lit. a  UN-Charta enthaltenen Zielvorgaben umsetzen, wonach die Generalversammlung Untersuchungen veranlasst und Empfeh­ lungen abgibt, „um (…) die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts sowie seine Kodifizierung zu begünstigen.“ Nach Art. 1 Abs. 1 des ILC-Sta­ tuts622 von 1947 ist deren Aufgabe die Förderung der progressiven Entwick­ 617  Peil hat erforscht, dass der IGH  – Stand 2012  – nur in 22 von 139 Urteilen Bezug auf die fähigsten Völkerrechtler genommen hat, Peil, Scholarly Writings as a Source of Law: A Survey of the Use of Doctrine of the International Court of Jus­ tice, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012), 136 (143, 151). Siehe auch Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr.  336. 618  Pellet, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 339; Peil, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012), 152. 619  UNGA, Res 174 (II) (21.  November 1947). 620  UNGA, Res 36/39, v. 18.  November 1981, Abs. 1. 621  Shaw, International Law (2008), 121. 622  Statute of the International Law Commission (1947), angenommen in UNGA Res 174 (II) (21.  November 1947), zuletzt geändert in UNGA Res. 36/39 (18.  No­ vember 1981).



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 

165

lung des internationalen Rechts sowie dessen Kodifikation. Gemäß Art. 15 ILC-Statut sollen Entwurfs-Konventionen für Themenkomplexe erstellt wer­ den, die bisher noch nicht durch das Völkerrecht geregelt wurden oder in denen sich das Recht auf Grundlage der Staatenpraxis noch nicht hinreichend entwickelt hat. Darüber hinaus sollen Regeln des internationalen Rechts in Bereichen, in denen es bereits extensive Staatenpraxis, Präzedenzfälle und Lehrmeinungen gibt, präzise zusammengefasst und systematisiert werden. In der Spruchpraxis des IGH (Urteile und Gutachten) entfielen, einer Untersu­ chung des Juristen Peil zufolge, von den dort enthaltenen insgesamt 59 Ver­ weisen auf die fähigsten Völkerrechtler 45 auf die ILC; berücksichtigt man neben den Urteilen und Gutachten die abweichenden oder gesonderten Mei­ nungen und Anordnungen, so bestanden 10 % aller dort enthaltenen Verweise auf die Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler in Verweisen auf Arbei­ ten der ILC.623 Die häufigen Referenzen auf die ILC lassen sich auch damit rechtfertigen, dass die ILC in der Vergangenheit die Vorarbeiten für eine Vielzahl wichtiger Konventionen geleistet hat, z. B. hinsichtlich der diploma­ tischen und konsularischen Beziehungen und dem Vertragsrecht.624 Im Hinblick auf das internationale Katastrophenhilfevölkerrecht ist bei der Einbeziehung der Arbeit der ILC zu beachten, dass bei deren Arbeit an den Entwurfsartikeln zum Schutz von Personen im Katastrophenfall die progressive Entwicklung des Völkerrechts im Vordergrund steht, wobei Überschneidungen mit der Feststellung und Kodifikation bestehenden Rechts nicht auszuschließen sind. Die ILC sieht es als besondere Heraus­ forderung an, eine überzeugende Balance zwischen lex lata und lex ferenda zu finden. Vor diesem Hintergrund ist ein vorsichtiger Umgang bei der Einbeziehung der ILC-Arbeitsergebnisse in Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut geboten. Die Erforschung von lex ferenda steht der Zitierfähigkeit oder Relevanz der ILC als Zusammenschluss fähigster Völkerrechtler dabei nicht per se entgegen, da die Forderung nach der Fortentwicklung des Völker­ rechts bislang zumindest bereits in den Sondermeinungen einzelner Richter vertreten wird und dazu Bezug auf progressiv denkende fähige Völkerrecht­ ler  – wie es auch die ILC nach ihrem statuarischen Selbstverständnis ist  – genommen wurde.625 Unter Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut fallen neben der ILC auch die Ar­ beitsergebnisse von angesehenen Juristenvereinigungen, wie z. B. das Insti­ 623  384 Verweise von insgesamt 3857 Verweisen, Peil, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012), 152. 624  Shaw, International Law (2008), 120. 625  Darauf weist Peil mit Verweis auf die Sondermeinung des Richters Trinidade im Rahmen der Interpretationsanfrage zum Preah Vihear Urteil hin, Peil, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012), 152.

166 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

tut de Droit International (IDI), die International Law Association (ILA) und das American Law Institute (ALI).626 Von den laut Peil erfolgten 3857 Verweisen auf die fähigsten Völkerrechtler in Urteilen, Gutachten, abwei­ chenden oder gesonderten Meinungen und Anordnungen des IGH entfielen 85 Verweise auf das IDI und 16 auf das ALI.627 Als Beispiel für die Be­ schäftigung der ILA mit internationaler Katastrophenhilfe ist das von Bothe entwickelte Projet d’accord-type relatif aux actions de secours humanitaires zu nennen.628 2003 hat das Institut de Droit International während der Sit­ zung in Brügge eine Resolution über humanitäre Hilfe verabschiedet.629 Auch das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht hat sich im Auftrag der deutschen Regierung 1990 mit der in­ ternationalen Katastrophenhilfe beschäftigt und die von Macalister-Smith vorbereiteten Draft International Guidelines for Humanitarian Assistance Operations630 veröffentlicht.631 Zu nennen sind auch die Guidelines des UN Inter-Agency Standing Committee632 über den Schutz von Personen in Ka­ tastrophenfällen. Sie wurden gemeinsam mit der Brooking Institution, einem unabhängigen Think Tank, sowie der Universität Bern unter Mitarbeit von Wissenschaftlern und UN-Spezialisten ausgearbeitet.633 Das Internationale Rote Kreuz und seine Bestandteile sind zwar keine Juristenvereinigungen im engeren Sinne, dennoch können die Arbeit des 626  Peil, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012), 156; Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  147; Shaw, International Law (2008), 121. 627  Peil, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012), 152. 628  International Law Association/Committee on International Medical and Hu­ manitarian Law, ‚Rapport spécial sur un projet d’accord-type relatif aux actions de secours humanitaires“, Report on the 58th Conference, Manila‘ (1978); International Law Association/Committee on International Medical and Humanitarian Law, ‚Rap­ port spécial sur un projet d’accord-type relatif aux actions de secours humanitaires“, Report on the 59th Conference, Belgrad‘ (1980). 629  Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 630  Macalister-Smith/Max Planck Institute for Comparative Law and International Law, Draft International Guidelines for Humanitarian Assistance Operations (1991) . 631  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), S. 60. 632  Das Komitee wurde im Anschluss an die Resolution UNGA, Res 46/182 (19. Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182 gegründet. Die UN-Generalversamm­ lung erkennt seine Rolle als primäre Institution zur Koordinierung der verschiedenen UN-Einheiten und Organisationen an, UNGA, Res 48/57 (14.  Dezember 1993) UN Doc. A/Res/48/57, Abs. 6. 633  Brookings-Bern Project on Internal Displacement, ‚Operational Guidelines on the Protection of Persons in Situations of Natural Disasters‘ (Januar 2011).



C. Rechtsverbindlichkeit der gegenseitigen Katastrophenhilfe 

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IKRK und auch der IFRK als Lehrmeinungen fähigster Völkerrechtler im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut berücksichtigt werden.634 Dem IKRK kommt nach Art. 5 Abs. 2 lit. d des Statuts der Bewegung des Inter­ nationalen Roten Kreuzes (IBRK-Statut)635 die Aufgabe zu, das Verständnis für und die Wissensvermittlung über das Humanitäre Völkerrecht zu vertie­ fen und die (Fort)entwicklung des Humanitären Völkerrechts vorzubereiten. Bei der Förderung und Entwicklung des Humanitären Völkerrechts wird das IKRK gemäß Art. 6 Abs. 4 lit. j IBRK-Statut von der IFRK unterstützt. Für das IDRL wurde speziell der IFRK vom Rat der Delegierten der Internatio­ nalen Konferenz die Aufgabe übertragen, für die Entwicklung und Verbes­ serung des Rechts der internationalen Katastrophenhilfe einzutreten, indem etwa die bestehenden Gesetze und Regelungen zusammengestellt, veröffent­ licht und auf ihre Effektivität überprüft werden.636 Die Übertragung dieser Aufgabe an die IFRK und die tatsächliche Durchführung werden von der Internationalen Konferenz unterstützt.637 Hieraus ergibt sich eine zentrale Position der IFRK für das IDRL, die ihr die intensive und fundierte Ausei­ nandersetzung mit diesem Rechtsbereich ermöglicht und sie dadurch als Referenzexpertin für das IDRL qualifiziert. Sie ist damit keine klassische Juristenvereinigung, da die Mitglieder der Nationalen Gesellschaften, aus denen sich die IFRK zusammensetzt, nicht juristisch ausgebildet sein müs­ sen. Allerdings beschäftigt sie sich intensiv mit den bestehenden rechtlichen Vorgaben auf dem Gebiet des IDRL. Aus diesem Grund erscheint es ange­ messen, die Arbeitsergebnisse der IFRK im Rahmen von Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut als Lehrmeinung einer  – für das IDRL qualifizierten  – ju­ ristenvereinigungsähnlichen Institution zu berücksichtigen.

634  Für das IKRK so auch Peil, der darauf verweist, dass in den veröffentlichten Dokumenten des IGH insgesamt 18 Mal auf das IKRK Bezug genommen wurde, Peil, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012), 152. Dem IKRK kommt damit eine Doppelrolle im Rahmen von Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut zu, einmal im Rahmen von lit. b über seine Eigenschaft als Urheber von soft law, sowie in lit. d. 635  Statute of the International Red Cross and Red Crescent Movement, ange­ nommen von der 25. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Oktober 1986, geändert von der 26. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Dezember 1995 und von der 29. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes in Genf, Juni 2006, abgedruckt in IKRK/IFRK, Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 14. Aufl. 2008, S. 517–534 (2008), . 636  Rat der Delegierten des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes, Resolution 5: International Disaster Response Law (November 2001), Abs. 1. 637  Adoption of the Declaration and Agenda for Humanitarian Action, Resolu­ tion  1, 28th International Conference of the Red Cross and Red Crescent (Genf, 2003), Abs. 3.2.1., 3.2.6.

168 1. Teil: Int. Katastrophenschutz und Entwicklung eines neuen Teilbereichs

V. Ergebnis Wie die Untersuchung in diesem Kapitel gezeigt hat, sind die Rechtsquel­ len des internationalen Katastrophenschutzvölkerrechts stark fragmentiert. In Ermangelung multilateraler Verträge stellen regionale und bilaterale Ab­ kommen die zahlenmäßig am stärksten vertretenen Regelungsinstrumente auf zwischenstaatlicher Ebene dar. Flächendeckende Mindeststandards ha­ ben sich aber auch hier nicht herausgebildet. Es muss daher auf das Völ­ kergewohnheitsrecht zurückgegriffen werden. Der völkergewohnheitsrechtli­ che Bestand des Katastrophenhilfevölkerrechts wurde bislang indes nicht analysiert. Hier ist zu konstatieren, dass insbesondere die Abgrenzung zwischen dem Handeln aus Rechtsüberzeugung oder dem Handeln aus Alt­ ruismus, Moral oder Solidarität Schwierigkeiten bereitet. Dies ist bei der Evaluation der Staatenpraxis im Bereich der Katastrophenhilfe zu berück­ sichtigen. Bei der Feststellung des völkergewohnheitsrechtlichen Bestandes des Katastrophenhilfevölkerrechts kommt der sich dynamisch stark vergrö­ ßernden Gruppe der soft law Instrumente eine entscheidende Rolle zu, da es in diesem Bereich viele umfangreiche Ansätze zur Festlegung von Ver­ haltensvorgaben gibt. Praktische Relevanz für die Ermittlung des Bestandes des Katastrophenhilfevölkerrechts haben darüber hinaus Rechtserkenntnis­ quellen in Form der Lehrmeinungen fähiger Völkerrechtler, insbesondere in Gestalt von Juristenvereinigungen wie der ILC oder mit solchen vergleich­ baren Gruppierungen wie der IFRK.

Zweiter Teil

Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe Hinsichtlich des betroffenen Staates sind vier mögliche, seine Souveräni­ tät einschränkende Pflichten auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe zu unter­ suchen: Die Pflicht, selbst Hilfe zu leisten; die Pflicht, Staaten und bzw. oder Internationalen Organisationen um Hilfe zu bitten; die Pflicht, die ef­ fektive tatsächliche Erbringung von Hilfe nicht zu ver- oder behindern so­ wie  – auf Sekundärebene  – eine Duldungspflicht bezüglich fremder Hilfe. In diesem Kapitel sollen systematisch die dogmatischen Grundlagen für die Untersuchung des Umfangs der möglichen Verhaltenspflichten des betroffe­ nen Staates dargestellt werden. Ausgangsaspekt ist hier, dass der betroffene Staat grundsätzlich die primäre Rolle bzw. Verantwortung hat, das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bevölkerung zu schützen.1 Wie weit diese Pflicht geht, hängt entscheidend davon ab, in welchem Umfang man eine Einschränkung der staatlichen Souveränität zum Schutz der Men­ schenrechte zulässt. Bei einem progressiven Verständnis erfasst sie unter Umständen auch die Pflicht zum Ersuchen um (B.I.) und die Annahme von fremdstaatlicher Hilfe (B.II.).2

1  In diesem Sinne etwa UNGA, Res 43/131, v. 17.  Dezember 1981; Art. 9 DAPPED ILC, Texts and titles of draft articles 6, 7, 8 and 9 provisionally adopted by the Drafting Committee on 6, 7 and 8 July 2010, UN Doc. A/CN.4/L.776 (14.  Juli 2010); Art. 4 United Nations World Conference on Disaster Reduction, ‚Hyogo Declaration‘ (16.  März 2005) Resolution 1, Auszug aus dem Abschlussbe­ richt der World Conference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6. 2  Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Principle: Some Further Reflections, in: Wolfrum/Kojima (Hrsg.), Solidarity: A Structural Prin­ ciple (2010), 16.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

I. Dogmatische Herleitung der Verhaltens- und Schutzpflichten des betroffenen Staates gegenüber der Bevölkerung 1. Primäre Rolle des Staates im Katastrophenfall Dass der betroffene Staat primärer Akteur im Katastrophenfall ist oder zumindest sein sollte, ist im Völkerrecht unbestritten.3 Dies leitet sich zum einen aus dem Prinzip der Souveränität ab [a)], zum anderen kann dieser Grundsatz mittlerweile als im Völkergewohnheitsrecht verankertes eigen­ ständiges Prinzip der humanitären Hilfe im Katastrophenfall klassifiziert werden [b)]. a) Herleitung aus dem Prinzip der Souveränität Aus völkerrechtlicher Perspektive wird zur Begründung der primären Rolle des betroffenen Staates im Katastrophenfall häufig auf die staatliche Souveränität rekurriert.4 Mit dem Begriff der Souveränität setzte sich im 16. Jahrhundert systematisch erstmals Bodin in seinem Werk Six Livres De La Republique auseinander und verwendete ihn als Bezeichnung für die absolute und dauerhafte Macht des Staates.5 Es ist auch im 21. Jahrhundert eine tragende Säule des Völkerrechts („Konstitutionsprinzip“6) und univer­ sell anerkannt, z. B. in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta. Dem Begriff der Souverä­ nität werden unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen. Im völkerrechtli­ chen Sinne bezeichnet er die in einem Staat geltende Gesamtheit der (zwi­ schen)staatlichen Rechte und Pflichten, die vom Völkerrecht anerkannt sind.7 Über den Begriff der Souveränität wird dem Staat nahezu unbe­ schränkte Handlungskompetenz auf seinem Staatsgebiet zugewiesen.8 In einem politischeren Sinne bringt der Begriff auch die staatliche Alleinent­ 3  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secre­ tariat‘ (11. Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590 ‚ Rdnr. 23 m. w. N. in Fn. 76. 4  ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (62nd session 2010, Protection of Persons in the Event of Diasters), v. 20.  Juli 2010, S. 10; Äu­ ßerung des malinesischen ILC-Mitglied Mr. Salifou Fomba in ILC, ‚Provisional summary record of the 3056th meeting‘ (3.  Juni 2010), S. 10; Kälin, 55 German Yearbook of International Law (2012), 143. 5  Bodin, Les six Livres de la République (Faksimiledruck der Ausgabe Paris 1583) (1961), Buch  I, Kapitel  VIII, S. 122. 6  Hillgruber, Souveränität  – Verteidigung eines Rechtsbegriffs, JZ (2002), 1072 (1076). 7  Crawford, The creation of states in international law (1979), 26; IGH, Advisory Opinion, Reparations for injuries suffered in the service of the United Nations (11. April 1949) ICJ Reports 1949, 174, 180. 8  Crawford, The creation of states in international law (1979), 27, 71.



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 

171

scheidungs- und Handlungsbefugnis bezüglich innerer und äußerer Angele­ genheiten zum Ausdruck.9 Danach kann jeder Staat autonom darüber ent­ scheiden, wie er mit einer Katastrophe auf seinem Staatsgebiet umgeht.10 Der Begriff wird daher von zahlreichen als höchst qualifiziert im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut anzusehenden Völkerrechtlern als Bezeich­ nung für die Ausschließlichkeitsbefugnisse eines Staates verwendet.11 Aufgrund seiner Souveränität übt jeder Staat grundsätzlich de jure und de facto die umfassende territoriale Hoheitsgewalt über sein Staatsgebiet sowie die Personalhoheit über die Bevölkerung aus. Auf dem Gebiet der inneren Angelegenheiten hat er die alleinige Regelungskompetenz und Letztent­ scheidungsbefugnis und ist im Außenverhältnis von anderen Staaten „be­ fehls­unabhängig“.12 Kein anderer Staat kann ihn als örtliche Autorität beim Umgang mit der Katastrophe und ihren langfristigen Konsequenzen erset­ zen.13 Der betroffene Staat ist aufgrund des Ausschließlichkeitsanspruchs der mit der Souveränität verbundenen Rechte das einzige Völkerrechtssub­ jekt, das faktisch in der Lage und rechtlich befugt ist, die Personen auf seinem Staatsgebiet im Katastrophenfall zu schützen.14 Das Souveränitäts­ prinzip wird unbestritten als Völkergewohnheitsrecht angesehen15 sowie als völkerrechtliches allgemeines Rechtsprinzip eingeordnet.16 9  Crawford,

The creation of states in international law (1979), 71. ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/ CN.4/629, Rdnr.  74. 11  Eine exemplarische Auflistung mit Verweis auf James Crawford, Max Huber, Àlejandro Alvarez, Lou Henkin und Tom Franck enthält Bilder, R., Perspectives on sovereignty in the current context: An American viewpoint., Canada-United States Law Journal 20 (1994), 9 (9 f.), auf den auch Beaulac, The Social Power of Bodin’s ‚Sovereignty‘ and International Law, 4 Melb. J. Int. Law (2003), 1 (3) hinweist. 12  Hillgruber, JZ (2002), 1074. 13  Focarelli, Duty to Protect in Cases of Natural Disasters, MPEPIL, Rdnr.  29. 14  Kloepfer geht sogar davon aus, dass ein Staat dann zu einem ‚failed state‘ werde, wenn er die Aufgabe der Verhütung und Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Beseitigung ihrer Folgen nicht mehr effektiv bewältigen kann, Kloepfer, ‚Gastbeitrag: Der Staat in der Verantwortung‘ FAZ (2.  Mai 2012) . 15  Siehe hierzu umfassend ILC, ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/CN.4/629, Rdnr.  65; IGH, Corfu Channel (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland/Albania) (29. April 1949) ICJ Reports 1949, 4, 35. Auch im Nicaragua-Fall des IGH wurde die Bedeutung der (territorialen) Sou­ veränität besonders betont, IGH, Nicaragua (27.  Juni 1986) ICJ Reports 1986, 14, 111 f. para. 212, 215. 16  Als Prinzip ordnet es z. B. der Internationale Gerichtshof ein, IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), Judgment (3. Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, para. 57. Auch Hillgruber, JZ (2002), 1076, 10  ILC,

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

b) Völkergewohnheitsrechtliche Verankerung Teilweise wird die Zuteilung der primären Rolle an den von einer Kata­ strophe betroffenen Staat auch als eigenständiger, d. h. außerhalb dem Sou­ veränitätsprinzip zu verankernder völkerrechtlicher Grundsatz angesehen, der sich bereits autonom völkergewohnheitsrechtlich etabliert hat.17 Die erforderliche Staatenpraxis hinsichtlich der primären Rolle des Staa­ tes bei Katastrophen auf seinem Staatsgebiet ergibt sich zum einen unmit­ telbar aus dem Verhalten der von Katastrophen betroffenen Staaten, mit dem sie ihrer Bedeutung im Katastrophenfall Rechnung tragen. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Die betroffenen Staaten sind kraft Natur der Sache grundsätzlich die ersten, die auf Katastrophen reagieren. Dies zeigt sich etwa in Form der Feststellung des Katastrophenfalles, der Veröffentlichung erster Regierungserklärungen sowie der Einrichtung von Kriseninterven­ tionszentren. In Deutschland wird in Landesgesetzen die Verpflichtung zur Auslösung von Katastrophenalarm festgelegt.18 Im Anwendungsbereich der EMRK wird dem Staat die primäre Beurteilung für die Feststellung eines Katastrophenfalles im Sinne der Notstandsklausel der EMRK überlassen.19 Die US-amerikanische Bundesagentur für Katastrophenschutz20 gibt zu 1074 geht von einem ‚Prinzip‘ der Souveränität aus. Ob sich dies auf Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut bezieht, ist fraglich. Der Begriff des ‚Prinzips‘ kann in unterschied­ licher Weise verwendet werden. Versteht man ihn im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut, setzt er entweder die Übertragung nationaler Rechtsgrundsätze in das Völkerrecht oder aber die Etablierung eines allgemeinen völkerrechtlichen Prinzips voraus, das dann auch als Völkergewohnheitsrecht bezeichnet werden kann, siehe Hestermeyer, Reality or Aspiration?  – Solidarity in International Environmental and World Trade Law, in: Hestermeyer/König/Matz-Lück/Röben/Seibert-Fohr/Stoll/Vö­ neky (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity  – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, Bd. I (2012), 45 (47). Die Souveränität setzt das Bestehen nationaler Rechtsordnungen, wie sie für die Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze nach Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut herangezogen werden, nicht voraus, sondern ermög­ licht ihre Existenz gerade erst. Mit Blick auf das Institut der Souveränität ist es daher am naheliegendsten, den Begriff im zweiteren Sinne als ein allgemeines völ­ kerrechtliches Prinzip unabhängig von nationalen Rechtsordnungen im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut verstanden zu wissen. 17  ILC, ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/ CN.4/629, Rdnr.  76. 18  Z. B. § 18 LKatSG BW; Art. 4 Bayerisches Katastrophenschutzgesetz (BayKSG), v. 24.  Juli 1996, GVBl. 1996, 282; § 16 LKatSG Schleswig-Holstein. 19  Zum europäischen Recht siehe Teil  1, Kapitel  C. sowie ILC, ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/CN.4/629, S. 26 Rdnr.  76. 20  Federal Emergency Management Agency  – FEMA.



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nationalen Katastrophen jeweils offizielle Katastrophenerklärungen aus.21 Im japanischen Katastrophenschutzgesetz22 wird in Art. 3 die Mission des Staates anerkannt, Land, Leben und Gesundheit seiner Bevölkerung im Katastrophenfall zu schützen. Gem. Art. 105 japKatSG kann der Katastro­ phenfall ausgerufen werden. Anlässlich des Tohoku-Erdbeben 2011 traf sich in Japan bereits vier Minuten nach dem Erdbeben ein Krisenstab im Büro des Premierministers und zwei Stunden nach dem Tohoku-Erdbeben wurden auf Grundlage der Art. 24–28 japKatSG sowohl ein Zentrum zum Manage­ ment mit extremen Katastrophen sowie ein Nuklearunfallkontrollzentrum errichtet.23 Das unmittelbare Reagieren auf Katastrophen zeigt, dass sich der betroffene Staat uneingeschränkt und zuvörderst für die Katastrophe verantwortlich fühlt. Im Rahmen der Besprechungen der ILC-Entwürfe zu den DAPPED vor dem Rechtsausschuss der Vereinten Nationen haben alle Staatenvertreter die primäre Rolle des Staates im Katastrophenfall bejaht, was ebenfalls als Nachweis von Staatenpraxis herangezogen werden kann.24 Zudem zeigt sich auch ein wiederkehrendes Muster in der internationalen Vertragspraxis. Nahezu alle Regionen der Welt verfügen über multinationa­ le Regelungsinstrumente, welche die primäre Rolle des Staates in einem Katastrophenfall betonen. Im karibischen Raum, der aufgrund seiner geolo­ gischen, topographischen, geographischen und tektonischen Besonderheiten besonders katastrophenanfällig ist,25 normiert dies Art. XXII des Agreements 21  Federal Emergency Management Agency, Disaster Declarations, . 22  Disaster Countermeasures Basic Act (Provisional Translation) (japKatSG), National Land Agency Japan, v. 15. November 1961, Act No. 223 . 23  Statement by Prime Minister Naoto Kan on Tohoku district  – off the Pacific Ocean Earthquake (Provisional translation) (11.  März 2011) ; Response to the Great East Japan Earthquake, Ministry of Health,Labour, and Welfare (MHLW), Government of Japan (23.  Oktober 2012) , S. 3; Koresawa, Main Fea­ tures of Government’s Initial Response to the Great East Japan Earthquake and Tsunami, 7 Journal of Disaster Research (2012), 107 (108). 24  Siehe nur die Äußerungen von Pakistan, Indien, Rumänien, Irland und Japan in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25. 25  The Brookings-London School of Economics Project on Internal Displacement (Hrsg.)/Kirton, Caribbean Regional Disaster Response and Management ­Mechanisms: Prospects and Challenges (2013) , 1.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Establishing a Caribbean Disaster Emergency Management Agency, an der alle 15 CARICOM-Staaten sowie als assoziierte Mitglieder Anguilla, die Britischen Jungferninseln und die Turks- und Caicosinseln beteiligt sind.26 Auch Art. IV lit. a der Inter-American Convention to Facilitate Disaster Assistance der OAS legt fest, dass der betroffene Staat die primäre Verant­ wortung im Katastrophenfall hat.27 In Asien legt Art. 3 Abs. 2 des für alle zehn ASEAN-Mitglieder geltende ASEAN Agreement on Disaster Manage­ ment and Emergency Response fest, dass dem betroffenen Staat die Durch­ führung, Kontrolle, Koordination und Überwachung der Katastrophenhilfe obliegen.28 Auf europäischer Ebene hat der Rat in Art. 6 Abs. 1 einer Entscheidung über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophen­ schutz29 festgelegt, dass der von einer Katastrophe betroffene oder gefähr­ dete Mitgliedstaat unverzüglich die Kommission und gefährdete Mitglied­ staaten benachrichtigen muss. Auch hier wird demnach dem primär betrof­ fenen Staat die erste Reaktion im Katastrophenfall aufgetragen. Ferner be­ stimmt Präambel-Klausel 6 der genannten Entscheidung, dass Hilfe der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Zivilschutzes lediglich subsidiär zu den Katastrophenhilfekapazitäten des betroffenen Staates erfolgt. Auch in Abs. 3 sowie 7.1. der NATO EAPC Policy on Enhanced Practical Cooperation in the Field of International Disaster Relief ist statuiert, dass der betroffene Staat die Verantwortung für die effektive Reaktion auf eine Katastrophe innehat.30 Daneben existieren auch multilaterale bereichsspezifische Regelungsins­ trumente, welche die primäre Rolle des Staates bei Katastrophenfällen be­ 26  Caribbean Disaster Emergency Management Agency, . Das CDEMA-Agreement beruht auf dem 1991 abgeschlossenen Agreement Establishing a Caribbean Disaster Emergency Response Agency (CDERA-Agree­ ment), das 2009 durch das CDEMA-Agreement ersetzt wurde, Caribbean Disaster Emergency Management Agency, From CDERA to CDEMA: The Caribbean Disas­ ter Emergency Management Agency, . 27  Die Konvention hat zwar nur sechs Vertragsparteien, allerdings sind die CARICOM-Staaten bis auf Montserrat jeweils auch Mitglied der OAS, sodass für sie aufgrund des CDERA-Agreements insofern keine zwingende Notwendigkeit zur Unterzeichnung der zeitgleich wie der Vorgänger des CDEMA-Agreements verab­ schiedeten Inter-American Convention to Facilitate Disaster Assistance besteht. Sig­ natories and Ratifications. A-54: Inter-American Convention to facilitate Disaster Assistance, Department of International Law/Organization of American States, Wa­ shington D.C., . 28  AADMER. 29  Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastro­ phenschutz (Neufassung), v. 8.  November 2007, ABl. EU L 314/9. 30  Abs. 3, Abs. 7.1. NATO-EAPC Policy on Enhanced Practical Cooperation in the Field of International Disaster Relief, EAPC(C)D(98)10(Revised) (1998).



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tonen. Auf dem Gebiet atomarer Zwischenfälle ist z. B. Art. 3a der Conven­ tion on Assistance in Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergen­ cy zu nennen, die mit 110 Vertragsparteien und zehn weiteren Unterzeich­ nerstaaten global akzeptiert wird.31 Auch Annex  X der Convention on Transboundary Effects on Industrial Accidents32 mit 41 Vertragsparteien normiert, dass die Durchführung, Kontrolle, Koordination und Überwachung der Katastrophenhilfe dem betroffenen Staat obliegen. Auch in bilateralen Abkommen33 sowie in soft law Dokumenten34 wird die primäre Rolle des Staates beim Umgang mit Katastrophen hervorgeho­ 31  Treaty Status of the Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Ac­ cident or Radiological Emergency, International Atomic Energy Agency (last update: 7.  August 2014), . 32  Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents. 33  Beispielsweise die folgenden bilateralen Abkommen übertragen die komplette Kontrolle über die Katastrophenhilfe dem betroffenen Staat: Art. 7 Abs. 1 Agree­ ment between Denmark and the Federal Repulic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (with exchange of notes); Art. 8 Ag­ reement on cooperation and mutual assistance in cases of accidents (Finland and Estoni), v. 26.  Juni 1995, 1949 UNTS 33393; Art. 9 Abs. 1 Agreement between the Swiss Federal Council and the Government of the Republic of the Philippines on Cooperation in the Event of Natural Disasters or other Major Emergencies, v. 6.  Dezember 2001, ; Art. 7 Abs. 1 Con­ vention on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (France and Belgium), v. 21.  April 1981, 1437 UNTS 24347; Art. 8 Abs. 1 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or serious accidents, v. 12.  Juli 2005, BGBl. III, Nr. 119; Art. 7 Abs. 1 Convention between the French Republic and the Federal Republic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents, v. 3.  Februar 1977 (in Kraft getreten am 1.  Dezember 1980), 1214 UNTS 19561; International Emergency Management Assistance Memorandum of Understanding (Canada/USA), v. 3.  Oktober 1996 (abgedruckt am 19.  Oktober 1996), Public Law 104–321, 110 STAT. 3877. Der ILC Sonderberichterstatter ver­ weist auf weitere bilaterale Übereinkommen, die die Kontrolle dem betroffenen Staat übertragen, ILC, ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/CN.4/629, Rdnr.  81. 34  Der ILC Sonderberichterstatter (ILC, ‚Third report on the protection of per­ sons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/CN.4/629, Rn. 84 ff.) verweist hier auf 26th Interna­ tional Conference of the Red Cross and Red Crescent, Code of Conduct for the International Red Cross and Red Crescent Movement and Non-Governmental Orga­ nizations in Disaster Relief, Document 95/C.II/2/1 (3.–7. Dezember 1995), Annex I; Art. 3 Abs. 1 IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of In­ ternational Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex; siehe auch Principles and Rules for Red Cross and Red Crescent Disaster Relief, prepared by the International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies in consul­

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

ben. Insbesondere die soft law Dokumente des Roten Kreuzes werden dabei auch von einer großen Zahl an Staaten akzeptiert.35 Der ILC-Sonderberichterstatter ist im Rahmen der Arbeiten zu den ­ APPED ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass dem betroffenen Staat D die primäre Rolle im Katastrophenfall zukommt.36 Er kann als höchst fähi­ ger Völkerrechtlicher im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut einge­ ordnet und damit als Rechtserkenntnisquelle betrachtet werden. Seine These, dass die Primärrolle des betroffenen Staates unbestritten ist und völkerge­ wohnheitsrechtlichen Status genießt,37 wurde im Rahmen der Sitzungen der ILC von den Staatenvertretern auch uneingeschränkt akzeptiert.38 Zudem stützt auch das IDI als Juristenvereinigung die These der primären Rolle des Staates im Katastrophenfall.39 Die dargelegte Staatenpraxis wird schließlich auch von der Rechtsüber­ zeugung der Staaten begleitet, rechtlich zum Tätigwerden im Katastrophen­ fall verpflichtet zu sein. Insbesondere sind hier sog. soft law Dokumente zu nennen, wie z. B. Resolutionen der UN Generalversammlung. Diese betonen

tation with the International Committee of the Red Cross, v. 29.  Februar 1996, 310 International Review of the Red Cross (Annex IV) ‚ Prinzip 3.1.; Präambel-Klausel 5 Relief actions, Resolution VIII, XXIInd International Conference of the Red Cross (Teheran, 1973), abgedruckt in Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 806–807 (3. Aufl. 1994); Abs. 4 United Nations World Confer­ ence on Disaster Reduction, ‚Hyogo Declaration‘ (16.  März 2005) Resolution 1, Auszug aus dem Abschlussbericht der World Conference on Disaster Reduction UN Doc. A/CONF.206/6. 35  Die IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of Inter­ national Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex wurden seit ihrem Erscheinen 2011 bereits von zwölf Ländern  – die zuvor teilweise über keine umfassende Katastrophengesetzgebung verfügten – in die nationale Rechtsord­ nung übertragen, IFRK, Adopted legislation and rules (August 2013), . 36  Hierzu ausführlich ILC, Third report of the Special Rapporteur, UN Doc. A/ CN.4/629, Rdnr.  77 ff. 37  ILC, ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/ CN.4/629, S. 26 Rdnr.  76. 38  Siehe hierzu die Staatenäußerungen in ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (62nd session 2010, Protection of Persons in the Event of Dia­ sters) (20.  Juli 2010), S. 10; ILC, ‚Provisional summary record of the 3055th mee­ ting‘ (2.  Juni 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3055, S. 19, 21, 22; ILC, ‚Provisional summary record of the 3056th meeting‘ (3.  Juni 2010), S. 6, 10, 13, 17; ILC, ‚Pro­ visional summary record of the 3057th meeting‘ (4.  Juni 2010) UN Doc. A/CN.4/ SR.3057, S. 11. 39  Art. 3 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session.



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schon seit den 1980er Jahren in jährlichem Turnus die primäre Rolle des betroffenen Staates bei der Bewältigung von Katastrophen.40 2. Inhalt der primären Rolle des betroffenen Staates im Katastrophenfall – originäre Schutzpflichten gegenüber der Zivilbevölkerung Die ILC schlussfolgert aus der primären Rolle des betroffenen Staates dessen Verantwortung für den Schutz der betroffenen Bevölkerung und die Ermöglichung und Koordination von Katastrophenhilfe.41 Es wird argu­ mentiert, dass einem Staat aus seiner Souveränität nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten erwachsen.42 Zu den Rechten gehört die Ausübung der Personal- und Territorialhoheit über das eigene Staatsgebiet, aber auch die Autonomie über die Verfassung im Land und die Organisation des Staats­ apparates ebenso wie der Anspruch auf Schutz der domaine réservé, d. h. des völkerrechtlich noch nicht regulierten Bereichs. Zu den Pflichten der Staaten gehört – neben der Achtung des Interventionsverbots, der Immunität fremder Staaten und Staatsoberhäupter und der Pflicht zur friedlichen Streit­ beilegung  – insbesondere auch die Kooperation mit anderen Staaten sowie die Einhaltung der eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen.43 Zuletzt genannte Pflicht kann den Ausgangspunkt für die Ableitung konkre­ 40  Z. B. UNGA, Res 36/225 (17.  Dezember 1981) UN Doc. A/RES/36/225, Präambel-Klausel 8; UNGA, Res 43/131 (17.  Dezember 1981), Abs. 2; UNGA, Res 63/141, v. 11. Dezember 2008, UN Doc. A/RES/63/141, Präambel-Klausel 4; UNGA, Res 65/264, v. 28.  Januar 2011, UN Doc. A/RES/65/264, Präambel-Klausel 5; UNGA, Res 66/227, v. 23.  Dezember 2011, UN Doc. A/RES/66/227, PräambelKlausel 6. Siehe hierzu auch ILC, ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/CN.4/629, Rdnr.  77. 41  ILC, ‚Third report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (31.  März 2010) UN Doc. A/ CN.4/629, Rdnr.  78. Siehe dazu auch Art. 9 Abs. 1 DAPPED: „The affected State, by virtue of its sovereignty, has the duty to ensure the protection of persons and provision of disaster relief and assistance on its territory.“; siehe ferner Art. III.1 IDI, Resolution on Humanitarian Assistance: „The affected State has the duty to take care of the victims of disaster in its territory and has therefore the primary respon­ sibility in the organization, provision and distribution of humanitarian assistance. As a result, it has the duty to take the necessary measures to prevent the misappropria­ tion of humanitarian assistance and other abuses.“ 42  IGH, Corfu Channel case (29.  April 1949) ICJ Reports 1949, 4, 43; Perma­ nent Court of Arbitration, Island of Palmas Case (USA vs. Netherlands) (Arbitrator: Max Huber) (4. April 1928) UNRIAA 2, 831, 839; Kälin, 55 German Yearbook of International Law (2012), 145. 43  Besson, Sovereignty, MPEPIL (2010), Rdnr.  118.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

tisierter Verhaltensvorgaben für den Katastrophenfall aus dem Souveräni­ tätskonzept bilden. Zu den völkerrechtlich insofern relevanten Verbindlich­ keiten zählen dabei in erster Linie die Vorgaben internationaler menschen­ rechtlicher Verträge [a)] und gewohnheitsrechtlich anerkannter menschen­ rechtlicher Garantien [b)]. Daneben wird diskutiert, ob sich ein Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall herausgebildet hat [c)]. Weitere progressive Ansätze stellen auf die Schutzverantwortung [d)] und eine ex­ tensive Auslegung des Kooperationsprinzips [e)] ab. Schließlich ist auch in Erwägung zu ziehen, die Pflichten des betroffenen Staates im Katastrophen­ fall analog zu seinen Verpflichtungen aus dem Humanitären Völkerrecht zu konstruieren [f)]. a) Menschenrechtliche Verträge und ihre Vorgaben für den Schutz der Bevölkerung im Katastrophenfall Internationale Instrumente zum Schutz der Menschenrechte normieren eine Vielzahl von Verhaltensvorgaben, deren Einhaltung im Katastrophenfall essentiell wird. Im Vordergrund stehen hier vor allem die Rechte, die exis­ tenznotwendig sind und die Grundbedürfnisse der von einer Katastrophe betroffenen Bevölkerung sichern.44 aa) Verpflichtung zum Schutz des Lebens Die im Katastrophenfall zentrale menschenrechtliche Verpflichtung be­ zieht sich auf den Schutz des Rechts auf Leben der sich auf dem Territori­ um eines Staates befindlichen Personen. Sie ist in Art. 6 Abs. 1 S. 2 IPbpR, 44  Als sonstige Rechte, die besondere Relevanz im Katastrophenfall aufweisen, nennt Focarelli u. a. das Recht auf Schutz vor Verfolgung, Vergewaltigung, willkür­ licher Festnahme, Kidnapping, das Recht auf Ausbildung, das Recht auf Restitution oder Kompensation für verlorenes Eigentum, das Recht auf religiöse Freiheit, die Meinungsfreiheit, politische Teilhabemöglichkeiten und den Zugang zu Gerichten, siehe Focarelli, Duty to Protect in Cases of Natural Disasters, MPEPIL, Rdnr.  12. Die ILC nennt auch das Recht auf Arbeit, das Recht auf Diskriminierungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Grundprinzipien des rechtsstaatlichen Verfahrens, ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  253. Eine solche Aufzählung ist indes als rein deklaratorisch zu betrachten. Auch eine Katastrophe entbindet nicht davon, alle ohnehin eingegangenen menschenrechtlichen Verpflich­ tungen einzuhalten, sofern die Katastrophe nicht als Notstandsfall eingeordnet wird und Derogationsmöglichkeiten eröffnet werden. Zudem sind die von einer Kata­ strophe unmittelbar betroffenen Personen häufig besonders schutzbedürftig, so dass die Einhaltung der Menschenrechte ihnen gegenüber besonders hohe Bedeutung hat.



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Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK, Art. 4 Abs. 1 AMRK, Art. 4 S. 2 der BanjulCharta sowie Art. 5 Abs. 1 ACHR normiert. Zusätzlich ist sie auch in Spe­ zialgesetzen festgeschrieben, z. B. in Art. 6 der Kinderrechte-Konvention. Neben den menschenrechtlichen Verträgen sind noch die Allgemeine Erklä­ rung der Menschenrechte45 sowie die Kairorer Erklärung der Menschen­ rechte im Islam46 hervorzuheben. Die Allgemeine Erklärung der Men­ schenrechte schützt in Art. 3 das Recht auf Leben. Die Kairorer Erklärung enthält in Art. 2 eine entsprechende Bestimmung. Beide Erklärungen sind allerdings rechtlich unverbindlich. Die Allgemeine Erklärung der Men­ schenrechte ist weltweit allgemein anerkannt und zumindest in Bezug auf manche in ihr enthaltene Prinzipien rechtlich verbindlich47, wohingegen der Status und die menschenrechtliche Zulässigkeit der Kairoer Erklärung umstritten sind, da viele der in ihr enthaltenen Bestimmungen durch den direkten Bezug auf die Sharia bestimmte Menschenrechte, insbesondere die Religionsfreiheit, in empfindlicher Weise einschränken. Hinsichtlich der Reichweite der genannten generellen Menschenrechtsin­ strumente ist zu konstatieren, dass das Recht auf Leben in den jeweiligen Menschenrechtsinstrumenten materiell stark und notstandsfest ausgestaltet ist, d. h. es sind auch im Falle eines öffentlichen Notstandes keine Abwei­ chungen hiervon zulässig.48 Die jeweiligen Vertragsstaaten müssen das Recht auf Leben nicht nur respektieren, sondern seine Gewährleistung auch sicherstellen und das Leben schützen. Dies entspricht dem dreistufigen Schutzkonzept des internationalen Menschenrechtsregimes, wonach Men­ schenrechte respektiert, geschützt und erfüllt werden müssen.49 Das Recht auf Leben stellt darüber hinaus eine erga omnes Verpflichtung der Staaten­ gemeinschaft dar.50 Der Kanon von erga omnes Verpflichtungen ist nicht 45  Allgemeine Erkärung der Menschenrechte (AEMR), v. 10.  Dezember 1948, UN Yearbook (1948–49) 535. 46  Cairo Declaration on Human Rights in Islam, v. 5.  August 1990, abgedruckt in World Conference on Human Rights., 4th Session, Agenda Item 5, UN Doc. A/ CONF.157/PC/62/Add.18 (1993) [English translation]. 47  Charlesworth, Universal Declaration of Human Rights (1948), MPEPIL (2008), Rdnr.  13. 48  Art. 4 Abs. 2 IPBürg, Art. 15 Abs. 2 EMRK, Art. 27 Abs. 2 AMRK, Art. 4 Abs. 2 Arabische Charta. Die Banjul-Charta enthält keine Notstandsklausel. 49  ILC, ‚Preliminary report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5.  Mai 2008) UN Doc. A/ CN.4/598, S. 10 Rdnr.  26; Focarelli, Duty to Protect in Cases of Natural Disasters, MPEPIL, Rdnr.  9; IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007). 50  Tams, Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law (2005), 233; Gormley, The Right to Life and the Rule of Non-Derogability: Peremptory Norms of Jus Cogens, in: Ramcharan (Hrsg.), The Right to Life in International Law

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

abschließend geklärt und muss im Einzelfall anhand der Bedeutung der je­ weiligen Verpflichtung ermittelt werden.51 Eine erga omnes Verpflichtung liegt jedenfalls dann vor, wenn alle Staaten aufgrund der Bedeutung eines Rechts ein rechtliches Interesse an dessen Schutz haben.52 Ein solches Inte­ resse kann beim Recht auf Leben angenommen werden. So hat z. B. das Menschenrechtskomitee das Recht auf Leben als „the supreme right“53 und auch der EGMR hat das Recht als „one of the most fundamental provisions in the Convention“54 bezeichnet. Auch in der Völkerrechtswissenschaft ist die Einordnung des Rechts auf Leben anerkannt.55 Dies reflektiert die be­ sondere Bedeutung des Rechts auf Leben. Seine Einhaltung ist daher von allen verpflichteten Hoheitsträgern gegenüber der gesamten Staatengemein­ schaft sicherzustellen.56 Am umfassendsten ist das Recht auf Leben im IPbpR ausgestaltet. Das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen, dessen Interpretation auf­ grund der besonderen Stellung im Beschwerdeverfahren als autoritativ für den IPbpR anzusehen ist, geht von einer sehr weiten Auslegung aus.57 Dies ergebe sich aus der Formulierung, dass es sich um ein angeborenes Recht auf Leben handele, was nicht in einer restriktiven Weise interpretiert werden (1985), 7.  Kapitel, 147; Inter-American Court of Human Rights, Urteil Case of Las Palmeras vs. Colombia (Preliminary Objections), Separate Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade (4.  Februar 2000), 5, para. 15. 51  Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  120. 52  ICJ, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium/Spain), Second Phase, Merits (5.  Februar 1970) ICJ Reports 1970, 3, 32, para. 33. 53  HRC, General Comment No. 6  – The right to life (Art. 6), v. 30. April 1982, UN Doc. HRI\GEN\1\Rev.1, S. 6, Rdnr.  1. Das Menschenrechtskomitee der Verein­ ten Nationen hat sich in General Comment No. 6 nicht zum Status des Rechts auf Leben als erga omnes geäußert, möglicherweise wird dies aber in dem seit Juli 2015 in der Ausarbeitung befindlichen General Comment No. 36 geschehen, siehe hierzu Procedure for the Adoption of the General Comment: General Comment No. 36  – Article 6: Right to life. General Discussion on the preparation for a General Com­ ment on Article 6 (Right to Life) of the International Covenant on Civil and Poli­tical Rights, Palais des Nations, Room XIX – 14 July 2015, Office of the High Commis­ sioner of Human Rights . 54  EGMR, Isayeva v. Russia (Judgment), Applications nos. 57950/00 (24.  Feb­ ruar 2005), para. 172. 55  Siehe Fn. 50. 56  Siehe auch Art. 1 der Resolution Erga Omnes in International Law, Krakow session, Institute de Droit International, 5th commission, v. 27. August 2005, . 57  HRC, General Comment No. 6  – The right to life (Art. 6) (30.  April 1982) UN Doc. HRI\GEN\1\Rev.1, S. 6, Rdnr.  1.



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 181

dürfe.58 Zudem müssen die Vertragsstaaten das Recht auf Leben nicht nur respektieren, sondern seine Gewährleistung auch sicherstellen.59 Dies bein­ halte, dass die Vertragsstaaten die Voraussetzungen für die Umsetzung der Menschenrechte schaffen müssen. Sie müssen demnach insbesondere posi­ tive Maßnahmen ergreifen, um den Schutz der Rechtsinhaber zu gewährleis­ ten und ihr Überleben zu sichern.60 Als derartige aktive Maßnahmen werden vom Menschenrechtskomitee explizit Maßnahmen zur Vermeidung von Mangelernährung und Epidemien genannt.61 Dieses Beispiel indiziert, dass das Komitee auch sonstige aktive Maßnahmen zur Katastrophenhilfe gegen­ über der Bevölkerung als positive Maßnahmen zum Schutz des Rechts auf Leben verstanden haben will. Indes muss hinsichtlich der Universalität und Akzeptanz des Rechts auf Leben beachtet werden, dass weder der IPBürg noch die regionalen Men­ schenrechtsinstrumente universell gelten und es zahlreiche Staaten gibt, die keine Vertragspartei der Instrumente sind.62 Dies gilt zum Beispiel für eini­ ge besonders katastrophenanfällige Länder. Birma und zahlreiche pazifische Inselstaaten sind weder Vertragspartei des IPBürg noch gelten für sie bislang regionale Menschenrechtsinstrumente. Im Bereich der für das Katastrophen­ hilfevölkerrecht relevanten Menschenrechte wurde von einigen Staaten le­ diglich die Frauenkonvention und bzw. oder die Behindertenrechte-Konven­ tion unterzeichnet. Der Südsudan hat noch keine menschenrechtlichen Ver­

58  HRC, General Comment No. 6  – The right to life (Art. 6) (30.  April 1982) UN Doc. HRI\GEN\1\Rev.1, S. 6, Rdnr.  5. 59  HRC, General Comment No. 3  – Implementation at the national level (Art. 2), v. 29.  Juli 1981, UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.1, S. 4, Rdnr.  1; Focarelli, Duty to Pro­ tect in Cases of Natural Disasters, MPEPIL, Rdnr.  9. 60  HRC, General Comment No. 6  – The right to life (Art. 6) (30.  April 1982) UN Doc. HRI\GEN\1\Rev.1, S. 6, Rdnr.  5; Petersen, Life, Right to, International Protection, MPEPIL (2010), Rdnr.  2, schränkt dies auf positive rechtliche Maßnah­ men ein; siehe ferner Rdnr.  31. 61  HRC, General Comment No. 6  – The right to life (Art. 6) (30.  April 1982) UN Doc. HRI\GEN\1\Rev.1, S. 6, Rdnr.  5. 62  Der IPBürg wurde von 21 Ländern (Antigua und Barbuda, Bhutan, Brunei, Burma, Cook Inseln, Fiji, Kiribati, Malaysia, Marshall Inseln, Mikronesien, Nihue, Oman, Quatar, St. Kitts and Nevis, Saudi Arabien, Singapur, Salomon Inseln, Süd­ sudan, Tonga, Tuvalu, Vereinigte Arabische Emirate) weder unterschrieben noch ratifiziert und weitere sieben Länder (China, Komoren, Kuba, Nauru, Palau, Sao Tome, St. Lucia,) haben ihn bislang nur unterzeichnet, sind aber noch keine Ver­ tragspartei, siehe United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights, Ratification of the International Covenant on Civil and Political Rights, Stand: Januar 2013, http://www.ohchr.org/Documents/Issues/HRIndicators/Ratifica tion/Status_ICCPR.pdf. Die 21 Länder, die nicht Vertragspartei des IPBürg sind, sind auch keine Vertragsparteien des IPwskR.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

träge unterzeichnet.63 Von den arabischen Staaten, die nicht Vertragspartei des IPBürg sind, gilt lediglich im Oman, in Saudi Arabien und den Verei­ nigten Arabischen Emiraten über die Arabische Charta ein kodifizierter Menschenrechtsschutz. Brunei und Malaysia haben nur die Kairoer Erklä­ rung für Menschenrechte im Islam unterzeichnet. In den Staaten, die nicht Vertragspartei eines geltenden völkerrechtlichen menschenrechtlichen Ver­ trages sind, der das Recht auf Leben garantiert, kann damit eine staatliche Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung im Katastrophenfall zumindest nicht aus Völkervertragsrecht hergeleitet werden. bb) Schutz der Gesundheit und Recht auf Nahrung und Wasser Neben dem Recht auf Leben spielt im Katastrophenfall das Recht auf Gesundheit eine wichtige Rolle. Es wird in Art. 12 IPwskR, Art. 16 der Banjul-Charta, Art. 39 Abs. 1 ACHR und Art. 10 des Zusatzprotokolls zur AMRK auf dem Gebiet der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rech­ te64 anerkannt. Spezialgesetzlich hat es in Art. 5 lit. e  (iv) des Übereinkom­ mens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung65, Art. 12 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Frauenkonvention)66, Art. 24 der Kinderrechte-Konvention und Art. 11 der Europäischen Sozialcharta67 seinen Niederschlag gefunden. Gesundheit ist nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlerge­ hens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“68 Das Recht auf Gesundheit wird in Anlehnung an diese Definition in vielen internatio­ nalen Übereinkommen daher oft im Zusammenhang mit der Gewährleistung gewisser Mindeststandards für Nahrung, Wasser, Unterkunft, sanitäre und 63  Der Südsudan hat im Juni 2013 lediglich ein Dokument zum Flüchtlings­ schutz unterzeichnet und ist im Juli 2013 den Genfer Koventionen beigetreten, Human Rights Watch, World Report 2013: South Sudan, http://www.hrw.org/worldreport/2013/country-chapters/south-sudan. 64  Additional Protocol to the American Convention on Human Rights in the Area of Economic, Social and Cultural Rights (Protocol of San Salvador), v. 17. No­ vember 1988, OAS Treaty Series No. 69. 65  International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimi­ nation (ICERD), v. 7.  März 1966 (in Kraft getreten am 4.  Januar 1969), 660 UNTS 195. 66  Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against ­Women (CEDAW), v. 18.  Dezember 1978 (in Kraft getreten am 3.  September 1981), 1249 UNTS 14. 67  Europäische Sozialcharta. 68  Constitution of the World Health Organization, v. 22.  Juli 1946 (in Kraft ge­ treten am 7. April 1948), 14 UNTS 185, Präambel.



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 183

medizinische Versorgung sowie eine intakte Umgebung genannt. Diese Fak­ toren bilden die Grundlage für das Recht auf Gesundheit.69 So geht das IPwskR-Komitee davon aus, dass das Recht auf Gesundheit auf die genann­ ten Parameter der Grundversorgung bezogen und von ihnen abhängig ist.70 Auch Art. 39 Abs. 2 lit. (e) der Arabischen Charta verpflichtet die Mitglied­ staaten, eine ausreichende Grundversorgung mit Nahrung und Wasser si­ cherzustellen; nach Art. 39 Abs. 2 lit. (f) sollen ausreichend sanitäre Systeme zur Verfügung gestellt werden und nach Art. 39 Abs. 2 lit. (b) sollen Bemü­ hungen zur Kontrolle von Krankheiten unternommen werden. Die Kairoer Erklärung für Menschenrechte sieht in Art. 17 ein Recht auf medizinische Versorgung vor und enthält eine Aufforderung an die unterzeichnenden Staaten, einen angemessen Lebensstandard mit ausreichend Nahrung, Klei­ dung, Unterkunft und medizinischer Versorgung zu ermöglichen, vor. Teilweise wird ein Recht auf die genannten Parameter aber auch in den genannten Menschenrechtsinstrumenten eigenständig normiert. Art. 11 ­IPwskR verpflichtet die Staaten zur Anerkennung des Rechts auf einen ange­ messen Lebensstandard, einschließlich des Rechts auf Bekleidung, Unter­ bringung und ausreichende Ernährung. Art. 11 IPwskR ist zudem die zentrale Rechtsgrundlage für das Recht auf Nahrung und beinhaltet insbesondere den jederzeitigen physischen und wirtschaftlichen Zugang zu angemessener Nah­ rung sowie die Maßnahmen zu dessen Sicherstellung.71 Art. 14 Abs. 2 lit. h Frauenkonvention verpflichtet die Vertragsstaaten zur Gewährleistung ange­ messener Lebensbedingungen insbesondere im Hinblick auf eine Unterkunft, sanitäre Einrichtungen, Elektrizitäts- und Wasserversorgung sowie Verkehrsund Nachrichtenverbindungen. Teilweise wird darüber hinaus argumentiert, dass sich ein Recht auf überlebenswichtige Grundbedürfnisse, d. h. insbeson­ dere ein Recht auf angemessene Nahrung und Gesundheit, sogar direkt aus dem Recht auf Leben ableiten lassen bzw. es zumindest ein aus dem Recht auf Leben ableitbares Prinzip gebe, das Überleben sicherzustellen, was auch die Grundversorgung mit Nahrung beinhaltet.72 So wird z. B. hinsichtlich des regionalen Menschenrechtsschutzes in Afrika davon ausgegangen, dass das 69  UNHCR/WHO, ‚The right to Health  – Fact Sheet No. 31‘, , 3. 70  Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), General Com­ ment No. 14  – The right to the highest attainable standard of health (Art. 12), UN Doc. E/CN.4/2000/4, 11. August 2000, Rdnr.  3 f., 36. 71  CESCR, General Comment No. 12: The right to adequate food (art. 11), v. 12.  Mai 1999, UN Doc. E/C.12/1999/5, Rdnr.  6; Mechlem, Food, Right to, Interna­ tional Protection, MPEPIL (2008), Rdnr.  4. 72  Mechlem, Food, Right to, International Protection, MPEPIL, Rdnr.  10; Petersen, Life, Right to, International Protection, MPEPIL, Rdnr.  31, mit Verweis auf Menghistu, The Satisfaction of Survival Requirements, in: Ramcharan (Hrsg.), The Right to Life in International Law (1985), 3.  Kapitel, 63.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Recht auf Nahrung implizit in Art.  4 (Recht auf Leben) und Art. 16 (Recht auf Gesundheit) der Banjul-Charta enthalten ist.73 Über Art. 8 EMRK, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens schützt, lässt sich eine Pflicht zum Schutz der physischen Lebensbedingungen herleiten, die zwar bislang nur zur Konstruktion eines Rechts auf Umweltschutz herangezogen wurde,74 aber perspektivisch durchaus auch denkbar ist als Anknüpfungs­ punkt für eine Verpflichtung zur Wiederherstellung intakter Lebensverhält­ nisse nach einem Katastrophenfall. Zur Reichweite und Effektivität der genannten Verbürgungen des Rechts auf Gesundheit ist zu konstatieren, dass Art. 11 IPwskR die umfassendste Garantie dieses Rechts enthält.75 Generell müssen die Vertragsparteien alle Dimensionen des Menschenrechtsschutzes beachten, d. h. sie müssen das Recht respektieren, schützen und erfüllen.76 Das Vertragskomitee des IPws­ kR betont, dass dies u. a. beinhaltet, Nahrungsmittelknappheit in jedem Fall auch bei Katastrophen zu vermeiden.77 In Art. 12 Abs. 2 lit. c IPwskR wird mit Blick auf den Aspekt der Erfüllung der Verbürgung die Verpflichtung der Vertragsparteien normiert, die erforderlichen Maßnahmen zur Behand­ lung von Krankheiten zu ergreifen. Dies beinhaltet die Schaffung notfallme­ dizinischer Systeme bei Unfällen und Epidemien sowie die Durchführung von Katastrophenhilfe und humanitärer Hilfe in Notfallsituationen.78 Bei den im IPwskR normierten Rechten ist aber zu bedenken, dass lange Zeit umstritten war, ob es sich hierbei um „echte“, konkrete Individualrechte handelt oder die Vertragsparteien nur verpflichtet sind, die Verwirklichung der aufgezählten Gewährleistungen („Programmsätze“) anzustreben und 73  Mechlem,

Food, Right to, International Protection, MPEPIL, Rdnr.  10. § 3: Höchstpersönliche Rechte und Diskriminierungsver­ bot, in: Ehlers, D. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl., Berlin, 2005, Rdnr.  7. 75  CESCR, General Comment No. 12: The right to adequate food (art. 11) (12.  Mai 1999) UN Doc. E/C.12/1999/5, Rdnr.  1; CESCR, General Comment No. 14: The right to the highest attainable standard of health (article 12), v. 11. Au­ gust 2000, UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.9 (Vol. I), S. 78–96, Rdnr.  2. Außerhalb des IpwskR legt Art. 39 der Arabischen Charta fest, dass die Vertragsparteien das Recht auf Gesundheit anerkennen und in diesem Rahmen geeignete Maßnahmen treffen, ohne dies zu konkretisieren. Die CEDAW ist ebenfalls nur ein mit Programmsätzen ausgestaltetes Rechtsinstrument, das keine direkten individuellen Rechte vermittelt. 76  CESCR, General Comment No. 14: The right to the highest attainable stan­ dard of health (article 12) (11.  August 2000) UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.9 (Vol. I), S. 78–96, Rdnr.  33. 77  CESCR, General Comment No. 12: The right to adequate food (art. 11) (12.  Mai 1999) UN Doc. E/C.12/1999/5, Rdnr.  6. 78  CESCR, General Comment No. 14: The right to the highest attainable standard of health (article 12) (11. August 2000) UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.9 (Vol. I), S. 78– 96, Rdnr.  16. 74  Uerpmann-Wittzack,



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 185

diesbezüglich Strategien zu entwickeln.79 Die Vertragsstaaten müssen dies­ bezüglich indes ausreichende Schritte zur effektiven und umfassenden Um­ setzung dieses Programmsatzes vornehmen.80 Bei der Umsetzung der erfor­ derlichen Maßnahmen hat jeder Staat jedoch einen weiten Ermessensspiel­ raum.81 Sie müssen dabei aber zumindest die Befriedigung bestimmter Kernbereiche sicherstellen, d. h. den diskriminierungsfreien Zugang zu Ge­ sundheitseinrichtungen gewährleisten und Maßnahmen zur Deckung des Grundbedarfes an Nahrung sowie Unterkunft, sanitäre Einrichtungen und Wasser durchführen.82 Auch beim Recht auf Gesundheit lässt sich argumentieren, dass es sich hierbei um eine erga omnes Verpflichtung der Staatengemeinschaft han­ delt.83 Der IGH hat im Fall Barcelona Traction festgestellt, dass sich erga omnes Verpflichtungen aus den „principles and rules concerning basic rights of the human person“84 ergeben können. Das Vertragskomitee des IPwskR hat das Recht auf Gesundheit als „fundamental human right indispensable for the exercise of other human rights“ bezeichnet.85 Die, wie dargestellt, 79  Stein/von Buttlar, Völkerrecht (12. Aufl. 2009), Rdnr. 214; Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 566; Mechlem, Food, Right to, International Pro­ tection, MPEPIL, Rdnr.  14, die aber in der fortschreitenden Kodifikation der wirt­ schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, erster Gerichtsurteile zu diesen Rechten und insgesamt einem besseren Verständnis der Rechte einen Trend weg von dieser noch immer von vielen Staaten und Juristen verfolgten Sichtweise sieht. Dies wird durch die Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens (‚Communication‘) zum IPwskR durch das Fakultativprotokoll von 2008 unterstützt (Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, v. 10.  Dezember 2008 (in Kraft getreten am 5. Mai 2013), UN Doc. A/63/435). Siehe hierzu auch Vöneky, Globalisierung und soziale Menschenrechte – Grenzen von Unternehmensakti­ vitäten insbesondere am Beispiel der Arzneimittelforschung in Schwellen- und Ent­ wicklungsländern, FIP Online (2013), abrufbar unter http://www.jura.uni-freiburg.de/ institute/ioeffr2/online-papers/FIP_10_2013_Menschenrechte_Unternehmen.pdf, 6. 80  CESCR, General Comment No. 14: The right to the highest attainable standard of health (article 12) (11. August 2000) UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.9 (Vol. I), S. 78– 96, Rdnr.  30. 81  CESCR, General Comment No. 14: The right to the highest attainable standard of health (article 12) (11. August 2000) UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.9 (Vol. I), S. 78– 96, Rdnr.  53. 82  CESCR, General Comment No. 14: The right to the highest attainable standard of health (article 12) (11. August 2000) UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.9 (Vol. I), S. 78– 96, Rdnr.  43. 83  So auch den Exter, Health care law-making in Central and Eastern Europe: Review of a legal-theoretical model (2002), 64. 84  ICJ, Barcelona Traction (5.  Februar 1970) ICJ Reports 1970, 3, 32, para. 34. 85  CESCR, General Comment No. 14: The right to the highest attainable standard of health (article 12) (11. August 2000) UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.9 (Vol. I), S. 78– 96, Rdnr.  1.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

nahezu flächendeckende Verankerung des Rechts auf Gesundheit in regio­ nalen Menschenrechtsinstrumenten sowie seine Verflechtung mit anderen Menschenrechten deuten ebenfalls auf seine enorme Bedeutung für den in­ ternationalen Menschenrechtsschutz und damit seinen Charakter als erga omnes Verpflichtung hin. cc) Besondere Gewährleistungen im Katastrophenfall Die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Be­ hindertenrechte-Konvention)86 und die Afrikanische Charta der Rechte und des Wohlergehens des Kindes87 gehen explizit von speziellen menschen­ rechtlichen Gewährleistungspflichten im Katastrophenfall aus.88 Art. 11 der Behindertenrechte-Konvention verpflichtet die Vertragsparteien, alle not­ wendigen Maßnahmen zu treffen, um den Schutz und die Sicherheit von behinderten Menschen in Risikosituationen, insbesondere bei Naturkatastro­ phen, sicherzustellen. Art. 23 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 der Afrikanischen Kin­ derrechtscharta verpflichtet die Vertragsparteien, aufgrund von Naturkata­ strophen binnenvertriebenen Kindern angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe zukommen zu lassen und gemäß Art. 25 Abs. 2 lit. b zur Zusammen­ führung von Eltern und Kindern beizutragen. Jedoch verpflichten die Behin­ dertenrechte-Konvention und die Afrikanische Kinderrechtscharta die Ver­ tragsstaaten nur dazu, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Gewährleistungen der Charta zur vollen Wirksamkeit zu bringen.89 Die beiden Konventionen zielen folglich in erster Linie darauf ab, einen vom Gedanken der Humanität geprägten Ordnungsrahmen zu schaffen, verbür­ gen aber keine unmittelbaren individuellen Rechte, zu deren Einhaltung der Staat direkt gegenüber dem Einzelnen verpflichtet ist.90

86  Convention on the Rights of Persons with Disabilities (CRPD), v. 13.  Dezem­ ber 2006 (in Kraft getreten am 3.  Mai 2008), 2515 UNTS 3. 87  African Charter on the Rights and Welfare of the Child (ACRWR), v. 11.  Juli 1990 (in Kraft getreten am 29.  November 1999), OAU Doc. CAB/LEG/24.9/49. 88  ILC, ‚Preliminary report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5.  Mai 2008) UN Doc. A/ CN.4/598, S. 10 Rdnr.  26. 89  Art. 4 Behindertenrechte-Konvention und Art. 1 Abs. 1 Afrikanische Kinder­ rechtscharta. 90  ILC, ‚Preliminary report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5.  Mai 2008) UN Doc. A/ CN.4/598, S. 10 Rdnr.  26.



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 

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b) Völkergewohnheitsrechtlich verankerte menschenrechtliche Vorgaben für den Schutz der Bevölkerung im Katastrophenfall Das Recht auf Leben ist auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt.91 Umstritten ist, ob es zum Bestand des jus cogens gehört, d. h. zu den völ­ kerrechtlichen Verpflichtungen, von denen unter keinen Umständen eine Abweichung zulässig ist.92 Das Recht auf Nahrung kann angesichts der Tatsache, dass es in fast allen internationalen und nationalen Menschen­ rechtsverträgen enthalten ist, auch als Bestandteil des Völkergewohnheits­ rechts eingeordnet werden.93 Das Recht auf Gesundheit wird teilweise als Element des Rechts auf Leben eingeordnet. Folgt man diesem Ansatz, so kann auch die Vermeidung von Gesundheitsschäden, die sich bedrohlich auf das Leben der Rechtsinhaber auswirken können, im Katastrophenfall als völkergewohnheitsrechtlich verankert angesehen werden.94 c) Ein Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall? Ein dritter Ansatz zur Konkretisierung der Pflichten des betroffenen Staa­ tes gegenüber seiner Bevölkerung könnte sich aus einem (kollektiv zu gewährenden)95 Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall 91  Petersen,

Life, Right to, International Protection, MPEPIL, Rdnr.  1. Ramcharan, The Right to Life, 30 NILR (1983), 297 (312), zitiert in Petersen, Life, Right to, International Protection, MPEPIL, Rdnr.  1; Meron, Human Rights and Humanitarian Law as Customary Law (1989), 194. 93  Mechlem, Food, Right to, International Protection, MPEPIL, Rdnr.  13. Zwar kann die Aufnahme einer Norm in einen völkerrechtlichen Vertrag auch dahingehend ausgelegt werden, dass die Vertragsparteien gerade nicht von einem völkergewohn­ heitsrechtlichen Status der Norm ausgehen und daher die Aufnahme in einen Vertrag für erforderlich halten. Hat der Vertrag jedoch in erster Linie das Ziel, Rechtsnor­ men zu schaffen und weist darüber hinaus eine umfassende und repräsentative Staa­ tenbeteiligung auf, so kann die Aufnahme der Norm in den Vertrag als Ausdruck allgemeiner Übung eingeordnet werden und ihr somit Indizwirkung für die völker­ gewohnheitsrechtliche Geltung der Norm beigemessen werden, siehe IGH, North Sea Continental Shelf (20.  Februar 1969) ICJ Reports 1969, 3, para. 73. Die Auf­ nahme des Rechts auf Nahrung in den IPwskR mit 162 Vertragsparteien deutet demnach darauf hin, dass das Recht auf Nahrung auch als Völkergewohnheitsrecht angesehen werden kann. 94  EGMR, L.C.B. v. United Kingdom, App no 23413/94 (9.  Juni 1998) EHHR 27, 212 [1998], paras. 36–41; Malinverni, The Protection of Social Rights in the Case Law of the European Court on Human Rights, in: Hanschel/Graf von Kiel­ mansegg/Kischel/Lorz (Hrsg.), Praxis des internationalen Menschenrechtsschutzes  – Entwicklung und Perspektiven (2008), 23 (24). 95  Roht-Arriaza/Aminzadeh, Solidarity Rights (Development, Peace, Environ­ ment, Humanitarian Assistance), MPEPIL (2007), Rdnr.  2. 92  Dafür

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

der betroffenen Bevölkerung gegenüber dem eigenen Staat ergeben.96 Ein solches Recht ist für das Humanitäre Völkerrecht in den Genfer Konven­ tionen normiert.97 Für eine völkergewohnheitsrechtliche Verankerung eines subjektiven Men­ schenrechts auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall in Friedenszeiten feh­ len derzeit jedoch die entsprechende Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung.98 Nur wenige nationale Katastrophenschutzgesetze normieren ein solches Recht im Verhältnis zwischen dem betroffenen Staat und der Bevölkerung.99 Das Vertragskomitee des IPwskR geht ebenfalls davon aus, dass Staaten eine gemeinsame Verantwortung haben, humanitäre Hilfe im Katastrophenfall zu leisten,100 was man cum grano salis als Anerkennung eines Rechts auf huma­ nitäre Hilfe im Katastrophenfall interpretieren könnte.101 In erster Linie pro­ pagieren aber vor allem im Rahmen von Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut le­ diglich als (progressive) Hilfsquellen zu berücksichtigende Juristenvereini­ 96  Matz-Lück, Solidarität, Souveränität und Völkerrecht: Grundzüge einer inter­ nationalen Solidargemeinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen (2012), Fisher, The Right to Humanitarian Assistance, in: Kälin/Williams/Koser/Solomon (Hrsg.), Incor­ porating the Guiding Principles on Internal Displacement into Domestic Law: Is­sues and Challenges (2010), 3.  Kapitel, 47 ff.; Saechao, 32 Brook. J. Int’l. L (2007), 699 ff.; Jakovljević, International Disaster Relief Law, 34 IYHR (2004), 251. 97  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  257, mit Verweis z. B. auf Artt. 38 Abs. 1, 59, 62, 108 der IV. Genfer Konvention. 98  Creta, A (Human) Right to Humanitarian Assistance in Disaster Situations? Surveying Public International Law, in: de Guttry/Gestri/Venturini (Hrsg.), Interna­ tional Disaster Response Law (2012), 15.  Kapitel, 377. 99  Art. 26 Law of the Republic of Indonesia Concerning Disaster Management, President of the Republic of Indonesia, No 24/2007 . Die ILC verweist auch auf Art. 3 b) des Law for the Reduction of Risks and Response to Disaster (Bolivien), v. 25.  Oktober 2000, , der ein „Right to Protection“ normiert, siehe ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  258 Fn. 801. Creta nennt noch Japan und Armenien, die in ihren nationalen Katastrophenschutzgesetzen indirekt auf ein Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenhilfe hinweisen, Creta, A (Human) Right to Humanitarian Assistance in Disaster Situations? Surveying ­Public International Law (2012), 373 f. Für Japan ist diese Interpretation aber abzu­ lehnen, dort werden allein bestimmte Handlungsoptionen aufgezählt, wie die regio­ nalen Verwaltungseinheiten Katastrohenhilfe leisten können, ohnen einen Nexus zwischen diesen praktischen Handlungsmöglichkeiten und deren Verankerung in den Menschenrechten zu ziehen, Art. 2 und 23 des Disaster Relief Act (Japan), v. 18. Oktober 1947 (geändert durch Law No. 87 v. 25. Dezember 1984), Law No. 108. 100  CESCR, General Comment No. 12: The right to adequate food (art. 11) (12.  Mai 1999) UN Doc. E/C.12/1999/5, Rdnr.  38. 101  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 35.



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 

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gungen ein solches Recht. So bejaht die IFRK ein Menschenrecht auf huma­ nitäre Hilfe im Katastrophenfall, welches sich deutlich aus zahlreichen bestehenden Menschenrechtsinstrumenten ergebe.102 Das IDI hat in Art. II Abs. 1 und 2 der Brügge-Resolution über humanitäre Hilfe ein Recht auf humanitäre Hilfe normiert und das Institut für Humanitäres Völkerrecht hat dem Recht auf humanitäre Hilfe eine eigenständige Resolution gewidmet, in der sein Inhalt de lege ferenda ausgearbeitet wird.103 Ein Recht auf humani­ täre Hilfe ist auch in den Mohonk Criteria enthalten.104 Auch einzelne, sich in der Mindermeinung befindliche Autoren bejahen das Recht105 und ordnen es dabei teilweise als sogenanntes Menschenrecht der dritten Generation, d. h. als Solidaritätsrecht, ein.106 Die Befürworter des Rechts auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall versuchen dabei teilweise auch, das Recht über die in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen verankerten staatlichen Ver­ pflichtungen zu begründen.107 Die Mehrheit der Staatengemeinschaft steht einem Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall aber ableh­ nend gegenüber. Chile und Frankreich haben vor dem Rechtsausschuss der Vereinten Nationen auf die Einzelverbürgungen in den bestehenden Men­ schenrechtsinstrumenten verwiesen, was indiziert, dass sie keine Notwendig­ 102  Äußerung des Ständigen Beobachters der IFRK bei den Vereinten Nationen, Michael Schulz, UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (20.  November 2008) UN Doc. A/C.6/63/SR.22, Rdnr.  67. 103  Council of the Institute of International Humanitarian Law, Guiding Princip­ les on the Right of Humanitarian Assistance, 33 International Review of the Red Cross (1993), 519 (520). 104  Ebersole, The Mohonk Criteria for Humanitarian Assistance in Complex Emergencies  – Task Force on Ethical and Legal Issues in Humanitarian Assistance, 17 Hum.Rts.Q. (1995), 192 (195 para. 1). 105  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  257 mit Verweis auf die Beiträge von Domestici-Met, Marie José in UNESCO, Le droit a l’assistance humanitaire  – Actes du Colloque organisé par l’UNESCO (Paris, 23.–25.  Januar 1995, 2003), 88 und Gros Espiel, Hector, ibid., 103; Heath, Disasters, relief, and neglect: The duty to accept humanitarian assistance and the work of the Interna­ tional Law Commission, 43 New York Univ. J. Int.’l L. & Pol. (2011), 419 (440); Hardcastle/Chua, Humanitarian Assistance: towards a right of access to victims of natural disasters, 38 International Review of the Red Cross (1998), 589 (605). 106  Patnaik, Towards an International Legal Framework for the Protection of Individuals in the Event of Disasters: An Initial Inquiry, in: Heintze/Zwitter (Hrsg.), International Law and Humanitarian Assistance. A Crosscut Through Legal Issues Pertaining to Humanitarianism (2011), 7.  Kapitel, 137 f. 107  Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights (Hrsg.)/Pietropaolo, LL.M Thesis: Humanitarian Assistance from the Standpoint of the Human Rights of the Disaster-Affected Individuals: Present and Future Perspec­ tives (2012–13) 9 f.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

keit für ein zusätzliches Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall se­ hen.108 China lehnt ein Recht der betroffenen Bevölkerung auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall explizit ab.109 Zudem wird ein Recht auf humani­ täre Hilfe im Katastrophenfall von den Staaten, die sich dazu geäußert haben, nicht als Recht der betroffenen Bevölkerung gegenüber dem betroffenen Staat eingeordnet, sondern als Recht gegenüber nicht betroffenen Staaten konstruiert. So erkennt z. B. die Europäische Union, auch im Namen von Kroatien, Island, Montenegro, Makedonien, Albanien, Bosnien und Her­ zegovina sowie Moldawien ein Recht auf externe, d. h. von anderem Staaten zu leistende, humanitäre Hilfe der Bevölkerung bei Unfähigkeit des betroffe­ nen Staates, die Katastrophe selbst zu bewältigen, an, ohne den betroffenen Staat als Verpflichtungsadressaten festzulegen.110 Insbesondere auch die UNGeneralversammlung hat sich in der Vergangenheit auf die primäre Verant­ wortung des betroffenen Staates und die Rechte und Pflichten der Staaten konzentriert und keinen rechtebezogenen Ansatz gewählt, folglich also auch ein Recht auf humanitäre Hilfe seitens der Opfer nicht angesprochen.111 Selbst die ILC hat ein Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall, trotz ihres als rechtebezogen deklarierten Ansatzes112, nicht in die DAPPED auf­ genommen, sondern sich in Art. 8 DAPPED auf einen Verweis auf die allge­ 108  Äußerungen von Chile in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr. 8; Frankreich in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (22.  Dezember 2009) UN Doc. A/C.6/64/SR.21, Rdnr.  19. 109  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 20th meeting‘ (17. Dezem­ ber 2009) UN Doc. A/C.6/64/SR.20, Rdnr.  21. 110  Äußerung des Bebobachters für die Europäische Union in UNGA Sixth Com­ mittee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/ SR.21, Rdnr. 56. Siehe hierzu unten Teil 3, Kapitel B. Äußerungen der Europäischen Union, die bei den Vereinten Nationen einen erweiterten Beobachterstatus innehat (siehe UNGA, Res 65/276 [Participation of the European Union in the work of the United Nations], v. 10.  Mai 2001, UN Doc. A/RES/65/276), im Rahmen der ILCDiskussionen bzw. den Sitzungen des Rechtsausschusses werden den Mitgliedstaaten nicht automatisch zugerechnet. Repräsentanten und Delegierte der Europäische Union haben zwar das Recht, Vorschläge und Änderungen, die unter allen EU-Mitgliedstaa­ ten abgestimmt wurden, in die UN-Generalversammlung und damit auch deren Rechtsausschuss einzubringen, About the EU at the UN in New York, European ­Union Delegation to the United Nations – New York . Nach Art. 14 der dem AEUV beigefügten Erklärung zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik berühren die entsprechenden Befugnisse der Europäischen Union aber nicht die Rechte der einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre eigene Außenpolitik. Eine Bindungswirkung von Äußerungen der Europäi­ schen Union im Rechtsausschuss der Vereinten Nationen ohne vorherige Festlegung einer gemeinsamen Linie kann daher den Mitgliedstaaten nicht zugerechnet werden. 111  Creta, A (Human) Right to Humanitarian Assistance in Disaster Situations? Surveying Public International Law (2012), 364, 375. 112  Siehe zur Arbeit der ILC ausführlich im Teil  4, Kapitel A.



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meinen Menschenrechte beschränkt.113 Die ­IASC-Guidelines stellen eben­ falls allein auf die allgemeinen, im Katastrophenfall weiterhin uneinge­ schränkt anwendbaren zentralen Menschenrechte ab, ohne auf ein gesonder­ tes Recht auf humanitäre Hilfe zu sprechen zu kommen.114 Auch bedeutende Völkerrechtler wie Dinstein lehnen ein Recht auf humanitäre Hilfe im Kata­ strophenfall ebenfalls ab.115 Ein subjektives Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall besteht daher mangels entsprechender Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung derzeit de lege lata nicht. De lege ferenda könnten als dogmatische Grundlage für ein Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall die einzelnen auch im Katastrophen­ fall zu beachtenden Menschenrechte dienen,116 z. B. das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, medizinische Versorgung, wie sie sich bei­ spielsweise aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte117 und den beiden Menschenrechts-Pakten ergeben.118 Es ist jedoch fraglich, ob ein Recht auf humanitäre Hilfe für die Opfer von Naturkatastrophen überhaupt einen theoretischen und praktischen Mehrgewinn für die internationale Ka­ tastrophenhilfe darstellen würde. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall materiell oder rechtstheore­ tisch einen über die Summe der in ihm enthaltenen Einzelverbürgungen hinausgehenden Gehalt hätte. In materieller Hinsicht ist es in Bezug auf den Umfang eines Menschen­ rechts auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall jedenfalls nicht abschlie­ ßend möglich, sich diesbezüglich auf einen einheitlichen Bestand eines ‚Sammelrechts‘ zu einigen: Während die Rechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser unstrittig darunter fallen würden, ist z. B. hinsichtlich des 113  „Article 8 Human rights: Persons affected by disasters are entitled to respect for their human rights.“, ILC, Texts and titles of draft articles 6, 7, 8 and 9 provi­ sionally adopted by the Drafting Committee on 6, 7 and 8 July 2010, UN Doc. A/ CN.4/L.776 (14.  Juli 2010). 114  Brookings-Bern Project on Internal Displacement, ‚Operational Guidelines on the Protection of Persons in Situations of Natural Disasters‘ (Januar 2011). 115  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Sec­ retariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  257 m. w. N.; Creta, A (Human) Right to Humanitarian Assistance in Disaster Situations? Surveying Public International Law (2012), 373; Nigel Rodley in UNESCO, Le droit a l’assistance hu­ manitaire – Actes du Colloque organisé par l’UNESCO (Paris, 23.–25. Januar 1995, 2003), 151; Dinstein, The Right to Humanitarian Assistance, 53 Naval War Coll. Rev. (2000), 77. 116  Saechao, 32 Brook. J. Int’l. L (2007), 700 ff.; Creta, A (Human) Right to Humanitarian Assistance in Disaster Situations? Surveying Public International Law (2012), 370. 117  UNGA, Res 217 A (III), v. 10.  Dezember 1948. 118  IPbpR; IPwskR.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Rechts auf Eigentum in Verbindung mit einem Recht auf Erhalt von Kom­ pensationszahlungen fraglich, ob man diese hinzuzählt. Je uferloser man den Bestand der in einem Recht auf humanitäre Hilfe potentiell enthaltenen Garantien ausweiten würde, desto unkonturierter würde es zudem werden. Nicht zuletzt käme die Bejahung eines Rechts auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall gegenüber dem betroffenen Staat auch dem Eingeständnis gleich, dass die von einer Katastrophe betroffenen Personen im Katastro­ phenfall ansonsten rechtlos gestellt seien. Dies ist unbestritten nicht der Fall. Der Staat ist im Rahmen des geltenden Völkerrechts im Friedensfall zur Einhaltung der Menschenrechte bis an die Grenze vereinzelt bestehen­ der Derogationsmöglichkeiten für bestimmte Rechte verpflichtet. Hier zeigt sich auch ein gravierender Unterschied zum Humanitären Völkerrecht, wo ein Recht auf humanitäre Hilfe anerkannt ist: dort sind Einschränkungen der Menschenrechtsbindung in sehr viel größerem Umfang als im Katastrophen­ fall völkerrechtlich zulässig bzw. sogar antizipiert. Derogationsmöglichkei­ ten bezüglich der Menschenrechte eröffnen sich im Friedensfall aber nur unter hohen Voraussetzungen. Zudem müssten die Derogationsoptionen von den Vertretern eines Rechts auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall kon­ sequenter Weise ohnehin auch von den derogierbaren Einzelrechten auf das Sammelrecht übertragen werden. Denn ein Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall ist von seiner Konzeption her nur ein Konglomerat beste­ hender Rechtsgarantien und kann somit in seinem inhaltlichen Gehalt nicht über die in ihm enthaltenen Einzelverbürgungen hinausgehen.119 Im Ergeb­ nis ist ein ‚Sammelrecht‘ auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall im Verhältnis zwischen den betroffenen Individuen und dem betroffenen Staat damit auch de lege ferenda nicht als notwendig anzusehen.120 Das Erschaf­ fen nicht notwendiger Menschenrechtskonstrukte würde aber auch langfris­ tig der „Integrität und Glaubwürdigkeit“121 des internationalen Menschen­ rechtsregimes Schaden zufügen. 119  Auch das Brookings-Bern Project on Internal Displacement, ‚Operational Guide­lines on the Protection of Persons in Situations of Natural Disasters‘ (Januar 2011) listet allein einzelne im Katastrophenfall relevante Rechte auf, ohne ihnen ein zusätzliches Recht auf humanitäre Hilfe an die Seite zu stellen, siehe dort die Rech­ te in Gruppe A und B. 120  So auch Kälin, 55 German Yearbook of International Law (2012), 147. Etwas anderes kann im Verhältnis zwischen den betroffenen Individuen und den nicht be­ troffenen Staaten gelten. Hier könnte einem Recht auf humanitäre Hilfe im Kata­ strophenfall unter dem Aspekt Relevanz zukommen, die fehlende extraterritoriale Geltung der Menschenrechte zu überwinden. Siehe dazu auch Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights (Hrsg.)/Pietropaolo, LL.M The­ sis: Humanitarian Assistance from the Standpoint of the Human Rights of the Di­ saster-Affected Individuals: Present and Future Perspectives (2012–13) , 15 ff. 121  Hardcastle/Chua, 38 International Review of the Red Cross (1998), 593.



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Stellt man auf die potentielle rechtstheoretische Funktion eines Rechts auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall ab, so könnte diese darin liegen, dass es die Rechtsgrundlage für konkrete Verhaltenspflichten aller Beteiligten darstelle könnte, z. B. eine Pflicht des betroffenen Staates, fremdstaatliche Hilfstruppen in das betroffene Gebiet hineinzulassen. Man würde damit, bildlich gesprochen, der Brücke zwischen den einzelnen Menschenrechten und den konkreten, daraus fließenden Verhaltensvorgaben einen Oberbegriff zuweisen. Auch hier gilt aber, dass ein Recht auf humanitäre Hilfe im Ka­ tastrophenfall keine stärkere Legitimationsgrundlage bilden kann als seine Einzelverbürgungen in kumulativer Wirkungsweise. Schließlich müsste für jede einzelne Verhaltensvorgabe, die man aus dem Recht auf humanitäre Hilfe ableiten würde, gesondert geprüft werden, es bereits völkergewohn­ heitsrechtlich anerkannt ist, dass sich das Recht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall auf die in Rede stehende Verhaltensvorgabe erstreckt bzw. sich diese aus ihm ableiten lässt. Dies reduziert den Mehrwert eines poten­ tiellen Rechts humanitäre Hilfe weiter. Im Ergebnis ist ein Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall damit auch de lege ferenda abzu­ lehnen. d) Responsibility to Protect? Der Ansatz, den Souveränitätsbegriff zu Gunsten der Menschenrechte einzuschränken, kommt in der aktuellen völkerrechtlichen Diskussion be­ sonders prägnant im – noch nicht zu Völkergewohnheitsrecht erstarkten122 – Konzept der Responsibility to Protect zum Ausdruck.123 Das Zusammenspiel von Responsibility to Protect und Katastrophenhilfe gehört zu den Kernfra­ gen des Katastrophenhilfevölkerrechts, die bislang zwar bereits vielerorts diskutiert wird, in Schrifttum und Praxis aber noch keiner abschließenden Lösung zugeführt wurde. Als rechtliches Konzept im Sinne der Akzentuie­ rung bestimmter Aspekte staatlicher Verantwortung im Verhältnis zur eige­ nen Bevölkerung erscheint es zwar sinnvoll, die Responsibility to Protect auch auf Katastrophenfälle anzuwenden.124 Auf dieser Linie liegt auch der 122  Siehe nur Shaw, International Law (2008), 1158; Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht (2013), Rdnr.  22; Winkelmann, Responsibility to Protect, MPEPIL (2010), Rdnr.  13. 123  Zum Vorgängermodell der Responsibility to Protect, dem Droit d’ingérence, Focarelli, Duty to Protect in Cases of Natural Disasters, MPEPIL, Rdnr.  3; und allgemein Bettati/Kouchner (Hrsg.), Le devoir d’ingerénce: Peut-on les laisser mou­ rir? (1987) passim. 124  So auch International Commission on Intervention and State Sovereignty, ‚The Responsibility to Protect: Report of the International Commission on Interven­ tion and State Sovereignty‘ (Dezember 2001) (2001) , S. 33. Anders UNGA, World Summit Outcome, v. 24.  Oktober 2005, UN Doc. A/Res/60/1, S. 30 Rdnr.  138 ff.; zudem auch Barber, The Responsiblity to Protect the Survivors of Natural Disasters: Cyclone Nargis, a Case Study, 14 JCSL (2009), 3 (4). Anders Heath, 43 New York Univ. J. Int.’l L. & Pol. (2011), 431 f. Allerdings ist die Berufung auf die Schutzverantwortung als Rechtfertigungsgrund für gewaltsame humanitäre Interventionen mangels entspre­ chender völkergewohnheitsrechtlicher Etablierung im Fall von Naturkatastrophen derzeit noch abzulehnen. Eine Staatenpraxis sowie Rechtsüberzeugung der Staaten dahingehend, bei Naturkatastrophen notfalls gewaltsam dem betroffenen Staat Hilfe zu oktroyieren, ist nach derzeitiger Hypothese nicht anzuerkennen, siehe unten so­ wie Jackson, Bullets for Beans: Humanitarian Intervention and the Responsibility to Protect in Natural Disasters, 59 Naval L. Rev. (2010), 1 (15). 125  International Commission on Intervention and State Sovereignty, ‚The Res­ ponsibility to Protect: Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty‘ (Dezember 2001) (2001), 33. 126  ICISS, Members of the Commission (2011), .



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gelehnt.127 Nur Polen hat sich der Auffassung der ICISS mittelbar ange­ schlossen. Es wurde in den Diskussionen des UN-Rechtsausschusses zwar darauf hingewiesen, dass die Responsibility to Protect zwar derzeit noch auf Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen ge­ gen die Menschlichkeit beschränkt sei. Dies gelte aber nur so lange, bis die Staatengemeinschaft sich nicht für eine Erweiterung entschieden habe. Der Bereich des Katastrophenhilfevölkerrechts verlange nun eine derartige Er­ weiterung des Anwendungsbereichs zumindest auf Naturkatastrophen.128 Demgegenüber verneinen Kolumbien,129 China,130 Japan,131 Thailand132 und Sri Lanka133 eine Ausdehnung der Responsibility to Protect auf Katastro­ phenfälle im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts. Auch das World Summit Outcome der UN-Generalversammlung geht von einem sehr engen Verständnis der Responsibility to Protect aus. Danach handele es sich allein um eine „Responsibility to protect populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity.“134 Naturkatastrophen werden hier somit nicht als Anwendungsfall der Responsibility to Protect angese­ hen, sondern an anderer Stelle als „humanitarian emergencies“ bezeichnet, mit denen sich insbesondere der Wirtschafts- und Sozialrat beschäftigen soll135 und bezüglich derer „humanitarian assistance“ im Wesentlichen durch Kooperation im Rahmen des allgemeinen UN-Systems geleistet werden solle.136 Auch der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat sich 2008 aus­ drücklich gegen eine Ausdehnung der Responsibility to Protect auf Natur­ katastrophen ausgesprochen: 127  Hinweis des Chairman in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 18th meeting‘ (9.  Dezember 2009) UN Doc. A/C.6/64/SR.18, Rdnr.  80. 128  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  85. 129  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr.  25. 130  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  42. 131  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  26. 132  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  89. 133  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 27th meeting‘ (8.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.27, Rdnr.  18. 134  UNGA, World Summit Outcome (24.  Oktober 2005) UN Doc. A/Res/60/1, S. 30, Abschnitte 138 ff. 135  UNGA, World Summit Outcome (24.  Oktober 2005) UN Doc. A/Res/60/1, S. 32, Abschnitt 155. 136  UNGA, World Summit Outcome (24.  Oktober 2005) UN Doc. A/Res/60/1, S. 12 ff., Abschnitt 55 (g.), S. 19 Abschnitt 67 und S. 36 f., Abschnitte 168 und 169.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

„Our conception of RtoP, then, is narrow but deep. Its scope is narrow, focused solely on the four crimes and violations agreed by the world leaders in 2005. Extending the principle to cover other calamities, such as HIV / AIDS, climate change or response to natural disasters, would undermine the 2005 consensus and stretch the concept beyond recognition or operational utility.“137

Beschränkt man die Responsibility to Protect konzeptuell auf Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so könnte man ihre Anwendung aber möglicherweise her­ beiführen, indem man die Verweigerung oder Behinderung humanitärer Hilfe als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes138 einordnet.139 Dazu müsste die Verweigerung der Hilfe von ausländischen Staaten oder Hilfsorganisationen in Form eines ausgedehnten oder systematischen An­ griffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen werden (Art. 7 IStGH-Statut).140 Dies soll im Rahmen der Rechtsfolgen bei Verhaltenspflichtverletzungen des betroffenen Staates näher untersucht wer­ den (2.  Teil, C.). e) Kooperationspflicht Man könnte zur näheren Ausgestaltung der Pflichten des betroffenen Staates auch auf das Kooperationsprinzip rekurrieren. Eine allgemeine völ­ kerrechtliche Definition des Kooperationsbegriffes gibt es weder in Verträ­ gen noch sonstigen Dokumenten. Insbesondere enthalten auch die DAPPED der ILC keine Konkretisierung des Begriffs.141 Der Begriff lässt sich nach Dahm, Delbrück und Wolfrum definieren als „freiwillig koordinierte Aktion von zwei oder mehr Staaten […], die unter einem Rechtsrahmen erfolgt und ein spezifisches Ziel verfolgt.“142 Die genaue Bedeutung des Kooperations­ 137  United Nations, Secretary-General defends, clarifies ‚Responsibility to Pro­ tect‘ at Berlin Event on ‚Responsible Sovereignty: International Cooperation for A Changed World‘, UN Doc. SG/SM/11701 (15.  Juli 2008). 138  Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH-Statut), v. 17.  Juli 1998 (in Kraft getreten am 2.  Juli 2002), 2187 UNTS 90. 139  Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law, in: de Guttry/ Gestri/Venturini (Hrsg.), International Disaster Response Law (2012), 18.  Kapitel, 448; Barber, 14 JCSL (2009), 17 ff.; Thakur, Crisis and response – part I, YaleGlobal (19. Mai 2008), . 140  Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 448. 141  Siehe dazu auch ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixty-first session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (4.  Mai–5.  Juni, 6.  Juli–7. August 2009) UN Doc. A/64/10, Rdnr.  177. 142  Wolfrum, Cooperation, International Law of, MPEPIL (2010) Rdnr.  2; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte, in: Dahm/Delbrück/



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begriffes wird dabei durch das zu verfolgende Ziel vorgegeben.143 Im Un­ terschied zum Solidaritätsbegriff ist die zwischenstaatliche Kooperation außerhalb von wertebasierten Überlegungen einzuordnen, da die Gründe zur Zusammenarbeit häufig auch allein in der Förderung eigener Interessen bestehen.144 Bei der Kooperationspflicht handelt es sich somit, im Gegen­ satz zu den genannten individuellen Verpflichtungen des betroffenen Staates gegenüber seiner Bevölkerung, um eine potentielle Verpflichtung gegenüber der Staatengemeinschaft im internationalen Rechtsrahmen.145 Völkerrechtsdogmatisch ist die UN-Charta146 Ausgangspunkt für das Ko­ operationsprinzip. Sie beruft sich in Art. 1 Abs. 3 sowie in den Art. 55 lit. b und 56 auf die internationale Zusammenarbeit genereller Art, d. h. in allen globalen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder humanitären Angele­ genheiten. Die Pflicht zur Kooperation ist zudem auch eines der sieben in der Friendly Relations Declaration enthaltenen Prinzipien.147 Aus beiden Dokumenten lassen sich aber weder eine völkerrechtlich verbindliche Ko­ operationspflicht noch sonstige verbindliche Verhaltenspflichten zur gene­ rellen Kooperation, d. h. zum Eintritt in eine koordinierte Aktion, ableiten.148 Eine solche allgemeine Kooperationspflicht hat sich auch völkergewohn­ heitsrechtlich nach ganz herrschender Meinung noch nicht etabliert, da es insbesondere an der erforderlichen Rechtsüberzeugung fehlt.149 Die Staaten Wolfrum (Hrsg.), Völkerrecht (2. Aufl. 1989), § 172: Die zwischenstaatliche Koope­ ration und Solidarität, 852; ebenfalls zitiert von Delbrück, The international obliga­ tion to cooperate-an empty shell or a hard law principle of international law? – A  critical look at a much debated paradigm of modern international law, in: Hes­ termeyer/König/Matz-Lück/Röben/Seibert-Fohr/Stoll/Vöneky (Hrsg.), Coexistence, Co­operation and Solidarity  – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, Bd. I (2012), 5. 143  Delbrück, The international obligation to cooperate-an empty shell or a hard law principle of international law?-A critical look at a much debated paradigm of modern international law (2012), 5. 144  Wolfrum, Concluding Remarks, in: Wolfrum/Kojima (Hrsg.), Solidarity: A Structural Principle (2010), 228. 145  ILC, ‚Fourth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (11.  Mai 2011) UN Doc. A/ CN.4/643, Rdnr.  38. 146  UN-Charta. 147  Prinzip 2 der Resolution UNGA, Res 2625 (XXV) [Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation among States in accordance with the Charter of the United Nations], v. 24.  Oktober 1970, UN Doc. A/RES/25/2625. 148  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 851. 149  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 854; Delbrück, The international obligation to cooperate-an empty shell or a hard law principle of international law?-A critical look at a much debated paradigm of

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

haben vielmehr ein Ermessen dabei, in welcher Form sie kooperative As­ pekte in ihre internationalen Beziehungen integrieren.150 Dass die Kooperationspflicht indes perspektivisch auch für die Ver­ pflichtungen des betroffenen Staates selbst Bedeutung haben kann, wird vor allem seitens der Vereinten Nationen in nicht-bindenden Dokumenten propagiert, die auf eine gemeinsame und individuelle Verantwortung zur Kooperation hinweisen.151 Allerdings scheint Kooperation begrifflich ein Handeln auf der Grundlage der Gegenseitigkeit vorauszusetzen. Ersucht der betroffene Staat einen anderen um Hilfe, arbeitet er aber gerade nicht mit diesem zusammen, sondern eröffnet nur einseitig für den anderen Staat eine Handlungsmöglichkeit, während er selbst  – bis auf die Formulierung des Hilfegesuchs  – passiv bleibt. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man jedoch, wenn man die im Katastrophenfall einschlägigen Menschenrechte auf Leben und Gesundheit als erga omnes Verpflichtungen ansieht.152 Sie sprechen somit gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft die Verpflich­ tung aus, den Schutz der von einer Katastrophe betroffenen Bevölkerung sicherzustellen. Daraus lässt sich jedweder Interaktion zwischen betroffe­ nem Staat und internationalen Akteuren bezüglich einer Katastrophe Ko­ operationscharakter zum Zweck des gemeinsam zu erreichenden und glei­ chermaßen verbindlichen Menschenrechtsschutzes für die betroffene Bevöl­ kerung zuweisen.

modern international law (2012), 13; Wolfrum, Cooperation, International Law of, MPEPIL, Rdnr.  18. 150  Konert, Die unterschiedliche Behandlung im Welthandels- und Umweltvölker­ recht und ihr Einfluss auf die Herausbildung eines Solidaritätsprinzips (2010), 3; Delbrück, The international obligation to cooperate-an empty shell or a hard law principle of international law?-A critical look at a much debated paradigm of mod­ ern international law (2012), 13 f. 151  ILC, ‚Fourth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (11.  Mai 2011) UN Doc. A/ CN.4/643, Rdnr.  36 ff.; Art. 5 DAPPED (ILC, Texts and titles of draft articles 1, 2, 3, 4 and 5 provisionally adopted by the Drafting Committee, UN Doc. A/CN.4/L.758 (24.  Juli 2009)); Human Rights Council, Resolution 9/6: Follow-up to the seventh special session of the Human Rights Council on the negative impact of the worsen­ ing of the world food crisis on the realization of the right to food for all, v. 18. Sep­ tember 2008, UN Doc. A/HRC/9/L.12, Abs. 5; Human Rights Council, ‚Promotion and Protection of all human rights, civil, political, economic, social and cultural rights, including the right to development. Human rights and international solidarity: Note by the United Nations High Commissioner for Human Rights‘ (15.  August 2008) UN Doc. A/HRC/9/10, Rdnr.  21, 24, 31. 152  Siehe oben aa) Verpflichtung zum Schutz des Lebens und bb) Schutz der Gesundheit und Recht auf Nahrung und Wasser.



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f) Analoge Anwendung des humanitären Völkerrechts? Ein weiterer Ansatz zur Ausgestaltung der Verhaltenspflichten des betrof­ fenen Staates könnte in einer – im Völkerrecht grundsätzlich zulässigen153 – analogen Anwendung der Regeln des humanitären Völkerrechts zur huma­ nitären Hilfe zu suchen sein. In Betracht kommt zunächst die Übertragung von Art. 38 der IV. Genfer Konvention154, wonach zu gewährleisten ist, dass die geschützten Personen Einzel- und Sammelhilfesendungen erhalten und zugestellt bekommen. Nach Art. 70 Abs. 2 des 1. Zusatzprotokolls (ZP 1) zu den Rotkreuzabkommen155 müssen die am Konflikt beteiligten Parteien sowie alle Vertragsparteien den schnellen und ungehinderten Durchlass von Hilfssendungen, -ausrüstung und -personal genehmigen und erleichtern, auch wenn die Hilfe für die Zivilbevölkerung der gegnerischen Partei be­ stimmt ist. Zudem deuten verschiedene im Kontext bewaffneter Konfliktes erlassene Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zumindest auf eine in der Entstehung befindliche Staatenpraxis der Mitglieder des UN-Sicherheitsrates hin, wonach Staaten im Fall eines bewaffneten Konfliktes verpflichtet wur­ den, humanitäre Hilfe von Staaten, IGOs und NGOs anzunehmen.156 Allerdings setzt eine analoge Anwendung der zitierten Genfer Normen auf das Katastrophenhilfevölkerrecht eine planwidrige Regelungslücke vo­ raus.157 Dies ist nur dann der Fall, wenn man davon ausgeht, dass das bisherige Regelungsnetz kein ausreichend verfestigtes, systematisches Fun­ dament für die Begründung von Verhaltenspflichten bei Katastrophen im 153  Vöneky,

Analogy in International Law, MPEPIL (2008), Rdnr.  24. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten v. 12. August 1949, in Kraft getreten am 21.  Oktober 1950, 75 UNTS 287. 155  Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12.  August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) v. 8. Juni 1977, in Kraft getreten am 7.  Dezember 1978, 1125 UNTS 3. 156  Koroma, Solidarity, Evidence of an Emerging International Legal Principle (2012), 106, unter Verweis auf die UN-Sicherheitsrats-Resolutionen UN Security Council, Res 688/1991 [Irak], v. 5. April 1991, die „(3.) insists that Iraq allow im­ mediate access bei international humanitarian organizations to all those in need of assistance in all parts of Iraq and to make available all necessary facilities for their operations.“, sowie UN Security Council, Res 1564 (2004) [Sudan], v. 18.  Septem­ ber 2004, UN Doc. S/RES/1564 (2004), die fordert, dass „(10.) all armed groups, including rebel forces (…) cooperate with international humanitarian relief and monitoring efforts.“ Erwähnenswert ist auch die UN-Sicherheitsrats-Resolution UN Security Council, Res 1706 (2006), v. 18.  September 2004, UN Doc. S/RES/1701 (2006)zum Konflikt zwischen Israel und der Hizbollah im Libanon, wo es heißt, dass alle Parteien dafür verantwortlich sind, „(7.) humanitarian access to civilian populations, including safe passage for humanitarian convoys, or the voluntary and safe return of displaced persons“ sicherzustellen. 157  Vöneky, Analogy in International Law, MPEPIL, Rdnr.  16. 154  IV.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Friedensfall bereithält. Zu beachten ist ferner, dass eine Regelungslücke gerade dann nicht besteht, wenn, wie Vöneky feststellt, „it is acknowledged by the relevant subjects of international law that they may act as they wish to158“, d. h. die Staaten ihr Verhalten gerade nicht rechtlich regulieren woll­ ten. Ob die analoge Anwendung des humanitären Völkerrechts im Verhältnis zwischen dem betroffenen Staat und seiner Bevölkerung besondere Pflichten dem betroffenen Staat auferlegt, kann daher erst abschließend nach einer Analyse des derzeitigen völkergewohnheitsrechtlichen Bestandes des Kata­ strophenhilfevölkerrechts beantwortet werden. g) Zwischenergebnis Sowohl im Völkervertragsrecht als auch im Völkergewohnheitsrecht fin­ det sich die menschenrechtliche Verpflichtung für Staaten, das Leben der eigenen Bevölkerung zu schützen. Nach den Vorgaben des internationalen Menschenrechtsschutzes obliegt es danach dem von einer Katastrophe be­ troffenen Staat, Katastrophenschutz und Katastrophenhilfe zu Gunsten sei­ ner Bevölkerung sicherzustellen.159 Ist der betroffene Staat daneben vertrag­ lich auch an weitere Einzelverbürgungen wie das Recht auf Gesundheit gebunden, so ergibt sich auch hieraus eine Pflicht zur Hilfeleistung. Ein von den Einzelverbürgungen losgelöstes Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall hat sich demgegenüber de lega lata noch nicht etabliert. Dem betroffenen Staat kommt folglich allein auf der Grundlage seiner men­ schenrechtlichen Verpflichtungen die primäre Rolle beim Umgang mit der Katastrophe und dem Bevölkerungsschutz im Katastrophenfall zu. Dieser Gedanke wird von der überwiegenden Mehrheit von der Staatengemein­ schaft als allgemeines Rechtsprinzip anerkannt.160 Halten sich die Staaten nicht an die sich aus ihrer Souveränität ergebende übergeordnete Pflicht, die für sie geltenden völkerrechtlichen Verpflichtungen zu achten, begehen sie grundsätzlich einen völkerrechtswidrigen Akt. Neben den menschenrecht­ lichen Verpflichtungen spielt das in der Entstehung befindliche Konzept der Schutzverantwortung derzeit noch keine Rolle. Daneben können sich zwar theoretisch aus dem Kooperationsprinzip auch für den betroffenen Staat Pflichten ableiten lassen, sofern die Sicherstellung von erga omnes Rechten 158  Vöneky,

Analogy in International Law, MPEPIL, Rdnr.  16. zur menschenrechtlichen Begründung der Schutzpflichten des betroffe­ nen Staates z. B. die Äußerung des argentinischen ILC-Mitglieds Mr. Enrique J. A. Candioti in ILC, ‚Provisional summary record of the 3057th meeting‘ (4. Juni 2010) UN Doc. A/CN.4/SR.3057, S. 3. 160  Art. 6 lit. b Law of the Republic of Indonesia Concerning Disaster Manage­ ment; Abschnitt 4.6., Abs. 3 Europäischer Rat, The Stockholm Programme – an open and secure Europe serving and protecting citizens, v. 4.  Mai 2010, 2010/C 115/1. 159  Siehe



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 201

wie dem Recht auf Leben und Gesundheit in Frage steht. Allerdings man­ gelt es insofern an dessen völkergewohnheitsrechtlichen Verankerung, um rechtlich verbindliche Verhaltensvorgaben daraus abzuleiten. Über die Frage einer analogen Anwendung des humanitären Völkerrechts kann erst nach Feststellung einer planwidrigen Regelungslücke hinsichtlich einzelner kon­ kreter Verhaltenspflichten befunden werden.

II. Aufgaben des betroffenen Staates im Katastrophenfall: Gefahrenabwehr – Katastrophenschutz – Katastrophenhilfe Um den Schutz des Lebens und der Gesundheit der eigenen Bevölkerung sicherzustellen, hat der Staat zunächst mit eigenen Mitteln geeignete Maß­ nahmen zur Vorbeugung der Katastrophe zu treffen. Zwar haben sich viele besonders katastrophenanfällige Länder in der Vergangenheit vor allem auf den Zeitraum ab dem Eintritt einer Katastrophe konzentriert, mittlerweile haben sie aber erkannt, dass es ebenso wichtig ist, vorbeugend durch Kata­ strophenvorsorge die möglichen Auswirkungen von Katastrophen abzu­ schwächen.161 In vielen Ländern wurden daher Gesetze erlassen, die sich auch Fragen der Vorbeugung von Katastrophen widmen.162 Auch in der Rechtsprechung internationaler Gerichte, z. B. des EGMR, wird die Ver­ pflichtung des Staates zur Gefahrenabwehr und dem präventiven Schutz der Bevölkerung durch den Erlass administrativer und legislativer Maßnahmen betont.163 Ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Katastrophe ist der betroffene Staat verpflichtet, Maßnahmen zur Rettung und Bergung der betroffenen Bevöl­ kerung durchzuführen sowie sicherzustellen, dass die Folgen der Katastro­ phe nicht zur Schädigungen des Lebens oder der Gesundheit der Bevölke­ rung führen.164 Maßnahmen können beinhalten, Medikamente zum Schutz 161  IFRK, ‚Disasters in Africa. The case for legal preparedness‘ (2011) , 4; IFRK, ‚Disasters in the Americas. The case for legal preparedness‘ (2011) , 4–5. 162  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  44. 163  EGMR, Urteil Öneryildiz v. Türkei, Application no. 48939/99 (30.  November 2004) Rdnr.  89, 91; EGMR, Urteil Budayeva et al. v. Russische Föderation, Appli­ cations nos. 15339/02, 21166/02, 20058/02, 11673/02 and 15343/02 (29.  September 2008), Rdnr.  128–134; Kälin, 55 German Yearbook of International Law (2012), 136, 138. 164  Zu den erforderlichen Maßnahmen bei der Reaktion auf Katastrophen siehe IFRK, Responding to disasters, .

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

vor mit der Katastrophe einhergehenden Gesundheitsrisiken, z. B. in Form von Epidemien, zu verteilen. Möglicherweise sind die betroffenen Staaten auch zur Entwicklung von Impfstoffen verpflichtet. Auch administrative Maßnahmen zählen dazu, vermittels denen akute Gefahrensituationen ent­ schärft werden können. Von hoher Bedeutung ist auch die umfassende und frühzeitige Information der Bevölkerung über die aktuelle Lage und beste­ hende Risiken. Wichtig sind auch Vorkehrungen zum Schutz der öffentli­ chen Ordnung, die durch Plünderungen nach Katastrophen gestört werden kann.165 Des Weiteren kann es wichtig werden, die Bevölkerung aus Gefah­ renzonen zu evakuieren und ihre Rückkehr zu verhindern, wenn dies zum Schutz ihres Lebens und der Gesundheit erforderlich ist.166 Daneben kann auch der Erlass entsprechend effektiver Katastrophenge­ setzgebung eine Maßnahme zum Bevölkerungsschutz darstellen, indem so die innerstaatlichen Kompetenzen und Verantwortungsbereiche zwischen den beteiligten nationalen Akteuren klar verteilt werden, Regeln zur Koor­ dination festgeschrieben werden und dadurch zumindest theoretisch ein ef­ fektiver Rahmen für die Katastrophenvorsorge, -vermeidung und -hilfe ge­ schaffen wird sowie entsprechende Mechanismen und Verfahrensabläufe etabliert werden.167 Ohne umfassenden legislativen Rahmen der Katastro­ phenhilfe werden im Katastrophenfall sonst häufig falsche Prioritäten ge­ setzt oder die Qualität der geleisteten Hilfe kann nicht sichergestellt werden. Zwar haben mittlerweile fast alle Länder der Welt Gesetze für den Katast­ rophenfall erlassen,168 Umfang und Qualität der Regelungen unterscheiden sich aber teilweise deutlich. Vor allem in industrialisierten Staaten existiert ein umfangreicher legislativer Rahmen für den Katastrophenschutz, der durch einen entsprechenden effektiven Behördenunterbau ergänzt wird. 165  Kälin, 55 German Yearbook of International Law (2012), 139. Human Rights Watch hat in Japan kritisiert, dass die betroffene Bevölkerung auch ein Jahr nach Fukushima nicht über die Sicherheitslage in Bezug auf die potentielle nukleare Ver­ seuchung bestimmter Lebensmittel informiert wurde, Human Rights Watch, Japan: A Year After Fukushima, Response Falls Short. Disclose Detailed Information About Health, Food Safety (9.  März 2012) . 166  Japan hat im Umkreis von 20km Schutz- und Evakuierungszonen um das Atomkraftwerk in Fukushima errichtet und das Betreten der Evakuierungszone mit einer hohen Geldstrafe belegt, Japan bans entry into Fukushima evacuation zone, BBC (21.  April 2011), . Siehe zu den Evakuierungszonen auch Kälin, 55 German Yearbook of International Law (2012), 139. 167  IFRK, ‚Disasters in Africa. The case for legal preparedness‘ (2011), 4. 168  ILC, ‚Preliminary report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (5.  Mai 2008) UN Doc. A/ CN.4/598, Rdnr.  36.



A. Innerstaatliche Pflicht zur Katastrophenhilfe 203

Hierzu zählt z. B. die Bundesrepublik Deutschland.169 Auch die EU-Mit­ gliedstaaten verfügen über einen guten rechtlichen Rahmen auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes.170 Zu beachten ist allerdings, dass auch die Über­ regulierung der Katastrophenhilfe auf nationaler Ebene Probleme nach sich ziehen kann, indem z. B. so die Verteilung von Hilfsgütern überbürokratisiert 169  Der Katastrophenschutz als Gefahrenabwehrrecht ist gemäß Art. 70 Grundge­ setz (GG) den Ländern zugewiesen. Landeskatastrophenschutzgesetze (vgl. z. B. das LKatSG BW, das BayKSG, das LKatSG Schleswig-Holstein und das KatSG Berlin). enthalten u. a. Regelungen über die Aufgaben und Organisation der Katastrophen­ schutzbehörden, die Katastrophenhilfe, die Katastrophenbekämpfung, Hilfs- und Schutzpflichten, das Katastrophenmanagement im Allgemeinen sowie Entschädi­ gungsvorschriften. Doch nicht immer ist ein Bundesland allein in der Lage, auf Katastrophensituationen angemessen und effizient zu reagieren. Diese Überlegung sowie die Möglichkeit neuer Bedrohungsszenarien, wie der Terroranschläge vom 11.  September 2001, gaben daher in der Bundesrepublik für Bund und Länder den Ausschlag, eine gemeinsame Verantwortung bei außergewöhnlichen nationalen Großschadenslagen anzuerkennen, die ein effektives Krisenmanagement und prag­ matische Kooperation über die teilweise engen Zuständigkeitsgrenzen des bestehen­ den dualen Katastrophenschutz- und vorsorgesystems hinaus erfordern. Im Rahmen dessen verabschiedete die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder 2002 zwei Beschlüsse für eine Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland (Bundesministerium des Inneren, Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland ). Da der Bund gemäß Art. 73 Abs. 1  Nr. 1 GG ausschließlich für den Schutz der Zivilbevöl­ kerung vor kriegsbedingten Gefahren zuständig ist, wurde im Rahmen dieses Pro­ grammes für militärische Krisen und Lagen auf Bundesebene das Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes verabschiedet (ZSKG) und ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gegründet (Das BBK hat seinen Sitz in Bonn und ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren. Die Behörde ist das zentrale Organisationsele­ ment für alle Fragen der Zivilen Sicherheit. Weitere Informationen finden sich unter Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK ). Das ZSKG ent­ hält auch Regelungen für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Katastro­ phenfall. So sieht § 12 ZSKG vor, dass die Einrichtungen des Bundes für den Zivil­ schutz den Ländern auch für ihre Aufgaben im Bereich des Katastrophenschutzes zur Verfügung stehen. Verfassungsrechtlich normiert zudem Art. 35 GG die gegen­ seitige Amtshilfe der Polizeikräfte der Länder, des Bundesgrenzschutzes sowie der Streitkräfte im Falle von Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfäl­ len. Auch die übrigen EU-Mitgliedstaaten verfügen über einen guten rechtlichen Rahmen auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes (IFRK, ‚Analysis of Law in the EU and a Selection of Member States pertaining to Cross-Border Disaster Relief (Synthesis Report and Recommendations)‘ (2010) , 6). 170  IFRK, ‚Analysis of Law in the EU and a Selection of Member States pertain­ ing to Cross-Border Disaster Relief (Synthesis Report and Recommendations)‘ (2010), 12.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

und dadurch verlangsamt wird oder es an anderen Stellen zu Blockaden kommt.171 Daneben gibt es Länder mit noch junger Gesetzgebung im Be­ reich des Katastrophenschutzes bzw. Länder, die noch an der Verabschie­ dung effektiver Katastrophenschutzgesetze arbeiten.172 Die Staaten dürfen sich bei der Umsetzung nicht allein auf den Erlass einer Verfassung oder von Gesetzen beschränken, sondern müssen auch sonstige Maßnahmen wählen, die den Individuen zur Garantie ihrer Rechte verhelfen.173 Gerade in Entwicklungsländern fehlt es häufig an einem geeigneten tatsächlichen, infrastrukturellen Rahmen, der effektive Katastrophenhilfe ermöglichen würde.174 Es fehlt häufig schon an den finanziellen Mitteln, den Mitarbei­ tern und der Erfahrung, die Gesetze bei Katastrophenfällen in die Praxis umzusetzen.175 Defizite bestehen auch dabei, die Kommunen in die Kata­ strophenhilfe einzubinden.176 Die Umsetzung von Katastrophehilferegelungen in die nationalen Rechtsordnungen der Staaten ist daher ohne Begleitmaß­ nahmen nicht geeignet, um die Effektivität der Katastrophenhilfe zu stei­ gern.177 Dies wirft die Frage auf, ob der betroffene Staat dazu verpflichtet ist, subsidiär fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn die von ihm selbst getroffenen Maßnahmen zur effektiven Katastrophenhilfe nicht ausreichen.

B. Pflicht des betroffenen Staates zur subsidiären ­Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe Nachdem im vorangehenden Kapitel die dogmatischen Grundlagen für Verhaltenspflichten des betroffenen Staates dargestellt wurden, soll in die­ sem Abschnitt untersucht werden, welche konkreten Verhaltenspflichten sich hieraus für den betroffenen Staat ergeben. In Betracht kommt zum einen die 171  IFRK,

‚Disasters in the Americas. The case for legal preparedness‘ (2011), 6. Institute of Humanitarian Law, ‚International Course on Law and Legal Protection in Natural Disasters, Summary Report‘ (3.–7.  Dezember 2012) An­ nex 1: Action Plans, 0–6. 173  HRC, General Comment No. 3 – Implementation at the national level (Art. 2) (29.  Juli 1981) UN Doc. HRI/GEN/1/Rev.1, S. 4 Rdnr.  1. 174  International Institute of Humanitarian Law, ‚International Course on Law and Legal Protection in Natural Disasters, Summary Report‘ (3.–7.  Dezember 2012) Annex 1: Action Plans, S. 0–6. 175  IFRK, ‚Disasters in Africa. The case for legal preparedness‘ (2011), 8. 176  IFRK, ‚Disasters in Africa. The case for legal preparedness‘ (2011), 6. 177  Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 584; International Institute of Humanitarian Law, ‚International Course on Law and Legal Protection in Natural Disasters, Summary Report‘ (3.–7.  Dezember 2012), S. 3. 172  International



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe205

Pflicht, internationale humanitäre Hilfe anzufordern (I.), zum anderen die Pflicht, angebotene Hilfe anzunehmen (II.). In einem dritten Schritt wird darauf eingegangen, welche Verhaltenspflichten der betroffene Staat im Falle der Annahme fremder Katastrophenhilfe insbesondere gegenüber fremdstaatlichen Einsatzkräften einhalten muss (III.).

I. Pflicht des betroffenen Staates, internationale humanitäre Hilfe anzufordern Eine Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen, stellt nicht nur eine Souveränitätsbeschränkung für den betroffenen Staat dar. Sie steht auch im Spannungsfeld zwischen zwei Grundprinzipien des internationalen Kata­ strophenschutzvölkerrechts. Es stehen sich der bestmögliche und vor allem zeitnahe Schutz der betroffenen Bevölkerung und die primäre Verantwortung des betroffenen Staates für die Katastrophenhilfe gegenüber.178 Das Ziel, die Menschenrechte der Opfer zu schützen, ist Leitprinzip der Katastrophenhilfe. Es kann am besten erreicht werden, je schneller humanitäre Hilfe mobilisiert wird. Zum anderen aber ist anerkannt, dass es vorzugswürdig ist, wenn der betroffene Staat grundsätzlich versucht, in größtmöglichem Umfang selbst die Folgen der Katastrophe zu bewältigen. Die nationalen Stellen haben Orts­ kenntnis und sind mit den zu beachtenden soziokulturellen und religiösen Be­ sonderheiten der betroffenen Bevölkerung vertraut. Die Koordination und Kommunikation unter den nationalen Helfern kann zentralisiert werden. Mit dem Hinzutreten internationaler Akteure wird es schwieriger, die Kommuni­ kation an einer zentralen Schaltstelle zu bündeln und eine effektive Koordina­ tion der verschiedenen Beteiligten sicherzustellen. Nationale Helfer stoßen, anders als das Hilfspersonal von fremden Staaten oder Hilfsorganisationen, auf keine Sprachbarrieren und die betroffene Bevölkerung hat oft in die An­ gehörigen der eigenen Nationalität mehr Vertrauen als in fremde Helfer, die nicht selten unter dem Verdacht stehen, vor allem in Entwicklungsländern politische Partikularinteressen und Ziele der Entwicklungshilfe durchzuset­ zen. Darüber hinaus ist es v. a. bei komplexen Katastrophensituationen wich­ tig, dem betroffenen Staat frühzeitig möglichst viel Verantwortung zu übertra­ gen und Vertrauen in die eigenen Katastrophenbewältigungskompetenzen zu geben, um einen reibungslosen Übergang von der akuten Katastrophenhilfe zum langfristigen Wiederaufbau zu ermöglichen.179 Internationale Hilfe soll daher nur subsidiär zu den Bemühungen des betroffenen Staates erfolgen. 178  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007)‚ 89. 179  Welche Probleme sich aus der Beteiligung zu vieler internationaler Akteure ergeben können, haben die Beispiele Südostasien 2004 und insbesondere Haiti 2011 gezeigt.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Rechtstechnisch ist das Ersuchen internationaler Akteure um Hilfe in zwei­ erlei Hinsicht bedeutsam. Es weist zum einen eine materiell-rechtliche Kom­ ponente in Form der subsidiären Gewährleistung des Schutzes der Bevölke­ rung auf, wenn die staatlichen Mittel nicht mehr ausreichen. Ihm kommt aber auch eine technisch-prozessuale Bedeutung zu. In der internationalen Katas­ trophenhilfe werden Staaten in aller Regel erst dann als Helfer aktiv, wenn ein offizielles Hilfsgesuch des betroffenen Staates vorliegt.180 Ein Tätigwer­ den der Geberländer ohne offizielles Hilfsgesuch widerspricht der guten Pra­ xis des internationalen Katastrophenmanagements, wie sie sich seit Jahren zwischen Geberländern und anderen humanitären Akteuren etabliert hat, und könnte zudem eine Verletzung der staatlichen Souveränität darstellen.181 Ob und unter welchen Voraussetzungen der betroffene Staat aber bereits völker­ rechtlich dazu verpflichtet werden kann, im Katastrophenfall ein Hilfegesuch auszusprechen, soll im Folgenden untersucht werden. 1. Völkerrechtliche Bindungswirkung a) Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen, als Bestandteil der völkerrechtlich bindenden Pflicht zum Schutz der Menschenrechte der Bevölkerung Auf welche Art und Weise der betroffene Staat seiner Pflicht, Leben und Gesundheit seiner Bevölkerung zu schützen und existentielle Grundbedürf­ nisse sicherzustellen, nachkommt, ist unerheblich, solange die Pflicht im Ergebnis erfüllt wird (‚obligation of result‘). Man könnte daher argumentie­ ren, dass das Ersuchen internationaler Akteure um Hilfe nur eine von meh­ reren möglichen Erfüllungsmodalitäten darstellt und eine entsprechende Ersuchenspflicht der originären Schutzverpflichtung ohnehin immanent ist. Die Bindungswirkung ergäbe sich aus den vertraglich und gewohnheits­ rechtlich geltenden Menschenrechten, insbesondere aber aus dem Recht auf Leben und Gesundheit, da diese die umfassendste Geltungskraft der im Katastrophenfall zentralen Menschenrechte haben. Das Ersuchen internatio­ naler Akteure um Hilfe wäre demnach eine zwingende Handlungsoption für 180  Siehe z. B. Art. 222 Abs. 2 AEUV: „(2) Ist ein Mitgliedstaat von einem Ter­ roranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Kata­ strophe betroffen, so leisten die anderen Mitgliedstaaten ihm auf Ersuchen seiner politischen Organe Unterstützung (…)“ (Hervorhebung durch Verf.); Art. 3 lit. a) FCCDA; Art. 12 Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents. Dazu auch Bannon, International Disaster Response Law and the Commonwealth: Answering the Call to Action, 34 Commonwealth Law Bulletin (2008), 843 (850). 181  Government of Canada, How the Government of Canada Responds to Natural Disasters Abroad. Frequently Asked Questions (2013).



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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den Staat, wenn er mit eigenen Mitteln den Schutz der Bevölkerung nicht mehr sicherstellen kann. Eine solche Interpretation unterstützt auch das Vertragskomitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte des ­IPwskR. Die volle Umsetzung der im IPwskR enthaltenen Rechte erfordere nach Art. 2 Abs. 1 IPwskR den maximalen Ressourceneinsatz des Vertrags­ staates. Der Begriff der „maximalen Ressourcen“ beziehe sich nicht nur auf die im Staat bereits verfügbaren Ressourcen, sondern auch auf die durch internationale Kooperation und Unterstützung erhältlichen Ressourcen der Staatengemeinschaft.182 Für das Recht auf Nahrung wird diese Aussage noch prononciert. Ein Staat könne sich nicht mit Verweis auf seine Unfä­ higkeit, das Recht auf Nahrung sicherzustellen, von einem Völkerrechtsver­ stoß exkulpieren, wenn er nicht nachweisen kann, dass er bereits internati­ onale Hilfe zur Sicherstellung der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Nahrung angefordert hat.183 Auch z. B. Rumänien hat in den Diskussionen des Rechtsausschusses angedeutet, dass es davon ausgeht, dass es noch zur primären Verantwortung des betroffenen Staates gehört, das Ersuchen inter­ nationaler Hilfe in Betracht zu ziehen.184 Dieser Interpretation ist zuzustim­ men. Alle Mitgliedstaaten des IpbpR und IPwskR sind verpflichtet, ihre maximalen Ressourcen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit ihrer Bevölkerung einzusetzen. Wenn der Kerngehalt des Rechts auf Leben be­ droht ist, d. h. wenn Rechtsinhaber ohne externe Katastrophenhilfe von an­ deren Staaten sterben würden, umfasst der Einsatz der maximalen Ressour­ cen auch das Erbitten von internationaler Katastrophenhilfe. Ein praktisches Beispiel für die Anwendung dieser Pflicht in der Staatenpraxis ist der Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014. Alle drei der besonders betroffenen Staaten Liberia, Guinea und Sierra Leone haben internationale Hilfe ange­ fordert, um die notwendigen medizinischen Isolationseinheiten einzurichten und die medizinische Versorgung der infizierten Personen sicherzustellen.185 Hilfsgesuche sind jedem Staat möglich, d. h. es wird von dem betroffenen Staat auch nichts gefordert, was seine Reaktionsmöglichkeiten übersteigen würde, sofern es sich nicht um einen ‚failed State‘ handelt oder die Regie­ rung durch die Katastrophe vollständig vernichtet oder faktisch handlungs­ unfähig gemacht wurde. Zu beachten ist aber, dass die extensive Auslegung der menschenrecht­ lichen Verpflichtungen, die eine Erweiterung um das Ersuchen von fremder 182  CESCR, General Comment No. 3: The nature of states parties obligations (art. 2 para. 1), v. 14.  Dezember 1990, enthalten in UN Doc. E/1991/23, Rdnr.  13. 183  General Comment No. 12: The right to adequate food (art. 11) (12. Mai 1999) UN Doc. E/C.12/1999/5, Rdnr.  17. 184  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.24, Rdnr.  48. 185  Hübler, FIP Online (2015), 19.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Hilfe beinhaltet, nur dann zulässig ist, wenn der Wesenskern von existen­ ziellen und gewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrechten wie dem Recht auf Leben und dem Recht auf Gesundheit tangiert sind. Wenn bei­ spielsweise nur Komponenten des Rechts auf Leben oder Gesundheit betrof­ fen sind, wie etwa das Recht auf Zugang zu wichtigen, aber nicht überle­ bensnotwendigen Medikamenten, muss ein restriktiverer Ansatz gewählt werden. Wenn eine Pflicht zum Ersuchen um Hilfe generell aus den Men­ schenrechten ableitbar wäre, würde dies die aktuelle umfassende Debatte zwischen der Staatengemeinschaft, der ILC und der IFRC hinsichtlich der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung einer derartigen Pflicht ad absurdum führen. Die Existenz dieser Debatten im Katastrophenhilfevölkerrecht, ins­ besondere im Rechtsausschuss der Vereinten Nationen, zeigt aber gerade, dass die Staatengemeinschaft eine derart weitreichende Auslegung des Rechts auf Leben und Recht auf Gesundheit noch nicht akzeptiert. b) Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen, als Norm des Völkergewohnheitsrechts aa) Staatenpraxis (1) Völkerrechtliche Verträge Lediglich die Tampere-Konvention normiert in Art. 4 Abs. 1, dass der von einer Katastrophe betroffene Staat andere Vertragsparteien um Hilfe ersu­ chen darf. In der englischen Sprachfassung ist von „may request such as­ sistance“ die Rede, in der französischen Version von „peut s’adresser“ und in der spanischen Fassung von „socorro podrá recabarla.“ Dem betroffenen Staat wird demnach nur die Möglichkeit eingeräumt, sich um Hilfe zu be­ mühen. Eine Pflicht wird nicht statuiert. Dies ergibt sich auch aus einer systematischen Auslegung der verwendeten Formulierungen nach Art. 31 Abs. 1 WVRK, wonach die verwendeten Bestimmungen in ihrem jeweiligen Kontext zu interpretieren sind. So kennt die Tampere-Konvention durchaus an anderen Stellen explizite Verhaltenspflichten. In Art. 5 Abs. 7 TampereKonvention werden die hilfeleistenden Vertragsstaaten zur Beachtung der Gesetze und Verordnungen des hilfsbedürftigen Staates verpflichtet. Auch werden verschiedene andere verbindliche Verhaltensvorgaben der Staaten sowie von Personen mit besonderen Funktionen nachdrücklich normiert, indem in der englischen Sprachfassung diesbezüglich an 17 Stellen das starke Modalwort ‚shall‘ statt der schwächeren Modalverben ‚may‘ oder ‚should‘ verwendet wird. Art. 12 der Konvention über die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Industrieunfällen räumt dem betroffenen Staat ebenfalls nur die Möglichkeit



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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ein, andere Staaten um Hilfe zu ersuchen („may ask for assistance“).186 An­ dere Konventionen befassen sich nicht mit einer möglichen Pflicht des be­ troffenen Staates, um Hilfe zu ersuchen. Dies impliziert, dass die Vertrags­ parteien es in diesen Konventionen selbstverständlich in das Ermessen des betroffenen Staates stellen wollten, ob er um Hilfe ersucht. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Vertragspraxis der Staaten keine Hinweise auf eine Pflicht, andere Staaten um Hilfe zu ersu­ chen, enthält. (2) Praxis begründende Handlungen und Unterlassungen von Staaten Eine einheitliche Verhaltenspraxis der Staaten hat sich bezüglich der Fra­ ge, ob und wie der betroffene Staat die internationale Gemeinschaft um Hilfe ersuchen muss, bislang nicht herausgebildet, wie ein Untersuchung einiger Beispiele vergangener Katastrophenfälle zeigt. Dies gilt gerade auch für die Gruppe der katastrophenanfälligsten Staaten, die im Bereich des Katastrophenhilfevölkerrechts als besonderes betroffene (‚specially affect­ ed‘) Staaten anzusehen sind und deren Praxis begründenden Handlungen und Unterlassungen starkes Gewicht bei der Ermittlung des Völkergewohn­ heitsrechts zukommt.187 Es gibt einerseits Beispiele, in denen der betroffene Staat ab Kenntnis ei­ nes nationalen Kapazitätsdefizits oder zumindest zeitnah zum Eintritt der Ka­ tastrophe Anfragen nach internationaler Hilfe im Katastrophenfall gestellt hat. Die Regierung von Haiti stellte unmittelbar nach dem Erdbeben 2010 eine Anfrage nach internationaler Hilfe.188 Auch Kambodscha189 und Laos190 haben regelmäßig internationale Hilfe ersucht. Häufig wurde dabei auch be­ 186  Convention

on the Transboundary Effects of Industrial Accidents. North Sea Continental Shelf (20. Februar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 43 para. 74. Welche Staaten besonders katastrophenanfällig sind, er gibt sich aus dem Ranking des World Risk Report, der u. a. von der UN ausgearbeitet wurde, Bündis Entwicklung Hilft, ‚World Risk Report 2012 (in Kooperation mit United Nations University Institute for Environment and Human Security und The Nature Conser­ vancy)‘ (2012) . 188  IFRK, ‚IDRL in Haiti: A study on the legal framework for the facilitation and regulation of international disaster response‘ (Januar 2012) , 29. 189  IFRK/ADB, ‚Legal Preparedness for Responding to Disasters and Communi­ cable Disease Emergencies in Cambodia‘ (2009) , 49. 190  IFRK/ADB, ‚Legal Preparedness for Responding to Disasters and Communi­ cable Disease Emergencies in Lao PDR‘ (2009) , 70 f. 187  IGH,

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

reits gezielt nach bestimmten Hilfsgütern und -maßnahmen gefragt. Als der Südsudan191 im Sommer 2013 von schwerem Hochwasser betroffen war, übermittelte die Ständige Vertretung des Südsudans bei einem Treffen mit der UN-Behörde OCHA in Genf einen offiziellen Hilfsappell der Regierung, der sich an die internationale Staatengemeinschaft allgemein richtete. Sie wurde ersucht, alle verfügbaren Ressourcen und Hilfsgüter zur Hochwasserhilfe zur Verfügung zu stellen, insbesondere Notfallunterkünfte, Nahrung und Medika­ mente für die 340.000 betroffenen Menschen.192 Als Begründung für den Hilfsappell wurde angeführt, dass die Ressourcen der Regierung und die vor­ handenen Vorräte beschränkt seien und weitere heftige Regenfälle drohten.193 Japan194 hat nach dem Erdbeben und Tsunami 2011 zumindest Such- und Bergungsteams von Australien, der EU, Neuseeland, Südkorea und den USA angefragt sowie die EU um Rettungshunde ersucht.195 Auf den Philippinen196 lösten Tropensturm Trami sowie nachfolgende Schlechtwetterprognosen im August 2013 einen Hilfsappell an die internationale Gemeinschaft aus; starke landwirtschaftliche Schäden nach Taifun Usagi führten im September 2013 zu einer Anfrage an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen 191  Der Sudan ist auf Platz 59 des Weltrisikoberichts eingeordnet, siehe Bündnis Entwicklung Hilft, ‚World Risk Report 2012 (in Kooperation mit United Nations University Institute for Environment and Human Security und The Nature Conser­ vancy)‘, 65. 192  OCHA, ‚Sudan: Flash Update (issue # 2)‘ (7.  August 2013) , 1; OCHA, ‚Sudan: Flash Update (issue # 8)‘ (3.  September 2013) , 1. 193  Leaman, ‚South Sudan Devastated By Floods, Requests Emergency Humani­ tarian Aid‘ South Sudan News (24. August 2013) . 194  Japan ist auf Platz 16 des Bündis Entwicklung Hilft, ‚World Risk Report 2012 (in Kooperation mit United Nations University Institute for Environment and Human Security und The Nature Conservancy)‘, 64. 195  Japan requests foreign rescue teams, U.N. says, Reuters (11.  März 2011), . 196  Die Philippinen sind auf Platz 3 des Weltrisikoberichts eingeordnet, siehe Bündnis Entwicklung Hilft, ‚World Risk Report 2012 (in Kooperation mit United Nations University Institute for Environment and Human Security und The Nature Conservancy)‘, 64, und waren 2011 auf Platz 5 des Global Climate Risk Index, Germanwatch e. V., ‚Global Climate Risk Index 2013. Who suffers most from ex­ treme weather events? Weather-related loss events in 2011 and 1992 to 2011‘ (No­ vember 2012) Vol. 8 , 7. Das Ar­ chipel besteht aus über 7.000 Inseln am zirkumpazifischen Feuerring, an dem sich häufig Erdbeben und Vulkanausbrüche ereignen. Jährlich sorgen ca. 20 Taifune und Stürme für starke Überflutungen, OCHA, Philippines: Towards zero casualty, .



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe211

(WFP) nach logistischer Hilfe, noch bevor der philippinische National Disas­ ter Risk Reduction Management Council (NDRRMC) eine umfassende Un­ tersuchung der Schäden vorgenommen hatte.197 Nach Taifun Haiyan im No­ vember 2013 ersuchte die philippinische Regierung z. B. die USA konkret um Schiffe und Flugzeuge, um Such- und Rettungsoperationen durchzufüh­ ren und per Luftbrücke Versorgungsmaterialien zu verteilen.198 Bei dem durch Überschwemmungen des Nigers ausgelösten Hochwassers fragte die Regierung Malis199 die Vereinten Nationen nach Hilfsgütern (Decken, Kü­ chenutensilien, Zelte, Plastikeimer), Nahrungsmitteln und Medikamenten.200 Neuseeland hat zur Hilfe mit den Folgen eines schweren Erdbebens 2011 u. a. die Europäische Kommission um die Bereitstellung von sanitären Anlagen, temporären Unterkünften und Abrissunterstützung gebeten.201 Es finden sich aber auch Situationen, in denen die betroffenen Staaten verspätet internationale Hilfe anforderten oder erst mit Verzögerung Aussa­ gen über ein mögliches Bedürfnis nach internationaler Hilfe trafen.202 Eine Studie der IFRK nennt als Beispiele Stürme auf den Fiji-Inseln203 und ein Erdbeben in der Türkei 1999, wo internationale Hilfe jeweils sehr verspätet angefordert wurde.204 Der japanische Staatspräsident Shinzo Abe hat erst knapp 2,5 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima Experten um 197  International Organization for Migration, ‚IOM Responds to Request for LifeSaving Aid as Floods Leave Half of Manila Underwater‘ (20. August 2013) ; OCHA, ‚Philippines: Typhoon Usagi (local name Odet­ te)  – OCHA Flash Update‘ (23.  September 2013) . 198  ,Philippines calls for help as huge rescue operation begins after typhoon Hai­ yan‘ The Guardian (10.  November 2013) . 199  Mali ist auf Platz 46 des Weltrisikoberichts eingeordnet, siehe Bündnis Ent­ wicklung Hilft, ‚World Risk Report 2012 (in Kooperation mit United Nations Uni­ versity Institute for Environment and Human Security und The Nature Conservan­ cy)‘. 200  OCHA, ‚Mali  – Floods OCHA Situation Report No. 2‘ (9.  Oktober 2001) . 201  Europäische Kommission, Erdbeben in Neuseeland: Europäische Kommission aktiviert EU‑Katastrophenschutzverfahren, IP/11/232 (25.  Februar 2011). 202  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 89; Bannon, 34 Commonwealth Law Bulletin (2008), 850. 203  IFRK, ‚IDRL Asia-Pacific Study  – Fiji: Laws, Policies, Planning and Prac­ tices on International Disaster Response‘ (Juli 2005) , 30. 204  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 89 mit Nachweisen in Fn. 669.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

internationale Hilfe ersucht, um die Probleme mit radioaktiv belastetem Kühlwasser regulieren zu können.205 Schließlich gibt es auch Beispiele in der Staatenpraxis, in denen überhaupt keine internationale Hilfe angefordert wurde.206 Thailand und Indien haben nach dem Tsunami in Südostasien 2004 keine Hilfsanfragen gestellt.207 Die USA haben trotz internationaler Kritik nach dem Hurrikan Katrina 2005 keine Hilfsanfragen gestellt.208 Burma hat auch keine Hilfsanfragen ausgestellt, als es von Zyklon Nargis 2008 getroffen wurde. Obwohl der Zusammensturz von Brücken und Stra­ ßenblockaden die Verteilung von Hilfsgütern behinderten und 1,2 Mio. Menschen betroffen waren, forderte die mexikanische Regierung nach Hur­ rikan Ingrid und Tropensturm Manuel 2013 keine internationale Hilfe, sondern setzte nur nationale Katastrophenhilfemechanismen ein.209 Die Staatenpraxis zeigt demnach, dass Staaten somit generell nach eige­ nem Ermessen entscheiden, ob und in welchem Umfang sie internationale Akteure um Hilfe ersuchen. Indizien für eine Pflicht, andere Staaten im Katastrophenfall um Hilfe zu ersuchen, gibt es nicht. bb) Opinio iuris (1) Nationale Katastrophenschutzgesetze In nationalen Katastrophenschutzgesetzen wird den verantwortlichen Be­ hörden in vielen Staaten ebenfalls lediglich die Möglichkeit eröffnet bzw. die Befugnis eingeräumt, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen, eine Pflicht wird nicht normiert.210 Es handelt sich hierbei in aller Regel um 205  Germis, ‚Havarierte Atomreaktoren: Japan bittet Ausland um Hilfe in Fuku­ shima‘ FAZ (6.  Oktober 2013) ; ‚Chaos in Fukushi­ ma: Shinzo Abe bittet erstmals internationale Experten um Hilfe‘ Der Spiegel (6.  Oktober 2013) . 206  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 89. 207  Tsunami Evaluation Coalition, ‚Funding the tsunami response: A synthesis of findings‘ (2006) , 22. 208  ,Annan ruft zu Hilfe für Hurrikan-Opfer‘ Handelsblatt (2.  September 2005) . 209  Pan American Health Organization, ‚Heavy Rains Produce Floods and Land­ slides in the Region‘ (18.  September 2013) . 210  Z. B. in Indonesien, Art. 7 Abs. 2 lit. d Law of the Republic of Indonesia Con­ cerning Disaster Management („The authority of the government over disaster man­



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe213

interne Zuständigkeitsverteilungen zwischen den beteiligten Behörden, d. h. es wird normiert, wer darüber entscheiden kann, ob und wie internationale Akteure um Hilfe ersucht werden können.211 Eine Verpflichtung zum Anfor­ dern externer Hilfe wird in keinem nationalen Katastrophenschutzgesetz gefordert, diese Entscheidung steht immer im Ermessen der für zuständig erklärten Behörde.212 Hieraus lässt sich ableiten, dass die Staaten keine Rechtsüberzeugung dahingehend aufweisen, rechtlich zum Ersuchen um fremde Hilfe verpflichtet zu sein, sondern dies nur als eine unverbindliche Verhaltensoption ansehen. agement shall encompass: (…) d. policy option for cooperation with other countries, agencies, or other international parties in disaster management;“  – Hervorhebung durch Verf.); ebenso in Haiti, siehe IFRK, ‚IDRL in Haiti: A study on the legal framework for the facilitation and regulation of international disaster response‘ (Ja­ nuar 2012), 29. 211  Siehe z. B. Sect. 38 Rescue Act Finland (Unofficial translation, legally bind­ing only in Finnish and Swedish), Ministry of the Interior, 379/2011; Art. 16 Disaster Management Act of Bhutan, Parliament of Bhutan, v. 2013, ; für die Niederlande siehe The Nether­ lands Red Cross, ‚Legal Aspects of International Disaster Response in Dutch Emer­ gencies and Crisis Situations. An analysis of Dutch legislation and policy in light of the Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance (the IDRL Guidelines)‘ (2010) , 25. 212  In Deutschland obliegt den Bundesländern die Zuständigkeit für den Kata­ strophenschutz. Sie richtet sich jeweils nach dem dreistufigen Behördenaufbau (sie­ he z. B. § 4 LKatSG BW, § 3 KatSG Berlin). Untere Katastrophenschutzbehörden sind in aller Regeln die Landratsämter und Bürgermeisterämter als untere Verwal­ tungsbehörden. Höhere Katastrophenschutzbehörden sind die Regierungspräsidien. Die oberste Katastrophenschutzbehörde ist das Innenministerium. Eine explizite Befugnis der jeweils zuständigen Behörde zur Anforderung von Katastrophenhilfe von anderen Bundesländern oder anderen Staaten oder Stellen, die nicht ohnehin nach den landesgesetzlichen Bestimmungen zur Katastrophenhilfe verpflichtet sind (z. B. Feuerwehren und Anstalten des öffentlichen Rechts nach § 7 Abs. 3 BayKSG oder freiwillige Helfer nach §§ 17 Abs. 2, 8 LKatSG Schleswig-Holstein), wird in keinem Bundesland normiert. Den Behörden wird lediglich die Befugnis übertragen, nach pflichtgemäßem Ermessen die zur Bekämpfung der Katastrophe notwendigen Maßnahmen zu treffen (z. B. § 1 Abs. 1 LKatSG BW,  7 Abs. 2 KatSG Berlin, § 1 Abs. 2 LKatSG Schleswig-Holstein). Es lässt sich hier durchaus argumentieren, dass bei einer Ermessensreduktion auf Null die Anfrage an andere Bundesländer oder sogar ausländische Staaten angezeigt ist, wenn das Bundesland die Katastrophe nicht mehr alleine bewältigen kann. Gefährdet eine Katastrophe mehr als ein Bundesland, kann schließlich die Bundesregierung den Landesregierungen im Rahmen der Bun­ desauftragsverwaltung nach Art. 35 Abs. 3  GG Weisungen zur Bereitstellung von Polizeikräften an andere Bundesländer erteilen und selbst Streitkräfte zur Unterstüt­ zung der Polizeikräfte einsetzen, ohne dass es hierzu einer Hilfsanfrage durch das betroffene Bundesland bedarf.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

(2) Staatenäußerungen bei Internationalen Organisationen und vor internationalen Ausschüssen Bei den Diskussionen der DAPPED in der UN-Generalversammlung ha­ ben bereits 20 Staaten eine Pflicht des betroffenen Staates, um Hilfe zu ersu­ chen, bejaht. Slowenien geht davon aus, dass eine Pflicht besteht, internatio­ nale Hilfe zu ersuchen, wenn die nationale Katastrophenbewältigungskompe­ tenz fehlt, nicht ausreicht oder der Staat nicht willens ist, davon Gebrauch zu machen.213 Singapur ist der Auffassung, dass der betroffene Staat zumindest die Pflicht habe, sich mit externen Hilfsangeboten auseinanderzusetzen.214 Auch Italien bejaht implizit eine Pflicht des betroffenen Staates, um Hilfe zu ersuchen, wobei die Pflicht nicht erst bei Erschöpfung der nationalen Ka­ta­ stro­phenbewältigungskompetenz eingreifen solle, sondern bereits in einem frü­ heren Stadium, d. h. sobald sich externe Hilfe zum effektiven Schutz der be­ troffenen Bevölkerung anbietet.215 Ebenso bejahen Israel216 und Südkorea217 eine Hilfeersuchenspflicht, die aber in den DAPPED noch näher ausgestaltet und konkretisiert werden müsse. El Salvador218, Indien219 und Rumänien220 bejahen ebenfalls die Pflicht, dass ein Staat um externe Hilfe ersuchen muss, wenn seine nationale Katastrophenbewältigungskompetenz nicht ausreicht. Auch Kolumbien221, Tschechien222, Griechenland223 und Algerien224 begrü­ 213  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 20th meeting‘ (23. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.20, Rdnr.  11. 214  Äußerung von Singapur in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  75. 215  Äußerung von Italien in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  91. 216  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  33. 217  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  82. 218  Äußerung von El Salvador in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  12. 219  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr.  13. 220  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  18. 221  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  27. 222  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr.  19. 223  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  25. 224  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  31.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe215

ßen die in Art. 13 (ex. Art. 10) DAPPED normierte Pflicht, um Hilfe zu ersu­ chen. Auch Chile bejaht eine Hilfeersuchenspflicht, leitet sie aber explizit aus den vertragsrechtlich und völkergewohnheitsrechtlich bestehenden Pflichten des betroffenen Staates zum Schutz der Menschenrechte ab.225 Andere Länder sehen die Pflicht, um Hilfe zu ersuchen, lediglich als begrüßenswertes lex ferenda an. Finnland hat im Rahmen der Besprechung der Arbeit der ILC 2008 vor dem Sechsten Ausschuss der UN auch im Namen der nordischen Länder226 die Auffassung geäußert, dass der von einer Katastrophe betroffene Staat mit anderen Staaten und Organisationen kooperieren muss, wenn er nicht in der Lage ist, die für das Überleben der Bevölkerung erforderlichen Hilfsgüter- und maßnahmen bereitzustellen.227 2010 machte Finnland, erneut auch im Namen der nordischen Länder, deut­ lich, dass die Etablierung einer Pflicht, um externe Hilfe zu ersuchen, aus­ drücklich begrüßt wird.228 Auch die Niederlande bejahen eine Hilfeersu­ chenspflicht, wenn auch anerkannt wird, dass es sich dabei um einen Vorstoß der ILC auf dem Gebiet der progressiven Entwicklung des Völkerrechts handelt.229 Demgegenüber liegt es nach Auffassung des Iran230, Kubas231, Russlands232 und Malaysias233 allein im Ermessen des betroffenen Staates, zu entscheiden, ob internationale humanitäre Hilfe erforderlich ist und er deshalb darum ersuchen möchte. Es handele sich allein um eine moralische und politische Pflicht, um Hilfe zu ersuchen, aber nicht um eine bindende 225  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  8. 226  Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden, siehe UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  58. 227  „(…) if the affected State was unable to provide the goods and services re­ quired for the survival of the population, it must cooperate with other States or organizations willing and able to do so.“, UNGA Sixth Committee, ‚Summary re­ cord of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  53. 228  Äußerung von Finnland auch im Namen der nordischen Länder in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (20.  November 2008) UN Doc. A/C.6/63/SR.22, Rdnr.  60. 229  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  48. 230  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  36; UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting’ (1. Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.24, Rdnr. 50. 231  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  27. 232  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  37. 233  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  122.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Rechtspflicht.234 Auch Österreich235, Indonesien236, China237 und Irland238 lehnen es ab, dem betroffenen Staat eine Pflicht, Hilfe zu ersuchen, aufzu­ erlegen. Frankreich239 und Großbritannien240 sehen ebenfalls noch keinen Konsens der internationalen Gemeinschaft bezüglich einer Hilfeersuchens­ pflicht des betroffenen Staates. Großbritannien lehnt es insbesondere ab, eine solche Pflicht aus den vertragsrechtlich und völkergewohnheitsrechtlich bestehenden Pflichten des betroffenen Staates zum Schutz der Menschen­ rechte abzuleiten.241 Japan steht einer Hilfeersuchenspflicht ebenfalls zu­ rückhaltend gegenüber.242 Auch Sri Lanka würde es bevorzugen, von einer Empfehlung, um Hilfe zu ersuchen, zu sprechen, anstatt von einer Pflicht.243 Die Europäische Union hat sich, zugleich im Namen von Kroatien, Island, Montenegro, Makedonien, Albanien, Bosnien und Herzegovina sowie Mol­ dawien, ebenfalls zurückhaltend geäußert. Art. 12 und 13 (ex. Art. 9 und 10) DAPPED, in denen die Pflicht des betroffenen Staates, um Hilfe zu ersu­ chen, wurde nur implizit und in Bezug darauf zugestimmt, dass der betrof­ fene Staat die primäre Rolle im Katastrophenfall innehat.244 Die Zustim­ mung wurde dabei in den Kontext eines Rechts auf externe humanitäre 234  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  37. 235  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  23. 236  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  70. 237  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  42. 238  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  21. 239  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  38. 240  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  45. 241  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  45. 242  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  25. 243  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  19. 244  „His delegation concurred with the premise, articulated in draft articles 10 and 1l, that the primary responsibility for protection lay with the affected State. In that context, it wished to draw to the Commission’s attention the preamble of the earlier mentioned Council Regulation No. 1257/96 concerning humanitarian aid, which stated: ‚[…] people in distress, victims of natural disasters, wars and outbreaks of fighting, or other comparable exceptional circumstances have a right to interna­ tional humanitarian assistance where their own authorities prove unable to provide effective relief.‘ “ Äußerung des Beobachters für die Europäische Union, Gussetti,



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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Hilfe der Bevölkerung bei Unfähigkeit des betroffenen Staates, die Kata­ strophe selbst zu bewältigen, gestellt.245 Ob dieses Recht sich an den betrof­ fenen Staat richtet  – was ein Indiz für dessen Hilfeersuchenspflicht wäre  – oder an nicht betroffene Staaten adressiert ist, wurde nicht konkretisiert. Auch eine Einschätzung des Rechtsstatus von Art. 12 und 13 (ex. Art. 9 und 10) DAPPED ist unterblieben. Es lässt sich somit konstatieren, dass sich derzeit noch keine einheitliche Rechtsüberzeugung dahingehend gebildet hat, dass der betroffene Staat fremde Staaten um internationale Hilfe ersuchen muss. Es handelt sich nach Auffassung einer Vielzahl von Staaten noch um eine bloße moralische Ver­ haltensvorgabe, die juristisch maximal als lex ferenda einzuordnen ist. (3) Soft law Die soft law Instrumente, die sich mit den Verhaltenspflichten des betrof­ fenen Staates auseinandersetzen, sind zurückhaltend bei der Formulierung einer Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen. Die Mehrheit der Dokumente enthält nur eine Sollensvorgabe mit eingeschränkter normativer Geltungskraft für den betroffenen Staat, subsidiäre Hilfe von außen zu er­ suchen, wenn seine eigenen Kapazitäten zur Katastrophenbewältigung nicht mehr ausreichen. Anhaltspunkte für eine mögliche Pflicht der betroffenen Staates, interna­ tionale Akteure um Hilfe zu ersuchen, finden sich im Annex der UN-General­ versammlungs-Resolution 46 / 182.246 Eine positive Pflicht, ein Hilfegesuch zu stellen, wenn der Staat die Katastrophe nicht mehr selbst bewältigen kann, ergibt sich aus der Resolution zwar nicht. Insgesamt bringt sie aber erste Ansätze für einen Trend hin zur erweiterten Handlungspflicht des betroffenen Staates bei sich abzeichnenden Kapazitätsengpässen zum Ausdruck.247 Dies in: UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  56. 245  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  56. 246  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 27th meeting‘ (8.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.27. Die Resolution hat einen Rahmen für die in­ ternationale Katastrophenhilfe geschaffen, der noch heute die Funktionsweise des humanitären Systems prägt, siehe OCHA, ‚Normative developments on the coordi­ nation of humanitarian assistance in the General Assembly and the Economic and Social Council since the adoption of General Assembly resolution 46/182. Reference guide, 20th anniversary of General Assembly resolution 46/182‘, Nations (2011) , 1. 247  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  57.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

gilt umso mehr, wenn man eine potentielle Pflicht, fremde Akteure um Hilfe zu ersuchen, auch in dem in der Resolution prominent erwähnten Grundsatz der internationalen Kooperation verankert sieht. Dort wird in Abschnitt I Ziff. 5 darauf hingewiesen, dass Ausmaß und Dauer einer Katastrophe die Kapazitäten des betroffenen Staates übersteigen können und der internationa­ len Kooperation zum Umgang mit Notfallsituationen und zur Stärkung der Katastrophenbewältigungskompetenz des betroffenen Staates daher hohe Be­ deutung zukommt. Die Kooperation sollte in Übereinstimmung mit dem Völ­ kerrecht und den nationalen Gesetzen stattfinden. In Ziff. 6 werden die be­ troffenen Staaten, deren Bevölkerung ein Bedürfnis nach humanitärer Hilfe hat, aufgerufen, die Arbeit von Internationalen Organisationen und Nichtre­ gierungsorganisationen zu ermöglichen, damit diese humanitäre Hilfe leisten können. Konkret mit einer Hilfeersuchenspflicht beschäftigen sich die von der IBRK ausgearbeiteten Guidelines for the domestic facilitation and regula­ tion of international disaster relief and initial recovery assistance.248 Sie sehen in Guideline 3.2. vor, dass der betroffene Staat internationale und / oder regionale Hilfe suchen sollte, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass die Katastrophensituation seine nationalen Katastrophenbewältigungskapazitäten überschreitet: „If an affected State determines that a disaster situation ex­ ceeds national coping capacities, it should seek international and / or regional assistance to address the needs of affected persons.“ Die gewählte Formu­ lierung „should seek assistance“ bringt dabei nicht nur eine moralische Verhaltensempfehlung zum Ausdruck, sondern verleiht dem enthaltenen Verhaltensziel zumindest normative Kraft.249 Vöneky weist insofern auf die mögliche „mobilisation of shame“250 hin, die Staaten zur Verhaltensanpas­ sung motivieren kann. Allerdings unterscheidet sich die in den IBRK-Guide­ lines gewählte Formulierung ‚should‘ von dem verbindlicheren Hilfsverb ‚shall‘, wie es in völkerrechtlichen Verträgen, etwa hinsichtlich der Zustim­ mungspflicht für externe Hilfe in Art. 59 der IV. Genfer Konvention ver­ wendet wird.251 Dies limitiert die normative Kraft der Guidelines zumindest 248  IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of Interna­ tional Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex. 249  Zur normativen Kraft von ‚soft law‘ siehe Vöneky, Recht, Moral und Ethik. Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien (2010), 284 f. 250  Vöneky, Recht, Moral und Ethik. Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien (2010), 284. 251  Definition ‚should‘, Merriam Webster Dictionary/Webster’s Online Dictionary, . Die Interpretation, dass „shall“ eine Verpflichtung ausdrückt, „should“ hingegen nur eine moralische Verhaltensempfehlung, legt auch die ILC ihren Ausarbeitungen zu den DAPPED zu



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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zu einem gewissen Grad, auch wenn die Formulierung ‚should‘ in soft law Dokumenten häufig anzufinden ist. Auch die Oslo Guidelines on the Use of Foreign Military and Civil De­ fence Assets In Disaster Relief enthalten die Aussage, dass der betroffene Staat so schnell wie möglich nach dem Eintritt der Katastrophe nach inter­ nationaler Hilfe fragen sollte, wenn dies notwendig ist: „If international assistance is necessary, it should be requested or consented to by the Affec­ ted State as soon as possible upon the onset of the disaster to maximize its effectiveness.“252 Mit den IBRK- und Oslo-Guidelines vergleichbare regionale Richtlinien für den Einsatz von militärischen und Verteidigungsmitteln im Katastrophen­ fall räumen, z. B. für den Raum Asien-Pazifik, dem betroffenen Staat demge­ genüber nur die frei wählbare Möglichkeit ein, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen („The Affected State (…) can request or when offered, consider assistance from the international community if the disaster exceeds the Affected State’s national capabilities.“)253 Gleiches gilt für regionale soft law Instrumente, wie z. B. das SAARC Agreement. Auch sie räumen dem betroffenen Staat nur die Option ein, ein Hilfegesuch zu stellen.254 cc) Rechtserkenntnisquellen  – Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut Die vom Institut de Droit International 2003 verabschiedete Resolution über humanitäre Hilfe normiert ebenfalls keine positive Hilfeersuchens­ pflicht, obschon sie verbindlicher als die Guidelines der IBRK und die Oslo Guidelines formuliert ist. Es heißt in Art. 3 Abs. 3, der betroffene Staat „shall seek assistance“, wenn er humanitäre Hilfe nicht mehr ausreichend selbst bereitstellen kann.255 Das Hilfsverb ‚shall‘ wird vor allem häufig im Grunde, UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Sixty-fourth ses­ sion (7 May–1 June and 2 July–3 August 2012)‘, UN Doc. A/67/10, Rdnr.  67. 252  Ziff. 58 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007). Bei den Oslo Guidelines handelt es sich um ein vom IASC und anderen humanitären Organisationen der UN verab­ schiedetes Dokument. Sie wurden zwar von einer signifikanten Zahl von UN-Mit­ gliedstaaten ausgearbeitet und gutgeheißen, sie sind für die Mitgliedstaaten aber nicht verbindlich, Ziff. 16 OCHA Oslo Guidelines. 253  Ziff.  22 Asia-Pacific Military Assistance to Disaster Relief Operations series of Conferences (APC-MADRO), Asia-Pacific Regional Guidelines For The Use Of Foreign Military Assets In Natural Disaster Response Operations, Draft Version 8.0 (23.  November 2010) . 254  Art. VIII SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters. 255  Art. 3 Abs. 3 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Common Law in Gesetzestexten und Verträgen verwendet, um eine eindeu­ tige Verpflichtung zum Ausdruck zu bringen.256 Allerdings wird diese Be­ deutung des Wortes ‚shall‘ in der IDI-Resolution dadurch abgeschwächt, dass in Art. 3 Abs. 1 und 2 explizit jeweils von einer „duty“ („duty to take care of the victims of disaster“ und „duty to provide them with the neces­ sary humanitarian assistance“). Vor diesem Hintergrund ist es a maiore ad minus naheliegend, dass die abweichende Formulierung bezüglich des Ersu­ chens um Hilfe keine positive Verpflichtung, sondern nur eine nachdrück­ liche Verhaltensempfehlung zum Ausdruck bringen soll. Der Sonderberichterstatter der ILC für die DAPPED legte schließlich implizit selbst durch den Verweis auf die Kompetenz der ILC, Völkerrecht progressiv fortzuentwickeln, nahe, dass es sich bei der in Art. 13 (ex. Art. 10) DAPPED enthaltenen Hilfeersuchenspflicht um lex ferenda und nicht lex lata handelt.257 2. Zwischenergebnis Auch wenn sich teilweise Staatenpraxis nachweisen lässt, nach einem Katastrophenfall um internationale Hilfe zu ersuchen, so fehlt es bislang an der einheitlichen und universell getragenen Rechtsüberzeugung, dass eine Pflicht des betroffenen Staates, andere Staaten oder sonstige Akteure der Staatengemeinschaft um Hilfe zu ersuchen, besteht. Soft law Instrumente enthalten zwar teilweise die normative Sollensvorgabe, sich entsprechend zu verhalten, sind aber dennoch im Wortlaut zu zurückhaltend formuliert, um eine mit Recht vergleichbare Geltungskraft zu entwickeln. De lege ferenda erscheint eine solche Pflicht aber durchaus wünschenswert, um durch die Internationalisierung der Katastrophenhilfe die effiziente Versorgung der Be­ völ­kerung mit humanitärer Hilfe im Zusammenspiel von betroffenem Staat und frühzeitig herbeigerufenen internationalen Akteuren sicherzustellen. Im Folgenden soll daher ein Vorschlag ausgearbeitet werden, wie diese Pflicht de lege ferenda ausgestaltet sein könnte 3. Voraussetzungen de lege ferenda für die Auslösung einer Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen Im Grundsatz würde eine Pflicht des betroffenen Staates, externe Akteure um Hilfe zu ersuchen, dann greifen, wenn er die Einhaltung der gegenüber der betroffenen Bevölkerung im Katastrophenfall geltenden (menschenrecht­ 256  Watson-Brown,

Do We Still Need ‚Shall‘, 28 HKLJ (1998), 29 (30). Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  66. 257  UNGA



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe221

lichen) Pflichten nicht mehr aus eigener Kraft gewährleisten kann. Wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, ist durch Wertung zu ermitteln. Indizien für das Vorliegen einer solchen Situation können die Versorgungssituation der be­ troffenen Bevölkerung sowie der Zustand der Versorgungskapazitäten des betroffenen Staates sein. Dafür, auf die Situation der Bevölkerung abzustellen, spricht die Paralle­ le zum Kriegsvölkerrecht. Dort wird die Situation der Bevölkerung als maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob externe Hilfe erforderlich ist, betrachtet.258 Da der Schutz der betroffenen Bevölkerung Leitmotiv sowohl des humanitären Völkerrechts als auch des Katastrophenhilfevölkerrechts ist259, liegt es nahe, bezüglich der humanitäre Hilfe auslösenden Faktoren Anleihen aus dem Humanitären Völkerrecht zu ziehen. Gemäß Art. 59 der IV. Genfer Konvention soll die Besatzungsmacht Hilfsaktionen zugunsten der Bevölkerung eines besetzten Gebietes oder eines Teils dieses Gebietes zustimmen, wenn diese Bevölkerung ungenügend versorgt wird. Nach Art. 70 Abs. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zu den Rotkreuzabkommen sind humanitäre Hilfsaktionen mit Zustimmung der betroffenen Partei durchzu­ führen, wenn die Zivilbevölkerung in einem nicht besetzten Gebiet nicht ausreichend mit den in Art. 69 des Ersten Zusatzprotokolls genannten Hilfs­ gütern versorgt ist. Bei nicht-internationalen bewaffneten Konflikten sind gemäß Art. 18 Abs. 2 des Zweiten Zusatzprotokolls zu den Rotkreuzabkom­ men mit Zustimmung der betroffenen Vertragspartei Hilfsaktionen zu Guns­ ten der Bevölkerung durchzuführen, wenn sie übermäßige Entbehrungen infolge eines Mangels an lebensnotwendigen Versorgungsgütern wie Le­ bensmitteln und Sanitätsmaterial erleidet. Auch im Rahmen von Katastro­ phen im Friedensfall liegt es aufgrund der situativen Vergleichbarkeit nahe, die Lage der betroffenen Bevölkerung in den Blick zu nehmen. So postu­ lieren z. B. auch die Mohonk Criteria ein Bedürfnis nach subsidiärer inter­ nationaler Hilfe, wenn der betroffene Staat die Bevölkerung nicht mehr mit der zum Überleben erforderlichen Hilfe versorgen kann.260 Aufgrund der Tatsache, dass die Mobilisierung internationaler Katastrophenhilfe ab dem hierzu Heath, 43 New York Univ. J. Int.’l L. & Pol. (2011), (459 ff.). lässt sich für das humanitäre Völkerrecht aus Art. 3 Abs. 2 der III. Gen­ fer Konvention entnehmen. Im IDRL bearbeitet die ILC das Themengebiet von ei­ nem menschenrechtszentrierten Ansatz; auch andere Akteure auf dem Gebiet des IDRL, wie die IFRK, handeln mit der Mission, menschliches Leiden zu vermeiden bzw. zu verringern, siehe Art. 4 der Verfassung der IFRK, Constitution of the Inter­ national Federation of the Red Cross and Red Crescent Societies, überarbeitet und angenommen auf der 16. Sitzung der Generalversammlung in Genf (Schweiz), 20.–22.  November 2007, abgedruckt in IKRK/IFRK, Handbook of the International Red Cross and Red Crescent Movement, 14. Aufl. 2008, S. 556–592, . 260  Art. II.4, abgedruckt in Ebersole, 17 Hum.Rts.Q. (1995), (198). 258  Siehe 259  Dies

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Zeitpunkt der Hilfsanfrage oft tage- oder sogar wochenlang dauern kann, kann die Situation der Bevölkerung aber nicht das allein maßgebliche Kri­ terium für die Pflicht, andere Staaten um Hilfe zu ersuchen, sein. Wartet ein Staat mit dem Hilfegesuch ab, bis der Bevölkerung oder Teilen der Bevöl­ kerung essentielle Güter fehlen, hat die angefragte internationale Hilfe womöglich keine Chance mehr, rechtzeitig die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, bevor es zu Schäden der Bevölkerung kommt.261 Demgegenüber stellt z. B. die ILC in Art. 13 (ex. Art. 10) DAPPED und Richtlinie 3.2. der IFRK-Guidelines auf das Übersteigen der nationalen Katastrophenbewältigungskapazitäten ab. Auch das IDI fordert nur, dass der betroffene Staate unfähig ist, humanitäre Hilfe zu leisten.262 Heath kritisiert an einem derartigen Ansatz, dass bei großen Katastrophen häufig nicht das Fehlen ausreichender Kapazitäten problematisch ist, sondern die effiziente Koordination der Kapazitäten sowie der Transfer der Kapazitäten in die Regionen, in denen sie benötigt werden.263 Allerdings ist zu beachten, dass der Begriff der nationalen Katastrophenbewältigungskompetenz (national response capacity) weit gefasst ist. Unter ihn kann man nicht nur die ver­ fügbaren Geräte und Hilfsgüter sowie einsatzfähiges Katastrophenhilfe­ personal subsumieren. Zur Katastrophenbewältigungskompetenz gehört es vielmehr auch, die vorhandenen Kapazitäten effizient, zeitnah und flexibel abzurufen und einzusetzen. Unter den von der ILC gemachten Vorschlag lässt sich danach auch die Situation fassen, dass ein Staat zwar über ausrei­ chend Trinkwasseraufbereitungsanlagen verfügt, sie aber mangels verfügba­ rer Transportfahrzeuge nicht in ein Krisengebiet transportieren kann. Dem Ansatz, der auf die Katastrophenbewältigungskapazitäten des betrof­ fenen Staates abstellt, ist zuzustimmen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Schutzzweck des Katastrophenhilfevölkerrechts, die effektive humanitäre Hilfe für die Bevölkerung in allen notwendigen Bereichen des Lebens zu gewährleisten. Die Hilfegesuchspflicht sollte daher an den Zeitpunkt an­ knüpfen, in dem es bereits hinreichend wahrscheinlich ist, dass die nationa­ len Kapazitäten für die Versorgung der betroffenen Bevölkerung nicht aus­ reichen werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Souveränitätsein­ 261  Nach dem Tsunami in Südostasien am 26.  Dezember 2004 dauerte es knapp zwei Wochen, bis die ersten internationalen Helfer im Krisengebiet mit der wirkli­ chen Arbeit anfangen konnten; bürokratische Hindernisse bewirkten, dass z. B. die deutsche Hilfsmannschaft neun Tage für die Reisen ins Krisengebiet benötigte, Munz, Im Zentrum der Katastrophe. Was es wirklich bedeutet, vor Ort zu helfen (2007), 70. 262  Art. 3 Abs. 3 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 263  Heath, 43 New York Univ. J. Int.’l L. & Pol. (2011), 460 mit Verweis auf die Versäumnisse der US-amerikanischen Katastrophenschutzbehörde FEMA bei Wirbel­ sturm Katrina, die verfügbaren Ressourcen den Opfern zur Verfügung zu stellen.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe223

schränkung, die mit einer Hilfeersuchenspflicht verbunden ist, für den be­ troffenen Staat gering ist. Die territoriale Integrität des Staates wird nicht verletzt. Selbst, wenn ein Hilfsappell ausgegeben wurde, ist der betroffene Staat unabhängig davon berechtigt, eingehende Hilfsangebote zu prüfen und unter bestimmten Voraussetzungen sogar abzulehnen.264 Je geringer der zu erwartende Eingriff in die staatliche Souveränität, desto niedriger ist die Schwelle für den zum Schutz des Einzelnen erfolgenden Souveränitätsein­ griff anzusetzen.265 Es begegnet daher keinen Bedenken, bereits die teilwei­ se qualitative oder quantitative Überschreitung der nationalen Katastrophen­ bewältigungskapazitäten oder bestimmten Bereichen hiervon als Auslöser für die Hilfeersuchenspflicht ausreichen zu lassen. 4. Normativer Gehalt de lege ferenda Fraglich ist, ob und inwiefern ein Hilfegesuch inhaltlich bereits konkreti­ siert sein muss und zu welchem konkreten Zeitpunkt es gestellt werden muss. Eine einheitliche Staatenpraxis hat sich über die Ausgestaltung einer Regel, fremde Staaten um Hilfe zu ersuchen, noch nicht herausgebildet. Es gilt da­ mit bei der Interpretation grundsätzlich eine untere Grenze, d. h. die Regel mit dem Inhalt, die die geringsten Anforderungen an die Pflicht, fremde Staa­ ten um Hilfe zu ersuchen, stellen würde.266 Bezüglich dieser Grenze sind bei theoretischer Betrachtung fünf Intensitätsabstufungen denkbar. Die strengste Interpretation würde fordern, dass die erforderlichen Hilfs­ maßnahmen- und güter sowie der gewünschte Helfer benannt werden. Der betroffene Staat müsste demnach sein Hilfegesuch an ausgewählte interna­ tionale Akteure adressieren, ihnen eine Evaluation der notwendigen Maß­ nahmen und Hilfsgüter vorlegen und auf der Grundlage dieser Evaluation konkretisieren, welche Unterstützung und welche Hilfsgüter er von welchem Akteur anfordert. Ein schwächerer Maßstab würde es ausreichen lassen, wenn der betroffe­ ne Staat nur die erforderlichen Hilfsmaßnahmen und -güter benennt, aber sein entsprechendes Hilfegesuch an die internationale Gemeinschaft als 264  Zu

dieser Frage unten Abschnitt II.3. Abwägung zwischen dem Schutz der Menschenrechte und der staatlichen Souveränität führt demgegenüber z. B. bei der humanitären Intervention  – sofern man diese für zulässig erachtet  – dazu, die Souveränitätsbeschränkung nur unter Einhaltung von hohen Anforderungen zuzulassen, siehe hierzu Europäisches Parla­ ment, Entschließung zum Recht auf Intervention aus humanitären Gründen, v. 20. April 1994, C. 128, ABl. EG 225, Ziff. 1. 266  Siehe zu der unteren Grenze bei Uneinigkeit über Ausdehnung und Tragweite einer Norm Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 61 f. 265  Eine

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

solche, bestehend aus Staaten, internationalen Organisation und Nichtregie­ rungsorganisationen, richtet, ohne einen Akteur gezielt anzusprechen. So ist z. B. die Tampere-Konvention konzipiert, wonach der betroffene Staat e contrario Art. 4 Abs. 1 S. 3 Tampere-Konvention seine Hilfsanfrage nicht direkt an einen bestimmten Staat adressieren muss. Nach Art. 4 Abs. 2 Tampere-Konvention sollten aber („shall“) Umfang und Art der erforder­ lichen Hilfe konkretisiert werden. Fast wortlautidentisch ist das SAARCAgreement. Gemäß Art. 8 Abs. 1 SAARC-Agreement kann das Hilfsgesuch an einen bestimmten Staat gerichtet oder aber durch den Generalsekretär formuliert werden. Nach Art. 8 Abs. 2 soll („shall“) der betroffene Staat Umfang und Art der benötigten Hilfe konkretisieren. Auch Art. 4 Abs. 1 des Katastrophenhilfeabkommens der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation er­ fordert von den hilfeersuchenden Staaten, dass sie die erforderliche Hilfe spezifizieren.267 Auch manche bilateralen Katastrophenhilfeabkommen er­ fordern bei der Hilfsanfrage bereits eine Übersicht der besonders benötigten Hilfsgüter.268 Eine weitere Abstufung würde es demgegenüber ausreichen lassen, wenn der Staat ein Hilfegesuch gezielt an bestimmte Akteure richtet, ohne zu konkretisieren, welche Hilfsmaßnahmen- und Güter er benötigt. In diesem Sinne ist der Entwurf der ILC zu interpretieren. Er sieht vor, dass der be­ troffene Staat für sein Hilfsgesuch zwischen anderen Staaten, der UN, an­ deren kompetenten internationalen Organisationen und einschlägigen Nicht­ regierungsorganisationen auswählen kann.269 Dieses Vorgehen wird in der Praxis häufig gewählt. So haben z. B. die Malediven nach dem Brand einer 267  BSEC Agreement on collaboration in Emergency Assistance and Emergency Response to natural and man-made Disasters. 268  Art. 4 Abs. 2 Agreement between the Swiss Federal Council and the Govern­ ment of the Republic of the Philippines on Cooperation in the Event of Natural Disasters or other Major Emergencies. 269  Art. 13 (ex. Art. 10) DAPPED: „Duty of the affected State to seek assistance: To the extent that a disaster exceeds national response capacity, the affected State has the duty to seek assistance from among other States, the United Nations, other competent intergovernmental organizations and relevant non-governmental organiza­ tions, as appropriate.“ (Hervohebung durch Verf.), siehe ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15. Mai 2014). Die For­ mulierung „as appropriate“ verweist dabei auf das dem betroffenen Staat zugewie­ sene Auswahlermessen, sich zwischen den genannten Akteuren entscheiden zu dür­ fen, siehe in diesem Sinne auch die Äußerung Sloweniens in UNGA Sixth Commit­ tee, ‚Summary record of the 20th meeting‘ (23. November 2011) UN Doc. A/C.6/66/ SR.20, Rdnr.  11 sowie die Äußerung Thailands in UNGA Sixth Committee, ‚Sum­ mary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  92 und des Beobachters der IFRK in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr. 41.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe225

Meerwasser-Entsalzungsanlage, der 100.000 Menschen von der Trinkwas­ serversorgung abschnitt, gezielt China, Indien, Sri Lanka und die Vereinig­ ten Staaten von Amerika um Hilfe ersucht.270 Auf der nächsten, schwächeren Stufe müsste der Staat weder die erfor­ derlichen Hilfsmaßnahmen und -güter noch den oder die favorisierten Ak­ teure nennen, solange er die internationale Gemeinschaft in allgemeiner Form um Hilfe zur Bewältigung der Katastrophe ersucht.271 Die unterste Intensitätsstufe würde die Praxis der ‚Welcoming Offers‘ ausreichen lassen. Danach macht der betroffene Staat nur deutlich, dass er internationale Hilfe begrüßt und ihr eine Blankettzustimmung vorbehaltlich genauerer Prüfung der einzelnen Hilfsangebote erteilt, ohne im technischen Sinne den Prozess von Hilfegesuch und Hilfsangebot zu initiieren.272 Nachteilig hieran ist, dass für die Staatengemeinschaft der Eindruck geringen Hilfsbedürfnisses entstehen kann. Auch fordern viele humanitäre Organisationen als Voraus­ setzung für ihr Tätigwerden eine Lagebeurteilung der Bedürfnisse seitens des betroffenen Staates, die bei der Praxis der ‚Welcoming Offers‘ in aller Regel fehlt.273 Kommen internationale Akteure aber durch eigene Untersu­ chungen zu dem Ergebnis, dass eine erhöhte Hilfsbedürftigkeit entsteht, so hat der von der Katastrophe betroffene Staat durch die ‚Welcoming Offers‘ zumindest die prozessuale Voraussetzung für die Lieferung von Hilfe ge­ schaffen. Ausgehend von dem Zweck des Hilfegesuchs, Kapazitätsengpässe der nationalen Katastrophenhilfe zum Schutz der betroffenen Bevölkerung mög­ lichst zeitnah und effektiv durch internationale Katastrophenhilfe zu ergän­ zen, erscheint es einerseits wünschenswert, dass der betroffene Staat so präzise wie möglich darüber Auskunft gibt, wo, in welcher Form und mit welcher Dringlichkeit Hilfe benötigt wird. Ein Informationsdefizit hinsicht­ lich der tatsächlichen Bedürfnissituation kann zu Versorgungsungleichge­ wichten führen, wenn bestimmte Hilfsgüter von mehreren Akteuren geliefert werden, während andere  – mangels Kenntnis  – fehlen oder wenn die gelie­ ferten Hilfsgüter aus bürokratischen Gründen zwar bereits im betroffenen 270  Maldives Faces Drinking Water Crisis, The Diplomat (5.  Dezember 2014), . 271  So z. B. Convention between the French Republic and the Federal Republic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents; Convention on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (France/Belgium). 272  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  58. 273  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  58.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Staat eingetroffen sind, aber ihre Zustellung nicht erfolgt.274 Wenn sich Geberländer- und organisationen darauf beschränken, den betroffenen Staat finanziell zu unterstützen, ist das Szenario denkbar, dass der betroffene Staat die benötigten Hilfsgüter nicht zeitnah erwerben kann und die Hilfs­ gelder im Nachgang der Katastrophe aufgrund ihrer Zweckgebundenheit an die akute Katastrophenhilfe de facto eingefroren bzw. blockiert sind.275 Zeigt der Staat nur an, dass Hilfsgüter willkommen sind (‚Welcoming Offers‘), ohne ein akutes Hilfsbedürfnis zu artikulieren, könnte dies interna­ tionale Hilfe verzögern, weil die Staatengemeinschaft gerade in den Fällen, in denen ihr der Zugang zu Untersuchungszwecken in dem betroffenen Staat verwehrt wird, nicht abschätzen kann, ob internationale Hilfe tatsäch­ lich akuter notwendig ist, als es der betroffene Staat angezeigt hat. So for­ dern einige Regelungsinstrumente, die sich mit einer Hilfeersuchenspflicht auseinandersetzen, eine direkte Hilfsanfrage („request“).276 Allerdings spre­ chen auch gute Gründe dafür, es ausreichen zu lassen, dass der Staat auf seine Notlage aufmerksam macht und darauf hinweist, dass Hilfsangebote angenommen werden bzw. willkommen sind und er sich auf Gespräche mit internationalen Akteuren einlässt. Dies ist zum einen die prozedurale Natur des Hilfegesuchs, das technisch notwendige Voraussetzung für die Initiation von internationalen Hilfsaktionen ist.277 Zweitens bestehen ohnehin Erfah­ rungswerte der internationalen Gemeinschaft dahingehend, welche Hilfsgü­ ter bei bestimmten Kategorien von Katastrophen in aller Regel erforderlich sind.278 Drittens ist es vor allem bei komplexen Kata­strophen und in den Fällen, in denen eine gut funktionierende nationale Katastrophenschutzbe­ hörde als Koordinatorin fehlt, für den betroffenen Staat schwierig, eine ausdifferenzierte Einschätzung der Bedürfnissituation vorzunehmen. Um den Hilfsprozess überhaupt zeitnah in Gang zu setzen, erscheint es daher 274  So hatte die FEMA bei Hurrikan Katrina in den USA Probleme, die am Flug­ hafen eingetroffenen Hilfsgüter zeitnah zuzustellen, ‚Hurrikan: Fluthilfe bleibt im Amtsfilz hängen‘ Der Spiegel (7.  September 2005) . 275  Ein Jahr nach dem Tsunami in Südostasien hatte die aus mehreren Hilfsorga­ nisationen zusammengesetzte „Aktion Deutschland hilft“ noch rund 80 Millionen Euro Tsunami-Spenden übrig, das Deutsche Rote Kreuz 30 Millionen Euro, ‚Grotes­ kes Stück: Ein Jahr nach dem Tsunami wissen viele Hilfsorganisationen immer noch nicht, wie sie die Spendenmillionen verwenden sollen‘ Der Spiegel (23.  Dezember 2012) . 276  Ziff. 58 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007). 277  Siehe oben Abschnitt I. vor 1. 278  Bei Erdbeben werden häufig Rettungs- und Bergungsteams und Notfallunter­ künfte benötigt sowie Materialien, um ausgefallene Grundversorgung mit Strom und Wasser wieder sicherzustellen; bei Hochwasser, vor allem in tropischen und subtro­ pischen Gegenden, Medikamente, um den Ausbruch von Epidemien zu vermeiden.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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sinnvoll, auch nicht konkretisierte Hilfsappelle ausreichen zu lassen. Zu diesem Ergebnis kommen auch die ILC, das IDI und die ­IFRK. In ihren Regelungsinstrumenten ist von einer „Pflicht, um Hilfe zu ersuchen“ die Rede und nicht von einer „Pflicht, nach Hilfe zu fragen.“279 Das Ersuchen von Hilfe deutet auf die Initiation eines Kommunikationsprozesses hin, in dem die möglichen Optionen erst erörtert werden, und fordert noch keine konkrete Anfrage des betroffenen Staates. Wenn der betroffene Staat um Hilfe ersucht, bedeutet dies auch noch nicht – anders als bei einer Nachfra­ ge nach Hilfe  – dass er den auf sein Ersuchen eingehenden Hilfsangeboten automatisch zustimmt, dies bleibt weiterhin in sein Ermessen gestellt.280 Die Tatsache, dass auch die IFRK eine Pflicht, Hilfe zu ersuchen, ausreichen lässt, wiegt aufgrund der enormen praktischen Erfahrung der IFRK bei der internationalen Katastrophenhilfe schwer und zeigt, dass in der Praxis auch ein unspezifiziertes Hilfegesuch unter Opferschutzgesichtspunkten akzep­ tiert ist. 5. Beweismöglichkeiten In der Praxis stellen sich Beweisschwierigkeiten, die den Eintritt der die Hilfegesuchspflicht (de lege ferenda) auslösenden Faktoren nachzuweisen. Die Souveränität des betroffenen Staates verbietet Untersuchungen auf des­ sen Staatsgebiet ohne vorherige Zustimmung. Nach Auffassung der ILC und der IFRK soll die Beurteilung der eine Pflicht zum Hilfeersuchen auslösen­ den Tatsachen daher allein dem betroffenen Staat obliegen.281 Dieser ist in aller Regel auch am besten geeignet, die Sachlage realistisch, zeitnah und fundiert einzuschätzen.282 Die Beurteilung soll bona fide erfolgen, d. h. in Übereinstimmung mit allgemein anerkannten völkerrechtlichen Verpflich­ tungen und Prinzipien.283 Dem betroffenen Staat die Beurteilung zu überlas­ 279  „Duty of the affected State to seek assistance“ statt „duty of the affected ­State to request assistance“, siehe Art. 13 (ex. Art. 10) DAPPED; IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex, Richtlinie 3.2. 280  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  64. 281  Art. 13 DAPPED (ex Art. 10 DAPPED); IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex, Richtlinie 3.2. 282  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3.  Juni; 4.  Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary Art. 10 DAPPED, Rdnr. 9. 283  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April–

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

sen ist schließlich auch dem Ziel geschuldet, trotz der Forderung nach einer Pflicht zum Ersuchen um Hilfe einen Ausgleich zwischen der Souveränität der Staaten und dem humanitären Ansatz der ILC zu schaffen. Dieser Ansatz der ILC und der IFRK überzeugt aus zwei Gründen nicht: Wartet man eine Beurteilung durch den betroffenen Staat ab, bevor der Prozess internationaler Katastrophenhilfe durch ein erstes Hilfegesuch initi­ iert wird, verstreicht bis zum tatsächlichen Eintreffen fremder Hilfe zum Nachteil der betroffenen Bevölkerung zu viel Zeit. Dies gilt umso mehr, da einem katastrophengeschädigten Staat oft die Zeit und die Ressourcen feh­ len, eine umfassende, intensive Lagebeurteilung vorzunehmen. Denkbar sind auch Fälle, in denen ein Staat eine detaillierte Lagebeurteilung aus Gründen der inneren Sicherheit nicht herausgeben möchte bzw. nicht den vollen Umfang der Hilfsbedürftigkeit darstellen will. Darüber hinaus wird die Pflicht, Hilfegesuche zu stellen, unmittelbar dadurch konterkariert, dass dem Staat selbst anheimgestellt wird, wann und ob diese Pflicht durchgreift. Die progressive Souveränitätseinschränkung der ILC-Vorschläge in Form der Etablierung einer Pflicht zum Ersuchen um Hilfe wird durch die Befug­ nis zur freiwilligen Selbsteinschätzung der staatlichen Kapazitäten wieder aufgehoben. Wer darüber entscheiden kann, wann internationale Hilfe zum Schutz der Bevölkerung notwendig erscheint, kann a maiore ad minus da­ rüber entscheiden, ob und in welcher Form er Konsequenzen aus dieser Beurteilung zieht. Überzeugender ist es daher, die eine Pflicht zum Ersu­ chen um Hilfe auslösenden Faktoren vom Standpunkt eines objektiven Be­ obachters zu beurteilen. Für die Beweiswürdigung im Rahmen der Feststel­ lung, ob die relevanten Faktoren vorliegen, kann der Lagebeurteilung durch den betroffenen Staat zwar Indizwirkung zugesprochen werden. Liegt aber eine die Hilfeersuchenspflicht auslösende Situation vor, die der betroffene Staat als solche anders einschätzt, befreit ihn eine mit der objektiven Sach­ lage nicht übereinstimmende eigene Lagebeurteilung nicht von der Pflicht, andere Staaten um Hilfe zu ersuchen.284 3.  Juni; 4.  Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary Art. 10 DAPPED, Rdnr. 9. 284  Teilweise wurden von Experten und Staatenvertretern Bedenken dahingehend geäußert, wie zu verfahren ist, wenn zwar objektiv kein Bedürfnis für internationale Hilfe vorliege und es somit an den Voraussetzungen der Hilfeersuchenspflicht fehle, der betroffene Staat aber dennoch ein Hilfsappell an die internationale Gemeinschaft richte, siehe z. B. Äußerung von El Salvador in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr. 12. Manche fürchten, der betroffene Staat könne sich so externe Hilfe erschleichen, ohne tatsächlich betroffen zu sein, IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 89, Fn. 667. Diese Frage betrifft aber nur die interna­ tionale Gemeinschaft und ihren Umgang mit dem Angebot von Hilfsangeboten trotz unklarer Bedürfnissituation, nicht die Pflicht des Staates, um Hilfe zu ersuchen.



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6. Ergebnis De lege lata besteht keine Pflicht des betroffenen Staates, fremde Staaten um Hilfe zu ersuchen. Sie kann derzeit allenfalls als dem soft law entsprin­ gende nachdrückliche Verhaltensempfehlung mit geringer normativer Ver­ bindlichkeit interpretiert werden. Es zeigen sich aber Tendenzen im Völker­ recht, dass sich eine solche Pflicht de lege ferenda in den nächsten Jahren etablieren wird, da eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Staaten ihr bereits aufgeschlossen gegenüber steht. Sie sollte ab dem Zeitpunkt greifen, ab dem es bereits hinreichend wahrscheinlich ist, dass die nationalen Kapa­ zitäten für die Versorgung der betroffenen Bevölkerung nicht ausreichen werden. Aus Opferschutzgesichtspunkten ist es dabei ausreichend, wenn der betroffene Staat ein allgemeines Hilfsbedürfnis anzeigt. Konkrete Anfragen nach bestimmten Hilfsgütern sind wünschenswert, aber nicht erforderlich, da abhängig vom Typ der Katastrophe für die internationale Staatengemein­ schaft anhand von Erfahrungswerten die üblicherweise bei diesem Katastro­ phentyp notwendigen Hilfsgüter ermittelt werden können.

II. Pflicht zur Hilfsannahme und zum Einlass von fremden Staaten, Nichtregierungsorganisationen und sonstigen ­nicht-staatlichen Akteuren in das Land 1. Grundsatz der Zustimmungspflichtigkeit externer Katastrophenhilfe Selbst wenn der betroffene Staat ein Hilfegesuch an die Staatengemein­ schaft adressiert hat, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Staat ver­ pflichtet ist, die daraufhin an ihn herangetragenen Hilfsangebote auch anzu­ nehmen und seine Grenzen für externe Katastrophenhilfe zu öffnen. Es gibt ferner Situationen, in denen die Staatengemeinschaft zur Hilfe bereit ist, indem sie etwa auf ein Hilfsgesuch reagiert oder unabhängig von einer of­ fiziellen Hilfsanfrage eigenständig Hilfe anbietet, der von der Katastrophe betroffene Staat sich aber weigert, Hilfe anzunehmen. Es gilt in diesem Fall der völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz, dass der betroffene Staat aus­ ländischer staatlicher Hilfe explizit zustimmen muss.285 Das Zustimmungs­ erfordernis ist Ausdruck der staatlichen Souveränität und ein Kernprinzip 285  Hilfsangebote von Nichtregierungsorganisationen setzen demgegenüber keine formale Zustimmung des betroffenen Staates voraus. Die Einreise in und der Auf­ enthalt im betroffenen Staat unterliegen grundsätzlich den allgemeinen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Landes, wie das Rote Kreuz über die bisherige Praxis berichtet, UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  De­ zember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr. 43. So auch explizit der Iran, UNGA

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

des Katastrophenhilfevölkerrechts.286 Die diesbezügliche Staatenpraxis er­ gibt sich daraus, dass das Zustimmungserfordernis in nahezu allen interna­ tionalen Regelungswerken zur Katastrophenhilfe als erforderlich normiert wird.287 Dies geschieht entweder ausdrücklich oder folgt e contrario daraus, dass der betroffene Staat jederzeit die Beendigung der Hilfsleistungen ver­ langen darf.288 Zahlreiche wichtige soft law Instrumente gehen ebenfalls von einer Zustimmungspflicht aus.289 Auch die Max-Planck-Richtlinien stellen die Entscheidung über die Annahme von Hilfe allein ins Ermessen des betroffenen Staates.290 Art. 14 Abs. 1 (ex. Art. 11 Abs. 1) DAPPED normiert ebenfalls, dass externe Hilfe die Zustimmung des betroffenen Staa­ tes erfordert.291 Die Staatenvertreter haben dem dort enthaltenen Zustim­ mungserfordernis bei den Diskussionen der UN-Generalversammlung ge­ schlossen zugestimmt.292 2. Rechtsverbindlichkeit einer Pflicht, fremde Hilfe anzunehmen Eine völkergewohnheitsrechtlich bindende Zustimmungspflicht lässt sich der Staatenpraxis bislang nicht entnehmen. Dies lässt sich aus der Reaktion nicht betroffener Staaten auf nationale Katastrophen ableiten. Als die USA nach Hurrikan Katrina viele Hilfsangebote ablehnten, weigerten sich viele Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  52. 286  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3. Juni; 4. Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary to Art. 11, Rdnr. 1. 287  Art. 3 FCCDA; Art. 51 und 58 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007); Art. 4 Abs. 5 Tampere Convention. 288  So etwa Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents in Annex X, Mutual assistance pursuant to Art. 12; ebenso Art. 12 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or serious accidents. 289  Part III Art. 10 IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex; Art. 7 IFRK/OCHA/Inter-Parliamentary Union, Model Act for the Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, Pilot Version November 2011. 290  Macalister-Smith/Max Planck Institute for Comparative Law and International Law, Draft International Guidelines for Humanitarian Assistance Operations (1991). 291  ILC, Texts and titles of draft articles 10 and 11 provisionally adopted by the Drafting Committee on 19 July 2011, UN Doc. A/CN.4/L.794 (20.  Juli 2011). 292  Siehe z. B. nur UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meet­ ing‘ (9.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  37 (Rumänien).



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe231

ausländische Staaten, sie dafür zu kritisieren.293 In zahlreichen nationalen Katastrophenschutzgesetzen wird den staatlichen Behörden nur die Mög­ lichkeit eingeräumt, Hilfe fremder Regierungen oder internationaler Organi­ sationen anzunehmen.294 Hinweise auf Entwicklungstendenzen einer zu­ künftigen Pflicht gibt aber der Umgang des UN-Sicherheitsrates mit der Situation im Sudan. Er hat in der Resolution 2046 (2012)295 den Sudan und die Sudanesische Befreiungsarmee SPLM-N in Abs. 4 aufgefordert, huma­ nitären Zugang zur betroffenen Bevölkerung im Einklang mit den geltenden Grundprinzipien der humanitären Notfallhilfe zu gestatten: „(…) Strongly urges Sudan and the SPLM-N to accept the tripartite proposal submitted by the African Union, the United Nations and the League of Arab States, to permit humanitarian access to the affected population in the two areas, ensuring in accordance with applicable international law, including applicable in­ ternational humanitarian law, and guiding principles of emergency humanitarian assistance, the safe, unhindered and immediate access of United Nations and other humanitarian personnel, as well as the delivery of supplies and equipment, in order to allow such personnel to efficiently perform their task of assisting the conflict-affected civilian population.“ (Hervorhebung durch Verf.)

Im Rahmen der Diskussionen der Entwürfe der ILC in der UN-General­ versammlung wurde teilweise der Gedanke geäußert, dass zumindest huma­ nitäre Hilfe durch Nichtregierungsorganisationen und privater Akteure keiner Zustimmung durch den betroffenen Staat bedarf. Dem ist zuzustimmen. Die Nichtregierungsorganisationen und privaten Helfer müssten sich nur an die nationalen Gesetze im Hilfsgebiet halten.296 Zudem unterliegen sie den Einreise- und Einfuhrbestimmungen des betroffenen Staates. 3. Modifikation der Zustimmungspflicht: Verbot der willkürlichen Zustimmungsverweigerung Auch wenn es derzeit keine Zustimmungspflicht gibt, haben ILC und IDI die progressive Auffassung in die Völkerrechtsdiskussion eingeführt, dass 293  ,U.S. Refused Most Offers of Aid for Hurricane Katrina‘ The Sun (30.  April 2007) . 294  Siehe z. B. Art. 52 Disaster Management Act of Bhutan. 295  UN Security Council, Res 2046 (2012), v. 2. Mai 2012, UN Doc. S/RES/2046 (2012). 296  ILC, Report of the International Law Commission on the work of its sixtysecond session (2010): Topical summary of the discussion held in the Sixth Commit­ tee of the General Assembly during its sixty-fifth session, prepared by the Secretariat‘ (19. Januar 2011) UN Doc. A/CN.4/638, Rdnr. 93. So auch die Ansicht des Irans und Irlands, ILC, Texts and titles of draft articles 1, 2, 3, 4 and 5 provisionally adopted by the Drafting Committee, UN Doc. A/CN.4/L.758 (24. Juli 2009) Rdnr. 37 und 56.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

die Zustimmung unter einem Willkürvorbehalt steht. Die ILC fordert in Art. 14 Abs. 2 (ex. Art. 11 Abs. 2) DAPPED, dass die Zustimmung jeden­ falls nicht willkürlich verweigert werden soll.297 Die Verwendung der For­ mulierung „shall seek assistance“, obwohl einige Staaten dafür optiert hat­ ten, von „should seek assistance“ zu sprechen,298 indiziert, dass es sich hierbei um eine mandatorische Verhaltensvorgabe handelt und nicht nur um eine Empfehlung. Das IDI geht einen Schritt weiter und normiert eine Pflicht des betroffenen Staates, ein in gutem Glauben getätigtes Hilfsange­ bot nicht willkürlich oder ungerechtfertigt abzulehnen oder dem Hilfsperso­ nal den Zugang zu den Opfern zu versagen. Der betroffene Staat hat danach Ermessensgrenzen bei seiner Entscheidung über die Zustimmung zu beach­ ten. Eine Ermessensreduktion gen Null wird angenommen, wenn die Ableh­ nung der Hilfe fundamentale Menschenrechte der Opfer verletzen würde oder gegen das Verbot der Aushungerung der Bevölkerung als Methode zur Kriegsführung verstoßen würde.299 Der Sonderberichterstatter der ILC hat hinsichtlich der Rechtsbindungs­ kraft des Willkürverbots indes betont, dass es sich hierbei explizit um eine Forderung de lege ferenda handelt, noch nicht um bestehendes lex lata. Es wird noch von vielen Staaten die Auffassung vertreten, dass der betroffene Staat die Verweigerung seiner Zustimmung nicht begründen müsse. Bhutan,300 China,301 Frankreich,302 Großbritannien,303 Iran,304 Israel,305

297  Art. 14 Abs. 2 (ex. Art. 11) DAPPED: „Consent to external assistance shall not be withheld arbitrarily.“ (ILC, Texts and titles of draft articles 10 and 11 provi­ sionally adopted by the Drafting Committee on 19 July 2011, UN Doc. A/CN.4/L.794 (20. Juli 2011)). Mit der Zustimmungsverweigerung wird die Situation gleichgesetzt, in welcher der betroffene Staat seine Entscheidung über die Zustimmung nicht in angemessener Zeit nach dem Hilfsangebot verlauten lässt, ILC, ‚Report of the Inter­ national Law Commission on the work of its Sixty-third session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April–3. Juni; 4. Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary to Art. 11 DAPPED, Rndr. 6. Siehe dazu auch Art. 3 lit. e) FCCDA. 298  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3. Juni; 4. Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary to Art. 11 DAPPED, Rdnr. 3. 299  Art. VIII Abs. 1 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 300  Art. 17 Disaster Management Act of Bhutan. 301  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  42. 302  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  39. 303  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  45.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe233

­ uba306 und Malaysia,307 lehnen eine Begründungspflicht ab bzw. betonen, K dass bei der Beurteilung der Frage, ob Hilfe willkürlich abgelehnt wird, die nationale Souveränität umfassend zu berücksichtigen ist. Russland geht maximal von einer moralischen bzw. politischen Pflicht aus, Hilfsangebote nicht willkürlich abzulehnen.308 Teilweise werden in Übereinkommen al­ lenfalls für die Beendigung der Hilfsleistungen auf Anfrage des betroffe­ nen Staates prozedurale Kooperationsmaßnahmen des betroffenen Staates normiert, z. B. die Durchführung von Beratungen mit dem hilfeleistenden, zur Beendigung aufgeforderten Staates sowie, nach Ablauf der Konsulta­ tionen, dessen offizielle Benachrichtigung, die Hilfe einzustellen.309 Allerdings sprechen auch gute Gründe dafür, die Pflicht zur nicht will­ kürlichen Zustimmungsverweigerung als bereits zum Völkergewohnheits­ recht erstarkt einzuordnen. Es haben sich mittlerweile mehrere Staaten dem von ILC und IDI postulierten Willkürvorbehalt angeschlossen, was eine Fortentwicklungstendenz hin zur rechtlichen Bindungswirkung indiziert. In ihren Äußerungen in der UN-Generalversammlung bei der Besprechung der DAPPED haben Chile,310 El Salvador,311 Kongo312, die Niederlande313 und Thailand314 eine Pflicht des betroffenen Staates, fremde Hilfe nicht willkürlich abzulehnen, explizit anerkannt. Auch die jüngere Staatenpraxis stützt die These, dass ein betroffener Staat nicht mehr ohne Angabe jed­ weder Gründe, d. h. willkürlich, seine Zustimmung verweigern darf. Staa­ 304  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  52. 305  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  33. 306  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  27. 307  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  116. 308  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  37. 309  Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents in Annex X, Mutual assistance pursuant to Art. 12. 310  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  9. 311  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr.  13. 312  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  33. 313  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  48. 314  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  91.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

ten wie Indien, USA und Japan haben in der Vergangenheit zumindest einen Grund für die Ablehnung fremder Hilfe angegeben.315 Viele Staaten verzichteten bei Hurrikan Katrina darauf, die USA für die begründete Ab­ lehnung der Hilfe zu kritisieren.316 Nordkorea und Birma haben zwar auf eine Begründung ihrer ablehnenden Haltung verzichtet, wurden dafür aber ihrerseits stark von der internationalen Gemeinschaft kritisiert. Andere Länder haben, wie z. B. Argentinien,317 Indien,318 Irland,319 Kolumbien,320 Sri Lanka,321 und Tschechien,322 die Fassung von Art. 14 (ex. Art. 11) DAPPED zumindest begrüßt und damit implizit auch den Zustimmungs­ vorbehalt in seiner Eigenschaft als lex ferenda. Somit ist festzuhalten, dass die Tendenz der Staatengemeinschaft, die willkürliche Zustimmungsverwei­ gerung als rechtfertigungsbedürftig einzuordnen, steigt. Ein entsprechendes Verbot ist daher als in der Entstehung befindliches Völkergewohnheitsrecht einzuordnen.323 4. Inhalt der de lege ferenda bestehenden Pflicht, Hilfsangebote nicht willkürlich abzulehnen Wann die Zustimmungsverweigerung nicht willkürlich wäre, bedarf der Auslegung. Die ILC hat dazu bislang noch keine Kriterien herausgearbeitet, was von verschiedenen Staaten kritisiert wurde, obwohl diese die Beschrän­ 315  Siehe

hierzu die Fallbeispiele unter b) Mangelhafte Hilfsangebote. Most Offers of Aid for Hurricane Katrina‘ The Sun (30.  April 2007) . 317  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  10. 318  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  13. 319  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  22. 320  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr.  25. 321  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 27th meeting‘ (8.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.27, Rdnr.  20. 322  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14. Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  19. 323  Aus diesem Grund kann auch nicht argumentiert werden, dass eine Pflicht, andere Staaten um Hilfe zu ersuchen, keine Souveränitätsbeschränkung darstelle und daher geringere Anforderungen an ihre Rechtsverbindlichkeit gestellt werden kön­ nen. Der betroffene Staat kann gerade nicht jede Hilfe ablehnen, sondern nur die Hilfe bzw. Hilfsangebote, die die in diesem Abschnitt erörterten Voraussetzungen nicht erfüllen. 316  ,U.S. Refused



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe235

kung des Zustimmungsrechts grundsätzlich befürworten.324 Entscheidend soll jeweils eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstän­ de sein. Dem Wortlaut nach impliziert der Begriff der Willkür zunächst ein die „allgemein geltenden Maßstäbe, Gesetze, die Rechte, Interessen anderer missachtendes, an den eigenen Interessen ausgerichtetes und die eigene Macht nutzendes Handeln, Verhalten.“325 Der Begriff ‚arbitrary‘ im Engli­ schen leitet sich ab von dem lateinischen Partizip arbitratu, was mit „nach Ermessen, Gutdünken, Belieben oder Willkür“ übersetzt wird.326 Gemein­ sam ist den Wortlautbedeutungen, dass sie die Wahl einer Verhaltensweise bezeichnen, die sich nicht nach rationalen, fest stehenden Kriterien begrün­ den lässt, sondern Ausdruck eines persönlichen subjektiven Willens oder einer Meinung ist. In dieser Weise wird der Begriff auch in nationalen Rechtsordnungen verwendet, um objektiv nicht haltbare bzw. nachvollzieh­ bare Entscheidungen und Entscheidungsprozesse zu bezeichnen.327 Gleichwohl kann aber auch die aus subjektiven Erwägungsgründen ge­ troffene Entscheidung im Ergebnis (zufällig) rational sinnvoll sein. Das pauschale Abstellen auf das ‚Verbot‘ der willkürlichen Zustimmungsverwei­ gerung seitens der ILC ist nicht überzeugend. Was die ILC vermutlich auszudrücken versucht, ist, dass die Zustimmung nicht ohne das Vorliegen von nachvollziehbaren Gründen versagt werden kann. So formuliert das IDI auch genauer bzw. präzisiert den Willkürvorbehalt korrekt. Die Staaten sind nach Art. VIII Abs. 1 der Brügge-Resolution verpflichtet, die Zustimmung nicht willkürlich und ungerechtfertigt („arbitrarily and unjustifiably“ bzw. 324  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr. 8 (Argentinien), 22 (Irland); UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  25 (Griechenland), 52 (Iran), 118 f. (Malaysia); UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  33. 325  Duden Online (2013) http://www.duden.de, Stichwort ‚Willkür‘. 326  Stowasser/Petschenig/Skutsch, Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörter­ buch (1. Aufl. 2013), Stichwort ‚arbitratu‘. 327  Siehe z. B. in Deutschland die Interpretation des Willkürbegriffs durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Auslegung des allgemeinen Gleichheits­ satzes, Art. 3 GG: „89]b) In seiner Ausprägung als Willkürverbot verlangt Art. 3 GG nicht, dass der Gesetzgeber unter mehreren möglichen Lösungen die zweckmäßigste oder vernünftigste wählt. Ein vom BVerfG zu beanstandender Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist erst dann anzunehmen, wenn offenkundig ist, dass sich für die angegriffene gesetzliche Regelung und die durch sie bewirkte Ungleich­ behandlung kein sachlicher Grund finden lässt“, BVerfG, Beschluss v. 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03 NJW 2006, 3701  – Verfassungsmäßigkeit der Primärrechtsschutzbeschränkung auf oberschwellige Auftragsvergaben, 3705.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

„arbitraire et injustifiée“) zu verweigern. Bloße Willkür allein, d. h. eine subjektive Entscheidung, reicht nicht aus, um einen Verstoß gegen das Ver­ weigerungsverbot auszulösen. Eine ähnliche Herangehensweise wurde von einigen Staaten in den ILC-Arbeitssitzungen auch betont und damit ein Gleichlauf mit der Formulierung des IDI angestrebt, indem gefordert wurde, den Begriff ‚arbitrary‘ durch ‚unreasonably‘ zu ersetzen.328 Ansonsten wür­ de der Begriff ‚Willkür‘ seinerseits Gegenstand willkürlicher Interpreta­ tion.329 Es muss sich folglich um eine Entscheidung handeln, die eine ver­ nünftige Regierung in der Situation des betroffenen Staates unter Berück­ sichtigung der Zielvorgaben des Katastrophenschutzes in dieser Form nicht getroffen hätte. Maßstab kann hierbei der Sorgfaltsmaßstab der due diligence sein, der Staaten dazu verpflichtet, die erforderliche Sorgfalt bei der Über­ prüfung von Sachverhalten anzuwenden. Er bezeichnet das Verhalten, das von einer Regierung erwartet werden kann, die sich ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen bewusst ist.330 Da es sich beim due diligence Maßstab hinsichtlich des Obs der Zustimmung um einen objektivierten Verhaltens­ maßstab handelt, müssen auch die Schranken des Zustimmungsvorbehalts bei Verweigerung der Zustimmung objektiviert werden, um eine ausgewo­ gene Beurteilung zu ermöglichen. Die Etablierung des Zustimmungsverwei­ gerungsverbots de lege ferenda zu bindendem Völkerrecht wird nur dann auf Akzeptanz in der Staatengemeinschaft stoßen, wenn die Kriterien für sein Eingreifen transparent und nachvollziehbar gestaltet werden. Ausgangs­ punkt und Beurteilungsmaßstab bilden dafür alle Umstände der Entschei­ dung. Dies beinhaltet neben der Betrachtung des durch die Katastrophe hervorgerufenen status quo auch die Analyse der Entscheidungsgründe, die den betroffenen Staat zur Verweigerung der Zustimmung bewogen haben. Anhand ihrer lässt sich nachvollziehen, ob die Entscheidung für die Verwei­ gerung gerechtfertigt war und eine vernünftige, sorgfältige Regierung sie in der gleichen Situation auch getroffen hätte. Es lassen sich dabei verschie­ dene Konstellationen herausarbeiten. a) Fehlende Notwendigkeit fremder Hilfe Die Ablehnung eines Hilfsangebots kann jedenfalls dann nicht als will­ kürlich gelten, wenn die Annahme fremder Hilfe zur Katastrophenbewälti­ gung nicht notwendig ist. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn der be­ 328  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Aussage des Sonderberichterstatters in Rdnr. 65. 329  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  25. 330  Shaw, International Law (2008), 855.



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troffene Staat selbst über die Kapazität und Ressourcen verfügt, um eine adäquate und ausreichende Reaktion auf die Katastrophe sicherzustellen.331 Fremde Hilfe ist auch dann nicht notwendig, wenn der betroffene Staat bereits von anderen Staaten oder Institutionen in ausreichendem Umfang Hilfe angenommen hat. Gleiches gilt, wenn die angebotene Form der Hilfe an sich ungeeignet ist. Als Fallbeispiel ist Japans Reaktion im Kontext des Erdbebens 2011 zu nennen. Japan verweigerte anfangs ausländische, v. a. US-amerikanische, Hilfe.332 Es wurden z. B. US-amerikanische Generato­ ren für den Nuklearrektor in Fukushima 2011 mit der Begründung zurück­ gewiesen, selbst über Generatoren zu verfügen.333 b) Mangelhafte Hilfsangebote334 Ein weiterer auch in der Vergangenheit angeführter Ablehnungsgrund bezüglich fremder Hilfe sind Mängel der Hilfsangebote selbst. In diese Kategorie würden sich Hilfsangebote einordnen lassen, die nicht bona fide erfolgen, etwa weil perspektivisch die Einhaltung grundlegender menschen­ rechtlicher Vorgaben (Art. 6, ex. Art. 8 DAPPED), der Grundsätze der Neu­ tralität, Humanität, Unparteilichkeit und Diskriminierung (Art. 7, ex. Art. 6 331  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr.  13. 332  ,Japanese Reaction to Catastrophe Worries White House‘ Newsmax (13. März 2011) . 333  Allerdings waren die US-amerikanischen Generatoren sehr viel leistungsstär­ ker als die japanischen, die schon nach wenigen Stunden nicht mehr einsatzbereit waren, ‚Japanese Reaction to Catastrophe Worries White House‘ Newsmax (13. März 2011) . 334  Die ILC diskutiert die Ablehnung mangelhafter Hilfsangebote auch im Rah­ men der Frage, ob der betroffene Staat Bedingungen hinsichtlich der angenommenen Hilfe stellen darf bzw. verpflichtet ist, Ausnahmen von seinen nationalen Gesetzen vorzusehen, um an sich mangelhafte Hilfsgüter ausnahmsweise doch zuzulassen, siehe ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9. April 2012) UN Doc. A/CN.4/652 Rdnr. 141 sowie Art. 15 DAPPED, ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15.  Mai 2014). Wertungsmäßig macht es indes keinen Unterschied, ob der betroffene Staat die konkrete (mangelhafte) Form der Hilfe von Anfang an direkt ablehnt oder nach anfänglicher genereller Zustimmung die mangelhafte Hilfe ablehnt (‚nein‘ statt ‚ja, aber so nicht‘). In der vorliegenden Arbeit wird an dieser Stelle daher nur auf die willkürliche (Teil)ablehnung einge­ gangen. In dem Moment, in dem zulässige, dem nationalen Recht entstammende Gründe eine Modifizierung der angebotenen Hilfe erfordern, kann die Ablehnung der nicht entsprechend modifizierten Hilfe nicht als willkürlich angesehen werden.

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DAPPED) oder sonstiger in den DAPPED enthaltener Anforderungen an Hilfsleistungen nicht gewährleistet ist.335 Ein Beispiel dafür ist etwa die Lieferung längst abgelaufener Lebensmittel an Indonesien nach dem Tsuna­ mi 2004.336 Heath führt auch noch die Unerfahrenheit im Umgang mit Katastrophenszenarien auf.337 Diese Prognoseentscheidung kann z. B. auf Grundlage der Analyse vergangener Hilfseinsätze des jeweiligen Hilfe an­ bietenden Staates erfolgen. Problematisch sind die Konstellationen, in denen die angebotene Hilfe zwar den genannten allgemeinen grundsätzlichen Regeln für Hilfsangebote entspricht, aber Gesetze oder Standards des betroffenen Staates nicht einhält und somit „über das Schutzniveau eines (allgemein anerkannten) interna­ tionalen Standards hinausgehen soll.“338 aa) Überblick über die Ablehnung von Hilfsangeboten als mangelhaft In diese Kategorie fallen vor allem die auch in der Vergangenheit ange­ führten Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzgründe. Bei Hungersnöten 2002 und 2003 haben verschiedene afrikanische Län­ der ausländische Nahrungsmittelhilfe komplett abgelehnt oder nur unter bestimmten Auflagen zugelassen.339 Begründet wurde dies mit dem Ver­ dacht, dass die angebotenen Hilfsgüter nicht frei von genetisch modifizier­ ten Organismen (GMO oder GVO) seien und bezüglich der Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit von GMO Unsicherheit bestehe. So verbieten Äthiopien, Kenia, Madagaskar und Zambia die Einfuhr genetisch veränder­ ter Lebensmittel (GML) auch in akuten Hungerperioden vollständig.340 Äthiopien begründet dies damit, dass die Einfuhr lokale Bauern und ihre Methoden zur Insektenbekämpfung beeinträchtigen würde.341 Madagaskar und Zambia haben ihre Ablehnung mit dem umweltrechtlichen Vorsorge­ 335  Siehe dazu UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr. 13; Art. VIII Abs. 1 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 336  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007) 105. 337  Heath, 43 New York Univ. J. Int.’l L. & Pol. (2011), 473. 338  Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht (2. Aufl. 2009), Rdnr.  373. 339  United Nations Environment Programme, ‚Africa Environment Outlook 2: Our Environment, Our Wealth‘ (2006) , 305 f. 340  United Nations Environment Programme, ‚Africa Environment Outlook 2: Our Environment, Our Wealth‘, 306. 341  United Nations Environment Programme, ‚Africa Environment Outlook 2: Our Environment, Our Wealth‘ (2006), 306.



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prinzip begründet und dabei auf die möglichen schädlichen Auswirkungen von genetisch veränderten Organismen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit abgestellt.342 Angola, Lesotho, Malawi, Mozambique, Simbab­ we und der Sudan erlauben die Einfuhr von genetisch modifizierten Orga­ nismen nur, wenn sie bereits verarbeitet sind oder genetisch modifiziertes Getreide bereits gemahlen wurde.343 Fehlendes Vertrauen in die angebotenen Hilfsleistungen spielte auch eine Rolle, als New Orleans 2005 von Hurrikan Katrina getroffen wurde. Die USA wiesen 54 von 77 dokumentierten Hilfsangeboten zurück.344 Die USamerikanische Federal Emergency Management Agency hat bestimmte Ar­ ten von Hilfsangeboten, z. B. die Lieferung von Blutkonserven und medizi­ nischer Ausrüstung sowie dem Großteil der Such- und Hilfstrupps, mit Bedenken über ungeklärte Fragen bezüglich der Haftung für fremdes Ver­ schulden abgelehnt.345 Ca. 400.000 von Großbritannien übersendete Fertig­ mahlzeiten wurden unter Quarantäne gelagert und nicht verteilt, weil USamerikanische Gesundheitsbestimmungen seit dem 1.  Januar 1998 bis zu ihrer Aufhebung am 4.  März 2014346 vor dem Hintergrund der dort doku­ mentierten gehäuften BSE-Fälle Einfuhr und Verteilung von Rindfleisch aus Großbritannien verboten haben bzw. langwierige Aufbewahrung unter Qua­ rantänebedingungen verlangten, bis das Fleisch nahezu unbrauchbar wurde oder nicht mehr benötigt wurde.347 Dass Misstrauen gegenüber ausländischer Hilfe nicht immer nur aus ei­ ner subjektiven Lagebeurteilung entsteht, sondern mit Blick auf den Ge­ sundheitsschutz auch objektiv begründet sein kann, zeigte sich im Rahmen der Hilfsaktionen nach dem Tsunami in Südostasien 2004. Mangels Quali­ tätssicherungsmaßnahmen bzw. umfassende Kontrollen durch die jeweili­ gen Regierungen impfte eine unbekannte NGO in Banda Aceh 2004 Kin­ 342  United Nations Environment Programme, ‚Africa Environment Outlook 2: Our Environment, Our Wealth‘ (2006), 306. 343  United Nations Environment Programme, ‚Africa Environment Outlook 2: Our Environment, Our Wealth‘ (2006), 306. 344  ,U.S. Refused Most Offers of Aid for Hurricane Katrina‘ The Sun (30.  April 2007) . 345  Bannon/Fisher, Legal Lessons in Disaster Relief from the Tsunami, the Pakistan Earthquake and Hurricane Katrina. 346  Department of Agriculture/Animal and Plant Health Inspection Service, Bo­ vine Spongiform Encephalopathy; Importation of Bovines and Bovine Products, 2013-28228 (4.  Dezember 2013). 347  Bannon/Fisher, Legal Lessons in Disaster Relief from the Tsunami, the Pakistan Earthquake and Hurricane Katrina, mit Verweis auf ‚Katrina Food Aid Blocked by U.S. Rules‘ The Washington Post (14.  Oktober 2005) .

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

der, ohne dies zu dokumentieren und ohne kenntlich zu machen, welches Kind bereits geimpft worden war.348 Viele NGOs hielten standardisierte Verfahren nicht ein und christliche Hilfsorganisationen versuchten, die muslimische Bevölkerung zu christianisieren.349 Auswirkungen auf die Ar­ beit von Hilfsorganisationen hatte auch das Vorgehen des US-amerikani­ schen Geheimdienstes CIA bei einer internationalen Impfaktion in Pakis­ tan. Es wurde ein pakistanischer Arzt eingesetzt, um gezielt an Informatio­ nen und DNS von Bezugspersonen von Osama bin Ladin zu gelangen.350 Dadurch wurden pakistanische Eltern misstrauisch gegenüber zukünftigen Impfaktionen und internationale Hilfsorganisationen mussten sich aus dem Land zurückziehen.351 bb) Völkerrechtliche Zulässigkeit der angeführten Mängel  – Vergleich mit anderen Bereichen des Völkerrechts Ob die angeführten befürchteten gesundheitspolizeilichen oder sonstigen Sicherheitsbedenken zutreffen, kann (wissenschaftlich) nicht immer ab­ schließend geklärt werden. Zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung ist der betroffene Staat menschenrechtlich verpflichtet. Die Berufung auf ge­ sundheitliche Bedenken erscheint damit zunächst ein legitimer Zweck zu sein, ausländische Hilfe abzulehnen. Allerdings handelt es sich hierbei auch um eine Risiko- und damit Prognoseentscheidung, bei der der betroffene Staat wiederum einen Einschätzungsspielraum hat. Fraglich ist somit, wel­ che Anforderungen an die Validierung der angeführten Bedenken des betrof­ fenen Staates zu stellen sind. Es lassen sich hier Parallelen zum Umgang mit Risikobewertungen in anderen Bereichen des Völkerrechts suchen. Sind Einfuhrbeschränkungen oder Importverbote bezüglich bestimmter Produkte grundsätzlich auf Grund­ lage bestehender Regelungen in anderen Rechtsbereichen zulässig, so kann 348  Bannon/Fisher, Legal Lessons in Disaster Relief from the Tsunami, the Pakistan Earthquake and Hurricane Katrina mit Verweis auf Macan-Markar, Tsunami Impact: NGOs Can Add to Disasters, Inter Press Service (5.  Oktober 2005). 349  Bannon/Fisher, Legal Lessons in Disaster Relief from the Tsunami, the Pakistan Earthquake and Hurricane Katrina; ‚Religious aid groups try to convert victims‘ The Guardian (16.  Januar 2005) . 350  ,Washington will Impfaktionen nicht mehr zur Spionage nutzen‘ FAZ (20.  Mai 2014) . 351  ,Washington will Impfaktionen nicht mehr zur Spionage nutzen‘ FAZ (20.  Mai 2014) .



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe241

ihre Implementierung im Katastrophenfall zumindest nicht a priori als willkürlich eingeordnet werden, sofern nicht besondere Gründe des Einzel­ falles vorliegen. Vor diesem Hintergrund lassen sich insbesondere die Fälle, in denen aus Gesundheits- und Verbraucherschutzgründen Hilfsgüter abgelehnt werden, analysieren. Im Wirtschaftsvölkerrecht dürfen Staaten ihren Markt grund­ sätzlich nur durch Zölle vor ausländischen Produkten schützen.352 Ausnah­ men bestehen, wenn die Herstellung, der Gebrauch oder die Entsorgung eine Gefahr für die Gesundheit, die Umwelt oder den Verbraucherschutz darstellen.353 So müssen die WTO-Vertragsparteien etwa gemäß Art. 5 des Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflan­ zenschutzrechtlicher Maßnahmen354 sicherstellen, dass ihre gesundheitspoli­ zeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Einfuhr von Produkten auf einer den Umständen angepassten Bewertung der Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen beruhen, wobei die von den zuständigen internationalen Organisa­ tionen entwickelten Risikobewertungsmethoden zugrunde gelegt werden. Art. 5 Abs. 2 SPS verpflichtet sie bei der Risikobewertung explizit dazu, u. a. das verfügbare wissenschaftliche Beweismaterial zu berücksichtigen, wobei auch die alleinige Berufung auf wissenschaftliche Mindermeinungen zulässig ist.355 Nach Auffassung des Appellate Body der WTO müssen aber auch die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden, d. h. das tatsächliche Realisierungspotential von wissenschaftlich theoretisch möglichen Gefahren.356 In Situationen, in denen ein Gesund­ heitsrisiko nur vermutet wird, aber nicht nachweisbar oder widerlegbar ist, dürfen gemäß Art. 5 Abs. 7 SPS nur vorübergehende vorsorgliche Schutz­ maßnahmen getroffen werden.357 Die Mitgliedstaaten müssen zusätzliche Informationen zur objektiven Risikobewertung einholen und die durchge­ führten Maßnahmen einer regelmäßigen Überprüfung unterziehen. Aufgrund 352  Beyerlin,

Umweltvölkerrecht (2000), Rdnr.  616. Umweltvölkerrecht (2000), Rdnr.  616. 354  WTO Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures (SPS Agreement), v. 15.  April 1994 (in Kraft getreten am 1.  Januar 1995), 1867 UNTS 493. Zwar gab es bislang keinen Disput vor der WTO über GVO, die WTO selbst hält für diese Konstellation aber potentiell das SPS für einschlägig, siehe WTO, SPS Agreement Training Module: Chapter 8, 8.1. Genetically Modified Or­ ganisms (GMOs), . 355  Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht (2009), Rdnr.  375. 356  WTO, European Communities: Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT/DS26/AB/R; WT/DS48/AB/R (Bericht des Appellate Body am 13.  Februar 1998 durch den Dispute Settlement Body angenommen), Rdnr.  187. 357  Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht (2009), Rdnr.  374. 353  Beyerlin,

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

der noch nicht anerkannten völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des Vor­ sorgeprinzips (precautionary principle) außerhalb des Umweltvölkerrechts358 sind darüber hinausgehende Schutzmaßnahmen, insbesondere in Form von Importverboten, unzulässig, sofern sie nicht dem Umweltschutz dienen. Auf europäischer Ebene sind Importverbote oder Handelsbeschränkungen, die den freien Binnenmarkt beeinträchtigen, ebenfalls zulässig, sofern die Maß­ nahme verhältnismäßig ist, d. h. geeignet und zur Zielerreichung, etwa dem Verbraucherschutz, erforderlich.359 Andere internationale Verträge, die die Abschottung des heimischen Marktes gestatten, sind z. B. das Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen360 sowie die Richtlinien der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) oder der In­ ternational Plant Protection Convention (IPPC)361 zu nennen. Der Vergleich mit bzw. eine analoge Anwendung des Wirtschaftsvölker­ rechts liegt nahe, da auch die Interessenlage des betroffenen Staates in beiden Rechtsbereichen vergleichbar ist. Im Wirtschaftsvölkerrecht und Ka­ ta­strophenhilfevölkerrecht werden Gesundheits,- Umwelt- und Verbraucher­ schutzgründe von Staaten angeführt, um die Einfuhr von Produkten oder Dienstleistungen zu verhindern. Dadurch entstehen im Wirtschaftsvölker­ recht Handelshemmnisse, im Katastrophenhilfevölkerrecht verzögert sich die Hilfe. Wenn der die Hilfe ablehnende Staat die angebotenen Produkte im normalen Wirtschaftsverkehr nach Maßgabe der WTO-Regularien ableh­ nen darf, so kann der Eintritt eines Katastrophenfalles an der Legitimität der Ablehnung unter wirtschaftlichen Aspekten zunächst nichts ändern. Das Katastrophenhilfevölkerrecht ist nicht lex specialis zum Wirtschaftsvölker­ recht. Beide Bereiche knüpfen trotz vergleichbarer Interessenlage an unter­ schiedliche Sachverhalte an. Das Wirtschaftsvölkerrecht gilt somit grund­ sätzlich fort. Problematisch ist indes, dass die wirtschaftsvölkerrechtliche 358  Gegen die Anerkennung z. B. nur: WTO, EC – Hormones, WT/DS26/AB/R; WT/DS48/AB/R (Bericht des Appellate Body am 13.  Februar 1998 durch den Dis­ pute Settlement Body angenommen), Rdnr.  123 f. 359  Trstenjak/Beysen, Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in der Unionsrechtsord­ nung, EuR (2012), 265 (269). 360  Montreal Protocol on Substances that Deplete the Ozone Layer, v. 16.  Sep­ tember 1987 (in Kraft getreten am 1.  Januar 1989) 1522 UNTS 3. Von dieser Kon­ vention werden u. a. auch Feuerlöschsysteme in Rettungsfahrzeugen und Flugzeugen erfasst, woraus sich eine potentielle Relevanz für das IDRL ergibt. Siehe Anhang VI, Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union, Verordnung (EG) Nr. 1005/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, v. 26.  September 2009, ABl. EG Nr. L 286/1. 361  Z. B. International Plant Protection Convention, International Standards for Phytosanitary Measures: Guidelines for Regulating Wood Packaging Material in International Trade (ISPM No. 15) (2009) .



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe243

Zulässigkeit von Importbeschränkungen selbst nicht immer eindeutig zu beurteilen ist. In vielen Fällen wird diese erst in langwierigen Verhandlun­ gen vor dem WTO Streitbeilegungsmechanismus oder durch andere Gerich­ te, wie z. B. den EuGH, festgestellt. Im Katastrophenfall ist aber eine rasche Entscheidung nötig. Wurde die Zulässigkeit der Importbeschränkung aus wirtschaftsvölkerrechtlicher Sicht eindeutig festgestellt, so muss dies jeden­ falls im Grundsatz auch für das Katastrophenhilfevölkerrecht gelten.362 Auf dieser Linie liegen auch die Leitlinien für Humanitäre Hilfe der Europäi­ schen Union, die normieren, dass „bei der Hilfe einschließlich der Nah­ rungsmittelhilfe […] möglichst auf örtliche und regionale Ressourcen und Auftragnehmer zurückgegriffen werden (sollte), wobei eine unangemessene Störung der Märkte zu vermeiden ist.“363 Wie aber ist in den Konstellationen zu verfahren, in denen lediglich Ver­ handlungen zwischen dem Hilfe anbietenden und ablehnendem Staat laufen oder es sich um eine erstmals angeführte Importbeschränkung handelt? Anders gesprochen: welcher Maßstab ist an die Validität der vorsorglich angeführten Gründe anzulegen bzw. kann das Vorsorgeprinzip Importbe­ schränkungen auf dem Gebiet des Katastrophenhilfevölkerrechts rechtferti­ gen, auch wenn diese einer wirtschaftsvölkerrechtlichen Prüfung im Ergeb­ nis nicht standhalten? Eine weitere Frage ist schließlich, ob besondere Umstände des Katastrophenfalles eine Rückausnahme von den (wirtschafts) völkerrechtlich anerkannten Einfuhrablehnungs- oder Erschwerungsgründen darstellen können. Dieser Frage soll unten unter c) nachgegangen werden. Im Grundsatz kann aber festgehalten werden, dass auch im Katastrophenfall die Ablehnung ausländischer Hilfe nicht willkürlich ist, wenn eine rationale Risikobewertung erfolgte, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht oder wenn internationale Übereinkommen explizit Raum für eine Ableh­ nungsentscheidung außerhalb des Katastrophenhilfevölkerrechts einräumen. Besondere Bedeutung kommt dabei Art. 5 Abs. 7 SPS zu, da die Behörden des Staates aufgrund der Notwendigkeit, zeitnah auf eine Katastrophe zu reagieren und über Hilfsangebote zu entscheiden, bei bestehenden wissen­ schaftlichen Zweifeln vorübergehende Maßnahmen zur Hand haben müssen. 362  So im Ergebnis wohl auch die ILC. Sie geht davon aus, dass der betroffene Staat in Bezug auf die Einfuhr von Hilfsgütern nur zu Ausnahmen von seinen nati­ onalen Gesetzen, die die Einfuhr etwa zum Gesundheits- und Umweltschutz verhin­ dern, verpflichtet ist, wenn keine Gründe der Sicherheit und des Gesundheitsschut­ zes entgegenstehen, ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9. April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Rdnr.  145. 363  Rat der Europäischen Union, Gemeinsame Erklärung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission: Europäischer Konsens über die hu­ manitäre Hilfe (2008/C 25/01), v. 30.  Januar 2008, ABl. EU C 25/1, Rdnr.  35.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

cc) Anwendung anderer Bereiche des Völkerrechts auf das Katastrophenhilfevölkerrecht Betrachtet man vor diesem Ergebnis die Ablehnung von genetisch mo­ difizierten Lebensmitteln, so muss diese als nicht willkürlich angesehen werden. In Anlehnung an das Wirtschaftsvölkerrecht ist die Zulässigkeit von Maßnahmen gegen GVO u. a. an Art. 5 SPS zu messen.364 Art. 5 Abs. 7 SPS ist im besonderen Maße einschlägig, da die Sicherheitslage von biotechnologisch veränderten Lebensmitteln wissenschaftlich kontro­ vers beurteilt wird. Die WHO geht davon aus, dass es nicht sehr wahr­ scheinlich ist, dass die bisher auf dem Weltmarkt verfügbaren genetisch veränderten Organismen negative Umwelt- und Gesundheitseffekte ha­ ben.365 Die USA verneinen jeglichen schädlichen Effekt von GVO.366 Al­ lerdings stehen die EU-Mitgliedstaaten indes genetisch modifizierten Le­ bensmitteln tendenziell kritisch gegenüber.367 In der EU sind gentechnisch veränderte Lebensmittel aber nicht grundsätzlich verboten, ihre Zulassung und das Inverkehrbringen unterliegen aber einer einzelfallbezogenen Si­ cherheitsprüfung nach einem Gemeinschaftsverfahren.368 Eine solche um­ 364  WTO, SPS Agreement Training Module: Chapter 8, 8.1. Genetically Modified Organisms (GMOs), ; WTO, European Communities: Measures Affecting the Approval and Marketing of Biotech Products (Reports of the Panel), WT/DS291/R; WT/ DS292/R; WT/DS293/R (Bericht des Appellate Body am 21.  November 2006 durch den Dispute Settlement Body angenommen), Rdnr.  8.4. Für eine restriktive Ausle­ gung, wonach das SPS nur auf Quarantäne und vergleichbare Nahrungsmittelsicher­ heitsmaßnahmen beschränkt werden sollte, plädiert Peel, A GMO by Any Other Name … Might Be an SPS Risk!: Implications of Expanding the Scope of the WTO Sanita­ ry and Phytosanitary Measures Agreement, 17 EJIL (2007), 1009 (1018). Ob GVO als sichere Nahrungsmitteltechnologie anzusehen sind, hat die WTO bislang aber noch nicht entschieden, siehe Peel, 17 EJIL (2007), 1025 mit Verweis auf das Verfahren WTO, EC – Biotech (Panel Report), WT/DS291/R; WT/DS292/R; WT/DS293/R (Be­ richt des Appellate Body am 21. November 2006 durch den Dispute Settlement Body angenommen), in dem diese Frage ebenfalls ungeklärt blieb (Rdnr. 8.3). 365  WHO, 20 Questions on Genetically Modified (GM) Foods, , Frage 8. 366  Hall, A Green Famine in Africa?  – Einschätzung des US-Botschafters bei der FAO (2003), . 367  Glinski, Sieg und Niederlage für die grüne Gentechnik  – Die Urteile des EuGH in den Rs. Monsanto und Bablok, ZUR (2011), 526 (528); siehe dazu auch WTO, EC – Biotech (Panel Report), WT/DS291/R; WT/DS292/R; WT/DS293/R (Bericht des Appellate Body am 21.  November 2006 durch den Dispute Settlement Body angenommen), Rdnr.  4.331 ff., 4.499 ff. 368  Rat der Europäischen Union, Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäi­ schen Parlaments und des Rates über genetisch veränderte Lebensmittel und Futter­ mittel, v. 22.  September 2003 ABl. EG Nr. L 268/1, Erwägungsgrund 3.



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fassende Einzelfallentscheidung, die sich an der Umwelt- und Gesund­ heitsverträglichkeit der GVO orientiert, ist sinnvoll und wird auch von der WHO als ausreichend validierend angesehen werden.369 Daneben gibt es aber auch zahlreiche unabhängige Studien, die Gesundheitsrisiken durch GVO nachweisen.370 Ausgehend davon kann die Ablehnung nicht als will­ kürlich betrachtet werden.371 Angola, Lesotho, Malawi, Mozambique, Sim­ babwe und der Sudan liegen mit der Einfuhrbeschränkung für nicht verar­ beitete GVO auf Linie des Cartagena-Protokolls über die Biosicherheit, was in Art. 10 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 3 Einfuhrverbote zulässt, wenn der Umfang nachteiliger Auswirkungen von GVO auf die Umwelt und den mensch­lichen Organismus nicht sicher wissenschaftlich nachzu­ weisen ist.372 Auch wenn das Cartagena Protokoll in der Kritik steht, mit dem WTO-Recht nicht in Einklang zu stehen373, so genügen seine Bestim­ mungen aber zumindest für das IDRL, um die entsprechenden Einfuhrver­ bote rational nachvollziehbar zu machen. Auch die Einlagerung von britischem Rindfleisch in Quarantäne durch die USA ist vor dem ihm potentiell anhaftenden BSE-Risiko nicht als will­ kürlich anzusehen, wenn die Anordnung von Quarantäne aus Nahrungsmit­ telsicherheitsgründen im Einklang mit Art. 5 SPS gestanden hat. Dies ist aus wirtschaftsvölkerrechtlicher Perspektive nicht immer einfach zu beur­ teilen und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Judikatur inter­ nationaler Gerichte fehlt. Die WTO hat sich noch nicht abschließend mit der Thematik befasst. Kanada hatte zwar gegen von Südkorea verhängte Importbeschränkungen von kanadischem Rindfleisch ein Verfahren vor dem Streitbeilegungsmechanismus der WTO angestrengt, dieses wurde aber aufgrund der Lockerung der Importbeschränkungen durch Antrag von 369  WHO, 20 Questions on Genetically Modified (GM) Foods, , Frage 4. 370  Siehe z. B. als Überblick Donaa/Arvanitoyannis, Health Risks of Genetically Modified Foods, 49 Crit. Rev. Food Sci. Nutr. (2009), 164; Domingo, Toxicity ­Studies of Genetically Modified Plants: A Review of the Published Literature, 47 Crit. Rev. Food Sci. Nutr. (2007), 721. 371  Famine-hit Zambia rejects GM food aid, BBC News  – World Edition (29.  Oktober 2002), . Zu beachten ist auch, dass z. B. die zambische Regierung sogar ein internationales Forscherteam zur Untersuchung der Auswirkungen genetisch veränderter Organismen beauftragt hatte und damit zusätzliche Maßnahmen zur objektiven Risikobewertung im Sinne von Art. 5 Abs. 7 SPS eingeholt hat. 372  Cartagena Protocol on Biosafety to the Convention on Biological Diversity, v. 29.  Januar 2000 (in Kraft getreten am 11. Spetember 2003), 2226 UNTS 208. 373  Oberthür/Gehring, Institutional Interaction in Global Environmental Gover­ nance. The Case of the Cartagena Protocol and the World Trade Organization, Glob­ al Environmental Politics 6:2 (2006), 1.

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Kanada und Zustimmung Südkoreas eingestellt.374 Die EU hat zumindest pauschale Einfuhrverbote von Rindfleisch europäischen Ursprungs, die auf in der Vergangenheit aufgetretenen BSE-Vorkommnissen beruhten, für nicht mit den Regularien der World Organization for Animal Health ver­ einbar erklärt.375 c) Sonstige abwägungs- und ermessensrelevante Gründe Auch eine Abwägung der gegenüberstehenden Interessen, namentlich der Souveränität des betroffenen Staates und den zu schützenden Individuen, Sach- oder Umweltgütern, kann die Verweigerung der Zustimmung trotz Angabe von Gründen willkürlich erscheinen lassen. aa) Generelle Willkürklassifikation bei dominierender politischer Motivation für die Ablehnung der fremden Hilfe Matz-Lück stellt zutreffend fest, dass manche Regierungen ausländische Hilfe als „unzulässige Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten“376 ansehen und demnach aus politischen Gründen ablehnen. Hier liegt es vor dem menschenrechtlichen Schutzzweck des IDRL nahe, generell von einer willkürlichen Ablehnung auszugehen, wie Fallbeispiele der Vergangenheit im Folgenden demonstrieren sollen. (1) Myanmar Eine Verweigerungshaltung gegenüber ausländischer Hilfe legte die my­ anmarische Militärregierung 2008 unter massiven Protesten der (westli­ chen) Öffentlichkeit an den Tag.377 Am 3.  Mai 2008 wurde Myanmar vom tropischen Zyklon Nargis getroffen. Der Zyklon gilt als der acht-tödlichste, der jemals gemessen wurde, und mit Abstand der schwerste in Myanmars Geschichte.378 Neben 84.500 Toten und 53.800 Vermissten hatten 2,4 Mil­ 374  WTO, Korea: Measures Affecting the Importation of Bovine Meat and Meat Products from Canada – Report of the Panel, WT/DS391/R (3. Juli 2012), Rdnr. 21. 375  Europe’s rules on GMOs and the WTO, MEMO/06/61 (7.  Februar 2006) . 376  Matz-Lück, Solidarität, Souveränität und Völkerrecht: Grundzüge einer inter­ nationalen Solidargemeinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen (2012), 144. 377  Hierzu im Einzelnen auch unten Teil  2, Kapitel  C., Abschnitt V. 378  ASEAN Secretariat, ‚A Humanitarian Call. The ASEAN Reponse to Cyclone Nargis‘ (Juli 2010) , 9.



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lionen Menschen mit den Auswirkungen des Wirbelsturms zu kämpfen, 800.000 Häuser, große Teile der Infrastruktur, 42 % der Nahrungsmittelvor­ räte sowie 1,3 Mio. Hektar Reisfelder wurden zerstört.379 Dennoch blo­ ckierte die Militärjunta drei Wochen lang die Einreise ausländischer Hilfs­ kräfte.380 Als zumindest einige wenige Hilfsorganisationen in das Land gelassen wurden, saßen diese in der Stadt Rangun fest und die Militärjun­ ta konfiszierte Hilfsgüter, um die Verteilung nach ihren Vorstellungen steu­ ern zu können.381 Ausländischen Logistikern und Katastrophenexperten, die für eine Verteilung des Materials nötig waren, wurden keine Visa erteilt, so dass diese an den Flughäfen der Nachbarländer festsaßen.382 Mit Lebens­ mitteln, Medikamenten und Wasseraufbereitungsanlagen beladene US-ame­ rikanische und französische Schiffe kreuzten vergeblich zwei Wochen vor der Küste Myanmars, ohne in das besonders betroffene Irrawaddy Tal vor­ dringen zu dürfen, bevor sie mangels Genehmigung durch die Militärregie­ rung ohne Auslieferung der Hilfsgüter wieder abdrehen mussten.383 Erst die Bemühungen des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon, der ASEAN sowie Chinas führten bei der myanmarischen Regierung zu schrittweisen Zuge­ ständnissen. Die Regierung legte aber großen Wert darauf, die Verteilung der Hilfsgüter größtenteils selbst zu übernehmen, was zu weiteren Verzö­ gerungen führte.384 Weshalb die myanmarische Regierung zuvor solange die Einfuhr ausländischer Helfer behinderte, ist nicht mit Sicherheit be­ kannt. Eine These ist, dass der Ablauf des für den 10.  Mai 2008 geplanten Referendums über eine neue, von Menschenrechtsorganisationen als unde­ mokratisch und menschenrechtswidrig eingeschätzte385 myanmarische 379  Ibid.; IFRK, ‚Myanmar: Cyclone Nargis 2008 Facts and Figures‘ (3. Mai 2011) ; Factbox: Key Facts about Cyclone Nar­ gis, Reuters (30. April 2009), . 380  ,Naturkatastrophe in Birma: 138.000 Tote und Vermisste durch Zyklon‘ Süddeutsche Zeitung (17.  Mai 2010) . 381  ,Uno-Lieferungen nach Burma: Militärjunta beschlagnahmt Hilfsgüter‘ Der Spiegel (9.  Mai 2008) . 382  Ibid. 383  France angered by Burmese delays, BBC News (17. Mai 2008), . 384  ,Burma (Myanmar): An unbending junta still blocks aid‘ The Christian Science Monitor (12.  Mai 2008) . 385  Human Rights Watch, Burma: Referendum ist eine Farce. Regierungen sollen Abstimmung über neue Verfassung nicht unterstützen (1.  Mai 2008) ; Amnesty Internatio nal, Myanmar: Constitutional referendum flouts human rights (9. Mai 2008) . 386  Ford, Is the failure to respond appropriately to a natural disaster a crime against humanity? The responsibility to protect and individual criminal responsibil­ ity in the aftermath of Cyclone Nargis., 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 227 (229); ‚Referendum in Burma trotz der Katastrophe: Hilfsgüterrverteilung als Pro­ paganda für das Regime‘ NZZ (10.  Mai 2008) . 387  ,Burma (Myanmar): An unbending junta still blocks aid‘ The Christian Science Monitor (12.  Mai 2008) ; ‚Burma: Jetzt drohen Cholera und Diphtherie‘ FAS (11.  Mai 2008) . 388  ‚Referendum in Burma trotz der Katastrophe: Hilfsgüterrverteilung als Pro­ paganda für das Regime‘ NZZ (10.  Mai 2008) . 389  ,Burma (Myanmar): An unbending junta still blocks aid‘ The Christian Science Monitor (12.  Mai 2008) . 390  ,Burma (Myanmar): An unbending junta still blocks aid‘ The Christian Science Monitor (12.  Mai 2008) ; Aung, ‚Storm-hit areas will have been regenera­ ted with thriving trees and crop plantations by next year‘ The New Light of Myanmar (30.  Mai 2008) 10; Renshaw, Disasters, Despots, and Gun-Boat Diplomacy, in: Caron/Kelly/Telesetsky (Hrsg.), The International Law of Disaster Relief (2014), 9.  Kapitel, 170–173.



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seitens der Vereinten Nationen, drastisch reduziert wurde.391 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Regierung Myanmars die Hilfs­ bemühungen des Westens nach dem Zyklon als scheinheilig einstuften. Schließlich wurden fremde Soldaten, die als Helfer geschickt werden, als Bedrohung für die diktatorischen Zustände angesehen; zivile Helfer wurden als potentielle Spione und Verbündete von politischen Aktivisten eingeord­ net.392 Dies ist deswegen umso wahrscheinlicher, weil das aus zwölf Gene­ rälen bestehende Führungsgremium der Militärjunta, der Staatsrat für Frie­ den und Entwicklung (State Council for Peace and Development, SPDC), aktiv am Handel mit Rauschgift, Edelsteinen und Edelhölzern beteiligt war.393 Womöglich befürchteten die Generäle diesbezüglich, dass ausländi­ sche Hilfskräfte ihren Handel aufdecken oder zu unterbinden versuchten und damit schaden würden. (2) Nordkorea Nordkorea setzt seine Bevölkerung seit mehr als einer Dekade systema­ tisch Hunger und Nahrungsmittelkrisen aus, die durch ungünstige klimati­ sche Bedingungen wie Überflutungen durch Tropenstürme intensiviert werden, und fokussiert sich stattdessen regelmäßig auf den Ausbau seines Waffenprogrammes.394 Dies führt dazu, dass ausländische Nahrungsmittel­ hilfe häufig mit vorgeschobenen, inkonsistenten und nicht durchschaubaren Argumenten nach dem Ermessen der Regierung verweigert wird. 2006 wurde Akuthilfe durch das Welternährungsprogramm der Vereinten Natio­ nen nicht mehr akzeptiert, weil angeblich „mittel- und langfristige Entwick­ lungshilfe“ sinnvoller sei, obwohl sich das Land in einer akuten Nahrungs­ mittelkrise befand, die durch massive Überflutungen verstärkt wurde.395 Demgegenüber wurde ausländische Hilfe 2007 ins Land gelassen, darunter auch das WFP, wenn es auch mit teilweisen Zugangsbeschränkungen zu 391  Renshaw,

Disasters, Despots, and Gun-Boat Diplomacy (2014), 171 f. (Myanmar): An unbending junta still blocks aid‘ The Christian Science Monitor (12.  Mai 2008) . 393  ,Burma: Jetzt drohen Cholera und Diphtherie‘ FAS (11.  Mai 2008) . 394  Human Rights Committee for North Korea/DLA Piper/The Oslo Centre for Human Rights, ‚Failure to Protect: The Ongoing Challenge of North Korea‘ (2008) . 395  Human Rights Committee for North Korea/DLA Piper/The Oslo Centre for Human Rights, ‚Failure to Protect: The Ongoing Challenge of North Korea‘ (2008), 3. 392  ,Burma

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kämpfen hatte.396 Eine Begründung, warum hier Akuthilfe zugelassen wurde und 2006 insbesondere das WFP abgelehnt worden war, erfolgte nicht. Die Einstellung der USA und Südkoreas gegenüber Nordkoreas Militär­ programm ist ein häufiger Grund für die Ablehnung von Hilfe. Obwohl die Bevölkerung auch 2012 unter gravierender Unterernährung litt, hat die nordkoreanische Regierung fremde Nahrungsmittelhilfe seitens der USA und Südkorea nach anfänglicher Annahme strikt abgelehnt.397 Die gegen­ über den USA geäußerte Ablehnung wurde darauf gestützt, dass die USA sich gravierender Menschenrechtsverletzungen gegenüber ihren Hilfstruppen schuldig gemacht hätten.398 Diese Art der Argumentation wird von der nord­ koreanischen Regierung häufig genutzt.399 Ob sie zutrifft oder nur eine politisch motivierte Schutzbehauptung bzw. Druckmittel zur Akzeptanz des Waffenprogramms darstellt, ist angesichts der Tatsache fraglich, dass Nord­ korea regelmäßig fremde Hilfe erst scheinbar akzeptiert, sie dann aber wieder zurückweist.400 So hat die Regierung schon 2011 eine Hilfsanfrage an die USA für Nahrungsmittel abgelehnt, weil sie der US-amerikanischen Regierung die Politisierung der Hilfsfrage unterstellte.401 Als Grund für die Ablehnung südkoreanischer Hilfe in Form von Nahrungsmitteln (Mehl, Fertignudeln, Medikamente im Wert von 5 Mio. US-Dollar) nach einem Tropensturm und Überflutungen, die die Ernte und damit Nahrungsmittel­ versorgung bedrohten, wurde angeführt, dass „diese Art der Unterstützung nicht notwendig sei“ und man stattdessen Baumaterialien und sonstiges Equipment  – wohl für das Waffenprogramm  – benötige.402 Als weiterer Grund für die Ablehnung von Hilfe durch die USA und Südkorea ist der 396  Human Rights Committee for North Korea/DLA Piper/The Oslo Centre for Hu­ man Rights, ‚Failure to Protect: The Ongoing Challenge of North Korea‘ (2008), 4 f. 397  North Korea refuses US food aid, BBC News  – World Edition (18.  Septem­ ber 2009), . Zur restriktiven Haltung Nordkoreas gegenüber fremder Nahrungsmittelhilfe auch Matz-Lück, Soli­ darität, Souveränität und Völkerrecht: Grundzüge einer internationalen Solidarge­ meinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen (2012), 144. 398  North Korea refuses US food aid, BBC News  – World Edition (18.  Septem­ ber 2009), . 399  North Korea refuses US food aid, BBC News  – World Edition (18.  Septem­ ber 2009), . 400  Destitute North Korea accepts, then rejects, flood aid from South, Reuters (12.  September 2012), . 401  N. Korea denies asking US for food aid, asiaone News (12.  Januar 2012), . 402  Destitute North Korea accepts, then rejects, flood aid from South, Reuters (12.  September 2012), .



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe251

seit 1953 schwelende und politisch höchst sensible Konflikt zwischen Nordund Südkorea in Betracht zu ziehen. Schließlich provoziert Nordkorea nicht selten auch, dass internationale Hilfslieferanten ihre Hilfsangebote freiwillig zurückziehen: 2006 wurden Raketentest durchgeführt und eine Atomwaffe gezündet, so dass manche Spender ihre Nahrungsmittelhilfe aus Protest zurückzogen.403 (3) Pakistan Pakistan verhinderte 2007 teilweise den Zugang von Hilfsorganisationen zu besonders flutgefährdeten Gebieten.404 Auch 2013 wurde der Zugang von Hilfsorganisationen zu von Erdbeben betroffenen Regionen abgelehnt.405 Die Zurückhaltung der pakistanischen Regierung lässt sich möglicherweise in den Kontext setzen mit ihrer geplanten Strategie, die Abhängigkeit Pa­ kistans von ausländischer Hilfe generell zu verringern, um die eigene „wirt­ schaftliche Unabhängigkeit, nationale Souveränität und Sicherheit des Lan­ des“ zu stärken.406 (4) Indien Die indische Regierung ist bestrebt, das Land bei Katastrophen in der Öffentlichkeit als hilfeleistender Spender407 darzustellen und nicht als hilfs­ bedürftigen Empfänger.408 Indien hilft sich grundsätzlich selbst und betont, 403  Human Rights Committee for North Korea/DLA Piper/The Oslo Centre for Hu­ man Rights, ‚Failure to Protect: The Ongoing Challenge of North Korea‘ (2008), 3. 404  Barber, 14 JCSL (2009), 17. 405  ,Pakistani Quake Victims Suffer As Government Denies International Aid‘ Radio Free Europe/Radio Liberty (16.  Oktober 2013) . 406  ,It’s time to say ‚no‘ to foreign aid: Shahbaz Sharif‘ The Express Tribune with the International New York Times (17.  Mai 2011) . 407  Indien hat in der Vergangenheit stets großzügige Hilfslieferungen an von Katastrophen betroffen Länder ausgestellt, z. B. an Myanmar, Sri Lanka (25 Mio. US-Dollar nach dem Tsunami 2004), die USA (5 Mio. US-Dollar nach Hurrikan Katrina), Bangladesh (750 Mio. US-Dollar nach einem Zyklon 2007), China (5 Mio Us-Dollar nach einem Erdbeben 2008), Haiti (5 Mio. US-Dollar nach dem Erdbeben 2010), Pakistan (25 Mio. US-Dollar nach dem Erdbeben 2005) und Japan (nach Fukushima), ‚Foreign aid? No, thanks‘ The Telegraph India (7.  Juli 2013) . 408  ,Pride and Politics: India Rejects Quake Aid‘ The New York Times (19.  Ok­ tober 2005) .

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

dass man genügend eigene Ressourcen habe, um mit Katastrophen umzuge­ hen und der Bevölkerung zu helfen. Höchstens werden Darlehen bei der Weltbank oder der Asian Development Bank beantragt.409 Dadurch sollen die wachsende wirtschaftliche Kraft und Bedeutung sowie die politische Machtposition Indiens außenwirksam demonstriert werden, um z. B. die Intention, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erhalten, zu unter­ mauern.410 Auch Nationalstolz spielt dabei eine Rolle. Im Zusammenhang mit diesen politischen Zielen verzichtet Indien seit 2004 vollständig darauf, bilaterale Katastrophenhilfe anzunehmen und leistet gleichzeitig anderen Staaten großzügig Hilfe, während in den Jahren zuvor Hilfsangebote dank­ bar angenommen worden waren und eher wenig an andere Staaten gespen­ det wurde.411 So wurde beim Tsunami 2004 erstmals ausländische Katastro­ phenhilfe zurückgewiesen. Ein weiteres Beispiel für die Ablehnung von Katastrophenhilfe ist ein schweres Erdbeben in Kashmir im Oktober 2005. Dabei argumentierte die indische Regierung, dass man die benötigten Zelte für die 30.000 Menschen im unter indischer Kontrolle stehenden Teil  der Region selbst bereitstellen könne.412 Es wurde sogar dem verfeindeten Pa­ kistan für den pakistanischen Teil  Kashmirs Hilfe bereitgestellt. Hilfsange­ bote befreundeter Länder sollten zwar in Betracht gezogen werden, aller­ dings unter dem Vorbehalt einer Bedarfsevaluation, wenn die eigenen Mittel nicht mehr ausreichten.413 Ob dies nicht bereits der Fall war, wurde wider­ sprüchlich beantwortet. Der Außenminister behauptete, das Militär könne etwaige Engpässe in der Zeltbelieferung ausgleichen. Das Militär war aber nach eigenen Angaben selbst stark vom Erdbeben betroffen und konnte nicht seinen ganzen Bestand an die Bevölkerung verteilen.414 Regierungs­ kritiker gingen daher von einem Bedarfsengpass aus, auch weil die Vertei­ 409  ,Foreign aid? No, thanks‘ The Telegraph India (7.  Juli 2013) . 410  ,Pride and Politics: India Rejects Quake Aid‘ The New York Times (19.  Ok­ tober 2005) ; ‚Foreign aid? No, thanks‘ The Telegraph India (7.  Juli 2013) . 411  ,Foreign aid? No, thanks‘ The Telegraph India (7.  Juli 2013) . 412  ,Pride and Politics: India Rejects Quake Aid‘ The New York Times (19.  Ok­ tober 2005) . 413  ,Pride and Politics: India Rejects Quake Aid‘ The New York Times (19.  Ok­ tober 2005) . 414  ,Pride and Politics: India Rejects Quake Aid‘ The New York Times (19.  Ok­ tober 2005) .



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lung der Zelte nur sehr langsam erfolgte und, bei ausreichenden Beständen, eine solche Verzögerung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht stattgefunden hätte.415 Es zeigt sich somit, dass Indien generell eine ablehnende Haltung gegenüber bilateralen ausländischen Katastrophenhilfeangeboten hat. (5) Afrika Simbabwe hat in der Vergangenheit regelmäßig ausländische Hilfe bei akuten oder unmittelbar bevorstehenden Katastrophen verweigert.416 2005 führte die Regierung Zwangsumsiedlungen durch, was mehr als 700.000 Menschen obdachlos machte.417 Angebotene ausländische Hilfe wurde abge­ lehnt. Begründet wurde dies damit, dass es aus Sicht der simbabwischen Re­ gierung keine zwingende Notwendigkeit gäbe, vorübergehende Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, da es keine humanitäre Krise mehr gäbe und die simbabwische Regierung bereits alle Probleme in Bezug auf die Unterkunft gelöst habe.418 Tatsächlich befanden sich aber noch viele Personen in kriti­ schen Situationen und waren auf die Bereitstellung weiterer Unterkünfte an­ gewiesen.419 Ein Grund für die fehlende Kooperationsbereitschaft insbeson­ dere auch gegenüber OCHA könnte gewesen sein, dass eine OCHA-Mitar­ beiterin gegenüber dem simbabwischen Ministerpräsidenten ein Tätigwerden des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta angedroht hatte.420 Die Ablehnung internationaler Hilfe könnte demzufolge ein Druckmittel ge­ genüber der internationalen Staatengemeinschaft gewesen sein. Die ausländischer Hilfe generell restriktiv gegenüberstehende sudanesi­ sche Zentralregierung hat auch nach ungewöhnlich heftigen Überflutungen ausländische humanitäre Hilfe strikt abgelehnt und nur in den Regionen zugelassen, über die sie die Kontrolle innehat; Hilfslieferungen an die von 415  ,Pride and Politics: India Rejects Quake Aid‘ The New York Times (19.  Ok­ tober 2005) . 416  Annan appeals to Zimbabwe to let UN help homeless after Government re­ jects aid (31.  Oktober 2005) . 417  Annan ‚dismayed‘ as Zimbabwe rejects aid, New Zimbabwe, . 418  GOZ rejects shelter proposal for displaced victims of operation Murambats­ vina (28.  Oktober 2005) 05HARARE1489_a (Wikileaks) , Abs. 1. 419  Annan appeals to Zimbabwe to let UN help homeless after Government re­ jects aid (31.  Oktober 2005). 420  GOZ rejects shelter proposal for displaced victims of operation Murambats­ vina (28.  Oktober 2005) 05HARARE1489_a (Wikileaks) , Abs. 5.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Rebellen kontrollierten Gebiete werden untersagt.421 Hierbei stehen vermut­ lich strategische Überlegungen zur vermeintlichen Stärkung der eigenen Position im Bürgerkrieg im Vordergrund. (6) Zwischenfazit Politische Gründe bilden die Mehrzahl der in der Vergangenheit ange­ führten Motive, fremde Hilfe abzulehnen. Sie werden nicht selten durch Angabe sonstiger unverdächtiger Gründe, z. B. dass der Staat schon selbst gut mit der Katastrophe zurechtkäme, verschleiert. Großmachtstreben steht im Vordergrund, wenn fremde Hilfe aus Nationalstolz und zum Zwecke der Machtdemonstration abgelehnt wird. Vor allem totalitär regierte Staaten setzen die Ablehnung von Hilfe auch als politisches Druckmittel ein. Indem die Bevölkerung so bewusst in eine potentiell bedrohliche Situation versetzt wird, indem sie von Hilfe abgeschnitten wird, können die Hilfe offerieren­ den Staaten mittelbar erpresst werden, wenn ihre Hilfe nur unter bestimmten externen Bedingungen akzeptiert wird. Bei der Ablehnung von Hilfe aus politischen Erwägungen spielt aber auch die Furcht vor Infiltrierung durch fremde Regierungen vermittels der Hilfstruppen oder Geheimdienste im eigenen Land eine Rolle. Nicht selten besteht die Angst, dass die Helfer anlässlich der Katastrophe generelle Missstände aufdecken, z. B. systemati­ sche Menschenrechtsverletzungen, nicht ausreichend entwickelte Infrastruk­ tur, mangelnde Trinkwasserversorgung, schlechte Hygienezustände oder grundsätzlich fehlende medizinische Versorgung. bb) Abwägung im Einzelfall Sind Ablehnungsgründe grundsätzlich nicht als willkürlich einzuordnen, so können sie doch durch die besonderen Gründe des Einzelfalles willkür­ lich werden. Jeder Verweigerungsgrund muss diesbezüglich individuell auf seine Rationalität untersucht werden. Wird ein Hilfsangebot bona fide, d. h. insbesondere in Übereinstimmung mit den DAPPED, unterbreitet und sind keine anderen Möglichkeiten zur Katastrophenbewältigung verfügbar, so indiziert dies nach Auffassung der ILC stark, dass die Zustimmungsverwei­ gerung willkürlich geschieht.422 Dieser Ansatz ist jedoch als zu pauschal 421  Enough Project (Hrsg.)/Kumar, Aid as a Weapon of War in Sudan. One More Reason to Adopt a Comprehensive Approach (2013) , 1; Human Rights Watch, ‚Darfur: Humanitarian Aid Under Siege‘ (8.  Mai 2006) . 422  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3. Juni; 4. Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary Art. 11, Rdnr. 7.



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und souveränitätsfeindlich abzulehnen. Hinsichtlich an sich zulässiger Ab­ lehnungsgründe, wie z. B. biosicherheitsrechtlichen Bedenken, ist zu kons­ tatieren, dass jede Gesellschaft selbst darüber entscheiden kann, auch vor dem Hintergrund der eigenen Kulturgeschichte, welchen Sicherheitsstandard sie bei ihrer Ernährung wahren möchte.423 Es kann auch vor dem Hinter­ grund des sich entwickelnden Vorsorgeprinzips424 jedenfalls nicht als will­ kürlich angesehen werden, dass ein Staat ihm nicht bekannte und von den eigenen Behörden nicht geprüfte GVO oder sonstige Hilfsgüter ablehnt, die einen nicht mit letztgültiger Gewissheit auszuschließenden negativen Ein­ fluss auf die Gesellschaft oder Umwelt haben könnten.425 Bei der Überprü­ fung der Abwägungsentscheidung auf Fehler sind somit vielmehr alle für und gegen eine Ablehnung der Hilfe sprechenden materiellen Gesichtspunk­ te in den Blick zu nehmen. Dazu zählen insbesondere die Folgen bei end­ gültiger Verweigerung der Zustimmung. Vom betroffenen Staat kann hier nur eine summarische Prüfung verlangt werden, um zeitliche Engpässe zu vermeiden. Ähnlich der im deutschen Verfassungsrecht anerkannten Doppel­ hypothese muss untersucht werden, welche Situation sich ergäbe, würden die befürchteten negativen Folgen der Hilfsannahme nicht zutreffen, man aber sicherheitshalber die Einfuhr der Hilfsgüter- und Truppen verhindert, und vice versa. Je irreversibler die Folgen der Verweigerung der Hilfe trotz potentieller negativer Sekundärfolgen der Hilfe wären, desto eher ist von einer willkürlichen Verweigerung auszugehen. In diesen Situationen, z. B. beim drohenden Verlust vieler Menschenleben, kann man sogar die These vertreten, dass eine Rückausnahme zu an sich zulässigen Verweigerungs­ gründen, z. B. aus dem Wirtschaftsvölkerrecht, aus den menschenrechtlichen Verpflichtungen des betroffenen Staates anzunehmen ist. d) Fehlende Angabe von Gründen für die Verweigerung der Zustimmung Nimmt man eine formale Betrachtung vor, kann Willkür schon dann vor­ liegen, wenn der betroffene Staat überhaupt keine Gründe für die Verwei­ 423  Codex Alimentarius Commission, ‚Principles for the Risk Analysis of Foods Derived from Modern Biotechnology‘, WHO/FAO (angenommen 2003, geändert 2008) CAC/GL 44-2003, 1. 424  Hierzu Shaw, International Law (2008), 868. 425  Etwas anderes gilt freilich mit Blick auf das unionsrechtliche Diskriminie­ rungsverbot. Die Ablehnung von legal und in Abstimmung mit einer wissenschaft­ lichen Risikobewertung durch die europäischen Behörden (z. B. der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA) in einem anderen Mitgliedstaat nach entsprechender Umweltprüfung in den Verkehr gebrachten Lebensmittel wäre nicht nur als willkürlich, sondern auch als Verstoß gegen den Grundsatz des freien Wa­ renverkehrs innerhalb der EU und gegenüber Drittländern anzusehen.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

gerung der Zustimmung anführen kann.426 So haben die USA bei Hurrikan Katrina bestimmte Arten von Hilfslieferungen, wie z. B. Mobiltelefone, ohne Begründung abgelehnt. Im Nachhinein gaben die US-amerikanischen Behörden zu, schlecht auf die koordinierte Verteilung der Hilfsgüter vorbe­ reitet gewesen zu sein.427 Grundsätzlich besteht indes aber keine Begrün­ dungspflicht für die Ablehnung von Hilfsangeboten. Eine solche ist in kei­ nem Dokument des IDRL normiert. Jedoch trägt der Hilfe ablehnende Staat die Beweislast dafür, dass die Ablehnung der Hilfe nicht willkürlich ist. Die fehlende Angabe von Gründen kann daher nur dann als willkürliche Ableh­ nung eingeordnet werden, wenn auch auf Nachfrage seitens der Staatenge­ meinschaft keine Gründe „nachgeschoben“ werden können. e) Angabe von unzutreffenden Gründen für die Verweigerung der Zustimmung Sind die zur Ablehnung angeführten Gründe sachlich unzutreffend, so liegt zumindest dann keine Willkür vor, wenn es objektiv dennoch einen tragfähigen Grund gibt, die Hilfe abzulehnen. Dies folgt aus der fehlenden Begründungspflichtigkeit des betroffenen Staates. Fehlen aber tragfähige Gründe, ist von Willkür auszugehen. Es kann dann nicht mehr von einer Ablehnung der Hilfe bona fide gesprochen werden.428 Auch hier stellen sich aber Beweisprobleme. Ebenso wie schon bei der Feststellung des Ka­ tastrophenfalles, aber auch der vorgelagerten Hilfeersuchenspflicht, muss für die Beurteilung der Stichhaltigkeit der angeführten Gründe im Ergebnis die Perspektive eines objektiven Betrachtens maßgeblich sein. Die Staaten­ gemeinschaft hat diesbezüglich jedoch kaum Nachweismöglichkeiten ohne die Kooperationsbereitschaft des betroffenen, die Zustimmung verweigern­ den Staates.

426  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3. Juni; 4. Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary to Art. 11 DAPPED, Rdnr. 8. 427  ,U.S. Refused Most Offers of Aid for Hurricane Katrina‘ The Sun (30.  April 2007) . 428  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3.  Juni; 4.  Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Commentary Art. 11 DAPPED, Rdnr. 8.



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f) Fazit Es lassen sich drei Hauptmotive für die Ablehnung ausländischer Kata­ strophenhilfe identifizieren. Haftungsrechtliche und sicherheitstechnische Bedenken sowie das vermeintliche Vorhandensein ausreichend eigener Ka­ pazitäten werden offen kommuniziert. Politische Gründe, die häufig den Kern für die Ablehnung bilden, werden nicht in der allgemeinen Öffentlich­ keit erörtert. Dass die Staatsräson Hauptmotiv für die Ablehnung der Hilfe ist, lässt sich aber zumeist aus den Umständen der Ablehnung der Hilfe ableiten. Machtpolitische Gründe sind generell als willkürlich einzustufen, sofern sie die alleinigen tragenden Gründe für die Ablehnung sind. Beden­ ken mit Blick auf die Sicherheit der betroffenen Bevölkerung bilden die zweite Gruppe der häufigen Ablehnungsgründe. Prominente Beispiele sind die vom hilfsbedürftigen Staat als unsicher eingeordneten Lebensmittel, z. B. GMO (Afrika) oder unter BSE-Generalverdacht stehendes Fleisch (USA). Auch Bedenken hinsichtlich ungeklärter Haftungsfragen der Hilfs­ kräfte werden angeführt. Diese Bedenken sind grundsätzlich nicht als will­ kürlich einzuordnen, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalles, etwa das besonders große Ausmaß von menschlichem Leid, Lebensgefahr oder wirtschaftliche Schäden sowie die Aussichtslosigkeit alleiniger Katastro­ phenhilfe durch den betroffenen Staat, hinzutreten. Die dritte Ablehnungs­ gruppe bilden Fälle, in denen der betroffene Staat sich auf ausreichende eigene Kapazitäten beruft. Dies kann eine Scheinargumentation sein, um von den wahren politischen Ablehnungsgründen abzulenken, aber auch tat­ sächlich zutreffen. Sofern tatsächlich keine fremde Hilfe notwendig ist, kann die Ablehnung vor dem Hintergrund der Subsidiarität externer Hilfe nicht als willkürlich eingeordnet werden. 5. Ergebnis Zur Wahrung der Souveränität ist bei der Umsetzung der Verpflichtung, um fremde Hilfe zu bitten und diese anzunehmen, auf Sekundärebene ver­ fahrenstechnisch ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt anzunehmen, d. h. der betroffene Staat muss ausdrücklich seine Zustimmung erteilen, bevor tatsächlich Hilfe in das Land gelassen wird. Ihn trifft aber die Pflicht, die Zustimmung nicht willkürlich zu versagen.429 Auch wenn sich diesbe­ züglich noch keine einheitliche Staatenpraxis gebildet hat, so ist die Norm 429  Vgl. z. B. Art. 14 Abs. 2 DAPPED ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15.  Mai 2014); Art. VIII Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session.

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dennoch bereits so weit fortgeschritten in ihrem Entstehungsprozess, so dass ein Verstoß zumindest als rechtfertigungsbedürftig einzuordnen ist. In be­ sonders gravierenden Fällen, insbesondere offensichtlichen Missbrauchsfäl­ len, ist dabei von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen sein. Ein solcher offensichtlicher Missbrauchsfall könnte immer dann anzunehmen sein, wenn der betroffene Staat ohne Angabe von (triftigen) Gründen seine Zustimmung verweigert. Die Beurteilung, wann ein triftiger Grund vorliegt, kann dabei große Schwierigkeiten bereiten und kann letztendlich nur im Wege einer Einzelfallbetrachtung erfolgen.430 Eine Versagung ist zumindest dann nicht willkürlich, wenn der betroffene Staat glaubhaft nachweist, dass er sich selbst ausreichend um die Versorgung der Opfer kümmern kann oder er bereits von anderen Stellen Hilfe angenommen hat oder wenn die ange­ botene Hilfe nicht bona fide erfolgt bzw. mangelhaft scheint.431 Machtpoli­ tische Gründe genügen nicht, um die Ablehnung fremder Hilfe zu rechtfer­ tigen. Auch bloße Haftungsfragen sind pauschal kein geeigneter Grund, die Bevölkerung von Hilfe abzuschneiden. In beiden Fällen muss eine Abwä­ gung zwischen den befürchteten Gefahren und den potentiellen Vorteilen der in Frage stehenden Hilfe vorgenommen werden. Die Beweislast für das Vorliegen von triftigen Ablehnungsgründen obliegt dem betroffenen Staat.

III. Sonstige Verhaltenspflichten gegenüber fremden Staaten, Nichtregierungsorganisationen und nicht-staatlichen Akteuren Sobald der betroffene Staat sich bereit erklärt hat, Hilfe anzunehmen, stellt sich die Frage, an welche Verhaltenspflichten er gegenüber den hilfe­ leistenden Staaten und Organisationen gebunden ist. 1. Faktische Probleme der Helfer im Katastrophenfall Katastrophenhelfer sehen sich bei ihren Einsätzen zwei zentralen Proble­ men ausgesetzt. Zum einen müssen sie effektiv und zeitnah Hilfe leisten, zum anderen müssen sie dabei auch auf ihre eigene Sicherheit bedacht sein. 430  ILC, ‚Fourth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (11.  Mai 2011) UN Doc. A/ CN.4/643, Rdnr.  71. 431  Giustiniani, The Works of the International Law Commission on ‚Protection of Persons in the Event of Disasters‘. A Critical Appraisal, in: de Guttry/Gestri/ Venturini (Hrsg.), International Disaster Response Law (2012), 3.  Kapitel, 79; ILC, ‚Fourth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (11.  Mai 2011) UN Doc. A/CN.4/643, Rdnr.  73.



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Katastrophenhelfer berichten, dass die Zeitspanne von der Annahme des Hilfsangebots bis zum Eintreffen vor Ort der Katastrophe oft über eine Woche dauern kann.432 Bürokratie bei der Einreise, etwa durch umständ­ liche Visaprozeduren und Zollabfertigung, administrative Hürden bei der Erteilung von Landeerlaubnissen etc. und schlechte Koordination des be­ troffenen Staates vor Ort sind dabei die größten faktischen Hindernisse.433 In einer Umfrage der IFRK haben 40 % der befragten Katastrophenhelfer angegeben, in der Vergangenheit Probleme bei der Einfuhr von Hilfsgütern gehabt zu haben.434 47 % hatten Schwierigkeiten bei der Erteilung von Vi­ sa.435 Nicht immer ist es Kalkül, oft ist der betroffene Staat auch überfordert oder die Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden und den Personen, die für Einreise und Zoll verantwortlich sind, funktioniert nicht. Ob beides reibungslos abläuft, hängt häufig vom allgemeinen Entwicklungs­ stand des betroffenen Landes ab sowie von seiner Erfahrung im Umgang mit Katastrophenfällen. Hinsichtlich der Gewährleistung der Sicherheit des Hilfspersonals zeigt die jüngste Vergangenheit eine Zunahme von Gesetzes­ verstößen und sogar Gewalt gegen ausländische Hilfskräfte.436 Dies gilt zwar vor allem für Staaten, in denen Bürgerkriege oder nicht-internationale bewaffnete Konflikte und Unruhen die Sicherheitslage zusätzlich zu etwai­ gen Katastrophen im Sinne des IDRL beeinträchtigen. Im Sudan werden aber auch in sicheren Regionen Hilfskräfte verfolgt, eingeschüchtert, will­ kürlich verhaftet oder willkürlichen administrativen Barrieren ausgesetzt.437 In der zentralafrikanischen Republik kamen Anfang 2014 mehrere Mitarbei­ ter von Hilfsorganisationen bei gezielten Angriffen ums Leben.438 Allerdings weist der Sonderberichterstatter der ILC zutreffend darauf hin, dass gerade 432  Munz, Im Zentrum der Katastrophe. Was es wirklich bedeutet, vor Ort zu helfen (2007), 70. 433  UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Sixty-fifth session‘ (6.  Mai–7.  Juni, 8.  Juli–9. August 2013) UN Doc. A/68/10, Rdnr.  4,5. 434  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 98. 435  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 116. 436  ILC, ‚Seventh report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (27.  Februar 2014) UN Doc. A/ CN.4/668, Rdnr.  7. 437  Human Rights Watch, ‚Darfur: Humanitarian Aid Under Siege‘ (8.  Mai 2006). 438  ,Zentralafrikanische Republik: Drei „Ärzte ohne Grenzen“ unter Opfern bei Klinikanschlag‘ FAZ (28.  April 2014) . Allerdings handelt es sich bei der Lage in der Zentralafrikanischen Republik nicht um eine Katastrophe im Sinne des IDRL, sondern eine sich möglicherweise zum Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Christen zuspitzende interne Konfliktsituation.

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eine Katastrophe im Sinne des IDRL das Rechts- und Regelungssystem eines Landes so außer Kraft setzen kann, dass Sicherheitsrisiken für Hilfs­ personal entstehen.439 Es ist demnach nicht fernliegend, dass Katastrophen­ helfer auch außerhalb einer parallel bestehenden Konfliktsituation des be­ sonderen Schutzes durch den betroffenen Staat bedürfen. 2. Verhaltenspflichten des Hilfe empfangenden Staates In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, dass der betroffene Staat völkerge­ wohnheitsrechtlich auf Grundlage des Fremdenrechts dazu verpflichtet ist, den Schutz des Hilfspersonals anderer Staaten und humanitäter Organisa­ tionen zu gewährleisten. Hinsichtlich der operativen Durchführung der Hilfe wird die These aufgestellt, dass der betroffene Staat die effektive und zeitna­ he Umsetzung der Hilfsmaßnahmen sicherstellen muss. Auf welche Art und Weise er diese Pflicht erfüllt, ist ihm überlassen. Konkrete Umsetzungsmaß­ nahmen bestehen nur nach Maßgabe bilateraler oder regionaler Abkommen, werden aber nicht vom Völkergewohnheitsrecht vorgeschrieben. a) Schutz des Hilfspersonals Der Umgang mit Hilfspersonal unterliegt der Jurisdiktion des betroffenen Staates. Er ist diesbezüglich lediglich an das Fremdenrecht gebunden, d. h. er muss Ausländern einen völkerrechtlichen Mindeststandard von Rechten zuerkennen.440 Während ihres Aufenthalts haben Ausländer danach z. B. das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Sicherheit, Gleichheit vor Gesetz und Richter und auf ein geordnetes Verfahren.441 Von der völkerge­ wohnheitsrechtlichen Geltung dieser Schutzpflichten kann man daher bereits auf Grundlage des Fremdenrechts ausgehen. Es finden zahlreiche Men­ schenrechtsverträge ohnehin für alle auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten befindlichen Individuen Anwendung, unabhängig davon ob es sich um Staatsangehörige oder Ausländer handelt.442 Die Verpflichtung, alle erfor­ derlichen Maßnahmen zum Schutz des Hilfspersonals zu treffen, findet sich schließlich auch wortlautgleich in nahezu allen multilateralen, regionalen 439  ILC, ‚Seventh report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (27.  Februar 2014) UN Doc. A/ CN.4/668 Rdnr.  9. 440  Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (2013), Rdnr.  280; Shaw, International Law (2008), 824. 441  Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (2013), Rdnr.  289. 442  So z. B. Art. 2 Abs. 1 IPbpR; Art. 1 EMRK; Art. 1 Abs. 1 AMRK. Dazu auch Shaw, International Law (2008), 826.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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und bilateralen Regelungsinstrumenten zum IDRL.443 Man kann bei diesen Vorschriften von einer Aufladung des fremdenrechtlichen Mindeststandards um eine katastrophenschutzrechtliche Dimension sprechen. Welcher Schutz­ standard dem Eigentum von Ausländern zuzuerkennen ist, war demgegen­ über im Fremdenrecht lange umstritten.444 Die Beantwortung dieser Frage hat für Katastrophenhelfer große Bedeutung. Wenn der betroffene Staat ihre Hilfsgüter und Maschinen enteignet, kann dies leicht den Erfolg der Hilfs­ maßnahmen gefährden. Fremdenrechtlich ist der betroffene Staat im Grund­ satz auch zu derartigen Enteignungen berechtigt, wenn sie zur Erfüllung eines öffentlichen Zwecks erfolgen, nicht diskriminierend sind und Kom­ pensation gezahlt wird.445 Die Versorgung der Bevölkerung im Katastro­ phenfall stellt einen derartigen öffentlichen Zweck dar. Freilich ist es wider­ sinnig, Hilfsgüter zu enteignen, die ohnehin für die betroffene Bevölkerung vorgesehen sind. Es liegt nahe, dass bei derartigen Enteignungen andere Motive, etwa die Nutzung der fremden Hilfsgüter zur eigenen Macht­ demonstration, eine Rolle spielen. So hat z. B. Myanmar bei Zyklon Nargis Hilfsgüter beschlagnahmt, um sie selbst zu verteilen.446 Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass manche Hilfsorganisation mit der Verteilung der Hilfsgüter überfordert ist und der betroffene Staat sich in einer besseren Position dafür befindet. Auf Rechtsfolgenseite sind die Katastrophenhelfer 443  Art. 4 Abs. 5 FCCDA; Art. 5 Abs. 1 Tampere Convention (nur in Bezug auf das Verhalten, das in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hilfeleistung steht); Art. 8 Abs. 2 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radio­ logical Emergency; Art. IX Abs. 2 SAARC Agreement on Rapid Response to Natur­ al Disasters; Art. 14 lit. b AADMER; Art. 60 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007); Art. VII Abs. 3 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session; Art. 17 Abs. 1 ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15.  Mai 2014). Zum Schutz von Hilfspersonal siehe auch die ausführlichen Nachweise zu multilateralen, bilateralen und regionalen Regelungs­ instrumenten, die entsprechende Vorschriften enthalten, in ILC, ‚Seventh report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (27.  Februar 2014) UN Doc. A/CN.4/668, Rdnr.  14–24. 444  Shaw, International Law (2008), 833 ff. 445  Z. B. Art. 1110 Abs. 1 North American Free Trade Agreement (NAFTA), v. 17.  Dezember 1992 (in Kraft getreten am 1.  Januar 1994), 32 ILM 289 (1993); Shaw, International Law (2008), 833 mit Verweis auf u. a. Permanent Court of In­ ternational Justice, German Interests in Polish Upper Silesia (Germany vs. Poland) (25.  Mai 1926) PCIJ Ser. A No. 7, 22 para. 65; International Centre for the Settle­ ment of Investment Disputes (ICSID), Compania del desarrollo de Santa Elena, S.A. and The Republic of Costa Rica, Case No. ARB/96/1 (17.  Februar 2000), Rdnr.  71. 446  ,Uno-Lieferungen nach Burma: Militärjunta beschlagnahmt Hilfsgüter‘ Der Spiegel (9.  Mai 2008) .

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

bei rechtmäßigen Enteignungen dann zu einer angemessenen Kompensation in Höhe des Materialwertes berechtigt.447 Bei unrechtmäßigen Enteignun­ gen, d. h. wenn z. B. die Tatbestandsvoraussetzungen des öffentlichen Zwecks nicht vorliegen, steht den Katastrophenhelfern umfassende, adäqua­ te und zeitnahe Kompensation zu.448 b) Effektive und zeitnahe Durchführung der Hilfsmaßnahmen Virale Punkte, die in fast allen Regelungsinstrumenten angesprochen werden, sind die Art und Weise der Zugangsermöglichung, d. h. das verein­ fachte Vorgehen bezüglich der Einreise von Hilfspersonal, Visabestimmun­ gen, der Nichterhebung von Zöllen auf Hilfsgüter, der Befreiung von der Steuerpflichtigkeit etc.449 Nach der Einreise steht im Vordergrund, effektive Hilfe überhaupt zu ermöglichen bzw. nicht zu verhindern, etwa durch das Bereitstellen oder Schaffen von Hilfskorridoren auch in stark zerstören Ge­ bieten. Hierzu zählen Überflugs- und Landerechte, Zugangsrechte und die Bereitstellung von Telekommunikation.450 Auch wenn der betroffene Staat fremdenrechtlich berechtigt ist, den Aufenthalt des Hilfspersonals räumlich einzuschränken, normieren z. B. die IFRK Guidelines for the Domestic Fa­ 447  Shaw, International Law (2008), 837, mit Verweis auf Iran  – United States Claims Tribunal, Partial Award in Amoco International Finance Corporation v. Islamic Republic of Iran (Treaty of Amity and Customary International Law Requirements for Compensation for Expropriation; Calculation of Compensation) (14.  Juli 1987) ILM 27, 1314, Rdnr.  246–252. 448  Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht (2009), Rdnr.  613. 449  Art. 4 Abs. 3 FCCDA; Art. XI Abs. 1 SAARC Agreement on Rapid Respon­ se to Natural Disasters; Art. 12 Abs. 2 S. 2, Art. 14 lit. a AADMER; Art. 10 Abs. 1 BSEC Agreement on collaboration in Emergency Assistance and Emergency Res­ ponse to natural and man-made Disasters; Annex concerning goods imported for humanitarian purposes der Convention relating to temporary admission (Istanbul Convention), World Custom Organization, v. 26.  Juni 1990 (in Kraft getreten am 27.  November 1993), UKTS 1999/60 (beschränkt auf Güter, die nach ihrer Verwendung wieder re-exportiert werden); Artt. 16, 17 IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Di­ saster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex; Art. 60 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007); Art. VII Abs. 1 S. 3,4 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. Siehe dazu auch die Nachweise in ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9. April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Rdnr.  136–145. 450  Art. 4 Abs. 7 FCCDA; Artt.  XIII SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters; Art. 60 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007); Art. VII Abs. 3 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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cilitation und die OSLO Guidelines die Gewährung der umfassenden Frei­ zügigkeit bzw. des umfassenden Zugangs zu den von der Katastrophe be­ troffenen Gebieten.451 Bezüglich der völkerrechtlichen Bindungswirkung lässt sich die These vertreten, dass nur eine völkergewohnheitsrechtlich verbindliche Zielvorga­ be besteht, externen Akteuren die effektive und zeitnahe Hilfe zu ermög­ lichen („facilitation of prompt and effective relief“).452 Welche Maßnahmen der Staat hierzu ergreift, ist ihm zu überlassen. Bezüglich dieses Grund­ tenors herrscht umfassende Einigkeit auf Ebene der gemeinsamen Rechts­ überzeugung, wie die zitierten Regelungsinstrumente zeigen. Vorschlägen, den betroffenen Staat pauschal zur Aufhebung seiner Einreise- und Einfuhr­ bestimmungen sowie zur Normierung bestimmter Privilegien und Immuni­ täten zu Gunsten des Hilfspersonals zu verpflichten, stehen die Staaten aber insgesamt ablehnend gegenüber, wie Diskussionen vor dem Rechtsausschuss der UN zeigen.453 Die Tatsache, dass nur wenige Staaten der Kyotoer Zoll­ konvention454 beigetreten sind, die einen eigenen Annex mit konkreten Regelungen zum Umgang mit Hilfsgütern hat, ist ein weiteres Indiz für die fehlende Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft, hinsichtlich der Ein­ fuhr von Hilfsgütern feststehende Ausnahmen zu normieren.455 Auch gehört die faktische Ermöglichung effektiver und zeitnaher konkreter Hilfsmaßnah­ men, sei es durch eigene oder fremde Hilfskräfte, ohnehin zur originären menschenrechtlichen Pflicht des betroffenen Staates, seiner Bevölkerung im Katastrophenfall Hilfe zu leisten, um z. B. dem Recht auf Leben und kör­ perliche Unversehrtheit effizient zur Durchsetzung zu verhelfen.456 Hieraus fließt somit mittelbar die Pflicht, bei Annahme fremder Hilfe auch deren 451  Art. 16 IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex; Art. 60 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007); Art. VII Abs. 3 Resolution on Humani­ tarian Assistance, Bruges Session. 452  Art. 17 DAPPED, ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15.  Mai 2014). 453  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 19th meeting‘ (4.  Dezem­ ber 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.19: Chile, Rdnr.  13; Irland, Rdnr.  23; El Salvador, Rdnr.  49; Frankreich, Rdnr.  95; UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 20th meeting‘ (7.  Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.20: Australien, Rdnr.  6; Pakistan, Rdnr.  33. 454  Specific Annex J, Chapter 5 Kyoto Convention. 455  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 102. 456  Äußerung des Vorsitzenden Caflisch, UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 18th meeting‘ (4. Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.18, Rdnr. 36.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Durchführung vor Ort zu ermöglichen.457 Wenn der betroffene Staat externe Hilfe im Grundsatz angenommen hat, erweitern die externen Ressourcen wertungsmäßig den Bestand der ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Katastrophenhilfe. Da der betroffene Staat menschenrechtlich verpflichtet ist, seine Kapazitäten in der bestmöglichen Weise zur Katastrophenhilfe einzusetzen, gilt dies automatisch auch für die externen, ihm nun zur Ver­ fügung stehenden Kapazitäten. Ob und durch welche Einzelfallmaßnahmen ihm die bestmögliche Kapazitätennutzung gelingt, ist eine auf Rechtsfolgen­ ebene zu klärende Wertungsfrage. Sie kann ohnehin nicht daran festgemacht werden, ob im Einzelfall die Einreise einer Helfergruppe zwei oder zwanzig Stunden benötigt. Es fehlen in aller Regel Parameter, um der hypothetischen Betrachtung nachzugehen, in welchem Umfang die Hilfe nach zwanzig Stunden weniger effektiv ist als sie es beispielsweise nach zwei Stunden gewesen wäre. Es liegt zwar nahe, dass z. B. Suchtrupps, die nach einem Erdbeben nach Verschütteten suchen, nach zwei Stunden mehr Überlebende finden als nach zwanzig. Abschließend klären lässt sich dies aber aus einer ex post Betrachtung heraus nicht. Dafür, nur die Zielvorgabe der effektiven Hilfeermöglichung als verbind­ lich anzusehen, spricht auch, dass diesbezüglich nicht überall unmittelbar verbindliche Verhaltensvorgaben, etwa mit dem Inhalt, Visabestimmungen gänzlich aufzuheben, formuliert werden. In einigen wichtigen Regelungs­ instrumenten458 wird den betroffenen Staaten nur aufgegeben, etwa durch Anpassung ihres nationalen Rechtssystems und Reduzierung der Formali­ täten auf ein Minimum die effektive und zeitnahe Durchführung von Hilfe durch externe Akteure zu ermöglichen.459 Selbst die ILC ist daher vorsich­ 457  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652, Rdnr.  131. Andere leiten die Pflicht, Hilfe auch faktisch zu ermöglichen, aus einer Kooperationspflicht ab, siehe z. B. die Äußerung des ILC-Mitglieds Tladi in ILC, ‚Provisional summary record of the 3138th meeting‘ (2. August 2012) UN Doc. A/CN.4/SR.3138, S. 16. 458  Art. 9 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 Tampere Convention; Art. 14 lit. b AADMER; Art. VII lit. a Inter-American Convention to Facilitate Disaster Assistance; Art. V Abs. 2 SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters. Auch bilaterale Abkommen rücken z. B. bzgl. der Einreise die Zielvorgabe der schnellen Hilfeleis­ tung in den Vordergrund und überlassen die Umsetzung dieses Ziels dem betroffenen Staat, siehe z. B. Art. 4 Abs. 1 Convention between the French Republic and the Federal Republic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or seri­ ous accidents; Art. 5 Abs. 1 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or seri­ ous accidents. 459  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652, Rdnr.  139 f.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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tig bei der Etablierung von unmittelbaren operativen Verhaltenspflichten. In Art. 17 (ex. Art. 14) DAPPED wird dem betroffenen Staat lediglich auf­ gegeben, seine nationalen Gesetze so anzuwenden, dass sie die rasche Ein­ reise und damit Einsatzfähigkeit von Hilfspersonal ermöglichen.460 Ge­ schuldet ist, wenn überhaupt, ein bestimmtes Verhalten, kein konkreter Erfolg (obligation of conduct).461 Diejenigen Regelungsinstrumente, die den betroffenen Staat bereits zu konkreten administrativen Ausnahmevor­ schriften etc. verpflichten zu versuchen, setzen sich demgegenüber in Wi­ derspruch zum Grundsatz, dass die operative Koordination und damit ef­ fektive Kontrolle aller Hilfsmaßnahmen letztlich allein dem betroffenen Staat obliegt.462 Müsste der betroffene Staat ausnahmslos alle administra­ tiven Regelungen aufheben, die der Katastrophenhilfe potentiell im Weg stehen können, würde man ihn dieser Kontrollbefugnis berauben. Die ILC weist schließlich darauf hin, dass eine völkergewohnheitsrechtlich normier­ te Pflicht, Ausnahmen von der nationalen Rechtsordnung vorzusehen, unter Umständen zu verfassungsrechtlichen Problemen im betroffenen Staat füh­ ren könnte.463 460  ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/ CN.4/L.831 (15.  Mai 2014): Article 14 Facilitation of external assistance 1.  The affected State shall take the necessary measures, within its national law, to facilitate the prompt and effective provision of external assistance regarding, in particular: (a)  civilian and military relief personnel, in fields such as privileges and immuni­ ties, visa and entry requirements, work permits, and freedom of movement; and (b)  goods and equipment, in fields such as customs requirements and tariffs, taxation, transport, and disposal thereof. 2.  The affected State shall ensure that its relevant legislation and regulations are readily accessible, to facilitate compliance with national law. 461  ILC, ‚Seventh report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (27.  Februar 2014) UN Doc. A/CN.4/668, Rdnr.  39. 462  Art. III Abs. 2 SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters; Art. 8 Abs. 1 BSEC Agreement on collaboration in Emergency Assistance and Emer­ gency Response to natural and man-made Disasters; Art. 7 Abs. 4 Rat der Europäi­ schen Union, Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) (Text von Bedeutung für den EWR) 2007/779/EG, Euratom (8.  November 2007) ABl. EU L 314/9; Art. 3 Abs. 3 IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex; Art. 51 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007). 463  ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (64th session 2012, Protection of Persons in the Event of Diasters), v. 30.  Juli 2012, S. 7.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Gerade die Zugangsermöglichung an sich, d. h. alle Bestimmungen, die Einreise, Visapolitik und Zollregelungen betreffen, ist schließlich auch eine sensible politische Angelegenheit, in der Staaten nur eingeschränkt Willens sind, Zugeständnisse zu machen und damit potentiell ihre innere Sicherheit zu gefährden. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Einreise- und Einfuhrbe­ stimmungen für Hilfspersonal und -güter. Erleichtert ein Staat mit strengen Einreisebedingungen die Einreise ausländischer Hilfskräfte, so müssen Si­ cherungsmaßnahmen getroffen werden, um den Missbrauch der Einreise­ erleichterungen zu anderen Zwecken als zur Katastrophenhilfe zu verhin­ dern. Die Überprüfung der Hilfsabsicht und die Differenzierung zwischen seriösen und unseriösen humanitären Organisationen kann unter Umständen aber ebenfalls viel Zeit in Anspruch nehmen. Besser ist es daher auch in diesem Fall, die Anwendung der Einreisebestimmungen im Einzelfall anzu­ passen, anstatt pauschale Ausnahmen zu fordern. Riskant kann es auch sein, die pauschale Einfuhr von Hilfsgütern ohne Zollkontrolle zu erlauben, da auch hier Missbrauch drohen kann.464 So wurde bei Katastrophen in Sri Lanka und Guatemala versucht, Waffen und Betäubungsmittel in das Land zu schmuggeln, indem diese in Containern mit Hilfsgütern versteckt wur­ den.465 Auch die Gewährung von Immunitäten und Privilegien ist nicht immer angezeigt, wenn z. B. unerfahrene Hilfskräfte in das Land kommen und die Gefahr von (unbeabsichtigten) Gesetzesverstößen durch das Hilfs­ personal nicht fernliegt. Zuletzt weist selbst die IFRK in einer Studie darauf hin, dass auch ein existierendes Rechtsregime für den operativen Umgang mit externer Katastrophenhilfe nicht von Problemen befreit. Die Umsetzung erfordert die effektive Koordination zwischen den beteiligten nationalen Behörden, was nicht immer unproblematisch ist. Deroga­tionsvorschriften von bestehenden Zoll- und Einreisebeschränkungen geben den Helfern auch nur in seltenen Fällen carte blanche zur beliebigen kon­trollfreien Einreise und Einfuhr, sondern erfordern die Erfüllung bestimmter Tatbestandsvoraus­ setzungen. So sehen etwa die Ausnahmevorschriften für Waren zugunsten von Katastrophenopfern in der Europäischen Zollbefreiungsverordnung vor, dass die Kommission auf Antrag des oder der betroffenen Mitgliedstaaten im Rahmen eines Dringlichkeitsverfahrens über die Befreiung bestimmter Waren, den Umfang der Befreiung und die Bedingungen für ihre Anwen­ 464  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652, Rdnr.  145, mit Verweis auf Art. 21 lit. b der Max-Planck-Guidelines, Macalister-Smith/Max Planck Institute for Comparative Law and International Law, Draft International Guidelines for Humanitarian Assistance Operations (1991), wo­ nach die Aufhebung von Verboten und Regularien nur gefordert wird, wenn keine Gesundheits- oder Sicherheitsbedenken entgegenstehen. 465  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 100.



B. Pflicht zur subsidiären Inanspruchnahme externer Katastrophenhilfe

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dungen entscheidet.466 Von den Ausnahmeregelungen werden auch Waren ausgenommen, die für den späteren Wiederaufbau nach der Katastrophe bestimmt sind.467 Die Grenzziehung, wann Güter für die akute Hilfe be­ stimmt sind, und wann für die unmittelbare post-Katastrophenphase, ist, z. B. bei Maschinen, nicht selten eine Wertungsfrage, deren Beantwortung ebenfalls zu Verzögerungen im Einzelfall führen kann. Bei Prüfungen dieser Art kann ebenso viel Zeit oder sogar mehr Zeit verloren gehen wie bei der Einzelfallzulassung der Einreise und Einfuhr. Zudem gibt es durchaus Bei­ spielsfälle, in denen z. B. die Einfuhr von Hilfsgütern auch ohne Rechtsrah­ men schnell erfolgte, weil die betroffenen Staaten ad hoc flexibel auf die Katastrophensituation reagieren konnten.468 Den Staaten hier dennoch den Vorwurf eines Völkerrechtsverstoßes zu machen, nur weil die Maßnahmen vorher nicht im Einzelnen festgeschrieben waren, widerspricht dem Sinn der internationalen Katastrophenhilfe. 3. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich für den Bereich der operativen Katastrophenhilfe, d. h. für den Bereich der tatsächlichen Erbrin­ gung fremdstaatlicher Katastrophenhilfe, bereits einige Verhaltenspflichten des betroffenen Staates völkerrechtlich verbindlich etabliert haben. Unab­ hängig von den Vorgaben der nationalen Rechtsordnung ist der betroffene Staat verpflichtet, im Umgang mit den ausländischen Hilfskräften das Frem­ denrecht zu beachten und die Sicherheit der Hilfskräfte sowie den Schutz ihres Lebens und ihrer Gesundheit zu gewährleisten. Hat der von einer Katastrophe betroffene Staat externe Hilfe im Grundsatz akzeptiert, ist er zudem verpflichtet, die effektive und zeitnahe Durchführung der Hilfsmaß­ nahmen zu ermöglichen. Diese Zielvorgabe ist Ausfluss der primären, aus den Menschenrechten seiner Bevölkerung abgeleiteten Aufgabe, Leben und Gesundheit der von der Katastrophe betroffenen Individuen durch bestmög­ lichen Ressourceneinsatz zu schützen. Welche Maßnahmen der Staat hierfür im Einzelnen ergreift, steht in seinem Ermessen. Naheliegend ist, adminis­ trative Barrieren für den Katastrophenfall abzubauen und Formalitäten etwa bei der Einreise auf ein Minimum zu reduzieren. Diesbezüglich hat der 466  Art. 76 Rat der Europäischen Union, Verordnung (EG) Nr. 1186/2009 des Rates über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen, v. 16.  November 2009, ABl. EG Nr. L 324/23. 467  Art. 75 Rat der Europäischen Union, Verordnung (EG) Nr. 1186/2009 des Rates über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen (16.  November 2009) ABl. EG Nr. L 324/23. 468  IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007), 101 mit Nachweisen zu Situationen in Guatemala, Iran und Äthiopien.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

betroffene Staat zum einen die Option, in seinem nationalen Rechtsrahmen Ausnahmevorschriften von bestehenden Regelungen für den Katastrophen­ fall vorzusehen. Alternativ empfiehlt es sich, bilaterale Abkommen insbe­ sondere mit Nachbarstaaten abzuschließen, in denen detaillierte Regelungen über das Vorgehen bei der Einreise und während des Aufenthalt der Hilfs­ kräfte im Rahmen einer Katastrophenhilfesituation festgelegt werden.469 Eine Vorlage hierfür enthalten z. B. die IFRK Guidelines.470 Schließlich kann auch der spontane, durchdachte Umgang mit der externen Hilfe zur effektiven Durchführung der Hilfsmaßnahmen beitragen.

C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch den betroffenen Staat Nachdem etabliert wurde, dass der von einer Katastrophe betroffene Staat den Schutz seiner Bevölkerung im Katastrophenfall sicherstellen muss und zu diesem Zweck bei extremen Bedrohungen für das Leben und die Ge­ sundheit der Bevölkerung menschenrechtlich verpflichtet ist, fremde Staaten um externe Hilfe zu ersuchen und die Zustimmung hierzu nicht willkürlich zu verweigern, soll in diesem Kapitel aufgezeigt werden, welche Rechtsfol­ gen sich an eine Verletzung der genannten Pflichten knüpfen. Hierbei wird zunächst untersucht, welche Möglichkeiten zur Sanktion sich auf zwischen­ staatlicher Ebene bieten (I. bis V.). In einem zweiten Schritt wird darauf eingegangen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Handlungen der für Defizite in der Katastrophenhilfe verantwortlichen Amtsträger völker­ strafrechtlich relevant sein können (VI.).

469  Selbst die IFRK konzediert, dass detaillierte Regelungen über den Ablauf von Hilfsmaßnahmen am Besten individuell zwischen den Staaten ausgehandelt werden, UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 20th meeting‘ (7.  De­ zember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.20, Rdnr.  62. 470  Siehe als Beispiele für bilaterale Abkommen z. B. nur Agreement between Denmark and the Federal Repulic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (with exchange of notes); ferner Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or serious accidents. Vorlagen für den Regelungsinhalt sol­ cher Abkommen bietet z. B. auch Art. V des SAARC Agreement, der ‚Standard Operating Procedures‘ für den Katastrophenfall normiert, SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters, sowie Art. 12 i. V. m. Annex X der Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 269

I. Anwendung der Normen über die Staatenverantwortlichkeit Verstößt der betroffene Staat gegen seine Verpflichtung, Leben und Ge­ sundheit seiner Bevölkerung im Katastrophenfall zu schützen und zu diesem Zweck seine Kapazitäten voll auszuschöpfen, eröffnet dies den Anwen­ dungsbereich der Vorschriften über die Staatenverantwortlichkeit.471 Zu­ nächst muss danach festgestellt werden, ob eine Völkerrechtsverletzung im Sinne von Art. 12 ARS objektiv vorliegt. Anknüpfungspunkte sind hier die vertraglich oder gewohnheitsrechtlich geltenden menschenrechtlichen Ver­ pflichtungen des betroffenen Staates. Liegt ein Verstoß vor, so kann dessen Feststellung durch ein internationales Gericht oder Vertragskomitee erfol­ gen, wenn z. B. betroffene Bürger Individualbeschwerde einlegen (etwa durch den EGMR bei Verstößen gegen die EMRK, den Menschenrechtsaus­ schuss bei Verstößen gegen den IPBürg). Die Feststellung kann ebenso durch Organe und Institutionen der Vereinten Nationen oder sonstige inter­ gouvernementale Organisationen geschehen. Die Staatengemeinschaft kann sich auf die Verletzung von Verhaltenspflichten gegenüber der Bevölkerung des betroffenen Staates indes nur berufen, sofern es sich dabei um Verhal­ tenspflichten erga omnes handelt, d. h. solche Pflichten, die gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft geschuldet sind (Art. 48 Abs. 1 lit. b ARS).472 Rechtfertigungsgründe werden dem betroffenen Staat in aller Regel nicht zustehen. Auch wenn er seine eigenen Katastrophenschutzkapazitäten auf­ grund des Ausmaßes der Katastrophe oder fehlender Erfahrung nicht nutzen kann und sich bezüglich seiner menschenrechtlichen Schutzpflichten auf force majeure (Art. 23 ARS) berufen könnte, entbindet ihn dies nicht von der Möglichkeit, externe Akteure um Hilfe anzurufen und damit alles in seiner Macht Stehende zu versuchen, Hilfe zu aquirieren.

II. Unterlassene Hilfeleistung gegenüber der eigenen Bevölkerung als völkerrechtliches Delikt Der US-amerikanische Verteidigungsminister Gates, der britische Pre­ mierminister Brown und der französische Außenminister Kouchner haben das Verhalten der Militärregierung Myanmars nach Zyklon Nargis als straf­ 471  Weitgehend als Völkergewohnheitsrecht anerkannt und kodifziert in den Ar­ tikeln über die Staatenverantwortlichkeit der ILC, siehe ILC, ‚Articles on Responsi­ bility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10. 472  IGH, Case concerning East Timor (Portugal/Australia) (30.  Juni 1995) ICJ Reports 1995, 90, para. 29. Siehe hierzu oben Teil  2, Kapitel A., Abschnitt I.1.e).

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

bares Unterlassen („criminal neglect“) bezeichnet.473 Ein Delikt der unter­ lassenen Hilfeleistung eines Staates im Katastrophenfall ist im Völkerrecht bislang jedoch nicht anerkannt.474 Auch die vorsätzliche Störung oder Be­ hinderung von Hilfsmaßnahmen durch einen Staat ist auf zwischenstaatli­ cher Ebene nicht explizit strafbewehrt.475 Belangt werden können allein die handelnden staatlichen Organe und Amtsträger.476 Die ILC hatte in den 1980er Jahren Abstand davon genommen, außerhalb des Regimes der Staa­ tenverantwortlichkeit ein Strafrecht der Staaten zu etablieren. Der Begriff ‚internationale Verbrechen477 von Staaten‘ (‚international crimes of States‘) wurde trotz heftiger Diskussionen in der damaligen Völkerrechtswissen­ 473  ,Gates Accuses Myanmar of ‚Criminal Neglect‘ The New York Times (2.  Juni 2008) ; ‚Myan­ mar cyclone: Burma junta is killing its own people, says West‘ The Telegraph (17.  Mai 2008) ; Kouchner, ‚Birmanie: morale de l’extrême urgence, par Bernard Kouchner‘ Le ­Monde (19.  Mai 2008) . 474  Doehring, Völkerrecht (2. Aufl. 2004), Rdnr.  774; Peters, ‚Es gibt kein Recht auf Unterstützung. Völkerrechtliche Probleme der Katastrophenhilfe nach dem Erd­ beben in Haiti‘ NZZ (23.  Januar 2010) ; Kouchner, ‚Birmanie: morale de l’extrême urgence, par Bernard Kouchner‘ Le Monde (19.  Mai 2008) . Allerdings wurde in der Vergangenheit in der Bun­ desrepublik Deutschland 2008 ein entsprechender Vorschlag durch Abgeordnete in den Bundestag eingebracht, siehe Deutscher Bundestag (16. Wahlperiode), Erweite­ rung des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs  – Verweigerung und Behinderung von humanitärer Hilfe bestrafen (Antrag der Abgeordneten Florian Toncar et  al. und der Fraktion der FDP) BT Drucksache 16/11186 (3.  Dezember 2008). Der Antrag fand jedoch im Menschenrechtsausschuss des Bundestages sowie im Plenum keine Unterstützung, Deutscher Bundestag (16. Wahlperiode), Plenarpro­ tokoll 16/230 (230. Sitzung), S. 25824, 25830 (2.  Juli 2009). Im humanitären Völ­ kerrecht wird die Behinderung von humanitärer Hilfe demgegenüber als Kriegsver­ brechen unter Strafe gestellt, Art. 8 Abs. 2 lit. b (xxv) IStGH-Statut. 475  Deutscher Bundestag (16. Wahlperiode), Erweiterung des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs  – Verweigerung und Behinderung von humanitärer Hilfe bestrafen (Antrag der Abgeordneten Florian Toncar et al. und der Fraktion der FDP) BT Drucksache 16/11186 (3.  Dezember 2008), 2. 476  Siehe dazu unten Abschnitt VI. 477  Malekian definiert Verbrechen in diesem Kontext (zirkulär) wie folgt: „Crime refers to any ‚wronful action‘ which criminally violates the customs of the society.“ (Malekian, International Criminal Responsibility of States (1985), 192). Ob eine ‚kriminelle‘ Verletzung vorliegt, ist Wertungsfrage und hängt davon ab, welchen Stellenwert eine Gesellschaft bestimmten Verhaltensweisen beimisst. Überzeugender ist es, als Verbrechen diejenigen Verhaltensweisen anzusehen, die von der jeweiligen Gesellschaft als besonders verachtenswert angesehen werden.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 271

schaft478 und zwischen den Staaten479 nicht in die Artikel zur Staatenverant­ wortlichkeit aufgenommen.480 Auch wenn manche Völkerrechtsverstöße gravierender als andere sind, werden alle nur als Rechtsverstöße im Sinne der Staatenverantwortlichkeit eingeordnet und nicht in verschiedene begriff­ liche Kategorien (etwa Normverstöße vs. Verbrechen) unterteilt.481 Eine Abstufung oder Bewertung der Bedeutung der verletzten Normen für die Staatengemeinschaft sowie des Unrechtsgehalt der Verletzungen findet auf rechtlicher Ebene im Völkerrecht nicht statt. Unterlassene Hilfeleistung, d. h. der ‚failure to protect‘, ist somit allein nach den Regeln über die Staa­ tenverantwortlichkeit als Menschenrechtsverstoß zu klassifizieren.

478  Weiler, On Prophets and Judges: Some Reflections on State Responsibility and Crimes of States. Concluding Remarks to the Florence Conference on State Responsibility, in: Weiler/Cassese/Spinedi (Hrsg.), International Crime of State. A Critical Analysis of the ILC’s Draft Article 19 on State Responsibility (1988), 319. 479  Während vor allem Entwicklungsländer die Aufnahme von staatlichen Ver­ brechen in die Artikel begrüßten, waren insbesondere die USA vehement dagegen. Begründet wurde die Ablehnung einer strafrechtlichen Verantwortung von Staaten u. a. damit, dass eine Judikative fehle, die Strafen für Staaten in Abhängigkeit ihrer individuellen strafrechtlichen Verantwortung verhängen könnte. Siehe Weiler/Casse­ se/Spinedi (Hrsg.), International Crime of State. A Critical Analysis of the ILC’s Draft Article 19 on State Responsibility (1988), 49 f. Eine strafrechtliche Verantwor­ tung von Staaten wurde generell von den meisten Staaten abgelehnt, ibid., 51 f. 480  Art. 19 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit in der Fassung von 1976 sah in Abs. 2 vor: „An internationally wrongful act which results from the breach by a State of an international obligation so essential for the protection of fundamental interests of the international community that its breach is recognized as a crime by that community as a whole constitutes an international crime.“ In Abs. 3 wurden vier Verhaltensweisen abgedruckt, die ein solches Verbrechen darstellten (Verletzung von Verpflichtungen zur Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit, Verstöße gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Verstoß von Normen zum Schutz des Menschen, wie z. B. das Verbot von Völkermord, Sklaverei und Apartheid, Verletzung von Normen mit entscheidender Bedeutung für die Um­ welt). Verhaltensweisen, die nicht unter Abs. 3 subsumiert werden konnten, stellten nach Abs. 4 ‚internationale Delikte‘ dar. Der Entwurf von Art. 19 ist abgedruckt in Weiler/Cassese/Spinedi (Hrsg.), International Crime of State. A Critical Analysis of the ILC’s Draft Article 19 on State Responsibility (1988) 347. 481  Eine Ausnahmen bilden Verstöße gegen ius cogens, die von der Staatenge­ meinschaft generell als so gravierend angesehen werden, dass keine Rechtfertigung möglich ist (Art. 26 ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10).

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

III. Sanktionen durch internationale Organisationen, insbesondere Befugnisse des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VI und Kapitel VII der UN-Charta Der betroffene Staat muss bei der Verletzung von Verhaltenspflichten mit Reaktionen der Staatengemeinschaft rechnen. Neben den Mechanismen der UN-Charta bieten teilweise auch regionale Abkommen sowie Menschen­ rechtsverträge Reaktionsmöglichkeiten für die internationale Staatengemein­ schaft gegenüber dem betroffenen Staat.482 Individuen können nach der Katastrophe unter Umständen die Beschwerdemechanismen von Menschen­ rechtsverträgen in Anspruch nehmen. Im Folgenden soll die Einschaltung des UN-Friedenssicherungsmechanismus nach Kapitel VI und VII der UNCharta näher untersucht werden.483 1. Einordnung einer Katastrophe als Situation, die geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden (Kapitel VI UN-Charta) a) Feststellung der Gefährdungssituation im Sinne von Art. 33 UN-Charta Der UN-Sicherheitsrat kann nach Art. 36 UN-Charta Empfehlungen abge­ ben, wenn eine Situation vorliegt, die geeignet ist, die Wahrung des Welt­ friedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden (Art. 33 UNCharta). Dass die Aktivierung des Sicherheitsrates nach Kapitel VI bei Katastrophenfällen möglich ist, zeigt die Sicherheitsrat-Resolution 2177 (2014). Dort wurde die Ebola-Epidemie in Westafrika als Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit eingestuft.484 Begründet wur­ de dies unter anderem damit, dass der Ebola-Ausbruch zu Unruhen und Spannungen führen und dadurch die politische Stabilität in der Region be­ einträchtigen könnte.485 Resolution 2177 ist insofern ein Meilenstein in der Geschichte der Ver­ einten Nationen, als dass hier der Sicherheitsrat das erste Mal eine Krank­ 482  Siehe z. B. Art. 4 lit. h Constitutive Act of the African Union, v. 7. November 2000 (in Kraft getreten am 26.  Mai 2001), . 483  So explizit Art. VIII Abs. 2 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 484  UN Security Council, Res 2177 (2014) (18.  September 2014) UN Doc. S/ RES/2177 (2014), Präambel-Abs. 5. 485  UN Security Council, Res 2177 (2014) (18.  September 2014) UN Doc. S/ RES/2177 (2014), Präambel-Abs. 4.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 273

heit als Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eingeordnet hat und sich  – neben der HIV / AIDS Problematik  – erst das zweite Mal überhaupt mit Krankheiten auseinandergesetzt hat.486 Zudem wurde die Resolution einstimmig von allen Mitgliedern des Sicherheitsrates verabschiedet und zudem von 134 Staaten unterstützt.487 Dies ist die höchs­ te Zahl, mit der jemals eine Resolution des UN-Sicherheitsrats mitunter­ stützt wurde.488 Der UN-Sicherheitsrat hat zwar nicht explizit geäußert, dass er unter Kapitel VI der UN-Charta tätig wurde. Die Formulierung in der PräambelKlausel 5 deutet vielmehr darauf hin, dass unter Kapitel VII gehandelt wurde: „Determining that the unprecedented extent of the Ebola outbreak in Africa constitutes a threat to international peace and security.“ Allerdings wurden in der Resolution keinerlei Zwangsmaßnahmen angeordnet, die unter Kapitel VII zulässig wären. Zudem ist in Resolutionen, die unter Ka­ pitel VII UN-Charta erlassen werden, immer ein Hinweis auf ein Agieren unter Kapitel VII enthalten.489 Da dieser in Resolution 2177 fehlt, ist e contrario festzustellen, dass die Resolution sich allein im Rahmen von Kapitel VI UN-Charta bewegte. Resolutionen nach Kapitel VI sind von Art. 25 UN-Charta erfasst und damit verbindlich für alle UN-Mitgliedstaa­ ten, auch wenn keine Zwangsmaßnahmen angeordnet werden.490 b) Reaktionsmöglichkeiten Liegt eine Situation vor, die geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens zu gefährden, wird der Anwendungsbereich für die Streitbeilegungsmecha­ 486  Burci/Quirin, Ebola, WHO, and the United Nations: Convergence of Global Public Health and International Peace and Security (ASIL Insights Vol. 18, Ausga­ be 25, 2014). 487  United Nations, Global Ebola Response (2014), . 488  United Nations, Global Ebola Response (2014), . 489  Siehe z. B. UN Security Council, Res 1840/2008 [Haiti], v. 14.  Oktober 2008, UN Doc. S/RES/1840 (2008); UN Security Council, Res 1270/1999 [Sierra Leone], v. 22.  Oktober 1999, UN Doc. S/RES/1270 (1999); UN Security Council, Res 2178 (2014) [Threats to international peace and security caused by terrorist acts], v. 24.  September 2014, UN Doc. S/RES/2178 (2014). 490  Siehe dazu IGH, Advisory Opinion, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970) (21. Juni 1971) ICJ Reports 1971, 16, 40 f., para. 113; IGH, Advisory Opinion, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory (9.  Juli 2004) ICJ Reports 2004, 136, 192, para. 134.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

nismen der UN-Charta eröffnet. Kapitel VI der UN-Charta sieht dabei zu­ nächst die friedliche Streitbeilegung vor.491 Der Sicherheitsrat kann gemäß Art. 36 UN-Charta geeignete Verfahren oder Methoden zur Bereinigung der Situation empfehlen. Dieser Weg wurde in der Resolution 2177 gewählt. Die zentral betroffenen Staaten Liberia, Sierre Leone und Guinea wurden sehr detailliert dazu ermutigt, ihre nationalen Mechanismen zur Katastro­ phenbekämpfung in verschiedenen Bereichen aufzubauen und zu beschleu­ nigen, die Kooperation zwischen allen beteiligten Akteuren zu verbessern und sich zu bemühen, die politischen, sicherheitsbezogenen, sozioökonomi­ schen und humanitären Auswirkungen des Ebola-Ausbruchs zu lösen. Alle UN-Mitgliedstaaten sowie multilaterale Organisationen wie die EU, AU und ECOWAS wurden dazu aufgefordert, Ressourcen und Hilfe zur Verfügung zu stellen. Es wurden auch konkrete Vorschläge gemacht, welche Art von Hilfe und technischer Unterstützung geeignet sind. Ferner wurden alle Mit­ gliedstaaten dringend dazu aufgefordert, die temporären Empfehlungen der International Health Regulations von 2005 umzusetzen.492 2. Einordnung einer Katastrophe als Bedrohung oder Bruch des Friedens im Sinne von Art. 39 UN-Charta (Kapitel VII UN-Charta) a) Feststellung der Bedrohung oder des Bruches des Friedens im Sinne von Art. 39 UN-Charta Sofern im Umgang eines betroffenen Staates mit einer Katastrophe schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen eintreten, können diese als ‚Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens‘ im Sinne von Kapi­ tel  VII der UN-Charta eingeordnet werden.493 Eine entsprechende Praxis besteht seit Beginn der 1990er-Jahre, auch wenn keine grenzüberschreiten­ den Auswirkungen der Menschenrechtsverletzungen zu erwarten sind und sie ausschließlich innerhalb des Staatsgebietes des betroffenen Staates er­ 491  Art. 33

UN-Charta. Health Organization, International Health Regulations (2. Aufl. 2008), siehe ferner WHO, Alert, response, and capacity building under the International Health Regulations (IHR), . 493  Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht (2013), Rdnr.  15; Montag, United Nations involvement in humanitarian assistance: competences of the Security Coun­ cil to face today’s obstructions, in: Zwitter/Lamont/Heintze/Herman (Hrsg.), Huma­ nitarian Action  – Global, Regional and Domestic Legal Responses (2014), 6.  Kapi­ tel, 137 ff. Die Anwendung von Kapitel VII auf die Ablehnung von humanitärer Hilfe und die Behinderung des Zugangs zu Katastrophenopfers schlägt z. B. explizit Art. VIII Abs. 3 der Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session vor. 492  World



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 275

folgen.494 Erforderlich ist nur, dass die Menschenrechtsverletzungen eine bestimmte Qualität und Quantität aufweisen, d. h. massiv und ständig sind.495 Dies kann z. B. dann angenommen werden, wenn in großem Aus­ maß Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden.496 Ferner wurden Menschenrechtsverletzungen in aller Regel nur dann als eine Frie­ densbedrohung eingeordnet, wenn sie im Kontext einer allgemeinen Span­ nungslage, etwa im Rahmen eines Konfliktes oder Destabilisierungssituati­ on in der Region oder des Landes, erfolgten.497 Da bei Naturkatastrophen eine Destabilisierung im betroffenen Staat zum einen durch den Zusammenbruch effektiver Staatsgewalt aufgrund der Überforderung mit den Katastrophenfolgen498 oder durch Flüchtlingsströme in Nachbarländer entstehen kann, ist es aber nicht a priori ausgeschlossen, 494  Siehe hierzu z. B. die Resolutionen UN Security Council, Res 794 (1992) (3.  Dezember 1992) UN Doc. S/RES/794 (1992), Präambel-Abs. 3, 8, 9, Abs. 2; UN Security Council, Res 940 (1994) (31.  Juli 1994) UN Doc. S/RES/940 (1994), Präambel-Abs. 4; UN Security Council, Res 955 (1994) [Ruanda], v. 8.  November 1994, UN Doc. S/RES/955 (1994), Präambel-Abs. 4, 5; UN Security Council, Res 1264 (1999) [Ost-Timor], v. 15.  September 1999, UN Doc. S/RES/1264 (1999), Präambel-Abs. 4, 7, 8, 13; UN Security Council, Res 1556 (2004) (30.  Juli 2004) UN Doc. S/RES/1556 (2004), Präambel-Abs. 8 f. In früheren Resolutionen, in de­ nen die humanitäre Situation zum Anlass für ein Tätigwerden des Sicherheitsrates wurde, wurde noch auf die (potentiell) grenzüberschreitenden Auswirkungen durch Flüchtlingsströme und die damit einhergehende Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region rekurriert (UN Security Council, Res 688/1991 (5.  April 1991), Präambel-Abs. 3, Abs. 1; UN Security Council, Res 841 (1993) [Haiti], v. 16.  Juni 1993, UN Doc. S/RES/841 (1993), Präambel-Abs. 11, 14. Zum Thema auch Heinz/Litschke, Der UN-Sicherheitsrat und der Schutz der Menschenrechte: Chancen, Blockaden und Zielkonflikte (Essay Nr. 13) (2012) , 9 f.; Shaw, International Law (2008), 1238; Stein/von Buttlar, Völkerrecht (2009), Rdnr.  860; Krieger, Der Sicherheitsrat als Hüter der Menschenrechte: Grund und Grenzen seiner Kompetenz, 81 Die Friedens-Warte (2006), 107 (111 f.). Siehe hierzu auch oben Teil  1, Kapitel  B., Abschnitt I.3.a)aa). 495  Heinz/Litschke, Der UN-Sicherheitsrat und der Schutz der Menschenrechte: Chancen, Blockaden und Zielkonflikte (Essay Nr. 13) (2012) , 10; Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht (2013), Rdnr.  44; Krieger, 81 Die Friedens-Warte (2006), 112. 496  Krieger, 81 Die Friedens-Warte (2006), 113. 497  Krieger, 81 Die Friedens-Warte (2006), 114. 498  Zu denken ist etwa an die Zunahme von Gewalt durch Plünderer oder das Entstehen eines Schwarzmarktes für Hilfsgüter, wie es etwa in Haiti 2010 der Fall war, ‚Sicherheitslage in Haiti: Polizei setzt Tränengas gegen Plünderer ein‘ Der Spiegel (18.  Januar 2010) .

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

dass der UN-Sicherheitsrat auch hier einzelfallbezogen eine (potentielle) Bedrohung des Weltfriedens feststellt, ohne dass eine allgemeine Span­ nungslage vorliegt. In der Vergangenheit standen viele Staaten dem Tätig­ werden des Sicherheitsrates, insbesondere nach Kapitel VII, zwar mehrheit­ lich kritisch gegenüber. Frankreich hatte z. B. nach Zyklon Nargis auf Grundlage des in Art. 35 UN-Charta enthaltenen Initiativrechts eine Sonder­ sitzung des UN-Sicherheitsrates beantragt, um die Situation in Myanmar zu besprechen. Begründet wurde der Antrag damit, dass ein Anwendungsfall der Schutzverantwortung vorläge.499 Der Antrag wurde von den USA und Großbritannien unterstützt.500 China, Indonesien, Russland, Südafrika und Vietnam haben sich aber explizit dagegen ausgesprochen, dass der UN-Si­ cherheitsrat tätig wird.501 Dies macht auch die Einordnung von Katastrophen als Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens unwahrscheinlich bzw. zeigt, dass hierfür hohe Voraussetzungen erfüllt sein müssen. b) Reaktionsmöglichkeiten Stellt der Sicherheitsrat anlässlich des Katastrophenfalles tatsächlich eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens fest, kann er nach Art. 40 der UN-Charta zunächst vorläufige Maßnahmen anordnen. Hierzu könnte z. B. gehören, dass der betroffene Staat aufgefordert wird, humanitäre Katastro­ phenhilfe unverzüglich zu leisten, nicht mehr zu behindern, externe Hilfe zuzulassen oder Hilfskorridore einzurichten.502 Er kann zudem mit Sanktio­ nen ohne Gewaltanwendung reagieren (Art. 41 UN-Charta) oder, als ultima ratio, gemäß Art. 42 UN-Charta militärische Maßnahmen autorisieren. Dies ist bei Katastrophenfällen in der Vergangenheit noch nicht vorgekommen. 499  UN Security Council, ‚Security Council Report No. 4 (Myanmar)‘ (14.  Mai 2008) , 1. 500  UN Security Council, ‚Security Council Report No. 4 (Myanmar)‘ (14.  Mai 2008), 1. 501  Renshaw, Disasters, Despots, and Gun-Boat Diplomacy (2014), 177. 502  So ging der UN-Sicherheitsrat etwa in Somalia vor, indem er während der dortigen Bürgerkriegssituation die Hindernisse gegenüber humanitärer Hilfe kriti­ sierte und alle beteiligten Parteien und Bürgerkriegsbewegungen aufforderte, die UN, ihre Sonderorganisationen und humanitäre Organisationen beim Leisten von Hilfe für die Bevölkerung zu unterstützen, UN Security Council, Res 794 (1992) (3.  Dezember 1992) UN Doc. S/RES/794 (1992), Abs. 2. Siehe zur Einrichtung von Hilfskorridoren (v. a. bei bewaffneten Konflikten) z. B. die Resolutionen UN Secur­ ity Council, Res 1265 (1999), v. 17.  Dezember 1999, UN Doc. S/RES/1265 (1999), Abs. 7, 10, 15; UN Security Council, Res 1296 (2000), v. 19. April 2000, UN Doc. S/RES/1296 (2000), Abs. 8. Zur Ermöglichung von Hilfskorridoren auch UNGA, Res 43/131 (17.  Dezember 1981)‚ Abs. 4.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 277

Ein Militäreinsatz muss verhältnismäßig sein und ultima ratio der Problem­ lösung darstellen. Er ist nur dann verhältnismäßig, wenn er in der Lage ist, eine Verbesserung der Lage herbeizuführen. Tatsächlich ist bei der Frage, ob ein Militäreinsatz die Situation der betroffenen Bevölkerung verbessern kann, eine präzise Abwägung erforderlich. Werden Soldaten entsendet, kann es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem Militär des betroffenen Staates kommen, was die Situation der Bevölkerung verschlimmern kann. Werfen ausländische Soldaten nur Hilfsgüter über dem betroffenen Staats­ gebiet ab, so ist deren Auslieferung an die Bevölkerung von der Koopera­ tionsbereitschaft des betroffenen Staates abhängig.503 Wenn dieser die fremden Hilfsgüter nicht verteilen will oder kann, bleibt die Situation der Bevölkerung unverändert und es steigt gegebenenfalls lediglich die Ableh­ nung des betroffenen Staates gegenüber der Staatengemeinschaft und ihren Hilfsbemühungen.

IV. Anwendbarkeit der Responsibility to Protect? Kommt es zur Anwendbarkeit von Art. 7 IStGH-Statut und ordnet man das Verhalten des betroffenen Staates als Verbrechen gegen die Menschlich­ keit ein, so ist auf diesem Wege auch der Anwendungsbereich der Schutz­ verantwortung (Responsiblity to Protect) eröffnet.504 Neben diplomatischer, nicht-militärischer Intervention durch die Staatengemeinschaft, Wirtschaftsund sonstige Sanktionen und sonstigen friedlichen Mitteln kann der betrof­ fene Staat sich der Androhung und Durchführung einer militärischen Inter­ vention ausgesetzt sehen, auch wenn die Schutzverantwortung in der Praxis bislang noch nie in dieser Dimension ohne Autorisierung durch den UNSicherheitsrat angewendet wurde.505 Sie ist nicht als bestehendes Völkerge­ wohnheitsrecht akzeptiert, sondern mangels geteilter Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft vielmehr ein moralisch-politisches Instrument, das sich womöglich in der Zukunft zu einem bindenden Konzept entwickeln 503  Renshaw,

Disasters, Despots, and Gun-Boat Diplomacy (2014), 177. Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 442; Barber, 14 JCSL (2009), 17 ff.; dagegen Thakur, Crisis and response  – part I, YaleGlobal (19.  Mai 2008), , auch wenn er die Möglichkeit sieht, dass das Verhalten der Militärregie­ rung Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen kann. 505  Vor dem NATO-Einsatz in Libyen 2011 hat der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1973 zumindest auf die Schutzverantwortung Bezug genommen, als er eine Flugverbotszone etablierte, UN Security Council, Res 1973 (2011) [Libyen], v. 17.  März 2011, UN Doc. S/RES/1973 (2011), Präambel-Abs. 4. Die Rechtfertigung des Militäreinsatzes basierte aber offiziell allein auf der Autorisierung durch den Sicherheitsrat, nicht auf dem Prinzip der Schutzverantwortung. 504  Russo,

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

kann.506 Sie greift nach derzeitiger Interpretation durch die UN und Völ­ kerrechtswissenschaftler neben Völkermord, Kriegsverbrechen und ethni­ schen Säuberungen auch bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.507 Sechs Kriterien müssen bei der Entscheidung über ihre Anwendung beach­ tet werden. Neben dem Vorliegen eines der genannten vier Auslösungsgrün­ de obliegt die Genehmigung militärischer Einsätze weiterhin allein dem UN-Sicherheitsrat unter Kapitel VII der UN-Charta. Im Falle seiner Hand­ lungsunfähigkeit verlagert sich die Entscheidung unter Umständen auf die ­UN-Generalversammlung sowie Regionalorganisationen nach Art. 53 der UN-Charta, bevor die Staatengemeinschaft eigenständig tätig werden kann. Die militärische Intervention der Staatengemeinschaft darf dabei nur das letzte Mittel sein, muss in sich verhältnismäßig erfolgen und ist überhaupt nur statthaft, wenn vernünftige Aussichten auf Erfolg gegeben sind.508 Die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist bei einem Militäreinsatz im Katastrophenfall fragwürdig, da die dadurch entstehenden Spannungen die Situation der Bevölkerung im schlimmsten Fall gravierend verschlech­ tern könnte.509 Problematisch ist ferner, dass sich in aller Regel oft erst ex post heraus­ stellt, ob die Tatbestände eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit tat­ sächlich verwirklicht wurden. Es stellt sich daher die Frage, von welcher Perspektive aus das Vorliegen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Bezug auf die Anwendbarkeit der Schutzverantwortung beurteilt werden muss. Der für die Schutzverantwortung grundlegende ICISS-Report lässt diesbezüglich eine Prognose ausreichen. Es genügt danach, wenn weitrei­ 506  Schaller, Die völkerrechtliche Dimension der „Responsiblity to Protect“ (SWP-Aktuell Vol. 46, Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für In­ ternationale Politik und Sicherheit (Hrsg.) Juni 2008), 6. Einzelheiten hierzu oben im Teil  2, Kapitel A., Abschnitt I.2.d). 507  Renshaw, Disasters, Despots, and Gun-Boat Diplomacy (2014), 175. 508  Die Kriterien („right authority, just cause, last resort, proportional means, rea­ sonable prospects“) wurden im ICISS-Report ausgearbeitet und kamen in der Praxis bislang nicht zur Anwendung, International Commission on Intervention and State Sovereignty, ‚The Responsibility to Protect: Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty‘ (Dezember 2001) (2001), S. 32 Rdnr.  4.16). Sie wurden leicht verändert („seriousness of threat, proper purpose, last resort, proportional means, balance of consequences“) aber auch von einer hochrangigen Exper­ tengruppe der UN unter Leitung von Kofi Annan akzeptiert, High-level Panel on ­Threats, Challenges and Change, ‚A more secure world: our shared responsibility (Report)‘ (2.  Dezember 2004) UN Doc. A/59/565, Rdnr.  207. Wohl auf Grund von Protest durch China, den USA und anderen Staaten wurden die Kriterien aber nicht in das Gipfeldokument der UN zum Thema Schutzverantwortung aufgenommen, Schaller, Die völkerrechtliche Dimension der „Responsiblity to Protect“, 6. 509  Siehe oben III. sowie Renshaw, Disasters, Despots, and Gun-Boat Diplomacy (2014), 177.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 279

chende Verluste von Menschenleben zu erwarten sind.510 Auch der UNGeneralsekretär Ban Ki-moon hat betont, dass bei Eingreifen der Schutzver­ antwortung eine zeitnahe Reaktion erforderlich sei.511 Die Grenzen zwischen der zweiten Stufe der Schutzverantwortung (Pflicht zur Vermeidung von Krisen und Konflikten zu Lasten der Bevölkerung) und der dritten Stufe (Pflicht zum Reagieren) seien zudem nicht immer leicht zu ziehen.512 Durch die Einschränkung, dass eine militärische Intervention stets nur ultima ratio sein darf, ergibt sich aber, dass die Verdachtsmomente schon hinreichend konkret sein müssen. Sind Verletzungen nur vage zu befürchten, können unter Umständen internationale Warnungen und nicht-militärische Sanktio­ nen ausreichen, um die Begehung von Verbrechen zu verhindern. Es lässt sich demnach argumentieren, dass die Schutzverantwortung in allen Situati­ onen als Begründung für ein Eingreifen der Staatengemeinschaft herange­ zogen werden kann, „in denen sich die Gefahr der Begehung eines Völker­ mordes oder der Begehung der anderen genannten Verbrechen bereits kon­ kret abzeichnet.“513 Nach der bisherigen Staatenpraxis wird aber auch in diesen Fällen eine Autorisierung des UN-Sicherheitsrates erforderlich sein.

V. Duldungspflicht einer humanitären Intervention durch die Staatengemeinschaft Im Kriegsvölkerrecht ist der Besatzungsstaat z. B. gemäß Art. 59 der IV. Genfer Konvention verpflichtet, humanitäre Hilfe durch andere Staaten oder unparteiische humanitäre Organisationen zu dulden.514 In Friedenszei­ ten hat sich eine solche Pflicht noch nicht herausgebildet.515 Der betroffene Staat muss aber im Falle von Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates diese dulden, da es sich hierbei um rechtlich verbindliche Beschlüsse gegenüber allen UN-Mitgliedstaaten handelt. 510  International Commission on Intervention and State Sovereignty, ‚The Res­ ponsibility to Protect: Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty‘ (Dezember 2001) (2001), S. 32 Rdnr.  4.19: „large scale loss of life, actual or apprehended.“ 511  UN Secretary General, ‚Responsibility to protect: timely and decisive respon­ se: Report of the Secretary-General‘ (2012) UN Doc. A/66/874–S/2012/578, Rdnr.  19. 512  UN Secretary General, ‚Responsibility to protect: timely and decisive respon­ se: Report of the Secretary-General‘ (2012) UN Doc. A/66/874–S/2012/578, Rdnr.  12. 513  Schaller, Die völkerrechtliche Dimension der „Responsiblity to Protect“, 5. 514  Matz-Lück, Solidarität, Souveränität und Völkerrecht: Grundzüge einer inter­ nationalen Solidargemeinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen (2012), 159 f. 515  Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht (2013), Rdnr.  22.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

VI. Unterlassene Hilfeleistung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Maßgabe des IStGH-Statuts Auf Ebene der individuellen völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit kommt die Anwendung eines der in Art. 7 IStGH-Statut enumerierten Ver­ brechen gegen die Menschlichkeit in Betracht.516 Dazu müsste die Verwei­ gerung der Hilfe von ausländischen Staaten oder Hilfsorganisationen oder die Behinderung der Hilfe eine Handlung im Sinne der Art. 7 Abs. 1 lit. a) bis lit. k) IStGH-Statut darstellen und in Form eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung sowie in Kenntnis des Angriffs begangen werden (Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut). Als Täter würden dadurch zum einen Regierungsmitarbeiter oder Individuen mit faktischer Handlungsgewalt, auch wenn es sich um nicht-staatliche Akteure handelt, bestraft, wenn diese unmittelbar alle Tatbestandsmerkmale verwirklichen. Zum anderen können militärische Befehlshaber und andere Vorgesetzte über die Figur der ‚übergeordneten Verantwortlichkeit‘ (‚superior responsibility‘) gemäß Art. 28 IStGH-Statut zur Rechenschaft gezogen werden, wenn die Taten seiner Untergebenen in Folge ihres Versäumnisses begangen wurden, die ordnungsgemäße Kontrolle über die Untergebenen auszuüben. Die Anwendung von Art. 7 IStGH-Statut auf Katastrophensituationen wurde in der Vergangenheit zum ersten Mal für das Verhalten der myanma­ rischen Militärregierung beim Umgang mit den Folgen von Zyklon Nargis 2008 von Politikern, aber auch der Völkerrechtswissenschaft diskutiert.517 Nach der abstrakten Erörterung, wie Art. 7 IStGH-Statut im Katastrophen­ fall erfüllt sein könnte, soll die Einschlägigkeit der Norm am Beispiel Myanmars analysiert werden. Dieses Beispiel bietet sich zur Analyse beson­ ders an, weil in diesem Fall der Umgang mit der Katastrophe durch die Regierung Gegenstand von weltweiter Berichterstattung, auch durch unab­ hängige Expertenkommissionen, war, und die Tatsachenlage aus diesem Grund fundiert und objektiv dargestellt werden kann.

516  Siehe dazu ausführlich Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 441–462. 517  Thakur, Crisis and response  – part I, YaleGlobal (19.  Mai 2008), ; Thakur, ‚Macho move would make Burma’s plight even worse‘ The Japan Times (2.  Juni 2008) ; Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012); Heath, 43 New York Univ. J. Int.’l L. & Pol. (2011), 36.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat281

1. Handlung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut Als Anknüpfungspunkt für die Tathandlung kommen, abstrakt betrachtet, die Tatbestände der vorsätzlichen Tötung (Art. 7 Abs. 1 lit. a) IStGH-Sta­ tut), Ausrottung (Art. 7 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut), Verfolgung einer iden­ tifizierbaren Gruppe aus politischen oder anderen Gründen (Art. 7 Abs. 1 lit. h) IStGH-Statut) sowie andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art im Sinne des Auffangtatbestandes Art. 7 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut in Be­ tracht. a) Vorsätzliche Tötung (Art. 7 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut) Erforderlich ist eine Tathandlung, die kausal zum Taterfolg, d. h. dem Tod von einer oder mehreren Zivilpersonen, führt. Als Tathandlungen kommen die gänzliche Verweigerung von Katastrophenhilfe, die Ablehnung angebo­ tener externer Hilfsgüter oder der Einreise fremden Hilfspersonals sowie Behinderungen, Beschränkungen oder Kontrollmaßnahmen bei der Vertei­ lung von Hilfsgütern in Betracht.518 Man könnte diesbezüglich auf der Ebene von in untergebener Funktion handelnden Individuen problematisieren, dass der Schwerpunkt der Vor­ werfbarkeit bei ihrem Verhalten im Verzicht auf Katastrophenhilfe und somit in einem Unterlassen besteht. Die Behandlung der ‚Begehung durch Unter­ lassen‘ ist im Völkerstrafrecht  – außerhalb der Vorgesetztenverantwortlich­ keit nach Art. 28 IStGH-Statut  – nicht abschließend geklärt. Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut spricht explizit von „Handlungen“, bzw. „acts“ in der engli­ schen Sprachfassung und „actes“ in der französischen Version. Eine Hand­ lung setzt grundsätzlich ein aktives Tun voraus. Das IStGH-Statut enthält keine Regelung, die ein Unterlassen aktivem Tun gleichsetzt.519 Die Ver­ tragskonferenz zum IStGH-Statut hat einen Artikel zur Unterlassungshaftung abgelehnt, weil sich die Parteien nicht auf eine gemeinsame Definition von Unterlassung einigen konnten.520 In der Literatur521 und Rechtsprechung 518  Ford,

38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 243. Bundestag (16. Wahlperiode), Erweiterung des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs  – Verweigerung und Behinderung von humanitärer Hilfe bestrafen (Antrag der Abgeordneten Florian Toncar et al. und der Fraktion der FDP) BT Drucksache 16/11186 (3.  Dezember 2008), 2. 520  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Cri­ minal Court – Observers’ Notes, Article by Article – (2. Aufl. 2008), Art. 25 (Special Print, Kai Ambos) Rdnr.  51. 521  Berster, ‚Duty to Act‘ and ‚Commission by Omission‘ in International Cri­ minal Law, 10 International Criminal Law Review (2010), 619 (646). 519  Deutscher

282

2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

von Ad-Hoc Sondertribunalen, etwa dem ICTY und ICTR, ist die Gleich­ stellung beider Verhaltensvarianten aber anerkannt.522 Deren Urteile sind für den IStGH zwar nicht völkerrechtlich bindend, allerdings kann er sie zur Ermittlung der Grundsätze und Regeln des Völkerrechts gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut heranziehen. Auch in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen umfasst die Begehung eines Delikts sowohl Handlungen als auch Unterlassungen als Verhaltensmodalitäten.523 Die nationalen Rechtsordnungen sind als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut für die Rechtsfindung des IStGH relevant. Die Begehung einer strafbewehrten Tatbestandshandlung ist damit auch durch Unterlassen möglich.524 Teilweise wird im Schrifttum zudem postuliert, dass eine Unterlassungs­ haftung nur bestehen kann, wenn der Täter eine Handlungspflicht ver­ letzt.525 Eine solche Einschränkung findet sich im IStGH-Statut allerdings nicht.526 Erforderlich ist lediglich, dass zwischen der einzelnen Tat und der 522  Deutscher Bundestag (16. Wahlperiode), Erweiterung des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs  – Verweigerung und Behinderung von humanitärer Hilfe bestrafen (Antrag der Abgeordneten Florian Toncar et al. und der Fraktion der FDP) BT Drucksache 16/11186 (3.  Dezember 2008), 2; Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 451; Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court  – Observers’ Notes, Artic­ le by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  20 mit Verweis auf ICTR (Chamber I), The Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu (Judgment), ICTR-96-4-T (2.  September 1998), Rdnr.  589; ICTR, The Prosecutor v. Georges Anderson Nderubumwe Rutaganda (Judgment), ICTR-96-3-T (6.  Dezember 1999), Rdnr.  80; Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 25 (Special Print) Rdnr.  51 mit Ver­ weis auf ICTY (Appeals Chamber), The Prosecutor v. Duško Tadić (Appeals Judgment), IT-94-1-A (15. Juli 1999), Rdnr. 188; ICTY (Trial Chamber), The Prosecutor v. Dario Kordić and Mario Čerkez (Trial Judgment), IT-95-14/2-T (26.  Februar 2001), Rdnr.  375. 523  New York State Penal Law, § 15.00(4); Criminal Code (Canada), v. 1985, R.S.C., 1985 c. C-46, Sec.21(1) (b); § 13 Strafgesetzbuch (Deutschland), v. 13. November 1998 (zuletzt geändert am 23. April 2014), BGBl. I 3322; siehe weitere Nachweise in Berster, 10 International Criminal Law Review (2010), 645. 524  Bassiouni, Crimes Against Humanity: historical evolution and contemporary application (2011), 407. 525  Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht (2004), 234. 526  Im Katastrophenfall wäre diese Kriterium ohnehin bereits dadurch erfüllt, dass sich aus den menschenrechtlichen Verpflichtungen des Staates die Bindung aller staatlichen Organe an die Einhaltung dieser Verpflichtungen ergibt, HRC, Gen­ eral Comment No. 31 [80]  – The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, v. 26. Mai 2004, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add. 13, Rdnr.  4.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat283

Politik eines Staates oder Organisation ein Nexus bestehen muss.527 Dieser ergibt sich z. B. aus der Art, den Zielen, den Begehungsmodalitäten und den Folgen der Politiklinie und des individuellen Täterverhaltens.528 Ein indivi­ duelles Unterlassen müsste demnach zusammenhängender Teil  einer allge­ meinen Unterlassungspolitik des Staates sein. Ein solcher Nexus ist bei ei­ nem Unterlassen wohl am ehesten über das Bestehen einer Handlungspflicht postulierbar und auch nachweisbar. Jedenfalls dann, wenn der Täter als Staatsorgan bzw. im staatlichen Auftrag tätige Person aufgrund der völker­ rechtlichen Verpflichtungen des Staates grundsätzlich dazu verpflichtet ist, den Tod eines Teils der Bevölkerung zu verhindern,529 kann von einem Zusammenhang zwischen dem Unterlassen des Täters und der Staatspolitik gesprochen werden. Ungeklärt ist auch, ob das Unterlassen der Verwirkli­ chung des Tatbestandes durch aktives Tun entsprechen muss, wie es etwa im deutschen Recht (§ 13 StGB) der Fall ist.530 Das IStGH-Statut sowie die Statuten der Ad-Hoc-Sondertribunale enthalten indes keine Entsprechens­ klausel. Sofern es sich, wie bei der vorsätzlichen Tötung, um ein Erfolgs­ delikt handelt, muss die Frage der Modalitätenäquivalenz ohnehin nicht erörtert werden. Sofern das Erfolgsunrecht kausal verwirklicht wird, kommt es auf die Begehungsmodalität nicht an, da der Unrechtsgehalt sowohl durch Handeln als auch Unterlassen identisch ist.531 Der Nachweis der Kausalität wird in der Praxis die größten Schwierigkeiten bereiten.532 Es muss anhand der Umstände des Einzelfalles geprüft werden, ob z. B. die Katastrophe selbst Ursache für den Todeseintritt war oder die Nichtversor­ gung mit Katastrophenhilfe, z. B. lebenswichtigen Medikamenten oder Le­ bensmitteln, zum Tod geführt hat. Tritt der Tod erst in gewissem Abstand von dem Ereignis der Katastrophe ein, so liegt es nahe, dass die Vorenthal­ tung der Hilfe ursächlich war.533

527  IStGH (Pre-Trial Chamber II), Decision on the Prosecutor’s Application for a Warrant of Arrest against Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08 (15.  Juni 2009), Rdnr.  138. 528  IStGH (Pre-Trial Chamber II), Arrest Warrant against Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08 (15.  Juni 2009), Rdnr.  86. 529  HRC, General Comment No. 31 [80]  – The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant (26.  Mai 2004) UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add. 13, Rdnr.  4. 530  Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht (2004), 236. 531  Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht (2004), 309; Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze (57. Aufl. 2010), § 13 Rdnr.  47. 532  Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 451. 533  Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 451.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

Zur Begehung durch Unterlassen ist abschließend festzustellen, dass es dem Zweck des Völkerstrafrechts  – der internationalen Ahndung besonders verachtenswerter Verbrechen  – widerspräche, künstliche Differenzierungen zwischem aktiven Tun und Unterlassen vorzunehmen, solange ein Verhalten des Täters kausal den unter Strafe gestellten Taterfolg hervorgerufen hat. Es wirkt sich nicht aus, ob die betroffene Bevölkerung durch generelle Untä­ tigkeit stirbt, oder weil Hilfsgüter aufgrund aktiver Gegenmaßnahmen der Regierung von ihr ferngehalten werden. Zwischen Tun und Unterlassen besteht insofern nur ein gradueller, aber kein qualitativer Unterschied.534 Der Begriff ‚unterlassene Hifeleistung‘ dient insofern nur als Oberbegriff, um die Politik der Regierung zu beschreiben, hat aber für die Subsumtion der Verhaltensmodalitäten unter die einzelnen Tatbestände von Art. 7 IStGHStatut keine einschränkende Bedeutung. Es muss vielmehr stets für den Einzelfall festgestellt werden, ob ein Verhalten des Täters kausal den unter Strafe stehenden Erfolg herbeiführt. In subjektiver Hinsicht reicht es für die Erfüllung von Art. 7 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut aus, dass der Täter zumindest billigend in Kauf nimmt, schwe­ re Verletzungen und dadurch möglicherweise den Tod von einer oder meh­ rerer Personen hervorzurufen.535 b) Ausrottung (Art. 7 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut) Der Tatbestand der Ausrottung setzt voraus, dass der Täter den Tod einer oder mehrerer Personen durch oder im Rahmen einer Massenvernichtung von Teilen der Zivilbevölkerung herbeiführt.536 Ausrottung wird regelmäßig als „Totschlag in großem Ausmaß“ definiert.537 Eine systematische Auslegung von Art. 7 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut zeigt, dass auch hier keine aktiven aus­ 534  Thakur, ‚Macho move would make Burma’s plight even worse‘ The Japan Times (2.  Juni 2008) . 535  Cassese, International Criminal Law (2. Aufl. 2008), 109; Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  20, 22; ICTY (Trial Cham­ ber), The Prosecutor v. Zejnil Delalić, Udravko Mucić also known as „Pavo“, Hazim Delić, Esad Landžo also known as „Zenga“ (Trial Judgment), IT-96-21-T (16.  November 1998), Rdnr.  439. 536  International Criminal Court, ‚Elements of Crime‘ (10.  September 2002) Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court, ICC-ASP/1/3 and Corr.1 , S. 6, Art. 7(1)(b) Elemente 1 und 2. 537  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat285

rottenden Maßnahmen erforderlich sind, sondern die Ausrottung auch durch Unterlassen geschehen kann.538 Gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut und Element 1 der ‚Elements of Crime‘ zu Art. 7 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut um­ fasst die Tathandlung der Ausrottung „die vorsätzliche Auferlegung von Le­ bensbedingungen  – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zur Nah­ rungsmitteln und Medikamenten  –, die geeignet sind, die Vernichtung eines Teiles der Bevölkerung herbeizuführen.“539 Die Vorenthaltung von Nah­ rungsmitteln und Medikamenten ist eine realistische Situation, wie der Tatbe­ stand der Ausrottung im Katastrophenfall durch Unterlassen erfüllt werden könnte. Zudem handelt es sich auch bei der Ausrottung um ein reines Er­ folgsdelikt, so dass schon die Verwirklichung des Erfolgsunrechts die Moda­ litätenäquivalenz von Handeln und Unterlassen begründet. Das IStGH-Statut enthält keine weitere Definition des Tatbestandes. I­ CTY, ICTR, ILC und weite Teile der Literatur sehen den Tatbestand der Ausrottung allerdings nur dann als erfüllt an, wenn die Tat auch gezielt gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe gerichtet wurde.540 Diese Ein­ schränkung hat für den IStGH nach Auffassung der ILC keine Bedeutung.541 Darüber hinaus ergäben sich in der hier zu untersuchenden Konstellation aber ohnehin keine Einschränkungen für die Bejahung des Tatbestands der Ausrottung bei unterlassener Hilfeleistung oder Behinderung von Hilfe im Katastrophenfall, würde man als Tatobjekt eine bestimmte Gruppe for­ dern.542 Der Gruppenbegriff wird von den Befürwortern dieses Tatbestands­ merkmals weit ausgelegt wird und lässt es ausreichen, wenn der Täter seine Opfer subjektiv als Gruppe ansieht, ohne dass sie objektiv über gemeinsame Charakteristika verfügen.543 Schon eine nachbarschaftliche Beziehung reicht Rdnr.  25; Bassiouni, Crimes Against Humanity: historical evolution and contempo­ rary application (2011), 373. 538  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Cri­ minal Court – Observers’ Notes, Article by Article – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr. 95. 539  Dazu auch Bassiouni, Crimes Against Humanity: historical evolution and contemporary application (2011), 372. 540  ICTR (Chamber I), The Prosecutor v. Jean-Paul Akayesu (Judgment), ICTR96-4-T (2. September 1998), Rdnr. 592; Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  24 f., 94; Bassiouni, Crimes Against Humanity: histori­ cal evolution and contemporary application (2011), 371. 541  So auch ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its forty-eight session: Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind with commentaries‘ (1996) UN Doc. A/51/10, Art. 18 Rdnr.  8. 542  Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 452. 543  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Cri­ minal Court – Observers’ Notes, Article by Article – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr. 25.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

aus, um den Gruppenbegriff zu erfüllen.544 Folglich lassen sich zumindest im Ergebnis die Überlebenden einer Katastrophe als eine solche Gruppe (von Überlebenden) einordnen. c) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung (Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut) Eine Vertreibung liegt gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut vor, wenn der Täter durch Ausweisung oder andere Handlungen mit Zwangswirkung eine oder mehrere Personen deportiert oder zwangsweise umsiedelt. Der Be­ griff der ‚Handlung mit Zwangswirkung‘ ist weit auszulegen und umfasst jede Schaffung einer Drucksituation, die die betroffene Bevölkerung zwingt, ihren aktuellen ständigen und rechtmäßigen Aufenthaltsort zu verlassen.545 Wird die Bevölkerung im Katastrophenfall von Katastrophenhilfe abgeschnit­ ten und erhält sie keine Hilfsgüter, so dass sie in besser versorgte Regionen umsiedeln muss, kann dadurch der Tatbestand der Vertreibung auch durch ein von Zwang begleitetes Unterlassen erfüllt sein. Auch hier liegt ein Erfolgs­ delikt vor, so dass auf das Erfordernis einer Entsprechensklausel nicht näher eingegangen werden muss. Zu beachten ist, dass die zwangsweise Überfüh­ rung gerechtfertigt sein kann, wenn überragend wichtige, zwingende Gründe dafür vorliegen. Eine Rechtfertigung kommt z. B. in Betracht, wenn die Um­ siedelung zum Schutz der Zivilbevölkerung erfolgt, etwa bei einer Naturkatastrophe,546 oder aus militärischen Gründen notwendig ist.547 d) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaften aus politischen oder anderen als unzulässig anerkannten Gründen (Art. 7 Abs. 1 lit. h) IStGH-Statut) Der Tatbestand der Verfolgung stellt eine Qualifikation der übrigen in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit 544  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Crim­ inal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  25, 94. 545  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Cri­ minal Court – Observers’ Notes, Article by Article – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr. 102. 546  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Crim­ inal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  105 (Fn. 465). 547  In Anlehnung an Art. 17 des Additional Protocol II (1977). Bassiouni, Crimes Against Humanity: historical evolution and contemporary application (2011), 393, mit Verweis auf ICTY (Trial Chamber II), The Prosecutor v. Radoslav Brđanin (Trial Judgment), IT-99-36-T (1.  September 2004), Rdnr.  556.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 287

dar. Der Täter muss durch eine der in Art. 7 Abs. 1 lit. a)–lit. k) aufgeführ­ ten Tathandlungen eine oder mehrere Personen ihrer fundamentalen Men­ schenrechte berauben.548 Hinzutreten muss die Motivation des Täters, die Tat aufgrund eines unzulässigen Diskriminierungsgrundes gegen das Opfer gerade aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Gemeinschaft zu richten. Dieses Delikt kommt z. B. dann in Betracht, wenn der Täter z. B. nur eine ethnische Minderheit im Land von der Katastrophenhilfe abschneidet. Der Täter muss mit dolus specialis handeln, d. h. mit dem Vorsatz, eine Person oder Gruppe gerade aus den aufgezählten Gründen gezielt zu verfolgen.549 e) Andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art (Art. 7 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut) Der weit gefasste Auffangtatbestand in Art. 7 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut ist aufgrund des nullum crimen sine lege Grundsatzes eng auszulegen. Was als unmenschliche Behandlung angesehen wird, ist im Ergebnis Wertungs­ frage und muss von Fall zu Fall entschieden werden.550 Im Katastrophen­ fall könnte seine Anwendung dann einschlägig sein, wenn das Vorenthalten von Medikamenten oder Lebensmitteln zwar nicht zur vorsätzlichen Tötung bzw. Ausrottung von Teilen der Bevölkerung führt, aber die Lebensbedin­ gungen derart negativ verändert, dass Teile der Bevölkerung körperliche oder gesundheitliche Schäden davontragen (z. B. chronische Krankheiten, Krankheiten, die durch schlechte Hygienebedingungen und Nährstoffman­ gel hervorgerufen werden). Nach Auffassung des IStGH findet Art. 7 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut schließlich auch im Falle ernsthafter und schwerer Menschenrechtsverletzungen Anwendung, wie sie auch im Katastrophenfall denkbar sind.551 Der Grad der Schwere der unmenschlichen Behandlung muss nach dem Auslegungsgrundsatz ejusdem generis den vorher aufge­ 548  International Criminal Court, ‚Elements of Crime‘ (10.  September 2002) Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court, ICC-ASP/1/3 and Corr.1, S. 10, Art. 7(1)(h) Element 1. 549  Cassese, International Criminal Law (2008), 115. 550  IStGH (Pre-Trial Chamber I), Decision on the Confirmation of Charges (Sit­ uation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of Prosecutor v. Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui), No. ICC-01/04-01/07 (30.  September 2008), Rdnr.  449; ICTY (Appeals Chamber), The Prosecutor v. Mitar Vasiljević (Appeals Judgement), IT-98-32-A (25.  Februar 2004), Rdnr.  165. 551  IStGH (Pre-Trial Chamber I), Decision on the Confirmation of Charges (Sit­ uation in the Democratic Republic of the Congo in the Case of Prosecutor v. Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui), No. ICC-01/04-01/07 (30.  September 2008), Rdnr. 448. Siehe zu den möglichen Menschenrechtsverletzungen oben Teil 2, Kapitel A., Abschnitt I.2.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

führten Verwirklichungsvarianten von Verbrechen gegen die Menschlichkeit entsprechen.552 Wichtig ist, dass zwischen den unmenschlichen Verhaltens­ weisen und dem Leiden der Bevölkerung ein enger Sachzusammenhang vorliegt.553 Hinsichtlich der Modalitätenäquivalenz von Tun und Unterlas­ sen ist problematisch, dass es sich bei dem Auffangtatbestand um ein ver­ haltensbezogenes Erfolgsdelikt handelt. Bestraft wird die Unmenschlichkeit der Handlungen, es müssen demnach das Handlungsunrecht von Tun und Unterlassen verglichen werden.554 Vom Standpunkt der betroffenen Bevöl­ kerung aus betrachtet macht es indes keinen Unterschied, aus welchem Grund Katastrophenhilfe nicht zu ihr vordringt, d. h. ob die verantwortli­ chen Staatsmitarbeiter bewusst gar keine Hilfe zulassen oder die Durchfüh­ rung der zugelassenen Hilfsmaßnahmen behindern. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit besteht sowohl beim Handeln als auch Unterlassen darin, die betroffene Bevölkerung in einer hilfslosen, unmenschlichen Lage zu belassen. 2. Ausgedehnter oder systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung Ein Angriff im Sinne des Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut erfordert bei allen Varianten eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut eine „Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Bege­ hung der in Abs. 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staa­ tes oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat.“ Der Angriff muss nach Maßgabe des IStGH-Statut zunächst entweder ausge­ dehnt oder systematisch sein. Ein ausgedehnter Angriff bezieht sich auf die Anzahl der Opfer und liegt z. B. vor, wenn es in einem eng begrenzten Gebiet viele Opfer gibt oder wenige Opfer in einem sehr großen Gebiet.555 Ein systematischer Angriff erfordert in der Jurisprudenz von ICTY und ICTR ein Muster vergleichbarer Verbrechen, d. h. die reguläre, nicht bloß 552  Cassese, International Criminal Law (2008), 114; Kuschnik, Humaneness, Humankind and Crimes Against Humanity, 2 GoJIL (2010), 501 (504); Bassiouni, Crimes Against Humanity: historical evolution and contemporary application (2011), 406. 553  ICTR (Trial Chamber II), The Prosecutor v. Clément Kayishema and Obed Ruzindana (Judgement), ICTR-95-1-T (21.  Mai 1999), 151. 554  Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht (2004), 237. 555  IStGH (Pre-Trial Chamber II), Arrest Warrant against Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08 (15.  Juni 2009), Rdnr.  83, 117; Triffterer (Hrsg.), Com­ mentary on the Rome Statute of the International Criminal Court  – Observers’ ­Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  11.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 289

zufällige Wiederholung ähnlicher Delikte.556 Es lässt sich argumentieren, dass dieses Tatbestandsmerkmal schon dann erfüllt ist, wenn der Täter ge­ genüber mehreren Personen, die sich in einer vergleichbaren Situation be­ finden, etwa weil ihre Region in ähnlicher Weise von der Katastrophe be­ troffen ist, Hilfe unterlässt. Es sind danach hier keine erhöhten Anforderun­ gen zu stellen. Der Angriff muss ferner gegen eine Bevölkerung gerichtet sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Opfer nur irgendein gemeinsames Merkmal aufwei­ sen und nicht lediglich zufällig ausgewählt wurden.557 Dies ist z. B. bei den Überlebenden einer Katastrophe anzunehmen, die durch das Überleben der Katastrophe miteinander verbunden sind. Vom Vorliegen der Politik eines Staates oder einer Organisation kann man sprechen, wenn der Staat oder die Organisation einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung aktiv fördert oder unter­ stützt.558 Hinter einer nicht-staatlichen Entitität können sich auch Indivi­duen mit bloß faktischer Hoheitsgewalt verbergen.559 Das Kriterium der ‚Politik‘ dient lediglich dem Ausschluss von unkoordinierten und isolierten Akten von Einzeltätern. Sofern potentielle Tathandlungen systematisch oder weit verbreitet auftreten, legt dies bereits den Schluss nahe, dass eine gemeinsa­ me Politiklinie vorliegt.560 Die Politik kann auch im bewussten Unterlassen, Maßnahmen zu ergreifen, umgesetzt werden, wenn dieses Verhalten einen Angriff unterstützen soll. Aus bloßem Nichthandeln kann indes keine poli­ tische Linie abgeleitet werden.561 Bei einer Katastrophe wird die Prüfung, ob der betroffene Staat eine systematische Politiklinie verfolgt, in der Praxis die meisten Schwierigkeiten bereiten. Es kann ein Indiz sein, wenn der 556  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Crim­ inal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  11 mit Verweis auf ICTY (Appeals Chamber), The Prosecutor v. Dario Kordić and Mario Čerkez (Appeals Judgment), IT-95-14/2-A (17.  Dezember 2004), Rdnr.  94. 557  IStGH (Pre-Trial Chamber II), Arrest Warrant against Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08 (15.  Juni 2009), Rdnr.  76 f. 558  International Criminal Court, ‚Elements of Crime‘ (10.  September 2002) Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court, ICC-ASP/1/3 and Corr.1, Art. 7, Introduction, Rdnr.  3; IStGH (Pre-Trial Chamber II), Arrest Warrant against Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08 (15.  Juni 2009), Rdnr.  109. 559  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Crim­ inal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 7 Rdnr.  92. 560  ICTR (Trial Chamber II), The Prosecutor v. Clément Kayishema and Obed Ruzindana (Judgement), ICTR-95-1-T (21.  Mai 1999), Rdnr.  124. 561  International Criminal Court, ‚Elements of Crime‘ (10.  September 2002) Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court, ICC-ASP/1/3 and Corr.1, Art. 7, Introduction, Fn. 6.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

betroffene Staat generell  – d. h. außerhalb der konkreten Katastrophensitua­ tion  – zu vorsätzlichen Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Bevölkerung neigt. Entschließt sich der betroffene Staat aber erst anlässlich der Katastrophe dazu, einen Teil der Bevölkerung bewusst der unterlassenen Hilfeleistung auszusetzen, so muss genau geprüft werden, ob damit eine generell Politiklinie initiiert und verfolgt wird oder der Staat aufgrund cha­ otischer post-katastrophaler Zustände überfordert ist und demnach gerade nicht systematisch unterlässt, der Bevölkerung zu helfen. In letzterem Fall muss das Vorliegen einer Politikrichtung des betroffenen Staates  – vorbe­ haltlich der Umstände des Einzelfalles  – eher abgelehnt werden. 3. Kenntnis des Angriffs Der Täter muss – neben der Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkma­ le der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut aufgeführten Strafbarkeitsvarianten – in Kenntnis eines weitreichenden oder systematischen Angriffs gegen die Zi­ vilbevölkerung handeln. Er muss nicht wertungsmäßig die Subsumtionsleis­ tung erbringen und wissen, dass er selbst unmittelbar unmenschliche Hand­ lungen begeht oder den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Mensch­ lichkeit verwirklicht. Es reicht, wenn er weiß, dass sich seine Handlungen oder Unterlassungen als Teil  eines übergreifenden systematischen Angriffs darstellen lassen.562 Es muss dabei aber nicht nachgewiesen werden kön­ nen, dass der Täter detaillierte Kenntnis von allen Einzelheiten des Angriffs oder der Pläne bzw. Politikstrategie des Staates oder der handelnden Orga­ nisation hatte.563 Wenn bislang nur wenige Tathandlungen vorgenommen wurden und ein systematischer Angriff somit erst beginnt, genügt es, wenn der Täter Kenntnis von der groben Politiklinie des Staates hat und mit dem Vorsatz handelt, den Angriff weiterzuführen.564

562  ICTY (Appeals Chamber), The Prosecutor v. Dario Kordić and Mario Čerkez (Appeals Judgment), IT-95-14/2-A (17.  Dezember 2004), Rdnr.  99. 563  International Criminal Court, ‚Elements of Crime‘ (10.  September 2002) Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court, ICC-ASP/1/3 and Corr.1, Art. 7, Introduction, Rdnr.  2; IStGH (Pre-Trial Chamber II), Arrest Warrant against Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01/05-01/08 (15.  Juni 2009), Rdnr.  88. 564  International Criminal Court, ‚Elements of Crime‘ (10.  September 2002) Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court, ICC-ASP/1/3 and Corr.1, Art. 7, Introduction, Rdnr.  2.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 291

4. Fallbeispiel: Subsumtion unter Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut im Falle des Umgangs der myanmarischen Militärregierung mit Zyklon Nargis Man könnte argumentieren, dass das Verhalten der myanmarischen Mili­ tärregierung im Zusammenhang mit Zyklon Nargis als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuordnen ist.565 Zur Prüfung dieser These sind zu­ nächst die Jurisdiktion des IStGH und die Beweislage zu analysieren, bevor eine Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale von Art. 7 Abs. 1 IStGHStatut vorgenommen werden kann. a) Fehlende Gerichtsbarkeit des IStGH Anklage gegen einen Täter kann gemäß Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut nur erhoben werden, wenn der Täter entweder in einem Vertragsstaat handelt oder die Nationalität eines Vertragsstaates besitzt oder der UN-Sicherheitsrat den IStGH um Ermittlungen ersucht.566 Da Myanmar nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts war und eine Resolution des UN-Sicherheitsrates auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta 2008 durch ein Veto seitens Russland und China blockiert wurde, konnte gegen die Führungspersonen der Militärjunta kein Verfahren eröffnet werden.567 Im Falle Myanmars bestand daher ein absolutes Strafverfolgungshindernis. Für den Umgang mit zukünftigen Katastrophen ist es aber unabhängig von der fehlenden völkerstrafrecht­lichen Verfolgbarkeit relevant, zu untersuchen, ob das Ver­ halten der hochrangigen Regierungsmitarbeiter den Tatbestand eines Verbre­ chens gegen die Menschlichkeit verwirklicht hat. Nur so lässt sich diskutie­ ren, ob das Völkerrecht in befriedigender Weise darauf vorbereitet ist, mit den Verantwortlichen für unterlassene Katastrophenhilfe umzugehen und dadurch auch abschreckend für zukünftige potentielle Täter wirkt.

565  Siehe z. B. Zwitter/Lamont, Enforcing aid in Myanmar: state responsibility and humanitarian aid provision, in: Zwitter/Lamont/Heintze/Herman (Hrsg.), Hu­ man­itarian Action  – Global, Regional and Domestic Legal Responses (2014), 15.  Kapitel, 355. 566  Zur Verfahrenseröffnung muss entweder ein Vertragsstaat Anklage erheben (Artt.  13 lit. a, 14 IStGH-Statut), der UN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UNCharta tätig werden und Anklage beim IStGH erheben (Art. 13 lit. b IStGH-Statut) oder der Ankläger Ermittlungen bezüglich eines möglichen Verbrechens in einem Mitgliedstaat einleiten (Artt.  13 lit. c, 15 IStGH-Statut). 567  Dazu auch Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 460.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

b) Beweissituation aa) Erforderliches Beweismaß Für die Aufnahme der Ermittlungen und die Anklageerhebung vor dem IStGH genügt es, wenn auch nur eine sich aus den vorliegenden Fakten und den Gesamtumständen ableitbare Schlussfolgerung nahelegt, dass Verbre­ chen gegen die Menschlichkeit begangen wurden (‚one reasonable conclusion‘).568 Es müssen Beweise dafür vorliegen, die es erlauben, den Rückschluss auf das Vorliegen einer Straftrat plausibel zu machen (‚proof by inference‘).569 Indirekte Beweise reichen dabei aus.570 Auch für die Aus­ stellung eines Haftbefehls reicht das Vorliegen von nachvollziehbaren Grün­ den und damit der Inferenzbeweis aus.571 Demgegenüber wird der IStGH einen Täter aber nur dann verurteilen, wenn er ohne vernünftigen Zweifel (‚beyond reasonable doubt‘) davon überzeugt ist, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden.572 Dies bedeutet, dass die Verwirklichung eines Tatbestandes des IStGH-Statuts die einzig mögliche Schlussfolgerung sein muss, die aus den vorliegenden Beweisen gezogen werden kann (‚only reasonable conclusion‘). bb) Beweislage Die Einordnung des Verhaltens von Regierungsmitgliedern beim Umgang mit Zyklon Nargis als Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzt eine stich­ 568  Vgl. Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut: „The Prosecutor shall, having evaluated the information made available to him or her, initiate an investigation unless he or she determines that there is no reasonable basis to proceed under this Statute.“ Siehe dazu auch IStGH (Appeals Chamber), Judgment on the appeal of the Prosecutor against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir“, No. ICC-02/05-01/09-OA (3.  Februar 2010), Rdnr.  33 ff. und Rojo, Case Note: Standard of Proof Required to Issue an Arrest Warrant for Genocide Case ICC-02/05-01/09, The Prosecutor v Omar Hassan Ahmad Al Bashir, judgement of the International Criminal Court (Appeals Chamber) of 3 February 2010, 27 UJIEL (2010), 61 (63). 569  IStGH (Pre-Trial Chamber I), Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir, Separate and Partly Dissenting Opinion of Judge Anita Usacka, No.: ICC-02/05-01/09 (4.  März 2009), Rdnr.  32, 34; Totten, An Oral and Documentary History of the Darfur Genocide (2011), 518. 570  Schabas, An Introduction to the International Criminal Court (2. Aufl. 2004), 151. 571  Art. 58 IStGH-Statut. 572  Vgl. ICTY (Appeals Chamber), The Prosecutor v. Milomir Stakić (Appeals Judgement), IT-97-24-A (22.  März 2006), Rdnr.  321; Art. 66 Abs. 3 IStGH-Statut.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 293

haltige Faktenbasis als Ausgangspunkt der Untersuchung voraus. Als Nach­ weis für das Verhalten kommen in Ermangelung einer offiziellen Untersu­ chung durch Strafverfolgungsbehörden oder die Vereinten Nationen prima facie nur Zeitungsberichte, Augenzeugenberichte von Opfern und Hilfsper­ sonal und Untersuchungen durch Nichtregierungsorganisationen in Be­ tracht.573 Eine umfassende Zusammenstellung und Analyse der Faktensitua­ tion erfolgte durch eine Studie des Emergency Assistance Team Burma in Zusammenarbeit mit der John Hopkins University, auf der in den rechtlichen Analysen in der Wissenschaft häufig Bezug genommen wird.574 Diese Quel­ len würden auch ausreichen, um das Initiativrecht des Anklägers des IStGH auszulösen: Gemäß Art. 15 IStGH-Statut ist es hierfür nur erforderlich, dass er Informationen über potentielle Verbrechen erhalten hat. Die Art seiner Informationsquelle ist unerheblich, um die Eröffnung eines Verfahrens an­ zuregen.575 Eine abschließende, rechtssichere Beurteilung zum Zweck der Verurteilung der Verantwortlichen wäre allerdings nur im Falle einer umfas­ senden Ermittlung durch den IStGH576 oder einer international anerkannten, unabhängigen Untersuchungskommission gewährleistet, um die Glaubwür­ digkeit der Quellen zu bestätigen.577 Auf Grundlage der verfügbaren Quellen war die Faktenlage im Einzel­ nen wie folgt: Myanmarischen Hilfsorganisationen sowie den nach einiger Zeit eingelassenen ausländischen Helfern wurde die Katastrophenhilfe durch die Regierung sowohl direkt als auch indirekt erschwert.578 Einreise­ visa wurden nicht erteilt, der Zugang zu den besonders betroffenen Regi­ onen verweigert und die Hilfsmaßnahmen streng überwacht. Es wurden 573  Ford,

38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 237. Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009). 575  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International ­Criminal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 15 Rdnr.  12. 576  Zur Einleitung eines Verfahrens genügt es gemäß Art. 15 Abs. 4 IStGH-Sta­ tut, dass eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht, sofern die übrigen Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit des IStGH-Statuts erfüllt sind. 577  Hierauf weist auch Ford hin, Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 237. Siehe dazu auch Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court – Observers’ Notes, Article by Article – (2. Aufl. 2008), Art. 15 Rdnr.  13–15. 578  Hierzu Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 29. 574  Emergency

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

zuwenig Hilfsgüter ausgegeben, da viele Regierungsmitarbeiter die Hilfs­ güter für sich selbst beschlagnahmten und die Ausgabe von Hilfsgütern vom Abstimmungsverhalten der Hilfsbedürftigen beim Verfassungsreferen­ dum abhängig machten.579 Die wenigen zugelassenen Hilfsgüter wurden konfisziert, damit die Regierung selbst die Kontrolle über die Verteilung hatte. Katastrophenhelfer wurden teilweise mit der Gefangennahme be­ droht.580 Innerhalb der ersten acht Tage nach dem Zyklon wurde in man­ chen Regionen selbst regierungsnahen Ärzten der Zugang zu den Opfern verwehrt.581 Bewohner der Irrawaddy-Delta wurden zunächst zwangsweise aus ihren Heimatorten bzw. freiwillig aufgesuchten Auffanglagern in von der Regierung errichteten Camps verbracht und nach einiger Zeit zwangs­ weise wieder in ihre Heimatorte zurückgeschickt / zurückgesiedelt wurden, obwohl diese unbewohnbar waren bzw. die Lebensbedingungen unzumut­ bar waren.582 Augenzeugen berichteten auch davon, dass die wenigen aus­ gegebenen Hilfsmittel zu 100 % an die myanmarische Mehrheitsbevölke­ rung ausgegeben wurden und nur 20 % der ethnischen Minderheiten, ins­ besondere der Karen, Hilfe erhielten.583

579  Amnesty International, ‚Amnesty International Report 2009: The State of the World’s Human Rights January-December 2008 (Myanmar)‘, , 237; Emer­ gency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 24, 36; Human Rights Watch, ‚„I Want to Help My Own People“: State Control and Civil Society in Burma after Cyclone Nargis‘ (2010) , 31. 580  Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 29. 581  Amnesty International, ‚Myanmar Briefing: Human rights concerns a month after Cyclone Nargis‘ (5.  Juni 2008) ASA 16/013/2008 , 6. 582  Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 41; Human Rights Watch, Burma: Stop Forced Evictions: Much of Devastated Irrawad­ dy Delta Remains Uninhabitable (31.  Mai 2008) ; Human Rights Watch, ‚„I Want to Help My Own People“: State Control and Civil Society in Burma after Cyclone Nargis‘ (2010), 34. 583  Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 39.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 295

c) Täter Als Täter kommen zum einen die örtlich ansässigen und handelnden Mitglieder der Militärjunta bzw. Streitkräfte in Betracht [aa)]. Ferner ist eine Strafbarkeit aufgrund der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Art. 28 IStGH-Statut) bei den 12 Offizieren zu erwägen, die den SPDC konstituier­ ten [bb)]. Der Rat fällte die Entscheidung, ausländische Helfer nach Zyklon Nargis nicht in das Land zu lassen.584 In jedem Fall greift Art. 28 IStGHStatut für den damaligen Vorsitzenden des SPDC, General Than Shwe, den Vize-Vorsitzenden, General Maung Aye, sowie den Stabchef, General Thura Shwe Mann, sofern die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 28 IStGH-Statut vorliegen.585 aa) Haftung der Untergebenen (Subsumtion unter Art. 7 IStGH-Statut) (1) Verwirklichungsmöglichkeiten von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut (Objektiver Tatbestand und Tathandlung) (a) Mord und Ausrottung (Art. 7 Abs. 1 lit. a) und lit. b) IStGH-Statut) In Myanmar herrscht generell – d. h. bereits vor Zyklong Nargis – ein ho­ hes Maß an Unter-bzw. Mangelernährung, so dass sich nicht mit Sicherheit feststellen lässt, ob durch die Behinderung der Katastrophenhilfe Hungertote bzw. ein gesundheitsschädlicher Zuwachs an Mangelernährung verursacht wurde.586 Berichte von Nichtregierungsorganisationen enthalten ebenfalls keine Hinweise auf oder Vermutungen hinsichtlich unmittelbar in Folge der unterlassenen bzw. verspäteten Hilfe verstorbene Katastrophenopfer.587 Aller­ 584  ,Burma: Jetzt drohen Cholera und Diphtherie‘ FAS (11.  Mai 2008) . 585  So auch Nowak, Justice in Burma, 9 Mich. St. U. Coll. L. J. Int’l L. (201011), 667 (691); Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 149. 586  Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 27; European External Action Service, ‚The EC-Burma/Myanmar Strategy Paper (2007– 2012)‘, Europäische Kommission/Generaldirektion Außenbeziehungen , 9. 587  Z. B. ‚Amnesty International Report 2009: The State of the World’s Human Rights January-December 2008 (Myanmar)‘ (2009) .

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

dings erscheint es naheliegend, dass die Verhinderung humanitärer Hilfe zu­ mindest mitverantwortlich für den Tod vieler Menschen war.588 Für die Ein­ leitung von Ermittlungen durch den Ankläger sowie die Ausstellung eines Haftbefehls hätte die Beweislage damit ausgereicht. Aufgrund eines fehlen­ den abschließenden positiven Kausalitätsnachweises wäre die Verurteilung wegen der Verwirklichung der Tatbestände von Tötung und Ausrottung aber unwahrscheinlich bzw. bedürfte der weiteren Sachverhaltsaufklärung. Auf Grundlage der bestehenden Faktenlage ist die Erfüllung der Tatbestände je­ denfalls nicht die einzig mögliche Schlussfolgerung aus dem Verhalten der Handelnden, so dass zumindest Restzweifel bleiben.589 (b) V  ertreibung und zwangsweise Überführung (Art. 7 Abs. 1 lit. d IStGH-Statut) Ausgehend von der zuvor zusammengefassten Faktenlage kommt zum einen das Verbrechen der zwangsweisen Überführung (Art. 7 Abs. 1 lit. d IStGH-Statut) in Betracht, indem Teile der betroffenen Bevölkerung einer­ seits aus freiwillig gewählten, von privaten oder religiösen Initiativen orga­ nisierten Auffanglagern zwangsweise in Regierungslager verbracht wur­ den590 und andererseits  – bei freiwilligem Aufenthalt in den Regierungsla­ gern – zwangsweise in ihre zerstörten Heimatorte zurück verbracht wurden, obwohl hier unzumutbare Bedingungen herrschten.591 Teilweise wurden sie lediglich gezwungen, die Auffanglager zu verlassen.592 Der für die Erfül­ lung des Tatbestandes erforderliche Zwang wurde durch die Androhung von Bestrafung ausgeübt.593 588  Willis, Natural Disaster, National Sovereignty and State Negligence: An In­ ternational Law Analysis of the Denial of Emergency Relief After Cyclone Nargis in Myanmar (Burma), 31 U. Tas. L. Rev (2012), 134 (141); Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 244, 246, 248 weist darauf hin, dass 2,4 Millionen Men­ schen von dem Zyklon betroffen waren und 75 % von ihnen innerhalb der ersten drei Wochen nach dem Zyklon noch auf Hilfe warteten. 589  Siehe zur Beweisschwelle oben b) aa) Erforderliches Beweismaß. 590  Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 41. 591  Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 252; Human Rights Watch, Burma: Stop Forced Evictions: Much of Devastated Irrawaddy Delta Remains Un­ inhabitable (31.  Mai 2008). 592  Amnesty International, ‚Myanmar Briefing: Human rights concerns a month after Cyclone Nargis‘ (5.  Juni 2008) ASA 16/013/2008, 5. 593  Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 42.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 297

Der Transfer von privaten Auffanglagern in Regierungslager ist grundsätz­ lich geeignet, den Tatbestand von Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut zu erfül­ len, da auch der nur vorübergehende zwangsweise Transfer (bis zur Auflö­ sung des Auffanglagers) vom Tatbestand erfasst ist.594 Auch ist es unproble­ matisch, dass sich die zwangsweise überführten Personen in den privaten Auffanglangern nur vorübergehend aufhielten, da Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGHStatut gerade auch bei temporär Binnenvertriebenen Anwendung findet.595 Bei der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut auf die anderen Sachverhaltsvarianten stellt sich die Frage, ob es als zwangsweise Überfüh­ rung gelten kann, wenn Personen an ihren ursprünglichen Wohnort zurück verbracht werden. Zum anderen ist zu klären, ob bereits die bloße Vertrei­ bung von einem Ort innerhalb eines Landes als zwangsweise Überführung im Sinne der Vorschrift interpretiert werden kann, oder ob es sich dabei um eine reine Beeinträchtigung der Freizügigkeit handelt. Referenzjudikatur seitens ICTR und ICTY zu diesem Tatbestand fehlt.596 Zur Beantwortung der ersten Frage könnte der IStGH aber gemäß Art. 21 lit. b) IStGH-Statut auf die Guiding Principles on Internal Displacement als „andere anwendba­ re Grundsätze und Regeln des Völkerrechts“597 zurückgreifen. Gemäß Prin­ zip 15 lit. d) dieser Grundsätze haben Binnenvertriebene ein Recht darauf, gegen die zwangsweise Rückkehr oder Wiederansiedlung an Orten geschützt zu werden, an denen ihr Leben, ihre Sicherheit, ihre Freiheit und bzw. oder ihre Gesundheit gefährdet würden. Da die zwangsweise Verbringung an ihre zerstörten Heimatorte in jedem Fall mit Beeinträchtigungen für die Gesundheit durch fehlende Wasserversorgung, fehlende Unterkünfte und mangelhafte hygienische Bedingungen einherging, erfüllt dieses Vorgehen den Tatbestand der zwangsweisen Überführung. Hinsichtlich der Verweisung aus den staatlichen Auffanglagern ohne Zu­ weisung an einen neuen Aufenthaltsort schränken die erläuternden Verbre­ 594  UNHCR, ‚Background Paper: Forced Displacement and International Crimes‘, UNHCR (2011) PPLA/2011/05 , 22 mit Verweis auf ICTY (Appeals Chamber), The Prosecutor v. Milomir Stakić (Appeals Judgement), IT-97-24-A (22. März 2006), Rdnr. 307, 317. 595  UNHCR, ‚Background Paper: Forced Displacement and International Crimes‘ UNHCR (2011) PPLA/2011/05, 23, mit Verweis auf ICTY (Trial Chamber II), The Prosecutor v. Vujadin Popović et al. (Trial Judgement), IT-05-88-T (10. Juni 2010), Rdnr. 900. 596  Preparatory Commission for the International Criminal Court: Working Group on Elements of Crimes, ‚Commentary submitted by Switzerland on Article 7 of the Statute of the International Criminal Court‘ (1999) , Art. 7(1)d ICC-Statute. 597  UN Commission on Human Rights, ‚Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission resolu­ tion 1997/39. Addendum: Guiding Principles on Internal Displacement‘ (11. Februar 1998) UN Doc. E/CN.4/1998/53/Add.2.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

chenselemente zu Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut ein, dass lediglich Vertreibung oder der Transfer an einen konkreten anderen Ort verboten nicht aber die Binnenvertreibung ohne erzwungenen Transfer an einen deren Ort.598 Diese Verhaltensweise erfüllt daher nicht den Tatbestand zwangsweisen Überführung.

die ist, an­ der

(c) A  ndere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art (Art. 7 Abs. 1 lit. k IStGH-Statut) Das Ver- und Behindern von Katastrophenhilfe kann auch als sonstiger unmenschlicher Akt im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. k IStGH-Statut eingeord­ net werden. In der Vergangenheit wurde der Tatbestand zwar vor allem dann bejaht, wenn Angehörige bei den gezielten Tötungen ihrer Familienmitglie­ der zusehen mussten.599 Es lässt sich aber durchaus argumentieren, dass die mentale Belastung hierbei mit der Situation beim Abschirmen von Kata­ strophenhilfe vergleichbar ist.600 Das bewusste Vorenthalten von Unterkünf­ 598  International Criminal Court, ‚Elements of Crime‘ (10.  September 2002) Official Records of the Assembly of States Parties to the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court, ICC-ASP/1/3 and Corr.1, Art. 7(1)(d) Rdnr.  1; siehe dazu auch UNHCR, ‚Background Paper: Forced Displacement and International Crimes‘ UNHCR (2011) PPLA/2011/05, 19 und Russo, Disasters Through the Lens of Inter­ national Criminal Law (2012), 453. 599  Siehe hierzu z. B. ICTY (Appeals Chamber), The Prosecutor v. Mitar Vasiljević (Appeals Judgement), IT-98-32-A (25.  Februar 2004), Rdnr.  166. 600  Studien haben gezeigt, dass das durch Naturkatastrophen, insbesondere Wir­ belstürme, häufig ausgelöste post-traumatische Stresssyndrom (siehe hierzu Kilpatrick/Koenen/Ruggiero/Acierno/Galea/Resnick/Roitzsch/Boyle/Gelernter, The Se­ rotonin Transporter Genotype and Social Support and Moderation of Posttraumatic Stress Disorder and Depression in Hurricane-Exposed Adults, 164 Am. J. Psych. (2007), 1693; Freedy/Saladin/Kilpatrick/Resnick/Saunders, Understanding Acute Psychological Distress Following Natural Disaster, 7 J. Trauma. Stress (1994), 257 (258)) nicht nur durch deren objektive Umstände, sondern auch durch subjektive Aspekte, etwa in Form eines Gefühls der Hilflosigkeit, getriggered werden kann, Goenjian/Molina/Steinberg/Fairbanks/Alvarez/Goenjian/Pynoos, Posttraumatic Stress and Depressive Reactions Among Nicaraguan Adolescents After Hurricane Mitch, 158 Am. J. Psych. (2001), 788 (793). Die Wahrscheinlichkeit, das post-traumatische Stresssyndrom zu entwickeln, steigt, wenn Individuen stark von der Katastrophe betroffen sind, indem sie etwa selbst unmittelbar den Eintritt der Katastrophe und ihre Konsequenzen (Überflutungen etc.) erleben, wenn sie zwangsweise umgesiedelt werden oder wenn sie mindestens eine Woche keinen Zugang zu Nahrung, Wasser, Kleidung, Medikamenten etc. haben, Kilpatrick/Koenen/Ruggiero/Acierno/Galea/ Resnick/Roitzsch/Boyle/Gelernter, 164 Am. J. Psych. (2007), 1693, 1694; Freedy/ Saladin/Kilpatrick/Resnick/Saunders, 7 J. Trauma. Stress (1994), 269 f. Eine wissen­ schaftliche Studie hat zwar beim Vergleich zweier von unterschiedlichen Katastro­ phen (Tornado vs. Hochwasser) betroffenen Gemeinden keine Korrelation zwischen der Effektivität der Hilfe und dem post-traumatischen Stresssyndrom feststellen



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat 299

ten, Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung stellt schließlich auch eine Verletzung verschiedener Menschenrechte dar und kann zu schweren seelischen und körperlichen Schäden führen.601 Die Katastrophenopfer mussten passiv zusehen, wie sich der Gesundheitszustand ihrer Angehörigen sowie ihre eigenen Überlebenschancen angesichts aufkommender Krankhei­ ten und Unterversorgung mit Lebensmitteln etc. verschlechterte und sie der Willkür der Militärjunta ausgesetzt wurden. Lang anhaltende Unterversor­ gungssituationen rufen neben körperlichen Mangelerscheinungen häufig andauernde psychische Probleme hervor.602 Das Gefühl, bei einer Naturka­ tastrophe bewusst allein gelassen zu werden und insbesondere auch Ange­ hörige durch die Untätigkeit der Regierung leiden zu sehen, kann zudem zu einem hohen Maß an Angst und Verzweiflung führen und die Menschen­ würde der Opfer beeinträchtigen.603 Man könnte zwar argumentieren, dass die körperlichen und seelischen Leiden der Katastrophenopfer originär auf den Zyklon zurückzuführen waren. Allerdings wurde es durch das Verhalten der Militärregierung und Offiziere zumindest verstärkt und verlängert, so dass man prima facie einen entsprechenden Nexus zwischen dem Leiden und dem Verhalten der Täter annehmen kann. können (in der Gemeinde mit der besseren und effektiveren Katastrophenhilfe war das Level an Erkrankungen am post-traumatischen Stressyndrom höher), führte dies aber auf die unterschiedlichen Arten von Katastrophen sowie die Tatsache zurück, dass in der besser versorgten Region nur manche Haushalte betroffen waren und die Opfer daher von der lokalen Gemeinschaft stigmatisiert wurden, während in der schlechter versorgten Region alle Einwohner betroffen waren, was zu einem stärke­ ren Zusammenhalt führte, Steinglass/Gerrity, Natural Disasters and Post-traumatic Stress Disorder Short-Term versus Long-Term Recovery in Two Disaster-Affected Communities, 20 J. Appl. Soc. Psychol. (1990), 1746 (1761 f.). 601  Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 248. 602  Freedy/Saladin/Kilpatrick/Resnick/Saunders, 7 J. Trauma. Stress (1994), 270 f. 603  Vgl. ICTR (Trial Chamber II), The Prosecutor v. Clément Kayishema and Obed Ruzindana (Judgement), ICTR-95-1-T (21.  Mai 1999), Rdnr.  152; Preparatory Commission for the International Criminal Court: Working Group on Elements of Crimes, ‚Commentary submitted by Switzerland on Article 7 of the Statute of the International Criminal Court‘ (1999), 51. Ob der Aspekt der Menschenwürde im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. k IStGH-Statut zu berücksichtigen ist, ist nicht ab­ schließend geklärt. Dafür z. B. ICTR (Trial Chamber II), The Prosecutor v. Clément Kayishema and Obed Ruzindana (Judgement), ICTR-95-1-T (21.  Mai 1999), Rdnr.  151, Kuschnik, 2 GoJIL (2010), 508, 526. Der IStGH hat sich diesbezüglich noch nicht eindeutig geäußert. Die Tatsache, dass der Schutz der Menschenwürde in Art. 8 Abs. 2 lit. b  (xxi) und lit. c  (ii) IStGH-Statut explizit neben dem Verbot un­ menschlicher Behandlung (Art. 8 Abs. 1 lit. a (ii) IStGH-Statut) zusätzlich angespro­ chen wird, in Art. 7 IStGH-Statut aber nur das Verbot unmenschlicher Behandlung thematisiert wird, kontraindiziert vom Standpunkt einer systematischen Auslegung nach Art. 31 WVRK, dass der Menschenwürde exponierte Bedeutung bei der Aus­ legung von unmenschlichem Verhalten beizumessen ist.

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2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

(d) Verfolgung (Art. 7 Abs. 1 lit. h IStGH-Statut) Zwar wurden die ethnischen Minderheiten in Myanmar, insbesondere die Karen, von der Militärjunta bereits mehrere Jahre vor Zyklon Nargis unter­ drückt und diskriminiert.604 Bei der Verhinderung und Behinderung von Katastrophenhilfe liegen aber keine Hinweise dafür vor, dass ethnische Minderheiten in besonderer Weise benachteiligt und von Hilfe ausgeschlos­ sen wurden.605 (2) Systematischer oder weitreichender Angriff Hinsichtlich der zwangsweisen Überführung liegen verschiedene Berichte vor, dass dieses Vorgehen mehrfach vorgekommen ist. Die Nichtregierungs­ organisation Amnesty International hat insgesamt 30 Situationen von zwangsweiser Überführung von insgesamt mehr als 3600 Menschen inner­ halb des ersten Monats nach Zyklon Nargis bestätigt.606 Ein weitreichender Angriff liegt damit aufgrund der hohen Opferzahlen vor. Es liegt auch nahe zu vermuten, dass es sich nicht nur um einzelne, zufällige Maßnahmen handelt, sondern seitens den Mitgliedern der Militärjunta systematisch vor­ gegangen wurde. Auch im Falle der sonstigen unmenschlichen Akte (Art. 7 Abs. 1 lit. k IStGH-Statut) ist zumindest von einem weitreichenden Angriff auszugehen, da ca. 1,8 Millionen Menschen auch drei Wochen nach dem Zyklon keine Hilfe erhielten, obwohl diese von der Staatengemeinschaft angeboten wurde.607 65 % aller Haushalte hatten mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen.608 Alle einzelnen Maßnahmen standen in Zusammenhang mit der Politik des SPDC, externe Hilfe abzublocken. (3) Subjektiver Tatbestand Es ist davon auszugehen, dass zumindest die Mitglieder der Militärjunta aufgrund der weltweiten Medienberichterstattung und Äußerungen unabhän­ giger internationaler Organisationen über die verheerenden Schäden durch Zyklon Nargis sowie die Situation und Hilfsbedürftigkeit der Bevölkerung 604  Amnesty International, ‚Crimes against humanity in eastern Myanmar‘ (5.  Juni 2008) , 1 f. 605  Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 250; Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 458. 606  Amnesty International, ‚Amnesty International Report 2009: The State of the World’s Human Rights January-December 2008 (Myanmar)‘, 237. 607  Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 248. 608  Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 248.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat301

Bescheid wussten.609 Dies ergibt sich auch daraus, dass die Regierung ab dem 23.  Mai 2008 einlenkte und zumindest einem kleinen Teil  internatio­ naler Katastrophenhelfer die Einreise gestattete und zusicherte, den Zugang zu den Opfern zu verbessern.610 Dieses Verhalten kann als eine Art Schuld­ eingeständnis gewertet werden. Hinsichtlich der zwangsweisen Überführun­ gen ist ebenfalls davon auszugehen, dass die Regierung und ihre Anhänger vor Ort wussten, dass die Heimatdörfer der Bevölkerung noch nicht wieder bewohnbar waren. Zumindest dolus eventualis ist daher in beiden Tatbe­ standsalternativen zu bejahen. (4) Rechtfertigungsmöglichkeiten Zwangsweise Überführungen können gerechtfertigt sein, wenn sie zur Gewährung der Sicherheit und Gesundheit der überführten Personen erfol­ gen und verhältnismäßig sind.611 Da die zwangsweisen Überführungen be­ reits vor dem Zeitpunkt erfolgten, in dem internationale Hilfe zugelassen wurde (26.  Mai 2008), und die Wohngebiete noch immer zerstört waren, konnte die Überführung in die zerstörten Gebiete allerdings nicht zur Ver­ besserung der Situation der Opfer beitragen. Auch der Versuch des SPDC, die zwangsweisen Überführungen mit dem Übergang der unmittelbaren Katastrophenhilfe zur Wiederaufbauhilfe zu rechtfertigen, überzeugt vor diesem Hintergrund nicht.612 Tatsächlich sollten die Überführungen zumin­ dest in manchen Landesteilen dazu dienen, bereits begonnene Bauprojekte ungestört fortsetzen zu können.613 Zudem befanden sich viele Auffanglager in Schulen, welche der SPDC als Räumlichkeiten für die Durchführung der zweiten Referendumsphase am 24.  Mai 2008 benötigte.614 Es liegt ferner die Vermutung nahe, dass die Regierung beim Besuch des UN-Generalse­ 609  Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 262; Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 450. 610  Amnesty International, ‚Myanmar Briefing: Human rights concerns a month after Cyclone Nargis‘ (5.  Juni 2008) ASA 16/013/2008, 3. 611  Amnesty International, ‚Myanmar Briefing: Human rights concerns a month after Cyclone Nargis‘ (5. Juni 2008) ASA 16/013/2008, 6; Principle 8 UN Commis­ sion on Human Rights, ‚Report of the Representative of the Secretary-General, Mr. Francis M. Deng, submitted pursuant to Commission resolution 1997/39. Adden­ dum: Guiding Principles on Internal Displacement‘ (11.  Februar 1998) UN Doc. E/ CN.4/1998/53/Add.2; UNHCR, ‚Background Paper: Forced Displacement and Inter­ national Crimes‘ UNHCR (2011) PPLA/2011/05, 22. 612  Ford, 38 Denv.J.Int’l L.& Pol’y (2009–2010), 253. 613  Amnesty International, ‚Amnesty International Report 2009: The State of the World’s Human Rights January-December 2008 (Myanmar)‘, 237. 614  Amnesty International, ‚Myanmar Briefing: Human rights concerns a month after Cyclone Nargis‘ (5.  Juni 2008) ASA 16/013/2008, 3.

302

2. Teil: Verhaltenspflichten des betroffenen Staates im Katastrophenfall

kretärs nicht den Eindruck erwecken wollte, dass es noch immer zahlreiche Binnenflüchtlinge gab und die Regierung die Lage nicht unter Kontrolle hatte.615 Bei der Verbringung der Opfer von religiösen Lagern in regierungs­ nahe Auffanglanger könnte man in Erwägung ziehen, diese mit einer poten­ tiell besseren Versorgung in Regierungslagern zu rechtfertigen. Hierfür fehlen aber stichhaltige Anhaltspunkte, zumal religiöse Organisationen be­ reits viel früher und auch ernsthafter mit der Katastrophenhilfe begonnen hatten. Eine Rechtfertigung wäre wohl nur in Betracht gekommen, wenn Personen aus ihren zerstörten Heimatorten zwangsweise in Regierungslager zu ihrem eigenen Schutz evakuiert würden. bb) Haftung der militärischen Befehlshaber (Art. 28 IStGH-Statut) Hinsichtlich der Mitglieder des SPDC kommt eine Strafbarkeit gemäß Art. 28 lit. b) IStGH-Statut in Betracht. Es ist zu vermuten, dass die Offi­ ziere aufgrund eindeutiger internationaler Berichterstattung und Kommenta­ re ausländischer Regierungen darüber Bescheid wussten, dass örtliche Mit­ glieder der Militärjunta die Opfer der Katastrophe unmenschlich behandelten bzw. zumindest im Begriff waren, durch Behinderung oder Verhinderung der Hilfe schwere körperliche und seelische Leiden im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. k) IStGH-Statut zu begehen (Art. 28 lit. b)  i) IStGH-Statut).616 Der Umgang mit Katastrophensituationen fiel auch in den tatsächlichen Verantwortungsbereich des SPDC (Art. 28 lit. b)  ii) IStGH-Statut). Als Re­ gierung wäre sie auch dazu in der Lage gewesen, durch entsprechende Anordnungen und insbesondere die uneingeschränkte Annahme externer Hilfe das Verhalten der örtlichen Mitglieder der Militärjunta zu unterbinden (Art. 28 lit. b)  iii) IStGH-Statut). 5. Ergebnis Das Verhindern und Behindern von Katastrophenhilfe kann im Einzelfall den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne von Art. 7 IStGH-Statut erfüllen. Gegenüber der myanmarischen Militärjunta ist zumindest der Anfangsverdacht begründet, dass sich die Generäle und Of­ fiziere vor Ort durch das zwangsweise Überführen von Katastrophenopfern 615  Emergency Assistance Team Burma/John Hopkins Bloomberg School of Health, ‚After the Storm: Voices from the Delta. A Report by EAT and JHU CPHHR on human rights violations in the wake of Cyclone Nargis (2nd ed.)‘ (2009), 10. 616  Dass die Mitglieder des SPDC Kenntnis von der Situation hatten, folgt auch daraus, dass der SPDC nach einiger Zeit die Intention äußerte, bestehende Hilfshin­ dernisse zu beseitigen, siehe Human Rights Watch, „ ‚I Want to Help My Own People‘: State Control and Civil Society in Burma after Cyclone Nargis“ (2010), 21.



C. Rechtsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen durch betroffenen Staat303

aus privaten Auffanglangern in Regierungslager und von Regierungslagern in ihre zerstörten Heimatorte eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut schuldig gemacht haben. Bei den Mitgliedern des SPDC kommt eine Haftung als Befehlshaber nach Art. 28 IStGH-Statut in Betracht.

VII. Zusammenfassung Nimmt der betroffene Staat seine Pflicht nicht wahr, die Bevölkerung im Katastrophenfall zu schützen, verletzte er ihre Menschenrechte. Dies eröff­ net den Anwendungsbereich der Staatenverantwortlichkeit als Begründung für ein militärisches Eingreifen nach Autorisierung durch den UN-Sicher­ heitsrat und, sofern anwendbar, bestehender vertraglicher Sanktionsregime auf dem Gebiet der Menschenrechte. Ein völkerrechtliches Delikt der unter­ lassenen Hilfeleistung hat sich demgegenüber weder auf zwischenstaatlicher Ebene noch für Individuen etabliert. Völkerstrafrechtlich können die natür­ lichen Personen, die für die Verhinderung von Katastrophenhilfe verant­ wortlich sind, unter Umständen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Erforderlich ist dafür das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 7 und, auf Ebene der Befehlshaber, Art. 28 IStGH-Statut. Der Staatengemeinschaft bleibt neben dem Instrument des Völkerstrafrechts nur die Möglichkeit, gegen die unter­ lassene Hilfeleistung des betroffenen Staates  – z. B. im Rahmen der Frie­ denssicherungsmechanismen der UN  – zu protestieren oder konkrete Lö­ sungsvorschläge anzubieten und dadurch mittelbar-faktischen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Bei besonders gravierenden Menschenrechts­ verletzungen durch die Verweigerung von Katastrophenhilfe ist als ultima ratio auch der Einsatz militärischer Mittel nach Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII der UN-Charta, unter Um­ ständen auch ausgehend von dem Konzept der Responsibility to Protect, denkbar. Dass aber bereits eine öffentliche Pönalisierung und Anprangerung ein effektiver Weg sein kann, um den betroffenen Staat zur Akzeptanz in­ ternationaler Katastrophenhilfe zu bewegen und die Opfer der Katastrophe zu versorgen, hat das Beispiel Myanmar gezeigt.617 617  Russo, Disasters Through the Lens of International Criminal Law (2012), 461. Mittlerweile wird Myanmar von den Vereinten Nationen sogar für sein Katastro­ phenmanagement und Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge gelobt, siehe z. B. United Nations, ‚Global Assessment Report on Disaster Risk Reduction‘ (2005) Figure 8.7; ‚Monsun in Burma: Die schleichende Katastrophe im Irrawad­ dy-Delta‘ Der Spiegel (30.  August 2015) .

3. Teil

Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft Die Ausführungen in den vorhergehenden Kapiteln haben gezeigt, dass der betroffene Staat zwar die primäre Verantwortung für den Umgang mit Katastrophen auf seinem Staatsgebiet trägt, mit der effektiven Umsetzung der mit dieser Verantwortung einhergehenden Pflichten jedoch überfordert sein kann. Es stellt sich in diesen Situationen die Frage, welche Rolle die Staatengemeinschaft bei der Unterstützung des betroffenen Staates ein­ nimmt. Hierzu sollen im Kapitel A. zunächst die dogmatischen Grundlagen geschaffen werden, bevor im Kapitel  B. eingehend die de lege lata beste­ henden Verhaltenspflichten nicht betroffener Staaten erarbeitet und analy­ siert werden.

A. Dogmatische Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft Die Staatengemeinschaft spielt im Katastrophenfall zwar eine subsidiäre, aber dennoch essentielle Rolle. Bei der dogmatischen Verankerung ihrer Verhaltenspflichten liegt es nahe, auf Prinzipien und Wertbegriffe zu rekur­ rieren, die das Verhältnis zwischen dem Kollektiv der Staatengemeinschaft und einzelnen Staaten beschreiben und in diesem Zusammenhang Regeln zum Umgang innerhalb der Gesellschaft verschiedener Völkerrechtssubjekte begründen. Es sind vier Konzepte, die in diesem Zusammenhang eine Rol­ le spielen, nämlich Solidarität, Kooperation und Courtoisie. Die Menschen­ rechte und die Responsibility to Protect haben für die dogmatische Herlei­ tung von Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft nur eine geringe Be­ deutung.

I. Solidarität Als Grundlage für die Begründung einer völkerrechtlichen Hilfeleistungs­ pflicht der Staatengemeinschaft gegenüber anderen Staaten im Katastro­ phenfall kommt das Konzept der Solidarität in Betracht. Etymologisch entstammt der Begriff dem Lateinischen und kann mit ‚Verdichtung‘ oder



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft305

‚Verstärkung‘ übersetzt werden.1 Im juristischen Kontext tauchte er bereits im römischen Recht auf und bezeichnete dort das Konzept der Gesamt­ schuldnerschaft (obligatio in solidum).2 Ideengeschichtlich finden sich erste Bezüge auf Solidaritätserwägungen bereits im 17. Jahrhundert, als vor allem christliche Werte die zwischenstaatlichen Beziehungen beeinflussten.3 In Politik, Philosophie und Soziologie wurde der Begriff seit der Französischen Revolution verwandt.4 Auf völkerrechtlicher Ebene hat der Begriff im Zu­ sammenhang mit der breiten wissenschaftlichen Diskussion zur Konstitu­ tionalisierung des Völkerrechts seit Gründung der Vereinten Nationen, ver­ mehrt aber seit dem Ende des Kalten Krieges, gesteigerte Aufmerksamkeit auf völkerrechtlicher Ebene erfahren.5 Trotz seiner Omnipräsenz in der ak­ tuellen Völkerrechtswissenschaft bleibt das Konzept bislang ohne klare Konturen. Sein inhaltlicher Gehalt und seine Abgrenzung zu anderen Ent­ wicklungen im Völkerrecht sind kaum greifbar. Im Folgenden soll eine Annäherung in drei Schritten unternommen werden. In einem ersten Schritt werden die gängigen Definitionsansätze aus allgemeinem Sprachgebrauch, Politikwissenschaft, Soziologie und Rechtswissenschaften beschrieben (1.), bevor der spezifisch völkerrechtliche Aussagegehalt des Begriffs erarbeitet 1  Solidare  – verdichten, fest machen, verstärken; sowie solidatio  – Festigung, Konsolidierung, siehe Stowasser/Petschenig/Skutsch, Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch (2013), 473. 2  Mehrere Schuldner hafteten danach ‚aufs Ganze‘ und nicht nur auf einen Anteil an der Schuld (‚pro rata‘). Justinian, Dig. 6, 16 § 1 („Ex huiusmodi obliga­ tionibus et stipulantibus solidum singulis debetur et promittentes singuli in solidum tenentur: in utraque tamen obligatione una res vertitur: et vel alter debitum accipi­ endo vel alter solvendo omnium perimit obligationem et omnes liberat.“) Siehe dazu auch Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen: ein Beitrag zu den konzeptionellen und historischen Grundlagen der Aktiengesellschaft (2010), 326; Caritas in Veritate Foundation (Hrsg.)/Carozza/Crema, On Solidarity in International Law Blueprints (2014) , 2. 3  Wolfrum, Solidarity Amongst States: An Emerging Structural Principle of International Law, 49 Indian Journal of International Law (2009), 8 (10); Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL (2011), Rdnr.  1 f. 4  Siehe hierzu z. B. die Werke von Durkheim, The division of labor in society (1933), insbesondere Kapitel  1 und  2. Hierzu auch Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr.  2–4. 5  Siehe nur Koroma, Solidarity, Evidence of an Emerging International Legal Principle (2012), 103–129; Hestermeyer, Reality or Aspiration?  – Solidarity in In­ ternational Environmental and World Trade Law (2012), 45–63; Wellens, Solidarity as a Constitutional Principle: Its Expanding Role and Inherent Limitations, in: Mac­ donald/Johnston (Hrsg.), Towards World Constitutionalism: Issues in the Legal Or­ dering of the World Community (2005), 29.  Kapitel, 775–807; Wolfrum, 49 Indian Journal of International Law (2009), 8–20; von Ondarza/Parkes, Europäische Solidarität in Katastrophenschutz und Terrorabwehr? Vorschläge zur Umsetzung der Solidaritätsklausel des Vertrags von Lissabon.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

wird (2.). Schließlich wird geprüft, welche rechtliche Bindungskraft dem Konzept der Solidarität zukommt (3.) 1. Abstrakte Definitionsansätze des Solidaritätsbegriffes Eine abstrakte Definition des Begriffes ‚Solidarität‘ bereitet Probleme, da es unzählige „Bedeutungsverästelungen“ gibt, „die permanent zwischen All­ tags- und Wissenschaftsverständnis pendeln.“6 Im allgemeinen Sprachge­ brauch bedeutet der Begriff „unbedingtes Zusammenhalten mit jemandem aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele“7 sowie eine „auf das Zusam­ mengehörigkeitsgefühl und das Eintreten füreinander sich gründende Unterstützung.“8 Der Begriff wird zumeist eingesetzt, um die Motivation für eine bestimmte Verhaltensweise zu erklären. Politisch wird Solidarität be­ schrieben als ein Verhalten, „das gegen die Vereinzelung und Vermassung gerichtet ist und die Zusammengehörigkeit, d. h. die gegenseitige (Mit-)Ver­ antwortung und (Mit-)Verpflichtung betont.“9 In der politischen Soziologie wird der Begriff, zurückgehend auf Émile Durkheim, in mechanische und organische Solidarität unterteilt.10 Die mechanische Solidarität beruht dabei auf der Ähnlichkeit der Handelnden und gesellschaftlicher Strukturen und ist durch einen repressives Regelungssystem sowie stark ausgeprägtes Kollek­ tivbewusstsein gekennzeichnet, während das die organische Solidarität dem­ gegenüber auf dem Prinzip der Arbeitsteilung beruht und durch ein maßvol­ les Regelungssystem, großen Handlungsfreiraum für den Einzelnen und da­ mit ein geringer ausgeprägtes Kollektivbewusstsein gekennzeichnet ist.11 Für das Völkerrecht waren die Arbeiten von Durkheim zwar Ausgangspunkt für die maßgeblich von Scelle entwickelte soziologische Rechtsphilosophie.12 Juristisch ist der Begriff der Solidarität bislang jedoch nicht abschließend 6  Held/Bibouche/Billmann/Holbein/Kempf/Kröll, Was bewegt junge Menschen?: Lebensführung und solidarisches Handeln junger Beschäftigter im Dienstleistungsbe­ reich (2011), 117. 7  Duden Online (2013) http://www.duden.de, Stichwort ‚Solidarität, die‘; Ox­ ford English Dictionary Oxford University Press, www.oed.com, Stichwort ‚solida­ rity, n.‘. 8  Duden Online (2013) http://www.duden.de, Stichwort ‚Solidarität, die‘. 9  Schubert/Klein, Das Politiklexikon (5. Aufl. 2011), Stichwort ‚Solidarität‘. 10  Durkheim, The division of labor in society (1933), Kapitel  2 (S. 70–110), Kapitel  3 (S. 111–132). 11  Vester, Kompendium der Soziologie II: Die Klassiker (2009), 74 f. 12  Siehe zur ideengeschichtlichen Entwicklung des Begriffs den Diskussionsbei­ trag von Jean-Pierre Cot in Dann, Solidarity and the Law of Development Coope­ ration, in: Wolfrum/Kojima (Hrsg.), Solidarity: A Structural Principle (2010), 81.



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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definiert worden.13 Im völkerrechtlichen Kontext findet sich lediglich in Re­ solutionen der UN-Generalversammlung der Versuch einer Definition:14 „Solidarity, as a fundamental value, by virtue of which global challenges must be managed in a way that distributes costs and burdens fairly in accordance with basic principles of equity and social justice and ensures that those who suffer or who benefit the least receive help from those who benefit the most;“15

Dann hat in Ermangelung präziserer Definition dafür plädiert, sich dem Begriff der Solidarität anhand von drei Kriterien zu nähern.16 Solidarität bedeute zum einen, dass sich Staaten dabei helfen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Der Begriff sei zudem geprägt durch Gleichheitsaspekte sowie drittens die Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten, wobei bei letzte­ rem Kriterium nicht Reziprozität gemeint ist, sondern lediglich, dass alle Parteien im Grundsatz einen gleichen Anteil des Rechten- und Pflichtenka­ talogs zur Zielerreichung tragen. Der Vorgehensweise von Dann ist zuzu­ stimmen. Was Solidarität ist, ergibt sich aus der (abstrakten oder konkreten) Beurteilung von Lebenssachverhalten und Verhaltensweisen. Mithilfe der Kriterien steht ein praktischer Maßstab für diese Beurteilung zur Verfügung. 2. Völkerrechtlicher Aussagegehalt des Solidaritätsbegriffes In der Völkerrechtswissenschaft ist bislang ebenfalls nicht abschließend geklärt, welchen materiellen Aussagegehalt der Begriff der Solidarität hat. Praktisch stellen sich für jeden Wissenschaftler bei der Analyse des Begrif­ fes drei Probleme. Das erste besteht darin, die methodische Funktion des Begriffs zu definieren. Dann muss der theoretische Wert, d. h. insbesondere die materielle Bindungskraft, erarbeitet werden. Das dritte Problem besteht in der Abgrenzung des Begriffs zu den bereits genannten, für die Erklärung der Wechselbeziehungen in der Gesellschaft von Völkerrechtssubjekten ebenfalls relevanten modernen völkerrechtlichen Begriffe der Kooperation, der Schutzverantwortung und der Courtoisie. Die Professoren Carozza und Crema haben vier mögliche methodische Funktionen des Solidaritätsbegriffes herausgearbeitet, die in der Literatur 13  Boisson de Chazounes, Responsibility to Protect: Reflecting Solidarity, in: Wolfrum/Kojima (Hrsg.), Solidarity: A Structural Principle (2010), 93. 14  Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr.  5. 15  UNGA, Res 56/151, v. 8.  Februar 2002, UN Doc. A/RES/56/151, Abs. 3 lit. f; UNGA, Res 57/213, v. 25. Februar 2003, UN Doc. A/RES/57/213, Abs. 3 lit. f. (ebenfalls zitiert in Boisson de Chazounes, Responsibility to Protect: Reflecting Solidarity (2010), 94). 16  Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 61.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

häufig synonym oder kumulativ verwendet werden.17 Sie unterscheiden zwischen Solidarität als Tatsache bzw. Zustandsbeschreibung eines interna­ tionalen Beziehungsgeflechts [a)], als Völkerrechtsprinzip [b)], als Men­ schenrecht [c)] und als moralischem Wert [d)].18 Diese Unterteilung soll für die nachfolgende Analyse als Ausgangspunkt zu Grunde gelegt werden. a) Solidarität als Zustand Fasst man Solidarität als ‚Zustand‘ auf, beschreibt er die Existenz einer Interessen- und Verantwortungsgemeinschaft von Staaten in der Bereitschaft, zur Durchsetzung eines gemeinsamen Zieles, d. h. ohne Verfolgung bloßer Eigeninteressen bzw. unter Umständen sogar auf Kosten der eigenen Inte­ ressen, und dabei insbesondere zur Unterstützung einzelner Mitglieder die­ ser Gemeinschaft tätig zu werden.19 In der Völkerrechtsrealität lassen sich verschiedene „Muster der Solidarisierung“20 der internationalen Staatenge­ meinschaft erkennen.21 Beispiele, die die Solidarisierung bereits seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges belegen, sind z. B. das Abhalten zahlreicher themenspezifischer internationaler Konferenzen und Gipfel sowie der Ab­ schluss multi- und bilateraler Verträge über Themen von internationaler Bedeutung (z. B. im Flüchtlingsrecht und internationalen Umweltrecht).22 17  Beispiele für die unübersichtliche, parallele Verwendung aller vier „Funktio­ nen“ in Human Rights Council, Report of the independent expert on human rights and international solidarity, Rudi Muhammad Riziki, v. 5.  Juli 2010, UN Doc. A/ HRC/15/32. 18  Caritas in Veritate Foundation (Hrsg.)/Carozza/Crema, On Solidarity in Inter­ national Law Blueprints (2014) , 1, 8–13. 19  Caritas in Veritate Foundation (Hrsg.)/Carozza/Crema, On Solidarity in Inter­ national Law Blueprints (2014) , 8; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 852. 20  Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Principle: Some Further Reflections (2010), 37. 21  Riemer stellt die Bedeutung des Solidaritätsbegriffes für die Völkerrechtswis­ senschaft kritisch in Frage, indem er ausführt: „Der Blick auf das Staatenverhalten […] offenbar, daß das Verhalten der Staaten untereinander bereits durch eine Viel­ zahl von operablen Solidarkonzepten geprägt ist. Es zeigte sich aber auch, dass der überwiegende Teil dieser Verhältnisse weder rechtsverbindlicher Natur ist, noch über einen scharf abgegrenzten Bereich […] hinaus Wirkung entfaltet.“ Riemer, Staaten­ gemeinschaftliche Solidarität in der Völkerrechtsordnung (2003), 223. 22  Beispiele für Verträge sind z. B. die 1951 Refugee Convention; die United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), v. 9.  Mai 1992 (in Kraft getreten am 21.  März 1994), 1771 UNTS 107 sowie das Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change, v. 11.  Dezember 1997 (in Kraft getreten am 16.  Februar 2005), 2303 UNTS 162.



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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Solidarität als Zustandsbeschreibung lässt sich dabei nur schwer von dem Begriff der Kooperation unterscheiden.23 Einen theoretischen Unterschied kann man darin sehen, dass bei der Kooperation jeder Staat versucht, durch Arbeitsteilung einen eigenen Vorteil zu erlangen, während Solidarität impli­ ziert, dass das gleiche, gemeinsame Ziel verfolgt wird. b) Solidarität als Prinzip Die überwiegende Zahl der Staatenvertreter24 und eine Vielzahl von be­ deutenden Völkerrechtswissenschaftlern im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut25 ordnen Solidarität als völkerrechtliches Prinzip ein.26 Die Be­ zeichnung als Prinzip bezieht sich dabei nicht auf Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGHStatut. Unter einem Prinzip ist hier eine Art methodisches Werkzeug aufzu­ fassen, das verschiedenen Zwecken dienen kann.27 Es dient zum einen als Auslegungshilfe für bestimmte Bereiche des Besonderen Völkerrechts [aa)], 23  Caritas in Veritate Foundation (Hrsg.)/Carozza/Crema, On Solidarity in Inter­ national Law Blueprints (2014) , 9. 24  Umfassende Nachweise hierzu in ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rappor­ teur‘ (9. April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Fn. 77 und 89. 25  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652, Rdnr.  56; Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitu­ tional Principle: Some Further Reflections (2010), 22, 30. 26  Mit Werten haben Prinzipien die im Kern moralische Grundlage gemein. Der Unterschied zum Begriff des ‚Wertes‘ besteht zum einen in der Rechtswirkung. Prinzipien haben Bedeutung innerhalb eines Rechtssystems, d. h. sie können unmit­ telbar verbindliche Rechtswirkung entfalten, wenn ihnen von der Staatengemein­ schaft Rechtsverbindlichkeit zuerkannt wird. Werte als solche sind nicht rechtsver­ bindlich und stehen außerhalb jedweden rechtlichen Rahmens. Siehe dazu Harlow, Global Administrative Law: The Quest for Principles and Values, 17 EJIL (2006), 187 (191). Wird ein Wert als rechtsverbindlich anerkannt, so wird er zum Prinzip. Zudem geben Prinzipien im Vergleich zu Werten eindeutigere Orientierung für das individuelle Handeln. Prinzipien geben die konkret ‚richtige‘ Verhaltensweise vor, während eine Wertung und Abwägung erforderlich, um Werte in das Verhalten ein­ fließen zu lassen. 27  Hestermeyer spricht hier zutreffend ein Caveat hinsichtlich der bezweckten Bedeutung bei der Verwendung des Wortes ‚Prinzip‘ aus. Manche Autoren ordnen den Begriff ‚Prinzip‘ im Sinne der Formulierung „general principle of international law“ im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut ein. Andere verstehen den Begriff ‚Prinzip‘ als Gegensatz zum Begriff ‚Regel‘. Wieder andere benutzen den Begriff ‚Prinzip‘ völlig untechnisch. In der vorliegenden Dissertation soll die erste Bedeu­ tung im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut zu Grunde gelegt werden. Siehe Hestermeyer, Reality or Aspiration?  – Solidarity in International Environmental and World Trade Law (2012), 47 ff.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

aber auch der Interpretation der gesamten Materie des Völkerrechts im Sinne eines der internationalen Kooperation dienenden Staatengemein­ schaftsrechts [bb)]. aa) Auslegungshilfe für bestimmte Bereiche des Besonderen Völkerrechts Als Ziel des ‚Solidaritätsprinzips‘ wird häufig genannt, dass es sich dabei um eine Interpretationshilfe bestehender und rechtsverbindlicher völkerrecht­ licher (vertraglicher) Verpflichtungen handele.28 Gemeint sind dabei von der Mehrzahl der Autoren vor allem die Verträge bzw. Rechtsregime, in denen Bezug auf den Begriff der Solidarität genommen wird oder die auf den Grundgedanken der Solidarität gestützt werden können. In seiner Funktion als (Auslegungs-)Prinzip zeigt sich, dass Solidarität manchen Rechtsgebieten zugrunde liegt, ohne in den dort bestehenden Rechtsregeln explizit genannt zu werden.29 Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit Menschenrechten der sog. Dritten Generation, wie z. B. dem Recht auf Entwicklung. Diese werden auch Solidaritätsrechte genannt.30 Solidarität als immanentes Prinzip zeigt sich im bestehenden Völkerrechtssystem insbesondere auch bei der ge­ meinsamen Friedenssicherung31, im Umweltvölkerrecht, im Seerecht32, im humanitären Völkerrecht33, im Entwicklungsvölkerrecht34 sowie auch im sich entwickelnden Katastrophenhilfevölkerrecht. In diesen Bereichen finden sich alle drei von Dann für den Nachweis von Solidarität aufgestellten Krite­ rien wieder. Bei der Friedenssicherung wird das gemeinsame Ziel auf der 28  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 861; Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr. 22; Diskussionsbeitrag von Beyerlin in Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Princip­ le: Some Further Reflections (2010), 42; Diskussionsbeitrag von Treves in Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 90: Solidarität ist nach ihm „something to be used to talk about the law rather than something to be found within the law.“ 29  Diskussionsbeitrag von Koroma in Dann, Solidarity and the Law of Devel­ opment Cooperation (2010), 30  Roht-Arriaza/Aminzadeh, Solidarity Rights (Development, Peace, Environ­ ment, Humanitarian Assistance), MPEPIL, Rdnr.  3. 31  Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 3–6 UN-Charta. 32  Teil XI United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), v. 10.  Dezember 1982, 1883 UNTS 3. 33  Str., dagegen Dinstein in einem Diskussionsbeitrag zu Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 79, der das Humanitäre Völkerrecht allein auf Humanitätserwägungen gestützt sieht; dafür Frowein, ibid., 48, der von einer „solidarity of humankind“ spricht. 34  Koroma, Solidarity, Evidence of an Emerging International Legal Principle (2012), 113.



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft311

Grundlage der souveränen Gleichheit aller Staaten angestrebt, wobei alle Staaten die gleiche Pflicht zur Wahrung des Weltfriedens trifft. Im Umwelt­ völkerrecht haben alle Staaten durch Mitwirkung auf internationalen Konfe­ renzen die Möglichkeit, gleichberechtigt an der Verwirklichung des Zieles ‚Umweltschutz‘ mitzuwirken. Durch den Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung ist die Wechselseitigkeit von Verantwortung sichergestellt (Art. 3 Abs. 1 UNFCCC). Im Seerecht wird im Rahmen des Schutzes des Gebiets als gemeinsames Erbe der Menschheit auch Entwick­ lungsländern die Möglichkeit zur Teilnahme an Tätigkeiten im Gebiet ermög­ licht (Art. 148 SRÜ). Im Entwicklungshilfevölkerrecht sorgen Konferenzen dafür, dass auch Entwicklungsländer an der Ausarbeitung von Standards be­ teiligt werden. Sie tragen die primäre Verantwortung für ihre Entwicklung, so dass auch hier eine gegenseitige Pflichtenverteilung besteht.35 Im Katastro­ phenschutzvölkerrecht ist die gleichberechtigte Eingliederung von Entwick­ lungsländern insbesondere durch von allen Staaten, insbesondere durch das IKRK und IFRK, ausgearbeitete Verhaltenskodizes sichergestellt. Aufgrund der Tatsache, dass der jeweils betroffene Staat die primäre Verantwortung im Katastrophenfall trägt, ist auch die Gleichwertigkeit der Rechten- und Pflich­ tenverteilung aller Staaten sichergestellt. bb) Auslegungshilfe für das gesamte Völkerrecht als Kooperationsregime Manche Autoren dehnen die Funktion des Solidaritätsgrundsatzes als Auslegungshilfe auch auf das gesamte Völkerrecht aus. So findet sich in der Völkerrechtswissenschaft häufig die These, dass sich das Völkerrecht von einem Koordinationsrecht zu einem Kooperationsregime entwickelt hat.36 Wolfrum differenziert in diesem Zusammenhang bei der Funktion eines Solidaritätsprinzips einerseits zwischen dem Ausgleich von Verpflichtungen zum Erreichen eines gemeinsamen Zieles und andererseits einer moralischen Handlungsmotivation für Staaten, nicht nur die eigenen Interessen in den Blick zu nehmen und zu fördern.37 Auch Wellens ordnet das Solidaritäts­ 35  Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 65–66 mit Verweis auf ‚Monterrey Consensus of the International Conference on Financing for Development, Resolution 1, abgedruckt in Report of the International Con­ference on Financing for Development, Monterrey, Mexico‘ (18.–22.  März 2005) UN Doc. A/CONF.198/11, Rdnr.  10–19, 40; OECD, Paris Declaration on Aid Effectiveness (2005) , Art. 14. 36  Wolfrum, Solidarity, in: Shelton (Hrsg.), The Oxford Handbook of Interna­tional Human Rights Law (2013), 17.  Kapitel, 403. 37  Wolfrum, Solidarity (2013), 404; dazu auch Caritas in Veritate Foundation (Hrsg.)/Carozza/Crema, On Solidarity in International Law Blueprints (2014) , 9.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

prinzip sogar als Verfassungsprinzip im Völkerrecht ein.38 Er geht dabei von einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts aus, d. h. der Annahme, dass der Völkerrechtsordnung gewisse normative Werte zugrunde liegen, die an sich keine eigenständige Funktion haben, aber das Zusammenspiel verschie­ dener Akteure im Völkerrecht in unterschiedlichen Bereichen erklären kön­ nen und bei der Anwendung und Auslegung geltender Völkerrechtsnormen herangezogen werden können.39 Inhaltlich wird das Solidaritätsprinzip in seiner Funktion als Auslegungshilfe für das gesamte Völkerrecht unterteilt in horizontale und vertikale Dimension.40 Die horizontale Dimension um­ schreibt das Verhalten zwischen zwei oder mehreren Staaten oder Völker­ rechtssubjekten, wie es etwa auch in Art. 3 Abs. 3 EUV als Maxime festge­ legt wird. Faktisch wird er in der geltenden Völkerrechtspraxis z. B. relevant im Recht der Staatenverantwortlichkeit (Art. 48 ARS). Vertikal greift der Gedanke der Solidarität aber auch zwischen Staaten und Individuen.41 c) Solidarität als Menschenrecht Die Interpretation, Solidarität als eigenständiges Menschenrecht aufzufas­ sen oder zumindest als Institut, aus dem sich Menschenrechte ableiten las­ sen, liegt manchen nationalen Rechtsordnungen42 in Form der Sozialstaat­ lichkeit zu Grunde. Die UN Kommission für Menschenrechte hat 2002 Versuche unternommen, ein entsprechendes Recht auf völkerrechtlicher Ebene zu entwickeln.43 Das Recht sollte nicht als Recht der Bevölkerung gegenüber einem einzelnen Staat konstruiert werden, sondern vielmehr als Verpflichtung der Staatengemeinschaft gegenüber der Menschheit.44 Diese 38  Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Principle: Some Further Reflections (2010), 30. 39  Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Principle: Some Further Reflections (2010), 31. 40  Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr.  9. 41  Siehe hierzu z. B. das von der UN-Generalversammlung Anfang 2014 ausge­ rufene ‚Internationale Jahr der Solidarität mit dem palästinenischen Volk‘, UNGA, Res 68/12, v. 9.  Januar 2014, UN Doc. A/RES/68/12, Abs. 9. 42  Sozialstaatliche Elemente finden sich insbesondere in Deutschland (Art. 20 Abs. 1 GG), Großbritannien, Frankreich, Schweden, aber auch in manchen USBundesstaaten wie z. B. Hawaii. Siehe dazu auch Riemer, Staatengemeinschaftliche Solidarität in der Völkerrechtsordnung (2003), 19 f. 43  Human Rights Council, Report of the independent expert on human rights and international solidarity, Rudi Muhammad Riziki (5.  Juli 2010) UN Doc. A/ HRC/15/32. 44  Caritas in Veritate Foundation (Hrsg.)/Carozza/Crema, On Solidarity in Inter­ national Law Blueprints (2014) ,10.



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft313

Argumentation lässt sich auf Art. 28 der Allgemeinen Erklärung der Men­ schenrechte stützen, wonach jeder einen Anspruch auf eine soziale und in­ ternationale Ordnung hat, in der die in der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht wer­ den können. Aufgrund der ihm immanenten Generalität und Unklarheit und damit fehlenden Justiziabilität wurde ein Recht auf Solidarität als solches aber international nicht etabliert. Zum einen droht durch die übermäßige Erfindung neuer Rechte ohne spezifisch konkretisierten Gehalt eine Abwer­ tung der bestehenden Menschenrechte.45 Zum anderen haben sich in der Völkerrechtspraxis vielmehr bereits seit einigen Jahren einzelne, teilweise sehr konkretisierte Solidaritätsrechte entwickelt (Recht auf Entwicklung,46 Recht auf Wasser,47 Recht auf Teilhabe,48 Recht auf soziale Sicherheit49 etc.). Die nachträgliche Einführung eines diesem übergeordneten Solidari­ tätsrechts ist daher überflüssig. In den Fällen, in denen die Staatengemein­ schaft ein Bedürfnis nach der Verbesserung weniger begünstigter Regionen und Bevölkerungsgruppen erkannt hat, wurde dieses Bedürfnis in der Ver­ gangenheit durch die Entwicklung spezifischer Menschenrechte bzw. durch die Konkretisierung bestehender Menschenrechte verwirklicht und nicht mit einem übergeordneten Grundsatz abgeleitet. Solidarität spielt bei diesen abgeleiteten Solidaritätsrechten nur als Prinzip, d. h. als Rechtsgrundsatz, aber nicht als eigenständige Rechtsnorm eine Rolle. d) Solidarität als Wert Solidarität wird zudem synonym gesetzt mit einer Wertvorstellung. Soli­ darität als Wert bedeutet, dass globale Probleme kollektiv in der Art gelöst werden sollten, dass Kosten und Verpflichtungen gerecht aufgeteilt wer­ den.50 Als Wert impliziert Solidarität eine innere Haltung der handelnden 45  Human Rights Council, Report of the independent expert on human rights and international solidarity, Rudi Muhammad Riziki (5.  Juli 2010) UN Doc. A/ HRC/15/32, S. 6. 46  Human Rights Council, Report of the independent expert on human rights and international solidarity, Rudi Muhammad Riziki (5.  Juli 2010) UN Doc. A/ HRC/15/32, S. 8. 47  CESCR, General Comment No. 15: The Right to Water (arts. 11 and 12), v. 20.  Januar 2003, UN Doc. E/C.12/2002/11. 48  CESCR, General Comment No. 21: Right of everyone to take part in cultural life (art. 15, para. 1 (a)), v. 21.  Dezember 2009, UN Doc. E/C.12/GC/21. 49  CESCR, General Comment No. 19: The right to social security (art. 9), v. 4.  Februar 2008, UN Doc. E/C.12/GC/19. 50  Human Rights Council, Report of the independent expert on human rights and international solidarity, Rudi Muhammad Riziki (5.  Juli 2010) UN Doc. A/ HRC/15/32, Rdnr.  7.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Staaten, die ihr Handeln, d. h. insbesondere ihre Handlungsmotivation, er­ klären kann.51 Dies wird z. B. dadurch deutlich, dass der Begriff regelmä­ ßig in Verbindung mit der Präposition ‚aus‘ verwendet wird. ‚Aus‘ wird dabei zur „Angabe eines Grundes“ oder „der Ursache für etwas“ verwen­ det.52 Oft wird in der Völkerrechtswissenschaft ein Tun oder Unterlassen auch als „Ausdruck von Solidarität“ eingeordnet, wodurch ebenfalls der Grund für das Tun oder Unterlassen in den Vordergrund gerückt wird.53 ‚Solidarisches Handeln‘ beschreibt dabei eine Art von positivem Verhalten, das ohne Erwartung einer Gegenleistung oder eigener unmittelbarer Vortei­ le, die aus dem Handeln entstehen können, erfolgt.54 Die Interpretation von Solidarität als Wert hat vor allem auf politischer Ebene symbolische Bedeutung, aber beinhaltet keinen rechtlichen Mehrwert.55 e) Zwischenergebnis Die Beschäftigung mit den von Carroza und Crema entwickelten Lesar­ ten des Solidaritätsbegriffes zeigt, dass in der Völkerrechtswissenschaft die Einordnung als Prinzip sowie als Zustandsbeschreibung den größten Mehr­ wert verspricht. Es dient dabei zum einen als Auslegungshilfe für bestimm­ te Bereiche des internationalen Rechtsverkehrs, denen es als geistiges Fundament zu Grunde liegt und in denen Muster der zunehmenden Solida­ risierung erkennbar werden. Zudem kann es auch zur Einordnung von Entwicklungen im Völkerrecht herangezogen werden, die auf eine verstärk­ te Kooperation innerhalb der Staatengemeinschaft insgesamt, d. h. themen­ übergreifend, hindeuten. 3. Materielle Bindungskraft des „Solidaritätsprinzips“ Ungeklärt ist, ob es sich bei dem Solidaritätsprinzip als Auslegungshilfe im Völkerrecht um ein bloßes moralisches Postulat handelt oder ob sich ein 51  Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr.  8; Riemer, Staatenge­ meinschaftliche Solidarität in der Völkerrechtsordnung (2003), 14. 52  Duden Online (2013) http://www.duden.de, Stichwort ‚aus‘ (Präposition). 53  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652Rdnr.  44. 54  Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr.  9. 55  Als Beispiel für Solidarität als Wert auf politischer Ebene weist Riemer auf das Verhalten des deutschen Bundeskanzlers Schröder 2001 hin, als er den USA nach den Terroranschlägen des 11.  Septembers  – ebenso wie andere westliche Staa­ tenvertreter  – „uneingeschränkte Solidarität“ zusicherte. Riemer, Staatengemein­ schaftliche Solidarität in der Völkerrechtsordnung (2003), 22.



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völkerrechtlich bindendes Solidaritätsprinzip völkergewohnheitsrechtlich etabliert hat. Die Einordnung ist entscheidend für die Bestimmung des ma­ teriellen Gehalts der Solidarität, d. h. insbesondere für die Frage, ob sich aus dem Institut der Solidarität originäre und verbindliche Verhaltensvorgaben ableiten lassen. a) Staatenpraxis (Muster der Solidarisierung) Es wird in der Völkerrechtswissenschaft die These aufgestellt, dass der Gedanke der Solidarität mittlerweile ein in der Entstehung befindliches völkerrechtliches Strukturprinzip sei,56 das zu einem Paradigmenwechsel des Völkerrechts von bloßer Koexistenz über Koordination bis hin zum wertebasierten Solidaritätsvölkerrecht führt bzw. möglicherweise bereits geführt hat.57 Zur Unterstützung dieser These kann das Verhalten verschie­ dener Staaten in unterschiedlichen Teilbereichen des Völkerrechts herange­ zogen werden, das Muster der Solidarisierung erkennen lässt. Der Bereich der Katastrophenhilfe bildet einen Beispielsbereich. Auf dem Gebiet des Flüchtlingsrechtes verdeutlicht z. B. die freiwillige Aufnahme von Flüchtlin­ gen durch EU-Mitgliedsstaaten58 sowie der Abschluss von Evakuierungs­ übereinkommen für potentielle Klimaflüchtlinge insbesondere im pazifischen Raum solidarisches Handeln.59 In das Umweltvölkerrecht finden Solidari­ tätsaspekte über das Konzept der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung (common but differentiated responsibility) Eingang. Auch im Seevölkerrecht hat die internationale Staatengemeinschaft erkannt, dass eine gemeinsame Strategie unter Berücksichtigung von Solidaritätsaspekten bei der Verteilung von Rechten und Pflichten notwendig ist.60 Schließlich zeigt 56  Wolfrum, 49 Indian Journal of International Law (2009), 16 f.; Wolfrum, Solidarity (2013), 402. 57  Friedmann, The changing structure of international law (1964), 60–63; Hestermeyer, Reality or Aspiration?  – Solidarity in International Environmental and World Trade Law (2012), 45. Vgl. ebenfalls Koroma, Solidarity, Evidence of an Emerging International Legal Principle (2012), 103; Matz-Lück, Solidarität, Souve­ ränität und Völkerrecht: Grundzüge einer internationalen Solidargemeinschaft zur Hilfe bei Naturkatastrophen (2012), 145 f. 58  Siehe z. B. in Deutschland das Humanitäre Aufnahmeprogramm Syrien, Bun­ desministerium des Inneren, Anordnung des Bundesministeriums des Inneren gemäß § 23 Abs. 2, Absatz 3 i. V. m. § 24 Aufenthaltsgesetz zur vorübergehenden Aufnahme von Schutzbedürftigen aus Syrien sowie Anrainerstaaten Syriens sowie Ägypten und Libyen (18.  Juli 2014) . 59  Z. B. das Immigrationsprogramm Neuseelands für Bürger aus Kiribati, Tuva­ lu und Tonga, Immigration New Zealand, Pacific Access Category, .

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

auch der Bereich der Entwicklungshilfe, dass Staaten zu Solidarität bereit sind, indem etwa auf zahlreichen internationalen Konferenzen die Möglich­ keit von Schuldenerlassen und Technologietransfer erörtert wird.61 Im Wirt­ schaftsvölkerrecht ist die Finanzhilfe an notleidende Mitglieder der Wäh­ rungsunion auch unter Verstoß gegen die No-Bailout-Klausel in Art. 125 AEUV exemplarisch. Generell zeigt auch die Entwicklung des Rechts der internationalen Organisationen besonders deutlich, wie Solidaritätsaspekte das Verhalten der Staaten beeinflussen und dazu veranlassen, den Organisa­ tionen mehr Rechte zuzugestehen. Die Mitglieder supranationaler und regi­ onaler Organisationen sind häufig durch tiefergehende Solidaritätsverpflich­ tungen verbunden. Insbesondere die Unionsrechtsordnung ist stark von dem Gedanken der Solidarität geprägt. Solidarität wird in Art. 21 Abs. 1  EUV in der deutschen Sprachfassung als Grundsatz bezeichnet wird, in der französischen, italieni­ schen und englischen Sprachfassung wird Solidarität als Prinzip bezeich­ net.62 Nach Art. 2 S. 2 EUV handelt es sich bei den Mitgliedstaaten der EU um eine Gemeinschaft, die sich durch Solidarität auszeichnet. Nach Art. 32 EUV sind die Mitgliedstaaten untereinander solidarisch. Gemäß Art. 3 Abs. 3 EUV fördert die Union die Solidarität der Mitgliedstaaten unterein­ ander. Art. 222 AEUV wird auch als Solidaritätsklausel bezeichnet, wonach die Union und die Mitgliedstaaten im Geiste der Solidarität handeln, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terrorangriff, einer Naturkatastrophe oder von Menschen gemachten Katastrophe betroffen ist. Auf dem Gebiet der Menschenrechte deutet das Konzept der erga omnes Verpflichtungen eine Solidarisierung bei Menschenrechtsverstößen an.63 60  Siehe zur Verteilung von Erträgen durch Tiefseebergbau am Festlandsockel Art. 82, insbesondere Abs. 4 der UNCLOS. 61  Hestermeyer, Reality or Aspiration? – Solidarity in International Environment­ al and World Trade Law (2012), 50 ff. Siehe zu den Bemühungen der Staaten, Mög­ lichkeiten zur Finanzierung von Entwicklungshilfe zu finden, die zahlreichen soft law Dokumente internationaler Konferenzen (,Monterrey Consensus of the Interna­ tional Conference on Financing for Development, Resolution 1, abgedruckt in Re­ port of the International Conference on Financing for Development, Monterrey, Mexico‘ (18.–22.  März 2005) UN Doc. A/CONF.198/11; OECD, Paris Declaration on Aid Effectiveness (2005) ; OECD, Accra Agenda for Action (2008) . 62  Zur Solidarität auf Unionsebene siehe Potacs, Die Europäische Wirtschaftsund Währungsunion und das Solidaritätsprinzip, EuR (2013), 133 (137 f.). 63  de Wet geht sogar so weit und stellt die These auf, dass das Solidaritätsprin­ zip nur eine Bedeutung in Form von erga omnes Normen sowie dem Konzept von ius cogens habe, Diskussionsbeitrag in Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-) Emerging Constitutional Principle: Some Further Reflections (2010), 39.



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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Gemäß Art. 48 Abs. 1  ARS können auch nicht unmittelbar selbst verletzte Staaten die Verantwortlichkeit eines Staates geltend machen.64 Auch wenn dies rechtstechnisch schlicht einer Prozessstandsschaft entspricht, wohnt dem auch der Gedanke inne, dass der Durchsetzung von Menschenrechten nur gemeinsam zur vollen Entfaltung verholfen werden kann und somit gegebenenfalls sogar muss. b) Fehlende Rechtsüberzeugung Auch wenn sich in der Staatenpraxis zahlreiche Beispiele für solidari­ sches Handeln finden lassen, fehlen entsprechende Äußerungen der Staaten­ gemeinschaft dahingehend, dass eine Rechtspflicht zur Solidarität besteht. Der Begriff der Solidarität ist, außerhalb des Unionsrechts, bislang auch nur in einem völkerrechtlichen Vertrag explizit normiert. Art. 3 lit. b) der Con­ vention to Combat Desertification in Those Countries Experiencing Serious Drought and / or Desertification, particularly in Africa65 nimmt explizit Bezug auf den Gedanken der Solidarität. Gegen die Herleitung einer völ­ kergewohnheitsrechtlichen Solidaritätspflicht spricht ferner, dass viele völ­ kerrechtliche Verträge den Begriff der Solidarität nicht als Rechtsbegriff verwenden, aus dem sich konkrete Verhaltenspflichten ableiten, sondern lediglich auf den ‚Geist der Solidarität‘ als Zielbestimmung und potentielle Motivationsgrundlage Bezug nehmen.66 In anderen Bereichen des Völker­ rechts wird nur auf den Grundgedanken rekurriert bzw. dieser vorausgesetzt, ohne dass ein Solidaritätsprinzip etabliert wird oder dass sich hieraus kon­ krete Verhaltensvorgaben und -pflichten ableiten lassen. So wird im Wirt­ schafts- und Entwicklungsvölkerrecht schon seit langem eine gerechte und solidarische Weltwirtschaftsordnung gefordert, ohne dass in den hierzu ausgearbeiteten Erklärungen und Agenden auf ein Solidaritätsprinzip rekur­ riert wird bzw. der Begriff genannt wird.67 Insbesondere im WTO-Recht 64  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10. Siehe dazu auch aus­ führlich Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Principle: Some Further Reflections (2010), 23 ff. 65  UNCCD. Diese Konvention kann  – bei entsprechend weiter Auslegung des Begriffs der Katastrophe  – sogar als Regelungsinstrument des Katastrophenvölker­ rechts gesehen werden. 66  Art. 3 Abs. 3 AADMER(„in the spirit of solidarity and partnership)“; Art. 222 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Konsolidierte Fas­ sung (AEUV), v. 26.  Oktober 2012, ABl. EU C 326/47 („Die Union und ihre Mit­ gliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität“). 67  Weder der ‚Monterrey Consensus of the International Conference on Financ­ing for Development, Resolution 1, abgedruckt in Report of the International Confe­

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

finden Gedanken der Solidarität über den Grundsatz der besonderen, aber unterschiedlichen Behandlung von Industrie- und Entwicklungsländern (special but differentiated treatment) zwar Berücksichtigung.68 Konkrete Ver­ pflichtungen hierzu werden aber nicht über die Normierung in soft law Dokumenten hinaus festgelegt.69 Im menschenrechtlichen Bereich ist von einem Solidaritätsprinzip außerhalb bestehender vertraglicher Regelungen überhaupt nur sehr zurückhaltend in soft law Dokumenten die Rede.70 Auch Juristenvereinigungen als Rechtserkenntnisquellen ordnen das Prinzip der Solidarität nicht als Völkergewohnheitsrecht ein. Selbst die ILC hat, vor dem Hintergrund umfangreicher Analysen des aktuellen Bestandes des Ka­ tastrophenhilfevölkerrechts, eine verbindliche Solidaritätspflicht explizit nicht in die DAPPED aufgenommen, sondern spricht ebenfalls nur von Solidarität im Sinne eines den DAPPED zugrundeliegenden Leitgedankens. Sie geht davon aus, dass die gesamten DAPPED zwar auf dem Solidaritätsprinzip basieren, ohne dieses aber gesondert herzuleiten oder dogmatisch zu veran­ kern.71 Da die ILC in der Vergangenheit bei der Ausarbeitung von Vertrags­ entwürfen in großem Umfang sehr progressiv auch lediglich in der Entste­ hung befindliche Prinzipien und Konzepte aufgegriffen hat,72 ist dies bezüg­ rence on Financing for Development, Monterrey, Mexico‘ (18.–22.  März 2005) UN Doc. A/CONF.198/11 noch die OECD, Paris Declaration on Aid Effectiveness (2005) oder OECD, Accra Agenda for Action (2008) enthalten den Begriff ‚Solidarität‘. 68  So sieht z. B. Art. XXXVI.8 GATT vor, dass die entwickelten Vertragspartei­ en keine Gewährung der Gegenseitigkeit für die von ihnen in Handelsverhandlungen übernommenen Verpflichtungen zum Abbau oder zur Beseitigung von Zöllen und von sonstigen Beschränkungen des Handels der weniger entwickelten Vertragspar­ teien erwarten, General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), v. 30.  Oktober 1947 (in Kraft getreten am 1.  Januar 1948), 1876 UNTS 187. 69  Siehe hierzu ‚Monterrey Consensus of the International Conference on Fi­ nancing for Development, Resolution 1, abgedruckt in Report of the International Conference on Financing for Development, Monterrey, Mexico‘ (18.–22.  März 2005) UN Doc. A/CONF.198/11; OECD, Paris Declaration on Aid Effectiveness (2005) ; OECD, Accra Agen­ da for Action (2008) . 70  World Conference on Human Rights, Vienna Declaration and Programme of Action, v. 25. Juni 1993, UN Doc. A/CONF.157/23 nimmt in Art. 21 auf die Bedeu­ tung der Solidarität in Verbindung mit der Kinderrechtskonvention der UN sowie in Art. 23 Abs. 3 in Verbindung mit der Flüchtlingshilfe Bezug. 71  UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Sixty-fifth session‘ (6.  Mai–7.  Juni, 8.  Juli–9.  August 2013) UN Doc. A/68/10, Commentary Art. 12, Rdnr.  1. 72  Siehe z. B. ILC, ‚Draft Articles on Responsibility of international organiza­ tions, with commentaries 2011 (Report of the International Law Commission on the work of its sixty-third session)‘ (2011) UN Doc. A/66/10. Siehe zur progressiven



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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lich der rechtlichen Bindungswirkung zumindest als Indiz dafür zu sehen, dass die Entwicklung eines Solidaritätsprinzips noch nicht einmal die Schwelle einer voranschreitenden Entwicklung erreicht hat. Es lässt sich daher argumentieren, den Gedanken der Solidarität, angelehnt an den deut­ schen verfassungsrechtlichen Begriff der Staatszielbestimmung73, lediglich als ‚Völkerrechtszielbestimmung‘ einzuordnen.74 Das Solidaritätsprinzip kann zwar als Leitmotiv für staatliches Verhalten eine Rolle spielen. Der Impetus für konkretes solidarisches Verhalten im Katastrophenschutzvölker­ recht beruht aber allein auf dem Ermessen des handelnden Staates und er­ folgt nicht aus einer Rechtsüberzeugung heraus, auf bestimmte Art und Weise handeln zu müssen. 4. Zwischenergebnis Der materielle Aussage- und Bedeutungsgehalt des Solidaritätsbegriffes bleibt hinter dem zurück, was die weitreichende Zunahme der wissenschaft­ lichen Beschäftigung mit dem Begriff in den vergangenen Jahren vermuten lässt. Ein völkergewohnheitsrechtlich bindendes Solidaritätsprinzip existiert bislang nicht.75 Es lassen sich in den internationalen Beziehungen zwar Muster der Solidarisierung in bestimmten Bereichen identifizieren. In der Völkerrechtsrealität ist mit dieser Erkenntnis aber keine Rechtsfolge ver­ bunden. Insbesondere lassen sich keine Rechte und Verhaltenspflichten da­ raus ableiten. Schließlich sind die Formen, in denen sich solche Solidari­ tätsmuster erkennen lassen, auch zu vielfältig, um aus ihnen einen allge­ Arbeit der ILC auch Murphy, Codification, Progressive Development, or Scholarly Analysis? The Art of Packaging the ILC’s Work Product, in: Ragazzi (Hrsg.), Res­ ponsibility of International Organizations. Essays in Memory of Sir Ian Brownlie (2013), 3.  Kapitel, 29–40. 73  Z. B. Art. 20a GG, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Tierschutz. 74  Auch in Art. 3 lit. b Abuja Treaty Establishing the African Economic Com­ munity (Abuja Treaty), v. 3. Juni 1991 (in Kraft getreten am 12. Mai 1994), 30 ILM 1241 wird als Grundprinzip, zu dem sich alle Mitgliedstaaten bekennen, die Solida­ rität genannt. 75  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 861; Campanelli, Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr.  21; Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 77; Diskussionsbeitrag von Ulrich Beyerlin in Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Prin­ ciple: Some Further Reflections (2010), 42; Diskussionsbeitrag von Yoram Dinstein in Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 79; Wellens, Revisiting Solidarity as a (Re-)Emerging Constitutional Principle: Some Further Reflections (2010), 45; Wolfrum, Concluding Remarks (2010), 228; ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixty-first session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (4.  Mai–5.  Juni, 6.  Juli–7.  Au­ gust 2009) UN Doc. A/64/10, Rdnr.  177.

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meingültigen Grundsatz oder Verhaltensmaßstab mit konturierten Einzelver­ pflichtungen ableiten zu können. Letztlich verbirgt sich hinter dem Begriff nur die Idee, Anteil an Wohl und Wehe anderer Staaten zu nehmen, diesen keinen Schaden zuzufügen und ihnen mit Respekt zu begegnen.76 Ob, in welchem Umfang und weshalb dies geschieht, steht bislang noch im Ermes­ sen der handelnden Staaten, auch wenn deren Bereitschaft zu solidarischem Handeln zuzunehmen scheint.

II. Kooperationsprinzip im Völkerrecht Zur dogmatischen Verankerung von Verhaltenspflichten der Staatenge­ meinschaft kommt auch der Grundsatz der Kooperation in Betracht. Er ist einer der wichtigsten Grundpfeiler der völkerrechtlichen Rechtsordnung.77 Er ist derzeit noch nicht allgemeinverbindlich völkervertraglich oder -ge­ wohnheitsrechtlich verankert. Es haben sich aber, ebenso wie für den Soli­ daritätsbegriff, bestimmte Sektoren des Völkerrechts herauskristallisiert, in denen die Pflicht zur Kooperation normiert und institutionalisiert wurde. Dies gilt u. a. für den Bereich der Menschenrechte78, der Wahrung des Weltfriedens und den Kampf gegen Rassendiskriminierung.79 Auch das Umweltvölkerecht ist geprägt von Kooperationspflichten, z. B. beim Klima­ schutz.80 Institutionelle Kooperation ist im Wirtschaftsvölkerrecht ver­ 76  International Law Association, Seoul Declaration on Progressive Develop­ ment of Principles of Public International Law Relating to a New Economic Order (Report of the Sixty Second Conference, Seoul), Seoul Conference (Seoul, 24.– 30. August 1986), § 5; Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 60. 77  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  17. 78  Delbrück, The international obligation to cooperate-an empty shell or a hard law principle of international law?-A critical look at a much debated paradigm of modern international law (2012), 6–9. 79  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 853. 80  Siehe hierzu z. B. Art. 4 Abs. 2 Vienna Convention for the Protection of the Ozone Layer, v. 22.  März 1985 (in Kraft getreten am 22.  September 1988), 1513 UNTS 293; Art. 3 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 lit. c-e, g-i, Art. 5 lit. c, Art. 6 lit. b,  e; als soft law Grundsatz 7, 9, 14, 17 der Rio Declaration on Environment and Develop­ ment, v. 14. Juni 1992, 31 ILM 876. Zu dem Themenbereich auch Wolfrum, Coope­ ration, International Law of, MPEPIL, Rdnr.  28–31; ILC, ‚Second report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (7.  Mai 2009) UN Doc. A/CN.4/615, Rdnr.  55. Auch in dem Entwurf des Pariser Klimaschutzabkommens spielt Kooperation eine wichtige Rolle, z. B. in Art. 7 Abs. 6 und 7 das Pariser Klimaschutzübereinkommens von 2015 (Ad­ option of the Paris Agreement. Proposal by the President (Draft decision -/CP.21), v. 12.  Dezember 2015, UN Doc. FCCC/CP/2015/L.9/Rev.1).



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft321

pflichtend.81 Weitere Beispiele für Bereiche, in denen sich das Kooperati­ onsprinzip bereits als rechtlich verbindlich etabliert hat, sind insbesondere die Rechtsregime für Staatengemeinschaftsräume, z. B. den Weltraum, die Antarktis und die Hohe See.82 Auch für das Katastrophenschutzvölkerrecht lässt sich das Bestehen einer Kooperationspflicht, aus der sich womöglich eine Hilfeleistungspflicht von Staaten durch Kooperation mit dem betroffe­ nen Staat ableiten lässt, begründen. Diesen Schluss legt eine Betrachtung der relevanten völkerrechtlichen Verträge nahe. Die Tampere-Konvention, die Konvention über grenzüberschreitende Auswirkungen von Industrieun­ fällen sowie die Konvention über die Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen normieren explizit eine Kooperationspflicht.83 Regionale Katastrophen­ schutzverträge und bilaterale Abkommen basieren durchgehend auf dem Prinzip der Kooperation und tragen diesen Begriff teilweise auch im ­Namen.84 Das Anden-Komitee zur Katastrophenvermeidung und -schutz ­CAPRADE hat es zu seinen Aufgaben gemacht, die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten des Andenrates hinsichtlich des Kompetenzbereichs und der Aufgaben von CAPRADE zu fördern sowie gemeinsame Bemühungen 81  Art. III.5 Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization (WTO Agreement), v. 15. April 1994 (in Kraft getreten am 1. Januar 1995), 33 ILM 1144; Art. X Articles of Agreement of the International Monetary Fund (Bretton Woods Agreement), v. 22.  Juli 1944 (in Kraft getreten am 27.  Dezember 1945), 2 UNTS 39; Art. V  sec.  8a Articles of Agreement of the International Bank for Re­ construction and Development (IBRD Articles of Agreement), v. 27.  Dezember 1945, 2 UNTS 134. Siehe Delbrück, The international obligation to cooperate – an empty shell or a hard law principle of international law? – A critical look at a much debated paradigm of modern international law (2012), 10; Wolfrum, Cooperation, International Law of, MPEPIL, Rdnr.  34–47. 82  Wolfrum, Cooperation, International Law of, MPEPIL, Rdnr.  5, 26 f., 39 f.; Delbrück, The international obligation to cooperate-an empty shell or a hard law principle of international law?-A critical look at a much debated paradigm of mod­ ern international law (2012), 4; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 855. So sieht z. B. Art. III des Antarktisvertrag, v. 1.  Dezember 1959 (in Kraft getreten am 23.  Juni 1963), 402 UNTS 71 den Infor­ mationsaustausch zwischen den Vertragsparteien vor. Art. 118 UNCLOS sieht die Kooperation zum Schutz der Meeresumwelt vor. 83  Art. 3 Abs. 1 Tampere Convention („The States Parties shall cooperate […] to facilitate the use of telecommunication resources for disaster mitigation and relief“); Art. 12 Abs. 2 Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents; Art. 1 Abs. 1 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radio­ logical Emergency. 84  Z. B. Agreement on cooperation and mutual assistance in cases of accidents (Finland and Estoni); Agreement between the Swiss Federal Council and the Gov­ ernment of the Republic of the Philippines on Cooperation in the Event of Natural Disasters or other Major Emergencies. Siehe dazu ILC, ‚Second report on the pro­ tection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (7.  Mai 2009) UN Doc. A/CN.4/615 Rdnr.  62.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

zur Sicherstellung bi- und multilateraler Kooperation zu unternehmen.85 ASEAN, die Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation und ECOWAS verpflich­ ten ihre Mitglieder ebenfalls zur Kooperation.86 Auch soft law Dokumente zeigen, dass das Prinzip der Kooperation von der Staatengemeinschaft als normativ verfestigt angesehen wird. Ferner sieht die ILC sieht als dogmati­ sches Fundament der DAPPED auch den Grundsatz der internationalen Kooperation an.87 In Art. 8 DAPPED wurde deshalb eine Pflicht zur Koope­ ration der Staaten untereinander, aber auch mit intergouvernementalen Or­ ganisationen, IFRK, IKRK sowie relevanten Nichtregierungsorganisationen festgelegt.88 Dass es sich hierbei um eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht handelt, wird mittlerweile von einigen Staaten gestützt.89 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Staaten auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe zur Kooperation verpflichtet sind. Welche einzelnen Ko­ operationspflichten sich daraus konkret ableiten lassen, wird im 8. Kapitel ge­ sondert für die bestimmten Phasen der Katastrophenhilfe untersucht werden.

III. Courtoisie Regeln der Courtoisie entstammen der Sitte, der Politik und der Diplo­ matie.90 Sie sind keine Rechtsquellen, aber Gebräuche, die den praktischen 85  Art. 2 lit. e), lit. g) Andean Council of Foreign Ministers, Creation of the Andean Committee for Disaster Prevention and Care (CAPRADE), Decision 529. 86  Art. 3 Abs. 3 AADMER(„The Parties shall, in the spirit of solidarity and partner­ ship and in accordance with their respective needs, capabilities and situations, strengthen co-operation and co-ordination to achieve the objectives of this Agree­ ment.“); Art. 3 Abs. 1 BSEC Agreement on collaboration in Emergency Assistance and Emergency Response to natural and man-made Disasters; Art. 4 lit. c Revised Treaty of the Economic Community of West African States, v. 24. Juli 1993, 35 ILM 660. 87  UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Sixty-fifth session‘ (6.  Mai–7.  Juni, 8.  Juli–9.  August 2013) UN Doc. A/68/10, Commentary Art. 12, Rdnr.  1; ILC, ‚Sixth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (3.  Mai 2013) UN Doc. A/ CN.4/662, Rdnr.  71. 88  ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/ CN.4/L.831 (15.  Mai 2014). 89  Z. B. Norwegen, UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  48. Dies gilt insbe­ sondere auch für den Bereich des Entwicklungshilfevölkerrechts, in dem vor allem Entwicklungsländer vom Bestehen einer Kooperationspflicht zum Zweck der wirt­ schaftlichen Entwicklung ausgehen, Wolfrum, Cooperation, International Law of, MPEPIL, Rdnr.  13. 90  Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  45 Fn. 101.



A. Grundlagen potentieller Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft323

Umgang von Staaten miteinander prägen.91 Die Verletzung einer Regel der Courtoisie stellt keinen Rechtsverstoß, sondern lediglich einen unfreund­ lichen Akt dar.92 Das Konzept der Courtoisie ist insofern dogmatisch mit dem Prinzip des Völkergewohnheitsrechts vergleichbar, als dass beide das Element der Staatenpraxis teilen.93 Der Courtoisie fehlt jedoch das Ele­ ment der opinio iuris. Allerdings argumentieren einige Völkerrechtswissen­ schaftler, dass auch der Courtoisie ein subjektives Element innewohne, das durch Erwägungen der Moral oder der Überzeugung von der Nützlichkeit des Handelns geprägt sein soll.94 Unabhängig davon kann eine Verhaltens­ vorgabe nur dann als Courtoisie angesehen werden, wenn neben der erfor­ derlichen Staatenpraxis deutlich wird, dass es sich um eine Regel handelt, deren Anwendung in bestimmten vergleichbaren Situationen nach der Ver­ kehrsanschauung erwartet wird.95 Das Konzept der Courtoisie ist damit prädestiniert für den Bereich der internationalen Katastrophenhilfe. Es lässt sich die These aufstellen, dass auch die internationale Katastro­ phenhilfe faktisch praktiziert wird und damit lediglich eine Regelung der Courtoisie, ergänzt um moralische Beweggründe, darstellt.96 In diesem Feld werden viele Staaten regelmäßig aktiv unterstützend tätig, ohne dies in Annahme einer rechtlichen Verpflichtung zu tun. Sie werden in ihrem Ver­ halten stattdessen motiviert durch Moral oder Solidarität oder der Hoffnung, in einer ähnlichen Situation auf die reziproke Einhaltung einer Verkehrssit­ te vertrauen zu können. Sofern Verhaltensvorgaben daher mangels Rechts­ überzeugung im Katastrophenhilfevölkerrecht noch nicht die Klassifikation als Völkergewohnheitsrecht erreicht haben, könnte das entsprechende Ver­ halten als Courtoisie eingeordnet werden, sofern sich eine Regel aus der vorliegenden Staatenpraxis ableiten lässt.97

91  Kämmerer, 92  Vitzthum,

Comity, MPEPIL (2006), Rdnr.  1. Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013),

Rdnr.  66. 93  Kämmerer, Comity, MPEPIL, Rdnr.  5. 94  Kämmerer, Comity, MPEPIL, Rdnr.  5. 95  Kämmerer, Comity, MPEPIL, Rdnr.  1. 96  Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts (2013), Rdnr.  66–67. 97  Verhaltensvorgaben, die bislang nur Courtoisie darstellen, können aber durch hinzutretende Rechtsüberzeugung in den Status von Völkergewohnheitsrecht erho­ ben werden, Kämmerer, Comity, MPEPIL, Rdnr.  6.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

IV. Responsibility to Protect98 Aus dem Prinzip der Schutzverantwortung an sich,  – das auch als insti­ tutionalisierte Form von Solidarität eingeordnet wird99  – können für die Staatengemeinschaft mangels Rechtsverbindlichkeit keine positiven Verhal­ tenspflichten abgeleitet werden. Allenfalls in den Fällen, in denen das Ver­ halten des betroffenen Staates im Katastrophenfall einen der vier von der Schutzverantwortung erfassten Tatbestand erfüllt, kann die Anwendung in Erwägung zu ziehen sein.100

V. Menschenrechte Als dogmatische Grundlage für Verhaltenspflichten der Staatengemein­ schaft gegenüber dem von einer Katastrophe betroffenen Staat und dessen Bevölkerung könnte man auch darauf abstellen, dass sich Hilfspflichten aus den Menschenrechten ableiten lassen.101 Menschenrechtliche Verpflichtun­ gen verpflichten indes den jeweiligen Vertragsstaat nur, die Menschenrechte auf dem eigenen Staatsgebiet bzw. in den unser seiner effektiven Kontrolle befindlichen Gebiete zu beachten.102 Extraterritorial sind menschenrecht­ liche Verpflichtungen daher nicht anwendbar. Nicht von einer Katastrophe betroffene Staaten müssen folglich im Katastrophenfall nicht etwa zum Schutz des Rechts auf Leben der betroffenen Bevölkerung in einem anderen Staat Hilfe leisten. Gleiches gilt auch, wenn eigene Staatsangehörige in fremdem Staatsgebiet betroffen sind. Aus den Menschenrechten können sich allein ex ante Verpflichtungen zur Vermeidung des Übergreifens der Kata­ strophensituation auf die eigene, im Land befindliche Bevölkerung ableiten lassen. Die Menschenrechte an sich können als dogmatisches Fundament für Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft gegenüber anderen Staaten nicht herangezogen werden.

98  Siehe

zu diesem Themenkomplex Teil  2, Kapitel A., Abschnitt I.2.d). Solidarity, principle of, MPEPIL, Rdnr.  22; Boisson de Chazounes, Responsibility to Protect: Reflecting Solidarity (2010), 103, 104. 100  Siehe hierzu Teil  2, Kapitel  C., Abschnitt IV. 101  Dann, Solidarity and the Law of Development Cooperation (2010), 59. 102  Siehe hierzu nur IGH, Advisory Opinion – Palestinian Wall (9. Juli 2004) ICJ Reports 2004, 136, 180, para. 111, sowie Art. 2 Abs. 1 IPbpR und Art. 2 Abs. 1 ­IPwskR. 99  Campanelli,



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft325

VI. Ergebnis Orientierungspunkte für Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft bei Katastrophen sind die Konzepte der Solidarität und der Kooperation. Beide Konzepte sind zwar noch nicht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, so dass ihnen de lege lata keine materielle Bindungskraft zukommt. Sie kön­ nen aber zur Auslegung unklarer Verhaltensvorgaben und Verstärkung ihrer rechtlichen Wirkungsmacht herangezogen werden. Zudem dienen sie der Beschreibung eines aktuellen Konstitutionalisierungsprozesses im Völker­ recht, der durch Gemeinschaftsinteressen geprägt ist. Die Verhaltensweisen, die Staaten ohne rechtliche Verpflichtung vornehmen, können daneben am ehesten als Courtoisie eingeordnet werden.

B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft Nachdem etabliert wurde, welche dogmatischen Konzepte dem Verhältnis zwischen betroffenem Staat und Staatengemeinschaft zu Grunde liegen, soll im nachfolgenden Kapitel herausgearbeitet werden, welche Rechte und Pflichten der Staatengemeinschaft im Katastrophenfall bestehen. Hierbei wird in einem ersten Schritt untersucht, ob das Anbieten von Katstrophen­ hilfe eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des betroffenen Staates darstellt. Im zweiten Abschnitt werden etwaige Hilfspflichten der Staatengemeinschaft auf ihre rechtliche Verbindlichkeit aus völkervertragli­ cher und gewohnheitsrechtlicher Perspektive untersucht. Abschließend wird auf die operativen Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft ein Blick geworfen, die einzuhalten sind, wenn Katastrophenhilfe von dem betroffe­ nen Staat angenommen wird.

I. Völkerrechtliche Rechte der Staatengemeinschaft im Verhältnis zu dem betroffenen Staat 1. Recht der Staatengemeinschaft und Internationaler Organisationen, dem betroffenen Staat Hilfe anzubieten Es lässt sich argumentieren, dass nicht betroffene Staaten als Ausdruck ihrer Solidarität und nicht Konsequenz einer Rechtspflicht103 ein Recht ha­ 103  Äußerung Finnlands auch im Namen der nordischen Staaten in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  60.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

ben, dem betroffenen Staat im Katastrophenfall Hilfe anzubieten.104 Jeder souveräne Staat habe in Anlehnung an die Lotus-Doktrin das Recht, Hilfe anzubieten, da es diesbezüglich kein explizites Verbot gebe.105 Unterstüt­ zung findet ihre Argumentation im Nicaragua-Urteil des IGH von 1986. Das Gericht stellte fest, dass sogar die tatsächliche Erbringung rein humanitärer Hilfe zugunsten von Staatsangehörigen oder Streitkräften eines anderen Staates außerhalb dessen Staatsgebiet keinen Verstoß gegen das Interventi­ onsverbot darstelle.106 Hieraus kann e contrario geschlossen werden, dass der IGH auch das Angebot von Hilfe zunächst nicht als Verstoß gegen das Interventionsverbot einordnen würden. Die für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht erforderliche Staa­ tenpraxis zeigt sich etwa darin, dass in vergangenen Katastrophenfällen zahlreiche Staaten ihre Hilfsbereitschaft kundgetan haben und kein betrof­ fener Staat gegen das Hilfsangebot protestiert hat. Die erforderliche Rechts­ überzeugung lässt sich anhand der Diskussionen im Rechtsausschuss der Vereinten Nationen zu den DAPPED entnehmen.107 Gemäß Art. 16 DAP­ PED108 haben Staaten, die Vereinten Nationen und zwischenstaatliche Orga­ nisationen das Recht, dem von einer Katastrophe betroffenen Staat Hilfe anzubieten. Auch Nichtregierungsorganisationen dürfen ihm Hilfe anbieten. Die Vorschrift wurde von der Staatengemeinschaft in der Mehrheit positiv aufgenommen.109 Kein Staat hat offensiven Protest gegen die Vorschrift eingelegt. China hat nur subversiv kritisiert, dass die Terminologie von 104  Vukas, Humanitarian Assistance in Cases of Emergency, MPEPIL (2013), Rdnr.  23. 105  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3. Juni; 4. Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Rdnr. 282. 106  IGH, Nicaragua (27.  Juni 1986) ICJ Reports 1986, 14, 75 para. 242. Die Aussage kann indes nicht als obiter dictum gewertet werden, sondern muss in Ab­ grenzung zu den tatsächlich von den USA erbrachten Unterstützungsmethoden der Contras gewertet werden. 107  Siehe hierzu ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memoran­ dum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  64; ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9. April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Rdnr. 44. 108  „Article 16 [12] Offers of external assistance: In responding to disasters, States, the United Nations, and other competent intergovernmental organizations have the right to offer assistance to the affected State. Relevant non-governmental organizations may also offer assistance to the affected State.“ (ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15.  Mai 2014)). 109  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652, Rdnr.  44.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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‚Rechten‘ und ‚Pflichten‘ im Katastrophenfall nicht weiterführend sei, da man einem Recht der Staatengemeinschaft keine Pflicht des Staats gegen­ überstellen könne.110 Die Einräumung eines Rechts, Hilfe anzubieten, wurde aber zumindest nicht als völkerrechtswidrig eingeordnet. Angesichts der zahlreichen Hinweise auf eine völkergewohnheitsrechtliche Verankerung des Rechts, dem betroffenen Staat Hilfe anzubieten, haben einige Staaten in den Diskussionen des Rechtsausschusses der UN-Generalversammlung Art. 16 DAPPED sogar als überflüssig angesehen.111 Dennoch darf nicht vernachlässigt werden, dass andere Staaten demge­ genüber mit ihren Äußerungen angedeutet haben, dass ein entsprechendes Bedürfnis für eine Klarstellung der Legalität von Hilfsangeboten besteht. Chile stellte den Vorschlag vor, Hilfsangebote per se nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu behandeln.112 Mexiko betonte, dass das Recht, Hilfe anzubieten, im Einklang mit dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates ausgeübt werden müsse und die Grundsätze der Souveränität und Hauptverantwortung des betroffenen Staates zu berücksichtigen seien.113 Auch die Framework Convention on Civil Defense Assistance enthält die Aussage, dass Hilfsangebote nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates gewertet werden sollten.114 Gleiches gilt für völkerrechtswissenschaftliche Organisationen und private Initiativen.115 Eine Subsumtion unter das völkergewohnheitsrechtliche Interventionsver­ bot zeigt schließlich, dass die explizite Einordnung des Rechts, Hilfe anzu­ bieten, wie sie etwa in Art. 16  DAPPED enthalten ist, keineswegs pauschal 110  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  No­ vember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  42. 111  Siehe z. B. Großbritannien (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  45); Malaysia (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 19th meeting‘ (4.  Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.19, Rdnr.  110); Österreich (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/ SR.23, Rdnr.  25); Russland (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  37); USA (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  69). 112  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  10. 113  Äußerung Mexikos in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22Rdnr.  20. 114  Art. 3 lit. b) Abs. 2 FCCDA. 115  Macalister-Smith/Max Planck Institute for Comparative Law and International Law, Draft International Guidelines for Humanitarian Assistance Operations (1991) ‚ Art. 10; Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session Art. IV Abs. 1.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

als überflüssig anzusehen ist. Sie trifft eine wichtige Grundsatzentscheidung, die die Fortentwicklung des Interventionsverbotes unter Berücksichtigung der zunehmenden Bedeutung der Menschenrechte und damit einhergehenden Mediatisierung des Völkerrechts wiederspiegelt. Das völkergewohnheits­ rechtlich anerkannte und aus der souveränen Gleichheit aller Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) abgeleitete Interventionsverbot besagt, dass es den Staa­ ten untersagt ist, sich in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines an­ deren Staates einzumischen.116 Zunächst ist bei Hilfsangeboten fraglich, ob in einer bloßen Hilfsofferte tatbestandlich überhaupt eine ‚Einmischung‘ ge­ sehen werden kann. Im 19. Jahrhundert wurde von einer Einmischung nur bei militärischer Gewaltanwendung und Beeinträchtigung der territorialen Inte­ grität ausgegangen.117 Der heute geltende erweiterte Interventionsbegriff geht darüber hinaus und verbietet jegliche, durch den Einsatz von Zwangsmitteln erfolgende Beeinträchtigung der Autonomie eines Staates bei der Ausgestal­ tung seiner inneren Ordnung.118 Bei einer bloßen Hilfsofferte wird die Auto­ nomie des von einer Katastrophe betroffenen Staates aber noch nicht einge­ schränkt. Es bleibt ihm unbenommen, die Offerte nicht anzunehmen. Auch wenn damit die Pflicht verbunden ist, das Hilfsangebot nicht willkürlich ab­ zulehnen, bleibt dem betroffenen Staat die alleinige Entscheidung über die Ablehnung und die Durchführung der Willkürprüfung unbenommen. Ein möglicher diplomatischer Druck zur Annahme, der durch eingehende Hilfs­ angebote ausgeübt wird, genügt nicht, um den Tatbestand der Einmischung zu erfüllen, sofern sie keinen bedrohenden Charakter aufweisen.119 Ferner ist fraglich, ob eine Einmischung die ‚inneren Angelegenheiten‘ des betroffenen Staates tangieren würde. Der Begriff der ‚inneren Angele­ genheiten‘ wird auch als domaine réservé beschrieben und bezieht sich auf all diejenigen Angelegenheiten, die nicht einer völkerrechtlichen Regelung unterworfen sind.120 Dies betriff im Wesentlichen die Ausgestaltung der innerstaatlichen Verfassungs- und Wirtschaftsordnung.121 Bei schweren Menschenrechtsverletzungen kann sich der betroffene Staat nach herrschen­ der Meinung aber nicht auf seine inneren Angelegenheiten berufen, da der Bestand vieler Menschenrechte völkergewohnheitsrechtlich bindend ist. Dies gilt insbesondere bei Verletzungen von solchen Menschenrechten, de­ 116  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 797; Kunig, Intervention, Prohibition of, MPEPIL, Rdnr.  1. 117  Stein/von Buttlar, Völkerrecht (2009), Rdnr.  632. 118  Stein/von Buttlar, Völkerrecht (2009), Rdnr.  633; Kunig, Intervention, Prohi­ bition of, MPEPIL, Rdnr.  6. 119  Kunig, Intervention, Prohibition of, MPEPIL, Rdnr.  27. 120  Kunig, Intervention, Prohibition of, MPEPIL, Rdnr.  3. 121  Stein/von Buttlar, Völkerrecht (2009), Rdnr.  639.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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ren Erfüllung erga omnes geschuldet ist.122 Führt die Untätigkeit eines von einer Katastrophe betroffenen Staates oder unzureichende Katastrophenhilfe zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen der betroffenen Bevölkerung,123 so tangieren Hilfsangebote damit nicht mehr nur die „inneren Angelegen­ heiten“ des betroffenen Staates. Gleiches gilt auch für Hilfsangebote für die Vereinten Nationen und die mögliche Verletzung des Interventionsverbotes nach Art. 2 Abs. 7 UN-Charta, da auch hier die Menschenrechte zum ‚inter­ ventionsfreien Bereich‘ gehören.124 Hilfsangebote erfüllen damit nicht den Tatbestand des Interventionsverbo­ tes, da es insbesondere an der ‚Einmischung‘ fehlt. Art. 16 DAPPED hat damit im Grundsatz nur eine Klarstellungsfunktion. Er könnte allenfalls dann eingreifen, wenn die Art der Hilfsofferte Zwangscharakter hat und damit das Einmischungselement des Interventionsverbotes erfüllt wäre.125 Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Staat unter Androhung von Kon­ sequenzen zur Annahme der Hilfe aufgefordert wird oder das Hilfsangebot nicht mündlich, sondern durch bereits erfolgte oder angedrohte Stationie­ rung von ausländischen Hilfskräften an der Grenze zum betroffenen Staat mitgeteilt wird und dadurch der Eindruck erweckt wird, das Angebot nicht mehr ablehnen zu können. Indes sind aber auch in diesem Fall die Ent­ wurfsartikel der ILC im Einklang mit dem Völkerrecht zu interpretieren. Eine Auslegung, die Art. 16 DAPPED auch dann für anwendbar hält, wenn das Hilfsangebot im Widerspruch zu den Grundsätzen und Zielen der Ver­ einten Nationen steht, kann nicht von den Staaten gewollt sein. Art. 16 DAPPED muss daher bei völkerrechtswidrig ausgeführten Hilfsangeboten als unanwendbar angesehen werden und hilft nicht über eine potentielle Verletzung des Interventionsverbotes hinweg. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Staatengemein­ schaft im Katastrophenfall berechtigt ist, dem betroffenen Staat Hilfe anzu­ bieten. Dies folgt aus einer Subsumtion unter das Interventionsverbot und ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. 2. Recht, den eigenen Staatsangehörigen auf dem Staatsgebiet des betroffenen Staates Hilfe zu leisten Es lässt sich die These aufstellen, dass ein Staat im Katastrophenfall auf fremdem Staatsgebiet das dortige Staatsgebiet zumindest mit dem Zweck 122  Stein/von

Buttlar, Völkerrecht (2009), Rdnr.  640 f. hierzu oben Teil  2, Kapitel  B., Abschnitt I.2. 124  Stein/von Buttlar, Völkerrecht (2009), Rdnr.  661. 125  Kunig, Intervention, Prohibition of, MPEPIL, Rdnr.  27. 123  Siehe

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

betreten kann, die eigenen, durch die Katastrophe in eine Bedrohungssitua­ tion geratenen Staatsangehörigen aus dem betroffenen Staat herauszuholen. Die Rettung eigener, sich im Ausland befindlicher Staatsangehöriger zum Schutz vor massiver Bedrohungen gegen Leib und Leben ist im Grundsatz völkergewohnheitsrechtlich zulässig.126 Erlaubt ist dabei allerdings aus­ schließlich das Evakuieren der Staatsangehörigen, um sie auf das eigene Staatsgebiet zurückzuführen.127 In der Völkerrechtswissenschaft ist dies zwar umstritten und die dogmatische Begründung nicht abschließend geklärt.128 Insbesondere der Einsatz militärischer Mittel für die Rettung der Staatsange­ hörigen wird im Schrifttum, aber auch von einer Vielzahl von Staaten kritisch gesehen.129 Teilweise wird von einer tatbestandlichen Rückausnahme vom allgemeinen Gewaltverbot ausgegangen, die nur solche Interventionen ver­ biete, die sich gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit richten.130 Alternativ lässt sich auch auf Rechtfertigungsebene mit den Instru­ menten der Selbstverteidigung oder Nothilfe argumentieren.131 Unabhängig von der dogmatischen Begründung hat sich eine entsprechende von allgemei­ ner Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis herausgebildet.132 Beispiele bilden u. a. die Evakuierungen der USA im Iran 1980, Grenada 1983 und Panama 1989, von Belgien im Kongo 1960 und 1964, von Israel in Uganda 1976 und durch die Bundesrepublik Deutschland in Albanien 1997,133 Libyen 2011 (gemeinsam mit weiteren EU-Mitgliedstaaten)134 und im Südsudan 126  Kempen/Hillgruber, Völkerrecht (2007), 7.  Kapitel, § 35, Rdnr.  111; Kunig, Intervention, Prohibition of, MPEPIL, Rdnr. 42; dagegen aber Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 831. 127  Kempen/Hillgruber, Völkerrecht (2007), 7.  Kapitel, § 35, Rdnr.  112; Ruys, The ‚Protection of Nationals‘ Doctrine Revisited, 13 JCSL (2008), 233 (234), der diesbezüglich auf den in vielen Militärhandbüchern enthaltenen und weniger für Missbrauch anfälligen Begriff der „non-combatant evacuation operations“ rekurriert. 128  Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 831; Peters, ‚Die Pflicht zum Eingreifen‘ NZZ (26.  Februar 2011) . 129  Ruys, 13 JCSL (2008), 233 f. 130  Kempen/Hillgruber, Völkerrecht (2007), 7.  Kapitel, § 35, Rdnr.  112. 131  Kreß, Die Rettungsoperation der Bundeswehr in Albanien am 14.  März 1997 aus völker- und verfassungsrechtlicher Sicht, 57 ZaöRV (1997), 329 (340–349). 132  Zur Aufzählung der Beispielsfälle mit weiteren Nachweisen Kempen/Hillgruber, Völkerrecht (2007), 7.  Kapitel, § 35, Rdnr.  111 und Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 830 f. 133  Hierzu Kreß, 57 ZaöRV (1997), 329 ff. 134  Europäische Kommission, Konsularischer Schutz für alle EU-Bürger (23.  März 2011) ; Forni, The Consular Protection of EU Citizens during Emergencies in Third Countries, in: de Guttry/Gestri/Venturini (Hrsg.), International Disaster Response Law (2012), 7.  Ka­ pitel, 161 (zur Verpflichtung von EU-Staaten, im Katastrophenfall außerhalb des



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft331

2013.135 Auch im Katastrophenfall gab es in der Vergangenheit bereits einige Beispiele für die Evakuierung eigener Staatsangehöriger. In Zusammenhang mit dem Erdbeben in Fukushima / Japan 2011 charterte die Bundesrepublik Deutschland einen Bus, um Deutsche und achtzehn weitere EU-Bürger aus der Katastrophenregion Sendai zu evakuieren.136 China hat nach dem Erdbe­ ben in Nepal 2015 zivile, aber auch militärische Flugzeuge in das Land ge­ sendet, um eigene Staatsbürger zu evakuieren.137 Infizierte medizinischer Helfer wurden während der Ebola-Epidemie ebenfalls in ihre Heimatstaaten evakuiert, im Falle Großbritanniens sogar mit einem Flugzeug der Luftwaf­ fe.138 Sofern im Ausland befindliche Staatsangehörige in einem Katastro­ phenfall schweren Bedrohungen für Leib und Leben ausgesetzt sind, kann ihre Evakuierung durch den Heimatstaat ohne Einsatz militärischer Gewalt nicht als völkerrechtswidrig eingeordnet werden.

II. Völkerrechtliche Pflichten der Staatengemeinschaft gegenüber dem betroffenen Staat Im nachfolgenden Abschnitt soll zunächst untersucht werden, ob völker­ vertragliche Bestimmungen nicht betroffene Staaten sowie Internationale Organisationen zur Katastrophenhilfe verpflichten, bevor auf die mögliche völkergewohnheitsrechtliche Verankerung einer Hilfspflicht eingegangen wird. EU-Gebietes auch den Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten konsularische Hilfe zukommen zu lassen). Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bundeswehreinsatzes an der Operation Pegasus in Libyen ist ein Organstreitverfahren der Partei „Die Grü­ nen“ gegen die damalige Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht an­ hängig, beck-aktuell-Redaktion, Grüne klagen wegen Bundeswehreinsatzes in Liby­ en (becklink 1015560), Verlag C.H. Beck (16. August 2011). 135  ,Heftige Kämpfe: Bundeswehr evakuiert Deutsche aus Südsudan‘ Der Spiegel (19.  Dezember 2013) . 136  Europäische Kommission, Konsularischer Schutz für alle EU-Bürger (23.  März 2011). Auch die britische Regierung verspricht ihren Staatsangehörigen, in einem Katastrophenfall im Ausland Maßnahmen zu ihrem Schutz zu ergreifen, Emergencies overseas, NI Direct , siehe zudem Department for Culture, Government Response to the NAO Review of the Experiences of UK Nationals affected by the Indian Ocean Tsunami, Cm 7184 (2007) , 8. 137  ,Progress made in protecting nationals overseas‘ China Daily (29.  April 2015) . 138  ,British citizen with Ebola being evacuated from Sierra Leone‘ (25.  August 2014) .

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

1. Einordnung der Pflicht, von Katastrophen betroffenen Staaten Hilfe anzubieten und zu leisten, als Norm des Völkervertragsrechts a) Verpflichtungen von Staaten aa) Allgemeine völkerrechtliche Verträge Aus allgemeinen völkerrechtlichen Verträgen, wie der UN-Charta oder den Menschenrechtspakten, lässt sich keine Pflicht ableiten, betroffenen Staaten Hilfe anzubieten oder zu leisten.139 Die UN-Charta enthält als Ziel­ bestimmung in Art. 1 Abs. 3 und Art. 55 zwar den Grundsatz der interna­ tionalen Zusammenarbeit, dieser wird aber hinsichtlich der gegenseitigen Unterstützung bei Katastrophenfällen außerhalb des internationalen Systems der Friedenssicherung nicht in bestimmte Verhaltenspflichten konkretisiert. Menschenrechtliche Verpflichtungen, z. B. zum Schutz von Leben und kör­ perlicher Unversehrtheit, verpflichten den jeweiligen Mitgliedstaat nur in seinem eigenen Staatsgebiet und anderen von ihm kontrollierten Gebieten.140 Eine extraterritoriale Anwendung darüber hinaus erfolgt nicht. bb) Multilaterale Verträge auf dem Gebiet des Katastrophenhilfevölkerrechts Alle multilateralen Verträge auf dem Gebiet der internationalen Katastro­ phenhilfe sehen keine Hilfeleistungspflicht vor, sondern ordnen Hilfeleis­ tung im Katastrophenfall als freiwillige Leistung ein.141 Etabliert wird dort aber zumindest die Pflicht, dass konkret angesprochene Staaten schnell auf die Hilfsanfrage reagieren und den Hilfe ersuchenden Staat über die Ent­ scheidung informieren, ob und in welchem Umfang sie Hilfe leisten kön­ 139  Ehrenberg, Internationale Katastophenhilfe (Univ. Diss. Osnabrück) (2006), 175–181. 140  Art. 2 Abs. 1 IPbpR; Art. 2 Abs. 1 ACHR; Art. 1 Abs. 1 AMRK. 141  z. B. Art. 2 Abs. 3 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Acci­ dent or Radiological Emergency; Art. 4 Abs. 3 Tampere Convention; AADMER, hier wird in Art. 11 Abs. 4 nur vorgegeben, dass die um Hilfe ersuchten Staaten rasch auf die Hilfsanfrage reagieren müssen; Art. 1 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or serious accidents; Agreement between the Swiss Federal Council and the Government of the Republic of the Philippines on Cooperation in the Event of Natural Disasters or other Major Emergencies. Siehe hierzu auch ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Os­ pina, Special Rapporteur‘ (9. April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Rdnr.  56.



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nen.142 Einzelheiten hierüber, wer und nach welchen Maßstäben die Leis­ tungsfähigkeit der angefragten Staaten bestimmt werden kann, werden in keinem der bestehenden Verträge zum IDRL näher erörtert. Die angefragten Staaten müssen dem Wortlaut der entsprechenden Verträge nach nur bekannt geben, ob sie Hilfe leisten können oder nicht, ihre Entscheidung aber nicht näher begründen. Anders beurteilt sich die Lage auf regionaler und bilateraler Ebene. Eini­ ge regionale und die Mehrzahl aller bilateralen Katastrophenhilfeverträge verpflichten die Vertragsparteien zur Hilfeleistung im Katastrophenfall im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Kapazitäten.143 Bilaterale Ver­ träge bestehen flächendeckend aber nur in Europa, so dass ihre Relevanz geographisch eng beschränkt ist. Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen darüber hinaus ohnehin nach Maßgabe von Art. 222 Abs. 2 AEUV von Naturkatastrophen betroffenen Mitgliedstaaten Hilfe leisten.144 Sowohl in den bilateralen Abkommen als auch bei Art. 222 AEUV steht die Hilfs­ verpflichtung ebenfalls unter dem Vorbehalt des Möglichen. Der angefragte Staat muss nur Hilfe leisten, wenn er hierzu in der Lage ist, d. h. insbeson­ dere über die entsprechenden Kapazitäten verfügt.145 Man kann also hier auch nur von einer modifizierten Hilfsverpflichtung sprechen. Da Maßgaben fehlen, nach denen die angefragten Staaten zur Offenlegung ihrer Gründe für die Hilfsablehnung verpflichtet werden können, kann eine potentielle Hilfspflicht durch simple Kundgabe einer ablehnenden Entscheidung um­ gangen werden. Zwar können sich entsprechende Begründungspflichten aus dem Grundgedanken der Courtoisie ergeben bzw. im Geiste der Solidarität 142  Art. 11 Abs. 4 AADMER; Art. 12 Abs. 1 S. 2 Convention on the Transbound­ ary Effects of Industrial Accidents; Art. 2 Abs. 3 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency; Art. 4 Abs. 3 Tampere Con­ vention. 143  Z. B. Art. 3 Abs. 3 BSEC Agreement on collaboration in Emergency Assis­ tance and Emergency Response to natural and man-made Disasters; Art. 1 Abs. 1 Convention on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (France/Belgium); Art. 1 Abs. 1 Convention between the French Republic and the Federal Republic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or seri­ ous accidents; Art. 13 lit. s) Agreement Establishing CDEMA. 144  In der deutschen Version kommt die Verpflichtung nicht so stark zum Aus­ druck wie in der englischen Sprachfassung: „Ist ein Mitgliedstaat von einem Terror­ anschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen, so leisten die anderen Mitgliedstaaten ihm auf Ersuchen seiner politischen Organe Unterstützung.“, während es im Englischen heißt: „Should a Member State be the object of a terrorist attack or the victim of a natural or man-made disaster, the other Member States shall assist it at the request of its political authorities.“ 145  Art. 7 Abs. 3 Rat der Europäischen Union, Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) (Text von Bedeu­ tung für den EWR) 2007/779/EG, Euratom (8.  November 2007) ABl. EU L 314/9.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

geboten sein. Nachfragen erfolgen diesbezüglich in der Praxis aber nicht. Wird eine Hilfsleistung abgelehnt, akzeptiert der betroffene Staat dies in aller Regel bzw. wendet sich an andere Staaten. Bilaterale Verträge enthal­ ten damit durch den Kapazitätsvorbehalt im Ergebnis ebenfalls keine ver­ bindliche, effektive und einforderbare Hilfsverpflichtung. cc) Sonderfall: Bereichsspezifische Verträge, die sich auf Katastrophen außerhalb jedweden Staatsgebietes beziehen Einen Sonderfall unter den Verträgen des Katastrophenschutzvölkerrechtes im weiteren Sinne bilden die Verträge, die sich mit Katastrophen außerhalb jedweden staatlichen Territoriums befassen. Für die Staatengemeinschafts­ räume der Hohen See, des Weltraums sowie der Antarktis haben die Staaten ein Bedürfnis für die grenzüberschreitende Kooperation in Katastrophenfäl­ len erkannt und entsprechend explizite Hilfeleistungspflichten normiert. Auf der Hohen See verpflichtet Art. 98 SRÜ die Kapitäne von Schiffen aller Vertragsstaaten dazu, den auf Hoher See in Seenot geratenen Personen Hilfe zu leisten.146 Art. 3 des Übereinkommens über die Rettung und Rückführung von Raumfahrern sowie die Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Ge­ genständen verpflichtet die Vertragsstaaten, den in außerhalb staatlichem Hoheitsgebiet gelandeten Raumfahrern Hilfe zu leisten.147 Landet die Besat­ zung im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, so ist diese im Falle eines Un­ falls oder Notlage gemäß Art. 2 des Übereinkommens ebenfalls zur Hilfe­ leistung verpflichtet. In der Antarktis stellen sich die Vertragsparteien gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c des Umweltschutzprotokolls zum Antarktisvertrag148 ge­ genseitig zweckdienliche Informationen über mögliche Umweltgefährdungen zur Verfügung und leisten sich gegenseitig Hilfe, um die Wirkungen von Unfällen, welche die antarktische Umwelt oder die abhängigen und verbun­ denen Ökosysteme schädigen können, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Ferner sind die Vertragsparteien zur Erstellung von Einsatzplänen für poten­ tielle Katastrophensituationen verpflichtet.149 Auch auf dem Gebiet des in­ 146  UNCLOS. Die Verpflichtung zur Hilfeleistung auf Hoher See kodifiziert im Übrigen Völkergewohnheitsrecht und darf daher auch als für Nichtvertragsstaaten verpflichtend angesehen werden, Ehrenberg, Internationale Katastophenhilfe (Univ. Diss. Osnabrück) (2006), 185. 147  Agreement on the Rescue of Astronauts, the Return of Astronauts and the Return of Objects Launched into Outer Space (Rescue and Return of Astronauts Agreement), v. 19.  Mai 1971, 672 UNTS 119. 148  Gesetz zum Umweltschutzprotokoll vom 4.  Oktober 1991 zum AntarktisVertrag, v. 22.  September 1994, 1994 BGBl. II S. 2477. 149  Art. 15 Umweltschutzprotokoll zum Antarktis-Vertrag; Art. 12 Anlage IV des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag (Verhütung der Meeresverschmut­ zung), v. 22.  September 1994, 1994 BGBl. II S. 2477.



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ternationalen Luftverkehrs wurde die Notwendigkeit der internationalen Zu­ sammenarbeit zur Vermeidung von und Reaktion auf Unglücksfälle vertrag­ lich reguliert. Art. 14 des Chicagoer Abkommens verpflichtet die Vertrags­ staaten dazu, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten durch die Luftfahrt zu verhüten.150 Die Vorschrift erlangte insbesondere im Rahmen der Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 Bedeutung.151 Art. 25 S. 1 des Chicagoer Abkommens verpflichtet die Ver­ tragsstaaten, den über ihrem Hoheitsgebiet in Not geratenen Luftfahrzeugen Hilfe zu leisten. Nach Art. 25 S. 2 wirken alle Vertragsstaaten bei der Suche nach vermissten Luftverkehrsfahrzeugen mit. Der Anhang 13 zum Chicagoer Abkommen legt darüber hinaus weitere Kooperations- und Hilfsverpflich­ tungen bei Unfällen und Zwischenfällen mit Luftfahrzeugen fest.152 Ist der Unglücksort nicht bekannt, sind die geographisch nächstgelegenen Mitglied­ staaten, nach Kapitel 5.3.1. des Annex 13 dazu verpflichtet, Hilfe bei den notwendigen Untersuchungen zu leisten. Daneben findet für den Bereich der Europäischen Union Art. 222 AEUV auch Anwendung, wenn Schiffe in in­ ternationalen Gewässern, Flugzeuge im internationalen Luftraum oder kriti­ sche Infrastrukturen außerhalb jedweden Staatsgebiets betroffen sind, sofern sie der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehen.153 Nicht völkervertraglich geregelt ist die Situation, in der eine Katastrophe in einem Staat grenzüberschreitende Auswirkungen auf fremdes Staatsgebiet hat. Zu dieser Konstellation war es nach dem Erdbeben und Tsunami in Japan 2011 gekommen, als Trümmerteile über den Pazifik an die Küsten von Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika geschwemmt wurden und dort die Umwelt verunreinigten.154 Man kann hier einerseits an eine 150  Convention on International Civil Aviation (Chicago Convention), v. 7.  De­ zember 1944 (in Kraft getreten am 4. April 1947), 1956 BGBl. II S. 411. 151  So wurden beispielsweise im Oktober 2014 Passagiere direkt nach der Lan­ dung in den USA aus einem Flugzeug evakuiert, die im Verdacht standen, sich mit Ebola infiziert zu haben, ‚Ebola-Verdacht in Boston: Sicherheitsteam holt fünf Pas­ sagiere aus Flugzeug‘ Der Spiegel (13.  Oktober 2014) . 152  Annex 13 to the Convention on International Civil Aviation (Aircraft Acci­ dent and Incident Investigation), International Civil Aviation Organization, v.  Juli 2001, . 153  Art. 2 lit. a Europäische Kommission/Hohe Vertreterin der Europäischen Uni­ on für Außen- und Sicherheitspolitik, Gemeinsamer Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union (2012/0370 (NLE)), v. 21.  Dezember 2012. 154  Ueki, Natural Disasters and the Theory of International Law, in: Caron/Kelly/ Telesetsky (Hrsg.), The International Law of Disaster Relief (2014), 2.  Kapitel, 27; Japan’s tsunami debris litters Canadian shore, Al Jazeera (23.  Juli 2013), ; Vancouver

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

privatrechtliche Verursacherhaftung denken, durch welche die Betreiberfir­ ma Tepco des Atomkraftwerks in Fukushima zur Übernahme von Schadens­ beseitigungskosten auch in anderen Staaten herangezogen werden könnte.155 Ferner kommt auch die Inanspruchnahme der staatlichen Aufsichtsbehörden, die keine ausreichende Risikovorsorge betrieben haben, in Betracht. Darü­ ber hinaus ist auch die Anwendung der Grundsätze über eine Haftung für grenzüberschreitende Schäden, die durch gefährliche Aktivitäten entstanden sind, denkbar.156 Diese greifen dann ein, wenn den Behörden des Ausgangs­ staates kein völkerrechtswidriges Fehlverhalten vorgeworfen werden kann, sondern lediglich die Gestattung gefährlicher Tätigkeiten auf seinem Staats­ gebiet.157 Lässt sich der Schadenseintritt nicht auf einen Verursacher zu­ rückverfolgen, weil es sich um keine menschengemachte Katastrophe han­ delt, so müssten die betroffenen Staaten die Beseitigung der Trümmer und entstandener Schäden nach derzeitiger Rechtslage auf eigene Kosten besei­ tigen. Im Grundsatz sind sie dann ebenfalls als  – sekundär bzw. zeitverzö­ gert  – betroffene Staaten im Sinne des Katastrophenhilfevölkerrechts anzu­ sehen und können ihrerseits versuchen, internationale Hilfe zur Schadensbe­ seitigung anzufordern. dd) Zwischenergebnis zum völkervertraglichen Stand von Hilfspflichten der Staatengemeinschaft Eine Betrachtung der völkerrechtlichen Verträge und ihrer Bestimmungen zu Hilfsverpflichtungen der Staatengemeinschaft ergibt ein differenziertes Bild der Staatenpraxis. Allgemeine multilaterale Verträge des Katastrophen­ hilfevölkerrechts sind zurückhaltend, was die Normierung einer Hilfspflicht anderer Staaten betrifft. Eine explizite Pflicht, Hilfe anzubieten oder zu leisten, findet sich nicht, sondern nur die Pflicht, zeitnah auf Hilfsanfragen zu reagieren. Regionale und bilaterale Verträge wurden demgegenüber gera­ de mit dem Zweck der gegenseitigen Einstandspflicht geschlossen. Sie sind Aquarium/World Wildlife Fund, Shoreline Cleanup: Shorelines Under Threat, . 155  In den USA etwa durch Anwendung des Alien Tort Claims Act von 1798 (28 U.S.C. § 1350), der besagt: „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States.“ 156  Die Grundsätze werden als in der Entstehung befindliches Völkergewohn­ heitsrecht aufgefasst, Douhan, Liability for Environmental Damage, MPEPIL (2013), Rdnr.  8. 157  Siehe hierzu v. a. Prinzip 4 und 5 der ILC, ‚Draft principles on the allocation of loss in the case of transboundary harm arising out of hazardous activities, 2006 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eigth session)‘ (2006) UN Doc. A/61/10.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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aber hauptsächlich in der Europäischen Union verbreitet. Zudem stehen die dort normierten Hilfspflichten unter einen Kapazitätsvorbehalt. Die große Mehrheit der Staaten ist damit völkervertraglich nicht zur Katastrophenhilfe gegenüber einem betroffenen Staat verpflichtet. Ein anderes Bild ergibt sich indes für Katastrophen in staatsfreien Gebieten und besonders grenzüber­ schreitenden Aktivitäten wie dem Luftverkehr. In diesen Bereichen ver­ pflichten bereichsspezifische Abkommen die jeweiligen Mitgliedstaaten ausdrücklich zur gegenseitigen Hilfe in bestimmten Notfallsituationen. b) Verpflichtungen von Internationalen Organisationen: Institutionalisierte Herangehensweise an Katastrophen158 Verpflichtungen von internationalen Organisationen im Katastrophenfall können nur in dem Umfang bestehen, wie dies ihre Statuten erlauben. In­ ternationale Organisationen, die auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe aktiv sein wollen, müssen sich im Rahmen ihres Mandates nach Maßgabe ihrer Gründungsstatute oder durch Beitritt bzw. Ausarbeitung bereichsspezifischer Verträge verbindlich zur Katastrophenhilfe verpflichten. Eine allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung von internationalen Organisatio­ nen, im Katastrophenfall Hilfe zu leisten, besteht nicht. Die Rechtspersön­ lichkeit einer internationalen Organisation ist inhaltlich auf die Verfolgung des Organisationszweckes beschränkt. So ist gewährleistet, dass die Organi­ sation nicht die von den Mitgliedstaaten übertragenen Befugnisse über­ schreitet und die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt werden kann. In der Praxis haben sich zum einen regionale Katastrophenschutzorganisa­ tionen gegründet und statuarisch zur Katastrophenhilfe verpflichtet.159 Zu­ 158  Auf die Rolle der internationalen Organisationen wird in dieser Arbeit nur im Überblick eingegangen. Ihre Funktionsweise und Bedeutung sowie die sich da­raus ableitbaren Institutionalisierungsvorschläge für die Zukunft können nur anhand einer Einzelfallanalyse ihrer Statuten, Resolutionen sowie der jeweiligen Katastrophenfäl­ le, an deren Aufarbeitung sie beteiligt sind, umfassend evaluiert werden. Dies gilt insbesondere für die Organisationen, die unter dem Dach der Vereinten Nationen zusammengefasst und mit teils eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind, wie die WHO. Siehe im Schrifttum hierzu z. B. zur Rolle von internationalen Organisa­ tionen im Rahmen des Erdbebens in Japan 2011 instruktiv Nishimoto, The Role of International Organizations in Disaster Response: A Case Study of Recent Earth­ quakes in Japan, in: Caron/Kelly/Telesetsky (Hrsg.), The International Law of Di­ saster Relief (2014), 15.  Kapitel, 295–313; zur Rolle von internationalen Organisa­ tionen und ihrem Einsatz im Katastrophenfall allgemein auch IFRK, ‚Law and legal issues in international disaster response: a desk study‘ (2007) Kapitel  4, 62–79. 159  Art. 4 Agreement Establishing CDEMA; Art. 2 Andean Council of Foreign Ministers, Creation of the Andean Committee for Disaster Prevention and Care ­(CAPRADE), Decision 529.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

dem gibt es bereichsspezifisch tätige Organisationen, die sich zur Hilfe bei bestimmten Arten von Katastrophen verpflichtet haben.160 Auch universal agierende internationale Organisationen, wie die Vereinten Nationen mit OCHA,161 sowie regionale zwischenstaatliche Organisationen162 wie die Eu­ ropäische Union163, die NATO164, die Afrikanische Union165, ECOWAS166, 160  Nach Art. 2 Abs. 6 sowie Art. 5 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency ist die Internationale Atomenergiebe­ hörde (IAEA) verpflichtet, bei einem nuklearen Unfall oder radiologischen Notfall dem betroffenen Staat Ressourcen zur Verfügung zu stellen, seine Hilfsanfragen an andere Mitgliedstaaten sowie möglicherweise hilfreiche Internationale Organisatio­ nen weiterzuleiten und, auf Wunsch, die Hilfe zu koordinieren. Für den Bereich des Weltraums zu nennen ist auch die Internationale Charta für Weltraum- und Naturkatastrophen (Charter On Cooperation To Achieve The Coordi­ nated Use Of Space Facilities In The Event Of Natural Or Technological Disasters v. 25.  April 2000, Rev.3 (25/4/2000).2 ). Sie liefert im Katastrophenfall Satellitendaten und -bilder aus dem Weltraum, um einen möglichst genauen Überblick über das Ausmaß der Kata­ strophen zu vermitteln. Es handelt sich hier aufgrund fehlender institutioneller Or­ gane wie einem Direktorat und einer Vollversammlung zwar um keine internationa­ le Organisation. Dennoch ist die Charta als organisationsähnlich aufzufassen, da sie über die teilnehmenden Raumfahrtorganisationen, die fast allesamt staatlichen Ur­ sprungs sind, unmittelbar auf die staatliche Ebene zurückbezogen werden kann. Neben privaten Mitgliedern wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sind die Mehrheit der Mitglieder nationale staatliche Raumfahrtbehörden. Hierzu zählen die Europäische Weltraumbehörde (ESA), das französische Weltraumbehörde (CNES), die kanadische Weltraumbehörde (CSA), die indische Weltraumforschungs­ organisation (ISRO), die US-amerikanische Nationale Ozean- und Atmosphärenver­ waltung (NOAA), die US-amerikanische Behörde des Innenministeriums für Karto­ grafie (USGS), die argentinische Nationale Kommission für Weltraumaktivitäten (CONAE), die japanische Agentur für Weltraumerforschung (JAXA), die britische Weltraumbehörde (im Zusammenschluss mit der privaten Gesellschaft DMC Inter­ national Imaging Ltd. sowie der algerischen, nigerianischen und türkischen Welt­ raumbehörde), die chinesische Weltraumbehörde (CNSA), das brasilianische Institut für Weltraumforschung (INPE) und die russische nationale Weltraumbehörde (Roscosmos), siehe International Charter on Space and Major Disasters, Charter Members, . Im Bereich des Seevölkerrechts nimmt die Internationale Seeschifffahrtsorganisa­ tion (IMO) eine wichtige Rolle bei der Vermeidung der Verschmutzung der Meeres­ umwelt wahr. 161  Art. I Abs. 12 UNGA, Res 46/182 (19.  Dezember 1991) UN Doc. A/ RES/46/182. Siehe hierzu auch Vukas, Humanitarian Assistance in Cases of Emer­ gency, MPEPIL, Rdnr.  12. 162  Die Bedeutung regionaler Organisationen wurde auch vom UN-Sicherheitsrat hervorgehoben, UN Security Council, Res 2177 (2014) (18.  September 2014) UN Doc. S/RES/2177 (2014), Klausel 8. 163  Art. 222 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Kon­ solidierte Fassung (AEUV); siehe zu den Aufgaben der Kommission auch Art. 5 der Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung).



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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ASEAN 167 und OAS.168 Im Rahmen des UN-Systems spielt für die interna­ tionale Katastrophenhilfe als Sonderorganisation die WHO eine wichtige Rolle im Katastrophenfall.169 Die Aufgabe der WHO ist es gemäß Art. 1 ihrer Verfassung170, die weltweite Gesundheit aller Menschen zu erreichen. Nach Art. 2 lit. d der Verfassung gehört dazu explizit auch die technische Unter­ stützung und, im Katastrophenfall, auch die Bereitstellung von notwendiger Hilfe für die betroffenen Staaten. Auch internationale Finanzinstitutionen als Sonderorganisationen im UN-System sind Verpflichtungen zur finanziellen Unterstützung im Katastrophenfall eingegangen. So hat der Internationale Währungsfond nach dem Erdbeben in Haiti 2010 einen ständigen Katastro­ phenhilfe-Fonds errichtet, der den von der Katastrophe betroffenen Ländern den Schuldenerlass gestattet.171 Internationale Organisationen sind nicht selten insbesondere mit der Koor­ dination von (staatlicher) Hilfe überfordert, wie die Beispiele Haiti 2010 und die Ebola-Epidemie 2014 / 15 gezeigt haben.172 In den vergangenen Jahren hat vor diesem Hintergrund die Bedeutung von regionalen Organisationen bei 164  Siehe

hierzu Teil  1, Kapitel A., Abschnitt I.7.a). Afrikanische Union wird einzelfallbezogen im Katastrophenhfall tätig. So wurde z. B. anlässlich des Ebola-Ausbruchs in Westafrika eine humanitäre Mis­ sion zur medizinischen Unterstützung in die betroffenen Gebiete entsandt, die Af­ rican Union Response to Ebola Outbreak in West Africa (ASEOWA), Emergency meeting of the Executive Council of the African Union, reliefweb (8.  September 2014), . 166  Abschnitt 4.5. (3) ECOWAS/Humanitarian Affairs Department, ‚ECOWAS Policy for Disaster Risk Reduction‘ (2006). 167  The Declaration of ASEAN Concord I, Bali, Indonesia, v. 24.  Februar 1976, . 168  Die OAS beteiligt sich vor allem durch die Koordination von Kooperation zwischen den beteiligten Helfern und dem betroffenen Staat an Katastrophenhilfe, Art. 3 lit. c Inter-American Convention to Facilitate Disaster Assistance. 169  Siehe zur Rolle der WHO während der Ebola-Epidemie in Westafrika Hübler, FIP Online (2015), 20 f., 26. 170  WHO Constitution. 171  Post-Catastrophe Debt Relief (PCDR). Im Fall Haitis wurde dem Land über den Fonds alle offenen Schulden gegenüber dem IMF erlassen, IMF, Factsheet: The IMF’s Post-Catastrophe Debt Relief Trust (September 2014) . 172  Pan American Health Organization, ‚Health response to the eartquake in Haiti 2010: Lessons to be learned for the next massive sudden-onset disaster‘ (2010)

135; Global health agencies were too slow in responding to the Ebola crisis, Vox Media (14.  Mai 2015), . 165  Die

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

der Katastrophenhilfe zugenommen.173 Regionale Organisationen sind in der Lage, innerhalb kurzer Zeit effektive Hilfe zu leisten, da sie in aller Regel gut mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut sind und generell auf eine erhöhte Akzeptanz seitens der (an ihnen ggf. als Mitgliedsstaaten beteiligten) regio­ nalen Regierungen stoßen. Die Kommunikations- und politischen Widerstän­ de sind geringer als gegenüber regionsfremden Staaten. So hat ASEAN nach Zyklon Nargis 2008 in Myanmar entscheidend dazu beigetragen, den Wider­ stand der myanmarischen Militärregierung gegenüber ausländischer Hilfe zu brechen und humanitären Zugang zu den betroffenen Regionen zu ermögli­ chen.174 Zudem leitete ASEAN die Tripartite Core Group, die gegründet wur­ de, um die Kooperation zwischen Myanmar und der internationalen Staaten­ gemeinschaft zur Ermöglichung von humanitärer Hilfe im Katastrophenfall und zum Zwecke des Wiederaufbaus nach Zyklon Nargis zu erleichtern.175 In Westafrika nahm ECOWAS bereits 2014 eine Führungsrolle in der Bekämp­ fung der Ebola-Epidemie ein. Die Organisation erklärte bereits sechs Monate vor der WHO, im März 2014, dass Ebola eine Bedrohung für die regionale Sicherheit darstellt und initiierte eine Reihe von High-Level Meetings und Konsultationen, um die betroffenen Regierungen zu unterstützen.176 Ein sehr effizientes System zur gegenseitigen Katastrophenhilfe ist ferner der Europäi­ sche Zivilschutzmechanismus der Europäischen Union.177 Das Emergency 173  Siehe hierzu The Brookings Institution  – London School of Economics: Pro­ ject on Internal Displacement, ‚In the neighborhood: The growing role of regional organizations in disaster risk management‘ (2003) . Zur Rolle von Internationalen Organisationen, insbesondere regionaler Organisationen, im Katastrophenfall ausführlich ferner Hollis, The Role of Regional Organizations in Disaster Risk Management: A Strategy (2015), Kapitel  1, 1–12. 174  Humanitarian Policy Institute, ‚Regional organisations and humanitarian ac­ tion: the case of ASEAN‘ (2014) , 4. 175  Die Tripartite Core Group wurde zusammengesetzt aus je drei Repräsentanten der burmesischen Regierung, von ASEAN und den Vereinten Nationen, Tripartite Core Group, ‚Myanmar: 1st press release of Tripartite Core Group‘ (24.  Juni 2008) . Ihr Abschlussbericht ist abrufbar unter Tripartite Core Group, ‚Post-Nargis Joint Assessment‘ (2008) . 176  Yaya, In Ebola Response, ECOWAS Offers Best Hope of Progress (13.  Au­ gust 2015) . 177  Siehe hierzu z. B. Rat der Europäischen Union, Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) (Text von Bedeutung für den EWR) 2007/779/EG, Euratom (8.  November 2007) ABl. EU L 314/9.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft341

Response Coordination Centre hat im Rahmen des Europäischen Zivilschutz­ mechanismus Zugriff auf die Katastrophenschutzkapazitäten und -ressourcen von 31 Ländern, die zur Katastrophenhilfe innerhalb und außerhalb der Euro­ päischen Union eingesetzt werden können. Neben den Vorstößen von regionalen Organisationen gibt es mittlerweile auch auf globaler Ebene erste Tendenzen, die auf eine Verbesserung der internationalen Koordination und effektiven Einbeziehung von internationa­ len Organisationen zumindest dem Grunde nach hindeuten. Das ClusterSystem von OCHA ist ein erster Ansatz, wie Synergien zwischen verschie­ denen internationalen Organisationen und ihren Unterorganisationen ge­ schaffen werden können. Da es sich bei OCHA aber nur um eine Abteilung des Generalsekretariats handelt, sind ihre jedoch Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, wie die Ebola-Epidemie in Westafrika deutlich gemacht hat. So war für die internationale Reaktion auf die Ebola-Epidemie die WHO und nicht OCHA zuständig. Die WHO ist jedoch keine operative Organisa­ tion, sondern kann nur durch Verwaltungsmaßnahmen und den Erlass von Gesundheitsregularien reagieren.178 Aufgrund dieser Aufgabenverteilung ist auch in Zukunft nicht in jedem Katastrophenfall, abhängig von der Art der Katastrophe, eine optimal koordinierte Reaktion möglich. Dass die Staaten­ gemeinschaft auch auf internationaler Ebene zunehmend positiv einer insti­ tutionalisierten Herangehensweise an Großkatastrophen gegenübersteht, zeigt die Reaktion auf die Ebola-Epidemie, bei der die Global Ebola Res­ ponse ins Leben gerufen wurde.179 Dieses Aktionsbündnis wurde von den Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit verschiedenen anderen interna­ tionalen Organisationen zur operativen Ausführung internationaler Katastro­ phenhilfe gegründet. Durch den gleichfalls gegründeten Ebola Response Multi-Partner Trust Fund wurde die kohärente Verteilung der von den Ver­ einten Nationen und den Mitgliedstaaten in diesem Rahmen bereitgestellten finanziellen Mitteln gewährleistet. Diese Konstruktion könnte für eine per­ manente Institutionalisierung der Katastrophenhilfe zum Vorbild genommen werden.

178  Siehe zum Verhältnis zwischen OCHA und der WHO während der EbolaEpidemie Hübler, FIP Online (2015), 26. 179  United Nations, Global Ebola Response (2014), .

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

2. Einordnung der Pflicht, von Katastrophen betroffenen Staaten Hilfe anzubieten und zu leisten, als Norm des Völkergewohnheitsrechts180 a) Staatenpraxis aa) Völkerrechtliche Verträge Die Staatenpraxis in den völkerrechtlichen Verträgen hat gezeigt, dass die Staatengemeinschaft grundsätzlich nicht von einer bestehenden Pflicht zur Offerte von Hilfe sowie von Hilfeleistungspflichten ausgeht.181 Dieser Schluss lässt sich argumentum e contrario daraus ableiten, dass zur Eta­ blierung entsprechende Hilfsverpflichtungen stets gesonderte regionale Ab­ kommen oder bilaterale Verträge abgeschlossen werden. Die Tatsache, dass außerhalb Europas ohnehin nur bestimmte Staaten bilaterale Verträge abge­ schlossen haben (etwa Südafrika und die Vereinigten Staaten von Amerika), und Südamerika und Afrika fast gänzlich keine bilateralen Verträge aufwei­ sen, verdeutlicht, dass sich die Staaten nur in Einzelfällen gegenseitig zur Hilfeleistung verpflichten. Allenfalls die Vertragsdichte in Europa könnte den Schluss zulassen, von einem regionalen Völkergewohnheitsrecht auszu­ gehen.182 Dagegen spricht aber, dass nur eine geringe Anzahl der europäi­ schen bilateralen Verträge konkret verbindliche Hilfsverpflichtungen enthält, sondern vielmehr nur den operativen Rahmen für den Fall, dass Hilfe ge­ 180  Von den Ausführungen in diesem Kapitel unberührt bleiben die Konstellati­ onen, in den der betroffene Staat für die Katastrophe und/oder daraus entstandenen Schäden verantwortlich ist oder für das Verhalten privater Verursacher haftbar ge­ macht werden kann. Jeder Staat ist zunächst völkergewohnheitsrechtlich dazu ver­ pflichtet, die schädigende Ausbreitung von Katastrophen auf andere Staaten zu verhindern. Dies ergibt sich aus dem umweltvölkerrechtlichen Nichtschädigungsge­ bot sowie dem Grundsatz der guten Nachbarschaft. Kommt es zu Schäden auf frem­ den Staatsgebiet, so ist der Verursacherstaat nach den Vorschriften über die Staaten­ verantwortlichkeit dazu verpflichtet, den Schaden zu beseitigen (Art. 35 ARS). So­ fern die Restitution nicht möglich ist, ist der Staat zum Schadensersatz verpflichtet (Art. 36 ARS). Sind die Katastrophe und/oder die dadurch entstandenen Schäden aufgrund des Verschuldens von Privatpersonen hervorgerufen worden, haftet der Heimatstaat der verantwortlichen Personen unter Umständen nach den (umstrittenen) Grundsätzen der verschuldensunabhängigen Haftung (siehe hierzu z. B. ILC, ‚Draft principles on the allocation of loss in the case of transboundary harm arising out of hazardous activities, 2006 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eigth session)‘ (2006) UN Doc. A/61/10, S. 106–110, insbesondere Art. 4 zum Thema Schadensersatz). 181  Siehe oben 1. Recht der Staatengemeinschaft und Internationaler Organisa­ tionen, dem betroffenen Staat Hilfe anzubieten. 182  Siehe dazu oben Teil  1, Kapitel  C. sowie Ehrenberg, Internationale Katastro­ phenhilfe (Univ. Diss. Osnabrück) (2006), 201.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft343

leistet wird, absteckt. Im Ergebnis haben die bestehenden völkerrecht­lichen Verträge daher bei der Ermittlung von Staatenpraxis keine Relevanz. bb) Praxis begründende Handlungen und Unterlassungen von Staaten In den vergangenen Jahren, bedingt durch extreme Großschadensfälle, scheint die Staatenpraxis hinsichtlich der Hilfsbereitschaft gegenüber betrof­ fenen Staaten immer extensiver und konsistenter zu werden.183 Dies lässt sich anhand einer objektiven Beurteilung der zahlenmäßigen Beteiligung der Staatengemeinschaft an der Katastrophenhilfe bei vergangenen Katastro­ phenfällen belegen. Als Referenzzeitraum soll an dieser Stelle das letzte Jahrzehnt (2004–2014) gewählt werden. Besonders instruktive Beispiele für die internationale Katastrophenhilfe in diesem Zeitraum sind der Tsunami in Südostasien 2004, Hurrikan Katrina in den USA 2005, das Erdbeben in der Region Kashmir 2005, der Zyklon in Myanmar 2008, die Erdbeben in ­Haiti 2010 sowie Fukushima 2011, die Überflutungen in Pakistan 2010 sowie die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014. An diesen Großkatastrophen waren jeweils mindestens die Hälfte aller Staaten weltweit beteiligt. Im Anschluss wird die Verhaltenspraxis der Staatengemeinschaft bei sogenannten ‚verges­ senen‘ Katastrophen untersucht, bei denen keine exorbitant hohen Opferzah­ len zu verzeichnen waren und die hauptsächlich regional für Medienauf­ merksamkeit sorgten. Im Rahmen der Analyse der dargestellten Staatenpra­ xis wird sodann untersucht, ob die dargestellten Handlungen sich als um­ fangreich, einheitlich und repräsentativ klassifizieren lassen. (1) Fallbeispiele für die zahlenmäßige Beteiligung der Staatengemeinschaft bei der Katastrophenhilfe im Zeitraum 2004 bis 2014 (a) Tsunami in Südostasien 2004 An den Katastrophenhilfemaßnahmen nach dem Tsunami in Südostasien 2004, der mindestens 170.000 Tote forderte184, waren insgesamt 88 Staaten beteiligt.185 Die Katastrophenhilfe erfolgte in erster Linie in monetärer 183  ILC, ‚Provisional summary record of the 3102 meeting‘ (25.  Januar 2012) UN Doc. A/CN.4/SR.3102, S. 8. 184  Munich Re, Pressemitteilung: Umfassende Münchener-Rück-Studie „Topics Geo  – Jahresrückblick Naturkatastrophen 2004“ (24.  Februar 2005) . 185  Äquatorial-Guinea, Afghanistan, Algerien, Australien, Aserbaidschan, Bangla­ desch, Belgien, Bosnien & Herzegovina, Brasilien, Brunei, Bulgarien, China, Däne­

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Form. Regierungen stellten insgesamt 6,44 Milliarden US-Dollar an Hilfs­ geldern bereit.186 5,6 Milliarden US-Dollar wurden dabei von den 29 Mit­ gliedern des Ausschusses für Entwicklungshilfe der OECD bereitgestellt.187 Insgesamt 18 Staaten leisteten auch materielle und personelle Katastrophen­ hilfe vor Ort.188 Der Umfang der Hilfe reichte von der Bereitstellung klei­ mark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Großbri­ tannien, Guyana, Hongkong, Island, Indien, Iran, Irland, Israel, Italien, Jamaika, Ja­ pan, Kambodscha, Kanada, Kasachstan, Katar, Kroatien, Kuwait, Laos, Lettland, Libyen, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Madagaskar, Makedonien, Malaysia, Malta, Marokko, Mauretanien, Mexiko, Monaco, Mosambik, Nepal, Neuseeland, Nie­ derlande, Niger, Nigeria, Nordkorea, Norwegen, Oman, Österreich, Ost Timor, Pakis­ tan, Palau, Papua Neuguinea, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Senegal, Simbabwe, Singapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Südafrika, Südkorea, Taiwan, Trinidad und Tobago, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika, Weißruss­ land, Zypern. Auflistung zusammengestellt aus Tsunami aid: Who’s giving what, BBC News (27. Januar 2005), ; Tsunami Evaluation Coalition, ‚Synthesis Report: Expanded Summary. Joint evalua­ tion of the international response to the Indian Ocean tsunami‘ (2007), 19; Europäi­ sche Kommission, Discussion Paper: The EU’s contribution to the international re­ sponse to the 2004 Asian Tsunami. Achievements, next steps and lessons learned, High-level Meeting (Brüssel, 20.  Dezember 2005), 11–12; Congressional Research Service/The Library of Congress, Indian Ocean Earthquake and Tsunami: Humani­ tarian Assistance and Relief Operations (2005) Order Code RL32715 , S. 2, 4; How the tsunami aid stacks up, Al Jazeera (30. Dezember 2004), ; OCHA Financial Tracking Service, Indian Ocean – Earthquake/Tsunami – December 2004. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), ; List of donors to Asia tsunami relief effort, TERRADAILY (11. Januar 2005), ; Oman de­ livers tsunami aid to Sri Lanka 05MUSCAT25 (Wikileaks) ; Tsunami Disaster Sparks US Assistance for Muslim Areas, Magharebia (5. Januar 2005), ; ‚HK in big effort to aid tsunami victims‘ China Daily (28.  Dezember 2004) . 186  Tsunami Evaluation Coalition, ‚Funding the tsunami response: A synthesis of findings‘ (2006), 7. 187  Tsunami Evaluation Coalition, ‚Funding the tsunami response: A synthesis of findings‘ (2006), 14. Die Mitglieder des Ausschusses sind Australien, Beglien, Däne­ mark, Deutschland, die Europäische Kommission, Finnland, Frankreich, Griechen­ land, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Japan, Kanada, Südkorea, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik, Vereinigte Staaten von Amerika, siehe OECD, De­ velopment Co-operation Directorate (DCD-DAC): DAC Members, .



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft345

nerer Mengen Medikamente, Desinfektionsmittel und Decken (z. B. durch Bulgarien) bis hin zu Geldspenden im Millionenbereich (z. B. durch Großbritannien).189 Die Hilfe erfolgte in erster Linie freiwillig und nicht auf der Grundlage vertraglicher Verpflichtungen. Das besonders betroffene Indonesien hatte zum damaligen Zeitpunkt nur mit drei Staaten bilaterale Katastrophenhilfeabkommen abgeschlossen.190 Multilaterale Verträge waren ebenfalls nicht einschlägig, da Indonesien weder die Tampere Konvention noch die FCCDA unterzeichnet hatte.191 (b) Hurrikan Katrina in den Vereinigten Staaten von Amerika 2005 Insgesamt haben 139 Staaten den Vereinigten Staaten von Amerika nach Hurrikan Katrina in irgendeiner Form Hilfe, d. h. durch Geldspenden oder in Form von Hilfspersonal und Equipment, angeboten.192 Der Hurrikan 188  Australien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Ita­ lien, Japan, Kanada, Katar, Neuseeland, Niederlande, Pakistan, Russland, Schweden, Singapur, Spanien, Vereinigte Staaten von Amerika. Congressional Research Service/ The Library of Congress, Indian Ocean Earthquake and Tsunami: Humanitarian As­ sistance and Relief Operations (2005) Order Code RL32715 , S. 11, 21; World sends help for tsunami victims, CNN News (1.  Januar 2005), ; Aid workers in desperate struggle, CNN News (4.  Januar 2005), ; Tsunami Evaluation Coa­ lition, ‚Funding the tsunami response: A synthesis of findings‘ (2006), 18; U.S. an­ nounces $ 350 million in tsunami aid, NBC News (31. Dezember 2004), ; Tsunami aid: Who’s giving what, BBC News (27. Januar 2005), . 189  OCHA Financial Tracking Service, Indian Ocean – Earthquake/Tsunami – De­ cember 2004. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organiza­ tions (Table ref: R10), . 190  Mit Australien, Malaysia und den Vereinigten Staaten von Amerika, siehe IFRK, ‚IDRL Asia-Pacific Study: Indonesia (Laws, Policies, Planning and Practices on International Disaster Response)‘ (2005) , 9–10. 191  IFRK, ‚IDRL Asia-Pacific Study: Indonesia (Laws, Policies, Planning and Practices on International Disaster Response)‘ (2005), 7. 192  Ägypten, Äquatorial-Guinea, Äthiopien, Afghanistan, Albanien, Andorra, Angola, Argentinien, Armenien, Australien, Aserbaidschan, Bahamas, Bahrain, Bang­ladesch, Barbados, Belgien, Bolivien, Bosnien & Herzegovina, Botswana, Brasi­lien, Brunei, Bulgarien, Chile, China, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Djibouti, Dominikanische Republik, Dominika, Ecuador, El Salvador, Estland, Fiji, Finnland, Frankreich, Französisch-Polynesien, Gabun, Georgien, Ghana, Griechen­ land, Großbritannien, Guatemala, Guinea, Guyana, Haiti, Honduras, Island, Indien,

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

forderte zwar nur 1.322 Todesopfer, aber war mit 125 Milliarden US-Dollar die teuerste Naturkatastrophe Nordamerikas.193 Zu den Ländern, die Geld spendeten oder dies zumindest angebotenen haben, gehörten insbesondere auch zahlreiche Entwicklungsländer, die aus Dankbarkeit für die Hilfe der USA in eigenen Krisensituationen im Verhältnis kleinere Summe spende­ ten.194 Die Vereinigten Staaten unterhielten 2005 nur mit drei Staaten bila­ terale Katastrophenhilfeabkommen, so dass auch hier fast alle Hilfe auf freiwilliger Basis erfolgte.195 Indonesien, Irak, Iran, Irland, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Jemen, Jordanien, Kam­ bodscha, Kamerun, Kanada, Kasachstan, Katar, Kenia, Kolumbien, Kosovo, Kroa­ tien, Kuba, Kuwait, Laos, Lettland, Liberia, Libyen, Littauen, Luxemburg, Makedo­ nien, Malaysia, Malediven, Marshall Inseln, Malta, Mauretanien, Mexiko, Mikrone­ sien, Mongolei, Marokko, Namibia, Nepal, Neuseeland, Nicaragua, Niederlande, Nigeria, Norwegen, Oman, Österreich, Pakistan, Palau, Panama, Papua Neuguinea, Paraguay, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Ruanda, Rumänien, Russland, Samoa, Sao Tome und Principe, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Senegal, Serbien, Sin­ gapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, St. Vincent und die Grenadinen, Südafrika, Südkorea, Taiwan, Thailand, Trinidad und Tobago, Togo, Tschechische Republik, Türkei, Tunesien, Uganda, Ukraine, Ungarn, Uruguay, Vatikan, Venezuela, Vietnam, Vereinigte Arabische Emirate, Weißrussland, Zypern. Auflistung zusam­ mengestellt aus United States Department of Homeland Security, United States Department of State, United States Agency for International Development, ‚Interna­ tional Assistance System: Concept of Operations‘ (1.  Oktober 2010) , 3; U.S. Department of State, Hurricane Katrina (Ar­ chive 2001–2009), ; Foreign aid to U.S. for Katrina relief, NBC News (10.  September 2005), ; ‚Hurri­ kan: Fluthilfe bleibt im Amtsfilz hängen‘ Der Spiegel (7.  September 2005) . 193  Munich Re, Pressemitteilung: Nordamerika von Zunahme der Wetterkatastro­ phen am stärksten betroffen (17.  Oktober 2012) . 194  Fisher-Thompson, Uganda Is Latest African Donor of Relief to Hurricane Katrina, United States of America Embassy/Department of State, IIP Digital (Hrsg.) (8.  September 2005), . 195  Abkommen bestanden mit Russland (Memorandum of understanding on co­ operation in emergency management (United States of America/Russian Federation), v. 16.  Juli 1996, TIAS 12783 sowie Agreement between the United States and the Union of Soviet Socialist Republics on emergency medical supplies and related assistance, v. 30. Juli 1991, TIAS 11468); der Ukraine (Memorandum of understand­ ing on cooperation in natural and man-made technological emergency prevention and response (United States of America/Ukraine), v. 5.  Juni 2005, TIAS ); Mikronesien (Agreement regarding coopera tion to facilitate the provision of assistance (United States of America/Micronesia), v. 21.  März 1994, TIAS ).



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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(c) Erdbeben in Kaschmir 2005 2005 kamen bei einem schweren Erdbeben in Kaschmir über 80.000 Menschen ums Leben.196 Insgesamt leisteten 76 Staaten Hilfe.197 Jeder die­ ser Staaten leistete für seine Verhältnisse einen signifikanten Beitrag zur effektiven Katastrophenhilfe. Litauen etwa sendete 30 Zelte und spendete knapp 100.000 US-Dollar, Mauritius spendete 30.000 US-Dollar, und grö­ ßere Staaten wie einige Mitglieder der Europäischen Union spendeten Mil­ lionenbeträge.198 (d) Zyklon Nargis in Myanmar 2008 Bei dem Zyklon kamen mindestens 85.000 Menschen ums Leben.199 Trotz der zunächst ablehnenden Haltung der myanmarichen Militärregierung haben insgesamt 57 Staaten Hilfe geleistet.200 Auch hier reichte das Spek­ 196  Munich Re, Pressemitteilung: Zwei Naturereignisse prägen die Katastrophen­ bilanz 2005 (29.  Dezember 2005) . 197  Afghanistan, Algerien, Aserbaidschan, Australien, Bahrain, Bangladesch, Belgien, Bosnien und Herzegovina, Brasilien, Bulgarien, Chile, China, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Guyana, Indien, Indonesien, Iran, Irland, Island, Italien, Japan, Jordanien, Kanada, Kasachs­ tan, Katar, Kirgisistan, Kroatien, Kuba, Kuwait, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malaysia, Mauritius, Mexiko, Mikronesien, Moldawien, Monaco, Ne­ pal, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Oman, Österreich, Pakistan, Polen, Portu­ gal, Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Schweiz, ‚ Schweden, Singapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, Sudan, Südafrika, Syrien, Thailand, Tschechische Republik, Türkei, Tunesien, Ukraine, Ungarn, Vereinigte Arabische Emirate, Verei­ nigte Staaten von Amerika, Zypern. Aufstellung zusammengestellt aus OCHA Finan­ cial Tracking Service, South Asia – Earthquake – October 2005. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of infor­ mation provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 198  OCHA Financial Tracking Service, South Asia  – Earthquake  – October 2005. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 199  Munich Re, Pressemitteilung: Katastrophenbilanz 2008 belegt: Klimaabkom­ men ist dringend nötig (29.  Dezember 2008) . 200  Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Brunei, Bulgarien, China, Däne­ mark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Indonesien, Irland, Island, Italien, Japan, Kambodscha, Kanada, Kuwait, Laos, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malaysia, Malta, Marokko, Mo­ naco, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Philippinen, Polen, Rumä­

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

trum der angebotenen Hilfe von symbolischen Beiträgen bis hin zu Millio­ nenbeträgen.201 (e) Erdbeben in Haiti 2010 Durch das Erdbeben von Haiti kamen 220.000 Menschen ums Leben.202 Insgesamt 129 Länder spendeten an die haitianische Regierung Geld oder leisteten in anderer Form Hilfe, etwa durch die Bereitstellung von Schiffen, Hubschraubern, Transportflugzeugen, Einsatzteams und Maschinen.203 Zu nien, Russland, San Marino, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowe­ nien, Spanien, Sri Lanka, Südafrika, Südkorea, Thailand, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika, Viet­nam. Auflistung zusammengestellt aus OCHA Financial Tracking Service, My­ anmar  – Tropical Cyclone Nargis  – May 2008. Table A: List of all commitments/ contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 201  Z. B. durch Estland eine Spende in Höhe von 50.000 US-Dollar oder von Ungarn Hilfspakete im Wert von 25.000 US-Dollar, bis hin zu den Millionenbeträ­ gen der Vereinigten Staaten von Amerika, siehe OCHA Financial Tracking Service, Myanmar – Tropical Cyclone Nargis – May 2008. Table A: List of all commitments/ contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 202  Munich Re, Schwellenländer leiden unter Versicherungslücken (8.  April 2013) . 203  Ägypten, Äquatorial-Guinea, Afghanistan, Algerien, Andorra, Antigua & Bar­ buda, Argentinien, Armenien, Australien, Aserbaidschan, Bahamas, Bahrain, Bangla­ desch, Barbados, Belgien, Benin, Bosnien & Herzegovina, Botswana, Brasilien, Britische Jungferninseln, Brunei, Bulgarien, Burkina Faso, Burundi, Chad, Chile, China, Dänemark, Demokratische Republik Kongo, Deutschland, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Estland, Finnland, Frankreich, Gabun, Gambia, Georgien, Ghana, Grenada, Griechenland, Großbritannien, Guyana, Island, Indien, Indonsien, Iran, Irland, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Jordanien, Kambodscha, Ka­ nada, Kasachstan, Katar, Kenia, Kolumbien, Kroatien, Kuba, Kuwait, Lettland, Li­ banon, Liberia, Liechtenstein, Littauen, Luxemburg, Makedonien, Madagaskar, Malawi, Malaysia, Malta, Mauritius, Mexiko, Moldawien, Monaco, Mongolei, Ma­ rokko, Neuseeland, Nicaragua, Niederlande, Nigeria, Norwegen, Österreich, Ost Timor, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Republik Kongo, Ruanda, Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Senegal, Serbien, Sierra Leone, Singapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Südafrika, Südkorea, Suriname, Syrien, Thailand, Trinidad und To­ bago, Tschechische Republik, Türkei, Tunesien, Turkmenistan, Uganda, Ukraine, Ungarn, Uruguay, Venezuela, Vietnam, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika, Zypern. Auflistung zusammengestellt aus: International Aid to Haiti: Who’s Giving, CBS News (14. Januar 2010), ; Financial Tracking Service, Flash Appeal (launched on 15-January-2010): Haiti Humanitarian Appeal (Revised) (January  – December 2010), Table G: Total Funding per Donor (to projects listed in the Ap­ peal) (Table ref: R5), ; OCHA Financial Tracking Service, Haiti  – Earthquakes  – January 2010. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), ; ‚Haiti earthquake aid pledged by country‘ The Guardian (12.  Januar 2011) . 204  Agreement providing for emergency assistance to Haiti in connection with hurricane disaster. Exchange of notes at Port-au-Prince March 22 and April 1, 1955 (United States of America/Haiti), v. 1. April 1955 (in Kraft getreten am 15. Oktober 1954), TIAS 3232. 205  Ägypten, Afghanistan, Algerien, Andorra, Argentinien, Australien, Aserbaid­ schan, Bahrain, Bangladesch, Belgien, Brasilien, Chile, China, Dänemark, Deutsch­ land, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Großbritannien, Guya­ na, Indien, Indonesien, Irak, Iran, Irland, Island, Italien, Japan, Jemen, Kanada, Kasachstan, Katar, Kenia, Kuwait, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malaysia, Malta, Marokko, Mauritius, Monaco, Nepal, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Oman, Österreich, Polen, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Singapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, Südkorea, Thailand, Tschechische Repu­ blik, Türkei, Ungarn, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika, Zypern. Auflistung zusammengestellt anhand von OCHA Financial Tracking Service, Pakistan – Floods – July 2010. Table A: List of all commitments/ contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), ; ‚Pakistan flood toll rises but international aid fails to flow‘ The Guardian (10.  August 2010) . 206  Munich Re, Pressemitteilung: Naturkatastrophen-Bilanz 2010  – Sehr schwere Erdbeben und viele Unwetter-Ereignisse (3.  Januar 2011) ; The Brookings Institution, ‚Earthquakes and Floods: Comparing Haiti and Pakistan‘ (2010) , 1. 207  2011 Japan Earthquake  – Tsunami Fast Facts, CNN (11.  Juli 2014), . 208  ,Japan earthquake: Aid flows in from across the world‘ The Guardian (14.  März 2011) . 209  ,Japan earthquake: Aid flows in from across the world‘ The Guardian (14.  März 2011) . 210  Keine Hilfe angeboten oder geleistet wurde nur von folgenden Staaten: An­ gola, Bahamas, Barbados, Belize, Benin, Bermuda, Burkina Faso, Burundi, Cook Inseln, Demokratische Republik Kongo, Dominika, Elfenbeinküste, Guadalupe, Guam, Guinea, Guinea Bissau, Jemen, Kapverden, Komoren, Libanon, Lesotho, Libyen, Macau, Malawi, Mauritius, Ost Timor, Puerto Rico, San Marino, Sao Tome und Principe, Seychellen, Sierra Leone, Somalia, St. Kitts und Nevis, Swasiland, Syrien, Tunesien, Zentralafrikanische Republik. Auflistung zusammengestellt anhand von Japan International Cooperation Agency, ‚The Great East Japan Earth quake: Assistance from around the world‘, S. 2; OCHA Financial Tracking Service, Japan in 2011  – related emergencies. List of all humanitarian pledges, commitments & con­ tributions in 2011 compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10c), ; Factbox: Aid and rescue offers for Japan quake, Reuters (15.  März 2011), . 211  Japan International Cooperation Agency, ‚The Great East Japan Earth quake: Assistance from around the world‘, 1 f. 212  ILC, ‚Provisional summary record of the 3102 meeting‘ (25.  Januar 2012) UN Doc. A/CN.4/SR.3102, S. 8.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft351

(h) Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 Beim Ausbruch der Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 sicherten die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank den betroffenen Gebieten zu, insgesamt Kredite in Höhe von 260  Mio. US-Dollar zur Verfügung zu stellen.213 Die EU hat gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten insgesamt 1,4  Milliarden Euro als Hilfsgelder zugesagt.214 Insgesamt haben in den ersten acht Monaten der Epidemie nur 41 Staaten den betroffenen Ländern ihre Hilfe angeboten.215 Problematisch ist dabei, dass viele der Geberländer nur Geld zur Verfügung stellten, die finanziellen Mittel ohne technische Unterstützung aber nicht sinnvoll verwendet werden können. Insbesondere fehlte medizinisches Personal.216 Die Staatengemeinschaft war aber auf­ grund der hohen Infektionsgefahr zurückhaltend, eigene Staatsangehörige in die Krisenregion zu entsenden. (i) Erdbeben in Nepal im April und Mai 2015 Bei einem schweren Erdbeben in Nepal im April und Mai 2015 kamen 8.844 Menschen ums Leben, insgesamt waren 2,8 Millionen Menschen von dem Erdbeben mittelbar oder unmittelbar betroffen.217 Die Regierung hat 213  ,Kampf gegen Ebola: Weltbank gewährt 200 Millionen Dollar‘ FAZ (5.  Au­ gust 2014) . 214  ,Katastrophe Ebola: Notstand in Westafrika  – über 720 Tote‘ ÄrzteZeitung Online (31.  Juli 2014) ; ECHO FACT SHEET: EU Response to the Ebola epidemic in West Africa (Juli 2015) . 215  Andorra, Australien, Brasilien, Chile, China, Dänemark, Deutschland, Elfen­ beinküste, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Irland, Israel, Ita­ lien, Japan, Kanada, Katar, Kenia, Kolumbien, Kuba, Kuwait, Liechtenstein, Luxem­ burg, Malaysia, Neuseeland, Niederlande, Nigeria, Norwegen, Österreich, Ost Timor, Rumänien, Senegal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Südkorea, Tschechische Republik, Vereinigte Staaten von Amerika. Auflistung zusammenge­ stellt anhand von OCHA Financial Tracking Service, Ebola Virus Outbreak  – West Africa  – April 2014. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 216  ,Ebola: Liberia, Sierra Leone and Guinea Hit by Lack of Doctors and Aid‘ International Business Times (14.  September 2014) . 217  OCHA, ‚Humanitarian Bulletin: Nepal Earthquake Issue ‚ (1.–30.  Juni 2015) , 1.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

insgesamt 442 Millionen US-Dollar als Hilfe angefragt. Im Juni 2015 waren von diesem Betrag erst 39 % durch die Staatengemeinschaft bereitgestellt worden. Eine derart niedrige finanzielle Beteiligung war aus Sicht von OCHA ungewöhnlich.218 Neben finanzieller Unterstützung haben 34 Länder Such- und Bergungsteams nach Nepal entsendet.219 (j) R  egional begrenzte Katastrophenfälle ohne extrem hohe Opferzahlen Bei Katastrophen, die nur Todesopfer im vierstelligen Bereich forderten, hielt sich die Hilfsbereitschaft der Staatengemeinschaft in Grenzen. Obwohl jeweils mehrere tausend bzw. hunderttausend Menschen betroffen waren oder ein massiver gesamtwirtschaftlicher Schaden entstand, wurde über die Kata­ strophen in den Medien kaum berichtet. Dies kann als ein Grund für die zö­ gerliche Hilfe gesehen werden. Bei einem schweren Erdbeben auf der indo­ nesischen Insel Java kamen 2006 über 5.000 Menschen ums Leben220, insge­ samt leisteten hier nur 39 Staaten Katastrophenhilfe.221 2007 tötete Zyklon Sidr in Bangladesch 3.300 Menschen,222 Katastrophenhilfe wurde nur von 34  Staaten geleistet.223 2008 starben bei einem Erdbeben in der Provinz 218  OCHA,

‚Humanitarian Bulletin: Nepal Earthquake Issue (1.–30. Juni 2015), 5. ‚Humanitarian Bulletin: Nepal Earthquake Issue (1.–30.  Juni 2015), 5. Wie viele und welche Länder insgesamt Hilfe geleistet haben, war im September 2015 noch nicht abschließend durch OCHA ermittelt. 220  Munich Re, Pressemitteilung: Naturkatastrophen-Schadenbilanz 2006: Wet­ terphänomene bremsten Hurrikan-Entstehung  – aber kein Anlass zur Entwarnung (28.  Dezember 2006) . 221  Australien, Aserbaidschan, Belgien, China, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Hongkong, Irland, Island, Itali­ en, Japan, Kanada, Kuwait, Lettland, Luxemburg, Malaysia, Mexiko, Monaco, Neu­ seeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Singapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Vereinigte Staaten von Amerika. Auflistung zusammengestellt aus OCHA Financial Tracking Service, Indonesia  – Java Earthquake May 2006. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 222  Munich Re, Pressemitteilung: Naturkatastrophen-Schadenbilanz 2007: Höhe­ re Schäden auch ohne Größtkatastrophen, sehr viele Schadenereignisse (27.  Dezem­ ber 2007) . 223  Australien, Belgien, China, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Grie­ chenland, Großbritannien, Indien, Iran, Irland, Italien, Japan, Jordanien, Kanada, Ku­ wait, Liechtenstein, Monaco, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Polen, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Südkorea, Tschechische Re­ 219  OCHA,



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft353

Sechuan in China 70.000 Menschen, 18.000 werden vermisst und 374.000 wurden verletzt; der gesamtwirtschaftliche Schaden belief sich auf 85 Milli­ arden US-Dollar.224 Für eine Katastrophe solchen Ausmaßes leisteten insge­ samt nur verhältnismäßig wenige Staaten, nämlich 62, Katastrophenhilfe.225 1200 Menschen starben bei dem Erdbeben auf der indonesischen Insel Suma­ tra 2009226, Hilfe wurde dabei nur von 28 Staaten geleistet.227 Das Erdbeben und der Tsunami in Chile 2010 forderten 720 Tote und führten zu einem ge­ samtwirtschaftlichen Schaden in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar.228 Den­ publik, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika. Auflis­ tung zusammengestellt aus OCHA Financial Tracking Service, Bangladesh – Cyclone Sidr  – November 2007. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 224  Munich Re, Pressemitteilung: Katastrophenbilanz 2008 belegt: Klimaabkom­ men ist dringend nötig (29.  Dezember 2008). 225  Australien, Bangladesch, Belgien, Botswana, Brasilien, Bulgarien, Deutsch­ land, Estland, Finnland, Frankreich, Gabun, Griechenland, Großbritannien, Indien, Iran, Irland, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kasachstan, Katar, Kirgisistan, Kroatien, Kuba, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, Malaysia, Malta, Mauritius, Monaco, Mongolei, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Polen, Portu­ gal, Samoa, Saudi-Arabien, Schweiz, Senegal, Serbien und Montenegro, Singapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, Südafrika, Südkorea, Tajikistan, Thailand, Tschechische Republik, Tonga, Türkei, Turkmenistan, Ukraine, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika, Vietnam. Aufstellung zusammegestellt aus OCHA Financial Tracking Service, China  – Earthquake  – May 2008. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 226  Munich Re, Pressemitteilung: Wenig Großschäden durch Naturereignisse 2009: Hohe Zahl von Wetterextremen bestätigt Trend (29.  Dezember 2009) . 227  Andorra, Australien, Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Großbritan­ nien, Irland, Japan, Kanada, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Ös­ terreich, Polen, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Singapur, Spanien, Südkorea, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte Staaten von Amerika. Auflistung zusammengestellt aus OCHA Financial Tracking Service, Indonesia – Sumatra Earthquake – September 2009. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 228  Death toll from massive Chilean earthquake tops 720, reports UN health agency, United Nations News Centre, ; Munich Re, Pressemitteilung: Naturkata­ strophen-Bilanz 2010  – Sehr schwere Erdbeben und viele Unwetter-Ereignisse (3.  Januar 2011).

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

noch leisteten nur 39 Staaten Hilfe.229 Als die Karibik 2012 von Hurrikan Sandy getroffen wurde, leisteten nur 17 Staaten Hilfe.230 Durch Hochwasser in Mosambik 2013 kamen mindestens 30 Menschen ums Leben, aber 150.000 wurden obdachlos.231 Dennoch beteiligten sich nur 15 Staaten an der interna­ tionalen Katastrophenhilfe.232 Hervorzuheben ist, dass bei den sogenannten ‚vergessenen‘ Katastrophen insbesondere bzw. teilweise fast ausschließlich die Nachbarstaaten oder geographisch nicht weit entfernt liegende Staaten Hilfe leisten. Besonders prominentes Beispiel ist die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014, bei der vor allem die Elfenbeinküste, Ghana, die Kapverden, Mali und Senegal Hilfe geleistet haben.233 Als die Wasserversorgung der Malediven durch einen Brand im Dezember 2014 zusammenbrach, leisteten allein die Nachbarlän­ der Indien und China Hilfe.234 229  Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, China, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Indonesien, Japan, Kanada, Kuba, Luxemburg, Malta, Mexiko, Monaco, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Panama, Peru, Russland, Singapur, Slowakei, Schweden, Schweiz, Spanien, Südkorea, Tsche­ chische Republik, Türkei, Ungarn, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Arabische Emira­ te, Vereinigte Staaten von Amerika, Vietnam. Auflistung zusammengestellt anhand von OCHA Financial Tracking Service, Chile  – Earthquake  – February 2010. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 230  Belgien, Chile, Deutschland, Großbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Luxemburg, Norwegen, Russland, Schwerden, Schweiz, Spanien, Süd­ korea, Vereinigte Staaten von Amerika, siehe OCHA Financial Tracking Service, Caribbean  – Hurricane Sandy  – October 2012. Table A: List of all commitments/ contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 231  ,Mindestens 30 Tote durch Hochwasser im Norden Mosambiks‘ Die Zeit (12.  Februar 2013) . 232  Ägypten, Botswana, Dänemark, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, Öster­ reich, Portugal, Russland, Schweden, Spanien, Schweiz, Vereinigte Staaten von Amerika, siehe OCHA Financial Tracking Service, Mozambique: Floods  – January 2013. Table A: List of all commitments/contributions and pledges compiled by OCHA on the basis of information provided by donors and appealing organizations (Table ref: R10), . 233  UN Security Council, Res 2177 (2014) (18.  September 2014) UN Doc. S/ RES/2177 (2014), Präambel-Abs. 10. 234  ,Notstand nach Brand: China und Indien schicken Wasser auf die Malediven‘ Der Spiegel (7.  Dezember 2014) .



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft355

(2) Analyse und Zwischenergebnis Um für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht relevant zu sein, müsste die Staatenpraxis auf dem Gebiet der internationalen Katastrophen­ hilfe umfangreich, nahezu einheitlich und repräsentativ sein.235 Die Staa­ tenpraxis muss nicht alle Staaten der Welt erfassen, im Idealfall aber min­ destens die Mehrheit aller Staaten.236 Aussagekräftig ist es bereits, wenn die betrachteten Staaten eine ausgewogene Mischung aller rechtlichen, wirt­ schaftlichen und politischen Orientierungen wiederspiegeln und geogra­ phisch ausgeglichen verteilt sind.237 Von einer einheitlichen Staatenpraxis kann aufgrund der großen Unter­ schiede bei den Beteiligungszahlen an der internationalen Katastrophenhilfe nur teilweise gesprochen werden. Zudem ist die Vergleichbarkeit der darge­ stellten Fallbeispiele limitiert. Wenn man analysiert, woraus sich die Ein­ heitlichkeit der Verhaltensweise der beteiligten Staaten ergeben könnte, können im Ergebnis allenfalls die Opferzahlen und die gesamtwirtschaftli­ chen Schäden als verbindendes Element der Katastrophenfälle herangezogen werden, in denen besonders viele Staaten geholfen haben (a). Daneben gibt es aber viele andere Faktoren, die einer Vergleichbarkeit und Einheitlichkeit der internationalen Hilfsbereitschaft in vergangenen Katastrophenfällen ent­ gegenstehen. Sie erwecken den Eindruck, dass die Entscheidung über Hil­ feleistung allein im Belieben der nicht betroffenen Staaten steht (b). (a) V  ergleichbarkeit der bestehenden Staatenpraxis unter Berücksichtigung des Schadensausmaßes Bei Katastrophen, in denen Todesopfer im hohen fünfstelligen Bereich sowie gesamtwirtschaftlichen Schäden im Milliardenbereich zu beklagen waren, leisteten fast zwei Drittel aller Staaten Hilfe, wie die Fälle USA 2005, Haiti 2010 und Japan 2011 illustrieren. Hilfe wurde nicht nur von den Nachbarstaaten des betroffenen Landes geleistet, sondern erfolgte nach Maßgabe einer ausgeglichenen geographischen Verteilung von allen Konti­ nenten. Auch Entwicklungsländer leisteten Hilfe, nicht nur große Industrie­ nationen. Die Hilfe erfolgt dabei in der Regel einheitlich orientiert an den 235  „Extensive and virtually uniform“, IGH, North Sea Continental Shelf (20. Fe­ bruar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 43, para. 74. 236  IGH, North Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany/Netherlands), Dissenting Opinion of Judge Manfred Lachs (20. Februar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 219, 229. 237  IGH, North Sea Continental Shelf (20.  Februar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 219, 227; Treves, Customary International Law, MPEPIL (2006), para. 35.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Bedürfnissen des betroffenen Staates und den Kapazitäten des Hilfe leisten­ den Staates, wobei ärmere Staaten in geringerem Umfang Hilfe leisten als große Industrienationen.238 Auch im Falle des Hurrikans Katrina in den Vereinigten Staaten war die Vielzahl der Hilfsangebote trotz der wirtschaft­ lichen Leistungsfähigkeit des Landes nicht überzogen, da die Regierung und zuständigen Behörden große Probleme hatten, die Folgen der Katastrophe unter Kontrolle zu bekommen. Auch bei Katastrophen, in denen entweder Todesopfer im hohen fünfstelli­ gen Bereich oder ein gesamtwirtschaftlicher Schaden im Milliardenbereich zu beklagen waren, sind die erforderlichen Kriterien erfüllt. In diesen Groß­ katastrophen leisteten zwar nur knapp die Hälfte aller Staaten Katastrophen­ hilfe. Die Tatsache, dass bei derart großen Katastrophen nicht mehr Staaten bzw. keine Mehrheit der Staaten geholfen hat, muss nicht zwangsläufig daran liegen, dass die Staaten keine Hilfe leisten wollten, sondern kann auch da­ durch begründet sein, dass ihnen die Mittel hierfür fehlten. Insbesondere be­ stand die Gruppe der Hilfe leistenden Staaten zudem immerhin aus der gro­ ßen Mehrheit der Industrienationen und damit der insofern für die Feststel­ lung von Gewohnheitsrecht relevanten „besonders betroffenen“ Staaten.239 Diese sind deswegen besonders betroffen, weil sie im Gegensatz zu vielen Entwicklungsländern besser und effektiver dazu in der Lage sind, unter kom­ plexen Bedingungen Katastrophenhilfe zu leisten. Sie verfügen in der Regel über bessere technische Ausstattung, besonders geschultes Personal und die notwendigen finanziellen Mitteln, um anderen Staaten Hilfe zu leisten. 238  Die Bundesrepublik Deutschland hat für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland 2014 im Bundeshaushalt 303 Millionen Euro vorgesehen. Davon wurden 50 Millionen Euro allein für den Zentralen Fonds für die Reaktion auf Notsituatio­ nen der Vereinten Nationen (UN-CERF) bereitgestellt (siehe Gesetz über die Fest­ stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2014 (Haushaltsgesetz 2014), v. 15.  Juli 2014, BGBl. I 914, S. 16, Tgr. 03). Aber auch Staaten wie China, die in der Vergangenheit sehr zurückhaltend internationale Katastrophenhilfe geleis­ tet haben, haben ihre Spendenbereitschaft bei humanitären Katastrophen in den vergangenen Jahren erhöht (Centre for Transatlantic Relations/Global Public Policy Institute, ‚China’s Potential Role in Humanitarian Assistance‘ (2009) , 9). Sie wa­ ren bei Großkatastrophen wie z. B. dem Erdbeben in Haiti und den Überflutungen in Pakistan 2010 bereit, große Summen zu spenden (Global Humanitarian Assis­ tance, China Profile, ) und leisten insbesondere Nachbarstaa­ ten auch Direkthilfe in Form von Hilfsgüterlieferungen, z. B. an die Malediven: ‚Notstand nach Brand: China und Indien schicken Wasser auf die Malediven‘ Der Spiegel (7.  Dezember 2014) . 239  IGH, North Sea Continental Shelf (20.  Februar 1969) ICJ Reports 1969, 3, 43, para. 74.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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Bei weniger umfangreichen Katastrophen mit Todesopfern im niedrigen vierstelligen Bereich oder nur geringen wirtschaftlichen Schäden ist die Staatenpraxis demgegenüber weder einheitlich noch umfangreich. Hilfe wird in diesen Fällen jeweils nur von ca. 30 bis 50 Staaten geleistet. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der internationalen Reaktion auf die Ebola-Katastrophe in Westafrika, als auch Monate nach dem Ausbruch der Epidemie und der Einordnung der Epidemie als internationaler Gesundheits­ notstand erst knapp 40 Staaten, dabei viele Nachbarstaaten der betroffenen Länder, Hilfe geleistet hatten. Ein möglicherweise zuvor entwickelter Trend der Staatengemeinschaft zu einer Zunahme der Hilfsbereitschaft wird hier­ durch abgeschwächt. Allerdings lässt sich konstatieren, dass bei weniger umfangreichen Katastrophen insbesondere die benachbarten oder regional angrenzenden Staaten Hilfe leisten. (b) Kontraindikationen gegen eine einheitliche Staatenpraxis Andere Kriterien, die bei der Verteilung von Hilfe an sich naheliegend wären, spielen in der Praxis keine Rolle und erschweren dadurch zusätzlich die Vergleichbarkeit der internationalen Hilfspraxis. Hierzu zählt etwa die Fähigkeit des betroffenen Staates, nach der Katastrophe den Wiederaufbau aus eigener Kraft zu ermöglichen. Diese Fähigkeit war bei Haiti deutlich geringer als in Japan 2011, wo dennoch mehr Staaten Hilfe leisteten. Ein weiterer Faktor, der kaum Berücksichtigung findet, sind die Spätfolgen der Katastrophe. Diese sind bei der Ebola-Epidemie, die ganze Staaten funk­ tionsunfähig machte, weitreichender als nach Hurrikan Katrina, der haupt­ sächlich eine Stadt verwüstete. Dennoch halfen im letzteren Katastrophenfall weitaus mehr Staaten als bei der Ebola-Epidemie. Des Weiteren ist das Ausmaß der Hilfsbereitschaft auch häufig den Schwankungen der allgemeinen weltpolitischen Lage unterworfen. Die gerin­ ge Hilfe für Pakistan 2010 kann z. B. darauf zurückgeführt werden, dass die Staatengemeinschaft für Haiti zu Beginn dieses Jahres bereits viele Mittel aus dem eigenen Hilfsetat zur Verfügung gestellt hatte.240 Zudem wurde Pa­ kistan vor allem von westlichen Ländern als Unterstützerstaat von Terroristen angesehen, was unter Umständen die im Umfang geringere Hilfe erklären kann. 240  Zum Vergleich: Die Vereinigten Staaten von Amerika haben für Haiti insge­ samt 22.000 Soldaten, 58 Flugzeuge, 15 Schiffe und 1 Lazarettschiff bereitgestellt, den Hafen wieder aufgebaut und die Verteilung aller am Flughafen eingehenden Hilfsgüter koordiniert. In Pakistan wurden nur 15 Hubschrauber bereitgestellt, mit denen insgesamt 6.500 Personen evakuiert wurden, sowie 1,5 Mio. Pfund an Hilfs­ gütern bereit gestellt. The Brookings Institution, ‚Earthquakes and Floods: Compar­ ing Haiti and Pakistan‘ (2010), 2.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Auch die Art der Katastrophe spielt für sich genommen keine Rolle für den Umfang der Hilfsbereitschaft der Staatengemeinschaft. Beim Erdbeben in Kashmir halfen nur fast halb so viele Staaten wie beim Erdbeben in Haiti. Schließlich kann eine besonders umfangreiche Hilfsbereitschaft auch auf günstige logistische Bedingungen zurückzuführen sein. Es wird argu­ mentiert, dass in Haiti deshalb so viele Staaten halfen, weil Hilfe über das US-amerikanische Festland schnell und unkompliziert geliefert werden konnte, während dies z. B. in Südostasien deutlich schwieriger war.241 Insgesamt ist bei der Analyse der Staatenpraxis auch zu beachten, dass es durchaus nachvollziehbare Gründe für die fehlende Hilfsbereitschaft geben kann. Ist das Unterlassen von Hilfeleistung erklärbar, kann die Nichtbetei­ ligung nicht als Kontraindikation für zunehmende Staatenpraxis angeführt werden. Die Untätigkeit ist dann unter Umständen nicht auf Desinteresse oder fehlende Hilfsbereitschaft, sondern fehlende Hilfsfähigkeit zurückzu­ führen.242 Es sind auch die Fälle zu berücksichtigen, in denen der betroffe­ ne Staat, wie Burma, externe Hilfe im Grundsatz ablehnte. Zudem können auch gesonderte Gründe für die Hilfeleistung vorliegen oder die Hilfsbereit­ schaft nur zum Schein vorgespiegelt werden. So liegt z. B. die Vermutung nahe, dass insbesondere einige Entwicklungsländer den Vereinigten Staaten von Amerika nach Hurrikan Katrina nur deswegen Hilfe anboten, weil sie sich aufgrund selbst empfangener Hilfeleistungen hierzu mittelbar verpflich­ tet fühlten bzw. bereits in der Erwartung Hilfe geleistet haben, dass diese ohnehin nicht benötigt wird. In diesen Fällen sind die entsprechenden Bei­ spielsfälle nur eingeschränkt dazu geeignet, als Beispiel für eine abstraktgenerelle Staatenpraxis in Katastrophenfällen zu fungieren. (c) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich in den vergangenen zehn Jahren eine – wenn auch nur in begrenztem Umfang – einheitliche und vergleichbare Staatenpraxis zur Hilfeleistung herausgebildet hat, wenn bei Katastrophen Todesopfer im hohen fünfstelligen Bereich und bzw. oder gesamtwirtschaftliche Schäden im Milliardenbereich zu beklagen waren. Bei weniger gravierenden Katastrophen hat sich indes noch keine Staatenpraxis der Hilfeleistung etabliert, da es insofern an der Einheitlichkeit der Praxis 241  The Brookings Institution, ‚Earthquakes and Floods: Comparing Haiti and Pakistan‘ (2010), 13; Munz, Im Zentrum der Katastrophe. Was es wirklich bedeutet, vor Ort zu helfen (2007), 72. 242  Siehe unten 3. c) Parameter, die bei der Entscheidung über Art und Umfang der Hilfeleistung relevant sind und die zudem zur Abwendung einer bestehenden Hilfspflicht führen können.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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und der Vergleichbarkeit der Hilfssituationen fehlt. Es zeigt sich insgesamt, dass die Hilfsbereitschaft in etwa proportional zum Ausmaß der Schäden zu nimmt, wobei sich das Ausmaß entweder auf die Zahl der Toten oder die gesamtwirtschaftlichen Schäden erstreckt. b) Opinio iuris aa) Staatenäußerungen bei internationalen Organisationen und vor internationalen Ausschüssen Der Vorsitzende des Redaktionsausschusses der ILC leitete in seinem Zwischenbericht 2012 aus der Reaktion der Mehrheit der Staaten auf eine Umfrage der ILC sowie anhand von Diskussionen in der Vollversammlung der ILC ab, dass derzeit keine rechtliche Verpflichtung von Staaten besteht, betroffenen Staaten im Katastrophenfall Hilfe anzubieten.243 Dem ist zuzu­ stimmen. Eine Pflicht, Hilfe zu leisten, wird von der absoluten Mehrheit der Staaten, die sich im Rechtsausschuss der UN-Generalversammlung zu dieser Thematik äußerten, abgelehnt.244 Daneben plädierten lediglich manche 243  ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (64th session 2012, Protection of Persons in the Event of Diasters) (30.  Juli 2012), S. 3. 244  Ägypten (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr. 36); Chile (UNGA Sixth Com­ mittee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  10 sowie UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 19th meeting‘ (4.  Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.19, Rdnr.  11); Deutsch­ land (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  28); El Salvador (UNGA Sixth Commit­ tee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/ SR.22, Rdnr.  14); Europäische Union (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 18th meeting‘ (4. Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.18, Rdnr. 70); Finn­ land, auch im Namen der Nordischen Staaten (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr. 60); Griechenland (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 19th meeting‘ (4.  Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.19, Rdnr.  56); Großbritannien (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr. 45); Indien (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 20th meeting‘ (7.  Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.20, Rdnr.  20); Is­ rael (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  Novem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  33); Malaysia (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 19th meeting‘ (4.  Dezember 2012) UN Doc. A/C.6/67/ SR.19, Rdnr. 110); Mexiko (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.22, Rdnr.  20); Niederlande (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  48); Österreich (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Staaten für einen Mittelweg, indem etwa das Anbieten von Hilfe empfohlen würde.245 Andere Staaten waren wiederum der Auffassung, dass verbale Solidaritätsbekundungen an sich ebenso wichtig seien, wie das konkrete Anbieten von Hilfe und dies somit ausreiche. Manche Staaten äußerten, dass Art. 2(7) UN-Charta die Möglichkeit der Vereinten Nationen und der Staatengemeinschaft einschränke, Hilfe anzubieten.246 Nur Sri Lanka247 und Thailand248 haben sich explizit für eine bestehende Pflicht der Staaten­ gemeinschaft, Hilfe zu leisten, ausgesprochen.

SR.23, Rdnr.  25); Pakistan (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  7); Polen (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  86); Portugal (UNGA Sixth Committee, ‚Summary re­ cord of the 24th meeting‘ (1. Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr. 66); Rumänien (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (9. De­ zember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.25, Rdnr.  19); Russland (UNGA Sixth Com­ mittee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr. 37); Singapur (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  75); Süd­ afrika (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 19th meeting‘ (4.  Dezem­ ber 2012) UN Doc. A/C.6/67/SR.19, Rdnr.  84); Tschechische Republik (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (14.  November 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.23, Rdnr.  19); Vereinigte Staaten von Amerika (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (2.  Dezember 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.21, Rdnr.  69). Siehe dazu auch ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its sixty-third session (2011): Topical summary of the discussion held in the Sixth Committee of the General Assembly during its sixtysixth session, prepared by the Secretariat‘ (20.  Januar 2012) UN Doc. A/CN.4/650 Rdnr.  39 sowie ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of di­ sasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Rdnr.  44-50. 245  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3.  Juni; 4.  Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Rdnr.  283; ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its sixty-third session (2011): Topical summary of the discussion held in the Sixth Committee of the General Assembly during its sixty-sixth session, prepared by the Secretariat‘ (20. Januar 2012) UN Doc. A/CN.4/650, Rdnr. 39. 246  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtythird session – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (26. April– 3. Juni; 4. Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Rdnr. 281. 247  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 27th meeting‘ (8.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.27, Rdnr.  20. 248  UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2011) UN Doc. A/C.6/66/SR.24, Rdnr.  92.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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bb) Soft law Das Hyogo Framework for Action, die Oslo-Guidelines sowie die UNI­ TAR-Rules enthalten ebenfalls keine Hinweise auf eine Hilfspflicht der Staa­ tengemeinschaft. Gleiches gilt für die Resolutionen der Internationalen Kon­ ferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes. Auch die Generalver­ sammlung der Vereinten Nationen ist zurückhaltend, was die Auferlegung von konkreten Pflichten auf die Staatengemeinschaft betrifft. Nicht betroffe­ ne Staaten werden so z. B. lediglich gedrängt, (präventive) Maßnahmen zu ergreifen, um in Katastrophenfällen die koordinierte Versorgung mit Nah­ rungsmitteln sicherzustellen.249 Nicht betroffene Staaten in der Nachbarschaft des betroffenen Landes werden zudem zur Kooperation mit dem betroffenen Staat hinsichtlich internationaler Hilfsaktionen angemahnt, insbesondere zur Transitermöglichung von Hilfspersonal.250 In Resolutionen des Wirtschaftsund Sozialrates der Vereinten Nationen werden die nicht betroffenen Staaten lediglich gebeten, in Form von bilateralen Abkommen, durch das System der Vereinten Nationen oder andere Organisationen in zunehmendem Umfang Katastrophenhilfe bei Naturkatastrophen anzubieten.251 Regionale Organisationen gehen in ihren soft law Dokumenten nur in zwei Fällen darüber hinaus. Das von ASEAN ausgearbeitete Übereinkom­ men zur Katastrophenhilfe normiert in Art. 3 Abs. 3, dass die Vertragspar­ teien zur Erreichung der festgelegten Ziele des Abkommens kooperieren und koordinieren sollen. Eine positive Hilfsverpflichtung wird zwar nicht normiert, aber zumindest eine starke Verhaltensvorgabe formuliert. Gemäß Art. 11 Abs. 4 des Abkommens sollen die Vertragsparteien („shall“) schnell über eingehende Hilfsanfragen zu entscheiden und die anfragende Vertrags­ partei darüber informieren, ob Hilfe geleistet werden kann. Gemäß Art. 11 Abs. 6 sollen („shall“) die Vertragsparteien das ASEAN-Koordinationszen­ trum für Katastrophenhilfe darüber informieren, welche Einheiten und wel­ che Ausrüstung sie für einen Katastrophenhilfeeinsatz zur Verfügung stellen könnten. Das SAARC-Übereinkommen enthält zudem keine positive Hilfs­ verpflichtung, aber in Art. IV Abs. 3 die stark betonte Verhaltensempfeh­ lung, schnell auf Hilfsanfragen eines betroffenen Staates zu reagieren („The Parties shall […] Promptly respond to a request for assistance from an af­ fected Party“).252 Andere Organisationen, wie die OAS, sehen demgegen­ 249  UNGA, 250  UNGA,

I.7.

Res 63/139 (11.  Dezember 2008) UN Doc. A/RES/63/139, Abs. 9. Res 46/182 (19.  Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182, Prinzip

251  z. B. ECOSOC, Res 1546/XLIX [Assistance in cases of natural disasters], v. 30.  Juli 1970, Abs. 6. 252  SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

über nur einen kontinuierlichen Ausbau der bestehenden institutionellen Mechanismen zur Katastrophenhilfe vor.253 cc) Zwischenergebnis Die nahezu einhelligen Staatenäußerungen im Rechtsausschuss der Ver­ einten Nationen sowie das bisher ausgearbeitete soft law zu den Pflichten der Staatengemeinschaft führen zu dem eindeutigen Schluss, dass sich noch keine Rechtsüberzeugung dahingehend gebildet hat, dass nicht betroffene Staaten einem betroffenen Staat im Katastrophenfall Hilfe leisten müssten. c) Rechtserkenntnisquellen zur Feststellung von Völkergewohnheitsrecht, Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut Der von der ILC ausgearbeitete Art. 8 DAPPED sieht zwar eine generel­ le Pflicht zur Kooperation der Staaten untereinander sowie mit zwischen­ staatlichen Organisationen, IFRK, IKRK und relevanten Nichtregierungsor­ ganisationen vor („duty to cooperate“).254 Die ILC lehnt aber eine – aus der Kooperationspflicht abgeleitete oder originäre  – Pflicht von Staaten oder zwischenstaatlichen Organisationen,255 Hilfe zu leisten oder anzubieten, ab. Dennoch erfolgende Hilfsangebote und Hilfsleistungen werden als wün­ schenswerte, aber freiwillige Leistungen angesehen.256 In Art. 16 DAPPED wird lediglich anerkannt, dass Staaten, die UN und sonstige zwischenstaat­ liche Organisationen ein Recht haben, dem betroffenen Staat Hilfe anzubie­ ten („right to offer assistance“).257 Diese Formulierung dient der Klarstel­ 253  Z. B. OAS General Assembly, Existing mechanisms for disaster prevention and response and humanitarian assistance among the member states (4.  Juni 2012) AG/RES.2750 (XLII-0/12), Abs. 3. 254  ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/ CN.4/L.831 (15.  Mai 2014). 255  Der Vorsitzende des Entwurfsausschusses hat bezüglich zwischenstaatlicher Organisationen zutreffend darauf hingewiesen, dass man hier ohnehin keine Rechts­ pflichten konstruieren könne. Zwischenstaatliche Organisationen handeln ausschließ­ lich im Rahmen des ihnen übertragenen Mandats- und Pflichtenkreis, ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (64th session 2012, Protection of Per­ sons in the Event of Diasters) (30.  Juli 2012) S. 4. 256  UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Sixty-fifth session‘ (6.  Mai–7.  Juni, 8.  Juli–9.  August 2013) UN Doc. A/68/10, Commentary Art. 12, Rdnr.  2. 257  ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/ CN.4/L.831 (15.  Mai 2014).



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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lung, dass das bloße Anbieten von Hilfe  – sofern dies im Einklang mit den DAPPED steht – nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des betroffenen Staates gewertet werden kann.258 Der Redaktionsausschuss der ILC hat in der Folge aus dem entsprechenden Entwurfsartikel auch die Formulierung „shall have the right to offer assistance“ gestrichen und sich stattdessen für „have the right to offer assistance“ entschieden.259 Nichtre­ gierungsorganisationen wurde lediglich die Möglichkeit eingeräumt, Hilfe anzubieten, da sich ihre Befugnisse im betroffenen Staat ohnehin nach na­ tionalem Recht richten und man ihnen keine weiteren Kompetenzen und Rechte einräumen wollte, als es in diesem nationalen Rechtsrahmen vorge­ sehen ist.260 Die vom Institut de Droit International 2003 verabschiedete Resolution über humanitäre Hilfe normiert ebenfalls keine explizite Pflicht von Staaten oder internationalen Organisationen, dem von einer Katastrophe betroffenen Staat Hilfe anzubieten oder zu leisten. Ihnen wird, wie in Art. 18 DAPPED, in Art. IV nur ein Recht hierzu eingeräumt und klargestellt, dass Hilfsange­ bote keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des betroffenen Staates darstellen.261 Zurückhaltend wird daneben in Art. V Abs. 1 lediglich eine Obliegenheit von Staaten normiert, spezifisch den Opfern von Kata­ strophen im maximalen Ausmaß Katastrophenhilfe anzubieten („should […] offer“) sofern dadurch nicht die wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Kapazitäten des helfenden Staates überdehnt werden. Internationale Organi­ sationen werden demgegenüber explizit im Rahmen ihres jeweiligen Man­ dates bzw. der statuarischen Bestimmungen sogar zum Anbieten von Hilfe verpflichtet („shall offer“).262 Einzige Voraussetzung für die Ausübung der 258  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its sixtythird session (2011): Topical summary of the discussion held in the Sixth Committee of the General Assembly during its sixty-sixth session, prepared by the Secretariat‘ (20.  Januar 2012) UN Doc. A/CN.4/650, Rdnr.  36; UNGA, ‚Report of the Interna­ tional Law Commission  – Sixty-fifth session‘ (6.  Mai–7.  Juni, 8.  Juli–9.  August 2013) UN Doc. A/68/10, Commentary Art. 12, Rdnr.  3. Siehe dazu oben Abschnitt I.1. 259  ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (64th session 2012, Protection of Persons in the Event of Diasters) (30.  Juli 2012), S. 4. 260  ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (64th session 2012, Protection of Persons in the Event of Diasters) (30.  Juli 2012), S. 4. 261  Art. IV Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 262  Art. V Abs. 2 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. Durch Art. V der Resolution geht das IDI neben dem horizontalen Verhältnis zwischen betroffenem Staat und Staatengemeinschaft somit auch auf das vertikale Verhältnis zwischen den Opfern der Katastrophe und der Staatengemeinschaft ein, ohne die Staaten dabei rechtlich in die Pflicht zu nehmen Methodisch dient dies einerseits dazu, die Staatengemeinschaft zu motivieren, ihr Recht auf das Anbieten von Hilfe auch wahrzunehmen. Zum anderen wird dem Schutzobjekt des IDRL, der betroffe­

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Obliegenheit bzw. Pflicht ist gemäß Art. V Abs. 3, dass die Staatengemein­ schaft oder die Organisation bei der Hilfsleistung Einmischungen in die inneren Angelegenheiten unterlässt.263 Dieser Absatz ist dabei an dieser Stelle als überflüssig anzusehen. Ausgangspunkt und Grenze externer Hilfe­ leistung ist ohnehin die Zustimmung des betroffenen Staates. Liegt diese vor, kann die Hilfeleistung nicht als Einmischung in die Souveränität des betroffenen Staates betrachtet werden, da dieser durch die Zustimmungser­ teilung seine domaine réservé freiwillig beschränkt hat. Anders als die ILC äußert sich das IDI neben den Hilfsobliegenheiten zur Kooperationspflicht nur im Rahmen der Durchführung von Katastrophenhilfe, d. h. es werden keine der unmittelbaren Hilfeleistung vorgelagerten Verhaltensvorgaben aus dem Kooperationsgrundsatz hergeleitet, sondern es wird nur eine Koopera­ tionspflicht der helfenden Staaten und Organisationen mit den Behörden des betroffenen Staates in der Ausführungsphase normiert („shall cooperate“).264 d) Ergebnis Bei Katastrophen mit Opferzahlen im hohen fünfstelligen Bereich sowie bei wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe hat sich eine signifikante Staatenpraxis hinsichtlich internationaler Hilfsaktionen im Katastrophenfall herausgebildet. Die Staatenpraxis ist indes nicht von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft, zur Hilfe in extremen Fällen verpflichtet zu sein, begleitet. Mangels Rechtsüberzeugung kann von einer gewohnheitsrechtlichen Pflicht, Hilfe zu leisten, prima facie nicht ausgegan­ gen werden. Es lässt sich jedoch die These aufstellen, dass die Stetigkeit, Häufigkeit und Schnelligkeit bei der Hilfeleistung den Schluss nahelegt, dass sich in den genannten Fällen der hohen Opferzahlen und Milliarden­ schäden trotz im Rahmen der ILC-Diskussionen explizit geäußerter fehlen­ der Rechtsüberzeugung dennoch eine Rechtspflicht zur Hilfe etabliert hat. Wie im 3. Kapitel dargelegt wurde265, indiziert das Vorliegen umfassender und genereller Staatenpraxis häufig, dass diesbezüglich auch von einer ent­ sprechenden Rechtsüberzeugung der Staaten auszugehen ist.266 Der IGH nen Bevölkerung, dadurch eine exponierte Rolle zugewiesen. Zur Möglichkeit der vertikalen und horizontalen Wirkung von Solidarität auch Boisson de Chazounes, Responsibility to Protect: Reflecting Solidarity (2010), 94. 263  Art. V Abs. 3 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 264  Art. VI Abs. 1 Resolution on Humanitarian Assistance, Bruges Session. 265  Teil  1, Kapitel  C., Abschnitt II.3. 266  Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 8 f.; mit Verweis auf Lauterpacht, The General Works, 63; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte (1989), 60; Baxter, I Recueil de Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law (1970), 69.



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verknüpft die Suche nach der Rechtsüberzeugung regelmäßig mit der Staa­ tenpraxis und geht in vielen Urteilen nicht gesondert auf den Nachweis einer opinio iuris ein.267 Es lässt sich argumentieren, dass der Grundsatz des venire contra factum proprium es verbietet, einerseits in bestimmten Katastrophensituationen Hilfe zu leisten, aber in  – rückwirkenden  – Äuße­ rungen in UN-Gremien keine Rechtspflicht anzuerkennen. Freilich ist damit eine Gratwanderung auf dem Rücken der Staatensouveränität verbunden. Die Hilfeleistungsbereitschaft von Staaten könnte verringert werden und die Effektivität der Katastrophenhilfe beeinträchtigt, wenn die hilfeleistenden Staaten ihre Handlungen stets mit Aussagen über die fehlende Rechtspflicht hierzu verknüpfen müssten. Allerdings stehen den potentiell zur Hilfe ver­ pflichteten Staaten vor der tatsächlichen Erbringung von Hilfe alle in den Artikeln zur Staatenverantwortlichkeit und im Völkergewohnheitsrecht an­ erkannten Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe zu. Nach dem Grundsatz nemo posse ultra obligatur steht die Katastrophenhilfe zudem jeweils unter einem Kapazitäts- und Prüfungsvorbehalt, auf denen in Ab­ schnitt II.3. eingegangen wird. Es stellt dadurch keinen untragbaren Eingriff in die Souveränität der Staaten dar, wenn ihre aktive Hilfsbereitschaft in Katastrophen mit fünfstelligen Opferzahlen oder Milliardenschäden als von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung begleitet interpretiert wird. Die Häufigkeit der Hilfshandlungen der Staatengemeinschaft ist in diesen Fällen derart inkongruent zu den Äußerungen der Rechtsauffassung, so dass dies den Schluss auf eine Rechtspflicht zur Hilfe zulässt. In Fällen mit geringeren Opferzahlen variiert die Beteiligung der Staaten­ gemeinschaft an Hilfsaktionen in ihrer Häufigkeit und ihrem Ausmaß. Die Hilfeleistung durch nicht betroffene Staaten kann in diesen Situationen derzeit maximal als Akt der Courtoisie eingeordnet werden, der durch die zunehmende Bedeutung des Solidaritätsprinzips im Völkerrecht motiviert sein kann. Allerdings muss auch zur Annahme einer Verkehrssitte festge­ stellt werden, dass sich bereits eine Regel herausgebildet hat, d. h. ein in bestimmten Situationen erwartbares und reziprok erfolgendes Verhalten. Auch dies lässt sich anhand der dargestellten Staatenpraxis in den Katastro­ phen mit mittlerem bis kleinem Umfang nicht vereinheitlichen. 267  Siehe z. B. IGH, Jurisdictional Immunities (3. Februar 2012) ICJ Reports 2012, 99, 33 para. 77–78, wo als Nachweis für opinio iuris (hinsichtlich des Bestehens von völkergewohnheitsrechtlichem Immunitätsschutz für Handlungen der Streitkräfte auf fremdem Staatsgebiet während eines bewaffneten Konflikts) lediglich auf die Haltung der Staaten rekurriert, ohne diese näher zu erläutern, und im übrigen auf nationale Gerichtsentscheidungen sowie das Fehlen gegenteiliger Äußerungen der Staaten über die Arbeit der ILC zum Thema Immunität verweist. verweist. Eine dezidierte Prüfung der opinio iuris wird darüber hinaus nicht vorgenommen; Pellet, in: Zimmermann/ Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams (Hrsg.), The Statute of the International Court of Jus­ tice. A Commentary (2. Aufl. 2012), Art. 38 Rdnr. 235.

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3. Etablierung einer Pflicht, Hilfsanfragen des betroffenen Staates mit der gebotenen Sorgfalt und ermessensfehlerfrei zu prüfen Auch wenn de lege lata außerhalb der Katastrophen mit hohen fünfstel­ ligen Opferzahlen und Milliardenschäden keine Pflicht besteht, einem von einer Katastrophe betroffenen Staat Hilfe anzubieten und zu leisten, lässt sich argumentieren, dass jeder nicht betroffene Staat in jeder Katastrophen­ situation im Sinne des IDRL zumindest die Pflicht hat, eingehende Hilfsan­ fragen sowie die eigeninitiative Übermittlung von Hilfsangeboten mit der gebotenen Sorgfalt und ermessensfehlerfrei, d. h. insbesondere ohne Willkür, zu prüfen und eine Verhaltensentscheidung gegenüber dem betroffenen Staat bekannt zu geben. a) Originäre völkergewohnheitsrechtliche Pflicht zur ermessensfehlerfreien Reaktion Zur Herleitung einer originären, d. h. nicht aus bestehenden völkerrecht­ lichen Prinzipien, abgeleiteten, völkergewohnheitsrechtlichen Prüfpflicht, ob Hilfe geleistet werden kann, wäre der Nachweis einer entsprechenden Staa­ tenpraxis erforderlich. Dies ist nicht möglich, da die Regierungen, die bei bestimmten Katastrophenfällen keine Hilfe geleistet haben, sich nicht öf­ fentlich diesbezüglich geäußert haben. Es lässt sich daher nicht nachvollzie­ hen, ob die tatsächliche Nichtleistung von Hilfe das Ergebnis einer voran­ gegangenen Prüfung war oder das Resultat schlichter Untätigkeit oder Un­ wissenheit über die Hilfsbedürftigkeit eines betroffenen Staates. In der Vertragspraxis gibt nur Art. 3 lit. e der Framework Convention for Civil Defence Assistance einen Hinweis darauf, dass Hilfsanfragen in der kürzest möglichen Zeit zu ‚untersuchen‘ sind.268 Hinsichtlich der erforderlichen Rechtsüberzeugung geben nur zwei soft law Dokumente Hinweise darauf, dass eine Hilfsanfrage zumindest eine sorgfältige Prüfung der eigenen Re­ aktionsmöglichkeiten erfordert. Gemäß Art. 11 Abs. 4 AADMER soll jede Vertragspartei, an die eine Hilfsanfrage gerichtet wird, schnell hierüber entscheiden und den betroffenen Staat über die Entscheidung informieren. Art. IV Abs. 3 des SAARC-Agreement on Rapid Response to Natural Di­ sasters verpflichtet alle Vertragsparteien, rasch auf eine Hilfsanfrage von einer betroffenen Vertragspartei zu reagieren, wobei nicht konkretisiert wird, ob es sich um eine konkret an eine bestimmte Vertragspartei gerichtete Hilfsanfrage halten muss. 268  Art. 3 lit. e  „Offers of, or

FCCDA: requests for, assistance shall be examined and responded to by recipient States within the shortest possible time.“



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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b) Aus dem Solidaritätsprinzip und Kooperationsprinzip abgeleitete Pflicht zur ermessenfehlerfreien Reaktion Es lässt sich aber argumentieren, dass sich aus dem Solidaritätsprinzip in Verbindung mit dem Kooperationsprinzip in ihrem derzeit anerkannten Um­ fang eine Prüfpflicht ableiten lässt. Das Kooperationsprinzip wird im Kata­ strophenschutz an vielen Stellen relevant, insbesondere bei der Zusammen­ arbeit durch Informations- und Technologietransfer zur Katastrophenvorsor­ ge, der Wissensweitergabe durch Frühwarnung etc.269 Darüber hinaus kann die Art der Kooperation im Einzelfall durch den Abschluss von bilateralen Verträgen konkretisiert werden.270 Man könnte die These aufstellen, dass aus der Kooperationspflicht zumindest die Verpflichtung eines Staates folgt, auf eine konkret an ihn gerichtete Hilfsanfrage eines betroffenen Staates zumindest zeitnah zu reagieren und den betroffenen Staat über seine Ent­ scheidung, ob es ihm möglich ist, Hilfe zu leisten, zu informieren.271 Dass die Entscheidung, Hilfe zu leisten, einer konstanten innerstaatlichen Prüfung unterworfen ist, zeigt sich auch anhand der Fälle, in denen bereits zugesag­ te Hilfe widerrufen wurde oder Zusagen nicht eingehalten wurden. Die Vereinigten Staaten von Amerika erhielten von den ursprünglich von 151 Staaten zugesagten und akzeptieren 454 Mio. US-Dollar im Ergebnis nur 126  Mio. US-Dollar von vierzig Staaten.272 Es liegt in den meisten Fällen die Vermutung nahe, dass die Staaten nach eingehender Prüfung feststellten, die Zusagen nicht einhalten zu können. Neben Beispielen wie diesen kann die zunehmende Tendenz zur Solidarisierung im Katastrophenschutzvölker­ recht bzw. die wachsende Bedeutung des Solidaritätsprinzips zusätzlich als dahingehend verdichtet angesehen werden, dass eine innerstaatliche Prüfung über das ‚ob‘ und ‚wie‘ der Hilfe zumindest durch den jeweiligen Adressa­ ten einer Hilfsanfrage durchzuführen ist. Auch wenn sich aus dem Solida­ ritätsprinzip zwar keine gegenüber anderen Staaten positiven Verhaltens­ pflichten ableiten lassen, so wird hier deutlich, dass sich daraus zumindest 269  Siehe hierzu z. B. Art. 3 Abs. 1 Convention on the Transboundary Effects of Industrial Accidents; Artt.  14–16 Convention on the Transboundary Effects of In­ dustrial Accidents; Art. 3 Abs. 4–6, Art. 4 lit. a, Art. 7 Abs. 2, Part VII AADMER; Art. 13 Abs. 1 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or serious acci­ dents. 270  Art. 1 Abs. 3 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency; Art. 13 lit. r) Agreement Establishing CDEMA. 271  Art. 4 lit. c, Art. 11 Abs. 4 AADMER; Art. 7 Abs. 3 Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung). 272  ,U.S. Refused Most Offers of Aid for Hurricane Katrina‘ The Sun (30.  April 2007) .

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Obliegenheiten ergeben können, d. h. freiwillige Selbstverpflichtungen, auf deren reziproke Einhaltung ein Staat in einer vergleichbaren Situation gleichfalls vertrauen kann. Es lässt sich entsprechend die Regel formulieren, dass es gewohnheitsrechtlich erforderlich ist, in Katastrophensituationen rasch auf Hilfsanfragen zu reagieren und über die eigene Hilfsbereitschaft zu informieren sowie, in den Fällen, in denen keine konkrete Hilfsanfrage gestellt wurde, die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu evaluieren und das Prüfergebnis bekannt zu geben. Zu untersuchen ist abschließend, wie zu verfahren ist, wenn die ermes­ sensfehlerfreie Prüfung des um Hilfe ersuchten Staates zu dem Ergebnis kommt, dass Hilfe geleistet werden könnte. Da eine Pflicht zur Hilfeleis­ tung nur in den in Abschnitt  2. herausgearbeiteten Fällen mit hohen Opf­ erzahlen und Milliardenschäden greift, kann über die Prüfpflicht keine Hilfspflicht in anderen Situationen konstruiert werden. Der um Hilfe ange­ fragte Staat verhält sich allein dadurch völkerrechtmäßig, dass er zeitnah und ermessensfehlerfrei prüft und eine Verhaltensentscheidung trifft. Wie die Verhaltensentscheidung nach ermessensfehlerfreier Prüfung ausfällt, ist dem Staat überlassen, sofern keine Katastrophe mit hohen Opferzahlen und Milliardenschäden vorliegt. Ansonsten könnte der betroffene Staat durch eine Hilfsanfrage an Industrienationen nahezu immer deren Hilfspflicht herbeiführen. Dennoch hat die Etablierung einer Prüfpflicht einen Mehr­ wert für das internationale Katastrophenhilfevölkerrecht, auch wenn mit ihr keine unmittelbaren Rechtsfolgen verbunden sind. Zum einen werden die um Hilfe angefragten Staaten aktiv in den Prozess der Beschäftigung mit internationaler Katastrophenhilfe eingebunden. So wird die Hemmschwelle zur Verweigerung von Hilfe abgesenkt und das Verhalten der um Hilfe ersuchten Staaten transparenter, so dass auch Prognosen im Vorfeld zu­ künftiger Katastrophen getroffen werden können und der Prozess der inter­ nationalen Katastrophenhile fairer wird. Zudem ist es organisatorisch für den betroffenen Staat und die helfenden Staaten und Organisationen ent­ scheidend zu wissen, ob und wenn ja in welcher Form mit weiterer Hilfe zu rechnen ist. Dadurch können Hindernisse, insbesondere in Form von Zeitverzögerungen, in der Katastrophenhilfe vermieden werden und die Hilfe sowie das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure werden insge­ samt effektiver. c) Parameter, die bei der Entscheidung über Art und Umfang der Hilfeleistung relevant sind und die zudem zur Abwendung einer bestehenden Hilfspflicht führen können Aus dem Grundgedanken der Solidarität und Kooperation lassen sich Parameter ableiten, die die um Hilfe ersuchten Staaten bei der Prüfung des



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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‚Ob‘ und des Umfangs der Hilfeleistung zu beachten haben.273 Führt eine ermessensfehlerfreie Prüfung zum Ergebnis, dass Hilfe zu leisten ist, knüpft sich daran zumindest in den Fällen mit Opferzahlen im hohen fünfstelligen Bereich oder ökonomischen Milliardenschäden eine Hilfspflicht. Umgekehrt kann ein um Hilfe ersuchter Staat in den genannten Fällen die Hilfspflicht abwenden, wenn eine Evaluation der unten stehenden Parameter der Hilfe­ leistung entgegensteht. Ein Parameter, der Berücksichtigung finden muss, ist das Ausmaß der Katastrophe. Es zeigt sich, dass die Staaten bei gravierenden Katastrophen häufig von einer Ermessensreduktion auf Null ausgehen und Hilfe leisten. Bei extremen Großkatastrophen wurde jeweils von über zwei Dritteln aller Staaten Hilfe in irgendeiner Form angeboten. Beispiele hierfür sind Hurri­ kan Katrina 2005 und das Erdbeben von Haiti 2010. Darunter waren auch Entwicklungsländer, die ihrer finanziellen Situation nach, aufgrund eigener Großschadenslagen oder aus politischen Gründen nicht zu den typischen Geberländern im Verhältnis zum betroffenen Staat gehören, aber dennoch Geld oder Material spendeten. Beispiele hierfür sind die Spenden von ver­ schiedenen afrikanischen Staaten (Dschibuti, Gabun, Kenia, Uganda)274, Honduras, Guatemala, Kuba, Pakistan und Venezuela an die Vereinigten Staaten von Amerika nach Hurrikan Katrina 2005.275 Die Entscheidung, trotz der eigenen schwachen wirtschaftlichen Situation dennoch Hilfe zu leisten, lässt sich nur so erklären, dass die jeweiligen Staaten in einer Ab­ wägungsentscheidung der Katastrophenhilfe ein solches Gewicht beigemes­ sen haben, dass es die eigenen Bedürfnisse überwiegt. Ein weiterer Parameter im Rahmen der Prüfungsentscheidung, ob Hilfe angeboten wird, ist der Gedanke der Reziprozität. Wurden Staaten von dem betroffenen Staat in der Vergangenheit in Krisensituationen auch mit Hilfe bedacht, sind sie schneller bereit, Hilfe zu leisten, auch wenn sie nur über geringe Mittel verfügen. Dies zeichnete sich z. B. bei Hurrikan Katrina ab, als viele Nehmerländer aus Dankbarkeit an die Vereinigten Staaten von Amerika spendeten.276 273  Siehe hierzu ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixty-third session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disas­ ters‘ (26. April–3.  Juni; 4.  Juli–12. August 2011) UN Doc. A/66/10, Rdnr.  279. 274  Fisher-Thompson, Uganda Is Latest African Donor of Relief to Hurricane Katrina, United States of America Embassy/Department of State, IIP Digital (Hrsg.) (8.  September 2005), . 275  World mobilises to aid US victims, BBC News (2.  September 2005), . 276  World mobilises to aid US victims, BBC News (2.  September 2005), ; Fisher-Thompson, Uganda Is Latest

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Eine weitere Rolle spielen die wirtschaftliche Situation, der Entwick­ lungsstand und die eigenen Katastrophenbewältigungskapazitäten des be­ troffenen Staates. Handelt es sich bei dem betroffenen Staat um ein Ent­ wicklungsland bzw. ein Land mit geringen eigenen Möglichkeiten, ist dem um Hilfe ersuchten Staat ein geringerer Ermessensspielraum bei der Hilfs­ entscheidung einzugestehen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich bei dem ersuchten Staat um ein wirtschaftlich gut entwickeltes Land mit guten Ka­ pazitäten und Expertise in der internationalen Katastrophenhilfe handelt. Andererseits führt die Tatsache, dass ein um Hilfe ersuchter Staat selbst über nur geringe finanzielle Mittel oder Expertise in der Katastrophenhilfe verfügt, dazu, dass er ein weiteres Ermessen hat, keine Hilfe zu leisten. In die Ermessensentscheidung des um Hilfe ersuchten Staates ist schließ­ lich auch einzubeziehen, welche Nachteile mit der Hilfeleistung für den angefragten Staat verbunden sind. Ist die Hilfeleistung mit großen Risiken für die Hilfskräfte des angefragten Staates verbunden, hat er einen weiteren Spielraum bei der Ablehnung von Hilfe. Beispiele hierfür sind etwa die Ebola-Epidemie oder der Einsatz in Erdbebengebieten, in denen häufig mit Nachbeben zu rechnen ist. Zu beachten ist, dass in der Abwägungsentscheidung auch die unter­ schiedlichen Möglichkeiten der operativen Durchführung beachtet werden müssen. Ein Industriestaat kann sich bei der Ebola-Epidemie beispielsweise nicht durch den Verweis auf die große Ansteckungsgefahr für Katastrophen­ helfer von jeglicher Art von Hilfe exkulpieren, da zumindest finanzielle Hilfe oder die Spende von technischem Equipment, z. B. Rettungswägen, noch immer ohne Risiko für eigene Staatsangehörige möglich ist. Umge­ kehrt soll auch ein Entwicklungsland prüfen, ob es trotz mangelnder finan­ zieller Mittel nicht z. B. durch innerstaatliche Krisen erprobtes Personal dem betroffenen Staat bereitstellen kann. Zusammenfassend lässt sich festzustellen, dass Staaten verpflichtet sind, im Rahmen einer willkürfreien Gesamtschau aller Faktoren zeitnah darüber zu entscheiden, ob oder in welchem Umfang sie einem betroffenen Staat Hilfe leisten können. Die Faktoren, die jeder Staat dabei in seine Ermes­ sensentscheidung einbeziehen muss, sind das Ausmaß der Katastrophe, die wirtschaftliche Situation des betroffenen Staates, die Katastrophenbewälti­ gungsmöglichkeiten des betroffenen Staates, die Frage, ob der betroffene Staat selbst bereits dem ersuchten Staat Hilfe geleistet hat, die eigene wirt­ schaftliche Situation sowie die eigenen finanziellen, personellen und techni­ African Donor of Relief to Hurricane Katrina, United States of America Embassy/ Department of State, IIP Digital (Hrsg.) (8. September 2005), .



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schen Möglichkeiten zur Katastrophenhilfe und abschließend die Risiken, die sich für den eigenen Staat bei einer Hilfsaktion ergeben würden. Der angefragte Staat muss in seiner Ermessensentscheidung die unterschiedli­ chen Möglichkeiten der konkreten Ausgestaltung einer Hilfeleistung in Be­ tracht ziehen und kann nicht pauschal eine Art von Hilfe ablehnen, wenn andere Formen der Hilfeleistung noch möglich sind. Auch wenn der betrof­ fene Staat nach einer bestimmten Art von Hilfe gefragt hat, hat der ange­ fragte Staat somit zumindest die Pflicht, Alternativen der Hilfeleistung aufzuzeigen. 4. Abschließende Bewertung Nicht betroffene und für die Katastrophe nicht verantwortliche Staaten sind de lege lata nur in extremen Großkatastrophen mit Opfern im hohen fünfstelligen Bereich oder bei wirtschaftlichen Milliardenschäden zur Kata­ strophenhilfe verpflichtet. Bei weniger umfangreichen Katastrophen müssen sie Hilfe weder anbieten noch leisten. Allerdings zwingen neue Entwicklun­ gen zu einer zukünftig differenzierten Betrachtungsweise und zeigen ein Bedürfnis danach, de lege ferenda eine positive Hilfspflicht auch in diesen sogenannten ‚vergessenen‘ Katastrophen zu begründen. So hat spätestens die Ebola-Epidemie in Westafrika gezeigt, dass bei Dauerkatastrophen bzw. sich über einen bestimmten Zeitraum entwickelnden Katastrophen der für die Auslösung der Pflicht erforderliche Schadensumfang unter Umständen erst zu einem Zeitpunkt erreicht wird, indem das Eingreifen der Staatenge­ meinschaft nicht mehr effektiv ist. De lege lata lässt sich vor diesem Hin­ tergrund, ausgehend von der global insgesamt verdichteten Hilfspraxis sowie verstärkt durch die Prinzipien der Solidarität und Kooperation, zumindest die Pflicht der Staatengemeinschaft herausarbeiten, eingehende Hilfsanfra­ gen bzw. die eigenen Möglichkeiten zur Hilfeleistung ermessensfehlerfrei zu prüfen und nicht grundlos Katastrophenhilfe zu verweigern. Wenn die Prüfung ergibt, dass die eigenen Kapazitäten zur Katastrophen­ hilfe nicht ausreichen oder als zu risikoreich eingestuft werden, lässt sich ferner argumentieren, dass die nicht betroffenen Staaten zumindest aufge­ fordert sind, dem privaten Sektor Katastrophenhilfe zu ermöglichen bzw. ihn dazu zu ermutigen. Die finanziellen Kapazitäten des privaten Sektors sind enorm. Seine Bedeutung bei der Katastrophenhilfe wächst, insbesonde­ re auch durch die zunehmende Beteiligung nichtstaatlicher Akteure an Hilfsaktionen. Ein Beispiel hierfür ist die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014.277 Die Potenz des privaten Sektors zeigte sich nach dem Tsunami in Südostasien 2004, als private Stellen insgesamt 40 % der gesamten bereit­ 277  ,Gefahr

für den Weltfrieden‘ Der Spiegel (22.  September 2014), 130–135.

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gestellten internationalen Katastrophenhilfe spendeten.278 Für die Bekämp­ fung der Ebola-Epidemie stellte der private Sektor insgesamt über 125 Mil­ lionen Euro bereit.279 Über ein Drittel der finanziellen Unterstützung für Nepal nach dem Erdbeben 2015 wurde durch private Spenden bereitge­ stellt.280 Wege der betroffenen Staaten, die Beteiligung des privaten Sektors zu erhöhen, sind z. B. Steuererleichterungen bzw. -vergünstigungen für Spenden281 sowie öffentliche Appelle und die Einrichtung von Spenden­ initiativen. So appellierte z. B. die deutsche Bundesregierung innerhalb der Bundeswehr, sich als freiwilliger Helfer zum Einsatz in der Ebola-Epidemie zu melden.282

III. Verhaltenspflichten bei der Durchführung der zwischenstaatlichen Hilfe Nimmt der betroffene Staat Hilfe von anderen Staaten an, so sind bei der Erbringung der Hilfe bestimmte Grundregeln zu beachten.283 Im nachfolgen­ 278  Tsunami Evaluation Coalition, ‚Funding the tsunami response: A synthesis of findings‘ (2006), 8. 279  Oxfam, ‚Ebola and the Private Sector Bolstering the response and West Af rican economies‘ (2014) , 2. 280  OCHA, ‚Nepal: Funding status‘ (27.  Juni 2015) . 281  In zahlreichen Staaten der Welt sind Spenden an Organisationen für einen gemeinnützigen Zweck, wie z. B. die Katastrophenhilfe, von der Steuer absetzbar, vgl. als Beispiele nur in Deutschland § 4a Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung (EStG), v. 8.  Oktober 2009, BGBl. I 3366, 3862; in den USA Title 26 § 501 USC; auch in Japan sind Spenden zur Katastrophenhilfe steuerlich absetzbar, Giving and Tax Deductions in Japan, . 282  ,Einsatz gegen Ebola: Von der Leyen setzt auf freiwillige Helfer‘ FAZ (22.  September 2014) . 283  Für Nichtregierungsorganisationen gelten bestimmte Verhaltenskodizes, zu deren Einhaltung sich bestimmte Organisationen verpflichtet haben. Besonders her­ vorzuheben und von hoher praktischer Bedeutung ist dabei das von der Internatio­ nalen Rotkreuzbewegung und humanitär tätigen Nichtregierungsorganisationen aus­ gearbeitete Sphere Handbook, The Sphere Project, Humanitarian Charter and Mini­ mum Standards in Humanitarian Response (2011), dem sich zahlreiche Organisatio­ nen verpflichtet haben. Große praktische Bedeutung hat auch der 26th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, Code of Conduct for the Interna­ tional Red Cross and Red Crescent Movement and Non-Governmental Organizations in Disaster Relief, Document 95/C.II/2/1 (3.–7.  Dezember 1995) mit mittlerweile knapp 550 Unterzeichnern (IFRK, Code of Conduct for the International Red Cross



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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den Abschnitt soll zunächst die Geltung humanitärer Grundsätze, die aus dem humanitären Völkerrecht bekannt sind, in der internationalen Katastrophen­ hilfe untersucht werden (1.). Im Anschluss daran wird auf den Einsatz von Militär im Katastrophenfall (2.) sowie die Problematik von Haftungsfragen zwischen helfendem und hilfeleistendem Staat eingegangen (3.). 1. Einhaltung der Gesetze des betroffenen Staates und Relevanz sonstiger humanitärer Grundsätze a) Grundsatz: Organisationsverantwortung des betroffenen Staates Die Ausführung internationaler Katastrophenhilfe ist von der Maxime geprägt, dass der betroffene Staat im Grundsatz die Organisationsverantwor­ tung trägt. In nahezu allen regionalen und bilateralen Verträgen ist festge­ legt, dass die Hilfe benötigende Vertragspartei die Hilfs- und Rettungsaktio­ nen anführt und für die Koordination und das Management der Hilfsmaß­ nahmen verantwortlich ist.284 Alle hilfeleistenden Staaten müssen bei der Ausführung von Hilfsaktionen folglich die Vorgaben und Anweisungen des betroffenen Staates beachten. Ordnet der betroffene Staat z. B. an, dass ein helfender Staat mit Nichtregierungsorganisationen oder anderen Akteuren zu kooperieren hat, muss sich der helfende Staat daran halten. Daneben haben sich die helfenden Staaten an das nationale Recht des betroffenen Staates zu halten.285 Bei der Lieferung von Hilfsgütern müssen Einfuhrbestimmun­ and Red Crescent Movement and Non-Governmental Organizations in Disaster Re­ lief- List of signatories (November 2014), ). 284  Z. B. Art. 7 Abs. 1 Convention between the French Republic and the Federal Republic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious acci­ dents; Art. 7 Abs. 1 Convention on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (France/Belgium); Art. 8 Abs. 1 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or serious accidents; Art. 9 Abs. 1 Agreement between the Swiss Federal Council and the Government of the Republic of the Philippines on Cooperation in the Event of Natural Disasters or other Major Emergencies. Siehe zu regionalen Verträgen auch Art. 8 Abs. 1 BSEC Agreement on collaboration in Emergency As­ sistance and Emergency Response to natural and man-made Disasters; Art. IV InterAmerican Convention to Facilitate Disaster Assistance; Art. 7 Abs. 4 Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufas­ sung). Als Beispiel für einen bereitchsspezifischen Vertrag siehe Art. 3 lit. a Conven­ tion on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency. 285  Siehe z. B. Art. 5 Abs. 7 Tampere Convention; Art. XI lit. d Inter-American Convention to Facilitate Disaster Assistance; Art. 8 Abs. 7 S. 1 Convention on As­

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gen, insbesondere Importverbote, eingehalten werden. Entsendet der hil­ feleistende Staat Hilfspersonal, so müssen die Helfer bei ihrem Hilfseinsatz die nationalen Gesetze des betroffenen Staates beachten, es sei denn, diese wurden durch Notfallgesetze oder besondere Anordnungen des betroffenen Staates explizit derogiert oder abgeändert.286 Teilweise wird der betroffene Staat darüber hinaus auch dazu angehalten, außerrechtliche lokale Gepflo­ genheiten und Bräuche zu beachten.287 b) Geltung weiterer humanitärer Grundsätze Fraglich ist, welche Verhaltenspflichten für die Helfer gelten, wenn z. B. der menschenrechtliche Mindeststandard im betroffenen Staat hinter dem des Entsendestaates zurückbleibt. Unter Umständen sind die Helfer dazu verpflichtet, die nationalen Gesetze des Entsendestaates auch im Ausland zu berücksichtigen, wenn in dessen nationaler Rechtsordnung eine entspre­ chende extraterritoriale Geltung angeordnet ist. Darüber hinaus ist fraglich, ob es allgemeingültige Grundsätze gibt, die bei der Ausführung humanitärer Hilfe zu beachten sind. Die Relevanz dieser Frage zeigt sich in den Fällen, in denen der betroffene Staat die Helferstaaten zur Missachtung von z. B. menschenrechtlichen Grundsätzen auffordert, aber auch, wenn auf Seite des betroffenen Staates genaue Vorgaben für die Durchführung der Hilfe fehlen. Die ILC vertritt diesbezüglich die These, dass sich der Hilfe leistende Staat an die aus dem Humanitären Völkerrecht bekannten Grundsätze der Huma­ nität, Neutralität, Unparteilichkeit und Nichtdiskriminierung halten muss.288 sistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency; Art. 17 Abs. 2 DAPPED. Dazu auch Silingardi, The Status of Emergency Workers, in: de Guttry/Gestri/Venturini (Hrsg.), International Disaster Response Law (2012), 23. Ka­ pitel, 577. 286  Z. B. Art. X SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters. Siehe in der Literatur dazu auch Bizzarri, Protection of Vulnerable Groups in Natu­ ral and Man-Made Disasters, in: de Guttry/Gestri/Venturini (Hrsg.), International Disaster Response Law (2012), 16.  Kapitel, 389. 287  Z. B. Art. 3 lit. b FCCDA. 288  Art. 7 DAPPED, ILC, Texts and titles of the draft articles adopted by the Drafting Committee on first reading (Protection of persons in the event of disasters), UN Doc. A/CN.4/L.831 (15.  Mai 2014). Eine analoge Anwendung der im humani­ tären Völkerrecht geltenden humanitären Grundsätze ist nicht statthaft. Es fehlt zum einen an der Regelungslücke in Bezug auf Verhaltensvorgaben für Katastrophenhel­ fer. Die an der Katastrophenhilfe beteiligten Staaten haben als Verhaltensmaßstab im Ausgangspunkt nur die nationalen Gesetze des betroffenen Staates festgelegt. Darü­ ber hinaus ist die Vergleichbarkeit der Interessenlage mit Blick auf die betroffene Bevölkerung zwischen humanitären Völkerrecht und Katastrophenfall nur bedingt gegeben, da die Bevölkerung in Konfliktsituationen von anderen Problemen betrof­ fen ist als im Katastrophenfall. Auch ist grundsätzlich von mindestens drei unter­



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aa) Humanität Der Humanitätsgrundsatz ist aus dem Bereich des Kriegsvölkerrechts bekannt und dort in gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen normiert. Der Grundsatz der Humanität beinhaltet im Kontext des Humanitären Völ­ kerrechts die Pflicht, menschliches Leiden zu verhindern und zu lindern, Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und den notwendigen Respekt für jedes Individuum sicherzustellen.289 Im Bereich des IDRL wird der Begriff leicht modifiziert z. B. in den OSLO Guidelines definiert. Er besagt danach, dass menschliches Leiden unter allen Umständen zu lindern ist, wobei besonderes Augenmerk den vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen zu teil werden muss und stets die Würde und Rechte der Opfer beachtet werden müssen.290 Staatenvertreter haben den Grundsatz im Rahmen der Diskussionen des Rechtsausschusses der Vereinten Nationen als Grundpfei­ ler des IDRL eingeordnet.291 In der Staatenpraxis des IDRL findet sich der Hinweis auf den Grundsatz der Humanität bzw. die Pflicht zu dessen Einhaltung bislang nur in einem multilateralen Vertrag, der FCCDA.292 Bilaterale Verträge enthalten eben­ falls keine Hinweise auf Humanitätserwägungen.293 Anhaltspunkte für seine völkergewohnheitsrechtliche Geltung lassen sich aber aus der Tatsache entnehmen, dass der Grundsatz in zahlreichen soft law Dokumenten, insbe­ sondere durch die Vereinten Nationen, explizit genannt wird oder ihnen zumindest zu Grunde liegt.294 Auch die Europäische Union hat sich in einer schiedlichen Interessenlagen der beteiligten Parteien auszugehen (Konfliktparteien und Drittstaaten), während im Katastrophenfall der betroffene Staat und die Staaten­ gemeinschaft im Grundsatz ein gemeinsames Ziel in Form des Bevölkerungsschut­ zes anstreben. 289  IFRK, The fundamental principles of the Red Cross  – Commentary by: Jean Pictet (1979), , S. 4, Prinzip 1. 290  OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007) Art. 20. 291  International Law Commission, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixty-second session  – Chapter VII: Protection of persons in the event of disasters‘ (3.  Mai–4.  Juni, 5.  Juli bis 6.  August 2010) UN Doc. A/65/10 Rdnr.  310; UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr.  44. 292  Art. 3 lit. c FCCDA. 293  In den bilateralen Verträgen und Übereinkommen in der IFRK, Disaster Law Database, finden sich keine Hinweise auf die Einhaltung humanitärer Grundsätze. 294  UNGA, Res 46/182 (19. Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182, Prinzip I.2; OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Di­ saster Relief (Oslo Guidelines) (2007), Art. 20; ECOSOC, Res 2011/8 [Strengthening

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Mitteilung der Kommission eindeutig als den Prinzipien der Humanität, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet bezeichnet.295 Dies spricht für eine Rechtsüberzeugung der Staaten, den Grundsatz der Humanität bei der Durchführung humanitärer Hilfe anzuwenden. Zudem wurde der Grundsatz der Humanität vom Internationalen Gerichtshof bereits 1949 ohnehin als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut anerkannt.296 bb) Neutralität Der Begriff der Neutralität entstammt ebenfalls dem humanitären Völker­ recht. Er besagt, dass humanitäre Hilfe ohne Einmischung in Kampfhand­ lungen sowie jede Unterstützung außerhalb eines politischen, religiösen, ethnischen oder ideologischen Kontext erfolgen muss.297 Angewendet auf den Kontext des IDRL bedeutet Neutralität, dass Katastrophenhilfe grund­ sätzlich unpolitischer Natur sein muss und nicht für andere Zwecke miss­ braucht werden darf.298 Hilfe muss unabhängig von politischen, religiösen, ideologischen und ethischen Erwägungen erfolgen. In Verträgen zum IDRL ist der Grundsatz nicht enthalten. Er findet aber Erwähnung in soft law Dokumenten299 sowie den Entwürfen der ILC.300 Gleichwohl ist anzumer­ of the coordination of emergency humanitarian assistance of the United Nations], v. 21.  Juli 2011, Klausel 19; ECOSOC, Res 2010/1 [Strengthening of the coordination of emergency humanitarian assistance of the United Nations], v. 15. Juli 2010, Klau­ sel 12. 295  Europäische Kommission, Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat  – für einen europäischen Konsens zur humani­ tären Hilfe, v. 13.  Juni 2007, KOM (2007) 317 endg., S. 3. 296  IGH, Corfu Channel case (29. April 1949) ICJ Reports 1949, 4, 22. 297  OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007) Art. 20; ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  13. 298  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtysixth session  – Chapter V: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 6.  Juni, 7.  Juli–8. August 2014) UN Doc. A/69/10, Commentary Art. 7 [6] Humani­ tarian Principles, Rdnr.  4. 299  UNGA, Res 46/182 (19.  Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182, Prinzip I.2; OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007), Art. 20; ECOSOC, Res 2011/8 (21.  Juli 2011), Abs. 19; ECOSOC, Res 2010/1 (15.  Juli 2010), Abs. 12; Europäische Kom­ mission, Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat  – für einen europäischen Konsens zur humanitären Hilfe (13.  Juni 2007) KOM (2007) 317 endg., S. 3. 300  Art. 7 DAPPED.



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ken, dass einige Staatenvertreter in den Diskussionen des UN-Rechtsaus­ schusses den Grundsatz als auf das humanitäre Völkerrecht begrenzt ange­ sehen und ihm seine Relevanz für das IDRL abgesprochen haben.301 In den Entwürfen des IDI wird der Neutralitätsgrundsatz nicht erwähnt. cc) Unparteilichkeit Der Grundsatz der Unparteilichkeit beinhaltet im Kern die Prinzipien der Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit. Bei der Verteilung der Hilfe darf nicht aus Gründen der Nationalität, Rasse, des Glaubens, der sozialen Klasse oder politischen Überzeugungen diskriminiert werden.302 Hilfe darf nur dazu dienen, Leiden zu lindern.303 Sie muss sich dabei nur objektiv an den Bedürfnissen orientieren, wobei die Fälle, in denen das Leiden am Größten ist, bevorzugt behandelt werden müssen.304 Völkervertraglich wird nur die Nichtdiskriminierung als Ausprägung von Unparteilichkeit explizit in Art. 3 lit. c FCCDA genannt. Im Übrigen findet er in gleichem Umfang wie die zuvor genannten humanitären Grundsätze vor allem im soft law Erwähnung.305 Er wird zudem von der ILC in Art. 7 DAPPED genannt, aber nicht vom IDI. 301  Siehe dazu die Äußerungen Estlands (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1. Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr. 68); Indien (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (1. Dezem­ ber 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.25, Rdnr.  35); Irlands (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/ SR.24, Rdnr.  55); Niederlande (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1. Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr. 44); Österreichs (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr. 38). Siehe dazu auch International Law Com­ mission, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtysecond session  – Chapter VII: Protection of persons in the event of disasters‘ (3.  Mai–4.  Juni, 5.  Juli bis 6.  August 2010) UN Doc. A/65/10, Rdnr.  311 sowie Tokunaga, Evolution of International Disaster Response Law: Toward Codification and Progressive Development of the Law, in: Caron/Kelly/Telesetsky (Hrsg.), The International Law of Disaster Relief (2014), 4.  Kapitel, 51. 302  OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007), Art. 20. 303  Siehe dazu auch Europäische Kommission, Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat  – für einen europäischen Konsens zur humanitären Hilfe (13.  Juni 2007) KOM (2007) 317 endg., S. 16. 304  IFRK, The fundamental principles of the Red Cross  – Commentary by: Jean Pictet (1979), , S. 4. 305  UNGA, Res 46/182 (19.  Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182, Prinzip I.2; OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007), Art. 20; ECOSOC, Res 2011/8 (21.  Juli

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dd) Nichtdiskriminierung Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung wird häufig als bereits im Grundsatz der Unparteilichkeit enthalten angesehen.306 Teilweise ist er aber auch als eigenständiger Grundsatz normiert. Der Unterschied zwischen Nichtdiskriminierung und Unparteilichkeit besteht darin, dass das Ziel der Nichtdiskriminierung in der Vermeidung objektiver Differenzierungskriteri­ en besteht, während Unparteilichkeit subjektive Unterscheidungsgründe verbietet. Dass es sich bei dem Grundsatz der Unparteilichkeit und Nicht­ diskriminierung demnach um zwei unterschiedliche rechtliche Konzepte handelt, illustriert ein Beispiel des Roten Kreuzes: „… non-discrimination means disregarding objective differences between indi­ viduals. Impartiality in its true sense requires that subjective distinctions be set aside as well. To illustrate the difference between the two notions: a National Society that refuses to provide its services to a specific group of people, because of their ethnic origin, fails to observe the rule of non-discrimination; whereas a National Society staff member who, in the exercise of his functions, favours a friend by giving him better treatment than that given to others, contravenes the principle of impartiality.“307

Im Zusammenhang mit der Gewährleistung von Menschenrechten ist der Grundsatz der Nichtdiskriminierung in Art. 26 IPBürg, Art. 14 EMRK, Art. 2 ArabMRK, Art. 1 Abs. 1 AMRK, Art. 2 AfrikMRK normiert und de­ rogationsfest ausgestaltet. Dies hat im Katastrophenfall dann Bedeutung, wenn die Hilfsmaßnahme zum Schutz des Lebens von Betroffenen dienen soll. Allerdings gilt dies für den helfenden Staat nur, sofern die betroffene Bevölkerung der Hoheitsgewalt des helfenden Staates untersteht. Da der betroffene Staat grundsätzlich, d. h. sofern nicht die effektive Regierung weggefallen ist, die Hoheitsgewalt noch inne hat, der helfende Staat aber 2011), Abs. 19; ECOSOC, Res 2010/1 (15.  Juli 2010), Abs. 12; Europäische Kom­ mission, Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat  – für einen europäischen Konsens zur humanitären Hilfe (13.  Juni 2007) KOM (2007) 317 endg., S. 3. 306  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  15 mit Nachweisen; Repräsentant der IFRK in UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 25th meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.25, Rdnr.  49. Andere, z. B. die Niederlande, sehen den Aspekt der Unparteilichkeit im Grundsatz der Nichtdiskri­ minierung enthalten, UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meet­ ing‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr.  44). 307  IKRK, The Fundamental Principles of the Red Cross and Red Crescent (ICRC publication 1996 ref.0513) (1996) , S. 6. Ebenfalls zitiert in ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  15.



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jedenfalls keine Jurisdiktionsrechte auf dem betroffenen Territorium besitzt, scheidet eine extraterritoriale Anwendung der menschenrechtlichen Diskri­ minierungsverbote ohnehin aus. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung wird im Vergleich zu den anderen drei Grundsätzen aber auch in den bestehenden Regelungsinstrumenten zum IDRL deutlich häufiger erwähnt. Er wird nicht nur in Art. 3 lit. c ­FCCDA sowie regionalen Verträgen explizit als Grundsatz bei der Verteilung von Hil­ fe betont,308 sondern findet auch Erwähnung in bilateralen Verträgen.309 Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind nach Maßgabe einer EU-Ver­ ordnung dazu verpflichtet, humanitäre Hilfe auf der Grundlage der Nichtdis­ kriminierung zu gewähren.310 Im Rahmen der Diskussionen im Rechtsaus­ schuss der Vereinten Nationen haben, im Verhältnis zu den anderen drei Grundsätzen, mit Abstand die meisten Staaten die Aufnahme des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung explizit begrüßt bzw. sich zumindest nicht dagegen ausgesprochen, wie es bei anderen kontroversen Themen regelmäßig der Fall war.311 Teilweise wurde sogar gefordert, auf die Aufnahme des Grundsatzes 308  Art. 3 Abs. 4 S. 2 BSEC Agreement on collaboration in Emergency Assis­ tance and Emergency Response to natural and man-made Disasters; Art. 3 lit. c FCCDA. 309  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11. Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr. 16 verweist etwa auf Agreement between the United States of America and the Republic of China con­ cerning the United States Relief Assistance to the Chinese People, v. 27.  Oktober 1947 (registriert am 8.  Januar 1948), UNTS 178, Art. 2 lit. d; Agreement for the duty free entry of relief supplies and packages (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland/India), v. 20.  Oktober 1964, DO 118/313/(i), Art. 3 Abs. 1. 310  Rat der Europäischen Union, Verordnung (EG) Nr. 1257/96 des Rates über die humanitäre Hilfe (20.  Juni 1996) ABl. EG Nr. L 163/1, Art. 1. 311  Explizit befürworten den Grundsatz der Nichtdiskriminierung als geltendes Recht (zumindest im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes) in Bezug auf das IDRL folgende Länder: Chile (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 26th meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.26 Rdnr.  11); Estland (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr.  68); Frankreich (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/ SR.23, Rdnr.  84); Griechenland (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 22nd meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.22 Rdnr.  50, wobei Un­ parteilichkeit und Nichtdiskriminierung gleichgesetzt werden); Irland (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 24th meeting‘ (1.  Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.24, Rdnr. 55); Niederlande (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1. Dezember 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr. 44, wobei Unparteilichkeit als Bestandteil von Nichtdiskriminierung angesehen wird); Öster­ reich (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 23rd meeting‘ (1.  Dezem­ ber 2010) UN Doc. A/C.6/65/SR.23, Rdnr.  38); Ungarn (UNGA Sixth Committee, ‚Summary record of the 21st meeting‘ (24.  November 2010) UN Doc. A/C.6/65/ SR.21 Rdnr.  33).

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der Neutralität zu verzichten und den Begriff durch den Grundsatz der Nicht­ diskriminierung zu ersetzen.312 Darüber hinaus wird er v. a. in soft law Doku­ menten erwähnt.313 Daneben wird der Grundsatz auch explizit in den Ent­ würfen von ILC und IDI normiert.314 Zudem findet der Grundsatz der Nicht­ diskriminierung auch außerhalb des menschenrechtlichen Kontextes in zahl­ reichen nationalen Katastrophenschutz- und -hilfegesetzen Erwähnung, so dass man insofern von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut sprechen kann.315 ee) Ergebnis (1) Fehlende Staatenpraxis Bislang ist nur der Grundsatz der Nichtdiskriminierung als Völkerge­ wohnheitsrecht im Katastrophenfall einzuordnen. Der These der ILC, den 312  International Law Commission, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixty-second session  – Chapter VII: Protection of persons in the event of disasters‘ (3.  Mai–4.  Juni, 5.  Juli bis 6.  August 2010) UN Doc. A/65/10, Rdnr.  311; Tokunaga, Evolution of International Disaster Response Law: Toward Codification and Progressive Development of the Law (2014), 51. 313  UNITAR Model Rules for Disaster Relief Operations, Rule 3 Satz  2; Euro­ päische Kommission, Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat  – für einen europäischen Konsens zur humanitären Hilfe (13.  Juni 2007) KOM (2007) 317 endg., S. 3. 314  Art. 7 DAPPED; Art. II Abs. 3 Resolution on Humanitarian Assistance, ­Bruges Session. 315  Siehe z. B. Art. 25 Abs. 3 Disaster Management Act (Antigua und Barbuda), v. 10.  September 2002, No. 14 of 2002 ; Art. 25 Abs. 3 Disaster Preparedness and Response Act (Bahamas), v. 28.  Februar 2006, Statute Law of the Bahamas LRO 1/2008, Chapter 34A; Art. 25 Abs. 3 Dis­ aster Preparedness and Response Act (Belize), v. 31.  Dezember 2000, Laws of Be­ lize Chapter 145; Art. 6 Abs. 6 Loi d’orientation relative à la prévention et à la gestion des risques des crises humanitaires et des catastrophes (Burkina Faso), v. 22.  April 2014, Loi No. 012-2014/AN ; Sect. 86 National Disaster Management Bill (Gambia), v. 22.  Oktober 2008, ; Sect. 61 Disaster Management Act, 2005 (Indien), Bill No. LV-F of 2005; Art. 18 Abs. 2 Disaster Management Act (Malediven), v. 3.  Oktober 2007, ; Kapitel  XI Sect. 37 National Disaster Management Act, 2010 (Pakistan), The Gazette of Pakistan M  – 302/L.-7646; Art. 25 Abs. 3 Disaster Management Act (St. Lucia), v. 13.  November 2006, No. 30 of 2006; Robert T. Stafford Disaster Relief and Emergency Assistance Act (USA), v. April 2013, Public Law 93–288, as amended, 42 U.S.C. 5121 et seq (located in United States Code, Title 42. The Public Health and Welfare, Chapter 68. Disaster Relief) Sect. 308 (42 U.S.C. 5151).



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Grundsätzen Humanität, Neutralität, Unparteilichkeit und Nichtdiskriminie­ rung allgemeine Geltung im Katastrophenfall zuzusprechen, ist vom Stand­ punkt des Art. 38 Abs. 1 lit.b IGH-Statut nicht zu folgen.316 An Staatenpra­ xis, auf die sich die ILC berufen könnte, fehlt es mit Ausnahme des Grund­ satzes der Nichtdiskriminierung. Von den beiden multilateralen allgemeinen IDRL-Verträgen normiert allein die FCCDA eine verpflichtungsähnlich ausgestaltete Verhaltensvorgabe für helfende Staaten, sich an die Grundsätze der Humanität und Unparteilichkeit sowie der Nichtdiskriminierung zu hal­ ten.317 Bilaterale Abkommen enthalten keine Hinweise auf die Geltung humanitärer Grundsätze, sondern stellen nur die Führungsposition des be­ troffenen Staates voraus bzw. betonen allenfalls die Geltung der nationalen Gesetze des betroffenen Staates.318 Auf eine wachsende Rechtsüberzeugung hinsichtlich der genannten Grundsätze deutet zwar die Tatsache hin, dass alle Grundsätze in wichtigen soft law Dokumenten aufgeführt sind, insbe­ sondere in Dokumenten der Vereinten Nationen sowie der Europäischen Union. Allerdings bestehen zwischen den Begriffen, insbesondere der Nicht­ diskriminierung, Unparteilichkeit und Neutralität, unterschiedliche Defini­ tionsansätze und dadurch Überschneidungen, die eine abschließende Beur­ teilung ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Wirkungskraft erschweren. (2) Geltung als allgemeine Rechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut Eine Geltung der genannten Grundsätze und damit ein Beweis für die These der ILC kann mit Blick auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung sowie den Humanitätsgrundsatz zusätzlich dadurch begründet werden, in­ dem sie als allgemeine Rechtsgrundsätze eingeordnet werden. Dies ist für den Grundsatz der Humanität vom Internationalen Gerichtshof anerkannt.319 Darüber hinaus zeigt die umfassende nationale Rechtspraxis, dass auch der Grundsatz der Nichtdiskriminierung mittlerweile als allgemeiner Rechts­ grundsatz bei der Verteilung von humanitärer Hilfe angesehen werden kann. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung muss dabei weit ausgelegt werden, d. h. er erfasst in der praktischen Anwendung auch Aspekte, die im huma­ nitären Völkerrecht unter den Begriffen der Unparteilichkeit und Neutralität relevant werden. Im Folgenden soll der Aussagegehalt dieser beiden Grund­ sätze bei der praktischen Anwendung im Katastrophenfall analysiert werden. 316  Anders Vukas, Humanitarian Assistance in Cases of Emergency, MPEPIL, Rdnr.  19; Silingardi, The Status of Emergency Workers (2012), 576. 317  Art. 3 lit. c und d FCCDA. 318  Siehe oben Fn. 284 und 285. 319  IGH, Corfu Channel case (29. April 1949) ICJ Reports 1949, 4, 22.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

(3) Praktischer Aussagegehalt des Humanitäts- und Nichtdiskriminierungsgrundsatzes In der Praxis bedeutet die Geltung des Humanitäts- und Nichtdiskriminie­ rungsgrundsatzes, dass hilfeleistende Staaten sich bei der Ausführung der Hilfsmaßnahmen und der Verteilung der Hilfe allein an der Linderung von Leiden orientieren müssen und nicht zwischen verschiedenen Personen oder Personengruppen nach objektiven oder subjektiven Kriterien differenzieren dürfen sowie keine anderen Ziele als die Leidenslinderung, etwa im politi­ schen Bereich, verfolgen dürfen. Als Maßstab für die Interpretation und praktische Umsetzung des Humanitäts- und Nichtdiskriminierungsgrundsat­ zes können die Guidelines der IFRK herangezogen werden: „2.  Assisting actors should ensure that their disaster relief and initial recovery assistance is provided in accordance with the principles of humanity, neutrality and impartiality, and in particular: a.  Aid priorities are calculated on the basis of need alone; b.  Provided without any adverse distinction (such as in regards to nationality, race, ethnicity, religious beliefs, class, gender, disability, age and political opin­ ions) to disaster-affected persons; c.  Provided without seeking to further a particular political or religious stand­ point, intervene in the internal affairs of the affected State, or obtain commercial gain from charitable assistance; d.  Not used as a means to gather sensitive information of a political, economic or military nature that is irrelevant to disaster relief or initial recovery assistance.“320

Zu beachten ist, dass den Staaten in der Praxis bei der Beurteilung der Bedürftigkeit Ermessensspielräume gewährt werden müssen. Bei der Bewer­ tung der Bedürftigkeit darf zwar allein das Ausmaß des Leidens eine Rolle spielen. Bei welcher Gruppe unter mehreren betroffenen Gruppen das Leid am größten ist, muss ex ante erfolgen. Zu diesem Zweck wird z. B. im medizinischen Bereich die sog. Triage bzw. Sichtung angewendet.321 Nach DIN-Norm 13050 ist Triage definiert als „ärztliche Beurteilung und Ent­ scheidung über die Priorität der medizinischen Versorgung von Patienten hinsichtlich Art und Umfang der Behandlung sowie über Zeitpunkt, Art und Ziel des Transportes.“322 Sie dient der „Sichtung und Bewertung von 320  IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex, Art. 4 Abs. 2. 321  Hierzu ausführlich Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg.), Katastrophenmedizin: Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastro­ phenfall (2010), 51 ff. 322  Deutsches Institut für Normung, DIN 13050:2002–09 (Begriffe aus dem Ret­ tungswesen), Beuth Verlag, Berlin (2002), Abs. 3.61.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft383

Verletzten“323 im Katastrophenfall und bildet damit den Ausgangspunkt für die Planung von Hilfsmaßnahmen. Verletzte werden dabei zur Behandlung nach der Schwere ihrer Verletzungen in vier Gruppen unterteilt.324 Sie muss und kann durch die Einhaltung objektiver Abgrenzungskriterien menschen­ würdekonform angewendet werden, indem gerade keine Abwägung von Leben gegen Leben stattfindet.325 Auch die Entscheidung, welche Region innerhalb eines betroffenen Staa­ tes zuerst mit Hilfsgütern und Hilfsmaßnahmen versorgt wird, ist eine Er­ messensfrage. Sofern objektiv nachvollziehbare Kriterien für die Auswahl des Einsatzortes vorliegen, kann dem helfenden Staat grundsätzlich kein Vorwurf der Diskriminierung gemacht werden. Solche Kriterien können z. B. sein die Schwere der Schäden in der Region, die infrastrukturelle Er­ reichbarkeit des Gebietes sowie die Wahrscheinlichkeit, in dem Gebiet mehr Überlebenden helfen zu können oder dort Verletzte mit perspektivisch schwereren Verletzungen zu finden ist. In der Praxis sind die helfenden Staaten bei ihrer Einschätzung ohnehin auf den Willen und die Anordnun­ gen des betroffenen Staates angewiesen, der im Idealfall in einem zentralen Lagezentrum Informationen zu den Einsatzmöglichkeiten in verschiedenen betroffenen Regionen ausarbeitet. Abschließend ist es wichtig, festzustellen, dass Berechtigte und Verpflichtete dieser Grundsätze ausschließlich die an Katastrophenhilfemaßnahmen beteiligten Staaten sind. Verletzte Individuen haben völkerrechtlich keine Möglichkeit, ein Recht auf nicht diskriminie­ rende oder humanitär ordnungsgemäße Hilfe durch fremde Staaten selbst einzuklagen, sofern nicht die nationale Rechtsordnung entsprechende Vorga­ ben enthält, die vor nationalen Gerichten eingeklagt werden können.326

323  Tolmein, Triage, Katastrophenmedizin und das bisschen Ethik (erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Blog Biopolitik) (31.  März 2011) . 324  In die schwarze Gruppe werden bereits verstorbenen Personen und diejeni­ gen eingeteilt, die so schwer verletzt sind, dass sie in jedem Fall an ihren Verlet­ zungen sterben werden. In die rote Gruppe werden diejenigen eingeordnet, bei denen die schnelle medizinische Behandlung und Verlegung in ein Krankenhaus über Le­ ben oder Tod entscheidet. Die Patienten in der gelben Gruppe sind zwar schwer verletzt, eine leichte Zeitverzögerung bei ihrer Behandlung schadet ihnen jedoch nicht. In die grüne Gruppe werden diejenigen eingeteilt, die trotz ihrer Verletzungen noch ohne Probleme laufen können. Siehe dazu ausführlich Penuel/Statler (Hrsg.), Encyclopedia of disaster relief (2011), 213 f. (Stichwort: ‚first aid‘). 325  Siehe hierzu Klesen, Rechtsfragen autonomer Rettungssysteme (Univ. Diss. Freiburg) (2016), im Erscheinen. 326  Siehe zur Thematik der diskriminierungsfreien Katastrophenhilfe am Maß­ stab von Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 GG Klesen, Rechtsfragen autonomer Rettungssys­ teme (Univ. Diss. Freiburg) (2016), im Erscheinen.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

(4) Konflikt zwischen den Anordnungen des betroffenen Staates und den humanitären Grundsätzen – Fallbeispiel Problematisch werden die Einhaltung des Verbotes der Nichtdiskriminie­ rung sowie die Beachtung des Humanitätsgrundsatzes dann, wenn der be­ troffene Staat den helfenden Staat zur expliziten Nichtbeachtung auffordert. Verdeutlicht werden soll das Problem in folgendem hypothetischen Fall: In Staat X fand ein verheerendes Erdbeben der Richterskala 8,9 statt. 500.000 Menschen sind lebensgefährlich verletzt und benötigen medizini­ sche Hilfe sowie Nahrungsmittel und Wasser. Staat X ist objektiv nicht dazu in der Lage, mehr als 100.000 Personen Hilfe zukommen zu lassen Staat Y möchte helfen. Staat X erteilt seine Zustimmung zur Erbringung externer Hilfe unter der Bedingung, dass Staat Y Hilfsgüter nicht an die ethnische Gruppe der K verteilt und zu deren Gunsten auch keine sonstigen Hilfsmaßnahmen durchführt. Insgesamt sind 10.000 Angehörige der K be­ troffen. Staat X ist selbst keine Vertragspartei eines menschenrechtlichen Vertrages. Staat Y ist Vertragspartei des IPBürg. Staat Y befolgt die Bedin­ gung von Staat X. Angehörige der K werden von der Verteilung der Hilfs­ güter und medizinischer Versorgung ausgeschlossen. Hinsichtlich der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staat Y kommt ein Verstoß gegen menschenrechtliche Verpflichtungen in Betracht. Die Normen des IPBürg sind gemäß Art. 2 Abs. 1 IPbpR für Staat Y allerdings nicht anwendbar, da die externe Hilfe unter der ausschließlichen Kontrolle von Staat X ausgeführt wird und daher die betroffene Bevölkerung nicht der Hoheitsgewalt von Staat Y unterliegt. Eine extraterritoriale Anwendung menschenrechtlicher Normen scheidet damit aus. Für Staat Y gilt aber völ­ kergewohnheitsrechtlich das Gebot, bei der Verteilung von humanitärer Hilfe nicht zu diskriminieren. Er handelt insofern völkerrechtswidrig, wenn er sich bei der Ausführung der Hilfe an die Bedingung von Staat X hält. In Betracht kommt aber eine Rechtfertigung nach Art. 23–25 ARS. Eine Rechtfertigung nach Art. 23 ARS setzt den Eintritt einer unüberwindbaren Kraft oder eines unvorhergesehenen Ereignisses außerhalb der Kontrolle des Staates voraus, was es den Umständen nach tatsächlich unmöglich macht, die Verpflichtung zu erfüllen. Ein solcher Fall von force majeure kann auch durch Nötigung oder Zwang ausgelöst werden, sofern die übrigen Voraus­ setzungen erfüllt sind.327 Die Situation, die für Staat Y entsteht, muss dabei aber unwiderstehbar sein, d. h. es muss insofern ein Fall von absoluter 327  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Article 23 Rdnr.  3 (S. 76).



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft385

Unmöglichkeit vorliegen.328 De facto hat Staat Y aber eine Handlungsalter­ native, indem er auf die Durchführung von Hilfsmaßnahmen vollständig verzichten würde. Es handelt sich bei der Nötigung daher nicht um ein absolut unüberwindliches Hindernis. Art. 24 ARS fordert für eine Rechtfertigung, dass der Urheber des völker­ rechtswidrigen Handelns aufgrund einer Notlage keine andere vernünftige Möglichkeit hat, das Leben des Urhebers oder das Leben anderer Personen, die ihm zur Obhut anvertraut sind, zu retten. Staat Y bzw. dessen Hilfsper­ sonal hat zur Rettung der übrigen Bevölkerung von Staat X nur die Mög­ lichkeit, auf Kosten der K zu diskriminieren. Auch wenn die Handlung von Staat Y nicht unfreiwillig erfolgt, so wird ihm aufgrund der Notlage de facto keine Wahlmöglichkeit belassen.329 Insofern ist der Tatbestand von Art. 24 ARS erfüllt. Fraglich ist aber, ob ihm die fremde Bevölkerung zur Obhut anvertraut ist. Von einem Anvertrautsein kann man nur sprechen, wenn eine Sonderbeziehung zwischen Staat Y bzw. seinen Staatsorganen und der Bevölkerung in Staat X bestehen würde.330 Dies ist nicht ersicht­ lich. Eine Sonderbeziehung würde, wenn überhaupt, erst im Rahmen bzw. während einer durchgeführten Hilfsmaßnahme entstehen. Für allgemeine Notsituationen wie eine Katastrophe kommt daher nur eine Rechtfertigung aufgrund eines Notstandes nach Art. 25 ARS in Be­ tracht. Voraussetzung ist, dass die diskriminierende Verteilung von Hilfe die einzige Möglichkeit für Staat Y ist, um ein wesentliches Interesse vor einer schweren und gegenwärtigen Gefahr zu schützen. Der Begriff des ‚Interes­ ses‘ ist weit auszulegen und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es kann sich um ein Interesse von Staat Y oder um ein Interesse der ge­ samten Staatengemeinschaft handeln. In dem beschriebenen hypothetischen Fall ist es jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass es sich bei dem Interesse von Staat Y und der Staatengemeinschaft, die von einer Ka­ tastrophe betroffene Bevölkerung zu retten bzw. ihr Hilfe zukommen lassen, um ein aus dem Solidaritätsgrundsatz abgeleitetes wesentliches Interesse 328  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Article 23 Rdnr.  3 (S. 76). 329  Siehe ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Article 24 Rdnr.  1 (S. 78). 330  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Article 24 Rdnr.  7 (S. 80).

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

handelt. Abhängig von den Umständen der Katastrophe drohen auch in deren Nachgang noch schwere und unmittelbare Gefahren für die Bevölke­ rung, wie etwa Hungersnöte und Epidemien. Im Übrigen muss das von Staat Y verfolgte Interesse alle anderen Erwägungen im Rahmen eines nachvollziehbaren, objektivierten Abwägungsvorganges überwiegen.331 Es ist davon auszugehen, dass das Interesse der Staatengemeinschaft, zumin­ dest einem Teil  der hilfsbedürftigen Bevölkerung helfen zu können, wenn der betroffene Staat selbst nicht dazu in der Lage ist, zumindest nicht of­ fensichtlich geringer zu gewichten ist als das Interesse an einer diskriminie­ rungsfreien Hilfe, die nicht zugelassen wird. Im Ergebnis hat Staat Y somit im hypothetischen Fall keinen Völkerrechtsverstoß begangen, sondern nach Art. 25 ARS gerechtfertigt in einer Notstandslage gehandelt. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit von Staat X ist zu konstatieren, dass dieser selbst keinen primären Völkerrechtsverstoß begeht, weil das Land nicht Mitglied eines menschenrechtlichen Vertrages ist, der Diskriminierung aus ethnischen Gründen verbietet. Zudem ist das Verbot der Nichtdiskrimi­ nierung aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit noch nicht Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts.332 Allerdings kommt eine sekundäre  – auch als indirekt oder mittelbar bezeichnete – völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staat X nach Art. 18 ARS in Betracht. Danach ist ein Staat, der einen anderen Staat zur Begehung eines Handelns nötigt, völkerrechtlich für die­ ses Handeln verantwortlich, wenn das Handeln ohne die Nötigung ein völkerrechtswidriges Handeln des genötigten Staates wäre und der nötigende Staat Kenntnis aller Umstände des Handelns hat. Ob Art. 18 ARS Völkergewohnheitsrecht kodifiziert, wird von der ILC nicht näher erörtert und ist umstritten.333 Zu konstatieren ist jedenfalls, dass die Figur in verschiedenen internationalen und nationalen Gerichtsent­ scheidungen herangezogen wurde.334 Zudem ist die mittelbare Täterschaft oder Anstiftung zur Täterschaft in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen 331  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Article 25 Rdnr.  17 (S. 84). 332  Henrard, Equality of Individuals, MPEPIL (2008), Rdnr.  83. Lediglich das Verbot, aus Gründen der Rassenzugehörigkeit zu diskriminieren, gilt als Völkerge­ wohnheitsrecht und wird teilweise sogar als Bestandteil des ius cogens eingeordnet, van Boven, Racial and Religious Discrimination, MPEPIL (2007) Rdnr.  8; Henrard, Equality of Individuals, MPEPIL, Rdnr.  84; Shaw, International Law (2008), 286 ff. 333  Fry, Coercion, Causation, and the Fictional Elements of Indirect State Re­ sponsibility, 40 Vand. J. Transnat’l L. (2007), 611 (621). 334  ILC, ‚Eighth report on State responsibility by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur  – the internationally wrongful act of the State, source of international



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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verankert.335 Man kann daher dem Konzept der indirekten Verantwortung für ein Verhalten, das eine Entität auf Veranlassung bzw. im Zusammen­ hang mit dem Verhalten einer anderen Entität vornimmt, den Status eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGHStatut zuerkennen. Art. 18 ARS verfügt dadurch über Rechtsbindungswir­ kung. Wann eine Nötigung bzw. Zwang im Sinne einer völkerrechtlichen Verant­ wortung im Rahmen von Art. 18 ARS vorliegt, ist bislang jedoch nicht ab­ schließend geklärt. Der in der englischen Sprachfassung von Art. 18 ARS verwendete Begriff der ‚coercion‘ bzw. die Übersetzung als Nötigung bzw. Zwang bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch, jemanden durch Andro­ hung eines Übels zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen.336 Die ILC hat diesbezüglich in den Kommentaren zu den Artikeln über die Staatenver­ antwortlichkeit zunächst klargestellt, dass die Zwangshandlung an sich nicht völkerrechtswidrig sein muss.337 Es ist demnach nicht erforderlich, dass der gezwungene Staat etwa durch die völkerrechtswidrige Androhung von Ge­ walt zu einem Verhalten veranlasst wird. Entscheidend ist vielmehr, bis zu welchem Grad die souveräne Entscheidungsfreiheit des gezwungen Staates durch die Zwangshandlung eingeschränkt wird. Insofern ist Art. 18 ARS mit dem Zwangsbegriff in Art. 51 und 52 WVRK vergleichbar.338 Die ILC selbst geht in den Kommentaren zu Art. 18 ARS von einer sehr hohen Eingriffs­ schwelle aus. Der Zwang muss danach vergleichbar mit einem Fall von hö­ herer Gewalt im Sinne von Art. 23 ARS sein. In diesem Fall blieben für Art. 18 ARS aber prima facie sehr wenige Anwendungsfälle.339 Wie die ILC responsibility‘ (24.  Januar, 5.  Februar, 15.  Juni 1979) UN Doc. A/CN.4/318 Rdnr.  40–46. 335  Z. B. Art. 25 Abs. 1 Fall 2 StGB; Art. 54 Abs. 3, Art. 86 Codice penale (Ita­ lien), v. 26.  Oktober 1930, Gazzetta Ufficiale No. 251; Sect. 2.06 (2) (a) Model Penal Code (Official Draft and Revised Comments), American Law Institute, v. 1985; Sect. 20.00 New York State Penal Law. 336  Duden Online (2013) http://www.duden.de, Stichwort ‚zwingen‘. 337  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Article 18 Rdnr.  3 (S. 70). Ein Gleichlauf mit Art. 52 WVRK wurde in den Vorarbeiten explizit abge­ lehnt, UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Thirty-first session (14 May -3 August 1979)‘, UN Doc. A/34/10 Article 28 Rdnr.  29 (S. 104). 338  Corten/Klein (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties: A Com­ mentary (2011) ‚ Art. 52 Rn. 2 ff. 339  Zu denken wäre etwa an die Konstellation, in der ein Staat von einem ande­ ren zu einem Militärangriff auf einen Drittstaat mit der Androhung des Einsatzes von ABC-Waffen genötigt wird, die die unmittelbare Zerstörung des Staates bzw. seiner Bevölkerung zur Folge hätten. In einem solchen Fall greifen aber ausreichend

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in früheren Berichten selbst festgestellt hat, haben souveräne Staaten grund­ sätzlich immer die Möglichkeit, sich für verschiedene Handlungsoptionen zu entscheiden.340 Es muss daher bei der Auslegung des Zwangselements ein subjektiv-objektiver Maßstab angelegt werden. Es bietet sich an, diesbezüg­ lich den aus verschiedenen nationalen Rechtsordnungen im Rahmen der Fi­ gur des Nötigungsnotstandes bekannten, aber auch zur Auslegung von Art. 31 Abs. 1 lit. d IStGH-Statut verwendeten Begriff der „Unzumutbarkeit“ zu verwenden.341 Eine mit Zwangscharakter behaftete Nötigung liegt damit dann vor, wenn von dem genötigten Staat vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass er der Nötigung standhält. Eser formuliert diesbezüglich pointiert, dass eine Nötigung dann vorliegt, wenn der Genötigte keine ande­ re moralische Wahl hat, als dem Einwirken des Nötigenden stattzugeben.342 Es muss damit ausreichen, dass die Entscheidungsfreiheit des gezwungenen Staates so eingeschränkt wird, dass es ihm in der konkreten Situation extrem andere Normen aus den Artikeln über die Staatenverantwortlichkeit. Bei existenziel­ len Bedrohungen durch Gewaltanwendung sind diese in aller Regel bereits von Verbotsnormen des Völkergewohnheitsrechts bzw. sogar ius cogens erfasst. 340  Siehe hierzu Fry, 40 Vand. J. Transnat’l L. (2007), 639, der  – allerdings ohne korrekte Quellenangabe – ein japanisches Mitglied der ILC zitiert: „No coercion was so strong that it left no freedom of action at all to the State subjected to it.“ Hier besteht der fundamentale Unterschied zur Konstellation der Anstiftung zu einer Straftat in Verbindung mit dem Entschuldigungsgrund des Nötigungsnotstandes z. B. im deutschen Strafrecht. ‚Klassische‘ Situation ist hier, dass Täter A Täter B unter Androhung von lebensbedrohlichen Verletzungen dazu zwingt, z. B. eine räu­ berische Erpressung im Sinne von § 253 StGB zu begehen. A macht sich in diesem Fall gem. §§ 253, 26 StGB der Anstiftung zur räuberischen Erpressung schuldig. B ist unter Umständen über die Figur des Nötigungsnotstandes entschuldigt, da er de facto keine andere Wahl hat, als der Drohung des A zu folgen. 341  Siehe dazu Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the Inter­ national Criminal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 31 Rdnr.  56 (bearbeitet von Eser, A.) mit Verweisen auf das common law in England, Wales und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie das deutsche Straf­ recht. Die nationalen Rechtsordnungen können (vom Internationalen Strafgerichts­ hof) nach Art. 21 Abs. 1 lit.c IStGH-Statut zur Auslegung der völkerstrafrechtlichen Termini herangezogen werden. Es handelt sich beim Nötigungsnotstand bzw. Art. 31 Abs. 1 lit. d IStGH-Statut zwar streng genommen um Gründe für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des unmittelbaren Täters. Die Bedeutung für die mittelbare Haftung des einwirkenden Täters bzw. Verantwortlichen liegt zunächst nicht auf der Hand. Allerdings liegt meist eine mittelbare Haftung des einwirkenden Staates vor, sofern ein Staat mit Blick auf die Einwirkung eines anderen Staates auf ihn einen Rechtfertigungsgrund für sein Verhalten geltend machen kann, und vice versa. Einen Automatismus gibt es aber nicht, die Rechtfertigung muss jeweils in­ dividuelle überprüft werden, siehe Fn. 348. 342  Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Crim­ inal Court  – Observers’ Notes, Article by Article  – (2. Aufl. 2008), Art. 31 Rdnr.  49 (bearbeitet von Eser, A.).



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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erschwert wird, anders als in der vom nötigenden Staat gewünschten Form zu entscheiden.343 Unter anderen Umständen, d. h. insbesondere ohne die Einwirkung des anderen Staates, hätte er anders gehandelt.344 Diese extensive Auslegung von Zwang oder Unzumutbarkeit wird auch durch die Interpretation vergleichbarer Begriffe aus anderen Bereichen des Völkerrechts gestützt. Der Begriff des Zwanges in Art. 51 und 52 WVRK umfasst jegliche Formen der sogenannten vis compulsiva und damit auch mentalen Zwang, der geeignet ist, einen Staat zum Handeln im Sinne des Willens eines anderen Staates zu veranlassen.345 Nach Art. 43 der Haager Landkriegsordnung346 müssen Besatzer Landesrecht anwenden, sofern kein zwingendes Hindernis besteht. In der englischen Sprachfassung ist von „unless absolutely prevented“, in der Französischen von „empêchement absolu“ die Rede. Die Begriffskette wird, anders als der Wortlaut vermuten lassen würde, nicht restriktiv ausgelegt, sondern mit „Notwendigkeit“ gleichgesetzt.347 Übertragen auf den vorliegenden hypothetischen Fall ist die Beugung nach dem Willen des betroffenen Staates schon dann erforder­ lich und stellt damit einen Zwang dar, wenn dies der einzige Weg ist, um zumindest einem Teil  der Bevölkerung externe Hilfe zukommen zu lassen. Schließlich wird die hier gewählte Interpretation des Zwangsbegriffes auch durch die Tatsache gestützt, dass es auf Seiten des gezwungenen Staates keinen Rechtfertigungsautomatismus, auch nicht in direktem Bezug auf Art. 23 ARS, gibt.348 Es kann danach Situationen geben, in denen die Ent­ scheidung eines Staates zwar allein auf die Nötigung im Sinne des 343  UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Thirty-first session (14 May–3 August 1979)‘ UN Doc. A/34/10, Article 28 Rdnr.  29 (S. 103); Fry, 40 Vand. J. Transnat’l L. (2007), 627. 344  ILC, ‚Eighth report on State responsibility by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur  – the internationally wrongful act of the State, source of international responsibility‘ (24.  Januar, 5.  Februar, 15.  Juni 1979) UN Doc. A/CN.4/318, Rdnr.  39. 345  Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties: A Commentary (2012), Art. 51 Rdnr.  13 f. 346  Convention (IV) respecting the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land, v. 18.  Ok­ tober 1907 (in Kraft getreten am 26.  Januar 1910), 36 Stat. 2277, 1 Bevans 631, 205 Consol. T.S. 277, 3 Martens Nouveau Recueil (ser. 3) 461. 347  Dinstein, Legislation under Article 43 of the Hague Regulations: Belligerent Occupation and Peacebuilding, Program on Humanitarian Policy and Conflict Research Harvard University: Occasional Paper Series, 4. 348  UNGA, ‚Report of the International Law Commission  – Thirty-first session (14 May -3 August 1979)‘ UN Doc. A/34/10, Article 28 Rdnr.  31 (S. 104); ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Article 18 Rdnr.  4 (S. 70).

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Art. 18  ARS zurückzuführen war, er aber objektiv auch anders hätte ent­ scheiden können, auch wenn dies unerwünschte, wenn auch nicht gravieren­ de Folgen gehabt hätte. Eine Rechtfertigung würde in diesen Fällen aus­ scheiden. Es lässt sich ausgehend von dieser Nötigungsdefinition argumentieren, dass auch im oben dargestellten hypothetischen Fall eine Nötigung von Staat Y durch Staat X im Sinne von Art. 18 ARS vorliegt. Staat Y wird durch die Aussage von Staat X vor die Wahl gestellt, entweder Hilfe unter völkerrechtswidrigen Bedingungen zu leisten oder auf Hilfeleistungen ge­ genüber der gesamten Bevölkerung von Staat X zu verzichten. Seine Ent­ scheidungsfreiheit wird dadurch  – zumindest moralisch  – empfindlich ein­ geschränkt. Das ‚Übel‘ besteht für Y darin, dass es von seiner Entscheidung abhängt, ob überhaupt einem Teil  der Bevölkerung in X geholfen werden kann oder nicht. In erstgenanntem Fall wird nur die ethnische Minderheit K geschädigt, in letzterem drohen der gesamten Bevölkerung in Staat Y Ge­ fahren für Leib und Leben. Staat Y ist zwar völkerrechtlich nicht zur Hilfe gegenüber der Bevölkerung X verpflichtet. Es besteht daher nicht die Situ­ ation einer (im nationalen, z. B. deutschen Recht, rechtfertigenden) Pflich­ tenkollision. Allerdings kann es Staat X mit Blick auf seine völkerrechtliche Verantwortlichkeit nicht zum Vorteil gereichen, wenn sich Staat Y bewusst für einen eigenen  – wenn auch möglicherweise gerechtfertigten  – Völker­ rechtsverstoß entscheidet und nicht für den völkerrechtlich für ihn folgenlo­ sen Weg, vollständig auf Hilfsmaßnahmen zu verzichten. Moralisch hat Y folglich keine andere Wahl, als zumindest einem Teil  der Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen. Unter normalen Umständen, d. h. ohne die Ein­ wirkung von X, hätte er die diskriminierende Tathandlung nicht vorgenom­ men. Das Ergebnis, dass eine Nötigung im Sinne von Art. 18 ARS vorliegt, wird auch durch den Sonderberichterstatter zu den Artikeln über die Staa­ tenverantwortlichkeit, Ago, gestützt, der aufgrund seiner häufigen Zitierung vor dem IGH349 als qualifizierter Völkerrechtler im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut herangezogen werden kann: „The ground for attributing responsibility to a State for the wrongful act of an­ other State lies in the fact that the wrongful act was committed by a subject of international law in the exercise of an activity in a sphere of action within which that subject is not free to act as it chooses, in accordance with rules established by itself, and that it cannot pursue goals of its own but must act according to rules established by another subject and must pursue goals laid down by the latter.“350 349  Peil,

160.

1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012),

350  Zitiert aus Ago, La responsabilità indiretta nel diritto internazionale (1934), 59, Übersetzung aus ILC, ‚Eighth report on State responsibility by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur  – the internationally wrongful act of the State, source of inter­



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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Wendet man die von Ago ausgearbeiteten Kriterien auf den hypotheti­ schen Fall an, ergibt sich ein eindeutiges Bild. Jedwede Hilfeleistung von Staat Y ist im Verantwortungs- und Handlungsbereich von Staat X angesie­ delt, da dieser primär zur Katastrophenhilfe gegenüber seiner Bevölkerung verpflichtet ist. Innerhalb dieses Bereichs darf Y nicht nach eigenem Belie­ ben handeln, sondern muss die Souveränität von X beachten und ist an dessen Zustimmung zur Erbringung von Hilfsmaßnahmen und Anordnung zu deren Ausführungsmodalitäten gebunden. Y muss nach den Regeln des Staates X handeln und dessen mit der Hilfe verfolgten Ziele beachten. In­ nerhalb dieses Kontextes begeht Y dann den völkerrechtswidrigen Akt der Hilfsverteilung, der X zuzurechnen ist. Zu beachten ist schließlich auch der Telos von Art. 18 ARS, der im Er­ gebnis zur Annahme einer Nötigungshandlung führt. Der nötigende Staat soll zur Verantwortung gezogen werden, wenn er einen anderen Staat zu seinen Gunsten zu einer Verhaltensweise manipuliert und ein Nötigungser­ folg eintritt. Das Risiko für derartige Verhaltensweisen soll dem zwingenden Staat auferlegt werden. Die ILC fasst dies sogar konkret in Bezug auf Hilfsleistungen eines Staates an einen anderen zusammen: „For example, a State providing financial or other aid to another State should not be required to assume the risk that the latter will divert the aid for purposes which may be internationally unlawful.“351 Würde man die Verantwortung in dem hypothetischen Fall ablehnen, so wäre die Aufforderung zur Diskriminie­ rung bei der Hilfsverteilung für Staat X aber ohne völkerrechtliches Risiko. Beugt sich der helfende Staat dessen Willen, entfiele jegliche Verantwortung für X und X Wille würde umgesetzt. Beugt sich Y nicht, würde dem Willen von Staat X gleichwohl Rechnung getragen, indem auch in diesem Fall die ethnische Minderheit keine Hilfe erhielte. Die zwangsläufig damit einherge­ hende Hilflosigkeit des Rests der Bevölkerung wäre für X insofern lediglich ein hinzunehmender Kollateralschaden. In beiden Fällen träte der gewollte Nötigungserfolg ein. Y würde zum bloßen Instrument in den Händen von X. Dies ist präzise das Verhalten, das von Art. 18 ARS sanktioniert werden soll.352 national responsibility‘ (24. Januar, 5. Februar, 15. Juni 1979) UN Doc. A/CN.4/318, Rdnr.  19. 351  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Commentaries Rdnr. 8 (S. 65). 352  ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10, Commentaries Rdnr. 6 (S. 65).

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Die beiden weiteren Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 18 ARS sind im hypothetischen Fall unproblematisch erfüllt. Y handelt völkerrechtswid­ rig, da er gegen das Nichtdiskriminierungsverbot bei der Erbringung huma­ nitärer Hilfe verstößt. Es ist davon auszugehen, dass X die Nötigung in Kenntnis aller Umstände und insbesondere des Nichtdiskriminierungsverbo­ tes vornimmt. Im Ergebnis kann X daher nach Art. 18 ARS in Verbindung mit dem Verhalten von Y zur völkerrechtlichen Verantwortung gezogen werden. Zu konstatieren ist, dass es in der Praxis für X aber Umgehungsmöglichkeiten gibt. Ginge es nur um die Verteilung von Hilfsgütern, kann X anordnen, dass alle Hilfsgüter zunächst an seine staatlichen Stellen ausgegeben werden und er selbst die Verteilung vornimmt, wie es Birma 2008 getan hat. Aller­ dings bleibt in Fällen, in denen die Hilfsmaßnahmen nur von fremden Staaten geleistet werden können, z. B. durch medizinische Hilfe oder dem Betreiben von Laboren zur Untersuchung von Blutproben auf Ebola, wei­ terhin ein großer Anwendungsbereich. Zudem könnte man argumentieren, dass in der Bejahung von Art. 18 ARS faktisch eine derzeit vom IDRL nicht gewollte Souveränitätseinschränkung vorliegt. Subversiv wird X die Mög­ lichkeit genommen, externe Hilfsmaßnahmen im Rahmen seiner Souveräni­ tät zu kontrollieren und koordinieren. Zudem könnte dadurch eine Inzentive für betroffene Staaten gesetzt werden, externe Hilfe pauschal abzulehnen. Dieses Argument verfängt aber nicht. Wie im 5. Kapitel dargestellt wurde, darf Staat X nicht willkürlich fremde Hilfe ablehnen.353 Zudem sichert die hier aufgezeigte Anwendung von Art. 18 ARS gerade, dass der Wille von Staat X bei der Durchführung von Hilfe beachtet wird. Staat X muss nur die Konsequenz davon tragen, dass er Staat Y in eine Zwangssituation ge­ bracht hat. Der Weg über Art. 18 ARS ist somit im Ergebnis eine effektive, formalistische, aber legale Möglichkeit, um dem betroffenen Staat Anreize für völkerrechtsmäßige Anweisungen zur operativen Durchführung von Hilfsmaßnahmen zu verschaffen bzw. bei Verstößen reagieren zu können. Zuletzt ist zu beachten, dass die hier aufgezeigte Anwendung von Art. 18 ARS mit der in Kapitel 5 abgeleiteten völkergewohnheitsrechtlichen Pflicht des betroffenen Staates, externe Hilfe nicht willkürlich abzulehnen, korres­ pondiert. Es macht wertungsmäßig keinen Unterschied, ob der betroffene Staat externe Hilfe generell ablehnt, weil auch ethnische Minderheiten in ihren Genuss kommen würden, oder ob er externe Hilfe unter der Bedin­ gung zulässt, dass keine ethnischen Minderheiten von ihr begünstigt werden („Nein, wir akzeptieren keine Katastrophenhilfe, weil ihr sie auch an ethni­ sche Minderheiten verteilt“ vs. „ja, wir akzeptieren Katastrophenhilfe, aber nur, wenn ihr sie nicht an ethnische Minderheiten verteilt“). 353  Teil  2,

Kapitel  B., Abschnitt II.3.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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2. Sonderfall: Einsatz von militärischen Streitkräften oder Kräften zur Zivilverteidigung Eine besondere Herausforderung bei der internationalen Katastrophenhilfe stellt der Einsatz von ausländischen Streitkräften im Katastrophenfall dar. Die Effektivität des Einsatzes von militärischen Streitkräften oder Zivil­ schutzeinheiten wurde in einer breit angelegten Studie des Stockholm Inter­ national Peace Research Institute in Zusammenarbeit mit OCHA bestätigt und wird in der Praxis nicht bestritten.354 Der Vorteil des Einsatzes von Militärpersonal besteht darin, dass Soldaten in der Regel sehr gut ausgebildet sind, über modernste Kommunikationsme­ thoden und technisches Equipment verfügen sowie an die selbstständige, gut organisierte Ausführung schwieriger Missionen gewöhnt sind.355 Der Ein­ satz von Militäreinheiten ist daher manchmal sogar unausweichlich, da nur sie über die entsprechende Logistik zur effektiven Katastrophenhilfe verfü­ gen. Sie können zudem in Krisensituationen durch ihre bloße Präsenz zur Befriedung kritischer Situationen beitragen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn sich ziviles Katastrophenhilfepersonal aus Sicherheitsgründen nicht in die von der Katastrophe betroffene Region traut. Dies war z. B. teilweise der Fall während der Ebola-Epidemie in Liberia, als Katastrophenhelfer vor Ort angegriffen wurden und zahlreiche freiwillige Helfer daher einen Einsatz ablehnten. Aber auch in anderen Staaten, in denen latent eine Entführungs­ gefahr, beispielsweise durch Milizengruppen oder Terrororganisationen, be­ steht, kann der Einsatz von Militärpersonal angezeigt sein. In der Praxis wird militärisches Personal sehr häufig bei der internationa­ len Katastrophenhilfe eingesetzt. Vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch zahlreiche europäische Staaten, Australien, Indien, Ja­ pan Kanada und Südafrika senden besonders häufig Militärpersonal zum Einsatz in der Katastrophenhilfe.356 Zahlreiche Staaten, darunter die Verei­ nigten Staaten von Amerika und Deutschland, haben beispielsweise nach dem Tsunami 2004 militärische Einheiten zur Katastrophenhilfe in Südost­ asien bereitgestellt.357 Nach Taifun Hayan 2013 auf den Philippinen befan­ 354  Stockholm International Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of For­ eign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008) , 48; Silingardi, The Status of Emergency Workers (2012), 574. 355  ILC, ‚Provisional summary record of the 3138th meeting‘ (2.  August 2012) UN Doc. A/CN.4/SR.3138S. 8. 356  Stockholm International Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of For­ eign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008), x. 357  Tsunami Evaluation Coalition, ‚Funding the tsunami response: A synthesis of findings‘ (2006), 18.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

den sich dort mehr als 40.000 ausländische Soldaten im Einsatz. Die Verei­ nigten Staaten von Amerika haben 2014 ferner 3.000 Soldaten in den Einsatz zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie in Westafrika entsandt.358 Allerdings kann fremdes Militärpersonal nationale Sicherheitsinteressen beeinträchtigen. Es besteht die Gefahr, dass geheimdienstlich relevante Tä­ tigkeiten wie etwa Spionage vorgenommen werden. Zudem kann die offen­ kundige Präsenz von militärischen Streitkräften, insbesondere wenn diese in der Uniform ihres Heimatlandes auftreten und bewaffnet sind, zu inneren Unruhen und Spannungen führen. Zudem haben Soldaten möglicherweise Probleme damit, sich in einen von einem fremden Staat vorgegebenen Be­ fehlsrahmen einzugliedern. Des Weiteren kann eine durch eine Katastrophe ohnehin schon destabilisierte Gesellschaft durch den großflächigen Einsatz von Militär verunsichert werden.359 Militärpersonal verfügt manchmal möglicherweise auch nicht über die erforderliche kulturelle Sensibilität.360 Angesichts dieser potentiellen Nachteile erklärt sich möglicherweise die Weigerung Myanmars, mit Hilfsgütern beladene Militärschiffe der USamerikanischen und französischen Marine anlegen zu lassen.361 Auch China, Indien und Nordkorea weigern sich, bei Katastrophen Truppenstationie­ rungsabkommen mit anderen Staaten abzuschließen, die den Einsatz von militärischen Streitkräften oder Zivilschutzeinheiten erlauben würden.362 Riskant ist der Einsatz fremder militärischer Streitkräfte schließlich in kom­ plexen Katastrophensituationen, in denen neben einer Naturkatastrophe noch ein bewaffneter Konflikt oder bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen.363 Zu untersuchen ist demnach, wie der Einsatz von Militärpersonal für Zwecke der internationalen Katastrophenhilfe konfliktfrei implementiert werden kann. Grundsätzlich stellt die Stationierung von (bewaffneten) Streitkräften und deren Tätigwerden auf fremdem Staatsgebiet einen Ein­ 358  ,U.S. Military to Send 3,000 to Battle Ebola Virus‘ The Wall Street Journal (16.  September 2014) . 359  Parisetti, The Use of Civil and Military Defense Assets, in: de Guttry/Gestri/ Venturini (Hrsg.), International Disaster Response Law (2012), 24. Kapitel, 598. 360  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  190. 361  Myanmar rejects U.S. military-delivered aid, state media says ‚assistance comes with strings attached‘, NBC News (21.  Mai 2008), . 362  Silingardi, The Status of Emergency Workers (2012), 574; Stockholm Inter­ national Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of Foreign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008), xi. 363  ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  193.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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griff in die territoriale Integrität des betroffenen Staates dar und ist damit als Verstoß gegen das Interventionsverbot zu qualifizieren. Die Staatenpra­ xis zeigt aber, dass dieser Eingriff durch die Zustimmung des betroffenen Staates hierzu gerechtfertigt werden kann. Auch wenn das Konzept der ‚Intervention auf Einladung‘ in Einzelheiten umstritten ist, so wird es in der Staatenpraxis zumindest dann akzeptiert, wenn die Einladung im Vorfeld des Militäreinsatzes ausdrücklich, d. h. nicht lediglich konkludent, von der rechtmäßigen Regierung ausgesprochen wird und das ausländische Militär nur die Regierung unterstützende Hilfstätigkeiten durchführt.364 Das Kon­ zept der Zustimmung als Rechtfertigungsgrund ist auch in Art. 20 ARS festgelegt. Im Umkehrschluss aus Art. 3 lit. e) der Aggressionsdefinition der Vereinten Nationen folgt ebenfalls, dass der Einsatz von militärischen Streitkräften mit Zustimmung des betroffenen Staates, sofern die Grenzen und Bedingungen der Zustimmung eingehalten werden, nicht als Aggression als Unterform des Gewaltbegriffs ausgelegt werden kann.365 Auch der IGH hat das Prinzip der Intervention auf Einladung bzw. Anfrage einer Regie­ rung als zulässig anerkannt.366 Die Staatenpraxis stützt das Prinzip auch bei Katastrophenhilfemaßnahmen, da die helfenden Staaten vor dem Einsatz von militärischem Hilfspersonal in der Regel die offizielle Anfrage des betroffenen Staates abwarten.367 Fraglich ist insofern, ob bereits eine gene­ rell für Hilfsmaßnahmen erteilte Zustimmung so ausgelegt werden kann, dass automatisch auch der Militäreinsatz erlaubt ist. Manche Staaten halten eine derartige Interpretation für zulässig, während andere auf einer explizi­ ten Zustimmung bestehen.368 Im Ergebnis ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalles, ob das Hilfsgesuch des betroffenen Staates so dringlich ist 364  Nolte, Intervention by Invitation, MPEPIL (2010), Rdnr.  20; Bothe, Friedens­ sicherung und Kriegsrecht (2013), Rdnr.  23. 365  UNGA, Res 3314 (XXIX) [Definition of Aggression], v. 14.  Dezember 1974, UN Doc. A/RES/29/3314; Telec, Challenges to State Sovereignty, in: Caron/Kelly/ Telesetsky (Hrsg.), The International Law of Disaster Relief (2014), 14.  Kapitel, 280. 366  IGH, Nicaragua (27.  Juni 1986) ICJ Reports 1986, 14, 116 para. 246; IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo/ Uganda), Merits (19.  Dezember 2005) ICJ Reports 2005, 168, 198–200, paras. 47, 51–53. Siehe dazu auch Nolte, Intervention by Invitation, MPEPIL, Rdnr.  15 f. 367  Stockholm International Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of For­ eign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008), 22. 368  Art. 15 Abs. 3 Agreement Establishing CDEMA. Siehe dazu auch Stockholm International Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of Foreign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008), 22, 25, 91. Indonesien hat z. B. nach dem Tsunami 2004 ohne weitere Konkretisierung jedwede Form von Hilfe akzeptiert und für militärisches Personal und Hilfsgüter lediglich eine Aufenthaltsgrenze von 90 Tagen festgelegt. Weitere Nachweise für Abkommen, die eine explizite Zustimmung zum Einsatz von Streitkräften erfordern, in ILC, ‚Protection of persons in the event

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

oder ersichtlich ist, dass es dem betroffenen Staat nur auf die rasche und effektive Durchführung von Hilfe ankommt und erst sekundär eine Rolle spielt, ob die Hilfe durch zivile oder militärische Einheiten erfolgt.369 Es kann dabei unter Umständen auch von einem konkludenten Einverständnis ausgegangen werden. Dafür, dass eine sich auch auf militärische Streitkräfte erstreckende Zu­ stimmung zumindest konkludent erforderlich ist, spricht die Tatsache, dass für den Militäreinsatz im Katastrophenfall regionale370 und, im ganz über­ wiegenden Fall, bilaterale Verträge oder zumindest Truppenstationierungs­ abkommen abgeschlossen werden.371 Dort müssen Aspekte der operativen Durchführung festgelegt werden, z. B., ob die militärischen Streitkräfte uniformiert und bewaffnet sein dürfen.372 Wichtigste Referenz für derartige bilaterale Verträge sind in der Praxis die OLSO Guidelines, die sich aus­ führlich mit Rechtsfragen des Einsatzes von nationalen Militäreinheiten oder Militäreinheiten im Dienste der Vereinten Nationen befassen.373 Ent­ halten ist auch ein Model-Truppenstationierungsabkommen (Status-OfForces Agreements), das sich am NATO-SOFA orientiert und eine Grundla­ ge für bilaterale Sondervereinbarungen sein soll. Abschnitt III.11 der IFRKGuidelines374 sowie Art. 5 der OSLO-Guidelines postulieren im Übrigen, dass der Einsatz von militärischen Streitkräften zur Katastrophenhilfe nur subsidiär erfolgen darf, d. h. wenn keine zivile Alternative zur Verfügung steht und die militärische Hilfe eine kritische Lücke der humanitären Hilfs­ of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/ CN.4/590, Rdnr.  192. 369  So z. B. die Auffassung von Großbritannien und Indonesien, Stockholm In­ ternational Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of Foreign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008),22, 25. 370  Art. 15 AADMER. 371  Silingardi, The Status of Emergency Workers (2012), 575; Art. 25 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007); Stockholm International Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of Foreign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008), 23, 27. 372  Art. 33 und 34 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007), Annex. 373  OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007). Die Oslo Guidelines wurden 2006 von OCHA unter Beteiligung von 14 Staaten, der EU und diversen NGOs entwickelt. Sie werden ergänzt durch die 2003 ebenfalls von OCHA erarbeiteten OCHA, Guide­ lines on the Use of Military and Civil Defence Assets to Support United Nations Humanitarian Activities in Complex Emergencies (MCDA Guidelines) (2003) . 374  IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of Interna­ tional Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex.



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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maßnahmen füllen würde. Dies deckt sich auch mit der Staatenpraxis, die zeigt, dass militärische Streitkräfte nur bei besonders großen Katastrophen in unübersichtlichen Regionen eingesetzt werden, in denen entweder von Anfang an offenkundig ist, dass zivile Mittel nicht ausreichen, oder sich die Ineffektivität ziviler Mittel beim Einsatz gezeigt hat.375 Zudem behält der betroffene Staat im Grundsatz die Kontrolle über alle Hilfsmaßnahmen, sofern nicht in Truppenstationierungsabkommen etwas hiervon Abweichen­ des geregelt ist. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass der Einsatz von mili­ tärischen Streitkräften und deren Ausrüstung für den betroffenen Staat ge­ wisse Risiken birgt, diese aufgrund der hohen Effektivität der militärischen Hilfe in der Praxis aber zu vernachlässigen sind. In jedem Fall ist die Zu­ stimmung des betroffenen Staates zu militärischen Katastrophenhilfeeinsät­ zen erforderlich. Die Zustimmung kann auch konkludent in der generellen Zustimmung zu externer Katastrophenhilfe enthalten sein, wenn die Um­ stände des Einzelfalles und insbesondere die Dringlichkeit externer Hilfe dies rechtfertigen. Liegt eine Zustimmung vor, kann der Militäreinsatz nicht als Verstoß gegen das Gewaltverbot gewertet werden, sofern die zur Inter­ vention auf Einladung etablierten Grundsätze sowie etwaige zusätzliche Vorgaben und Bedingungen des betroffenen Staates beachtet werden. Bila­ terale und regionale Verträge, Absichtserklärungen, Truppenstationierungs­ abkommen oder der Austausch diplomatischer Noten sowie (auch Ad Hoc erfolgende) mündliche Absprachen zwischen den beteiligten Regierungen sind das Mittel der Wahl, um transparente Verhaltensregeln zu etablieren und hierdurch das operative Vorgehen der militärischen Streitkräfte zu er­ leichtern. 3. Konsequenzen bei der Verletzung von Verhaltenspflichten in Ausführung von Hilfsmaßnahmen, insbesondere Haftungsfragen Entsteht bei der Ausführung von Hilfsmaßnahmen ein Sach- oder Perso­ nenschaden durch ausführende staatliche Helfer, haftet im Ausgangspunkt auf zwischenstaatlicher Ebene der Heimatstaat der Helfer nach Art. 4 ARS. Allerdings agieren die staatlichen Helfer in der Regel nach den Ins­ truktionen der Behörden des betroffenen Staates, so dass sie unter deren effektiver Kontrolle stehen. Dann ist der betroffene Staat nach Art. 6 oder Art. 8 ARS für ihr Verhalten verantwortlich. Im Übrigen nutzen viele Staa­ 375  Stockholm International Peace Research Institute, ‚The Effectiveness of For­ eign Military Assets in Natural Disaster Response‘ (2008), 20, insbesondere die dort abgedruckten Äußerungen Frankreichs, Großbritanniens und Kanadas.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

ten in der Praxis ihren Freiraum, abweichende, individuell ergänzende und hierüber hinausgehende Regelungen für den zwischenstaatlichen Bereich zu vereinbaren. Multilaterale und einige bilaterale Verträge sehen beispielswei­ se in verschiedenen Modifikationen vor, dass der betroffene Staat die Haf­ tung für verschiedene Verhaltensweisen der helfenden Staaten übernimmt und damit das alleinige Ausführungsrisiko für externe Hilfsmaßnahmen trägt.376 Daneben wird in regionalen und bilateralen Abkommen sowie Truppenstationierungsabkommen regelmäßig auch festgelegt, dass die betei­ ligten Parteien gegenseitig auf die Geltendmachung von Schadensersatzan­ sprüchen verzichten, wenn eine Partei der anderen bei der Ausführung der in dem jeweiligen Abkommen festgelegten Pflichten Sach- oder Personen­ schaden zufügt.377 Teilweise wird auch festgelegt, dass die Parteien die Haftungsfragen durch gegenseitige Konsultationen im Einzelfall lösen.378 Im Bereich der zivilrechtlichen Haftung gegenüber Dritten haben eben­ falls zahlreiche Staaten in bilateralen Abkommen Sonderregelungen getrof­ fen. Dort wird in der großen Mehrzahl aller Vereinbarungen die Haftung des betroffenen Staates für das Verhalten fremder Hilfskräfte gegenüber Dritten in Ausübung von Hilfsmaßnahmen explizit normiert.379 Es gibt aber auch 376  Z. B. Art. 23 Abs. 2 Agreement Establishing CDEMA. Siehe hierzu mit wei­ teren ausführlichen Nachweisen ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  226–228. 377  Z. B. Art. 9 Abs. 1 und 2 Convention on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents (France/Belgium); Art. 9 Abs. 1 und 2 Convention between the French Republic and the Federal Republic of Germany on mutual as­ sistance in the event of disasters or serious accidents; Art. 10 Abs. 1, 3 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jordan on mutual assistance in the case of disasters or serious accidents (sofern den Hilfskräften kein Vorsatz oder schweres Fehlverhalten vorzuwerfen ist); Art. 14 Abs. 1 BSEC Agree­ ment on collaboration in Emergency Assistance and Emergency Response to natural and man-made Disasters; Art. 10 Abs. 1 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency. Siehe dazu auch Silingardi, The Sta­ tus of Emergency Workers (2012), 579. 378  Art. IX Abs. 3 SAARC Agreement on Rapid Response to Natural Disasters; Art. 73 OCHA, Guidelines on The Use of Foreign Military and Civil Defence Assets In Disaster Relief (Oslo Guidelines) (2007). 379  Z. B. Art. 10 Agreement between the Swiss Federal Council and the Govern­ ment of the Republic of the Philippines on Cooperation in the Event of Natural Disasters or other Major Emergencies (sofern den Hilfskräften kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sind); Art. 9 Abs. 3 Convention on mutual assis­ tance in the event of disasters or serious accidents (France/Belgium); Art. 9 Abs. 3 Convention between the French Republic and the Federal Republic of Germany on mutual assistance in the event of disasters or serious accidents; Art. 10 Abs. 2 und 3 Agreement between the Republic of Austria and the Hashemite Kingdom of Jor­ dan on mutual assistance in the case of disasters or serious accidents; Art. 14 Abs. 2



B. Spezifische Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

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Abkommen, in denen der helfenden Vertragspartei die vollumfängliche Haf­ tung für das Verhalten ihrer Hilfskräfte übertragen wird bzw. jede Partei für die Haftung ihrer Organe verantwortlich gemacht wird.380 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Bereich der Haftung bei der Ausführung von Hilfsaktionen im zwischenstaatlichen Bereich zwar offiziell durch den Rahmen abgesteckt, den die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätze zur Staatenverantwortlichkeit vorgeben. Hiervon nicht erfasste Konstellationen sowie der Themenkomplex der Haftung ge­ genüber Dritten werden von den Staaten als Angelegenheit betrachtet, die durch individuelle Vereinbarungen in Abkommen und diplomatischen Noten zu regulieren ist. Im ganz überwiegenden Fall werden die allgemeinen Re­ gelungen über die Staatenverantwortlichkeit aber auch vollständig durch abweichende spezialvertragliche Regelungen verdrängt.

IV. Ergebnis Das Anbieten von Katastrophenhilfe stellt keine Einmischung in die in­ neren Angelegenheiten eines Staates dar und ist insofern völkerrechtlich zulässig. Nicht von einer Katastrophe betroffene Staaten sind de lege lata nicht nur zur Katastrophenhilfe berechtigt, sondern gegenüber betroffenen Staaten verpflichtet, wenn Opferzahlen im hohen fünfstelligen Bereich oder wirt­ schaftlichen Schäden in Milliardenhöhe vorliegen. Sofern eine Hilfspflicht dem Grunde nach besteht, kann sie im Rahmen einer willkürfreien Prüfung der Hilfsmöglichkeiten unter Umständen im Einzelfall abgewendet werden. Im Übrigen, d. h. in allen Katastrophenfällen, die diese Schwelle nicht er­ reichen, müssen Hilfeersuchen des betroffenen Staates sowie Optionen zu eigeninitiativen Hilfsangeboten willkürfrei auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden. Aus dem im ermessensfehlerfreien Vorgehen ermittelten Prüfungs­ ergebnis ergibt sich in diesen Fällen aber de lege lata zwar keine Hilfs­ pflicht, aber es wird zumindest ein Prozess in Gang gesetzt, das Verhalten möglichst vieler Staaten in Katastrophensituationen besser abschätzen zu können. Daraus ergibt sich nicht nur die Möglichkeit, die Katastrophenhilfe im jeweiligen Einzelfall transparenter zu machen und den zu erwartenden BSEC Agreement on collaboration in Emergency Assistance and Emergency Re­ sponse to natural and man-made Disasters; Art. 23 Abs. 2 Agreement Establishing CDEMA. Siehe auch Silingardi, The Status of Emergency Workers (2012), 579 f. 380  Siehe hierzu mit ausführlichen Nachweisen ILC, ‚Protection of persons in the event of disasters. Memorandum by the Secretariat‘ (11.  Dezember 2007) UN Doc. A/CN.4/590, Rdnr.  229; Silingardi, The Status of Emergency Workers (2012), 579.

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3. Teil: Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft

Hilfseinsatz der Staatengemeinschaft abschätzen zu können, sondern auch eine Chance zur Fortentwicklung des internationalen Katastrophenhilfevöl­ kerrechts. Liegen Prüfungsentscheidungen vor, d. h. lässt sich eindeutig feststellen, dass, warum und weshalb um Hilfe ersuchte Staaten auf Hilfe­ leistungen verzichtet haben, lassen sich ausgehend davon fundierte Aussa­ gen über die Entwicklung der Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung treffen und dadurch in der Entwicklung befindliches Völkergewohnheitsrecht ver­ festigen. Bei der operativen Ausführung von Katastrophenhilfe müssen die hilfe­ leistenden Staaten den Grundsatz der Humanität und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung beachten. Beim Einsatz von Militär sowie der Klärung von Haftungsfragen ist eine enge bilaterale Abstimmung zwischen helfen­ den Staaten und dem betroffenen Staat erforderlich, der in Form von Son­ derabkommen entsprochen werden kann.

4. Teil

Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick Im vierten Teil  der Arbeit sollen die Kodifikationsbemühungen der Inter­ national Law Commission sowie der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes dargestellt und anhand der Ergebnisse der vorhergehenden Kapitel evaluiert werden. Die Arbeit schließt im Kapitel B. mit einer Zusammenfas­ sung und einem Ausblick.

A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der International Law Commission unter Berücksichtigung der Arbeit der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes Im folgenden Kapitel sollen der Entwicklungsstand und die Kodifika­ tionsbestrebungen zum Katastrophenhilfevölkerrecht durch die ILC evaluiert werden. Zu untersuchen ist, ob es überhaupt möglich und praktikabel ist, ein universelles Klauselwerk zu schaffen und die gewählten Ansätze hierfür geeignet sind. Kodifikationsbemühungen in einem Feld, das an die handeln­ den Akteure mehrfach jährlich extreme Anforderungen in der Praxis stellt und dessen Fortentwicklung durch nicht vorhersehbare Szenarien geprägt ist, sind nur hilfreich, wenn sie tatsächlich auch in der Praxis der interna­ tionalen Katastrophenhilfe von Nutzen sein können. Für die Untersuchung, ob dieses Ziel erreicht werden konnte, soll zunächst ein Überblick über den Inhalt der Arbeitsergebnisse von ILC (I.) und IFRK (II.) gegeben werden, bevor ihr materieller Wert evaluiert wird (III.).

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

I. Überblick über die Draft Articles on the Protection of Persons in the Event of Disasters durch die International Law Commission 1. Zielsetzung und Entstehungsprozess Die ILC hat sich von 2008 bis 2013 mit der Thematik der internationalen Katastrophenhilfe beschäftigt.1 Grundlage der Arbeit waren sieben Berichte des Sonderberichterstatters Valencia-Ospina, ein Memorandum des UNGeneralsekretariats sowie Materialien von OCHA und der IFRK.2 Das Entwurfskomitee ist insgesamt sechs Mal zusammengetreten, um die Druck­ fassung der Artikel zu entwerfen. Insgesamt wurden 21 Artikel mit Kom­ mentaren ausgearbeitet. Die Mitglieder der ILC sind zwar von Staaten entsendet, arbeiten aber offiziell unabhängig von ihrer Regierung.3 Wäh­ rend des Arbeitsprozesses wurden die Zwischenergebnisse der ILC jährlich im Rechtsausschuss der Vereinten Nationen diskutiert. Die Staatenvertreter konnten gegenüber der ILC die jeweilige Rechtsauffassung ihrer Regierung äußern. Die vorgebrachten Änderungsvorschläge wurden von der ILC stets ernst genommen und waren regelmäßig ausschlaggebend für Modifikationen der Erstfassung.4 Dieses Vorgehen verleiht der DAPPED eine gewisse prozedurale Legitimation. Das UN-Generealsekretariat hat vor Beginn der Arbeit der ILC eine Marschroute für die Entwicklung der DAPPED sowie einige Gedanken zu dem mit ihnen verfolgten Ziel entwickelt. Die DAPPED sollten zum einen das Bedürfnis nach Systematisierung des bereits existenten Rechts der in­ ternationalen Katastrophenhilfe erfüllen und zum anderen zur Entwicklung eines kohärenten Rechtsregimes beitragen.5 Dies sollte durch die Ausar­ beitung eines rechtlichen Rahmens geschehen: „[…] The objective of the proposal would be the elaboration of a set of provisions which would serve as a legal framework for the conduct of international disaster 1  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtysixth session  – Chapter V: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 6.  Juni, 7.  Juli–8. August 2014) UN Doc. A/69/10, Rdnr.  46. 2  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtysixth session  – Chapter V: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 6.  Juni, 7.  Juli–8. August 2014) UN Doc. A/69/10, Rdnr.  46. 3  Heath, 43 New York Univ. J. Int.’l L. & Pol. (2011), 448. 4  Siehe z. B. ILC, Statement of the Chairman of the Drafting Committee (64th session 2012, Protection of Persons in the Event of Diasters) (30.  Juli 2012), S. 2. 5  UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eight session‘ (1.  Mai–9.  Juni; 3.  Juli–11.  August 2006) UN Doc. A/61/10, Annex C, Rdnr.  1, 18.



A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der ILC403

relief activities; clarifying the core legal principles and concepts and thereby cre­ ating a legal „space“ in which such disaster relief work could take place on a secure footing.“6

Die Arbeit sollte im Wesentlichen bereits bestehende Normen und Regeln kodifizieren und konkretisieren. Progressive Entwicklungen sollten nur dann aufgenommen werden, wo dies angebracht war. Es sollten keine unnötigen neuen Normen entwickelt werden, die die operative Ausführung von Kata­ strophenhilfe möglicherweise sogar beeinträchtigen würden.7 Das fertige Produkt sollte Staaten, den Vereinten Nationen und anderen Entitäten als Referenz für spezifische Abkommen zwischen den verschiedenen Beteilig­ ten im Bereich der Katastrophenhilfe dienen bzw. als Model, auf das in Verträgen zwischen den Akteuren verwiesen werden könnte. Als funktionel­ le Vorlage wurde insofern das Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen genannt.8 Auch zahlreiche Staaten­ vertreter haben im Rechtsausschuss der Vereinten Nationen die Hoffnung geäußert, dass die DAPPED vor allem der Klarstellung dienen soll, welcher spezifische Rechtsrahmen die internationale Katastrophenhilfe umgibt, in­ dem die fundamentalen Prinzipien und verschiedene Pflichten vor allem des betroffenen Staates herausgearbeitet werden.9 Eine Reihe von Staaten ging davon aus, dass die Arbeit der ILC einen großen Beitrag zur Kodifi­ kation und Fortentwicklung des Katastrophenvölkerrechts leisten würde.10 Die ILC selbst hatte sich zu Beginn ihrer Arbeit nicht bezüglich der Fra­ ge festgelegt, welche konzeptionelle Form die DAPPED im Ergebnis anneh­ men sollen.11 In der Völkerrechtswissenschaft wurde das Vorhaben der ILC so aufgefasst, dass das erste internationale juristische Dokument erstellt werden sollte, das sich mit generellen Aspekten und dem Rahmen von Ka­ tastrophenhilfe auseinandersetzt und dabei insbesondere die Rechte und 6  UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eight session‘ (1.  Mai–9.  Juni; 3.  Juli–11.  August 2006) UN Doc. A/61/10, Rdnr.  24. 7  UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eight session‘ (1.  Mai–9.  Juni; 3.  Juli–11.  August 2006) UN Doc. A/61/10, Rdnr.  25. 8  Convention on the Privileges and Immunities of the United Nations. 9  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652, Rdnr.  12. 10  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/ CN.4/652, Rdnr.  12. 11  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Six­ tieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 7.  Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  230, 258.

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung in den Blick nimmt.12 So schätzte auch der Sonderberichterstatter die Aufgabe der DAPPED ein und betonte, dass sie dem Schutz von Personen im Katastrophenfall dienen sollten, und nicht primär der Hilfe im Katastrophenfall.13 Alle auch operativen Aspekte, die bearbeitet werden, sollten die besondere faktische Situation der Opfer von Katastrophen berücksichtigen. Einige Mitglieder der ILC sowie Staatenvertreter favorisierten die Ausar­ beitung bzw. Zusammenstellung von nicht verbindlichen Richtlinien und Prinzipien und damit eines praktischen Werkzeugs für die Akteure der in­ ternationalen Katastrophenhilfe anstelle eines rechtlich verbindlichen Instru­ ments.14 Viele Mitglieder der ILC selbst haben bereits im Vorfeld der Ausarbeitung der DAPPED prognostiziert, dass die DAPPED zum Großteil in den Bereich der progressiven Entwicklung des Völkerrechts fallen wer­ den.15 Der Sonderberichterstatter der ILC definierte demgegenüber als Zielvorstellung, eine Konvention oder Erklärung ausarbeiten zu wollen, die Modelvorschriften oder Richtlinien enthält, ähnlich der Rahmenkonvention über Hilfe bei der Zivilverteidigung.16 2. Inhalt Art. 1–3 sowie Art. 20 und 21 betreffen den persönlichen, sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der DAPPED. Art. 1 DAPPED legt den An­ wendungsbereich ratione personae und ratione temporis fest, wonach die 12  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Six­ tieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 7.  Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  227–229. Siehe auch Tokunaga, Evolution of International Disaster Response Law: Toward Codification and Progressive Development of the Law (2014), 60. 13  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Six­ tieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 7.  Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  218. 14  ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9. April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Rdnr.  15; ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai–7.  Juni, 7.  Juli–8.  August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  257. Siehe dazu auch Tokunaga, Evolution of International Disaster Response Law: Toward Codifi­ cation and Progressive Development of the Law (2014), 49. 15  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Six­ tieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 7.  Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  257. 16  ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Six­ tieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai– 7.  Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  264.



A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der ILC405

Artikel auf den Schutz von natürlichen Personen bei Eintritt einer Kata­ strophe, d. h. nicht im Vorfeld der Katastrophenvermeidung, anzuwenden sind. Art. 2, 3 sowie 20 und 21 befassen sich mit dem Anwendungsbereich ratione materiae. Art. 2 DAPPED normiert den Zweck der DAPPED, eine angemessene und effektive Reaktion auf Katastrophen zu ermöglichen, die sich an den essentiellen Bedürfnissen der betroffenen Personen sowie ihren Rechten orientiert. Art. 3 DAPPED definiert den Begriff der Katastrophe im Sinne der nachfolgenden Artikel. Art. 20 stellt klar, dass die DAPPED besondere Regeln des Völkerrechts, die im Katastrophenfall anwendbar sind, nicht verdrängen. Art. 21 DAPPED legt fest, dass die DAPPED nicht auf Situationen anwendbar sind, in denen das humanitäre Völkerrecht gilt. Dies schließe jedoch die parallele Anwendung der DAPPED in komplexen Katastrophensituationen, in denen eine Naturkatastrophe zu einem interna­ tionalen bewaffneten Konflikt hinzukommt, nicht aus. Art. 4 DAPPED ent­ hält sechs weitere Definitionen betreffend die beteiligten Akteure und Ma­ terialien. Art. 5–7 DAPPED legen Grundsätze fest, die bei der Durchführung von Katastrophenhilfe im Umgang mit den Schutzobjekten der DAPPED, näm­ lich betroffenen Individuen, zu beachten sind (Menschenwürde, Art. 5, Menschenrechte, Art. 6, und humanitäre Grundsätze, Art. 7). Art. 8–11 sowie Art. 19 DAPPED legen Verhaltensvorgaben fest, die alle beteiligten Akteure bei der Durchführung von Katastrophenhilfe beachten müssen, d. h. sowohl der betroffene Staat als auch nicht betroffene, hilfeleis­ tende Staaten. Art. 8 und 9 DAPPED beziehen sich auf Kooperationspflich­ ten nach dem Eintritt einer Katastrophe, Art. 10 und 11 DAPPED auf die Kooperation zur Katastrophenvermeidung sowie die allgemeine Pflicht, das Risiko des Eintritts von Katastrophen zu minimieren. Art. 19 DAPPED verpflichtet den betroffenen Staat sowie die hilfeleistenden Akteure zu Kon­ sultationen über die Beendigung und entsprechende rechtzeitige Benachrich­ tigung von Hilfsmaßnahmen. Art. 11–15 DAPPED regeln Verhaltenspflichten- und vorgaben, die für den von der Katastrophe betroffenen Staat gelten. Art. 16 DAPPED regelt das Verhalten von nicht betroffenen Staaten, den Vereinten Nationen und relevanten internationalen Organisationen und zwischenstaatlichen Organi­ sationen. Art. 17 und 18 DAPPED beziehen sich auf die Verhaltenspflichten des betroffenen Staates bezüglich der operativen Ausführung von Katastro­ phenhilfe durch externe Akteure. Gemäß Art. 17 DAPPED soll der betrof­ fene Staat alle Maßnahmen ergreifen, welche die rasche und effektive Be­ reitstellung externer Katastrophenhilfe ermöglichen, insbesondere in Bezug auf Privilegien, Immunitäten, Einreisebestimmungen, Arbeitsgenehmigungen und Bewegungsfreiheit des Hilfspersonals sowie Aspekte der Verzollung,

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

Besteuerung und des Transports von Hilfsgütern. Er soll ferner seine natio­ nalen Gesetze den Helfern so zugänglich machen, dass ihre Einhaltung besser ermöglicht wird. Art. 18 DAPPED verpflichtet den betroffenen Staat, erforderliche Maßnahmen zu treffen, um den Schutz von fremdem Hilfsper­ sonal, Ausrüstung und Hilfsgütern auf seinem Territorium sicherzustellen. Insgesamt enthalten die DAPPED nur in Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 ver­ bindliche Verhaltenspflichten, die an den betroffenen Staat gerichtet sind. Im Übrigen werden an elf Stellen stark formulierte Verhaltensempfehlungen ausgesprochen. Vier dieser Verhaltenspflichten betreffen alle an der Katast­ rophenhilfe beteiligten Staaten (Art. 5, Art. 7, Art. 8, Art. 11, Art. 19 DAP­ PED), sechs richten sich gezielt an den betroffenen Staat (Art. 14 Abs. 2, Art. 14 Abs. 3, Art. 17 Abs. 1, Art. 17 Abs. 2, Art. 18 DAPPED).

II. Überblick über die Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes 1. Zielsetzung und Entstehungsprozess Die IFRK-Guidelines wurden über einen Zeitraum von sieben Jahren ausgearbeitet. Quellen für ihre Ausarbeitung waren verschiedene (unver­ bindliche) internationale Dokumente, u. a. Resolutionen der UN-Generalver­ sammlung und dem Hyogo Framework for Action.17 Ziel der IFRK war es, rechtlich unverbindliche Richtlinien und Modelle zu entwickeln, die Staaten besser auf Katastrophen im eigenen Land vorbereiten und ihre Resilienz erhöhen.18 Die nationale Katastrophenvorsorge sollte verbessert werden, indem Staaten ein Orientierungsrahmen zur Verbesserung der nationalen rechtlichen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen der Kata­ strophenhilfe an die Hand gegeben wird.19 Ausgangsgedanke der Guidelines ist dabei, dass der betroffene Staat zwar die zentrale Rolle bei der Kata­ strophenhilfe einnimmt, aber ein Mindestmaß an rechtlichen Vorgaben für hilfeleistende Staaten und Organisationen zur Verfügung stehen sollte, um die Einhaltung von Mindeststandards bezüglich Koordination, Qualität und 17  UNGA, Res 46/182 (19.  Dezember 1991) UN Doc. A/RES/46/182; UNGA, Res 57/150 [Strengthening the effectiveness and coordination of international urban search and rescue assistance], v. 27.  Februar 2003, UN Doc. A/RES/57/150. 18  Siehe Tokunaga, Evolution of International Disaster Response Law: Toward Codification and Progressive Development of the Law (2014), 60. 19  Art. 1 Abs. 3 IFRK, Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, 30IC/07/R4 annex.



A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der ILC

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Verantwortung zu gewährleisten und effektive, qualitativ hochwertige Kata­ strophenhilfe zu leisten. Die vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung entwi­ ckelten Guidelines der IFRK sind rechtlich nicht bindend. Allerdings wurden sie 2007 von allen 195 Vertragsparteien der Genfer Konventionen sowie der IBRK angenommen.20 Sie wurde ferner bereits von zwölf Staaten in deren nationale Rechtsordnung umgesetzt.21 Auf sie wird auch regelmäßig in den Resolutionen der Vereinten Nationen sowie Resolutionen von anderen inter­ nationalen, aber auch regionalen Organisationen Bezug genommen.22 2. Inhalt Die IFRK-Guidelines bestehen aus insgesamt 24 Artikeln, die in eine Einleitung und fünf Teile unterteilt sind. Die Einleitung (Art. 1 und 2) legt Zweck, Anwendungsbereich und Definitionen fest. Teil  1 (Art. 3 bis 6) be­ fasst sich mit den Kernverantwortungsbereichen des betroffenen Staates und hilfeleistenden Akteuren, d. h. Staaten, zwischenstaatlichen Organisationen, NGOs, Individuen und privaten Unternehmen. Teil 2 (Art. 7 bis 9) enthalten Vorgaben zur Frühwarnung und Katastrophenvorsorge. Teil  3 (Art. 10 bis 12) regelt die Initiierung und Beendigung internationaler Katastrophen- und Wiederaufbauhilfe. Teil 4 (Art. 13 bis 15) legt fest, dass der betroffene Staat und Transitstaaten die in Teil  5 aufgeführten rechtlichen Rahmenbedingun­ gen für hilfeleistende Staaten zur Verfügung stellen sollen. Art. 15 normiert, wie der betroffene Staat und Transitstaaten ermitteln können, welche huma­ nitären Organisationen berechtigt werden, die rechtlichen Rahmenbedingun­ gen auszunutzen. Teil  5 (Art. 16 bis 24) listet ausführlich Bereiche auf, in denen der betroffene Staat und Transitstaaten rechtliche Rahmenbedingun­ 20  Adoption of the Guidelines for the Domestic Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance, Resolution 4, 30th International Conference of the Red Cross and Red Crescent (Genf, 26.–30. Novem­ ber 2007). 21  Bhutan, Finnland, Indonesien, Kolumbien, Mexiko, Namibia, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Panama, Peru, Philippinen, siehe IFRK, Adopted legislation and rules (August 2013), . 22  Im UN-System besziehen sich vor allem die UN-Generalversammlung und der Wirtschafts- und Sozialrat auf die Guidelines, z. B. UNGA, Res 63/139 (11. De­ zember 2008) UN Doc. A/RES/63/139; UNGA, Res 63/141 (11.  Dezember 2008) UN Doc. A/RES/63/141; UNGA, Res 63/137 (11.  Dezember 2008) UN Doc. A/ RES/63/137. Die Weltzollorganisation, die OAS und die EU haben sich in der Ver­ gangenheit ebenfalls auf die Guidelines bezogen, siehe IFRK, Regional resolutions mentioning the IDRL Guidelines, .

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

gen für die Katastrophenhilfe ausarbeiten sollten und wie die Bedingungen im Einzelfall ausgestaltet werden sollten. Art. 16 legt z. B. fest, dass hilfe­ leistendem Personal rasch Visa für die Dauer der Katastrophenhilfe ausge­ stellt werden sollten. Art. 17 und 18 befassen sich mit Details der Einfuhr von Hilfsgütern und Ausrüstung. Es wird ausgeführt, wie und in welchem Umfang juristische und administrative Barrieren bei der Einfuhr reduziert werden können, z. B. durch Zollerleichterungen oder der Freistellung von Inspektionen. Art. 19 enthält Regelungen zum Transport. Nach Art. 20 soll der betroffene Staat den Einheiten hilfeleistender Staaten und Organisatio­ nen zumindest temporär Rechtsfähigkeit auf seinem Territorium einräumen, damit die Helfer zum Zweck der Katastrophenhilfe Bankkonten einrichten und Verträge abschließen können. Art. 21 sieht Steuererleichterungen vor. Art. 22 hält den betroffenen Staat dazu an, für die Sicherheit der Helfer Sorge zu tragen. Nach Art. 23 soll gewährleistet werden, dass staatliche Behörden und Dienstleistungen auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten zur Verfügung stehen. Art. 24 enthält Empfehlungen zur Kostentragung. Im Grundsatz sollen die Kosten von den hilfeleistenden Staaten und Einheiten getragen werden, sofern nicht im Vorfeld etwas Abweichendes vereinbart wird.

III. Evaluation der Arbeit der ILC unter Berücksichtigung der unter Berücksichtigung der Arbeit der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes Zielvorgabe für die ILC waren drei Aspekte. Es sollte ein rechtlicher Rahmen für die Durchführung internationaler Katastrophenhilfe geschaffen werden. Die rechtlichen Kernprinzipien- und konzepte sollten präzisiert werden. Dadurch sollte die Katastrophenhilfe rechtlich eingekleidet werden, um ihre sichere und effektive Erbringung zu gewährleisten. Dass dies nur eingeschränkt gelungen ist, soll im Folgenden dargestellt werden. 1. DAPPED: Kritik an Struktur und äußerer Form Zwar hat die ILC bei der Ausarbeitung der DAPPED einerseits einen sehr traditionellen Aufbau gewählt.23 Die formalistische Vorgehensweise wird insbesondere dadurch deutlich, dass die DAPPED in ihren Anwendungsbe­ reich ratione materiae, ratione personae und ratione temporis unterteilt werden. Dennoch ist der Aufbau inhaltlich als unstrukturiert zu kritisieren. Anders als in früheren Entwurfsarbeiten verzichtet die ILC auf eine Unter­ 23  Ueki,

Natural Disasters and the Theory of International Law (2014), 23.



A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der ILC

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gliederung in verschiedene Abschnitte oder Kapitel.24 Dies ist insofern verwunderlich, als das Generalsekretariat eine übersichtliche Gliederung im Einsetzungsbeschluss für die DAPPED ausgearbeitet hatte.25 In den aus­ gearbeiteten DAPPED wird die Übersichtlichkeit dadurch gestört, dass viele im Sachzusammenhang stehenden Artikel voneinander separiert wer­ den. Die Artikel, die den Anwendungsbereich regeln, werden voneinander getrennt an den Anfang und das Ende der Artikel gestellt. Definitionen sind nicht abschließend in Art. 4 DAPPED enthalten, sondern zusätzlich wird der Katastrophenbegriff in Art. 3 DAPPED definiert. Pflichten, die alle beteilig­ ten Akteure betreffen, werden ebenfalls an unterschiedlichen Stellen darge­ stellt (z. B. Art. 8–11 und Art. 19 DAPPED). Die Ratio dahinter war wohl, sich der internationalen Katastrophenhilfe in einer sinnvollen chronologi­ schen Abfolge zu nähern, d. h. angefangen von Vorfeldpflichten zur Kata­ strophenvermeidung über Ersthilfe durch den betroffenen Staat bis hin zu im Verlauf hinzutretender externer Hilfe. Dieser Aufbau ist indes durch Inkonsequenzen geprägt. Art. 5 bis 9 sind als allgemeine Verhaltenspflichten nur auf die Durchführung von Katastrophen­ hilfe bezogen, bevor Art. 10 und 11 auf die Katastrophenvorsorge eingehen und ab Art. 12 DAPPED wieder die eigentliche Katastrophenhilfe im Zent­ rum steht. Bezüglich der Katastrophenvorsorge widersprechen sich die DAP­ PED auch selbst. Während Art. 1 DAPPED den zeitlichen Anwendungsbe­ reich auf den Eintritt einer Katastrophe beschränkt, erweitert Art. 10 DAP­ PED die Kooperationspflichten der beteiligten Akteure auch auf die Phase der Katastrophenvorbeugung. Diese Ungenauigkeit im Aufbau erweckt ins­ gesamt den Eindruck, dass die DAPPED tatsächlich nur eine lose, nicht ab­ schließende Zusammenreihung von Aspekten sind, die für die internationale Katastrophenhilfe relevant sein können, aber nicht stringent beachtet werden müssen. Es fällt dabei insbesondere negativ auf, dass kein klar definiertes Verhaltensschema im Sinne eines Ablaufplans vorgegeben wird. 2. DAPPED: Kritik an der inhaltlichen Konzeption Art. 1 der DAPPED greift den Wunsch der ILC auf, sich der Thematik der internationalen Katastrophenhilfe durch einen menschenrechtsbezogenen 24  So sind z. B. die ILC, ‚Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARS), with commentaries 2001 (Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session)‘ (2001) UN Doc. A/56/10 in vier Abschnitte mit Unterkapiteln untergliedert. 25  UNGA, ‚Report of the International Law Commission on the work of its fifty-eight session‘ (1.  Mai–9.  Juni; 3.  Juli–11.  August 2006) UN Doc. A/61/10, Appendix.

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

Ansatz zu nähern. Die Anwendung der DAPPED auf Personen im Kata­ strophenfall wird vor diesem Hintergrund betont. Der menschenrechtliche Ansatz wird in den DAPPED aber im Übrigen nicht weiter verfolgt. Insbe­ sondere geht die ILC nicht auf die Frage ein, ob es ein Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall gibt. Es werden nicht einmal die all­ gemeinen Menschenrechte prononciert herausgearbeitet, die im Katastro­ phenfall von besonderer Bedeutung sind, wie z. B. das Recht auf Leben. An Art. 1 DAPPED ist des Weiteren zu kritisieren, dass die Formulierung „in the event of disasters“ darauf hindeutet, dass die DAPPED nur auf akute Katastrophenhilfe nach einem Schadensereignis Anwendung finden. In Art. 11 DAPPED wird demgegenüber aber auch auf das Thema der Katas­ trophenvorsorge rekurriert. Insofern ist Art. 1 DAPPED inkonsistent. Die Katastrophendefinition in Art. 3 DAPPED ist inhaltlich zwar nicht falsch, jedoch nicht praktikabel, da sie zu weite Auslegungsspielräume lässt. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die ILC klar umrissene Pa­ rameter herausgearbeitet hätte, anhand derer sich das Vorliegen einer Kata­ strophe bestimmen lässt. Hier wäre ein Verweis auf die drei vom EM-DAT herausgearbeiteten Kriterien26 sinnvoll gewesen, da diese drei auch in der Praxis von OCHA und anderen UN-Organisationen sowie Staaten als sehr relevant erachtet werden. Zudem wäre es, um die Ziele der DAPPED zu erreichen, notwendig gewesen, Orientierungsvorgaben für die Feststellung des Katastrophenfalles zu normieren, d. h. klarzustellen, dass der betroffene Staat hierfür ausschließlich zuständig ist, sofern nicht objektiv Umstände vorliegen, die auch bei einem Unterlassen des Staates, den Katastrophenfall zu erklären, den Anwendungsbereich der DAPPED eröffnen. Hier hätte in­ sofern die Möglichkeit zur progressiven Entwicklung des Völkerrechts be­ standen. Art. 5 DAPPED verpflichtet alle an der Katastrophenhilfe Beteiligten, die Menschenwürde der betroffenen Personen zu respektieren und zu schützen. Art. 6 DAPPED ordnet die Achtung ihrer Menschenrechte an. Beide Vor­ schriften sind lediglich deklaratorisch zu verstehen, da sowohl die Men­ schenwürde als auch die territorial anwendbaren Menschenrechte der Be­ troffenen ohnehin vom Eintritt einer Katastrophe unberührt bleiben. Der Verweis auf die Menschenwürde ohne nähere Ausführungen ist ferner vor dem Hintergrund der operativen Besonderheiten der Katastrophenhilfe pro­ blematisch. In der Katastrophenmedizin kann es insbesondere durch das anerkannte System der Triage vorkommen, dass die Überlebenswahrschein­ lichkeit eines Opfers gegen die eines anderen ins Verhältnis gesetzt werden muss. Es kann hier im Einzelfall objektiv zu Verletzungen der Menschen­ würde kommen, wenn ein schwer verletztes Opfer mit unwiderruflich leta­ 26  Siehe

oben Teil  1, Kapitel  B., Abschnitt I.3.a)dd).



A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der ILC411

len Verletzungen nicht behandelt wird, um Kapazitäten für schwer, aber nicht tödlich verletzte Opfer zu mobilisieren. Insgesamt verwundert auch, dass Art. 6 und Art. 7 DAPPED die einzigen Artikel sind, die gezielt zur Thematik des Schutzes von Personen im Katastrophenfall passen. Ein men­ schenrechtsbezogener Ansatz, wie er von der ILC ursprünglich intendiert war, hätte ausführlich darlegen müssen, welche Menschenrechte im Kata­ strophenfall besonders schützenswert sind und wie deren Schutz effektiv durch konkrete Maßnahmen sichergestellt werden kann. Hier wären Stel­ lungnahmen zum Recht auf Leben, aber auch zum Recht auf Gesundheit, Wasser und Nahrung wegweisend gewesen und hätten eine klare Abgren­ zung zu den IFRK-Guidelines geschaffen. Dies hat auch die IFRK selbst in dieser Form kritisch angemerkt.27 Art. 7 DAPPED nennt vier aus dem Humanitären Völkerrecht bekannte humanitäre Grundsätze, ohne deren Bedeutung genauer zu erläutern. Wie bereits in den Diskussionen des UN-Rechtsausschusses deutlich wurden, können insbesondere die Begriffe der Neutralität und Unparteilichkeit in Katastrophensituationen, in denen kein bewaffneter Konflikt vorliegt, für Unklarheiten in der Anwendung und Missverständnissen bei den Beteiligten sorgen. Zur Kooperation werden Staaten in den Art. 8 bis 10 DAPPED angehal­ ten. Es werden allerdings nur unterschiedliche Bereiche genannt, in denen die Kooperation eine Rolle spielt, z. B. bei der Bereitstellung von Hilfsgü­ tern. Es wird nicht konkretisiert, wie die Kooperation konkret ausgestaltet werden kann, etwa durch Absprachen vor der Durchführung von Hilfsliefe­ rungen in Bezug auf benötige Hilfsgüter und Ausrüstung. Dafür, dass sich drei Artikel mit der Kooperation beschäftigen, ist deren inhaltlicher Mehr­ wert somit gering. Art. 11 DAPPED ist der gelungenste Artikel der DAPPED. Alle Staaten werden dazu aufgefordert, effektive Katastrophenvorsorge zu betreiben, insbesondere durch entsprechende legislative und sonstige regulative Maß­ nahmen. In Abs. 2 werden praktische Maßnahmen aufgezählt, die helfen können, besser auf Katastrophen vorbereitet zu sein. Auch Art. 12 DAPPED ist positiv hervorzuheben. Dem betroffenen Staat wird ausdrücklich eine Pflicht auferlegt, seine Bevölkerung im Katastrophenfall zu schützen und Katastrophenhilfemaßnahmen vorzunehmen. In Abs. 2 wird seine zentrale 27  IFRK, Comments on the International Law Commissions draft articles on pro­ tecting persons in the event of disasters: Statement by Ms Elyse Mosquini of the IFRC Delegation to the United Nations, at the Sixth Committee of the United Na­ tions General Assembly, in New York (29.  Oktober 2010), .

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

Rolle bei der Kontrolle, Koordination und Überwachung von Hilfsmaßnah­ men betont. Auch Art. 13 DAPPED verfolgt in der Theorie einen sinnvollen Ansatz, nämlich den betroffenen Staat dazu zu verpflichten, bei Überschreiten seiner nationalen Katastrophenbewältigungskapazitäten externe Hilfe zu suchen. Positiv hervorzuheben ist auch die gewählte Formulierung, dass der betrof­ fene Staat externe Hilfe ‚suchen‘ muss, da man hierunter sowohl das An­ fragen nach Hilfe als auch die Annahme von Hilfe verstehen kann. Aller­ dings versäumt es die ILC, den Staaten diesbezüglich wichtige praktische Hinweise zur Ausgestaltung dieser Pflicht an die Hand zu geben. So wird zunächst nicht festgelegt, wie festgestellt werden kann, ob die Kapazitäten des betroffenen Staates überschritten sind, und ob diese Feststellung bzw. das Unterlassen der Feststellung justiziabel ist. Auch werden keine Modali­ täten formuliert, wie der betroffene Staat eine Hilfsanfrage ausgestalten muss, d. h. insbesondere, ob er gezielt bestimmte Staaten und Organisatio­ nen ansprechen muss und ob er bereits in der Anfrage darlegen muss, welche Art von Hilfe im Einzelfall gefordert wird. Auf diesen Aspekt wird am Rande in Art. 15 S. 2 DAPPED eingegangen, wo dem betroffenen Staat gestattet wird, bei der Ausarbeitung von Bedingungen von externer Hilfe die benötige Art von Hilfe konkretisieren soll. Die Bedürfnisformulierung steht aber streng genommen nicht im Zusammenhang mit den Bedingungen für externe Hilfe, sondern hätte sinnvoller in Art. 13 DAPPED ausführlich abgehandelt werden müssen. Art. 14 DAPPED befasst sich oberflächlich mit dem Aspekt der Zustim­ mungserteilung für externe Katastrophenhilfe. Die Feststellung in Abs. 1, dass externe Hilfe der Zustimmung durch den betroffenen Staat unterliegt, ist Ausdruck geltenden Völkergewohnheitsrechts und stellt insofern eine sinnvolle Kodifikation dar. Abs. 2, der bestimmt, dass die Zustimmung nicht willkürlich versagt werden darf, ist derzeit jedoch noch nicht universell als Völkergewohnheitsrecht anerkannt und ist als Norm anzusehen, die gerade erst in der Entwicklung zum Völkergewohnheitsrecht begriffen ist. Unab­ hängig von der rechtlichen Einordnung wäre es vor diesem Hintergrund angezeigt gewesen, festzulegen oder zumindest einen enumerativen Katalog von Parametern zu erstellen, anhand derer die Zustimmung als willkürlich verweigert eingeordnet werden kann. Auch hätte die ILC dazu Stellung nehmen müssen, wer in welcher Form beurteilen darf, ob eine Zustimmung als willkürlich verweigert angesehen werden kann, und welche Rechtsfolgen sich hieran anschließen, d. h. ob eine willkürliche Verweigerung automatisch die externe Hilfe ohne vorherige Zustimmung durch den betroffenen Staat gestattet. Art. 14 Abs. 3 DAPPED weist demgegenüber eine überraschende Detailbezogenheit auf, da hier der betroffene Staat verpflichtet wird, seine Entscheidung über die Annahme von Hilfsangeboten rasch mitzuteilen.



A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der ILC413

Art. 15 DAPPED steht inhaltlich wohl in Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 2 DAPPED, ohne dass dies explizit erklärt wird. Eine Klarstellung, dass in den Fällen des Art. 15 DAPPED eine Zustimmungsverweigerung bzw. die Zustimmung zu externer Hilfe unter dem Vorbehalt der Einhaltung be­ stimmter Bedingungen nicht als willkürlich eingeordnet werden kann, wäre insofern insgesamt förderlich gewesen. Art. 16 DAPPED intendiert die Klarstellung, dass das Angebot von hu­ manitärer Hilfe nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates gewertet werden kann. Dies wird so deutlich aber nicht zum Aus­ druck gebracht. Die ILC verwendet die Formulierung, dass nicht betroffene Staaten ein Recht haben, dem betroffenen Staat Hilfe anzubieten. Diese Formulierung ist missverständlich. Mit einem Recht korrespondiert grund­ sätzlich eine Pflicht des betroffenen Staates, externe Hilfe anzunehmen. Diese Pflicht formuliert die ILC aber nicht explizit. Der betroffene Staat muss sich zwar um externe Hilfe bemühen, ihre Erbringung ist aber abhän­ gig von seiner Zustimmung, zu der er nicht verpflichtet wird, sondern le­ diglich dazu, sie nicht willkürlich zu verweigern. Art. 17 DAPPED listet Gebiete auf, in denen der betroffene Staat in sei­ ner nationalen Rechtsordnung alle Maßnahmen ergreifen sollte, die erfor­ derlich sind, um eine rasche und effektive externe Katastrophenhilfe zu gewährleisten. Hier wäre es wichtig gewesen, den betroffenen Staaten einen Anhaltspunkt an die Hand zu geben, welche Regelungen im Einzelfall er­ forderlich sein können. Die ILC hätte, in ähnlicher Form wie die IFRK in den Guidelines, herausarbeiten müssen, wie diese Regelungen im Idealfall inhaltlich ausgestaltet werden müssten bzw. welche Regelungsoptionen dem betroffenen Staat zur Verfügung stehen, die als ‚best practice‘ in der Kata­ strophenhilfe angesehen werden könnten. Zudem lässt sich Art. 17 DAPPED so interpretieren, dass der kurzfristige Abschluss von bilateralen Katastro­ phenhilfeabkommen mit hilfeleistenden Staaten ohne Adaption der gesamten nationalen Rechtsordnung möglicherweise nicht ausreicht, auch wenn dieses Vorgehen faktisch ebenso effektiv, wenn nicht sogar effektiver, ist als gene­ relle Regelungen für alle hilfeleistenden Staaten. Auch die Maßnahmen, die der betroffene Staat zum Schutz von Hilfspersonal, Hilfsgütern und Ausrüs­ tung in Art. 18 DAPPED ergreifen soll, hätten objektiv konkretisiert werden müssen, um das von Art. 18 DAPPED verfolgte Ziel effektiv zu erreichen. Art. 19 bis 21 DAPPED sind technischer Natur und regeln die Beendi­ gung der Hilfe sowie das Verhältnis zu anderen Bereichen des Völkerrechts. Positiv hervorzuheben ist, dass die DAPPED im Umkehrschluss aus Art. 21 auch in einer komplexen Katastrophensituation Anwendung finden, d. h., wenn sich während eines bewaffneten Konfliktes eine Naturkatastrophe er­ eignet.

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass die einzelnen DAPPED-Artikel inhaltlich nicht überzeugen. Die ILC hat zwar thematisch alle Aspekte angesprochen, die bei einem internationalen Katastrophenhilfe­ einsatz relevant werden können bzw. zu bedenken sind. Regelungsempfeh­ lungen, Orientierungshilfen zur inhaltlichen Ausgestaltung oder Durchfüh­ rung von notwendigen operativen Verfahrensschritten sind damit aber nicht verbunden. Für die Anwendung in der Staatenpraxis sind die DAPPED daher nicht brauchbar. 3. Kritik am Gesamtkonzept und dessen potentieller Wirkung auf die internationale Katastrophenhilfe unter Berücksichtigung der IFRK-Guidelines Vor dem Hintergrund der strukturellen und inhaltlichen Kritik an den DAPPED ist zu konstatieren, dass sie auch konzeptuell nicht überzeugen. Sie stellen weder eine taugliche Vorlage für den Abschluss einer Konven­ tion zur internationalen Katastrophenhilfe dar noch eine umfassende Zusam­ menstellung von hilfreichen, effektiven, aber nicht bindenden Richtlinien. Aufgrund der Zurückhaltung der ILC, die Souveränität der betroffenen Staaten einzuschränken, können die DAPPED auch nicht als wegweisende progressive Fortentwicklung des Völkerrechts eingeordnet werden. Als taug­ liche Kodifikation geltender Regeln der internationalen Katastrophenhilfe können sie nicht herangezogen werden, weil die DAPPED hierzu zu unver­ bindlich in ihren Aussagen sind. Es werden zum großen Teil nur Verhaltens­ empfehlungen ausgesprochen, die bislang nicht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind und denen es deswegen an der für eine Kodifikation erfor­ derlichen rechtlichen Verbindlichkeit fehlt. Einen effektiven rechtlichen Rahmen, auf den zukünftige multilaterale oder bilaterale Regelungsinstru­ mente verweisen können, stellen die DAPPED ebenfalls nicht dar. Dies liegt daran, dass sie zu untechnisch und ohne Blick für die Erfordernisse der operativen Ausführung von Katastrophenhilfe ausgestaltet sind. In vielen Aspekten sind sie auch unvollständig. Es wird insofern nicht deutlich, wo­ durch sich die DAPPED von den IFRK-Guidelines unterscheiden, die be­ reits von einigen Staaten in die nationalen Rechtsordnungen inkorporiert wurden und Vorlage für Resolutionen zwischenstaatlicher und regionaler Organisationen geworden sind. Ein inhaltliches Alleinstellungsmerkmal der DAPPED ist schwer zu identifizieren. Alle materiellen Bestimmungen der DAPPED sind auch in den Guidelines enthalten. Die Guidelines gehen an entscheidenden Stellen sogar über die DAPPED hinaus, indem z. B. konkre­ tisiert wird, wie die humanitären Prinzipien bei der Katastrophenhilfe um­ gesetzt werden sollen. Besonders gut ist ferner an den IFRK-Guidelines die umfassende Auflistung von Verantwortungsbereichen aller beteiligten Ak­



A. Evaluation der Kodifikationsbemühungen der ILC415

teure. So werden in Art. 5 der Guidelines explizit die Verpflichtungen von Staaten angesprochen, die lediglich finanzielle Hilfe leisten. Auch werden Staaten dazu aufgefordert, die Öffentlichkeit zu finanziellen Spenden oder zu Spenden von spezifisch vom betroffenen Staat angeforderten Hilfsgütern aufzurufen. Aufgrund der massiven Zunahme privater Hilfsbereitschaft ist dies ein wichtiger Aspekt, der in den DAPPED gänzlich unberücksichtigt bleibt. Ferner werden die hilfeleistenden Staaten und internationalen Orga­ nisationen in Art. 6 der Guidelines dazu angehalten, zur Vermeidung von unrechtmäßiger Verwendung oder Betrug im Zusammenhang mit der Kata­ strophenhilfe zu kooperieren und gegebenenfalls auch juristische Schritte zu unternehmen. Die betroffenen Staaten werden in Art. 6 Abs. 2 der Guide­ lines dazu angehalten, sorgsam mit den bereitgestellten Mitteln und Hilfs­ gütern umzugehen und sie nur im Einklang mit dem von dem jeweiligen Spender verfolgten Zweck zu verwenden. Auch dieser Aspekt fehlt in den DAPPED. Ein praktischer Vorteil der Guidelines ist schließlich, dass die operative Ausführung der Katastrophenhilfe ausführlich reguliert wird, wäh­ rend in den DAPPED der betroffene Staat nur dazu angehalten wird, ent­ sprechende, nicht näher bezeichnete Maßnahmen zu ergreifen, um die rasche und effektive Katastrophenhilfe durch externe Akteure zu gewährleisten. Aspekte wie das Erteilen von Visa werden zwar erwähnt, aber dem betrof­ fenen Staat werden keinerlei Vorgaben gemacht, wie in diesem und anderen Sektoren, wie z. B. hinsichtlich Privilegien und Immunitäten von Hilfsper­ sonal, zu verfahren ist. Das von der ILC angestrebte Ziel, ein Dokument zu schaffen, auf das Staaten in ihren multilateralen oder bilateralen Abkommen verweisen können bzw. es darin als Annex oder Modellgesetz aufnehmen, wird somit nicht durch die DAPPED erreicht, sondern wurde bereit durch die Guidelines umgesetzt. Sicherlich wäre es auch nicht wünschenswert gewesen, wenn die ILC die IFRK-Guidelines nur wiedergegeben hätte.28 Sie hätte aber durchaus einen Weg finden können, die stark durch die Regelung der operativen Ausführung von Katastrophenhilfe geprägten Guidelines durch prozedurale Verfahrensvorgaben für den Austausch von zwischen­ staatlicher Katastrophenhilfe zu ergänzen und anerkannte völkerrechtliche Grundsätze wie z. B. das Zustimmungserfordernis zu konkretisieren, um Effektivität durch Verfahrensvereinfachung bzw. -normierung zu erreichen. 28  Siehe hierzu Gribbin/Maiolo, Legal Framework Applicable to Humanitarian Actors Responding to Disasters, in: Caron/Kelly/Telesetsky (Hrsg.), The Internation­ al Law of Disaster Relief (2014), 8.  Kapitel, 159 mit Verweis auf IFRK, Comments on the International Law Commissions draft articles on protecting persons in the event of disasters: Statement by Ms Elyse Mosquini of the IFRC Delegation to the United Nations, at the Sixth Committee of the United Nations General Assembly, in New York (29.  Oktober 2010), .

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

4. Zusammenfassung Die ILC waren bei der Ausarbeitung der DAPPED vor mehrere dem Bereich des internationalen Katastrophenschutzvölkerrechts immanente He­ rausforderungen gestellt. Die internationale Katastrophenhilfe steht im Spannungsfeld zwischen der Souveränität der betroffenen Staaten, der Be­ achtung der Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung und der effekti­ ven operativen Ausführung der Katastrophenhilfe. Vor diesem Hintergrund wäre die Erstellung eines verbindlichen rechtlichen Rahmens, bestehend aus Richtlinien und Prinzipien, der eine ausgewogene Balance zwischen den konfligierenden Schutzgütern schafft, wünschenswert gewesen. Die Formulierung von verbindlichen Verhaltenspflichten sowohl für den betrof­ fenen Staat als auch für die Staatengemeinschaft ist derzeit aufgrund der zurückhaltenden Einstellung der Staatengemeinschaft jedoch noch nicht möglich. Katastrophenhilfe ist eine Kernaufgabe des betroffenen Staates. Der Ansatz der ILC ist entsprechend souveränitätswahrend ausgestaltet und trägt daher wenig zur zukünftigen Transformation von lex ferenda in lex lata durch Einflussnahme auf die Rechtsüberzeugung der Staaten bei. Ein Beitrag zur Entwicklung eines effektiven Katastrophenschutzvölkerrechts hätte nur dann geleistet werden können, wenn der Mangel an Progressivität sowie Rechtsverbindlichkeit durch operative Regelungen ausgeglichen wor­ den wären, die der Staatengemeinschaft Orientierung geben könnten.29 Hier wäre insbesondere praxisrelevant gewesen, auf die Rolle der Privatgesell­ schaft als Helfer im Katastrophenfall einzugehen, die in ihrer Bedeutung immer stärker zunimmt.30 Dieses Ziel hat die ILC nicht erreicht, obwohl sie in Art. 4 lit. e DAPPED explizit auch Individuen als im Rahmen der Artikel relevante Helfer klassifiziert. Insbesondere hat sie es auch nicht geschafft, dem durch die Bezeichnung der Artikel als ‚zum Schutz von Personen im Katastrophenfall dienend‘ hervorgehobenen Ziel Rechnung zu tragen, indem etwa spezifisch auf die faktischen Probleme der Bevölkerung im Katastrophenfall, die für sie im Katastrophenfall relevanten Menschen­ rechte und die Durchsetzung ihrer Rechte und Bedürfnisse eingegangen

29  Auch die Staatenvertreter haben sich teilweise gewünscht, dass die ILC ope­ rative Regelungen aufnimmt, ILC, ‚Fifth report on the protection of persons in the event of disasters by Mr. Eduardo Valencia-Ospina, Special Rapporteur‘ (9.  April 2012) UN Doc. A/CN.4/652, Rdnr.  15. 30  IFRK, Comments on the International Law Commissions draft articles on protecting persons in the event of disasters: Statement by Ms Elyse Mosquini of the IFRC Delegation to the United Nations, at the Sixth Committee of the United Na­ tions General Assembly, in New York (29.  Oktober 2010), .



B. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

417

worden wäre.31 Hierin hätte die einzige Möglichkeit zur Abgrenzung von den IFRK-Guidelines gelegen.32 Der ILC ist allerdings zuzugestehen, dass die von ihnen ausgearbeiteten Dokumente aufgrund der Staatenbeteiligung über den Rechtsausschuss der Vereinten Nationen grundsätzlich eine stärkere staatliche, wenn nicht sogar demokratische Legitimität aufweisen als das Arbeitsprodukt der IFRK. Al­ lerdings wurden auch die Guidelines bereits von 195 Staaten auf der Inter­ nationalen Konferenz des Roten Kreuzes angenommen, womit zumindest eine entsprechende breite Unterstützung durch die Staatengemeinschaft zum Ausdruck gekommen ist. Es bleibt abzuwarten, ob auch die DAPPED eine entsprechend breite Unterstützung im UN-System erfahren und ob und mit welcher Mehrheit sie in einer Resolution der UN-Generalversammlung ­adaptiert werden. Auch wenn die Kodifikationsbemühungen der ILC wohl keinen sichtbaren völkerrechtlichen oder administrativen Erfolg haben, so ist ihnen dennoch zuzutrauen, dass der Bereich der internationalen Kata­ strophenhilfe größere internationale juristische und politische Aufmerksam­ keit erfahren hat. Sie tragen dadurch dazu bei, dass sich der Druck auf betroffene Staaten erhöht und die entsprechende Hemmschwelle sinkt, bei Katastrophen externe Hilfe anzufordern.33

B. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick auf zukünftige Entwicklungen I. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Überblick Die Untersuchung in den vorangegangen Kapiteln hat gezeigt, dass die Etablierung von verbindlichen Verhaltenspflichten unterschiedlicher Akteure im Katastrophenfall in besonderem Maße an die dem Völkerrecht immanen­ ten, aber es konstituierenden Grenzen stößt. Auch wenn das Bedürfnis nach 31  Siehe hierzu ILC, ‚Report of the International Law Commission on the work of its Sixtieth session  – Chapter IX: Protection of persons in the event of disasters‘ (5.  Mai–7.  Juni, 7.  Juli–8. August 2008) UN Doc. A/63/10, Rdnr.  231. 32  IFRK, Comments on the International Law Commissions draft articles on protecting persons in the event of disasters: Statement by Ms Elyse Mosquini of the IFRC Delegation to the United Nations, at the Sixth Committee of the United Na­ tions General Assembly, in New York (29.  Oktober 2010), . 33  Telec, Challenges to State Sovereignty (2014), 284.

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

internationaler Kooperation und gegenseitiger Unterstützung bei Katastro­ phenfällen in der Staatengemeinschaft erkannt wurde, ist das sich in der Entwicklung befindliche Katastrophenhilfevölkerrecht von der Maxime der größtmöglichen Souveränitätswahrung geprägt. Ausgehend davon haben sich de lege lata bislang nur in eng begrenztem Umfang völkergewohnheits­ rechtliche Verhaltenspflichten über die zwischenstaatliche Hilfe bei Katast­ rophenfällen herausgebildet. Das ‚Ob‘ der internationalen Katastrophenhilfe ist abhängig von der Zustimmung des betroffenen Staates, der im Übrigen alleine dafür die Verantwortung trägt, seine Bevölkerung im Katastrophen­ fall zu schützen. Entscheidet sich der betroffene Staat, die Staatengemein­ schaft um Hilfe zu ersuchen, resultiert daraus indes de lege lata keine Pflicht der Staatengemeinschaft, die angeforderte Hilfe auch anzubieten, sofern keine gravierende Großkatastrophe mit Opferzahlen im hohen fünf­ stelligen Bereich oder wirtschaftlichen Schäden im Milliardenbereich vor­ liegt. Darüber hinaus besteht eine Hilfspflicht nur im Rahmen von regiona­ len und bilateralen sowie bereichsspezifischen multilateralen Abkommen, deren Anzahl derzeit aber noch begrenzt ist. Nicht betroffene Staaten müssen darüber hinaus völkergewohnheitsrechtlich lediglich prüfen, ob sie Hilfe leisten können oder nicht, und diese Entscheidung dem betroffenen Staat mitteilen. Die Entscheidung ist nicht justiziabel. Hinsichtlich der Modalitä­ ten der Ausführung der internationalen Katastrophenhilfe nach Zustim­ mungserteilung sind demgegenüber sowohl auf der Seite des betroffenen Staates, aber auch in Bezug auf die Staatengemeinschaft bereits eine Reihe von Verhaltenspflichten als völkergewohnheitsrechtlich bindend anerkannt. 2. Verhaltenspflichten des betroffenen Staates a) Völkergewohnheitsrechtlich geltende Verhaltenspflichten Im Einzelnen hat Teil  2, Kapitel  A. hinsichtlich der Verhaltenspflichten des betroffenen Staates gezeigt, dass er de lege lata zum Schutz seiner Bevölkerung im Katastrophenfall durch geeignete Maßnahmen der Gefah­ renabwehr und Katastrophenhilfe verpflichtet ist.34 Dies ergibt sich zum einen daraus, dass er qua seiner Souveränität nicht nur völkerrechtliche Rechte innehat, sondern auch die Verantwortung für den Schutz seiner Be­ völkerung im Katastrophenfall trägt. Daneben ist er auf Grundlage der für ihn geltenden menschenrechtlichen Verträgen sowie, sofern er keine Ver­ tragspartei eines solchen Vertrages ist, völkergewohnheitsrechtlich verpflich­ tet, das Recht auf Leben der Bevölkerung zu schützen, zu respektieren und 34  Teil  2, Kapitel  A., I. Dogmatische Herleitung der Verhaltens- und Schutz­ pflichten des betroffenen Staates gegenüber der Bevölkerung.



B. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

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zu dessen Verwirklichung aktiv beizutragen. Er muss demnach alle Maßnah­ men zur Katastrophenvorsorge, Gefahrenabwehr und Katastrophenhilfe treffen, die dazu beitragen, das Leben der Bevölkerung im Katastrophenfall auf seinem Staatsgebiet zu schützen und ihre Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zu gewährleisten, soweit die beiden letztgenannten Schutz­ güter vom Recht auf Leben erfasst sind. Hierzu zählen zum einen operative Maßnahmen in der Akutphase der Katastrophe, wie die Verteilung von Hilfsgütern, die Evakuierung von Betroffenen und die Bereitstellung medi­ zinischer Versorgung.35 Es lässt sich ferner die These aufstellen, dass hiervon auch erfasst ist, einen administrativen und juristischen Rahmen zu entwickeln, der ein struk­ turiertes, effektives und zeitnahes Handeln im Katastrophenfall gewährleis­ tet, indem standardisierte Verfahren festgelegt werden. Auch zählen Früh­ warnpflichten hinzu. Zu Maßnahmen, die über die reine Überlebenssiche­ rung oder Sicherstellung der Basisgesundheit der Bevölkerung hinausgehen, ist der betroffene Staat allerdings nur verpflichtet, wenn er vertraglich an die Einhaltung sonstiger im Katastrophenfall relevanter Menschenrechte gebunden ist, wie z. B. an das Recht auf eine Unterkunft oder Wasser. Die­ se Rechte sind indes noch nicht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Auch ein aus verschiedenen Menschenrechten zusammengesetztes Individualrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall existiert de lege lata nicht. Reichen die nationalen Kapazitäten zur Katastrophenvorsorge oder Be­ wältigung der Katastrophenfolgen nicht aus, beinhaltet die Pflicht des be­ troffenen Staates zum Bevölkerungsschutz in Extremsituationen, d. h. wenn der Kerngehalt des Rechts auf Lebens und Gesundheit unmittelbar, unwi­ derruflich und nachhaltig bedroht ist, die Pflicht, die Staatengemeinschaft um Hilfe zu ersuchen.36 In anderen Situationen, in denen beispielsweise nur der Schutz vor hohen wirtschaftlichen Folgeschäden eine Rolle spielt, hat sich eine Pflicht, andere Staaten um Hilfe zu ersuchen, noch nicht he­ rausgebildet. Die tatsächliche Erbringung externer Katastrophenhilfe in Form von ope­ rativen Maßnahmen ist schließlich allein von der Zustimmung des betrof­ fenen Staates abhängig, wie im Teil  2, Kapitel  B. dargestellt wurde.37 Ak­ zeptiert der betroffene Staat Katastrophenhilfe, ist er de lege lata aber 35  Teil  2, Kapitel  A., II. Aufgaben des betroffenen Staates im Katastrophenfall: Gefahrenabwehr  – Katastrophenschutz  – Katastrophenhilfe. 36  Teil  2, Kapitel  B., I. Pflicht des betroffenen Staates, internationale humani­ täre Hilfe anzufordern. 37  Teil  2, Kapitel  B., II. Pflicht zur Hilfsannahme und zum Einlass von fremden Staaten, Nichtregierungsorganisationen und sonstigen nicht-staatlichen Akteuren in das Land.

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des fremden Hilfspersonals und der Hilfsgüter zu ergreifen.38 Er trägt die Organi­sations­ verantwortung und damit auch die Pflicht zur Koordination zwischen allen beteiligten Akteuren. Er muss ferner dafür Sorge tragen, dass die effektive und zeitnahe Katastrophenhilfe zu jeder Zeit ermöglicht wird. b) De lege ferenda wünschenswerte Verhaltenspflichten De lege ferenda wurden in den vorangehenden Kapiteln zwei Pflichten entwickelt, deren Einhaltung durch den betroffenen Staat im Katastrophen­ fall wünschenswert ist. Die wachsende Bedeutung menschenrechtlicher Verpflichtungen und der pflichtenorientierten Interpretation des Souveräni­ tätsbegriffes legt den Schluss nahe, dass sich eine Pflicht, die Staatenge­ meinschaft um Hilfe zu ersuchen, in allen Situationen, in denen die eigenen Kapazitäten zur Katastrophenbewältigung nicht ausreichen, de lege ferenda aus der primären Verantwortung des betroffenen Staates zum Bevölkerungs­ schutz und der Gefahrenabwehr entwickeln kann.39 Wünschenswert ist, dass der betroffene Staat in seiner Hilfsanfrage möglichst präzise darlegt, welche Art von Hilfe benötigt wird.40 Bieten Staaten oder internationale Organisationen Hilfe an, sollte der betroffene Staat die Hilfsangebote de lege ferenda nicht willkürlich ablehnen dürfen.41 Die Willkür beginnt dort, wo der betroffene Staat keinen Grund für die Ablehnung der Hilfe vorwei­ sen kann. Er hat insofern aber ein weites Ermessen. Erforderlich ist eine Abwägung im Einzelfall. Die Überprüfungsmöglichkeiten der Staatenge­ meinschaft sind eingeschränkt. c) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen verbindliche Verhaltenspflichten Im 6. Kapitel wurde dargelegt, welche Rechtsfolgen sich an einen Verstoß gegen Verhaltenspflichten durch den betroffenen Staat knüpfen. Verletzt der betroffene Staat seine Verpflichtungen zum Bevölkerungsschutz, eröffnet dies den Anwendungsbereich der Normen über die Staatenverantwortlich­ keit. Mit Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft muss der betroffene 38  Teil  2, Kapitel  B., III. Sonstige Verhaltenspflichten gegenüber fremden Staa­ ten, Nichtregierungsorganisationen und nicht-staatlichen Akteuren. 39  Teil  2, Kapitel  B., I. 3. Voraussetzungen de lege ferenda für die Auslösung einer Pflicht, internationale Akteure um Hilfe zu ersuchen. 40  Teil  2, Kapitel  B., I. 4. Normativer Gehalt de lege ferenda. 41  Teil  2, Kapitel  B., II. 3. Modifikation der Zustimmungspflicht: Verbot der willkürlichen Zustimmungsverweigerung.



B. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick421

Staat nur im Rahmen des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen rechnen. Insbesondere kommt ein Tätigwerden des UN-Sicherheitsrates in Betracht. Nach einhelliger Auffassung der Staatengemeinschaft ist das Kon­ zept der Responsibility to Protect, das gegebenenfalls zur Begründung eines vom UN-Sicherheitsrat autorisierten gewaltsamen Eingreifens herangezogen werden kann, nicht pauschal auf Katastrophensituationen anwendbar. Eine Anwendung ist nur dann möglich, wenn das Verhalten des betroffenen Staa­ tes gegenüber seiner Bevölkerung einen Tatbestand der Schutzverantwortung erfüllen würde, d. h. als Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberun­ gen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu klassifizieren wäre. Auf der Ebene der individuellen völkerstrafrechtlichen Verantwortung für unter­ lassene Katastrophenhilfe kommt eine Inanspruchnahme der Staatsbediens­ teten in Betracht, die für die unterlassene Hilfeleistung verantwortlich sind, auf Grundlage des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes in Betracht. 3. Verhaltenspflichten der Staatengemeinschaft a) Pflicht zur Hilfeleistung in extremen Katastrophenfällen Nach Darlegung der dogmatischen Grundlagen für die Verhaltensanforde­ rungen an die Staatengemeinschaft im Teil  3, Kapitel  A. wurde im Kapi­ tel  B. zunächst dargestellt, dass die Staatengemeinschaft berechtigt ist, ei­ nem betroffenen Staat Katastrophenhilfe anzubieten, ohne dass dies eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates darstellen wür­ de.42 Zur Hilfeleistung sind nicht betroffene Staaten  – vorbehaltlich der Zustimmung des betroffenen Staates hierzu  – de lege lata völkergewohn­ heitsrechtlich nur verpflichtet, wenn Opferzahlen im hohen fünfstelligen Bereich oder wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe vorliegen. Dies gilt nicht, wenn Rechtsfertigungs-oder Entschuldigungsgründen nach allge­ meinen völkerrechtlichen Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit vorlie­ gen. Ferner kann sich ein Staat seiner Hilfspflicht entziehen, wenn eine ermessensfehlerfreie Prüfung der Hilfsmöglichkeiten Aspekte hervorgebracht hat, die das Unterlassen von Hilfe begründen. Hierzu zählt insbesondere eine Evaluation der Kapazitäten auf Seiten des betroffenen, aber auch hilfs­ verpflichteten Staates sowie die Zumutbarkeit der Art und des Umfangs der Hilfsleistung.

42  Teil  3, Kapitel  B., I. Völkerrechtliche Rechte der Staatengemeinschaft im Verhältnis zu dem betroffenen Staat.

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

b) Pflicht zur ermessensfehlerfreien Prüfung In den Katastrophenfällen, die die genannte Schadensschwelle nicht errei­ chen, besteht keine Hilfspflicht. Allerdings müssen de lege lata Hilfeersu­ chen des betroffenen Staates sowie Optionen zu eigeninitiativen Hilfsange­ boten ermessensfehlerfrei auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden.43 Fakto­ ren, die im Rahmen dieses Prüfung relevant sind, sind u. a. die Kapazitäten der beteiligten Akteure, die Nachteile, die mit der Katastrophenhilfe verbun­ den ist und die Reziprozität von Katastrophenhilfe. c) Operative Verhaltenspflichten Im abschließenden Abschnitt des Kapitels  B. wurden die operativen Ver­ haltenspflichten der hilfeleistenden Staaten analysiert. Erteilt der betroffene Staat seine Zustimmung zur Hilfeleistung, müssen die hilfeleistenden Staa­ ten bei der Ausführung der Hilfe die Gesetze des betroffenen Staates beach­ ten. Sie sind ferner zur Einhaltung der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Humanität und Nichtdiskriminierung bei der Verteilung der Hilfe verpflich­ tet.44 Besondere Sensibilität ist beim Einsatz externer Militäreinheiten zur Katastrophenhilfe gefordert, der nach den Grundsätzen der Intervention auf Einladung völkerrechtlich zulässig ist.

II. Ausblick auf zukünftig zu untersuchende Schwerpunkte bei der Auseinandersetzung mit dem Katastrophenhilfevölkerrecht Bei der Untersuchung, welche Verhaltenspflichten im Katastrophenfall bestehen, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich ein Großteil der aktuellen Herausforderungen der internationalen Katastrophenhilfe in der Praxis nicht anhand der (abstrakten) Formulierung von zwischenstaatlichen Rechten und Pflichten, sei es de lege lata oder de lege ferenda, lösen lassen. Neben der Beschäftigung mit den Grundlagen des internationalen Katastrophenhilferechts in Form der in dieser Arbeit vorgestellten Pflichten der beteiligten staatlichen Akteure ist es vor diesem Hintergrund in der Völkerrechtswissenschaft angezeigt, sich mit drei Aspekten auseinanderzu­ setzen, die die effektive internationale Katastrophenhilfe insbesondere in ‚vergessenen‘ Katastrophen, die keine globale Medienaufmerksamkeit und 43  Teil  3, Kapitel  B., II. 3. Etablierung einer Pflicht, Hilfsanfragen des betrof­ fenen Staates mit der gebotenen Sorgfalt und ermessensfehlerfrei zu prüfen. 44  Teil  3, Kapitel  B., III. 1. b) Geltung weiterer humanitärer Grundsätze.



B. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick423

daher auch geringere Hilfsbereitschaft erfahren, in Zukunft besser gewähr­ leisten könnten. Zum einen ist die Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Untersuchungen darauf zu richten, wie die Koordination zwischen verschiedenen Akteuren im Katastrophenfall optimiert werden kann. Es stellt sich die Frage, ob möglicherweise mittlerweile, mehr als 50 Jahre nach der Auflösung der International Relief Union, nicht nur ein Bedürfnis, sondern auch eine prak­ tische Notwendigkeit in der Errichtung einer internationalen Katastrophen­ hilfeorganisation zu sehen ist. So zeigten sich in der Vergangenheit Defizite des bestehenden Systems der Dezentralisierung und Fragmentierung von unterschiedlicher Hilfe leistenden Akteuren.45 Eine Internationale Organi­ sation, ausgestattet mit Entscheidungsgremien und umfassenden Entschei­ dungsbefugnissen, könnte die internationale Reaktion auf Katastrophen und insbesondere die Verteilung von Hilfsgütern zentral steuern. Dass dies ef­ fektiv viele Vorteile mit sich bringen kann, wenn Struktur und Aufgaben der Organisation durchdacht festgelegt werden und die Finanzierung gesichert werden kann, zeigt beispielsweise das europäische System zur gegenseitigen Katastrophenhilfe in Gestalt des Emergency Response Coordination Centre im Rahmen des Europäischen Zivilschutzmechanismus.46 Als Beispiel für den Willen der Staatengemeinschaft zur institutionalisierten Herangehens­ weise an Großkatastrophen dient auch die 2014 gegründete Global Ebola Response und der Ebola Response Multi-Partner Trust Fund.47 Die dort vorgenommene kohärente Verteilung der von den Vereinten Nationen und den Mitgliedstaaten bereitgestellten finanziellen Mittel könnte für eine per­ manente Institutionalisierung der Katastrophenhilfe zum Vorbild genommen werden. Ein zweiter wichtiger Aspekt, der im Katastrophenhilfevölkerrecht in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, ist die Rolle privater Akteure, d. h. der Zivilgesellschaft. Ihr Potential wurde bislang von der Staatengemein­ schaft nicht hinreichend in den Blick genommen. Die IFRK hat festgestellt, dass die fehlende Ermöglichung und Regulierung des Tätigwerdens ziviler Akteure, insbesondere Nichtregierungsorganisationen, ein deutlich größeres Problem ist als die zwischenstaatliche Interaktion oder Koordination der Hilfe durch Internationale Organisationen.48 In Haiti haben hunderte Nicht­ 45  Vgl. Teil  3, Kapitel  B., II. 1. b) Verpflichtungen von Internationalen Organi­ sationen: Institutionalisierte Herangehensweise an Katastrophen. 46  Ibid. 47  United Nations, Global Ebola Response (2014), . 48  IFRK, Comments on the International Law Commission’s draft articles on protecting persons in the event of disasters: Statement by Ms Elyse Mosquini of the

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4. Teil: Aktuelle Entwicklungen, Zusammenfassung und Ausblick

regierungsorganisationen Hilfe geleistet. Nicht nur nach dem Tsunami in Südostasien 2004, auch bei dem Erdbeben in Pakistan 2010 sowie während der Ebola-Epidemie 2014 waren es vor allem Spenden aus der Zivilgesell­ schaft, die den Großteil der finanziellen Mittel zur Katastrophenhilfe bilde­ ten. Neben multinationalen Unternehmen und vermögenden Einzelpersonen führt auch die Vielzahl an Spenden durch Privathaushalte dazu, dass die Bedeutung des privaten Sektors für die internationale Katastrophenhilfe ansteigt.49 Dass hier ein Paradigmenwechsel stattfindet, zeigt sich z. B. da­ rin, dass der UN-Sicherheitsrat die Bedeutung von nichtstaatlichen Akteuren in Resolution 2177 betont hat, indem er an Flug- und Schifffahrtsgesell­ schaften appellierte, Handels- und Transportverbindungen mit den betroffe­ nen Staaten auch während der Ebola-Epidemie aufrecht zu erhalten.50 Die Vereinten Nationen haben darüber hinaus eine Verhaltensempfehlung an den privaten Sektor herausgegeben, wie Sachspenden und operative Hilfe geleis­ tet werden sollten.51 Eine Möglichkeit für die Zukunft wäre, dass die Staa­ ten in ihren nationalen Rechtsordnungen Regelungen einführen, die Privat­ spenden administrativ vereinfachen, gegebenenfalls steuerlich oder in ande­ rer Form attraktiver machen und für die erforderliche Transparenz bei der Verteilung der Spendengelder sorgen. Zudem müssten auf internationaler Ebene Mechanismen geschaffen werden, die die Zentralisierung bei der Sammlung von privaten Spendengeldern und ihre gleichmäßige Verteilung in Abhängigkeit der jeweiligen Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung anhand eines transparenten Verteilungsschlüssels gewährleisten. Abschließend ist es wünschenswert, dass die in den vergangenen Jahren vor allem durch das Internationale Rote Kreuz katalysierten Bemühungen zur Verbesserung der nationalen Katastrophenschutzmechanismen intensi­ viert werden. Aufgrund der primären Rolle des betroffenen Staates, Kata­ strophenhilfe zu leisten, ist es wichtig, hier einen umfassenden Rechtsrah­ men und administrative Verfahrensvorgaben zu entwickeln, die die nationa­ IFRC Delegation to the United Nations, at the Sixth Committee of the United Na­ tions General Assembly, in New York (29.  Oktober 2010), . 49  Siehe hierzu Oxfam, ‚Ebola and the Private Sector Bolstering the response and West African economies‘ (2014). So haben z. B. Mark Zuckerberg 25 Mio. USDollar, Larry Page 15 Mio. US-Dollar und Paul Allen 100 Mio. US-Dollar für die Eindämmung der Ebola-Epidemie gespendet, ibid., 2. 50  UN Security Council, Res 2177 (2014) (18.  September 2014) UN Doc. S/ RES/2177 (2014), Art. 4. 51  UN, ‚Ebola Virus Disease Outbreak: Business Engagement Guide (In-kind donations and direct engagement)‘ (2014) .



B. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick425

le Reaktion auf Katastrophen verbessern und externe Hilfe wenn nicht entbehrlich, so aber zumindest weniger existentiell zu machen. Die Einbet­ tung in weiter auszubauende, gut funktionierende bilaterale und regionale Katastrophenschutzmechanismen kann darüber hinaus dazu beitragen, dass Katastrophenhilfe effektiv und zeitnah an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst werden kann. Es wäre diesbezüglich auch wünschenswert, wenn die ILC diesen Aspekt, die Möglichkeiten zur Institutionalisierung sowie die Beteiligung privater Akteure vor einer finalen Verabschiedung der Entwurfs­ artikel zum Schutz von Personen im Katastrophenfall einer Auseinanderset­ zung zuführen würde, da das bislang erreichte Arbeitsergebnis derzeit (noch) hinter den Erwartungen an eine progressive Rechtsfortbildung sowie prakti­ schen Anforderungen der internationalen Katastrophenhilfe zurückbleibt.

Annex

Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines Thema

ILC-DAPPED

IFRK-Guidelines

Anwendungsbereich Zweck

Art. 2: Ermöglichung adäqua­ ter und effektiver Katastro­ phenhilfe. Der Aspekt der Qualität der internationalen Katastrophenhilfe wird nicht angesprochen.

Die Guidelines sollen die Qualität und Effektivität inter­ nationaler Katastrophenhilfe verbessert werden, um den von Katastrophen betroffenen Einheiten zu helfen.

Auf die nationale Ebene wird nicht spezifisch Bezug genom­ men.

Beitrag zur Entwicklung des nationalen politischen, recht­ lichen und institutionellen Rahmens zur internationalen Katastrophenhilfe.

Art. 2: Purpose The purpose of the present draft articles is to facilitate an adequate and effective re­ sponse to disasters that meets the essential needs of the per­ sons concerned, with full re­ spect for their rights.

Art. 1: Purpose and scope Their purpose is to contribute to national legal preparedness by providing guidance to States interested in improving their domestic legal, policy and institutional frameworks concerning international disas­ ter relief and initial recovery assistance. […] It is hoped that the use of these Guide­ lines will enhance the quality and efficiency of international disaster relief and initial re­ covery assis- tance in order to better serve disaster-affected communities.



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines 427

Thema

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IFRK-Guidelines

Definitionen

Art. 3 und Art. 4: Weitestge­ hend inhaltlich identisch mit Guidelines (keine zusätzlichen Begriffe verwendet)

Art. 2: weitestgehend identisch mit DAPPED (keine zusätz­ lichen Begriffe verwendet)

Art. 3: Definition of disaster „Disaster“ means a calamitous event or series of events re­ sulting in widespread loss of life, great human suffering and distress, or large-scale material or environmental damage, thereby seriously disrupting the functioning of society.

Art. 2: Definitions For the purposes of these Guidelines, 1. „Disaster“ means a serious disruption of the functioning of society, which poses a sig­ nificant, widespread threat to human life, health, property or the environment, whether aris­ ing from accident, nature or Art. 4: Use of terms human activity, whether devel­ For the purposes of the pres­ oping suddenly or as the result ent draft articles: of long-term processes, but (a) „affected State“ means the excluding armed conflict. State in the territory or other­ 2. „Disaster relief“ means wise under the jurisdiction or goods and services provided to control of which persons, meet the immediate needs of property or the environment disaster-affected communities. are affected by a disaster; 3. „Initial recovery assistance“ (b) „assisting State“ means a means goods and services in­ State providing assistance to tended to restore or improve an affected State at its request the pre-disaster living condi­ or with its consent; tions of disaster-affected com­ (c) „other assisting actor“ munities, including initiatives means a competent intergov­ to increase resilience and re­ ernmental organization, or a duce risk, provided for an ini­ relevant non-governmental or­ tial period of time, as deter­ ganization or any other entity mined by the affected State, or individual external to the after the immediate needs of affected State, providing assis­ disaster-affected communities tance to that State at its re­ have been met. quest or with its consent; 4. „Goods“ means the supplies (d) „external assistance“ intended to be provided to di­ means relief personnel, equip­ saster-affected communities for ment and goods, and services their relief or initial recovery. provided to an affected State 5. „Services“ means activities by assisting States or other as­ (such as rescue and medical sisting actors for disaster relief care) undertaken by disaster assistance or disaster risk re­ relief and initial recovery per­ duction; sonnel to assist disaster-affect­ ed communities. (Fortsetzung nächste Seite)

428 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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(e) „relief personnel“ means civilian or military personnel sent by an assisting State or other assisting actor for the purpose of providing disaster relief assistance or disaster risk reduction; (f) „equipment and goods“ means supplies, tools, ma­ chines, specially trained ani­ mals, foodstuffs, drinking wa­ ter, medical supplies, means of shelter, clothing, bedding, ve­ hicles and other objects for disaster relief assistance or disaster risk reduction.

6. „Equipment“ means physi­ cal items, other than goods, that are necessary for disaster relief or initial recovery assis­ tance, such as vehicles and ra­ dios. 7. „Personnel“ means the staff and volunteers providing di­ saster relief or initial recovery assistance. 8. „Affected State“ means the State upon whose territory persons or property are affect­ ed by a disaster. 9. „Assisting State“ means a State providing disaster relief or initial recovery assistance, whether through civil or mili­ tary components. 10. „Originating State“ means the State from which disaster relief and initial recovery per­ sonnel, goods and equipment begin travel to the affected State. 11. „Transit State“ means the State through whose territorial jurisdiction disaster relief or initial recovery assistance has received permission to pass on its way to or from the affected State in connection with disas­ ter relief or initial recovery as­ sistance. 12. „Assisting humanitarian organization” means a foreign, regional, intergovernmental or international non-profit entity whose mandate and activities are primarily focused on hu­ manitarian relief, recovery or development.



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines 429

Thema

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IFRK-Guidelines 13. „Eligible assisting humani­ tarian organization” means an assisting humanitarian organi­ zation determined to be eligi­ ble to receive legal facilities pursuant to Part V by the originating, transit or affected State, as applicable. 14. „Assisting actor” means any assisting humanitarian organi­ zation, assisting State, foreign individual, foreign private com­ pany providing charitable relief or other foreign entity respond­ ing to a disaster on the territory of the affected State or sending in-kind or cash donations.

Rechte der betroffenen Bevölkerung

Art. 5 und Art. 6: Beachtung der Menschenwürde und all­ gemeiner Menschenrechte

Keine Ausführungen

Art. 5: Human dignity In responding to disasters, States, competent intergovern­ mental organizations and rel­ evant non-governmental organ­ izations shall respect and pro­ tect the inherent dignity of the human person. Art. 6: Human rights Persons affected by disasters are entitled to respect for their human rights.

Humanitäre Prinzipien

Art. 7: Humanität, Neutralität, Unparteilichkeit und Nichtdis­ kriminierung (bloße Nennung) Art. 7: Humanitarian principles Response to disasters shall take place in accordance with the principles of humanity, neutrality and impartiality, and on the basis of non-discrimi­ nation, while taking into ac­ count the needs of the particu­ larly vulnerable.

Art. 4 Abs. 2 und 3: Auflistung von sehr viel konkreteren Ver­ haltensbeispielen als in den DAPPED, wie die Einhaltung der Prinzipien in der Praxis sichergestellt werden kann und die Qualität der Katastrophen­ hilfe durch internationale Ak­ teure gesichert werden kann

(Fortsetzung nächste Seite)

430 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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IFRK-Guidelines Art. 4. Responsibilities of Assisting Actors 1. Assisting actors and their personnel should abide by the laws of the affected State and applicable international law, coordinate with domestic au­ thorities, and respect the hu­ man dignity of disaster-affect­ ed persons at all times. 2. Assisting actors should en­ sure that their disaster relief and initial recovery assistance is provided in accordance with the principles of humanity, neutrality and impartiality, and in particular: a) Aid priorities are calculated on the basis of need alone; b) Provided without any ad­ verse distinction (such as in regards to nationality, race, ethnicity, religious be­ liefs, class, gender, disability, age and political opinions) to disaster-affect­ ed persons; c) Provided without seeking to further a particular po­ litical or religious stand­ point, intervene in the in­ ternal affairs of the affect­ ed State, or obtain com­ mercial gain from charitable assistance; d) Not used as a means to gather sensitive information of a political, economic or military nature that is irrel­ evant to disaster relief or initial recovery assistance. 3. To the greatest extent prac­ ticable, their disaster relief and initial recovery assistance should also be:



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines431

Thema

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IFRK-Guidelines a) Responsive to the special needs, if any, of women and particularly vulnerable groups, which may include children, displaced persons, the elderly, persons with dis­ abilities, and persons living with HIV and other debili­ tating illnesses; b) Adequate for the needs of affected persons and con­ sistent with any applicable international standards of quality; c) Coordinated with other rel­ evant domestic and assist­ ing actors; d) Provided and conducted in a manner that is sensitive to cultural, social and religious customs and traditions; e) Carried out with adequate involvement of affected per­ sons, including women, youth and the elderly, in their design, implementation, monitoring and evaluation; f) Provided by competent and adequately trained personnel; g) Commensurate with their organisational capacities; h) Building upon and con­ ducted in a manner that strengthens local disaster risk reduction, relief and recovery capacities and re­ duces future vulnerabilities to disasters; i) Carried out so as to mini­ mize negative impacts on the local community, econ­ omy, job markets, develop­ ment objectives and the en­ vironment; and j) Provided in a transparent manner, sharing appropriate information on activities and funding.“ (Fortsetzung nächste Seite)

432 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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Kooperations­ pflichten

Art. 8–Art. 10

u. a. Art. 6

Article 8: Duty to cooperate In accordance with the present draft articles, States shall, as appropriate, cooperate among themselves, and with the Unit­ ed Nations and other compe­ tent intergovernmental organi­ zations, the International Fed­ eration of Red Cross and Red Crescent Societies and the In­ ternational Committee of the Red Cross, and with relevant non-governmental organiza­ tions.

6. Responsibilities Concerning Diversion and the ­Intended Use of Resources 1. States and assisting humani­ tarian organizations should co­ operate to prevent unlawful diversion, misappropriation, or fraud concerning disaster relief or initial recovery goods, equipment or resources and initiate proceedings as appro­ priate. 2. Affected States should use funds and relief goods donated to them, and which they have accepted in relation to a disas­ ter, in a manner consistent with the expressed intent with which they were given.

Article 9: Forms of cooperation For the purposes of the pre­ sent draft articles, cooperation includes humanitarian assis­ tance, coordination of interna­ tional relief actions and com­ munications, and making available relief personnel, equipment and goods, and ­scientific, medical and techni­ cal resources. Article 10: Cooperation for disaster risk reduction Cooperation shall extend to the taking of measures intend­ ed to reduce the risk of disas­ ters.



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines433

Thema

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Katastrophen­ vorsorge

Art. 11

Art. 7 bis 9

Article 11: Duty to reduce the risk of disasters 1. Each State shall reduce the risk of disasters by taking the necessary and appropriate measures, including through legislation and regulations, to prevent, mitigate, and prepare for disasters. 2. Disaster risk reduction measures include the conduct of risk assessments, the collec­ tion and dissemination of risk and past loss information, and the installation and operation of early warning systems.

7. Early Warning 1. In order to minimize trans­ boundary impacts and maxi­ mize the effectiveness of any international assistance that might be required, all States should have procedures in place to facilitate the expedi­ tious sharing of information about disasters, including emerging hazards that are like­ ly to cause disasters, with oth­ er States and assisting humani­ tarian organizations as appro­ priate, including the United Nations’ Emergency Relief Coordinator. 8. Legal, Policy and Institutional Frameworks 1. As an essential element of a larger disaster risk reduction programme, States should adopt comprehensive legal, policy, and institutional frame­ works and planning for disas­ ter prevention, mitigation, pre­ paredness, relief and recovery which take full account of the auxiliary role of their National Red Cross or Red Crescent Society, are inclusive of do­ mestic civil society, and em­ power communities to enhance their own safety and resil­ ience. States, with the support, as appropriate, of relevant re­ gional and international organ­ izations, should devote ade­ quate resources to ensure the effectiveness of these frame­ works. (Fortsetzung nächste Seite)

434 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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IFRK-Guidelines 2. These frameworks should also adequately address the in­ itiation, facilitation, transit and regulation of international dis­ aster relief and initial recovery assis- tance consistent with these Guidelines. They should allow for effective coordina­ tion of international disaster relief and initial recovery as­ sistance, taking into account the role of the United Nations Emergency Relief Coordinator as central focal point with States and assisting humanitar­ ian organizations concerning United Nations emergency re­ lief operations. They should also clearly designate domestic governmental entities with re­ sponsibility and authority in these areas. Consideration should be given to establishing a national focal point to liaise between international and gov­ ernment actors at all levels. 3. Where necessary and appro­ priate, national governments should encourage other domes­ tic actors with authority over areas of law or policy perti­ nent to international disaster relief or initial recovery assis­ tance, such as provincial or local governments and private regulatory bodies, to take the necessary steps at their level to implement the Guidelines.



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines435

Thema

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IFRK-Guidelines 9. Regional and International Support for Domestic ­Capacity 1. With a view to increasing resilience and reducing the need for international disaster relief and initial recovery as­ sistance, the international com­ munity, including donors, re­ gional and other relevant ac­ tors, should support develop­ ing States, domestic civil society actors and National Red Cross and Red Crescent Societies to build their capaci­ ties to prevent, mitigate, pre­ pare for and respond to disas­ ters domestically. 2. The international commu­ nity should also support devel­ oping States to build the ca­ pacity to adequately imple­ ment legal, policy and institu­ tional frameworks to facilitate international relief and initial recovery assistance. This sup­ port should be provided to States in a coordinated manner among the relevant actors.

Rolle des betroffenen Staates

Art. 12 Abs. 2: primäre Rolle bei der Durchführung, Koordi­ nation, Kontrolle und Überwa­ chung von Katastrophenhilfe

Art. 3 Abs. 3: primäre Rolle bei der Koordination, Regu­ lierung und Überwachung der Katastrophenhilfe

Article 12 [9]: Role of the affected State 2. The affected State has the primary role in the direction, control, coordination and su­ pervision of such relief and assistance.

3. Responsibilities of ­Affected States 3. Affected States have the sovereign right to coordinate, regulate and monitor, disaster relief and recovery assistance provided by assisting actors on their territory, consistent with international law. (Fortsetzung nächste Seite)

436 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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Pflichten des betroffenen Staates

Art. 12 Abs. 1: Pflicht, die Bevölkerung zu schützen und ihr Katastrophenhilfe zukom­ men zu lassen Art. 13: Pflicht, externe Hilfe anzufordern, wenn die natio­ nalen Kapazitäten nicht aus­ reichen

Art. 3 Abs. 1: primäre Pflicht zur Katastrophenvorsorge, -hilfe und Wiederaufbau nach Katastrophen Art. 3 Abs. 2: Pflicht, externe Hilfe anzufordern, wenn die nationalen Kapazitäten nicht ausreichen

3. Responsibilities of ­Affected States 1. Affected States have the primary responsibility to en­ sure disaster risk reduction, relief and recovery assistance in their territory. National Red Cross and Red Crescent Socie­ ties, as auxiliaries to the pub­ Article 13: Duty of the lic authorities in the humani­ affected State to seek tarian field, and domestic civil ­external assistance society actors play a key sup­ To the extent that a disaster porting role at the domestic exceeds its national response level. capacity, the affected State has 2. If an affected State deter­ the duty to seek assistance mines that a disaster situation from among other States, the exceeds national coping ca­ United Nations, other compe­ pacities, it should seek inter­ tent intergovernmental organi­ national and / or regional assis­ zations and relevant non-gov­ tance to address the needs of ernmental organizations, as ap­ affected persons. propriate. Article 12: Role of the ­affected State 1. The affected State, by vir­ tue of its sovereignty, has the duty to ensure the protection of persons and provision of disaster relief and assistance on its territory.

Zustimmung des betroffenen Staates zu externer Hilfe

Art. 14: Zustimmung des be­ troffenen Staates ist erforder­ lich und darf nicht willkürlich vorenthalten werden

Art. 10 und 11: Ausführungen über Inhalt der Zustimmung und Zustimmung in Bezug auf das Militär

Article 14: Consent of the affected State to external assistance 1. The provision of external assistance requires the consent of the affected State. 2. Consent to external assis­ tance shall not be withheld ar­ bitrarily.

10. Initiation 1. Disaster relief or initial re­ covery assistance should be initiated only with the consent of the affected State and in principle, on the basis of an appeal. The affected State should decide in a timely manner whether or not to re­ quest disaster relief or initial



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines 437

Thema

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3. When an offer of assistance is extended in accordance with the present draft articles, the affected State shall, whenever possible, make its decision re­ garding the offer known.

recovery assistance and com­ municate its decision promptly. In order to make this decision, the affected State should promptly assess needs. Con­ sideration should be given to undertaking joint needs assess­ ments with the United Nations and other assisting humanitarian organisations. 2. Requests and offers for assis­ tance should be as specific as possible as to the types and amounts of goods as well as the services and expertise available or required, respectively. Af­ fected States may also wish to indicate particular types of goods and services likely to be offered that are not needed. 3. Affected States should make available to assisting actors ad­ equate information about do­ mestic laws and regulations of particular relevance to the entry and operation of disaster relief or initial recovery assistance. 11. Initiation of Military Relief 1. Military assets should be deployed for disaster relief or initial recovery assistance only at the request or with the ex­ press consent of the affected State, after having considered comparable civilian alterna­ tives. Prior to any such de­ ployment, terms and condi­ tions (including such issues as the duration of deployment, whether they must be unarmed or may be armed the use of their national uniforms, and mechanisms for cooperation with civilian actors) are to be agreed by the affected and as­ sisting States. (Fortsetzung nächste Seite)

438 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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Bedingungen für externe Hilfe

Art. 15, Art. 17 Abs. 2

Angebote externer Hilfe

Art. 16

Art. 4

Article 16: Offers of external assistance In responding to disasters, States, the United Nations, and other competent intergovern­ mental organizations have the right to offer assistance to the affected State. Relevant nongovernmental organizations may also offer assistance to the affected State.

4. Responsibilities of Assisting Actors 1. Assisting actors and their personnel should abide by the laws of the affected State and applicable international law, coordinate with domestic au­ thorities, and respect the hu­ man dignity of disaster-affect­ ed persons at all times. 2. Assisting actors should en­ sure that their disaster relief and initial recovery assistance is provided in accordance with the principles of humanity, neutrality and impartiality, and in particular:

Art. 10 Abs. 2 und 3: Betrof­ fener Staat soll Helfern die Article 15: Conditions on the Gesetze und Regularien provision of external assisaufzeigen und Präferenzen tance bzgl. der Art der Hilfe arti­ The affected State may place kulieren conditions on the provision of external assistance. Such con­ 10. Initiation 2. Requests and offers for as­ ditions shall be in accordance with the present draft articles, sistance should be as specific applicable rules of international as possible as to the types and law, and the national law of the amounts of goods as well as affected State. Conditions shall the services and expertise take into account the identified available or required, respec­ needs of the persons affected tively. Affected States may al­ by disasters and the quality of so wish to indicate particular the assistance. When formulat­ types of goods and services likely to be offered that are ing conditions, the affected not needed. State shall indicate the scope 3. Affected States should make and type of assistance sought. available to assisting actors Article 17: Facilitation adequate information about of ­external assistance domestic laws and regulations 2. The affected State shall en­ of particular relevance to the sure that its relevant legisla­ entry and operation of disaster tion and regulations are read­ relief or initial recovery assis­ ily accessible, to facilitate tance. compliance with national law.



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines 439

Thema

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IFRK-Guidelines a) Aid priorities are calculated on the basis of need alone; b) Provided without any ad­ verse distinction (such as in regards to nationality, race, ethnicity, religious be­ liefs, class, gender, disability, age and political opinions) to disaster-affect­ ed persons; c) Provided without seeking to further a particular po­ litical or religious stand­ point, intervene in the in­ ternal affairs of the affect­ ed State, or obtain com­ mercial gain from charitable assistance; d) Not used as a means to gather sensitive information of a political, economic or military nature that is irrel­ evant to disaster relief or initial recovery assistance. 3. To the greatest extent prac­ ticable, their disaster relief and initial recovery assistance should also be: a) Responsive to the special needs, if any, of women and particularly vulnerable groups, which may include children, displaced persons, the elderly, persons with disabilities, and persons living with HIV and other debilitating illnesses; b) Adequate for the needs of affected persons and con­ sistent with any applicable international standards of quality; c) Coordinated with other rel­ evant domestic and assist­ ing actors; (Fortsetzung nächste Seite)

440 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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IFRK-Guidelines d) Provided and conducted in a manner that is sensitive to cultural, social and religious customs and traditions; e) Carried out with adequate involvement of affected per­ sons, including women, youth and the elderly, in their design, implementa­ tion, monitoring and evalua­ tion; f) Provided by competent and adequately trained person­ nel; g) Commensurate with their organisational capacities; h) Building upon and con­ ducted in a manner that strengthens local disaster risk reduction, relief and recovery capacities and re­ duces future vulnerabilities to disasters; i) Carried out so as to mini­ mize negative impacts on the local community, econ­ omy, job markets, develop­ ment objectives and the en­ vironment; and j) Provided in a transparent manner, sharing appropriate information on activities and funding.

Durchführung externer Hilfe

Art. 17 Abs. 1, inkl. Vorrechte, Immunitäten, Visa- und Zu­ gangsbedingungen, Arbeits­ erlaubnis, Freizügigkeit

Art. 16 bis 24

16. Personnel 1. With regard to disaster re­ lief and initial recovery per­ Article 17: Facilitation sonnel of assisting States and eligible assisting humanitarian of external assistance 1. The affected State shall take organizations, affected States the necessary measures, within should: its national law, to facilitate the prompt and effective pro­ vision of external assistance regarding, in particular:



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines441

Thema

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(a) civilian and military relief a) Grant visas and any neces­ personnel, in fields such as sary work permits, ideally privileges and immunities, visa without cost, renewable and entry requirements, work within their territory, for permits, and freedom of move­ the time necessary to carry out disaster relief or initial ment; and recovery activities; (b) equipment and goods, in fields such as customs require­ b) In disaster relief operations, waive or significantly ex­ ments and tariffs, taxation, transport, and disposal thereof. pedite the provision of such visas and work per­ mits; c) Establish expedited proce­ dures for temporary recog­ nition of professional ­qualifications of foreign medical personnel, archi­ tects, and engineers, drivers licences and other types of licenses and certificates that are necessary for the performance of disaster re­ lief or initial recovery functions and that have been certified as genuine by the concerned assisting State or eligible assisting humanitarian organization, for the time necessary to carry out disaster relief or initial recovery activities; d) Facilitate freedom of ac­ cess to and freedom of movement in and from the disaster-affected area, bear­ ing in mind the safety of disaster relief and initial recovery personnel. 2. Upon request, originating and transit States should like­ wise waive or promptly issue, ideally without cost, exit or transit visas, as appropriate, for the disaster relief and ini­ tial recovery personnel of eli­ gible assisting humanitarian organizations. (Fortsetzung nächste Seite)

442 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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IFRK-Guidelines 3. Assisting States and eligible assisting humanitarian organi­ zations should consider to what degree disaster relief and initial recovery objectives can be met through hiring local staff. 17. Goods and Equipment 1. With regard to disaster re­ lief and initial recovery goods and equipment exported or im­ ported by, or on behalf of, as­ sisting States and eligible as­ sisting humanitarian organiza­ tions, originating, transit and affected States should: a) Exempt them from all cus­ toms duties, taxes, tariffs or governmental fees; b) Exempt them from all ex­ port, transit, and import re­ strictions; c) Simplify and minimize documentation requirements for export, transit and im­ port; d) Permit re-exportation of any equipment or unused goods which the assisting State or assisting humani­ tarian organization owns and wishes to retain. 2. With regard to disaster re­ lief goods and equipment only, originating, transit and affected States should additionally: a) Waive or reduce inspection requirements. Where waiv­ er is not possible, clear re­ lief goods and equipment rapidly and as a matter of priority, through a “pre­ clearance” process where feasible; and



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines443

Thema

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IFRK-Guidelines b) Arrange for inspection and release outside business hours and / or at a place other than a customs office as necessary to minimize delay, in accordance with the safety regulations of the affected State. Assisting States and eligible assisting humanitarian organizations should respect any routes and delivery points pre­ scribed by the affected State. 3. In order to benefit from the facilities above, assisting States and assisting humanitar­ ian organizations should, in accordance with agreed inter­ national standards, appropri­ ately pack, classify and mark disaster relief and initial re­ covery goods and equipment, and include detailed manifests with each shipment. They should additionally inspect all such goods and equipment to ensure their quality, appropri­ ateness for the needs in the affected State, and conformity with the national law of the affected State and international standards. 4. Assisting States and eligible assisting humanitarian organi­ zations should assume respon­ sibility for removing or dis­ posing of any unwanted and unused relief and initial recov­ ery goods, particularly if they may pose a threat to human health or safety, or the envi­ ronment. (Fortsetzung nächste Seite)

444 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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IFRK-Guidelines 18. Special Goods and Equipment In addition to the facilities de­ scribed in paragraph 17: 1. Affected States should grant temporary recognition to for­ eign registration and plates with regard to vehicles import­ ed by assisting States and eli­ gible assisting humanitarian organizations or on their be­ half in disaster relief and ini­ tial recovery assistance. 2. Affected States should waive or expedite the granting of any applicable licenses and reduce any other barriers to the use, import or export of telecommunications and in­ formation technology equip­ ment by assisting States and assisting humanitarian organi­ zations or on their behalf in disaster relief and initial re­ covery assistance. Without dis­ crimination against or negative impact to domestic relief ac­ tors, affected States should al­ so grant (or where, appropri­ ate, encourage other domestic actors to grant) assisting States and eligible assisting humani­ tarian organizations priority access to bandwidth, frequen­ cies and satellite use for tel­ ecommunications and data transfer associated with disas­ ter relief operations. 3. Originating, transit and af­ fected States should reduce le­ gal and administrative barriers to the exportation, transit, im­ portation and re-exportation of medications and medical equipment by assisting States and eligible assisting humani­ tarian organizations or on their



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines445

Thema

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IFRK-Guidelines behalf in disaster relief and ini­ tial recovery assistance, to the extent consistent with public safety and international law. Assisting States and eligible assisting humanitarian organi­ zations should take all reason­ able steps to ensure the quality, appropriateness and safety of any such medications and equipment and in particular: a) Any medications they im­ port should be approved for use in the originating and affected State; b) Medications they use in their own operations should be: i) transported and main­ tained in appropriate conditions to ensure their quality and; ii) guarded against mis­ appropriation and abuse. c) Any medications they do­ nate for use by others in the affected State should be: (i) at least twelve months from their expiration date upon arrival, un­ less otherwise agreed by receiving authori­ ties; (ii) transported and main­ tained in appropriate conditions to ensure their quality until they reach the affected State; and (iii) appropriately labelled in a language under­ stood in the affected State with the Interna­ tional Nonproprietary Name or generic (Fortsetzung nächste Seite)

446 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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IFRK-Guidelines

name, batch number, dosage form, strength, name of manufacturer, quantity in the con­ tainer, storage condi­ tions and expiry date. 4. Originating, transit and af­ fected States should consider whether normal requirements regarding fumigation and pro­ hibitions and restrictions on food imports and exports by assisting States and eligible assisting humanitarian organi­ zations in disaster relief opera­ tions can be modified or re­ duced. 19. Transport 1. Originating, transit and af­ fected States should grant, without undue delay, permis­ sion for the speedy passage of land, marine and air vehicles operated by an assisting State or eligible assisting humanitar­ ian organization or on its be­ half, for the purpose of trans­ porting disaster relief or initial recovery assistance and, ide­ ally, waive applicable fees. 2. In particular, permission should be granted for over­ flight, landing and departure of aircraft. Such aircraft should also be authorized to operate within the territory of the affected State as required for the delivery of assistance. 3. Any applicable exit, transit and entry visas for the operat­ ing personnel of such transport vehicles should be promptly issued.



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines 447

Thema

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IFRK-Guidelines 20. Temporary Domestic Legal Status 1. Affected States should grant relevant entities of assisting States and eligible assisting humanitarian organizations, upon entry or as soon as pos­ sible thereafter, at least a ­temporary authorization to le­ gally operate on their territory so as to enjoy the rights, inter alia, to open bank accounts, enter into contracts and leases, acquire and dispose of prop­ erty and instigate legal pro­ ceedings, for the purpose of providing disaster relief and initial recovery assistance. 2. Assisting States and eligible assisting humanitarian organi­ zations should also be granted the right to freely bring the necessary funds and currencies in or out of the country through legal means and to obtain legal exchange rates in connection with their disaster relief or initial recovery assis­ tance. 3. Affected States should al­ low assisting States and eligi­ ble assisting humanitarian or­ ganizations to legally hire and terminate the contracts of local personnel. 21. Taxation 1. Affected States should pro­ vide exemptions to assisting States and eligible assisting humanitarian organizations from value-added and other taxes or duties directly associ­ ated with disaster relief and initial recovery assistance. (Fortsetzung nächste Seite)

448 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

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IFRK-Guidelines 22. Security 1. Affected States should take appropriate measures to ad­ dress the safety and security of disaster relief and initial re­ covery personnel of assisting States and eligible assisting humanitarian organizations and of the premises, facilities, means of transport, equipment and goods used in connection with their disaster relief or ini­ tial recovery assistance. Assist­ ing States and assisting hu­ manitarian organizations should also take appropriate steps in their own planning and operations to mitigate se­ curity risks. 23. Extended Hours 1. Affected States should en­ deavour to ensure, when nec­ essary, that State- operated of­ fices and services essential to the timely delivery of interna­ tional disaster relief function outside of normal business hours. 24. Costs 1. The costs of providing in­ ternational disaster relief or initial recovery assistance ­pursuant to these Guidelines should normally be borne by the assisting State or assisting humanitarian organization. However, assisting States may agree in advance with the af­ fected State for the reimburse­ ment of certain costs and fees, or for the temporary loan of equipment. 2. Affected States should con­ sider, when it is in their power and to the extent possible un-



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines 449

Thema

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IFRK-Guidelines der the circumstances, provid­ ing certain services at reduced or no cost to assisting States and eligible assisting humani­ tarian organizations, which may include: a) In-country transport, in­ cluding by national air­ lines; b) Use of buildings and land for office and warehouse space; and c) Use of cargo handling equipment and logistic ­support.

Schutz von Hilfspersonal, Ausrüstung und Gütern

Art. 18

Art. 21

Article 18: Protection of relief personnel, equipment and goods The affected State shall take the appropriate measures to ensure the protection of relief personnel, equipment and goods present in its territory for the purpose of providing external assistance.

21. Taxation 1. Affected States should pro­ vide exemptions to assisting States and eligible assisting humanitarian organizations from value-added and other taxes or duties directly associ­ ated with disaster relief and initial recovery assistance.

Beendigung externer Hilfe

Art. 19

Art. 12

Article 19: Termination of external assistance

12. Termination

The affected State and the as­ sisting State, and as appropri­ ate other assisting actors, shall consult with respect to the ter­ mination of external assistance and the modalities of termina­ tion. The affected State, the assisting State, or other assist­ ing actor wishing to terminate shall provide appropriate noti­ fication.

1. When an affected State or an assisting actor wishes to terminate disaster relief or ini­ tial recovery assistance, it should provide appropriate no­ tification. Upon such notifi­ cation, the affected State and the assisting actor should con­ sult with each other, bearing in mind the impact of such termination on disaster-affect­ ed communities. (Fortsetzung nächste Seite)

450 Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines

(Fortsetzung Annex) Thema

ILC-DAPPED

Verhältnis zum Art. 21: parallele Anwend­ humanitären barkeit Völkerrecht Article 21: Relationship to international humanitarian law The present draft articles do not apply to situations to which the rules of internation­ al humanitarian law are appli­ cable.

IFRK-Guidelines Art. 1 Abs. 4: keine Anwend­ barkeit in Fällen, in denen der Anwendungsbereich des Humanitären Völkerrechts eröffnet ist 1. Purpose and Scope 4. These Guidelines are not intended to apply to situations of armed conflict or disasters that occur during armed con­ flicts, or to imply changes in any rules governing relief in those contexts. They are also not intended to recommend any changes to, or affect the meaning or implementation of, any existing international law or agreements, including but not limited to: a) International humanitarian, human rights and refugee law; b) The legal personality and status of States, inter-gov­ ernmental organizations, the c) International Federation of Red Cross and Red Cres­ cent Societies and the In­ ternational Committee of the Red Cross; Internation­ al law related to privileges and immunities; d) The Statutes and regula­ tions of the International Red Cross and Red Cres­ cent Movement and exist­ ing legal arrangements be­ tween the individual com­ ponents of the Movement and States; and e) Existing agreements be­ tween States or between States and assisting actors.



Annex: Übersicht über die Regelungen der DAPPED und IFRK-Guidelines451

Thema

ILC-DAPPED

IFRK-Guidelines

Verhältnis zu anderen Bereichen des Völkerrechts

Art. 20

Art. 1 Abs. 4

Article 20: Relationship to special or other rules of ­international law The present draft articles are without prejudice to special or other rules of international law applicable in the event of dis­ asters.

1. Purpose and Scope 4. These Guidelines are not intended to apply to situations of armed conflict or disasters that occur during armed con­ flicts, or to imply changes in any rules governing relief in those contexts. They are also not intended to recommend any changes to, or affect the meaning or implementation of, any existing international law or agreements, including but not limited to: a) International humanitarian, human rights and refugee law; b) The legal personality and status of States, inter-gov­ ernmental organizations, the c) International Federation of Red Cross and Red Cres­ cent Societies and the In­ ternational Committee of the Red Cross; Internation­ al law related to privileges and immunities; d) The Statutes and regula­ tions of the International Red Cross and Red Cres­ cent Movement and exist­ ing legal arrangements be­ tween the individual com­ ponents of the Movement and States; and e) Existing agreements be­ tween States or between States and assisting actors.

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Stichwortverzeichnis Abuja Treaty Establishing the African Economic Community  319 Afrikanische Charta für Menschenrechte und die Rechte der Völker  145, 378 Afrikanische Union  338 f. Allgemeine Erklärung der Menschen­ rechte  179, 191, 313 Allgemeine Rechtsgrundsätze  163, 282, 381 ff., 422 Amerikanische Menschenrechts­ konvention  99, 145, 179, 182, 260, 332, 378 Andenkomitee zur Katastrophenvermei­ dung und -hilfe (CAPRADE)  159, 321 f., 337 Antarktisvertrag  321, 334 Antike  32–38 Arabische Charta für Menschenrechte  145, 179, 182 ff., 332, 378 Argentinien  234 f., 345 ff. ASEAN  142, 158, 174, 246 f., 322, 338 ff., 361 ASEAN Agreement on Disaster Manage­ment and Emergency Response (AADMER)  142, 174, 261 f., 264, 317, 322, 332, 366 f., 396 Australien  210, 263, 343, 345, 347 ff., 393 Bangladesh  55, 57, 251, 352 Banjul-Charta  145, 179, 182, 184 Behindertenrechte-Konvention  181, 186 Belgien  29, 144, 330, 343 ff. Bewaffnete Konflikte  96 ff., 138, 405, 413 Beweisermittlung  86, 91, 162 ff., 227, 256 ff., 291 ff.

Bhutan  181, 213, 231 f., 407 Bilaterale Abkommen  119, 144 f., 321, 379 Binnenvertriebene  67, 108, 141, 186, 297 f. Bodin  170 Brasilien  345 ff. BSE  239, 245 Bundesgerichtshof  148 Bundesverfassungsgericht  235 CAPRADE siehe Andenkomitee zur Katastrophenvermeidung und -hilfe CARICOM  88, 174 CDEMA  87 f., 92, 96, 105, 135, 142, 174, 333, 337, 367, 395, 399 Charta der Vereinten Nationen  58, 112, 164, 170, 197, 254, 272, 329, 332, 360 Chile  189 f., 215, 233, 263, 327, 345 ff., 379 China  47, 49, 190, 195, 216, 225, 232, 247, 251, 276, 278, 291, 326, 331, 343 ff., 379, 394 Christianisierung  240 Cluster approach  24, 67, 341 Code of Conduct for the International Red Cross and Red Crescent Move­ ment and Non-Governmental Organizations in Disaster Relief  110 ff., 157, 175, 372 Common but differentiated responsibil­ ity  315 Courtoisie  149, 162, 304, 307, 322 ff., 365 Deepwater Horizon  95 Desertifikation  54, 56, 92, 317

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Stichwortverzeichnis

Deutschland  83, 111, 119, 123 f., 141, 148, 158, 172, 203, 213, 235, 281, 319, 330, 333, 393 Domainé reservé  104, 177, 328 ff., 364 Dunant, Jean-Henry  41 Ebola  24, 26, 125, 139, 207, 272 ff., 331, 335, 343, 351, 354, 357, 370 ff., 393 ff., 423 ECOSOC siehe Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ECOWAS  159, 322, 338 Einfuhrbestimmungen  261, 373 ff., 408 Einmischung in innere Angelegenheiten  327 ff. Elfenbeinküste  350, 354 EM-DAT  117, 410 Emergency Response Coordination Centre  423 ENMOD-Konvention  120 f. Enteignung  261 f. Entwicklungshilfe  89 ff., 135, 141 Erga omnes Verpflichtungen  179 ff., 185, 198, 269, 316, 328 f. EU-Vertrag  83, 111, 312, 316, 379 Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre (EADRCC)  70 Eurokrise  107 Europäische Kommission  159, 330, 377 Europäische Kommission für Menschen­ rechte  129 Europäische Menschenrechtskonvention  99, 129, 131, 145, 172, 179, 184, 378 Europäische Union  117, 174, 190, 203, 216, 244, 246, 315, 338, 379, 407 Europäischer Gerichtshof  127, 148, 243 Europäischer Gerichtshof für Menschen­ rechte  129, 130, 180, 201, 269 Europäischer Zivilschutzmechanismus  143, 159, 340, 423 Europäisches Parlament  151, 159 Europarat  143 EWG  72

Failed State  171, 207 FEMA  172, 222, 226, 239 Feststellung des Katastrophenfalles  137 Finnland  106, 144, 158, 215, 325, 344 ff., 407 Flüchtlinge  108, 112, 141, 275, 315 Force majeure  126 ff., 130, 269 Framework Convention on Civil Defence Assistance  28, 140 f., 261 f., 366, 377, 379 Framework Convention on Climate Change siehe Klimarechtsrahmen­ konvention Frankreich  29, 70, 144, 158, 189 f., 216, 232 f., 263, 276, 312, 344 ff., 379, 397 Fremdenrecht  260 ff. Friendly Relations Declaration  197 Fukushima  85, 93, 95, 173, 211 f., 331, 335, 350 Generalsekretär der Vereinten Nationen  56, 62, 88, 195, 247, 301 f., 402 Generalversammlung der Vereinten Nationen  54 ff., 75, 152, 154, 157, 164, 176, 190, 230, 233, 327, 359, 361, 406 Genetisch modifiziert Organismen  238 Genfer Konventionen  42, 44, 97 ff., 120, 138, 199, 218, 221, 407 Gesundheitsschutz  238 Gewaltverbot  330 Ghana  345 ff. Grenzüberschreitende Schäden  335 f. Großbritannien  106, 158, 216, 232, 239, 276, 312, 327, 331, 344 ff., 396 f. Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP)  72, 143 Guidelines for the domestic facilitation and regulation of international disaster relief and initial recovery assistance  218, 222, 230, 262, 268, 396, 401, 406–409, 414 ff., 426–451



Stichwortverzeichnis

Guidelines on the Use of Military and Civil Defense Assets in Disaster Relief  156, 219, 261 f., 361, 375, 396 Haager Landkriegsordnung  389 Haftung  74, 148, 239, 257 f., 281 f., 295, 336, 342, 373, 389, 397 ff. Haftung militärischer Befehlshaber  302 ff. Haiti  23, 26, 89, 125, 209, 339, 343, 348, 358, 369, 423 Hilfeersuchen  208 ff. Hilfsanfrage  226, 367 ff., 412 Hilfskorridor  262 f., 276 Hilfspersonal  260, 361, 374, 393 ff., 405 f., 413 Humanitäre Intervention  279 Humanitäres Völkerrecht  96, 141, 192, 199, 373 ff., 411 Humanitarian Reform  67 Humanität  237, 374 ff., 405 Hungersnot  48, 87 ff., 232, 238, 249, 295, 386 Hurrikan Katrina  24, 212, 230, 239, 343, 345 f., 358, 369 Hyogo Erklärung  65, 155 Hyogo Framework of Action  84, 155, 361, 406 ILC Draft Articles on the protection of persons in the event of disasters  77, 106, 111, 113 ff., 119, 124, 173, 176, 190, 217, 222, 230, 234, 318, 322, 326 ff., 363, 401 ff., 408 ff., 426–451 Immunitäten und Privilegien  42, 74, 141, 147 ff., 177, 263 ff., 403 ff. Indien  159, 173, 212, 214, 225, 234, 251 ff., 344 ff., 393 Indonesien  86, 158, 212, 216, 238, 276, 345 ff., 395 f., 407 Industrieunfälle  94, 110, 136, 141 f., 175, 208, 321 INES-Skala  116 Innere Angelegenheiten  78, 107, 171, 246, 266, 325, 327 ff., 363 f., 413, 421

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Institut de Droit International  166, 176, 189, 219, 222 ff., 235, 327, 363, 377, 380, 401 ff. Institutionalisierung  28, 38, 45, 59, 70, 73, 320, 337, 341, 423, 425 Internally displaced persons siehe Binnenvertriebene International crimes of States  270 International Disaster Relief Law  29, 139 ff., 157 ff., 221, 242 ff., 246, 256, 259 f., 363 ff., 375 ff., 392 International Disaster Response Laws, Rules and Principles  157 International Law Association  166 International Law Commission  31, 76, 107, 115, 119, 147, 164 f., 208, 270 f., 318 ff., 359, 362, 377, 401 ff. International Relief Union  45 ff., 126, 423 Internationale Dekade für die Verringe­ rung von Naturkatastrophen  63, 84 Internationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes  31, 86, 166 f., 189, 208, 222 ff., 266, 401, 406–409, 414 ff., 423, 426–451 Internationale Konferenz des Roten Kreutes und Roten Halbmondes  156 Internationale Organisationen  151, 199, 224, 337 ff., 405, 423 Internationaler Gerichtshof  140, 146, 147 ff., 152, 165, 185, 209, 269, 326, 376, 381 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte  107, 130, 145, 179 f., 107, 332 Internationaler Pakt über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte  145, 182, 183, 188, 207, 378 Internationaler Strafgerichtshof  280 ff., 291 ff. Internationales Komitee vom Roten Kreuz  41, 43, 44, 48, 72, 101 ff., 267 Intervention auf Einladung  395 ff. Interventionsverbot  30, 58, 78, 92, 177, 223, 277 ff., 327 ff., 395, 422

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Iran  50 f., 215, 229 ff., 262, 267, 330, 344 ff. Italien  92, 214, 316, 344 ff. Japan  23 f., 65, 85, 93, 110, 115, 125, 155, 173, 188, 195, 202, 210 ff., 234, 237, 251, 280, 284, 331 ff., 372, 388 Joint Inspection Unit  60 ff., 87, 128, 133 Jus cogens  187, 271, 316, 386, 388 Kairoer Erklärung für Menschenrechte  183 Kanada  70, 245 f., 335, 344 ff., 393, 397 Kapazitätsvorbehalt  368 ff. Kapitel VII UN-Charta  253, 272 ff., 291, 303 Kapverdische Inseln  54 ff., 350, 354 Karibik  51, 55, 72, 142 f., 159, 173, 354 Kashmir  343, 347, 358 Katastrophe, Definition  79 ff., 132 f. Katastrophenanleihen  24 Katastrophenvorsorge  57, 64, 134, 142, 406 Klimarechtsrahmenkonvention  308, 311, 327 Kolumbien  158, 195, 214, 234, 346 ff., 407 Konsolidierter Hilfsappell  67 Kooperation  66, 196 ff., 218, 320 ff., 363, 367 ff. Kooperationsregime  311 ff. Koordination  28, 34, 43 ff., 135, 141 ff., 166, 174 ff., 196, 205, 222, 226, 256, 259, 265 f., 289, 311, 315, 339, 341, 357, 361, 373, 412, 420, 423 Koordinator der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe  59–63, 74, 88 Kostentragung  118, 144, 308, 313, 336, 385, 408 League of Nations  45 Lehrmeinungen  164 ff.

lex ferenda  77, 79, 136, 150 ff., 165, 189 ff., 215, 217, 220 ff., 248, 301, 371, 416, 420, 422 lex lata  77, 79, 165, 191, 194, 220, 229, 232, 304, 325, 366, 371, 399, 416, 418 ff. Liberia  126, 139 f., 207, 274, 340, 346 ff., 393 Lifeline Sudan  57 Malaysia  135, 181 ff., 215, 233, 327, 344 ff. Malediven  138, 172, 225, 346, 354, 356, 380 Mali  28, 141, 170, 211, 354 Malteserorden  39 Mangelhafte Hilfeleistung  237 ff. Menschenrecht auf humanitäre Hilfe im Katastrophenfall  178, 187 ff. Menschenrechte  178 ff., 298 f., 312 ff., 324, 378, 405 Menschenwürde  103, 299, 405, 410, 429 Mexiko  58, 327, 344 ff., 407 Militäreinsatz  101, 393 ff. Model Act für the Facilitation and Regulation of International Disaster Relief and Initial Recovery Assistance  88, 114, 158, 230, 396, 406 Model Rules for Relief Operations  156 Mohonk-Criteria  189, 221 Moral  150, 215, 390 Mosambik  158, 344, 354 Myanmar  23, 118, 212, 246 ff., 261, 276, 291 ff., 340, 347 f., 358, 394 NAFTA  261 Namibia  106 f., 112, 123, 158, 273, 346, 407 Nationale Gesellschaften des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes  43 ff., 48



Stichwortverzeichnis

Nationale Gesetzgebung  148, 202, 212 ff., 231, 265, 374 ff., 383, 406, 413 Nationale Katastrophenschutzbehörde  226 NATO  69 ff., 174, 277, 338, 396 Nepal  24, 158, 331, 344 ff., 372 Neuseeland  158, 210 f., 315, 344 ff., 407 Neutralität  237, 374 ff. Nicht-Diskriminierung  237, 374 ff. Nichtregierungsorganisation  160, 199, 231, 239, 322 Niederlande  29, 70, 100, 144, 158, 213, 215, 233, 344 ff., 407 Nordkorea  155, 234, 249 ff., 344, 394 Norwegen  144, 158, 215, 322, 344 ff., 407 Nothilfe  40, 52, 65 f., 330 Nötigung  388 Notstand  99, 104, 107, 126 ff., 172, 178 f., 351, 354, 356 f., 385 ff. OAS  159, 174, 339, 361, 407 OCHA  67, 210, 253, 261, 338, 341, 393, 396, 402 OECD  344 Operational Guidelines and Field Manual on Human Rights Protection in Situation of National Disasters  113, 122, 125 Opinio iuris  149, 163, 212, 317, 323 Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur  46 Pakistan  343, 349, 357, 424 Panama  55, 158, 330, 346 ff., 407 Peru  50, 56, 158, 346 ff., 407 Philippinen  332, 393 f., 407 Polis  34 Privater Sektor  35, 38, 46, 64, 160 ff., 231, 297, 303, 338, 342, 371 f., 424 Prognoseentscheidung  238, 240

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Qualitätssicherung  239 Recht auf Gesundheit  114, 120, 126, 133, 173, 182 ff., 266 ff., 295 ff., 357, 375, 411, 419 Recht auf Leben  179 ff., 411, 419 Recht auf Nahrung und Wasser  182 ff., 249 Rechtfertigungsgründe  301 ff., 395 Rechtsphilosophie  306 Regionale Abkommen  142, 321 Regionale Katastrophen  352 Resilienz  134, 406 Responsibility to Protect  193 ff., 276 ff., 324 Risikobewertung  241 Risikoforschung  118 Ritterorden  39 Rotes Kreuz  41, 74, 76, 166, 361, 424 siehe auch Internationales Komitee vom Roten Kreuz sowie Internationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes Russland  28, 47, 141, 160, 215, 233, 276, 291, 327, 344 ff. SAARC Agreement  219, 224, 262, 265, 361, 366 Saudi Arabien  145, 155, 181 f., 344 ff. Schadensersatz  93, 342, 398 Schutz eigener Staatsangehöriger  329 Schutzverantwortung siehe Responsibil­ ity to Protect Schweiz  29, 40 f., 79, 92, 144, 221, 332, 344 ff. Seerechtsübereinkommen  310, 334 Selbstverteidigung  330 Senegal  28, 141, 344 ff. Sicherheitsrats-Resolution 2177  272 ff., 424 Soft Law  29, 150 ff., 217, 230, 318, 361, 375, 380 Solidarität  40, 142 f., 304 ff., 367

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Stichwortverzeichnis

Sonderberichterstatter der International Law Commission  176, 259 f., 402 ff. South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC)  137, 142, 158 f., 219, 224, 261 ff., 361, 366, 374, 398 Souveränität  30, 46, 77 f., 100, 103, 136, 169 ff., 311, 326 ff., 364 f., 387 f., 414, 416 Sphere Handbuch  160, 372 Sri Lanka  195, 216, 225, 234, 251, 266, 344 ff., 360 Staatenpraxis  147 ff., 315, 355 ff., 380, 395 ff. Staatenverantwortlichkeit  127, 161, 269, 312, 342, 384 ff., 395 ff. State Council for Peace and Develop­ ment  249, 295, 301 Statut des Internationalen Gerichtshofes  126, 140, 163 ff., 309 Statut des Internationalen Strafgerichts­ hofes  196, 280 ff., 388 Südafrika  144, 276, 342 ff., 393 Sudan  28, 53 ff., 141, 181 f., 199, 210, 231, 239, 245, 254 f., 259, 330 f., 347 Südkorea  210, 214, 245, 344, 346 ff. Südostasien  23, 76 Syrien  28, 34 f., 103, 105, 141, 145, 160, 315, 347 ff. Tampere Convention on the Provision of Telecommunication Resources for Disaster Mitigation and Relief Operations  28, 110, 119, 140 f., 208, 224, 261, 321, 332 Technologietransfer  59, 134, 316, 367 Terrorismus  108, 393 Thailand  195, 212, 224, 233, 346 ff. Treu und Glauben  151, 163 Triage  382 Truppenstationierungsabkommen     394 ff. Tsunami Japan  85, 210, 237, 331, 335, 350 Tsunami Südostasien  23, 26, 76, 90, 212, 226, 239, 343–345, 393

Übereinkommen über die Rechte der Kinder  145, 182 Umweltschutz  238, 320 UN-Charta siehe Charta der Vereinten Nationen UN-Menschenrechtskommission  107, 130, 313 UN-Sicherheitsrat  112, 199, 231, 252 f., 272 ff., 338, 424 UN-Weltkonferenz zur Reduzierung von Katastrophen  65 UNESCO siehe Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNITAR-Rules  75, 156, 361, 380 United Nations Commission on Human Rights siehe UN-Menschenrechtskom­ mission United Nations Disaster Relief Coordi­ nator (UNDRO) siehe Koordinator der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe United Nations Relief and Rehabilitation Administration  47 ff. Unparteilichkeit  237, 374 ff. Unterlassene Hilfeleistung  270 f., 280 ff. Vattel, Emer de  25, 27, 40, 99 Verbraucherschutz  238 Verbrechen gegen die Menschlichkeit  280 ff. Vereinigte Arabische Emirate  28, 141, 145, 181 f., 335, 344 ff. Vereinigte Staaten von Amerika  119, 141, 144, 210 ff., 237, 239, 244, 248, 250 f., 330, 335, 346, 349, 358, 367, 369, 393 Vereinte Nationen  50–69, 84, 269, 403, 423 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union  142, 316, 333, 338 Vietnam  158, 276, 346, 348, 353, 354 Visa- und Einreisebestimmungen  259, 266, 405, 408



Stichwortverzeichnis

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Völkergewohnheitsrecht  139, 145 ff. Völkerstrafrecht  280 ff. Vorsorgeprinzip  242

Wirtschaftskrise  106 Wirtschaftsvölkerrecht  241 ff. WTO  241, 317

Welcoming Offer  225 ff. Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen  211, 249 Weltgesundheitsorganisation  50, 139, 182, 245, 339 WHO siehe Weltgesundheitsorganisation Willkürvorbehalt  231 ff. Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen  46, 49, 51, 58, 74, 154, 361, 407

Yokohama Principles, Strategy and Plan of Action for a Safer World  65, 110 Zoll  259, 262 ff., 408 Zustimmungspflicht des betroffenen Staates  215, 229, 395, 412 Zwang  386 ff. Zyklon Nargis  23, 118, 194, 212, 246 ff., 340, 347 ff.