Nemo tenetur im Spannungsfeld zu außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten: Eine Untersuchung der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB [1 ed.] 9783428552320, 9783428152322

Die Selbstbelastungsfreiheit gilt als zentrales Beschuldigtenrecht des reformierten Strafverfahrens, deren Schutzgehalt

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Nemo tenetur im Spannungsfeld zu außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten: Eine Untersuchung der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB [1 ed.]
 9783428552320, 9783428152322

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Schriften zum Strafrecht Band 309

Nemo tenetur im Spannungsfeld zu außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten Eine Untersuchung der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB

Von

Lena Schumacher

Duncker & Humblot · Berlin

LENA SCHUMACHER

Nemo tenetur im Spannungsfeld zu außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten

Schriften zum Strafrecht Band 309

Nemo tenetur im Spannungsfeld zu außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten Eine Untersuchung der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB

Von

Lena Schumacher

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15232-2 (Print) ISBN 978-3-428-55232-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85232-1 (Print & E-Book)

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Meinen Großeltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2016 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich im Wesentlichen auf dem Stand von März 2017. Die Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Matthias Krüger. Ihm möchte ich für die hervorragende Betreuung, das überaus zügige Promotionsverfahren sowie für die gewährten Freiräume zum selbstständigen wissenschaft­ lichen Arbeiten herzlichen Dank aussprechen. Für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens bedanke ich mich sehr bei Prof. Dr. Ralf Kölbel. Besonderer Dank gilt meinen Freunden und Kollegen an der LMU, die mit mir die Höhen und Tiefen der Arbeit teilten. Dr. Benedikt de Bruyn hat mit seinen wertvollen Diskussionen maßgeblich zum Erfolg der Arbeit beigetragen. Ihm möchte ich von Herzen auch für seine Geduld und seinen immerwährenden Rückhalt danken. Meine ­Eltern Karl-Josef und Dr. Katharina Schumacher nahmen die Mühen des Korrekturlesens auf sich. Sie begleiten meinen Weg stets unterstützend und voller Teilnahme und dafür danke ich ihnen von Herzen. Ohne sie wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Berlin, im März 2017

Lena Schumacher

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Allgemeiner Teil



Kapitel 1



Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

28

A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Kanonisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Entwicklungen in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Entwicklungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Selbstbelastungsschutz im außerstrafprozessualen Bereich  . . . . . . . . . . 38 I. Ursprünglich ablehnende Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Abweichendes Verständnis im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Zivilrechtliches Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 IV. Ansicht der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 V. Wendepunkt – BVerfGE 56, 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 VI. Aktuelles Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Kapitel 2

Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

46

A. Einfache Gesetzesebene, StPO und StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Verbotene Vernehmungsmethoden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Belehrungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Aussageerpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 B. Völkerrecht, IPBPR und EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, Verfahrensfairness   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Art. 6 Abs. 2 EMRK, Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 C. Europäisches Primärrecht, Grundrechtecharta  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

10 Inhaltsübersicht D. Verfassungsrecht, Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Art. 1 Abs. 1 GG, Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Art. 4 Abs. 1 GG, Gewissensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Art. 2 Abs. 1 GG, Allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IV. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . 59 V. Art. 103 Abs. 1 GG, Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . 65 VI. Art. 20 Abs. 3 GG, Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Kapitel 3

Der Schutzgehalt im Strafverfahren

78

A. Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Preisgabe belastender Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Zwangselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 III. Auslösung einer Verfolgungsgefahr  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 B. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Subjektiver Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Objektiver Schutzbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 C. Rechtsfolgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Rechtswidrig erzwungene Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. Verletzung von Belehrungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Kapitel 4

Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

103

A. Ausgangspunkt – Der Gemeinschuldnerbeschluss, BVerfGE 56, 37 . . . 104 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Der Mehrheitsbeschluss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Das Sondervotum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B. Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 108 I. Der Begriff der Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Die Begründung der Ausstrahlungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Schutzwirkung im außerstrafprozessualen Bereich   . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Inhaltsübersicht11 Kapitel 5

Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten

116

A. B. C. D.

Die steuerrechtliche Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Die insolvenzrechtliche Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Die vollstreckungsrechtliche Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Die arbeitsrechtliche Offenbarungspflicht bei internen Ermittlungen . 120 I. Arbeitsrechtliche Pflicht zur Selbstbelastung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Verwertbarkeit selbstbelastender Angaben?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Besonderer Teil 



Kapitel 6



Zivilrechtliche Grundlagen

128

A. Das Patientenrechtegesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Inhaltlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Der Behandlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Medizinische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Behandelnder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Patient  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 IV. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 C. Der Behandlungsfehler  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Behandlungsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Qualitätsunterschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Kapitel 7

Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

150

A. Der bisherige Meinungsstand   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Die Fehleroffenbarungspflicht zur Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Die Fehleroffenbarungspflicht auf Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Die allgemeine Fehleroffenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB  . 158 I. Die Regelung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Sonderfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

12 Inhaltsübersicht III. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Kapitel 8

Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht im Kontext der Selbstbelastungsfreiheit

177

A. Der Selbstbelastungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 III. Berufsrechtliche Konsequenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Selbstbelastungszwang  . . . 199 I. Aktive Preisgabe belastender Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Zwangselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Auslösung einer Verfolgungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 C. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Unterfall der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Vorliegen einer außerstrafrechtlichen Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . 202 II. Übertragung der Anforderungen des Gemeinschuldnerbeschlusses  . . . 203 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Kapitel 9

Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

208

A. Die Lehre von den Beweisverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Funktion der Beweisverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Begriff der Beweisverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 B. Einordnung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Beweisverwertungs- oder Beweisverwendungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Argumente gegen die Annahme eines Beweisverwendungsverbots . . . 217 II. Argumente für die Annahme eines Beweisverwendungsverbots . . . . . . 218 III. Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB . . . . . . . . . 223 I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Einbettung in den systematischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Die Reichweite des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Inhaltsübersicht13 Kapitel 10

Übertragung der Erkenntnisse auf die Fallgruppe der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten

252

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Schluss und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Problemaufriss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Gang der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Allgemeiner Teil



Kapitel 1



Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

28

A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Kanonisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Entwicklungen in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Entwicklungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Inquisitorisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Aufklärungsepoche und Reformdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Reichsstrafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4. Nationalsozialismus und Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Selbstbelastungsschutz im außerstrafprozessualen Bereich  . . . . . . . . . . 38 I. Ursprünglich ablehnende Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Abweichendes Verständnis im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Zivilrechtliches Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 IV. Ansicht der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 V. Wendepunkt – BVerfGE 56, 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 VI. Aktuelles Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Kapitel 2

Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

46

A. Einfache Gesetzesebene, StPO und StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Verbotene Vernehmungsmethoden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Belehrungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Aussageerpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

16 Inhaltsverzeichnis B. Völkerrecht, IPBPR und EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, Verfahrensfairness   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Art. 6 Abs. 2 EMRK, Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 C. Europäisches Primärrecht, Grundrechtecharta  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 D. Verfassungsrecht, Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Art. 1 Abs. 1 GG, Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Art. 4 Abs. 1 GG, Gewissensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Art. 2 Abs. 1 GG, Allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IV. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . 59 1. Allgemeine Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Spezielle Verankerung im Recht auf informationelle Selbstbestimmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Eigenständiges Recht auf Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 V. Art. 103 Abs. 1 GG, Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . 65 VI. Art. 20 Abs. 3 GG, Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Generelle Verankerung im Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Verankerung in einem Teilaspekt des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . 69 a) Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Recht auf Verfahrensfairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Allgemeine Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Ableitung aus der Verfahrensfairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Kapitel 3

Der Schutzgehalt im Strafverfahren

78

A. Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Preisgabe belastender Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Gegenstand der Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Form der Selbstbelastung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Zwangselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 III. Auslösung einer Verfolgungsgefahr  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 B. Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Subjektiver Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Objektiver Schutzbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis17 1. Aussagefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Prozessstellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Aussageinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Angaben zur Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 bb) Angaben zur Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Sonstige Auskunfts- und Mitwirkungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3. Heimliche Ermittlungen und Schutz vor Täuschung . . . . . . . . . . . . 89 a) BGHSt 34, 39 und BGHSt 40, 66 – „Stimmvergleich“  . . . . . . . 89 b) BGHSt 34, 362 – „Zellengenossen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) BGHSt 42, 139 Großer Senat – „Hörfalle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) EGMR – Allan vs. the United Kingdom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 e) BGHSt 52, 11 – „Mallorca-Fall“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 f) Weitere Entwicklung, kein genereller Schutz vor Täuschung . . . 94 g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 C. Rechtsfolgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Rechtswidrig erzwungene Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. Verletzung von Belehrungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Kapitel 4

Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

103

A. Ausgangspunkt – Der Gemeinschuldnerbeschluss, BVerfGE 56, 37 . . . 104 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Der Mehrheitsbeschluss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Kein Auskunftsverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Erfordernis eines Beweisverwertungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Das Sondervotum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B. Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 108 I. Der Begriff der Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Die Begründung der Ausstrahlungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Schutzwirkung im außerstrafprozessualen Bereich   . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Auskunftsverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Kombiniertes Offenbarungs- und Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . . 113 3. Beweisverwendungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

18 Inhaltsverzeichnis 5. Ermessensspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Kapitel 5

Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten

116

A. B. C. D.

Die steuerrechtliche Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Die insolvenzrechtliche Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Die vollstreckungsrechtliche Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Die arbeitsrechtliche Offenbarungspflicht bei internen Ermittlungen . 120 I. Arbeitsrechtliche Pflicht zur Selbstbelastung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Verwertbarkeit selbstbelastender Angaben?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Besonderer Teil 



Kapitel 6



Zivilrechtliche Grundlagen

128

A. Das Patientenrechtegesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Inhaltlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Der Behandlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Medizinische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Behandelnder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Patient  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 IV. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 C. Der Behandlungsfehler  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Behandlungsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Persönliche Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Fachlicher Standard, Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Ärztlicher Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Standard anderer Heilberufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Vereinbarter Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Qualitätsunterschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Abstrakte Typisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Konkrete Typisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Fehlerhafte Behandlungsvornahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Organisationsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Übernahmeverschulden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

Inhaltsverzeichnis19 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Kapitel 7

Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

150

A. Der bisherige Meinungsstand   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Die Fehleroffenbarungspflicht zur Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Die Fehleroffenbarungspflicht auf Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Recht zur Lüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Die allgemeine Fehleroffenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Fehleroffenbarungspflicht bei Rechtsanwälten und Steuerberatern . 155 2. Übertragung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Bedeutungslosigkeit seit dem Verjährungsanpassungsgesetz . . . . . . 157 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB  . 158 I. Die Regelung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Information über erkennbare Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Anknüpfungspunkt der Fehleroffenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Gefahrenabwehralternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Nachfragealternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Keine allgemeine Fehleroffenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Sonderfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Vereinbarkeit mit § 29 Abs. 4 MBO-Ä . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Vereinbarkeit mit versicherungsrechtlichen Bestimmungen . . . . . . . 165 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 III. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Fehlende Rechtsfolge und mangelnder Anreiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Gefahrenabwehralternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Nachfragealternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Gefahrenabwehralternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Nachfragealternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Schutzgehalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Fehlendes Regelungsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Fehlende Rechtsfolgen und mangelnder Anreiz . . . . . . . . . . . . . . . . 173 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

20 Inhaltsverzeichnis Kapitel 8

Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht im Kontext der Selbstbelastungsfreiheit

177

A. Der Selbstbelastungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 III. Berufsrechtliche Konsequenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Verfahren vor dem Berufsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Das berufsgerichtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Das berufsgerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Rüge und Missbilligung durch die Landesärztekammer . . . . . . . . . . 184 3. Widerruf bzw. Ruhen der Approbation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Unwürdigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Unzuverlässigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Verhältnis des Approbationsentzugs zum strafgerichtlichen Berufsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Disziplinarmaßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung . . . . . . . . 189 a) Das vetragsärztliche Disziplinarverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Disziplinarverfahren als Ahndung eines Behandlungsfehlers? . . 191 aa) Der Behandlungsfehler als eigenständige Vertragspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Der Behandlungsfehler im Zusammenhang mit spezifischen Vertragspflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5. Entzug der Kassenzulassung durch die Kassenärztliche Vereinigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Verfahren des Zulassungsentzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Zulassungsentzug bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers? . . . . 194 6. Wechselwirkung der Verfahren untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 7. Spezialfall – Sonstige Heilberufe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Selbstbelastungszwang  . . . 199 I. Aktive Preisgabe belastender Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Zwangselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Auslösung einer Verfolgungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 C. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Unterfall der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Vorliegen einer außerstrafrechtlichen Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . 202

Inhaltsverzeichnis21 II. Übertragung der Anforderungen des Gemeinschuldnerbeschlusses  . . . 203 1. Überwiegendes Interesse an der Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Nachfragealternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Vorliegen eines Schutzkorrektivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Kapitel 9

Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

208

A. Die Lehre von den Beweisverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Funktion der Beweisverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Begriff der Beweisverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Beweiserhebungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Ausdrückliche Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Grundrechtliche Beweisverwertungsverbote  . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Abgrenzung: Beweisverwendungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Reichweite Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Reichweite Beweisverwendungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 B. Einordnung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Beweisverwertungs- oder Beweisverwendungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Argumente gegen die Annahme eines Beweisverwendungsverbots . . . 217 II. Argumente für die Annahme eines Beweisverwendungsverbots . . . . . . 218 III. Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB . . . . . . . . . 223 I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Einbettung in den systematischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Die Reichweite des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Kernbereich: Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Frühwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Argumente für die Annahme einer Frühwirkung . . . . . . . . . 226 bb) Argumente gegen die Annahme einer Frühwirkung . . . . . . 226 c) Fernwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 aa) Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe? . . . . . . . . 228 bb) Verwertbarkeit von Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (1) Schriftliche Auskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (2) Vorlage bestehender Unterlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (3) Sonderfall: führungspflichtige Unterlagen  . . . . . . . . . . 231

22 Inhaltsverzeichnis d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Die Reichweite des § 393 Abs. 2 S. 1 AO   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Kernbereich: Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Fernwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Die Reichweite eines zwangsvollstreckungsrechtlichen Beweisverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. Die Reichweite eines Beweisverbots im Zusammenhang mit internen Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Die Reichweite des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Frühwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Rogall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Frister / Wostry . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Ruppert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Fernwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe . . . . . . . . . . . . . 243 b) Verwertbarkeit der Patientenakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Schelling / Warntjen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Jäger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 cc) Krüger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 dd) Spickhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Fortwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5. Analoge Anwendung auf berufsrechtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . 248 a) Unmittelbare Anwendbarkeit von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB . . . . . 248 b) Analoge Anwendbarkeit von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB . . . . . . . . 249 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Kapitel 10

Übertragung der Erkenntnisse auf die Fallgruppe der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten

252

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Schluss und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Einleitung Nemo tenetur se ipsum accusare – Niemand ist gehalten, sich selbst anzuklagen.

In einem fairen Strafverfahren ist das Recht des Beschuldigten, selbst darüber zu entscheiden, ob er an seiner Verurteilung mitwirkt oder nicht, elementares Gut. Das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von einem „selbstverständlich vorausgesetzten rechtsstaatlichen Grundsatz“1 und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vom „Herzstück des Verständnisses von einem fairen Verfahren“2. Die Selbstbelastungsfreiheit gilt damit als zentrales Beschuldigtenrecht. Ihre Wurzeln reichen weit zurück in die Anfänge des reformierten Strafprozesses; doch auch heute noch ist ihr Schutzgehalt mit erheblichen Unsicherheiten verbunden.3 So sind es zum einen die Entwicklungen innerhalb des Strafverfahrens, die mit Blick auf den Einsatz von Hörfallen und heimlichen Ermittlungsmaßnahmen Schwierigkeiten hervorrufen. Doch auch außerhalb des Strafverfahrens zeichnet sich eine Tendenz ab, die vermehrt Probleme aufwirft: Sowohl im Privatals auch im Öffentlichen Recht werden zunehmend Offenbarungspflichten normiert. Der Gesetzgeber trifft hier für die jeweilige Rechtsmaterie einen interessengerechten Ausgleich, indem er bestehende Informationsgefälle zum Schutz gewichtiger Güter angleicht. Die Offenbarungspflichten sind dabei umfassender Art, so dass auch belastende Informationen preiszugeben sind. Im außerstrafprozessualen Bereich zwingt der Gesetzgeber mithin zur Selbstbelastung, obwohl dem Betroffenen in einem anschließenden Strafverfahren ein Schweigerecht zusteht. Könnte die außerstrafprozessuale Selbstbelastung nun in das Strafverfahren eingeführt und dort gegen den Betroffenen verwendet werden, so würde seine Selbstbelastungsfreiheit erheblich beeinträchtigt. Eine solche Interessenkollision entspringt bereits dem Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrecht. Mit Normierung einer ärztlichen Fehler­ offenbarungspflicht in § 630c Abs. 2 S. 2 BGB zählt nunmehr auch der Behandlungsvertrag zum Problemkreis.

1  BVerfGE

38, 105, 113. ÖJZ 1996, 627, 628 – Murray vs. the United Kingdom. 3  So formulierte der BGH noch im Jahr 2007 zutreffend: „Über Inhalt und Reichweite des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Einzelnen besteht – zwischen Literatur und Rechtsprechung, aber auch innerhalb der Rechtsprechung – noch keine Einigkeit.“, BGHSt 52, 11, 17. 2  EGMR

24 Einleitung

I. Problemaufriss Am 26.02.2013 trat das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz – PatrRG) in Kraft.4 Das PatRG kodifiziert die Rechtsprechung zum Behandlungs- und Arzthaftungsrecht und verankert diese unter dem neuen Untertitel „Behandlungsvertrag“ in den §§ 630a ff. BGB. Ihm liegt das Ziel zugrunde, Transparenz und Rechtssicherheit zu schaffen, eine Fehlervermeidungskultur zu fördern sowie die Verfahrensrechte des Patienten zu stärken. Patient und Arzt sollen so auf Augenhöhe gebracht werden.5 Vor diesem Hintergrund treffen den Behandelnden weitreichende Informationspflichten. Gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB muss er nun auch über Behandlungsfehler aufklären; die Vorschrift wird als einzig wesentliche Innovation des PatRG eingeordnet.6 Während das Zivilrecht den Behandelnden so zur umfassenden Information zwingt, besteht aus strafrechtlicher Sicht die Gefahr einer Selbstbelastung. Denn im Falle eines Behandlungsfehlers kann eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 StGB oder fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB drohen. Darüber hinaus kommen auch berufsrechtliche Konsequenzen in Betracht; sie können bis hin zum Approbationsentzug reichen. Kurzum: Für den Behandelnden kann die Fehleroffenbarung verheerende Folgen haben, wenn sie in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangt. Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt erkannt und zu seiner Entschärfung in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ein Beweisverbot aufgenommen. Die Auskunft des Behandelnden darf weder im Straf- noch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zu Beweiszwecken verwendet werden. In der Diskussion um das PatRG hat die Vorschrift des § 630c Abs. 2 S. 2 und insbesondere S. 3 BGB am meisten Unmut hervorgerufen. Sie ist als „völlig verunglückt“7 eingestuft worden oder hat zumindest für „Kopfschütteln“8 oder Erstaunen9 gesorgt. Derweil mahnt die Praxis bereits „das Ende des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient“10 an; die Regelung leiste einer Misstrauenskultur Vorschub.11 Die Kritik richtet sich sowohl gegen die Fehleroffenbarungspflicht an sich als auch gegen das 4  Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013, BGBl. I, S. 277. 5  So insgesamt BT-Drucks. 17 / 10488, S. 1. 6  Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 60. 7  Katzenmeier, SGb 2012, 125, 128. 8  So Jaeger, in: Prütting, Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 13. 9  Vgl. Katzenmeier, MedR 2012, 576, 580; ders., NJW 2013, 817, 819. 10  Neelmeier, Deutsches Ärzteblatt 2012, 1866. 11  Vgl. die Gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 09.03.2012, S. 4, 13 f., abrufbar unter: http: /  / www.

Einleitung25

Beweisverbot des S. 3. Im Fokus steht hier die Frage, ob die Regelung ein Beweisverwertungs- oder ein Beweisverwendungsverbot enthält. Während Beweisverwertungsverbote ein zentraler Begriff im Strafverfahren sind, hat der Gesetzgeber Literatur wie Praxis mit der sporadischen Einführung von Beweisverwendungsverboten vor enorme Schwierigkeiten gestellt. So urteilte etwa Jahn anlässlich des 67. Deutschen Juristentages, ihre Dogmatik sei „den Kinderschuhen noch nicht entwachsen“.12 Auch rund neun Jahre später scheint sich dieser Eindruck bei flüchtigem Blick auf § 630c Abs. 2 S. 3 BGB zu bestätigen, denn unter den Befürwortern eines Verwendungsverbots verbleibt seine Reichweite weiterhin unklar.

II. Ziel der Arbeit Ziel der Arbeit ist es, die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht und das damit verbundene Beweisverbot einer eingehenden Analyse zu unterziehen, um so Thesen über Grund und Grenzen aufzustellen. Dazu müssen § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB in den Kontext der bestehenden Offenbarungspflichten eingebettet werden. Die im Rahmen der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht erzielten Ergebnisse sollen sodann wiederum für einen Rückschluss auf die Reichweite außerstrafprozessualer Beweisverbote fruchtbar gemacht werden. Mit der vorliegenden Arbeit soll so ein Beitrag zur Konturierung der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten und ihrer Beweisverbote geleistet werden.

III. Gang der Untersuchung Die Untersuchung gliedert sich in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil. Im Allgemeinen Teil werden zunächst Grundlagen gesetzt; hier steht die Selbstbelastungsfreiheit im Fokus. So liegt dem ersten Kapitel die historische Aufarbeitung zu Grunde. Von diesem Standpunkt aus geht das zweite Kapitel der Frage nach, worin die rechtliche Grundlage der Selbstbelastungsfreiheit zu sehen ist. Hierauf aufbauend wird die Schutzwirkung von nemo tenetur in strafprozessualer Hinsicht (drittes Kapitel) und im Sonderfall der Kollision mit außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten (viertes Kapitel) beleuchtet. In Kapitel fünf erfolgt eine Bestandsaufnahme der relevanten außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten, die schlussendlich zu einer Vergleichsgruppe zusammengefasst werden. bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / StellBAeK_KBVPatien tenrechtegesetz_09032012.pdf. Vgl. auch Katzenmeier, MedR 2012, 576, 580. 12  Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 32.

26 Einleitung

Aufbauend auf den so geschaffenen Grundlagen wird im Besonderen Teil der Arbeit das Augenmerk auf die Vorschrift des § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB gerichtet. Zu Beginn soll im sechsten Kapitel ein Überblick über den rechtlichen Rahmen des Behandlungsvertrags geschaffen werden. Hierzu wird das PatRG in Grundzügen umrissen und die Voraussetzungen von Behandlungsvertrag und Behandlungsfehler umschrieben. Kapitel sieben untersucht die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht. In diesem Zusammenhang wird erst der Diskussionsstand bis zu ihrer Einführung aufgezeigt, bevor sodann die Regelung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB analysiert wird. Im darauf folgenden Kapitel acht wird die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht in den Kontext der Selbstbelastungsfreiheit gesetzt, um zu überprüfen, inwiefern die Vorschrift mit dem nemo-tenetur-Grundsatz kollidiert. Daran anschließend widmet sich Kapitel neun dem Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB. Kapitel zehn überträgt die Erkenntnisse zu § 630c Abs. 2 S. 3 BGB wiederum auf die Fallgruppe der außerstrafprozessualen Offen­ barungspflichten und ihrer Beweisverbote. Zum Schluss der Arbeit werden die Ergebnisse in Thesen zusammengetragen.

Allgemeiner Teil  – Nemo tenetur im Verhältnis zu außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten – Nach dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare steht es dem Beschuldigten in erster Linie frei, ob er sich zu den erhobenen Vorwürfen äußert. Über das bloße Schweigerecht hinaus verbürgt die Garantie zudem Schutz auf vielfältige Weise: Sie gewährleistet allgemein die „Freiheit des Beschuldigten, selbst darüber zu befinden, ob er an der Aufklärung des Sachverhalts aktiv mitwirken will oder nicht“.1 In den letzten dreißig Jahren wurde die Schutzdimension der Selbstbelastungsfreiheit kontinuierlich ausgedehnt. Verrel spricht insofern von einem „regelrechte[n] Boom“2, Rogall kritisiert die „fast inflationäre Behandlung dieses Grundsatzes“3 und von Gerlach warnt vor „Überspitzungen“.4 Diese Tendenz ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass eine „Zehrdehnung“5 oder eine „der Zurückweisung bedürftigen Ausweitung“6 angemahnt wird. Obwohl vor diesem Hintergrund die inhaltliche Reichweite von nemo tenetur bereits mehrfach Anlass zur Untersuchung bot,7 ist eine vertiefte inhaltliche Aufarbeitung mit Blick auf die Zielsetzung vorliegender Arbeit auch hier unerlässlich. Demnach wird im Allgemeinen Teil zunächst die Historie in Grundzügen umrissen, woran sich die Aufarbeitung möglicher Rechtsgrundlagen sowie die Untersuchung der Schutzdimension anschließt. Hierbei wird das Augenmerk insbesondere auf den Sonderfall der Kollision mit außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten zu richten sein.

40, 66, 71; vgl. auch Roxin, NStZ 1995, 465, 466. Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 1; vgl. auch ders., NStZ 1997, 361, 364 ff. 3  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 130. 4  v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 142. 5  Lesch, ZStW 111 (1999), 624, 636, Fn. 59. 6  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 130. 7  Mitunter: Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997; Bosch, Aspekte des nemotenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten. Der nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht, 2006. 1  BGHSt 2  Verrel,

28

Kapitel 1

Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit Der Schutz vor Selbstbelastung ist originär im Strafverfahren verwurzelt. Die historische Aufarbeitung beginnt daher mit der Entstehung der Selbstbelastungsfreiheit in strafprozessualer Hinsicht. Anschließend wird die Genese der außerstrafprozessualen Wirkung in Augenschein genommen.

A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren Die Ursprünge von nemo tenetur lassen sich in der Rechtsgeschichte weit zurückverfolgen. An ihrem Anfang steht der Inquisitionsprozess, in welchem Geständnis und Folter maßgebliche Bedeutung zukamen.

I. Kanonisches Recht Der Inquisitionsprozess entspringt dem kanonischen Recht des Mittelalters. Neben den weltlichen Gerichten existierte mit dem päpstlichen Gesetzbuch ein zweiter Corpus Juris, dessen Regelungsmaterie auch das Strafrecht umfasste.8 Das frühe kanonische Recht war durch eine akkusatorische Ausrichtung geprägt, wobei der Beschuldigte keiner Wahrheitspflicht unterlag und auch Folter nicht herangezogen wurde.9 Erst unter Papst Innozenz III. wurde dem kirchengerichtlichen Richter das Einschreiten ohne Anklage ermöglicht und die Wahrheitspflicht als herrschende Doktrin eingeführt.10 Diese Entwicklung wurde im Zuge des IV. Laterankonzils im Jahr 1215 8  Dazu insgesamt Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 2009, § 6, Rn. 13; Biener, Beiträge zu der Geschichte des Inquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte, 1965, S.  16 ff. 9  Vgl. Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S. 1243; vgl. auch Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, S. 79; Kaufhold, Franciscus Pena und der Inquisitionsprozess, 2014, S. 119. 10  Zur Diskussion über Entstehung und Vorbilder des Inquisitionsverfahrens vgl. Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S. 1243; s. auch Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 131.



A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren29

durch die Einführung des Offizialeids verschärft.11 Dieser verpflichtete den Beschuldigten zum Wahrheitsschwur, noch bevor er den Anklagegrund kannte oder ihm die zu beantwortenden Fragen offen gelegt wurden.12 Im Jahr 1252 legalisierte Papst Innozenz IV. sodann Folter als Mittel zur Geständniserpressung.13 Das Geständnis war geeignet, Beweislücken zu schließen, die sich aus den hohen Anforderungen des Überführungsbeweises er­ gaben, denn eine Verurteilung erforderte alternativ zum Geständnis den Beweis durch zwei Zeugen.14 So rückten Geständnis und Folter zunehmend ins Zentrum des Inquisitionsprozesses. Die Stellung des Beschuldigten war hier allein auf die eines schlichten Untersuchungsobjekts beschränkt.15

II. Entwicklungen in England Die rechtshistorischen Wurzeln der Selbstbelastungsfreiheit liegen demgegenüber im englischen Rechtskreis. Im Jahr 1236 wurde in England vor den Kirchengerichten das Inquisitionsverfahren eingeführt.16 Die weltlichen Common Law Gerichte behielten hingegen ihre akkusatorische Ausrichtung und übernahmen weder Folter noch Offizialeid.17 Darüber hinaus entstanden zu Beginn des 15. Jahrhunderts königliche Sondergerichte, Star Chamber und Court of High Commission. Sie unterlagen allein der Krone, die dort den Inquisitionsprozess etablierte.18 So entstand in England ein getrenntes Verfahrenssystem: Akkusationsprozess einerseits und Inquisitionsprozess andererseits.19 Diese Zweispurigkeit der Justiz bedingte im 16. Jahrhundert 11  Vgl. Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S. 1244; vgl. zum Offizialeid Helmholz, Kanonisches Recht und europäi­ sche Rechtskultur, 2013, S. 169 ff. und zum IV. Laterankonzil Kaufhold, Fanciscus Pena und der Inquisitionsprozess, 2014, S. 121f. 12  Böse, GA 2002, 98, 109; Helmholz, Kanonisches Recht und europäische Rechtskultur, 2013, S. 170. 13  Vgl. Bulle Ad extirpanda vom 15.5.1252, abgedruckt bei Selge, Texte zur Inquisition, 1967, S. 77; dazu auch Kaufhold, Franciscus Pena und der Inquisitionsprozeß, 2014, S. 124. 14  Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S. 1244; vgl. auch Lesch, ZStW 111 (1999), 624, 627. 15  Schmidt, Deutsches Strafprozessrecht, 1967, Rn. 19; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 220; vgl. zur Entwicklung der Beschuldigtenrechte allgemein Luef-Kölbl, Der Beschuldigte: Vom Objekt zum Subjekt des Strafverfahrens, 2004. 16  Dazu Guradze, in: FS-Loewenstein, 1971, S. 151, 151 ff. 17  v. Gerlach, in: FS-Hanack, S. 117, 123. 18  Böse, GA 2002, 108 f.; v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 124; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 133. 19  Guradze, in: FS-Loewenstein, 1971, S. 151, 151 ff.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 133.

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Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

die Entwicklung einer Protestbewegung, an deren Ende sich allmählich der nemo tenetur Grundsatz ausformte:20 Zunächst weigerten sich vermehrt Beschuldigte vor den königlichen Sondergerichten den Offizialeid zu leisten und beriefen sich auf den christlichen Glauben mit dem Verbot des Schwurs (Mt. 5, 33) sowie das Naturrecht der Selbsterhaltung.21 So findet sich im Jahr 1532 der erste nachweisbare Widerstand, bei dem sich der Beschuldigte auf den Satz „nemo tenetur prodere seipsum“ berief.22 Seinen Höhepunkt erreichte der Protest im Jahr 1637 im Verfahren gegen den Beschuldigten John Lilburne wegen Hochverrats.23 Lilburne weigerte sich, den Offizialeid zu leisten, und berief sich darüber hinaus auf ein umfassendes Schweigerecht.24 Der Prozess entwickelte sich zu einer grundlegenden Auseinandersetzung zwischen Krone und Parlament, an dessen Ende im Jahr 1641 die Abschaffung der Sondergerichte stand.25 Ausschlaggebend waren mitunter die inquisitorischen Praktiken; das Urteil gegen Lilburne wurde als „illegal and against the liberty of the subject: and also bloody, cruel, barbarous, and tyrannical“ bezeichnet.26 Damit hatte der nemo tenetur Grundsatz – in Bezug auf den Offizialeid – Anerkennung gefunden.27 Mit den Spezialgerichten verschwand auch der Inquisitionsprozess aus England.28 Dies bedeutete jedoch noch nicht, dass die Selbstbelastungsfreiheit auch an den weltlichen Gerichten Anerkennung fand; hier blieb der Beschuldigte zunächst zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet.29 Sein 20  Böse, GA 2002, 98, 108 f.; Salditt, GA 1992, 51, 52; ausführlich hierzu Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 75 ff. Vgl. auch Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 52. 21  Böse, GA 2002, 98, 109; Guradze, in: FS-Loewenstein, 1971, S. 151, 156; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 77; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 134. 22  Guradze, in: FS-Loewenstein, 1971, S. 151, 153 m.  w. N.; vgl. hierzu auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 76. 23  Ausführlich v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 124 f.; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 79. 24  v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125; vgl. auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 79, der in Lilburne den Begründer des heutigen nemo-tenetur-Prinzips sieht. 25  v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 134; zur politischen Motivation der Abschaffung s. Böse, GA 2002, 98, 109 f. 26  Vgl. v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125. 27  v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125. 28  Böse, GA 2002, 98, 110. Auch vor den Kirchengerichten wurde der Inquisitionsprozess abgeschafft, vgl. v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125 mit Fn. 35. 29  Böse, GA 2002, 98, 111; v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125.



A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren31

Schweigerecht wurde vielmehr erst dadurch ermöglicht, dass ihm im Jahr 1836 ein Recht auf umfassende Verteidigung zugesprochen wurde.30 Dadurch, dass der Verteidiger nunmehr für den Beschuldigten das Wort führte, konnte dieser zum Verfahren schweigen.31

III. Entwicklungen in Deutschland Im Gegensatz zu den Entwicklungen in England gestaltete sich der Prozess hin zur Anerkennung der Selbstbelastungsfreiheit im deutschen Rechtsraum weitaus langwieriger.32 1. Inquisitorisches Verfahren Während im Frühmittelalter die Ahndung einer Missetat noch weitestgehend in den Händen des Verletzen oder seiner Angehörigen lag, bestimmte im Hoch- und Spätmittelalter der Inquisitionsprozess mit der amtlichen Verbrechensverfolgung und dem Grundsatz der materiellen Wahrheitserforschung das Strafverfahren.33 Im 14. Jahrhundert setzten dabei die Städte den maßgeblichen Impuls zur Einführung der Strafverfolgung von Amts wegen, was durch die Gottes- und Landfriedensbewegung mit ihrem Verlangen nach einer effektiven Verbrechensbekämpfung bekräftigt wurde.34 Die Durchsetzung des weltlichen Inquisitionsverfahrens im deutschen Rechtsraum wird als Rezeptionsergebnis der italienischen und der kirchlichen Rechtspflege gewertet.35 Dabei war der Inquisitionsprozess auch in Deutsch30  Böse, GA 2002, 98, 111 f.; v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125 f.; hingegen begründen frühere Untersuchungen die Entwicklung des Schweigerechts vor den Common Law Gerichten maßgeblich mit der Abschaffung des Offizialeides, vgl. Böse, GA 2002, 98, Fn. 111 m. w. N. und v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 127 mit Fn. 42. 31  Böse, GA 2002, 98, 111; v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 125  f.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 135. 32  Vgl. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 87, der die Geschichte von nemo tenetur in Deutschland als dürftig bezeichnet. 33  Zur privatrechtlichen Strafrechtsauffassung des Frühmittelalter und zur Entwicklung hin zum Inquisitionsprozess ausführlich: Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, 1989, S. 49 ff., 107 ff., insb. Fn. 166; vgl. auch Schmidt, Die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 48 ff. 34  Dazu His, Das Strafrecht des Mittelalters (Band I), 1964, § 2 f.; Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1947, S. 69 ff.; vgl. auch Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S. 1245. 35  Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S. 1245; a. A. bei Schmidt, Die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen,

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Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

land durch ein „fatales Interesse“36 am Geständnis geprägt, da es langwierige Ermittlungen zur Wahrheitsfindung ersparte.37 Denn alternativ zum Geständnis durfte eine Verurteilung nur auf Aussage von mindestens zwei Zeugen ergehen, was nur selten der Praxis entsprach.38 Zur Geständniserlangung wurde das Mittel der Folter herangezogen.39 Sie war der „unentbehrliche Begleiter“40 des Verfahrens. Die deutsche Strafrechtspflege erfolgte dabei zunächst noch uneinheitlich und war durch lokale Zersplitterungen gekennzeichnet.41 Überregionale Halsgerichtsordnungen entstanden erstmals seit dem 15. Jahrhundert.42 Doch auch sie vermochten den „willkürlichen, form- und gestaltlosen Inquisitionsprozess“43 nicht an konkrete Voraussetzungen zu binden.44 Es zeichnete sich jedoch eine Tendenz ab, die Eignung von Folter zur Wahrheitsfindung in Frage zu stellen. Denn mit Folter konnte letztlich jedes Geständnis, gleich ob wahr oder unwahr, erlangt werden.45 Soweit ersichtlich, wurde erstmals Ende des 14. Jahrhunderts der Gedanke von nemo

1945, S. 51 f. und ders., Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1947, S. 74 f., der eine selbstständige Entwicklung vermutet. 36  So v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 122. 37  Schmidt, Die Maximilianische Halsgerichtsordnung, 1949, S. 56; v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 122. 38  Lesch, ZStW 111 (1999), 624, 637 f.; vgl. dazu auch Kühl, JuS 1986, 115, 116 f. 39  Zur Foltereinführung und -anwendung umfassend: Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, S. 73 ff.; vgl. auch Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, S.  111 ff. 40  v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 122. 41  Zu den einzelnen Rechtsquellen vgl. die Auflistung bei Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band. I, S.  113 ff. 42  Beispielsweise die Maximilianische Halsgerichtsordnung (Tiroler Malefizordnung), abgedruckt bei Schmidt, Die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen, 1949. Vgl. im Übrigen die Auflistung bei Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1947, S. 84; Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, S. 191. 43  So Sellert, in: FS-Scupin, 1983, S. 161, 167, 170; ders. / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, S. 113; Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, S. 86. 44  Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, S. 192 f.; v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 98, 122; 45  So empfahlen auch die Maximilianische Halsgerichtsordnungen das erfolterte Geständnis dahingehend zu überprüfen, ob sich der Beschuldigte selbst oder andere wahrheitswidrig bezichtigt hatte, Schmidt, Die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen, 1945, S. 76 f. Vgl. auch Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1947, S. 77 ff.



A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren33

tenetur herangezogen;46 hier berief sich ein Angeklagter auf „das heilige Recht, das niemand zu einem Bekenntnis zwingt“.47 Im Jahr 1532 stellte die Constitutio Criminalis Carolina erstmals feste Regeln zur Anwendbarkeit der Folter auf und machte sie vom Vorliegen bestimmter Indizien abhängig.48 Obwohl diese Eingrenzung als klarer Fortschritt zu werten ist,49 änderte aber auch die Constitutio Criminalis Carolina am (Selbst-)Verständnis der Geständniserzwingung nichts.50 Im Gegensatz zu den Entwicklungen in England bestimmten so Folter und Geständniserpressung im deutschen Strafprozess rund 200 Jahre länger das Geschehen.51 2. Aufklärungsepoche und Reformdiskussion Erst das Zeitalter der Aufklärung bewirkte einen Umbruch.52 Der Inquisitionsprozess geriet zunehmend unter Druck; sein Beweisrecht wurde als unzweckmäßig erachtet.53 Die Gegner der Folter kritisierten dabei nicht zwangsläufig ihre Unmenschlichkeit, sondern insbesondere auch ihre fehlende Eignung zur Wahrheitsfindung.54 Im Zuge der Aufklärungsbewegung erfolgte allmählich die Abkehr von Inquisitionsprozess und Folter.55 Trotzdem war

46  v. Gerlach,

in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 122 f. aus der Blume des Sachsenspiegels; abgedruckt bei Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, S. 186 und v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 122 f.; vgl. auch Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 138 mit Fn. 80. 48  Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, 208 f. mit Abdruck der relevanten Vorschriften, S. 232 ff.; Laufs, Rechtsentwicklung in Deutschland, S. 142. 49  So würdigt Laufs Schwarzenbergers Werk als „große Tat, die Folter in enge Grenzen eingeschlossen zu haben“, Laufs, Rechtsentwicklung in Deutschland, S. 142. 50  Vgl. v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 98, 123. 51  v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 127. 52  Vgl. dazu insgesamt Cattaneo, Aufklärung und Strafrecht, 1981, S. 49 ff. 53  Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S. 1246. 54  Vgl. Schulz, in: Bemmann / Zwiehoff, S. 310 ff.; Lesch, ZStW 111 (1999), 624, 628 f., vgl. auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 89. 55  Erstmals wurde Folter in Preußen durch Friedrich den Großen aufgegeben. Mit Erlass der Kabinettsordnung vom 3. Juni 1740 war sie dort nur noch in Ausnahmefällen zulässig und durfte ab 1754 schlussendlich gar nicht mehr angewendet werden, dazu Schulz, ebd., S. 319; Cattaneo, 1981, S. 50, welcher Friedrich II. als „einer der bedeutendsten ‚aufgeklärten‘ Herrscher Deutschlands“ bezeichnet, S. 227 und 236; vgl. auch Kleinheisterkamp, 2010, S. 141 mit Fn. 105. 47  Überliefert

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Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

der Beschuldigte auch weiterhin zur Wahrheit verpflichtet.56 Da sich diese Pflicht aber ohne Durchsetzungs- beziehungsweise Drohmittel kaum durchsetzen ließ, wurden – quasi als Foltersurrogate – Ungehorsams- und Lügenstrafen eingeführt.57 Trotz Abschaffung der Folter war man mithin zu diesem Zeitpunkt von einer Selbstbelastungsfreiheit noch weit entfernt.58 Mit der ausgelösten Bewusstseinsänderung empfand man den Inquisitionsprozess aber zunehmend als eine „untragbare Einrichtung“59. Der geheime Inquisitionsprozess als Charakteristikum des absoluten Herrschaftsstaats erschien als Bedrohung der bürgerlichen Freiheit.60 Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in England61 und unter Bezugnahme auf Napoléon Bonapartes code d’instruction criminelle62 entstand die Forderung nach Einführung eines reformierten Strafverfahrens nach französischem Vorbild.63 Die Wende trat im Revolutionsjahr 1848 ein, in welchem der Inquisitionsprozess durch den Akkussationsprozess abgelöst wurde (Abschnitt VI, Art. X, § 179 der Paulskirchenverfassung64).65 Der Ankläger hatte nunmehr den Tatvorwurf losgelöst von Zwang zu beweisen und der Beschuldigte war fortan zu keiner Antwort verpflichtet.66 Die strenge Wahrheitspflicht ver56  So schrieb beispielsweise § 263 PrCrimO vor: „Der Beschuldigte ist verbunden, die Fragen des Richters deutlich, bestimmt und vollständig zu beantworten.“; abgedruckt in Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band I, S. 504; vgl. auch Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 141. 57  Rieß, JA 1980, 293, 293; Stürner, NJW 1981, 1757, 1757; Lesch, ZStW 111 (1999), 624, 629 f.; Matt, GA 2006, 323, 324; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 90; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 229 mit Fn. 71; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 142. 58  v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 130; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 231. 59  So Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1949, S. 295. 60  Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1949, S. 295. 61  Kritisch zum Rezeptionsgedanke aber Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S.  245 f. m. w. N. 62  Dazu Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1949, S. 295 ff.; siehe auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 91. 63  Vgl. Cordes et al., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Inquisitionsprozess, S.  1246 f.; Dingeldey, JA 1984, 407, 408; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 143; vgl. auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 233 f. 64  Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849, RGBl. 1849, 101 ff. 65  Vgl. Salditt, GA 1992, 51, 51; Dingeldey, JA 1984, 407, 408; zum deutschen Verständnis des Anklageprozesses ausführlich Böse, GA 2002, 98, 115  ff. und v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117; 130 ff. 66  Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band II, S. 29; v. Gerlach, in: FS-Hanack, 1999, S. 117, 130.



A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren35

blasste zur moralischen Pflicht, deren Verletzung keine Sanktion mehr zeitigte.67 Die Paulskirchenverfassung konnte sich zwar gegen ihren Widerstand nicht durchsetzen und scheiterte.68 Dennoch markiert sie den Übergang zum Anklageprozess, in dem der Beschuldigte zum Prozesssubjekt aufgewertet wurde. So lagen auch den nach 1848 erlassenen partikularrechtlichen Strafprozessordnungen die Grundprinzipien des reformierten Strafprozesses zu Grunde.69 3. Reichsstrafprozessordnung Die Folgezeit war vom Bestreben nach Einführung eines einheitlichen (Verfahrens-)Rechts gekennzeichnet.70 Mit Gründung des Kaiserreichs im Jahr 1871 wurde die verfassungsrechtliche Grundlage dafür geschaffen.71 Am 1. Oktober 1879 trat schließlich die Reichsstrafprozessordnung in Kraft, welche die Grundstruktur des reformierten Strafprozesses kodifizierte und das endgültige Ende des Inquisitionsprozesses markiert.72 Die Selbstbelastungsfreiheit erscheint hierbei mittlerweile „wie selbstverständlich und beinahe unbemerkt akzeptiert“73; sie war bereits anerkanntes Allgemeingut und wurde von der Reichsstrafprozessordnung schlichtweg vorausgesetzt.74 Lediglich in den Gesetzgebungsmaterialien kommt zum Ausdruck, dass der Reichsstrafprozessordnung das Verständnis der Beschuldigtenaussage als freiwillig dargebotenes Untersuchungsmittel zu Grunde liegt.75 Vom Beschuldigten dürfe daher nicht gefordert werden, gegen seinen Willen zur eigenen Überführung beizutragen.76 Eine Belehrungspflicht wurde ausdrücklich nicht aufgenommen, um so den Eindruck zu verhindern, dass man von der „sittlichen Wahrheitspflicht“77 Abstand nehme. Im Gesetzestext selbst 67  Dingeldey,

JA 1984, 407, 408. Frotscher / Pieroth, Verfassungsrecht, 2016, S. 345 ff. 69  Schmidt, Strafprozessrecht, Rn. 29; dazu auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 244 70  Rieß, in: Löwe / Rosenberg, 25. Auflage, Einl. Abschn.  E, Rn. 5. 71  Dazu Rieß, in: Löwe / Rosenberg, 25. Auflage, Einl. Abschn. E, Rn. 5; vgl. auch Schäfer, Strafprozessrecht, 1976, Einl. Kap. 2, Rn. 1. 72  Strafprozessordnung vom 01. Februar 1877, RGBl. 1877, S. 253 ff.; vgl. Rieß, in: Löwe / Rosenberg, Einl. Abschn. E, Rn. 1. 73  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 243. 74  Dingeldey, JA 1984, 407, 408; Salditt, GA 1992, 51, 51. 75  Vgl. Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, S. 139. 76  Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, S. 139. 77  Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, S. 139; vgl. Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 247; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 146; Dingeldey, JA 1984, 407, 408 mit Fn. 14. 68  Dazu

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Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

ist die Selbstbelastungsfreiheit derweil nur indirekt in § 136 RStPO verankert worden.78 Unter der Reichsstrafprozessordnung wurde die Selbstbelastungsfreiheit zunächst weiterhin als schlichtes Schweigerecht interpretiert. Erst im weiteren Verlauf wurde das Freiheitsverständnis sodann auch auf nonverbale Handlungen erweitert. Dies lässt sich anhand der Editionspflicht gem. § 95 RStPO belegen:79 „Wer einen Gegenstand der vorbezeichneten Art in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, ihn auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern. Er kann im Falle der Weigerung durch die in § 70 bestimmten Zwangsmittel hierzu angehalten werden. Gegen Personen, welche zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, finden diese Zwangsmittel keine Anwendung.“

Damit waren zeugnisverweigerungsberechtigte Personen vom Herausgabegebot ausgenommen; nicht hingegen der Beschuldigte selbst. Der Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes erstreckte sich damit zunächst nicht auf nonverbale Belastungen im Sinne von § 95 RStPO.80 Erst später wurde der Beschuldigte den Zeugnisverweigerungsberechtigten im Wege der Analogie gleichgesetzt.81 Diese Entwicklung ist vermutlich auch dem zunehmenden Rückgriff der Ermittlungsbehörden auf sachliche Beweismittel geschuldet.82 Zur Begründung heißt es etwa bei Schmidt: „Es wäre völlig ungereimt, dem Beschuldigten, der zu keiner Aussage, geschweige denn zu einer belastenden Aussage, verpflichtet ist, eine Pflicht aufzuerlegen, die durch eine Herausgabe von belastendem Material zu erfüllen wäre. Mag ihn wie jeden eine Pflicht, Beschlagnahme zu dulden (pati), treffen; eine Pflicht, zur eigenen Überführung tätig zu werden (facere), wäre eine Unmöglichkeit.“83

So verschob sich das Verständnis der Selbstbelastungsfreiheit allmählich von Aussagefreiheit hin zur generellen Freiheit vor aktiven Belastungen.84 78  Dieser lautet: „(1) Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche strafbare Handlung ihm zur Last gelegt wird. Der Beschuldigte ist zu befragen, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle. (2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit zur Beseitigung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe und zur Geltendmachung der zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geben.“ 79  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 251. 80  Vgl. Doerr, Strafprozessordnung nebst Gerichtsverfassungsgesetz, 1924, S. 78; Schäfer / Hartung, Strafrecht und Strafprozeß (Teil II), 1924, S. 192. 81  Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, 1957, § 95, Rn. 1; Schäfer, in: Löwe / Rosenberg, StPO, 24. Auflage, § 95, Rn. 5. Zuvor schon Rosenfeld, Der Reichsstrafprozeß, 1912, S. 182. 82  So Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 251. 83  Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, 1957, § 95, Rn. 1. 84  Vgl. Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 251.



A. Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren37

Speziell für den Bereich der außerprozessualen Mitteilungspflichten wurde eine verfahrensübergreifende Schutzwirkung des nemo tenetur Grundsatzes aber noch abgelehnt.85 4. Nationalsozialismus und Nachkriegszeit Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurde ein rigoroses Strafrecht etabliert, welchem eine totalitäre Staatsauffassung zu Grunde lag.86 Auf Seiten des Strafverfahrensrechts führte dies dazu, dass die schützende Justizförmigkeit des prozessualen Vorgehens gelockert wurde.87 Die Aussage- und Mitwirkungsfreiheit blieb zwar offiziell unangetastet.88 Dem stehen jedoch die inoffiziellen Entwicklungen im geheimpolizeilichen Verhöralltag entgegen, wo die Folter in Form der verschärften Vernehmung wieder auflebte.89 In die Gerichtsakten wurde dieses Vorgehen nicht aufgenommen; offiziell hatte Folter nie stattgefunden.90 Heimlichkeit der Folter einerseits und die offizielle Aufrechterhaltung der Selbstbelastungsfreiheit andererseits legen dabei den Schluss nahe, dass sich „der nemo-tenetur-Satz bereits so weit konsolidiert [hat], dass man seinen Kernbereich nicht ohne Akzeptanzverluste (beim Publikum wie beim Strafverfolgungsstab) beseitigen konnte.“91 Nach Kriegsende kam der RStPO im Wesentlichen durch Art. 123 Abs. 1 GG weiterhin Geltung zu. Im Lichte des Art. 1 Abs. 1 GG wurden im Zuge des Reichsvereinheitlichungsgesetzes92 die Beschuldigtenrechte 85  RGSt 60, 290, 290  ff.; vgl. auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 253. Vgl. dazu unten S. 38 ff. 86  Zum Strafrecht und zur Strafjustiz im Dritten Reich umfassend Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band II, S.  231 ff. und Schäfer, Strafprozessrecht, Einl. Kap. 3 Rn. 21 ff.; vgl. Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 254. 87  Sellert / Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Band II, S. 239; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 254 f. 88  So lautet Nr. 70 der Richtlinie für das Strafverfahren vom 13. April 1935: „(1) Der Beschuldigte kann nicht gezwungen werden, überhaupt auszusagen. Ebenso ist es unzulässig, bei seiner Vernehmung unlautere Mittel […] zu Anwendung zu bringen“; abgedruckt in: Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze, Nr. 12, 501. 89  Dazu ausführlich Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1949, S. 408 f.; vgl. auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 256; Niese, ZStW 63 (1951), 199, 220. 90  Schmidt, Einführung in die deutsche Strafrechtspflege, 1949, S. 409. 91  So Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 257. 92  Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.09.1950, BGBl. I, S. 455.

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Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

ausgebaut, um so der Menschenwürde Rechnung zu tragen.93 Auf Seiten der Selbstbelastungsfreiheit wurde dabei als entschiedene Stellungnahme gegen die Gestapo-Folter § 136a StPO eingeführt.94 Im Jahr 1964 wurde § 136 StPO schließlich um eine Belehrungspflicht ergänzt.95

IV. Zwischenergebnis Die Selbstbelastungsfreiheit ist aus der bewussten Abkehr vom Inquisitionsprozess entstanden. In England steht sie in untrennbarem Zusammenhang mit Anerkennung des Rechts auf Verteidigung; der Beschuldigte ist hier gänzlich von der Vernehmung ausgeschlossen. Im deutschen Rechtsraum wurden demgegenüber erfolterte Geständnisse im Lichte der Aufklärung zunehmend als unzureichend zur Wahrheitsfindung empfunden. Mit Einführung des reformierten Strafverfahrens und dem damit verbundenen Ausbau der Beschuldigtenrechte hat die Selbstbelastungsfreiheit schließlich als tragende Verfahrenssäule Anerkennung gefunden. Sie schützt traditionell vor aktivem Selbstbelastungszwang im Strafverfahren.

B. Selbstbelastungsschutz im außerstrafprozessualen Bereich Während die Strafprozessordnung die Selbstbelastungsfreiheit schon früh als selbstverständlich schützenswertes Gut zum Ausdruck brachte, führte der Gesetzgeber außerhalb des Strafprozessrechts Regelungen ein, deren Selbstbelastungstendenz zunächst unbemerkt blieb. Auswirkungen in den außerstrafprozessualen Bereich wurden der Selbstbelastungsfreiheit zunächst nicht zugesprochen.

I. Ursprünglich ablehnende Haltung Die ursprünglich ablehnende Haltung einer übergreifenden Wirkung von nemo tenetur lässt sich besonders anhand einer Entscheidung des RG aus 93  Vgl. Schäfer, Strafprozessrecht, Einl. Kap. 3, Rn. 52; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 147; vgl. zu den inhaltlichen Neuerungen auch Rieß, in: Löwe / Rosenberg, Einl. Abschn.  E, Rn. 87. 94  Schmidt, Deutsches Strafprozessrecht, Rn. 75; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 257 m. w. N. in Fn. 203. 95  Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19.12.1964, BGBl. I, S. 1074; vgl. zum Gesetz näher Schäfer, Strafprozessrecht, Einl. Kap. 3, Rn. 61 ff.



B. Selbstbelastungsschutz im außerstrafprozessualen Bereich 39

dem Jahr 1926 verdeutlichen, bei der dem RG die Frage nach der Reichweite einer verwaltungsrechtlichen Auskunftspflicht vorlag.96 § 1 der Verordnung über Auskunftspflichten vom 13.07.1923 berechtigte bestimmte Stellen, jederzeit Auskunft über wirtschaftliche Verhältnisse, insbesondere über Preise, zu verlangen. Gleichzeitig wurde die vorsätzliche Auskunftsverweigerung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 mit Strafe bedroht. Im Hinblick auf die Selbstbelastungsfreiheit stellte das RG schlicht fest: „In der vorliegenden Verordnung ist ein Auskunftsverweigerungsrecht des Befragten wegen Gefahr der strafgerichtlichen Verfolgung nicht vorgesehen. Es besteht daher auch nicht.“97 Gegen die Rechtmäßigkeit einer solchen Bestimmung erhob das RG keinerlei Bedenken: Zwar gehe die Strafprozessordnung vom Recht auf Selbstbelastungsfreiheit aus; indes sei es „nicht angängig, den erwähnten Grundsatz des Strafprozeßrechts dahin zu verallgemeinern, daß eine Verordnung der Rechtsgültigkeit entbehre, wenn sie außerhalb des Strafverfahrens bestimmten Personen unter Strafandrohung eine uneingeschränkte Auskunftspflicht […] auf­erlege“98. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung, die das RG den Auskunftspflichten allgemein beimisst: Sie sollen nicht zur Selbstbezichtigung nötigen; das Bewusstsein um die spätere Auskunftspflicht soll vielmehr bereits von der Begehung strafbarer Handlungen abhalten.99 Dabei geht das RG insgesamt von folgender Prämisse aus: „Erst nach Einleitung eines Strafverfahrens erwächst dem zur Auskunft Verpflichteten das Recht, als Beschuldigter unter Berufung auf die StPO jede Auskunft abzulehnen.“100 Damit erteilte das RG einer außerstrafprozessualen Wirkung der Selbstbelastungsfreiheit eine deutliche Absage.

II. Abweichendes Verständnis im Verwaltungsrecht In der Folgezeit legte der Gesetzgeber neueren Regelungen des besonderen Verwaltungsrechts sporadisch ein abweichendes Verständnis zu Grunde. So führte er vereinzelt Auskunftsverweigerungsrechte dort ein, wo umfassende Offenbarungspflichten implementiert wurden.101 Dabei wurde erstmals 96  RGSt 60, 290; vgl. auch Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S.  151 f. 97  RGSt 60, 290, 292. 98  RGSt 60, 290, 292. 99  RGSt 60, 290, 292. 100  RGSt 60, 290, 292. 101  So etwa in § 46 Abs. 5 GWB vom 27.07.1957, BGBl. I, 1957, S. 1091; § 58 Abs. 2 Weingesetz vom 14.07.1971, BGBl. I, 1971, S. 893, S. 913; § 46 Abs. 1 Waffengesetz vom 08.03.1976, BGBl. I, 1976, S. 449. Vgl. hierzu auch den Hinweis bei BVerfG 56, 37, 46; sowie ferner Stürner, NJW 1981, 1757, 1761.

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Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

ersichtlich in § 46 Abs. 5 GWB in der Fassung vom 27.07.1957 ein Auskunftsverweigerungsrecht für selbstbelastende Angaben aufgenommen.102 Bei der Gesetzgebung schien diese Neuerung „aus rechtsstaatlichen Gründen unentbehrlich zu sein, da es beinahe ein naturrechtliches Prinzip ist, daß niemand verpflichtet werden kann, sich selbst zu belasten“103. Es handelte sich hierbei jedoch nicht um eine durchgängige Linie; beispielsweise enthielt § 18 Abs. 3 Getreidegesetz in der Fassung vom 03.08.1977 einen solchen Schutzmechanismus nicht.104 Demgegenüber wurde im allgemeinen Verwaltungsrecht von einer Pflicht zur Mitwirkung abgesehen; stattdessen wurde § 26 Abs. 2 VwVfG als SollVorschrift ausgeformt.105 Zur Begründung führte der Gesetzgeber hier an, es wäre von einem allgemeinen Zwang zur Mitwirkung abzusehen, da der Beteiligte nicht zur Aufklärung von Umständen gezwungen werden sollte, die „seine Stellung im Verwaltungsverfahren verschlechtern oder ihn in sonstiger Weise belasten würden“106. Im Steuerrecht wählte der Gesetzgeber wiederum einen anderen Weg. Hier ergänzte er die Offenbarungspflicht um ein strafrechtliches Verwertungsverbot, um so „rechtsstaatlichen Grundsätzen“107 zu entsprechen. Obwohl sich somit im Verwaltungsrecht erste Anzeichen eines weitergehenden Verständnisses von Selbstbelastungsfreiheit abzeichneten, konnte letztendlich auch hier zunächst kein einheitlicher Durchbruch erzielt werden.

III. Zivilrechtliches Verständnis Der BGH beschränkte die Wirkung der Selbstbelastungsfreiheit lange Zeit allein auf das Strafverfahren. Im Jahr 1964 etwa wurde ein Architekt dazu verurteilt, die Vollständigkeit einer Auskunft gegenüber seinem Auftraggeber an Eides statt zu versichern.108 Dabei stand der Architekt vor dem Dilemma, entweder eine falsche Versicherung an Eides Statt abzuliefern oder seinem Auftraggeber gegenüber eine strafbare Untreue offenzulegen. Der Senat stellte dabei fest, es sei „kein übergeordneter Rechtssatz anzuerken102  So der Antrag des Ausschusses für Wirtschaftspolitik, BT-Drucks. 2 / 3644, S. 33 ff. zu § 38; vgl. insofern auch den Hinweis bei BVerfG 56, 37, 46. 103  Vgl. insofern das Plenarprotokoll, BT-Drucks. 2 / 222, S. 13212 zu § 38. 104  Neufassung des Getreidegesetzes vom 03.08.1977, BGBl. I, 1977, S. 1526. 105  Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25.05.1976, BGBl. I, 1976, S. 1260; vgl. auch den Hinweis bei BVerfGE 56, 37, 46. 106  Vgl. Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, BT-Drucks. 7 / 910, S. 50. 107  Vgl. Entwurf eines AOStrafÄndG, BT-Drucks. 5 / 1812, S. 32. 108  BGHZ 41, 318; vgl. auch Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S. 150.



B. Selbstbelastungsschutz im außerstrafprozessualen Bereich 41

nen, der es verbiete, von einem Schuldner Auskünfte oder deren eidliche Bekräftigung zu verlangen, wenn er sich dadurch einer strafbaren Handlung bezichtigen müsse“109. Vielmehr betonte er: „Wer ein fremdes Rechtsgut verletzt, hat grundsätzlich dafür einzustehen und für die Wiedergutmachung zu sorgen. Ist dies nicht anders möglich, als dadurch, daß der Schädiger dabei eine eigene strafbare Handlung bekennt, so hat er dies auf sich zu nehmen, soweit ihm das Gesetz nicht ausdrücklich davon freistellt.“110

IV. Ansicht der Wissenschaft Auch in der Wissenschaft führte die verfahrensübergreifende Wirkung der Selbstbelastungsfreiheit ein stiefmütterliches Dasein, obwohl der Gedanke einer solchen Wirkung bereits im Jahr 1951 Anklang fand. So betonte Niese, dass „kein Mensch – weder von Polizei noch überhaupt vom Staate – zu einer Selbstbezichtigung gezwungen werden darf“111. Dies gelte nicht nur für den Beschuldigten, sondern für jedermann.112 Niese schlug zudem die Brücke zum Zivilrecht; es sei mit dem fundamentalen Rechtssatz der Selbstbelastungsfreiheit nicht vereinbar, dass mit § 372a ZPO eine Pflicht zur Selbstbelastung eingeführt worden war.113 Rogall stellte fest, dass nemo tenetur nicht nur den Beschuldigten und den Zeugen schütze, sondern dass jeder, der gesetzlich zu einer Auskunft verpflichtet ist, sich auf den Schutz berufen könne.114 Auch Günther hob im Jahr 1978 hervor: „Der Konflikt zwischen Geheimhaltungsinteresse des Bürgers und den Aufklärungsinteressen des Staates ist nicht auf den Bereich des Straf- und Bußgeldverfahrens beschränkt, sondern tritt auch in anderen Rechtsgebieten auf.“115

Damit trat aber die Frage der Ausstrahlungswirkung von nemo tenetur auf Seiten der Wissenschaft allenfalls am Rande in Erscheinung.

109  BGHZ

41, 318, 323. 41, 318, 327. 111  Niese, ZStW 63 (1951), 199, 220. 112  Niese, ZStW 63 (1951), 199, 220. 113  § 372a ZPO in der Fassung vom 17.06.1947 bestimmte nach Kriegsende für die britische Besatzungszone, dass für den Abstammungsbeweis jede Person erbbiologische Eingriffe und Untersuchungen auch dann zu dulden hat, wenn sie sich oder einen Angehörigen dadurch der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung aussetzt; vgl. hierzu Niese, ZStW 63 (1951), 199, 221. Im Zuge des Vereinheitlichungsgesetzes vom 12.09.1950 wurde § 372a ZPO dahingehend geändert, dass eine solche Duldungspflicht nur besteht, sofern sie zumutbar ist, vgl. BGBl. I, 1950, S. 472. 114  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 150. 115  Günther, GA 1978, S. 193, 203. 110  BGHZ

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Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

V. Wendepunkt – BVerfGE 56, 37 Dies sollte sich im Jahr 1981 mit einer Entscheidung des BVerfG ändern. Auslöser dieser Wende war die als Gemeinschuldnerbeschluss bekannt gewordene Entscheidung aus dem Bereich des Konkursrechts.116 Im zu Grunde liegenden Fall weigerte sich der Gemeinschuldner, seiner Auskunftspflicht gem. § 100 Konkursordnung (KO) zu entsprechen, da er sich durch die Aussage möglicherweise einer strafbaren Handlung bezichtige. Das Konkursgericht ordnete daraufhin Beugehaft gem. §§ 75, 101 Abs. 2 KO zur Erzwingung der Aussage an. Das BVerfG kam zu dem Schluss, dass das Schweigerecht des nemo-tenetur-Grundsatzes leerlaufen würde, wenn eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbelastung gegen den Beschuldigten verwendet werden dürfte.117 Die Aussagepflicht gem. § 100 KO sei daher nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot ergänzt würde.118 Anlässlich dieser Entwicklung stellte die Wissenschaft zunächst verwundert fest, dass die Frage des Verhältnisses von nemo tenetur und außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten „kaum geklärt“119 sei. Die Entscheidung des BVerfG weckte damit auch über die Grenzen des Konkursrechts hinaus das Bedürfnis nach Übertragung der Erkenntnisse auf andere Konstellationen.120 So rückte die Thematik in der Folgezeit in Rechtsprechung wie Wissenschaft verstärkt ins Bewusstsein.121 Der Gemeinschuldnerbeschluss hatte damit einen einschneidenden und nachhaltigen Einfluss auf die Diskussion um den nemo-tenetur-Grundsatz.122

116  BVerfGE

56, 37; vgl. hierzu ausführlich S. 104 ff. 56, 37, 51. 118  BVerfGE 56, 37, 50. 119  So Dingeldey, NStZ 1984, 529, 529. 120  Mit der Frage nach Übertragbarkeit der Erkenntnisse des Gemeinschuldnerbeschlusses beschäftigten sich zeitnah etwa Stürner, NJW 1981, 1757; Reiß, NJW 1982, 2540; Dingeldey, NStZ 1984, 529. 121  So ist schon allein die Vielzahl der Monografien, die sich diesem Bereich annehmen, beachtlich. Vgl. mitunter: Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, insbesondere S. 149 ff.; Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 30 ff.; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, insbesondere S. 99 ff.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, insbesondere S. 353 ff. 122  Verrel, NStZ 1997, 361, 361; vgl. auch ders., Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 2. 117  BVerfGE



B. Selbstbelastungsschutz im außerstrafprozessualen Bereich 43

VI. Aktuelles Verständnis Nunmehr hat sich die Diskussion im außerstrafprozessualen Bereich zu zwei eigenständigen Problemfeldern verdichtet: So existieren wie im Fall des Konkursrechts zahlreiche Vorschriften des Öffentlichen Rechts oder des Privatrechts, die umfassende Informationspflichten enthalten.123 Hierbei wird der Betroffene auch zur Offenlegung strafrechtlich relevanter Informationen angehalten. In diesem vorprozessualen Stadium fehlt es zwar an einer staatlichen Beteiligung der Ermittlungsbehörden; es besteht jedoch die Gefahr eines Datentransfers in das Strafverfahren hinein. Die ursprünglich außerstrafprozessuale Äußerung droht so zum maßgeblichen Überführungsbeweis im Strafprozess umzuschlagen. Hiervon abzugrenzen ist die Kollision der Selbstbelastungsfreiheit im materiellen Strafrecht.124 Hier ist eine Verkürzung des Freiheitsgehalts von nemo tenetur auf vielfältige Weise denkbar.125 So beispielsweise im Strafzumessungsbereich, wenn etwa postdeliktische Geheimhaltungsakte über § 46 Abs. 2 StGB in einer erhöhten Sanktion resultieren.126 Auf Ebene des Tatbestandes ist als Paradebeispiel ferner die Vorstellungs- und Meldepflichten des § 142 Abs. 1, Abs. 2 StGB zu nennen, wonach die Nichtoffenlegung der eigenen Unfallbeteiligung unter Strafe steht.127 Tatbestandlich wird der Freiheitsgehalt allgemein dort verkürzt, wo im unmittelbaren Nachtatgeschehen der Täter einer finalen Hilfeleistungs- oder Erfolgsabwendungspflicht unterliegt.128 Mit Anerkennung dieser beiden Fallgruppen hat sich die Selbstbelastungsfreiheit von einer ursprünglich rein strafprozessualen Erscheinung zu einem Grundsatz mit übergreifender Wirkung entwickelt.

123  Vgl. beispielsweise § 393 Abs. 2 S. 2 AO; § 97 Abs. 1 S. 1 InsO; § 44 Abs. 1 S. 1 KWG; § 39 Abs. 1 WaffG; § 15 Abs. 1 BLeistG; § 16 Abs. 2 S. 3 IfSG; § 44 Abs. 2 AWG; § 630c Abs. 2 S. 2 BGB; § 802c Abs. 1 ZPO. 124  Hierzu eingehend die Untersuchung von Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten. Der nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht, 2006. 125  Ausführliche Bestandsaufnahme bei Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, Kapitel 9, S. 323 ff. 126  Hierzu Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 340 ff. 127  Hierzu bereits Günther, GA 1978, 193, 203; dazu auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 325; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 93 ff. Auch BT-Drucks. 7 / 2434, S. 6 spricht insofern von einer (zulässigen) Durchbrechung des Grundsatzes der straflosen Selbstbegünstigung. 128  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 326; vgl. zum Selbstbelastungszwang durch Straftatbestände auch Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 86 ff.

44

Kap. 1: Die Entwicklung der Selbstbelastungsfreiheit

C. Ergebnis Die rechtshistorische Betrachtung hat gezeigt, dass die Selbstbelastungsfreiheit ihren Ursprung in der bewussten Abkehr vom Inquisitionsprozess findet. Im inquisitorischen Verfahren rückten zunächst Geständnis und Folter unter der herrschenden Doktrin der Wahrheitsfindung ins Zentrum des Strafprozesses. Als Protest gegen den Offizialeid wurde neben christlichen Erwägungen auch das Naturrecht der Selbsterhaltung angeführt. In England steht die Selbstbelastungsfreiheit in untrennbarem Zusammenhang mit Anerkennung des Rechts auf Verteidigung. Im deutschen Rechtsraum wurden demgegenüber erfolterte Geständnisse im Lichte der Aufklärung als unzureichend zur Wahrheitsfindung empfunden. Mit Einführung des reformierten Strafverfahrens und dem damit verbundenen Ausbau der Beschuldigtenrechte hat die Selbstbelastungsfreiheit schließlich als tragende Verfahrenssäule Anerkennung gefunden. Es scheint, als wäre sie im aufgeklärten Bewusstsein bereits so selbstverständlich verwurzelt, dass eine Kodifikation schlicht für nicht erforderlich erachtet wurde. Als zentraler Grundsatz des reformierten Strafverfahrens vermochte auch der Nationalsozialismus sich nicht offiziell von der Selbstbelastungsfreiheit zu distanzieren. Der insgeheime Rückfall zu inquisitorischen Mitteln der Gestapo bewirkte in der Nachkriegszeit den Ausbau der Beschuldigtenrechte. Unter Einfluss von Art. 1 Abs. 1 GG entstanden § 136a StPO und die dem Schweigerecht korrespondierenden Belehrungspflichten. Die Selbstbelastungsfreiheit schützt dabei traditionell vor aktivem Selbstbelastungszwang. Originär wirkt sie im Strafverfahren; Auswirkungen in den außerstrafprozessualen Bereich sollten ihr erst zu einem späteren Zeitpunkt zugesprochen werden. Während die Strafprozessordnung die Selbstbelastungsfreiheit wie selbstverständlich zum Ausdruck brachte, normierte der Gesetzgeber im materiellen Recht umfangreiche Offenbarungspflichten, ohne sich einer Kollision mit nemo tenetur bewusst zu sein. Eine Ausstrahlungswirkung wurde zunächst abgelehnt: So vertrat das Reichsgerichts die Ansicht, dass sich der Beschuldigte überhaupt erst ab Einleitung eines Strafverfahrens auf nemo tenetur berufen könne. Auch der Zivilsenat des BGH erteilte einer übergreifenden Schutzwirkung eine deutliche Absage. Zugleich lässt sich im Verwaltungsrecht die Tendenz erkennen, umfangreiche Offenbarungspflichten mit einem Auskunftsverweigerungsrecht oder Verwertungsverbot für selbstbelastende Angaben zu versehen. Obwohl sich ebenso in der Wissenschaft schon relativ früh erste Anzeichen einer verfahrensübergreifenden Wirkung andeuteten, sollte auch hier eine Anerkennung noch auf sich warten lassen. So brachte erst der Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG im Bereich des Konkursrechts einen Durchbruch. Hier urteilte der Senat, dass das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit leerlaufen würde, wenn eine außerhalb des Strafver-



C. Ergebnis45

fahrens erzwungene Selbstbelastung gegen den Beschuldigten verwendet werden dürfe. Damit hatte das BVerfG den Grundstein einer Ausstrahlungswirkung gelegt und die Frage nach Übertragung der Erkenntnisse auf andere Konstellationen ausgelöst. Nunmehr hat sich die Diskussion zu zwei Fallgruppen verdichtet: Selbstbelastungen im materiellen Strafrecht einerseits und Selbstbelastungen im Fall von außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten andererseits. Mit Blick auf § 630c Abs. 2 S. 2, S. 3 BGB und die mit der vorliegenden Arbeit verfolgten Ziele soll das Augenmerk hier auf den Problemkreis der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten gerichtet werden.

Kapitel 2

Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit Auswirkungen im außerstrafprozessualen Bereich können der Selbstbelastungsfreiheit nur zugesprochen werden, wenn sie auf einer weitreichenden Rechtsgrundlage beruht, die eine solche Ausstrahlung zulässt. Wie den Ausführungen zu Kapitel eins entnommen werden kann, hat der Gesetzgeber keine umfassende Kodifikation des nemo-tenetur-Grundsatzes vorgenommen. Es ist daher zu überprüfen, worin die Rechtsgrundlage des nemotenetur-Prinzips zu sehen ist und ob sie eine solche Ausstrahlungswirkung begründet.

A. Einfache Gesetzesebene, StPO und StGB Auf einfacher Gesetzesebene wird die Selbstbelastungsfreiheit maßgeblich in den § 136a StPO und § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (bzw. mit §§ 55 Abs. 2, 115 Abs. 3 S. 1, 163a Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO als Parallele) zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus findet sie insbesondere auch in § 343 StGB Anklang. Den Vorschriften ist gemein, dass sie sich auf den Kerngehalt der Selbstbelastungsfreiheit – die Aussagefreiheit im Strafverfahren – beziehen.129

I. Verbotene Vernehmungsmethoden Kernvorschrift zum Schutz der Aussagefreiheit ist § 136a StPO.130 Demnach besteht ein Beweisverwertungsverbot, wenn die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten durch die dort 129  Im Übrigen schwingt der Gehalt der Selbstbelastungsfreiheit in verschiedenen Vorschriften mit – etwa im Selbstbegünstigungsprinzip des § 258 Abs. 5 StGB, vgl. Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 20010, S. 162, oder im Rahmen der Editionspflicht des § 95 Abs. 2 StPO, vgl. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 57 f.; als Rechtsgrundlage kommen diese Vorschriften indes nicht in Betracht. 130  Eser, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate, Teheran 1974, S. 136, 147; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 50; vgl. zum spezifischen Schutz Schuhr, in: MüKo, StPO, § 136a, Rn. 2.



A. Einfache Gesetzesebene, StPO und StGB47

genannten Maßnahmen beeinträchtigt wurde. § 136a StPO enthält damit zugleich ein Beweismethodenverbot.131 Das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit kommt hierbei zwar deutlich zum Ausdruck, jedoch setzt § 136a StPO die Garantie voraus und sichert lediglich ihre Durchsetzbarkeit. Nicht geregelt ist demgegenüber die Frage, ob überhaupt eine Pflicht zur Aussage beziehungsweise zur aktiven Mitwirkung am Verfahren besteht.132 Als Rechtsgrundlage taugt § 136a StPO damit nicht.133

II. Belehrungsvorschriften In § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (bzw. in den Parallelvorschriften) ist die Pflicht zur Belehrung über das Aussageverweigerungsrecht normiert. Die Belehrungsvorschriften konkretisieren für ihren jeweiligen Anwendungsbereich die Aussagefreiheit.134 Eine Kodifikation kann aber auch ihnen nicht entnommen werden; vielmehr setzen sie die Selbstbelastungsfreiheit wie selbstverständlich voraus.135

III. Aussageerpressung Auf materieller Ebene sichert § 343 StGB die verbotenen Vernehmungsmethoden des § 136a StPO ab.136 Danach wird derjenige Amtsträger, der eine Aussage durch Zwang oder Drohung erpresst, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft. Der so verbürgte Schutz der Aussagefreiheit reicht über die Rechtskraft des Urteils hinaus, indem § 359 Nr. 3 StPO 131  Eser, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate, Teheran 1974, S. 136, 158; Dingeldey, JA 1984, 407, 408; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 106. 132  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 106. 133  Schuhr, in: MüKo, StPO, § 136a, Rn. 1; Dingeldey, JA 1984, 407, 408; ­Lagodny, StV 1996, 167, 170; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 105 f.; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 60 f. 134  Dingeldey, NStZ 1984, 529, 529; Schuler, JZ 2003, 265, 266; Seebode, MDR 1970, 185, 186, der bzgl. § 136 StPO von einer teilweisen Konkretisierung spricht; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 60. 135  Vgl. BVerfGE 38, 105, 113; BGHSt 25, 325, 330; Schuhr, in: MüKo, StPO, § 136a, Rn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, Strafprozessordnung, § 136, Rn. 7; Seebode, MDR 1970, 185, 185 f.; Dingeldey, JA 1984, 407, 408; ders., NStZ 1984, 529, 529; Odenthal, NStZ 1985, 117, 117; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, 1987, S. 144; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 60; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 156. 136  Hecker, in: Schönke / Schröder, StGB, § 343, Rn. 1; Dingeldey, JA 1984, 407, 408; Rüping, JR 1974, 135, 137; Niese, ZStW 63 (1951), 199, 219, vgl. auch Schuhr, in: MüKo, StPO, § 136a, Rn. 1.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

i. V. m. § 343 StGB einen Wiederaufnahmegrund darstellt.137 Auch im Rahmen der Aussageerpressung wird die Aussagefreiheit nur vorausgesetzt und nicht begründet.138

IV. Zwischenergebnis Sowohl in der Strafprozessordnung als auch im materiellen Strafrecht sind Vorschriften enthalten, die die Aussagefreiheit schützen. Ihnen kann jedoch keine rechtliche Grundlage der Selbstbelastungsfreiheit entnommen werden; es handelt sich vielmehr um flankierende Schutzrechte139.

B. Völkerrecht, IPBPR und EMRK Auf völkerrechtlicher Ebene könnten der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder die Europäische Menschenrechtskonvention eine rechtliche Grundlage beinhalten.

I. Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR Eine Rechtsgrundlage besteht womöglich im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR). Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR140 enthält für den Angeklagten im Strafverfahren ausdrücklich ein Verbot von Aussagezwang. Die Vorschrift lautet: „Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat in gleicher Weise im Verfahren Anspruch auf folgende Mindestgarantien: […] g. Er darf nicht gezwungen werden, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen.“

Nach herrschender Ansicht soll die Norm über den begrenzten Wortlaut hinaus ein allgemeines privilege of self-incrimination beinhalten.141 Für eine 137  Niese, ZStW 63 (1951), 199, 221; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 50. 138  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 105. 139  Eser, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate, Teheran 1974, S. 136, 147. 140  Internationaler Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966, BGBl. II (1973), S. 1540. 141  BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016  – 2 BvR 890 / 16, Rn. 35; Esser, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  11, Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR, Rn. 879; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., 131; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 117; Dingeldey, JA 1984, 407, 409; Kasiske, JuS 2014, 15, 15; a. A.:



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solch weitreichende Auslegung wird die Historie angeführt: In den Entwürfen des Pakts war eine entsprechende Regelung zunächst nicht enthalten. Sie wurde erst später nach Vorbild des V. Amendment der US-amerikanischen Verfassung, die ebenfalls eine allgemeine Kodifikation der Selbstbelastungsfreiheit beinhaltet, aufgenommen.142 Zudem sprechen auch die Materialien zu den Paktentwürfen dafür, dass mit Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR eine allgemeine prohibition against self-incrimination geschaffen werden sollte.143 Der Wortlaut soll den nemo-tenetur-Grundsatz so beschreiben, dass er als Prinzip erkennbar ist; nichtsdestotrotz komme sein gesamter Inhalt zur Anwendung.144 Damit enthält Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR eine rechtliche Grundlage der Selbstbelastungsfreiheit.

II. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, Verfahrensfairness Eine umfassende Rechtsgrundlage könnte ferner im Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK liegen. Die Verfahrensfairness beinhaltet die Garantie, dass in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen die Rechtsprechung unabhängigen Gerichten obliegt, welche ihre Aufgabe unparteiisch und in einer die Verfahrensrechte der Beteiligten wahrenden Form ausüben.145 Der betroffene Bürger darf demnach nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt werden; vielmehr kommt ihm nach dem Prinzip der Waffengleichheit das Recht auf effektive Teilhabe zu.146 In der Rechtsprechung des EGMR ist die Verfahrensfairness zu einem umfassenden Rechtsprinzip ausgebaut worden, welches die Auslegung aller in der Konvention garantierten Verfahrensrechte bestimmt und darüber hinaus einen verbindlichen Wertungsmaßstab für die gesamte Verfahrensgestaltung setzt.147 Herzstück des fairen Verfahrens bildet dabei die SelbstbelastungsBosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzip aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 24 ff.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 197 f. 142  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., 131; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 117; Dingeldey, JA 1984, 407, 409. 143  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 117 m. w. N. 144  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 118 m. w. N.; vgl. auch Dingeldey, JA 1984, 407, 409, der die Vorschrift als „unglücklich formuliert“ bewertet; ähnlich auch Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 131: „unvollkommene Formulierung“. 145  Esser, in: Löwe / Rosenberg, Band  11, Art 6 EMRK / Art 14 IPBPR, Rn. 177. 146  Esser, in: Löwe / Rosenberg, Band  11, Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR, Rn. 177; vgl. auch Meyer, in: Karpenstein / Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 39. 147  Esser, in: Löwe / Rosenberg, Band  11, Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR, Rn. 180.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

freiheit.148 Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR wurzelt sie als eigenständiges, ungeschriebenes Recht in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.149 Diese Verankerung könne – so der EGMR – nicht bezweifelt werden: „Obwohl es in Art. 6 MRK nicht besonders erwähnt wird, kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Recht, anläßlich der polizeilichen Einvernahme zu schweigen und das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen […], allgemein anerkannte internationale Regeln sind […], die das Herzstück des Verständnisses von einem fairen Verfahren gem. Art. 6 bilden. Indem sie dem Angeklagten Schutz gegen mißbräuchlichen Zwang durch die Behörden bieten, tragen diese Immunitätsrechte dazu bei, Justizirrtümer zu vermeiden und die Ziele des Art. 6 zu wahren.“150

Infolge dieser gefestigten Rechtsprechung wird die Selbstbelastungsfreiheit allgemein der Verfahrensfairness gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zugeordnet.151 Aus nationaler Perspektive ist insofern jedoch zu beachten, dass der EMRK als völkerrechtlicher Vertrag über Art. 59 Abs. 2 GG lediglich der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zukommt.152 Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK können zudem nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.153 Darüber hinaus umfasst Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht das Verwaltungsverfahren.154 Die Selbstbelastungsfreiheit ist aber nach nationaler Auffassung auch im Kernbereich des Öffentlichen Rechts, etwa gem. § 393 Abs. 2 S. 1 AO,155 ein schützenswertes Gut. Auch legt der 148  EGMR ÖJR 1996, 627, 628 – Murray vs. the United Kingdom; EGMR ÖJZ 1998, 32, 33 – Saunders vs. the United Kingdom; EGMR ÖJZ 2004, 196, 197 – Allan vs. the United Kingdom. 149  Ständige Rechtsprechung seit EGMR ÖJZ 1993, 532 ff. – Funke vs. France. 150  EGMR ÖJR 1996, 627, 628 – Murray vs. the United Kingdom. 151  BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016  – 2 BvR 890 / 16, Rn. 35; BGHSt 52, 11, 17; Esser, in: Löwe / Rosenberg, Band  11, Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR, Rn. 880; Meyer, in: Karpenstein / Meyer, EMRK, Ar. 6, Rn. 127; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 131; Matt, GA 2006, 323, 326; Weiß, NJW 1999, 2236, 2236; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 62; Bosch, Aspekte des nemo-teneturPrinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 26 f.; ausführlicher Überblick zur Rechtsprechung des EGMR zur Selbstbelastungsfreiheit bei Roth, ZStrR 2011, 296, 298 ff. 152  BVerfG NJW 1987, 2427, 2427; BVerfG NJW 1990, 2741, 2741; BGH NJW 2001, 309, 311; Esser, in: Löwe / Rosenberg, Band  11, Einf. EMRK / Einf. IPBPR, Rn. 85; Maur, NJW 2000, 338, 338. 153  War dies zunächst von BVerfGE 9, 36, 39 offen gelassen worden, so ist die Rügefähigkeit der EMRK in BVerfGE 10, 271, 274; 34, 384, 395; 64, 135, 157 endgültig verneint worden. 154  Grabenwarter / Pabel, in: Grote / Marauhn, EMRK / GG, Kap. 14, Rn. 89; Meyer, in: Karpenstein / Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 17. 155  Dazu Talaska, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Spannungsfeld von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, 2006, S. 137.



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EGMR der Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ein Verständnis zugrunde, nach dem das Schweigen des Beschuldigten unter bestimmten Voraussetzungen zu dessen Nachteil verwertet werden kann;156 nach nationaler Auffassung ist dies demgegenüber nicht zulässig, wenn der Beschuldigte die Einlassung zur Sache vollständig verweigert hat.157 Damit bleibt festzuhalten, dass Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zwar eine Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit beinhaltet; es handelt sich hierbei aber lediglich um eine Mindestgarantie.

III. Art. 6 Abs. 2 EMRK, Unschuldsvermutung Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert in Art. 6 Abs. 2 die Unschuldsvermutung. Sie beinhaltet den Grundsatz, dass jeder, der wegen einer strafbaren Handlung angeklagt wird, bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld als unschuldig zu gelten hat.158 Als fundamentales Strukturelement eines fairen Strafverfahrens wird sie in Art. 6 Abs. 2 EMRK besonders hervorgehoben.159 Nach zum Teil vertretener Ansicht soll das nemo-tenetur-Prinzip auf völkerrechtlicher Ebene in Art. 6 Abs. 2 EMRK wurzeln.160 Ihre Befürworter argumentieren, dass es inkonsequent wäre, zugunsten des Angeklagten seine Unschuld zu vermuten und ihn zugleich zur Selbstbelastung zu verpflichten.161 Auch wäre die Unschuldsvermutung gegenstandslos, wenn man den Angeklagten zwingen könnte, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken.162 Die Gegenmeinung lehnt eine solche Sichtweise ab.163 Ein inhaltlicher Zusammenhang der beiden Grundsätze könne zwar nicht geleugnet wer­ 156  EGMR ÖJZ 1996, 627, 628 – Murray vs. the United Kingdom; dazu Matt, GA 2006, 323, 327; Esser, JR 2004, 98, 102 m. w. N. in Fn. 47. 157  Vgl. BVerfG NStZ 1995, 555; BGHSt 38, 302, 305. Siehe auch BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016  – 2 BvR 890 / 16, Rn. 42. 158  Esser, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  11, Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR, Rn. 445. 159  Meyer, in: Karpenstein / Mayer, EMRK, Art. 6, Rn. 160. 160  Guradze, in: FS-Loewenstein, 1971, S. 151, 160; Rüping, JR 1974, 135, 138; Arndt, NJW 1966, 869, 870; Eser ZStW 79 (1967), 565, 567 f.; Puppe, GA 1978, 289, 299; Dingeldey, JA 1984, 407, 409; Lorenz, JZ 1992, 1000, 1006; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 96, der davon ausgeht, dass die Unschuldsvermutung Teilbereiche des nemo tenetur Grundsatzes umfasst. 161  Guradze, in: FS-Loewenstein, 1971, S. 151, 160; Dingeldey, JA 1984, 407. 162  Arndt, NJW 1966, 869, 870. 163  Böse, GA 2002, 98, 124; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 109 ff.; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfas-

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

den,164 jedoch sei die Existenz der Selbstbelastungsfreiheit von der Unschuldsvermutung unabhängig.165 Selbstbelastungsfreiheit und Unschuldsvermutung stünden vielmehr in einem ergänzenden Verhältnis zueinander: Dem Angeklagten würde der Druck zum Beweis seiner Unschuld genommen; dies schaffe überhaupt erst die Voraussetzung für eine Verteidigung durch Schweigen.166 Zudem wird argumentiert, es handle sich bei der Unschuldsvermutung lediglich um eine Beweislastregelung; dies habe aber „mit Nemo tenetur nichts zu tun“167. Auch die Schutzrichtung wird gegen eine solche Ableitung angeführt; die Unschuldsvermutung schütze den Beschuldigten vor einer Aussagelast, der nemo-tenetur-Grundsatz hingegen vor einem Aussagezwang.168 Auch nach der hier vertretenden Ansicht ist eine Verortung der Selbstbelastungsfreiheit in Art. 6 Abs. 2 EMRK abzulehnen. Selbstbelastungsfreiheit und Unschuldsvermutung haben im Zuge des Aufklärungsdiskurses zeitgleich und in Wechselwirkung zueinander ihre Anerkennung gefunden.169 Sie stehen historisch in einem untrennbaren Verhältnis; eine darüber hinausgehende subordinatorische Abhängigkeit ist jedoch zu verneinen. Es handelt sich um eigenständige Institute mit unterschiedlichem Schutzgehalt.

IV. Zwischenergebnis Auf völkerrechtlicher Ebene ist die Selbstbelastungsfreiheit sowohl in Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR als auch in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verankert. Über Art. 59 Abs. 2 GG kommt ihnen der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu.

sungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 95  f.; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 64; Luef-Kölbl, Der Beschuldigte: Vom Objekt zum Subjekt des Strafverfahrens, 2004, S. 231. 164  Böse, GA 2002, 98, 124. 165  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff.; Rn. 131; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 112. 166  Böse, GA 2002, 98, 124 f.; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Grundsatzes aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 93. 167  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 110. 168  Böse, GA 2002, 98, 125. 169  Vgl. Luef-Kölbl, Der Beschuldigte: Vom Objekt zum Subjekt des Strafverfahrens, 2004, S. 231.



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C. Europäisches Primärrecht, Grundrechtecharta Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon170 am 01. Dezember 2009 erlangte die Grundrechtecharta der Europäischen Union Rechtsverbindlichkeit. Sie enthält einen umfangreichen Grundrechtskatalog, welcher durch Art. 6 Abs. 1 EUV nunmehr den Verträgen gleichgestellt ist.171 Die EU wird seitdem in grundrechtlicher Hinsicht dreifach verpflichtet: Neben der Grundrechtecharta ist die Union an die EMRK und zudem an die im Wege der wertenden Rechtsvergleichung aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und der EMRK gewonnenen allgemeinen Grundsätzen gem. Art. 6 Abs. 3 EUV gebunden.172 Auch in der Grundrechtecharta ist die Selbstbelastungsfreiheit mittelbar gewährleistet. Insofern wird betont, dass es für ein faires Verfahren gem. Art. 47 Abs. 2 EU-GRCharta unerlässlich sei, dass die strafrechtliche Schuldfeststellung nicht mit Beweismitteln betrieben wird, die auf erzwungener Mitwirkung des Beschuldigten basieren.173

D. Verfassungsrecht, Grundgesetz Eine verfassungsrechtliche Verankerung der Selbstbelastungsfreiheit ist nahezu unbestritten.174 Über ihre genaue Verortung konnte indes noch kein Konsens erzielt werden. Mit einer fast unüberschaubaren Vielzahl an Beiträgen und Entscheidungen werden diverse Ansätze vertreten. Zurückzuführen ist dieser „bunte Strauß an verfassungsrechtlichen Aufhängern“175 auf folgendes Dilemma: Stünde der Schutzgehalt der Selbstbelastungsfreiheit fest, so ließe sie sich exakter in der Verfassung verorten. Stünde hingegen ihr verfassungsrechtliches Fundament fest, so könnte ihr Schutzgehalt exakter bestimmt werden.176 170  Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vom 13.12.2007, BGBl I (2009), S. 1223. 171  Langenfeld / Beneck, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 151 AEUV, Rn. 26. 172  Calliess, in: ders. / Ruffert, EUV / AEUV, EU-GRCharta, Art. 1, Rn. 1. Vgl. zum Befund einer mehrdimensionalen Grundrechtsverdichtung auch Stern / Hamacher, in: Stern / Sachs, GRCH, A, Rn. 30 ff. 173  Eser, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48, Rn. 10a; vgl. auch Schwarze, EuR 2009, 171, 192. 174  Ablehnend allein Leitmeier, JR 2014, 372, 372 ff., welcher für eine Reduzierung des nemo tenetur Prinzips plädiert und diesem lediglich den Rang auf einfacher Gesetzesebene zuspricht. 175  Lorenz, StV 1996,172, 173, Fn. 3. 176  Vgl. Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 200 f.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

Die Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Herleitung ist für die Ziele der vorliegenden Arbeit unerlässlich. Sie darf jedoch nicht überbetont werden.177 Denn eine verfassungsrechtliche Verortung ist zwar richtungsweisend, sie kann jedoch nicht allein maßgeblich für die Inhalts­ bestimmung sein. Der Selbstbelastungsfreiheit kommt bereits durch ihre historische Entwicklung ein spezifischer Gehalt zu. Sie ist durch Rechtsprechung und Wissenschaft in verschiedenen Facetten ausgeformt worden. Eine nachträgliche Oktroyierung einer verfassungsrechtlichen Grundlage kann dem nicht vollends gerecht werden; sie kann die bisherige Ausformung nur stützen. Der nachstehende Abschnitt beschränkt sich daher auf eine Bestandsaufnahme des wesentlichen Meinungsspektrums. Dabei werden die verschiedenen Ansätze aufgezeigt und schlussendlich zu einem eigenen Verständnis zusammengeführt.

I. Art. 1 Abs. 1 GG, Menschenwürde Die Würde des Menschen ist oberster Verfassungswert und tragendes Prinzip des Grundgesetzes.178 Sie beinhaltet den sozialen Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, und ist verletzt, wenn der Einzelne zum Objekt staatlichen Handelns erniedrigt wird.179 Art. 1 Abs. 1 GG sichert die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein.180 Mitunter wird vertreten, dass die Selbstbelastungsfreiheit in der Menschenwürde ihre Wurzeln findet.181 Zum einen wird insofern auf naturrechtliche Unzumutbarkeitserwägungen abgestellt: Das Bedürfnis, sich nicht selbst zu belasten, sei Ausdruck eines natürlichen Erhaltungstriebs; Zwang zur Aussage stelle daher eine unzumutbare Nötigung zu einem widernatürlichen Verhalten dar.182 Für diese Sicht177  Kritisch auch Verrel, NStZ 1997, S. 361, 364; Bosch, Aspekte des nemo-­ tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 28; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 262 ff. 178  BVerfGE 6, 32, 36; 27, 1, 6; 45, 187, 227; 109, 279, 311; Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz, Art. 1, Rn. 2. 179  BVerfGE 27, 1, 6; 109, 279, 312 f.; Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz, Art. 1, Rn. 6. 180  Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1, Rn. 30. 181  BVerfGE 56, 37, 43; BVerfG NJW 1999, 779, 779; BVerfG NStZ 1995, 555, 555; BGHSt 38, 214, 220; 38, 302, 305; Gercke / Temming, in: Gercke et al., Strafprozessordnung, Einl. Rn. 29; Lorenz, StV 1996, 172, 172 f., kritisch aber Fn. 3; Kasiske, JuS 2014, 15, 16; Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, 2000, S. 57; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 102. 182  Schmidt, NJW 1969, 1137, 1139; Günther, GA 1978, 193, 194; Ulsenheimer, GA 1972, 1, 22; Rüping, JR 1974, 135, 136; Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, 2000, S. 57; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 104 f.



D. Verfassungsrecht, Grundgesetz55

weise würde auch die historische Entwicklung sprechen, da das Recht zur Aussageverweigerung zunächst mit dem naturrechtlichen Gebot der Selbsterhaltung begründet wurde.183 Andererseits wird betont, dass eine erzwungene Selbstbelastung den Beschuldigten zum Werkzeug seiner eigenen Überführung mache. Diese „Instrumentalisierung“184 sei mit seiner Stellung als Prozesssubjekt unvereinbar; er würde zum schlichten Beweisobjekt degradiert.185 Eine Assoziation zur Objektformel der Menschenwürde dränge sich daher geradezu auf.186 Der ausschließlichen Verankerung der Selbstbelastungsfreiheit in Art. 1 Abs. 1 GG wird indes entgegengehalten, dass die Menschenwürde unantastbar ist.187 Sie ist als oberstes Konstitutionsprinzip nicht abwägbar, jeglicher Eingriff in den Schutzbereich ist rechtswidrig.188 Das Spannungsfeld zwischen Selbstbelastungsfreiheit des Individuums einerseits und Informationsinteresse des Staates beziehungsweise Dritter andererseits wäre als Konsequenz einseitig und nicht überzeugend aufzulösen: Mitwirkungspflichten mit Selbstbelastungstendenz wären stets rechtswidrig.189 Als Rechtsgrundlage überzeugt Art. 1 Abs. 1 GG dementsprechend nicht, da die Selbstbelastungsfreiheit andernfalls abwägungsresistent wäre. Eine solch unflexible Lösung widerspricht dem heutigen Verständnis von nemo tenetur: So stellte bereits das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss klar, 183  Dazu oben S. 30; vgl. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 145. 184  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133, Rn. 132. 185  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133  ff., Rn. 132; vgl. auch Dreier, in: ders., Grundgesetzkommentar, Art. 1 I, Rn. 139; Rüping, JR 1974, 135, 136; Kasiske, JuS 2014, 15, 16; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 104. 186  Vgl. Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 204. 187  Lagodny, StV 1996, 167, 171; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S.  71 f.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 205 f.; ablehnend auch Starck, in: v.  Mangold / Klein / Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rn. 56. Vgl. im Übrigen zur Kritik an der Objektstheorie Günther, GA 1978, 193, 195 ff., sowie Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, 1998, S.  38 ff. 188  BVerfGE 27, 1, 6; 93, 266, 293; Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz, Art. 1, Rn. 16; Starck, in: v.  Mangold / Klein / Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rn. 33 ff.; Herdegen, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 1 Abs. 1, Rn. 73. Vgl. zur vermeintlichen Ausnahmekonstellation des Gegenüberstehens von „Würde-gegen-Würde“ Dreier, in: ders., Grundgesetzkommentar, Art. 1 I, Rn. 46 und Rn. 133 ff. 189  Vgl. zur Konsequenz der Unabwägbartkeit Günther, GA 1978, 193, 195. Siehe aber auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 286, der insofern auf einen methodischen Kunstgriff hinweist.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

dass der Gesetzgeber im außerstrafprozessualen Bereich bei Vorliegen eines gewichtigen Drittinteresses berechtigt ist, die Belange der verschiedenen Parteien gegeneinander abzuwägen. Überwiegt das Interesse an der Auskunftserteilung, kann der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit sodann auf zweiter Ebene durch ein verfassungswahrendes Korrektiv neutralisiert werden.190 Damit scheidet Art. 1 Abs. 1 GG als Rechtsgrundlage zwangsläufig aus.

II. Art. 4 Abs. 1 GG, Gewissensfreiheit Die Gewissensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG schützt die selbst wahrgenommene Verantwortung des Individuums für seine Handlungen; sie bezieht sich auf die innere moralische Steuerung.191 Unter Gewissensentscheidung versteht man demnach „jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte“192.

Einer älteren Auffassung zufolge wurzelt die Selbstbelastungsfreiheit in der Gewissensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG.193 Sie betont, dass Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG jedes Eindringen in das Gewissen – als forum internum – ausschließt.194 Dem Verbot des Eingriffs korrespondiere dabei das Recht, die Offenbarung der eigenen Überzeugung zu verweigern; mithin ein umfassendes Schweigerecht.195 Die Selbstbelastungsfreiheit diene daher der „Respektierung des Gewissens“196. Dem wird entgegengehalten, dass Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG das Recht zu einem bestimmten Verhalten mit dem Gewissen beziehungsweise mit dem Glauben verbinde. Eine solche Verbindung bestehe beim Schweigerecht jedoch gerade nicht, da es unabhängig von der Motivlage des Beschuldigten 190  BVerfGE

56, 37; vgl. hierzu S. 42 f. und ausführlich S. 104 ff. in: Dreier, Grundgesetzkommentar, Art. 4, Rn. 93. 192  BVerfGE 12, 45, 55. 193  Hamel, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Band  IV, 1. Halbband, 58, 85; Scholler, Die Freiheit des Gewissens, Berlin 1958; Lorenz, JZ 1992, 1000, 1006, aus neuerer Zeit auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 46, der Art. 4 Abs. 1 in Teilbereichen einschlägig sieht. 194  Hamel, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Band  IV, 1. Halbband, 58. 195  Hamel, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Band  IV, 1. Halbband, 58. 196  Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 1958, S. 150. 191  Morlok,



D. Verfassungsrecht, Grundgesetz57

gewährt wird.197 Selbst wenn die Entscheidung für oder gegen eine Aussage im Einzelfall Ausdruck einer Gewissensentscheidung sein könne, so habe nemo tenetur doch einen erheblich weiteren Schutzbereich; Art 4 Abs. 1 Var. 2 GG könne daher lediglich in Teilbereichen einschlägig sein.198 Eine umfassende Rechtsgrundlage ergäbe sich hieraus jedoch nicht. Auch mit vorliegender Arbeit wird eine Verortung in Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG abgelehnt. Die Situation des Selbstbelastungszwangs stellt keinen Eingriff in das freie Gewissen dar. Das Dilemma des Auskunftsverpflichteten ist nicht primär gegen sein Gewissen als moralische Instanz, also entgegen seiner Werte und Überzeugungen, tätig werden zu müssen. Vielmehr wird er gezwungen entgegen seines Selbstschutzwillens zu handeln. Dem Beschuldigten wird damit schon gar keine an Gut oder Böse angelehnte Gewissensentscheidung abverlangt. Demnach kann Art. 4 Abs. 1 GG nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden.

III. Art. 2 Abs. 1 GG, Allgemeine Handlungsfreiheit Die Handlungsfreiheit schützt vor staatlichen Eingriffen und füllt damit als Generalklausel alle Bereiche aus, in denen kein vorrangiges Freiheitsrecht Schutz gewährleistet.199 Dabei umfasst Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit zum Handeln im Sinne einer aktiven Lebensgestaltung, sondern auch spiegelbildlich die Freiheit zur Passivität.200 Der Schutz der Handlungsfreiheit reicht indes nur soweit, wie ihre Nutzung nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung, Rechte anderer oder das Sittengesetz – so genannte Schrankentrias – verstößt. Von überragender und absorptiver Bedeutung ist dabei die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung, zu welcher alle formell und materiell verfassungsmäßigen Gesetze gehören.201 Sie 197  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 129; Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 88 f.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 207 f.; Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK, 2013, S. 26. 198  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 46; auf den Einzelfall abstellend auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 291 f. 199  Vgl. BVerfGE 6, 32, 36  ff.; Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 2; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 10; Dreier, in: ders., Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. I, Rn. 26, 28. Vgl. allgemein zur Subsidiarität von Art. 2 Abs. I GG Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 3. 200  Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 43, 52, Merten, JuS 1976, 345, 346. 201  Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 6, 32, 37 f.; Merten, JuS 1976, 345, 346; Dreier, in: ders., Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. I, Rn. 51, 53; Jarass, in:

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

kommt der Sache nach einem einfachen Gesetzesvorbehalt gleich.202 Dem extrem weiten Schutzbereich korrespondiert somit auf Rechtfertigungsebene die weitreichende Schrankentrias.203 Mitunter wird die Selbstbelastungsfreiheit der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG zugewiesen.204 Vertreter dieser Ansicht betonen, dass Art. 2 Abs. 1 GG ein Auffanggrundrecht ist. Es schützt umfassend die individuelle Freiheit des einzelnen Bürgers und sei daher verletzt, wenn der Einzelne zum Beweismittel gegen sich selbst gemacht wird.205 Die Gegenmeinung lehnt eine solche Sichtweise ab.206 Durch die umfassende Beschränkungsmöglichkeit könne hier kein hinreichender Schutz gewährleistet werden. Dies würde der besonderen Bedeutung der Selbstbelastungsfreiheit nicht gerecht werden.207 Darüber hinaus schütze die allgemeine Handlungsfreiheit lediglich das Recht auf aktive Entfaltung; bei nemo ­tenetur stünde aber die Respektierung der Privatsphäre im Vordergrund. Mit Blick auf die Subsidiarität von Art. 2 Abs. 1 GG sei daher der speziellere Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG einschlägig.208 Die Kritik an einer Verortung in der allgemeinen Handlungsfreiheit überzeugt. Art. 2 Abs. 1 GG dient als Auffangbecken jeglichen Verhaltens oder Unterlassens und wird so dem speziellen Charakter und Gehalt der Selbstbelastungsfreiheit nicht gerecht. Eine solche Verankerung verwässert Bedeutung sowie historische Entwicklung und ist daher misslungen.

ders. / Pieroth, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 13; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 89. 202  Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 90; Dreier, in: ders., Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. I, Rn. 53. 203  Vgl. Merten, JuS 1978, 345, 346. 204  BVerfGE 56, 37, 41; BVerfG NJW 1999, 779, 779; BVerfG NStZ 2002, 378, 379; Dingeldey, JA 1984, 407, 409; Krause, JuS 1984, 268, 271; Kühl, JuS 1986, 115, 117; Rüping, JR 1974, 135, 137; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, 163, S. 170. 205  Dingeldey, JA 1984, 407, 409. 206  Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 82 f.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 251 f.; Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK, 2013, S. 25. 207  Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK, 2013, S. 25 f.; vgl. auch Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, 1987, S. 163. 208  Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichte, 1997, S. 82 f.; Reiter, „Nemo te­ netur se ipsum prodere“, 2007, S. 90 ff.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 251; kritisch auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 47.



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IV. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Allgemeines Persönlichkeitsrecht Sowohl Rechtsprechung als auch Literatur ziehen maßgeblich das allgemeine Persönlichkeitsrecht zur Verankerung der Selbstbelastungsfreiheit heran.209 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurzelt primär in Art. 2 Abs. 1 GG; zugleich gibt Art. 1 Abs. 1 GG den Auslegungsmaßstab für Inhalt und Umfang des Gewährleistungsgehalts vor.210 Durch die Verbindung zur Menschenwürde erhält es eine erhebliche Aufwertung; im Fokus steht der Einzelne weniger mit seinem Verhalten als vielmehr in seiner Qualität als Subjekt.211 So schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht über den Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG hinaus – als lex specialis – die Integrität der Persönlichkeit. Seine Aufgabe ist es, „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen.“212 Im klassischen Sinne garantiert das allgemeine Persönlichkeitsrecht fallgruppenartig das Recht auf Selbstbestimmung, auf Selbstbewahrung und auf Selbstdarstellung.213 Der Schutzbereich ist durch seine besondere Entwicklungsoffenheit gekennzeichnet, so dass auch neuartige Persönlichkeitsbedrohungen erfasst werden können.214 So ist vom BVerfG auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausgeformt worden.215 Auf Rechtfertigungsebene

209  BVerfGE 56, 37, 42; 95, 220, 241; BVerfG NStZ 1995, 555, 555; BVerfG NStZ 2000, 488, 488; BVerfG NJW 1999, 779, 779; BGHSt 38, 214, 220; 38, 302, 305; Jarass, in: ders. / Pieroth, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 68; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 398; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 426; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 74; Günther, GA 1978, 193, 198; Stürner, NJW 1981, 1757, 1758; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 529; Lagodny, StV 1996, 167, 171; Haas, NJW 1996, 1120, 1120; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 84; Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK, 2013, S. 31. Grundlegend insofern Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S.  139 ff. 210  Dreier, in: ders., Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. I, Rn. 69; Starck, in: v.  Mangold / Klein / Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. I, Rn. 89; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 63. 211  Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, § 8 II 2, Rn. 391; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 62. 212  BVerfGE 54, 148, 153. 213  Dazu ausführlich Pieroth / Schlink, Grundrechte, § 8 II 2; Rn. 391 ff. 214  Dreier, in: ders., Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. I, Rn. 69; Pieroth / Schlink, Grundrechte, § 8 II 2, Rn. 396. 215  Grundlegend BVerfGE 65, 1, 42  f. – Völkszählungsurteil; seither ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BVerfGE 100, 313, 358.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

ist die Schrankentrias216 zu beachten; die Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt hier aber vermittelt durch Art. 1 Abs. 1 GG verstärkten Rechtfertigungsanforderungen. Das BVerfG hat insoweit die Sphärentheorie entwickelt, welche zwischen verschiedenen Sphären der Persönlichkeitsentfaltung unterscheidet und diesen unterschiedlich starke Eingriffsresistenz zuspricht.217 Befürworter der Verankerung von nemo tenetur im allgemeinen Persönlichkeitsrecht berufen sich auf folgende Ansätze: 1. Allgemeine Verankerung Zum einen wird als Rechtsgrundlage allgemein Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG herangezogen.218 Bei der Selbstbelastungsfreiheit stehe maßgeblich der Schutz der Ehre im Vordergrund; sie könne als Ausdruck der freien Selbstdarstellung angesehen werden.219 So wird betont, dass es im Strafprozess um die Erhaltung eigener Rechtsgüter, mithin um elementare Bedürfnisse, ginge.220 In diesem sensiblen Bereich müsse der Beschuldigte seine Individualität wahren können, er müsse das Recht haben, „für sich zu sein, sich selber zu gehören, ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen“221. Zwang zur Selbstbelastung laufe diesem Geheimhaltungsinteresse zuwider und greife tief in die Persönlichkeitssphäre ein.222 Letztendlich sei nemo tenetur „nichts anderes als ein Persönlichkeitsrecht“223, so dass eine Verortung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht gerade inhaltlich überzeuge. Es trage der besonderen psychischen Zwangssituation und dem Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten Rechnung.224 Auch wird in 216  Vgl.

hierzu bereits S. 57 f. 6, 32, 41; 27, 1, 6, 34, 238, 245 f. Dazu Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 103 ff. 218  BVerfGE 56, 37, 43; BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016  – 2 BvR 890 / 16, Rn. 34; BGHSt 38, 214, 220; Günther, GA 1978, 193, 198; Lagodny, StV 1996, 167, 167, 171; Haas, NJW 1996, 1120, 1120; Esser, JR 2004, 98, 98; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 80 ff.; Schneider, Beweisverbote aus dem fair-trial-Prinzip des Art. 6 EMRK, 2013, S. 33. Grundlegend Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 143 ff. 219  Lagodny, StV 1996, 167, 171 mit Fn. 54; Bosch, Aspekte des nemo-teneturPrinzip aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 63; vgl. dazu auch Böse, GA 2002, 98, 99 f., der eine allgemeine Verortung aber ablehnt. 220  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 146. 221  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 146 m. w. N. in Fn.  199. 222  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 146 m. w. N. in Fn.  199. 223  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 147. 224  Günther, GA 1978, 193, 198. 217  BVerfGE



D. Verfassungsrecht, Grundgesetz61

diesem Zusammenhang positiv hervorgehoben, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Verbindung zur Menschenwürde herstellt, wodurch der Gehalt der Selbstbelastungsfreiheit enorm aufgewertet würde. Der Bezug zu Art. 1 Abs. 1 GG etabliere einen strengen Abwägungsmaßstab, so dass eine hohe Schutzidentität zu Gunsten des nemo-tenetur-Prinzips erreicht würde.225 Die Gegenansicht kritisiert demgegenüber, es sei nicht ersichtlich, warum Zwang zur Selbstbelastung eine Missachtung der Persönlichkeit darstelle, während anderen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen diese Wirkung nicht zugesprochen würde. Zudem könne eine solche Ableitung nicht erklären, warum auch ein Unschuldiger nicht verpflichtet ist, am Prozess mitzuwirken und den Tatvorwurf so zu beseitigen.226 2. Spezielle Verankerung im Recht auf informationelle Selbstbestimmung Im Volkszählungsurteil kam das BVerfG zu dem Schluss, dass die freie Persönlichkeitsentfaltung mit Blick auf die moderne Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraussetzt.227 Mit Hilfe automatischer Datenverarbeitung sei es möglich geworden, Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abzurufen.228 Das BVerfG warnte, die Daten könnten zur Bildung von Persönlichkeitsbildern zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene Einfluss darauf nehmen könnte.229 Dieser technische Fortschritt verlange nach besonderem Schutz. Das BVerfG hat daher das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als gesonderte Fallgruppe aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitet.230 Es verbürgt das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Verwendung und Preisgabe seiner Daten zu bestimmen.231 225  Lagodny,

StV 1996, 167, 171. Kritik insgesamt Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 49; kritisch auch Böse, GA 2002, 98, 100. 227  BVerfGE 65, 1, 43; zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung insgesamt vgl. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 72 ff. 228  BVerfGE 65, 1, 42. 229  BVerfGE 65, 1, 42. 230  BVerfGE 65, 1, 41 ff.; dazu kritisch etwa: Krause, JuS 1984, 268, 268. 231  BVerfGE 65, 1, 43. 226  Zur

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

Mitunter wird vertreten, die Selbstbelastungsfreiheit sei speziell im Recht auf informationelle Selbstbestimmung verankert.232 Die informationelle Selbstbestimmung räume dem Einzelnen die ausschließliche Verfügungsmacht über persönliche Informationen ein; er allein entscheide über sein informationshaltiges Handeln.233 Die Offenlegung strafrechtlicher Verfehlungen stelle einen solchen persönlichen Lebenssachverhalt dar. Wollten sich die Strafverfolgungsbehörden dieses selbstbezogene Wissen verschaffen, sei dies grundsätzlich an den Anforderungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu messen.234 Gegen eine solche Verankerung wird hingegen angeführt, dass hier speziell personenbezogene Daten geschützt würden. Bei nemo tenetur ginge es aber gerade um Geschehnisse und Informationen, die über die Person des Betroffenen und dessen personenbezogene Daten hinausgingen. Die Selbstbelastungsfreiheit richte sich gegen die Art und Weise der Informationsgewinnung in Form des Zwangs; nicht jedoch gegen die Informationsgewinnung als solche.235 Um diesen „Informationsschutz an sich“236 handle es sich aber bei der informationellen Selbstbestimmung.237 Zudem könne die Ableitung aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch nicht überzeugend darlegen, warum nemo tenetur fordere, dass kein Zwang zur Informationsbeschaffung ausgeübt wird, jedoch nicht der heimlichen Sammlung von Informationen bei der Telefonüberwachung entgegenstehe.238 Darüber hinaus wird auch betont, dass nemo tenetur den Beschuldigten selbst dann vor Zwang zur Informationspreisgabe schützt, wenn die betreffenden Informationen bereits dem Gericht und der Allgemeinheit bekannt sind. Diese Schutzdimension ergäbe sich aber ebenfalls nicht aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.239

232  Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 Abs. 1, Rn. 187; Wohlers / Albrecht, in: ders., SK-StPO, § 163a, Rn. 41; Jarass, NJW 1989, 857, 859; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 426; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 281 ff.; wohl auch OLG Düsseldorf StV 1992, 503, 505. 233  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 282. 234  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 282. 235  Dazu insgesamt Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 251. 236  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 138. 237  Kasiske, JuS 2014, 15, 16; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 251. Im Ergebnis verneinend auch: Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1998, S. 78 f.; Böse, GA 2002, 98, 101 ff. 238  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 54. 239  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 55.



D. Verfassungsrecht, Grundgesetz63

3. Eigenständiges Recht auf Selbstbelastungsfreiheit Eine weitere Ansicht hebt hervor, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Entwicklungsoffenheit geprägt ist. Vor diesem Hintergrund sei das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit als eigenständige Fallgruppe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszuformen.240 Zwar handle es sich bei der Selbstbelastungsfreiheit nicht um eine neuartige Erscheinung, mangels bisheriger Verankerung sei es dennoch unter Fortentwicklung der Fallgruppendogmatik geboten, ein eigenes Grundrecht auf Selbstbelastungsfreiheit anzuerkennen. Die Notwendigkeit ergäbe sich in besonderem Maße aus der Verselbstständigung, die die Selbstbelastungsfreiheit über Jahrhunderte erfahren habe. Rechtsprechung und Wissenschaft hätten dem nemo-teneturPrinzip Tiefe und Schärfe verliehen und es dadurch zu einem eigenständigen und festen Bestandteil des Grundrechtskanons entwickelt. Einer derart klaren Ausprägung würde nur eine eigenständige Anerkennung gerecht.241 Die Selbstbelastungsfreiheit sei zudem eine objektive Wertentscheidung. Diese würde in ihrem Geltungsanspruch abgeschwächt, wenn das Recht weiterhin nur als Teilaspekt und nicht als eigenständige Ausprägung von Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG angesehen wird.242 4. Stellungnahme Die Motivation des Beschuldigten, sich nicht an der eigenen Überführung zu beteiligen, wird von Selbstschutzinteressen geleitet. Selbstschutz ist nichts anderes als ein ureigenster, natürlicher Abwehrreflex des Menschen; er ist Charakteristikum des Menschseins. Vor diesem Hintergrund weist die Selbstbelastungsfreiheit eindeutig Bezug zur Menschenwürde auf. Die Untersuchung zur Ableitung aus Art. 1 Abs. 1 GG hat insoweit gezeigt, dass eine ausschließliche Verankerung in der Menschenwürde dem Verständnis von nemo tenetur aber gerade nicht gerecht wird: Die Menschenwürde ist abwägungsresistent; die Selbstbelastungsfreiheit hingegen nicht. Die Tatsache, dass die Selbstbelastungsfreiheit unstreitig als abwägbares Gut klassifiziert wird, verdeutlicht, dass es sich gerade nicht um eins der unantastbaren menschlichen Grundbedürfnisse handelt. Die Menschenwürde bleibt demnach als höchstes Gut von Verfassungsrang für einen absoluten Kernbereich des menschlichen Daseins vorbehalten; hierzu zählt nemo tenetur gerade nicht. 240  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 255 ff.; in diese Richtung zunächst auch Böse, GA 2002, 98, 103 ff., der von einem „eigenständigen Recht auf Selbsterhaltung“ spricht, dies im Ergebnis aber verneint. 241  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 256. 242  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 257.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat für entsprechende Konstellationen, die derart enge Schnittstellen zur Menschenwürde aufweisen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausgeformt. Es wurzelt in Art. 2 Abs. 1 GG und unterliegt durch die Verbindung zu Art. 1 Abs. 1 GG erschwerten Eingriffsanforderungen, ist aber grundsätzlich der Abwägung zugänglich. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet bei Zusammenfassung seiner verschiedenen Teilgehalte die Autonomie des Individuums, seine Rolle im Zusammenleben mit der Gesellschaft selbst zu bestimmen.243 Staatlicher Zwang zur Selbstbelastung beeinträchtigt diese Autonomie. Das Bedürfnis, sich frei von Zwang für oder gegen eine aktive Beteiligung an der eigenen Strafverfolgung entscheiden zu können, ist Ausdruck der freien Persönlichkeitsentfaltung. Beizupflichten ist insoweit Rogall244 – nemo tenetur ist gerade ein Persönlichkeitsrecht. Die Kritik an dieser Ableitung vermag indes nicht zu überzeugen. Im Gegensatz zu strafprozessualen Duldungspflichten verletzt der Zwang zur Selbstbelastung die persönliche Ehre, da dieser über die Eingriffsintensität einer passiven Hinnahme hinausgeht. Es handelt sich um eine aktive Auslieferung. Konkret einzuordnen ist die Selbstbelastungsfreiheit auf Ebene der Privatsphäre, denn sie unterliegt aus Gründen der Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums keinem absoluten Schutz. Bei Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern kann sie daher Einschränkungen unterliegen, wobei der Bezug zu Art. 1 Abs. 1 GG dabei erhöhte Anforderungen stellt. Nach der hier vertretenen Auffassung sind auch keine speziellen Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einschlägig. Abzulehnen ist damit die Verortung im Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Selbstbelastungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung haben das Charakteristikum der Informationspreisgabe gemein. Dennoch handelt es sich um unterschiedliche Schutzbereiche, welche eine klare Abgrenzung zueinander finden. Liegt der Schwerpunkt bei der informationellen Selbstbestimmung auf der puren Information, richtet sich das Augenmerk bei nemo tenetur hingegen auf deren Eignung zur Selbstbelastung; die reine Information ist belanglos. Auch eine teleologische Betrachtung verdeutlicht die unterschiedliche Gewichtung: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll vor der Bildung von Persönlichkeitsprofilen schützen und trägt insbesondere den technischen Entwicklungen mit der Möglichkeit elektronischer Datenverarbeitung Rechnung. Nemo tenetur schützt hingegen vor unfreiwilliger Beteiligung an der eigenen Strafverfolgung. Allein die Tatsache, dass jeder Selbstbelastung auch eine Informationspreisgabe innewohnt, rechtfertigt mithin noch keine Zuordnung zum spezielleren Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung. 243  Vgl. 244  Vgl.

Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 21, Rn. 28. hierzu bereits oben S. 60 m. w. N. in Fn. 223.



D. Verfassungsrecht, Grundgesetz65

Darüber hinaus überzeugt auch die Forderung nach Anerkennung von nemo tenetur als eigenständige Teilgrundrechtsausprägung nicht. Ein solcher Schritt wäre lediglich eine formale Bereicherung; inhaltlich erhielte die Selbstbelastungsfreiheit keine Aufwertung (zugegebenermaßen aber auch keine Abwertung). Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum auf diesem Weg der Selbstbelastungsfreiheit zu mehr Geltungsrang innerhalb der objektiven Werteordnung verholfen würde. Schließlich ist die verfassungsrechtliche Ableitung von nemo tenetur auch ohne Weiterbildung der (ungeschriebenen) Fallgruppendogmatik von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG gewährleistet. 5. Zwischenergebnis Damit ist festzuhalten, dass die Selbstbelastungsfreiheit Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist. Darüber hinaus könnte auch eine verfahrensrechtliche Komponente einschlägig sein.

V. Art. 103 Abs. 1 GG, Anspruch auf rechtliches Gehör Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. auch Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG) verbürgt den Anspruch auf rechtliches Gehör als grundrechtsgleiches Recht. Es konkretisiert den Menschenwürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG für gerichtliche Verfahren dahingehend, dass der Betroffene „nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein [soll], sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen [soll], um als Subjekt Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu können“245. Als „prozessuales Urrecht“246 wird so die aktive Verfahrensteilhabe gewährleistet. Es handelt sich um ein Verfahrensprinzip, welches für das rechtsstaatliche Verfahren schlechthin konstitutiv ist.247 Im Anspruch auf rechtliches Gehör wird zum Teil die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit gesehen.248 Zur Begründung wird hier eine Parallele bemüht: Sowohl Selbstbelastungsfreiheit als auch Anspruch auf rechtliches Gehör sei ein naturrechtliches Fundament gemein; sie würden in 245  BVerfGE

107, 395, 409. 55, 1, 6. 247  Vgl. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, Art. 103, Rn. 1. 248  Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103, Rn. 45; Niese, ZStW 63 (1951), 199, 219; Böse, GA 2002, 98, 118 ff.; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 165 f. 246  BVerfGE

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

dem Recht auf Verteidigung und Selbsterhaltung wurzeln.249 Über den gemeinsamen Ursprung hinaus sei Art. 103 Abs. 1 GG als inhaltliche Grundlage der Selbstbelastungsfreiheit zu sehen: So gewährleiste der Anspruch ein Recht zur prozessualen Selbstbehauptung; als Kehrseite müsse auch die Verteidigung durch Schweigen erfasst sein. Unabhängig von der Ausdrucksform des aktiven Vortrags oder des passiven Schweigens nehme der Beschuldigte schließlich ein und dieselbe Freiheit wahr, nämlich über sein Aussageverhalten im Strafverfahren zu bestimmen.250 Dass das jeweilige Recht als Kehrseite auch eine negative Komponente einschließe, sei für materielle Grundrechte allgemein anerkannt und müsse auch für Art. 103 Abs. 1 GG gelten.251 Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleiste schließlich eine ausreichende Aufklärung über den Tatvorwurf und ermögliche so überhaupt erst die sinnvolle Ausübung der Aussagefreiheit.252 Die Gegenmeinung räumt ein, dass aus systematischer Sicht der aktiven Schutzdimension des Art. 103 Abs. 1 GG auch eine negative Freiheit entspreche, zumal dies für Grundrechte grundsätzlich anerkannt ist.253 Im Falle des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergäbe sich aber, dass dem Recht auf Teilhabe in negativer Hinsicht lediglich das Recht entspreche, nicht von diesem Anspruch Gebrauch zu machen. Die Selbstbelastungsfreiheit als Nichtäußerungsfreiheit würde jenseits dieser Umkehrung der positiven Anspruchsseite liegen.254 Andere Stimmen führen wiederum gegen die Verankerung in Art. 103 Abs. 1 GG an, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör ein aktives Verteidigungsrecht, der nemo-tenetur-Grundsatz aber demgegenüber ein „negatives Abwehrrecht“255 sei. Die Selbstbelastungsfreiheit würde eben nicht die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligung absichern und unterfalle daher schon nicht dem Schutzgehalt.256 Darüber hinaus würde auch der Wortlaut einer entsprechenden Ableitung entgegenstehen: So ist Art. 103 Abs. 1 GG lediglich auf gerichtliche Verfahren anwendbar. Nicht umfasst Böse, GA 2002, 98, 118 ff. GA 2002, 98, 119. 251  Böse, GA 2002, 98, 120. 252  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 166. 253  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 215. 254  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 296 mit Fn. 360; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 218. 255  So Eser, ZStW 79 (1967), 565, 571; vgl. Dingeldey, JA 1984, 407, 409; vgl. auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 125, der in Art. 103 Abs. I, Art. 104 Abs. III S. 3 GG zwar „flankierende Schutzbestimmungen“ des nemo tenetur Grundsatzes sieht; jedoch keine Verankerung. 256  Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 94; Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK, 2013, S. 27. 249  Vgl.

250  Böse,



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sind sonstige staatliche Organe wie insbesondere die Verwaltungsbehörden oder Staatsanwälte.257 Auch nach hiesiger Ansicht kann der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG nicht zur rechtlichen Verankerung der Selbstbelastungsfreiheit herangezogen werden. Der Anspruch soll verhindern, dass der Betroffene durch Ausschluss von der aktiven Verfahrensmitwirkung zum Objekt staatlichen Handelns erniedrigt wird. Im Falle der Selbstbelastungsfreiheit hingegen entspringt eine Verobjektivierung des Beschuldigten gerade aus der Pflicht zur aktiven Verfahrensmitwirkung. Die Schutzrichtung verhält sich mithin diametral. Die Selbstbelastungsfreiheit kann nicht als status negativus des Anspruchs auf rechtliches Gehör gewertet werden.

VI. Art. 20 Abs. 3 GG, Rechtsstaatsprinzip Als Anknüpfungspunkt wird schließlich auch das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG herangezogen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet, dass die Ausübung staatlicher Macht ausschließlich auf Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und Rechtssicherheit zulässig ist.258 Über das abstrakte Prinzip hinaus existiert eine Vielzahl von Einzelausprägungen der Rechtsstaatlichkeit, welche im Grundgesetz sowohl unmittelbar kodifiziert sind als auch mittelbar abgeleitet werden. So sind beispielsweise der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG sowie das Bestimmtheitsgebot oder das Rückwirkungsgebot Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips.259 Dem rechtsstaatlichen Gesamtgefüge aus Art. 20 Abs. 3 GG kommt dabei über die Summe seiner einzelnen Bestandteile hinaus eine eigenständige Bedeutung als „eines der elementarsten Prinzipien des Grundgesetzes“260 und „unantastbare Grundentscheidung der Verfassung“261 zu. Es wirkt als Zielvorgabe, durch die mittels künftiger gestalterischer Maßnahmen die Rechtsstaatlichkeit weiter verwirklicht werden soll.262 Aus historischer Perspektive 257  Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 93; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 215. 258  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, § 20 III 1. 259  Vgl. die Auflistung bei Sachs, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 20, Rn. 77. 260  BVerfGE 1,14 (28. Leitsatz); 20, 323, 331. 261  Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 13. 262  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 218.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

verbindet sich mit dem Rechtsstaatsprinzip die Bindung staatlicher Macht an das Gesetz.263 Nach dem heutigen Verständnis existiert der Rechtsstaat sowohl im formellen wie auch materiellen Sinne: Formell steht der durch Gesetz gebundene, sogenannte Gesetzesstaat, im Fokus; in materieller Hinsicht ist der Rechtsstaat ein Gerechtigkeitsstaat. So enthält die Verfassung neben rechtstaatlichen Formprinzipien auch inhaltliche Vorgaben.264 Befürworter einer Verankerung des nemo-tenetur-Grundsatzes im Rechtsstaatsprinzip stützen sich auf folgende Ansätze: 1. Generelle Verankerung im Rechtsstaatsprinzip Zum Teil wird allgemein das Rechtsstaatsprinzip herangezogen.265 Die Befürworter dieses Ansatzes argumentieren, die Funktion der Selbstbelastungsfreiheit erschöpfe sich nicht in einem Abwehrrecht; ihr käme gerade auch eine verfahrensbezogene, rechtsgestaltende Funktion zu.266 Dies würden die Belehrungsvorschriften, die als Konkretisierung von nemo tenetur gelten, belegen: Im Stadium der Belehrung läge schließlich noch gar kein Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit vor, so dass schon gar kein Bedürfnis für ein Abwehrrecht bestünde. Die Selbstbelastungsfreiheit beanspruche damit schon Wirkung, bevor es überhaupt zu einer Persönlichkeitsverletzung kommt; ihr müsse damit auch eine verfahrensrechtliche Dimension zugesprochen werden.267 Eine alleinige Verankerung in einem Freiheitsrecht könne diese Dimension nicht hinreichend erfassen.268 Darüber hinaus ließe sich für die Verortung in Art. 20 Abs. 3 GG auch die historische Entwicklung anführen, denn die Aussagefreiheit sei kennzeichnendes Element des modernen rechtsstaatlichen Strafverfahrens.269 dazu Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 1. insgesamt Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 2 ff. 265  BVerfGE 38, 105; 113; 56, 37, 43; BGHSt 14, 358, 364; Sachs, in: ders., Grundgesetz, Art. 20, Rn. 163; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 74 ff.; Rupp, JuS 1967, 163, 164; Grünwald, JZ 1968, 752, 752; Esser, JR 2004, 98, 98; Reiß, NJW 1977, 1436, 1437; ders., Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, 1987, S. 157; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 69; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 255. 266  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 72; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 254 f. 267  So insgesamt Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 72 f. 268  Vgl. auch Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 255. 269  Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, 1987, S. 156 f. 263  Vgl. 264  Vgl.



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Einer solchen Sichtweise wird entgegengehalten, dass es sich bei der Selbstbelastungsfreiheit um ein Grundrecht handelt. Grundrechte seien zwangsläufig Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips, so dass diese Verankerung im Ergebnis nicht weiter führe.270 Darüber hinaus wird kritisiert, dass der allgemeine Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips lediglich einen zusammenfassenden Charakter aufweise, der über die Einzelelemente nicht hinausgehe und somit methodisch keine Fläche für zusätzliche Verortungen biete.271 In diesem Zusammenhang wird auch die Unschärfe des Rechtsstaatsprinzips bemängelt, die zu einer weiteren Verklärung von nemo tenetur führen könnte.272 Zudem stünde man vor dem umgekehrten Problem einer Verankerung in Art. 1 Abs. 1 GG: Während ein Eingriff in die Menschenwürde keiner Rechtfertigung zugänglich ist, sähe man sich bei Art. 20 Abs. 3 GG dem Problem einer Rechtfertigungsbegrenzung gegenüber. Die Rechtfertigungsmöglichkeiten seien hier unter Umständen sehr weit; der Schutzbereich könnte so zu sehr geschmälert werden.273 2. Verankerung in einem Teilaspekt des Rechtsstaatsprinzips Das Rechtsstaatsprinzip hat in seinen einzelnen Unterprinzipien eine hinreichende Konkretisierung durch Rechtsprechung und Wissenschaft erfahren.274 Ein Rückgriff auf das übergeordnete Prinzip wird daher entbehrlich, wenn auf eine konkrete Teilausprägung zurückgegriffen werden kann.275 a) Unschuldsvermutung Die Unschuldsvermutung postuliert, dass der Beschuldigte bis zum Nachweis der Schuld als unschuldig angesehen werden muss.276 Sie ist nicht explizit im Grundgesetz kodifiziert, sondern leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG ab und ist so verfassungsrechtlich 270  Rogall,

der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 138 f. „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 95. 272  Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 83. 273  Lagodny, StV 1996, 167, 171. 274  Zu den einzelnen Teilausprägungen vgl. die Auflistung bei Sachs, in: ders., Grundgesetz, Art. 20, Rn. 77 f. 275  Vgl. Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 219; a. A. Rogall, der auch eine Verortung in Teilelementen des Rechtsstaatsprinzips ablehnt, denn mehr als eine „blankettartige Bezeichnung ergibt sich [daraus] in Wahrheit nicht“, Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 139. 276  BVerfGE 22, 254, 265. 271  Reiter,

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

garantiert.277 Darüber hinaus ist sie auch völkerrechtlich in Art.  6 Abs. 2 EMRK gewährleistet.278 Vereinzelt wird die Unschuldsvermutung als maßgeblicher Anknüpfungspunkt einer Herleitung der Selbstbelastungsfreiheit gesehen.279 Wie die Untersuchung bereits zur völkerrechtlichen Verankerung in Art. 6 Abs. 2 EMRK ergeben hat, überzeugt eine Ableitung des nemo-tenetur-Prinzips aus der Unschuldsvermutung nicht.280 Zur Argumentation kann auf obige Ausführungen verwiesen werden; sie gelten uneingeschränkt auch für die verfassungsrechtliche Dimension.281 b) Recht auf Verfahrensfairness Neben den speziellen verfahrensrechtlichen Garantien verbürgt das Rechtsstaatsprinzip ein eigenständiges Fairnessprinzip; es wird vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung aus Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet.282 Das Fairnessprinzip verpflichtet die staatlichen Organe dazu, korrekt und fair zu verfahren; sie dürfen nicht in rechtsmissbräuchlicher oder widersprüchlicher Weise von ihren Befugnissen Gebrauch machen.283 Aus diesem Gedanken folgt insbesondere das Prinzip der verfahrensrechtlichen Waffengleichheit; es ist im Verhältnis zwischen Staatsanwalt und Beschuldigten von tragender Bedeutung.284 Demnach darf der Beschuldigte nicht zum bloßen Verfahrensobjekt erniedrigt werden; er muss gehört werden und auch sonst die erforderlichen verfahrensrechtlichen Befugnisse haben, um seine Rechte im Verfahren zu wahren und darauf Einfluss zu nehmen.297 Als „allgemeines

277  BVerfGE 19, 342, 347; 22, 254, 265; Esser, in: Löwe / Rosenberg, Band  11, Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR, Rn. 448. 278  Vgl. hierzu S. 51 f. 279  Arndt, NJW 1966, 869, 870; Guradze, in: FS-Loewenstein, 1971, S. 151, 160; Puppe, GA 1978, 289, 299; Eser, ZStW 79 (1967), 565, 567 f.; Lorenz, JZ 1992, 1000, 1006. 280  Dazu siehe S. 51 f. 281  Vgl. etwa Rogall, der in seiner Untersuchung neben Art. 6 Abs. II EMRK auch auf die verfassungsrechtliche Verankerung der Unschuldsvermutung verweist. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 109; vgl. ebenso auch Böse, GA 2002, 98, 123. 282  Ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 26, 66, 71; 38, 105, 111; 39, 238, 243; 40, 95, 99; 122, 248, 271 ff. 283  BVerfGE 38, 105, 111; 122, 248, 271; Günther, GA 1978, 193, 198; Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK,2013, S. 102. 284  Vgl. BVerfGE 38, 105, 111; Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 47, Rn. 25; zum Prinzip der Waffengleichheit Gercke / Temming, in: Gercke et al., Strafprozessordnung, Einl. Rn. 34.



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Prozessgrundrecht“286 vervollständigt und ergänzt das Fairnessprinzip so die expliziten verfahrensrechtlichen Gewährleistungen. Vor diesem Hintergrund spricht sich ein gewichtiger Anteil von Rechtsprechung und Literatur für eine Ableitung der Selbstbelastungsfreiheit (mitunter) aus dem Recht auf Verfahrensfairness aus.287 Insofern wird betont, dass den Strafverfolgungsbehörden aufgrund ihrer Ressourcen typischerweise eine deutlich stärkere Position zukommt als dem Beschuldigten. Durch die Selbstbelastungsfreiheit würde dieser den Strafverfolgungsbehörden teilweise als Beweismittel entzogen. Auf diesem Weg könne ein partieller Ausgleich des Machtgefälles erreicht und mithin ein gewichtiger Beitrag zur Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung geleistet werden.288 Darüber hinaus wird angeführt, dass die Selbstbelastungsfreiheit Zwang verbiete und so eine Ermittlungsmethode untersagt, welche ihrer Art nach schon maßgeblich von Unfairness geprägt sei.289 Schließlich wird in diesem Zusammenhang auch auf die Parallele zur Rechtsprechung des EGMR sowie auf die anglo-amerikanische Rechtsordnung hingewiesen; hier wird die Selbstbelastungsfreiheit ebenfalls aus dem fair trial Prinzip hergeleitet.290 Die Gegenmeinung hegt hingegen „Zweifel grundsätzlicher Art“291. Sie hält der Ableitung aus der Verfahrensfairness entgegen, dass es sich hierbei lediglich um ein übergeordnetes Institut handle aus dem keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote entnommen werden könnten.292 Die Verfahrensfairness sei vielmehr ein „prozesstheoretisches Normkon­ kretisierungselement“293, welches auf die Herstellung einer „überobligatorischen Grundrechtsverwirklichung“294 ziele und so keinen Ankerplatz für zusätzliche Beschuldigtenrechte biete. Ihre Wirkung beschränke sich auf die 285  BVerfGE 26, 66, 71; Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 47, Rn. 24. 286  BVerfGE 57, 250, 275; 78, 123, 126; vgl. Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 298. 287  BVerfG NStZ 1995, 555, 555; BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016 – 2 BvR 890 / 16, Rn. 34; BGHSt 25, 325, 330; 38, 214, 220; 38, 302, 305; Gercke / Temming, in: Gercke et al., StPO, Einl., Rn. 33; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 906; Günther, GA 1978, 193, 198 f.; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1177, 1208; Bringewat, JZ 1981, 289, 294; Bottke, Jura 1987, 356, 361; Roxin, in: FS-Geppert, 2011, S. 549, 563; Kasiske, JuS 2014, 15, 17. 288  Vgl. dazu insgesamt Kasiske, JuS 2014, 15, 17. 289  Dazu Kasiske, JuS 2014, 15, 17. 290  Kasiske, JuS 2014, 15, 17 m. w. N. in Fn. 15. 291  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 298. 292  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 223. 293  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 299. 294  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 300.

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

einer Auslegungsdirektive.295 Dem fair trial Grundsatz komme damit nach nationalem Verständnis nur eine Reservefunktion zu; er wirke ergänzend dort, wo auf einfachgesetzlicher oder verfassungsrechtlicher Ebene die Rechte des Beschuldigten nicht erschöpfend geregelt würden. Da es sich bei der Selbstbelastungsfreiheit aber nicht um eine solche Lückenauffüllung handle, könne die Verfahrensfairness nicht als Grundlage herangezogen werden.296 Darüber hinaus wird die „generalklauselartige Vagheit“297 der Verfahrensfairness kritisiert. Sie würde das Prinzip zu einem freihändig nutzbaren Werkzeug machen, mittels dessen sich beliebige Rechtspositionen kreieren ließen.298 Aus der „Blankettformel“299 ergäben sich erhebliche begriffliche Unsicherheiten.300 Zudem sichere der Fairnessgedanke vorrangig eine aktive verfahrensrechtliche Stellung und passe dementsprechend auf hiesige Konstellation nicht.301 Schließlich könne das Prinzip auch nicht als Rechtsgrundlage überzeugen, da der besondere Persönlichkeits- und Menschenwürdebezug der Selbstbelastungsfreiheit so nur mittelbar zum Ausdruck kommen würde.302 3. Stellungnahme Die Selbstbelastungsfreiheit ist aus der bewussten Abkehr vom Inquisitionsprozess entstanden. Als Gegenentwurf zum inquisitorischen Verfahren sind die Beschuldigtenrechte im reformierten Strafverfahren ausgebaut worden. Ihnen gemein ist ein Abwehrcharakter; durch sie soll der Beschuldigte davor bewahrt werden, im Strafverfahren zum Objekt staatlichen Handelns erniedrigt zu werden. Ausgehend von den Entwicklungen der Aufklärungsepoche ist der Beschuldigte so zum Prozesssubjekt aufgestiegen. Auch die Selbstbelastungsfreiheit ist als solch verfahrensrechtliches Abwehrrecht gegen staatliche Machtausübung zu begreifen. Für diese Sichtweise spricht die historische Entwicklung der verbotenen Vernehmungsmethoden: § 136a StPO gilt als Kernvorschrift zum Schutz der Aussagefreiheit. Insofern haben der 295  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 300; vgl. auch Bosch, Aspekte des nemo tenetur Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 76. 296  Dazu insgesamt Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-Trial-Prinzip des Art. 6 EMRK, 2013, S. 28. 297  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 98. 298  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 298 f.; kritisch auch Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 223. 299  Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 96. 300  Reiter, „Nemo tenetur se ipsum prodere“, 2007, S. 96. 301  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 253. 302  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 224.



D. Verfassungsrecht, Grundgesetz73

Rückfall zu Folter und Geständniserpressung im Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit zur Kodifikation der verbotenen Vernehmungsmethoden geführt.303 § 136a StPO beziehungsweise die dahinter stehende Selbstbelastungsfreiheit sind damit als besonderer Ausdruck des Gerechtigkeitsstaats zu werten. Eine alleinige Verankerung in den Freiheitsgrundrechten wird diesem speziellen Verfahrensgehalt nicht gerecht. Der Selbstbelastungsfreiheit kommt damit eindeutig ein rechtsstaatlicher Gehalt zu. Fraglich bleibt, ob insofern eine spezielle Teilausprägung herangezogen werden kann, oder ob der allgemeine Prozessgrundsatz einschlägig ist: a) Allgemeine Ableitung Das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG ist ein Gesamtgefüge rechtsstaatlicher Einzelausprägungen. Im Hinblick auf die Herleitung zusätzlicher Elemente mahnt das BVerfG jedoch zur Vorsicht an: „Das Rechtsstaatsprinzip […] enthält allerdings keine bis in alle Einzelheiten eindeutig bestimmten Ge- und Verbote. Es handelt sich vielmehr um einen Verfassungsgrundsatz, der der Konkretisierung entsprechend den jeweiligen sach­ lichen Gegebenheiten bedarf […]. Namentlich sind für den Richter – wie für den Gesetzgeber – die im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsätze der Bestimmtheit […] und der Verhältnismäßigkeit […] von Bedeutung. Darüber hinaus verkörpert der Grundsatz der Rechtssicherheit und die Idee der materiellen Gerechtigkeit weitere wesentliche Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips […]. Angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit ist bei der Ableitung konkreter Bindungen jedoch mit Behutsamkeit vorzugehen […].“304

Ausgehend von diesem Standpunkt leitet das BVerfG nur in wenigen Fällen spezifische Aussagen unmittelbar aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip ab.305 Eine eigenständige Verortung der Selbstbelastungsfreiheit im allgemeinen Rechtsstaatsprinzip überzeugt daher nicht. b) Ableitung aus der Verfahrensfairness Es bedarf hier auch gar nicht des Rückgriffs auf das übergeordnete Institut, da die Gewährleistung der Selbstbelastungsfreiheit der spezifischen Teilausprägung des Rechtsstaatsprinzips, der Verfahrensfairness, entspringt. Insofern ist der Argumentation beizupflichten, dass sich der Beschuldigte in einer deutlich schwächeren Position als die Strafverfolgungsbehörden befin303  Vgl.

S. 38. 111, 54, 82. 305  Vgl. Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 13 mit einem Überblick. 304  BVerfGE

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

det, denn ihnen steht ein umfangreicher Ermittlungsapparat zur Verfügung.306 Es erscheint nur gerecht, wenn der Beschuldigte nicht selbst als umfangreiches Beweismittel herangezogen werden kann und so die Verfahrensbalance nicht weiter zum Nachteil des Beschuldigten absinkt. Die Selbstbelastungsfreiheit ist damit typischer Ausdruck von Verfahrensfairness. Diese Ableitung entspricht zudem einer konventionsfreundlichen Auslegung des Rechtsstaatsprinzips im Lichte der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR, denn auch auf völkerrechtlicher Ebene folgt aus Art. 6 Abs. 1 EMRK das Recht zur Selbstbelastungsfreiheit307. Die gegen diese Sichtweise vorgebrachten Einwände seitens der Literatur überzeugen nicht: Als Kernthese gegen eine Verortung im Fairnessprinzip wird dessen Rechtsnatur angeführt.308 Der Gegenansicht liegt ein Verständnis zu Grunde, nach dem die Verfahrensfairness lediglich auf Auslegungsebene direktiv wirkt. Ein solches Verständnis überzeugt indes nicht. Gegen die vorangestellte Sichtweise spricht, dass es sich bei der Verfahrensfairness um ein verfassungsrechtlich verbürgtes Grundrecht handelt.309 Das BVerfG hat das Recht auf ein faires Verfahren in ständiger Rechtsprechung zu einem eigenständigen Prozessgrundrecht erhoben.310 Grundrechte sind nach der unmissverständlichen Intention des Parlamentarischen Rates primär Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat und begründen subjektive Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Einzelnen.311 Auch die Bindungsanordnung des Art. 1 Abs. 3 GG beinhaltet die Vermutung, dass sich der Einzelne gegenüber der öffentlichen Gewalt auf die Grundrechte berufen und deren Erfüllung einfordern kann.312 Die Begründung eines subjektiven (Abwehr-) Rechts ist damit Regelfolge einer grundrechtlichen Garantie.313 Der Gehalt der Verfahrensfairness kann somit nicht nur in einer schlichten Auslegungsdirektive liegen; diese Funktion kommt ihr schon als Bestandteil der objektiven Werteordnung zu. Als subjektives Abwehrrecht muss ihr Inhalt darüber 306  Kasiske,

JuS 2014, 15, 17; siehe dazu S. 71. völkerrechtlichen Verankerung in Art. 6 Abs. 1 EMRK siehe S. 49 f. 308  Vgl. dazu S. 71. 309  Dreier, in: ders., Grundgesetz, Vorb. Rn. 77; Esser, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  11, Art. 6 EMRK / Art. 14 IPBPR, Rn. 184; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff. Rn. 101; Brunhöber, ZIS 2010, 761, 761; Beulke, in: Satzger / Schluckebier /  Widmaier, StPO, Einl. Rn. 77. 310  BVerfGE 57, 250, 275; 78, 123, 126; 89, 120, 129. 311  BVerfGE 7, 198, 204; Stern, in: ders. / Becker, Grundrechtekommentar, Einl. Rn. 33; zur Entstehungsgeschichte insoweit etwa Sachs, in: Stern, Staatsrecht III / 1, 530 f. 312  BVerfGE 6, 386, 387; Herdegen, in: Maunz / Düring, Art. 1 Abs. 3, Rn. 13. 313  Herdegen, in: Maunz / Dürig, Art. 1 Abs. 3, Rn. 13; Sachs, in: ders., Grundgesetzkommentar, Vor Art. 1 Rn. 40. 307  Zur



D. Verfassungsrecht, Grundgesetz75

hinausreichen. Er stellt sich demnach wie folgt dar:314 Zum einen beinhaltet die Verfahrensfairness eine Direktive an den Gesetzgeber auf Verwirklichung eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Darüber hinaus wirkt sie als Auslegungsdirektive für das Prozessrecht. Schlussendlich können dem fair-trialPrinzip auch einzelne Rechte entnommen werden. So hat auch das BVerfG bereits das Recht des Angeklagten auf einen Wahlverteidiger315 und das Recht des Zeugen auf Anwesenheit eines Rechtsbeistands während der gerichtlichen Vernehmung316 hieraus abgeleitet. An dieser Stelle ist als dritte Kategorie auch das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit zu verorten. Einer solchen Sichtweise wird ferner die schwammige Kontur der Verfahrensfairness entgegengehalten. Insofern lässt sich aber aus dogmatischer Sicht einwenden, dass es sich bei dem Grundrecht auf Verfahrensfairness zugleich um ein Rechtsprinzip handelt.317 Prinzipien sind als allgemeine Rechtsgedanken zu werten; sie verlangen nach Konkretisierung.318 Diesen Konkretisierungsprozess macht sich die Rechtsprechung zu eigen, wenn sie die Selbstbelastungsfreiheit aus dem Fairnessprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG herleitet. Über die vorstehenden Hauptkritikpunkte hinaus betont die Gegenansicht, dass die Verfahrensfairness primär die Gewährleistung einer aktiven verfahrensrechtlichen Stellung sichere. Eine solche Beschränkung überzeugt indes nicht, da das BVerfG aus der Verfahrensfairness auch das Recht des Zeugen auf Rechtsbeistand während der Vernehmung319 abgeleitet hat. Hierdurch wird keine aktive Verfahrensbeteiligung abgesichert; die Zubilligung des Rechtsbeistands dient dem Schutz des Zeugen in eigener Sache, unabhängig vom laufenden Verfahren. Auch eine konventionsfreundliche Auslegung des Fairnessprinzips spricht gegen die Beschränkung auf aktive Verfahrensrechte, da Art. 6 Abs. 1 EMRK auch die passive Verteidigung durch Wahrnehmung der Selbstbelastungsfreiheit umfasst. Schlussendlich kann auch dem Argument, dass bei Verortung in Art. 20 Abs. 3 GG der besondere Persönlichkeits- und Menschenwürdegehalt nicht zum Ausdruck komme, entgegnet werden, dass ohne diese Ableitung auch die verfahrensrechtliche Komponente nicht zum Ausdruck kommt. Die vorliegende Arbeit kommt die Einordnung bei Rogall, in: SK-StPO, Vor. § 133 ff., Rn. 103. 39, 156, 163; 39, 238, 243; dazu Grabenwarter / Pabel, in: Grote /  Marauhn, EMRK / GG, Kap. 14, Rn. 142. 316  BVerfGE 38, 105, 111 ff. 317  Zur Doppelfunktion vgl. Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl., Rn. 77, der den fair trial Grundsatz sowohl als Grundrecht als auch als Prozessrechtsgrundsatz ansieht. 318  Vgl. hierzu Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 303. 319  Siehe Fn. 316. 314  Vgl.

315  BVerfGE

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Kap. 2: Die Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit

damit zu dem Schluss, dass sowohl die Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht als auch in der Verfahrensfairness erforderlich ist.320 4. Zwischenergebnis Nach der hier vertretenen Ansicht wurzelt die Selbstbelastungsfreiheit zudem im Recht auf Verfahrensfairness gem. Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG.

E. Ergebnis Gegenstand des vorstehenden Abschnitts war die Frage nach der rechtlichen Grundlage des nemo-tenetur-Prinzips. Das Prüfungsprogramm bildeten dabei auf einfacher Gesetzesebene die Normen der Strafprozessordnung und des materiellen Strafrechts, auf Ebene des Völkerrechts die Europäische Menschenrechtskonvention und der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte, die Grundrechtecharter der EU als europäisches Primärrecht und schlussendlich aus verfassungsrechtlicher Perspektive das Grundgesetz. Folgende Ergebnisse sind festzuhalten: Die Strafprozessordnung selbst und das Strafgesetzbuch enthalten mit den verbotenen Vernehmungsmethoden, den Belehrungsvorschriften sowie der materiellen Umsetzung in § 343 StGB lediglich Schutzvorschriften zur Absicherung der Aussagefreiheit. Eine Rechtsgrundlage der Selbstbelastungsfreiheit ist hierin nicht zu sehen. Auf Ebene des Völkerrechts ist Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR über den Wortlaut hinaus als allgemeine Kodifikation der Selbstbelastungsfreiheit zu verstehen. Darüber hinaus wird der nemo-tenetur-Grundsatz vom EGMR in ständiger Rechtsprechung aus der Verfahrensfairness gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK hergeleitet. Auch in der Grundrechtecharta ist die Selbstbelastungsfreiheit mittelbar im Recht auf Verfahrensfairness gem. Art. 47 Abs. 2 EU-GRCharta verankert. Die verfassungsrechtliche Aufarbeitung hat gezeigt, dass insofern eine enorme Vielfalt an divergierenden Ansätzen vertreten wird. Die vorliegende Arbeit kommt dabei zu dem Schluss, dass sich die Rechtsgrundlage des 320  Auch das BVerfG legt seiner jüngsten Entscheidung zur Selbstbelastungsfreiheit eine Ableitung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG zu Grunde, BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016  – 2 BvR 890 / 16, Rn. 34.



E. Ergebnis77

nemo-tenetur-Prinzips sowohl aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als auch aus dem Recht auf Verfahrensfairness gem. Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG speist. Die Selbstbelastungsfreiheit ist demnach ein bipolares Grundrecht, welches eine materielle und prozessuale Komponente vereint. Sie dient sowohl dem Schutz der Persönlichkeit als auch der Wahrung des rechtsstaatlich fairen Strafverfahrens, indem sie einen gewichtigen Beitrag zur Wahrung der Verfahrensbalance leistet. Diese verfassungsrechtliche Verankerung ermöglicht es, dass der nemo-tenetur-Grundsatz über seinen Hauptanwendungsbereich des Strafverfahrens hinaus auch Auswirkungen im außerstrafprozessualen Bereich entfaltet. Als Bestandteil der objektiven Werteordnung strahlt die Selbstbelastungsfreiheit damit in die gesamte Rechtsordnung aus.

Kapitel 3

Der Schutzgehalt im Strafverfahren Ausgehend von der rechtshistorischen Betrachtung und der Analyse der Rechtsgrundlage zielt nachstehender Untersuchungsteil darauf, die inhaltliche Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit zu erfassen. Das dritte Kapitel richtet das Augenmerk auf den Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren. So sollen die Grundlagen für die sich anschließende Untersuchung des außerstrafprozessualen Schutzbereichs in Kapitel vier gelegt werden.

A. Eröffnung des Anwendungsbereichs Die Analyse der inhaltlichen Reichweite beginnt mit der Bestimmung des Anwendungsbereichs von nemo tenetur. Dieser ist eröffnet, wenn der Betroffene zur Preisgabe belastender Tatsachen gezwungen wird und dadurch eine spezifische Verfolgungsgefahr auslöst.

I. Preisgabe belastender Tatsachen Zunächst ist erforderlich, dass der Betroffene belastende Tatsachen preisgibt. Dazu müssen folgende Kriterien erfüllt sein: 1. Gegenstand der Selbstbelastung Der Schutzbereich von nemo tenetur ist gleichermaßen für verbale wie nonverbale Selbstbelastungen eröffnet.321 Er erstreckt sich auf jegliche Mitwirkungsformen, denn aus Sicht des Beschuldigten ist es irrelevant, ob er die Überführung durch Aussage oder auf Grund vorgelegter Urkunden und Augenscheinsobjekten ermöglicht.334 Die Preisgabe belastender Tatsachen kann mithin sowohl verbal als auch nonverbal erfolgen. 321  BGHSt 49, 56, 58; Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 136, Rn. 44; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 146; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 157; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 44; zu den einzelnen Fallgruppen der verbalen und nonverbalen Belastung ausführlich Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 173 ff.



A. Eröffnung des Anwendungsbereichs79

2. Form der Selbstbelastung Nach traditionellem Verständnis schützt nemo tenetur vor Zwang zur aktiven Selbstbelastung.323 Der Betroffene soll vor der Situation bewahrt werden, einen Beitrag zur Verurteilung leisten zu müssen; gerade die positive Beteiligung an der eigenen Auslieferung erscheint unzumutbar.324 Diese Intention begrenzt aber zugleich den Schutzbereich: Der Beschuldigte ist damit nicht generell als Beweismittel entzogen, sondern eben nur soweit, wie er aktiv tätig werden müsste. Denn die Selbstbelastungsfreiheit wird erst berührt, wenn dem Betroffenen eine willensgesteuerte Leistung abverlangt wird.325 Der Staat kann damit auf solche Beweise zugreifen, die unabhängig von seiner Einwirkung und der Mitwirkung des Beschuldigten entstanden sind.326 So ist der Beschuldigte etwa327 nicht zur aktiven Herausgabe gem. § 95 StPO verpflichtet; er muss jedoch die Beschlagnahme gem. § 94 StPO passiv erdulden.328 Auch körperliche Untersuchungen gem. § 81a StPO muss er im Rahmen der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich hinnehmen.329 Aus der Differenzierung zwischen aktiv und passiv können sich aber im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten und zweifelhafte Lösungen ergeben. So kann bei einer Verkehrskontrolle der Fahrzeugführer nicht zur (vermeintlich harmlosen) aktiven Atemalkoholkontrolle gezwungen werden; er unterliegt aber der passiven Erduldung der Blutabnahme im Rahmen von § 81a StPO.330 Auf den ersten Blick erscheint auch eine Entscheidung des BVerfG 322  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 146; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 158. 323  BVerfGE 56, 37, 42 f.; BVerfG NJW 2013, 1058, 1061; BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016  – 2 BvR 890 / 16, Rn. 35; BGH 34, 39, 46; BGH NStZ 2009, 705, 705; Rogall, in: SK- StPO, Vor § 133 ff.; Rn. 142; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 91; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 80; Gercke et al., StPO, Einl., Rn. 29; Eisenberg, in: ders., StPO, Rn. 834; Dingeldey, JA 1984, 407, 412; Kasiske, JuS 2014, 15, 17 f. 324  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 132; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst 1977, S. 157. 325  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 142. 326  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 46. 327  Vgl. die Auflistung bei Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 45 f. 328  Greven, in: KK-StPO, §  95, Rn. 2; Menges, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band 3, § 95, Rn. 2; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, § 95, Rn. 5. 329  OLG Frankfurt StV 1996, 651, 652; Rogall, in: SK-StPO, § 81a, Rn. 2; Senge, in: KK-StPO, § 81a, Rn. 4; Krause, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  2, § 81a, Rn. 22. 330  BayObLG NJW 1963, 772, 772; GA 1964, 310, 310 f.; Senge, in: KK-StPO, § 81a, Rn. 4, 5a; Dahs / Wimmer, NJW 1960, 2217, 2218; Bärlein / Pananis / Rehms-

80

Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

zur Frage des Brechmitteleinsatzes fraglich: Hier wurde Brechmittel zur Beweissicherung verabreicht, wodurch der Beschuldigte scheinbar aktiv belastendes Beweismaterial erbrach.331 Das BVerfG fügte seinem Nichtannahmebeschluss bei, dass dieses Vorgehen mit Blick auf die Selbstbelastungsfreiheit „grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet“332. Die Literatur stimmt dieser Sichtweise überwiegend zu, da sich der Prozess allein als Ausnutzen unkontrollierbarer Körperreaktionen darstelle. Eine willensgesteuerte, aktive Selbstbelastung läge nicht vor.333 Gegner dieser Ansicht argumentieren, dass hier ein passives Verhalten vorliegt; schließlich sei „der gesamte […] Organismus in heftigster Aktivität“334. Das „Heraussprudeln einer Aussage“ sei genauso wie das „Heraussprudeln des Mageninhalts“335 als aktive Selbstbelastung einzustufen.336 Auch das OLG Frankfurt bejahte in einem parallel gelagerten Fall eine aktive Selbstbelastung, denn der Beschuldigte würde gegen seinen Willen zum aktiven Erbrechen gezwungen.337 Auf völkerrechtlicher Ebene ging der EGMR in der Entscheidung Jalloh vs. Deutschland ebenfalls von einer Verletzung nemo teneturs aus.338 Diese neuralgischen Punkte sind Auslöser einer Tendenz, bei der die starre Abgrenzung zwischen Aktivität und Passivität für unzureichend gehalten wird.339 So wird einerseits mit Blick auf die Brechmittelproblematik angeführt, es müsse zwischen Zwang zur geistig gesteuerten Körperaktivität meier, NJW 2002, 1825, 1826; Kasiske, JuS 2014, 15, 18; Mosbacher, NStZ 2015, 42, 42 f. 331  BVerfG StV 2000, 1. 332  BVerfG StV 2000, 1, 1. 333  Krause, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  2, § 81a, Rn. 52; Rogall, in: ­SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 142; ders., NStZ 1998, 66, 67; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, 1998, S. 289 f.; Schuhr, NJW 2006, 3538, 3541. 334  Dallmeyer, StV 1997, 606, 608. 335  Dallmeyer, StV 1997, 606, 608. 336  Dallmeyer, StV 1997, 606, 608. 337  OLG Frankfurt StV 1996, 652, 652. 338  EGMR NJW 2006, 3117, 3125 – Jalloh vs. Deutschland. Nunmehr hält auch der BGH die zwangsweise Verabreichung von Brechmittel wegen den damit verbundenen Gesundheitsgefahren und aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr für zulässig, BGH NJW 2010, 2595, 2597. Dem schließt sich die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur an, vgl. hierzu Senge, in: KK-StPO, § 81a, Rn. 6a; Eidam, NJW 2010, 2599, 2600; Krüger / Kroke, Jura 2011, 289, 293. Demgegenüber spricht eine Mindermeinung dem Urteil des EGMR keine Allgemeingültigkeit zu und betont die Umstände des Einzelfalls; vgl. Ritzert, in: BeckOK, StPO, § 81a, Rn. 12.2; zurückhaltend Trück, in: MüKO, StPO, § 81a, Rn. 17, der insofern allenfalls von einer „sehr eingeschränkten Zulässigkeit“ spricht. 339  Vgl. dazu Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 47 ff.



A. Eröffnung des Anwendungsbereichs81

und Zwang zur bloß physischen Reaktion differenziert werden.340 Ein anderer Ansatz hält die Unterscheidung zwischen aktiv und passiv insgesamt für obsolet, da Duldungspflichten wertungsmäßig ebenso wie Handlungspflichten den Betroffenen bezichtigen könnten.341 Richtig erscheint es dennoch an der traditionellen Trennung von aktiv und passiv festzuhalten. Wesenselement von nemo tenetur ist der Zwang, einen eigenhändigen Beitrag zur Überführung leisten zu müssen. Dies kann indes nur dort angenommen werden, wo sich ein Wille zur Handlung ausformen muss; das schlichte Erdulden nötigt diesen psychischen Schritt hingegen nicht ab. Duldungs- und Handlungspflichten sind mithin gerade nicht gleichwertig. Versteht man Aktivität als eine steuerbare Handlung, so lässt sich auch der Einsatz von Brechmittel im traditionellen Sinne lösen: Das Erbrechen von Beweismaterial kommt allein unter Ausnutzung des vegetativen Nervensystems zustande. Es basiert nicht auf einem Entschluss zur Handlung und fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit. Einer Korrektur des klassischen Verständnisses bedarf es daher nicht.

II. Zwangselement Schutzgut des nemo-tenetur-Grundsatzes ist nicht die allgemeine Willensentschließungsfreiheit; es geht gerade um die Abwehr finaler Zwangsausübung.342 Der Anwendungsbereich ist daher nur für den Fall eröffnet, dass ein echtes Zwangsmoment vorliegt. Hierunter ist sowohl unmittelbarer als auch mittelbarer Motivationsdruck zu verstehen, wozu insbesondere das Inaussichtstellen von Nachteilen rechtlicher und tatsächlicher Art zählt.343 Insofern genügt jedoch nicht schon jeder beliebige Nachteil, der den Auskunftsverpflichteten im Falle der Weigerung trifft. Die Grenze des unzulässigen Belastungszwangs ist erst dort überschritten, wo eine staatliche In­ strumentalisierung des Betroffenen erfolgt.344 Dem Auskunftsberechtigten muss ein Mittel zur Verfügung stehen, dass den Auskunftsverpflichteten zur 340  Verrel,

Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 235, 284. NStZ 1987, 103, 104; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 235, 283; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 279. 342  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 139; vgl. auch Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 13, der hierin ein „wesentliches Spezifikum des nemo tenetur Grundsatzes“ sieht. 343  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 139; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 13. 344  Vgl. Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 132. 341  Wolfslast,

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Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

umfassenden und wahrheitsgemäßen Offenlegung anhält.345 Dies ist unstreitig dann der Fall, wenn die Verweigerung mit Zwangsmitteln wie Bußgeld oder Beugehaft bedroht ist.346 Auch die Möglichkeit einer Versicherung an Eides statt und die daraus drohende Strafbarkeit gem. § 156 StGB gewährleistet hinreichenden Motivationsdruck.347 Demgegenüber ist die Frage, ob schon die bloße Rechtspflicht an sich hinreichenden Zwang beinhaltet, strittig. Ihre Befürworter gehen von der Annahme aus, nemo tenetur schütze das Recht des Einzelnen zur Entscheidungswahl über sein Erklärungsverhalten. Durch die gesetzliche Auskunftspflicht würde dem Betroffenen eben diese Entscheidung entzogen; die Aussagepflicht begründe mithin einen Aussagezwang.348 Die Gegenansicht lehnt eine solche Sichtweise ab. Eine staatliche Instrumentalisierung könne erst angenommen werden, wenn bei Nichterfüllung eine Zwangsmaßnahme drohe.349 Nach übereinstimmender Ansicht ist dies aber jedenfalls dann zu verneinen, wenn es sich um eine bloße Obliegenheit handelt.350 Der Betroffene kann hier zwischen Schutz vor Selbstbelastung oder Rechtsverwirklichung wählen.351 So hat beispielsweise das BVerfG im Zusammenhang mit Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung entschieden, dass allein im drohenden Verlust des Versicherungsschutzes kein tauglicher Zwang im Sinne von nemo tenetur gesehen werden kann.352 345  Vgl. OLG Düsseldorf StV 1992, 503, 504: „Erst recht stehen der Asylbehörde keine Zwangsmittel zur Verfügung, um den Ast. zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Offenlegung aller aus Sicht der Verwaltung erheblichen Tatsachen anzuhalten.“ 346  Beispielsweise verpflichtet § 17 Abs. 4 ArbZG den Arbeitgeber zur umfassenden Auskunft. Gem. § 22 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 ArbZG kann die Verweigerung mit einer Geldbuße von bis zu fünfzehntausend Euro geahndet werden. Demgegenüber können selbstbelastende Angaben im Zwangsvollstreckungsverfahren durch Haft gem. § 802g ZPO erzwungen werden. 347  Vgl. für das Zwangsvollstreckungsverfahren § 802c Abs. 3 ZPO oder § 98 Abs. 1 InsO für das Insolvenzverfahren. 348  Schaefer, NJW-Spezial 2010, 120, 121. 349  So heißt es in BVerfG NJW 2005, 352, 353: „Drohen hingegen im Fall der Nichterfüllung einer gesetzlichen Auskunftspflicht keine Zwangsmaßnahmen, so lässt sich verfassungsrechtlich aus der gesetzlichen Auskunftspflicht selbst noch kein strafrechtliches Beweisverwertungsverbot herleiten […].“. Vgl. auch Weiß, NJW 2014, 503, 504; Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 976 f. 350  BGH NJW 1990, 1426, 1427; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff.; Rn. 139; ablehnend auch Franzen, in: FS-Köhler, 2014, S. 133, 141; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 264. 351  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 139; vgl. auch Stürner, NJW 1981, 1757, 1761. 352  BVerfG NStZ 1995, 562; zustimmend Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133  ff., Rn. 139; Menges, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  3, § 97, Rn. 15.



A. Eröffnung des Anwendungsbereichs83

Ähnlich urteilte das BVerfG hinsichtlich der steuerrechtlichen Selbstanzeige, dass allgemeine Straftaten, die zugleich mit der Steuerhinterziehung begangen wurden und bei Selbstanzeige offenbart werden, keinem Verwertungsverbot unterliegen.353 Die Selbstbelastungsfreiheit sei hier nicht verletzt, da der Steuerpflichtige nicht zur Selbstanzeige gezwungen sei; allein die „faktische Zwangswirkung“354 reiche nicht aus.355 Ebenso versagte der BGH ein Verwertungsverbot für belastende Angaben im Asylverfahren, denn es stehe dem Bewerber frei, ob und mit welcher Begründung er um Asyl sucht.356 Die Nachteile, die ihn bei unzureichender Auskunft treffen könnten, würden sich allein darin erschöpfen, dass die Bewilligung des Asylantrags infolge des lückenhaften Tatsachenvortrags gefährdet würde. Der Interessenkonflikt läge damit aber allein in der Person des Antragstellers begründet und sei für nemo tenetur irrelevant.357 Eine Besonderheit ergibt sich schlussendlich im Fall der heimlichen Ermittlungen und des Einsatzes von V-Männern.358 Hier erfolgen die Maßnahmen zur Entlockung belastender Angaben gerade ohne Kenntnis des Betroffenen; er empfindet keinen Zwang im eigentlichen Sinne. Die Rechtsprechung legt in diesen Fällen dem Zwangsbegriff ein weites Verständnis zu Grunde, wonach ausreichend ist, dass ein psychologischer Druck aufgebaut wird, dem sich der Betroffene nicht ohne weiteres entziehen kann.359

III. Auslösung einer Verfolgungsgefahr Durch die Preisgabe der Information muss der Betroffene eine Verfolgungsgefahr auslösen. Dies ist der Fall, wenn er einen Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO begründet.360 Insofern genügt es, wenn die Selbstbelastung Maßregeln zur Besserung und Sicherung oder Maßregeln 353  BVerfG

NJW 2005, 352. NJW 2005, 352, 353. 355  Problematisch ist hingegen, inwieweit bei gescheiterter Selbstanzeige nemo tenetur der Verwertbarkeit entgegen steht, dazu Beckemper, ZIS 2012, 221 ff. 356  BGH NJW 1990, 1426, 1427; OLG Düsseldorf StV 1992, 503, 504; a.  A. Kadelbach, StV 1992, 503, 508. 357  BGH NJW 1990, 1426, 1427; siehe auch OLG Düsseldorf StV 1992, 503, 504. 358  Vgl. hierzu S. 89 ff. 359  Vgl. die Übersicht zur Rechtsprechung auf S. 89 ff. Siehe auch Kasiske, JuS 2014, 15, 18. 360  BVerfG NJW 2002, 1411, 1412; BVerfG NJW 2003, 3045, 3046; Senge, in: KK-StPO, § 55, Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, § 55, Rn. 7; Dingeldey, JA 1984, 407, 410; Schaefer, NJW-Spezial 2010, 120, 120; ausführlich zum Gefahrbegriff Ignor / Bertheau, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  2, § 55, Rn. 10 ff. 354  BVerfG

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Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

nach dem JGG nach sich ziehen könnte.361 Auch ein Anfangsverdacht hinsichtlich einer Ordnungswidrigkeit unterliegt dem Anwendungsbereich von nemo tenetur. Dies ergibt sich für den Zeugen explizit aus § 55 Abs. 1 StPO und gilt auch für den Beschuldigten.362 Demgegenüber ist der Anwendungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit nicht eröffnet, wenn die drohende Sanktion nicht über eine bloße Wiedergutmachung, wie etwa im Fall des zivilrechtlichen Schadensersatzes, hinausgeht.363 Auch drohende Bloßstellungen und Reputationsverluste sowie sonstige Einbußen sind hier irrelevant.364

IV. Zwischenergebnis Der Anwendungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist eröffnet, wenn es sich um eine relevante Selbstbelastung handeln. Dies ist der Fall, wenn eine aktive Informationspreisgabe verbaler oder nonverbaler Art erzwungen und dadurch ein Anfangsverdacht begründet wird. Es muss eine staatliche Instrumentalisierung des Betroffenen erfolgen.

B. Schutzbereich Anknüpfend an die bisherigen Erkenntnisse soll nun eine konkrete Inhaltsbestimmung erfolgen.

I. Subjektiver Schutzbereich In personeller Hinsicht schützt die Selbstbelastungsfreiheit jedermann, der sich einer staatlich veranlassten Selbstbelastungsgefahr aussetzt.365 Primärer Träger der Selbstbelastungsfreiheit ist der Beschuldigte; in seiner 361  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133  ff., Rn. 151; Schmitt, in: Meyer-Goßner /  Schmitt, StPO, § 55, Rn. 6; Senge, in: KK-StPO, § 55, Rn. 5a; Dingeldey, JA 1984, 407, 410; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 80. 362  BVerfGE 55, 144, 150; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 152, ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 165; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531; Schuler, JR 2003, 265, 266; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 80; a. A. Stürner, NJW 1981, 1757, 1759. 363  Dazu Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 117; a. A. Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 30 f., der nemo tenetur auch auf Zwang zur Auskunft gegen eigene zivilrechtliche Interessen anwendet. 364  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 165 f.; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 81; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, § 55, Rn. 5. 365  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 260.



B. Schutzbereich85

Person manifestiert sich das umschriebene Spannungsverhältnis am deutlichsten.366 Darüber hinaus genießt auch der Zeuge besonderen Schutz. Ihm steht ein spezifisches Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 Abs. 1 StPO für Angaben, die ihn selbst oder seine Angehörigen belasten, zu. Über die Verweisung des § 72 StPO kommt dieses Recht auch dem Sachverständigen zu.

II. Objektiver Schutzbereich In objektiver Hinsicht kann der Schutzbereich in drei Komponenten eingeteilt werden: Aussagefreiheit, Mitwirkungsfreiheit sowie als Sonderfall die Schutzdimension bei heimlichen Ermittlungen und dem Einsatz verdeckter Ermittler. Die nachstehende Darstellung erfolgt vom Kernbereich der Aussagefreiheit zum Randbereich hin. 1. Aussagefreiheit Historisch gewachsener und gesicherter Kern der Selbstbelastungsfreiheit ist der Schutz vor Aussagezwang.367 Dies kommt für den Beschuldigten in §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 3 und 4, 243 Abs. 5 S. 1 StPO beziehungsweise in § 55 Abs. 1 StPO für den Zeugen deutlich zum Ausdruck. Die Strafprozessordnung selbst bezieht sich damit primär auf die verbale Selbstbelastungsfreiheit in Form der Aussagefreiheit.368 Hierunter ist ein umfassendes Schweigerecht zu verstehen, in dem die Befugnis, die Aussage nur teilweise zu verweigern, als Minus enthalten ist.369 Insgesamt steht es dem Betroffenen frei, ob er das Recht in Anspruch nimmt; es handelt sich nicht um eine Schweigepflicht.370 Hinsichtlich des konkreten Umfangs der Aussagefreiheit gilt es, nach Prozessstellung und Aussageinhalt zu differenzieren.

366  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133  ff., Rn. 155; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 96 f.; vgl. auch BVerfGE 56, 37, 42. 367  Verrel, NStZ 1997, 415, 415; Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 136, Rn. 45. 368  Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 166. 369  Eisenberg, in: ders., StPO, Rn. 832; Eser, ZStW 79 (1967), 565, 576; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 45; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 24. 370  Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 86; vgl. auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, 42, der insofern von einer „Möglichkeit“ spricht.

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Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

a) Prozessstellung Der Beschuldigte ist der Verurteilung am nächsten, so dass die Schutzintensität für ihn am intensivsten ist.371 Er ist berechtigt, die Aussage vollumfänglich zu verweigern. Dem verurteilungsferneren Zeugen kommt hingegen nur ein beschränktes Aussageverweigerungsrecht zu. Er ist grundsätzlich zur Aussage verpflichtet und darf lediglich die Antwort auf solche Fragen verweigern, die ihn selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezichtigen würden, § 55 Abs. 1 StPO. Dies bedeutet aber nicht, dass der Zeuge „nach seinem Gutdünken“372 Tatsachen verschweigen darf. Vielmehr muss er ausdrücklich erklären, dass er die Auskunft zu spezifischen Tatsachen verweigert.373 Nur in dem extremen Fall, dass eine Aussage in den meisten Punkten oder das Vernehmungsthema insgesamt die Gefahr einer Strafverfolgung birgt, kann der Zeuge berechtigt sein, die Aussage gänzlich zu verweigern.374 Über die Verweisungsnorm des § 72 StPO gilt das eingeschränkte Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen zudem für den Sachverständigen. Auch er ist grundsätzlich zur Gutachtenerstattung verpflichtet und darf dieses nur insoweit verweigern, wie er sich selbst belasten würde. b) Aussageinhalt Aus inhaltlicher Perspektive muss zwischen Angaben zur Sache und solchen zu seinen persönlichen Verhältnissen unterschieden werden. aa) Angaben zur Sache Den Belehrungsvorschriften zur Beschuldigtenvernehmung, §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO, ist zu entnehmen, dass der Beschuldigte nicht zur Sache aussagen muss. Hierunter fallen alle Angaben, die die Schuld- oder Straffrage betreffen.375 Inhaltlich unterliegt das Schweigerecht dabei keinen Grenzen; es gilt sogar für offenkundige Sachverhalte.376 371  Rogall,

Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 155. JA 1984, 407, 410. 373  BGHSt 21, 167, 171; Maier, in: MüKo, StPO, § 55, Rn. 70; Dingeldey, JA 1984, 407, 410. 374  BGHSt 10, 104, 105; 17 245, 247; Senge, in: KK-StPO, § 55, Dingeldey, JA 1984, 407, 410; Rn. 2. 375  Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25, Rn. 5; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 45. 376  Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 24. 372  Dingeldey,



B. Schutzbereich87

bb) Angaben zur Person Trotz Selbstbelastungsfreiheit ist der Beschuldigte nicht von jeglicher Mitwirkung am Verfahren freigestellt; ihm obliegen vielmehr Minimalpflichten, ohne die ein rechtsstaatliches Verfahren schwer durchführbar ist.377 So legt auch § 243 Abs. 4 S. 1 StPO fest, dass der Beschuldigte zu Beginn des Hauptverfahrens über seine persönlichen Verhältnisse zu vernehmen ist. Die Angaben können jedoch zugleich Aufschluss über die Schuldoder Straffrage geben und den Beschuldigten belasten.378 Damit drängt sich die Frage auf, ob sich der Beschuldigte auch hier auf sein Schweigerecht berufen kann. Vornehmlich in der älteren Rechtsprechung, aber auch in Teilen der Literatur wird eine uneingeschränkte Auskunftspflicht über die Angaben zur Person bejaht.379 Die Ansicht stellt maßgeblich auf den historischen Gesetzgeberwillen ab.380 Darüber hinaus wird auch der systematische Zusammenhang herangezogen. So würden sich die Belehrungspflichten ausdrücklich auf das Schweigerecht zur Sache beziehen; nicht jedoch auf die Angaben zur Person.381 Die Gegenansicht382 lehnt eine solche Argumentation aus den Belehrungsvorschriften heraus ab, da es sich bei den Belehrungspflichten lediglich um eine Konkretisierung der Selbstbelastungsfreiheit handelt. Die Lösung sei daher allein durch Auslegung von nemo tenetur selbst zu erreichen; unter dieser Prämisse wären aber bereits die Angaben zur Person dazu Dingeldey, JA 1984, 407, 411. persönlichen Angaben orientieren sich dabei an § 111 Abs. I OWiG; weitergehende Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen und zum Werdegang des Beschuldigten unterfallen der Vernehmung zur Sache, da sie offensichtlich strafzumessungsrelevant sind, vgl. dazu Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 174 f. m. w. N. Ob der Beschuldigte zu allen Angaben i. S. v. § 111 Abs. I OWiG befragt werden kann oder hingegen nur zu den Identitätsangaben im engeren Sinne, ist im Einzelnen strittig – etwa BGHSt 21, 334, 364; 25, 13, 17 einerseits und BayObLG NJW 1979, 1054; Rogall, in: KK-OWiG, § 111, Rn. 45 f.; Becker, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  6, 1. Teil, § 243, Rn. 31 andererseits. 379  BGHSt 21, 334, 364; 25, 13, 17; BayObLGSt NJW 1969, 2058; OLG Düsseldorf NJW 1970, 1888; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, § 136, Rn. 5; Pfeiffer, StPO, § 136, Rn. 3. 380  Etwa OLG Düsseldorf NJW 1970, 1888, 1889. 381  Rieß, JA 1980, 293, 294; vgl. auch Hannack, in: Löwe / Rosenberg, Band  2, 25. Auflage, § 136, Rn. 12. 382  Dahs / Wimmer, NJW 1960, 2217, 2219; Eser, ZStW 79 (1969), 565, 576; Seebode, JA 1980, 493, 497; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1226; Dingeldey, JA 1984, 407, 412; Rüping, JR 1974, 135, 137; Gleß, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band 4, § 136, Rn. 17; Schmidt, NJW 1968, 1209, 1215 in Fn. 57. 377  Vgl. 378  Die

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Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

von erheblichem Nachteil und daher nicht mit nemo tenetur zu vereinbaren.383 Einer vermittelnden Ansicht384 zur Folge, besteht grundsätzlich die Pflicht zur Angabe aller persönlichen Daten, es sei denn, die konkrete Einzelinformation begründet die Gefahr der Selbstbelastung. Dies sei wiederum der Fall, wenn die Angaben im Rahmen der Schuld- oder Straffrage verwendet würde, obwohl sich der Beschuldigte in sachlicher Hinsicht auf sein Schweigerecht beruft. c) Zwischenergebnis Zentrale Garantie des nemo-tenetur-Grundsatzes ist die Aussagefreiheit. Während dem Zeugen oder Sachverständigen nur ein eingeschränktes Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, ist der Beschuldigte berechtigt die Aussage vollumfänglich zu verweigern. Er ist nicht verpflichtet Angaben zur Sache zu machen; hinsichtlich der Vernehmung zur Person besteht in Rechtsprechung und Literatur kein Konsens. 2. Sonstige Auskunfts- und Mitwirkungsfreiheit Der Schutz von nemo tenetur beschränkt sich nicht nur auf das Schweigerecht, sondern garantiert darüber hinaus eine umfassende Auskunfts- und Mitwirkungsfreiheit gleich verbaler oder nonverbaler Art.385 So kann der Beschuldigte beispielsweise nicht zur Herausgabe von Beweismaterial gezwungen werden und ist folgerichtig vom dem Anwendungsbereich der Editionspflicht gem. § 95 StPO ausgenommen.386 Die Auskunfts- und Mitwirkungsfreiheit stellt sich dabei insgesamt als eine Handlungsfreiheit dar; passive Duldungspflichten bleiben hiervon unberührt und sind vom Betroffenen hinzunehmen.399 383  Dingeldey,

JA 1984, 407, 412. 1979, 16; 1980, 79; Wessels, JuS 1966, 169, 176; Roxin / Schünemann, § 25, Rn. 6; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 71; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 178; Becker, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band 6, 1. Teil, § 243, Rn. 32. 385  BGHSt 42, 139, 151 f.; 52, 11, 17; Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 136, Rn. 44; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 157; Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 44. 386  Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, § 95, Rn. 5; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133, Rn. 146; Menges, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band 3, § 95, Rn. 14; Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 95, Rn. 12; zu den verschiedenen Begründungsansätzen vgl. Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 46, Fn. 121 m. w. N. 384  BayObLGSt



B. Schutzbereich89

3. Heimliche Ermittlungen und Schutz vor Täuschung Dritte Komponente von nemo tenetur im strafverfahrensrechtlichen Sinne ist die Schutzwirkung bei heimlichen Ermittlungen und bei Täuschung. Im Fokus stehen damit unbewusste Selbstbelastungen. Hier tritt die Unsicherheit um Schutz und Grenze deutlich zu Tage. Ausgangspunkt ist die Überlegung, ob dem nemo-tenetur-Prinzip nur erzwungene und als solche bewusst empfundene Selbstbelastungen unterfallen oder ob auch unbewusste Belastungen im Rahmen von Hörfallen oder verdeckten Ermittlungen umfasst sind. An dieser Stelle ist die Diskussion um nemo tenetur noch nicht abschließend geführt.388 Seitens der Wissenschaft erfolgt die thematische Aufarbeitung fallgruppenartig entlang der höchstrichterlichen Rechtsprechung, so dass sich auch die folgende Darstellung an den wichtigsten Entscheidungen orientiert. a) BGHSt 34, 39 und BGHSt 40, 66 – „Stimmvergleich“ In BGHSt 34, 39 (Schleyer-Fall) sah sich der BGH erstmals mit der Frage der Verwertbarkeit eines heimlichen Stimmvergleichs konfrontiert. Im zu Grunde liegenden Fall wurde ein Gespräch ohne Wissen des Beschuldigten zum Zweck des Stimmvergleichs aufgezeichnet. Der Senat bewertete dieses Vorgehen als unzulässig und begründete seine Entscheidung mit dem Fehlen einer Rechtsgrundlage. Daneben äußerte er jedoch auch Bedenken, dass das Verbot der Selbstbelastungsfreiheit wirkungslos bliebe, wenn es durch Täuschung umgangen werden könnte. Könne der Beschuldigte nicht zu einer aktiven Stimmprobe gezwungen werden, so dürfe er auch nicht durch Täuschung mittels Tonbandaufnahme zum Sprechen veranlasst werden. In BGHSt 40, 66 hatte der 4. Senat ebenfalls über die Zulässigkeit einer heimlichen Stimmprobe zu entscheiden. Im konkreten Fall wurde dem Opfer die Gelegenheit gewährt, den Beschuldigten während seiner Vernehmung zu belauschen. Der Senat kam hier – anders als in BGHSt 34, 39 – zu dem Schluss, dass nicht schon jede heimliche Stimmengegenüberstellung unzulässig sei, sondern nur diejenigen, die mittels zusätzlicher Täuschung erwirkt wurden. Das schlichte Belauschen sei mit Blick auf nemo tenetur unbedenklich. 387  Zu den passiven Duldungspflichten siehe die Auflistung bei Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, 45 f.; vgl. zur Differenzierung zwischen aktiver und passiver Selbstbelastung S. 79 ff. 388  Vgl. Kasiske, JuS 2014, 15, 18; Pawlik, GA 1998, 378, 384; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 149.

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b) BGHSt 34, 362 – „Zellengenossen“ Der so genannten „Zellengenossenentscheidung“ lag der Sachverhalt zu Grunde, dass auf Veranlassung der Kriminalbeamten ein V-Mann in die Zelle des Angeklagten verlegt wurde um diesem gezielt selbstbelastende Informationen zu entlocken. Der BGH sah in diesem Vorgehen einen Verstoß gegen §§ 136a Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2 StPO wegen Ausübung unzulässigen Zwangs. Die Entscheidung ist seitens der Literatur auf Kritik gestoßen.389 So wird argumentiert, die Angaben seien freiwilliger Natur und nicht aus einer Drucksituation heraus entstanden. Die Selbstbelastung sei somit auf das Einwirkungsmittel der Täuschung zurückzuführen, zu dem die Untersuchungshaft das äußere, zwangsneutrale Umfeld gewesen wäre.390 c) BGHSt 42, 139 Großer Senat – „Hörfalle“ Der Große Senat hatte in BGHSt 42, 139 auf Vorlage des 5. Senats wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 132 Abs. 4 GVG über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Im Ermittlungsverfahren wegen schweren Raubes informierte ein Zeuge die Polizei, dass der bis dahin nicht verdächtigte spätere Angeklagte ihm gegenüber die Tat am Telefon gestanden habe. Der Zeuge wurde daraufhin zu einem erneuten Telefonat veranlasst, bei dem über einen Zweithörer mitgehört wurde. Auch in diesem Gespräch belastete sich der Angeklagte und wurde auf Grund dieser Angaben schlussendlich verurteilt. Der Große Senat lehnte einen Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit ab. Hierbei verneinte er die Frage, ob auch irrtumsbedingte Selbstbelastungen dem Schutzbereich unterfallen: „Gegenstand des Schutzes des nemo tenetur Grundsatzes ist die Freiheit von Zwang zur Aussage oder zur Mitwirkung am Strafverfahren. Die Freiheit von Irrtum fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes.“391

Der Angeklagte sei im vorliegenden Fall in seiner Entscheidung ob und in welchem Umfang er sich zum Geschehen äußern wolle frei gewesen; er hätte sich lediglich über Grund und Folgen des Anrufs geirrt. Ein solcher Irrtum sei nicht in den Schutz miteinzubeziehen, denn „damit erhielte die Aussagefreiheit einen Inhalt, den sie nach dem Gesetz (Art. 14 Abs. 3 Buchst. g IPbürgR) und der Rechtstradition nicht hat. Die Motive des 389  Grünwald, StV 1987, 470, 471 f.; Fezer, JZ 1987, 936, 937 ff.; Seebode, JR 1988, 427; 429 f.; Renzikowski, JZ 1997, 710, 711. 390  Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 72. 391  BGHSt 42, 139, 153.



B. Schutzbereich91 Beschuldigten zur Äußerung sind nicht Gegenstand des Schutzes und auch nicht zu erforschen.“392

Andernfalls würde die Selbstbelastungsfreiheit auch weitreichenderen Schutz als § 136a StPO gewährleisten, denn dort müsse der Grad einer Täuschung erreicht werden.393 Obwohl nemo tenetur hier nicht verletzt sei, betonte der Große Senat, dass der Sachverhalt aber eine „Nähe zu dem genannten Grundsatz“394 aufweise und daher bedenklich sei. Ob diese Bedenken im Einzelfall durchgreifen, würde maßgeblich von der Abwägung mit dem Interesse der effektiven Strafverfolgung sowie dem Schutzbedürfnis des Gemeinwesens abhängen. Die Verhältnismäßigkeit würde jedenfalls dann gewahrt, wenn es sich um eine erhebliche Straftat handelt und der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert ist.395 Die Entscheidung ist seitens der Literatur scharf angegriffen worden.396 Die Lösung sei widersprüchlich und inkonsequent.397 Kritisiert wird insbesondere die Diskrepanz, die sich aus der Ablehnung eines Verstoßes gegen nemo tenetur einerseits und der geäußerten generellen Bedenken gegen Hörfallen andererseits ergibt.398 Sie sei „im Ergebnis halbherzig und in der Begründung denkbar schwach und vage“.399 Die vom Großen Senat vorgegebenen Abgrenzungskriterien „erhebliche Straftat“ und „erschwerte Strafverfolgung“ würden zudem an nötiger Trennschärfe missen lassen und die angemahnte Unsicherheit noch verschärfen.400 392  BGHSt

42, 139, 153. 42, 139, 153. 394  BGHSt 42, 139, 157. 395  BGHSt 42, 139, 157. 396  So kritisiert etwa Verrel, die Lösung über einen Beinahe-Verstoß als „methodisch nicht haltbar“, Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 156. Die Argumentation enthält nach Rieß, NStZ 1996, 505, 505 „einen eigenartigen methodischer Bruch“ oder mit den Worten Bernsmann’s einen „methodisch und inhaltlich verdorbene[n] (Kompromiß-)Brei“, Bernsmann, StV 1997, 116, 119. Kritisch auch: Roxin, NStZ 1997, 18; Renzikowski, JZ 1997, 710; Weßlau, ZStW 110 (1998), 1, 32; Kretschmer, in: Radtke / Hohmann, StPO, § 136, Rn. 7; Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 40 f. 397  Engländer, ZIS 2008, 163, 164. 398  Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 155. Vgl. auch zur Kritik insgesamt – insbesondere zum Bruch mit bisheriger Rechtsprechung – S.  150 ff. 399  Weßlau, ZStW 110 (1998), 1, 15. 400  Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 157; kritisch auch Roxin, NStZ 1997, 18, 21; Rieß, NStZ 1996, 505, 505. 393  BGHSt

92

Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

Das befremdliche Vorgehen des Großen Senats wird seitens der Literatur damit erklärt, dass sich dieser vor einen „Scheideweg“401 gestellt sah: Der Erfolg von Hörfallen liegt gerade in der Heimlichkeit und der Instrumentalisierung des Beschuldigten.402 Der Senat hatte daher die Wahl sich entweder gegen Hörfallen auszusprechen oder diese – trotz rechtsstaatlicher Bedenken – aus pragmatischen Aspekten für zulässig zu erklären.403 Mit dem Hörfallenbeschluss wählte er letzten Endes einen „dritten Weg“404 mit der Konsequenz des eigenartig anmutenden Hin und Her der Entscheidungsbegründung.405 d) EGMR – Allan vs. the United Kingdom Eine andere Richtung nahm die Diskussion mit der Entscheidung des EGMR in Sachen Allan versus the United Kingdom aus dem Jahr 2002 ein.406 Auch hier war ein inhaftierter Beschuldigter von einem vermeintlichen Mithäftling zur Selbstbelastung veranlasst worden, obwohl er sich auf sein Schweigerecht berufen hatte. Der EGMR kam hier zu dem Schluss, dass die Selbstbelastungsfreiheit gerade nicht auf die Anwendung von Zwang beschränkt sei: „Wenn das Recht, zu schweigen und der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit auch in erster Linie dazu dienen, den Beschuldigten gegen unzulässigen Zwang der Behörden […] zu schützen, ist der Anwendungsbereich nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Beschuldigte Zwang widerstehen mußte […]. Das Recht […]dient prinzipiell der Freiheit der verdächtigten Person, zu entscheiden, ob sie in Polizeibefragungen aussagen oder schweigen will.“407

Diese Freiheit würde aber nach Ansicht des EGMR auch dann unterlaufen, wenn sich der Beschuldigte auf sein Schweigerecht beruft und die Behörden ihm dennoch im Wege der Täuschung ein Geständnis entlocken. Ob dieses Vorgehen als Verletzung des Schweigerechts aus Art. 6 EMRK zu werten sei, hinge aber von den Umständen des Einzelfalls ab. schon zum Anfragebeschluss des 5. Senats Roxin, NStZ 1995, 465, 468. Renzikowski, JZ 1997, 710, 711; Weßlau, ZStW 110 (1998), 1, 18. 403  Seitens der Literatur wird die Problematik vielfach über ein generelles Verwendungsverbot für Belastungen aus Hörfallen gelöst, etwa Roxin, NStZ 1995, 465, 468; Renzikowski, JZ 1997, 710, 717. Auch diese Lösung weist jedoch Begründungsdefizite auf und führt vor allem zu dem kriminalpolitisch unerwünschten Ergebnis des totalen Tabus. Dazu Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 158 ff.; vgl. auch Weßlau, ZStW 110 (1998), 1, 17 ff. 404  Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 156. 405  Verrel, Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 156. 406  EGMR StV 2003, 257. 407  EGMR StV 2003, 257, 259. 401  So

402  Vgl.



B. Schutzbereich93

Die Entscheidung des EGMR wurde zunächst seitens der Literatur dahingehend gewertet, dass der EGMR den Schutzbereich von nemo tenetur generell auch auf Täuschungen erstreckt habe.408 Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass dieser Schluss voreilig war: Der EGMR sah hier nemo tenetur gerade deshalb als verletzt an, weil der Beschuldigte über einen längeren Zeitraum nachhaltig zur Aussage gedrängt worden war.409 Er war einem erheblichen psychischem Druck ausgesetzt.410 e) BGHSt 52, 11 – „Mallorca-Fall“ In BGHSt 52, 11 nahm der BGH ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung des EGMR. Auch hier hatte sich der Beschuldigte auf sein Schweigerecht berufen und war trotzdem durch einen Spitzel zur Selbstbelastung veranlasst worden. Der BGH nahm in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR einen unzulässigen Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit an. Insoweit führte der Senat aus, der allgemeine Schutz der Selbstbelastungsfreiheit würde sich bei Geltendmachung des Schweigerechts durch den Beschuldigten so verdichten, dass die Strafverfolgungsbehörden seine Entscheidung zu schweigen respektieren müssten. Hier hätten die Behörden aber die Inanspruchnahme des Schweigerechts durch die Art und Weise der Informationsgewinnung massiv verletzt. Der verdeckte Ermittler habe nicht nur das geschaffene Vertrauen ausgenutzt, sondern durch beharrliches Fragen die Äußerungen entlockt. Dabei sei gezielt die besonderen Belastungen der Haftsituation ausgenutzt worden und der Beschuldigte unter anderem mit der Ankündigung des Kontaktabbruchs massiv zu Angaben gedrängt worden. Die Literatur bewertete die Entscheidung teilweise dahingehend, dass die Entscheidung zwar Klarheit geschaffen aber auch zugleich Verwirrung gestiftet habe. Positiv zu bewerten sei die klare Umgrenzung der Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittler im Sinne des EGMR. Andererseits hätte der 3. Senat hier aber den Großen Senat anrufen müssen, da durch das Urteil des EGMR die bisherige Rechtsprechung des Großen Senats größtenteils überholt worden sei.411 Dieser Sichtweise wird entgegen408  Gaede,

28.

StV 2003, 257, 262; vgl. auch Schäfer, in: FS-Widmaier, 2008, S. 15,

409  Kasiske, StV 2014, 423, 423; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., 131; in diese Richtung auch Engländer, ZIS 2008, 163, 165, Fn. 16, der jedoch Unklarheiten dahingehend sieht, ob der EGMR hier primär auf täuschungs- oder zwangsbezogene Aspekte abstellt. 410  Vgl. EGMR StV 2003, 257, 260. 411  Meyer-Mews, NJW 2007, 3138, 3143; zur Hinfälligkeit des Hörfallenbeschlusses zuvor schon Schäfer, in: FS-Widmaier, 2008, S. 15, 28; vgl. auch Renzikowski, JR 2008, 164, 166.

94

Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

gehalten, dass auch im Mallorca Fall nicht die Täuschung, sondern wie schon im Fall Allan412 der psychologische Druck maßgebliches Kriterium gewesen sei.413 Die Rechtsprechung des Großen Senats sei daher gerade nicht hinfällig geworden.414 f) Weitere Entwicklung, kein genereller Schutz vor Täuschung In den folgenden Entscheidungen distanzierten sich EGMR und BGH von der Erstreckung nemo teneturs auf den Schutz vor Täuschung, indem sie vermehrt das Zwangsmoment in den Vordergrund stellten;415 damit entzogen sie der Ansicht, die ihre Rechtsprechung als generelle Ausweitung auf Täuschungen wertete, weitestgehend den Boden. In den Entscheidungen legten sie dem Zwangselement eine extensive Auslegung zu Grunde: Zwang sei bereits dann anzunehmen, wenn durch beharrliches Ausfragen des verdeckten Ermittlers ein psychischer Druck auf den Beschuldigten ausgeübt würde, dem sich dieser nicht ohne weiteres entziehen könne.416 Weder EGMR noch BGH erstrecken darüber hinaus die Selbstbelastungsfreiheit uneingeschränkt auch auf Täuschungen.417 So verneinte der EGMR im Fall Bykov versus Russland418 den Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit, obwohl ein „geradezu abenteuerliches Täuschungsmanöver“419 der Ermittlungsbehörden inszeniert worden war. Der EGMR argumentierte, dass sich der Beschuldigte trotz Täuschung im konkreten Fall keines Aussagezwangs ausgesetzt sah. Anders als im Fall Allan hatte sich der Beschuldigte nicht auf sein Schweigerecht berufen und befand sich auch nicht in Untersuchungshaft. Er war lediglich in Freiheit auf seinem eigenen Anwesen zur Selbstbezichtigung veranlasst worden. Dabei hatte der Beschuldigte den Anschein erweckt, dass er die Unterhaltung willentlich vertiefte, weil das Thema für ihn von persönlichem Inte­ resse war. Der Gerichtshof sah daher weder Zwang noch Druck einschlägig. dann auch Gaede, JR 2009, 493, 497. StV 2014, 423, 423; ders., JuS 2014, 15, 18. 414  Vgl. Rogall, NStZ 2008, 110, 113, der eine Abweichung von der Rechtsprechung des Großen Senats oder anderen Senaten des BGH verneint. Auch Sowada kommt zu dem Ergebnis, dass der neue Kurs des BGH nicht die Vorgaben des EMRK unterschreitet, in: FS-Geppert, 2011, S. 689, 703. 415  Vgl. Kasiske, StV 2014, 423, 423; ders., JuS 2014, 15, 18. 416  Kasiske, JuS 2014, 15, 18. 417  Vgl. Rogall, NStZ 2008, 110, 112; Gaede, JR 2009, 493, 497; Sowada, in: FS-Geppert, 2011, S. 689, 702; Kasiske, StV 2014, 423, 423. 418  EGMR JR 2009, 514 – Bykov vs. Russland. 419  Kasiske, StV 2014, 432, 432. 412  So

413  Kasiske,



B. Schutzbereich95

Auch BGH NStZ 2011, 596 verneinte einen Verstoß gegen nemo tenetur mangels Zwangswirkung. Unter ausdrücklicher Berufung auf den Fall B ­ ykov urteilte der BGH, dass der Beschuldigte sich auch hier der insgeheimen Befragung hätte jederzeit entziehen können.420 „Unter diesen Umständen liegt es fern, dass eine psychologischem Druck gleichkommende Situation den Angeklagten zu den sich selbst belastenden Angaben veranlasst hat.“421 In dem Fall Pascal betonte der BGH derweil, dass der Beschuldigte nicht durch Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage gedrängt werden dürfe.422 Im konkreten Fall fanden insgesamt 28 Treffen über einen Zeitraum von fast anderthalb Jahren zwischen verdecktem Ermittler und der Beschuldigten statt. Die Beschuldigte hatte sich zu Beginn der Ermittlungen auf ihr Schweigerecht berufen. Schließlich bekannte sich die vermeintliche Vertrauensperson wahrheitswidrig zur Tötung der eigenen Schwester und brachte die Beschuldigte so zur Angabe selbstbelastender Umstände. Der BGH betonte, dass sich die Angeklagte „angesichts der empfundenen Seelenverwandtschaft“423 anvertraut habe und bewertete das Vorgehen als unzulässige Druckausübung. Schwierigkeiten unter dieser Prämisse eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit zu bejahen, hatte der BGH hingegen in BGHSt 53, 294. In dem Verfahren war das Gespräch zwischen Beschuldigten und Ehefrau unter Vorspielen einer unbewachten Gesprächssituation im Besuchsraum der Untersuchungshaft aufgezeichnet worden. Der BGH betonte, dass die Aussage hier gerade nicht durch gezieltes und beharrliches Einwirken der Behörden entlockt worden sei. Diese hätten auf den Gesprächsinhalt der Eheleute keinerlei Einfluss gehabt. Die akustische Überwachung könne im vorliegenden Fall daher nicht als Zwang gewertet werden, jedoch sei die Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Angeklagten mit Blick auf nemo tenetur bedenklich. Der BGH bejahte schlussendlich ein Verwertungsverbot: „Jedenfalls in der Gesamtschau stellt sich hier aber das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden mit Blick auf die besondere Situation des U-Haftvollzuges als Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren dar.“424 Zwar gelingt es dem BGH auf diesem Weg, sich nicht auf eine Täuschung stützen zu müssen, jedoch wählt er mittels Gesamtschau ein Vorgehen, dass seitens der Literatur als unbefriedigend425 eingestuft wird. So wird kritisiert, dass er tragende Erwägungen nicht transparent mache und keine präNStZ 2011, 596, 598; vgl. auch Kasiske, StV 2014, 423 mit Fn. 10. NStZ 2011, 596, 598. 422  BGH StV 2009, 225, 226, § 7. 423  BGH StV 2009, 225, 226, § 8. 424  BGH StV 2009, 225, 226, § 51. 425  Kasiske StV 2014, 423, 424. 420  BGH 421  BGH

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Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

zisen Kriterien aufstelle, an die sich Rechtsprechung und Literatur orientieren könnten.426 g) Zusammenfassung Der Querschnitt durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Hörfallen und heimlichen Ermittlungen hat gezeigt, dass auf diesem Gebiet erhebliche Unsicherheiten bestehen. Die Rechtsprechung schwankt hier im Spannungsfeld zwischen Effektivität der Strafrechtspflege einerseits und Wahrung der Beschuldigtenrechte andererseits. Unter dem Druck der Vorgaben des EGMRs vermeidet es der BGH, auf das Merkmal der Täuschung abzustellen und dadurch die Kriterien des Großen Senats preiszugeben. Stattdessen sucht er den Ausweg in einer weitreichenden Auslegung des Zwangsmerkmals sowie dem Abstellen auf Beinahe-Verstoß und Gesamtschau. Die Literatur steht sich derweil uneinig gegenüber – zum Teil werden täuschungsbedingte Selbstbelastungen dem Schutzbereich zugeordnet,427 zum Teil wird dies abgelehnt.428 Als gemeinsamer Nenner zeigt sich derweil die grundsätzliche Kritik am undurchsichtigen Vorgehen der Rechtsprechung.429 Richtungsweisende, beziehungsweise -ändernde Impulse auf nationaler wie europäischer Ebene bleiben hier weiterhin abzuwarten. 4. Zwischenergebnis Die Schutzdimension der Selbstbelastungsfreiheit teilt sich in strafprozessualer Hinsicht in drei Komponente auf: Gesicherter Kernbereich ist die Aussagefreiheit bei Vernehmung. Es handelt sich um ein umfassendes Schweigerecht des Beschuldigten. Da der Zeuge vermindert schutzwürdig ist, kommt ihm nur ein partielles Auskunftsverweigerungsrecht zu. Inhaltlich zielt die Aussagefreiheit primär auf Auskünfte zur Sache. Ob auch Angaben zur Person verweigert werden können, ist strittig. Darüber hinaus 426  Kasiske, StV 2014, 423, 424; kritisch zur Begründung auch Engländer, JZ 2009, 1175, 1179 und Verrel, in: FS-Puppe, 2011, S. 1628, 1623 f. Hingegen sieht Klesczewski durch das Abstellen auf die Verhältnisse der U-Haft nun „klare Konturen“, StV 2010, 462, 464. 427  Roxin, NStZ 1995, 465, 466; ders., NStZ 1997, 18, 18 ff.; Bernsmann, StV 1997, 116, 118; Weßlau, ZStW 110 (1998), 1, 25; Gaede, JR 2009, 493, 497 f.; Kretschmer, HRRS 2010, 343, 346. 428  Rogall, NStZ 2008, 110, 112; ders., in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 141; Pawlik, GA 1998, 378, 389; Verrel, NStZ 1997, 415, 415 f. 429  Zur Kritik am Beinahe-Verstoß und der Gesamtschau vgl. S. 91 und S. 95; s. auch Sowada, in: FS-Geppert, 2011, S. 689, 703; Engländer, ZIS 2008, 163, 164.



C. Rechtsfolgen 97

umfasst nemo tenetur als weiteren Bestandteil eine allgemeine Auskunftsund Mitwirkungsfreiheit. So unterliegt der Betroffene keiner Pflicht zur verbalen oder nonverbalen Selbstbelastung; passive Duldungspflichten hat er demgegenüber aber hinzunehmen. Dritte und zugleich schwierigste Komponente ist die Frage nach Schutzwirkungen im Fall von heimlichen Ermittlungen und Täuschungen. Rechtsprechung und Literatur konnten hier bisweilen kein Konsens erzielen. Nach überwiegender Ansicht enthält nemo tenetur aber keinen Schutz vor Täuschung. In diesen Fällen zeigt sich die Tendenz, eine Lösung über Ausdehnung des Zwangsverständnisses zu suchen, so dass unter Umständen auch ein psychischer Druck als Zwang im Sinne von nemo tenetur gelten kann.

C. Rechtsfolgen Schließlich ist zu klären, welche Rechtsfolgen die Selbstbelastungsfreiheit im klassischen verfahrensrechtlichen Sinne zeitigt.

I. Rechtswidrig erzwungene Selbstbelastung Fraglich ist zunächst, welche Konsequenz eine rechtswidrig erzwungene Selbstbelastung nach sich zieht. Insofern ist es zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit zwingend erforderlich, dass die Information nicht bei der Beweiswürdigung herangezogen werden darf. Allein auf diesem Weg wird verhindert, dass die Selbstbelastung in eine Selbstüberführung umschlägt.430 Diese Annahme wird zutreffend anhand des Gemeinschuldnerbeschlusses belegt: In BVerfGE 56, 37 ließ der Senat außerstrafrechtliche Auskunftspflichten nur deshalb verfassungsrechtlich unbeanstandet, da durch das Beweisverwertungsverbot hinreichender Schutz vor Selbstüberführung gewährleistet wird.431 Es handelt sich mithin um rechtmäßigen Aussagezwang. Wenn aber das Verwertungsverbot schon bei rechtmäßigem Aussagezwang eingreift, dann muss dies erst recht bei rechtswidrigem Zwang gelten.432 Darüber hinaus wird das Erfordernis eines Verwertungsverbots auch mit der „überragenden Bedeutung“433 des nemo-tenetur-Grundsatzes begründet. Ungeachtet des jeweiligen Ausgangspunkts entspricht es letztendlich allgemeiner Ansicht, dass eine unter Verletzung von nemo tenetur 430  Rogall,

in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 162. hierzu S. 42 f. und ausführlich S. 104 ff. 432  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 162 mit Verweis auf Stürner, NJW 1981, 1758. 433  Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 467. 431  Vgl.

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Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

erwirkte Aussage oder Mitwirkung ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht.434 Dies hat zur Folge, dass die erlangte Information selbst nicht gem. § 261 StPO gewürdigt und dem Urteil zu Grunde gelegt werden kann.435 Auch darf keine Niederschrift verlesen und kein Zeuge vom Hörensagen vernommen werden.436 Vereinzelt wird demgegenüber eine noch weitreichendere Schutzwirkung gefordert: So finden sich Stimmen, die für eine Absicherung des Verwertungsverbots mit einem Offenbarungsverbot437 oder für die Annahme eines Verwendungsverbots438 plädieren.439

II. Verletzung von Belehrungsvorschriften Die Selbstbelastungsfreiheit wird auf einfacher Gesetzesebene durch die Strafprozessordnung mit Belehrungsvorschriften abgesichert.440 Der Betroffene ist demnach in jedem Verfahrensstadium auf das Bestehen seiner Aussagefreiheit hinzuweisen.441 Bereits der Wortlaut der Belehrungspflichten legt nahe, dass das Gesetz von der Unkenntnis des Beschuldigten über sein Schweigerecht ausgeht.442 Insoweit wird die Nichtkenntnis der Aussagefreiheit mit dem Glauben an eine Aussagepflicht gleichgesetzt, so dass bei jeder unbelehrten Aussage vermutet wird, sie sei unfreiwillig zustande gekom434  BVerfGE 56, 37, 47; BVerfG NJW 2005, 352, 353; 38, 214, 220 f.; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 194; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 97; Kasiske, JuS 2014, 15, 20; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S.  96 ff.; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 108. Zum Verwertungsverbot allgemein vgl. S. 210 ff. 435  Vgl. zur Wirkung des Verwertungsverbots unten S. 214 f. 436  Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 97; Rogall, in: SK-StPO, § 136a, Rn. 106; Diemer, in: KK-StPO, § 136a, Rn. 39; vgl. auch Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, § 136a, Rn. 29. 437  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 165. 438  So etwa im Rahmen einer Verletzung von § 136a StPO grundsätzlich bejahend: Rogall, in: SK-StPO, § 136a, Rn. 108 ff.; Schuhr, in: MüKo, StPO, § 136a, Rn. 98. Vgl. allgemein auch Jäger, Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, 2003, S. 226 ff.; 281 und Reinecke, Die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten, 1990, S. 247 f. 439  Vgl. zur Abgrenzung zum Verwertungsverbot S. 214 ff.; zum Offenbarungsverbot siehe S. 113. 440  BGHSt 42, 139, 147; BGHSt 25, 325, 330; Grünwald JZ 1966, 489, 495; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 168, m. w. N. 441  § 136 Abs. I S. 2 StPO für den Beschuldigten (bzw. die Parallelvorschriften §§ 115 Abs. 3 S. 1, 163a Abs. 3 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO) und § 55 Abs. II StPO für den Zeugen (bzw. §§ 161a Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 3 S. 1, S. 4 StPO). 442  So deutlich BGHSt 38, 214, 221. Dazu auch Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 170.



C. Rechtsfolgen 99

men.443 Zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit ist daher bei fehlender Belehrung grundsätzlich von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen.444 Die Verwertung ist aber ausnahmsweise zulässig, wenn gewichtige Gründe für die Annahme sprechen, dass der Betroffene über sein Aussageverweigerungsrecht im Bilde war oder unabhängig davon ausgesagt hätte. Als gewichtigen Grund wertet der BGH beispielsweise die Tatsache, dass der Betroffene anwaltlich vertreten wurde.445 Darüber hinaus ist auch die Möglichkeit der Heilung des Verfahrensfehlers anerkannt: Die unterbliebene Belehrung kann in qualifizierter Form nachgeholt und dem Beschuldigten die Möglichkeit zur erneuten Aussage gegeben werden.446 Weitestgehend kritisiert447 wird die so genannte Widerspruchslösung des BGH, wonach die Aussage trotz Missachtung der Belehrung verwertet wird, wenn der Betroffene der Verwertung nicht bis zu dem in § 257 StPO benannten Zeitpunkt widersprochen hat.448 Kritiker halten der Widerspruchslösung entgegen, sie sei undogmatisch und beruhe allein auf Praktikabilitätserwägungen aus gerichtlicher Perspektive.449 Insbesondere würde sie der staatlichen Fürsorgepflicht widersprechen und führe zur Verschiebung des Strafprozesses hin zu 443  Rogall,

in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 170. Rechtsprechung seit BGHSt 25, 325, 328 ff. Hinsichtlich dieser Rechtsfolge standen sich Literatur und Rechtsprechung indes bis dahin lange Zeit uneinig gegenüber. So sah die Rechtsprechung in den Belehrungsvorschriften lediglich Ordnungsvorschriften, auf deren Verletzung keine Revision gestützt werden konnte, grundlegend BGHSt 22, 170, 173 ff. In der Literatur hingegen vermochte diese Auffassung zu keiner Zeit zu überzeugen; Wortlaut, Schutzzweck und verfassungsrechtliche Grundlage der Belehrungsvorschriften sprachen seit jeher dafür, diese als zwingendes Recht zu betrachten, dazu Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn.  175 m. w. N. 445  BGHSt 25, 325, 332. Im Übrigen soll dies auch gelten, wenn der Beschuldigte bereits zu einem früheren Zeitpunkt oder ein Mitangeklagter zuvor bei seiner Vernehmung ordnungsgemäß belehrt wurde, BGHSt 25, 325, 332 f.; s. auch Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 177. 446  Dies setzt die zusätzliche Belehrung über die Unverwertbarkeit der vorherigen Aussage voraus, BGHSt 53, 112, 115. Vgl. dazu Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 136, Rn. 75 ff.; Rogall, in: SK-StPO, § 136, Rn. 60; Grünwald, JZ 1968, 752, 754. 447  Kritisch etwa Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 111 f.; Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 34; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 460a; Rogall, in: SK-StPO,§ 136, Rn. 78; ders., JZ 2008, 818, 830; Fezer, JR 1992, 385, 386; Bohlander, NStZ 1992, 504, 505 f.; Herdegen, NStZ 2000, 1, 4 f.; Kasiske, Jus 2014, 15, 20, Fn. 41. 448  Grundlegend BGHSt 38, 214, 225  f. Als Auslöser der Widerspruchslösung wird der Rechtsprechungswandel in BGHSt 25, 325 (Anerkennung eines Verwertungsverbots bei Belehrungsverstoß) gesehen, Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 112. 449  Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 136, Rn. 98, 101. 444  Ständige

100

Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

einem adversatorischen Verfahren, in welchem Staatsanwaltschaft und Angeklagter sich als reine Antagonisten gegenüberstehen würden.450

III. Berücksichtigung bei der Beweiswürdigung Macht der Beschuldigte von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf sich aus der Inanspruchnahme für ihn kein unmittelbarer Nachteil im Verfahren ergeben. Der Schutzbereich darf insbesondere nicht dadurch faktisch entwertet werden, dass aus der verweigerten Einlassung nachteilige Schlüsse gezogen werden.451 Dies gilt unstreitig, sofern der Beschuldigte die Einlassung zur Sache452 vollständig verweigert.453 Denn könnte sein Schweigen als Eingeständnis von Schuld gewertet werden, so würde er mittelbar zur Aussage gezwungen. Anders wertet die herrschende Meinung hingegen die Sachlage, wenn sich der Beschuldigte lediglich teilweise der Aussage entzieht.454 Schweigt er nur zu gewissen Punkten, so führen Rechtsprechung und Literatur maßgeblich an, dass er sich freiwillig als Beweismittel zur Verfügung stellt und daher der freien beweisrichterlichen Würdigung unterliegt.455 Sein Teilschweigen kann ihm so negativ zur Last fallen.468 450  So ist die Staatsanwaltschaft als grundsätzlich objektive Behörde nicht berechtigt, den Widerspruch zu Gunsten des Angeklagten geltend zu machen, Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Rn. 100 m. w. N.; Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 34. 451  Hier weicht die nationale Rechtsauffassung maßgeblich von der Rechtsprechung des EGMR ab, nach der durchaus negative Schlüsse aus der Inanspruchnahme des Schweigerechts gezogen werden können, vgl. EGMR ÖJZ 1996, 627, 628 – Murray vs. the United Kingdom; BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016 – 2 BvR 890 / 16, Rn. 42. Vgl. hierzu S. 51. 452  Völliges Schweigen liegt wertungsmäßig auch dann vor, wenn der Angeklagte beispielsweise nur allgemein seine Täterschaft bestreitet oder Angaben zu prozessualen Fragen oder Erklärungen gem. § 257 Abs. 1, 258 Abs. 1 StPO macht, dazu Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 200 m. w. N.; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, §  261, Rn.  16 m. w. N. 453  BVerfG, Beschluss vom 06.09.2016  – 2 BvR 890 / 16, Rn. 35; BVerfG NStZ 1995, 555, 555; BGHSt 20, 281, 282 f.; 25, 365, 368; 32, 140, 144; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 125; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, § 261, Rn. 16; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 120; Wessels, JuS 1966, 169, 171 f.; Dingeldey, JA 1984, 407, 413. 454  BGHSt 20, 298, 300; BGH NStZ 2000, 494 f.; OLG Celle NJW 1974, 202, 202; OLG Hamm NJW 1974, 1880; 1181; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, § 261, Rn. 17; Wessels, JuS 1966, 169, 172; Kasiske, JuS 2014, 15, 20. 455  Etwa BGHSt 20, 298, 300; BGH NStZ 2000, 494, 495; Kasiske, JuS 2014, 15, 20; zur Argumentation im Übrigen vgl. Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn.  206 ff.



D. Ergebnis101

IV. Zwischenergebnis Auf Rechtsfolgenseite wirkt sich die Selbstbelastungsfreiheit in dreifacher Hinsicht aus: Zunächst zieht die Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Nur so kann verhindert werden, dass die Selbstbelastung in eine Selbstüberführung umschlägt. Wird demgegenüber gegen die Belehrungsvorschriften verstoßen, so folgt auch daraus regelmäßig die Annahme eines Beweisverwertungsverbots. Die Verwertung kann hier aber ausnahmsweise zulässig sein, wenn Gründe für die Annahme sprechen, dass der Betroffene über sein Aussageverweigerungsrecht im Bilde war. Zudem besteht die Möglichkeit der Heilung durch qualifizierte Belehrung. Darüber hinaus sind auch die Vorgaben zur Widerspruchslösung zu beachten. Macht der Beschuldigte von seinem Schweigerecht Gebrauch, so dürfen schließlich aus der verweigerten Einlassung keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Beschuldigte die Einlassung zur Sache vollständig verweigert. Sein Teilschweigen kann hingegen nach herrschender Ansicht verwertet werden.

D. Ergebnis Im dritten Untersuchungsabschnitt wurde der Selbstbelastungsschutz im Strafverfahren analysiert. Bei der Aufarbeitung ist augenscheinlich geworden, dass die inhaltliche Dimension der Selbstbelastungsfreiheit vom Spannungsfeld zweier Gegenpole geprägt ist: Individuelle Freiheit einerseits und staatliche Strafverfolgungsinteressen andererseits. Die inhaltliche Reichweite wird damit im Einzelnen kontrovers beurteilt. Folgende allgemeine Aussagen lassen sich indes festhalten: Der Anwendungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist eröffnet, wenn der Betroffene zur Preisgabe belastender Tatsachen gezwungen wird und dadurch eine spezifische Verfolgungsgefahr auslöst. Hiervon umfasst sind sowohl verbale als auch nonverbale Selbstbelastungen. Nemo tenetur schütz allein vor aktiven Handlungen; passive Duldungspflichten hat der Betroffene hinzunehmen. Der Anwendungsbereich setzt ferner voraus, dass ein echtes Zwangselement vorliegt. Die Grenze eines unzulässigen Belastungs456  Die Gegenansicht führt an, dass die Selbstbelastungsfreiheit auch bei der Verwertung von Teilschweigen verletzt wird; kommt dem Beschuldigten das Recht zu, die Aussage auch teilweise zu verweigern, so ist er im Übrigen vor Verwertung zu schützen, etwa Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 136, Rn. 64; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 206; Rüping, JR 1974, 135, 138; Park, StV 2001, 589, 591; kritisch auch Stree, JZ 1966, 593, 598 f. und Eser, ZStW 79 (1967), 565, 576.

102

Kap. 3: Der Schutzgehalt im Strafverfahren

zwangs ist dort überschritten, wo eine Instrumentalisierung des Betroffenen erfolgt. Durch die Preisgabe der Information muss der Betroffene einen Anfangsverdacht begründen. Historisch gewachsener Kern von nemo tenetur ist die Aussagefreiheit. Die Garantie umfasst darüber hinaus eine allgemeine Mitwirkungsfreiheit. Schwierigkeiten bereitet demgegenüber die Konstellation der heimlichen Ermittlungen und des Einsatzes verdeckter Ermittler. Auf Rechtsfolgenebene zieht die Verletzung von nemo tenetur ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Dies gilt grundsätzlich auch im Falle der Verletzung von Belehrungsvorschriften. Hierbei besteht jedoch die Möglichkeit der Heilung durch eine qualifizierte Belehrung. Beruft sich der Betroffene auf sein Schweigerecht, so dürfen hieraus grundsätzlich keine negativen Schlüsse gezogen werden.

Kapitel 4

Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich Das zweite Kapitel schloss mit der Erkenntnis, dass nemo tenetur ein bipolares Grundrecht ist, welches im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Verfahrensfairness verankert ist.457 Auf Grund des verfassungsrechtlichen Ursprungs ist seine Wirkung nicht nur auf das Strafverfahren beschränkt; es strahlt in die gesamte Rechtsordnung aus.458 Die rechtsgeschichtliche Aufarbeitung im ersten Kapitel hat insofern gezeigt, dass der Selbstbelastungsfreiheit eine Ausstrahlungswirkung erst in jüngerer Zeit zugesprochen wurde. Auslöser der Diskussion war insofern der Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG aus dem Jahr 1981.459 Der Senat erkannte hier erstmals das Bedürfnis nach Koordination von außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten einerseits und Selbstbelastungsfreiheit andererseits und legte so den Grundstein für die Anerkennung einer Ausstrahlungswirkung. Nunmehr sind fast vierzig Jahre verstrichen; doch auch heute verbleibt in diesem Zusammenhang eine Vielzahl an Fragen offen.460 Kapitel vier ist daher der Analyse des Selbstbelastungsschutzes im außerstrafprozessualen Bereich gewidmet. Die Untersuchung beginnt mit der Aufarbeitung des Gemeinschuldnerbeschlusses und überträgt die daraus folgenden Grundsätze abstrakt auf die Fallgruppe der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten.

457  Siehe

S. 76. Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 122; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 259 und S. 266; unnötig insoweit die Aufspaltung bei Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 128 f. der der Ausstrahlungswirkung eine gesonderte Rechtsgrundlage im Rechtsstaatsprinzip zuschreibt. 459  BVerfGE 56, 37. 460  Vgl. beispielsweise Eschelbach, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, § 136, Rn. 32 der in diesem Zusammenhang feststellt, die Problematik sei „nicht in allen Einzelheiten geklärt“. 458  Vgl.

104

Kap. 4: Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

A. Ausgangspunkt – Der Gemeinschuldnerbeschluss, BVerfGE 56, 37 In der als Gemeinschuldnerbeschluss bekannt gewordenen Entscheidung lag dem Senat folgender Fall des Konkursrechts vor:

I. Sachverhalt Über das Vermögen des Beschwerdeführers war das Konkursverfahren eröffnet worden und auf Antrag des Konkursverwalters sollte eine Vernehmung vorgenommen werden. Im Termin verweigerte der Beschwerdeführer die Aussage mit der Begründung, hinsichtlich des Beweisthemas sei ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Verdachts eines Konkursvergehens anhängig; durch die Beantwortung der Fragen müsse er sich möglicherweise einer strafbaren Handlung bezichtigen. Daraufhin ordnete das Konkursgericht wegen unberechtigter Aussageverweigerung Beugehaft gem. §§ 75, 101 Abs. 2 KO an, um ihn so zur Aussage zu zwingen. Gegen den Beschluss erhob der Gemeinschuldner sofortige Beschwerde. Das LG wies diese zurück. Zur Begründung führte es aus, dem Gemeinschuldner obläge eine unbeschränkte Auskunftspflicht. Notfalls müsse er auch strafbare Handlungen offenbaren; ein Aussageverweigerungsrecht sei in der Konkursordnung nicht enthalten und werde in der Literatur in zutreffender Weise verneint. Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg; sie wurde als unbegründet zurückgewiesen.461

II. Der Mehrheitsbeschluss Der Senat urteilte, der Beschwerdeführer würde durch die umfassende Auskunftspflicht der Konkursordnung nicht in seinen Grundrechten verletzt. Offenbare er strafbare Handlungen, so dürfe seine Aussage nicht gegen seinen Willen im Strafverfahren gegen ihn verwertet werden. 1. Kein Auskunftsverweigerungsrecht Zunächst verneinte der Senat die Forderung des Gemeinschuldners, ihm müsse ein Auskunftsverweigerungsrecht für selbstbelastende Angaben zustehen.462 Die Rechtsordnung kenne kein ausnahmsloses Gebot, dass niemand zu Auskünften oder Handlungen mit Selbstbelastungstendenz gezwungen 461  BVerfGE 462  BVerfGE

56, 37, 52. 56, 37, 41 ff.



A. Ausgangspunkt – Der Gemeinschuldnerbeschluss, BVerfGE 56, 37 105

werden dürfe. Vielmehr würden Art und Umfang der Selbstbelastungsfreiheit davon abhängen, ob und inwieweit Dritte auf die Information angewiesen sind und ob insbesondere die Auskunft Teil eines durch eigenen Willensentschluss übernommenen Pflichtenkreises ist.463 Schutzvorkehrungen wären demnach insbesondere dort implementiert worden, wo die Aussage spezifisch strafrechtlichen oder strafähnlichen Zwecken dient. Dementsprechend sähe das geltende Recht für Zeugen, Prozessparteien und Beschuldigte ein Schweige- oder Aussageverweigerungsrecht im Falle selbstbelastender Angaben vor.464 Anders sei dies hingegen für Personen, die aus besonderen Rechtsgründen verpflichtet sind, Dritten oder Behörden gegenüber Auskunft zu erteilen. Hier kollidiere das Geheimhaltungsinteresse des Auskunftsverpflichteten mit dem Informationsbedürfnis der Auskunftssuchenden. Die Belange müssten in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden.465 Eben dieser Fallgruppe sei auch der Gemeinschuldner zuzuordnen. Er stehe in einem besonderen Pflichtenverhältnis zu den geschädigten Gläubigern und sei im Konkurs einer der wichtigsten Informationsträger, da die Beteiligten auf seine Auskünfte angewiesen sind.466 Der Senat kam daher zu dem Schluss, dass das Fehlen eines Auskunftsverweigerungsrechtes hier verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei: „Die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Rechtsposition findet ihre Grenzen an den Rechten anderer. Das Grundrecht gebietet daher keinen lückenlosen Schutz gegen Selbstbezichtigung ohne Rücksicht darauf, ob dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden. Das Grundgesetz hat […] die Spannung Individuum-Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden; der einzelne muß sich daher diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des allgemein Zumutbaren vorsieht […].“467

Der Senat führt vor diesem Hintergrund weiterhin aus: „Unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar wäre ein Zwang, durch eigene Aussage die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen. Insoweit gewährt Art. 2 Abs. 1 GG als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe einen Schutz, der alter und bewährter Rechtstradition entspricht. Handelt es sich hingegen um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Ge463  BVerfGE

56, 56, 465  BVerfGE 56, 466  BVerfGE 56, 467  BVerfGE 56, 464  BVerfGE

37, 37, 37, 37, 37,

42. 42 ff. 45 ff. 48. 49.

106

Kap. 4: Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

setzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen.“468

Im Rahmen dieser Abwägung sei im Falle des Gemeinschuldners zu berücksichtigen, dass es im Konkursverfahren nicht allein um einstaatliches oder öffentliches Informationsbedürfnis, sondern zugleich um die Interessen geschädigter Dritter gehe. Damit unterscheide sich die Sachlage von derjenigen im Verwaltungsverfahren, wo der Gesetzgeber vermehrt Auskunftsverweigerungsrechte bei Selbstbelastungsgefahr einführe.469 Im Konkursrecht könne daher nur eine uneingeschränkte Auskunftspflicht überzeugen. Das BVerfG kommt damit zu dem Ergebnis: „Zwingt der Gesetzgeber den Gemeinschuldner dazu, für seine Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern einzustehen und durch seine Auskunft zu deren bestmöglicher Befriedigung beizutragen, dann verletzt das noch nicht seine Menschenwürde.“470

Nach alledem sei ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht erforderlich. 2. Erfordernis eines Beweisverwertungsverbots Zwar sei demnach die uneingeschränkte Auskunftspflicht des Gemeinschuldners nicht zu beanstanden; jedoch greife der Zwang zur Selbstbelastung in das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein.471 Die Auskunftspflicht des Gemeinschuldners bedürfe daher nach Ansicht des Senats einer Ergänzung durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot. Hierzu führt der Senat aus: „Das Persönlichkeitsrecht des Gemeinschuldners würde unverhältnismäßig beeinträchtigt, wenn seine unter Zwang herbeigeführten Selbstbezichtigungen gegen seinen Willen zweckentfremdet und der Verwertung für eine Strafverfolgung zugeführt würden. Dafür fehlt auch eine sachliche Rechtfertigung. Denn in einem strafrechtlichen Verfahren steht dem Gemeinschuldner aus den erörterten, verfassungsrechtlich relevanten Gründen ein Schweigerecht zu; die Verwertung erzwungener Aussagen ist unzulässig. Dieses Schweigerecht wäre illusorisch, wenn eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbezichtigung gegen seinen Willen strafrechtlich gegen ihn verwertet werden dürfte.“472

Auch sollten die Strafverfolgungsbehörden keine weitergehenderen Möglichkeiten erhalten als in anderen Fällen der Strafverfolgung.473 Innerhalb 468  BVerfGE 469  BVerfGE 470  BVerfGE 471  BVerfGE 472  BVerfGE 473  BVerfGE

56, 56, 56, 56, 56, 56,

37, 37, 37, 37, 37, 37,

49. 49 f. 50. 50. 50 f. 51.



A. Ausgangspunkt – Der Gemeinschuldnerbeschluss, BVerfGE 56, 37 107

der Konkursordnung fehle ein solches Verwertungsverbot. Es sei daher grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers, die bestehende Lücke zu schließen; er solle dabei auch das Verwertungsverbot näher ausgestalten. Bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber sei die Regelung der Konkursordnung aber im Wege der ergänzenden Auslegung durch ein Verwertungsverbot zu ergänzen. Dieses lehne sich an die bereits bestehenden Verwertungsverbote in § 136a StPO und in § 393 Abs. 2 AO an.474 3. Zwischenergebnis Als Kernaussage des Gemeinschuldnerbeschlusses bleibt schlussendlich festzuhalten, dass „die durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot ergänzte konkursrechtliche Regelung über die uneingeschränkte Aussagepflicht des Gemeinschuldners verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden [ist].“475

III. Das Sondervotum Demgegenüber teilte der Bundesverfassungsrichter Heußner den Mehrheitsbeschluss des Senats nicht. Per Sondervotum vertritt er die Ansicht, dass zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit ein Verwertungsverbot nicht ausreiche.476 Heußner geht insofern von der Prämisse aus, dass bereits mit der Weitergabe der Information an die Strafverfolgungsbehörden ein Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit vorliegt.477 Ein hinreichender Schutz könne daher nur durch ein umfassendes Offenbarungsverbot erreicht werden. Allein auf diesem Weg sei zu verhindern, „daß durch eine dysfunktionale Weitergabe, auf die der Gemeinschuldner keinen Einfluß hat, sein verfassungsrechtlich abgesichertes Aussageverweigerungsrecht umgangen wird“478. Zudem hält Heußner lediglich ein Offenbarungsverbot für geeignet, das notwendige Vertrauen des Gemeinschuldners zu wecken und ihn so zu einer erhöhten Kooperationsbereitschaft zu motivieren.479 Schlussendlich sei daher die konkursrechtliche Regelung über die uneingeschränkte Auskunftspflicht nur dann nicht zu beanstanden, wenn sie sowohl durch ein Verwertungsverbot als auch durch ein Offenbarungsverbot ergänzt wird.

474  Vgl.

hierzu BVerfGE 56, 37, 51 f. 56, 37, 52. 476  Hierzu BVerfGE 56, 37, 52 ff.; zustimmend Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 165. 477  BVerfGE 56, 37, 53. 478  BVerfGE 56, 37, 53. 479  BVerfGE 56, 37, 53 f. 475  BVerfGE

108

Kap. 4: Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

IV. Zwischenergebnis Mit dem Gemeinschuldnerbeschluss erkannte das BVerfG erstmals die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit in den außerstrafprozessualen Bereich an. Als verfassungsrechtlich verbürgtes Grundrecht beschränkt sich die Wirkung der Selbstbelastungsfreiheit demnach nicht allein auf das Strafverfahren. Auch außerstrafprozessuale Offenbarungspflichten sind daher geeignet, mit der Selbstbelastungsfreiheit zu kollidieren. Nach Ansicht des BVerfG kommt dem nemo-tenetur-Grundsatz im außerstrafprozessualen Bereich jedoch kein absoluter Geltungsvorrang zu. Sofern ihm berechtigte Auskunftsinteressen Dritter gegenüberstehen, ist der Gesetzgeber berechtigt, die Belange gegeneinander abzuwägen. Hierbei kann insbesondere ausschlaggebend sein, ob es sich bei dem kollidierenden Drittinteresse lediglich um staatliches beziehungsweise öffentliches Informationsbedürfnis handelt oder aber um Interessen geschädigter Dritter. Vor diesem Hintergrund verneinte der Senat das Erfordernis eines Auskunftsverweigerungsrechts für selbstbelastende Angaben im Konkursverfahren. Gleichwohl sah er in der erzwungenen Aussage einen Eingriff in das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit, denn das Schweigerecht wäre illusorisch, wenn eine außerhalb des Strafprozesses erzwungene Selbstbelastung gegen den Beschuldigten verwertet werden dürfte. Zum Schutz des Auskunftspflichtigen sei die Offenbarungspflicht – nach Vorbild der § 136a StPO und § 393 Abs. 2 AO – um ein strafrechtliches Verwertungsverbot zu ergänzen. Sodann stünden der konkursrechtlichen Offenbarungspflicht keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Ein weiterführendes Offenbarungsverbot sei hingegen nicht erforderlich.

B. Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit Im Gemeinschuldnerbeschluss hat das BVerfG grundsätzlich Position zur Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit bezogen. Die hier getroffenen Aussagen erlauben eine Generalisierung, so dass sich über den Rahmen des Konkursrechts hinaus die Frage ihrer Übertragbarkeit auf andere Kollisionsfälle stellt.480 Rechtsprechung und Literatur wenden sich seitdem 480  Vgl. etwa: Beulke, Strafprozessrecht, Rn.  481; Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 467 ff. und 471; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531 f.; Rüping / Kopp, NStZ 1997, 530, 533; Bärlein / Pananis / Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827; ­Kasiske, JuS 2014, 15, 19; ders., NZWiSt 2014, 262, 266; Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S. 163 f.; Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 33 f.; Kölbel,



B. Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit 109

vermehrt der Problematik zu. Wenngleich die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit nicht in allen Facetten durchdrungen ist, so haben folgende Grundzüge allgemein Akzeptanz gefunden:

I. Der Begriff der Offenbarungspflicht Wendet man sich der Untersuchung der Ausstrahlungswirkung zu, so stößt man unweigerlich auf den Begriff der Offenbarungspflicht.481 Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist unter Offenbaren ein Vorgang zu verstehen, bei dem etwas, was bisher verborgen war, enthüllt wird.482 Im materiellen Strafrecht versteht man im Rahmen von § 203 StGB hierunter „jedes Mitteilen eines z. Z. der Tat noch bestehenden Geheimnisses […] oder einer Einzelangabe an einen Dritten […], der diese nicht, nicht in dem Umfange, nicht in dieser Form oder nicht sicher kennt“483. Die Abgabenordnung spricht in § 393 AO von „offenbarten Tatsachen“ und bezieht sich dabei auf Informationen, die der Finanzbehörde nur bekannt geworden sind, weil der Steuerpflichtige oder dessen Vertreter sie freiwillig preisgegeben hat.484 Obwohl der Begriff eng mit der Ausstrahlungswirkung von nemo tenetur verbunden ist, sind Definitionsbemühungen aus dieser Perspektive rar und allenfalls fragmentarischen Charakters: Fest steht jedenfalls, dass es sich um eine besondere Form der Informationspflicht handelt.485 Frühere Ansätze spezifizierten dies dahingehend, dass eine Offenbarungspflicht „stets und ausschließlich die Information Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 69 f.; Talaska, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Spannungsfeld von Besteuerungs- und Strafverfahren, 2006, S. 147; vgl. auch Stürner, NJW 1981, 1757, 1760, 1763 der jedoch zugleich kritisch anmerkt: „Bedenklich wäre eine Rechtsentwicklung zu einer Vielzahl von Verwertungsverboten in vermeintlichen Parallelfällen. Man kann alles übertreiben – auch die Sensibilität gegenüber den Nöten des Straftäters bzw. potentiellen Straftäters.“ Ablehnend hingegen: Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 12, die die Entscheidung als einzelfallbezogenen Billigkeitsrechtsprechung einordnen; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 350, die das methodische Vorgehen des BVerfG in Frage stellt; vgl. kritisch auch Verrel, NStZ 1997, 361, 364 f. 481  Vereinzelt wird auch von einer Hinweispflicht, Aufklärungspflicht oder Mitwirkungspflicht gesprochen, vgl. Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 7. 482  Vgl. hierzu die Definition im Duden unter: http: /  / www.duden.de / rechtschreibung / offenbaren. 483  Fischer, StGB, § 203, Rn. 30. 484  Vgl. Bülte, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 64. 485  Vgl. Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 7.

110

Kap. 4: Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

über bereits abgewickelte oder aber jedenfalls schon begonnene, potentiell Gefahren für Leben oder Körper oder Gesundheit verursachende oder aber erhöhende Geschehensabläufe“486 beinhaltet; so die Definition von Hahn, der sich in seiner Arbeit der Thematik aus Sicht des Umweltschutzrechts widmet. Taupitz beschränkt seine Untersuchung auf die ungefragte Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, welche gegenüber dem unmittelbar Betroffen mitzuteilen sei.487 In diesem Zusammenhang betont er, der Begriff der Offenbarung umfasse „eher die Information an sich“488, wohingegen bei einer Belehrung auch die Konsequenzen in Aussicht gestellt würden. Die Terminologie Hinweis- oder Unterrichtungspflicht sei zwar tauglich, aber „relativ nichtssagend“489. Auch müsse die Offenbarungspflicht von der Wahrheitspflicht unterschieden werden, denn sie hätte nichts mit falschen Angaben im Sinne eines Verschleierns des eigenen Fehlers zu tun.490 Das BVerfG hob hervor, die Verpflichtung zur Angabe selbstbelastender Tatsachen sei Ausdruck eines berechtigten Drittinteresses, dies umfasse sowohl staatliche beziehungsweise öffentliche Interessen als auch solche geschädigter Dritter.491 Insofern sei erforderlich, dass das Informationsinteresse bei Abwägung mit dem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit grundsätzlich überwiegt.492 Eine Offenbarungspflicht käme demnach nur dort in Betracht, wo ein zwingendes Interesse an der Auskunft besteht.493 Hierbei sei auch entscheidend, ob und inwiefern Dritte auf die Information angewiesen sind.494 Ferner wurde betont, dass die Verpflichtung mit Rechtszwang durchsetzbar sein müsse.495 Inhaltlich könne es sich sowohl um eine Pflicht zur Anzeige beziehungsweise Mitteilung von Fakten, zur Mitwirkung bei der Aufklärung von Umständen als auch zur Anfertigung oder Vorlage von Aufzeichnungen und Gegenständen handeln.496

486  Hahn,

Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S. 97. Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 7. 488  Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 7. 489  Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 7. 490  Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 7 f. 491  Vgl. BVerfGE 56, 37, 49 f. 492  Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 127. 493  Vgl. Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 31. 494  BVerfGE 56, 37, 42. 495  Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 122. 496  Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 122. 487  Taupitz,



B. Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit 111

Unter Würdigung all dieser Aspekte soll der hiesigen Arbeit folgendes Verständnis zu Grunde gelegt werden: Offenbarungspflichten sind weitreichende Informationspflichten. Sie sind im Zivil- und Öffentlichen Recht verankert und Ausdruck eines spezifischen Wissensgefälles zwischen den Beteiligten. Der Gesetzgeber versucht hier einen interessengerechten Ausgleich zu erzielen, indem er zum Schutz gewichtiger Güter den überlegenen Informationsträger zur Informationspreisgabe verpflichtet. Hierzu muss dieser Tatsachen der Vergangenheit oder Gegenwart offen legen. Einer Wertung bedarf es nicht. Die Informationspflicht ist dabei umfassend und beinhaltet grundsätzlich auch solche Angaben, die den Betroffenen aus strafrechtlicher Sicht belasten. Sie ist mit Rechtszwang durchsetzbar, so dass sich dieser ihr auch nicht ohne weiteres entziehen kann. Obwohl in diesem Stadium noch keine staatlichen Strafverfolgungsbehörden involviert sind, droht ein Transfer der Selbstbelastung in das Strafverfahren hinein. Die ursprüngliche außerstrafrechtliche Information kann somit zum maßgeblichen Überführungsbeweis im Strafverfahren umschlagen.

II. Die Begründung der Ausstrahlungswirkung Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit beruht auf ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung.497 Es handelt sich um ein Grundrecht, das aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG folgt.498 Im Lichte des Rechtsstaatsprinzips entfaltet das Grundrecht auf Selbstbelastungsfreiheit damit Ausstrahlungswirkung in die gesamte Rechtsordnung.499 Sein Schutzgehalt würde leerlaufen, wenn eine Auskunft außerhalb des Strafverfahrens erzwungen und im Strafverfahren gegen ihn verwertet werden könnte.500 Auch würden den Strafverfolgungsbehörden ­ sonst weitreichendere Möglichkeiten bei der Strafverfolgung zustehen als üblicherweise.501

497  Vgl. Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 122; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 259 und S. 266; vgl. auch Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 128 f. 498  Siehe S. 76. 499  Vgl. zur objektiven Werteordnung BVerfGE 7, 198, 205. Unnötig die Aufspaltung bei Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 103 und S. 129, der für die Ausstrahlungswirkung eine gesonderte Rechtsgrundlage im Rechtsstaatsprinzip heranzieht. 500  BVerfGE 56, 37, 51. 501  BVerfGE 56, 37, 51.

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Kap. 4: Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

III. Schutzwirkung im außerstrafprozessualen Bereich Ausgehend vom Gemeinschuldnerbeschluss und den bisherigen Erkenntnissen ist nun die abstrakte Schutzwirkung von nemo tenetur im außerstrafprozessualen Bereich zu untersuchen. Insofern muss zunächst betont werden, dass die Wirkung von nemo tenetur im außerstrafprozessualen Bereich keine pauschale Verlängerung der strafrechtlichen Schutzdimension sein kann.502 Hier ist eine differenzierte Sicht angezeigt, da eine gewisse Distanz zu den Strafverfolgungsbehörden besteht.503 Auch stehen dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen spezifische Drittinteressen gegenüber, wobei es sich insbesondere im Zivilrecht um Interessen gleichgeordneter Privatpersonen handelt.504 So betonte schon das BVerfG, dass nemo tenetur keinen lückenlosen Schutz ohne Rücksicht auf Rechte Dritter gewährleistet.505 Art und Umfang der Schutzwirkung sind vielmehr davon abhängig, ob und inwieweit andere auf die Information angewiesen sind und ob insbesondere die Auskunft Teil eines durch eigenen Willensentschluss übernommenen Pflichtenkreises ist.506 Eine Abwägung muss damit im außerstrafprozessualen Bereich berücksichtigen, dass je mehr dem Auskunftsverpflichtetem Schutz zugesprochen wird, desto weiter werden gewichtige Interessen Dritter zurückgedrängt.507 Vor diesem Hintergrund haben die nachstehenden Schutzmöglichkeiten Anerkennung gefunden. Es handelt sich um ein System mit gestufter Schutzintensität: 1. Auskunftsverweigerungsrecht Eine umfassende Offenbarungspflicht ist mit Blick auf die Selbstbelastungsfreiheit nur dort gerechtfertigt, wo ein berechtigtes Interesse dies zwingend erfordert.508 Besteht ein solch zwingender Grund nicht, so ist dem 502  Vgl. die Feststellung aus zivilrechtlicher Sicht bei Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 32; in diese Richtung auch Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 123, der insoweit von einem qualitativen Unterschied spricht; vgl. auch BVerfGE 56, 37, 45; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 99. 503  Vgl. auch Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 123. 504  Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 32. 505  BVerfGE 56, 37, 49. 506  BVerfGE 56, 37, 42. 507  Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 32. 508  Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 31; vgl. auch Stürner, NJW 1981, 1757, 1761.



B. Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit 113

Recht auf Selbstbelastungsfreiheit Vorrang zu gewähren. In diesem Fall obliegt es dem Gesetzgeber, ein Auskunftsverweigerungsrecht für selbstbelastende Angaben aufzunehmen.509 Hierdurch wird bereits die Selbstbelastung verhindert; das Auskunftsverweigerungsrecht gewährleistet damit den umfangreichsten Schutz510. Auskunftsverweigerungsrechte hat der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen im Gesetz implementiert; Kapitel eins hat insofern gezeigt, dass sie primär im Verwaltungsrecht aufgenommen wurden.511 Das Verwaltungsverfahren ist ähnlich dem Strafverfahren durch ein Über- / Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet, so dass sich Auskunftsverweigerungsrechte hier besonders eignen, einen interessengerechten Ausgleich zu erzielen.512 Diese Haltung teilt auch das BVerfG. So lehnte es im Gemeinschuldnerbeschluss ein Auskunftsverweigerungsrecht für das Konkursverfahren ab, da – anders als im Verwaltungsverfahren – Interessen geschädigter Dritter entgegenstünden.513 2. Kombiniertes Offenbarungs- und Verwertungsverbot Auf nächster Stufe steht die Möglichkeit der Ergänzung der Offenbarungspflicht um ein kombiniertes Offenbarungs- und Verwertungsverbot. Hierbei bleibt der Betroffene zur vollumfänglich Auskunft verpflichtet; die Selbstbelastung darf jedoch nicht zur Beweisführung verwertet und darf ferner schon nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden.514 Hier wird bereits die Bildung des Anfangsverdachts ausgeschlossen. Es handelt sich um einen Schutz auf „zweiter Ebene“, da nicht die Selbstbelastung, sondern ihre Zweckentfremdung durch Einführung in das Strafverfahren unterbunden wird.515 Das Kombinationsmodell bietet damit den Vorteil, dass es sowohl dem Interesse des Auskunftsverpflichteten als auch dem des Auskunftsberechtigten am weitesten gerecht wird: Hier wird eine uneingeschränkte Auskunft bei gleichzeitigem Schutz vor Weitergabe und Verwertung gewährleistet. Beide Rechtspositionen werden so im Wege der praktischen Konkordanz einem schonenden Ausgleich zugeführt.516 Vor Stürner, NJW 1981, 1757, 1761. auch Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 135. 511  Vgl. hierzu S. 39 f. 512  Vgl. Dingeldey, NStZ 1984, 529, 534. 513  Vgl. die Einschätzung zum Konkursrecht bei BVerfGE 56, 37, 50. 514  Vgl. hierzu das Sondervotum Heußners zum Gemeinschuldnerbeschluss, BVerfGE 56, 37, 52 ff. 515  Vgl. Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 136; siehe auch Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S. 166; Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 136. 516  Vgl. Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S. 166. 509  Vgl. 510  So

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Kap. 4: Der Schutzgehalt im außerstrafprozessualen Bereich

diesem Hintergrund wird dem Kombinationsmodell die Eignung zugesprochen, den Auskunftspflichtigen zur umfassenden Mitwirkung zu motivieren.517 Denn dort, wo der Betroffene das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung nicht erhöht, wird er am ehesten zur umfassenden Auskunft über belastende Informationen bereit sein. Sofern eine umfassende Auskunft demnach zwingend erforderlich ist, kann der Betroffene durch ein kombiniertes Offenbarungs- und Verwertungsverbot am weitreichendsten geschützt werden.518 Der Aufnahme eines Offenbarungsverbots können indes Praktikabilitätserwägungen entgegenstehen.519 Zudem droht durch den Ausschluss des Anfangsverdachts eine Blockade des Strafverfahrens, so dass das staatliche Strafverfolgungsinteresse stark beschnitten wird.520 3. Beweisverwendungsverbot Unterhalb der Schutzintensität des Offenbarungsverbots ist die Möglichkeit des Beweisverwendungsverbots anzusiedeln. Hierbei bleibt der Betroffene zur vollumfänglichen Auskunft verpflichtet; diese darf auch an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden. Im Strafverfahren darf die Selbstbelastung dann aber weder als Beweismittel noch als Spurenansatz für weitere Ermittlungen benutzt werden.521 Damit setzt die Schutzwirkung des Verwendungsverbots auf Ebene der Beweisgewinnung und –würdigung ein. Die Auskunft gelangt damit zwar ins Strafverfahren; jedoch kann sie hier selbst wie auch mittelbar nicht zur Überführung verwendet werden. Auch in Form des Verwendungsverbots genießt der Betroffene einen weitreichenden Schutz. 4. Beweisverwertungsverbot Auf unterster Schutzebene steht das schlichte Verwertungsverbot. Es bewirkt, dass die Selbstbelastung selbst nicht zur Beweisführung herangezogen werden kann.522 Das BVerfG hat in seinem Gemeinschuldnerbeschluss ent517  So Heußner in seinem Sondervotum, BVerfGE 56, 37, 53  f.; zustimmend Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S. 167. 518  Heußner, Sondervotum, BVerfGE 56, 37, 53; Hahn, Offenbarungspflichten im Umweltschutzrecht, 1984, S. 166 ff.; Kleinheisterkamp, Kreditwesengesetz und Strafverfahren, 2010, S. 387; vgl. auch allgemein Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 162. 519  Vgl. zur Kritik im Rahmen von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO S. 226. 520  Vgl. die Kritik im Rahmen von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB auf S. 242. 521  Vgl. zum Beweisverwendungsverbot ausführlich S. 214 ff. 522  Vgl. zum Beweisverwertungsverbot ausführlich S. 210 ff.



B. Die Ausstrahlungswirkung der Selbstbelastungsfreiheit 115

schieden, dass ein Verwertungsverbot hinreichenden Schutz der Selbstbelastungsfreiheit gewährleistet.523 5. Ermessensspielraum Die Wahl über das jeweilige Schutzinstrument liegt im Ermessen des Gesetzgebers.524 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit kann er so für den konkreten Einzelfall eine gerechte Lösung finden. Hierbei ist die spezifische Interessenlage zu berücksichtigen; so muss er im Privatrecht insbesondere das Interesse des geschädigten Dritten hinreichend gewichten.

IV. Ergebnis Als verfassungsrechtlich verbürgtes Grundrecht strahlt die Garantie der Selbstbelastungsfreiheit in die gesamte Rechtsordnung aus. So ist grundsätzlich niemand verpflichtet, einen Beitrag zur eigenen Überführung zu leisten. Im Strafverfahren kommt diesem Grundsatz uneingeschränkte Geltung zu. Hingegen ist im außerstrafprozessualen Bereich eine differenzierte Handhabung angezeigt: Der Selbstbelastung stehen hier spezifische Drittinteressen gegenüber, die Berücksichtigung finden müssen. Denn dort, wo im außerstrafprozessualen Bereich ein totaler Schutz der Selbstbelastungsfreiheit bejaht wird, werden zwangsläufig berechtigte Drittinteressen (zu weit) zurückgedrängt. Vor diesem Hintergrund sind Auskunftsverweigerungsrechte nur bedingt im außerstrafprozessualen Bereich vorgesehen. Vereinzelt sind sie im Verwaltungsrecht aufgenommen worden, da das öffentliche Interesse am ehesten hinter der Selbstbelastungsfreiheit zurücktreten kann. Anders stellt sich die Situation demgegenüber im Zivilrecht dar; hier ist mit Blick auf das Interesse eines geschädigten Dritten regelmäßig eine umfassende Offenbarungspflicht erforderlich. Zum Schutz des Auskunftsverpflichteten kann der Gesetzgeber in diesem Fall zwar nicht die Selbstbelastung verhindern, er kann sie aber durch Offenbarungs-, Verwendungs- und beziehungsweise oder Verwertungsverbote neutralisieren. Insofern handelt es sich um ein System mit gestufter Schutzintensität, wobei dem Gesetzgeber hinsichtlich der Wahl des jeweiligen Models eine gewisse Einschätzungsprärogative zukommt. Er soll so für den konkreten Einzelfall eine sachgerechte Harmonisierung der widerstreitenden Interessen erwirken.

523  BVerfGE

56, 37, 50. Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 140. Vgl. auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 71, der in diesem Zusammenhang von der Austauschbarkeit der Modelle spricht. 524  Hierzu

Kapitel 5

Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten Aufbauend auf den abstrakten Untersuchungsergebnissen schließt sich nun eine Bestandsaufnahme der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten an. Auf diesem Weg soll eine Vergleichsgruppe zum späteren Untersuchungsgegenstand des § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB gebildet werden. Der Gesetzgeber hat im Fall der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht in § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB eine umfassende Auskunftspflicht normiert; zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit darf diese Information nicht zu Beweiszwecken verwendet werden. Eine Vergleichsgruppe zu § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB muss daher berücksichtigen, dass nur solche Offenbarungspflichten miteinzubeziehen sind, die ebenso uneingeschränkt Auskunft fordern und Schutz der Selbstbelastungsfreiheit erst auf sekundärer Ebene suchen. Damit bleiben Konstellationen, die ein Auskunftsverweigerungsrecht für inkriminierende Angaben vorsehen außer Acht. Untersuchungsrelevant sind demgegenüber § 393 Abs. 2 S. 1 AO, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, § 802c ZPO sowie die Fallgruppe der internen Ermittlungen. Sie können bei Auslegung von § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB von Nutzen sein und – vorbehaltlich einer vergleichbaren Interessenlage – dort richtungsweisende Impulse setzen.

A. Die steuerrechtliche Offenbarungspflicht Noch bevor das BVerfG mit dem Gemeinschuldnerbeschluss neue Maßstäbe setzte, normierte der Gesetzgeber erstmals im Kontext steuerrechtlicher Offenbarungspflichten ein Beweisverbot zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit.525 Im Steuerrecht gilt der Grundsatz der Wertneutralität gem. § 40 AO, so dass es für die Besteuerung unerheblich ist, ob ein Verhalten gegen einen Straftatbestand verstößt. Nach Maßgabe des Untersuchungsgrundsatzes gem. § 88 AO richten sich die Ermittlungen der Finanzbehörden 525  Vgl. zu den Motiven BT-Drucks. V / 1812, S. 32, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 30.05.1967.



A. Die steuerrechtliche Offenbarungspflicht 117

dementsprechend auch auf Tatsachen, die von strafrechtlicher Relevanz sind. Den Beteiligten des Verfahrens obliegen wiederum gem. § 90 AO weitreichende Mitwirkungspflichten bei der Sachverhaltsermittlung; sie müssen alle für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und bekannte Beweismittel angeben. Zur Durchsetzung dieser Pflicht können die Finanzbehörden auf umfassende Zwangsmittel gem. §§ 328 ff. AO zurückgreifen.526 Die weitreichenden Mitwirkungspflichten der Beteiligten im Besteuerungsverfahren sind damit geeignet, mit der Selbstbelastungsfreiheit zu kollidieren.527 Der Gesetzgeber hat dementsprechend Schutzvorkehrungen in die AO aufgenommen: Für den Fall, dass es sich um eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit handelt, sind Zwangsmittel gem. § 393 Abs. 1 S. 2, S. 3 AO unzulässig. Auf diesem Weg wird mangels Zwangsmoment bereits ein Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit verhindert.528 Anders ist dies bei allgemeinen Straftaten. Hier greift § 393 Abs. 1 S. 2, S. 3 AO nicht. Grundsätzlich wird der Steuerpflichtige zwar auch durch das Steuergeheimnis davor geschützt, dass Tatsachen, die Anhaltspunkte für nicht steuerrechtliche Straftaten enthalten, von den Finanzbehörden an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden. Dieser Schutz ist jedoch lückenhafter Art, denn es ist nicht vermeidbar, dass der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht aus den Steuerakten Kenntnisse über allgemeine Straf­ taten erwachsen, die der Steuerpflichtige zuvor im Besteuerungsverfahren offenbart hat. Dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit kann daher nur ein zusätzliches Beweisverbot entsprechen.529 Dem trägt der Gesetzgeber in § 393 Abs. 2 S. 1 AO Rechnung: „Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen diese Kenntnisse gegen ihn nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist.“

Dem Wortlaut nach dürfen die erlangten Kenntnisse nicht „verwendet“ werden. Insoweit sind der Gesetzesbegründung jedoch keine Anhaltspunkte insgesamt Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 467. NJW 2005, 2720, 2722; Talaska, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Spannungsfeld von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, 2006, S. 41; vgl. auch BVerfGE 56, 37, 47. 528  Vgl. hierzu Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 136  f.; Talaska, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Spannungsfeld von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, 2006, S. 42 ff. 529  Vgl. BVerfG wistra 2010, 341, 341; Jäger, in: Klein, AO, § 393, Rn. 45. 526  Dazu 527  BGH

118 Kap. 5: Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten

zu entnehmen, ob der Gesetzgeber hier ein Verwertungsverbot normieren wollte oder ein abweichendes Verständnis zu Grunde legt.530 Die wohl noch überwiegende Ansicht legt § 393 Abs. 2 S. 1 AO mangels gegenteiliger Angaben daher als reines Verwertungsverbot aus.531 Erst im Anschluss an die Entwicklungen im Rahmen von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO – dazu sogleich – findet sich nunmehr auch eine im Vordringen befindliche Ansicht, die in § 393 Abs. 2 S. 1 AO ein Verwendungsverbot sieht.532

B. Die insolvenzrechtliche Offenbarungspflicht Im Gemeinschuldnerbeschluss betonte der Senat, dass es Aufgabe des Gesetzgebers sei, die in der Konkursordnung bestehende Lücke hinsichtlich eines Verwertungsverbots zu schließen.533 Dieser Forderung ist der Gesetzgeber im Zuge der Insolvenzrechtsreform534 nachgekommen: § 97 Abs. 1 S. 1 InsO bestimmt, dass der Insolvenzschuldner zur umfassenden Auskunft verpflichtet ist. Davon umfasst sind auch Angaben, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen, S. 2. Insofern legt S. 3 fest, dass die Auskunft weder in einem Strafverfahren noch einem ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahren verwendet werden darf. Die ursprüngliche Fassung des Gesetzesentwurfs sah ein Beweisverwertungsverbot vor, das sodann bewusst auf Anregung des Bundesdatenschutzbeauftragen in ein Beweisverwendungsverbot geändert wurde.535 Dadurch sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen

530  Vgl. BT-Drucks. V / 1812, S. 32; s. auch die Feststellung bei Rogall, in: ­FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 478. 531  Vgl. etwa BGH NJW 2006, 925, 932; BayObLG NJW 1997, 600, 601; BayOb­LG NStZ 1998, 575, 575; OLG Hamm BeckRS 2015, 04786; Bachler, in: BeckOK, StPO, § 393 AO, Rn. 11; Jäger, in: Klein, AO, § 393, Rn. 51; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 135; deutlich Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, 2005, S. 524. 532  Bülte, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn.  80 ff.; Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 90 ff.; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 114; Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, 465, 485; Reichling, HRRS 2014, 473, 477; Talaska, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Spannungsfeld von Besteuerungs- und Strafverfahren, 2006, 144 ff. 533  BVerfGE 56, 37, 51. 534  Insolvenzordnung vom 05.10.1994, BGBl. I, S. 2866. 535  BT-Drucks. 12 / 2443, S. 25.



C. Die vollstreckungsrechtliche Offenbarungspflicht119

dienen darf.536 Nach ganz herrschender Meinung wird § 97 Abs. 1 S. 3 InsO daher als Verwendungsverbot eingeordnet.537 Der Gesetzgeber entschied sich damit weder für das im Gemeinschuldnerbeschluss aufgezeigte Verwertungsverbot noch für die im Sondervotum geforderte Variante des Offenbarungsverbots; er wählte hier den dritten Weg des Verwendungsverbots.538 Die inhaltliche Reichweite des Verwendungsverbots wirft jedoch nach wie vor Fragen auf.539

C. Die vollstreckungsrechtliche Offenbarungspflicht Auch im Vollstreckungsrecht der ZPO trifft den Schuldner eine umfassende Offenbarungspflicht. Gem. § 802c Abs. 1 und Abs. 2 ZPO hat er im Zwangsvollstreckungsverfahren Auskunft über sein Vermögen zu erteilen und muss die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben gem. Abs. 3 eidesstattlich versichern. § 802c ZPO ist am 01.01.2013 in Kraft getreten540 und entspricht dabei im Wesentlichen § 807 ZPO a. F.541. Wie bereits zuvor ist der Schuldner auch im Rahmen von § 802c ZPO dazu verpflichtet, strafrechtlich relevante Angaben offen zu legen.542 Dabei kann seine Mitwirkung notfalls durch Haft von bis zu sechs Monaten erzwungen werden, § 802g  ZPO543. Darüber hinaus macht sich der Schuldner gem. § 156 StGB strafbar, wenn er wahrheitswidrig die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben an Eides Statt versichert. Er unterliegt der Wahrheitspflicht des

536  BT-Drucks.

12 / 7302, S. 39 und S. 166. betont etwa Richter, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 76, Rn. 29, dass die Fernwirkung mit Blick auf die Gesetzesbegründung nicht verneint werden kann. Vgl. etwa: LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 282, 283; OLG Jena NZI 2011, 382, 383; Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 16; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 10; Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 23; Richter, in: MüllerGugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 76, Rn. 25 ff.; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 106; Richter, wistra 2000, 1, 3; Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 82; Uhlenbruck, NZI 2002, 401,403; Hefendehl, wistra 2003, 1, 3; Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 759; a. A. Bader, NZI 2009, 416, 419. 538  Zur Abgrenzung vgl. S. 113 f. und S. 214 ff. 539  Vgl. zur insolvenzrechtlichen Problematik S. 224 ff. 540  Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29.07.2009, BGBl. I, S. 2258. 541  § 807 ZPO in der Fassung vom 05.12.2005, BGBl. I, S. 3321; vgl. zur Übereinstimmung BT-Drucks. 16 / 10069, S. 25. 542  Voit, in: Musielak / Voit, ZPO, § 802c, Rn. 7; Fleck, in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; Weiß, NJW 2014, 503, 503 f. Vgl. zuvor bereits BGH NJW 1964, 60, 61; BGH NJW 1964, 1469, 1470 f.; BGH NJW 1991, 2844, 2845. 543  Vgl. § 901 ZPO in der Fassung vom 05.12.2005, BGBl. I, S. 3339. 537  So

120 Kap. 5: Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten

§ 138 Abs. I ZPO; ein Auskunftsverweigerungsrecht für inkriminierende Angaben ist ihm auch im Zuge der Reform nicht zugesprochen worden.544 Ein solcher Zwang zur Selbstbelastung steht nicht im Einklang mit dem nemo-tenetur-Grundsatz.545 § 807 ZPO a. F. wurde daher als vorkonstitutionelles Gesetz dahingehend korrigierend ausgelegt, dass für selbstbelastende Angaben nach Vorlage des Gemeinschuldnerbeschlusses ein Beweisverwertungsverbot angenommen wurde.546 Nach herrschender Ansicht muss nun auch §  802c ZPO um ein solches Beweisverwertungsverbot ergänzt ­werden.547 Zur Begründung wird nach wie vor die Parallele zum Insolvenz­ recht herangezogen.548 Dem hält eine Mindermeinung entgegen, dass eine solche Ergänzung im Rahmen von § 802c ZPO nicht mehr möglich sei; der Gesetzgeber habe hier bewusst auf die Aufnahme eines Beweisverbots verzichtet. Dafür spreche der eindeutige Wortlaut der Vorschrift. Zudem könne den Gesetzgebungsmaterialien entnommen werden, dass der Gesetzgeber von einer uneingeschränkten Verwendung der Information ausgeht.549 Als Konsequenz wird § 802c ZPO insoweit als verfassungswidrig eingestuft,550 da in Anlehnung an § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und § 393 Abs. 2 S. 1 AO ein Verwendungsverbot551 oder nach dem Vorbild des § 55 Abs. 1 StPO ein Auskunftsverweigerungsrecht für selbstbelastende Angaben552 erforderlich sei.

D. Die arbeitsrechtliche Offenbarungspflicht bei internen Ermittlungen Unter dem Stichwort der internen Ermittlungen oder auch internal investigations versteht man ein Vorgehen, bei dem ein Unternehmen mit Hilfe externer Ermittler Mitarbeiterinterviews durchführen lässt, um betriebliche 544  Weiß,

NJW 2014, 503, 504; Stam, StV 2015, 130, 130. in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; Weiß, NJW 2014, 503, 505. 546  BVerfG BeckRS 2008, 35240; BGH NJW 1991, 2844, 2845; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531; Bärlein / Pananis / Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827. 547  Voit, in: Musielak / Voit, ZPO, § 802c, Rn. 7; Fleck, in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; Stam, StV 2015, 130, 131; a. A. Rathmann, in: Saenger, ZPO, § 802c, Rn. 1, jedoch ohne nähere Begründung. 548  Voit, in: Musielak / Voit, ZPO, § 802c, Rn. 7; Fleck, in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; Stam, StV 2015, 130, 131; vgl. zuvor bereits Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531 f. 549  Weiß, NJW 2014, 503, 507; kritisch hierzu Stam, StV 2015, 130, 131. 550  Weiß, NJW 2014, 503, 507. 551  Weiß, NJW 2014, 503, 506. 552  Weiß, NJW 2014, 503, 508. 545  Fleck,



D. Die arbeitsrechtliche Offenbarungspflicht bei internen Ermittlungen 121

Regelverstöße aufzudecken.553 Sie finden regelmäßig vor oder parallel zu strafrechtlichen Ermittlungen statt.554 Die Interviews kommen oftmals „einer strafprozessualen Vernehmung nahe“ und können „zu einer verhörsähnlichen Lage werden“555. Anlass für die Aufnahme solcher Ermittlungen kann einerseits ein präventiver Gedanke sein, bei dem von Fehlverhalten abgeschreckt und das Integritätsbewusstsein der Mitarbeiter gestärkt werden soll. Auch Compliancedefizite können so entdeckt und behoben werden. Regelmäßig liegt den Aufklärungsmaßnahmen aber eine repressive Ausrichtung zu Grunde; hier besteht bereits ein Verdacht auf kriminelles Fehlverhalten. Das Unternehmen signalisiert den Behörden in diesem Fall Kooperationsbereitschaft, um einen schonenden Ausgang von Straf- beziehungsweise Bußgeldverfahren zu ermöglichen. Zugleich wirkt es einem drohenden Imageverlust in der Öffentlichkeit entgegen.556 Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung verbleiben im Zusammenhang mit internen Ermittlungen insbesondere zwei Aspekte unklar: Zum einen ist strittig, ob Mitarbeiter überhaupt einer arbeitsrechtlichen Pflicht zur Offenbarung selbstbelastender Angaben unterliegen. Zum anderen besteht Uneinigkeit, ob diese Informationen im Strafprozess verwertet werden können.

I. Arbeitsrechtliche Pflicht zur Selbstbelastung? Die arbeitsrechtliche Treuepflicht verpflichtet den Arbeitnehmer allgemein zur Mitwirkung und Auskunftserteilung im Rahmen von internen Ermittlungen, §§ 611, 241 Abs. 3 BGB beziehungsweise § 242 BGB. Speziell für den unmittelbaren, persönlichen Arbeitsbereich des Arbeitnehmers ergibt sich die Auskunftspflicht aus §§ 666, 675 BGB.557 Ob hierbei auch selbstbelastende Angaben preiszugeben sind, wird unterschiedlich beurteilt:

553  Zum Begriffsverständnis ausführlich Nestler, in: Knierim / Rübenstahl / Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. I, Rn. 19 ff.; vgl. auch Momsen, ZIS 2011, 508, 511. 554  Dann, CCZ 2010, 237, 239. 555  Rudkowski, NZA 2011, 612, 612. 556  Vgl. insgesamt zu den Motiven Salvenmoser / Schreier, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 15, Rn. 14 ff.; Nestler, in: Knierim / Rübenstahl / Tsambikakis, Interne Ermittlungen, 2013, Kap. I, Rn. 42 ff.; Zerbes, ZStW 125 (2013), 551, 552 f.; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 262. 557  So insgesamt BGH NJW-RR 1989, 614, 614 f.; Mengel, in: Knierim / Rübenstahl / Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 13, Rn. 34; Dann / Schmidt, NJW 2009, 1851, 1853; Theile, StV 2011, 381, 383; Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 7.

122 Kap. 5: Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten

Einerseits wird eine Pflicht zur Selbstbelastung abgelehnt.558 Vertreter dieser Ansicht betonen, dass der Arbeitgeber sein Weisungsrecht zur Auskunftserteilung nur nach billigem Ermessen ausüben darf. Bei der in § 315 Abs. 1 BGB geforderten Billigkeit sind die Grundrechte zu würdigen und im Falle einer kollidierenden Interessenlage in schonenden Ausgleich zu bringen. Vor diesem Hintergrund sei eine Selbstbelastungspflicht zu verneinen: Die Interviews würden nur als zusätzliche Absicherung eines bereits bestehenden Verdachts dienen. Es bestünde damit ohnehin schon die Möglichkeit einer Verdachtskündigung, so dass eine Selbstbelastungspflicht unverhältnismäßig sei.559 Ein anderer Ansatz will die Selbstbelastungsfreiheit demgegenüber auch auf das Arbeitsrecht übertragen; aus ihr folge daher ein Schweigerecht.560 Nach überwiegender Ansicht soll eine Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich dem Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers und der Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers, vorgenommen werden: Das Arbeitgeberinteresse soll überwiegen, wenn eine Hauptpflicht betroffen ist, mithin Auskünfte gefordert werden, die unmittelbar die Tätigkeit des Arbeitnehmers betreffen. Hier habe der Arbeitgeber mit Blick auf die drohenden Konsequenzen für das Unternehmen ein berechtigtes Aufklärungsinteresse und sei in besonderem Maße auf die Mithilfe der Mitarbeiter angewiesen. Der Arbeitnehmer sei daher auch zur Selbstbelastung verpflichtet.561 Demgegenüber soll das Arbeitgeberinteresse regelmäßig hinter der Selbstbelastungsfreiheit zurücktreten, wenn lediglich eine Nebenpflicht betroffen ist.562 Eine jüngere Ansicht differenziert demgegenüber nach Ermittlungsart: Einerseits könnten die Ermittlungen Ausdruck eines gelockerten Koopera­ tionsverhältnisses mit den Behörden sein. Hier wird die Staatsanwaltschaft über die Untersuchung informiert und bei Bedarf das Vorgehen abgestimmt. Bei diesen kooperativen Ermittlungen soll auf die Abwägung im obigen 558  OLG Karlsruhe NStZ 1989, 287, 287; Dann / Schmidt, NJW 2009, 1851, 1853; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613 f.; I. Roxin, StV 2012, 116, 121. 559  So I. Roxin, StV 2012, 116, 121; ähnlich auch Rudkowski, NZA 2011, 612, 613. 560  Zerbes, ZStW 125 (2013), 551, 559; vgl. auch Knauer / Buhlmann, AnwBl. 2010, 387, 389 f. 561  Böhm, WM 2009, 1923, 1924; Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 389; Theile, StV 2011, 381, 384; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 265; Haefcke, CCZ 2014, 39, 39 f.; Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 7. 562  BGH NJW-RR 1989, 614, 615; Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 390; Haefcke, CCZ, 2014, 39, 40; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 264; Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 7; Wimmer, in: FS-I. Roxin, 2012, S. 537, 541; vgl. auch Böhm, WM 2009, 1923, 1925.



D. Die arbeitsrechtliche Offenbarungspflicht bei internen Ermittlungen 123

Sinne und die Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenpflicht zurückgegriffen werden.563 Andererseits könne die Kooperation auch ein Ausmaß annehmen, das das Unternehmen als „verlängerter Arm der Strafverfol­ gungsbehörden“564 erscheint. Bei diesen substitutiven Ermittlungen wird das Unternehmen anstelle der Behörden und nach deren Vorgaben tätig. In diesem Fall sollen daher die Vorschriften zur StPO entsprechend Anwendung finden. Dem „beschuldigten“ Mitarbeiter stünde so ein umfassendes Schweigerecht zu, über das er entsprechend § 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt werden müsste. Bei Befragung als „Zeuge“ könnte er die Auskunft entsprechend § 55 StPO verweigern.565

II. Verwertbarkeit selbstbelastender Angaben? Sofern eine uneingeschränkte Auskunftspflicht bejaht wird, stellt sich sodann die Frage, ob die Selbstbelastung im anschließenden Strafverfahren verwertet werden kann. Dies wird mehrheitlich als unbillig empfunden, da den Arbeitnehmer ein Zwang zur Aussage treffe. So könne die Erfüllung der Auskunftspflicht vom Arbeitgeber klageweise geltend gemacht und nach Titulierung mittels Zwangsgeld oder Zwangshaft durchgesetzt werden, § 888 Abs. 1 ZPO.566 Teilweise wird auch auf eine faktische Zwangswirkung abgestellt; der Arbeitnehmer sähe sich vor die Wahl zwischen „talk or walk“567 gestellt und unter dem Damoklesschwert der Verdachtskündigung zur Aussage bewogen.568 Zum Schutz des Arbeitnehmers wird daher mehrheitlich die Selbstbelastungsfreiheit herangezogen und nach Vorbild des Gemeinschuldnerbeschlus563  So insgesamt Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 262; vgl. dazu Süße / Eckstein, Newsdienst Compliance 2014, 71009. 564  Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 262. 565  Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 263. Demgegenüber sollen nach bisheriger ­Ansicht substitutive Ermittlungen, bei denen das Unternehmen an Stelle der Staatsanwaltschaft agiert, unzulässig sein. Hier würden das Legalitätsprinzip und das Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft unterlaufen, Jahn, StV 2009, 41, 43; ­ vgl. aus Sicht der Staatsanwaltschaft auch Wimmer, in: FS-I. Roxin, 2012, S. 537, 550 f. 566  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 140 mit Fn. 877; Bittmann / Molkenbur, wistra 2009, 373, 375; Böhm, WM 2009, 1923, 1925; Gerst, CCZ 2012, 1, 3; ­Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 266. 567  Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 11, m. w. N. 568  Vgl. Böhm, WM 2009, 1923, 1928; Gerst, CCZ 2012, 1, 2 f.; Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 11; a. A. Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 389 f., die zwar eine faktische Zwangswirkung bejahen, diese jedoch hinsichtlich nemo tenetur als nicht ausreichenden, da nicht staatlich veranlassten Zwang werten.

124 Kap. 5: Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten

ses ein Beweisverwertungsverbot gefordert.569 Es ergäbe sich „eine eindeutige Parallele zwischen dem Insolvenzrecht und dem hier betroffenen Arbeitsrecht“570. Dem wird nach zum Teil vertretener Ansicht entgegen gehalten, die Sachlage bei internen Ermittlungen könne nicht mit der des Insolvenzrechts verglichen werden. Es handle sich um eine rein private Auskunftspflicht, die auf vertraglichem Wege freiwillig übernommen wurde.571 Die überwiegende Mehrheit spricht sich hingegen – zumeist auf Grundlage des Gemeinschuldnerbeschlusses – für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots572 beziehungsweise Beweisverwendungsverbots573 aus. Das entscheidende Argument des BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss gelte sowohl für gesetzliche als auch vertragliche Auskunftspflichten: Maßgeblich sei, ob eine unter Zwang herbeigeführte Selbstbelastung gegen den Willen des Betroffenen zweckentfremdet und zur Strafverfolgung eingesetzt würde. Ausschlaggebend sei demnach nicht die rechtliche Einordnung, sondern allein das Bestehen einer hier vorliegenden Zwangslage.574 Auch überzeuge das Argument, der Arbeitnehmer habe sich freiwillig dieser Verpflichtung unterworfen, nicht; eine echte Wahlmöglichkeit für oder gegen die Aufnahme jedweden Arbeitsverhältnisses bestehe schließlich nicht.575 Der Selbstbelastungsfreiheit könne damit allein durch eine umfassende Verwendungssperre Rechnung getragen werden.576

569  Kritik zur Vorbildfähigkeit des Gemeinschuldnerbeschlusses hingegen bei Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 12, m. w. N.: „Es erweist sich als äußerst schwierig, die generalisierbare Regel auszuformulieren, die in der Entscheidung Ausdruck gefunden haben soll. […] Die Gemeinschuldner-Entscheidung, ihre Richtigkeit unterstellt, dürfte eher den Ausdruck einer abwägenden bzw. verhältnismäßigkeitsorientierten Billigkeitsrechtsprechung verkörpern. Aus ihrer ausdrücklichen Begründung lässt sich für andere Konstellationen wenig Gesichertes herleiten.“ 570  I. Roxin, StV 2012, 116, 120. 571  LG Hamburg NJW 2011, 942, 944; Wimmer, in: FS-I. Roxin, 2012, S. 537, 549. 572  LAG Hamm CCZ 2010, 237, 239; Bittmann / Molkenbur, wistra 2009, 378, 378; v. Galen, NJW 2011, 945, 945; I. Roxin, StV 2012, 116, 120; vgl. auch Dann / Schmidt, NJW 2009, 1851, 1855. 573  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133, Rn. 140; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor § 133 ff, Rn. 115; Böhm, WM 2009, 1926 ff.; Dann, CCZ 2010, 237, 240; Theile, StV 2011, 381, 385 f.; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 267; vgl. auch Gerst, CCZ 2012, 1, 3. 574  Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 266; vgl. dazu auch Böhm, WM 2009, 1923, 1928: „Damit lässt sich feststellen, dass die Gefährdungssituation des Arbeitgebers mit der des Gemeinschuldners gut vergleichbar ist.“ 575  I. Roxin, StV 2012, 116, 120; Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 11; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 266. 576  Theile, StV 2011, 381, 386; Dann, CCZ 2010, 237, 240; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 267.



E. Ergebnis125

Vereinzelt wird demgegenüber der Grundsatz der Verfahrensfairness herangezogen.577 Der Ansatz geht dabei von der Prämisse aus, dass die Selbstbelastungsfreiheit mangels staatlicher Zwangsausübung nicht einschlägig ist.578 Der Weg über die Verfahrensfairness stelle auch gegenüber der Selbstbelastungsfreiheit die flexiblere Lösung dar, da der Grundsatz der Verfahrensfairness rechtstheoretisch die Struktur eines Prinzips und nicht die einer Regel aufweise und damit der Abwägung zugänglich sei.579 Aus ihm könne im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot folgen, wenn die Verfahrensfairness bei der konkreten Durchführungsart der Ermittlungen in Schieflage gerate.580 Vergleichend wird hier zudem auf die Hörfallenentscheidung581 des BGH hingewiesen: Wenn schon bei einer Hörfalle, wo sich der Betroffene aus eigenem Antrieb belaste, ein Verwertungsverbot aus der Verfahrensfairness folge, so müsse dies erst Recht in dem vorliegenden Fall gelten, in dem der Arbeitnehmer einer ausgeprägten Zwangslage ausgesetzt ist.582

E. Ergebnis Im fünften Kapitel erfolgte eine Bestandsaufnahme derjenigen Offenbarungspflichten, die durch ein Beweisverwertungs- oder Beweisverwendungsverbot ergänzt werden. Sie sind sowohl im Zivil- als auch Öffentlichen Recht verankert und weisen eine ähnliche Interessenlage auf. Konkret wurden hier § 393 Abs. 2 S. 1 AO, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, § 802c Abs. ZPO und die Problematik der internen Ermittlungen zu Vergleichszwecken zusammen gefasst. Obwohl der Gesetzgeber erstmals im Steuerrecht eine entsprechende Offenbarungspflicht einführte, bilden der zeitlich nachfolgende Gemeinschuldnerbeschluss und der damit verbundene § 97 Abs. 1 S. 3 InsO den Grundpfeiler aller Überlegungen zu diesem Bereich. Zuzustimmen ist insofern Dencker, der § 97 Abs. 1 S. 3 InsO Vorbildsfunktion zuspricht.583 So konnte festge577  Vgl. insgesamt Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 390 ff.; Momsen, ZIS 2011, 508, 513; Knauer, ZWH 2012, 81, 86; Knauer / Gaul, NStZ 2013, 192, 193. 578  Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 90; Momsen, ZIS 2011, 508, 513. 579  Knauer / Gaul, NStZ 2013, 192, 193. 580  Knauer, ZWH 2012, 81, 86; vgl. auch Momsen, ZIS 2011, 508, 515. 581  BGHSt 42, 139. 582  Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 391; Momsen, ZIS 2011, 508, 514. 583  Dencker, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 237, 253; a.  A. Ruppert, HRRS, 2015, 448, 451, der einer Systematik entgegenstellt, dass zwischen § 393 Abs. 2 S. 1 AO und § 97 Abs. 1 S. 3 InsO kein Gleichklang besteht. Diese Argumentation hinkt jedoch insofern, als dass Gemeinschuldnerbeschluss und § 97 Abs. 1 S. 3 InsO dem Erlass von § 393 Abs. 2 S. 1 AO zeitlich nachfolgen und einen deutlichen Richtungswechsel markieren.

126 Kap. 5: Bestandsaufnahme außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten

stellt werden, dass bei jeder hier in den Augenschein genommenen Verpflichtung die Parallele zum Insolvenzrecht bemüht wird. Es zeigte sich ein übergreifendes Argumentationsmuster. Die Untersuchung kommt damit an dieser Stelle zu dem Ergebnis, dass den Vorschriften ein echter systematischer Zusammenhang entspringt; es handelt sich um eine eigenständige Fallgruppe innerhalb des Anwendungsbereichs von nemo tenetur. Damit ist der Grundstein einer Vergleichsgruppe zur ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB gelegt, so dass der Fokus nun vom Allgemeinen auf den Besonderen Teil verschoben werden kann. Hier wird bei Bestimmung der Reichweite von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB auf die Vergleichsgruppe zurückzugreifen und ihre Untersuchung punktuell im systematischen Kontext zu vertiefen sein.

Besonderer Teil – Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB – Das Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient ist im Jahr 2013 durch das Patientenrechtegesetz (PatRG) einem eigenen Vertragstypus zugewiesen worden. Nunmehr bildet der Behandlungsvertrag gem. § 630a Abs. 1 BGB die rechtliche Grundlage für medizinische Behandlungen. Im Zuge dessen ist auch eine ärztliche Fehleroffenbarungspflicht eingeführt worden. So ist der Arzt gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB verpflichtet, dem Patienten gegenüber eine Fehlbehandlung einzugestehen. Die Annahme einer solchen Verpflichtung wurde vor Erlass des PatRG kontrovers beurteilt. Mit Einführung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB hat der Gesetzgeber nun einen Schlussstrich unter die Frage um das „Ob“ gezogen und sie zugunsten des Patienten entschieden. Für den Behandelnden birgt diese Verpflichtung jedoch die Gefahr einer Selbstbelastung; ihm können sowohl strafrechtliche als auch berufsrechtliche Konsequenzen drohen. Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt zu lösen versucht, indem er zum Schutz des Behandelnden ein Beweisverbot in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB aufnahm; die selbstbelastenden Angaben dürfen in einem späteren Straf- oder Bußgeldverfahren nicht verwendet werden. Die Grundlagen der Selbstbelastungsfreiheit vorangestellt, wird der Fokus im Besonderen Teil nun auf die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB gelenkt. Sie könnte den jüngsten Unterfall der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten darstellen. Es überrascht daher nicht, dass die Vorschrift in ersten Auseinandersetzungen für „Kopfschütteln“1 gesorgt hat; neuralgischer Punkt ist insbesondere das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB. Der Gesetzgeber geht insofern von dem Standpunkt aus, die Fehleroffenbarungspflicht greife in das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit ein und das Beweisverbot liefere insofern das nötige verfassungswahrende Korrektiv. Diese Prämisse soll im nachfolgenden Teil einer Überprüfung unterzogen werden.

1  Jaeger,

in: Prütting, Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 13.

Kapitel 6

Zivilrechtliche Grundlagen Die Untersuchung beginnt mit der Aufarbeitung der zivilrechtlichen Grundlagen. Hierzu ist der Blick zunächst auf das PatRG zu richten bevor im Anschluss der Anwendungsbereich des Behandlungsvertrags sowie der Begriff des Behandlungsfehlers beleuchtet werden.

A. Das Patientenrechtegesetz Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB wurde im Zuge des PatRG eingeführt.

I. Hintergrund Am 26.02.2013 trat das PatRG in Kraft.2 Bis zu diesem Zeitpunkt waren Patientenrechte allenfalls lückenhaft normiert. Denn der Gesetzgeber sah bei Erlass des BGB noch kein Bedürfnis, das Verhältnis zwischen Arzt und Patient als eigenständigen Vertragstyp auszugestalten. Es unterfiel den allgemeinen Vorschriften des Dienstvertrags und wurde durch die Rechtsprechung spezifisch ausgeformt. Medizinischer Fortschritt und die gesellschaftlichen Veränderungen ließen den Arztvertrag jedoch stetig an Bedeutung wachsen. Gerade die Rechtsstellung des Patienten rückte in den Fokus der öffentlichen Diskussion. So wurde bereits im Jahr 1978 anlässlich des 52. Deutschen Juristentags erwogen, ob im Interesse von Patient und Arzt ergänzende Regelungen im Haftungs- und Vertragsrecht eingeführt werden sollten. Auch im Rahmen der Schuldrechtsreform erfolgte der Vorschlag einer umfassenden Kodifikation. Dem schloss sich eine jahrzehntelange Diskussion an, an deren Ende nunmehr das PatRG mit den §§ 630a ff. BGB steht.3 Der Gesetzgeber hielt diesen Schritt für erforderlich, da es der bisherige Zustand allen Beteiligten im Gesundheitswesen erschwert hätte, ihre Rechte zu kennen und einzufordern. Gerade der Patient solle seine wichtigs2  Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013, BGBl. I, S. 277. 3  Hierzu insgesamt BT-Drucks. 17 / 10488, S. 10 m. w. N.



A. Das Patientenrechtegesetz 129

ten Rechte im Gesetz nachlesen können. Mit Blick auf die Komplexität der Medizin und die Vielfalt an Behandlungsmöglichkeiten sei daher ein eigenständiger gesetzlicher Rahmen unumgänglich geworden.4 Das PatRG kodifiziert nunmehr die bisherige Rechtsprechung zum Behandlungs- und Arzthaftungsrecht und inkorporiert diese unter dem neuen Untertitel „Behandlungsvertrag“ in den §§ 630a ff. BGB. Auf diesem Weg sollen Transparenz und Rechtssicherheit geschaffen, eine Fehlervermeidungskultur gefördert, sowie die Verfahrensrechte des Patienten gestärkt werden. Insbesondere im Falle eines Behandlungsfehlers soll der Patient Unterstützung finden. Insgesamt zielt das PatRG darauf, Patient und Arzt „auf Augenhöhe“5 zu bringen; ihm liegt das „Leitbild des mündigen Patienten“6 zu Grunde.

II. Inhaltlicher Überblick Durch das PatRG sind in erster Linie die §§ 630a ff. im BGB integriert worden.7 Der Behandlungsvertrag ist dabei als besonderer Dienstvertrag (vgl. § 630b BGB) mit eigenständigen Rechten und Pflichten sowie speziellen Beweislastregeln im Haftungsfall ausgestaltet worden. Neben den vertragstypischen Pflichten des Behandlungsvertrags (§ 630a BGB) enthalten die neuen Vorschriften Regelungen zu den Mitwirkungs- und Informa­ tionspflichten der Parteien (§ 630c BGB), der Einwilligung des Patienten vor Durchführung der medizinischen Maßnahme (§ 630d BGB), den Aufklärungspflichten des Behandelnden (§ 630e BGB), der Pflicht zur Dokumentation (§ 630f BGB), dem Recht des Patienten zur Einsichtnahme in die Patientenakte (§ 630g BGB) sowie Regelungen zur Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler (§ 630h BGB). Die Vorschriften knüpfen dabei maßgeblich an die bisherigen richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts an.8

4  So

S. 1.

insgesamt schon der Gesetzesentwurf des Bundesrats, BR-Drucks. 312 / 12,

5  BT-Drucks.

17 / 10488, S. 1. 17 / 10488, S. 1. 7  Im Übrigen erfolgten auch Anpassungen im SGB V, KHG sowie in der PatBeteiligungsV, vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 10. 8  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 9. 6  BT-Drucks.

130

Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

III. Bewertung Auf Seiten der Wissenschaft ist man sich einig: Wesentlich Neues finde sich im PatRG nicht;9 es sei letztendlich „eine große Enttäuschung“10. Zur Begründung kann allein auf Thurn verwiesen werden: „Es ist eine Ansammlung von Allgemeinplätzen und Altbekanntem, es fasst wesentliche, keineswegs alle Grundsätze, die die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft in Jahrzehnten entwickelt haben, zusammen, verändert dabei nichts, nimmt nichts zurück, fügt (so gut wie) nichts hinzu, stärkt die Rechte der Patienten nicht, hilft weder der Rechtsprechung noch den mit Arzthaftungsfällen befassten Rechtsanwälten und es verschenkt die Chance, etwas nach vorne zu bewegen.“11

Insbesondere würde das Gesetz zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten noch nicht einmal seinem Namen gerecht, denn eine Verbesserung bliebe aus.12 Es handle sich um ein „status quo-Gesetz“13 oder gar um einen Akt „symbolischer Gesetzgebung“14. Zynisch ist es als „eines der rechtspolitischen Flaggschiffe der vergangenen Legislatur­ periode“15 bezeichnet worden, schließlich sei „jeder Wähler zugleich ein Patient“16. Auch grundsätzliche Einwände sind der Kodifikation entgegnet worden. So wurde angemahnt, dass eine Festschreibung zum „Hemmschuh […] modernen Patientenschutzrechts“17 werden könne, denn der Fortschritt der Medizin sei rasant und Gesetze weniger flexibel als Richterrecht.18 Die Rechtsprechung bliebe daher nach wie vor der entscheidende Akteur, so Spickhoff, JZ 2015, 15, 15. MedR 2013, 153, 153; vgl. auch Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 288: „Das Patientenrechtegesetz wird all diejenigen enttäuschen, die sich eine umfassende übersichtliche Kodifikation gewünscht haben.“ Kritisch auch: Hart, MedR 2013, 159, 159; Mäsch, NJW 2013, 1354, 1354 f.; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 822 f.; zumindest „zweifelhaft“ Terbille, in: ders. / Clausen / Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, § 1, Rn. 10. 11  Thurn, MedR 2013, 153, 153 f. 12  Thurn, MedR 2013, 153, 157, der von einem „Placebo“ spricht. 13  Hart, MedR 2013, 159, 165. 14  Mäsch, NJW 2013, 1354, 1355. 15  Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 59. 16  Mäsch, NJW 2013, 1354, 1354; vgl. auch: Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 281: „Sicher hofft man, dem Wahlvolk so wenigstens in diesem Bereich kraftvolle Handlungsfähigkeit zu signalisieren.“; ähnlich Katzenmeier, NJW 2013, 817, 822: „Das Gesetz ist politisch motiviert, ein Einsatz für die Belange ist publikumswirksam.“; kritisch auch Spickhoff, Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 2. 17  Katzenmeier, MedR 2011, 201, 205; 18  Katzenmeier, MedR 2011, 201, 205; vgl. auch ders., SGb 2012, 125, 127; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 60. Kritisch auch Hart, MedR 2013, 159, 159, der durch einige Regelungen des PatRG möglicherweise die Fortbildung des Medizinrechts behindert sieht. 9  Vgl.

10  Thurn,



A. Das Patientenrechtegesetz 131

dass womöglich das weniger starre Deliktsrecht zum „Neuerungsrecht“19 der Arzthaftung werden könnte.20 Bei aller Kritik wird dem Gesetz aber auch Positives entnommen. Terbille begrüßt es etwa, dass den Patientenrechten stärkere Bedeutung beigemessen wird und diese nunmehr für jedermann nachlesbar im BGB normiert wurden.21 Zudem führt Hart an, dass die mit der gesetzlichen Festschreibung verbundene gesteigerte Geltungsseriosität zu einer effektiveren Durchsetzung der bereits bestehenden Patientenrechte, speziell im defizitären Bereich der Patientenaufklärung, führen könnte.22 Auf Rechtsanwendungsebene teilt sich das Meinungsbild je nach Interessenlage. Aus Perspektive der Patientenvertreter greifen die Regelungen insgesamt zu kurz, sie hätten sich eine substantielle Weiterentwicklung der Patientenrechte gewünscht.23 Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen sieht insgesamt noch Nachbesserungsbedarf; es bestehe „noch Luft nach oben“24. Aus Sicht der Krankenhäuser hätte es hingegen keiner Kodifikation bedurft; sie beseitige weder automatisch bestehende Vollzugsdefizite noch steigere sie die Transparenz für den betroffenen Patienten.25 Positiv zu bewerten sei allein, dass das PatRG die bestehenden Patientenrechte lediglich zusammenfasse und keine weitergehenden Rechte begründe. So führen die Krankenhausvertreter an, dass zusätzliche Regelungen den Patientenschutz nicht nennenswert erhöhen würden, wohl aber die Lebenswirklichkeit im Krankenhausbereich ignorieren und Krankenhausträger und -personal mit unverhältnismäßigen Anforderungen in organisatorischer, zeitlicher, finanzieller und rechtlicher Hinsicht belasten würden.26 Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) 19  Hart,

MedR 2013, 159, 165; siehe auch Katzenmeier, NJW 2013, 817, 823. MedR 2013, 159, 165; siehe auch Katzenmeier, NJW 2013, 817, 823; offen gelassen von Terbille, in: ders. / Clausen / Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, § 1, Rn. 10. 21  Terbille, in: ders. / Clausen / Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, § 1, Rn. 7. 22  Hart, MedR 2013, 159, 165. 23  Vgl. die gemeinsame Stellungnahme der maßgeblichen Patientenorganisationen gem. § 140 f SGB V zum Referentenentwurf vom 06.02.2012, S. 1, abrufbar unter: http: /  / www.patient-und-selbsthilfe.de / data / Andere / 2012 / Patientenvertretung-GBAStellungnahme-Patientenrechtegesetz.pdf. 24  Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes vom 15.10.2012, abrufbar unter: http: /  / www.gkv-spitzenverband.de / presse / themen / patientenrechte / thema_patienten rechte.jsp. 25  Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vom 17.10.2012, S. 4, abrufbar unter: http: /  / www.dkgev.de / media / file / 12474.Patientenrechtegesetz.pdf. 26  Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vom 17.10.2012, S. 4, abrufbar unter: http: /  / www.dkgev.de / media / file / 12474.Patientenrechtegesetz.pdf. 20  Hart,

132

Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

hingegen begrüßen die Förderung der Fehlervermeidungskultur und die Stärkung der Patientenrechte gegenüber den Krankenkassen.27 Sie kritisierten aber bereits bei Vorlage des Referentenentwurfs einzelne Regelungen, insbesondere die Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB sei abzulehnen.28

B. Der Behandlungsvertrag Die Grundzüge des PatRG vorangestellt soll nun der Anwendungsbereich der §§ 630a ff. BGB abgesteckt werden. Erforderlich ist das Vorliegen eines Behandlungsvertrags. Insofern definiert § 630a Abs. 1 BGB: „Durch den Behandlungsvertrag wird derjenige, welcher die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Behandelnder), zur Leistung der versprochenen Behandlung, der andere Teil (Patient) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist.“

I. Medizinische Behandlung Die §§ 630a ff. BGB regeln das Rechtsverhältnis für medizinische Behandlungen. Hierunter sind menschliche Heilbehandlungen zu verstehen.29 Dies umfasst sowohl Diagnose als auch Therapie und damit sämtliche Maßnahmen und Eingriffe, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Art zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.30 Eine medizinische Indikation ist insofern nicht zwingend erforderlich, so dass auch sonstige Maßnahmen wie kosmetische Behandlungen (Schönheitsoperationen), Sterilisation, Kastration, Geschlechtsumwandlungen, Schwangerschaftsverhütungen, Schwangerschaftsabbruch, künstliche Befruchtung, pränatale Diagnostik und wissenschaftliche Experimente erfasst werden.31 Gegenstand der Behandlung 27  Gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 09.03.2012, S. 4, abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / StellBAeK_KBVPatientenrechtegesetz_09032012.pdf. 28  Gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 09.03.2012, S. 4, 13 f., abrufbar unter: http: /  / www.bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / StellBAeK_KBVPatientenrechtegesetz_09032012.pdf. Vgl. auch Neelmeier, Deutsches Ärzteblatt 2012, 1866. 29  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 17. 30  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 17; Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, §  50, Rn. 3. 31  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, Vorb. v. § 630a, Rn. 2; vgl. auch BT-Drucks. 17 / 10488, S. 17.



B. Der Behandlungsvertrag133

kann auch die reine Beratung sein; nicht aber die Erbringung von Pflegeund Betreuungsleistungen, die spezialgesetzlichen Regelungen unterliegen, sowie Leistungen des Gesundheitshandwerks und von Apothekern.32 Der konkrete Vertragsinhalt wird bei Vertragsschluss in der Regel nicht vereinbart, zumal der Behandlungsumfang regelmäßig erst durch Untersuchungen bestimmt werden muss.33 Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind damit die medizinischen Maßnahmen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um den gewünschten (Heil-)Erfolg zu erreichen, Vertragsinhalt.34 Das konkrete Leistungsspektrum wird sodann im Laufe der Behandlung in Absprache mit dem Patienten (§ 630c Abs. 2 S. 1 BGB) bestimmt.35

II. Behandelnder Gem. § 630a Abs. 1 BGB ist Behandelnder, wer eine medizinische Behandlung zusagt. Der Begriff umfasst damit sowohl Humanmediziner, (Zahn-)Ärzte und Psychotherapeuten, als auch andere Heilberufe wie Hebammen, Masseure, Ergotherapeuten, Logopäden, Physiotherapeuten und Heilpraktiker.36 Demgegenüber sind Apotheker, Tierärzte und Angehörige des Gesundheitshandwerks, wie Augenoptiker, Zahntechniker oder Hörgeräteakustiker keine Behandelnden im Sinne von § 630a Abs. 1 BGB, da sie keine medizinische Behandlung ausüben.37 Der Behandelnde muss nicht zwingend identisch mit der Person sein, die die medizinische Maßnahme tatsächlich durchführt, denn § 630a Abs. 1 BGB stellt maßgeblich auf die Zusage der Leistung ab.38 Entgegen des allgemeinen Wortverständnisses ist damit nicht stets der behandelnde Arzt auch Behandelnder im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB.39 Regelmäßig fallen der Begriff des Behandelnden und die tatsächlich behandelnde Person ausein­ 32  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, Vorb. v. § 630a, Rn. 2; vgl. auch BT-Drucks. 17 / 10488, S. 17 f. 33  Rehborn / Geschner, in: Erman, BGB, § 630a, Rn. 10. Anders etwa wenn die konkrete Behandlungsmaßnahme durch ärztliche Anordnung bestimmt ist, z. B. für den Masseur, oder sich aus der Erklärung des Patienten, z. B. gegenüber der Hebamme, ergeben; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 7. 34  Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, III, Rn. 34; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 7. 35  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 7. 36  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 18. 37  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, Vorb. v. § 630a, Rn. 3; vgl. auch BT-Drucks. 17 / 10488, S. 18. 38  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 18. 39  Katzenmeier, NJW 2013, 817, 818; siehe auch Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a, Rn. 2; Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630a, Rn. 17.

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Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

ander – etwa bei Praxisgemeinschaften, Krankenhäusern oder Medizinischen Versorgungszentren.40 Die Vornahme der Leistung erfolgt dann durch Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB,41 oder durch die Organe der juristischen Person, § 31 BGB.42 Auch bei Verträgen mit Krankenhausträgern tritt die juristische Person als Behandelnder in Erscheinung. Insoweit gilt es zwischen drei verschiedenen Vertragstypen43 zu unterscheiden: Beim totalen Kranken­ hausvertrag verpflichtet sich der Krankenhausträger im Rahmen der stationären Behandlung sämtliche erforderliche Leistungen zu erbringen. Dies umfasst auch die ärztliche Versorgung. Der Behandlungsvertrag kommt damit allein zwischen Patient und dem Krankenhausträger zustande. Beim sogenannten gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrag hingegen schuldet der Krankenhausträgers nur die allgemeinen Krankenhausleistungen. Dies umfasst neben der Pflege auch die untergeordneten medizinischen Tätigkeiten. Die ärztlichen Leistungen werden aufgrund gesonderten Vertrags von einem (Beleg)Arzt erbracht, welcher alleiniger Vertragspartner für seinen Bereich ist. Schlussendlich ist auch der totale Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvertrag anerkannt. Hier obliegt dem Krankenhaus die Pflicht zur vollumfänglichen Leistung, einschließlich der ärztlichen Behandlung. Daneben schließt der Patient einen zusätzlichen Vertrag über wahlärztliche Leistungen mit einem liquidationsberechtigten Chefarzt oder allen liquidationsberechtigten Ärzten (so genannte Wahlarztkette) über die Erbringung ärztlicher Leistungen.44 Alle drei Vertragskonstellationen unterfallen nunmehr § 630a Abs. 1 BGB.45

III. Patient Der Vertragspartner des Behandelnden ist der Patient. Er verpflichtet sich als Korrelat der Behandlung zur vereinbarten Vergütung, soweit nicht ein Dritter zahlungspflichtig ist, § 630a Abs. 1 BGB. Der Patientenbegriff im 40  BT-Drucks.

17 / 10488, S. 18. 17 / 10488, S. 18; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 113; Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630a, Rn. 17. 42  Als Organ kommt insbesondere der Chefarzt in Betracht, Jaeger, PatRG, Rn. 36. 43  Die Differenzierung entspricht der ständigen Rechtsprechung, vgl. BGH VersR 1998, 728, Rn. 17. 44  Zu den Vertragstypen insgesamt: BT-Drucks. 17 / 10488, S. 18; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 113 ff.; Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630a, Rn. 21 ff.; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 4. 45  Vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 18; insofern zurecht kritisch Preis / Schneider, NZS, 2013, 281, 282, da etwa die Bereitstellung von Unterkunft und Verpflegung nicht ohne weiteres unter den Begriff der „Behandlung“ gefasst werden kann. 41  BT-Drucks.



B. Der Behandlungsvertrag135

Sinne des Behandlungsvertrags umfasst sowohl den Privat- als auch den Kassenpatienten.46 Letzterer ist gem. § 630a Abs. 1 a. E. BGB im Rahmen des Leistungskatalogs der Krankenkasse nicht zur Zahlung verpflichtet, da die Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung getragen werden.47 Der Vertragsarzt erhält hier sein Honorar von der Kassenärztlichen Vereinigung gem. § 87b Abs. 1 SGB V, welche ihrerseits mit den Krankenkassen auf Grundlage der geschlossenen öffentlich-rechtlichen Gesamtverträge gem. §§ 83, 85 Abs. 1 SGB V abrechnet.48 Krankenhausträger erhalten ihre Vergütung für die Behandlung GKV-Versicherter hingegen unmittelbar von den gesetzlichen Krankenkassen.49 Das synallagmatische Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient ist somit nur grundsätzlicher Art und schlägt im Falle der Erstattung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen zu einem partiell einseitigen Vertragsverhältnis um.50 Ist der zu behandelnde Patient hingegen privat versichert, so obliegt ihm unabhängig vom Umfang etwaiger Erstattung durch die Versicherung die Vergütungspflicht.51

IV. Abgrenzung Der Behandlungsvertrag ist stets privatrechtlicher Natur. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich beim jeweiligen Patienten um einen Privat- oder Kassenpatient handelt, denn auch letzterer schließt zunächst einen privatrechtlichen Vertrag mit dem Behandelnden.52 Das Behandlungsverhältnis ist vom Gesetzgeber als dienstvertragsähnlicher Vertragstypus innerhalb des 8. Abschnitts des BGB kodifiziert worden; der ursprüngliche 8. Titel „Dienstvertrag“ wurde im Zuge dessen umbenannt in „Dienstvertrag und ähnliche Verträge“.53 Der Behandelnde schuldet damit nur die medizinische 17 / 10488, S. 18; Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 282. es sich um Kosten außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung handelt, ist der Patient hingegen zur Zahlung verpflichtet. Dies gilt auch für die Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 2 SGB V; insgesamt Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630b, Rn. 47. 48  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 19; Rehborn, GesR 2013, 257, 259. 49  § 109 Abs. 4 SGB V i.  V. m. der Entgeltvereinbarung gem. § 18 KHG, § 11 KHEntG; für die übrigen Leistungserbringer gilt entsprechendes, Rehborn, GesR 2013, 257, 259 m. w. N. 50  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 19. 51  Maßgebend sind insoweit die GOÄ bzw. die GOZ, die auf § 11 BÄO bzw. § 15 ZHG beruhen. Es handelt sich um Taxen im Sinne von § 612 Abs. II BGB, der über § 630b BGB im Behandlungsverhältnis wirkt; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 47; vgl. auch BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20. 52  BVerfG NJW 2005, 1103, 1104; Wagner, VersR 2012, 789, 790; Jaeger, ­PatRG, Rn. 24. 53  Vgl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 5. 46  BT-Drucks. 47  Sofern

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Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

Behandlung, nicht hingegen den Gesundheitserfolg,54 da „wegen der Komplexität der Vorgänge im menschlichen Körper, die durch Menschen kaum beherrschbar ist, […] ein Erfolg der Behandlung am lebenden Organismus im Allgemeinen nicht garantiert werden [kann]“55. Wie schon vor Einführung der §§ 630a ff. BGB muss auch im konkreten Einzelfall eine Abgrenzung zum Werkvertrag erfolgen.56 Hierzu ist das konkret vereinbarte Pflichtenspektrum auszulegen.57 Ein Werkvertrag kommt dabei etwa bei einfachen Diagnoseverträgen oder Laboruntersuchungen in Betracht.58 Auch die technische Anfertigung von Zahnprothesen unterfällt dem Werkvertrag, wohingegen die zahnärztliche Behandlung wiederum den §§ 630a ff. BGB unterliegt.59 Bestimmte Leistungen von Konsiliarärzten, die ein beschränktes Ergebnis zum Ziel haben, richten sich ebenfalls nach den werkvertraglichen Vorschriften wie beispielsweise die Röntgendiagnostik.60 Nicht erfolgsbezogen sind hingegen Sterilisationen und kosmetische Operationen, da stets ein Restrisiko verbleibt. Sie unterfallen den §§ 630a ff. BGB.61 Darüber hinaus sind auch vertragslose Behandlungsverhältnisse abzugrenzen. Ist der Patient etwa bewusstlos, greifen die Regelungen zur Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. BGB.62 Auch öffentlich-rechtliche Konstellationen sind zu bedenken, etwa die Behandlung von Soldaten durch Truppenärzte, die Behandlung Strafgefangener oder die Tätigkeit des Amtsarztes im Gesundheitsamt.63

54  Weidenkaff, in: Palandt, Vorb. v. § 630a, Rn. 5; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 5; Jaeger, PatRG, Rn. 77. 55  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 17. 56  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 17; Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 282. Das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patienten wurde auch vor Einführung des PatRG grundsätzlich als Dienstvertrag eingestuft; dazu Kern, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 38, Rn. 9 ff. Dennoch sollten einzelne Verträge dem Werkvertragsrecht unterfallen, vgl. Weidenkaff, in: Palandt, 69. Auflage, Einf. v. § 611, Rn. 18 und Sprau, in: Palandt, 69. Auflage, Einf. v. § 631 Rn. 18. 57  Spickhoff, in: ders., § 630a BGB, Rn. 7. 58  LG Dortmund, GesR, 2007, 227, 227; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a, Rn. 8. 59  OLG Naumburg NJW-RR 2008, 1056, 1056; OLG Koblenz NJW-RR 1995, 567, 567; vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 17. 60  OLG Düsseldorf MDR 1985, 1028, 1028; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 8. 61  BGH NJW 1980, 1452, 1453; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 8. 62  Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630a, Rn. 7 m. w. N. 63  Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630a, Rn. 7 m. w. N.



C. Der Behandlungsfehler 137

V. Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt, dass die §§ 630a ff. BGB nur auf das medizinische Behandlungsverhältnis zwischen Behandelnden und Patient Anwendung finden. Hierunter fallen Heilbehandlungen verschiedenster Art; eine Indikation ist insofern nicht erforderlich. Der Begriff des Behandelnden knüpft maßgeblich an die Zusage der Leistung an. Als Patient im Sinne von §§ 630a ff. BGB gelten sowohl der Kassen- als auch der Privatpatient. Die Rechtsnatur des Behandlungsvertrages ist unabhängig vom Versicherungsstatus stets privatrechtlicher Natur. Geschuldet ist die Vornahme der Handlung, nicht hingegen der Erfolg. Im konkreten Einzelfall kann jedoch eine Abgrenzung des Behandlungsvertrags vom erfolgsbezogenen Werkvertrag erforderlich sein. Auch die Geschäftsführung ohne Auftrag sowie öffentlichrechtliche Konstellationen sind denkbar und von den §§ 630a ff. BGB abzugrenzen.

C. Der Behandlungsfehler An die Aufarbeitung des PatRG und des Behandlungsvertrags schließt sich nun die Analyse des Behandlungsfehlers an. Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn die geschuldete, standesgemäße Qualität der Behandlung unterschritten wird.64 Nachstehend soll daher in einem ersten Schritt der geschuldete Qualitätsstandard festgesetzt werden, bevor im Anschluss verschiedene Möglichkeiten zur Unterschreitung aufgezeigt werden.

I. Behandlungsqualität Die Behandlungsqualität ist sowohl in persönlicher als auch fachlicher Dimension festgelegt. 1. Persönliche Leistung In persönlicher Hinsicht gilt über die Verweisungsnorm des § 630b BGB für die medizinische Behandlung der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit gem. § 613 S. 1 BGB, wonach der Zusagende die Behandlung grundsätzlich selbst vornehmen muss. Er ist zur Kernleistung der geschuldeten Tätigkeit 64  Laufs / Kern, in: dies., Handbuch des Arztrechts, § 97, Rn. 5; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 146; Quaas, in: ders. / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 71; Terbille, in: ders. / Clausen / Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, § 1, Rn. 461; Weidenkaff, in: Palandt, § 630a, Rn. 25.

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Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

verpflichtet.65 Ausnahmsweise kann auch eine Übertragung vereinbart werden; Voraussetzung ist dabei stets die Einwilligung durch den Patienten.66 Steht eine Delegation an nichtärztliches Personal in Frage, so ist dies nur unter engen Voraussetzungen möglich: Es können lediglich einfach-ärztliche oder sonstige medizinische Verrichtungen, denen eine ergänzende Funktion zur Kernleistung zukommt, übertragen werden. Ob eine Übertragung zulässig ist, hängt zudem von der Art und Schwierigkeit der Tätigkeit, der konkreten Krankheit, der Fähigkeit des Personals sowie der Überwachung durch den Arzt ab.67 Eine Ausnahme von der persönlichen Leistungspflicht statuiert § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB bei der Aufklärung: Primär soll die Aufklärung durch die Person erfolgen, die die Behandlung durchführt. Sie kann aber auch durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt, wobei ergänzend auch auf Unterlagen Bezug genommen werden kann, die dem Patienten in Textform ausgehändigt werden.68 Ist Behandelnder eine juristische Person, so erfolgt die Vornahme der Behandlung stets durch ihre Erfüllungsgehilfen oder Organe.69 2. Fachlicher Standard, Sorgfaltsmaßstab In fachlicher Hinsicht liegt dem Behandlungsvertrag als zivilrechtlichem Vertrag der allgemeine Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu Grunde. Demnach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt a­ ußer Acht lässt. Ergänzend zur allgemeinen Regelung legt § 630a Abs. 2 BGB darüber hinaus fest, dass die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen hat, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Der Behandelnde muss demnach die Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Angehörigen seiner Berufsgruppe zu erwarten sind, so genannte Gruppenfahrlässigkeit.70 Der geschuldete Standard darf weder durch 65  Kern, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 45, Rn. 2 f; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 613 BGB, Rn. 8; Biermann / Ulsenheimer / Weißauer, NJW 2001, 3366, 3366 f. 66  BGH NJW 2008, 987, 987: Eine formularmäßige Klausel, durch die pauschal auch ein Stellvertreter die Behandlung übernehmen kann, genügt insoweit nicht. Vgl. auch Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 613 BGB, Rn. 7; Biermann / Ulsenheimer / Weißauer, NJW 2001, 3366, 3366 f. und BGH BeckRS 2016, 14551. 67  Kern, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 45, Rn. 8; zur Delegation an nichtärztliches Personal vgl. insgesamt Hahn, NJW 1981, 1977 ff. 68  s. hierzu BT-Drucks. 17 / 10488, S. 24. 69  Vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20. 70  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 9; vgl. auch BGH NJW 1991, 1535, 1537. Zur Gruppenfahrlässigkeit ausführlich Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn.  356 ff.



C. Der Behandlungsfehler 139

Tun noch durch Unterlassen unterschritten werden.71 Es handelt sich – anders als im Strafrecht – um einen objektivierten Sorgfaltsmaßstab, so dass individuelle Kenntnisse sowie die Fähigkeiten des Behandelnden bei der Sorgfaltsbestimmung grundsätzlich außer Acht bleiben.72 Dem Behandelnden obliegt daher die Pflicht den spezifischen Kenntnisstand zu erlangen und ihn im Wege der regelmäßigen Fortbildung zu erhalten; persönliche Überforderung entschuldigt nicht.73 Sowohl im diagnostischen als auch therapeutischen Verfahren verbleibt schlussendlich aber ein Beurteilungsund Entscheidungsspielraum, in dessen Grenzen der Behandelnde zur pflichtgemäßen Ermessensausübung verpflichtet ist.74 Bestehen etwa gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten, so ist der Behandelnde in seiner Methodenwahl grundsätzlich frei, so genannte Therapiefreiheit.75 Hinsichtlich der konkreten Sorgfaltsanforderungen gilt es wiederum zwischen den verschiedenen Berufsgruppen zu differenzieren:76 a) Ärztlicher Standard Handelt es sich beim Behandelnden um einen Arzt, so richtet sich der Sorgfaltsmaßstab nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standards.77 Zur Begründung selbiger wird auf den jeweili71  Katzenmeier, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, X, Rn. 4; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 10. 72  Vgl. BGH NJW 1991, 1535, 1537; Laufs / Kern, in: dies., Handbuch des Arztrechts, § 97, Rn. 17; Quaas, in: ders. / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 72; zur Objektivität im Rahmen von § 276 Abs. 2 BGB vgl. ausführlich Grundmann, in: MüKo, BGB, § 276, Rn. 55 f. 73  Vgl. BGH NJW 2001, 1786, 1787: „Angesichts des auch im Arzthaftungsrecht maßgeblichen objektivierten zivilrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs […] hat der behandelnde Arzt jedoch grundsätzlich für sein dem medizinischen Standard zuwiderlaufendes Vorgehen auch dann haftungsrechtlich einzustehen, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus subjektiv entschuldbar erscheinen mag, etwa weil er sich […] als überfordert erwies […]“. 74  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20. 75  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 81. Gibt es indes mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die jedoch unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, so kommt schlussendlich dem Patienten die echte Wahlmöglichkeit zu, BGH NJW 2005, 1718, 1718 m. w. N. 76  So stellt BGH NJW 1991, 1535, 1537 fest: „Zwar gilt im Zivilrecht ein objektiver Fahrlässigkeitsbegriff […], doch sind bei seiner Auslegung auch gewisse Differenzierungen unter dem Gesichtspunkt der Gruppenfahrlässigkeit […], sowie aufgrund der Verkehrserwartung geboten.“ 77  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 19; Laufs / Kern, in: dies., Handbuch des Arztrechts, § 97, Rn. 5; Jaeger, PatRG, Rn. 45; Quaas, in: ders. / Zuck / Clemens, Medizinrecht,

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Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

gen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung abgestellt, der sich zur Erreichung des Behandlungsziels in der Erprobung bewährt hat.78 Maßgebliche Bedeutung bei der Standardbestimmung kommen dabei Richt- und Leitlinien zu; zwar können sie die medizinischen Standards nicht konstruktiv begründen, wohl aber deklaratorisch wiedergeben.79 Inhaltlich umfasst der ärztliche Standard die Organisation und Koordination der Behandlung hinsichtlich Medikamente, Hygiene und Personal sowie der Ausstattung an medizinischer Apparate und Technik.80 Dies gilt auch beim Einsatz von Anfängern wie beispielsweise Assistenzärzten im Krankenhaus.81 Darüber hinaus sind fachbereichsspezifisch die jeweiligen Facharztstandards zu wahren.82 Geschuldet ist damit insgesamt eine Behandlung, wie sie ein durchschnittlicher Arzt des jeweiligen Fachgebiets nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis an Kenntnis, Wissen, Können und Aufmerksamkeit erbringen würde.83 Dabei werden individuelle Kenntnisse grundsätzlich nicht berücksichtigt; verfügt der Arzt jedoch über zusätzliche, besondere Kenntnisse, so muss er diese auch einsetzen.84 Hat sich für die Behandlung eines spezifischen Krankheitsbildes noch kein Standard etabliert, muss die Behandlung nach dem Maßstab eines vorsichtigen Arztes erfolgen.85

§ 14, Rn. 77. Vgl. zur Zeitbezogenheit des Standards Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn.  360 f. 78  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 19; Katzenmeier, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, X, Rn. 7. 79  OLG Hamm, VersR 2004, 516, Rn. 15; Rehborn, GesR 2013, 257, 259; vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 19. Vgl. auch allgemein Jaeger, PatRG, Rn. 59 ff. 80  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 10. 81  In Betracht kommt dabei sowohl eine Verletzung des Sorgfaltsmaßstabs in organisatorischer Hinsicht als auch ein persönliches Verschulden des Anfängers. Grundlegend BGH NJW 1984, 655, 657; vgl. auch: BGH NJW 1987, 1479, 1480 mit Anmerkung von Deutsch; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 354 f. 82  BGH NJW 1991, 1535, 1537; BGH 1997, 3090, 3091; Katzenmeier, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, X, Rn. 8. 83  Katzenmeier, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, X, Rn. 8; Jaeger, PatRG, Rn. 48; Rehborn, GesR 2013, 257, 259. 84  Die Anrechnung der besonderen Qualifikation entspricht dem Konzept der Fahrlässigkeit. Wer über besondere Kenntnisse verfügt, der darf nicht besser gestellt werden, vgl. BGH NJW 1987, 1479, 1480 mit Anmerkung von Deutsch; BGH NJW 1997, 3090, 3091; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 276 BGB, Rn. 17. 85  KG GesR 2012, 44; Jaeger, PatRG, Rn. 30.



C. Der Behandlungsfehler 141

b) Standard anderer Heilberufe Für die übrigen Heilberufe ist ein äquivalentes Maß an Sorgfalt zu beachten. Sie müssen die sich aus dem jeweiligen Berufsstand ergebenden Anforderungen wahren und eine fachgerechte Behandlung durchführen.86 Besonderheiten ergeben sich für den Beruf des Heilpraktikers.87 Seine Behandlungsmethoden stammen in der Regel aus dem Bereich der Naturund Volksheilkunde und sind als medizinische Außenseitermethoden einzuordnen.88 Hier fehlen sowohl allgemeinverbindliche fachliche Standards als auch eine durchgehende Verkehrsauffassung innerhalb der Heilpraktikerschaft; klare Kriterien zur Bestimmung des Behandlungsmaßstabs lassen sich daher nicht fassen.89 Die Behandlung muss jedoch dem Erwartungshorizont eines durchschnittlichen Patienten entsprechen, risikolos und möglichst schonend sein; erforderlich ist eine typischerweise von einem Heilpraktiker zu erwartende, fachgerechte Behandlung.90 Dem Heilpraktiker obliegt dabei die Pflicht, sich vor der Behandlung umfassend zu informieren, gegebenenfalls die erforderliche Sachkunde zu erwerben und schließlich die jeweilige Methode nach kritischer Überprüfung eigener Kompetenz anzuwenden.91 In Ermangelung eigener fachlicher Standards hat er damit schlussendlich einen vergleichbaren Standard eines Allgemeinmediziners anzuwenden.92 c) Vereinbarter Standard § 630a Abs. 2 Hs. 2 BGB sieht darüber hinaus die Möglichkeit einer abweichende Vereinbarung vor. Es bedarf hier einer gezielten Absprache zwischen den Parteien; andernfalls ist der fachliche Standard als gesetzlicher Regelfall zu erbringen.93 Innerhalb der Grenzen von § 138 BGB und § 228 StGB können sich die Parteien so auf einen von der Norm abwei86  BT-Drucks.

17 / 10488, S. 19. zu den Sorgfaltspflichtanforderungen des Heilpraktikers BGH NJW 1991, 1535, 1537. 88  Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 10, Rn. 16; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 11; vgl. auch BGH NJW 1991, 1535, 1537. 89  Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 10, Rn. 16; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 11. 90  BGH NJW 1991, 1535, 1537; vgl. auch BT-Drucks. 17 / 10488, S. 19. 91  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 19. 92  BGH NJW 1991, 1535, 1537; Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 10, Rn. 16; vgl. auch Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 590. 93  Rehborn, GesR 2013, 257, 259 f.; Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 334 mahnt kritisch an: „Indes sollte man auch in diesem überaus sensiblen Bereich mit 87  Ausführlich

142

Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

chenden Sorgfaltsmaßstab einigen.94 Hierunter fallen insbesondere neue Behandlungs- und Außenseitermethoden sowie Heilversuche.95 Auf diesem Weg soll einerseits dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und andererseits der Therapiefreiheit des Behandelnden Rechnung getragen werden.96

II. Qualitätsunterschreitung Die geschuldete Behandlungsqualität kann in verschiedener Hinsicht unterschritten werden. So erkannte auch der Gesetzgeber bei Ausarbeitung des PatRG: „Das Spektrum möglicher Verstöße gegen den jeweils geschuldeten, allgemein anerkannten fachlichen Standard […] ist weit.“97 Die vorliegende Untersuchung unternimmt an dieser Stelle zunächst abstrakt eine Typisierung der möglichen Verstöße. Hieran schließt sich eine Darstellung anhand konkreter Praxisbeispiele an. 1. Abstrakte Typisierung Auf abstrakter Ebene können Behandlungsfehler als Befunderhebungs-, Anamnese- und Diagnosefehler sowie Fehler im Kontext eines operativen Eingriffs auftreten.98 Darüber hinaus sind auch Fehler im organisatorischen Ablauf dem Behandlungsfehler zuzuordnen.99 Ein beachtlicher Sorgfaltsverstoß kann sich zudem aus der fehlerhaften Wahl der Behandlungsmethode ergeben. Zwar steht diese grundsätzlich im Ermessen des Behandelnden; er bleibt jedoch zur pflichtgemessen Ermessensausübung verpflichtet.100 Der Behandelnde hat ferner auch für die Fehler seiner Erfüllungs-

der Annahme entsprechender Vereinbarungen durchaus vorsichtig sein. Insbesondere ist bei der Annahme konkludenter Vereinbarungen Zurückhaltung geboten.“ 94  Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 12; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 12. 95  Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 41; Rehborn, GesR 2013, 257, 259; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 12; s. auch BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20. Als Paradebeispiel gilt ferner die Nichtakzeptanz von Blutspenden bei Zeugen Jehovas, vgl. Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 334. 96  Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB, Rn. 12; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 12; vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20. 97  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20. 98  Spickhoff, JZ 2015, 15, 19; vgl. auch Schroth, in: Roxin / Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 125, 129. 99  OLG Bremen, MedR 2007, 660, 660 ff.; BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20; Spickhoff, JZ 2015, 15, 19; Hart, GesR 2013, 159, 160 f.; vgl. dazu insgesamt Bock, in: Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 177 ff.



C. Der Behandlungsfehler 143

gehilfen gem. § 278 Abs. 2 BGB einzustehen.101 Regelmäßig kommt in diesem Fall auch ein Behandlungsfehler des Behandelnden selbst in Form des Organisationsverschuldens in Frage, wenn der Fehler der nachgeordneten Person auf unterlassener oder mangelhafter Anweisung beziehungsweise Überwachung beruht.102 Erfolgt die Durchführung der medizinischen Maßnahme durch Organe einer juristischen Person, so sind auch ihr Behandlungsfehler gem. § 31 BGB zuzurechnen.103 Hinsichtlich der Frage, ob Fehler im Zusammenhang mit der Aufklärung als Behandlungsfehler i. S. v. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB einzuordnen sind, muss differenziert werden: Erfolgt bei der therapeutischen Aufklärung104 ein Fehler, so wird dieser zugleich als Behandlungsfehler gewertet.105 Die therapeutische Aufklärung ist Teil der geschuldeten Behandlung, ihre Verletzung ist demnach ein Behandlungsfehler.106 Ist demgegenüber die Selbstbestimmungsaufklärung107 fehlerbehaftet, so liegt darin kein Behandlungsfehler,108 denn sie ist ledig100  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 20. Der Arzt muss auch nicht stets den sichersten therapeutischen Weg wählen, jedoch muss das erhöhte Risiko mit Blick auf den konkreten Fall gerechtfertigt sein, BGH NJW 2007, 2774, 2774. 101  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 33; siehe auch Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 278, Rn. 29. 102  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a, Rn. 33. 103  Vgl. Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a, Rn. 2. 104  Die therapeutische Aufklärung gem. § 630c Abs. II S. 1 BGB dient der Sicherung des Heilungserfolgs. Der Patient ist über sämtliche behandlungswesentlichen Umstände zu informieren. So soll eine unbewusste Selbstgefährdung vermieden und der ungestörte, positive Therapieverlauf sichergestellt werden, BT-Drucks. 17 / 10488, S. 21; Schroth, in: Roxin / Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 125, 130. So hat der Arzt beispielsweise über Nebenwirkungen von Medikamenten aufzuklären, BGH NJW 2005, 1716, 1716. 105  BGH NJW 2005, 1716, 1716; NJW 2009, 2820, 2821; Schroth, in: Roxin / Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 125, 130; Greiner, in: Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B, Rn. 97; Quaas, in: ders. / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 80; Thurn, MedR 2013, 153, 155. 106  Greiner, in: Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B, Rn. 97; vgl. auch Terbille, in: ders. / Clausen / Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch, Medizinrecht, § 1, Rn. 575. 107  Die Selbstbestimmungsaufklärung ist nunmehr in § 630e BGB geregelt. Sie sichert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, indem sie die Schwere und Tragweite der Behandlung verdeutlicht und so eine solide Entscheidungsgrundlage für dessen Einwilligung gewährleistet. Art und Weise, sowie Umfang und Intensität der Aufklärung richten sich dabei nach der konkreten Behandlungssituation; so insgesamt BT-Drucks. 17 / 10488, S. 24. Der Behandelnde muss auf die Gefahren aufmerksam machen, die ein verständiger Patient für seine konkrete Entscheidung als bedeutsam ansehen würde, BVerfGE NJW 1979, 1925, 1929; siehe auch Schöch, in: Roxin / Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 51, 57 f. 108  Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630c, Rn. 7; Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen des Medizinstrafrechts, 53, 59; Jaeger, PatRG, Rn. 124. Kritisch dazu

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Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

lich Wirksamkeitsvoraussetzung für die erforderliche Einwilligung des Patienten.109 Der Behandlungsfehler als Qualitätsunterschreitung ist von behandlungsimmanenten Komplikationen zu unterscheiden.110 Sie beruhen auf den typischen Risiken der Maßnahme und sind von der Einwilligung des Patienten gedeckt. Verwirklicht sich das typische Begleitrisiko der Behandlung, so handelt es sich nicht um einen Verstoß gegen den jeweiligen Standard als vielmehr um einen lediglich schicksalhaften Verlauf.111 Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist auch ein allgemeiner Rückschluss von einem Misserfolg oder Zwischenfall auf ein Fehlverhalten oder Verschulden wegen der „Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus“112 nicht erlaubt. Für ein Behandlungsfehler muss der geschuldete Standard der Behandlung stets in tatsächlicher Weise unterschritten worden sein.113 2. Konkrete Typisierung Ausgehend von der abstrakten Umschreibung der Sorgfaltswidrigkeit soll nun eine konkrete Darstellung erfolgen. a) Fehlerhafte Behandlungsvornahme Primär treten Sorgfaltspflichtverstöße im Kontext der eigentlichen Behandlungsvornahme auf. Sowohl bei Diagnose, Therapiewahl und -durchführung, Medikamentation oder Nachbehandlung können Unterschreitungen des fachlichen Standards dem Behandelnden zu Last fallen. Hierzu folgende Beispiele: Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 22 f., der in diesem Zusammenhang auf einen Wertungswiderspruch hinweist. 109  So Katzenmeier, NJW 2013, 817, 818. 110  Etwa OLG Karlsruhe VersR 1981, 689: Im Anschluss an die operative Entfernung eines Mammakarzinoms erfolgte eine Strahlentherapie, was zur Lähmung eines Armes führte. Da die Nachbestrahlung die einzig aussichtsreiche Behandlungsmöglichkeit war, musste die Lähmung als schicksalhafter Verlauf hingenommen werden. 111  So insgesamt Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 508; vgl. auch Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 381. 112  BGH NJW 1977, 1102, 1103; vgl. im Ergebnis auch BGH VersR 1967, 663, 663; BGH NJW 1978, 1681, 1681. 113  Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 507; Quaas, in: ders. / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 14, Rn. 71.



C. Der Behandlungsfehler 145

Hinsichtlich fehlerhafter Diagnosen führt beispielsweise OLG Naumburg BeckRS 2011, 21703 aus, dass Irrtümer, die auf einer Fehlinterpretation erhobener Befunde beruhen, nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler zu werten sind. Die Symptome einer Erkrankung seien nicht immer eindeutig, so dass ein Fehler erst dann angenommen werden könne, wenn die ­diagnostische Bewertung für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheint. Dies sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Irrtum auf der Tatsache beruhe, dass elementare Befunderhebungen unterlassen wurden. Die Therapiewahl steht grundsätzlich im Ermessen des Arztes. Der Entscheidung des OLG Braunschweig vom 23.03.2006 lag der Sachverhalt zu Grunde, dass sich die Patientin eine schwerwiegende Mehrfachtrümmerfraktur zugezogen hatte.114 Obwohl die Schwere der konkreten Fraktur nach damaliger Lehrmeinung einen operativen Eingriff erforderlich machte, entschied sich der Arzt ohne Absprache mit der Patientin für eine konservative Behandlung. Das OLG betonte, dass die Wiedererlangung der Armfunktion bei dieser Behandlungsmethode niemals möglich gewesen sei und der Arzt angesichts der erheblich größeren Heilungschancen die Patientin über die Behandlungsalternative hätte in Kenntnis setzen müssen. In BGH NJW 1998, 1802 hat der Senat die Annahme einer fahrlässigen Körperverletzung infolge einer überdosierten Tumorbestrahlung bestätigt. Die Behandlung mit Gammastrahlen bewirke einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten. Da die Bestrahlung im konkreten Fall nicht dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprach, mithin nicht lege artis durchgeführt wurde, lag auch keine wirksame Einwilligung des Patienten vor. Hinsichtlich vergessener Operationsutensilien im Körper des Patienten betonte beispielsweise BGH BeckRS 1981, 30383792, dass alle möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen getroffen werden müssen, wozu bei textilen Hilfsmitteln deren Kennzeichnung gegebenenfalls mit Röntgenstreifen, Markierungen sowie das Zählen der verwendeten Tupfer gehöre. Je nach Einzelfall könne die Außerachtlassung dieser Maßnahmen auch einen groben Behandlungsfehler darstellen. Im Hinblick auf Fehler in Zusammenhang mit der Nachsorge wertete der Senat in BGH VuR 2005, 116 die Tatsache, dass keine vollständige therapeutische Aufklärung stattfand, als groben Behandlungsfehler. Im Fall hatte sich der Patient einer Augenoperation unterzogen, bei der die Netzhaut angelegt und stabilisiert wurde. Der Arzt versäumte es jedoch, den Patienten darauf hinzuweisen, dass er bei Fortschreiten der Symptome sich zur Kontrolluntersuchung vorstellen müsse. 114  OLG

Naumburg BeckRS 2008, 19528.

146

Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

b) Organisationsmängel Auch in organisatorischer Hinsicht muss der Behandelnde die erforderlichen medizinischen Standards wahren. Dies beinhaltet einerseits die angemessene Personalplanung und -einteilung sowie andererseits die Bereitstellung von Geräten und Apparaturen und die Überwachung ihrer Funktionsfähigkeit.115 So betonte beispielsweise das OLG München in seiner Entscheidung vom 21.09.2006, dass es beim gespaltenen Krankenhausvertrag zum originären Leistungsbereich des Klinikträgers gehört, die erforderlichen apparativen Einrichtungen bereitzustellen. Da der Belegarzt die fachgerechte Behandlung verantwortet, müsse er innerhalb seines betreuten Fachgebietes entscheiden, welche medizinischen Geräte und Apparaturen erforderlich sind und durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass diese beschafft werden und bereitstehen. Dem Belegarzt unterlaufe daher ein Behandlungsfehler, wenn vorhersehbar erforderliche medizinische Geräte oder Apparaturen nicht vorgehalten werden.116 Aus personeller Sicht wurde beispielsweise in BGH NJW 1985, 2189 ein Organisationsverschulden des Krankenhausträgers angenommen. Hier war die Anästhesieabteilung dauerhaft stark unterbesetzt, was dazu führte, dass bei krankheitsbedingten Spontanausfällen improvisiert werden musste. Im konkreten Fall wurde so ein Assistenzarzt zur Überwachung drei parallel verlaufender Operationen eingeteilt, wodurch es zu erheblichen Komplikationen kam.117 Darüber hinaus ist aus organisatorischem Blickwinkel auch die korrekte Arbeitsteilung zu beachten. Dies umfasst sowohl die vertikale als auch die horizontale Ebene. Bei der vertikalen Arbeitsteilung in Form eines ÜberUnterordnungsverhältnisses liegen typische Fehlerquellen in der Auswahl, Überwachung, Instruktion und Information des Personals sowie in der Delegation von Aufgaben.118 Grundsätzlich darf der Arzt zwar auf Qualifikation und Sorgfalt seiner Mitarbeiter und damit auf ihre unmittelbare Primärverantwortung vertrauen. Ihn treffen aber Überwachungs- und Instruktionspflichten.119 So wurde etwa in einer Entscheidung vom OLG München eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung des untergeordneten Assistenzarztes allgemein zum Organisationsmangel Deutsch, NJW 2000, 1745, 1747. München, Urteil vom 21.09.2006 – 1 U 2161 / 06, BeckRS 2006, 11179. 117  BGH NJW 1985, 2189, 2191; vgl. auch Deutsch, NJW 2000, 1745, 1745. 118  Vgl. zur vertikalen Arbeitsteilung insgesamt: Ulsenheimer, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrecht, § 140, Rn. 26 f.; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 222 StGB, Rn. 49 ff.; Deutsch, NJW 2000, 1745, 1746; Brinkmann, RDG 2011, 168, 172. 119  Ulsenheimer, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 140, Rn. 27; Brinkmann, RDG 2011, 168, 172. 115  Vgl.

116  OLG



C. Der Behandlungsfehler 147

verneint. Im Fall führte der Anfänger den Einsatz einer Hüftprothese mit Schraubpfanne unter vollständiger Überwachung und Anweisung des Facharztes durch. Der Facharzt gab hier fehlerhafte Instruktionen, so dass lediglich ein Behandlungsfehler zu seinen Lasten durch Organisationsverschulden in Betracht kam.120 Auf horizontaler Ebene zwischen gleichberechtigten Fachärzten gilt der Grundsatz, dass der Übergang fachlicher Zuständigkeit von einem Arzt auf einen anderen rechtliche Eigenverantwortlichkeit begründet. Jeder beteiligte Arzt darf daher auf die grundsätzliche Fehlerfreiheit der mitwirkenden Kollegen vertrauen, sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen. Es bestehen jedoch gegenseitige Informations- und Koordinationspflichten.121 Hinsichtlich des Vertrauensgrundsatzes führt beispielsweise die bereits oben genannte Entscheidung BGH NJW 1998, 1802 (Strahlentherapie) einschränkend aus, dass dieser seine Grenze dort findet, wo ernsthafte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Behandlung bestehen. Dem Fall lag eine Urlaubsvertretung zu Grunde, wobei der vertretende Arzt im Rahmen der Tumorstrahlentherapie die für die Patienten bisher angewendete, überdosierte Bestrahlungszeit seines Kollegen schlichtweg übernahm. Hier war die Tätigkeit seines Kollegen gleich von zahlreichen Nachlässigkeiten gekennzeichnet. Angesicht der Fülle und Schwere der Anhaltspunkte urteilte der Senat, dass sich der Vertreter hier nicht auf die Richtigkeit der angegebenen Bestrahlungszeiten hätte verlassen dürfen.122 c) Übernahmeverschulden Schließlich können Behandlungsfehler auch in Zusammenhang mit Übernahmeverschulden des behandelnden Arztes stehen. Hier besteht der Pflichtverstoß in der freiwilligen Behandlungsübernahme, obwohl der Arzt nur unterdurchschnittlich qualifiziert ist und den gebotenen Standard damit nicht wahren kann. Ein Übernahmeverschulden kann auch dann vorliegen, wenn der Behandelnde nur kurzzeitig nicht im Stande ist nach den Regeln der Ärztlichen Kunst zu handeln, wie beispielsweise infolge Trunkenheit, Erkrankung, Übermüdung oder Medikamenteneinfluss oder wenn er infolge unzureichender Fortbildung nicht mehr fähig ist den Standard zu wahren.123 120  OLG

München, Urteil vom 28.01.2010 – 1 U 4408 / 08, BeckRS 2010, 29112. zur horizontalen Arbeitsteilung insgesamt: Ulsenheimer, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrecht, § 100, Rn. 4 ff.; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 222 StGB, Rn. 44 ff.; Deutsch, NJW 2000, 1745, 1747. 122  BGH NJW 1998, 1802, 1803. 123  Dazu insgesamt Ulsenheimer, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 139, Rn. 35; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 222, Rn. 55. 121  Vgl.

148

Kap. 6: Zivilrechtliche Grundlagen

Ein typischer Fall des Übernahmeverschuldens stellt die Zusage einer Anfängeroperation dar. Der Assistenzarzt sagt hier die Übernahme des Eingriffs zu, obwohl ihm bewusst ist, dass er nicht den erforderlichen Wissensoder Ausbildungsstand zur eigenständigen Durchführung besitzt. Hier urteilte der BGH in seiner Entscheidung vom 27.09.1983, dass es vom Anfänger erwartet werden könne, die Operation abzulehnen, obwohl sich dies nachteilig auf sein berufliches Fortkommen auswirken kann.124

III. Zwischenergebnis Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn die geschuldete standesgemäße Qualität der Behandlung unterschritten wird. Hierzu wurde festgestellt, dass die Qualität sowohl in persönlicher als auch fachlicher Dimension festgelegt ist. In persönlicher Hinsicht muss der Behandelnde die Kernleistung grundsätzlich selbst erbringen; es gilt der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit. Eine Delegation ist hier nur bei Einwilligung des Patienten möglich. Untergeordnete Tätigkeiten können auch an nichtärztliches Personal übertragen werden. Hierbei sind jedoch besondere Überwachungsmaßnahmen zu beachten. In fachlicher Hinsicht muss der Behandelnde die Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Angehörigen seiner Berufsgruppe zu erwarten sind. Es handelt sich um eine Gruppenfahrlässigkeit, so dass individuelle Kenntnisse grundsätzlich außer Acht bleiben; persönliche Überforderung entschuldigt nicht. Die konkreten Sorgfaltsanforderungen unterscheiden sich je nach Berufsgruppe. Für den Arzt richten sie sich nach den medizinischen (Facharzt-)Standards. Die übrigen Heilberufe haben ein äquivalentes Maß an Sorgfalt zu beachten. Ein gesonderter Standard kann darüber hinaus unter Wahrung von § 138 BGB und § 228 StGB ausdrücklich vereinbart werden. Behandlungsfehler können sich insbesondere im Zusammenhang mit der Behandlungsvornahme, der -organisation sowie der -übernahme ergeben. Sie sind stets von behandlungsimmanenten Komplikationen und Risiken abzugrenzen. Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass den Arzt rund um die Behandlungsvornahme weitreichende Sorgfaltspflichten treffen; ihnen korrespondiert ein weitreichendes Spektrum möglicher Behandlungsfehler.

D. Ergebnis In Kapitel sechs wurden die zivilrechtlichen Grundlagen von § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB untersucht. Die Vorschrift ist im Zuge des PatRG 124  BGH NJW 1984, 655, 657, zugleich liegt hier ein Organisationsfehler des Facharztes vor, der die Operationseinteilung vornahm.



D. Ergebnis149

eingeführt und dort im Rahmen des Behandlungsvertrages im BGB verankert worden. Der Behandlungsvertrag findet auf menschliche Heilbehandlungen Anwendung; einer medizinischen Indikation bedarf es insoweit nicht. Der Begriff des Behandelnden ist maßgeblich an die Zusage der Leistung geknüpft, so dass die Person des tatsächlich Durchführenden und die des Behandelnden auseinander fallen kann. Auf Patientenseite werden sowohl Privat- als auch Kassenpatienten umfasst; der Behandlungsvertrag ist dabei stets privatrechtlicher Natur. Ferner wurde der Begriff des Behandlungsfehlers als Unterschreiten der geschuldeten, standesgemäßen Behandlungsqualität analysiert. Insofern ist festzuhalten, dass die Behandlungsqualität sowohl in persönlicher als auch fachlicher Hinsicht bestimmt wird. Es treffen den Behandelnden weitreichende Sorgfaltspflichten, so dass das Spektrum möglicher Behandlungsfehler entsprechend groß ist.

Kapitel 7

Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht Nachdem in Kapitel sechs das nötige Hintergrundwissen aufgearbeitet wurde, kann nun der Fokus auf die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gerichtet werden. Sie wurde im Zuge erster Auseinandersetzungen mit dem PatRG besonders in Augenschein genommen und hat unter den Vorschriften des PatRG „den meisten Unmut hervorgerufen“.125 Nach Auffassung des Gesetzgebers entspricht sie der bisherigen Rechtsprechung zu diesem Bereich.126 Tatsächlich wurde die Annahme einer solchen Pflicht jedoch bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend kontrovers beurteilt.127 Der folgende Untersuchungsabschnitt arbeitet daher zunächst den bisherigen Meinungsstand auf, woran sich die Analyse von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB anschließt.

A. Der bisherige Meinungsstand Bevor der Gesetzgeber mit Erlass von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB die Frage nach einer ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht positiv entschied, bestand kein einheitliches Meinungsbild.128 Hierbei wurde zwischen einer Pflicht zur Abwehr von Gefahren, einer Pflicht auf Nachfragen hin und einer allgemeinen Fehleroffenbarungspflicht differenziert.

I. Die Fehleroffenbarungspflicht zur Gefahrenabwehr Einigkeit bestand zunächst dahingehend, dass den Arzt eine Pflicht zur Fehleroffenbarung bei drohenden Patientengefahren treffen sollte. So schuldete er im Rahmen der therapeutischen Aufklärung nach ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Literaturauffassung auch die Aufklärung über 125  Rehborn,

GesR 2013, 257, 261. 17 / 10488, S. 21. 127  Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 975, Fn. 16; Wagner, VersR 2012, 789, 794; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 819; Lechner, MedR 2013, 429, 431; Spickhoff, JZ 2015, 15, 15; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630c, Rn. 7; Franzen, in: ­FS-Köhler, 2014, 133, 134. 128  Vgl. den Überblick zum Meinungsstand Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 8 ff. 126  BT-Drucks.



A. Der bisherige Meinungsstand 151

den Misserfolg einer Maßnahme und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den weiteren Behandlungsverlauf.129 Der Arzt musste so auf die zugrunde liegenden Umstände hinweisen; eine explizite Einstufung als Fehler im Sinne eines subjektiven Versagens wurde nicht verlangt.130

II. Die Fehleroffenbarungspflicht auf Nachfrage Ob der Arzt auch auf Nachfrage des Patienten Fehler offenbaren musste, wurde demgegenüber kontrovers beurteilt. Insofern wurde wiederum zwischen einem Recht zur Lüge und einem Recht zum Schweigen unterschieden. 1. Recht zur Lüge Einerseits stellte sich die Frage, ob dem Behandelnden auf Nachfragen des Patienten hin ein Recht zur Lüge zukommen sollte. Grundlegend hierzu wurde auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1984 zurückgegriffen.131 Im Fall hatte sich die Patientin einer Hüftgelenksoperation unterzogen, in deren Verlauf der leitende Operateur versehentlich einen Nerv durchtrennte. Der nachbehandelnde Chefarzt informierte die Patientin über die Nervendurchtrennung. Dabei leugnete er wahrheitswidrig, dass ein Behandlungsfehler vorlag. Der Senat hatte nun über die Frage zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt ein Patient bei Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ausreichend Kenntnis im Sinne von § 852 Abs. 1 BGB hat. Er urteilte, dass die Klägerin mit der Information über die Nervendurchtrennung die erforderliche Kenntnis vom Schaden besaß. An diesem Befund würde auch die Tatsache, dass das Vorliegen eines Behandlungsfehlers verneint wurde, nichts ändern. Insofern führte der BGH aus: „Der mögliche Schädiger […], der bis dahin in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu dem Patienten gestanden hat, handelt nicht treuwidrig, wenn er, ohne die Tatsache zu verschweigen oder zu verdrehen, ein schuldhaftes Fehlverhalten leugnet.“132

129  OLG Hamm VersR 1984, 91; OLG Stuttgart VersR 1989, 632, 632; Laufs, in: ders. / Kern, § 61, Rn. 15; Prütting, in: FS-Laufs, 2006, S. 009, 1022; Gubernatis, JZ 1982, 363, 364; Taupitz, NJW 1992, 713, 717 f.; Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1753  f.; Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S.  122 f. 130  Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 122 f. 131  BGH NJW 1984, 661. 132  BGH NJW 1984, 661, 662; bestätigt von OLG Hamm, NJW 1985, 685, 685.

152

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

Der Senat lehnte somit auf Grund des besonderen Treueverhältnisses ein Recht zur Lüge ab. Das schlichte Leugnen schuldhaften Fehlverhaltens wurde hingegen nicht beanstandet. Dieser Sichtweise stimmte die Literatur zu.133 Ein Recht zur Lüge sei mit dem Wesen des Behandlungsvertrags als besonderem Vertrauensverhältnis nicht vereinbar.134 2. Auskunftspflicht Vom Recht zur Lüge ist die Frage nach dem Bestehen einer Auskunftspflicht zu unterscheiden. Ob der Arzt auf die konkrete Frage nach einem Behandlungsfehler überhaupt antworten muss, wurde vor Einführung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB nur am Rande diskutiert: Der BGH hatte die Frage in obiger Entscheidung nicht ausdrücklich beantwortet. Er stellte hier lediglich fest, dass der Arzt in der Regel den Vorwurf eines Behandlungsfehlers abwehren würde. Insofern sei zwar wünschenswert, dass der Arzt im Einzelfall auf die Bedenken des Patienten inhaltlich und formal korrekt eingehe; jedoch könne in der Regel „rechtlich […] der Art und Weise der Abwehr von Ansprüchen keine Bedeutung zukommen“135. Seitens der Literatur wurde die Entscheidung des BGH vereinzelt dahingehend verstanden, der Senat habe sich generell für die Annahme einer Auskunftspflicht auf Nachfrage hin positioniert.136 Ein anderer Ansatz gelangte demgegenüber über die Anwendung von § 242 BGB zur Annahme einer solchen Verpflichtung. So argumentierten Terbille / Schmitz-Herscheidt, es sei für das Wesen des Behandlungsvertrages typisch, dass der Patient als Laie unverschuldet über Bestehen und Umfang des Schadensersatzes im Unklaren sei; der Arzt hingegen unschwer Auskunft erteilen könne.137 Auch wurde in diesem Zusammenhang das Recht des Pa­ tienten auf Einsichtnahme in die Krankenakte angeführt; es bestünde kein sachlicher Unterschied, ob der Patient nun Auskunft im Wege der Einsichtnahme oder im Wege der Mitteilung durch den Arzt begehren würde.138 133  Schlund, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 21, Rn. 9; Terbille /  Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1752. 134  Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1752. 135  BGH NJW 1984, 661, 662. 136  Insoweit missverstanden von Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 44, der zu dem Ergebnis kommt, der BGH habe hier: „die ärztliche Pflicht zur umfassenden Information des Patienten auf Anforderung hin normiert“. Vgl. hingegen Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1752, die die Entscheidung ebenfalls nur auf die Wahrheitspflicht beziehen, Fn. 37. 137  Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1752 f. 138  Terbille / Schmidt-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1753.



A. Der bisherige Meinungsstand 153

Demgegenüber lehnte das OLG Koblenz im Jahr 2004 eine Auskunftspflicht auf Nachfragen hin explizit ab.139 Hier lag dem Senat die Frage vor, ob der Patient vom Arzt Auskunft zum Behandlungsgeschehen verlangen kann, insbesondere in dem Fall, dass er ihm einen Behandlungsfehler anlastet. Der Senat hatte die Revision zugelassen, da es sich um eine Frage von grundsätzlichem Interesse handle, über die noch nicht entschieden worden sei. Im konkreten Fall hatte sich der Patient einer Zahnoperation unterzogen. Der beklagte Anästhesist nahm die für den Eingriff erforderliche Vollnarkose vor und überwachte auch die postoperative Nachüberwachung. In dieser Phase kam es zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand, wodurch der Patient einen schweren Hirnschaden erlitt. Nach Anforderung der Behandlungsunterlagen verlangte der Patient durch seine Prozessbevollmächtigten Auskunft zur Behandlung entsprechend einem ausführlichen Fragenkatalog und erhob nach fruchtlosem Verstreichen der Frist Auskunftsklage. Das OLG verneinte einen Anspruch auf Auskunft. Es existiere neben der Dokumentationspflicht keine darüber hinausgehende Auskunftspflicht des Arztes: „Dem Informationsbedürfnis des Patienten wird durch das heute anerkannte Einsichtsrecht Genüge getan, das, auch außerhalb vertraglicher Beziehungen, vorprozessual zu gewähren ist […]. […] Den Kl. ist zwar einzuräumen, dass vorprozessual gegebene Auskünfte des Arztes außerhalb der Dokumentation möglicherweise dessen Inanspruchnahme bzw. einen nachfolgenden Haftungsprozess vermeiden können. Der Arzt kann aber, wenn es um seine Einstandspflicht wegen eines Fehlers geht, vorprozessual rechtlich nicht gehalten sein, Auskünfte zu erteilen, auf deren Grundlage ein Geschädigter seinen Arzthaftungsprozess vorbereiten kann.“140

Der Senat betonte weitergehend: „Der Patient ist durch die Pflicht zur Dokumentation, deren Inhalt und Umfang […] sowie durch die beweisrechtlichen Folgerungen hinreichend geschützt.“141 Die Dokumentationspflicht wiederum diene primär dem therapeutischen Interesse des Patienten und solle keine Grundlage für Schadensersatzansprüche schaffen. Daher könne der vorprozessuale Auskunftsanspruch grundsätzlich nicht über ein Einsichtsrecht hinausgehen. Dieser Linie folgte auch das OLG München in seinem Beschluss vom 10. Juni 2010. Auch hier wurde ein über das Recht zur Einsicht in die Krankenunterlagen hinausgehender Auskunftsanspruch verneint.142

139  OLG

Koblenz, NJW-RR 2004, 410. Koblenz, NJW-RR 2004, 410, 411. 141  OLG KoblenzNJW-RR 2004, 410, 411; zustimmend Rieger, DMW 2004, 705, 705. 142  OLG München vom 10.  Juni 2010, Az. 1 U 2376 / 10. 140  OLG

154

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

3. Zwischenergebnis Vor Einführung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB wurde die Annahme einer Fehleroffenbarungspflicht auf Nachfragen hin kontrovers beurteilt. Einigkeit bestand dahingehend, dass ein Recht zur Lüge aus Rücksicht auf das besondere Treueverhältnis abzulehnen sei. Ob der Behandelnde aber auf die Nachfrage hin überhaupt Auskunft schuldete, wurde nur bedingt thematisiert. Einerseits wurde dies mit Blick auf § 242 BGB und das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient bejaht. Hierzu wurde auch auf das Recht zur Akteneinsicht verwiesen; es könne keinen sachlichen Unterschied machen, ob der Patient nun Einsichtnahme oder Mitteilung begehre. Der Aspekt der Dokumentationspflicht wurde an anderer Stelle wiederum gegen eine Auskunftspflicht verwendet. So argumentierten das OLG Koblenz und das OLG München, dem Auskunftsbegehren des Patienten würde durch das Recht auf Akteneinsicht genüge getan; ein darüber hinaus gehender Anspruch bestünde nicht.

III. Die allgemeine Fehleroffenbarungspflicht Schwerpunktmäßig wurde vor Einführung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB diskutiert, ob den Arzt eine allgemeine Fehleroffenbarungspflicht treffe. In diesem Fall wäre er stets zur Aufklärung verpflichtet; eine einschränkende Bedingung, wie die Gefahrenabwehr oder das Nachfragen des Patienten, wäre dann gerade nicht erforderlich. Hinsichtlich der Annahme von allgemeinen Auskunftspflichten stellte jedoch schon BGH NJW 1957, 669, 669 fest: „Das deutsche Recht kennt eine allgemeine, nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Auskunftspflicht nicht […]. Der Umstand, daß eine Person Kenntnis über Tatsachen hat, die für eine andere von Bedeutung sein mögen, zwingt sie nicht zur Auskunftserteilung.“

Dementsprechend sind dem deutschen Vertragsrecht auch Fehleroffenbarungspflichten grundsätzlich fremd.143 So ist eine Partei in der Regel nicht verpflichtet, den Vertragspartner zu ihrem eigenen Nachteil über deren vertragliche Rechte und ihre optimale Wahrnehmung aufzuklären.144 Es gilt der Grundsatz, dass jede Partei für ihre Interessenwahrnehmung selbst Sorge tragen muss.145 Ausnahmsweise wird von diesem Grundsatz dann abgewichen, wenn ein besonderer Rechtsgrund dies fordert: 143  Spickhoff,

in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 15. in: MüKo, BGB, § 241, Rn. 137. 145  Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigener Fehler, 1989, S. 29. So gilt schon bei Vertragsgestaltung der Grundsatz der Privat144  Bachmann / Roth,



A. Der bisherige Meinungsstand 155

Eine solche Ausnahme erkannte die Rechtsprechung in spezifischen Bereichen der Berufshaftung, namentlich der Haftung von Rechtsanwälten146 und Steuerberatern147, an. Die Diskussion um den parallel gelagerten Fall der allgemeinen Fehleroffenbarungspflicht bei Ärzten wurde daher vor Einführung des PatRG maßgeblich in Anlehnung hieran geführt.148 Ihre Befürworter forderten eine analoge Übertragung der Grundsätze auf das ArztPatienten-Verhältnis.149 Nachstehend sollen daher in einem ersten Schritt die Grundsätze im Zusammenhang mit der Berufshaftung von Rechtsanwälten und Steuerberatern beleuchtet werden, bevor in einem zweiten Schritt die Diskussion um die Übertragung aufgegriffen wird. 1. Fehleroffenbarungspflicht bei Rechtsanwälten und Steuerberatern Den Ausgangspunkt der Offenbarungspflicht bei Rechtsanwälten und Steuerberatern bildeten die kurzen Verjährungsfristen der Regressansprüche, denn gem. § 51b BRAO und § 68 StBerG verjährten sie kenntnisunabhängig autonomie, der von dem Gedanken getragen ist, dass die Parteien selbst einen angemessenen Interessenausgleich determinieren, vgl. auch Bachmann, in: MüKo, BGB, § 241, Rn. 136. 146  Grundlegend RGZ 158, 130, 134: „Ein solcher [Rechtsanwalts-]Vertrag verpflichtet den Rechtsanwalt zur sorgfältigen Prüfung und Sicherung des Anspruchs nach jeder Richtung. Diese Prüfung darf vor seiner eigenen Person, seiner etwaigen eigenen Haftung, nicht haltmachen. […] Unterlässt er diese Prüfung; dann haftet er, falls seinem Auftraggeber daraus ein Schaden erwächst, wegen dieser schuldhaften Unterlassung.“ Seitdem ständige Rspr., vgl. etwa: BGH, VersR 1967, 979; VersR 1984, 162, 163; NJW 1985, 2250, 2252; NJW 2003, 822, 823. 147  BGH NJW 1982, 1285, 1286 f.; BGH NJW 1991, 2828, 2830; BGH NJW 1986, 1162, 1163 f. 148  Taupitz spricht insoweit von der „Keimzelle“ der rechtsanwaltlichen Belehrungspflicht, die sich „virusartig“ auf andere Berufe ausweitete. Dazu ausführlich Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 12 ff. 149  Vgl. Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1756; Francke / Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, S. 64 ff.; Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 81 f. Vereinzelt wurde auch eine dogmatische Begründung unabhängig von der Rechtsprechung zur spezifischen Berufshaftung erwogen. Als Ausgangspunkt wurde die ergänzende Vertragsauslegung, eine Schadensminderungspflicht oder eine Schutzpflicht gem. §§ 241 Abs. 2, 242 BGB diskutiert, dazu ausführlich und ablehnend Prütting, in: FS-Laufs, 2006, S. 1009, 1019 ff.; vgl. auch Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 510; Giesen, JZ 1990, 1053, 1057. Daneben findet sich ein weiterer Ansatz, der einen allgemeinen, über das Recht auf Akteneinsicht hinausgehenden Auskunftsanspruch in Erwägung zieht, wohl Grüneberg, in: Palandt, BGB, 69. Auflage, § 260, Rn. 10; ablehnend: OLG München, Az. 1 U 2376 / 10; OLG Koblenz NJW-RR 2004, 410 mit Anm. Rieger, DMW 2004, 705.

156

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

binnen drei Jahren nach Entstehung. Gerade die Tatsache, dass die Verjährung nicht die Kenntnis des geschädigten Mandanten voraussetzte, wurde als unbillig empfunden. So wurde angeführt, dem Mandanten fehle es hier in besonderem Maße an nötiger Sachkunde; regelmäßig könne er die fehlerhafte Leistung als solche überhaupt nicht erkennen und folglich auch keinen Regressanspruch geltend machen.150 So betonte auch der BGH, dass eine „wortgetreue Anwendung des § 51b BRAO unter Außerachtlassung der schutzwürdigen Belange des Mandanten […] diesen vielfach rechtslos stellen“ würde.151 Als Korrektur des unbilligen Ergebnisses musste der Schädiger den Mandanten über seine Fehlleistung aufklären. Auch billigte die Rechtsprechung dem geschädigten Mandanten im Falle der Nichtaufklärung einen so genannten Sekundäranspruch zu; er war gem. § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wenn der Regressanspruch nicht verjährt wäre.152 Dieser Schadensersatzanspruch verjährte wiederum drei Jahre nach dem Regressanspruch, jedoch spätestens drei Jahr nach Beendigung des Mandats.153 Nach Ansicht des BGH bestünde nur so eine „faire Chance“154 des Regressnehmers. Damit verfolgten Fehleroffenbarungspflicht und die Figur des Sekundäranspruchs ausschließlich den Zweck, die Durchsetzbarkeit des Regressanspruchs zu gewährleisten.155 2. Übertragung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis Befürworter einer analogen Übertragung dieser Rechtsprechung auf das Arzt-Patientenverhältnis argumentierten, es bestünde andernfalls eine nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung zwischen den Freiberuflern.156 Für eine Differenzierung zwischen Rechtsanwälten und Steuerberatern einerseits sowie Ärzten andererseits sei kein rechtfertigender Grund ersichtlich; insbesondere läge dem Arzt-Patienten-Verhältnis ebenfalls oder sogar in noch stärkerem Maße das erforderliche Wissens- und Kompetenzgefälle zu Grunde.157 150  Vgl. zur Problematik insgesamt Grothe, in: MüKo, BGB, Vor § 194, Rn. 17; Olzen / Looschelders, in: Staudinger, BGB, § 242, Rn. 543; Mansel / Budzikiewicz, NJW 2005, 321, 325; Borgmann, NJW 2005, 22, 30. 151  BGH NJW 2003, 822, 823. 152  RGZ 158, 130, 136; BGH NJW 1985, 2250, 2252. 153  BGH NJW 1985, 2250, 2253. 154  BGH NJW 2003, 822, 824. 155  Vgl. BGH NJW 2003, 822, 824, „Da der Sekundäranspruch lediglich ein Hilfsrecht zur Abwehr der Verjährungseinrede darstellt […]“. 156  Vgl. Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1750. 157  Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1752, so habe der Arzt nicht nur in fachlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht weitergehende Kenntnisse,



A. Der bisherige Meinungsstand 157

Gerade der Patient sei auf die Fehleroffenbarung angewiesen, da sein Schadensersatzanspruch regelmäßig mangels Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände leerlaufe. Dem wurde entgegengehalten, dass dem Arzt im Gegensatz zum Rechtsanwalt und Steuerberater keine umfassende Vermögenswahrungspflicht zukomme.158 Zudem wären Fehler bei eben diesen Freiberuflern regelmäßig nicht strafbar, so dass ihre Fehleroffenbarungspflicht in der Regel nicht mit der Selbstbelastungsfreiheit kollidiere.159 Unter diesen Gesichtspunkten wurde schon eine vergleichbare Interessenlage verneint. Schlussendlich wurde auch Sinn und Zweck einer Übertragung entgegen gehalten, denn ihre Funktion lag allein in der Korrektur der als unbillig empfundenen Verjährungsregelungen.160 Eine derart kurze Verjährung existiert aber für die Arzthaftung nicht. Insoweit gilt für vertragliche Schadensersatzansprüche gem. §§ 195, 199 Abs. 1 und Abs. 2 BGB die dreißigjährige Frist ab Kenntnis.161 3. Bedeutungslosigkeit seit dem Verjährungsanpassungsgesetz Im Zuge des Verjährungsanpassungsgesetzes162 verjähren Ansprüche gegen Rechtsanwälte und Steuerberater nunmehr nach den allgemeinen Regelungen der §§ 195, 199 BGB einheitlich binnen drei Jahren ab Kenntnis. da der Patient den Behandlungsverlauf oftmals nicht wahrnimmt (beispielsweise bei einer Operation unter Narkose). Siehe auch Francke / Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, S. 65; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 869; Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 68 ff. 158  Gubernatis, JZ 1982, 363, 364; Taupitz, NJW 1992, 713, 716; Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 509; a. A. Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 869 und Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1752: Auch die einschlägigen Freiberufler wären nicht zur uneingeschränkten Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Vertragspartner verpflichtet; eine generelle Vermögenswahrnehmungspflicht könne daher nicht zwingende Voraussetzung der Fehleroffenbarungspflicht sein. Die Tatsache, dass die Hauptleistungspflicht des Arztes in der Durchführung der Heilbehandlung bestehe, stünde der Annahme einer allgemeinen Fehleroffenbarungspflicht daher nicht entgegen. Im Ergebnis ablehnend auch Schlund, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 21, Rn. 9 jedoch ohne nähere Begründung. 159  Vgl. Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 61, Rn. 15; Gubernatis, JZ 1982, 363, 364; Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 509; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2012, 867, 869; a. A. Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1751, die eine Vereinbarkeit mit nemo tenetur mittels Beweisverwertungsverbots erreichen wollen; vgl. in diese Richtung auch Taupitz, NJW 1992, 713, 718. 160  Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 869; vgl. auch Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, 77 f. 161  Vgl. auch die Feststellung in BT-Drucks. 17 / 10488, S. 53. 162  Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004, BGBl. I, S. 3214.

158

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

Für die Figur des Sekundäranspruchs und die damit verbundene Aufklärungspflicht besteht damit kein Raum mehr.163 Spätestens seit diesem Zeitpunkt konnte sie somit nicht mehr auf Ärzte übertragen werden.164 Eine allgemeine, schadensersatzvorbereitende Fehleroffenbarungspflicht war damit richtigerweise schon vor Inkrafttreten von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB abzulehnen.

IV. Zwischenergebnis Die Untersuchung der Diskussion um die Anerkennung einer ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht hat gezeigt, dass vor Einführung des PatRG kein einheitliches Meinungsbild existierte. Auch die Rechtsprechung hatte sich bislang ausdrücklich nur zur Fehleraufklärung bei drohenden Gesundheitsgefahren bekannt. Eine Offenbarungspflicht auf Nachfragen des Patienten hin wurde von ihr demgegenüber vor Einführung des PatRG weitestgehend abgelehnt. Seitens der Wissenschaft bestand lediglich im Hinblick auf die Anerkennung der Gefahrenabwehralternative Konsens. Die pauschale Aussage des Gesetzgebers, mit § 630c Abs. 2 S. 2 BGB an die bisherige Rechtsprechung anzuknüpfen, wurde damit widerlegt. Ein einheitlicher Meinungsstand vor Einführung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB existierte nicht.

B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB Mit Einführung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB hat der Gesetzgeber nunmehr einen Schlussstrich unter die Diskussion um das „Ob“ der Fehleroffenbarungspflicht gezogen. Gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ist der Behandelnde zur Abwehr von drohenden Gesundheitsgefahren oder auf Nachfragen des Patienten hin zur Auskunft über den Behandlungsfehler verpflichtet.

163  Olzen / Looschelders, in: Staudinger, § 242, Rn. 544; Grothe, in: MüKo, BGB, Vor § 194, Rn. 18; Prütting, in: FS-Laufs, 2006, S. 1009, 1016; Mansel / Budzikiewicz, NJW 2005, 321, 325; Borgmann, NJW 2005, 22, 30; so auch schon die Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Anpassung der Verjährungsvorschriften, ­ ­BT-Drucks. 15 / 3653, S. 14. 164  Prütting, in: FS-Laufs, 2006, S. 1009, 1016.



B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB 159

I. Die Regelung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB Zunächst gilt es, die Vorschrift des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB in Augenschein zu nehmen. 1. Information über erkennbare Umstände Gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB hat der Behandelnde den Patienten über erkennbare Umstände zu informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. Der Behandelnde muss dazu objektiv die relevanten Tatsachen vortragen; er schuldet die schlichte Information.165 Dies wurde auf Anregung des Gesundheitsausschusses durch Hinzufügung des Wortlauts „über diese“ im Gesetzestext verdeutlicht.166 Eine fachliche oder juristische Wertung wird ihm demnach nicht abverlangt.167 Auch muss er den Sachverhalt nicht ausdrücklich gegenüber dem Patienten als Behandlungsfehler einordnen.168 Die Umstände müssen die Annahme eines Fehlers begründen. Bezugspunkt sind gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB sowohl eigene als auch fremde Fehler.169 Der Behandelnde ist daher auch verpflichtet, auf vermeintliche Standardunterschreitungen des vorbehandelnden Arztes aufmerksam zu machen.170 Hinsichtlich des Fehlerbegriffs kann auf obige Ausführungen verwiesen werden.171 § 630c Abs. 2 S. 2 BGB setzt lediglich die Annahme eines Fehlers voraus. Die Offenbarungspflicht wird damit ausgelöst, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit den Schluss von den Umständen auf den Fehler

165  Vgl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 32; Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 53, 59; Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 510; Jaeger, PatRG, Rn. 133. 166  Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BTDrucks. 17 / 11710, S. 28; siehe auch Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 53, 59; Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 16. 167  Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, §  630c, Rn.  16; Wever, in: Bergmann / Pauge / Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 9; Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 510; so auch schon BGH NJW 1994, 661, 662: „Da es auf Seiten des geschädigten Patienten […] nur auf die Kenntnis des tatsächlichen Verlaufs, nicht auf dessen zutreffende medizinische und rechtliche Einordnung ankommt […].“ 168  Jaeger, PatRG, Rn. 133; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 31; Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, 53, 60; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 65. 169  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 21. 170  Jaeger, in: Prütting, Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 16. 171  Vgl. zum Behandlungsfehler ausführlich S. 137 ff.

160

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

zulässt.172 In diesem Fall kann jedoch auch eine Restunsicherheit bestehen, ob die Umstände nicht doch Ausdruck eines schicksalhaften Verlaufs sind. Dennoch ist der Behandelnde auch in diesem Fall zur Offenbarung verpflichtet, sofern die Annahme eines Fehlers begründet wird.173 Die Umstände müssen für den Behandelnden erkennbar sein. Der Erkennbarkeit ist eine subjektive Sichtweise zu Grunde zulegen. Dies stellt der Wortlaut durch Bezugnahme auf „den Behandelnden“ klar.174 Insofern besteht aber weder hinsichtlich eigener Fehler, noch solcher des vorbehandelnden Arztes eine Nachforschungspflicht.175 Der Behandelnde muss keine positive Kenntnis haben; erforderlich ist lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit.176 In diesem Zusammenhang wird der Einwand erhoben, dem Kriterium der Erkennbarkeit entspringe eine unbestimmte Weite.177 § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB soll schlussendlich auch einen Anspruch auf Negativauskunft beinhalten. So muss der Behandelnde auf Nachfrage hin auch das Nichtvorliegen entsprechender Umstände bestätigen.178 Andernfalls verbliebe der Patient in Ungewissheit; er könne nicht erkennen, ob der Behandelnde auf seine Nachfrage hin nicht reagiert, weil er keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Fehlers sieht, oder aber, ob er seine Pflicht missachtet.179 2. Anknüpfungspunkt der Fehleroffenbarungspflicht Als „Ausdruck der […] Abwägung zwischen den Interessen des Behandelnden am Schutz seiner Person und dem Interesse des Patienten am Schutz 172  Vgl. Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 53, 60, die von „einen gewissen Unsicherheitsgrad einkalkulierenden Formulierung“ sprechen und Spickhoff, JZ 2015, 15, 20, der darin einen „Beurteilungsspielraum“ sieht. 173  Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 53, 60; Spickhoff, JZ 2015, 15, 20. 174  Wagner, VersR 2012, 789, 796; Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 13; zustimmend OLG Oldenburg MDR 2015, 1353, 1354; im Ergebnis ähnlich Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 26, der eine objektive Sichtweise zu Grunde legt, bei der entsprechend der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik subjektives Sonderwissen zugerechnet wird. 175  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 21; Schmidt, in: jurisPK-BGB, § 630c, Rn. 19; Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 12. 176  Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 15. 177  Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 283; vgl. feststellend auch Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 15: „Den Wahrscheinlichkeitsmaßstab präzisiert das Gesetz nicht […].“ 178  OLG Oldenburg MDR 2015, 1353, 1354. 179  OLG Oldenburg MDR 2015, 1353, 1354.



B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB 161

seiner Gesundheit“180 hat der Gesetzgeber die Offenbarungspflicht an das Vorliegen zwei alternativer Umstände geknüpft: Der Behandelnde muss den Fehler bei drohender Gesundheitsgefahr oder auf Nachfrage offenlegen. a) Gefahrenabwehralternative Die Fehleroffenbarungspflicht wird einerseits ausgelöst, wenn die Information zur Abwendung einer gesundheitlichen Gefahr für den Patienten erforderlich ist, § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BGB. Angesprochen sind damit die Fälle eines notwendigen, korrigierenden Folgeeingriffs, wie beispielsweise die Entfernung vergessenen Operationsbestecks oder die Nachoperation einer unvollständigen Karzinomentfernung. Dieselbe Information schuldet der Behandelnde aber bereits im Zuge der therapeutischen Aufklärungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB.181 Die therapeutische Aufklärung dient der Absicherung des Therapieerfolgs und der Vorbeugung etwaiger Selbstgefährdungen,182 so dass auch sie in vorliegender Konstellation eingreift. Darüber hinaus muss der Behandelnde die Umstände des Behandlungsfehlers auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung gem. §§ 630d Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i. V. m. 630e Abs. 1 BGB offen legen.183 Die Gefahrenabwehralternative überschneidet sich damit inhaltlich sowohl mit der therapeutischen Aufklärung gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB als auch mit der Selbstbestimmungsaufklärung gem. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB und ist damit doppelt beziehungsweise dreifach im Gesetz verankert. b) Nachfragealternative Zum anderen wird die Offenbarungspflicht auf Nachfrage hin ausgelöst, § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB. Diese Alternative dient primär dem Vermögensschutz des Patienten, indem sie die effiziente Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche absichert.184 Den Gesetzgebungsmaterialien lässt 180  BT-Drucks.

17 / 10488, S. 21. in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 29; Jaeger, in: Prütting, Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 22; Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 53, 59; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1204; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 63. 182  Vgl. zur therapeutischen Aufklärung oben, Fn. 104. 183  So bereits die herrschende Ansicht vor Einführung der §§ 630a ff. BGB: Vgl. Gubernatis, JZ 1982, 363, 364; Taupitz, NJW 1992, 713, 717 f.; Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 129; Francke / Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, S. 63. 184  Spickhoff, JZ 2015, 15, 21; Frister / Wostry, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 53, 58; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630c, Rn. 7; Wagner, 181  Spickhoff,

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Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

sich kein Anhaltspunkt entnehmen, ob insofern das gezielte, ausdrückliche Fragen des Patienten erforderlich ist oder ob auch eine allgemein formulierte Erkundigung ausreicht. Überzeugend argumentiert Spickhoff in diesem Zusammenhang, dass auch eine allgemein gehaltene Frage mit Blick auf die typische Behandlungssituation ausreichen muss.185 Dem ist zuzustimmen: Der umsichtige Patient formuliert die empfindliche Frage nach etwaigen Fehlern in der Regel indirekt, beispielsweise ob denn alles in Ordnung verlaufen ist. Ein zielgerichtetes Ausfragen am Krankenbett entspricht nicht dem typischen Arzt-Patienten-Verhältnis. Dem soll auch nicht durch derart enge Auslegung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB Vorschub geleistet werden. Andernfalls würde das ohnehin angeschlagene Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig gestört und der intendierte Schutzgedanke des PatRG186 auf diesem Weg konterkariert. Darüber hinaus lässt sich für eine solche Sichtweise anführen, dass der Arzt nunmehr auch zur Negativ­ auskunft187 über das Nichtvorliegen entsprechender Umstände verpflichtet ist. Es genügt damit eine allgemein gehaltene Frage. c) Keine allgemeine Fehleroffenbarungspflicht Indem der Gesetzgeber die Fehleroffenbarungspflicht an die Nachfrage oder die drohende Gesundheitsgefahr knüpfte, entschied er sich zugleich gegen die Aufnahme einer allgemeinen Offenbarungspflicht, wie sie noch vor Erlass von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB diskutiert wurde.188 So hatte sich auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf für die Aufnahme einer allgemeinen Offenbarungspflicht ausgesprochen: Er regte an, man solle die Beschränkungen auf Nachfrage oder zur Abwehr drohender Gefahren streichen.189 Hinsichtlich der Nachfragealternative sei dies erforderlich, da andernfalls der mutige, nachfragende Patient bevorzugt würde. Patienten, die zielgerichtet die Frage nach Behandlungsfehlern stellen, wären ohnehin die Ausnahme, so dass § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB andernfalls als VersR 2012, 789, 795. Insoweit a. A. zum Schutzzweck: Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630c, Rn. 7; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 64. 185  Vgl. insgesamt Spickhoff, JZ 2015, 15, 22; im Ergebnis ebenso: Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 19; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 870; a. A. wohl Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630c, Rn. 7; Schmidt, in: jurisPKBGB, § 630c, Rn. 19; vgl. auch BT-Drucks. 17 / 10488, S. 21. 186  Vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 9: „[…] das vertrauensvolles Miteinander von Patientinnen und Patienten und Behandelnden stehen an erster Stelle.“ 187  Vgl. zur Negativauskunft S. 160. 188  Zur Diskussion siehe S. 154 ff.; vgl. zuletzt Olzen / Uzunovic, JR 2012, 447, 448. 189  BT-Drucks. 312 / 12, S. 5.



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Pflicht auf dem Papier verkommen würde. Demgegenüber löse die Gefahrenabwehralternative Unsicherheiten aus, da nicht immer klar sei, ob und in welchem Zeitpunkt ein Fehler gesundheitliche Konsequenzen nach sich zieht. Auch aus Gründen medizinischer Ethik sei es vorzugswürdig, dass der Behandelnde stets und unverzüglich über Fehler aufzuklären habe. Allein auf diesem Weg könne dem Leitbild des mündigen Patienten und dem Ziel eines ebenbürtigen Verhältnisses von Arzt und Patient entsprochen werden.190 Die Bundesregierung stellte in ihrer Gegenäußerung klar, dass sie die eingeschränkte Fehleroffenbarungspflicht für sachgerecht und ausgewogen halte und von den Beschränkungen nicht abrücke.191 § 630c Abs. 2 S. 2 BGB wurde damit nicht als allgemeine Fehleroffenbarungspflicht ausgeformt. Die Vorschrift ist abschließender Natur und die Diskussion einer allgemeinen Aufklärungspflicht endgültig negativ entschieden.192 3. Zwischenergebnis Auf Ebene des Tatbestandes setzt § 630c Abs. 2 S. 2 BGB zunächst voraus, dass Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines eigenen oder fremden Behandlungsfehlers begründen. Insofern wurde festgestellt, dass hierbei ein subjektiver Maßstab anzuwenden ist; maßgeblich ist damit, ob der Fehler aus Sicht des Behandelnden erkennbar ist. Hinsichtlich des Fehlerbegriffs ist auf obige Ausführungen zu verweisen. Die Erkennbarkeit im Sinne von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB fordert keine sichere Kenntnis vom Fehler; es genügt hier eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Inhaltlich beschränkt sich die Pflicht auf einen schlichten Tatsachenvortrag, so dass eine Einordnung als Behandlungsfehler nicht erforderlich ist. Ausgelöst wird die Fehleroffenbarungspflicht auf Nachfrage hin oder bei drohenden Gesundheitsgefahren. Bezüglich der ersten Alternative wurde festgestellt, dass als Nachfrage auch eine allgemein gehaltene Formulierung ausreicht. Zur Abwehr von drohenden Gesundheitsgefahren muss der Behandelnde ohnehin schon im Rahmen der therapeutischen Aufklärung auf die Umstände hinweisen beziehungsweise im Falle eines Korrektureingriffs auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung. Die Gefahrenabwehralternative in § 630c Abs. 2 S. 2 BGB beinhaltet damit eine Doppelung oder gar Verdreifachung der Mitteilungspflicht. Schlussendlich ist § 630c Abs. 2 S. 2 BGB abschlie190  Vgl.

insgesamt BT-Drucks. 312 / 12, S. 5 f. 17 / 10488, S. 53. 192  So stellt BT-Drucks. 17 / 10488, S. 21 klar: „Eine darüber hinausgehende Informationspflicht besteht nicht. […] Denn den Behandelnden trifft lediglich die Pflicht zur gesundheitlichen Sorge des Patienten, nicht aber eine umfassende Fürsorgepflicht.“ 191  BT-Drucks.

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Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

ßender Natur, so dass eine allgemeine Offenbarungspflicht nunmehr endgültig abzulehnen ist.

II. Sonderfragen Wurde in einem ersten Schritt der Tatbestand der Fehleroffenbarungspflicht beleuchtet, sind nun spezifische Sonderfragen zu klären. So stellt sich die Frage, ob die Fehleroffenbarungspflicht einen Verstoß gegen § 29 Abs. 4 MBO-Ä begründet. Ferner ist zu überprüfen, ob § 630c Abs. 2 S. 2 BGB mit versicherungsrechtlichen Bestimmungen in Einklang steht. 1. Vereinbarkeit mit § 29 Abs. 4 MBO-Ä In § 29 MBO-Ä ist insgesamt das Gebot kollegialen Verhaltens festgeschrieben. Es dient sowohl der Erhaltung des Vertrauens in den Berufsstand, als auch der Erhaltung der Patientengesundheit.193 So soll der Patient nicht dadurch in seinem Vertrauen erschüttert werden, dass vorschnell und in unsachlicher Form Kritik geübt wird.194 Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht könnte einen Verstoß gegen das Beanstandungsverbot des § 29 Abs. 4 MBO-Ä begründen, da der Behandelnde auch verpflichtet wird, Fehler Dritter offenzulegen.195 Schon vor Einführung des PatRG war indes anerkannt, dass das Beanstandungsverbot jedenfalls dann nicht gilt, wenn die Äußerung zum Schutz des Patienten geboten ist.196 Dem wird nunmehr durch § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB Rechnung getragen, der die Offenbarungspflicht an die Bedingung der Gefahrenabwehr knüpft. Darüber hinaus bestimmt § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BGB als lex-posterior nunmehr, dass auch auf Nachfragen des Patienten eine Fremdbezichtigung zulässig ist.197 Ein Verstoß gegen § 29 Abs. 4 MBO-Ä liegt somit nicht vor.198 193  Scholz,

in: Spickhoff, Medizinrecht, § 29 MBO, Rn. 1. NJW 2000, 3413, 3415; NJW 2003, 961, 962; siehe auch Scholz, Medizinrecht, § 29 MBO, Rn. 2. 195  Vgl. Schelling / Warntjen, MedR, 2012, 506, 511. 196  Vgl. etwa VG Minden, MedR 2006, 305, Leitsatz: „Ein Zahnarzt ist nicht verpflichtet, erkannte Fehler seiner zahnärztlichen Kollegen ggf. auf Kosten der Gesundheit der Patienten zu verheimlichen.“ vgl. auch BVerfG NJW 2000, 3413, 3415. 197  Vgl. Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 29 MBO, Rn. 8. 198  Im Ergebnis ablehnend auch Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 18; Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 29 MBO, Rn. 8; Jaeger, PatRG, Rn. 109; siehe auch Schmidt, in: jurisPK-BGB, § 630c, Rn. 20. Verkannt von Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 72. 194  BVerfG



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2. Vereinbarkeit mit versicherungsrechtlichen Bestimmungen Darüber hinaus könnte die Fehleroffenbarungspflicht einem versicherungsrechtlichen Anerkenntnisverbot zuwiderlaufen, da sie den Behandelnden zur Kundgabe haftungsrelevanter Tatsachen verpflichtet.199 So bestimmte Ziff. 5.1 AHB bis zum Zeitpunkt der Reform des Versicherungsvertragsrechts200, dass Anerkenntnisse, die vom Versicherungsnehmer ohne Zustimmung des Versicherers abgegeben oder geschlossen worden sind, den Versicherer grundsätzlich nicht binden. Nunmehr ist Ziff. 5.1 AHB im Zuge der Reform des Versicherungsvertragsrechts gem. § 105 VVG ersatzlos gestrichen worden, so dass ein versicherungsrechtliches Anerkenntnisverbot nicht mehr besteht.201 Bereits vor der Reform bestand jedoch Einigkeit, dass die Offenlegung von Behandlungsfehlern kein Anerkenntnis darstellt.202 Voraussetzung eines Anerkenntnisses ist, dass ein rechtsgeschäftlicher Verpflichtungswille, für den Schaden einstehen zu wollen, kundgetan wird.203 Im Fall der Fehleroffenbarungspflicht kommt ein solcher Einstandswille aber nicht zum Ausdruck.204 3. Zwischenergebnis Die Untersuchung spezifischer Sonderfragen im Zusammenhang mit der Fehleroffenbarungspflicht kommt zu dem Ergebnis, dass § 630c Abs. 2 S.  2 BGB keinen Verstoß gegen das Beanstandungsverbot des §  29 Abs. 4 MBO-Ä begründet. Die Vorschrift steht zudem mit den versicherungsrechtlichen Bestimmungen in Einklang.

III. Kritik Unter den Vorschriften des PatRG hat § 630c Abs. 2 S. 2 BGB am meisten Unmut hervorgerufen. Sie stelle ein „Kuriosum“ dar, sei „realitätsfern“ 199  Offen gelassen etwa von Montgomery / Brauer / Hübner / Seebohm, MedR 2013, 149, 151. 200  Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007, BGBl. I, S. 2631. 201  Vgl. die Begründung in BT-Drucks. 16 / 3945, S. 86. 202  Aktuell für § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ablehnend auch Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 16. 203  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1989, 346, 347; vgl. auch: Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1756; Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, 39. 204  Terbille / Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749, 1756; vgl. auch Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 38.

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Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

und verursache letzten Endes „viel Lärm um Nichts“.205 Bereits im Vorfeld äußerten die Interessenvertreter BÄK, KBV und DKG ihren Protest gegen die Regelung. Auch die Wissenschaft stand ihr bereits im Entwurfsstadium kritisch gegenüber. Schwerpunktmäßig werden folgende Bedenken geäußert: 1. Fehlende Rechtsfolge und mangelnder Anreiz Zunächst wird gegen § 630c Abs. 2 S. 2 BGB insgesamt die Kritik erhoben, dass ein Verstoß keine spürbaren Konsequenzen nach sich ziehe beziehungsweise, dass die Rechtsfolgen eines Verstoßes überhaupt unklar wären.206 Haftungsrechtlich komme der Fehleroffenbarungspflicht jedenfalls keine eigenständige Bedeutung zu – für den Behandlungsfehler hafte der Behandelnde ohnehin schon und der Anspruch wegen Verletzung der Offenbarungspflicht reiche hierüber nicht hinaus.207 Ebenso wären keine negativen verjährungsrechtlichen Folgen ersichtlich.208 Von diesem Standpunkt aus wird bemängelt, es handle sich aus zivilrechtlicher Sicht um eine „ergebnisneutrale und daher sinnlose Verdoppelung der Haftung“209. So wurde bereits im Vorfeld des PatRG angeregt, dass bei Pflichtverstoß gegen § 630c Abs. 2 S. 2 BGB eine Beweislastumkehr eintreten solle.210 Dies sei die „geradezu auf der Hand liegende und den Arzt wirklich schmerzende Konsequenz“211. Mit der konkreten Ausgestaltung von §  630c Abs.  2 S. 2 BGB habe der Gesetzgeber demgegenüber eine „sanktionslose Verpflich­ tung“212 geschaffen. insgesamt Hart, MedR 2013, 153, 155. Wever, in: Bergmann / Pauge / Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 9; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630c, Rn. 7; Wagner, VersR 2012, 789, 796; Thurn, MedR 2013, 153, 155; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 818; Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 976; Jaeger, in: FS-Heintschel-Heinegg, 2015, S. 211, 214; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 71 ff. Kritisch auch Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630c, Rn. 7; vgl. zudem Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 283 bezüglich der Drittbezichtigung. 207  Katzenmeier, NJW 2013, 817, 819; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630c, Rn. 7; Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 976; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 71; vgl. auch Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 21 jedenfalls im Fall der Nachfrage; die Pflichtverletzung bei der Gefahrenabwehralternative stelle einen eigenen Behandlungsfehler dar. 208  Dazu Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 22 mit Hinweis auf Ausnahmefälle; vgl. auch Katzenmeier, NJW 2013, 817, 819; Thurn, MedR 2013, 153, 155. 209  Wagner, VersR 2012, 789, 795; zustimmend Katzenmeier, NJW 2013, 817, 819; vgl. im Ergebnis auch Taupitz, NJW 1992, 713, 714. 210  Thurn, MedR 2013, 153, 155. 211  Thurn, MedR 2013, 153, 155. 212  Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 283. 205  So

206  Vgl.



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Andere Stimmen stellen dem entgegen, dass die Missachtung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB zwar keine zivilrechtlichen, wohl aber berufs- und strafrechtliche Konsequenzen auslösen könne. Aus berufsrechtlicher Sicht käme ein Verstoß gegen die Generalklausel des § 2 Abs. 2 MBO-Ä in Betracht.213 Auch eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB sei denkbar: Täuscht der Behandelnde den Patient, um sich einem Schadensersatzanspruch zu entziehen, könne dies im Einzelfall den Tatbestand eines Betrugs erfüllen.214 Der Patient würde infolge der Täuschung die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen unterlassen und somit eine Vermögensverfügung treffen, die sich bei ihm als Schaden manifestiere.215 Aber selbst für den Fall, dass der Behandelnde seiner Offenbarungspflicht nachkommt, wird überwiegend argumentiert, dem Aufklärungspflichtigen winke hier kein spürbarer Vorteil. Zwar komme dem Beweisverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB grundsätzlich Anreizfunktion zu; jedoch reiche der dargebotene Schutz nicht weit genug und könne damit keinen echten Ansporn liefern.216 Ein wirklicher Anreiz wäre demgegenüber dadurch zu Stande gekommen, dass der Gesetzgeber dem Arzt Immunität für Fahrlässigkeitsdelikte zugesprochen hätte.217 Speziell für den Fall der Fremdbezichtigung stellen Kritiker darüber hinaus fest, dass das Beweisverwendungsverbot mangels eigener Strafbarkeit des Nachbehandelnden ohnehin nicht anwendbar ist.218 2. Gefahrenabwehralternative Die Gefahrenabwehralternative der Fehleroffenbarungspflicht ist zugleich von der therapeutischen Aufklärungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB erfasst.219 Insofern wird kritisiert, dass die Gefahrenabwehralternative letztendlich in der therapeutischen Aufklärung aufgehe.220 Es sei „kaum ein 213  Rehborn, GesR 2013, 257, 261; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 871; Schmidt, in: jurisPK-BGB, § 630c, Rn. 24; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630c, Rn. 7; vage auch Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 23: „Ein Verstoß beinhaltet das Risiko einer berufsrechtlichen Ahndung.“ 214  Jaeger, PatRG, Rn. 115  f.; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 871; Spickhoff, JZ 2015, 15, 26; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 63. 215  Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 871. 216  Etwa Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1203; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 73. Zur Diskussion um die Reichweite von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB siehe S. 216 ff. und S. 238 ff. 217  So der Vorschlag von Wagner, VersR 2012, 789, 797. 218  Dazu Wagner, VersR 2012, 789, 797; a. A. hinsichtlich eines Betrugs Jaeger, PatRG, Rn.  117 ff. 219  Vgl. zur therapeutischen Aufklärungspflicht Fn. 104. 220  Spickhoff, JZ 2015, 15, 26.

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praktischer Anwendungsbereich der Norm sichtbar, der über die unberührt gebliebene Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung hinausgeht“221. 3. Nachfragealternative Im Fokus der Kritik steht die Nachfragealternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB. Gegen sie wird der Vorwurf erhoben, dass ihr kein gesundheitlicher Aspekt zu Grunde liegt. Die Offenbarung des Fehlers diene allein der Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen; ihr komme überwiegend eine vermögenssichernde Funktion zu.222 So wurde bereits im Stadium des Gesetzesentwurfs die Forderung laut, dass die Nachfragealternative „ersatzlos gestrichen wird“223. In diesem Zusammenhang betonte die DKG etwa, sie stünde außer Verhältnis zur Selbstbelastung; es sei unverhältnismäßig das Selbstbegünstigungsprivileg des Arztes nur deswegen zu durchbrechen, um dem Patient die Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche zu erleichtern.224 Dies gelte umso mehr, als dass der Anwendungsbereich von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB an schwache Voraussetzungen anknüpfe: Die Aufklärungspflicht wird bereits ausgelöst, wenn lediglich die Umstände eines Fehlers erkennbar sind; dementsprechend muss sich der Behandelnde auch bei Vorliegen einer bloßen Vermutung selbstbezichtigen. Vor diesem Hintergrund sei die Nachfragealternative insgesamt mit nemo tenetur nicht zu vereinbaren.225 Auch KBV und BÄK bemängelten den fehlenden Bezug zur Patientengesundheit und forderten in ihrer gemeinsamen Stellungnahme ebenfalls die Streichung der Vorschrift.226 Darüber hinaus wird der Nachfra221  Spickhoff,

JZ 2015, 15, 22. JZ 2015, 15, 22 spricht insofern von einem für den Behandlungsvertrag untypischen, abweichenden Zweck. 223  Stellungnahme der DKG zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz)“, vom 17.10.2012, S. 7, abrufbar unter: http: /  / www.dkgev.de / me dia / file / 12474.Patientenrechtegesetz.pdf. 224  Stellungnahme der DKG zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz)“, vom 17.10.2012, S. 7, abrufbar unter: http: /  / www.dkgev.de / me dia / file / 12474.Patientenrechtegesetz.pdf. So auch Montgomery / Brauer / Hübner / Seebohm, MedR 2013, 149, 151. 225  Stellungnahme der DKG zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz)“, vom 17.10.2012, S. 6, abrufbar unter: http: /  / www.dkgev.de / me dia / file / 12474.Patientenrechtegesetz.pdf. 226  Gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Kassenärzt­ lichen Bundesvereinigung vom 09.03.2012, S. 13 f., abrufbar unter: http: /  / www. bundesaerztekammer.de / fileadmin / user_upload / downloads / StellBAeK_KBVPatien tenrechtegesetz_09032012.pdf. 222  Spickhoff,



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gealternative vorgeworfen, sie schüre ein „Klima des Misstrauens“227. Der Patient würde hier gerade zur Frage nach Behandlungsfehlern angespornt. Damit komme aber dem misstrauischen Patienten weitreichenderer Schutz zu als dem gutgläubigen Patienten, der sich vertrauensvoll auf die Kompetenz seines Arztes verlässt.228 Der Gesetzgeber verfehle letztendlich seine Vision vom mündigen Patienten und gefährde das von ihm angestrebte Vertrauensverhältnis.229

IV. Stellungnahme Die voranstehende Analyse der Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB hat gezeigt, dass ihre derzeitige gesetzliche Ausgestaltung nur bedingt zufriedenstellend ist: 1. Gefahrenabwehralternative Die Gefahrenabwehralternative ist bereits von der Pflicht zur therapeutischen Aufklärung gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB erfasst. Darüber hinaus muss der Patient auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung gem. § 630e BGB bei Einwilligung in den Folgeeingriff umfassend aufgeklärt werden; auch hier hat der Arzt die insofern relevanten Umstände zu offenbaren.230 Damit ist die Gefahrenabwendungsalternative durch das PatRG doppelt beziehungsweise dreifach verankert worden. Vor diesem Hintergrund wird die Kritik erhoben, es existiere kein eigenständiger Anwendungsbereich der Vorschrift. Hierbei darf jedoch nicht verkannt werden, dass sich der Behandelnde im Rahmen der Fehleroffenbarungspflicht auch auf das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB berufen kann.231 Für den Behandelnden wird so sein Recht auf Selbstbelastungsfreiheit geschützt; § 630c Abs. 2 S. 3 BGB schafft damit das nötige verfassungswahrende Korrektiv entsprechend den 227  Jaeger, in: Prütting, Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 31; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates, die von einem „generellen Misstrauensverdacht“ spricht, BT-Drucks. 312 / 12, S. 6. 228  Olzen / Uzunovic, JR 2012, 447, 448; Preis / Schneider, NZS 2013, 281, 283; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks, 312 / 12, S. 5. 229  Olzen / Uzunovic, JR 2012, 447, 448; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 17 / 10488, S. 6. 230  So bereits vor Einführung von § 630a  ff. BGB: Taupitz, NJW 1992, 713, 717 f.; Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 129. 231  Vgl. Spickhoff, JZ 2015, 15, 22 jedoch äußerst nüchtern: „Immerhin kann sich die Behandlungsseite nun gegebenenfalls auf das Beweisverwendungsverbot des § 630c Abs. 2 Satz 3 BGB berufen.“

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Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

Grundsätzen des Gemeinschuldnerbeschlusses232. Obwohl es sich letztendlich um eine Vervielfachung einer bereits bestehenden Pflicht handelt, kommt § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BGB auf diesem Weg enorme Bedeutung zu. Die Gefahrenabwehralternative ist demnach nicht rein deklaratorischer Natur, sondern erhält durch die Verknüpfung mit einem Beweisverbot in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB einen eigenständigen Gehalt. Die Bedeutung der Vorschrift ist nicht zu verachten und § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BGB damit zu begrüßen. 2. Nachfragealternative Bedenken könnten indes sowohl hinsichtlich des Schutzgehaltes als auch unter dem Aspekt des Regelungsbedürfnisses gegen die Nachfragealternative zu erheben sein: a) Schutzgehalt Die Nachfragealternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB orientiert sich nicht am gesundheitlichen Wohl des Patienten; der Behandelnde hat hier unabhängig vom Gesundheitszustand den Fehler offenzulegen. Der Schutzgehalt der Nachfragealternative erschöpft sich damit in der reinen Vermögensfürsorge für den Patienten.233 Für ihn ist oftmals nicht ersichtlich, ob eine Behandlung ordnungsgemäß abgelaufen ist. Selbst wenn sich der gewünschte Erfolg nicht einstellt, kann dies sowohl auf schicksalhafte Umstände als auch auf einen Fehler zurückzuführen sein. Ohne Kenntnis der zu Grunde liegenden Umstände kann der Patient seine Ansprüche nicht geltend machen. Hier schafft § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB Abhilfe und sichert damit die Durchsetzbarkeit der Schadensersatzansprüche. Fraglich ist, ob dieser Zweck mit den Zielen des PatRG vereinbar ist. Das PatRG dient der Stärkung der Patientenrechte, um eine selbstbestimmte Gesundheitsfürsorge zu ermöglichen. So ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen: „Die Komplexität der Medizin und die Vielfalt von Behandlungsmöglichkeiten verlangen zunächst nach Regelungen, die Patientinnen und Patienten und Behandelnde auf Augenhöhe bringen. […] Verlässliche Informationen schaffen für die Patientinnen und Patienten Orientierung. Diese Informationen sind nicht Selbstzweck, sondern die Voraussetzung dafür, dass die Patientinnen und Patienten

232  Vgl. 233  Vgl.

zu den Anforderungen des Gemeinschuldnerbeschlusses S. 104 ff. S. 161 m. w. N. in Fn. 184.



B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB 171 e­igenverantwortlich und selbstbestimmt im Rahmen der Behandlung entscheiden können.“234

Das PatRG soll demnach die Voraussetzungen einer selbstbestimmten Gesundheitsfürsorge schaffen. Ein reiner Vermögensschutz, wie ihn § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB gewährleistet, entspricht diesem Ziel nicht. Der Gesetzgeber bringt an anderer Stelle selbst zum Ausdruck, dass eine Aufklärungspflicht nur zum Schutz der Patientengesundheit in Betracht kommt, denn „den Behandelnden trifft lediglich die Pflicht zur gesundheitlichen Sorge des Patienten, nicht aber eine umfassende Fürsorgepflicht“235. Im Fall des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB hat der Gesetzgeber aber genau dies verkannt. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass auch im Rahmen der wirtschaftlichen Aufklärung gem. § 630c Abs. 3 BGB ein gewisser Vermögensschutz dadurch erfolgt, dass die anfallenden Kosten anzuzeigen sind. Auch hier soll primär eine selbstbestimmte Entscheidung des Patienten über seine Behandlung ermöglicht werden, indem ihm die wirtschaftlichen Folgen aufgezeigt werden.236 Die rein vermögensschützende Nachfragealternative stellt damit eine systemfremde Sonderverpflichtung innerhalb des Behandlungsvertrags dar. Sie ist aber nicht nur systemfremd, sondern läuft auch dem Anliegen des PatRG zuwider. Dem Behandlungsvertrag liegt der Gedanke zu Grunde, ein vertrauensvolles Miteinander von Arzt und Patient zu ermöglichen.237 Die Nachfragealternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB ist demgegenüber geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig zu beschädigen, denn dadurch bringt der Patient sein Misstrauen zum Ausdruck. Dies gilt umso mehr, als dass die Rechtsprechung jüngst den Anspruchsinhalt auch auf eine Negativbescheinigung ausgedehnt hat.238 Die Frage nach Behandlungsfehlern droht auf diesem Weg zur Routine zu werden, denn der Patient wird hier zur Nachfrage angespornt. § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB schafft damit eher Distanz als einen vertrauensvollen Umgang zu fördern. Die Nachfragealternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB stellt mithin eine systemfremde und systemwidrige Verpflichtung innerhalb des Behandlungsvertrages dar.

234  Vgl.

BT-Drucks. 17 / 10488, S. 9. 17 / 10488, S. 21. 236  Vgl. BT-Drucks. 17 / 10488, S. 22; siehe auch Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn, 33, der in diesem Zusammenhang betont: „Ärzte sind keine Vermögensberater ihrer Patienten“. 237  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 9. 238  OLG Oldenburg MDR 2015, 1353, 1354; vgl. S. 159 f. 235  BT-Drucks.

172

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

b) Fehlendes Regelungsbedürfnis Für die Nachfragealternative könnte darüber hinaus auch das Regelungsbedürfnis fehlen. So erkannten bereits das OLG Koblenz239 und das OLG München240 vor Einführung des PatRG zutreffend, dass dem Informationsbedürfnis des Patienten durch die Pflicht zur Behandlungsdokumentation und der damit korrespondierenden Möglichkeit der Akteneinsicht hinreichend entsprochen wird.241 Dies gilt umso mehr, als dass frühere Vollzugsdefizite durch die unmissverständliche Klarstellung des Gesetzgebers nun beseitigt sein dürften.242 So verpflichtet § 630f BGB den Behandelnden zur umfassenden Dokumentation: Er muss alle relevanten Umstände der Behandlung in der Akte vermerken, hierzu zählen gem. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB insbesondere die Anamnese, Diagnose, Untersuchungen und ihre Ergebnisse, Befunde, Therapien und Eingriffe und ihre jeweiligen Wirkungen sowie Einwilligungen und Aufklärungen. Änderungen und Berichtigungen sind nunmehr nur zulässig wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen wurden, § 630f Abs. 1 S. 2 BGB. Angesichts dieser strengen Dokumentationspflicht lassen sich die Umstände eines Behandlungsfehlers regelmäßig der Akte entnehmen.243 Auf Verlangen ist dem Patient grundsätzlich gem. § 630g Abs. 1 BGB Einsicht in die vollständige Akte zu gewähren. Dabei kann er gem. § 630g Abs. 2 BGB auch elektronische Abschriften verlangen. Über dieses Einsichtsrecht hinaus ist ein zusätzlicher Auskunftsanspruch grundsätzlich überflüssig, wenn er wie im Fall des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB244 nur die Umstände des Behandlungsfehlers offenlegt. Hier wie dort wird allein der Sachverhalt offenbart; dem Behandelnden wird aber keine Bewertung als fehlerhaft abverlangt. Den Schluss auf das tatsächliche Bestehen eines Fehlers muss der Patient – gegebenenfalls unter Hinzuziehung fachlichen Beistands – dabei stets selber erbringen. Insofern erscheint es aber zumutbar, den Betroffenen auf den vermeintlich aufwendigeren Weg 239  OLG

705.

240  OLG

Koblenz NJW-RR 2004, 410; zustimmend Rieger, DMW 2004, 705,

München vom 10.  Juni 2010  – Az. 1 U 2376 / 10. dazu S. 152 ff. 242  Vgl. zum Vollzugsdefizit Thole, MedR 2013, 145, 148 und Jaeger, PatRG, Rn. 318. 243  Vgl. etwa Jaeger, PatRG, Rn. 303, der von einer überragenden Bedeutung der Dokumentation im Arzthaftungsprozess spricht. Auch Spickhoff betont, dass die Dokumentationspflicht zwar vordergründig Behandlung und Weiterbehandlung absichert; ihre wichtigste Funktion aus Sicht der Praxis aber in der Beweissicherung liegt, Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630f BGB, Rn. 1. 244  Zum Umfang der Fehleroffenbarungspflicht vgl. S. 159 f. 241  Vgl.



B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB 173

der Akteneinsicht zu verweisen: Dem PatRG liegt das Bild eines mündigen Patienten zu Grunde – er muss die gewährte Selbstverantwortung daher auch eigenständig wahrnehmen. Festzuhalten bleibt damit, dass die Möglichkeit zur Akteneinsicht gem. § 630g Abs. 1 BGB dem Informationsbedürfnis hinreichend Rechnung trägt und der Patient im Hinblick auf etwaige Schadensersatzansprüche in der Regel nicht schutzlos gestellt ist. Bedeutung kommt der Nachfragealternative indes dort zu, wo der Behandelnde seinen Dokumentationspflichten – sei es aus Unachtsamkeit oder bewusst zum Zwecke der Verschleierung – nicht hinreichend entspricht. Hier ist es dem Patient gerade nicht möglich, sich die Information selbst zu verschaffen. Er ist damit auf den Auskunftsanspruch gem. § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB angewiesen, so dass für die Nachfragealternative auch neben dem Recht zur Akteneinsicht ein echtes Interesse besteht. c) Zwischenergebnis Die Nachfragealternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB stellt eine systemfremde und systemwidrige Sonderverpflichtung innerhalb des Behandlungsvertrages dar. Für sie besteht indes ein Regelungsbedürfnis, da der Patient nicht bereits durch die §§ 630f, 630g BGB hinreichend geschützt wird. 3. Fehlende Rechtsfolgen und mangelnder Anreiz Auf Rechtsfolgenseite wird der Fehleroffenbarungspflicht entgegengehalten, es handle sich um ein stumpfes Schwert, denn dem Behandelnden würden keine spürbaren Nachteile drohen. Vereinzelt wird demgegenüber die Behauptung aufgestellt, es könnten berufsrechtliche Konsequenzen wegen eines Verstoßes gegen die Generalklausel des § 2 Abs. 2 S. 1 MBO-Ä drohen. Auch eine Betrugsstrafbarkeit soll in Betracht kommen. Beide Ansätze lassen indes eine fundierte Prüfung ihrer These missen. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs erscheint von vorneherein abwegig. Hier wird es regelmäßig an einer Bereicherungsabsicht auf Seiten des Arztes fehlen. Das Motiv eines Verstoßes gegen § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ist nicht die Sorge des Arztes vor Schadensersatzansprüchen, denn hierfür kommt weitestgehend die Haftpflichtversicherung auf. Vielmehr unterlässt er die Aufklärung zum Selbstschutz aus Angst vor drohenden straf- und berufsrechtlichen Folgen. Hinsichtlich etwaiger berufsrechtlicher Konsequenzen ist festzustellen, dass Pflichtverletzungen im Rahmen von §§ 630a ff. BGB generell die Eignung zugesprochen wird, im Einzelfall einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 S. 1

174

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

MBO-Ä zu begründen.245 So hat die Rechtsprechung im parallelen Fall der Missachtung von Regelungen der Berufsordnung einen Verstoß gegen die Generalklausel angenommen.246 Indes zeugen die bisher anerkannten Fallgruppen um § 2 Abs. 2 S. 1 MBO-Ä von einer gewissen Erheblichkeit.247 Ob die Verletzung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB tatsächlich berufsrechtlich geahndet werden kann, wird letztendlich im Wege der Rechtsprechung zu klären sein. Die Annahme eines solchen Verstoßes erscheint derweil grundsätzlich möglich. Mit Blick auf die Erheblichkeit bisheriger Fallgruppen ist aber denkbar, dass die Rechtsprechung berufsrechtliche Konsequenzen im Rahmen von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB erst bei beharrlichen Verstößen oder in besonders schwerwiegenden Konstellation aussprechen wird. Indes wurde der naheliegendsten Konsequenz in diesem Zusammenhang bisweilen keine Beachtung geschenkt.248 Eine einschneidende Folge ergibt sich regelmäßig für den Fall der Gefahrenabwehralternative: Kommt der Behandelnde hier seiner Fehleroffenbarungspflicht nicht nach, so kann der Patient nicht wirksam in die gebotene Folgemaßnahme gem. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB einwilligen. Die Einwilligung setzt gem. § 630d Abs. 2 BGB i. V. m. § 630e Abs. 1 BGB die Aufklärung über alle wesentlichen Umstände der Behandlung voraus; hierzu zählen bei einem Korrektureingriff auch die Umstände des Behandlungsfehlers.249 Mangels wirksamer Einwilligung droht dem Behandelnden bei Vornahme der Korrektur eine Strafbarkeit wegen nunmehr vorsätzlicher Körperverletzung. An diesem Ergebnis vermag auch die – ohnehin strittige – Figur der hypothetischen Einwilligung nichts zu ändern: Nach ihren Grundsätzen würde die Strafbarkeit des Arztes entfallen, wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung dem jeweiligen Eingriff zugestimmt hätte.250 Da vorliegend die Korrektur eines Behandlungsfehlers in Frage steht, ist regelmäßig davon auszugehen,251 dass der Patient bei Kenntnis der Umstände einer erneuten Behandlung desselben Arztes nicht zugestimmt hätte. Damit scheidet in vorliegenden Konstella­ 245  Scholz,

in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 MBO, Rn. 14. Gießen vom 15.02.2011  – 21 K 1582 / 10.Gl.B. 247  Vgl. die Einzelfälle bei Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 MBO, Rn. 9. 248  So nun aber auch Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 69. 249  So bereits die herrschende Ansicht vor Einführung der §§ 630a ff. BGB: Vgl. Gubernatis, JZ 1982, 363, 364; Taupitz, NJW 1992, 713, 717 f.; Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes, 1995, S. 129; Francke / Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, S. 63. Insofern vermischt hier die therapeutische Aufklärung mit der Selbstbestimmungsaufklärung und der Fehleroffenbarung zur Gefahrenabwehr. 250  Vgl. zur Figur der hypothetischen Einwilligung Krüger, in: FS-Beulke, 2015, S.  137, 138 ff. m. w. N. 251  Vgl. Valerius, HRRS 2014, 22, 24. 246  VG



C. Ergebnis175

tionen eine hypothetische Einwilligung regelmäßig aus. Es bleibt damit bei dem gefundenen Ergebnis: Legt der Behandelnde im Fall der Gefahrenabwehralternative nicht die Umstände des Behandlungsfehlers offen, so droht ihm mangels wirksamer Einwilligung des Patienten in den Folgeeingriff eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Die Kritik, § 630c Abs. 2 BGB liefere keinen Anreiz zur Pflichterfüllung, greift demnach gerade im Fall der Gefahrenabwehralternative nicht.

V. Zwischenergebnis Die gesetzliche Ausformung der Fehleroffenbarungspflicht ist im Fall der Gefahrenabwehralternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BGB zu begrüßen. Durch die Verbindung mit dem Beweisverbot in Abs. 3 kommt ihr maßgebliche Bedeutung zu. Demgegenüber ist die Nachfragealternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB als systemfremde und systemwidrige Verpflichtung zu bewerten, da ihr allein vermögensrechtliche Aspekte zu Grunde liegen und sie geeignet ist, das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient erheblich zu beeinträchtigen. Obwohl sich die Nachfragealternative inhaltlich in weiten Teilen mit dem Recht auf Akteneinsicht und der damit korrepondierenden Dokumentationspflicht überschneidet, so besteht gleichwohl ein Regelungsbedürfnis, da der Patient andernfalls bei unzureichender Dokumentation im Hinblick auf etwaige Schadensersatzansprüche schutzlos gestellt würde. Auf Rechtsfolgenseite ist festzuhalten, dass den Behandelnden bei Pflichtverstoß jedenfalls im Fall der Gefahrenabwehralternative eine erhebliche Konsequenz trifft. Mangels Offenlegung des Behandlungsfehlers kann der Patient nicht wirksam in eine Folgebehandlung einwilligen; dem Arzt droht damit eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Auch aus berufsrechtlicher Sicht kommt ein Verstoßes gegen die Generalklausel des § 2 Abs. 2 MBO-Ä in Betracht.

C. Ergebnis In Kapitel sieben wurde die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht einer eingehenden Analyse unterzogen. So wurde zunächst der bisherige Meinungsstand vor Einführung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB beleuchtet und in einem nächsten Schritt die gesetzliche Ausformung konkret in Augenschein genommen. Zu Ersteren hat die Untersuchung ergeben, dass im Vorfeld des PatRG kein einheitliches Meinungsbild bestand. Allein die Variante der Gefahrenabwehralternative wurde allgemein anerkannt. Im Übrigen standen sich Rechtsprechung wie Literatur uneinig gegenüber. Insofern konnte die pauschale Aussage des Gesetzgebers, mit § 630c Abs. 2 S. 2 BGB an die

176

Kap. 7: Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht

bisherige Rechtsprechung anzuknüpfen, widerlegt werden. Die gesetzliche Ausformung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB überzeugt derweil nur in Teilen: Ein Verstoß gegen das Bezichtigungsverbot des § 29 Abs. 4 MBO-Ä wurde wie auch ein Verstoß gegen das versicherungsrechtliche Anerkenntnisverbot abgelehnt. Auf Rechtsfolgenseite droht dem Behandelnden im Fall der Gefahrenabwehralternative ein echter Nachteil. Auch berufsrechtliche Konsequenzen in Form eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 MBO-Ä erscheinen möglich. Während inhaltlich gegen die Gefahrenabwehralternative insgesamt keine Bedenken angezeigt sind, handelt es sich bei der Nachfragealternative um eine systemfremde und systemwidrige Verpflichtung innerhalb des Behandlungsvertrages. Sie dient allein dem Vermögensschutz. Gleichzeitig birgt sie ein hohes Konfliktpotential, da sie geeignet ist, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig zu beschädigen und läuft damit der Zielsetzung des PatRG zuwider. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass dem Informationsbedürfnis des Patienten regelmäßig bereits im Wege des Rechts auf Akteneinsicht gem. § 630g Abs. 1 BGB in Verbindung mit der strengen Dokumentationspflicht gem. § 630f BGB abgeholfen werden kann. Gleichwohl besteht für die Nachfragealternative gem. § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB ein Regelungsbedürfnis, da der Patient bei lückenhafter Dokumentation auf die Auskunft des Behandelnden angewiesen ist. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll nun der Schwerpunkt von der allgemeinen Untersuchung der Fehleroffenbarungspflicht auf die Frage verlagert werden, ob und inwiefern die Regelung mit der Selbstbelastungsfreiheit des Behandelnden kollidiert.

Kapitel 8

Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht im Kontext der Selbstbelastungsfreiheit Durch die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht wird der Behandelnde gezwungen, die Umstände seines Fehlers offen zu legen. Zu Beginn der Arbeit wurde daher die These aufgestellt, § 630c Abs. 2 S. 2 BGB kollidiere mit der Selbstbelastungsfreiheit und stelle so den jüngsten Unterfall der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten dar. Insofern lag dem Allgemeinen Teil der Arbeit die Aufarbeitung der Selbstbelastungsfreiheit und insbesondere ihr Verhältnis zu außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten zu Grunde. Im Besonderen Teil wurde bislang die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht beleuchtet. Nunmehr sind im folgenden Kapitel die bisherigen Erkenntnisse zusammenzuführen und zu prüfen, ob und inwiefern § 630c Abs. 2 S. 2 BGB mit der Selbstbelastungsfreiheit kollidiert.

A. Der Selbstbelastungsgegenstand Für diesen Zweck muss zunächst der Gegenstand der vermeintlichen Selbstbelastung herausgearbeitet werden. Zu untersuchen ist damit, welche straf-, ordnungswidrigkeits- und berufsrechtlichen Konsequenzen dem Behandelnden für seinen Fehler drohen können. Die Möglichkeit einer berufsrechtlichen Selbstbelastung wird bisweilen pauschal bejaht. Hier wird genau zu untersuchen sein, ob die jeweiligen Konsequenzen überhaupt im Falle eines Behandlungsfehlers eintreten können.

I. Strafrechtliche Konsequenzen Aus strafrechtlicher Sicht kommt eine Strafbarkeit wegen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten in Betracht. 1. Tatbestand Jeder ärztliche Heileingriff erfüllt nach ständiger Rechtsprechung den Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 223 StGB, wobei

178 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

die Tat regelmäßig durch Einwilligung gerechtfertigt ist.252 Im Falle eines Behandlungsfehlers trifft den Arzt demgegenüber ein Fahrlässigkeitsvorwurf gem. § 229 StGB oder § 222 StGB.253 Die Annahme einer vorsätzlichen Schädigung ist hingegen nur in Ausnahmefällen denkbar; auch im Fall eines groben Behandlungsfehlers liegt in der Regel ein Fahrlässigkeitsvorwurf vor.254 So betont etwa der BGH, dass „die ausdrückliche Erörterung der Frage, ob der Arzt den Patienten vorsätzlich an Leben oder Gesundheit geschädigt hat, nur unter besonderen Umständen geboten ist.“255 Anknüpfungspunkt einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kann sowohl positives Tun, beispielsweise die Verschreibung der falschen Medikation, als auch Unterlassen, wie die nicht rechtzeitige Einweisung ins Krankenhaus, sein.256 Neben dem objektiven Sorgfaltsverstoß ist aus strafrechtlicher Sicht insbesondere auch der subjektive Schuldvorwurf zu prüfen; der Behandelnde muss nach seinen persönlichen Fähigkeiten und individuellen Kenntnissen imstande gewesen sein, die verlangte Sorgfalt zu erkennen und aufzubringen.257 Dies kann zu dem Ergebnis führen, dass zwar aus zivilrechtlicher Sicht ein schuldhafter Behandlungsfehler vorliegt – hier kommt es allein auf eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung an – wohingegen aus strafrechtlicher Sicht ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu verneinen ist.258 Nicht jeder Behandlungsfehler begründet damit zugleich auch eine Strafbarkeit.

252  Grundlegend RGSt 25, 375, 382. Die Einwilligung setzt insbesondere die ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten voraus, § 630e BGB. Unterläuft dem Arzt ein Behandlungsfehler, der einen korrigierenden Folgeeingriff erforderlich macht, und verschweigt er dem Patienten die wahre Indikation des Folgeeingriffs, so handelt es sich demnach beim Folgeeingriff um eine vorsätzliche Körperverletzung gem. § 223 StGB; vgl. dazu etwa BGH RDG 2004, 50, 51. 253  Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 574 und Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 711. 254  BGH NStZ 2004, 35, 36. Siehe auch BayObLG NStZ-RR 2004, 45, 45: „Zu Recht weist die Verteidigung darauf hin, dass ein behandelnder Arzt normalerweise den Patienten nicht an seiner Gesundheit schädigen, sondern ihm helfen will, und dass dennoch erfolgte Zufügung vermeidbarer Schmerzen dann in aller Regel auf mangelnder Erfahrung, mangelndem Wissen oder mangelnder Prüfung, nicht aber auf einer wissentlichen und willkürlichen Zufügung gesundheitlicher Nachteile beruhen.“ 255  BGH NStZ 2004, 35, 36; vgl. auch Ulsenheimer, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 139, Rn. 11. 256  Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 130; die Übernahme der Behandlung begründet insofern die für die Unterlassenstäterschaft erforderliche Garantenstellung, Rn. 138. 257  Sternberg-Lieben / Schuster, in: Schönke / Schröder, § 15, Rn. 190, 194. 258  Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 110; vgl. auch Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 706.



A. Der Selbstbelastungsgegenstand179

2. Rechtsfolge Auf Rechtsfolgenseite wird im Falle der fahrlässigen Körperverletzung bei einem Behandlungsfehler regelmäßig auf Geldstrafe erkannt. Dies gilt grundsätzlich auch bei fahrlässiger Tötung. Handelt es sich um einen groben Fehler oder gar leichtsinniges Verhalten des Arztes, so kann auch eine Freiheitsstrafe in Betracht kommen.259 Bei der Strafzumessung ist miteinzubeziehen, dass es sich um eine schadensgeneigte Tätigkeit mit besonderer Risikoaffinität handelt; allein aus der schweren Folge darf somit nicht auf eine besonders hohe Strafe geschlossen werden.260 Daneben kann das Gericht auch ein Berufsverbot gem. § 70 StGB als Maßregel der Besserung und Sicherung verhängen. Es kann für die Dauer von ein bis fünf Jahren gem. § 70 Abs. 1 S. 1 StGB oder in Extremfällen zeitlich unbegrenzt gem. § 70 Abs. 1 S. 2 StGB angeordnet werden.261 In dieser Zeit darf der Behandelnde seinen Beruf nicht ausüben. Er darf auch nicht für einen anderen tätig werden und keine weisungsabhängige Person für sich den Beruf ausüben lassen, § 70 Abs. 3 StGB. Demnach darf ein Vertragsarzt seine Praxis nicht durch einen Assistenten, wohl aber durch einen weisungsunabhängigen Praxisvertreter führen lassen.262 Genügt es dem Sicherungszweck, nur bestimmte Tätigkeiten zu verbieten, so kann das Gericht das Berufsverbot auch auf bestimmte Berufsteile beschränken.263 Inhaltlich setzt das Berufsverbot voraus, dass der Behandelnde unter Missbrauch seines Berufs oder grober Pflichtverletzung die Tat begangen hat und die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten der bezeichneten Art besteht. Ein grober Pflichtverstoß ist anzunehmen, wenn die Pflicht in besonders schwerem Maße verletzt wird oder der Verstoß sich gegen eine besonders wichtige Pflicht richtet.264 Hierbei genügt auch Fahr259  Vgl. insgesamt die Einschätzung von Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn.  1362 f., m. w. N. 260  Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1369. 261  So hatte das LG Essen in seinem Urteil vom 30.07.2003, Az. KLs 8 / 02  – 66 Js 92 / 02, zitiert nach Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1371 ein zeitlich unbeschränktes Berufsverbot verhängt. Der Angeklagte hatte „in eklatanter Weise gegen Grundregeln der ärztlichen Kunst verstoßen“ und die Patientinnen in die Gefahr einer schweren Körperverletzung oder des Todes gebracht. Da sich der Angeklagte bereits in einem früheren Verfahren wegen unzureichender Behandlung für den Tod einer Patientin zu verantworten hatte, konnte der Gefahr nach Auffassung der Kammer nur durch ein totales Berufsverbot wirksam begegnet werden. 262  Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1370. 263  Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 70, Rn. 20. 264  Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 70, Rn. 11.

180 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

lässigkeit.265 Zudem muss eine Wiederholungsgefahr im Sinne einer ernsthaften Wahrscheinlichkeitsprognose bestehen.266 Im Zusammenhang mit Behandlungsfehlern kommt ein Berufsverbot insbesondere bei wiederholten Sorgfaltspflichtverstößen in Betracht.267 Mit Blick auf seinen existenziell einschneidenden Charakter unterliegt das Berufsverbot aber insgesamt strengen Anforderungen und wird äußerst selten verhängt.268 Ein Beispiel im Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler kann dem Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 29.01.2014 entnommen werden. Hier lag ein Sachverhalt zu Grunde, bei dem das Landgericht zuvor eine Freiheitsstrafe verhängt und ein beschränktes Berufsverbot angeordnet hatte: Dem Verurteilten wurden gravierende Hygienemängel zu Last gelegt, infolge derer mehrere Patienten Infektionen mit teils massiven Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten. Mitunter wurde der Fußboden nach den einzelnen Opera­ tionen nicht gewischt, es bestanden erhebliche Kontaminierungen mit Schmutz und Blut des Operationsbestecks und übrigen Utensilien; die Aufbereitung der OP-Wäsche erfolgte nicht ordnungsgemäß und der Operationsraum wurde lediglich durch ein Fenster belüftet, welches mit Fliegenschutzgitter ausgerüstet war. Das LG hatte daher ein auf die Ausübung von Operationen beschränktes Berufsverbot angeordnet.269

II. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Konsequenzen Dem Behandelnden obliegen zudem aus diversen Vorschriften spezifische Verhaltenspflichten, deren schuldhafte Verletzung mit Geldbuße geahndet wird. So sehen unter anderem § 20 TPG, § 26 GenDG, § 25 HebG, § 13 SchKG Bußgeldvorschriften für den Behandelnden vor. Auch im Kontext eines Behandlungsfehlers können sich für den Behandelnden ordnungswidrigkeitenrechtliche Konsequenzen ergeben, wenn er zusätzlich zum Fehler gegen eine entsprechende Ordnungsvorschrift verstößt. Steht ein Behandlungsfehler beispielsweise in Zusammenhang mit Organisationsversäumnissen im Krankenhaus, so kann eine Ordnungswidrigkeit mitunter aus § 22 Abs. 1 ArbZG bei Nichtgewährung der erforderlichen Ruhepausen gem. § 4 ArbZG oder Unterschreitung der Mindestruhezeit gem. § 5 ArbZG folgen.270 265  Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 70, Rn. 11; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1370. 266  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1370. 267  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1370. 268  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1371. 269  OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 29.01.2014  – 1 Ws 100 / 13, BeckRS 2014, 04640. 270  Vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen Krankenversorgung und Arbeitnehmerschutz vor dem Hintergrund des Arbeitszeitgesetzes: Stöhr / Büchner / Gümmer,



A. Der Selbstbelastungsgegenstand181

III. Berufsrechtliche Konsequenzen Der Arzt unterliegt zudem der berufsrechtlichen Kontrolle. Im folgenden Abschnitt werden die möglichen berufsrechtlichen Konsequenzen vorgestellt und insbesondere ihr Bezug zu einem Behandlungsfehler ausgearbeitet. 1. Verfahren vor dem Berufsgericht Die Einhaltung der ärztlichen Berufspflichten wird zunächst durch eine gesonderte Berufsgerichtsbarkeit überwacht.271 a) Das berufsgerichtliche Verfahren Das Verfahren ist auf Landesebene durch die Heilberufs- beziehungsweise Kammergesetze näher ausgestaltet und im Wesentlichen der Strafprozessordnung nachgebildet; es können landesrechtliche Abweichungen bestehen.272 Es wird auf Antrag der Landesärztekammer eingeleitet.273 Ist in selbiger Angelegenheit bereits ein Strafverfahren anhängig, stellt die Kammer den Antrag bis zum Verfahrensabschluss zurück.274 Werden im Laufe des berufsgerichtlichen Verfahrens parallel strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen, so setzt das Verfahren aus.275 Verfahrensgegenstand ist die Verletzung ärztlicher Berufspflichten, die eine berufsunwürdige Handlung darstellt und Auswirkungen auf das Ansehen des Berufsstandes haben kann.276 Nicht erforderlich ist, dass die Handlung die Intensität eines NZA-RR 2015, 281 ff. Demnach sind Kosten- und Leistungsdruck ausschlaggebend für überlange Arbeitszeiten im Krankenhausbetrieb. Den Arzt trifft insoweit ein Übernahme-, den Krankenhausträger ein Organisationsverschulden. 271  Die Berufsgerichte sind gem. Art. 101 Abs. 2 GG „Gerichte für besondere Sachgebiete“ und Teil der staatlichen Gerichtsbarkeit. 272  Vgl. zum berufsgerichtlichen Verfahren grundlegend Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1375 ff.; Quaas, in: ders. / Zuck /  Clemens, Medizinrecht, § 13, Rn. 83 ff.; Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 14, Rn. 15 ff. 273  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1375. Vgl. aber Art. 77 Abs. 1 BayHKaG: „Das berufsgerichtliche Verfahren wird eingeleitet auf Antrag 1. des zuständigen Bezirksverbands oder, sofern selbstständige Untergliederungen nicht bestehen, der zuständigen Landeskammer, 2. der Regierung, 3. eines Mitgliedes der Berufsvertretung gegen sich selbst.“ 274  Vgl. Art. 39 Abs. 3 S. 1 BayHKaG. 275  Vgl. Art. 86 Abs. 1 S. 1 BayHKaG. 276  Vgl. auch § 55 Abs. 2 HBKG-BW: „Berufsunwürdig sind Handlungen, welche gegen die Pflichten verstoßen, die einem Mitglied der einzelnen Kammer zur Wahrung des Ansehens seines Berufes obliegen.“

182 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

Straftatbestandes erreicht, obgleich dies regelmäßig der Fall ist.277 Auf subjektiver Seite ist für das Berufsvergehen Vorsatz oder Fahrlässigkeit erforderlich.278 Liegt eine entsprechender Verstoß vor, so kann das Berufsgericht als Disziplinarmaßnahme – ungeachtet landesrechtlicher Unterschiede – grundsätzlich eine Warnung, einen Verweis, eine Geldbuße zwischen 2.500 € und 50.000 €, die Aberkennung von Mitgliedschaftsrechten sowie die Feststellung der Berufsunwürdigkeit anordnen.279 Eine kumulative Anordnung ist möglich.280 Der Arzt kann somit für dieselbe Handlung sowohl einer berufsgerichtlichen Disziplinarmaßnahme als auch einer strafrechtlichen Sanktion ausgesetzt sein. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung gem. § 103 Abs. 3 GG liegt hierin nicht, da Kriminal- und Disziplinarrecht nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung wesensverschieden sind.281 Die Disziplinarmaßnahme ist kein Minus zur Kriminalstrafe, sondern ein echtes aliud.282 Aus berufsrechtlicher Sicht ist es jedoch erforderlich, dass das Strafurteil als nicht ausreichend erscheint um den Arzt zur Erfüllung seiner Pflichten und zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes anzuhalten.283 Den Berufsgerichten obliegt damit nur die Ahndung eines nicht ausreichend gesühnten berufsrechtlichen Überhangs.284 277  Ulsenheimer,

in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1377. für Heilberufe bei dem OVG NRW, MedR 2012, 69, 74; ­Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1376. 279  Vgl. Art. 67 Abs. 1 BayHKaG. Die Feststellung der Berufsunwürdigkeit ist hingegen in Bayern nicht vorgesehen; sie ist nur vereinzelt in den landesrechtlichen Regelungen enthalten, etwa in § 60 Abs. I lit. e) HeilBerG-NRW. 280  Vgl. Art. 67 Abs. 2 BayHKaG. 281  So grundlegend für das Verhältnis zwischen ärztlicher Berufsgerichtsbarkeit und Strafverfahren BVerfG NJW 1970, 507, 509; ausführlicher Vergleich von Disziplinar- und Kriminalstrafe auch bei: Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994, S. 17 ff.; siehe auch: Steinhilper, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 818 ff.; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1377. 282  Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994, S. 25 ff. 283  So lautet etwa Art. 67 Abs. 3 BayHKaG: „Hat ein Gericht oder eine Behörde wegen desselben Verhaltens bereits eine Strafe, Bußgeld, Disziplinarmaßnahme oder ein Ordnungsmittel verhängt, so ist von einer Maßnahme nach Absatz 1 Nrn. 1 und 2 abzusehen, es sei denn, dass diese Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um das Mitglied zur Erfüllung seiner Berufspflichten anzuhalten und das Ansehen des Berufsstandes zu wahren.“ 284  Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme nach strafgerichtlicher Verurteilung ungeachtet eines Überhangs legt einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip nahe, BVerfG NJW 1970, 507, 509; siehe auch Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994, S. 33. 278  LandesberufsG



A. Der Selbstbelastungsgegenstand183

b) Das berufsgerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler Im Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler kommt ein berufsgerichtliches Verfahren nur bei groben Fehlern in Betracht; ein einzelner fahrlässiger Verstoß reicht für die Annahme einer berufsunwürdigen Handlung nicht.285 Der grobe Behandlungsfehler betrifft den Kernbereich der ärztlichen Pflichten des Heilens und Helfens und ist damit geeignet, das Ansehen der Ärzteschaft in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und das Vertrauen in den Berufsstand zu beeinträchtigen.286 Dementsprechend wird bei krassem Fehlverhalten, Leichtsinn und folgenschweren Auswirkungen für den Patienten ein Berufsvergehen regelmäßig bejaht.287 Beispielsweise hatte in der Entscheidung des Berliner Berufsgerichts vom 25.06.2014 ein Zahnarzt versehentlich den falschen Zahn gezogen und dies zudem wahrheitswidrig in den Unterlagen dokumentiert. Das Gericht bejahte das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers. Mit Rücksicht auf die Tatsachen, dass der Vorfall inzwischen mehrere Jahre zurück lag, der betroffene Zahnarzt seinen Beruf nicht mehr ausübte und bisher kein Grund zu berufsgerichtlichen Beanstandung bot, sah das Gericht nur ein geringes Pflichtmahnungsbedürfnis und sprach lediglich einen Verweis gem. § 17 Abs. 1 Nr. 2 KammerG aus.288 Auch in der fehlenden Einsichtsfähigkeit des Arztes kann ein Berufsvergehen liegen.289 Das OVG Münster hatte beispielsweise über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Arzt im Rahmen des Notdienstes einem zehnjährigen Kind dreifach überhöht Paspertin verabreichte und zudem keine erforderliche Überwachung durchführte. Das OVG verhängte hier eine Geldbuße in Höhe von 5500 €. Neben der Tatsache, dass der Arzt bereits zuvor berufsrechtlich belangt worden war und sich die Verurteilung nicht habe zur Warnung dienen lassen, sah es das Gericht als ausschlaggebend an, dass dem Arzt jegliche Einsichtsfähigkeit fehlte.290

285  Vgl. Berufsgericht für Heilberufe Berlin, Urteil vom 25.06.2014 – 90 K 2.12 T, juris, Rn. 19; siehe auch: VG Münster, Beschluss vom 27.04.2011 – 14 K 791 / 10.T, Rn. 23, juris; VG Berlin, Urteil vom 23.05.2012 – 90 K 1.10 T, Rn. 28, juris. 286  So VG Münster, Beschluss vom 27.04.2011  – 14 K 791 / 10.T, Rn. 35, juris. 287  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1378; vgl. auch Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994, S. 74 f. 288  Berufsgericht für Heilberufe Berlin, Urteil vom 25.06.2014 – 90 K 2.12 T, juris, Rn. 19, Rn. 24 f. 289  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1378. 290  OVG Münster, Urteil vom 23.09.2009 – 6t A 2159 / 08, BeckRS 2009, 40477.

184 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

2. Rüge und Missbilligung durch die Landesärztekammer Anstelle der Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens kann die Kammer eine Rüge oder eine Missbilligung aussprechen, wenn den Arzt nur eine geringe Schuld trifft oder das Vergehen gering ist.291 Im Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler lag beispielsweise dem 1. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe Münster im Jahr 2014 eine Rüge zur Überprüfung vor.292 Hier hatte ein Arzt im Rahmen eines Notarzteinsatzes dem Patient Arzneimittel unmittelbar in die Fußgelenke eingespritzt, ohne dabei eine ordnungsgemäße Desinfektion sicherzustellen und unter mehrfacher Verwendung derselben Injektionsnadel. Dieses Vorgehen entsprach nicht den Regeln der ärztlichen Kunst und machte eine berufsrechtliche Ahndung erforderlich, da der Tatvorwurf nur zum Teil strafrechtlich gewürdigt wurde und mithin ein berufsrechtlicher Überhang bestand. Die Ärztekammer sprach gegen den Arzt eine Rüge aus und verhängte zugleich ein Ordnungsgeld in Höhe von 2500 €. Es läge lediglich eine geringe Schuld vor, so dass ein berufsgerichtliches Verfahren nicht erforderlich gewesen sei. 3. Widerruf bzw. Ruhen der Approbation Die Approbation gewährt das unbeschränkte Recht zur Ausübung des Arztberufs.293 Sie ist gem. § 5 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BÄO mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, wenn sich der Arzt eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur ärztlichen Berufsausübung ergibt.294 Der Approbationsverlust hat zur Folge, dass jegliche ärztliche Tätigkeit verwehrt wird. Dies führt zwangsläufig auch zum Entzug der vertragsärztlichen Zulassung.295 Der Widerruf der Approbation stellt damit einen besonders schweren Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG dar und ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig; er ist insbesondere nicht mit generalpräventiven Erwägungen wie die Abschreckung anderer 291  Vgl.

etwa Art. 38 Abs. 1 S. 1 BayHKaG. für Heilberufe Münster, Beschluss vom 13.10.2014 – 6t E 470 / 12.T, juris. 293  Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 8, Rn. 2; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1379. 294  Vgl. zur Abgrenzung der Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit Braun, GesR 2014, 73, 73. 295  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1379; vgl. KettStraub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873. Für die Zulassung ist insofern der Eintrag im Arztregister erforderlich, § 95 Abs. II S. 1 SGB V. 292  Landesberufsgericht



A. Der Selbstbelastungsgegenstand185

Ärzte begründbar.296 Wird gegen den Arzt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, so kann auch bereits vor Schuldspruch das vorläufige Ruhen der Approbation gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO angeordnet werden. Die Anordnung von Widerruf beziehungsweise Approbationsruhen erfolgt gem. § 12 Abs. 4 S. 1 BÄO durch die zuständige Behörde des Landes, in welchem der ärztliche Beruf ausgeübt wird oder zuletzt ausgeübt wurde. Inhaltlich knüpfen Widerruf wie auch Ruhen der Approbation an das Kriterium der Unzuverlässigkeit beziehungsweise der Unwürdigkeit an: a) Unwürdigkeit Unwürdig ist der Arzt, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das zur Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen besitzt.297 Maßgeblich ist sein berufliches Gesamtverhalten; ihm muss es an Integrität und Glaubwürdigkeit fehlen.298 Mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG ist dabei zu beachten, dass nur der Verlust des unabdingbar nötigen Vertrauens der Bevölkerung den Entzug der Approbation rechtfertigen kann.299 Dies ist etwa der Fall, wenn sich der Behandelnde einer Vielzahl an strafrechtlichen Verfehlungen schuldig gemacht hat und daraus auf einen Hang zur Missachtung der Rechtsordnung geschlossen werden kann.300 Auch eine Verurteilung zur Freiheitsstrafe wird regelmäßig die Unwürdigkeit des Arztes begründen; sofern es sich um ein Verbrechen handelt, ist der Widerruf stets gerechtfertigt.301 296  So BVerwG NJW 2011, 1830, 1831; vgl. auch Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1379; Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 397 f. 297  BVerwG NJW 1993, 806, 806; BVerwG NJW 1999, 3425, 3426; VGH Kassel NJW 1986, 2390, 2391. 298  VGH Kassel NJW 1986, 2390, 2391; Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 8, Rn. 6 f., Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 397. 299  Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 397; vgl. auch BVerwG NJW 1967, 314, 314: „Die Zurücknahme der Bestallung ist die letzte und äußerste Maßnahme, die gegen einen Zahnarzt überhaupt verhängt werden kann.“ 300  So etwa in VGH Mannheim NJW 1995, 804, 804: „Wer wie der Kl. zur Durchsetzung seiner Interessen die Strafrechtsordnung derart notorisch mißachtet, verspielt damit auch das für die zuverlässige ärztliche Versorgung der Bevölkerung notwendige Vertrauen in eine nur am Wohl der Patienten orientierte ärztliche Berufsausübung.“ Hier hatte der Arzt über Jahre hinweg insgesamt zehn vorsätzliche und rechtskräftig abgeurteilte Straftaten in Form von u. a. Betrug, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, Beleidigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis begangen. Siehe auch VGH Mannheim NVwZ-RR 1995, 203, 203 ff. 301  VGH Kassel NJW 1986, 2390, 2391; vgl. auch: BVerwG NJW 1963, 875, 876 und BVerwG NJW 1967, 314, 314, die im Einzelfall Ausnahmen von diesem Grundsatz zulassen.

186 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

Im Zusammenhang mit Behandlungsfehlern gilt: Das Vertrauen des Patienten in die ärztliche Heilkunst wird primär auf die Fähigkeit des Arztes, die Gesundheit des Patienten zu erhalten und wiederherzustellen, gestützt.302 Verletzt der Behandelnde nun vorsätzlich die körperliche Integrität und hat die Schädigung mehr als nur unerhebliches Ausmaß, so liegt ein tiefgreifender Vertrauensverlust nahe; der Entzug der Approbation ist regelmäßig gerechtfertigt.303 Dazu folgendes Beispiel: Der VGH Mannheim hatte in seinem Beschluss vom 29.09.2009 über die Rechtmäßigkeit eines Approbationswiderrufs zu entscheiden.304 In dem zu Grunde liegenden Fall hatte ein Arzt in 46 Fällen vorsätzliche Körperverletzungen dadurch begangen, dass er zum Zwecke der Abrechnung Impfungen durchführte, die entweder medizinisch nicht indiziert waren, über die er nicht sachgerecht aufgeklärt hatte oder die er vornahm, indem er seine Patienten über sein tatsächliches Tun im Unklaren ließ. Der VGH führte aus, dass Unwürdigkeit schon bei einer vorsätzlichen, schweren Straftat des Arztes gegen eine Person anzunehmen ist, wenn es sich um eine besonders missbilligte, ehrenrührige Tat handelt, sie den Unwert einer Durchschnittstat übersteigt und sie zu einer tiefgreifenden Abwertung der Persönlichkeit führt. Hier hatte der Arzt nicht nur eine, sondern gleich mehrere solcher Taten verübt. Die Approbation wurde entzogen.305 Anders fällt die Bewertung indes aus, wenn es sich um einen vereinzelnden, fahrlässigen Behandlungsfehler handelt. Das Vertrauen der Bevölkerung geht nicht soweit, dass es an die Fehlerfreiheit der Ärzteschaft insgesamt glaubt.306 Dies verdeutlicht folgende Entscheidung: Das VG Leipzig hatte im einstweiligen Rechtschutz über die Anordnungsvoraussetzungen des Approbationsruhens zu befinden. Gegen den Antragsteller war ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet worden. Als angestellter Gynäkologe eines Krankenhauses wurde ihm aufgrund fehlerhafter Behandlung der Tod einer Patientin zu Last gelegt, woraufhin die Approbationsbehörde das Ruhen der Approbation im Wege des Sofortvollzugs anordnete. Das VG Leipzig stellte in seiner Entscheidung fest, dass ein einmaliger Verstoß gegen Regeln der ärztlichen Kunst für die Annahme einer Unwürdigkeit noch nicht genügt:

302  Stober,

NJW 1981, 617, 618; Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 398. die Einschätzung bei Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 398. 304  VGH Mannheim NJW 2010, 692, 692 ff. 305  VGH Mannheim NJW 2010, 692, 693 f.; vgl. ähnlich auch OVG Münster NJW 2007, 3300, 3300 zur Vornahme nichtindizierter Dialysemaßnahmen. 306  Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 26; Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 398 f. 303  So



A. Der Selbstbelastungsgegenstand187

„Liegt dem vorgeworfenen Behandlungsfehler ein Einzelfall zugrunde und gehen von der derzeitigen ärztlichen Tätigkeit keine Gefahren für verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter unbeteiligter Dritter aus, so ist die Anordnung des Ruhens der Approbation nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig.“307 Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hatte Erfolg. b) Unzuverlässigkeit Als unzuverlässig gilt der Arzt, wenn er nicht die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft seine beruflichen Pflichten zuverlässig erfüllen wird.308 Der Beurteilung liegt demnach – im Gegensatz zum Kriterium der Unwürdigkeit – ein prognostisches Element zu Grunde; es erfolgt hier eine Einschätzung über das zukünftige Verhalten ausgehend von einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit.309 So ist beispielsweise BVerwG DVBl. 1998, 528 von der Unzuverlässigkeit eines Arztes ausgegangen, der sowohl seine Abrechnungspflichten gegenüber der Krankenkasse verletzte, als auch nicht delegationsfähige Aufgaben an Hilfspersonal übertrug. Das BVerwG sah hierin Charaktermängel offenbart, welche die Unzuverlässigkeit des Arztes begründen, zumal ein verantwortungsloser Einsatz von Hilfspersonal Pa­ tienten gefährdet und Falschabrechnungen der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems schaden.310 Sofern ein Arzt seine Patienten beständig oder nachhaltig durch fahrlässige Behandlungsfehler schädigt, wird er regelmäßig nicht mehr die Gewähr für eine pflichtgemäße Berufsausübung bieten können; im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist hier ein Approbationswiderruf möglich.311 Im Zusammenhang mit einem einzelnen Fahrlässigkeitsfehler ist erneut die Entscheidung des VG Leipzig heranzuziehen.312 Das Gericht verneinte hier auch eine Unzuverlässigkeit infolge fahrlässiger Tötung der Patientin. So argumentierte die Kammer, dass nicht schon allein von der gravierenden 307  VG

Leipzig MedR 2000, 336, 336 (Leitsatz). NJW 1991, 1557, 1557; BVerwG NJW 1993, 806, 806; BVerwG DVBl. 1998, 528, 529; VG Leipzig MedR 2000, 336, 338. 309  BVerwG NJW 1991, 1557, 1557; BVerwG NJW 1993, 806, 806; Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 8, Rn. 9 f.; Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 396 f.; Stollmann, MedR 2010, 682, 685. BVerwG DVBl. 1998, 528, 529 spricht hier von einem „durch die Art, Schwere und Zahl der Verstöße gegen die Berufspflichten manifest gewordenen Charakters“. 310  BVerwG DVBl. 1998, 528, 529. 311  So die Einschätzung bei Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 399. 312  Vgl. schon oben Fn. 307. 308  BVerwG

188 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

Tatfolge auf eine Unzuverlässigkeit geschlossen werden dürfe. Vielmehr müssten neben dem Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst „weitere – etwa aus einem grob fahrlässigen Verhalten des Arztes abgeleitete – Defizite in der Person des Arztes hinzukommen“313. Im Fall lägen aber keine Anhaltspunkte für eine entsprechend sorglose beziehungsweise gewissenslose Grundeinstellung vor. c) Verhältnis des Approbationsentzugs zum strafgerichtlichen Berufsverbot Der Entzug der Approbation ähnelt in seiner Wirkung dem strafrechtlichen Berufsverbot gem. § 70 StGB, wenngleich er über dieses mangels zeitlicher Beschränkung hinausgeht.314 Ist aus strafrechtlicher Sicht kein Berufsverbot verhängt worden, so ist die Verwaltungsbehörde trotzdem befugt, den Widerruf anordnen.315 Während das Berufsverbot zum Schutz vor weiteren Gefährdungen verhängt wird, bezweckt der Approbationswiderruf auch die Aufrechterhaltung des Ansehens des Berufsstandes.316 Die divergierenden Regelungsgehalte führen dazu, dass im Straf- und Verwaltungsverfahren eine Wertung nach unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgt. So stellte etwa BVerwG DVBl. 1998, 528 fest: „Unausgesprochen geht das OVG davon aus, der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Widerspruchsbescheids stehe die Tatsache nicht entgegen, daß das LG Koblenz […] von der Anordnung eines Berufsverbots nach § 70 StGB abgesehen hat […]. Jedenfalls auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen ist auch das richtig. Während nämlich das LG das Verhalten des Kl. ausschließlich unter Betrugsgesichtspunkten gewürdigt hat, ist die Annahme der Unzuverlässigkeit überdies darauf gestützt, daß der Kl. nicht delegierbare Behandlungsmaßnahmen auf sein Hilfspersonal übertragen […] hat. Das LG hat mithin die für den Widerruf der Approbation relevanten berufsrechtlichen Gesichtspunkte nicht ausgeschöpft.“

Anders ist die Sachlage indes zu bewerten, wenn ein Berufsverbot gem. § 70 StGB verhängt wurde und das Strafgericht in seine Würdigung bereits berufsrechtliche Aspekte miteingestellt hat: Dem mit dem Approbationsentzug verfolgten Zweck, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Heilberufe zu sichern, wurde in diesem Fall bereits durch das Berufsverbot hinreichend 313  VG

Leipzig, MedR 2000, 336, 339. über die Variante des § 70 Abs. I S. 1 StGB. Zum Berufsverbot vgl.

314  Jedenfalls

S.  179 f. 315  BVerwG NJW 1963, 875, 876; VGH Mannheim NJW 2010, 692, 695; Schlund, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 8, Rn. 38; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, § 70, Rn. 4; Braun, GesR 2014, 73, 75; Stollmann, MedR 2010, 682, 685. 316  BGH NJW 1975, 2249, 2249.



A. Der Selbstbelastungsgegenstand189

Rechnung getragen. Hier kann die Verwaltungsbehörde einen zusätzlichen Approbationsentzug nur für den Fall aussprechen, dass nicht alle standesrechtlichen Aspekte gewürdigt wurden und somit ein disziplinar- beziehungsweise berufsrechtlicher Überhang besteht.317 4. Disziplinarmaßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung Handelt es sich bei dem Behandelnden um einen Vertragsarzt318, so kann ihm auch ein Disziplinarverfahren seitens der Kassenärztlichen Vereinigung drohen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind gem. § 77 Abs. 5 SGB V Körperschaften des Öffentlichen Rechts. Sie stellen die vertragsärztliche Versorgung sicher und gewährleisten den Krankenkassen sowie ihren Verbänden gegenüber, dass die Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht, § 75 Abs. 1 SGB V. a) Das vetragsärztliche Disziplinarverfahren Zu diesem Zweck kommt den Vereinigungen gem. § 75 Abs. 2 S. 2 SGB V eine Überwachungs- und Disziplinarbefugnis gegenüber ihren Mitgliedern zu. Die Vertragsärzte sollen so zur Erfüllung ihrer spezifischen vertragsärztlichen Pflichten angehalten werden.319 Dem Disziplinarverfahren liegt mithin ein Präventionsgedanke zu Grunde; es soll gerade für die Zukunft die ordnungsgemäße Pflichterfüllung sichergestellt werden.320 Die näheren Voraussetzungen und das Verfahren haben die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen per Satzung festzulegen, § 81 Abs. 5 S. 1 SGB V, oftmals wird eine eigene Disziplinarordnung erlassen.321 Zuständig für das Disziplinarverfahren ist grundsätzlich der Vorstand der jeweiligen Vereinigung, wobei die Befugnis regelmäßig auf Ausschüsse 317  Grundlegend BVerwG NJW 1963, 875, 876  f.; vgl. auch Schlund, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 8, Rn. 38; Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 5 BÄO, Rn. 54 f.; Braun, GesR 2014, 73, 75; Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994, 99; kritisch dazu Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, § 70, Rn. 4. 318  Zum Begriff des Vertragsarztes vgl. Wigge, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 2, Rn. 1 ff. 319  Clemens, in: Quaas / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 24, Rn. 10. 320  Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 13; so lautet etwa § 7 Abs. 1 KVWL-DisziplinarO: „Mit einer Maßregelung soll der Arzt / Psychologische Psychotherapeut künftig zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner vertragsärztlichen Pflichten angehalten werden.“ 321  Vgl. etwa § 4 Nr. 9 S. 4 KVNordrhein-Satzung; § 2 Abs. 13 S. 3 KVWLSatzung.

190 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

übertragen wird.322 Die Antragsbefugnis zur Verfahrenseinleitung liegt beim Vorstand323; vereinzelte Satzungen sehen ferner die Antragsbefugnis jedes Kassenmitglieds324 vor oder beinhalten die Möglichkeit einer Selbstanzeige325. Die Krankenkasse oder der Patient selbst können hingegen keinen Antrag stellen.326 Nicht selten regt letzterer aber mittels Beschwerde bei der Vereinigung einen entsprechenden Antrag an.327 Inhaltlich knüpft das Disziplinarverfahren an eine vertragsärztliche Pflichtverletzung an, vgl. § 81 Abs. 5 SGB V. Es muss sich um die Verletzung von Ge- und Verboten handeln, die sich auf den spezifischen Aufgaben- und Pflichtenkreis eines Vertragsarztes beziehen und damit der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung dienen.328 Insofern kommen beispielsweise Verstöße gegen die Pflicht zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst oder Fortbildungspflichten in Betracht.329 Die Verletzung einer sonstigen allgemeinen Arztpflicht reicht nicht aus.330 Dem Pflichtenbegriff wird indes eine weite Auslegung zu Grunde gelegt, so dass auch Gesetzesverstöße gegen Berufsrecht oder Strafrecht ausreichen, wenn sie in Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit begangen werden.331 Aus subjektiver Sicht ist Vorsatz oder Fahrlässigkeit erforderlich.332 Je nach Schwere der Verfehlung können folgende Disziplinarmaßnahmen verhängt werden: Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis 322  So beispielsweise gem. § 18 Abs. 2 KVBay-Satzung; § 3 KVWL-DisziplinarO; §  2 KVNordrhein-DisziplinarO; vgl. auch Clemens, in: Quaas / Zuck / Clemens, ­Medizinrecht, § 24, Rn. 5; Schroeder-Printzen, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 18, Rn. 3. 323  Vgl. § 1 KVNordrhein-DisziplinarO; § 2 Abs. 1 lit. a) KVWL-DisziplinarO. 324  Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 24. 325  Z. B. § 5 Nr. 2 KVBW-DisziplinarO; § 2 Abs. 1 lit. b) KVWL-DisziplinarO; § 4 Abs. 1 lit. a) KVNordrhein-DisziplinarO. 326  Dazu Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 27 ff. 327  Steinhilper, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 838. Beschwert sich der Patient bei der Krankenkasse, so regt diese regelmäßig die Antragstellung zum Disziplinarverfahren bei der Vereinigung an, Rn. 840 f. 328  Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994, S. 84; so legt beispielsweise § 1 KVNordrhein-DisziplinarO fest: „Verstößt ein Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein gegen die ihm durch Gesetz, Satzung oder Vertrag auferlegten vertragsärztlichen Pflichten oder gegen in Ausführung hierzu von den Organen der KV Nordrhein gefasste Beschlüsse, so kann der Vorstand […] die Eröffnung eines Verfahrens gem. § 81 Abs. 5 SGB V beantragen.“ 329  Vgl. den Katalog der wichtigsten vertragsärztlichen Pflichten bei Clemens, in: Quaas / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 24, Rn. 12 ff. 330  Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 73. 331  BSG Beschluss vom 25.09.1997  – 6 BKa 54 / 96, juris, Rn. 5; vgl. auch Clemens, in: Quaas / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 24, Rn. 11; Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 77; kritisch Schroeder-Printzen, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 18, Rn. 8.



A. Der Selbstbelastungsgegenstand191

10.000 € oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung oder der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu zwei Jahren, § 81 Abs. 5 S. 2 SGB V. Eine Kumulation ist nicht möglich.333 Die Maßnahmen können parallel zur strafrechtlichen Verurteilung bestehen, da Kriminal- und Disziplinarstrafe eine unterschiedliche Zweckrichtung verfolgen.334 b) Disziplinarverfahren als Ahndung eines Behandlungsfehlers? Ein Behandlungsfehler kann nur dann Verfahrensgegenstand sein, wenn er zugleich eine spezifisch vertragsärztliche Pflichtverletzung darstellt. aa) Der Behandlungsfehler als eigenständige Vertragspflichtverletzung Der Behandlungsfehler könnte zunächst als eigenständige Vertragspflichtverletzung Gegenstand des Disziplinarverfahrens sein. Gem. § 16 S. 1 BMV-Ä ist die vertragsärztliche Leistung nach den Regeln der ärzt­ lichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse zu erbringen. Unterläuft dem Arzt nunmehr ein Behandlungsfehler, so verstößt er gegen seine vertragsspezifische Pflicht aus § 16 S. 1 BMV-Ä.335 Darüber hinaus kommt unter Berücksichtigung des weiten Pflichtenverständnisses des BSG unabhängig davon ein Pflichtverstoß in Betracht, wenn der Behandlungsfehler eine Strafbarkeit oder ein Verstoß gegen Berufsrecht begründet.336 Denn nach Rechtsprechung des BSG stellt die Gesetzesverletzung von Bestimmungen des Strafoder Berufsrechts eine Vertragspflichtverletzung dar.337 In beiden Varianten liegt eine eigenständige vertragsärztliche Pflichtverletzung vor. Ob diese Pflichtverletzung auch geeignet ist ein vertragsärztliches Disziplinarverfahren auszulösen, wird indes überwiegend kritisch gesehen. 332  Markwardt, Vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung des BGH und der Berufsgerichte, 1994, S. 84; siehe auch Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 219. 333  BSG MedR 2001, 49, 51: „Der Gesetzgeber hat in § 81 Abs. 5 S. 2 SGB V erkennbar eine Stufenfolge von disziplinarrechtlichen Sanktionen normiert […].“; siehe auch Clemens, in: Quaas / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 24, Rn. 32. 334  Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 13; Clemens, in: Quaas / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 24, Rn. 32. Zum divergierenden Zweck vgl. bereits S. 182. 335  Vgl. Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, 1. Auflage, Rn. 62. 336  Vgl. Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 216; Clemens, in: Quaas / Zuck / Clemens, Medizinrecht, § 24, Rn. 24. 337  BSG, Beschluss vom 25.09.1997  – 6 BKa 54 / 96, Rn. 5, juris, vgl. auch S. 190.

192 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

So wird betont, dass es sich hier lediglich um die Wiederholung einer berufs- beziehungsweise zivilrechtlichen Pflicht handelt. Angesichts der teilweisen Überschneidung des Pflichtenspektrums sei für eine vertragsärztliche Disziplinarmaßnahme nur Raum, wenn ein spezifisch vertragsärztlicher Regelungsüberhang bestünde. Ein solcher Überhang sei aber im Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler zu verneinen, da hier nicht die Sicherstellung der Vertragsärztlichen Versorgung als originäre Aufgabe der ­Kassenärztlichen Vereinigung gefährdet und der Zweck des Disziplinarverfahrens somit nicht berührt würde.338 bb) Der Behandlungsfehler im Zusammenhang mit spezifischen Vertragspflichtverletzungen Es erscheinen folgende Konstellationen denkbar, in denen ein Behandlungsfehler in Zusammenhang mit einem zusätzlichen Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten steht und dadurch mittelbar einer disziplinarischen Ahndung unterliegt: Zunächst obliegt dem Vertragsarzt die spezifische Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung. Der korrekten Abrechnung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung kommt höchste Priorität zu, so dass schon allein fahrlässige Verstöße mit empfindlichen Disziplinarmaßnahmen geahndet werden. Der hohe Stellenwert ist der Tatsache geschuldet, dass die Abrechnung in hohem Maß auf Vertrauen basiert und sich letztendlich einer Kontrolle weitestgehend entzieht.339 Eine Falschabrechnung liegt mitunter vor, wenn der Vertragsarzt Leistungen abrechnet, die unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt wurden.340 Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass der Arzt wissentlich die fehlerhafte Behandlung gegenüber der Verei338  Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1383; Hesral, in: ­ hlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, 1. Auflage, Rn. 62 und weniger E deutlich 2. Auflage, Rn. 81 f.; vgl. auch Schroeder-Printzen, in: Schnapp-Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 18, Rn. 8 und Laufs, in: ders. / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 14, Rn. 28. Anders hingegen die Beurteilung zum Kassenärztlichen Zulassungsentzug (insofern keine Disziplinarmaßnahme), dazu unten S. 195. 339  Dazu insgesamt Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 192 ff.; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.01.2011 – L 3 KA 56 / 10, BeckRS 2011, 70497. 340  Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 194; vgl. Bay LSG, vom 05.10.2011, L 12 KA 56 / 08, Rn. 25: „Abrechnungsvoraussetzung ist nämlich neben der Erfüllung der Leistungslegende, dass die Leistung auch entsprechend den die Qualität der Leistungserbringung regelnden vertragsärztlichen Normen erbracht wurde.“; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.09.2005  – B 6 KA 14 / 04 R, Rn. 10, juris.



A. Der Selbstbelastungsgegenstand193

nigung abrechnet, obwohl diese nicht abrechnungsfähig ist. Im Vertragsarztrecht steht die Schlechtleistung der Nichtleistung gleich; sie darf nicht abgerechnet werden und begründet andernfalls einen Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung.341 Mit Blick auf die an früherer Stelle vorgenommene Typisierung von strafrechtlich relevanten Behandlungsfehlern kommt als weiterer zusätzlicher Pflichtverstoß die Missachtung der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung gem. § 15 BMV-Ä in Betracht.342 Handelt es sich um einen Behandlungsfehler in Form des Organisationsfehlers – etwa weil der Arzt die Leistung in unzulässiger Weise delegiert oder sie nicht ordnungsgemäß überwacht343 – so liegt zugleich ein vertragsärztlicher Pflichtverstoß vor, der mit einem Disziplinarverfahren geahndet werden kann. cc) Zwischenergebnis Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Begehung eines Behandlungsfehlers als eigenständigen Pflichtverletzung in aller Regel nicht zu einer vertragsärztlichen Disziplinarmaßnahme führt. In Verbindung mit einer zusätzlichen spezifischen Pflichtverletzung – wie der Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung oder der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung – ist eine disziplinarische Ahndung denkbar. 5. Entzug der Kassenzulassung durch die Kassenärztliche Vereinigung Vom Disziplinarverfahren der Kassenärztlichen Vereinigung ist das Verfahren um den Entzug der Kassenzulassung zu unterscheiden: Während dem Disziplinarverfahren einzel- und generalpräventive Erwägungen zu Grunde liegen, setzt der Statusentzug dort ein, wo ein pflichtgemäßes Verhalten wegen der Intensität des Verstoßes nicht mehr zu erwartet ist.344 341  Vgl. Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 195 und 184 f.; so bejahte das Bay. LSG in seinem Urteil vom 05.10.2011, L 12 KA 56 / 08 einen Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung, da hier nicht ordnungsgemäße Laborleistungen abgerechnet wurden. In Anbetracht der Gesamtumstände wurde die im Disziplinarverfahren angeordnete Geldbuße in Höhe von 10.000 € für rechtmäßig befunden. 342  Vgl. zur persönlichen Leistungserbringungspflicht Steinhilper, in: Ehlers, Disziplinarverfahren für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 889 und Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 137 ff. 343  Vgl. S. 146. 344  Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 566.

194 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

a) Verfahren des Zulassungsentzugs § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V knüpft den Entzug an eine gröbliche vertragsärztliche Pflichtverletzung. Die pflichtwidrige Handlung muss dazu so gravierend sein, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Vereinigung und Arzt tiefgreifend und nachhaltig gestört wurde, so dass der Arzt nicht mehr als geeignet erscheint, an der kassenärztlichen Versorgung teilzunehmen.345 Für die Beurteilung ist ein objektiver Maßstab anzuwenden; das alleinige subjektive Empfinden des Vertrauensverlustes reicht noch nicht aus.346 Ein Verschulden ist für die Zulassungsentziehung – im Gegensatz zu den Disziplinarmaßnahmen – nicht erforderlich, da hier das kassenärztliche Versorgungssystem vor ungeeigneten Ärzten geschützt werden soll.347 Im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG unterliegt der Statusentzug insgesamt aber hohen Anforderungen.348 Insbesondere ist er nur verhältnismäßig, wenn keine milderen Sanktionen in Frage kommen wie etwa das Ruhen der Zulassung als Disziplinarmaßnahme.349 Die Entscheidung über die Zulassungsentziehung obliegt den örtlichen Zulassungsausschüssen, § 96 SGB V. Liegen die Voraussetzungen für den Entzug vor, so hat der Zulassungsausschuss von Amts wegen die Entziehung anzuordnen.350 b) Zulassungsentzug bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers? Ein gröblicher Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten gem. § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V wird insbesondere bei Verletzung der Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung angenommen, da es sich um eine besonders sensible, unabdingbare Grundpflicht des Vertragsarztes handelt.351 Als Aus345  BVerfG NJW 1985, 2187, 2188; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.01.2011 – L S KA 56 / 10, BeckRS 2011, 70497; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1381; Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 584. 346  Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 584. 347  BSG vom 18.08.1972  – 6 RKa 4 / 72, Rn. 8, juris; BSG NJW 1987, 1509, 1510; Ulsenheimer, in: ders., Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 1381; Haak, in: ­Bazan / Dann / Errestink, Rechtshandbuch für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 2737. 348  BVerfG NJW 1985, 2187, 2188; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.01.2011  – L s KA 56 / 10, BeckRS 2011, 70497. 349  Vgl. BSG, Urteil vom 03.09.1987  – 6 RKa 30 / 86, Rn. 28, juris; SchroederPrintzen, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 18, Rn. 13; ­Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 585. 350  Vgl. Schiller, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 5, Rn. 23. 351  Vgl. dazu Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 588 und Rn. 192 ff. Siehe auch S. 192 f.



A. Der Selbstbelastungsgegenstand195

löser für den Zulassungsentzug kommt auch die Verletzung der persönlichen Leistungspflicht in Betracht.352 In beiden Fällen kann auch ein Behandlungsfehler relevant werden: Rechnet der Arzt für die fehlerhafte Leistung mit der Kassenärztlichen Vereinigung ab, so kann hierin ein Verstoß gegen die korrekte Leistungsabrechnungspflicht liegen.353 Delegiert der Arzt in unzulässiger Weise Leistungen oder kommt er seinen Überwachungspflichten bei zulässiger Delegation nicht nach, so stellt dies einen Behandlungsfehler und zugleich auch einen Verstoß gegen die kassenärztliche Pflicht der persönlichen Leistungserbringung dar.354 Wenn nun unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Pflichtverletzung als besonders schwerwiegend und gröblich erscheint, ist die Zulassung zu entziehen. Unabhängig von dieser zusätzlichen Pflichtverletzung kann auch der Behandlungsfehler an sich bereits den Entzug rechtfertigen. So hatte das BVerfG entschieden, dass der Zulassungsentzug eines Zahnarztes rechtmäßig sei, da seine Patienten infolge unsachgemäßer, der zahnärztlichen Kunst nicht entsprechender Behandlung Gefahren ausgesetzt wären und er mithin ungeeignet für die Teilnahme an der kassenzahnärztlichen Versorgung sei.355 Auch das LSG Niedersachsen-Bremen geht in seiner Entscheidung vom 26.01.2011 von einer ähnlichen Rechtsauffassung aus: „Die Ungeeignetheit kann sich z. B. aus unsachgemäßer Behandlung ergeben, die den Versicherten Gesundheitsgefahren aussetzt […]“.356 Insofern ist zu betonen, dass es – anders als im vertragsärztlichen Disziplinarverfahren – nicht auf einen Regelungsüberhang ankommt, da für die Zulassungsentziehung allein die fachliche Ungeeignetheit des Arztes genügt.357 6. Wechselwirkung der Verfahren untereinander Die Untersuchung der berufsrechtlichen Konsequenzen hat gezeigt, dass es sich um ein engmaschiges Geflecht verschiedener Maßnahmen handelt. 352  Vgl. Steinhilper, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 26, Rn. 66. Siehe auch S. 193. 353  Vgl. hierzu schon S. 192. So betonte auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.01.2011  – L 3 KA 56 / 10, BeckRS 2011, 70497 in Zusammenhang mit der Ungeeignetheit: „Leistungen, die den maßgeblichen vertragsärztlichen Vorschriften nicht entsprechen, dürfen Vertragsärzte nicht erbringen und die KÄVen dürfen sie nicht honorieren […].“ 354  Vgl. hierzu schon S. 193. 355  BVerfG NJW 1985, 2187, 2188. 356  LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.01.2011 – L 3 KA 56 / 10, BeckRS 2011, 70497; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, MedR 1992, 303, 304. 357  Vgl. in Zusammenhang mit einem Behandlungsfehler auch Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, 1. Auflage, Rn. 62.

196 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

Eine durchgreifende Bindungswirkung insbesondere des Strafurteils existiert nicht, vielmehr handelt es sich um eigenständige Verfahren, denen eigene Zielsetzungen zu Grunde liegen. Gerade die divergierenden Schutzrichtungen rechtfertigen ein Nebeneinander verschiedener Verfahren, so dass dem Arzt Sanktionen gleich aus mehreren Richtungen drohen. Bindungswirkung konnte nur für vereinzelte Aspekte festgestellt werden;358 nichtsdestotrotz findet der Sanktionenkatalog seine Begrenzung schlussendlich im Verhältnismäßigkeitsprinzip, in dessen Abwägung bereits verhängte Maßnahmen anderer Institute einzustellen sind. So sind vor Zulassungsentzug grundsätzlich erst kassenärztliche Disziplinarmaßnahmen als milderes Mittel zu bedenken und berufsgerichtliche Schritte nur bei einem vom Strafurteil ungesühnten Überhang möglich.359 Auch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Approbationsentzugs hat die Verwaltungsbehörde die Möglichkeit einer berufsgerichtlichen Ahndung zu bedenken.360 Trotz ihres eigenständigen Charakters weisen die jeweiligen Verfahren Schnittstellen auf. So sind etwa die Verwaltungsbehörden und -gerichte im Rahmen des Approbationswiderrufs nicht gehindert, die staatsanwaltliche Ermittlungsakte beziehungsweise die im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen.361 Ein Beweisverwertungsverbot besteht selbst für den Fall nicht, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nicht zur Anklage reift.362 Auch im berufsgerichtlichen Verfahren werden Teile des Strafverfahrens aufgegriffen. So ordnet beispielsweise Art. 86 Abs. 3 S. 1 BayHKaG an, dass die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils für das berufsgerichtliche Verfahren grundsätzlich bindend sind. Gleiches gilt 358  Hält das Berufsgericht beispielsweise den Entzug der Approbation für erforderlich, so legt es gem. Art. 68 Abs. 4 S. 1 BayHKaG die Akten unter Darlegung der Gründe zur Entscheidung vor. Sofern die Approbation entzogen wird, hat das Berufsgericht das Verfahren einzustellen, Art. 68 Abs. 4 S. 2 BayHKaG. 359  Vgl. S. 195 und S. 182. 360  Braun / Gründel, MedR 2001, 396, 400. 361  Dazu Stollmann, MedR 2010, 682, 685 f. So hat beispielsweise VGH Mannheim NVwZ-RR 1995, 203, 204 den Approbationsentzug auf die Erkenntnisse aus vorangegangenen Strafverfahren gestützt: „Obwohl insoweit keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, ist der Senat aufgrund einer Auswertung der in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und in den gerichtlichen Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere der Zeugenaussagen, überzeugt, daß die dem Kl. angelasteten Tatvorwürfe im Kern tatbestandlich zutreffen und zusammen mit den übrigen Vorwürfen hinreichende Schlußfolgerungen für das Vorliegen der Unwürdigkeit zulassen […].“ 362  OVG Münster, Beschluss vom 27.08.2009  – 13 A 1178 / 09, juris, Rn. 7; vgl. Stollmann, MedR 2010, 682, 686.



A. Der Selbstbelastungsgegenstand197

mit Feststellungen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens. Ebenfalls kann das Berufsgericht etwa gem. Art. 85 BayHKaG unbeschadet seiner Aufklärungspflicht beschließen, dass Niederschriften über die frühere Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen in einem anderen gesetzlichen Verfahren gegen den Beschuldigten zu verlesen sind. Als anderes Verfahren in diesem Sinne kommt insbesondere das Strafverfahren in Betracht. Im vertragsärztlichen Disziplinarverfahren darf der Disziplinarausschuss Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils im Sinne eines Präjudizes seiner Beweiswürdigung zu Grunde legen, ohne eigene Ermittlungen anzustellen. Nur sofern der Vorwurf über die strafrechtliche Verurteilung hinausgeht, sind eigene Ermittlungen erforderlich.363 Ebenso kann ein Entzug der vertragsärztlichen Zulassung auf Tatsachenfeststellungen in anderweitigen bestandskräftigen Entscheidungen wie insbesondere Strafurteil und Strafbefehl aber auch auf Disziplinarentscheidungen und Bußgeldbescheiden gestützt werden.364 Darüber hinaus existieren diverse Mitteilungspflichten der Institute untereinander: So ordnet beispielsweise § 17 Abs. 1 DisziplinarO-KVWL an, dass die zuständige Ärztekammer zu informieren ist, wenn dem kassenärztlichen Disziplinarverfahren eine Verletzung der Berufspflichten zu Grunde liegt. Im Hinblick auf andere Verfahren liegt die Entscheidung über das weitere Vorgehen beim Vorstand, § 17 Abs. 2 DisziplinarO-KVWL. § 6 Abs. 6 S. 1 DisziplinarO-KVBW sieht hingegen vor, dass Anhaltspunkten für strafrechtlich oder berufsrechtlich relevante Verhaltensweisen im kassenärztlichen Disziplinarverfahren, an die Staatsanwaltschaft beziehungsweise dem Kammeranwalt beim Berufsgericht weitergeleitet werden können. Als weiteres Beispiel legt Art. 86 Abs. 4 S. 1 BayHKaG fest, dass das Berufsgericht, wenn es einen Entzug der Approbation oder Bestallung für erforderlich hält, der zuständigen Behörde die Akten unter Darlegung der Gründe zur Entscheidung vorzulegen hat. Obwohl es sich bei den genannten Vorschriften um landesrechtliche Regelungen handelt, die nicht verallgemeinerungsfähig sind, so belegen sie dennoch die untrennbare Verflechtung der einzelnen Verfahren untereinander. Zahlreiche Mitteilungs- und Anzeigepflichten sind Garant dafür, dass dem Behandelnden Sanktionen aus mehreren Richtungen drohen. Darüber hinaus ist zu betonen, dass insbesondere den Erkenntnissen aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren enorme Bedeutung zukommt, da sie regel363  Hesral,

in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 233. MedR 2011, 307, 307; vgl. auch BSG vom 27.06.2007  – 6 KA 20 / 07, Rn. 12, juris; vgl. Hesral, in: Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, Rn. 614. 364  BSG

198 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

mäßig den übrigen Verfahren zu Grunde gelegt werden.365 Damit bleibt insgesamt festzuhalten, dass die berufsrechtlichen Verfahren äußerst eng mit dem Strafprozess verzahnt sind und darüber hinaus auch untereinander verwoben sind. 7. Spezialfall – Sonstige Heilberufe Hinsichtlich einer berufsrechtlichen Ahndung ist zu betonen, dass diese ausschließlich auf den Arzt beziehungsweise speziell auf den Vertragsarzt Anwendung finden. Vereinzelt bestehen aber auch hier vergleichbare berufsrechtliche Folgen: So ist beispielsweise die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde des Heilpraktikers zurückzunehmen, wenn ihm die sittliche Zuverlässigkeit insbesondere infolge strafrechtlicher oder sittlicher Verfehlungen, §§ 7 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 2 Abs. I lit. f) DVO HeilprG.366 Ebenso ist die Erlaubnis zur Tätigkeit als Hebamme zu widerrufen, wenn sie sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufes ergibt, §§ 3 Abs. 2 i. V. m. 2 Abs. I Nr. 2 HebG.

IV. Zwischenergebnis Als Ergebnis des voranstehenden Abschnitts ist festzustellen, dass dem behandelnden Arzt für einen Behandlungsfehler gleich mehrfach negative Konsequenzen drohen. So kann er straf-, ordnungswidrigkeits- sowie berufsrechtlich verfolgt werden: Aus strafrechtlicher Sicht kommt eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung, § 229 StGB, oder fahrlässiger Tötung, § 222 StGB in Betracht. Als Rechtsfolge wird regelmäßig auf Geldstrafe erkannt; Freiheitsstrafen werden nur bei besonderer Schwere der Tat und ein Berufsverbot vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG nur in Ausnahmefällen verhängt. Eine Ordnungswidrigkeit setzt einen zusätzlichen Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift voraus. Insofern ist zu betonen, dass im Zusammenhang mit der ärztlichen Berufsausübung zahlreiche Bußgeldvorschriften aus Spezialgesetzen bestehen. Ein Verfahren vor dem Berufsgericht wiederum setzt einen groben Behandlungsfehler oder fehlende Einsichtsfähigkeit voraus, da nur hier das Standesansehen gefährdet wird und eine Disziplinarmaßnahme zweckgerecht 365  So auch Steinhilper, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 17, Rn. 65. 366  Vgl. dazu Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 DVO HeilprG, Rn. 5.



B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Selbstbelastungszwang 199

ist. Insbesondere ist im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung ein zusätzlicher berufsrechtlicher Überhang für die berufsgerichtliche Ahndung erforderlich. Für weniger schwerwiegende Vergehen existiert die Möglichkeit einer Rüge oder Missbilligung durch die Landesärztekammer. Zudem kann der Entzug der Approbation erfolgen, wenn der Behandlungsfehler die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des Arztes begründet. Auch hier sind mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG hohe Anforderungen zu stellen. Demnach wird Unwürdigkeit bei vorsätzlichen Verstößen gegen die Regeln der ärztlichen Kunst angenommen. Einzelne, fahrlässige Behandlungsfehler erschüttern das Vertrauen der Bevölkerung hingegen nicht nachhaltig und begründen regelmäßig weder Unwürdigkeit noch Unzuverlässigkeit. Allenfalls kann eine Unzuverlässigkeit angenommen werden, wenn zu dem Umstand des Behandlungsfehlers noch weitere Defizite in der Person des Arztes hinzutreten wie etwa grobe Fahrlässigkeit. Schlussendlich droht auch ein Disziplinarverfahren vor der Kassenärztlichen Vereinigung. Diesbezüglich ist festzustellen, dass ein Behandlungsfehler zwar eine vertragsärztliche Pflichtverletzung darstellt, es jedoch insofern an dem erforderlichen vertragsärztlichen Regelungsüberhang fehlt. Hier kann ein Behandlungsfehler nur mittelbar relevant werden, wenn zugleich spezifische vertragsärztliche Pflichten verletzt wurden wie beispielsweise bei fehlerhafte Abrechnung oder unzulässiger Delegation. Der Behandlungsfehler an sich kann aber den Entzug der Kassenzulassung rechtfertigen, da hier allein die fachliche Ungeeignetheit maßgeblich ist. Abschließend ist festzuhalten, dass es sich um ein engmaschiges Verfahrensgeflecht handelt. Eine umfassende Bindungswirkung existiert insofern nicht. Dies führt zur Doppelverwertung von Feststellungen und Aussagen; insbesondere das strafrechtliche Ermittlungsverfahren kann als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden.

B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Selbstbelastungszwang Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Konsequenzen stellt sich nun die Frage, ob § 630c Abs. 2 S. 2 BGB eine Selbstbelastung im Sinne von nemo tenetur beinhaltet. Dies setzt voraus, dass der Behandelnde zur aktiven Preisgabe belastender Tatsachen gezwungen wird und dadurch eine spezifische Verfolgungsgefahr auslöst.367

367  Vgl.

hierzu S. 78 ff.

200 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

I. Aktive Preisgabe belastender Tatsachen Der Schutzbereich von nemo tenetur erstreckt sich auf verbale wie nonverbale Selbstbelastungen. Dabei muss es sich um einen positiven Beitrag handeln; passive Duldungspflichten sind nicht vom Schutz umfasst.368 Im Fall des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB wird dem Behandelnden die Offenlegung von Umständen abverlangt, die die Annahme eines Behandlungsfehlers nahe legen. Er muss damit aktiv belastende Tatsachen preisgeben.

II. Zwangselement Wesentlicher Bestandteil der Selbstbelastungsfreiheit ist das Vorliegen eines Zwangselements, denn nemo tenetur schützt nicht allgemein die Willensentschließungsfreiheit, sondern bezweckt die Abwehr finaler Zwangsausübung. Die Grenzen eines unzulässigen Zwangs sind dabei überschritten, wenn eine staatliche Instrumentalisierung des Betroffenen erfolgt. Dem Betroffenen muss insofern ein echter Rechtsnachteil drohen, der hinreichenden Motivationsdruck vermittelt. Unschwer lässt sich eine solche Wirkung dort bejahen, wo Sanktionen wie Bußgeld, Beugehaft oder verwaltungsrechtliche Zwangsmittel in Aussicht gestellt werden. Ob schon die bloße Rechtspflicht an sich als Zwangsmittel genügt, ist hingegen zweifelhaft. In jedem Fall ist dies für freiwillig übernommene, vertragliche Pflichten zu verneinen sowie im Fall von Obliegenheiten.369 Im Hinblick auf § 630c Abs. 2 S. 2 BGB erscheint das Vorliegen eines echten Zwangselements fraglich.370 So wurde bereits im vorstehenden Kapitel aufgezeigt, dass der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung überwiegend entgegengehalten wird, sie beinhalte eine sanktionslose Verpflichtung. Ihr Verstoß ist weder haftungs- noch verjährungsrechtlich von Bedeutung. Auch Zwangsmittel oder belastende Beweisregelungen sind unmittelbar nicht vorgesehen.371 Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht unterliegt nach der hier vertretenden Ansicht dennoch staatlichem Zwang: Als schuldrechtlicher Informationsanspruch kann sie klageweise geltend gemacht werden, wobei ihre Vollstreckung gem. § 888 ZPO betrieben wird. Der Patient kann so beim 368  Siehe

S.  79 ff. hierzu insgesamt S. 81 ff. 370  Ablehnend etwa: Ruppert, HRRS 2015, 448, 452; vgl. auch Frister / Wostry, in: DAV-Medizinrecht, S. 53. 70; Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 976: „Es gibt deshalb gute Gründe für die Annahme, dass der Erzwingbarkeitstest hier negativ ausfällt […].“ 371  Vgl. zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes S. 166 f. 369  Vgl.



B. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Selbstbelastungszwang 201

Prozessgericht der ersten Instanz die Verhängung von Zwangsgeld oder Zwangshaft beantragen.372 Die zwangsweise Durchsetzung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB kommt damit zwar erst relativ spät zum Zuge; sie ist aber grundsätzlich möglich. Dies reicht im Hinblick auf nemo tenetur aber aus.373 Speziell der Gefahrenabwehralternative des § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BGB wohnt darüber hinaus auch jenseits der Vollstreckung hinreichender Motivationsdruck inne, da dem Behandelnden bei Nichtvornahme der Aufklärung eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung droht.374 Damit bleibt festzuhalten, dass die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht zwangsweise durchsetzbar ist. Insgesamt kann diesem Ergebnis auch nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei § 630c Abs. 2 S. 2 BGB um eine vertragliche und mithin freiwillig übernommene Pflicht handelt.375 Der Arzt hat hier keine echte Wahl für oder gegen die Übernahme einer solchen Pflicht, da sie nunmehr zwangsläufig mit seinem Berufsbild in Verbindung steht. Noch dazu trifft den Vertragsarzt in der Regel eine Behandlungspflicht; er darf die Behandlung eines Patienten nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen, § 95 Abs. 3 S. 3 SGB V i. V. m. § 13 Abs. 7 S. 3 BMV-Ä.376

III. Auslösung einer Verfolgungsgefahr Schließlich müsste § 630c Abs. 2 S. 2 BGB auch eine Verfolgungsgefahr begründen. Dazu müsste die Fehleroffenbarung einen Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO auslösen.377 Dies ist wiederum der Fall, wenn hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die nach kriminalistischen Erfahrungen das Vorliegen einer Straf- oder Ordnungswidrigkeit möglich erscheinen lassen.378 Hinsichtlich der ärztlichen Fehleroffenbarung hat die Untersuchung zu Beginn des Kapitels gezeigt, dass sowohl strafrechtliche 372  Vgl. Franzen, in: FS-Köhler, 2014, S. 133, 141, der insofern von einer „mittelbaren Zwangswirkung“ spricht. 373  Vgl. allgemein für schuldrechtliche Informationsansprüche Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 70; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 ff., Rn. 140 mit Fn. 877; siehe auch Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, 1997, S. 131. Zweifelnd für § 630c Abs. 2 S. 2 BGB aber Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 976; vgl. auch Frister / Wostry, in: DAV-Medizinrecht, S. 53. 70. 374  Vgl. hierzu S. 174. 375  Vgl. zur Parallele im Fall der internen Ermittlungen die Argumentation bei I. Roxin, StV 2012, 116, 120; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 266; Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 11. Vgl. hierzu S. 124. 376  Vgl. zur Behandlungspflicht Wigge, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 2, Rn. 52. 377  Vgl. S. 83. 378  Vgl. zum Begriff des Anfangsverdachts Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 311.

202 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

als auch ordnungswidrigkeitsrechtliche und berufsrechtliche Konsequenzen drohen.379 Indem der Behandelnde die Umstände des Behandlungsfehlers offen legt, schafft er insofern eine hinreichende Tatsachengrundlage und überschreitet damit die Schwelle eines Anfangsverdachts.

IV. Zwischenergebnis § 630c Abs. 2 S. 2 BGB verpflichtet den Behandelnden zur aktiven Preisgabe belastender Tatsachen. Die Offenbarungspflicht kann zumindest mittelbar mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden und löst einen Anfangsverdacht in straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlicher Hinsicht aus. Damit wird dem Behandelnden durch die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht eine Selbstbelastung im Sinne von nemo tenetur abverlangt.

C. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht als Unterfall der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht könnte der spezifischen Fallgruppe der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten unterfallen. Dies hätte zur Folge, dass die Grundsätze des Gemeinschuldnerbeschlusses auf sie Anwendung finden.

I. Vorliegen einer außerstrafrechtlichen Offenbarungspflicht Zunächst müsste es sich bei § 630c Abs. 2 S. 2 BGB um eine außerstrafrechtliche Offenbarungspflicht handeln. Im Allgemeinen Teil der Arbeit wurde insofern folgendes Verständnis herausgearbeitet:380 Außerstrafrechtliche Offenbarungspflichten sind weitreichende Informa­ tionspflichten mit Selbstbelastungstendenz. Sie sind im Zivil- und Öffent­ lichen Recht verankert und Ausdruck eines spezifischen Wissensgefälles zwischen den Beteiligten. Der Gesetzgeber versucht hier, für das jeweilige Rechtsgebiet einen Ausgleich zu erzielen, indem er den überlegenen Informationsträger zur Preisgabe bestimmten Wissens verpflichtet. Hierzu muss dieser Tatsachen der Vergangenheit oder Gegenwart offen legen. Einer Wertung bedarf es nicht. Die Informationspflicht ist dabei umfassend und betrifft auch solche Angaben, die den Betroffenen aus strafrechtlicher Sicht 379  Vgl.

S.  177 ff. S.  109 f.

380  Siehe



C. Fehleroffenbarungspflicht als Unterfall der Offenbarungspflichten203

belasten. Sie ist mit Rechtszwang durchsetzbar, so dass sich der Betroffene ihr auch nicht ohne weiteres entziehen kann. Obwohl in diesem Stadium noch keine staatlichen Strafverfolgungsbehörden involviert sind, droht ein Transfer der Selbstbelastung in das Strafverfahren hinein. Die ursprüngliche außerstrafrechtliche Information kann somit zum maßgeblichen Überführungsbeweis im Strafverfahren umschlagen. Ausgehend von dieser Prüfungsgrundlage ist auch § 630c Abs. 2 S. 2 BGB als außerstrafrechtliche Offenbarungspflicht einzuordnen: Zwischen Arzt und Patient besteht ein erhebliches Wissensgefälle, da der Arzt durch seine Fachkunde erheblich überlegen ist. Noch dazu nimmt der Patient oftmals durch Narkose oder Dämmerschlaf den Eingriff als solchen nicht wahr. Diese Informationsdisparität soll nun mit § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ausgeglichen werden. Der Arzt hat daher die Umstände, die die Annahme eines Fehlers begründen, offen zu legen. Er schuldet einen Tatsachenbericht, nicht aber eine Wertung. Indem er die Umstände des Behandlungsfehlers offen legt, begründet er aber die Gefahr einer straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgung. Die Untersuchung hat weiterhin belegt, dass die Informationspflicht mit Rechtszwang durchsetzbar ist. Damit zwingt § 630c Abs. 2 S. 2 BGB letztendlich als zivilrechtliche Offenbarungspflicht zur Selbstbelastung und kann infolge eines Datentransfers straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Konsequenzen auslösen. Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht ist damit der Fallgruppe der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten zuzuordnen.

II. Übertragung der Anforderungen des Gemeinschuldnerbeschlusses Als außerstrafrechtliche Offenbarungspflicht gelten für § 630c Abs. 2 S. 2 BGB die Maßstäbe, wie sie das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss381 aufgestellt hat: 1. Außerstrafprozessuale Offenbarungspflichten mit Selbstbelastungstendenz sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein überwiegendes Interesse an der Auskunft besteht. Hierbei ist insbesondere miteinzubeziehen, ob und inwiefern Dritte auf die Auskunft angewiesen sind. 2. Ein solch zwingendes Drittinteresse rechtfertigt es jedoch nicht, dass der Auskunftsverpflichtete zugleich einen Beitrag zu seiner Verurteilung leisten muss; mit Blick auf die Selbstbelastungsfreiheit muss der Gesetzgeber Schutzvorkehrungen treffen. Fraglich ist, ob § 630c Abs. 2 S. 2 BGB diesen Anforderungen kumulativ standhält.

381  Zum

Gemeinschuldnerbeschluss vgl. S. 42 f. und S. 104 ff.

204 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

1. Überwiegendes Interesse an der Auskunft Das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit gewährleistet im Fall von Offenbarungspflichten keinen lückenlosen Schutz. Es findet vielmehr seine Grenzen an den Rechten anderer. Dies macht eine echte Interessenabwägung erforderlich.382 Zunächst ist daher im Hinblick auf § 630c Abs. 2 S. 2 BGB zu klären, ob ein zwingendes Interesse an der Fehleroffenbarung besteht. Insofern ist zu differenzieren: Einerseits ist Anknüpfungspunkt die Abwehr von Gesundheitsgefahren, andererseits das Nachfragen aus vermögensrechtlichen Erwägungen.383 a) Gefahrenabwehr Das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit stellt eine tragende Säule des modernen Strafverfahrens dar und ist verfassungsrechtlich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie im Recht auf Verfahrensfairness aus Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG verwurzelt.384 Damit kommt ihm ein bedeutender Stellenwert zu.385 Dem steht auf Seiten des Patienten seine körperliche Integrität gegenüber. Leib und Leben sind Verfassungsgüter von höchstem Rang.386 So betont etwa das BVerfG: „Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muß, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“387

Diese Wertung wird hier dadurch verstärkt, dass der Arzt mittels fach­ licher Expertise ausschließliche Informationsgewalt besitzt und der Patient auf die Auskunft zwingend angewiesen ist. Zwar steht ihm zu Informationszwecken grundsätzlich auch das Recht auf Akteneinsicht gem. § 630g Abs. 1 BGB zu. Anders als im Fall der Nachfragealternative, dazu sogleich, kann jedoch hier nicht von einer grundsätzlich gleichwertigen Informationsquelle ausgegangen werden: Der Patient wird von diesem Recht erst bei erheblichen Zweifeln Gebrauch machen. In diesem Zeitpunkt kann aber bereits eine merkliche Verschlechterung seines Gesundheitszustands eingetreten sein und so ein korrigierender Folgeeingriff aussichtslos beziehungsweise seine Erfolgschancen deutlich gemindert sein. Zudem wird der Patient 382  So

insgesamt BVerfGE 56, 37, 49. Vgl. hierzu S. 106. Anknüpfungspunkt insgesamt S. 160 ff. 384  Vgl. zur verfassungsrechtlichen Ableitung S. 53 ff. 385  Vgl. S. 63 ff. und S. 72 ff. 386  BVerfGE 49, 24, 53; 115, 118, 139; 121, 317, 353. 387  BVerfGE 39, 1, 42. 383  Zum



C. Fehleroffenbarungspflicht als Unterfall der Offenbarungspflichten205

nicht in der Lage sein, von der Behandlungsdokumentation auf das Erfordernis korrigierender Maßnahmen zu schließen. Die Gesundheitsfürsorge stellt schließlich die Hauptpflicht des Behandlungsvertrags dar. Der Patient darf hier in redlicher Weise darauf vertrauen, dass der Arzt die Initiative ergreift. Damit überwiegt das Interesse des Patienten an der Fehleroffenbarung. Hierhinter muss das Recht des Arztes auf Selbstbelastungsfreiheit zurücktreten. b) Nachfragealternative Einer anderen Wertung könnte indes die Nachfragealternative unterliegen. Wurde bereits im voranstehenden Kapitel festgestellt, dass es sich um eine vermögensschützende und damit systemfremde und systemwidrige Verpflichtung innerhalb des Behandlungsvertrags handelt,388 könnten ihr auch verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen: Die Selbstbelastungsfreiheit beansprucht durch ihre Verbindung zur Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip eine hohe Schutzintensität.389 Dem stehen auf Seiten des Patienten vermögensrechtliche Erwägungen gegenüber.390 Hinsichtlich des Vermögensschutzes erkannten das OLG Koblenz391 und das OLG München392 vor Einführung des PatRG jedoch zutreffend, dass dem Informationsbedürfnis des Patienten durch die Pflicht zur Behandlungsdokumentation und dem damit korrespondierenden Recht auf Akteneinsicht bereits hinreichend entsprochen wird.393 Der Patient ist ohne die Nachfragealternative damit in der Regel nicht schutzlos gestellt, da er sich auf das Recht zur Akteneinsicht gem. § 630g Abs. 1 BGB berufen kann. Insbesondere reicht die Nachfragealternative inhaltlich nicht über das Recht zur Akteneinsicht hinaus: In beiden Fällen wird allein der Sachverhalt offenbart; den Schluss auf das Vorliegen eines Fehlers muss der Patient stets selbst erbringen.394 Zwar gilt auch hier, dass der Patient den Sachverhalt gegebenenfalls nur unter Hinzuziehung fachlichen Beistands einschätzen kann. Dies erscheint aber mit Blick auf die tragende Bedeutung der Selbst388  Vgl.

hierzu S. 170 ff. Selbstbelastungsfreiheit ist im Rahmen der Dreistufentheorie der Privatsphäre zuzuordnen und bedarf erhöhten Rechtfertigungsanforderungen. Vgl. dazu oben S. 64. 390  Vgl. S. 161. 391  OLG Koblenz NJW-RR 2004, 410; zustimmend Rieger, DMW 2004, 705, 705. 392  OLG München vom 10.  Juni 2010  – Az. 1 U 2376 / 10. 393  Vgl. S. 161. 394  Vgl. insgesamt S. 172 f. 389  Die

206 Kap. 8: Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht – Selbstbelastungsfreiheit

belastungsfreiheit zumutbar, denn anders als im Fall der Gefahrenabwehralternative tritt in diesem Fall keine Verschlechterung des Zustands ein. Dem Patient steht damit regelmäßig eine vergleichbare Erkenntnisquelle und mithin ein echtes Selbsthilferecht zur Verfügung, so dass das Vorliegen eines überwiegenden Interesses zweifelhaft erscheint. Indes ist bei Abwägung der widerstreitenden Interessen aber auch der Fall zu bedenken, dass der Behandelnde aus Unachtsamkeit oder zum Zwecke der Verschleierung seiner Dokumentationspflicht nicht hinreichend entspricht. Hier kann dem Informationsbedürfnis des Patienten nicht im Wege der Akteneinsicht abgeholfen werden; er ist auf die zusätzliche Auskunft angewiesen. Ohne die Nachfragealternative des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB würde letztendlich der unachtsame oder besonders verwerflich handelnde Arzt besser gestellt, als derjenige, der ordnungsgemäß dokumentiert, da der Patient im Unklaren über die Umstände verbliebe und nur bei zusätzlichem Einschalten eines Gutachters Schadensersatz fordern könnte. Vor diesem Hintergrund besteht trotz der Möglichkeit zur Akteneinsicht ein berechtigtes Interesse an § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB. Damit entspricht die Nachfragealternative den verfassungsrechtlichen Vorgaben. 2. Vorliegen eines Schutzkorrektivs Auf zweiter Stufe kann die Rechtmäßigkeit der Offenbarungspflicht nur dort angenommen werden, wo der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch ein Schutzkorrektiv neutralisiert wird. Der Gesetzgeber hat in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ein Beweisverbot aufgenommen, um so der Selbstbelastungsfreiheit hinreichend Rechnung zu tragen.395 Damit entspricht er den verfassungsrechtlichen Anforderungen. 3. Zwischenergebnis Festzuhalten ist, dass sowohl im Fall der Gefahrenabwehr als auch bei der Nachfragealternative ein überwiegendes Interesse an der Fehleroffenbarung besteht. Indem der Gesetzgeber mit § 630c Abs. 2 S. 3 BGB die Fehleroffenbarungspflicht an ein Beweisverbot koppelt, implementiert er auf zweiter Ebene ein geeignetes Schutzinstrument. Die Fehleroffenbarungspflicht des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB entspricht damit insgesamt den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

395  Vgl.

BT-Drucks. 17 / 10488, S. 22.



D. Ergebnis207

D. Ergebnis In Kapitel acht wurde die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht in den Kontext der Selbstbelastungsfreiheit gesetzt um der Frage nachzugehen, ob und inwiefern § 630c Abs. 2 S. 2 BGB mit der Selbstbelastungsfreiheit kollidiert. Zu diesem Zweck wurde zunächst der potentielle Selbstbelastungsgegenstand herausgearbeitet. Insofern wurde festgestellt, dass der Vielzahl möglicher Behandlungsfehler ein ebenso weitreichendes Spektrum drohender straf-, ordnungswidrigkeits- und insbesondere berufsrechtlicher Konsequenzen entspricht. Dem Behandelnden drohen Sanktionen gleich aus mehreren Richtungen; insbesondere die berufsrechtlichen Konsequenzen können für ihn äußerst empfindlich sein. Maßgebliche Bedeutung kommt hier dem Strafprozess zu, da er regelmäßig als Entscheidungsgrundlage im Berufsverfahren fungiert. Die Untersuchung kommt mithin zu dem Ergebnis, dass die einzelnen berufsrechtlichen Verfahren sowohl untereinander als auch maßgeblich mit dem Strafverfahren verzahnt sind. In einem zweiten Schritt wurde sodann untersucht, ob und inwiefern § 630c Abs. 2 S. 2 BGB mit der Selbstbelastungsfreiheit kollidiert. Hier wurde festgestellt, dass § 630c Abs. 2 S. 2 BGB eine Selbstbelastung im Sinne von nemo tenetur enthält, da der Behandelnde zur aktiven Preisgabe belastender Informationen gezwungen wird und dadurch eine Verfolgungsgefahr auslöst. Schlussendlich wurde § 630c Abs. 2 S. 2 BGB auch den außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten zugeordnet. Die ärztliche Fehleroffenbarung stellt damit den jüngsten Unterfall dieser Fallgruppe dar und unterliegt den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gemeinschuldnerbeschlusses. Insofern hat vorliegende Arbeit belegt, dass ein überwiegendes Interesse an der Fehler­ offenbarung besteht und § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ein hinreichendes Schutzkorrektiv enthält. Damit entsprcht § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Nachstehend soll nun der Blick auf das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB gerichtet werden.

Kapitel 9

Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB Besteht schon hinsichtlich der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht eine Vielzahl an Unklarheiten, so lässt insbesondere auch das daran anknüpfende Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB an Kontur vermissen.

A. Die Lehre von den Beweisverboten Die inhaltliche Aufarbeitung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB macht zunächst eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen Beweisverbotslehre erforderlich.

I. Funktion der Beweisverbote Kernanliegen eines jeden Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts.396 Es existiert jedoch keine Wahrheitserforschung um jeden Preis.397 Sie findet vielmehr ihre Grenzen in der Werteordnung des Grundgesetzes und damit insbesondere in den Grundrechten.398 Sowohl Untersuchungsgrundsatz gem. § 244 Abs. 2 StPO als auch Grundsatz der umfassenden Beweiswürdigung gem. § 261 StPO können so im Falle höherwertiger Rechtsgüter und Interessen durch Beweisverbote durchbrochen werden.399 Beweisverbote dienen damit in erster Linie der Sicherung von Individualrechten.400 396  BVerfGE

57, 250, 275; 118, 212, 231; 133, 168, 201. JZ 2011, 249, 250; BGHSt 14, 358, 365; 52, 11, 17; Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  1, Einl. L, Rn. 11; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 50; Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl., Rn. 7. 398  Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 454. 399  Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl., Rn. 259 und ders., Strafprozessrecht, Rn. 454. 400  Allenfalls als Nebenfunktion bezwecken sie die Gefahrenabwehr für die Wahrheitsermittlung sowie die Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden, vgl. insgesamt Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl., Rn. 259 und ders., Strafprozessrecht, Rn. 454. Im Einzelnen jedoch strittig, vgl. Rogall, ZStW 91 (1979), 1, 11 ff. 397  BVerfG



A. Die Lehre von den Beweisverboten209

II. Begriff der Beweisverbote In begrifflicher Hinsicht wird als Beweis ein Vorgang beschrieben, der sich am Ziel der objektiven Wahrheitsermittlung orientiert und in dem Tatsachen festgestellt und gewürdigt werden.401 Beweisverbote lassen sich dementsprechend als „Grenzen der Wahrheitsforschung im Strafprozess“ charakterisieren.402 Angelehnt an die Funktion des Beweises – Tatsachenfeststellung und Tatsachenwürdigung – wird der Oberbegriff der Beweisverbote weiterhin in Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote unterteilt.403 1. Beweiserhebungsverbote Beweiserhebungsverbote setzen bereits auf Ebene der Beweisgewinnung ein.404 Sie werden wiederum in Beweisthemaverbote, Beweismittelverbote und Beweismethodenverbote unterteilt.405 Bei einem Beweisthemaverbot ist die Aufklärung spezifischer Sachverhalte durch die Strafverfolgungsorgane gänzlich untersagt.406 Davon umfasst sind beispielsweise die Aufklärung von Staatsgeheimnissen bei fehlender Aussagegenehmigung gem. § 54 i. V. m. §§ 61, 62 BBG oder die Aktensperre gem. § 96 StPO.407 Beweismittelverbote schließen demgegenüber nur bestimmte sachliche oder persön­ liche Beweismittel aus. Sie sind mitunter in den Vorschriften über die Zeugnis-, Auskunfts- und Aussageverweigerungsrechte enthalten.408 Beweis401  Vgl. Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  I, Einl. L., Rn. 2 ff.; ähnlich auch Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 1: „Beweisen heißt, die Überzeugung von dem Vorliegen einer Tatsache verschaffen […].“ 402  Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  I, Einl. L., Rn. 2 mit Verweis auf den Titel des grundlegenden Werks von Ernst Beling, Beweisverbote als Grenze der Wahrheitserforschung im Strafprozess, Breslau 1903. 403  Neben einer „babylonischen Begriffsverwirrung“ besteht hinsichtlich der Differenzierung in Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote weitestgehend Einigkeit, vgl. dazu Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 27; kritisch zur uneinheitlichen Terminologie auch Beulke, in: Satzger / Schluckebier /  Widmaier, StPO, Einl. Rn. 260 und Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 14. Den Oberbegriff akzeptierend mitunter: Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl. Rn. 50; Senge, in: KK-StPO, Vor § 48, Rn. 21. 404  Vgl. Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  1, Einl. L, Rn. 5. 405  Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 51; Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl., Rn. 440. 406  Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl. Rn. 260; ders., Strafprozessrecht, Rn. 455; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl. Rn. 52; Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl. Rn. 441. 407  Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 29. 408  Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 29; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl. Rn. 53, Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl., Rn. 445.

210

Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

methodenverbote untersagen schließlich eine konkrete Art und Weise der Beweisgewinnung, wobei sowohl Beweismittel als auch Beweisthema in diesem Fall zulässig wären.409 Hierzu zählt insbesondere § 136a StPO.410 2. Beweisverwertungsverbote Demgegenüber bewirkt ein Beweisverwertungsverbot, dass die ermittelte Tatsache nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsfindung gemacht werden darf.411 Die Verwertungsverbote werden wiederum in unselbständige und selbständige Verbote unterteilt: Unselbständige Verwertungsverbot knüpfen an den Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot, mithin eine rechtswidrige Beweisgewinnung, an. Selbständige Verwertungsverbote untersagen die Verwertung obwohl die Beweisgewinnung rechtmäßig erfolgte.412 Es sind sowohl ausdrückliche als auch ungeschriebene Beweisverwertungsverbote anerkannt. a) Ausdrückliche Beweisverwertungsverbote Das Gesetz ordnet an zahlreichen Stellen Beweisverwertungsverbote an. So enthält § 136a Abs. 3 S. 2 StPO als Paradebeispiel ein unselbständiges Verwertungsverbot.413 Auch § 100c Abs. 5 S. 3 StPO knüpft an die rechtswidrige Fortsetzung der Wohnraumüberwachung ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Äußerungen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst werden.414 Hingegen enthält § 252 StPO ein selbstständiges Verwertungsverbot.415

409  Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 54; Beulke, Strafprozessordnung, Rn. 455; Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl., Rn. 443. 410  Jahn, Gutachten zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 30; Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl., Rn. 443. 411  Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 55; Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band 1, Einl. L, Rn. 7; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 455; ders., in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, Einl., Rn. 260. 412  Grundlegend Rogall, ZStW 91 (1979), 1, 3 f.; vgl. Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 32; Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl., Rn. 450. 413  Kudlich, in: MüKo, StPO, Einl., Rn. 452; Senge, in: KK-StPO, Vor § 48, Rn. 28. 414  Vgl. ferner die Auflistung bei Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 456. 415  Vgl. Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 33, C 36.



A. Die Lehre von den Beweisverboten211

b) Ungeschriebene Beweisverwertungsverbote Über die festgesteckten Grenzen der gesetzlichen Verwertungsverbote hinaus haben auch ungeschriebene Verwertungsverbote Anerkennung gefunden. Die Voraussetzungen eines solchen Beweisverwertungsverbots, sind allerdings zum „Gegenstand imposanter Literaturproduktion“416 geworden. Als gesicherter Bestand gilt allenfalls, dass nicht schon jeder Fehler bei der Beweiserhebung ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht.417 Im Übrigen konnte aber weder in Wissenschaft noch in Rechtsprechung bisweilen Konsens erzielt werden.418 Folgende Positionen stehen sich hierbei gegenüber: Nach der so genannten Rechtskreistheorie des BGH hängt die Verwertbarkeit eines unter Verletzung von Beweiserhebungsverboten erlangten Beweises davon ab, ob die Verletzung den Rechtskreis des Beschwerdeführers wesentlich berührt oder ob sie für ihn nur von untergeordneter beziehungsweise keiner Bedeutung ist.419 Zum Rechtskreis wird insbesondere das Interesse an der Wahrheitsfindung, das Recht auf Verteidigung und solche Verfahrensvorschriften, die seinem Schutz dienen, gezählt.420 Der Theorie ist erhebliche Kritik entgegnet worden.421 Als eigenständige Theorie wird sie nunmehr der „Rechtsgeschichte“422 zugeordnet; als ein Mitkriterium kommt ihr aber auch heute noch erhebliche Bedeutung zu.423 416  Jahn,

Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 31. NJW 2000, 3557, 3557; BVerfG JZ 2007, 887, 890; BVerfG JR 2012, 211, 213; BGHSt 19, 325, 331; 24, 125, 128; 51, 285, 289 f.; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 55; Senge, in: KK-StPO, Vor § 48, Rn. 27; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 457; Rogall, ZStW 91 (1979), 1, 21. 418  Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 55a; vgl. auch Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 31, der betont, dass der wissenschaftlichen Kreativität hier kaum Grenzen gesetzt sind. 419  BGHSt 11, 213, 215 ff.; 38, 214, 220. 420  Vgl. Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 39. So führt BGHSt 38, 214, 220 aus: „Andererseits liegt ein Verwertungsverbot nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten oder Angeklagten im Strafverfahren zu sichern.“ 421  So decke sie allenfalls einen Teilbereich der Problematik ab. Zudem sei die Beschränkung auf wesentliche Rechte bedenklich, da dem Beschuldigten stets ein Anspruch auf ein justizförmiges Verfahren zukommt. Schließlich stehe sie auch im Widerspruch mit dem in §§ 69 Abs. 3, 72 i. V. m. 136a Abs. 3 StPO für den Fall der Verletzung einer Verfahrensvorschrift gegen Dritte vorgesehenen Verwertungsverbot. Kritisch etwa Grünwald, JZ 1966, 489, 490; Fezer, JuS 1978, 325, 327; Rogall, ZStW91 (1979), 1, 26; Gössel, NJW 1981, 649, 652. 422  So die Folgerung von Jahn, Gutachten zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 41. 423  Vgl. Beulke, in Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl., Rn. 264 mit Verweis auf BGHSt 53, 191. 417  BVerfG

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

Demgegenüber soll nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm entscheidend sein, ob die verletzte Verfahrensnorm ihrem Zweck nach ein Beweisverwertungsverbot fordert.424 Insofern sei maßgeblich, „ob der Gesetzgeber mit der Aufstellung der verletzten Norm überhaupt die Absicht verfolgte, Urteile, die auf einer Verletzung dieser Norm beruhen, zu verhindern.“425 Amelung begründete überdies die Lehre vom Schutz der Informationsbeherrschungsrechten. Dem Bürger stünden Informationsbeherrschungsrechte zu, denen der Anspruch innewohne, Informationen zurückzubehalten beziehungsweise selbst über die Speicherung, Weitergabe und Verwertung von Informationen zu entscheiden. Über ein Abwehrrecht hinaus beinhalte das Informationsbeherrschungsrecht im Falle eines unzulässigen Eingriffs aber auch einen sekundären Folgenbeseitigungsanspruch.426 Die Vertreter der Abwägungslehre befürworten, dass im konkreten Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen – staatlichen Strafverfolgungsinteresse und dem Individualinteresse des Betroffenen – vorgenommen wird. Dabei sollen Art und Gewicht des Verstoßes sowie die Schwere des Delikts maßgebliche Bedeutung zukommen.427 In Fortentwicklung der Abwägungslehre vertritt Jahn ferner die Beweisbefugnislehre. Sie geht vom Standpunkt aus, § 244 Abs. 2 StPO enthalte die notwendige Ermächtigungsgrundlage für den mit der Beweisverwertung einhergehenden Grundrechtseingriff. Dieser ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn die Beweisverwertung geeignet, erforderlich und angemessen ist, um ein bestimmtes Beweisziel zu erreichen.428 Zudem wird auch ein Kombinationsmodell zwischen Schutzzweck- und Abwägungslehre vertreten.429 424  BGHSt 46, 189, 195; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 458; Grünwald, JZ 1966, 489, 492; Beulke, ZStW 103 (1991), 657, 663 f.; Sternberg-Lieben, JZ 1995, 841, 848. 425  Rudolphi, MDR 1970, 93, 97. 426  Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozess, 1990; ders., JR 2008, 327, 327  f.; ders., Prinzipien strafprozessualer Beweisverwertungsverbote, 2011. Ähnlich auch Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, 1992, 215 ff., der den Sekundäranspruch hingegen als Unterlassungsanspruch einordnet. 427  BVerfG JR 2012, 211, 213; BVerfG JZ 2007, 887, 890; BGHSt 47, 172, 179 f.; 51, 285, 290; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 55a; richtungsweisend insoweit Rogall, JZ 1996, 944, 947; ders., in: FS-Hanack, 1999, S. 293, 293 ff. (so genannte „normative Fehlerfolgenlehre“). Zu Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslehre und ihrer Kriterien vgl. BVerfG JR 2012, 211, 214, Rn. 123 f. 428  Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 66  ff. Kritisch dazu Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl. Rn. 269; Rogall, JZ 2008, 818, 820 ff.. 429  BGHSt 46, 189, 195 f.; Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, S. 48 f.; vgl. auch Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  I, Einl. L., Rn. 155, der eine Kombination aller Ansätze heranzieht.



A. Die Lehre von den Beweisverboten213

Ein revisionsrechtlich orientierter Ansatz geht demgegenüber davon aus, dass der Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot eine Rechtsverletzung ist, die mit der Revision gerügt werden kann. Der Erfolg einer solchen Rüge hängt gem. § 337 StPO maßgeblich davon ab, ob das Urteil auf der Verletzung beruht. Demnach sieht es Kühne als entscheidend an, ob das bemakelte Beweismittel hinweggedacht werden kann, ohne dass zugleich die Möglichkeit eines anders lautenden Urteils entstünde. Für den Fall, dass möglicherweise ein anderes Urteil gefällt worden wäre, soll nach dieser Auffassung ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden.430 c) Grundrechtliche Beweisverwertungsverbote Unabhängig von den verschiedenen Begründungsmodellen können Beweisverwertungsverbote auch unmittelbar aus den Grundrechten folgen.431 Diese Herleitung beruht auf der Bindung der Strafverfolgungsorgane an die Grundrechte.432 Ein Verwertungsverbot ist demnach anzunehmen, wenn die Verwertung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in den grundrechtlichen Schutzbereich darstellen würde. Das Beweisverwertungsverbot folgt in diesem Fall unmittelbar aus dem Abwehrcharakter des jeweiligen Grundrechts. Insofern kann das Beweisverwertungsverbot sowohl zur Wahrung der Grundrechte des Angeklagten, eines Zeugen oder eines unbeteiligten Dritten dienen.433 Insbesondere bei Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie bei Verstößen gegen die Selbstbelastungsfreiheit haben verfassungsrechtliche Beweisverwertungsverbote Anerkennung gefunden.434 So fasst BVerfG 130, 1, 28 zusammen: „Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichende Möglichkeit zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserfor430  Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 909 ff. Kritisch dazu Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl., Rn. 271. 431  BVerfGE34, 238, 249 ff.; 80, 367, 373 ff.; 106, 28, 48; BGHSt 19, 325, 329 f.; 31, 307, 307 f.; 34, 397, 399 ff.; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 56; Senge, in: KK-StPO, Vor § 48, Rn. 37; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 471; Kleinknecht, NJW 1966, 1537, 1539; Gössel, JZ 1984, 361, 361; Rogall, ZStW 91 (1979), 1, 18; Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 37 f. 432  Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 38. 433  Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 56. 434  Dazu insgesamt ausführlich Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band  I, Einl. L, Rn. 70 ff., m.w.N, vgl. auch Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 79. Zum Beweisverwertungsverbot eines unter Verstoß gegen nemo tenetur erwirkten Beweises vgl. oben S. 97 f.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

schung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht werden, wo dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde.“

d) Abgrenzung: Beweisverwendungsverbote Von den Beweisverwertungsverboten sind die Beweisverwendungsverbote abzugrenzen; hier wurde in jüngerer Zeit noch von einem „ungeklärten Verhältnis von Verwendungsregelungen und Verwertungsverboten“435 gesprochen. Nunmehr hat sich folgendes Verständnis herausgebildet: Die Abgrenzung erfolgt über die Reichweite der Verbotswirkung. aa) Reichweite Beweisverwertungsverbot Ein Verwertungsverbot bewirkt, dass die ermittelte Tatsache nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsfindung gemacht werden darf.436 Strittig ist insofern, ob dem Verbot darüber hinaus eine Fernwirkung im Sinne der fruit of the poisonous tree doctrine437 zukommt. Der aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum stammende fruit of the poisonous tree doctrine liegt der Gedanke zu Grunde, dass Beweisverbote primär der Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden dienen. Von diesem Standpunkt aus dürfen auch solche Ermittlungsergebnisse, die auf Grund des unverwertbaren Beweises aufgefunden wurden, nicht verwertet werden.438 Nach überwiegender Auffassung ist eine solche Sichtweise für den deutschen Rechtsraum hingegen abzulehnen.439 So hat auch der BGH in ständiger Rechtspre435  Singelnstein, ZStW 120 (2008), 854, 854; vgl. auch Hengstenberg, Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, 2007, S. 43 f. und Radtke, in: ders. / Hohmann, StPO, Einl., Rn. 74. 436  Vgl. S. 210. 437  US Supreme Court, Silverthorne Lumber Co. v. United States, 40 S.Ct.182, 183 (1920); zitiert nach Beulke, ZStW 103 (1991), 657, 666. 438  Vgl. dazu insgesamt: Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 912; Heghmanns, ZIS 2016, 404, 412 f.; Herrmann, JZ 1985, 602, 608; Harris, StV 1991, 313, 313 ff.; Bradley, GA 1985, 99, 101 f., 106 f. 439  Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 57; Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band I, Einl. L, Rn. 106 ff.; Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 64; Heinitz, JR 1964, 441, 444; Kleinknecht, NJW 1966, 1537, 1544; Ranft, in: FS-Spendel, 1992, S. 719, 734 f., vgl. auch BVerfG JZ 2011, 249, 250, das sich jedoch auf die Feststellung beschränkt: „Insoweit ist anerkannt, dass Verfahrensfehlern, die ein Verwertungsverbot für Beweismittel zur Folge haben, nicht ohne weiteres Fernwirkung für das gesamte Strafverfahren zukommt […].“ Demgegen-



A. Die Lehre von den Beweisverboten215

chung die Annahme einer Fernwirkung verneint,440 da dies andernfalls „ohne weiteres dazu führen [könnte], daß das gesamte Strafverfahren lahmgelegt wird“441. Auch ließe sich nicht ohne weiteres feststellen, ob der fernere Beweis nicht auch ohne den Verfahrensverstoß aufgefunden worden wäre.442 Eine unreflektierte Übertragung der Doktrin würde auch maßgeblich verkennen, dass eine solche Disziplinierungsfunktion den Beweisverboten im deutschen Rechtsraum nicht zugesprochen wird.443 bb) Reichweite Beweisverwendungsverbot Der Begriff der Verwendung entstammt dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), wo er in § 3 Abs. 5 BDSG mit „Nutzen“ gleichgesetzt wird.444 In der Strafprozessordnung selbst sind beispielsweise mit §§ 100d Abs. 5, 100i Abs. 2 S. 2, 161 Abs. 2 S. 1, 477 Abs. 2 S. 2 StPO zahlreiche Verwendungsverbote enthalten, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schützen – hier steht der Datenschutz im Vordergrund.445 Losgelöst von diesem Kontext existieren vereinzelt aber auch außerstrafprozessuale Verwendungsverbote, die dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit dienen, beispielsweise §  97 Abs.  1 S. 3  InsO.446 Obwohl sie keinen Bezug zum Datenschutz aufweisen, knüpüber die Fernwirkung bejahend: Spendel, NJW 1966, 1102, 1104 f.; Otto, GA 1970, 289, 294 f.; Haffke, GA 1973, 65, 80; Grünwald, StV 1987, 470, 472 f.; Fezer, JZ 1987, 936, 939; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 912.1; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 482. 440  BGHSt 27, 355, 358; 32, 68, 71; 34, 362, 364; 35, 32, 34; 51, 1, 8. Ausnahme insoweit aber BGHSt 29, 244, 249 ff., hier bejahte der BGH bei einem Verstoß gegen das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis die Fernwirkung unter Rücksichtnahme auf Art. 10 GG. 441  BGHSt 27, 355, 358. Zu dieser Aussage kritisch etwa: Jahn, Das Strafrecht des Staatsnotstandes, Frankfurt 2004, 399, Fn. 600 („gebetsmühlenartig“). 442  BGHSt 32, 68, 71; 34, 362, 364. 443  Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 57; Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 60; Kleinknecht, NJW 1966, 1537, 1544. Zum Individualschutz vgl. oben S. 208. 444  Zum Begriff des Verwendungsverbots vgl. Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 57d; siehe auch mit Verweis auf § 3 Abs. 6 BDSG a. F.: Dencker, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 237, 243; Singelnstein, ZStW 120 (2008), 854, 856; Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 763; Hengstenberg, Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, 2007, S. 44 f. 445  Dencker, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 237, 243 mit Verweis auf BT-Drucks. 12 / 989, S. 33; vgl. auch Hengstenberg, Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, 2007, S. 45. 446  Vgl. zur Einordnung von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO als Verwendungsverbot oben S.  118 f.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

fen auch sie an das bundesdatenschutzrechtliche Verständnis an.447 Verwendungsverbote werden daher allgemein in Anlehnung an das datenschutzrechtliche Verständnis als umfassende Nutzungsverbote definiert und verbieten jede weitere Heranziehung der gesperrten Information.448 Sie kann damit auch nicht als Spurenansatz herangezogen werden.449 Im Gegensatz zum Verwertungsverbot hat ein Verwendungsverbot damit eine größere Reichweite.450 Es handelt sich um ein „totales ‚Tabu‘ “451, wobei das Verwendungsverbot als Mindestgarantie stets das Verwertungsverbot mitumfasst.452 Oder anders herum: Es handelt sich um ein selbständiges Beweisverwertungsverbot bei dem die Bezeichnung als „Verwendungsverbot“ seine Fernwirkung zum Ausdruck bringt.453 Damit unterscheiden sich Verwertungs- und Verwendungsverbot in punkto Fernwirkung. Ausgehend von diesen Grundlagen soll nun das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB untersucht werden.

B. Einordnung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Beweisverwertungs- oder Beweisverwendungsverbot? Überträgt man die Erkenntnisse der Lehre von den Beweisverboten auf die Konstellation des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB, so stellt sich zunächst die Frage, ob es sich hierbei um ein Verwertungs- oder Verwendungsverbot 447  So betont auch BT-Drucks. 12 / 7302, S. 166 zu § 97 Abs. 1 InsO, dass der Vorschlag der Änderung des ursprünglich vorgesehenen Wortlauts von „verwerten“ in „verwenden“ vom Bundesdatenschutzbeauftragten ausging. Dadurch solle zum Ausdruck gebracht werden, dass „eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf“. 448  Rogall, JZ 2008, 818, 827; vgl. auch Dencker, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 237, 243 und 253; Singelnstein, ZStW 120 (2008), 854, 865; Meyer-Goßner, in: ders. / Schmitt, StPO, Einl., Rn. 57d; Hengstenberg, Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, 2007, S. 44 f. Anders zuvor noch Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C. 32 f. und C 96, der eine „dritte Kategorie“ der Beweisverbote ablehnt. Zur Beschränkung der Reichweite auf Beweiszwecke vgl. S. 217. 449  Dencker, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 237, 243; Rogall, JZ 2008, 818, 827; Hengstenberg, Die Frühwirkung von Verwertungsverboten, 2007, S. 45; Heghmanns, ZIS 2016, 404, 413. 450  Rogall, JZ 2008, 818, 827; ders., in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 479; Hengstenberg, Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, 2007, S. 45. 451  Dencker, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 237, 243. 452  Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 479; 453  So zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO ausdrücklich Dencker, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 237, 253; vgl. auch Hefendehl, wistra 2003, 1, 4; a. A. Gössel, in: Löwe / Rosenberg, StPO, Band. I, Einl. L, Rn. 8, der „verwertet“ und „verwendet“ als ­synonyme Begriffe wertet.



B. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Beweisverwertungs- / -verwendungsverbot?217

handelt. Der Gesetzgeber ordnet in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB an, dass die Information nach S. 2 nur mit Zustimmung des Behandelnden zu Beweiszwecken verwendet werden darf. Auf den ersten Blick handelt es sich damit um ein Beweisverwendungsverbot. Dies würde mit Blick auf obige Erkenntnisse bedeuten, dass die gewonnene Information selbst nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung gemacht werden darf. Darüber hinaus könnte sie auch nicht als Spurenansatz zur weiteren Beweisfindung herangezogen werden. Ob § 630c Abs. 2 S. 3 BGB tatsächlich eine solche Wirkung zu kommt, wird indes kontrovers beurteilt.

I. Argumente gegen die Annahme eines Beweisverwendungsverbots Mitunter wird die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe hier ein Beweisverwertungsverbot normiert.454 Hierzu wird zunächst der Wortlaut von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB herangezogen, denn die Verwendung soll lediglich „zu Beweiszwecken“ ausgeschlossen sein. Einer solchen Formulierung würde im Rahmen der Strafprozessordnung entnommen, dass eine Nutzung als Spurenansatz unbeschränkt zulässig ist. Auch das Verwendungsverbot in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB erfahre damit eine Einschränkung. Dem Wortlaut nach sei gerade keine Fernwirkung beabsichtigt.455 Ferner könne der Gesetzesbegründung zu § 630c Abs. 2 S. 3 BGB zu entnommen werden, dass auf diese Weise „unter Beachtung des nemo-tenetur-Grundsatzes gewährleistet werden [soll], dass dem Behandelnden aus der Offenbarung eigener Fehler […] keine unmittelbaren strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Nachteile erwachsen“456.

Die Betonung sei hierbei auf die Unmittelbarkeit zu legen; die Fehleroffenbarung selbst dürfe daher nicht berücksichtigt werden. Da mittelbare Nachteile aber gerade nicht ausgeschlossen werden, könnten Beweismittel, für die die Fehleroffenbarung erst wegweisend war, weiterhin herangezogen werden. Der Gesetzgeber bringe deutlich zum Ausdruck, dass er § 630c 454  Jaeger, PatRG, Rn. 166; ders., in: Prütting Fachanwaltskommentar Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 34; Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 509; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 819; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 872 f.; Ruppert, HRRS 2015, 448, 450 ff.; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 59, 73; Franzki, Der Behandlungsvertrag, Göttingen 2014, S. 99; wohl auch Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 977 f. und Franzen, in: FS-Köhler, 2014, S. 133, 141 f. 455  Vgl. m. w. N. jeweils: Ruppert, HRRS 2015, 448, 450; Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 977; Frister / Wostry, in: AG Medizinrecht, S. 53, 63. 456  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 22.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

Abs. 2 S. 3 BGB keine Fernwirkung zuspreche.457 Die Formulierung „verwenden“ sei daher „irreführend“458. Auch pragmatische Aspekte werden der Annahme eines Verwendungsverbots entgegengehalten: Die Fernwirkung habe zur Folge, dass allein durch die Fehleroffenbarung das gesamte Ermittlungsverfahren lahmgelegt werden könnte. Der Behandelnde hätte es damit in der Hand, seine strafrechtliche Verfolgung zu verhindern. Diese Totalblockade und die Möglichkeit ihres Missbrauchs durch „schwarze Schafe“459 könnten nicht vom Gesetzgeber gewollt sein. Auch in dieser Hinsicht sei daher die Annahme eines Beweisverwertungsverbots geboten.460 Darüber hinaus wird betont, dass ein weitreichendes Verwendungsverbot nach den Grundsätzen des Gemeinschuldnerbeschlusses ohnehin nicht zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit erforderlich sei, denn aus verfassungsrechtlicher Sicht genüge ein Beweisverwertungsverbot.461 Dies sei auch überzeugend, da das Beweisverbot schließlich als Korrelat der Auskunftspflicht fungiere. Es solle verhindern, dass der Betroffene schlechter als andere Beschuldigte gestellt wird. Eine Besserstellung – wie sie ein ­Beweisverwendungsverbot aber darstelle – ginge hierüber schließlich hinaus.462

II. Argumente für die Annahme eines Beweisverwendungsverbots Demgegenüber wird § 630c Abs. 2 S. 3 BGB anderweitig als Beweisverwendungsverbot eingeordnet.463 Diese Ansicht stützt sich zunächst auf den Wortlaut der Vorschrift, der von „verwenden“ spricht. Hierbei wird zudem 457  So die Argumentation bei Jaeger, PatRG, Rn. 166; ders., in: Prütting, Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 34; Schelling-Warntjen, MedR 2012, 506, 509; KettStraub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873; Ruppert, HRRS 2015, 448, 452; Gutmann, in: FS-Bergmann, 2015, S. 53, 73; Franzki, Der Behandlungsvertrag, Göttingen 2014, S. 99. 458  Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873. 459  Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 872; so auch schon Neelmeier, Deutsches Ärzteblatt 2012, 1866. 460  Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 872; vgl. auch Jaeger, PatRG, Rn. 165; Schelling-Warntjen, MedR 2012, 506, 509; Ruppert, HRRS 2015, 448, 452; Franzki, Der Behandlungsvertrag, Göttingen 2014, S. 99. 461  Ruppert, HRRS 2015, 448, 453. 462  Ruppert, HRRS 2015, 448, 453. 463  Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 24 und 29; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 24; ders., JZ 2015, 15, 18; Jäger, in: FSHeintschel-Heinegg, S. 211, 215.



B. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Beweisverwertungs- / -verwendungsverbot?219

die Parallele zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO bemüht, dem insofern eine ähnliche Formulierung zu Grunde liegt.464 Über den Gleichklang im Wortlaut hinaus wird betont, dass es sich bei § 630c Abs. 2 S. 3 BGB auch gerade inhaltlich um eine echte Parallele handle: Den Gesetzgebungsmaterialien zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO könne entnommen werden, dass der ursprünglich vorgesehene Begriff „verwertet“ auf Anregung des Bundesdatenschutzbeauftragten durch „verwendet“ ersetzt wurde, um klarzustellen, dass die Auskunft nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf.465 Dem Beweisverbot gem. § 97 Abs. 1 S. 3 InsO komme dementsprechend nach überwiegender Auffassung Fernwirkung zu, dies müsse daher auch für den vergleichbaren Fall des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB gelten. Andernfalls käme es zu einem signifikanten Unterschied in der Handhabung beider Vorschriften, wofür keine Veranlassung bestehe.466 Ferner wird argumentiert, dass zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit ein weitreichendes Verwendungsverbot vorzugswürdig sei; der durch ein Verwertungsverbot vermittelte Schutzumfang sei demgegenüber ein „äußerst löchriger“467. Die überwiegenden Gründe würden daher für die Annahme eines Beweisverwendungsverbots nach dem Vorbild des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO sprechen.468 Der Argumentation der Gegenansicht, die den Passus der „unmittelbaren Nachteile“ anführt, wird schlussendlich entgegengehalten, sie sei „unreflektiert“469 und eine „Überinterpretation“470. Es handle sich bei der betreffenden Passage um eine „keineswegs so präzise formulierte […] Gesetzesbegründung“471, sondern vielmehr um eine „unglückliche Bemerkung“472.

464  Vgl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 24; ders., JZ 2015, 15, 17; siehe auch Jäger, in: FS-Heintschel-Heinegg, S. 211, 215. 465  BT-Drucks. 12 / 7302, S. 166. 466  So insgesamt Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 24; ders., JZ 2015, 15, 17 f. 467  Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 24; vgl. auch ders., JZ 2015, 15, 17. 468  Vgl. Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 26 und 29; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 24; ders., JZ 2015, 15, 17; vgl. auch Jäger, in: FS-Heintschel-Heinegg, S. 211, 215 f. und 220, der gleichwohl im Detail Unterschiede zu § 97 Abs. 1 InsO sieht und hinsichtlich des Schutzumfangs differenziert. 469  So Spickhoff, JZ 2015, 15, 17. 470  Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 29. 471  Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 29. 472  Spickhoff, JZ 2015, 15, 17.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

III. Stellungnahme Sowohl die Argumente für als auch die gegen die Annahme eines Verwendungsverbots sind beide nicht von der Hand zu weisen. Die Auflösung der Kontroverse muss im Wege der Auslegung gefunden werden: Wortlaut. Maßgebliche Bedeutung kommt zunächst dem Wortlaut zu. Er bildet die Grenze einer jeden Auslegung. Insofern ist hinsichtlich § 630c Abs. 2 S. 3 BGB festzustellen, dass die Vorschrift von „verwenden“ spricht. Legt man hier das allgemeine Sprachverständnis zu Grunde, so ergibt sich zwischen Verwerten und Verwenden kein signifikanter Unterschied; „verwerten“ wird mit „verwenden“ umschrieben und andersherum ebenso.473 In jüngerer Zeit hat der Begriff der Verwendung jedoch als eigenständiger Rechtsterminus Anerkennung gefunden; ein Verwendungsverbot entfaltet Fernwirkung und geht damit über den Gehalt des Verwertungsverbots hinaus.474 Den Begriffen liegt damit kein synonymes Verständnis zu Grunde; ein Verwendungsverbot ist ein eigenständiges Beweisverbot.475 Indem der Gesetzgeber in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB von verwenden spricht, legt er sich mithin dem Wortlaut nach auf ein Verwendungsverbot fest. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB beschränkt den Wortlaut aber weiterhin auf die Verwendung „zu Beweiszwecken“. Eine ähnliche Terminologie findet sich in der Strafprozessordnung im Zusammenhang mit datenschutzrechtlichen Verwendungsverboten, wie etwa im Fall des § 477 Abs. 2 S. 2 StPO. Nach überwiegender Ansicht soll bei entsprechenden Vorschriften zum Ausdruck gebracht werden, dass in diesem Fall eine Nutzung als Spurenansatz nicht ausgeschlossen ist.476 Inhaltlich soll es sich damit um ein schlichtes Verwertungsverbot handeln.477 Im Zusammenhang mit außerstrafrechtlichen Offenbarungsverboten ist diese Terminologie bisweilen nicht in Erscheinung getreten. Ob der Gesetzgeber diese Bedeutung tatsächlich in den außerstrafprozessualen Bereich übertragen wollte, erscheint indes zweifelhaft. Für eine entsprechende Absicht liegen keine Anhaltspunkte vor. Hätte der Gesetzgeber hier ein Verwertungsverbot normieren wollen, so hätte er schlicht von verwerten gesprochen. Die Implementierung eines Verwendungsverbots 473  Vgl. zum allgemeinen Begriffsverständnis im Duden: http: /  / www.duden. de / rechtschreibung / verwenden und http: /  / www.duden.de / rechtschreibung / verwer ten; siehe auch Bader, NZI 2009, 416, 418. 474  Vgl. zur Reichweite des Verwendungsverbots S. 215 f. 475  Auch das BVerfG differenziert nunmehr zwischen den Begriffen, wenn es von „Verwendungs- und Verwertungsverboten“ spricht, BVerfGE JR 2012, 211, 213. 476  Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 477, Rn. 5a; Erbs, in: Löwe / Rosenberg, StPO, § 160, Rn. 34a; Wohlers / Deiters, in: SK-StPO, § 161, Rn. 48 ff.; vgl. auch Weßlau, in: SK-StPO, § 477, Rn. 27. 477  Rogall, JZ 2008, 818, 828. Vgl. Singelnstein, ZStW 120 (2008), 854, 869.



B. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Beweisverwertungs- / -verwendungsverbot?221

mit dem Gehalt eines Verwertungsverbots wäre wohl die Spitze der ohnehin bestehenden begrifflichen Verwirrung in diesem Bereich. Darüber hinaus wird auch im Rahmen der datenschutzrechtlichen Verwendungsverbote hervorgehoben, dass letztendlich auch die Nutzung als Spurenansatz doch ebenso „zu Beweiszwecken“ erfolgt; eine solch beschränkte Wirkung lässt sich der Formulierung mithin nicht entnehmen.478 Letztendlich überzeugt die Übertragung eines solch unklaren Begriffsverständnisses in den außerstrafprozessualen Bereich nicht. Dem Wortlaut nach handelt es sich mithin um ein Verwendungsverbot. Historie. Den Gesetzgebungsmaterialien zu § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ist zu entnehmen, dass dem Behandelnden auf diese Weise keine unmittelbaren Nachteile erwachsen sollen.479 Hieraus schließen die Befürworter eines Verwertungsverbots, dass der Gesetzgeber eine mittelbare Fernwirkung gerade nicht erzielen wollte. Demgegenüber wird jedoch an andere Stelle aus den Gesetzgebungsmaterialien deutlich, dass explizit auf den Gleichklang zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO hingewirkt wurde, der ein Verwendungsverbot enthält.480 Die historische Auslegung führt damit zu keinem klaren Ergebnis. Telos. Sinn und Zweck des Beweisverbots ist der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit. Sie wird durch die Fehleroffenbarungspflicht und die Möglichkeit ihrer zwangsweisen Durchsetzung erheblich beeinträchtigt. Das Beweisverbot soll daher den Eingriff neutralisieren und den Betroffenen vor einer Schlechterstellung gegenüber anderen Beschuldigten schützen. Vor diesem Hintergrund hat es das BVerfG in seinem Gemeinschuldnerbeschluss für ausreichend erachtet, dass die Offenbarungspflicht der Konkursordnung durch ein Verwertungsverbot abgesichert wird.481 Auch im Fall des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB würde daher dem Zweck des Selbstbelastungsschutzes ein Verwertungsverbot genügen. Dem Gesetzgeber ist es aber unbenommen, hier ein höheres Schutzniveau einzuführen. Eine teleologische Auslegung führt damit ebenfalls zu keinem klaren Ergebnis. Systematik. Schließlich ist der Blick auf die Systematik zu richten. Die Untersuchung hat im Allgemeinen Teil der Arbeit ergeben, dass den außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten eine echte Systematik entspringt. Sie stellen eine eigenständige Fallgruppe im Bereich der Selbstbelastungs478  Vgl. zur Kritik Weßlau, in: SK-StPO, § 477, Rn. 27; Singelnstein, ZStW 120 (2008), 854, 887 f.; Rogall, JZ 2008, 818, 828; Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 96. 479  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 22. 480  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 39; vgl. zur Einordnung von § 97 Abs. 1 S. 3 BGB als Verwendungsverbot S. 118 f. und S. 224 ff. 481  BVerfGE 56, 37, 50.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

freiheit dar. Die Grundlage aller Überlegungen bildet insofern § 97 Abs. 1 S. 3 InsO; ihm kommt Vorbildfunktion zu.482 Obwohl das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss ein Beweisverwertungsverbot als hinreichendes Schutzkorrektiv für nemo tenetur wertete, hat sich der Gesetzgeber mit § 97 Abs. 1 S. 3 InsO bewusst für die weitreichendere Variante des Verwendungsverbots entschieden. Er geht damit über die vom BVerfG aufgestellten Mindestanforderungen hinaus. Wenn nun der Gesetzgeber bei der Konstellation des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ebenfalls von „verwenden“ spricht, so schließt er sich aus systematischer Sicht unzweifelhaft dem mit § 97 Abs. 1 S. 3 InsO eingeschlagenen Weg an. Dies bestätigt auch ein Blick in die Gesetzgebungsmaterialien, zumal der Bundesrat explizit auf den Gleichklang mit § 97 Abs. 1 S. 3 InsO hingewirkt hat. So führte dieser für die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Angehörige im Sinne von § 52 Abs. 1 StPO an: „Eine solche Regelung entspräche der des § 97 Abs. I S. 3 InsO, dem eine vergleichbare Interessenlage zugrunde liegt.“483 Mithin ist davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber insgesamt bei Erlass von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB vom Bild der insolvenzrechtlichen Bestimmung hat leiten lassen. Die Systematik spricht für die Annahme eines Verwendungsverbots. Als Ergebnis der Auslegung ist festzuhalten: Während Telos und Historie sowohl ein Verwertungs- als auch Verwendungsverbot zulassen, legen Wortlaut und Systematik die Annahme eines Verwendungsverbots nahe. Die vorliegende Arbeit kommt daher zu dem Schluss, dass § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ein Verwendungsverbot enthält.

IV. Zwischenergebnis § 630c Abs. 2 S. 3 BGB enthält sowohl mit Blick auf Wortlaut als auch Systematik ein Beweisverwendungsverbot: Der Begriff des Verwendungsverbots hat als eigenständiger Rechtsterminus Anerkennung gefunden, so dass der Wortlaut von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB eine gegenteilige Auslegung versperrt. In systematischer Hinsicht ist § 630c Abs. 2 S. 3 BGB der insolvenzrechtlichen Vorschrift des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO nachempfunden, der ebenfalls ein Verwendungsverbot entnommen wird. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein solch weitreichendes Beweisverbot zwar nicht zwingend geboten, jedoch bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, im Einzelfall ein höheres Schutzniveau zu etablieren. Der Gesetzgeber hat sich damit dem in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO eingeschlagenen Weg angeschlossen und ihn womöglich zum Standard der außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten erhoben. 482  Vgl.

hierzu S. 125. 17 / 10488, S. 39.

483  BT-Drucks.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 223

C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB Der Einordnung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Beweisverwendungsverbot schließt sich die Frage nach seiner konkreten Reichweite an. Hierbei ist zwischen der klassischen Wirkung des Verwertungsverbots, sowie einer möglichen Früh-, Voraus-, Fern- und Fortwirkung zu differenzieren. In methodischer Hinsicht macht dies eine Auseinandersetzung mit der Reichweite von § 97 Abs. I S. 3 InsO und den übrigen Vergleichsvorschriften erforderlich, da sich – wie gezeigt – die Konturen von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB nicht losgelöst vom systematischen Kontext zeichnen lassen.

I. Begriffsklärung In einem ersten Schritt muss das Begriffsverständnis festgelegt werden: Ein Verwendungsverbot umfasst als Mindestgarantie stets ein Beweisverwertungsverbot; die Aussage selbst darf damit nicht bei der Beweiswürdigung und Urteilsfindung herangezogen werden.484 Demgegenüber wird unter dem Begriff der Frühwirkung diskutiert, ob die gesperrte Information zur Bildung eines Anfangsverdachts im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO herangezogen werden kann.485 Bei einer Fernwirkung wiederum sind auch diejenigen Beweise gesperrt, zu denen die Selbstbelastung als Spurenansatz den Weg gewiesen hat.486 Die Fortwirkung betrifft schlussendlich die Frage, ob der Auskunftspflichtige über die Unverwertbarkeit seiner Fehleroffenbarung zu belehren ist.487

II. Einbettung in den systematischen Kontext Aus systematischer Sicht ist auf die im Allgemeinen Teil der Arbeit aufgestellte Vergleichsgruppe zurückzugreifen. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB soll somit in den systematischen Kontext der §§ 97 Abs. 1 S. 3 InsO, 393 Abs. 2 S. S. 2 AO, § 802c ZPO sowie der Fallgruppe der Internen Ermittlungen eingebettet werden.

484  Vgl.

S. 210.

485  Hengstenberg,

Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, 2007, S. 21. Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, 2007, S. 21. 487  Vgl. Frister / Wostry, in: AG-Medizinrecht, S. 53, S. 77; siehe auch Hengstenberg, Die Frühwirkung der Verwertungsverbote, S. 21. 486  Hengstenberg,

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

1. Die Reichweite des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO Ausgangspunkt einer vergleichenden Analyse ist § 97 Abs. 1 S. 3 InsO; ihm kommt als Grundpfeiler aller Offenbarungspflichten Vorbildfunktion zu.488 Der Gesetzgeber hat hier ein Beweisverbot für selbstbelastende Angaben im Insolvenzverfahren aufgenommen. Unter Bezugnahme der Gesetzgebungsmaterialien wird § 97 Abs. 1 S. 3 InsO nahezu unbestritten als Beweisverwendungsverbot ausgelegt.489 Seine konkrete Reichweite wirft indes Schwierigkeiten auf, denn ein zu weit gefasstes Verständnis schafft Barrieren bei der Strafverfolgung, wohingegen sich aber eine zu enge Sichtweise nachteilig auf die Ausklärungsbereitschaft des Gemeinschuldners auswirkt.490 Vor diesem Hintergrund sind die exakten Konturen des Verwendungsverbots nach wie vor strittig: a) Kernbereich: Verwertungsverbot Den Kern des Verwendungsverbots bildet das darin enthaltenen Verwertungsverbot; die belastende Auskunft des Gemeinschuldners selbst darf damit nicht herangezogen werden. Auch die Vernehmung von Zeugen vom Hörensagen ist untersagt.491 Von der Sperrwirkung sind indes nur solche Angaben umfasst, die der Schuldner in Erfüllung der Auskunftspflicht gem. § 97 Abs. 1 S. 1, 2, InsO tätigte; freiwillige Angaben oder Angaben aufgrund anderer Auskunftspflichten bleiben hiervon unberührt.492 Hierzu entschied das OLG Jena, dass Schuldnerangaben, die auf Grundlage der allgemeinen Unterstützungspflicht des § 97 Abs. 2 InsO gegenüber einem Sachverständigen getätigt wurden, nicht dem Beweisverwendungsverbot unterfallen.493 Auch 488  Vgl.

S. 125. Siehe zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO allgemein auch S. 118 f. betont etwa Richter, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 76, Rn. 29, dass die Fernwirkung mit Blick auf die Gesetzesbegründung nun nicht mehr verneint werden kann. Vgl. etwa: LG Stuttgart NStZ-RR, 2001, 282, 283; OLG Jena NZI 2011, 382, 383; Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 16; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 10; Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 23; Richter, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 76, Rn. 25 ff.; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 106; Richter, wistra 2000, 1, 3; Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 82; Uhlenbruck, NZI 2002, 401,403; Hefendehl, wistra 2003, 1, 3; Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 759; a. A. Bader, NZI 2009, 416, 419. 490  Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 9. 491  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 23. 492  Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 84; Diversy, ZInsO 2005, 180, 184; vgl. auch Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 404 und Bader, NZI 2009, 416, 420. 493  OLG Jena NZI 2011, 382, 383; a.  A. Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13. 489  So



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Tatsachen, die den Ermittlungsbehörden bereits unabhängig von der Schuldnerauskunft bekannt sind, sollen vom Beweisverwertungsverbot ausgenommen werden.494 Einigkeit besteht ferner dahingehend, dass auch falsche Angaben nicht § 97 Abs. 1 S. 3 InsO unterfallen. Dem Schuldner soll keine Straffreiheit für zusätzliches Unrecht gewährt werden, denn die Falschauskunft ist gegebenenfalls wegen falscher eidesstaatlicher Versicherung gem. § 156 StGB oder Bankrott gem. § 283 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 8 StGB strafbar.495 Schweigt der Schuldner aber, so entzieht er sich eines Eingriffs in die Selbstbelastungsfreiheit. Sein Schweigen soll daher verwertbar sein.496 Demgegenüber ist anerkannt, dass Auskünfte zugunsten des Schuldners stets verwertbar sind; hier wird die Selbstbelastungsfreiheit nicht berührt.497 Dementsprechend sind auch neutrale Angaben verwertbar.498 b) Frühwirkung Die Insolvenzgerichte sind verpflichtet, die Staatsanwaltschaft über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, beziehungsweise seine Abweisung mangels Masse, zu informieren.499 Infolge dieser Mitteilung veranlasst die Staatsanwaltschaft die Übermittlung der Insolvenzakten, um so eine Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens zu treffen. In der Insolvenzakte sind aber auch die Auskünfte des Gemeinschuldners im Sinne von § 97 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO enthalten; sie beinhaltet damit auch selbstbelastende Angaben.500 Ginge man nun von einer Frühwirkung des Beweisverwendungsverbots aus, so dürfte die Insolvenzakte schon nicht in diesem Umfang der Staatsanwaltschaft übermittelt wer494  LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 282, 283; Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13. 495  Bittmann / Rudolphi, wistra 2001, 81, 84; Richter, wistra 2000, 1, 3; Diversy, ZInsO 2005, 180, 183; Bader, NZI 2009, 416, 420; vgl. auch Richter, in: MüllerGugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 76, Rn. 35. 496  Richter, wistra 2000, 1, 3; Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 83; Diversy, ZInsO 2005, 180, 183; Bader, NZI 2009, 416, 420. 497  Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 84; Bader, NZI 2009, 416, 420; Richter, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 76, Rn. 34; a. A. hingegen Richter, wistra 2000, 1, 3 f., mit Verweis auf den eindeutigen Wortlaut von § 97 Abs. I S. 3 InsO. 498  Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 84; Bader, NZI 2009, 416, 420; Richter, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 75, Rn. 34. 499  Vgl. im 2. Teil Nr. VIII 2 und 3 der Anordnung über die Mitteilung in Zivilsachen. 500  Vgl. zur Praxis Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Hefendehl, wistra 2003, 1, 4; Diversy, ZInsO 2005, 180, 180; Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 761.

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den. Die selbstbelastenden Angaben müssten zuvor aus der Akte entfernt werden.501 Ob § 97 Abs. 1 S. 3 InsO tatsächlich eine solche Wirkung zukommt, wird kontrovers beurteilt: aa) Argumente für die Annahme einer Frühwirkung Einerseits wird § 97 Abs. 1 S. 3 InsO eine solche Frühwirkung zugesprochen.502 So führte bereits Heußner in seinem Sondervotum zum Gemeinschuldnerbeschluss an, dass mit der Weitergabe an die Strafverfolgungsbehörden die Selbstbelastungsfreiheit verletzt würde. Allein ein umfassendes Beweisverbot, das bereits die Weitergabe an die Behörden untersagt, könne daher dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit Rechnung tragen. Letzten Endes könne auch nur die absolute Sicherheit des Gemeinschuldners diesen zur umfassenden Kooperation im Insolvenzverfahren bewegen.503 bb) Argumente gegen die Annahme einer Frühwirkung Die Gegenansicht lehnt eine solche Frühwirkung ab.504 Zur Begründung wird hier der Gesetzeswortlaut herangezogen, wonach die Verwendung „in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten“ untersagt ist. Die Betonung sei hier auf „in“ zulegen. Dadurch käme zum Ausdruck, dass im Zeitpunkt der vermeintlichen Verwendung ein Verfahren bereits existent sein müsste. Der Beginn des Ermittlungsverfahrens sei aber der frühestmögliche Zeitpunkt, um vom Vorliegen eines Verfahrens zu sprechen. Dieses setze wiederum das Bestehen eines Anfangsverdachts voraus. Damit sei die Bildung des Anfangsverdachts dem Strafverfahren vorgelagert und § 97 Abs. 1 S. 3 InsO insoweit nicht anwendbar.505 Für diese Sichtweise ließen sich auch die Gesetzgebungsmaterialien anführen. So heißt es, die Aussage des Gemeinschuldners solle 501  Dafür: Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 405; Hohnel, NZI 2005, 152, 154; mit Einschränkung auch LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 282, 283. 502  Vgl. Schilken, in: Jäger, InsO, § 97, Rn. 23; Richter, wistra 2000, 1, 3; LG Stuttgart, NStZ-RR 2001, 282; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 405 f.; Hohnel, NZI 2005, 152, 154; Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 764; Jahn, Gutachten C zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 96 mit Fn. 44. 503  Insgesamt BVerfG 56, 37, 52 ff. 504  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 85; Hefendehl, wistra 2003, 1, 6; Diversy, ZInsO 2005, 180, 181 f.; Bader, NZI 2009, 416, 418 f. 505  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Hefendehl, wistra 2003, 1, 5; Diversy, ZInsO 2005, 180, 182; Bader, NZI 2009, 416, 418; a. A. Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 764, der auf eine formale Betrachtung abstellt.



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„auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen“506. Unter Hervorhebung des Zusatzes „weitere“ wird sodann angeführt, die Staatsanwaltschaft müsse bereits einen Anfangsverdacht gebildet haben, damit weitere, nachfolgende Ermittlungen aufgenommen werden könnten.507 Zudem wird auch auf Probleme bei der Kompetenzverteilung und der Praktikabilität hingewiesen: Eine Frühwirkung hätte zur Folge, dass selbstbelastende Angaben in der Insolvenzakte nicht übermittelt werden dürften. Damit müsste das Insolvenzgericht überprüfen, ob der Insolvenzakte Straftaten zu entnehmen sind und inwieweit Aussagen des Gemeinschuldners darauf einen Rückschluss zulassen. Dies würde aber den strafprozessualen Untersuchungsgrundsatz in unzulässiger Weise beschneiden. Ohnehin könnten die belastenden Teile der Insolvenzakte nicht trennscharf von nichtbelastenden Teilen abgegrenzt werden. Auch liefe man Gefahr, dass nicht nur der Gemeinschuldner, sondern auch Dritte vor strafrechtlicher Inanspruchnahme geschützt würden, wenn sich ihre Strafbarkeit zugleich aus den vorzuenthaltenden Aktenteilen ergäbe.508 Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss nicht der Ansicht Heußner’s folgte.509 Zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit sei eine solch weitreichende Wirkung demnach nicht erforderlich.510 c) Fernwirkung Über den Umfang eines Verwertungsverbots hinaus darf die Auskunft auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen herangezogen werden.511 Die Beweisführung gegen den Gemeinschuldner macht es damit erforderlich, dass eine Beweiskette vorgelegt wird, die unabhängig von seiner Auskunft auf die Straftat schließen lässt. Sie muss auf eigenständigen Beweismitteln beruhen, wie Auskünften Dritter oder Unterlagen, die unabhängig von der Schuldnerauskunft ermittelt wurden.512 Im Zweifel muss hier nachgewiesen 506  BT-Drucks.

12 / 7302, S. 166. wistra 2003, 1, 5; Diversy, ZInsO 2005, 180, 182. 508  So insgesamt Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Hefendehl, wistra 2003, 1, 5; Bader, NZI 2009, 416, 419; vgl. auch Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 10. 509  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Hefendehl, wistra 2003, 1, 4; Diversy, ZInsO 2005, 180, 182; Bader, NZI 2009, 416, 419. 510  Hefendehl, wistra 2003, 1, 5 f. 511  BT-Drucks. 12 / 7302, S. 166. 512  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Hefendehl, wistra 2003, 1, 6 f.; Bader, NZI 2009, 416, 419. In diesem Kontext entschied auch das LG Stuttgart, dass sich Ermittlungsmaßnahmen nicht auf einen Verdacht stützen dürfen, der auf der Schuldnerauskunft beruht, LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 282, 283. 507  Hefendehl,

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

werden, dass die Beweiskette nicht auf der Aussage des Schuldners basiert. Ist dies nicht zu klären, bleibt sie unverwertbar.513 Wenngleich das Zurückführen eines Beweises auf den Ursprung eines spezifischen Beweismittels auch praktische Schwierigkeiten birgt,514 so besteht hinsichtlich dieser zentralen Wirkung von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO weitestgehend Einigkeit. Indes sind folgende Detailfragen weiterhin umstritten: aa) Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe? Schwierigkeiten bereitet einerseits die Frage, ob auch hypothetische Kausalverläufe zu berücksichtigen sind. Hierbei wird diskutiert, ob Beweismittel, die auf der Auskunft des Gemeinschuldners beruhen, ausnahmsweise doch verwertbar sind, wenn sie auf zulässige Weise ohnehin bekannt geworden wären.515 So urteilte das LG Stuttgart unter Verweis auf die entsprechende Diskussion bei unselbstständigen Beweisverwertungsverboten, dass mittelbare Beweise auch im Rahmen von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO verwertbar sind, wenn sie in rechtlich nicht zu beanstandender Weise hätten gewonnen werden können.516 Dem hält die überwiegende Auffassung entgegen, dass im Rahmen eines ausdrücklich normierten, selbstständigen Beweisverwertungsverbots für die Berücksichtigung solch hypothetischer Kausalverläufe kein Raum bestehe.517 Insofern wird auf den Ursprung des Gedankens hingewiesen. Er entstamme der Diskussion um unselbstständige Verwertungsverbote, bei denen das Beweisverbot an eine rechtswidrige Beweiserhebung anknüpft. Hiervon unterscheide sich die Konstellation des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO aber grundlegend, da es sich um ein selbständiges Beweisverwertungsverbot handelt. Die Verwertung ist damit gesperrt, obwohl die Beweiserhebung rechtmäßig erfolgte. Der Gedanke sei daher schon mangels Vergleichbarkeit nicht übertragbar.518 Im Übrigen sei aber ohnehin dort, wo der Gesetzgeber ausdrücklich die Verwendung sperre, die Aushebelung über die hypothetische Kausalität unzulässig. Die explizite Anordnung der Fernwirkung enthalte den Appell an die Strafverfolgungsbehörden, alle Möglichkeiten einer 513  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; Hefendehl, wistra 2003, 1, 7; Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 771; vgl. auch Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 23. 514  Vgl. Hefendehl, wistra 2003, 1, 7. 515  Kritisch hierzu etwa Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 23. 516  LG Stuttgart NStZ-RR, 282, 283 m. w. N. 517  Hefendehl, wistra 2003, 1, 7 f.; Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17; kritisch auch Schilken, in: Jaeger, InsO, Rn. 23; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 9. 518  Hefendehl, wistra 2003, 1, 7.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 229

rechtmäßigen Beweisgewinnung auszuschöpfen. Sofern dies nicht gelinge, könne es den Behörden nicht zu Gute kommen, dass es eine derartige Möglichkeit gegeben hätte. Andernfalls liefe dieser Appell leer, da er keine Konsequenzen nach sich ziehe.519 bb) Verwertbarkeit von Unterlagen Den zweiten Problemkreis bildet die Frage, ob und inwiefern Unterlagen dem Verwendungsverbot unterfallen. Hierbei wird differenziert: (1) Schriftliche Auskünfte Gem. § 97 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO ist der Gemeinschuldner zur umfassenden Auskunft verpflichtet. Erforderlich ist grundsätzlich die persönliche, verbale Auskunft.520 Die Auskunftsberechtigten können dem Schuldner aber ebenso gestatten, seiner Verpflichtung schriftlich nachzukommen.521 Darüber hinaus kann vom Schuldner im Rahmen des § 97 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO auch das Anfertigen von Aufzeichnungen oder Übersichten wie beispielsweise das Erstellen eines Finanzplans oder Vermögensverzeichnisses gefordert werden.522 Kommt der Gemeinschuldner dieser Verpflichtung nun nach, so ist der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit in selbigem Maße betroffen wie durch die verbale Auskunft. Sowohl schriftlich fixierte Auskünfte, als auch zu Auskunftszwecken angefertigte Aufzeichnungen werden daher vollumfänglich dem Beweisverwertungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO zugeordnet.523 (2) Vorlage bestehender Unterlagen Der Schuldner kann sich in seiner Auskunft auf Unterlagen beziehen oder sie als Anlage beifügen. Ein solcher Verweis kann für den Insolvenzverwalter von großem Nutzen sein, da eine verfahrensbeschleunigende Wirkung 519  Hefendehl, wistra 2003, 1, 8; zustimmend Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 17. 520  Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 6; Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 22. 521  Dazu Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 22; siehe auch Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 6; Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 16. Eine solche Vereinbarung sei in der Praxis durchaus geläufig, so Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 767. 522  Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 768. 523  Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 768.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

erzielt wird. Um dem Gemeinschuldner daher einen Anreiz zu schaffen, könnten die Unterlagen in die Fernwirkung miteinzubeziehen sein.524 Andererseits ist jedoch zu bedenken, dass dem Schuldner keine Möglichkeit eröffnet werden soll, belastende Unterlagen der Verwertung zu entziehen. Dies käme einem „Asyl […] für Geschäftsunterlagen“525 gleich und hätte zur Folge, dass „Strafverfolgung im Bereich der Insolvenzdeliquenz […] damit – jedenfalls bei den gut Beratenen – weitgehend ausgeschlossen [wäre]“526. Mit Blick auf diesen Zwiespalt wird die Frage, ob vorgelegte Unterlagen dem Beweisverwendungsverbot unterfallen, kontrovers beurteilt: Wird der Gemeinschuldner nun derart aktiv tätig und legt einzelne Geschäftsunterlagen vor, so wertet die überwiegende Ansicht dies als Auskunft im Sinne des § 97 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO. Als Konsequenz müsse daher auch das Beweisverwendungsverbot auf die vorgelegten Unterlagen Anwendung finden.527 Dies sei mit Blick auf nemo tenetur gerechtfertigt, da der Gemeinschuldner vor den Konsequenzen nonverbaler Mitwirkung genauso zu schützen ist wie vor denen aus verbalen Auskünften.528 Es handle sich um „zwei Seiten einer Medaille“529. Noch dazu läge anderenfalls ein Wertungswiderspruch vor, da sonst derjenige Schuldner, der Vorgänge zu Gunsten des Insolvenzverwalters dokumentiert und vorlegt, benachteiligt würde gegenüber jenem, der lediglich mündlich Auskunft gewährt.530 Die Gegenansicht ordnet die Vorlage von Geschäftsunterlagen hingegen nicht der Auskunftspflicht gem. § 97 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO zu. Auskünfte seien allein verbaler Natur und enthielten eine persönliche Erklärung des Gemeinschuldners zu den Verhältnissen der Gesellschaft.531 Die Beschaffung und Vorlage von Geschäftsunterlagen müsse daher als allgemeine Mitwirkung im Sinne des § 97 Abs. 2 InsO begriffen werden. Das Beweisverwendungsverbot beziehe sich aber ausdrücklich nur auf Auskünfte im Sinne von § 97 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO, so dass die Unterlagen vollumfänglich verwertbar wären.532 Hefendehl, wistra 2003, 1, 8. wistra 2000, 1, 4. 526  Richter, wistra 2000, 1, 4. 527  Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13; Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 18a; Hefendehl, wistra 2003, 1, 9. 528  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 18a; Hefendehl, wistra 2003, 1, 8; vgl. auch Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 769. 529  Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13. 530  Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 18a; Hefendehl, wistra 2003, 1, 9. 531  Richter, wistra 2000, 1, 4. 532  Vgl. OLG Jena NZI 2011, 382, 383; OLG Celle NJW-Spezial 2013, 250, 250; Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 25; Richter, wistra 2000, 1, 4; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 405; Bader, NZI 2009, 416, 420. Vgl. auch Püschel, in: DAV-Arbeitsge524  Vgl.

525  Richter,



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 231

(3) Sonderfall: führungspflichtige Unterlagen Ungeachtet der formalen Differenzierung zwischen § 97 Abs. 1 S. 1 und S. 2 InsO beziehungsweise § 97 Abs. 2 InsO besteht indes weitestgehend Einigkeit, dass Geschäftsunterlagen, zu denen eine gesetzliche Führungspflicht besteht, stets verwertbar sein sollen.533 Dies betrifft insbesondere Handelsbücher und Bilanzen gem. §§ 238 ff. HGB. Während Rechtsprechung und Teile der Literatur hier weiterhin der Linie folgen, es handle sich ohnehin um verwertbare Mitwirkungen im Sinne des § 97 Abs. 2 InsO, sollen führungspflichtige Unterlagen auch nach entgegenstehender Ansicht verwertbar sein: Besteht ohnehin eine gesetzliche Führungs- und Vorlagepflicht, fehlt nach Ansicht Hefendehl’s ein eigenständiger Erklärungswert der Schuldnerhandlung. Dort wo der Schuldner aber keine Zusatzinformation biete, komme ein Entgegenkommen in Form eines Beweisverwendungsverbots auch nicht in Betracht. Die vorzulegenden Unterlagen sprächen hier schon für sich selbst; es bedürfe daher keines „Deals“ mit dem Gemeinschuldner. Die Herleitung des Beweisverwendungsverbots über die Selbstbelastungsfreiheit markiere damit auch seine Begrenzung.534 Erkenntnisquellen, welche der Schuldner unabhängig von der Auskunftspflicht schaffen musste, blieben damit verwertbar.535 Das Verwendungs­ verbot sei auf die durch § 97 Abs. 1 S. 1 InsO ursächlich zu schöpfenden Auskünfte beschränkt.536 So betont auch Zipperer, dass die führungspflichtigen Geschäftsunterlagen gerade zu Beweiszwecken geschaffen wurden und bereits bekannte Tatsachen dokumentieren.537 Dem wird vereinzelt entgegengehalten, der Gesetzgeber habe mit dem Beweisverwendungsverbot einen weitreichenden und wirksamen Schuldmeinschaft, 2009, S. 759, 769, der § 97 Abs. 1 S. 3 InsO aber zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit extensiv auslegt und auch auf Mitwirkungspflichten gem. Abs. 2 erstreckt. 533  LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 282, 283; Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13; Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 18a; Richter, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 76, Rn. 37 ff. Uhlenbruck, NZI 2002, 401, Hefendehl, wistra 2003, 1, 9; 405; Bader, NZI 2009, 416, 420. Vgl. demgegenüber OLG Jena NZI 2011, 382, 383; Schilken, in: Jaeger, InsO, § 97, Rn. 25; Richter, wistra 2000, 1, 4; Diversy, ZInsO 2005, 180, 181 – hier werden die entsprechenden Unterlagen bereits über die Mitwirkungspflicht des § 97 Abs. 2 InsO ausgeschlossen. Hingegen insgesamt a. A. wohl allein: Püschel, in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 769 f. 534  So insgesamt Hefendehl, wistra 2003, 1, 8  f.; s. auch Stephan, in: MüKo, InsO, § 97, Rn. 18a. 535  Bittmann / Rudolph, wistra 2001, 81, 82. 536  Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13. 537  Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

nerschutz intendiert. Zweck und Formulierung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO würden daher den Miteinbezug auch führungspflichtiger Unterlagen fordern.538 d) Zwischenergebnis Die Reichweite des Beweisverwendungsverbots gem. §  97 Abs.  1 S. 3 InsO wird vom Spannungsfeld zweier Gegenpole bestimmt: Auf der einen Seite steht das Ziel eines umfassenden Schuldnerschutzes. Er soll durch ein möglich weitreichendes Beweisverwendungsverbot zur Mitwirkung motiviert werden; allein auf diesem Weg kann im öffentlichen Inte­ resse die zügige und gerechte Gläubigerbefriedigung gewährleistet werden. Dem steht auf der anderen Seite die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung gegenüber. Ein zu weitreichendes Verwendungsverbot behindert die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und droht so zum Freischein der Insolvenzdeliquenz zu werden. In diesem Spannungsfeld entspringt nun eine Diskussion um die Grenzziehung von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO. Ein sicheres Verständnis kann hier allein der Reichweite des darin enthaltenen Verwertungsverbots zu Grunde gelegt werden. Darüber hinaus werden sowohl die Früh- als auch die Fernwirkung kontrovers beurteilt. Nahezu unbestritten ist dabei aber, dass Unterlagen mit gesetzlicher Führungs- und Vorlagepflicht vom Anwendungsbereich des Verwendungsverbots jedenfalls auszunehmen sind. 2. Die Reichweite des § 393 Abs. 2 S. 1 AO Eine weitere Vorschrift aus dem Bereich der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten ist dem Steuerrecht zu entnehmen. Hier trägt § 393 Abs. 2 S. 1 AO der Kollision von Selbstbelastungsfreiheit und steuerrechtlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten durch ein Beweisverbot Rechnung.539 Es handelt sich hierbei um die älteste Vorschrift der Fallgruppe; sie bestand bereits zum Zeitpunkt des Gemeinschuldnerbeschlusses und ging dem Erlass von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO zeitlich voraus. Gemeinschuldnerbeschluss und § 97 Abs. 1 S. 3 InsO markieren jedoch einen deutlichen Umbruch der Problematik, so dass dem zeitlich vorausgehenden § 393 Abs. 2 S. 1 AO nur bedingt systematische Rückschlüsse entnommen werden können.

538  Püschel, 539  Siehe

in: DAV-Arbeitsgemeinschaft, 2009, S. 759, 769 f. hierzu auch oben S. 116 f.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 233

a) Kernbereich: Verwertungsverbot Dem Wortlaut nach schließt § 393 Abs. 2 S. 1 AO die Verwendung aus; dennoch wird die Vorschrift wohl noch überwiegend als bloßes Verwertungsverbot ausgelegt.540 Tatsachen oder Beweismittel, die infolge der Mitwirkungspflichten zur Steuerakte gelangen, dürfen demnach zur Verfolgung einer allgemeinen Straftat nicht verwertet werden.541 Insofern ist auch eine Umgehung der Verwertungssperre durch Vernehmung der Beamten über den Inhalt der Akte unzulässig.542 Die Tatsachen und Beweismittel müssen gerade in Erfüllung der Pflicht gem. § 90 AO offenbart werden; dies setzt die Veranlassung der Finanzbehörde voraus.543 Macht der Steuerpflichtige falsche Angaben oder legt er gefälschte Urkunden vor, soll ihm der Schutz des § 393 Abs. 2 S. 1 AO nicht zu Gute kommen.544 Auch eine Verwendung zu Gunsten des Steuerpflichtigen bleibt möglich, da Beweisverbote stets als Belastungsverbote zu verstehen sind.545 Unterlagen, zu deren Führung und Vorlage eine gesetzliche Verpflichtung besteht, sollen stets verwertbar sein; hier sei die Selbstbelastungsfreiheit nicht in ihrem Kernbereich betroffen.546 Überwiegend abgelehnt wird der Miteinbezug von hypothetischen Kausalverläufen, so dass Beweismittel, die in anderer Weise hätte erlangt werden können, vom Verwertungsverbot nicht ausgenommen werden.547 540  Vgl.

hierzu S. 116 f. zum Begriff der Steuerakte Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393, Rn. 83; Jäger, in: Klein, AO, § 393, Rn. 53; Reichling, HRRS 2014, 473, 475 f. 542  Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393, Rn. 83; Reichling, HRRS 2014, 473, 476. 543  Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393, Rn. 71; Nikolaus, in: Flore / Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 80; Bachler, in: BeckOK, StPO, § 393 AO, Rn. 8. 544  BGH NStZ 2004, 528, 528; BGH NJW 2005, 2720, 2723; Jäger, in: Klein, AO, § 393, Rn. 49; Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393, Rn. 74; Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 491 f. 545  Bülte, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 90; Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 494. 546  BVerfG wistra 2010, 341, 344; BGH BeckRS 2014, 11494, Rn. 35; vgl. auch Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393, Rn. 71; Bülte, in: Graf / Jäger /  Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 62a; kritisch Reichling, HRRS 2014, 473, 481 mit Verweis auf den Wortlaut – der Begriff der „Tatsachen und Beweismittel“ umfasse auch Unterlagen. 547  Nikolaus / Webel, in: Flore / Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 127; Bülte, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 86; Bachler, in: BeckOK, StPO, § 393 AO, Rn. 9; Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuer­ strafrecht, § 393, Rn. 85; Reichling, HRRS 2014, 473, 477. Vgl. aber a. A. Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 493. 541  Vgl.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

b) Fernwirkung Ob und inwiefern § 393 Abs. 2 S. 1 AO Fernwirkung zukommt, ist äußerst umstritten.548 Die wohl noch überwiegende Ansicht549 lehnt eine solche Wirkung ab: § 393 Abs. 2 S. 1 AO wurde seit Beginn als Verwertungsverbot verstanden; bei Erlass der Vorschrift im Jahr 1967 haftete dem Begriff der Verwendung schließlich noch kein eigenes, datenschutzrechtliches Verständnis an.550 Dennoch betont eine im Vordringen befindliche Ansicht den Wortlaut und zieht eine Parallele zur zeitlich nachfolgenden Vorschrift des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO.551 Erwägungen zum Wandel des Sprachgebrauchs, wie sie die Gegenansicht anführt, dürften einer solch teleologisch sachgemäßen Auslegung nicht entgegenstehen.552 Beiden Fällen läge die Frage zu Grunde, ob Informationen, die vom Betroffenen unter Zwang im (Verwaltungs-)Verfahren erlangt wurden, in einem Strafverfahren gegen ihn verwendet werden dürfen. Der Gesetzgeber habe daher in beiden Konstellationen ein Verwendungsverbot aufgenommen, welches ipso iure Fernwirkung beinhalte.553 Dies führe dazu, dass die gesperrten Tatsachen und Beweismittel nicht als Spurenansatz und auch nicht zur Bildung eines Anfangsverdachts dienen können.554 Zur Beweisführung beziehungsweise zur Bildung eines Anfangsverdachts sei stets eine unabhängige Quelle erforderlich.555 Andernfalls würde die Selbstbelastungsfreiheit nicht hinreichend geschützt.556 548  Dies betonte jüngst OLG Hamm BeckRS 2015, 04786. Offen gelassen auch von BGH NJW 2005, 763, 765. 549  Vgl. etwa BGH NJW 2006, 925, 932; BayObLG NJW 1997, 600, 601; ­BayObLG NStZ 1998, 575, 575; Bachler, in: BeckOK, StPO, § 393 AO, Rn. 11; Jäger, in: Klein, AO, § 393, Rn. 51; Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten, 1997, S. 135; deutlich Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, 2005, S. 524. 550  Vgl. hierzu Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, 2005, S. 525. 551  LG Göttingen, wistra 2008, 231, 233 f.; Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393, Rn. 90 ff.; Bülte, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 81 ff.; Nikolaus / Webel, in: Flore / Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 126; Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 485; Reichling, HRRS 2014, 473, 477; Talaska, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Spannungsfeld von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, 2006, S. 144 ff. 552  Rogall, NStZ 2006, 41, 42. 553  Vgl. insbesondere Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 476 und 485; LG Göttingen wistra 2008, 231, 234. 554  Die Frühwirkung bejahend: LG Göttingen wistra 2008, 231, 234; Nikolaus / Webel, in: Flore / Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 127; Joecks, in: ders. / Jäger / Randt, Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rn. 92; Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 485 und 493; Reichling, HRRS 2014, 473, 477. 555  So insgesamt Rogall, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 465, 485.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 235

3. Die Reichweite eines zwangsvollstreckungsrechtlichen Beweisverbots Nach Maßgabe des § 802c Abs. 1 und Abs. 2 ZPO hat der Schuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren Auskunft über sein Vermögen zu erteilen und muss ihre Richtigkeit und Vollständigkeit gem. Abs. 3 eidesstattlich versichern.557 Dabei umfasst die Auskunftspflicht auch solche Angaben, denen eine strafrechtliche Selbstbelastung entspringt.558 Die Mitwirkungspflicht kann im Wege der Zwangshaft gem. § 802g ZPO durchgesetzt werden. Nach überwiegender Ansicht ist ein solcher Selbstbelastungszwang aber mit nemo-tenetur nicht zu vereinbaren.559 Die Vorschrift sei daher ergänzend so auszulegen, dass die Angaben im Strafverfahren nicht verwertet werden dürften.560 Eine jüngere Ansicht hält dem entgegen, der Gesetzgeber habe bei Einführung des § 802c ZPO bewusst kein Verwertungsverbot aufgenommen; Wortlaut und Gesetzgebungsmaterialien stünden einer solchen Annahme entgegen.561 Dort, wo hingegen ein ergänzendes Verwertungsverbot bejaht wird, wird seine Reichweite unterschiedlich beurteil: Teilweise wird schlicht der Begriff des Verwertungsverbots gebraucht.562 Mitunter wird aber auch vertreten, dass dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit allein ein umfassendes Verwendungsverbot entsprechen würde. Die Konstellation sei mit dem Fall des § 97 Abs. 1 InsO identisch, so dass – schon aus Gründen der Gleichbehandlung gem. Art. 3 Abs. 1 GG – ein Verwendungsverbot mit Fernwirkung erforderlich sei.563 Sowohl im Fall des Verwer556  LG Göttingen wistra 2008, 231, 233. Vgl. im Ergebnis auch Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 114. 557  § 802c ZPO ist zum 01.01.2013 in Kraft getreten und entspricht weitestgehend § 807 ZPO a. F., vgl. BT-Drucks. 16 / 10069, S. 25. 558  Voit, in: Musielak / Voit, ZPO, § 802c, Rn. 7; Fleck, in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; Weiß, NJW 2014, 503, 503 f. Vgl. zuvor bereits BGH NJW 1964, 60, 61; BGH NJW 1964, 1469, 1470 f.; BGH NJW 1991, 2844, 2845. 559  Fleck, in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; Weiß, NJW 2014, 503, 505. Vgl. zur Problematik bereits S. 119 f. 560  So bereits zu § 807 ZPO a. F. BVerfG BeckRS 2008, 35240; BGH NJW 1991, 2844, 2845; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531; Bärlein / Pananis / Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827. Vgl. nunmehr auch Voit, in: Musielak / Voit, ZPO, § 802c, Rn. 7; Fleck, in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; a. A. Rathmann, in: Saenger, ZPO, § 802c, Rn. 1 jedoch ohne nähere Begründung. 561  Weiß, NJW 2014, 503, 507 mit der Konsequenz der teilweisen Verfassungswidrigkeit auf S. 509; kritisch hierzu Stam, StV 2015, 130, 131. 562  BGH NJW 1991, 2844, 2845; Fleck, in: BeckOK, ZPO, § 802c, Rn. 30; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531; Bärlein / Pananis / Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827; wohl auch BVerfG BeckRS 2008, 35240. 563  Stam, StV 2015, 130, 132 f.; vgl. Voit, in: Musielak / Voit, ZPO, § 802c, Rn. 7. Vgl. auch Weiß, NJW 2014, 503, 506 und 508, der aber auch die Möglichkeit eines Auskunftsverweigerungsrechts für selbstbelastende Angaben in Erwägung zieht.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

tungs- als auch des Verwendungsverbots fehlen indes konkrete Aussagen zur Reichweite.564 4. Die Reichweite eines Beweisverbots im Zusammenhang mit internen Ermittlungen Sofern eine uneingeschränkte Auskunftspflicht im Rahmen von internen Ermittlungen bejaht wird,565 stellt sich die Frage, ob die Selbstbelastung im anschließenden Strafverfahren verwertet werden kann. Zum Schutz des Arbeitnehmers wird mehrheitlich die Selbstbelastungsfreiheit herangezogen und nach Vorbild des Gemeinschuldnerbeschlusses ein Beweisverbot gefordert.566 Es ergäbe sich „eine eindeutige Parallele zwischen dem Insolvenzrecht und dem hier betroffenen Arbeitsrecht“567. Dem wird zum Teil entgegengehalten, die Sachlage bei internen Ermittlungen könne nicht mit der des Insolvenzrechts verglichen werden. Es handle sich um eine rein private Auskunftspflicht, die auf vertraglichem Wege freiwillig übernommen wurde.568 Die überwiegende Mehrheit spricht sich hingegen – zumeist auf Grundlage des Gemeinschuldnerbeschlusses – für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots569 beziehungsweise Beweisverwendungsverbots570 aus. Befürworter eines Beweisverwendungsverbots argumentieren insofern, dass der Selbstbelastungsfreiheit allein durch eine umfassende Verwendungssperre Rechnung getragen werden könne.571 Dabei sei eine Frühwirkung aber zu verneinen; einem privaten Unternehmen könne es „rechtlich 564  Offen

gelassen von BVerfG BeckRS 2008, 35240. hierzu oben S. 121 f. 566  Kritik zur Vorbildfähigkeit des Gemeinschuldnerbeschlusses hingegen bei Greco / Caracas, NStZ 2015, 7, 12, m. w. N.: „Es erweist sich als äußerst schwierig, die generalisierbare Regel auszuformulieren, die in der Entscheidung Ausdruck gefunden haben soll. […] Die Gemeinschuldner-Entscheidung, ihre Richtigkeit unterstellt, dürfte eher den Ausdruck einer abwägenden bzw. verhältnismäßigkeitsorientierten Billigkeitsrechtsprechung verkörpern. Aus ihrer ausdrücklichen Begründung lässt sich für andere Konstellationen wenig Gesichertes herleiten.“ 567  I. Roxin, StV 2012, 116, 120. 568  LG Hamburg NJW 2011, 942, 944; Wimmer, in: FS-I. Roxin, 2012, S. 537, 549. 569  LAG Hamm CCZ 2010, 237, 239; Bittmann / Molkenbur, wistra 2009, 378, 378; v. Galen, NJW 2011, 945, 945; I. Roxin, StV 2012, 116, 120; vgl. auch Dann / Schmidt, NJW 2009, 1851, 1855. 570  Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133, Rn. 140; Schuhr, in: MüKo, StPO, Vor §§ 133 ff., Rn. 115; Böhm, WM 2009, 1926 ff.; Dann, CCZ 2010, 237, 240; Theile, StV 2011, 381, 385 f.; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 267; vgl. auch Gerst, CCZ 2012, 1, 3. 571  Theile, StV 2011, 381, 386; Dann, CCZ 2010, 237, 240; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 267. 565  Vgl.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 237

kaum verwehrt werden, Strafanzeige zu erstatten und den Strafverfolgungsbehörden rechtswidrige Mitarbeiterpraktiken zu offenbaren“572. Aus dem Anwendungsbereich des Verwertungs- beziehungsweise Verwendungsverbot sollen indes freiwillige und falsche Angaben ausgenommen werden, da es insoweit zu keiner Kollision mit nemo tenetur komme.573 Vereinzelt wird demgegenüber der Grundsatz der Verfahrensfairness herangezogen.574 Der Ansatz geht dabei von der Prämisse aus, dass die Selbstbelastungsfreiheit mangels staatlicher Zwangsausübung nicht einschlägig ist.575 Der Weg über die Verfahrensfairness stelle auch gegenüber der Selbstbelastungsfreiheit die flexiblere Lösung dar, da der Grundsatz der Verfahrensfairness rechtstheoretisch die Struktur eines Prinzips und nicht die einer Regel aufweise und damit der Abwägung zugänglich sei.576 Aus ihm könne im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot folgen, wenn die Verfahrensfairness bei der konkreten Durchführungsart der Ermittlungen in Schieflage gerate.577 5. Ergebnis Zur Reichweite vergleichbarer Beweisverbote ist zunächst festzustellen, dass hier erhebliche Unsicherheiten bestehen. Die Schwierigkeiten in diesem Bereich rühren hier nicht zuletzt daher, dass ein zu weit gefasstes Verständnis Barrieren bei der Strafverfolgung schafft, wohingegen sich eine zu enge Sichtweise nachteilig auf die Mitwirkungsbereitschaft des Verpflichteten auswirken kann. Die Analyse voranstehender Fallgruppen hat dabei gezeigt, dass zur Argumentation für und wider der Annahme von Fernwirkung sowie zur Bestimmung ihrer Reichweite auf den Gemeinschuldnerbeschluss und die Auslegung von § 97 Abs. 1 S. 3 InsO zurückgegriffen wird. Es zeigten sich dieselben Argumentationsmuster und Lösungsansätze. Dies legt den Schluss nahe, dass die Bestimmung der Reichweite außerstrafprozessualer Beweisverbote grundsätzlich einer stringenten Lösung zuzuführen ist. Folgende Erkenntnisse können damit bei nachstehender ­Untersuchung systematischer Impulse setzen: Kern des Beweisverbots ist stets ein Verwertungsverbot. Die Aussage selbst darf damit nicht verwertet werden. Auch eine Umgehung über die 572  Theile,

StV 2011, 381, 386. wistra 2009, 373, 377. 574  Vgl. insgesamt Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 390 ff.; Momsen, ZIS 2011, 508, 513; Knauer, ZWH 2012, 81, 86; Knauer / Gaul, NStZ 2013, 192, 193. 575  Knauer / Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 90; Momsen, ZIS 2011, 508, 513. 576  Knauer / Gaul, NStZ 2013, 192, 193. 577  Knauer, ZWH 2012, 81, 86; vgl. auch Momsen, ZIS 2011, 508, 515. 573  Bittmann / Molkenbur,

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

Vernehmung von Zeugen vom Hörensagen ist unzulässig. Der Schutz beschränkt sich auf Aussagen, die in Erfüllung der jeweiligen Offenbarungspflicht erfolgten – freiwillige und falsche Angaben sowie solche in Erfüllung anderer Pflichten sind nicht umfasst. Schweigt der Auskunftspflichtige, so ist dies mangels Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit verwertbar. Gleiches gilt für Angaben zu seinen Gunsten. Die Frage einer Frühwirkung ist nicht abschließend geklärt. Auch die konkrete Fernwirkung wirft – sofern sie im Einzelfall anzunehmen ist – nach wie vor Fragen auf. Die Auskunft darf jedenfalls nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen herangezogen werden. Dies macht eine Beweiskette erforderlich, die unabhängig von der Selbstbelastung auf die Straftat schließen lässt. Hypothetische Kausalverläufe sollen nach überwiegender Ansicht nicht berücksichtigt werden, da der Gesetzgeber hier ausdrücklich eine Sperrung anordnet. Schriftliche Auskünfte stehen grundsätzliche einer verbalen Offenbarung gleich, das heißt sie sind regelmäßig vom Beweisverbot umfasst. Dies gilt aber nach überwiegender Ansicht nicht für Unterlagen, zu deren Führung und Vorlage eine gesetzliche Verpflichtung besteht, denn ihnen entspringt unabhängig von der Offenbarungspflicht eine eigene Selbstbelastung.

III. Die Reichweite des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen soll nun die Reichweite des Beweisverwendungsverbots nach § 630c Abs. 2 S. 3 BGB bestimmt werden. Da jedem Verwendungsverbot ein Verwertungsverbot innewohnt, beginnt der folgende Abschnitt mit der Untersuchung dieses Kerngehalts. Sodann ist der Frage nachzugehen, ob und inwiefern § 630c Abs. 2 S. 3 BGB Frühwirkung, Fernwirkung sowie Fortwirkung entfaltet. 1. Verwertungsverbot Kern des Verwendungsverbots ist die Sperrung der Fehleroffenbarung an sich. Sie darf nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsbildung gemacht werden. Auch die Vernehmung des Patienten als Zeuge vom Hörensagen ist unzulässig; dies käme einer Umgehung der Sperrwirkung gleich.578 Umfasst sind nur solche Auskünfte, die in Erfüllung der Pflicht nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB erfolgten. Mit Blick auf die Argumentation 578  Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 977; Jaeger, in: FS-von HeintschelHeinegg, 2015, S. 211, 219; Frister / Wostry, in: AG-Medizinrecht, 2014, S. 53, 62; Spickhoff, JZ 2015, 15, 18; Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 509; hingegen offen gelassen von: Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 28; Jaeger, PatRG, 167; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 239

innerhalb der Vergleichsgruppe sowie den Zweck des Selbstbelastungsschutzes sind demnach falsche Angaben verwertbar. Dies gilt auch für freiwillige Fehleroffenbarungen,579 also Angaben die weder zur Abwendung einer Gesundheitsgefahr, noch auf Nachfragen des Patienten hin erfolgen. Auch die Informationsverwendung zu Gunsten des Behandelnden berührt die Selbstbelastungsfreiheit nicht und bleibt damit weiterhin möglich. 2. Frühwirkung § 630c Abs. 2 S. 3 BGB könnte bereits der Bildung eines Anfangsverdachts entgegenstehen. Ob eine solche Frühwirkung hier besteht, ist noch weitestgehend ungeklärt.580 Die Frage wird bisweilen nur vereinzelt thematisiert und jedenfalls kontrovers beurteilt. a) Rogall Rogall lehnt eine Frühwirkung ab. Zur Begründung könne der einschränkende Wortlaut „im Verfahren“ überzeugend gegen die Frühwirkung angeführt werden: Die Bildung des Anfangsverdachts gehe dem Verfahren zeitlich voraus, so dass eine Wirkung des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB in diesem Zeitpunkt abzulehnen sei.581 b) Frister / Wostry Nach Auffassung von Frister / Wostry soll aus der Beschränkung auf Beweiszwecke hervorgehen, dass eine Verwendung als Ermittlungsansatz nicht ausgeschlossen ist.582 Wenn die Information aber als Ermittlungsansatz dienen könne, dann „[ergäbe] sich daraus zwingend, dass auch Beweise verwertet werden dürfen, die sich aus zulässigen Ermittlungen ergeben, die an der ‚Information nach Satz 2‘ ansetzen“583. Vor diesem Hintergrund wäre die Annahme einer Fernwirkung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB widersinnig. Ausgehend von dieser Prämisse stelle sich aber sodann die Frage, ob dem Verwertungsverbot Frühwirkung zukommt.

auch Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 28. Rehborn / Gescher, in: Erman, BGB, § 630c, Rn. 28; siehe auch Ruppert, HRRS 2015, 448, 453. 581  Rogall, in: FS-Beulke, 2015, 973, 977 m. w. N. 582  Frister / Wostry, in: AG-Medizinrecht, 2014, S. 53, 63. 583  Frister / Wostry, in: AG-Medizinrecht, 2014, S. 53, 64. 579  So

580  Vgl.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

Frister / Wostry bejahen diese Annahme. Unter Verweis auf die Gesetzesbegründung würde dem Betroffenen andernfalls ein unmittelbarer Nachteil aus der Fehleroffenbarung erwachsen. Zudem verweisen Frister / Wostry auf die Parallele zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO sowie § 393 Abs. 2 AO. Zwar sei die Frage auch dort nicht abschließend geklärt, jedoch sei die Problematik ausgehend vom Urteil des LG Stuttgart hinreichend aufgearbeitet worden: Die strafprozessuale Stellung des Auskunftspflichtigen dürfe nicht verschlechtert werden, dies sei aber bereits mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens der Fall. Ebenso wie das LG Stuttgart von Verfassungs wegen eine Frühwirkung im insolvenzrechtlichen Kontext bejahte, so dürfe auch hier die Fehleroffenbarung nicht zur Begründung eines Anfangsverdachts herangezogen werden.584 c) Ruppert Ruppert lehnt demgegenüber eine Frühwirkung ab. Der Wortlaut markiere dort eine Grenze, wo die Verwertung „im Verfahren“ untersagt wird. Die Bildung eines vorgelagerten Anfangsverdachts bliebe daher möglich. Darüber hinaus komme den Strafverfolgungsbehörden keine Kompetenz für die Abweisung einer auf der Fehleroffenbarung beruhenden Strafanzeige zu. Schließlich geht Ruppert von der Prämisse aus, dass die Frühwirkung in der Fernwirkung fuße, welche aber ohnehin § 630c Abs. 2 S. 3 BGB nicht erwachse. Die Zusammenschau ergäbe daher, dass die Bildung eines Anfangsverdachts nicht ausgeschlossen sei.585 d) Stellungnahme Die Frage, ob dem Beweisverwendungsverbot Frühwirkung zukommt, muss im Wege der umfassenden Auslegung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB beantwortet werden. Hierzu sind Wortlaut, Historie, Systematik sowie Schutzzweck der Norm zu würdigen. Wortlaut. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB statuiert, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht „in einem […] geführten Straf- oder Bußgeldverfahren“ verwendet werden dürfen. Der früheste Zeitpunkt vom Vorliegen eines Verfahrens zu sprechen, ist die Aufnahme des Ermittlungsverfahrens.586 Dies setzt jedoch einen bereits bestehenden Anfangsverdacht voraus; seine

dazu insgesamt Frister / Wostry, in: AG-Medizinrecht, 2014, S. 53, 68 ff. insgesamt Ruppert, HRRS 2015, 448, 454. 586  Beulke, Strafprozessordnung, Rn. 309. 584  Vgl. 585  So



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 241

Bildung ist dem Verfahren vorgelagert.587 Die Wirkung des Verwendungsverbots bezieht sich damit auf eine Zeitspanne ab Vorliegen des Anfangsverdachts. Insofern ist der Sichtweise von Rogall588 und Ruppert589 zuzustimmen; dem Wortlaut nach ist eine Frühwirkung abzulehnen. Historie. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass dem Behandelnden aus der Fehleroffenbarung kein unmittelbarer Nachteil erwachsen soll.590 Unter einem Nachteil ist nach allgemeinem Sprachgebrauch jede negative, belastende und unerwünschte Konsequenz zu verstehen, die über eine bloße Unannehmlichkeit hinausgeht. Es muss nach objektivem Maßstab eine echte Belastung von gewissem Gewicht vorliegen. Die Bildung eines Anfangsverdachts mit der Folge der Ermittlungsaufnahme ist als ein solcher Nachteil zu werten. So sind bereits der Verdacht einer potentiellen Straftat und die Aufnahme der Ermittlungsarbeit geeignet, das öffentliche Ansehen des Arztes erheblich zu beeinträchtigen und einen Vertrauensverlust auf Seiten der Patienten zu bewirken. Der historische Gesetzgeberwille spricht damit für die Annahme einer Frühwirkung. Systematik. Aus systematischer Sicht ist § 630c Abs. 2 S. 3 BGB in den Kontext der Vergleichsgruppe zu setzen. Ausgangspunkt einer systematischen Erwägung muss auch hier § 97 Abs. I InsO und der damit verbundene Gemeinschuldnerbeschluss sein. Zum Teil wird eine Frühwirkung im Insolvenzrecht abgelehnt. Hierzu wird insbesondere auf den Gemeinschuldnerbeschluss hingewiesen, in dem sich das BVerfG gegen das Sondervotum Heußner’s und dem darin enthaltenen Offenbarungsverbot entschied. Die Gegenansicht hält dem entgegen, dass der Selbstbelastungsfreiheit nur im Wege der Frühwirkung hinreichend Rechnung getragen werden könne.591 § 393 Abs. 2 S. 1 AO wird nur vereinzelt Frühwirkung zugesprochen.592 Im Fall der internen Ermittlungen lehnen diejenigen Stimmen, die ein Verwendungsverbot für die Auskünfte des Arbeitnehmers fordern, demgegenüber eine Frühwirkung ab.593 Im Zusammenhang von § 802c ZPO wird die Frage der Frühwirkung bisweilen nicht thematisiert.594 Alles in allem kann der Systematik keine einheitliche Aussage entnommen werden; lediglich eine ablehnende Tendenz ist erkennbar.

Beulke, Strafprozessordnung, Rn. 311. S. 239. 589  Vgl. S. 240. 590  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 22. 591  Vgl. zum Diskussionsstand um § 97 Abs. 1 S. 3 InsO S. 224 ff. 592  Vgl. zum Diskussionsstand um § 393 Abs. 2 S. 1 AO S. 234 f. 593  Vgl. hierzu S. 236 f. 594  Vgl. zum Diskussionsstand um § 802c ZPO S. 235 f. 587  Vgl. 588  Vgl.

242

Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

Telos. Es stellt sich damit die Frage, ob eine Frühwirkung aus teleologischer Sicht erforderlich ist. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB dient dem Schutz von nemo tenetur. Die Untersuchung ist im Allgemeinen Teil der Arbeit zu dem Ergebnis gelangt, dass die Selbstbelastungsfreiheit ein bipolares Grundrecht ist, welchem auch eine verfahrensrechtliche Komponente zugesprochen wird.595 Sie verhindert, dass die Verfahrensfairness zu Lasten des Betroffenen in Schieflage gerät. Im Fall der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten ist die Fairness zunächst durch die Pflicht zur Selbstbelastung deutlich zum Nachteil des Auskunftspflichtigen verschoben. Es ist daher ein Beweisverbot erforderlich, um das Gleichgewicht der Positionen wieder herzustellen. Das Beweisverbot darf dabei jedoch nicht so weit reichen, dass auf der anderen Seite der Waagschale die Verfahrensfairness wiederum übermäßig zu Lasten der Strafverfolgung absinkt. Dies wäre jedoch bei Annahme einer Frühwirkung der Fall: Sie würde auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden einen ganz erheblichen Einschnitt darstellen, denn durch den Ausschluss des Anfangsverdachts wäre das Strafverfahren letztlich blockiert. Der Behandelnde würde quasi straflos gestellt und damit in ungerechtfertigter Weise privilegiert. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB soll aber lediglich seine Schlechterstellung verhindern. Mit Blick auf den Erhalt der Verfahrensbalance ist das Beweisverbot daher hier zu begrenzen; eine weitreichende Frühwirkung ist aus teleologischer Sicht abzulehnen. Ergebnis. Eine verfassungskonforme Auslegung ergibt damit, dass dem Beweisverwendungsverbot hier keine Frühwirkung erwächst. 3. Fernwirkung § 630c Abs. 2 S. 3 BGB beinhaltet ein fernwirkendes Verwendungsverbot.596 Die Fehleroffenbarung darf damit weder als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen, noch dürfen Tatsachen verwertet werden, zu denen die Auskunft den Weg gewiesen hat. Die Beweisführung gegen den Behandelnden macht damit eine Beweiskette erforderlich, die auf einer unabhängigen Quelle – einer „independent source“597 – beruht.598 Wie bereits die Untersuchung zur Vergleichsgruppe zeigte, verbleiben konkrete Aspekte der Fernwirkung strittig. Dies gilt unvermindert für die jüngste Vorschrift des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB:

595  Siehe 596  Zur

S. 76; zur verfahrensrechtlichen Komponente vgl. S. 72 ff. Auslegung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Verwendungsverbot vgl.

S.  220 ff. 597  Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 977. 598  So bereits die Erkenntnis zur Vergleichsgruppe, vgl. S. 237 f.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 243

a) Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe Zunächst ist fraglich, ob hypothetische Kausalverläufe zu berücksichtigen sind. Eine solche Annahme hätte zur Folge, dass Beweismittel, die auf der Fehleroffenbarung beruhen und an sich unverwertbar sind, ausnahmsweise doch zur Beweisführung herangezogen werden dürfen, wenn sie auch ohne die Fehleroffenbarung aufgefunden worden wären.599 Bisweilen hat diese Frage allein bei Spickhoff Anklang gefunden, der auf die parallele Diskussion um § 97 Abs. 1 S. 3 InsO verweist. Insoweit kommt er zu dem Schluss, dass „der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens […] wegen der Gefahr des Unterlaufens des prozeduralen Schutzeffekts des Beweisverwendungsverbotes eher zweifelhaft [ist]“600. Zur Lösung der Frage, ob hypothetische Erwägungen zu berücksichtigen sind, können zunächst die Gesetzgebungsmaterialien herangezogen werden. Ihnen ist zu entnehmen, dass dem Behandelnden aus der Fehleroffenbarung keine unmittelbaren Nachteile erwachsen sollen.601 Dieser Gedanke würde leerlaufen, wenn das Beweisverwendungsverbot umgangen werden könnte. Auch die Betrachtung der Rechtsnatur spricht gegen die Berücksichtigung hypothetischer Verläufe: Die Implementierung eines selbstständigen Beweisverbots fordert eindeutig den Ausschluss der Informationsverwendung; dies entspricht auch aus systematischer Sicht der Argumentation zu §  97 Abs. 1  InsO.602 Zudem würde das Abstellen auf den hypothetischen Verlauf dem Charakter des Verwendungsverbots als umfassendes Nutzungsverbot zuwiderlaufen. Schlussendlich spricht auch eine teleologische Betrachtung solch hypothetischen Erwägungen entgegen: § 630c Abs. 2 S. 3 BGB liegt der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit zu Grunde. Als verfassungswahrendes Korrektiv soll auf diesem Weg die verschobene Verfahrensbalance wieder ausgeglichen werden. Eine Auslegung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB, die eine Verwertung im Einzelfall zulässt, steht daher nicht im Einklang mit diesen Vorgaben; hierdurch würde es bei der ursprünglichen Schieflage der Verfahrensfairness bleiben. Hypothetische Kausalverläufe müssen somit unbeachtlich sein. b) Verwertbarkeit der Patientenakte Neuralgischer Punkt einer Grenzziehung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ist insbesondere die Frage der Verwertbarkeit von Patientenakten. Der Ent599  Vgl.

hierzu S. 228. JZ 2015, 15, 18. 601  BT-Drucks. 17 / 10488, S. 22. 602  Vgl. zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO S. 228. 600  Spickhoff,

244

Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

scheidung für oder wider des Miteinbezugs in das Verwendungsverbot kommt erhebliche Bedeutung zu: Aus Sicht der Verfolgungsbehörden wäre die Beweisführung massiv eingeschränkt, wenn die Patientenakte nicht herangezogen werden dürfte. Wäre die Patientenakte demgegenüber frei verwertbar, so hätte dies für den Behandelnden gravierende Konsequenzen, denn die Patientenakte liefert regelmäßig den entscheidenden Überführungsbeweis. Eine Bestandsaufnahme des bisherigen Meinungsstandes lässt insofern keine klare Tendenz erkennen: aa) Schelling / Warntjen Schelling / Warntjen entnehmen § 630c Abs. 2 S. 3 BGB lediglich ein „eingeschränktes Verwertungsverbot“603. Zwar spreche der Wortlaut für die Annahme eines weitreichenden Verwertungsverbots, indes sei die Reichweite im Sinne der Gesetzesbegründung auf unmittelbare Nachteile zu beschränken. Im Umkehrschluss wäre daraus zu folgern, „dass der Arzt mittelbare Nachteile, wie etwa die Verwertung der aufgrund der Information beschlagnahmten Behandlungsunterlagen, in Kauf nehmen muss“604. Dieser Sichtweise stimmt auch Jaeger zu.605 bb) Jäger Demgegenüber betont Jäger, dass bei einer umfassenden ärztlichen Fehleroffenbarung die Patientenakte inhaltlich keine weiterführenden Gesichtspunkte mehr liefere. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Arzt seine Fehleroffenbarung anhand der Patientenunterlagen belegt. Jedenfalls dann müsse den Strafverfolgungsbehörden der Zugriff auf die Patientenunterlagen verwehrt sein. Allein so könne § 630c Abs. 2 S. 2 BGB mit nemo tenetur in Einklang gebracht werden.606 Damit gehe die Schutzwirkung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB letztendlich über die des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO hinaus. Dies sei auch angezeigt, da sich beide Regelungen in einem Punkt fundamental unterscheiden würden: Während das Insolvenzrecht rein geschäftliche Belange beträfe, ginge es bei § 630c Abs. 2 BGB hingegen um das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Dies sei „Grund genug dafür […], das Verwendungsverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB umfassend in der Weise zu verstehen, dass sämtliche vom Behandelnden preisgegebenen Umstände verwendungsverbotsauslösend sein sollten und daher auch 603  Schelling / Warntjen,

MedR 2012, 506, 509. MedR 2012, 506, 509. 605  Jaeger, PatRG, Rn. 165. 606  So insgesamt Jäger, in: FS-von Heintschel-Heinegg, 2015, S. 211, 219. 604  Schelling / Warntjen,



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 245 Behandlungsdokumentationen […] nicht herangezogen werden dürfen, wenn deren Aussagegehalt nicht über die vom Behandelnden offenbarte Inhalte hinausgeht“607.

cc) Krüger Auch der Ansatz Krüger’s unterliegt dem Standpunkt, dass zwischen § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und § 630c Abs. 2 S. 3 BGB die Vergleichbarkeit fehlt.608 Selbst wenn man Geschäftsunterlagen im Rahmen des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO als verwertbar ansehe, so sei im Rahmen des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB dennoch eine unterschiedliche Handhabung angezeigt: Die Krankenakte würde hier im Interesse des Patienten geführt; wohingegen die Geschäftsunterlagen im öffentlichen Interesse erstellt würden. Damit bestünde ein signifikanter Unterschied zum Insolvenzrecht, so dass zur Bestimmung der Reichweite von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB nicht auf die Parallele verwiesen werden könnte. dd) Spickhoff Spickhoff wiederum betont die Parallele zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO.609 Eine Auslegung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB müsse dergestalt erfolgen, dass sie zu keinem „signifikanten Unterschied der Handhabung der vergleichbaren Bestimmung in der InsO […] führen würde“610. Im Insolvenzrecht sei der Inhalt der kraft Gesetzes zu führenden Geschäftsunterlagen verwertbar. Dies entspreche der strengen Dokumentationspflicht im Behandlungsverhältnis gem. § 630f BGB. Das Verwendungsverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB sollte schlussendlich allgemein „nicht zum Nachteil des Behandelnden“611 anders als die insolvenzrechtliche Bestimmung ausgelegt werden. Ob nach Ansicht Spickhoff’s eine vom Insolvenzrecht abweichende Auslegung dergestalt erlaubt ist, dass Patientenakten zu Gunsten des Behandelnden nicht verwertet werden dürfen, bleibt hierbei offen. Für diese Annahme könnte derweil sprechen, dass Spickhoff auch den Schutzzweck der Norm anführt: Die Fehleroffenbarungspflicht verfolge den Zweck, die Patientenrechte hinsichtlich der Durchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen und des Gesundheitsschutzes zu stärken; dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn man die Hemmschwelle zur Offenlegung des Behandlungsfehlers senkt und dem Behandelnden die Sorge vor strafrechtlicher Verfolgung nimmt.612 607  Jäger,

in: FS-von Heintschel-Heinegg, 2015, S. 211, 220. insgesamt Krüger, urologen.info 2015, 20, 21. 609  Vgl. insgesamt Spickhoff, JZ 2015, 15, 17 f. 610  Spickhoff, JZ 2015, 15, 17. 611  Spickhoff, JZ 2015, 15, 18. 612  Spickhoff, JZ 2015, 15, 18. 608  So

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

ee) Stellungnahme Die Bestandsaufnahme des Meinungsspektrums zeigt, dass innerhalb der Befürworter eines Verwendungsverbots zur Frage der Verwertbarkeit von Patientenakten noch kein Konsens erzielt wurde. Die bisherigen Argumentationsansätze zielen auf die Parallele zur insolvenzrechtlichen Bestimmung und betonen Gleichklang, beziehungsweise sehen in diesem Punkt einen gravierenden Unterschied. Es erscheint daher geboten, zur Auflösung der Kontroverse zunächst den Schutzzweck der Norm in Augenschein zu nehmen: Das Verwendungsverbot soll den Behandelnden vor Nachteilen schützen, die ihm aus der konkreten Selbstbezichtigung in Form der Fehleroffenbarung drohen. Die Fernwirkung muss dementsprechend dort ihre Grenze finden, wo sie der Schutzzweck nicht mehr einfordert. Aus dieser Perspektive ist die Grenze jedenfalls dort erreicht, wo belastende Umstände nicht der Fehleroffenbarung entspringen, sondern in Erfüllung anderer Auskunftspflichten offen gelegt wurden. Hier wird die Patientenakte aufgrund gesetzlicher Pflicht gem. § 630f BGB geführt. Die Dokumentation dient in erster Linie dem Interesse des Patienten an seiner sachgerechten (Weiter-)Behandlung und erfolgt unabhängig von etwaigen Fehlern.613 Die sich aus ihr ergebenden Selbstbelastungen sind mithin eigenständiger Art. Sie sind nicht mit den Belastungen aus der Fehleroffenbarungspflicht zu vermengen. Obwohl sie in engem Verbund zueinander stehen, sind beide „Selbstbelastungssphären“ voneinander abzugrenzen; die Frage der Verwertbarkeit der Patientenakte ist somit nicht aus der Vorschrift des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB heraus zu beantworten. Der Schutzzweck der Norm steht dem Einbezug der Akte in die Fernwirkung entgegen. Für diese Sichtweise spricht auch eine systematische Betrachtung. Nach überwiegender Ansicht sollen im Insolvenzrecht Geschäftsunterlagen, zu deren Führung eine gesetzliche Verpflichtung besteht, ebenfalls nicht der Regelung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO unterliegen. Das Verwendungsverbot sei auf die durch § 97 Abs. 1 S. 1 InsO ursächlich zu schöpfende Auskünfte beschränkt.614 Insofern ist der allgemeinen Forderung Spickhoffs615 zuzustimmen: Eine Auslegung des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB darf zu keinem signifikanten Unterschied in der Handhabung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO führen. Eine abweichende Interessenlage, die hier der Verwertbarkeit der Patientenakte entgegensteht, ist jedenfalls nicht ersichtlich. Insofern ist dem Standpunkt Krügers616 zuzustimmen, wenn er betont, dass die Krankenakte 613  Vgl.

zum Zweck der Dokumentationspflicht BT-Drucks. 17 / 10488, S. 26. in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13; vgl. zum Diskussionsstand S. 231 f. 615  Vgl. Spickhoff, JZ 2015, 15, 17; vgl. dazu S. 245 f. 616  Vgl. Krüger, urologen.info 2015, 20, 21; vgl. dazu S. 245. 614  Zipperer,



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 247

maßgeblich im Interesse des Patienten geführt wird. Anders als dort soll dieser Ausgangspunkt aber nach der hier vertretenen Ansicht für einen Gleichklang mit § 97 Abs. 1 InsO sprechen: In beiden Fällen stehen Unterlagen im Fokus, die der Betroffene nicht ausschließlich im eigenen Inte­ resse, sondern primär für die Kontrolle und Beweisführung durch Dritte erstellt hat. Beiden Unterlagen wohnt die Bestimmung inne, gerade als fremdes Beweismittel zu fungieren.617 Vor diesem Hintergrund muss es beim Gleichklang der Auslegung bleiben. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass Patientenakten ausgehend vom Schutzzweck der Norm sowie aus systematischen Erwägungen nicht der Fernwirkung des Beweisverwendungsverbots gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB unterliegen. Dabei ist der Kritik, § 630c Abs. 2 S. 3 BGB biete ohne Miteinbezug der Akten in die Verbotswirkung nur dürftigen Schutz,618 durchaus zuzustimmen. Jedoch vermag sich auch eine an der Schutzintensität orientierte Betrachtung nicht über die aufgezeigten dogmatischen Grenzen hinwegzusetzen. 4. Fortwirkung Nach Auffassung von Frister / Wostry soll dem Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB Fortwirkung zukommen; es bestehe eine qualifizierten Belehrungspflicht.619 So würde im Rahmen von § 136 Abs. 1 S. 2 StPO gefordert, dass der Beschuldigte über die Unverwertbarkeit seiner bisherige Aussage belehrt wird. Zwar könne die Konstellation mangels rechtswidriger Beweisgewinnung nicht unmittelbar auf die Fehleroffen­ barung gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB übertragen werden. Jedoch wäre die Aussagefreiheit des Behandelnden hier gleichermaßen beeinträchtigt, wenn dieser bei Vernehmung unter dem Eindruck stünde, er habe sich durch die Fehleroffenbarung ohnehin schon belastet. Die Rechtsprechung zur qualifizierten Belehrung sei daher auf § 630c Abs. 2 S. 3 BGB zu übertragen. Der Behandelnde soll demnach nicht nur über sein Schweigerecht gem. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt werden, sondern auch über die Unverwertbarkeit der Fehleroffenbarung.620 Dieser Gedanke überzeugt. Das Verwendungsver617  Vgl. die Feststellung zu § 97 Abs. 1 S. 3 InsO bei Zipperer, in: Uhlenbruck, InsO, § 97, Rn. 13; vgl. S. 231. 618  Kritisch insoweit Schelling / Warntjen, MedR 2012, 506, 509: „kaum einen wirksamen Schutz“, ebenso Jaeger, PatRG, Rn. 168. Vgl. auch die Kritik bei Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 978: „Es bleibt daher alles in allem ein ungutes Gefühl zurück“. 619  Frister / Wostry, in: AG-Medizinrecht, 2014, S. 53, 77. 620  Vgl. zur Argumentation insgesamt Frister / Wostry, in: AG-Medizinrecht, 2014, S. 53, 77.

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

bot kann nur dann effektiv Wirkung entfalten, wenn der Behandelnde über sein Bestehen in Kenntnis gesetzt wird. Andernfalls liefe der intendierte Schutz des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB leer. Die vom BGH in diesem Zusammenhang entwickelte Widerspruchslösung621 ist demgegenüber nicht auf den Bereich der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten zu übertragen. Sie beruht allein auf Praktikabilitätserwägungen und würde hier den Schutzgehalt des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit unterlaufen. 5. Analoge Anwendung auf berufsrechtliche Verfahren § 630c Abs. 2 S. 3 BGB sieht allein für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Verwendungsverbot vor. Die Untersuchung hat derweil im achten Kapitel gezeigt, dass den Behandelnden für den Behandlungsfehler auch gerade berufsrechtliche Konsequenzen treffen können.622 Insofern wurde deutlich, dass die hier in Frage stehenden Sanktionen von beachtlichem Gewicht und für den Arzt womöglich einschneidender als die des Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahrens sind.623 Es stellt sich damit die Frage, ob auch solche Verfahren dem unmittelbaren Anwendungsbereich von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB zuzuordnen sind beziehungsweise ob andernfalls eine analoge Anwendung der Vorschrift in Betracht kommt. a) Unmittelbare Anwendbarkeit von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB Der Wortlaut von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB begrenzt die Reichweite des Verwendungsverbots ausdrücklich auf das Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die klare Wortlautgrenze steht damit einer unmittelbaren Erstreckung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB auf berufsrechtliche Verfahren entgegen. Seitens der Literatur ist diese Beschränkung erheblich kritisiert worden.624 Dem Behandelnden stehe in den betreffenden Verfahren selbst ein Schweigerecht zu; dieser Schutz würde unterlaufen, wenn die Fehleroffenbarung frei gegen ihn verwendet werden könnte.625 Dies gelte umso mehr, als dass die berufsrechtlichen Konsequenzen „zum Teil ruinöse 621  Vgl.

hierzu S. 99. hierzu S. 181 ff. 623  Vgl. zur Verfahrenswirklichkeit des Arztstrafrechts die empirische Studie von Lilie / Orben, die zu dem Ergebnis gelangen, dass die berufsrechtlichen Sanktionen den Arzt weitaus härter treffen als die Konsequenzen des Strafverfahrens, Lilie /  Orben, ZRP 2002, 154, 159. 624  Rogall, in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 978; Jäger, in: FS-von Heintschel-­ Heinegg, 2015, S. 211, 217; Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873; Krüger, urologen.info, 2015, 20, 21. 625  Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873. 622  Vgl.



C. Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB 249

Folgen“626 hätten; hiergegen würde die Kriminalstrafe „fast schon nebensächlich erscheinen“627. b) Analoge Anwendbarkeit von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB Das Beweisverwendungsverbot könnte indes im Wege der Analogie in den berufsrechtlichen Verfahren zur Anwendung gelangen.628 Dies setzt eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage voraus.629 § 630c Abs. 2 S. 3 BGB bezieht das Verwendungsverbot ausschließlich auf das Straf- und Bußgeldverfahren. Indes kann den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnommen werden, dass diese Beschränkung bewusst gewählt wurde.630 Mangels gegenteiliger Angaben ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei Erlass der Vorschrift ihre potentielle Bedeutung im Berufsund Verwaltungsverfahren schlichtweg verkannt hat. Er hat sich „offenkundig keine Gedanken darüber gemacht, ob die in Erfüllung der Offenbarungspflicht erlangten Informationen in anderen Gerichtsverfahren eine Rolle spielen können“631. Eine planwidrige Regelungslücke liegt damit vor. Für eine vergleichbare Interessenlage ist entscheidend, dass beide Sachverhalte in den für die rechtliche Bewertung maßgebenden Hinsichten übereinstimmen. Es handelt sich hierbei um einen „Vorgang wertenden Denkens“632, der maßgeblich an der ratio legis orientiert ist.633 Das Beweisverwendungsverbot gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB dient dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit. Es soll verhindern, dass das Schweigerecht des Betroffenen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren dadurch unterlaufen wird, dass eine im Vorfeld des Verfahrens erzwungene Auskunft in das Verfahren eingeführt und dort zum Beweis gegen den Auskunftspflichtigen herangezogen wird. Die Untersuchung hat im achten Kapitel aufgezeigt, dass dem Behandelnden für den Behandlungsfehler auch berufsrechtliche Konsequenzen drohen.634 Konkret wurde belegt, dass im Fall eines groben Behandlungsfehlers oder bei fehlender Einsichtsfähigkeit ein Disziplinarverfahren vor dem Berufsgericht möglich ist, sofern ein berufsrechtlicher 626  Kett-Straub / Sipos-Lay,

MedR 2014, 867, 873. MedR 2014, 867, 873. 628  Vgl. auch Krüger, urologen.info 2015, 20, 21. 629  BVerfGE 116, 69, 83 f. 630  Vgl. auch die Feststellung bei Kett-Straub / Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873. 631  Krüger, urologen.info 2015, 20, 21. 632  Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 202. 633  Vgl. insgesamt Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.  202 f. 634  Vgl. hierzu S. 181 ff. 627  Kett-Straub / Sipos-Lay,

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Kap. 9: Das Beweisverbot des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB

Überhang besteht. Für weniger schwerwiegende Vergehen besteht die Möglichkeit der Rüge oder Missbilligung durch die Landesärztekammer. Im Ausnahmefall kann der Entzug der Approbation drohen, wenn dem Behandelnden etwa besonders grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Darüber hinaus kommt beim Vertragsarzt ein Disziplinarverfahren vor der Kassenärztlichen Vereinigung in Betracht, wenn zugleich eine spezifische vertragsärztliche Pflicht gebrochen wurde, wie beispielsweise bei fehlerhafter Abrechnung oder unzulässiger Arbeitsdelegation. Auch kann dem Behandelnden die Kassenzulassung unter Umständen entzogen werden. Die Untersuchung hat insbesondere aufgezeigt, dass die Verfahren sowohl materiell als auch verfahrensrechtlich miteinander verzahnt sind. Insofern wurde belegt, dass es sich um ein untrennbares Verfahrensgeflecht handelt: Zahlreiche Mitteilungs- und Anzeigepflichten sind Garant dafür, dass dem Behandelnden Sanktionen aus mehreren Richtungen drohen. Hierbei kommt insbesondere den Erkenntnissen aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren enorme Bedeutung zu, denn sie werden regelmäßig den übrigen Verfahren zu Grunde gelegt.635 Bei wertender Betrachtung erscheint die Interessenlage demnach mit der des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB vergleichbar: Auch im Berufs- und Verwaltungsverfahren kommt dem Behandelnden der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit zu Gute.636 Ebenso wie im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren würde dieser Schutz mithin unterlaufen, wenn die im Vorfeld des Verfahren durch § 630c Abs. 2 S. 2 BGB erzwungene Fehleroffenbarung im Anschluss zu Beweiszwecken herangezogen werden könnte. Dies muss hier umso mehr gelten, als dass erstens besonders empfindsame Sanktionen wie der Approbationsentzug in Aussicht stehen und zweitens aus prozessualem Blickwinkel in den Verfahren auf Basis der strafrechtlichen Ermittlungen entschieden wird. Die Verfahren sind dabei nicht nur mit dem Strafverfahren äußerst eng verzahnt sondern sind auch untereinander verwoben. Eine stringente Lösung der straf- und strafähnlichen Verfahren ist damit zwingend geboten. Andernfalls würden die an sich unverwertbaren Beweise des Strafverfahrens auf diesem Weg wieder der Verwertbarkeit zugeführt. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ist mithin analog anzuwenden.

D. Ergebnis In Kapitel neun wurde das Beweisverbot aus § 630c Abs. 2 S. 3 BGB einer eingehenden Analyse unterzogen. Ausgehend von den Erkenntnissen 635  Vgl. 636  Vgl.

zur Wechselwirkung der Verfahren untereinander S. 195 f. BVerfGE 56, 37, 43.



D. Ergebnis251

zur allgemeinen Beweisverbotslehre wurde zunächst festgestellt, dass die Vorschrift mit Blick auf Wortlaut und Systematik als Beweisverwendungsverbot auszulegen ist. Damit darf die Fehleroffenbarung weder selbst noch als Spurenansatz zur Grundlage der Beweiswürdigung und Urteilsfindung gemacht werde. Auch eine Umgehung durch die Vernehmung des Patienten als Zeuge vom Hörensagen scheidet aus. Hinsichtlich der konkreten Reichweite des Verwendungsverbots kommt die Arbeit unter Miteinbezug des systematischen Kontexts zu folgenden Ergebnissen: Die Fehleroffenbarung darf selbst nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsfindung gemacht werden. Hiervon sind nur Auskünfte umfasst, die in Erfüllung der Fehleroffenbarungspflicht offen gelegt wurden; falsche und freiwillige Angaben sind ebenso wie Angaben zu Gunsten des Behandelnden verwertbar. Dem Verwendungsverbot kommt keine Frühwirkung zu. Es beinhaltet aber Fernwirkung. Die Beweisführung gegen den Behandelnden macht damit eine Beweiskette erforderlich, die auf einer unabhängigen Quelle beruht. Insofern bleiben hypothetische Kausalverläufe außer Acht. Von der Fernwirkung sind Patientenakten auszunehmen; sie beruhen auf der gesetzlichen Führungspflicht gem. § 630f BGB. Der Vorschrift kommt darüber hinaus Fortwirkung zu, so dass eine qualifizierte Belehrungspflicht besteht. Schlussendlich findet die Vorschrift analog in berufsrechtlichen Verfahren Anwendung. Insgesamt ist im Rahmen des neunten Kapitel augenscheinlich geworden, dass die Reichweite des § 630c Abs. 2 S. 3 BGB vom Spannungsfeld zweier Gegenpole geprägt ist. Dem Selbstbelastungsschutz des Behandelnden steht die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden gegenüber; sie markiert die äußerste Grenze des Verwendungsverbots.

Kapitel 10

Übertragung der Erkenntnisse auf die Fallgruppe der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten Die ärztliche Fehleroffenbarungspflicht stellt den jüngsten Unterfall der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten dar. Sie reiht sich damit in die Problematik der insolvenzrechtlichen Offenbarungspflicht des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, der steuerrechtlichen Offenbarungspflicht des § 393 Abs. 2 S. 1 AO, der vollstreckungsrechtlichen Offenbarungspflicht des § 802c ZPO sowie der Fallgruppe der internen Ermittlungen ein. Ihnen liegt eine vergleichbare Interessenlage zu Grunde, bei der das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit mit gewichtigen Drittinteressen kollidiert. Der Gesetzgeber trifft hier für die jeweilige Rechtsmaterie einen interessengerechten Ausgleich, indem er bestehende Informationsgefälle zum Schutz gewichtiger Güter angleicht. Die Offenbarungspflichten sind dabei umfassender Art, so dass auch belastende Informationen preiszugegeben sind. Im außerstrafprozessualen Bereich zwingt der Gesetzgeber mithin zur Selbstbelastung, obwohl dem Betroffenen in einem anschließenden Strafverfahren ein Schweigerecht zusteht. Könnte die außerstrafprozessuale Selbstbelastung nun in das Strafverfahren eingeführt und dort gegen den Betroffenen verwendet werden, so würde sein Recht auf Selbstbelastungsfreiheit erheblich beeinträchtigt. Eine solch außerstrafprozessuale Wirkung wurde der Selbstbelastungsfreiheit zunächst nicht zugesprochen. Erst der Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG brachte insofern einen Umbruch, so dass die Selbstbelastungsfreiheit von einem originär strafprozessualen Schutzrecht zu einer Garantie mit verfahrensübergreifender Wirkung erhoben wurde.637 Als verfassungsrechtlich verbürgtes Grundrecht strahlt sie demnach auch in den außerstrafprozessualen Bereich.638 Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss klare Vorgaben hinsichtlich der Zulässigkeit entsprechender Offenbarungspflichten aufgestellt: So sind außerstrafprozessuale 637  Vgl. 638  Vgl.

S.  46 ff.

zur Entwicklung der außerstrafprozessualen Wirkung S. 38 ff. zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Selbstbelastungsfreiheit



Kap. 10: Erkenntnisse der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten 253

Offenbarungspflichten mit Selbstbelastungstendenz nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn erstens ein überwiegendes Interesse an der Auskunft besteht und zweitens ein verfassungswahrendes Schutzkorrektiv eingreift. Zur Harmonisierung der widerstreitenden Interessen muss der Gesetzgeber die konkreten Umstände des Einzelfalls würdigen. Er kann sodann zwischen einem Verwertungs- oder einem Verwendungsverbot wählen und diese gegebenenfalls mit einem Offenbarungsverbot absichern.639 Mit § 630c Abs. 2 S. 3 BGB hat er sich dem mit § 97 Abs. 1 S. 3 InsO eingeschlagenen Weg nunmehr angeschlossen und das Verwendungsverbot womöglich zum Standard der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten erhoben.640 Ausgehend von den Erkenntnissen zu § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB können am Ende der Untersuchung folgende Aussagen über die Reichweite außerstrafprozessualer Beweisverbote getroffen werden: Insofern ist zunächst festzuhalten, dass auf dem Gebiet der außerstrafprozessualen Beweisverbote erhebliche Unsicherheiten bestehen. Die Schwierigkeiten in diesem Bereich rühren nicht zuletzt daher, dass ein zu weit gefasstes Verständnis Barrieren bei der Strafverfolgung schafft, wohingegen sich eine zu enge Sichtweise nachteilig auf die Mitwirkungsbereitschaft des Aukunftspflichtigen auswirken kann. Die Analyse der einzelnen Vorschriften hat gezeigt, dass zur Argumentation für und wider der Annahme von Fernwirkung und zur Bestimmung der Reichweite der Beweisverbote allgemein auf den Gemeinschuldnerbeschluss und § 97 Abs. 1 S. 3 InsO zurückgegriffen wird. Es zeigten sich dieselben Argumentationsmuster und Lösungsansätze. Vor diesem Hintergrund ist die Reichweite außerstrafprozessualer Beweisverbote grundsätzlich einer stringenten Lösung zuzuführen. Entscheidet sich der Gesetzgeber zur Korrektur einer Offenbarungspflicht für die Variante des Verwertungsverbots, so hat dies zur Konsequenzen, dass die Aussage selbst nicht zur Beweisführung herangezogen werden darf. Auch eine Umgehung über die Vernehmung von Zeugen vom Hörensagen ist unzulässig. Der Schutz beschränkt sich lediglich auf Auskünfte, die tatsächlich in Erfüllung der jeweiligen Offenbarungspflicht erfolgten – freiwillige und falsche Angaben sowie solche, die in Erfüllung anderer Pflichten preisgegeben wurden, sind nicht vom Schutzbereich umfasst. Schweigt der Auskunftspflichtige demgegenüber, so ist sein Schweigen mangels Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit verwertbar. Gleiches gilt für Angaben zu seinen Gunsten. Schließlich ist der Betroffene auch über die Unverwertbar639  Vgl. zum Gemeinschuldnerbeschluss und dem Schutzgehalt von nemo tenetur im außerstrafprozessualen Bereich S. 95 ff. 640  Vgl. zur Einordnung von § 630c Abs. 2 S. 3 BGB als Verwendungsverbot und zur Bestimmung seiner Reichweite S. 208 ff.

254 Kap. 10: Erkenntnisse der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten

keit seiner Offenbarung in Form einer qualifizierten Belehrungspflicht zu belehren. Spricht der Gesetzgeber demgegenüber von „verwenden“, so legt dies die Annahme nahe, dass er sich aus systematischer Sicht dem Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO anschließt und ein weitreichendes, fernwirkendes Beweisverbot statuiert. Über den Gehalt des Beweisverwertungsverbots hinaus darf die Auskunft dann auch nicht als Spurenansatz für weitere Ermittlungen herangezogen werden. Dies macht eine Beweiskette erforderlich, die unabhängig von der Selbstbelastung auf die Straftat schließen lässt. Eine Frühwirkung ist mit Blick auf die Verfahrensbalance abzulehnen; andernfalls würde die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden zu stark beschnitten. Hypothetische Kausalverläufe sind nicht zu berücksichtigt. Das Beweisverbot würde sonst seiner Funktion als verfassungswahrendes Korrektiv nicht mehr gerecht werden, da es bei der ursprünglichen Schieflage der Verfahrensbalance bleiben würde. Schriftliche Dokumente, zu denen eine gesetzliche Führungspflicht besteht, sind vom Anwendungsbereich des Verwendungsverbots auszunehmen. Die sich aus ihnen ergebenden Selbstbelastungen sind unabhängig von der Offenbarungspflicht entstanden und mithin eigenständiger Art. Hier gilt es die verschiedenen „Selbstbelastungssphären“ voneinander abzugrenzen, denn das Verwendungsverbot schützt nur vor Selbstbelastungen, wie sie aus den konkreten Offenbarungspflichten entstanden sind. Schlussendlich bleibt die Wahl des konkreten Schutzkorrektivs im Einzelfall dem Gesetzgeber überlassen. Ihm kommt eine echte Einschätzungs­ prärogative zu. Indes schließt die Arbeit mit der Erkenntnis, dass dort, wo zwischen Verwertungs- und Verwendungsverbot entschieden wurde, ein Gleichlauf der Konstellationen geboten ist.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse – Allgemeiner Teil – 1. Die Selbstbelastungsfreiheit ist eine tragende Säule des reformierten Strafverfahrens und aus der bewussten Abkehr vom Inquisitionsprozess entstanden. Im Lichte der Aufklärung erschien ein staatlicher Zwang zur Selbstbelastung als unvereinbar mit dem Naturrecht der Selbsterhaltung und insbesondere aus prozessualem Blick als untauglich zur Erforschung des wahren Sachverhalts. Der insgeheime Rückfall zu inquisitorischen Mitteln unter der Herrschaft des Nationalsozialismus bewirkte in der Nachkriegszeit den Ausbau der Beschuldigtenrechte und führte zur Kodifikation von § 136a StPO und den Belehrungsvorschriften. Ausgehen von diesem Standpunkt wurde nemo tenetur im weiteren Untersuchungsverlauf als bipolares Grundrecht identifiziert, welches sowohl eine persönlichkeits- als auch verfahrensrecht­ liche Komponente vereint. Die Selbstbelastungsfreiheit findet damit ihre verfassungsrechtliche Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Recht auf Verfahrensfairness aus Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG. Durch die Verbindung zur Menschenwürde und der Zuordnung zum Rechtsstaatsprinzip sind Eingriffe in den Schutzgehalt nur unter erhöhten Anforderungen zulässig. 2. Auf Grund ihres verfassungsrechtlichen Ursprungs kommt der Selbstbelastungsfreiheit über das Strafverfahren hinaus auch Geltung im außerstrafprozessualen Bereich zu. Wurde eine solche Ausstrahlungswirkung zunächst verneint, fand sie im Zuge des Gemeinschuldnerbeschlusses des BVerfG endgültig Anerkennung. Damit wurde die Selbstbelastungsfreiheit von einem originär strafprozessualen Schutzrecht zu einer Garantie mit verfahrensübergreifenden Bezügen erhoben. Sie ist daher geeignet mit außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten zu kollidieren und verlangt hier nach Koordination der widerstreitenden Interessen. 3. Außerstrafrechtliche Offenbarungspflichten sind weitreichende Informationspflichten mit Selbstbelastungstendenz. Sie sind im Zivil- und Öffentlichen Recht verankert und Ausdruck eines spezifischen Wissensgefälles zwischen den Beteiligten. Der Gesetzgeber beabsichtigt hier für das jeweilige Rechtsgebiet einen Ausgleich zu erzielen, indem er den überlegenen Informationsträger zur Preisgabe bestimmten Wissens verpflichtet. Hierzu muss dieser Tatsachen der Vergangenheit oder Gegenwart offen legen. Einer

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Wertung bedarf es nicht. Die Informationspflicht ist dabei umfassend und betrifft auch solche Angaben, die den Betroffenen aus strafrechtlicher Sicht belasten. Sie ist mit Rechtszwang durchsetzbar, so dass sich der Betroffene ihr auch nicht ohne weiteres entziehen kann. Obwohl in diesem Stadium noch keine staatlichen Strafverfolgungsbehörden involviert sind, droht ein Transfer der Selbstbelastung in das Strafverfahren hinein. Die ursprüngliche außerstrafrechtliche Information kann somit zum maßgeblichen Überführungsbeweis im Strafverfahren umschlagen. 4. Das BVerfG hat in seinem Gemeinschuldnerbeschluss einen lückenlosen Schutz auf Selbstbelastungsfreiheit abgelehnt. Das Grundrecht findet vielmehr im Sinne der Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen seine Grenze an schutzwürdigen Belangen Dritter. Außerstrafprozessuale Offenbarungspflichten sind daher unter Wahrung folgender Kriterien zulässig: •• Erstens. Es muss ein überwiegendes Interesse an der uneingeschränkten Auskunft bestehen. Hierbei ist im Rahmen der Abwägung insbesondere miteinzubeziehen, ob der Auskunftsberechtigte auf die Information zwingend angewiesen ist. •• Zweitens. Ein solches Interesse rechtfertigt es jedoch nicht, dass der Auskunftsverpflichtete zugleich einen Beitrag zu seiner Verurteilung leisten muss und die Verfolgungsbehörden so weitreichendere Möglichkeiten erlangen. Mit Rücksicht auf die Selbstbelastungsfreiheit obliegt es dem Gesetzgeber daher Schutzvorkehrungen zu implementieren. •• Drittens. Als Schutzinstrument kann einerseits ein punktuelles Auskunftsverweigerungsrecht auf einzelne Fragen dienen; hier wird bereits der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit unterbunden. Auf zweiter Ebene besteht die Möglichkeit, den Eingriff im Wege eines kombinierten Offenbarungs- und Verwertungsverbots, eines Verwendungsverbots oder eines reinen Verwertungsverbots zu neutralisieren. Insgesamt kommt dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu. Er soll für den konkreten Einzelfall eine sachgerechte Harmonisierung der widerstreitenden Interessen erwirken. 5. Eine entsprechende Interessenkollision findet sich bereits in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, § 393 Abs. 2 S. 1 AO, § 802c ZPO sowie im Zusammenhang mit internen Ermittlungen. Hier wird jeweils ein korrigierendes Beweisverbot zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit statuiert beziehungsweise erwogen. Die Vorschriften stehen in echtem systematischem Zusammenhang. Grundpfeiler aller Überlegungen bildet insofern § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und das darin enthaltende Beweisverwendungsverbot. Die Vorschrift ist als Reaktion auf den Gemeinschuldnerbeschluss hin erlassen worden; ihr kommt Vorbildsfunktion zu. Mit Einführung der ärztlichen Fehleroffenbarungspflicht



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zählt zu diesem Problemkreis nunmehr auch die Vorschrift des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB.

– Besonderer Teil – 6. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ist im Zuge des PatRG zum 26.02.2013 eingeführt worden und hat in diesem Zusammenhang als einzig wesentliche Neuerung für Aufsehen gesorgt. Insofern wurde die Annahme des Gesetzgebers, hier an bereits bestehende Rechtsprechung anzuknüpfen, widerlegt: Eine entsprechende Verpflichtung hatte im Vorfeld allein im Fall der Gefahrenabwehr Anerkennung gefunden. Nunmehr hat der Gesetzgeber also einen Strich unter die Frage des Ob’s gezogen und den Arzt zum Schutz des Patienten zur Abwehr drohender Gefahren oder auf Nachfrage hin zur Auskunft verpflichtet. 7. Die Analyse der Fehleroffenbarungspflicht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass ihre gesetzliche Ausgestaltung nur bedingt gelungen ist. Insofern ist zwischen den Alternativen zu differenzieren: Die Variante der Gefahrenabwehr ist insgesamt zu begrüßen. Zwar ist sie inhaltlich ebenso in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB und § 630e BGB enthalten und damit doppelt beziehungsweise dreifach im BGB verankert worden; indes erhält sie im Rahmen der Fehleroffenbarungspflicht durch die Verbindung mit einem Beweisverbot in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB eine enorme Aufwertung. Ihr Gehalt geht damit über den der Parallelregelungen hinaus und ist in ihrer Bedeutung nicht zu verachten. Sie ist gerade nicht deklaratorischer Natur. Weniger überzeugend ist demgegenüber die Nachfragealternative; sie wurde als systemfremde und systemwidrige Sonderverpflichtung innerhalb des Behandlungsvertrags eingestuft. So dient sie allein dem Vermögensschutz und ist geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig zu beeinträchtigen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sich die Nachfragealternative in weiten Teilen mit dem Recht auf Akteneinsicht gem. § 630g Abs. 1 BGB überschneidet: Inhaltlich geht der Anspruch gem. § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB nicht über die im Rahmen der Akteneinsicht zu erlangenden Informationen hinaus; hier wie dort muss der Patient den Schluss auf einen Behandlungsfehler, gegebenenfalls unter Hinzuziehung fachlichen Beistands, selbst erbringen. Dem Patient steht damit regelmäßig ein echtes Selbsthilferecht zur Verfügung. Bedeutung kommt der Nachfragealternative indes dort zu, wo die Dokumentation lückenhaft ist. Hier würde der Patient ohne § 630c Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BGB andernfalls schutzlos gestellt. 8. Im weiteren Untersuchungsverlauf wurde § 630c Abs. 2 S. 2 BGB sodann in den Kontext der Selbstbelastungsfreiheit gesetzt. Insofern wurde

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festgestellt, dass es sich bei § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB um einen Unterfall der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten handelt: Dem Behandelnden können für den Behandlungsfehler straf-, ordnungswidrigkeits- und insbesondere berufsrechtliche Konsequenzen drohen, denen er sich mit § 630c Abs. 2 S. 2 BGB aktiv bezichtigt. Da es sich um eine einklagbare Verpflichtung handelt, deren Vollstreckung gem. § 888 ZPO betrieben wird, ist auch ein hinreichendes Zwangselement zu bejahen. Speziell im Fall der Gefahrenabwehralternative ergibt sich darüber hinaus das Zwangselement aus der Tatsache, dass dem Behandelnden bei Nichtvornahme der Aufklärung eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung droht. Überträgt man nun die im Allgemeinen Teil der Arbeit aufgestellten Kriterien zur Zulässigkeit außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten, so gelangt die Arbeit hier zu dem Ergebnis, dass die Fehleroffenbarungspflicht mit den Vorgaben des Gemeinschuldnerbeschlusses in Einklang steht: Der Eingriff ist im Falle der Gefahrenabwehralternative zulässig, da er dem Gesundheitsschutz des Patienten dient und damit dem Selbstbelastungsschutz überwiegt. Der Nachfragealternative liegt der Vermögensschutz des Patienten zu Grunde. Insofern steht ihm zwar grundsätzlich das Selbsthilferecht aus § 630g Abs. 1 i. V. m. § 630f BGB zur Verfügung, jedoch würde er ohne die Nachfragealternative bei lückenhafter Dokumentation schutzlos gestellt. Damit besteht auch im Fall der Nachfragealternative ein berechtigtes Interesse an der Fehleroffenbarung. Indem der Gesetzgeber in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ein Beweisverbot aufnahm, hat er sodann auch das notwendige verfassungswahrende Schutzkorrektiv implementiert. 9. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB enthält als verfassungswahrendes Korrektiv zur Gefahrenabwehralternative ein Beweisverbot. Die Arbeit kommt insofern zu dem Schluss, dass die Vorschrift ausgehend von Wortlaut und Systematik entgegen der wohl überwiegenden Ansicht als Beweisverwendungsverbot auszulegen ist. Der Gesetzgeber hat sich damit dem in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO eingeschlagenen Weg angeschlossen und ihn womöglich zum Standard der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten erhoben. Beweisverwendungsverbote sind umfassende Nutzungsverbote. Sie gehen über die Wirkung eines Verwertungsverbots hinaus, da ihnen Fernwirkung zukommt. 10. Zur Bestimmung der konkreten Reichweite des Verwendungsverbots war die Vorschrift in den systematischen Kontext der außerstrafprozessualen Offenbarungspflichten einzuordnen. Hieraus resultieren folgende Erkenntnisse: Die Fehleroffenbarung darf selbst nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsfindung gemacht werden. Dies umfasst nur Auskünfte, die tatsächlich in Erfüllung von § 630c Abs. 2 S. 2 BGB gemacht werden;



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falsche und freiwillige Angaben sind ebenso wie Angaben zu Gunsten des Behandelnden verwertbar. Auch eine Umgehung durch die Vernehmung des Patienten als Zeuge vom Hörensagen scheidet aus. Dem Verwendungsverbot kommt keine Frühwirkung zu, denn aus teleologischer Sicht würde die Verfahrensbalance andernfalls erheblich zu Lasten der Strafverfolgungsbehörden absinken. § 630c Abs. 2 S. 3 beinhaltet Fernwirkung; die Fehleroffenbarung darf nicht als Spurenansatz für weitere Ermittlungen dienen. Die Beweisführung gegen den Behandelnden macht damit eine Beweiskette erforderlich, die auf einer unabhängigen Quelle beruht. Insofern bleiben hypothetische Kausalverläufe außer Acht, da es andernfalls bei der ursprünglichen Schieflage der Verfahrensbalance bliebe und § 630c Abs. 2 S. 3 BGB damit seiner Funktion als verfassungswahrendes Korrektiv nicht mehr gerecht würde. Von der Fernwirkung sind indes Patientenakten auszunehmen; sie beruhen auf der gesetzlichen Führungspflicht gem. § 630f BGB. Die sich aus ihnen ergebenden Selbstbelastungen sind unabhängig von der Fehleroffenbarung entstanden und mithin eigenständiger Art. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB soll lediglich vor Nachteilen schützen, die dem Behandelnden aus der konkreten Pflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB entstehen und muss damit hier seine Grenze finden. Der Vorschrift kommt darüber hinaus Fortwirkung zu, so dass eine qualifizierte Belehrungspflicht besteht. Schlussendlich findet die Vorschrift analog in berufsrechtlichen Verfahren Anwendung. Da der nemo-tenetur-Grundsatz auch in diesen Verfahren gilt, würde sein Schutz unterlaufen, wenn die im Vorfeld des Verfahrens erzwungene Fehleroffenbarung im Anschluss zu Beweiszwecken herangezogen werden könnte. Dies muss hier umso mehr gelten, als dass erstens besonders empfindsame Sanktionen in Aussicht stehen und zweitens regelmäßig auf Basis der strafrechtlichen Ermittlungen entschieden wird. Eine stringente Lösung der straf- und strafähnlichen Verfahren ist damit zwingend geboten. Andernfalls würden die an sich unverwertbaren Beweise des Strafverfahrens auf diesem Weg wieder der Verwertbarkeit zugeführt. 11. Ausgehend von den Erkenntnissen zu § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB kommt diese Arbeit zu dem Ergebnis, dass dem Gesetzgeber bei der Wahl des Schutzkorrektivs außerstrafprozessualer Offenbarungspflichten eine echte Einschätzungsprärogative zukommt. Er kann unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zwischen Verwertungs- und Verwendungsverbot wählen und diese gegebenenfalls mit einem Offenbarungsverbot absichern. Dort, wo eine Wahl getroffen wurde, ist die Reichweite des Schutzkorrektivs sodann gleich zu bestimmen: Handelt es sich um ein Verwertungsverbot, so hat dies zur Konsequenz, dass die Aussage selbst nicht zur Beweisführung herangezogen werden darf. Auch eine Umgehung über die Vernehmung von Zeugen vom Hörensagen

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ist unzulässig. Der Schutz beschränkt sich lediglich auf Auskünfte, die tatsächlich in Erfüllung der jeweiligen Offenbarungspflicht erfolgten – freiwillige und falsche Angaben sowie solche, die in Erfüllung anderer Pflichten preisgegeben wurden, sind nicht vom Schutzbereich umfasst. Schweigt der Auskunftspflichtige demgegenüber, so ist sein Schweigen mangels Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit verwertbar. Gleiches gilt für Angaben zu seinen Gunsten. Schließlich ist der Betroffene auch über die Unverwertbarkeit seiner Offenbarung in Form einer qualifizierte Belehrungspflicht zu belehren. Legt sich der Gesetzgeber demgegenüber auf ein Verwendungsverbot fest, so hat dies zur Folge, dass ein weitreichendes, fernwirkendes Beweisverbot normiert wird. Über den Gehalt des Beweisverwertungsverbots hinaus darf die Auskunft dann auch nicht als Spurenansatz für weitere Ermittlungen herangezogen werden. Dies macht eine Beweiskette erforderlich, die unabhängig von der Selbstbelastung auf die Straftat schließen lässt. Eine Frühwirkung ist mit Blick auf die Verfahrensbalance abzulehnen; andernfalls würde die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden zu stark beschnitten. Hypothetische Kausalverläufe sind nicht zu berücksichtigt, da das Beweisverbot andernfalls seiner Funktion als verfassungswahrendes Korrektiv nicht mehr gerecht werden könnte; hier würde es bei der ursprünglichen Schieflage der Verfahrensbalance bleiben. Schriftliche Dokumente, zu denen eine gesetzliche Führungspflicht besteht, sind vom Anwendungsbereich des Verwendungsverbots auszunehmen. Die sich aus ihnen ergebenden Selbstbelastungen sind unabhängig von der Offenbarungspflicht entstanden und mithin eigenständiger Art. Hier gilt es die verschiedenen „Selbstbelastungssphären“ voneinander abzugrenzen, denn das Verwendungsverbot schützt nur vor Selbstbelastungen, wie sie aus den konkreten Offenbarungspflichten entstanden sind.

Schluss und Ausblick Am Ende der Arbeit kann als Fazit geschlossen werden, dass mit § 630c Abs. 2 S. 2 und S. 3 BGB eine Vorschrift eingeführt wurde, die nur bedingt überzeugt. Der Gesetzgeber versucht hier die Selbstbelastungsfreiheit des Behandelnden mit Interessen des Patienten und staatlichen Strafverfolgungsinteressen in Einklang zu bringen. An ihrer Schnittstelle entspringt eine lebhafte Diskussion, in der mal der eine und mal der andere Aspekt höher gewichtet wird. Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, der Thematik eine stringente Lösung zuzuführen, in der Grund und Grenzen durch die Selbstbelastungsfreiheit determiniert werden. Doch letzten Endes bleibt angesichts der Verwertbarkeit der Patientenakten ein „ungutes Gefühl“1 zurück; zu leicht lässt sich der Beweis gegen den Behandelnden erbringen. Das BVerfG hat im Gemeinschuldnerbeschluss die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit von außerstrafrechtlichen Offenbarungspflichten festgelegt. Maßgebliches Schutzkorrektiv ist demnach ein Verwertungs- beziehungsweise Verwendungsverbot. So soll nun auch § 630c Abs. 2 S. 3 BGB den Betroffenen vor Nachteilen schützen, die ihm aus der Fehleroffenbarung gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB erwachsen.2 Indes zeigt nunmehr auch § 630c Abs. 2 S. 3 BGB, dass ein Beweisverbot dieser Intention nie vollends gerecht zu werden vermag: Mit Ablehnung einer Frühwirkung und der Annahme der Verwertbarkeit von Dokumenten mit gesetzlicher Führungspflicht wird der Auskunftspflichtige letztendlich immer de facto schlechter gestellt als andere Beschuldigte. Es handelt sich um ein unauflösbares Spannungsfeld zwischen staatlichem Strafverfolgungsinteresse einerseits und Selbstbelastungsfreiheit andererseits. Damit verkommt der Schutzgedanke des Korrektivs jedoch ein Stück weit zur Farce, denn die Auflösung dieser Kontroverse kann kein Beweisverbot vollends leisten. Doch was bleibt? Eine Milderung des Dilemmas kann jedenfalls im Fall des Behandlungsvertrags wie schon vielfach gefordert durch Entkriminalisierung im leichten Fahrlässigkeitsbereich erreicht werden.3 Indes hilft dieser Schritt weder bei grober Fahrlässigkeit noch hin1  Rogall,

in: FS-Beulke, 2015, S. 973, 978. 17 / 10488, S. 23. 3  So schon Lilie / Orben, ZRP 2002, 154, 158 ff. und aus der jüngeren Zeit etwa Wagner, VersR 2012, 789, 796. 2  BT-Drucks.,

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Schluss und Ausblick

sichtlich der übrigen Offenbarungspflichten über das eigentliche Problem hinweg. Wenn sich aber eine Schlechterstellung nicht vollends verhindert lässt, so ist die Lösung vielleicht auf Rechtsfolgenseite zu suchen: So könnten außerstrafprozessuale Selbstbelastungen womöglich als strafmilderndes Nachtatverhalten über § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden. Die Strafmilderung würde dann als ausgleichendes Korrektiv das nur bedingt überzeugende verfassungswahrende Korrektiv des Beweisverbots ablösen.

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Sachwortregister Analogie  249 Ärztliche Fehleroffenbarungspflicht  150 ff. –– Allgemeine Fehleroffenbarungspflicht  154 ff., 162 f. –– Bisheriger Meinungsstand  150 ff. –– Gefahrenabwehralternative  150 f., 161, 167 f., 169 f., 204 f. –– Nachfragealternative  151 ff., 161 f., 168 f., 170 ff., 205 f. Auskunftsverweigerungsrecht  86, 96, 104 f., 112 ff. Aussagefreiheit  85, 96 Ausstrahlungswirkung  37, 38 ff., 46, 103 ff., 108 ff. Behandelnder  133 f. Behandlungsfehler  137 ff. –– Behandlungsqualität  137 ff. –– Qualitätsunterschreitung  142 ff. Behandlungsvertrag  132 ff. Belehrungspflicht  35, 38, 47, 98 ff., 247 f. Berufsgerichtliches Verfahren  181 ff. Berufsrechtliche Konsequenzen  181 ff. –– Sonstige Heilberufe  198 –– Wechselwirkungen  195 ff. Berufsverbot  179 f. Beweisverbot  208 ff. –– Behandlungsvertrag  216 ff. –– Beweiserhebungsverbot  209 f. –– Beweisverwendungsverbot  214 ff. –– Beweisverwertungsverbot  210 ff. –– Funktion  208 –– Insolvenzrecht  224 f. –– Interne Ermittlungen  236

–– Steuerrecht  233 –– Vollstreckungsrecht  235 f. Beweisverwertungsverbot  114 f., 210 ff., 223 ff. –– Behandlungsvertrag  238 f. –– Insolvenzrecht  224 f. –– Interne Ermittlungen  236 f. –– Steuerrecht  233 –– Vollstreckungsrecht  235 f. Beweiswürdigung  100 Entzug der Kassenzulassung  193 ff. Fehleroffenbarungspflicht bei Rechts­ anwälten und Steuerberatern  155 ff. Fernwirkung  223 –– Behandlungsvertrag  242 f. –– Insolvenzrecht  227 ff. –– Interne Ermittlungen  236 f. –– Steuerrecht  234 –– Vollstreckungsrecht  235 f. Fortwirkung  223, 248 f. Frühwirkung  223 –– Behandlungsvertrag  239 ff. –– Insolvenzrecht  225 ff. –– Interne Ermittlungen  236 f. –– Steuerrecht  234 Gemeinschuldnerbeschluss  42, 104 ff., 203 ff. Hypothetische Kausalverläufe  228 f., 243 Inquisitionsprozess  28 ff. Interne Ermittlungen  120 ff., 236 f.

280 Sachwortregister Medizinische Behandlung  132 f. Mitwirkungsfreiheit  36, 78, 88, 97 Offenbarungspflicht  109 ff. –– Behandlungsvertrag  202 f. –– Insolvenzrecht  118 f. –– Interne Ermittlungen  120 ff. –– Steuerrecht  116 ff. –– Vollstreckungsrecht  119 f. Offizialeid  29, 44 Ordnungswidrigkeitsrechtliche Konsequenzen  180 Patient  134 f. Patientenakte  243 ff. Patientenrechtegesetz  128 ff.

–– objektiv  85 ff. –– strafprozessual  78 ff. –– subjektiv  84 f. Selbstbelastungsgegenstand  78, 200 Sondervotum  107, 119 Strafrechtliche Konsequenzen  177 ff. Täuschung  89 ff., 96 f. Unterlagen  229 Verfolgungsgefahr  83 f., 201 f. Vetragsärztliches Disziplinarverfahren  189 ff.

Rüge  184

Widerruf Approbation  184 ff. Widerspruchslösung  99

Schutzgehalt  78 ff. –– außerstrafprozessual  112 ff.

Zwangselement  81 ff., 89 ff., 111, 200 f.