Etappenziel Österreich: Radsport 1930 bis 1950 – Helden, Raum und Nation [1 ed.] 9783737016421, 9783847116424

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Etappenziel Österreich: Radsport 1930 bis 1950 – Helden, Raum und Nation [1 ed.]
 9783737016421, 9783847116424

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Zeitgeschichte im Kontext

Band 21

Herausgegeben von Oliver Rathkolb

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Bernhard Hachleitner / Matthias Marschik / Rudolf Müllner / Johann Skocek

Etappenziel Österreich Radsport 1930 bis 1950 – Helden, Raum und Nation

Mit einem Vorwort von Oliver Rathkolb Mit 80 Abbildungen

V&R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V&R unipress. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport, des Instituts für Sportwissenschaft, des Dekanats der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und des Rektorats der Universität Wien, der Stadt Wien Kultur, des Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus und des Zukunftsfonds der Republik Österreich. © 2024 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Die Teilnehmer von »Rund durch Österreich« vor dem ausgebrannten Hotel Erzherzog Johann am Semmering, 1948. Bild: Votava/Brandstätter Images/APA-Picturedesk. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-5413 ISBN 978-3-7370-1642-1

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prolog: Hunger nach Helden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Das Land Österreich und das Werden der Nation Nation – »imagined community« . . . . . . . . . (K)Eine österreichische Nation . . . . . . . . . . Formulierungen der österreichischen Nation . . . Erst war die »Heimat«, dann kam die »Nation« . Österreich-Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sport und Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Giganten der Landstraße und andere Helden . . . . . . . Der Sportheld als Sonderform sozialer Prominenz . . . . Die herausragende Tat und ihre Erzählung . . . . . . . . Heldennarrative im österreichischen Sport 1930 bis 1950

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3. Radsport in Österreich 1930–1938 Eine kurze Vorgeschichte . . . . Die frühen 1930er-Jahre . . . . . Radsport im Austrofaschismus .

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4. Radsport in Österreich 1938–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturen des Radsports in Österreich 1938–1945 . . . . . . . . . Radsport-Nation Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radrennen in der »Ostmark« und den »Alpen- und Donaugauen«

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Inhalt

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6. Biografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz »Ferry« Dusika (31. März 1908–12. Februar 1984) Max Bulla (26. September 1905–1. März 1990) . . . . . Richard Menapace (20. Dezember 1914–21. April 2000) Rudolf Valenta (24. März 1921–15. Juli 2001) . . . . . . Der Radsport in Autobiografien . . . . . . . . . . . . .

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7. Sport und Mediensport 1945–1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportberichterstattung in Printmedien, Radio und Wochenschau Sportjournalismus nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radsport in Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Österreich wird gezeichnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Funktionen des Radsports in der Konstruktion Österreichs »Wieder-Aufbau«: Radsport in einem kaputten Land . . . »Tour d’Autriche« und ihre Vorläufer . . . . . . . . . . . . Landschaften und Städte: Österreich erfahren . . . . . . . Radsport-Helden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit der NS-Zeit in der Sportpolitik . . . . . . . . Gender/Frauenradsport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der neue sportliche männliche Held . . . . . . . . . . . .

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9. Etappenziel Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10. Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Radsport in Österreich 1945–1950 . . . . . . . . . Mehrere Verbände und eine Dachorganisation . . Internationalität und dichtes Rennprogramm . . Die Radfernfahrt »Quer durch Österreich« . . . . Radsportbegeisterung und Österreich-Rundfahrt Schmale ökonomische Basis . . . . . . . . . . . . Radsportnetzwerke(r) . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Mit der vorliegenden Studie schließen die Autoren Bernhard Hachleitner, Matthias Marschik, Rudolf Müllner und Johann Skocek eine bedeutende Lücke in der Alltags- und Kulturgeschichtsschreibung zum österreichischen Sport, die sich ganz überwiegend um die beiden »Nationalsportarten« Fußball und Skisport gruppiert. Darüber hinaus leistet das Buch aber auch einen wichtigen Beitrag zur Genealogie der kleinstaatlichen Identitätskonstruktion nach 1945, indem – anhand der Helden der Landstraße noch breiten- und öffentlichkeitswirksamer inszeniert als bei den »Männern von Kaprun« – eine nahezu übermenschliche Anstrengung mit der Eroberung der österreichischen Landschaften verbunden wird, gipfelnd in den »Österreich-Rundfahrten« unter Einschluss des Großglockners. Auffällig ist dabei, wie Diskurse der Österreich-Identität nach 1945, vom »Geist der Lagerstraße« bis zur »Opferthese« und vom Wiederaufbau über den Proporz bis zum Antikommunismus, auch im (Rad-)Sport ihre Wirkmacht entfalten, aber hinter der Figur des Sporthelden verschwimmen und zu einer Erfolgsgeschichte verwoben werden, freilich zu einer geschlechterhierarchischen Story, wie die Autoren anhand der Karrieren der Helden des Radsports nachzeichnen, wobei in einer subtilen Netzwerkanalyse die individuellen Biografien, die Sportberichterstattung, aber auch die entsprechenden Institutionen kritisch analysiert werden und die Rückbindung an das Publikum thematisiert wird. Wenn scheinbar unpolitische Werte sogar weit über eine sportinteressierte Öffentlichkeit hinausverbreitet werden, zeigt sich an den Radrennen nicht zuletzt die enorme Bedeutung eines populärkulturellen Geschehens. Indem etwa die Studie die Geschichte des Radsports bis zum Beginn der 1930er-Jahre zurückverfolgt und dabei die Sporthelden und Österreich-Konstruktionen in der Zeit vor 1938 und in der nationalsozialistischen Ära mit berücksichtigt, wird damit endgültig der Mythos der »Stunde Null« im Jahr 1945 aufgelöst. Dabei werden nicht nur personelle Kontinuitäten, sondern auch komplexe Anschlüsse in der öffentlichen Inszenierung von Sportereignissen und Sport-

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Vorwort

helden aufgezeigt, die transnationale Ideale des Sports – etwa der Tour de France – ebenso aufgreift wie Versatzstücke einer NS-Ideologie. Beide werden allerdings – immer im Kontext außergewöhnlicher Leistungen in einem Kleinstaat Österreich – zeitspezifisch adaptiert und abgeändert. Wien, Juni 2023

Oliver Rathkolb

Prolog: Hunger nach Helden

Das Jahr 1949 ist in Österreich das erste Jahr nach dem großen, manchmal sogar tödlichen, Hunger. Am 3. Jänner meldet der »Wiener Kurier«: »Europahilfe soll Österreichs Kaloriensatz im Planjahr 1949/50 auf 2300 steigern.«1 Aber was heißt überhaupt »Österreich«? Die aus dem Zweiten Weltkrieg mit knapper Not entkommene Agglomeration einer Großstadt, einer eher flachen Ostregion und einiger mehr oder weniger gebirgiger Landschaften im Westen ist in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Regierung aus ÖVP und SPÖ, vereint vor allem im gemeinsamen Antikommunismus, versucht sich das »neue« Österreich untereinander aufzuteilen, agiert aber unter Duldung der – und oft auch gegen die – Siegermächte. Die USA arbeiten fleißig an der »Amerikanisierung« des Landes, die UdSSR nimmt sich hingegen das Recht, »Deutsches Eigentum« expansiv zu beanspruchen, sei es in Form von USIA-Betrieben oder des Abtransports ganzer Industrieanlagen in die Sowjetunion.2 Trotz Hunger und Besatzung wird jedoch Sport getrieben. Der Fußballsport, der ab der Wunderteam-Ära ansatzweise patriotische Gefühle aufkommen hatte lassen, ist zwar im ganzen Land populär, doch die seit Herbst 1945 wieder laufende Meisterschaft der obersten Leistungsstufe ist bis 1949 noch eine Wiener Angelegenheit.3 Im Skisport, primär im Westen des Landes betrieben, wird so getan, als ginge ihn seine unmittelbare Vergangenheit und der NS-Opportunismus nichts an. Das Hahnenkammrennen 1948 gewinnt der 1937 zum SA-Sturmführer avancierte Hellmut Lantschner, ohne dass seine NS-Vergangenheit problematisiert würde: Ein markantes Signal des Wegschauens von der Verantwortung für den Nationalsozialismus.4 So ist es einzig das Antreten österreichischer 1 Wiener Kurier, 3. 1. 1949, 1. 2 Fritz Weber, Verstaatlichung und Privatisierung in Österreich 1946–1986, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 34 (2011) 2, 126–147, 130. 3 Roman Horak/Matthias Marschik, Vom Erlebnis zur Wahrnehmung. Der Wiener Fußball und seine Zuschauer 1945–1990, Wien 1995. 4 Andreas Praher, Österreichs Skisport im Nationalsozialismus. Anpassung – Verfolgung – Kollaboration, Berlin/Boston 2022, 371–414.

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Prolog: Hunger nach Helden

Equipen bei den Olympischen Winterspielen in St. Moritz und den Sommerspielen in London, das ein österreichisches Nationalgefühl vermittelt, auch aufgrund der Tatsache, dass Deutschland noch ausgeschlossen ist.5 Die Wiener Oper werkt im Notbetrieb und trägt, wie das Burgtheater, schwer an der Verstrickung in das NS-System oder zumindest am Opportunismus, den die Ensembles im Dritten Reich im Programm hatten.6 Da wäre ein unbelasteter, die Regionen übergreifender Jubel wünschenswert. Und er kommt gerade zur richtigen Zeit, als ob er während der langen, wechselvollen Mitte des Jahrhunderts nur auf diese Gelegenheit gewartet hätte. Schon 1933 reden und schreiben sie von einem nationalen Radrennen als einer »Tour d’Autriche«.7 Doch es wird nichts Rechtes daraus. Vielleicht liegt es an der hilflosen Politik und Sportpolitik, die den emotionalen, integrierenden Wert eines derartigen Spektakels nicht erkennt. Vielleicht liegt es an der mangelnden Unterstützung der den Fahrradboom nutzenden Industrie. Im Austrofaschismus wird 1934 zunächst in Niederösterreich eine »Semperit-Rundfahrt« organisiert,8 1935 geht es in einem Rennen »Quer durch Österreich«, das allerdings in acht auf mehrere Wochen verteilten Etappen ausgetragen wird, 1.650 Kilometer durchs ganze Land.9 Doch die Idee findet weder große Unterstützung noch überzeugenden öffentlichen Beifall. Anders nach dem Zweiten Weltkrieg: Nach den Versuchen 1947 und 1948, eine Österreich-Rundfahrt zu organisieren,10 rafft sich die Radsport-Kommission in Österreich auf, nach dem Vorbild der großen Tour de France eine richtige, ausgewachsene Rundfahrt zu zelebrieren. Von Wien nach Wien. Sieben Etappen durch alle Bundesländer, ausgenommen Vorarlberg und das Burgenland. Jeder Österreicher und jede Österreicherin kann mit dem Finger auf der Landkarte und dem Ohr am Radioapparat Österreich befahren und »erfahren«. Der Weg ist das Ziel: Österreich. Die Tour bietet alle Voraussetzungen für eine Heldengeschichte. Ausländische Gegner sind da, auch wenn es nur Amateure sind, zum Beispiel der Franzose Lucien Fixot oder der Italiener Enrico Gandolfi. Und aus Österreich treten nicht nur Fahrer aus den Radhochburgen Wien und Graz, sondern aus dem ganzen Land an. Mit dem Großglockner muss der Held die ultimative Probe bestehen.

5 Matthias Marschik, Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationsbewußtsein in Österreich (1945–1950), Wien 1999, 165–178. 6 Gustav Bihl/Gerhard Meißl/Lutz Musner, Vom Kriegsende 1945 bis zur Gegenwart, in: Peter Csendes/Ferdinand Opll (Hg.), Wien. Geschichte einer Stadt. Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 2006, 545–820, 739–820. 7 Die Stunde, 9. 11. 1933, 9. 8 Der Radfahrer, 25. 3. 1934, 3. 9 Illustrierte Kronen-Zeitung, 20. 2. 1935, 12. 10 Salzkammergut-Zeitung, 5. 8. 1947, 14.

Prolog: Hunger nach Helden

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Abb. 1: Am 28. Juli 1949 verlassen die Radfahrer der ersten Österreich-Rundfahrt Heiligenblut in Richtung Großglockner: Bild: Votava/Brandstätter Images/APA-Picturedesk

Der österreichische Nachwuchs ist mit der Aufgabe überfordert, doch ist der richtige Mann zur Stelle. Richard Menapace (1914–2000) ist überzeugter Südtiroler, aber zugleich (oder gerade deshalb) ein Wanderer. Er bewegt sich als zäher Kämpfer durch die Zeiten, Länder und Loyalitäten. 1948 holt er sich die österreichische Staatsmeisterschaft im Straßenfahren,11 aber Profi will er nicht mehr werden. Er passt sich jedem Lebensumstand an, weiter hinten im Buch erzählen wir seinen Weg. Eine Beschäftigung ist die Konstante in seinem Leben: Radfahren nahm er ernst. So ist es auch kein Wunder, dass er seine Hochzeit acht 11 Österreichische Zeitung, 8. 1. 1949, 7.

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Prolog: Hunger nach Helden

Tage vor der ersten richtigen »Tour d’Autriche« ansetzt,12 mitten in der Vorbereitung für das Rennen, das sein größter, ihn definierender Triumph werden sollte. Sein Brautführer ist sein Mentor Franz Hamedl, der 1933 in Wien die Radfirma »RIH« gründete und viele Jahre lang Präsident des Radsportverbandes war. Hamedl stiftet sozusagen Menapaces Heirat und die Tour d’Autriche. »Flitterwochen im Rennsattel«13 titelt eine Zeitung die Hymne auf den Volkshelden. Menapace kam aus Italien über Deutschland nach Österreich, um hier der Mitbegründer einer Begeisterungswelle für die Nation Österreich zu werden.14 Er war österreichischer Nationalheld, bevor er Österreicher werden durfte, denn die Staatsbürgerschaft erhielt er erst im März 1950. Das war aber, wie man so sagt, »realpolitisch« völlig egal. Von der kommunistischen »Österreichischen Volksstimme« über die ohnedies Radsport-begeisterte französische »Welt am Abend« bis zum US-amerikanischen »Wiener Kurier« klang der einhellige öffentliche Jubelgesang übers Land: Der kleine, drahtige »Glocknerkönig« fuhr mit insgesamt rund 40 Minuten Vorsprung durch ein Jubelspalier vom Riederberg bis zum Ziel am Rathausplatz. Der öffentliche Lärm schuf »live« eine neue Realität. Dem Radfahrer dämmerte, dass er Teil einer größeren Inszenierung war. »Sicher hatte die allgemeine Begeisterung ihre tieferen Wurzeln«, schreibt Menapace in seiner Autobiografie, »konnte doch in dieser Sache einmal das ganze Österreich dasselbe denken und wünschen.«15 Das Publikum identifizierte sich mit dem »Österreicher« Menapace, die Medien bewunderten ihn und die Politik beglückwünschte ihn. Die Nation Österreich hatte seinen ersten zonenübergreifenden Heros. »Es lebe Richard, der König der Rundfahrt, es lebe der Radsport und Österreich!«16 Viele Menschen haben uns in unterschiedlichen Phasen der Arbeit ganz wesentlich unterstützt, ihnen allen sei herzlich gedankt. Besonders hervorheben möchten wir die Mithilfe von Michael Bulla, Richard Menapace jr. und Erich Valenta, weiters von Peter Autengruber, Gregor Derntl, Manfred Mugrauer, Michael Zappe, Agnes Meisinger, Susanne Zukrigl, Oliver Rathkolb und Barbara Kendler. Großer Dank gilt nicht zuletzt den Fördergebern des zugrunde liegenden Projektes: Stadt Wien Kultur, Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus, Zukunftsfonds der Republik Österreich und Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport.

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Richard Menapace, Richard Menapace erzählt, Wien 1952, 118. Arbeiterwille, 31. 7. 1949, 13. Salzburger Tagblatt, 30. 7. 1949, 16. Menapace, Menapace, 129. Grazer Montag, 31. 7. 1950, 6.

Einleitung

Radrennsport ist im Österreich der 2000er-Jahre in der öffentlichen Wahrnehmung keine der Top-Sportarten. Doch speziell in den 1940er- und 1950er-Jahren war er ein »Volkssport« mit einem hohen emotionalen kollektiven Aktivierungspotenzial. Er produzierte »Helden« und transportierte Normen und Werte, die für eine politische Nutzung im Rahmen eines österreichischen »nationbuilding« interessant wurden. Eindrucksvolle Beiträge dafür lieferten die ersten Österreich-Radrundfahrten und vor allem jene Rennfahrer, die dieser Ära den Stempel aufdrückten: Das sind zum einen der Sieger der ersten nationalen Rundfahrten, Richard Menapace, und der potenzielle nationale Radsportheld, Rudolf Valenta, aber auch zwei Fahrer, die ihre Popularität primär ihren Erfolgen in den Jahren von 1930 bis 1945 verdankten: Max Bulla und Franz »Ferry« Dusika. Eine Populärkultur des Radsports mit Potenzial zur Massenmobilisierung zeigte sich in Österreich in Ansätzen schon vor 1900 und in den 1930er-Jahren und sie dauerte über die Zeit des Nationalsozialismus hinweg bis in die 1970erJahre.1 Aber nur in den ersten Jahren nach 1945 zogen sowohl nationale Mehrtagesrennen wie lokale Bewerbe ein Massenpublikum an. Die Events erreichten besonders durch Live-Berichte im Radio, Zusammenfassungen in den KinoWochenschauen sowie ausführliche Besprechungen in den Printmedien eine breite Öffentlichkeit. Die Beschreibungen des Radsports enthielten in diesen Jahren oft Versatzstücke nationalsozialistischer Ideologie und gleichzeitig finden sich in diesen Beschreibungen überdauernde Muster der medialen und öffentlichen Darstellung eines populären Sports: Härte gegen sich selbst und Ritterlichkeit gegenüber dem Gegner, männlicher, heldenhafter, fast übermenschlicher Kampf mit der Maschine und »Triumph des Willens« gegen die Gewalten der Natur, Bewegung und Dynamik, den »Endsieg« vor Augen. Rudolf Valenta, einer der erfolgreichsten Radsportler des Nachkriegs-Österreich, verwendete in seiner Autobiografie schon auf der ersten Seite sechs Mal den Begriff »Kampf1 Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Michael Zappe (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013.

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Einleitung

sport« oder sprach vom Radfahrer als »Kampfsportler«.2 Die Eroberung des Raumes, die Konfrontation mit den Naturgewalten, eine misogyne Männlichkeit und eben der harte Kampf selbst waren allerdings generell wesentliche Parameter des österreichischen Sports nach 1945.3

Abb. 2: Rudi Valenta erreicht erschöpft des Etappenziel Graz bei der Fernfahrt »Wien – Graz – Wien« 1950. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Dennoch unterschied sich der Radsport wesentlich von anderen Sportgattungen, die für den Aufbau eines österreichischen Nationalgefühls nach 1945 eine wichtige Rolle spielten: dem Fußball und der Wiener Eisrevue und dem vor allem in den westlichen Bundesländern dominanten Skilauf. Besonders der Eiskunstlauf und der Fußball propagierten vorwiegend Bilder eines tänzerisch-eleganten, kreativen und nicht auf den Kampf angewiesenen, somit »unschuldigen«, Österreichers. Diese Zuschreibungen bildeten ein leicht fassbares, emotionales Gegenbild zum Nationalsozialismus und korrelierten damit gut mit der »Opferthese«. Von dieser Dichotomie ausgehend, stellt sich die Frage, welche spezifischen gesellschaftlichen Bedeutungen nach 1945 vom Radrennsport und seinen – durchwegs männlichen – Heldenfiguren produziert wurden, wie sie transportiert wurden, aber auch, inwieweit diese politisch verwertbaren Bedeutungen auf strukturellen, personellen und inhaltlichen Kontinuitäten mit der Zeit der NS-Herrschaft basierten. In der Folge sollen diese Kontinuitäten – aber auch 2 Rudi Valenta, Kampf um den Goldpokal, Wien 1956. 3 Matthias Marschik, Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationsbewußtsein in Österreich (1945–1950), Wien 1999, 194–247.

Einleitung

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Brüche – von den 1930er-Jahren über den Austrofaschismus und die NS-Ära bis zum »Wiederaufbau« nach 1945 anhand der Geschichte des österreichischen Radsports und besonders der Biografien populärer Radsportler wie Franz »Ferry« Dusika,4 Max Bulla,5 Richard Menapace6 oder Rudi Valenta herausgearbeitet und ihre Rolle in der Konstruktion von NS- und Nachkriegsgesellschaft untersucht werden. Das soziokulturelle Handlungsfeld Sport mit seinen inhärenten »Heldengeschichten« eignet sich besonders gut, die Bedeutungen, die Funktionen und die medialen Darstellungen öffentlicher »Leitfiguren« paradigmatisch zu untersuchen. Zu fragen ist, wie sich die sportlichen Karrieren und die außersportlichen Aktivitäten der Protagonisten in den größeren Zusammenhang der »langen Mitte des Jahrhunderts« vor, während und nach der NS-Ära einfügen: Denn das Verständnis für das Funktionieren des Nachkriegssports verlangt eine über politische, militärische und gesellschaftliche Aspekte hinausgehende Beschreibung der Alltags- und Massenkulturen in der Ersten Republik, im Austrofaschismus und in der NS-Ära, die gerade nach deren Auswirkungen in den Konstituierungsjahren der Zweiten Republik fragt. Wesentlich ist dabei die Frage, welche Aspekte der Biografie eines »Sporthelden« in den Medien hervorgehoben, welche verschwiegen wurden: Daher werden die persönlichen Lebenswege der Sportler durch Akten-, Archivmaterialien und Nachlässe sowie Interviews mit Nachkommen rekonstruiert und der medialen Erzählung gegenübergestellt. Das vorliegende Projekt arbeitet auf diese Weise die in den Populärkulturen des Sports produzierten und tradierten Werte und Normen heraus. Eine Analyse im Sinne einer »longue durée« soll dazu beitragen, das NS-(Sport-)System in einen größeren Kontext zu stellen. Einzelne Untersuchungen zum Thema SportlerInnen-Biografien7 oder zu Lebenserinnerungen von SportlerInnen8 weisen nachdrücklich auf diese Zusammenhänge hin. Gerade auf biografischer Ebene werden Politik und Ökonomie – wenn sie überhaupt erwähnt werden – meist immer noch als vom Sport 4 Matthias Marschik, Der Wiener »Radpapst«. Franz »Ferry« Dusika, in: Bernhard Hachleitner et al. (Hg.), Motor, 120–121; Peter Autengruber, 22., Dusikagasse, in: Oliver Rathkolb/Peter Autengruber/Birgit Nemec/Florian Wenninger (Hg.), Straßennamen Wiens seit 1860 als »Politische Erinnerungsorte«, Wien 2013, 82–91. 5 Matthias Marschik, Der »Steher«. Max Bulla und das gelbe Trikot, in: Hachleitner et al., Motor, 104–105. 6 Matthias Marschik, Österreich erfahren… Richard Menapace und der österreichische Radsport nach 1945, in: Matthias Marschik/Agnes Meisinger/Rudolf Müllner/Johann Skocek/ Georg Spitaler (Hg.), Images des Sports in Österreich. Innensichten und Außenwahrnehmungen, Göttingen 2018, 335–348. 7 Nikola Langreiter, Ein Gewinn. Österreichische Schirennfahrer in Autobiografien, in: Matthias Marschik/Georg Spitaler (Hg.), Helden und Idole. Sportstars in Österreich, Innsbruck 2006, 61–64. 8 Marschik, Steher, 2014.

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getrennte Sphären behandelt. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass SportlerInnenbiografien (im Vergleich mit deren öffentlichen Repräsentationen) wertvolle Einsichten liefern können, um das vorherrschende dichotome, aus Tätern und Opfern zusammengesetzte, Geschichtsbild der Nachkriegsjahre nach 1945 kritisch zu hinterfragen und in einen längeren zeitlichen Horizont einzuordnen. Wesentlich sind dabei teils gravierende Differenzen zwischen verschiedenen Sportarten, nicht nur hinsichtlich ihrer Popularität, sondern etwa auch bezüglich ihrer ökonomischen Basis, dem Zusammenspiel von Individuum und Kollektiv oder auch dem Amateur- und Berufssport. Wichtig dafür ist es, nicht nur die eindeutigen TäterInnen und die Opfer zu beschreiben, sondern ebenso deren Kooperation und vor allem den breiten Raum zwischen Täterschaft und Opferstatus. Dafür können Populärkulturen des Sports paradigmatische und anschauliche Exempel liefern: Während Franz Dusika eindeutig als »Täter« zu identifizieren ist, dessen Aktivitäten in der NSÄra nach 1945 viele Jahrzehnte lang nicht öffentlich diskutiert wurden, kann Max Bullas Lebensgeschichte speziell in den Jahren 1938 bis 1945 vermutlich als Paradigma eines »Dazwischen« verortet werden. Und es zeigt sich ebenso deutlich, dass solche Zuordnungen nicht nur national wirksam sind. Richard Menapace konnte als »Italiener« und Südtiroler Optant (und Monarchist) sowie anfangs als Besitzer eines deutschen Passes dennoch zu einem ersten Radsporthelden der Nachkriegsjahre werden. Im Vergleich dazu wurde Rudi Valenta als »Österreicher« mangelndes Nationalbewusstsein unterstellt, wenn er zu viele sportliche Aktivitäten ins Ausland verlegte, obwohl ja zugleich internationale Erfolge eingefordert wurden. Betrachtet man den Forschungsstand zur österreichischen Sportgeschichte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dann zeigen sich durchgängig strukturelle Defizite. Eine Ausnahme bilden diesbezüglich die beiden Leitsportarten Fußball und Skisport. Das restliche Feld des österreichischen Sports, dem sich täglich Millionen von Menschen widmen, ist sozial- und geschichtswissenschaftlich bisher im Vergleich zu ökonomischen oder politischen Fragestellungen wenig erforscht. Darin liegt eine Begründung für die Untersuchung des – bislang kaum analysierten – Radsports. Er bietet ein anschauliches Beispiel für den Transformationsprozess einer wichtigen österreichischen Sportart in der »langen Mitte des 20. Jahrhunderts«. Dies gilt umso mehr, als der Radsport, so eine unserer zentralen Thesen, in der unmittelbaren Nachkriegszeit einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung einer nationalen österreichischen Identität leistete. Die Geschichte des österreichischen Sports ist nur in ihrer Einbettung in einen gesamtgesellschaftlichen Modernisierungsprozess zu verstehen. Der Sport ist sowohl Produkt als auch Produzent dieser komplexen Entwicklung. Deshalb untersuchen wir den Radsport nicht aus einer rein sporthistorischen Perspektive,

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etwa im Sinne von Leistungsbilanzen und deren Wertigkeiten im internationalen Vergleich; wir legen vielmehr in dieser Studie erstmals auch eine Organisationsgeschichte des österreichischen Radsports ab 1930, im Nationalsozialismus und in der Wiederaufbauphase vor, bleiben aber dabei nicht stehen. Mit einem interdisziplinären Ansatz, der sich aus Ansätzen der Sportgeschichtsforschung, den Cultural Studies, den historischen Kulturwissenschaften und den Sport Studies zusammensetzt, versuchen wir, den Radsport als diskursives Phänomen in den Blick zu nehmen. Wir schauen auf die Art und Weise, wie über den Radsport gesprochen, geschrieben und berichtet wurde. Es wird vor allem nach den öffentlichen Bildern, die er erzeugte und verbreitete, gefragt. Diese Bilder und Texte sind deswegen bedeutend, weil sie Ausdruck einer weit über das engere Terrain des Sports hinausreichenden kulturellen, sozialen und politischen »Wirklichkeit« sind. Dabei interessieren uns unter anderem Geschlechter-, Helden- und andere populärkulturelle Diskurse und vor allem deren Beitrag zur Herausbildung einer nationalen österreichischen Identität. Gerade die Frage nach dem Beitrag des Sports zur nationalen Identität ist in Zeiten beschleunigter globaler Umbrüche relevant. Das Thema der österreichischen Identität wurde daher nach einer ersten Studie zum Zusammenhang von Sport und Identität in der Nachkriegsära9 in dieser Untersuchung ganz grundsätzlich wieder aufgerollt. Ein besonderes Charakteristikum der vorliegenden Arbeit ist, dass sie nach Kontinuitäten und Brüchen über vier verschiedene politische Regime hinweg fragt. Darum ergibt sich die »lange Mitte des Jahrhunderts« als Untersuchungszeitraum. Es geht dabei einerseits um Elitenkontinuitäten, etwa von exzeptionellen Athletenfiguren oder Sportfunktionären, aber auch um die generellen Transformationen einer Sportart in unterschiedlichen politischen Konstellationen. Aufbauend auf einer grundlegenden Studie zum österreichischen Sport während der NS-Herrschaft10 existieren zwar mittlerweile einige Untersuchungen, die sich mit Sport in der NS-Zeit in Wien und dem Gebiet des heutigen Österreich beschäftigen. Allerdings konzentrieren sich die meisten Arbeiten auch in dieser Periode auf den Fußball und den Skisport11. Andere Sportarten sind bisher – mit 9 Marschik, Idealismus. 10 Matthias Marschik, Sportdiktatur. Bewegungskulturen im nationalsozialistischen Österreich, Wien 2008. 11 Matthias Marschik, Vom Nutzen der Unterhaltung. Der Wiener Fußball in der NS-Zeit: Zwischen Vereinnahmung und Resistenz, Wien 1998; Jakob Rosenberg/Georg Spitaler, GrünWeiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938–1945). Unter Mitarbeit von Domenico Jacono und Gerald Pichler, Wien 2011; Bernhard Hachleitner/ Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Johann Skocek, Ein Fußballverein aus Wien. Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938–1945, Wien/Köln/Weimar 2019; Alexander Juraske/ Agnes Meisinger/Peter Menasse/Hans Menasse. The Austrian boy. Ein Leben zwischen Wien, London und Hollywood, Wien/Köln/Weimar 2019; Andreas Praher, Österreichs Skisport im

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Einleitung

Ausnahme von Einzelfallstudien etwa zum Wiener Eislauf-Verein12 – kaum erfasst. Das gilt auch für den in den 1930er- und 1940er-Jahren – und bis heute – populären Radrennsport. Dazu lag bisher kein gesichertes Wissen vor. Es gab lediglich Einzeluntersuchungen über die Verstrickung Franz »Ferry« Dusikas in das NS-System und über die Funktion der ersten Jahre der Österreich Radrundfahrt13. In diesem Band werden diese Lücken nun geschlossen und erstmals übersichtliche, auf einer breiten Quellenbasis beruhende Daten zur Entwicklung des österreichischen Radsports vorgestellt. Darüber hinaus konnte in der vorliegenden Studie erstmals Einsicht in bisher unbekanntes Aktenmaterial genommen werden, welches wichtige neue Erkenntnisse zu den Biografien der Hauptakteure des Radrennsports (Franz Dusika, Max Bulla, Richard Menapace, Rudolf Valenta) und zu ihrem Verhalten im Nationalsozialismus, aber auch in der Nationswerdung Österreichs nach 1945, liefert. Es wird der Frage nachgegangen, welche Rollen und Funktionen prominenten Sportlern seitens der Politik, der Sportpolitik und der Medien im jeweiligen Regime zugeschrieben wurden. Wesentlich ist dabei nicht zuletzt der Aspekt von Männlichkeit und »Gender« im Radsport des Nationalsozialismus und bei der – sportlichen – Neukonstruktion Österreichs. Über die biografische Ebene hinausgehend wird generell die Stellung des Radsports in Beziehung zum jeweiligen politischen System untersucht. Dabei geht es um Fragen seiner politischen Funktionalisierung, Gleichschaltung, Resistenz oder Anpassung. Ein zentraler Untersuchungsfokus liegt, wie bereits angesprochen, auf dem Beitrag des Radsports zur Konstruktion der Nation. Wichtig ist dabei dessen Binnenwirkung, aber auch seine Wirkung nach außen im System des internationalen Sports. Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang auch die Konkurrenz zwischen den »Radhochburgen« Wien und Graz sowie der »Provinz«.

Nationalsozialismus. Anpassung – Verfolgung – Kollaboration, Berlin/Boston 2022; Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Johann Skocek, Der Wiener Fußball im Nationalsozialismus. Sein Beitrag zur Erinnerungskultur Wiens und Österreichs, Wien 2019. 12 Agnes Meisinger, »Mit voller Kraft den nationalsozialistischen Sportideen dienen …«. Der Wiener Eislauf-Verein in der NS-Zeit, in: Frank Becker/Ralf Schäfer (Hg.), Sport und Nationalsozialismus, Göttingen 2016, 149–172. 13 Marschik, Österreich erfahren, 335–348.

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Das Land Österreich und das Werden der Nation

Entstehen und Wiedererrichtung Österreichs im Jahr 1945 waren primär Ergebnisse internationaler Interessen und alliierter Planungen militärischer, politischer, wirtschaftlicher und nicht zuletzt kultureller Natur.1 Doch speziell in der konkreten Ausgestaltung dieses »Österreich« mischten sich externe Vorgaben mit internen Ideen und Vorstellungen. Um daher dem Beitrag des Radsports zu einer österreichischen Identitätskonstruktion und Nationsbildung nach 1945 nachzuspüren, bedarf es vorab einer kurzen Darstellung des historischen Werdens des Begriffes »Österreich« und des Werdens einer »Nation Österreich«. Dabei sei – ohne dass hier detailliert darauf eingegangen wird – auf grundsätzliche Rahmenbedingungen verwiesen, dass nämlich erstens die moderne Formation der Nation als integrativer Akt der Einverleibung von Interessen und sozialen Kräften in ein Zielsystem zunehmend fragwürdig erscheint,2 sich zweitens die kollektiven Konzepte von Gemeinschaft noch immer – und wieder zunehmend – auf eine »world of nations«3 stützen, dass drittens Nationen stets auf Konstruktionen, denen dann eine »Kraft des Faktischen« zugeschrieben wird,4 beruhen und dass viertens nicht zuletzt sportliche Praxen zu den Ausformungen der Nation einen wesentlichen Beitrag leisteten und leisten, wie das insbesondere von Eric Hobsbawm5 hervorgehoben wurde. Konkret bezeichnet Josef Seiter den Sport als »Potenzbereich österreichischer Identität«, in der erfolgreiche SportlerInnen vielleicht noch mehr als anderswo zu HeldInnen stili1 Oliver Rathkolb, Internationalisierung Österreichs seit 1945, Innsbruck/Wien/Bozen 2006, 13–32. 2 Angela McRobbie, Postmodernism and Popular Culture, London/New York 1994, 5. 3 Michael Billig, Nationalism as an International Ideology: Imagining the Nation, Others and the World of Nations, in: Glynis M. Breakwell/Evanthia Lyons Speri (Hg.), Changing European Identites: Social Psychological Analyses of Social Change, Oxford et al. 1996, 181–194, 186; Michael Billig, Banal Nationalism, London/Thousand Oaks/New Delhi 1995. 4 Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse, Wien/Köln/Graz 1996, 396. 5 Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt/M./ New York 1991, 167.

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siert wurden und werden: »Tatsächlich holten die Österreicherin und der Österreicher der Nachkriegszeit Ikonen in ihren Alltag, unter denen der Sport neben dem allgemeinen Wohlstandsdenken wahrscheinlich den wichtigsten Platz einnahm«.6 Die vergleichsweise kurze »Karriere« des Begriffs der österreichischen Nation zeigt klar, wie wenig überzeitlich die Bezeichnung Nation ist und wie wenig sie mit einer als Konstante definierten Gemeinschaft zu tun hat.7 Denn erst seit den 1970er-Jahren zeigen Meinungsumfragen Zustimmungsraten von knapp über 80 Prozent zum Begriff einer österreichischen Nation.8 Noch 1956, ein Jahr nach dem Staatsvertrag, war diese Sicht mit 46 Prozent eine Minderheitsmeinung, wie der Historiker Friedrich Heer ausführt.9 Acht Jahre später stimmten 47 Prozent der Befragten zu, 1966 immerhin 72 Prozent.10 Daher ist die »Nation Österreich« nicht als fixer, unveränderlicher oder gar auf »göttlicher Bestimmung« beruhender Faktor der Geschichte zu betrachten, auch wenn diese Legitimationsstrategie im Zuge der Konstruktion österreichischer Identität eine bedeutende Rolle gespielt hat – und mitunter sogar heute noch spielt. Im Folgenden soll analysiert werden, welche Rahmenbedingungen es möglich machten, dass – anders als 1918 – der österreichische Staat und mit etwas Verzögerung eine österreichische Nation weitgehend akzeptiert wurden und sie Teil einer kollektiven Identität, bald auch Erinnerung, wurden. Es geht nicht darum zu klären, wieweit die Bilder der Vergangenheit aus einem Sample »realer« Ereignisse stammen. So formuliert Oliver Marchart: »Diesem Speichermodell tritt die konstruktivistische Vorstellung entgegen, der zufolge sich kollektive Erinnerung nicht auf ein Realereignis bezieht, um dann von der Wissenschaft daran gemessen zu werden, wie exakt es diesem Ereignis nahekommt. In der kollektiven, politischen Geschichte sind es nationale Mythen oder Heldenepen, die gute 6 Josef Seiter, Vergessen – und trotz alledem – erinnern. Vom Umgang mit Monumenten und Denkmälern in der Zweiten Republik, in: Reinhard Sieder/Heinz Steinert/Emmerich Tálos (Hg.), Österreich 1945–1995. Gesellschaft. Politik. Kultur, Wien 1995, 684–705, 689. 7 Wie aktuell und konfliktbeladen die Frage nach der Existenz beziehungsweise Nichtexistenz einer eigenständigen Nation ist und als (De-)Legitimation von Eigenstaatlichkeit dient, zeigt der Angriff Russlands auf die Ukraine 2022. Vgl. etwa Timothy Snyder, The Making of Modern Ukraine. Class 1: Ukrainian Questions Posed by Russian Invasion, URL: ps://www.youtube.com /watch?v=bJczLlwp-d8&list=PLh9mgdi4rNewfxO7LhBoz_1Mx1MaO6sw (abgerufen 3. 9. 2022). 8 Max Haller, Nationale Identität in modernen Gesellschaften – eine vernachlässigte Problematik im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Politik, in: Max Haller (Hg.), Identität und Nationalstolz der Österreicher. Gesellschaftliche Ursachen und Funktionen. Herausbildung und Transformation seit 1945. Internationaler Vergleich, Wien/ Köln/Weimar 1996, 9–60; APA/Red., Österreicher fühlen sich heute als Nation, Der Standard, 12. 3. 2008, URL: https://www.derstandard.at/story/3261105/oesterreicher-fuehlen-sich-heut e-als-nation (abgerufen 18. 12. 2022). 9 Friedrich Heer, Der Kampf um die österreichische Identität, Wien 1981. 10 Ebd., 16.

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Beispiele für eine solche – meist glorreiche – Vergangenheit geben, die möglicherweise nie stattgefunden hat.«11 Es geht um die Funktion von Bildern und um die Frage, warum und wie sie ab 1945 wirkmächtig werden konnten und wurden. Wo verschränkte sich ein oktroyiertes Österreich-Bewusstsein mit konkreten persönlichen Erfahrungen? Wo erwies sich die Gültigkeit Österreichs als Begriff, als Territorium, als erfahr- und erlebbare Einheit? Wo wurden regionale und lokale Verankerungen durch nationale ergänzt oder ersetzt? Wo entstanden Identitäten, die sich auf ein spezifisches und konkretes Österreich-Gefühl und -Bewusstsein bezogen? Wo etablierte sich ein nationales Selbstwertgefühl, ein positiv besetztes Image, ein Gefühl des Stolzes auf das Land, die Nation, den Staat Österreich, eine Ahnung, Empfindung und schließlich Gewissheit von Identität?

Nation – »imagined community« Der Begriff der »Nation« wurde und wird in unterschiedlichen Kontexten von unterschiedlichen AkteurInnen mit unterschiedlichen Intentionen sehr verschieden eingesetzt und interpretiert. Das zeigt sich exemplarisch in der Diskussion um die österreichische Nation, deren Genese deutlich macht, dass es sich bei einer konkreten Nation um eine historische Konstruktion handelt, deren Verständnis sich (mitunter rasch) ändern kann. Nach Stuart Hall ist die Nation als komplexes Konstrukt von moderner »Kultur« zu verstehen. Hall definiert eine nationale Kultur als »a discourse – a way of constructing meanings which influences and organizes both our actions and our conception of ourselves«.12 Hall verweist dabei auf die Bedeutung von Vergangenheit, also den Rückbezug auf »große« Traditionen, wobei der vergangene Ruhm und die Wiederbelebung alter Identitäten zugleich Entwürfe zukünftiger Identitäten beinhalten. Nationale Kulturen schaffen Bedeutungen, mit denen wir uns identifizieren können. Der Begriff »Nation« wird also modern und politisch definiert, bezieht sich aber zugleich auf traditionelle Konzepte von »Familie« und Gemeinschaft. »Nation« zielt darauf ab, diese beiden Ebenen zu einer einheitlichen Identität zu vereinen, also Kultur und Gemeinwesen kongruent zu machen.

11 Oliver Marchart, Das historisch-politische Gedächtnis. Für eine politische Theorie kollektiver Erinnerung, in: Ljiljana Radonic/Heidemarie Uhl (Hg.), Erinnerungskulturen/Memory Cultures, Bielefeld 2016, 43–78, 53. 12 Stuart Hall, The Local and the Global. Globalization and Ethnicity, in: Anthony D. King (Hg.), Culture, Globalization and the World-System. Contemporary Conditions for the Representation of Identity, Minneapolis 1997, 19–40.

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Nach Hall ist eine nationale Kultur ein diskursives Instrument, das Unterschiede als einheitliche Identität darstellt: »Modern nations are all cultural hybrids […]«.13 In jeder Nation gibt es verschiedene soziale Klassen, Geschlechter, Ethnien, dennoch versucht die Nation, ihre Mitglieder in einer kulturellen Identität zu vereinen, indem sie ihre einzigartigen Identitäten durch die modifizierte Identifikation als Mitglied der »Familie der Nation« ersetzt. Das bedingt natürlich die weitgehende Würdigung kultureller Differenzen. Nationale Kultur ist jedoch mehr als nur der Kitt, der die Mitglieder vereint, sie ist ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen verschiedenen Individuen und Gruppen, das einer kulturellen und hegemonialen Machtstruktur unterliegt. Nationale Kulturen beruhen auf kollektiven Identitäten, die nach innen assimilatorisch wirken, aber nach außen Einzigartigkeit betonen. Die Lage und Verfasstheit Österreichs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestattet einen Blick auf das Entstehen einer derart benannten Gemeinschaft auf der Basis symbolischer Praktiken. Dazu passt die vielzitierte Konzeption Benedict Andersons, der die Nation als eine »vorgestellte [imagined] politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän« definierte.14 Im 19. Jahrhundert wurde das Konzept der Nation politisch bedeutsam und wirksam, wobei Anderson für diese Phase das Zusammenspiel von Buchdruck und Kapitalismus als entscheidenden Faktor ausmacht. Dadurch bekamen auch Nationalsprachen eine große Bedeutung. Als vorgestellte und nicht – wie von vielen NationalistInnen behauptet – »natürliche«, überzeitliche, beziehungsweise durch gemeinsame Abstammung definierte Gemeinschaften benötigen Nationen verbindende Klammern: Das können gemeinsame »nationale« Institutionen sein (Schulen, Museen, Armee, Massenmedien etc.) und ein mit diesen im jeweils konkreten Fall unterschiedlich stark verbundenes Narrativ über diese Nation. Eine solche Erzählung kann nicht einfach von »oben« verordnet werden, es entsteht vielmehr – im Sinne Gramscis – im Zusammenspiel oder mit Förderung durch hegemoniale Institutionen (»Hegemonie-Apparate«), die Inhalt, Produzenten und Verbreiter (aber auch Gegenpole) sein können, und ebenso mit einer verbreiteten Akzeptanz durch die Bevölkerung. In diesem Verständnis ist die Nation ein Produkt der französischen Revolution von 1789, die die französische Nation als »Staatsvolk« und demokratischen Souverän gegenüber der alten Adelsherrschaft verstand.15

13 Stuart Hall, Culture, community, nation, in: Cultural Studies 3 (1996) 7, 349–363. 14 Benedict R. Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt 2005, 15. 15 Vgl. Rogers Brubaker, Ethnicity without Groups, London u. a. 2004, 17.

(K)Eine österreichische Nation

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(K)Eine österreichische Nation Vereinzelt ist der Begriff »österreichische Nation« schon ab dem frühen 19. Jahrhundert zu finden: So wurde nach den napoleonischen Kriegen ein Denkmal für die »in den Schlachten von Aspern und Deutsch-Wagram gefallenen Helden«16 als »die Ehrensache der gesamten österreichischen Nation« bezeichnet, die im Sinne der Bevölkerung des Kaiserreichs verstanden wurde. Wirksam ist dabei das durch die Französische Revolution entstandene Verständnis von Nation, das sich allerdings kaum auf die Untertanen des österreichischen Kaisers übertragen lässt, denen die demokratischen Rechte fehlten. Spätestens 1848, als sich die Menschen auch im Habsburgerreich nicht einfach mehr als Untertanen verstehen wollten, wurde dieses Verständnis in Frage gestellt. Spätestens mit der Niederlage von Königgrätz 1866 und der Umwandlung des Kaisertums Österreich in die Österreich-Ungarische Doppelmonarchie begannen sich deutschsprachige BewohnerInnen des Habsburger-Reiches als »Deutsche« zu sehen, so wie sich andere als TschechInnen, PolInnen oder KroatInnen verstanden. Mit einem Unterschied: Die Deutschen hatten eine hegemoniale Position inne. Definiert wurde die Nation im Wesentlichen über die Sprache. Bedeutsam ist dabei der Begriff der Kulturgemeinschaft nach Johann Gottfried Herder, die von einer gemeinsamen Sprache abhinge. Im Kontext Österreich ist es wichtig, dass dabei auch Deutschsprechende außerhalb des Reichs einbezogen wurden, also auch die in der Habsburger-Monarchie. »Österreich« war mit dem Kaiserhaus, »dem Haus Österreich«, territorial mit der österreichischen Reichshälfte, verbunden. Symptomatisch für die komplizierte, wenig zur Identifikation taugliche, Situation ist der offizielle Name Cisleithaniens: »Die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder.« Erst 1915 wurde der Name »österreichische Länder« eingeführt. Für die Sozialdemokratie in der Monarchie war die Nations- und Sprachensituation eine schwierige, die austromarxistischen Theoretiker entwickelten umfangreiche Theorien. Otto Bauer sah in der Nation zwar auch eine »Naturgemeinschaft«, wesentlicher sei aber die Kulturgemeinschaft, die gemeinsame Geschichte: »Der Nationalcharakter ist niemals etwas anderes als der Niederschlag der Geschichte einer Nation.«17 Er meinte damit aber nicht eine österreichische, sondern selbstverständlich eine deutsche Nation. 16 Österreichischer Beobachter, 4. 1. 1811, 3. 17 Otto Bauer, Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie [Orig. Wien 1907], URL: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bauer/1907/nationalitaet/03-kultur.html (abgerufen 29. 12. 2022). Zur Frage von Austromarxismus und Nation ist umfangreiche Literatur erschienen, in unserem Zusammenhang reicht die Feststellung, dass aus unterschiedlichen ideologischen Perspektiven, mit unterschiedlichen Konzepten von Nation bis in die 1930erJahre nie von einer österreichischen, wohl aber von einer deutschen Nation in Österreich die Rede war.

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Anders als die anderen Nachfolgestaaten Cisleithaniens, die sich als Nationalstaaten verstanden, bestand die Bevölkerung »Österreichs« zum größten Teil aus »Deutschen«. So entwickelte sich in Österreich – neben starken regionalen Identitäten – als einzigem dieser Nachfolgestaaten ein bestenfalls rudimentäres Nationsbewusstsein. Der ursprüngliche Name lautete »Deutschösterreich«, die von der Provisorischen Nationalversammlung beschlossene Eingliederung in die Deutsche Republik wurde von den Siegermächten im Friedensvertrag von St. Germain untersagt, ebenso die Verwendung des Attributs »Deutsch« im Staatsnamen. Nur notgedrungen wurde die diktierte Eigenstaatlichkeit akzeptiert, erst kurz vor und nach Beginn der NS-Herrschaft in Deutschland strichen Christlichsoziale und Sozialdemokraten den Anschlusswunsch aus ihren Programmen. Es gab in der Ersten Republik aber dennoch Ansätze eines »Österreich-Patriotismus«, der meist – speziell im Austrofaschismus – von oben oktroyiert wurde,18 aber auch auf populärkultureller Ebene wirksam wurde, vor allem im Sport, etwa rund um das »Wunderteam« zu Beginn der 1930er-Jahre, aber auch im sozialdemokratischen Arbeitersport, etwa im Kontext der Arbeiterolympiade 1931.19 Die wirkmächtige Fiktion der Deckungsgleichheit von Staat und (ethnischer und über die Sprache definierter) Nation, die immer Teile der Bevölkerung ausschloss, führte 1918 neben den Bedenken bezüglich der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit zum von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützten Wunsch nach dem »Anschluss« an Deutschland. Von »österreichischer« Nation war keine Rede, das einstige »Haus Österreich« wurde mit den Schrecken des Krieges verbunden. Gerade wenn die Gegenwart als problematisch empfunden wird, sind Rückgriffe auf eine fiktive Vergangenheit ein probates Mittel der Selbsterklärung: Der Schriftsteller Anton Wildgans (1881–1932), einer der wenigen entschiedenen Verfechter der Eigenständigkeit Österreichs, schrieb zum zehnten Geburtstag der Ersten Republik 1929 eine »Rede über Österreich«. Er spannte einen Bogen von melancholischen Erinnerungen an die verlorene »phantastische Vielfalt der Völkerstämme« im »versunkenen Reich« über die »kulturelle Hegemonie« hin bis zur Anerkennung des »immer mächtiger erstarkenden nationalen und demokratischen Bewußtseins«. Im Zentrum stand Wildgans′ Stolz auf den Österreicher und seine das Deutschtum im Inneren aufhebende Vielfalt. »Der öster18 Ernst Bruckmüller, Die Entwicklung des Österreichbewusstseins, in: Robert Kriechbaumer (Hg.), Österreichische Nationalgeschichte nach 1945. Die Spiegel der Erinnerung: Die Sicht von innen. Band 1, Wien/Köln/Weimar 1998, 369–396, 372. 19 Matthias Marschik, »… im Stadion dieses Jahrhunderts«: Die 2. Arbeiterolympiade in Wien 1931, in: Christian Koller unter Mitarb. von Janina Gruhner (Hg.), Sport als städtisches Ereignis (Stadt in der Geschichte, Band 33), Ostfildern 2008, 189–210. Als Beispiel einige Überschriften der »Arbeiter-Zeitung«: 26. 7. 1931, 5. »Bravo Oesterreich«; 6: »Oesterreich wird Raffballmeister!«, »Große Erfolge der Oesterreicher bei der Regatta«, »Eine Oestereicherin gewinnt den Neunkampf«; 27. 7. 1931, 4: »Oesterreichs Erfolge bei der Olympiade«, »Die Oesterreicher am schnellsten«, 5: »Oesterreich siegt auch im Schwimmen und im Wasserball«.

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reichische Mensch ist seiner Sprache und ursprünglichen Abstammung nach Deutscher und hat als solcher der deutschen Kultur und Volkheit auf allen Gebieten menschlichen Wirkens und Schaffens immer wieder die wertvollsten Dienste geleistet, aber sein Deutschtum, so überzeugt und treu er auch daran festhält, ist durch Mischung vieler Blute in ihm und durch die geschichtliche Erfahrung weniger eindeutig und spröde, dafür aber umso konzilianter, weltmännischer und europäischer.«20 Das Unglück in Form von Kriegen und Klassenkämpfen käme über die Welt, weil sich die »Tat- und Herrenmenschen« die Folgen ihrer Taten nicht vorstellen könnten. »Ein solcher Tat- und Herrenmensch nun, besonders in nationaler Beziehung, ist der Österreicher nicht. Das mag für das Fortkommen in der Welt, das mag vom Standpunkte nationaler Selbstbehauptung ein Mangel sein, von der höheren Warte reiner Menschlichkeit aus gesehen ist es ein Fehler kaum.«21 Zudem seien die Österreicher in der Mehrzahl Katholiken und damit vertraut mit einer »Schule des übernationalen, auf eine universelle Idee gerichteten Denkens, Fühlens und Dienens«.22 Die ÖsterreicherInnen seien also die besseren Deutschen, weil ihnen das Konzept der Nation fremd bleibe zugunsten eines friedlichen, musischen Übernationalen. Dass dieses Modell auch Praxisrelevanz besaß, belegt der Zeithistoriker Oliver Rathkolb mit dem Hinweis darauf, dass »die Salzburger Festspiele der 1920erJahre […] diese Idee perfekt transportiert« hätten. Zur selben Zeit und bis an den Rand des Zweiten Weltkriegs profitierte das Land »durch Tourismus von dieser Selbstdefinition«.23 Einen wichtigen Bezugspunkt bildete dabei eine überzeitliche Konstruktion des Barock. Österreich wird als der katholische, barocke, überlegene Teil der deutschen Kulturgemeinschaft konstruiert. Die »Österreich-Ideologie« des Austrofaschismus24 wollte Österreich in ähnlicher Form – nun aber mit konkretem politischem Imperativ und explizit als Teil der deutschen Nation – als das bessere, weil katholische deutsche Land konstruieren, festgeschrieben in der Verfassung vom 1. Mai 1934: »Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.«25 Diese Versuche einer österreichischen Identitätskonstruktion verweigerten sich also explizit dem Ideal einer österreichischen Nation, enthielten aber 20 Anton Wildgans, Rede über Österreich [Orig. Wien 1930], URL: http://www.antonwildgan s.at/page87.html (abgerufen 27. 11. 2022). 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik, Wien 2005, 52. 24 Anton Staudinger, Austrofaschistische »Österreich«-Ideologie, in: Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1934–1938, Wien 2005 (5. Aufl.), 28–52. 25 Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich. Jg. 1934, Ausgegeben am 1. Mai 1934. 1. Stück, 1.

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bereits einige der gemeinschaftsstiftenden Bilder, die in der Zweiten Republik eine wichtige Rolle spielen sollten.

Formulierungen der österreichischen Nation Es blieb dem kommunistischen Theoretiker Alfred Klahr (1904–1944) vorbehalten, die ersten Formulierungen einer »österreichischen Nation« zu veröffentlichen. In der damals illegalen Zeitschrift »Weg und Ziel« erschienen 1937 zwei Abhandlungen Klahrs »Zur österreichischen Nation«, bei denen er auf Diskussionen im Rahmen des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale vom April 1936 aufbaute, wo als Losung ein »unabhängiges, demokratisches Österreich« ausgegeben wurde.26 Klahr baute seine Argumentation, Österreich sei sehr wohl eine selbstständige Nation und nicht nur ein Anhängsel Deutschlands, auf Josef Stalins – übrigens während seines Wiener Aufenthalts 1912/13 entwickelten – Nationsbegriff auf. Klahr fügte als weiteres Merkmal die »Herausbildung und Stärkung des Nationsbewusstseins hinzu«.27 Stalin setzte die Nation gegen den ethnographischen Begriff Volksstamm ab und führt vier Kriterien einer Nation an: »Gemeinschaft der Sprache, Gemeinschaft des Territoriums, Gemeinschaft des Wirtschaftslebens und Gemeinschaft der Geistesart.« Die letztere drücke sich, so Klahr, »in der Kulturgemeinschaft des betreffenden Volkes« aus.28 Erweitert und mit einer Akzentverschiebung versehen wurden Klahrs Überlegungen von Ernst Fischer während seiner Zeit im Moskauer Exil. In der 1944 veröffentlichten Schrift »Die Entstehung des österreichischen Volkscharakters« benutzte Fischer »freilich Stereotype, derer sich ebenso die Konservativen bei der Beschreibung des ›österreichischen Menschen‹ bedienten; die Natürlichkeit des Österreichers, das ›lebensfrohe Geniessertum‹, der ›gesunde Menschenverstand‹, Witz und Humor, oft gepaart mit ›Ausweichen vor offenen Kampfaktionen‹, Musikalität und Volkstümlichkeit.«29 Fischer betonte gleichfalls eine »überschäumende Barockkultur«, die »auch dem österreichischen Wesen das Gepräge verlieh«.30 Fischer traf sich bei seiner Erklärung mit Friedrich Heer: Der Kampf

26 Hans-Peter Weingand, Die KPÖ und der Februar 1934. Mit den internen Berichten der KPBezirksgruppen und Karten des Bundesheeres, Graz 2020, 93. 27 Alfred Klahr, Zur österreichischen Nation, Wien 1994, 8. 28 Klahr, Nation, 15. 29 Georg Friesenbichler, Verdrängung. Österreichs Linke im Kalten Krieg 1945–1955, Innsbruck 2021, 189. 30 Ernst Fischer, Der österreichische Volks-Charakter, Zürich: Frei-österreichische Bewegung in der Schweiz, o. J. [1944], 12. Zit. n. Friesenbichler, Verdrängung, 190.

Formulierungen der österreichischen Nation

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um die österreichische Identität ist nach Heers Auffassung ein Bürgerkrieg, »der sich vom 16. bis zum 20. Jahrhundert in immer neuen Formen entfaltet«.31 1946 veröffentlichte der antifaschistische Katholik und Mitbegründer der ÖVP, Alfred Missong, ein kleines Heft mit dem Titel »Die österreichische Nation«. Es beginnt: »Im Hitlerismus feierte das Alldeutschtum seine höchsten Triumphe, der klägliche Zusammenbruch des ›Großdeutschen Reiches‹ versetzte ihm den Todesstoß.«32 Die segensreichste Wirkung dieses Unheils sei das spontane Aufflammen des österreichischen Patriotismus gewesen. »Es war ein wahrhaft hoher Preis, den wir bezahlen mußten, um wieder bewußte Österreicher zu werden.« Die ÖsterreicherInnen sollten die erlittene Katastrophe als Strafe für ihre Sünden gegen ihr Vaterland verstehen und daher »zielklar und unbeirrt den Weg der Nationswerdung« einschlagen.33 Eine österreichische Nation könne man nur in Zweifel ziehen, wenn man davon ausgehe, es gäbe keine österreichische Nationalkultur. Hier führte Missong nicht die vielleicht zu erwartenden großen »österreichischen« Namen an, sondern argumentierte, Goethe oder Kant würden den Österreichern und Deutschen gleichermaßen gehören wie Grillparzer oder Waldmüller.34 Große Unterschiede gäbe es aber in der Volkskultur. »Allein schon die pazifistische Geistesart des Österreichers würde ausreichen, um ihn als Vertreter einer den Deutschen fremden, ja gegensätzlichen Nation zu ernennen.« Dieses Bild führte Missong bezüglich des österreichischen »Nationalcharakters« weiter aus. Die Deutschen seien »durch und durch ein Kriegervolk«, für Österreich gelte dagegen: »Kriege mögen andere führen, du glückliches Österreich, halte Hochzeit!«35 Erst ab 1871 könne von einem deutschen Reich gesprochen werden, das erste habe in den Ersten, das zweite in den Zweiten Weltkrieg geführt. Österreich sei im ersten Fall zwar Bündnispartner, nicht aber Teil gewesen; im zweiten Fall sei es okkupiert gewesen. Davon abgesehen habe es niemals eine staatsrechtliche Einheit gegeben. Es existierten nach 1945 also zwei Konzepte einer österreichischen Nation, die aus unterschiedlichen politischen Lagern kamen, aber große Überschneidungen aufwiesen: das kommunistische und das christlichsoziale, wobei Missong sparsamer mit Klischeebildern eines Volkscharakters umging. Er definierte die österreichische Nation ganz stark als friedliches Gegenmodell zum deutschen, sprich nationalsozialistisch-imperialistischen, Nationsbegriff. Innerhalb der ÖVP wurde Missong mitsamt seinem Nationskonzept bald auf ein Abstellgleis geschoben. Antikommunismus löste Antifaschismus in den späten 1940er-Jahren als Identitätsklammer immer mehr ab. 31 32 33 34 35

Friedrich Heer, in: Ferdinand Kaiser (Hg.), Täter, Mitläufer, Opfer, Thaur 1993, 33. Alfred Missong, Die österreichische Nation, Wien 1946, 1. Missong, Nation, 2. Ebd., 7. Ebd., 8.

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Das Land Österreich und das Werden der Nation

Die Sozialdemokratie tat sich hingegen bis in die 1960er-Jahre schwer mit dem Begriff der »österreichischen Nation«. Sie argumentierte naheliegender Weise gegen das kommunistische Konzept ebenso wie gegen die Traditionen beider Konzepte in Österreich-Bildern, die im Austrofaschismus Konjunktur hatten. Nichtsdestotrotz wurden diese Konzepte, zum Teil entschärft um ihre religiöse Aufladung, zu weitgehend konsensualen Österreich-Bildern der Nachkriegszeit.

Erst war die »Heimat«, dann kam die »Nation« »Die kleine Republik Österreich musste für die nationale Identitätsbildung eine neue Matrix finden: ein ›austriazistisches‹ Narrativ zur österreichischen Geschichte und Kultur, die den früher vorhandenen großdeutschen Tendenzen entgegentrat«.36 Allerdings wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit in öffentlichen politischen Diskursen der Begriff »Nation« noch vermieden. Ein signifikantes Beispiel liefert die Genese des Textes der österreichischen Bundeshymne im Jahr 1946. In der ursprünglich eingereichten Version lautete eine Zeile »Grosser Väter freie Söhne«, die vom zuständigen Ministerialbeamten in »Heimat bist du großer Söhne« abgeändert wurde. Ein Jahr nach dem Ende des NS-Regimes sei, so Johanna Gehmacher, die Erinnerung an die Vätergeneration nicht opportun gewesen. Das altmodische »Heimat« wiederum liege zwischen Nation und Staat. »[…] 1945 – und noch lange darüber hinaus – bedeutete ›national‹ in der öffentlichen Wahrnehmung in Österreich ›deutschnational‹, und das wiederum meinte sehr häufig: ehemals nationalsozialistisch. Der Begriff der Nation stand also nicht ohne weiteres zur Verfügung für eine österreichische Identitätspolitik, er sollte erst erobert werden. 1946 wurde er noch umgangen. ›Nation‹ war nicht nur missverständlich, sondern auch konfliktträchtig. Die Gefahr, dass in den ersten Jahren der Republik die Zusammensetzung ›Nation‹ und ›Österreich‹ in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht oder sogar offen zurückgewiesen werden würde, war hoch.«37 Dazu passte auch, im Sinne weiterhin starker regionaler Identitäten, die fast flächendeckende Einführung von Landeshymnen, als Ergänzung (oder Ersatz) der Bundeshymne, die auch nicht als »Nationalhymne« bezeichnet wurde. Der 26. Oktober wurde von 1956 bis 1964 als »Tag der Fahne«, erst ab 1965 als Nationalfeiertag begangen. Deshalb bedurfte die Staatsgesinnung, wie Gehmacher unter Bezugnahme auf den Historiker Erich Zöllner schreibt, »der Absicherung durch den Heimatge36 Lonnie R. Johnson, Ambivalenzen der österreichischen Nationswerdung, in: Helmut Kramer/ Karin Liebhart/Friedrich Stadler (Hg.), Österreichische Nation – Kultur – Exil und Widerstand. In memorial Felix Kreissler, Wien/Münster 2006, 93–102, 99. 37 Johanna, Gehmacher, »Österreichs Söhne« und die »Töchter der Zeit«. Prolegomena zu einer Erfahrungsgeschichte nationaler Identitätspolitik, in: BIOS 27 (2014), 44–60.

Erst war die »Heimat«, dann kam die »Nation«

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danken, der den umstrittenen Begriff Nation obsolet machte […]. ›Heimat‹ war ein Kompromissangebot in alle Richtungen.«38 Ein Vorteil des Heimatbegriffs aus Sicht der großen Parteien war, dass er regionale und lokale Bindungen, beispielsweise zu den Bundesländern, nutzen konnte, ohne Österreich näher definieren zu müssen. »Zwischen dem Teil und dem Ganzen werden jene Differenzen eingeschoben, die eine kritische Distanz ermöglichen, ohne das Ganze selbst in Frage zu stellen.«39 Damit konnten Lokal- und Regionalpatriotismen genutzt und auch die vielen »Ehemaligen« angesprochen werden, die ab 1948 ein beträchtliches Potenzial an WählerInnen darstellten. Diese hatten sich mit der österreichischen Eigenstaatlichkeit zwar abgefunden, fanden an »Österreich« aber wenig Identifikationsfläche. Das Ganze kann für diese Gruppe Österreich sein, unausgesprochen aber auch Deutschland. Der Teil kann ein Bundesland sein (oder im zweiten Fall auch Österreich). Ein Beispiel für diese Definition Österreichs über seine Bundesländer lieferte ein Wahlplakat der SPÖ für Theodor Körner, ihren Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl 1951.40 Auf rot-weiß-rotem Hintergrund sind neben dem Text »Österreich wählt Theodor Körner« und einem gemalten Porträt Körners die Wappen der österreichischen Bundesländer abgebildet. »Die Länder sind repräsentativ für die tiefen Kontinuitäten in der österreichischen Geschichte und die regionalen Identitäten – im Gegensatz zur nationalen österreichischen Identität – stützen sich auf starke und stabile Traditionen.«41 Auch wenn der Begriff »Nation« vorerst eine geringe Rolle spielte, wird doch deutlich, dass sich einzelne Bilder, die mit dieser »Heimat« verbunden waren, mit der Zeit zu Bildern von Österreich und der »österreichischen Nation« entwickelten und zusammensetzen ließen. Aufbauend auf diese Bilder von »Kultur«, von »Landschaft«, von »Kleinheit«, aber auch von katholisch-barocker »Tradition«, entwickelte sich eine positiv gewendete Identifikation mit »Österreich«. »Eine wichtige und nicht selbstverständliche Voraussetzung, zu der nun im Gegensatz zur Ersten Republik in der politischen Elite konsensualen Eigenstaatlichkeit, war die positive Identifikation der Bevölkerung mit dem Gemeinwesen. Darauf zielte das großkoalitionär getragene Projekt einer Nation Österreich.«42 Das zeigte sich in Projekten wie der Zeitung »Neues Österreich«. Sie erschien das erste Mal am 23. April 1945, also noch vor dem offiziellen Kriegsende, sie war von den Parteien 38 Gehmacher, Söhne. 39 Dieter A. Binder, Wie aus der »Ostmark« die »Heimat« wurde. Epochenverschleppende Versatzstücke der Heimatmacher, in: Hannes Stekl/Ernst Bruckmüller/Christine Gruber/ Hans-Peter Hye/Peter Urbanitsch (Hg.), Österreich – was sonst? Ernst Bruckmüller zum 70. Geburtstag, Wien 2015, 57–82, 57. 40 Wienbibliothek im Rathaus, Plakatsammlung, Sozialdemokratische Partei Österreichs, Österreich wählt Theodor Körner [1951], P-1569. 41 Johnson, Ambivalenzen, 100. 42 Gehmacher, Söhne, 45.

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ÖVP, SPÖ und KPÖ gegründet worden. Es handelte sich um das erste publizistische Instrument der jungen Republik und es fungierte als eines der Produzenten von Österreich-Bildern. Das katholische wie das kommunistische Instrumentarium an Konzepten hatte die – freilich bald hinter anderen Konstruktionen zurückgedrängte – Grundlage gebildet: Ersetzt wurden sie durch positiv besetzte Bilder von Landschaft und Hochkultur, aber auch von Fortschritt und Leistungsfähigkeit. Und überlagert wurde sie durch eine Aufteilung des Landes unter den beiden weltanschaulich-politischen Lagern, die versuchten, sich das Land in einer komplexen Mischung aus Konkordanz und Konkurrenz nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und kulturell aufzuteilen,43 nicht zuletzt und gerade auch im Sport.

Abb. 3: Zwei österreichische Identifikationsfiguren: Richard Menapace und Wolfgang Amadeus Mozart. Bild: Archiv Toni Egger

43 Gerhard Jagschitz, Im Koalitionsnebel: Parteien und Demokratie am Beginn der Zweiten Republik, in: Peter Böhmer, Wer konnte, griff zu. »Arisierte« Güter und NS-Vermögen im Krauland-Ministerium. Mit einem Beitrag von Gerhard Jagschitz, Wien/Köln/Weimar 1999, ix–xxxvi.

Österreich-Bilder

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Österreich-Bilder Doppelter Opfermythos In der Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 hatten sich die Außenminister der Sowjetunion, der USA und Großbritanniens dazu bekannt, Österreich nach Kriegsende wieder als unabhängiges Land aufzubauen. Zwar weist der Text auf die Verantwortung für die Teilnahme am Krieg und die Notwendigkeit eines aktiven Beitrags zur Befreiung hin, in Österreich wurde aber vor allem der Passus rezipiert, es sei das »erste freie Land [gewesen], das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte«.44 Die Deklaration bildete die Basis für das Handeln der Alliierten ab 1945, für die Neugründung Österreichs in den Grenzen von 1938 und der »Opferthese«, die lange Jahre großen Einfluss auf das (Selbst-) Bild Österreichs und vieler ÖsterreicherInnen haben sollte.45 »Österreich gelang es trotz der breiten Partizipation der Bevölkerung am Nationalsozialismus, sich als Opfer nationalsozialistischer Aggression darzustellen«.46 Dass im Staatsvertrag das Verbot des »Anschlusses« an Deutschland festgeschrieben wurde,47 stieß (anders als 1918) in Österreich auf keinen Widerstand. Die Abgrenzung von Deutschland war nicht nur gleichbedeutend mit einer Abgrenzung vom Nationalsozialismus, sondern inkludierte auch ältere antipreußische Ressentiments, die sich als hilfreich bei einer österreichischen Identitätskonstruktion erwiesen. Das österreichische Selbstverständnis als Nation war zumindest fragil, das wussten auch die Alliierten. 1943 hatten sie festgestellt, dass die Österreicher im Unterschied zu den Tschechen oder Polen »kein leidenschaftliches oder nur positives Nationalgefühl«48 zeigten. Zu dem aus der Moskauer Deklaration abgeleiteten und auf den Staat bezogenen Opfermythos kam ein zweiter »privater« Diskursstrang. Dieser speiste sich aus den Leidensgeschichten von Personen und diente den von ihnen repräsentierten Parteien als Gründungsmythos. Oliver Marchart schreibt dazu: »Scheint für die BRD unter anderem das Konzentrationslager – und hier vor allem der Name ›Auschwitz‹ – der mythische Ort einer negativen Gründung des Gemein44 URL: https://www.unesco.at/kommunikation/dokumentenerbe/memory-of-austria/verzeich nis/detail/article/oesterreichischer-staatsvertrag-1955/ (abgerufen 30. 12. 2022). 45 Martin Tschiggerl, Identität und Alterität in den drei Nachfolgegesellschaften des NS-Staats. Am Beispiel der Sportberichterstattung, Wiesbaden 2020, 99–104. 46 Vgl. dazu z. B. Heidemarie Uhl, Das »erste Opfer«. Der österreichische Opfermythos und seine Transformationen in der Zweiten Republik, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 30 (2001) 1, 19–34. 47 URL: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1955_152_0/1955_152_0.pdf (abgerufen 4. 12. 2022). 48 Ernst Hanisch, Österreichische Geschichte 1890–1990. Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, 399.

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wesens zu sein, so wird es in einem der dominanten österreichischen Gründungsmythen, nämlich dem Mythos vom ›Handschlag auf der Lagerstraße‹, zum Ort der Versöhnung und zum stabilisierenden Prinzip künftiger sozialpartnerschaftlicher Zusammenarbeit«,49 die freilich rasch in eine Aufteilung des Landes nach den Regeln des Proporzes mündete.50 Oliver Rathkolb nennt neben dem »Opfermythos« und dem Narrativ von der »Lagerstraße« ein drittes Element, dem er wesentliche Bedeutung in der Ausbildung der Nation zumisst: Der Antikommunismus habe »sowohl auf der Ebene der Eliten als auch im gesellschaftlichen Diskurs nach 1945 eine wesentlich wichtigere verbindende Funktion als der Mythos der Lagerstraße […]«.51 Verbunden damit sind kulturhistorische Rückgriffe auf ein altes, häufig barockes Österreich, sodass die ÖsterreicherInnen »nach 1945 ›österreichischer‹ als je zuvor« waren.52 Viele dieser Bilder und Diskursstränge wurden bis zum Ende der 1950er-Jahre Bestandteile eines Bildes der »österreichischen Nation«. Auch wenn das Staatsgebiet das gleiche wie 1918 war, hatten sich wesentliche Bedingungen verändert. »Zur Schaffung eines Nationalbewusstseins ist das Bild eines Gegners notwendig, von dem man sich abgrenzen kann«, schreibt Georg Friesenbichler, und »der Gegner lag nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges nahe. […] 1945 [konnten] nur die Deutschen als Reibebaum dienen«,53 wobei sich – gerade auch im Sport54 – bald ein komplexes Verhältnis »verfreundeter Nachbarschaft« etablierte.55

49 50 51 52

Marchart, Gedächtnis, 70. Jagschitz, Koalitionsnebel. Rathkolb, Republik, 34. Winfried R. Garscha, Für eine neue Chronologie der österreichischen Nationsgenese, in: Gerhard Botz/Gerald Sprengnagel (Hg.), Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker, Frankfurt/M. 2008 (2. Aufl.), 346–352, 348. 53 Friesenbichler, Verdrängung, 191. 54 Michael John, Fußballsport und nationale Identität. Versuch einer historischen Skizze, in: HISTORICUM. Zeitschrift für Geschichte, Winter 1998/99, 27–34; Michael John, »Wenn ich einen Deutschen sehe, werde ich zum lebendigen Rasenmäher«. Österreicher und Deutsche im Fußballsport. Zur Genese einer Erzfeindschaft, in: Oliver Rathkolb/Georg Schmid/Gernot Heiß (Hg.), Österreich und Deutschlands Größe. Ein schlampiges Verhältnis, Salzburg 1990, 143–153. 55 Gabriele Holzer, Verfreundete Nachbarn. Österreich – Deutschland. Ein Verhältnis, Wien 1995.

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Das »weibliche« Österreich Um Österreich von Deutschland – und damit auch vom Nationalsozialismus – abzusetzen, schien das Bild des »österreichischen Menschen«, der in starkem Kontrast zum Deutschen stand, eine naheliegende Möglichkeit. Für Friedrich Heer hatte dieser österreichische Mensch »eine unerhörte Anpassungsfähigkeit, die Gabe der Hingebung, eine Weisheit, die sonst oft nur dem Kinde und der Frau eigen sind«.56 Siegfried Mattl formuliert darauf aufbauend folgende These: »In Österreich entwickelt sich nach 1945 ein Selbstverständnis der gesellschaftlichen Ordnung, das mit Bildern ident ist, die der Frau als Geschlecht, im Wortsinn des englischen gender, zugeschrieben werden. Das Selbstverständnis der Österreicher unterliegt einer Effeminierung.«57 Das korreliert auch mit der unmittelbaren Erfahrung einer »Entmännlichung« der Gesellschaft, in der Frauen an der »Heimatfront« entscheidende und bislang Männern vorbehaltene Aufgaben übernommen hatten.58 Die Bilder des »Wunderteams« im Zusammenhang mit dem vom Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka beauftragten Historiengemälde59 und der Wiener Eisrevue60 gehen in diese Richtung: Das Verspielte, das Tänzerische, letztlich das »Weibliche«, wird als Gegenbild zum männlichen Deutschen betont. Der »österreichische Mensch« wird als Gegensatz zum »preußischen«, zum »nationalsozialistischen« Menschen konstruiert, als seien nicht noch wenige Monate zuvor zahlreiche dieser österreichischen Menschen als »Deutsche« am Nationalsozialismus beteiligt gewesen – mit Hitler, einem katholischen Österreicher, an der Spitze. Die weibliche Grundlegung der Nation widerspricht aber nicht einer extrem maskulinen Ausformung der österreichischen Gesellschaft nach 1945,61 einer Zurückdrängung – aber keinesfalls einem völligen Ausschluss – von Frauen aus 56 Friedrich Heer, Österreich?, Die Furche, 26. 10. 1946, 1. 57 Siegfried Mattl, Geschlecht und Volkscharakter. Austria engendered, in: ÖZG 7 (1996) 4, 499– 515, 500. 58 Johanna Gehmacher/Maria Mesner, Land der Söhne. Geschlechterverhältnisse in der Zeiten Republik, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, 37. 59 Vgl. Sema Colpan/Bernhard Hachleitner, Die österreichische Nation, geboren aus einer Niederlage. Das »Wunderteam«-Gemälde als Element des Nation Building zu Beginn der Zweiten Republik, in: Matthias Marschik/Agnes Meisinger/Rudolf Müllner/Georg Spitaler (Hg.), Images des Sports in Österreich. Innensichten und Außenwahrnehmungen, Göttingen 2018, 265–276. 60 Vgl. Bernhard Hachleitner/Isabella Lechner (Hg.), Traumfabrik auf dem Eis. Von der Wiener Eisrevue zu Holiday auf dem Eis, Wien 2014. 61 Karin M. Schmidlechner, Frauenleben in Männerwelten. Kriegsende und Nachkriegszeit in der Steiermark, Wien 1997; Irene Bandhauer-Schöffmann/Ela Hornung (Hg.), Wiederaufbau weiblich. Dokumentation der Tagung »Frauen in der Österreichischen und Deutschen Nachkriegszeit«, Wien 1992.

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dem öffentlichen Leben in die Privatsphäre und in mannigfache Abhängigkeiten,62 vielmehr ist sie vermutlich sogar deren Grundlage: Gerade weil die Konstruktion Österreichs als schwach und als Opfer wahrgenommen wurde, mussten als männlich erfahrene Traditionen, Haltungen und Gefühle hervorgekehrt und in patriarchale soziale Praxen übergeführt werden. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass jedes Konzept der Nation und jede nationale Identität zutiefst von geschlechtsspezifischen Konnotationen durchdrungen ist und von ihnen wesentlich bestimmt wird.63

Die österreichische Landschaft Bei der Heimat-Konstruktion spielte der Topos der schönen Landschaft eine wesentliche Rolle. Hier wurde auf die bereits in der Ersten Republik und im Austrofaschismus verwendeten Bilder zurückgegriffen. Wie pathostriefend und bisweilen religiös aufgeladen diese Bilder bei den »950-Jahr-Ostarrichi«-Feiern im Jahr 1946 waren, zeigt Ernst Bruckmüller anhand einer damals erschienenen illustrierten Publikation: »Es ist damals wirklich geschrieben worden: ›Wie der liebe Gott Österreich erschaffen hat.‹ Der Text verbindet die Schöpfungsperiode mit einem Ausblick in die Zukunft und ermöglicht so die Verbindung des demiurgischen Schöpfungsaktes einer Landschaft mit ihrer späteren Nutzung und Gestaltung durch die Menschen – eben die Österreicher. Nichts fehlt an Österreich-Stereotypen: Berge und Seen, der Arlbergtunnel, Tirolerknödel, der Großglockner, Salzburg, Kärnten, Steiermark, Rosegger, die Steyr-Werke, das Salzkammergut, Aggstein und das Burgenland, schließlich der Prater, das Panorama von Wien und Johann Strauß.«64 Dieter A. Binder weist auf die häufig mythisierenden Konstruktionen einer angeblich ungebrochenen jahrhunderte- oder sogar jahrtausendealten Geschichte österreichischer Regionen (Heimaten) und ihrer BewohnerInnen in Schulbüchern und Geschichtsatlanten hin65. Ein gleichfalls nahezu »ahistorisch« anmutendes Heimatbild findet sich auch in der Populärkultur: »Im österreichischen Film der langen fünfziger Jahre ist die Heimat eine heile Landschaft, in der sich im Ge62 Eva Cyba, Modernisierung im Patriarchat? Zur Situation der Frauen in Arbeit, Bildung und privater Sphäre 1945 bis 1995, in: Reinhard Sieder/Heinz Steinert/Emmerich Tálos (Hg.), Österreich 1945–1995. Gesellschaft – Politik – Kultur, Wien 1995, 435–457, 436. 63 Ute Planert, Vater Staat und Mutter Germania: Zur Politisierung des weiblichen Geschlechts im 19. und 20. Jahrhundert, in: Ute Planert (Hg.), Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne, Frankfurt/M. 2000, 15–65, 19. 64 Ernst Bruckmüller, Millenium! – Millennium? Das Ostarrichi-Anniversarium und die Österreichische Länderausstellung 1996, in: Österreich in Geschichte und Literatur 39 (1995) 3, 137–155, 140. 65 Binder, »Ostmark«, 58.

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gensatz zur Realität eine vorindustrielle bäuerliche, teilweise herrschaftliche Gesellschaft tummelt und in der der urban geprägte Mensch weitgehend die Rolle des Krokodils im Kasperltheater übernimmt.«66 Die Bezeichnung »Alpenrepublik« für Österreich findet sich anfangs kaum,67 doch spielen die Berge nicht nur im Heimatfilm oder in der Erzählung von Kaprun eine entscheidende Rolle, nämlich als Teil der Heimat, der erobert und bezwungen werden muss.68

Gemeinsame Arbeit Ergänzt wurden die Bilder des »typisch Österreichischen« von einem Narrativ, das vor allem nach innen gerichtet war, gewissermaßen als Motivationshilfe und Selbstbekräftigung: das öffentliche Menschenbild der Wiederaufbaujahre. Wolfgang Kos zitiert Bausteine dieser Konstruktion: »Ein ›kleines Land‹ hat seine Lebensfähigkeit bewiesen (vor sich selbst und der Welt), durch ›Fleiß‹, ›einträchtliches Zusammenstehen‹ und ›Glauben an die eigene Kraft‹«69 Kos: »Solche Sprachmodule könnte man aus hunderten Jubiläumsreden und Vorworten des Jahres 1955 destillieren.«70 Wolfgang Maderthaner fasst zusammen: »Die Betonung von sozialen Tugenden und Normen, die klassischerweise dem ›fordistischen‹ Verhaltenskodex des Wiederaufbaus zugeschrieben werden […], sollte das Trauma von Krieg, Zerstörung und Nationalsozialismus überdecken und an seine Stelle einen geschlossenen Identitätsbegriff setzen.«71 Bei der Herstellung einer österreichischen Lebensfähigkeit werden schwierige äußere Bedingungen durch besonderen Einsatz überwunden, sinnbildlich für das ganze Land tun das in herausragender Weise die »Männer von Kaprun«.72 Älteren Klischees von »Stachanow« (UdSSR) und »Teamgeist« (USA) abgekupfert, wird die außerordentliche, schwierige, gefährliche Arbeit der (unpolitischen) Ingenieure ein Teil der Wiederaufbauerzählung. So »mischen sich in der Kaprun-Mythologie patriotisches Landschaftspathos mit volkswirtschaftlicher Autosuggestion, wird das Lied vom tapferen Einzelkämpfer zur Symphonie einer perfekt orchestrierten Gemeinschaftsleistung«.73 Ausgeblendet wird in dieser 66 Binder, »Ostmark«, 65. 67 Zumindest in den Zeitungen: Eine Volltextsuche in »Anno« ergibt für die Erste Republik einige Treffer, die sich auf Österreich beziehen, von 1945 bis 1951 dagegen keinen einzigen. 68 Ernst Hanisch, Landschaft und Identität. Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte, Wien 2019, 186. 69 Wolfgang Kos, Eigenheim Österreich. Zu Politik, Kultur und Alltag nach 1945, Wien 1995, 59. 70 Kos, Eigenheim, 139. 71 Wolfgang Maderthaner, Wieder Weltstadt? Wien im Wiederaufbau, in: Ferdinand Opll (Hg.), Wie Phönix aus der Asche. Wien von 1945 bis 1965 in Bilddokumenten, Wien 2010, 12–28, 21. 72 Kos, Eigenheim, 131. 73 Ebd., 132.

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Erzählung, dass der Bau des Speicherkraftwerks im Nationalsozialismus unter Einsatz tausender Zwangsarbeiter begonnen worden war, ebenso, dass dieser österreichische Kraftakt »massiv durch Gelder aus dem Marshall-Plan vorangetrieben wurde. Kaprun konnte damit einen ähnlichen Effekt auf das nationale Selbstbewusstsein ausüben wie die sportlichen Erfolge österreichischer Athleten und Athletinnen, an denen sich das Volk gleichfalls berauschte.«74 Diese genannten Elemente – und Leerstellen – bilden ab 1945 wesentliche Bestandteile eines Bildes von Heimat und/oder Österreich und werden in der Folge wesentliche Elemente des Nationalbewusstseins. Staatsvertrag und Neutralität kommen 1955 noch hinzu. »Nach den unmittelbaren Nachkriegsjahren, in denen noch verschiedene differenzierte Vergangenheiten parallel zum Opfermythos bestanden, setzte sich in einer Artikulation aus Opfermythos, KalterKriegs-Diskursen und sozialpartnerschaftlicher Ideologie schließlich eine (intern keineswegs völlig homogene) Erzählung durch, die sich schließlich zum imaginären Horizont Österreichs ausweitete, vor dem alle gesellschaftlichen Probleme verhandelt werden konnten.«75

Sport und Nation Die Linguistin Ruth Wodak verweist auf den Sport als »erfundene Tradition« und Konstituens bei der Entstehung nationaler Identität.76 Dass Sport und Nation, unabhängig davon, ob man diese als Staats-, Kulturnation oder über gemeinsame sprachliche, ethnische, politische, juridische oder historische Eigenschaften oder als vorgestellte Gemeinschaften definiert, zueinander in Beziehung stehen, ist unbestritten. Sport spielt im Prozess der Entstehung, Begründung, Bestärkung und Aufrechterhaltung von Nationen oft eine bedeutende Rolle,77 dazu gibt es genügend empirische Evidenz: angefangen vom ersten Fußballländerkampf zwischen England und Schottland 1872 über die Nationalitätenkonflikte zwischen Böhmen und Österreich78 anlässlich der Olympischen Spiele in Stockholm

74 Friesenbichler, Verdrängung, 289. 75 Marchart, Gedächtnis, 70. 76 Ruth Wodak/Maria Kargl/Rudolf de Cillia/Martin Reisigl/Karin Liebhart/Klaus Hofstätter, Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, Frankfurt/M. 1998, 73. Wodak bezieht sich hier auf einen Begriff des englischen Historikers Eric Hobsbawm. Er beschrieb mit dem Terminus »erfundene Traditionen« eine Taktik zur historischen Einordnung und Begründung von Nationen, vgl. Eric Hobsbawm, The Invention of Tradition, Cambridge 1983, 20. 77 Grant Jarvie, Internationalism and Sport in the Making of Nations, in: Identities: Global Studies in Culture and Power, 10 (2003), 537–551; Tschiggerl, Identität, 141. 78 Michael Wenzel, Die Olympische Bewegung in Österreich von den Anfängen bis 1918, in: Matthias Marschik/ Rudolf Müllner/Gherardo Bonini (Hg.), Otto Herschmann und die

Sport und Nation

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1912 bis zu den Fußballweltmeisterschaften 1934 im faschistischen Italien79, 1978 in Argentinien unter den Bedingungen einer Militärdiktatur80 bis hin zum staatspolitischen Prestigeprojekt des Emirates Katar anlässlich der Weltmeisterschaft 2022.81 Im Radsport sind in diesem Zusammenhang vor allem die identitätsstiftenden Funktionen großer Länderrundfahrten wie der Tour de France, des Giro d’Italia, der Vuelta de España oder der Tour de Suisse zu nennen, aber auch einer Deutschlandrundfahrt oder einer Tour d’Autriche. Die internationale Literatur zu Sport und Nation weist auf eine Fülle von individuellen Ausprägungsformen des Verhältnisses von Sport und Nation sowie nationaler Identität hin. Obwohl es, wie Lincoln Allison schreibt, keine »universelle Beziehung zwischen nationalem Sport und politischem Nationalismus«82 gibt, lassen sich einige zentrale Parameter im Kontext zwischen Sport, Nation und nationaler Identität benennen. Sport bietet periodisch gemeinsame Erfahrungs- und Partizipationsräume an. Das gemeinsame Erleben und Erinnern von Erfahrungen ist bedeutsam für die Konstruktion kollektiver Identitäten. Moderner Sport »plays a part in the process by which national identity is generated simply because it supplies so many ›great shared events‹ – occasions experienced communally and remembered collectively«.83 Sportliche Ereignisse generieren wirkmächtige Diskurse, eine Fülle von Bildern, Geschichten und Mythen, die jeweils emotional stark besetzt sein können. Die Identifikation mit den »eigenen« AthletInnen ermöglicht affektive Bindungen und die Herstellung einer – meist virtuellen – Gemeinschaft, eines »Wir«(-Gefühls), wobei Eric Hobsbawm genau diesen (individuellen wie kollektiven) emotionalen Aspekt des Sports in der Konstruktion von nationalen und nationalistischen Einstellungen und Erfahrungen hervorhebt.84 Nelson Mandela

79 80 81 82 83 84

Olympische Bewegung. Die Etablierung des modernen Sports in Österreich, Wien 2021, 169– 198, 188–192. Robert S. C. Gordon, John London, Italy 1934. Football and Fascism, in: Alan Tomlinson/ Christopher Young (Hg.), National Identity and Global Sports Events. Culture, Politics, and Spectacle in the Olympics and the Football World Cup, Albany 2005, 41–63. Eduardo P. Archetti, Argentina 1978. Military Nationalism, Football Essentialism and Moral Ambivalence, in: Tomlinson/Young, Identity, 133–147. Rudolf Müllner, Zum komplexen Verhältnis von Sport und Politik am Beispiel der Fußballweltmeisterschaften, in: Bewegung und Sport. Fachzeitschrift für den Unterricht (2022) 5, 7–10. Lincoln Allison, Sport and Nationalism, in: Jay Coakley/Eric Dunning (Hg.), Handbook of Sports Studies, London/Thousand Oaks/New Delhi 2000, 351. Dilwyn Porter, Sport and national Identity, in: Robert Edelman/Wayne Wilson (Hg.), The Oxford Handbook of Sports History, New York 2017, 477–489, 479. Eric J. Hobsbawm, Nations and Nationalism since 1780: Propaganda, Myth, Reality, Cambridge 1992 (2. Aufl.), 143.

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bezeichnet Sport daher auch als eine Art »Klebstoff«, der die Nation zusammenhalten könne.85

Abb. 4: Max Bulla auf der Titelseite des »Paris Match«, Juli 1932. Bild: Nachlass Max Bulla

Die Herstellung dieses »Wir« bedingt unausweichlich gleichzeitig eine Abgrenzung zu »den anderen«, die Konstruktion von Alterität.86 Es geht also um Prozesse der Exklusion und der Inklusion, um die Fragen von Zugehörigkeiten, um die Gestaltung der Kohäsion nach innen und der Repräsentation nach außen im »Wettstreit der Nationen.« Dabei spielen reale geografische Grenzen oft gar keine wichtige Rolle. Stärker sind mitunter die unsichtbaren Grenzen in »the minds of

85 Jarvie, Internationalism, 539. 86 Tschiggerl, Identität, 138.

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those who feel that they are part of it and who have an innate sense of what they have in common with others who feel the same way«.87 Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein Modus von internationalen Sportwettkämpfen, die perfekte Bühnen nationaler Repräsentation boten. Seit 1896 können Nationen im Rahmen der modernen Olympischen Spiele oder seit 1930 bei Fußballweltmeisterschaften ihre Leistungsstärke und ihre unverwechselbare Identität effektvoll unter Beweis stellen. Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften liefern bedeutende Anlässe zur Konstruktion nationaler Identitäten und zur Kumulierung von nationalem Prestige.88 Selbst- und Fremdzuschreibungen sowie nationale Stereotypisierungen spielen dabei eine wichtige Rolle. So werden einzelne Sportarten einzelnen Nationen zugeschrieben. Kenia steht dabei beispielsweise für Laufsport, Brasilien für Fußball. Eishockey wird mit Kanada, Schweden, der Tschechoslowakei, Finnland und der UdSSR (oder Russland) assoziiert. Kricket mit England und Indien, Hurling mit Irland. Der Radsport wird mit Italien oder Frankreich verbunden. Nationale Stereotypen werden dabei auch über zugeschriebene »typische« nationale (Spiel-)Stile und sogar über Körpereigenschaften einzelner AkteurInnen erzeugt. So gibt es jede Menge Attribuierungen, die eine spezifisch brasilianische Art Fußball zu spielen belegen sollen. Auf diese Art der Selbst- und Fremdzuschreibungen werden einerseits nationale Exzeptionalität, Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit produziert, Alleinstellungsmerkmale im (sportlichen) Wettstreit der Nationen. Andererseits dienen diese Differenzierungsprozesse der Reduktion von Komplexität. Es werden Stereotypen formuliert, die uns Orientierung über »unsere Qualitäten« und die der anderen geben. Daraus entstehen simple Zuschreibungen über den angeblichen »nationalen Charakter«.89 So stellen bei internationalen Großveranstaltungen die jeweiligen Veranstalter – primär bei kulturellen Rahmenprogrammen – ihre nationalen Selbstzuschreibungen in den Vordergrund. Die Stadt München und Deutschland wollten sich bei den Olympischen Spielen 1972 explizit von ihrer NS-Vergangenheit und von Assoziationen mit den Spielen in Berlin 1936 abgrenzen. Man wollte sich als bewusst weltoffen, entspannt und nichtmilitärisch präsentieren. Der Anschlag einer palästinensischen Terrorgruppe auf die israelische Mannschaft hat dieses Kalkül jedoch brutal zerstört.90 Nicht funktioniert hat auch der von oben verordnete »Österreichpatriotismus« der austrofaschistischen Sport- und Turnfront in den 87 Porter, Sport, 478. Porter nennt als Beispiel Englands Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft 1966. Dieser sei von der Wertigkeit für die nationale englische Identität ähnlich bedeutend gewesen wie die Kriegsreden Winston Churchills oder der Tod von Lady Diana. 88 Porter, Sport, 484. 89 John Horne/Alan Tomlinson/Garry Whannel, Understanding Sport. An Introduction to the Sociological and Cultural Analysis of Sport, London/New York 1999, 178–179. 90 Tschiggerl, Identität, 254–264.

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Jahren 1934–1938.91 Mit ihm sollte eine spezifische, durch die Vaterländische Front definierte Österreichtradition via Sport begründet werden, um eine Abgrenzung zum nationalsozialistischen Deutschland zu ermöglichen. »Die antidemokratischen, autoritären, xenophoben Ebenen des Nationalsozialismus wirkten allerdings gleichsam unter der Oberfläche weiter und prägten eine auf das unmittelbare Hier und Jetzt konzentrierte und eingeengte Alltagskultur.«92 Mit welchen Mitteln und auf welche Weise dabei der Sport93 und im Speziellen der Radsport an der Konstruktion des Begriffes »Österreich« auf dem Terrain des scheinbar »unpolitischen« Sports beitrug, wird im Folgenden zu zeigen versucht.

91 Matthias Marschik, Turnen und Sport im Austrofaschismus (1934–1938), in: Emmerich Tálos/ Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938, Wien 2014, 372–393. 92 Maderthaner, Weltstadt?, 16. 93 Matthias Marschik, The Sportive Gaze. Local v. National Identity in Austria 1945–50, in: The International Journal of the History of Sport 15 (1998) 3, 115–124.

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Giganten der Landstraße und andere Helden

Es ist eine Routineoperation in den Räumen des »Wiener Sporttagblatts« im heißen Juni 1931. 58 Druckzeilen benötigt der Redakteur, um die Heldentat in die Welt zu setzen.1 Sein Artikel erzählt von einem »Giganten der Landstraße«, von der »grandiosen Leistung eines Österreichers in der Tour de France«. Die Story hat alle Ingredienzien, die ein modernes Heldennarrativ des Sports benötigt. Es berichtet von einem »gigantischen und nervenzermürbenden Ringen« gegen einen übermächtigen Gegner – »gegen eine Phalanx der Elite der Straßenfahrer der Welt«, gegen eine feindliche Umwelt mit »Gluthitze«, »mörderische[m] Tempo«, »staubige[n] Straßen« und »kolossale[n] Höhenunterschiede[n]«. All dem trotzt der junge Österreicher und er fährt einen »sensationelle[n] Erfolg« ein. Dies gelingt ihm nicht zuletzt dank seiner großartigen »Ausdauer, Willenskraft« und seiner »kampfgestählten Muskeln«. Max Bulla hatte soeben die 12. Etappe der Tour de France über 207 Kilometer von Montpellier nach Marseille gewonnen. Im Leistungssport und der mit ihr eng verwobenen Sportpresse gehört die Produktion von Helden2 und Heldengeschichten zum alltäglichen Kerngeschäft. Herausragende Leistungen, glänzende Triumphe, tragische Niederlagen, magische und überraschende Momente sind die Basiselemente der Darstellungspraxen des modernen Sports. Bereits in der Antike war die Heldenverehrung ein wesentlicher Bestandteil von Athletik und Agonistik. Sporthelden wie der über Jahrzehnte hindurch unbesiegbare Ringer Milon von Kroton wurden nahezu gottähnlich verehrt. Man errichtete ihnen Statuen, von deren Berührung man sich eine Übertragung ihrer außergewöhnlichen Kräfte erhoffte.3 1 Sport-Tagblatt, 16. 7. 1931, 7. 2 Zwar gibt es längst auch Sportheldinnen, in diesem Kapitel wird aber bewusst nur die männliche Endung verwendet, weil der prototypische Sportheld nach wie vor männlich konnotiert ist und eine geschlechtsneutrale Schreibweise das massive Ungleichgewicht nur verschleiern würde. 3 Wolfgang Decker, Sport in der griechischen Antike. Vom minoischen Wettkampf bis zu den Olympischen Spielen, München 1995, 130; Wolfgang Decker, Antike Spitzensportler. Athletenbiographien aus dem Alten Orient, Ägypten und Griechenland, Hildesheim 2014, 64–67.

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Abb. 5: 1931 gewann Max Bulla als »touriste-routier« drei Etappen bei der Tour de France. Bild: Nachlass Max Bulla

Die Olympischen Spiele in Athen 1896 brachten mit dem griechischen Schafhirten Spiridon Louis, der die Erstauflage des Olympischen Marathons gewann, einen prototypischen modernen Sporthelden auf die Bühne.4 Es war nicht zufällig der Marathonlauf, der sich als Heldengenerator besonders eignete, galt dieser Bewerb doch als durch und durch männlich und soldatisch konnotiert. Er erforderte solche Anstrengungen, dass selbst die renommiertesten Physiologen jener Zeit darüber stritten, ob man an einer so außergewöhnlichen Belastung wie einem Marathonlauf nicht gesundheitliche Schäden oder sogar den Tod erleiden würde.5 Männlichkeit, Todesgefahr, das Aushalten »übermenschlicher« Belastungen, das waren die Ingredienzien des sich langsam ausdifferenzierenden Sports und seiner inhärenten Heldengeschichten. Der olympische Marathon in London 1908 produzierte eine in ihrer Tragik und Absurdität einzigartige Ge4 Minas Dimitriou, Mediale Implikationen zwischen Narration und Identifikation: Der Fall des Marathonläufers Spiridon Louis (1896), in: SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 7 (2007) 3, 21–40. 5 Neil Carter, Medicine, Sport and the Body. A Historical Perspective, London 2012, 81–87; Rudolf Müllner, Self-Improvement In and Through Sports. Cultural-Historical Perspectives, in: The International Journal of the History of Sport, 33 (2016) 14, 1592–1605, DOI: 10.1080/ 09523367.2017.1301431.

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schichte; die des italienischen Langstreckenläufers Dorando Pietri, der nach 41 Kilometern qualvollen Laufens vollkommen erschöpft in das Londoner Olympiastadion torkelte und sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Zuschauer eilten ihm zu Hilfe, stützten ihn, er brachte seinen Körper irgendwie ins Ziel und wurde danach wegen der Inanspruchnahme fremder Hilfeleistung disqualifiziert. Der Prototyp eines tragischen männlichen Sporthelden hatte die olympische Bühne betreten. Es sind vor allem die als »besonders männlich« konnotierten Sportarten, die eine starke Affinität zum Heroischen haben. Neben dem Marathonlauf fungieren Kraftsportarten wie Gewichtheben oder Boxen, aber auch Teamsportarten, deren Regelwerk sich Richtung Härte entwickelt hat wie Eishockey, als Produktionsorte von Maskulinität und den damit verbundenen Heldenbilder. Sehr früh reihte sich auch der Wettkampfradsport in die bevorzugten soziokulturellen Milieus der Heldenproduktion ein. Die seit 1904 ausgetragene Tour de France, das bis heute größte und global rezipierte Radsportspektakel, ist die Mutter aller Rundfahrten. Die Tour baut seit über einem Jahrhundert an ihrem eigenen Mythos. Roland Barthes hat 1957 in seinem Buch »Mythen des Alltags« die »Tour de France als Epos« interpretiert. Die gesamte Rundfahrt sei demnach eine einzige große Bewährungsprobe, eine Aneinanderreihung von schwierigsten Einzelprüfungen, die nur einige wenige außergewöhnliche Menschen unter Aufbietung all ihrer Kräfte und Fertigkeiten bestehen könnten. Die Analogie zum größten antiken Helden, zu Odysseus, ist offenkundig: »Die Tour besitzt also eine wahre homerische Geographie. Wie in der Odyssee ist die Fahrt hier Rundfahrt von einer Prüfung zur nächsten und zugleich totale Erforschung der Grenzen der Welt.«6 Die schwierigste aller Prüfungen ist immer auf dem Berg, auf der »Königsetappe«, zu bestehen. Mit der Auffahrt zum Mont Ventoux wird in der Tour de France ein paradigmatisches Erzählmuster vorgegeben, welches man in zahlreichen Rundfahrten wiederfindet, so auch in der legendären Glockneretappe der »Tour d’Autriche«: »Die Etappe, die am meisten personifiziert wird, ist die des Mont Ventoux. Die hohen Alpen- oder Pyrenäenpässe bleiben, so schwierig sie sein mögen, trotz allem Passagen, werden als zu überquerende Objekte empfunden; […] Der Ventoux hingegen hat die Massivität des Berges, er ist ein Gott des Bösen, dem man Opfer bringen muß. Als wahrer Moloch, Despot der Radfahrer, vergibt er niemals den Schwachen, fordert ein Übermaß an Leid als Tribut. Schon von seiner Gestalt her ist der Ventoux entsetzlich: er ist kahl […], das Prinzip des Trockenen selbst; sein absolutes Klima […] macht ihn zu einem Terrain der Verdammnis, zu einem Ort der Prüfung des Helden, gleichsam

6 Roland Barthes, Die Tour de France als Epos, in: derselbe, Mythen des Alltags, Berlin 2010 (Paris 1957), 143–156, 143.

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zu einer oberen Hölle, in welcher der Fahrer den Beweis seiner Erwähltheit erbringen wird«.7

Abb. 6: Mediale Inszenierung der Tour de France 1932: Einsamkeit, Berge, Qual. »Paris Match«, Juli 1932. Bild: Nachlass Max Bulla

Die Helden des Radsports sind zunächst männlich. Radrennsport, und das ändert sich erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts, galt bis dahin als zu hart für Frauen, als »unweiblich«. Noch 1987 bezeichnete der zweimalige Tour de France-Sieger, der französische Radprofi Laurent Fignon, in einer Fernsehdiskussion den Frauenradsport als »hässlich«. Sein Kollege, der französische Straßenradmeister Marc Madiot, sagt in derselben TV-Diskussion: »Frauen beim Tanzen zuzusehen ist sehr hübsch, ihnen beim Fußballspielen oder Radfahren zuzusehen, grauen7 Barthes, Tour, 147.

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voll.«8 Daran konnte viele Jahrzehnte Radsportgeschichte hindurch auch der Einsatz von Pionierinnen wie der Wiener Radrennfahrerinnen Cenzi Flendrofsky oder Mizzi Wokrina nicht nachhaltig etwas verändern.9

Der Sportheld als Sonderform sozialer Prominenz Auf die Frage, welche Funktion Helden beziehungsweise Sporthelden in einer Gesellschaft erfüllen und warum es überhaupt solcher bedarf, gibt es keine einfachen Antworten. Zu disparat sind sowohl die Heldentypen und ihre diskursiven Einbettungen als auch die soziokulturellen Felder (z. B. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Sport), in denen sie zum Einsatz kommen. Seit den 1980er-Jahren gibt es eine kontroversiell geführte Debatte, in der einerseits ein Verschwinden oder zumindest ein Brüchigwerden von traditionellen Heldentopoi in »postheroischen Zeiten« konstatiert wird, und in der andererseits Belege für eine »Reheroisierung« öffentlicher Diskursräume vorgebracht werden.10 Ein Bedeutungsverlust von Helden wird zum Beispiel im militärischen Bereich konstatiert, in dem der athletische männliche Kämpferheros in einer hochtechnisierten und digitalisierten Kriegsführung nicht mehr entscheidend sei. Im Managementbereich verschwänden die heroischen Alleinentscheider, weil sie den Komplexitätsanforderungen der modernen globalisierten Wirtschaft weniger gut gewachsen seien als in flachen Hierarchien organisierte Teams. Andere Ansätze beklagen ein generelles Verschwinden von Solidarität und damit einhergehend eine Erosion von sich selbst aufopfernden Heldenfiguren. Gleichzeitig scheint es aber eine Konjunktur des Heroischen zu geben. Diese zeigt sich im Bereich der Politik, in der es geradezu eine Sehnsucht nach populären und populistischen »Führerfiguren« geben dürfte. Sein Krisenmanagement und sein öffentliches Auftreten transformierten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj binnen kurzer Zeit vom populären Komiker zu einer

8 Jean-Marie Magro, Feuer mit Kannibalin. Der Frauenradsport erringt durch die wiederbelebte Tour de France eine neue Popularität – Veranstalter, Fernsehen und Fans sind begeistert, Süddeutsche Zeitung, 2. 8. 2022, 7. 9 Petra Sturm, Die bewegte Frau. Radfahrende Frauen in Wien um 1900, in: Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Michael Zappe (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013, 62–65. 10 Anna Kavvadias, Im Alltag geboren: Heldenbilder postheroischer Gesellschaften in Zeiten des Krieges, in: Indes. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 10 (2022) 1–2, 76–79. DOI: 10.13109/inde.2022.10.1–2.76; Herfried Münkler, Heroische und postheroische Gesellschaften, in: Merkur (2007) 8–9, 742–752; Herfried Münkler, Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin 2015; Karl-Heinrich Bette, Sporthelden. Spitzensport in postheroischen Zeiten, Bielefeld 2019, 7–23.

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Heldenfigur.11 Entsprechende Beispiele für zeitgenössische Heldenverehrung finden sich auch in der Populärkultur und im Sport. Bette12 verweist darauf, dass der Sport ein sozialer Sonderraum ist, der sich zur Hervorbringung von modernen Heldengeschichten besonders gut eigne. Das habe unter anderem mit dem Modus der Leistungserbringung zu tun, die sich im Sport – anders als in der Politik oder in der Wirtschaft – vor aller Augen, in Stadien, Sporthallen oder vor den Kameras auf offener Bühne vollziehe. Damit entstehe der Nimbus des Authentischen. Das öffentliche Setting ermögliche darüber hinaus die direkte, unmittelbare Identifikation der ZuschauerInnen mit den AkteurInnen. Die Art der Identifikation, und das ist ein weiteres Spezifikum des Sportraumes, ist nahezu voraussetzungsfrei möglich. Um am Sportgeschehen teilzuhaben, benötigt man nicht unbedingt eine spezifische Vorbildung oder großartige Abstraktionsleistungen. »Wahrnehmung und organische Empathie« würden ausreichen, auch deswegen, weil die Abläufe meist entlang des leicht verstehbaren Codes von Sieg und Niederlage angelegt sind. Nicht zuletzt eigne sich Sport auch wegen seiner »Harmlosigkeit«, seiner vermeintlichen Folgenlosigkeit zur Erzeugung sozialer Prominenz besonders gut. Vor allem aber sind Sporthelden besonders eng an die vielfach hinterfragten und desavouierten Begriffe der Nation und des Patriotismus geknüpft, die via Sport sogar in positiver Konnotierung er- und ausgelebt werden können.13

Die herausragende Tat und ihre Erzählung Zum Basisrepertoire des Heldendaseins gehört es zunächst einmal, eine außergewöhnliche Tat, eine »übermenschliche« Leistung, zu erbringen. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung, um den Heldenstatus zu erlangen. Dies gilt nicht nur für Heldenfiguren im Bereich des Sports, aber es ist ein Spezifikum des Sozialsystems Sport, Heldengeschichten in Serie zu produzieren. Das hängt damit zusammen, dass im Sport permanent »künstliche« Krisensituationen hergestellt werden. Während sich die Helden des Krieges, der Politik oder der Wissenschaft an existenziellen Krisen, an ganze Völker oder sogar die gesamte 11 Kateryna Mishchenko, Selenskyj – Plötzlich ein Held, URL: https://www.mdr.de/nachrichten /welt/osteuropa/politik/selenskyj-portrait-100.htmlkyj – Plötzlich ein Held | MDR.DE (abgerufen 20. 12. 2022). 12 Karl-Heinrich Bette, Sporthelden. Zur Soziologie sozialer Prominenz, in: Sport und Gesellschaft 4 (2007) 3, 243–264, 247–251. 13 Swantje Scharenberg, Gibt es Sporthelden?, in: Arnd Krüger/Swantje Scharenberg (Hg.), Zeiten für Helden – Zeiten für Berühmtheiten im Sport. Reflektionen der 9. Hoyaer Tagung. Sportstars, Helden und Heldinnen. Veränderungen in der Darstellung berühmter Sportler und Sportlerinnen in den Massenmedien, Münster 2014, 11–16.

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Menschheit bedrohenden Gefahren abarbeiten müssen, bietet der Sport bloß ein Spielfeld für ohne Not arrangierte Bewährungsproben. Diese Notsituationen werden im Sport zum Beispiel in einem laufenden Meisterschaftsbetrieb oder in Rennserien immer wieder aufs Neue hergestellt. Sportliche WettkämpferInnen sind ständig Prüfungen ausgesetzt, in denen sich zeigt, wer in diesen Bewährungssituationen, wie beispielsweise im Elfmeterschießen oder im Schlusssprint eines Radrennens, die besseren Nerven, die schnelleren Beine oder die optimale Taktik hat oder wer eben auf welche Weise auch grandios scheitert. Sport besteht aus einer Aneinanderreihung von unzähligen Bewährungssituationen, aus denen ebenso viele Erzählungen von glorreichen Siegen oder vernichtenden Niederlagen entstehen. Im Bewältigen dieser außeralltäglichen Situationen, im Erbringen der außergewöhnlichen Leistungen, entstehen die Sportheldenfiguren, die wir bewundern. »Exzeptionalität«14 ist deshalb ein Basismerkmal des Sportheldentums. Exzeptionalität ist rar, und indem sie rar ist, wird sie von vielen begehrt. Der Sportheld ragt aus der Masse der gewöhnlichen Menschen heraus. Damit stellt er eine Hierarchie, eine soziale Rangordnung zwischen sich und der Gefolgschaft her. Damit hebt er sich von der Masse ab. Sogar die HeldInnen des Alltags haben einen kleinen Moment der Bewährung, in dem sie sich aus der Schicht ihrer gleichartigen ArtgenossInnen herausheben. Heldengeschichten führen eine Unterscheidung zwischen den Bewunderern und den Bewunderten ein. Sie stecken dabei auch eine Machtbeziehung zwischen Führung und Gefolgschaft ab. Denn ohne Gefolgschaft gibt es keine Helden. Sie verweisen darauf, was als gesellschaftlich erwünscht oder als unerwünscht gilt. Darin erfüllen sie auch eine Art massendidaktische Funktion, sie stiften Orientierung. Diejenigen, die unten zurückbleiben, wissen aber auch, dass die größten Helden letztlich doch auch nur Menschen wie sie selbst sind, dass sie sterblich sind. Damit wird gleichzeitig eine gewisse Nähe und emotionale Bindung an diese Figuren ermöglicht. Entscheidend ist immer, dass HeldIn und Gefolgschaft aufeinander verweisen. Es »bedarf sowohl einer grundsätzlichen Verehrungsbereitschaft, einer Sehnsucht nach jemandem, zu dem man aufschauen und an dem man sich orientieren kann, als auch eines Objekts, das der Verehrung für würdig gehalten wird«.15 Sporthelden bilden letztlich Projektionsflächen für Sehnsüchte, Wünsche, Fantasien und stellen Objekte für emotionale Bindungen dar.16 Helden reprä-

14 Ulrich Bröckling, Postheroische Helden. Ein Zeitbild, Berlin 2020, 23–29. 15 Bröckling, Helden, 28. 16 Rudolf Müllner, Zur Konstruktion von Sporthelden. Das Beispiel des Skirennläufers Anton Sailer, in: Historicum. Zeitschrift für Geschichte (1998/99) Themenheft Sport, 42–46; Rudolf Müllner, On the Hagiography of an Austrian Sports Hero. Anton Sailer, in: The Annual of CESH (2000), 57–68.

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sentieren17 Eigenschaften, Verhaltensweisen und Werte, die in einer Gesellschaft zu einem jeweiligen historischen Zeitpunkt große Bedeutung haben. Sie sind sowohl Produkte als auch Katalysatoren von relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen und Kräften. So ist beispielsweise die öffentliche Figur des Skirennläufers Anton Sailer nicht aus einer eng geführten, auf sportartspezifische Daten beschränkten, Sichtweise heraus zu verstehen. Sie erschließt sich in ihrer Bedeutung für den Prozess der »Re-Austrifizierung« erst, wenn man ihre Einbettung in die relevanten zeitgenössischen Werte und Diskurse der fordistischen Wiederaufbaugesellschaft der 1950er-Jahre versteht. Sailer steht mit seinem dreifachen Olympiasieg 1956 in Cortina d’Ampezzo zunächst für einen herausragenden Erfolg eines Österreichers auf sportlichem Terrain. Die Identifikation mit diesen Erfolgen ermöglichte die Konstruktion eines kollektiven »Wir«. Nicht die Person Sailer allein war erfolgreich. Er, als Repräsentant des fragilen Österreich, hatte stellvertretend für »uns« gesiegt. Das gesamte Narrativ Sailer – sein Fleiß, seine Bescheidenheit, Kraft, Jugend, Gesundheit, Männlichkeit, sein Wagemut, seine Dynamik, Entschlossenheit, seine Herkunft aus einer kleinen heilen Spenglerfamilie, die »zukunftsfroh und muskelstark«18 den Wiederaufbau des kleinen Österreichs vorantreibt – all das sind Zuschreibungen und Werthaltungen, welche für die Wiederaufbaugesellschaft der 1950er-Jahre als Gesamtes große Relevanz hatten.19 Darin besteht ihre identitätsstiftende Funktion.

17 Der Ausdruck »repräsentieren« wird hier als Analysebegriff im Sinne von Emile Durkheims Begriff der »répresentation collective« verwendet. Durkheim bezeichnet damit zum Beispiel Symbole, die für Mitglieder einer Gesellschaft eine gemeinsame kognitive und emotionale Bedeutung haben; Wolfgang Lipp, Repräsentation, kollektiv, in: Werner Fuchs-Heinritz/ Rüdiger Lautmann/Otthein Rammstedt/Hans Wienold (Hg.), Lexikon zur Soziologie, Opladen 1995 (3. Aufl.), 556. 18 Wolfgang Kos, Eigenheim Österreich. Zu Politik, Kultur und Alltag nach 1945, Wien 1994, 59– 70; Martin Tschiggerl, Wir und die Anderen. Die Konstruktion nationaler Identität in der Sportberichterstattung der drei Nachfolgegesellschaften des NS-Staates in den 1950er-Jahren, in: Matthias Marschik/Agnes Meisinger/Rudolf Müllner/Johann Skocek/Georg Spitaler (Hg.), Images des Sports in Österreich. Innensichten und Außenwahrnehmungen, Göttingen 2018, 277–290. 19 Rudolf Müllner, Perspektiven der historischen Sport- und Bewegungskulturforschung, Wien/ Berlin 2011, 259–299.

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Abb. 7/8: Radhelden im Großformat: Richard Menapace, Sieger der Tour d’Autriche 1949 und 1950 und Rudi Valenta, Gewinner des »Semperit-Derby« 1950. Bilder: Sport-Schau, 1. 8. 1950; 4. 7. 1950

Dabei werden die körperlichen Eigenschaften von Helden ebenso in den Fokus gerückt wie deren Charaktereigenschaften. Es werden Männlichkeitsbilder oder die Idealbilder von Männerkörpern öffentlich zur Schau gestellt. Diese erzeugen einen gewissen Nachahmungseffekt. Die Homestory oder die Sportlerautobiografie sind die bewährten Medienformate, in denen die »privaten Seiten« der verehrten Person öffentlich inszeniert werden. In den darin thematisierten alltäglichen Lebensvollzügen entrückt der Held seiner mythologischen Aura und wird für alle angreifbar. Er wird wieder menschlich und rückt somit näher an sein Publikum heran. »Kinder und Jugendliche eifern ihren Helden nach, geben sich spielerisch ihre Namen, kaufen ihre Sportkleidung und imaginieren sich in ihre Vorbilder hinein, um mit ihnen eins zu werden und an ihrer Berühmtheit und ihrem Können aus der Distanz teilzuhaben. Erwachsene integrieren ihre Idole als wichtige Bezugspersonen in die Fernsehfamilie, diskutieren über sie am Arbeitsplatz oder Stammtisch, beobachten sie im Stadion, lesen und hören von ihren biographischen Wendungen.«20 Als neuer Ort der Heldenproduktion entwickelte sich speziell das Web 2.0. Das Medium, das die emotionale Beziehung zwischen Held, Heldentat und Gefolgschaft herstellt, ist – darauf haben Gunter Gebauer und Hans Lenk bereits 20 Bette, Sporthelden, 246.

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1988 hingewiesen – die Erzählung.21 Die Erzählung ist ein mächtiges Instrument. Im Prozess der kollektiven Erzeugung, Rezeption und Interpretation der Erzählungen vollzieht sich ein Prozess der Vergemeinschaftung. Die geteilten Erzählungen bilden die Basis für die Herausbildung kollektiver Identitäten, sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene. Sie haben eine enorme Bedeutung für die Gestaltung sozialer Beziehungen. Die Erzählung »teilt Erfahrungen nicht nur mit, sie gestaltet sie auch. Mit anderen Worten: Die Erzählung ist ein universelles Medium, das sich […] jedem subjektiven Erleben einschreibt.«22 Sporterzählungen werden meist über Massenmedien kommuniziert. Damit wird die Zahl ihrer RezipientInnen extrem gesteigert. Somit entstehen mächtige virtuelle Gemeinschaften. Die Chance der MedienkonsumentInnen, ihre Idole persönlich kennen zu lernen, ist meist gering. Trotzdem entstehen mitunter – und verstärkt durch personalisierte Web-Auftritte der Helden – starke parasoziale emotionale Bindungen, eine gewisse »virtuelle Intimität«, das vielzitierte »Wir-Gefühl«.23 Sloterdijk hat dafür den Begriff der »Erregungsgemeinschaften« eingeführt. Sportnarrative sind wirksame Instrumente, um »imagined communities«24 wie Nationen emotional und symbolisch zu bestätigen und zu stärken. »In Symbolen verdichtet sich das Zusammengehörigkeitsbewußtsein einer sozialen Gruppe. Sie schaffen Dazugehörigkeit und Ausgrenzung. Symbole erregen Emotionen – sie lassen den Blutdruck steigen und Herzen höher schlagen: sie können Zustimmung, Ablehnung und Haß hervorrufen.«25 Ohne hier auf die Komplexität des Nationsbegriffs26 näher einzugehen, kann man festhalten, dass »die jeweilige Nation durch kulturelle Bedeutungen in Form von Geschichten, Erinnerungen und Vorstellungen repräsentiert wird. Nationale Kulturen sind als Diskurse aufzufassen, die bestimmte Bedeutungen und eben Identitäten konstruieren, mit denen sich die einzelnen Individuen wiederum […] identifizieren.«27 Dabei geht es nicht so sehr um ein objektives Wissen von nationaler Identität, sondern um emotionale Bindungen, um das Gefühl von 21 Gunter Gebauer/Hans Lenk, Der erzählte Sport – Homo ludens – auctor ludens, in: Gunter Gebauer (Hg.), Körper und Einbildungskraft. Inszenierungen des Helden im Sport, Berlin 1988, 144–166. 22 Reinhard Sieder, Die Rückkehr des Subjekts in die Kulturwissenschaften, Wien 2004, 15. 23 Joshua Meyrowitz, No Sense of Place. The Impact of Electronic Media on Social Behavior, New York, N.Y. 1985. 24 Benedict Anderson, Imagined communities. Reflections on the origin and spread of nationalism, London/New York 2016. 25 Ernst Bruckmüller, Symbole österreichischer Identität zwischen »Kakanien« und »Europa«, Wien 1997, 12. 26 Lincoln Allison, Sport and Nationalism, in: Jay Coakley/Eric Dunning (Hg.), Handbook of Sports Studies, London/New Delhi 2000, 344–355. Siehe dazu auch das Kapitel »1. Das Land Österreich und das Werden der Nation«. 27 Matthias Marschik, Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sports zum Nationsbewußtsein in Österreich (1945–1950), Wien 1999, 19.

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Zugehörigkeit zu einer Entität. Ein- und Ausgrenzungsmechanismen sind dafür konstituierend. Das wohl bekannteste Beispiel im Bereich des Sports ist das vielzitierte »Wunder von Bern«. Anlässlich des Sieges der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz wurde der Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland aus dem Wankdorfstadion von Bern heraus konstruiert.28 Für Österreich bieten vor allem der Skisport und der Fußball bevorzugte Milieus des nationalen Sportheldentums. Neben dem bereits genannten Sailer sind hier Karl Schranz,29 als Beispiel für ein kollektives Opfernarrativ, oder Hermann Maiers »Rise-and-Fall-Story«30 zu nennen. Hin und wieder schaffen es auch Personen aus anderen Sportarten, nationalen Heldenstatus zu erringen: der Autorennfahrer Niki Lauda, der nur knapp dem Tod entrinnt,31 oder der Tennisspieler Thomas Muster.32 Annemarie Moser-Pröll gelang es als einziger Frau, »im kollektiven österreichischen Sportgedächtnis als Ikone präsent zu bleiben«.33 Inwieweit der männlich konnotierte Heldenbegriff auf sie anwendbar ist, bleibt umstritten. Die meisten Sportheroen waren männlich und entfalteten sich erst im Zeitalter des elektronischen Mediensports ab den 1960er-Jahren. Auch hier lässt sich nach der Jahrtausendwende in sozialen Netzwerken eine langsame Abschwächung der Genderhierarchie feststellen, die beispielsweise die nationalen »Heldenfiguren« der Anna Fenninger/Veith oder der Snowboarderin Anna Gasser ermöglichte.

28 Diethelm Blecking, Das »Wunder von Bern« 1954 – Zur politischen Instrumentalisierung eines Mythos, in: Historical Social Research. Historische Sozialforschung, 20 (2015) 4, 197– 208. 29 Rudolf Forster, Karl Schranz. Skirennläufer, in: Matthias Marschik/Georg Spitaler (Hg.), Helden und Idole. Sportstars in Österreich, Innsbruck/Wien/Bozen 2006, 259–268. 30 Garry Whanell, Media Sport Stars. Masculinities and Moralities, London 2002; Rudolf Müllner, Hermannn Maier. Eine biografische Skizze, in: Marschik/Spitaler, Helden, 404–413. 31 Johann Skocek, Der Tod ist ein Karrieresprung. Das Spiel mit dem Leben ist ein idealer Stoff für Medien, gezeigt am Beispiel Hermann Maier und Niki Lauda, in: Marschik et al., Images, 363–377; Wolfgang Weisgram, Tote leben länger. Jochen Rindt, seine Saga und sein Sänger, in: Marschik/Spitaler, Helden, 274–280. 32 Gilbert Norden, Thomas Muster. Noch 20 Liegestütze, in: Marschik/Spitaler, Helden, 360– 373. 33 Georg Spitaler, Annemarie Moser-Pröll. Österreichs weibliche Skiikone, in: Marschik/Spitaler, Helden, 286–294; Christiane Blöch, Heldinnen im Sport? Das Beispiel Annemarie MoserPröll, Diplomarbeit, Universität Wien 1998; Jennifer Hargreaves, Heroines of Sport. The politics of difference and identity, London/New York 2000.

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Heldennarrative im österreichischen Sport 1930 bis 1950 Das Personal an Sportstars, an Sporthelden und Ereignissen, welche in der Ersten Österreichischen Republik das Potenzial dazu hatte, so etwas wie eine österreichische Identität zu erzeugen oder zumindest zu stärken oder zu bestätigen, ist überschaubar. Das liegt auch daran, dass der Sport nach dem Ersten Weltkrieg erst in eine Phase der allmählichen Etablierung eingetreten war. Sport verfügte in der Ersten Republik, außer im urbanen Wiener Fußball, noch kaum über eine bedeutende Massenbasis.34 Dies gilt sowohl für die Zahl der Aktiven als auch für die Zahl der SportrezipientInnen. Massenhafte oder massenmediale Rezeption ist jedoch eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung von Heldengeschichten. Ebenso wie der Sport selbst befanden sich die spezifischen Massenmedien – vor allem das Radio35 – noch im Aufbau. Medialer Sportkonsum und Unterhaltung durch Sport, heute selbstverständliche Bestandteile westlicher Freizeit- und Konsumgesellschaften, entwickelten sich erst allmählich.36 Dazu kam die kaum ausgeprägte Identität im ungeliebten Kleinstaat in Kombination mit dem Anschlussdenken an Deutschland und eine extreme parteipolitische Fragmentierung, deren ideologische Trennlinien sich auch im Sport und in der Sportpolitik niederschlugen. Die Sportszene setzte sich aus einem klassenkämpferisch emanzipatorischen Arbeitersport,37 einer in sich gespaltenen deutschen und christlich-deutschen Turnbewegung38 und dem im Hauptverband für Körpersport organisierten »apolitischen« bürgerlichen Sport zusammen. Weder die Konzepte des Arbeitersports noch jene der Turnbewegung ließen die Entstehung von Heldenfiguren überhaupt zu. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht überraschend, dass die größten Stars und Helden, welche in der Lage waren, so etwas wie nationale Identität zu stiften, im Bereich des massenkulturell bedeutsamen Wiener Fußballs zu finden

34 Marschik et al., Images, 13–18; Matthias Marschik, Massen, Mentalitäten, Männlichkeit. Fußballkulturen in Wien, Weitra 2005. 35 Theodor Venus, Sport im Rundfunk. Die Entwicklung der aktuellen Sportberichterstattung im österreichischen Hörfunk 1924–1938, in: Matthias Marschik/Rudolf Müllner (Hg.), »Sind’s froh, dass sie zu Hause geblieben sind.« Mediatisierung des Sports in Österreich, Göttingen 2010, 67–76. 36 Minas Dimitriou, Historische Entwicklungstendenzen des Mediensports, in: Marschik/ Müllner, Sind’s froh, 25–37. 37 ASKÖ Bundesorganisation (Hg.), Sport für uns alle. 125 Jahre Arbeitersport in Österreich, Wien 2017; Reinhard Krammer, Arbeitersport in Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterkultur in Österreich bis 1938, Wien 1981. 38 Ingolf Wöll, Turnen in Österreich. Von den Anfängen bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts, St. Pölten 2017; Hannes Strohmeyer, Sport und Politik: Das Beispiel der Turnbewegungen in Österreich 1918–1938, in: Ernst Bruckmüller/Hannes Strohmeyer (Hg.), Turnen und Sport in der Geschichte Österreichs, Wien 1998, 212–244.

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sind. Es sind die großen Schlachten des Mitropacups39 und vor allem die Erfolge des österreichischen »Wunderteams«40 Anfang der 1930er-Jahre – welches in Wirklichkeit eine Wiener Auswahlmannschaft war –, die der Mehrheit der Bevölkerung des »ungeliebten Kleinstaat[es], mit seiner zerrütteten Ökonomie und gespaltenen Gesellschaft« so etwas wie »Weltgeltung«41 zu verschaffen in der Lage waren. So wie die Erfolge des Wunderteams zu Beginn der 1930er-Jahre einen Beitrag zum Nationsbewusstsein der Ersten Republik geleistet hatten, so war es nur wenige Jahre später der letzte Auftritt der österreichischen Fußballnationalmannschaft im sogenannten »Anschlussspiel« im April 1938, der sich in hervorragender Weise als eine Art nationaler Widerstandsakt gegen den Nationalsozialismus interpretieren ließ.42 Der bedeutendste Spieler des einstigen Wunderteams, Matthias Sindelar, demütigte, so die Legende, im Wiener Prater die deutsche Auswahl vor versammelter Naziprominenz. Damit gelang zweierlei: Die österreichische Nationalmannschaft, die »Ostmarkauswahl«, verwies auf die identitätsstiftende glorreiche Tradition des längst verblassten Wunderteams und andererseits wurde damit ein als widerständig interpretierbarer Akt gesetzt.43 Damit begann, wenn man so will, ein Abgrenzungsdiskurs, der nach 1945 relevant werden sollte.44 Abgesehen vom popularkulturell bedeutsamen Fußball weist die Heldengalerie des österreichischen Sports in den 1930er-Jahren einige beachtliche Leistungen und bemerkenswerte Persönlichkeiten auf. Die EisläuferInnen Karl Schäfer (1909–1976) und Herma Szabo (1902–1986) mit ihren zusammen insgesamt nicht weniger als vierzehn Weltmeistertiteln und drei Olympiasiegen oder die Florettfechterin Ellen Müller-Preis (1912–2007) – Olympiasiegerin in Los Angeles 1932 – schafften es zwar zu einer gewissen (lokalen) sportlichen Prominenz. Eine nachhaltige identitätsstiftende Funktion oder eine 39 Matthias Marschik/Doris Sottopietra, Erbfeinde und Haßlieben. Konzept und Realität Mitteleuropas im Sport, Münster 2000; Matthias Marschik, Mitropa. Representations of ›Central Europe‹ in Football, in: International Review for the Sociology of Sport, 36 (2001) 1, 7–23. 40 Der Begriff »Wunderteam« bezeichnet die österreichischen Nationalmannschaft in den Jahren 1931–1933, der eine Spielserie mit 16 Siegen, zwei Unentschieden und zwei Niederlagen gegen die stärksten Teams Europas gelang. 41 Wolfgang Maderthaner, Das Wunderteam und die Krise der Gesellschaft. England – Österreich 4:3. 7. Dezember 1932, London – Stamford Bridge, in: Matthias Marschik, Sternstunden der österreichischen Nationalmannschaft, Wien 2008, 85–98, 90. 42 Matthias Marschik, Professional Football: The Construction of (National) Identities, in: Paolo de Nardis/Antonio Mussino/Nicola Porro (Hg.), Sport: Social Problems & Social Movements, Roma 1997, 87–98; Matthias Marschik, Vom Nutzen der Unterhaltung. Der Wiener Fußball in der NS-Zeit. Zwischen Vereinnahmung und Resistenz, Wien 1998. 43 David Forster/Georg Spitaler, Das »Versöhnungsspiel« am 3. April 1938, in: David Forster/ Jakob Rosenberg/Georg Spitaler (Hg.), Fußball unterm Hakenkreuz in der »Ostmark«, Göttingen 2014, 252–261. 44 Marschik, Idealismus, 317–318. Bernhard Hachleitner/Sema Colpan, Die österreichische Nation, geboren aus einer Niederlage. Das »Wunderteam«-Gemälde als Element des Nation Building zu Beginn der Zweiten Republik, in: Marschik et al., Images, 265–276.

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starke emotionale Verehrung durch ein Massenpublikum erwirkten sie aber nicht oder nur dann, wenn sie, wie Schäfer, in Gestalt der Eisrevuen ins ShowFach wechselten.45 Der mangelnde Heldenstatus ist sicher zum Teil mit dem begrenzten Mobilisierungspotenzial ihrer randständigen Sportarten begründbar, im Falle von Szabo und Müller-Preis aber auch mit ihrem Geschlecht. Die Geschichte des Olympiasieges von Müller-Preis hatte von Anfang an auch noch das Handicap, dass sie im fernen Los Angeles spielte und noch dazu von einer Frau erbracht wurde, die eine »halbe Deutsche« war. Auch die außergewöhnlichen Erfolge, die der Radprofi Max Bulla in den 1930er-Jahren errang, wurden zwar in der österreichischen Sportöffentlichkeit durchaus rezipiert, reichten aber, weil sie durchwegs fernab Österreichs errungen wurden, nicht zu einem Heldenstatus. Als sich im Lauf der 1930er-Jahre in den fragilen demokratischen Staaten wie Österreich oder Deutschland schließlich faschistische Kräfte durchzusetzen begannen, verschoben sich auch im Sport die Heldenformate immer stärker in Richtung soldatisch-militärischer Attribuierungen. Es wurde allmählich ein Phänomen hegemonial, was Bröckling als »militanten Heroismus«46 bezeichnet. Das austrofaschistische Sportkonzept versuchte diesen neuen Heroismus zwar organisatorisch für sich zu nutzen, scheiterte aber weitgehend bei der Umsetzung in ein patriotisches nationales Bewusstsein.47 Der Hauptvertreter dieses »heroischen Realismus’« ist Ernst Jünger. Er propagiert die »totale Mobilmachung«, welche alle vorhandenen Ressourcen der Gesellschaft nutzt. In der »Amalgamierung von Arbeiter und Soldat«48 sollte jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Heroismus ist in diesem Sinn keine außergewöhnliche Leistung mehr, sondern permanent Pflichterfüllung für jeden. Idealtypus ist der Frontkämpfer, grenzenlos sind seine Opferbereitschaft und seine »maschinengleiche« Kampfkraft. Pathetisch übersteigert wird dabei der Kampf an sich, das Durchhalten, das Ertragen des Leides und der Opfermythos. Höchste heroische Tat sei der Opfertod. Heldentum, die permanente gesteigerte Anrufung und Überhöhung des Heroischen, dient der Mobilmachung aller. Die heroische Haltung, Härte gegen sich selbst, durchhalten und der dauernde Kampf werden zur männlichen Pflicht. In ihr verschmelzen die Tugenden der Arbeitswelt und des Krieges. Jüngers Schriften bilden die Folie für faschistische beziehungsweise national45 Rudolf Müllner, Die Wiener Eisrevue zwischen Sport und Spektakel. Anmerkungen zum hybriden Feld des Show-Sports, in: Bernhard Hachleitner/Isabella Lechner (Hg.), Traumfabrik auf dem Eis. Von der Wiener Eisrevue zu Holiday on Ice, Wien 2014, 32–35. 46 Bröckling, Helden, 98. 47 Matthias Marschik, Sport im Austrofaschismus, in: Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur, Münster, London/ Wien 2005 (3. Aufl.), 372–389. 48 Bröckling, Helden, 101.

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sozialistische Heldennarrative, nicht nur im militärischen Kontext, sondern auch in den Medien, in der Kunst, der Erziehung und auch im Sport.

Abb. 9/10: »Wasser, Wasser!« Enrico Gandolfi 1949 am Großglockner, Ing. Heinz Jager bei Wien – Graz – Wien 1947. Bilder: Sportschau, 2. 8. 1949; 24. 9. 1947

Ein in dieser Hinsicht geradezu ideales Betätigungsfeld stellte der männliche Helden- und Eroberungsalpinismus des 20. Jahrhunderts dar. Einer seiner prominentesten Exponenten war der österreichische Bergsteiger und spätere Forschungsreisende Heinrich Harrer (1912–2006).49 Seinen ersten großen Auftritt und Durchbruch zu sozialer Prominenz und Heldenstatus feierte Harrer in einem historisch einzigartigen Zeitfenster und unter idealen dramaturgischen Bedingungen. Harrer gelang zusammen mit seinem österreichischen Seilgefährten Fritz Kasparek und gemeinsam mit einer deutschen Seilschaft vom 21. bis zum 24. Juli 1938 die erste Durchsteigung der bis dahin als unbezwingbar geltenden Eiger Nordwand. Der reale Zusammenschluss der österreichischen und der deutschen Seilschaft in der »Mordwand« unter gefährlichsten äußeren Bedingungen und der ersehnte Gipfelerfolg des nun vereinten großdeutschen Teams boten den idealen 49 Gerald Lehner, Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer, Wien 2007.

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Nährboden für eine beeindruckende Heldenstory, die sich sowohl im zeitlichen Timing – unmittelbar nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich – als auch in ihrer Symbolik und Dramaturgie perfekt zur politisch medialen Verwertung eignete. Die Zeitungen brachten Harrer, Kasparek, Heckmair und Vörg tagelang auf den Titelseiten und Adolf Hitler beglückwünschte die deutschen Vorzeigehelden persönlich auf dem Breslauer Turn- und Sportfest. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass Harrer seit 1933 ein »Illegaler«, SA-Mitglied und SS-Oberscharführer, war. Die Zeitungsberichte der Erstbesteigung lesen sich wie Beschreibungen von Kampfszenarien aus dem Ersten Weltkrieg und bestätigen eindrucksvoll den militärisch-heroischen Charakter des Gefahrenalpinismus der 1930er- und 1940er-Jahre. Die Besteigung ist ein vom Wandfuß bis zum Gipfel dauernder permanenter »Kampf« in einer »gefürchteten«, extrem »gefährlichen« Umwelt. Es ist ein ständiges »Ringen mit der Wand«, die keine gewöhnliche, sondern eine »Todeswand« ist. Im Bergsportsoldatentum ist die Bewährung auf Dauer gestellt, denn man weiß, dass die Wand schon »viele Leben gekostet hat«. Hier benötigt es »außerordentliche Anstrengung«, »kühne Männer«, »deutsche Bergsteiger« eben. Denn diese können dem Beschuss von »zahlreichen Lawinen und Steinschlag« trotzen, den »Kampf mit dem Eis« gewinnen. Die Helden sind beinahe unverwundbar. Nur einer erleidet »eine kleine Steinschlagverletzung«.50 Doch das ist kaum der Rede wert, denn auch das Ertragen des Schmerzes gehört zur Grundausstattung des Berghelden und des männlichen Sportlers. Viele dieser hier genannten militärischen Versatzstücke finden sich in den Heldeninszenierungen sowohl des austrofaschistischen als auch des nationalsozialistischen Sports. Das wird auch am Beispiel des Salzburger Skispringers Josef »Bubi« Bradl (1918–1982)51 deutlich. Seine größte Leistung bestand darin, dass er am 15. März 1936 in Planica den Skisprungweltrekord auf damals unvorstellbare 101,5 Meter steigerte und somit zu einem international beachteten Sportstar aufstieg. Der zweite Höhepunkt seiner Karriere war der Weltmeistertitel in Zakopane im Februar 1939. In den medialen Inszenierungen nach dem WM-Titel 1939 wurde seine enge Verbindung zum Regime und vor allem seine Zugehörigkeit zur SA immer wieder betont. In allen Sportberichten wurde die Verknüpfung von sportlichem Erfolg und seine Mitgliedschaft im »Sturm 1 der SA-Standarte, in dem Bradl schon in illegaler Zeit stand«52, hervorgehoben. Auch

50 Alle Zitate aus: N.N., Das Ringen um die Eiger Nordwand gewonnen, Das Kleine Volksblatt, 26. 7. 1938, 7. 51 Andreas Praher, Österreichs Skisport im Nationalsozialismus. Anpassung – Verfolgung – Kollaboration, Berlin/Boston 2022, 269–275 und 410–414. 52 Salzburger Volksblatt, 3. 3. 1939, 6, zit. n. Minas Dimitriou, »Sepp Bradl – der weltbeste Sprungläufer«. Zur Theatralisierung des sportlichen Erfolges im Dienste der NS-Propaganda, in: Marschik et al., Images, 219–232.

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im »Neuen Wiener Tagblatt«, das den »Weltmeister Sepp Bradl einmal privat«53 covert, vergaß man nicht auf seinen SA-Hintergrund: »Bradl ist übrigens alter SA-Mann. […] Als dann Österreich selbst frei wurde, jubelte er mit, und als ihm kurz danach der Führer zu einem neuen Erfolg bei einem internationalen Rennen telegraphisch Glückwünsche sandte, da strahlten die hellen, frohen Jungenaugen im reinsten Glück.« Bradl repräsentierte bei der Weltmeisterschaft in Zakopane 1939, während seines heldenhaften Kampfes als Außenseiter gegen die überlegenen skandinavischen Springer, nicht mehr, wie bei seinem Weltrekordsprung 1936 in Planica, Österreich, sondern das Deutsche Reich, die »Ostmark«, sowie seine engere Heimat, den »Gau Salzburg.« Obwohl die Nationalsozialisten aus ideologischen Gründen dem Starkult vordergründig skeptisch gegenüberstanden, nutzten sie das System des Sports und stilisierten Bradl zum deutschen »Helden«.54 Die mediale Inszenierung des Skispringers Bradl und seiner sportlichen »Heldentaten« diente letztlich einem einzigen Ziel, »die allgemeine symbolische NS-Ordnung bei den RezipientInnen aufrecht zu erhalten«.55 Auf welche Weise das Zusammenspiel zwischen Sporthelden und Gesellschaft nach 1945 neu arrangiert wurde und welche Muster beibehalten wurden, wird im Kapitel acht näher ausgeführt.

53 Neues Wiener Tagblatt, 23. 2. 1939, 21, zit. n. Dimitriou, Bradl, 228. 54 Praher, Skisport, 272. Dass Bradl nach dem Ende des Krieges in seiner Sportlerautobiographie »Mein Weg« seinen WM-Sieg in Zakopane als einen Sieg für Österreich bezeichnete, beweist, wie sich nationale Zuschreibungen auch umdeuten lassen. 55 Dimitriou, Bradl, 232.

3.

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Ende Juli 1931 war in den österreichischen Medien viel über Radrennen zu lesen: Da wurde zunächst über einen Erfolg von Max Bulla berichtet: »Die 17. Etappe der Tour de France, die über 230 Kilometer von Grenoble nach Aix-les-Bains führte, brachte dem österreichischen Teilnehmer Bulla einen neuen großen Erfolg. Die Etappe […] stellte infolge der vielen Steigungen an die Fahrer große Anforderungen. Kurz vor dem Ziel war noch eine Gruppe von neun Fahrern beisammen. In großartigem Endspurt sicherte sich Bulla den Sieg.«1 Am gleichen Tag »wurden auf der Bösendorfer Rundstrecke mit Start und Ziel beim Kilometerstein 8 der Laxenburger Allee die Qualifikationsrennen zur Weltmeisterschaft der Straßenfahrer zur Austragung gebracht. Die Rundstrecke war fünfzehnmal zu durchfahren; die Distanz betrug daher im Ganzen 156 Kilometer.« Sieger wurde Karl Thallinger vom Klub »D’Wiener Radler«.2 Sozialdemokratische (und mit dieser Partei sympathisierende) Blätter rückten dagegen die erste sportliche Veranstaltung der Arbeiter-Olympiade in den Mittelpunkt des Interesses: »Das Radrennen ›Rund um Wien‹ über 140 Kilometer […] Der Start erfolgte um 7 Uhr früh bei strömendem Regen in Floridsdorf. 35 Fahrer nahmen teil. Fünf Kilometer vor Tulln kam ein Teil der Spitzengruppe, darunter auch der spätere Sieger Hamedl, zu Sturz. Insgesamt kamen 27 Fahrer ans Ziel. Den ersten olympischen Sieg erzielte der Wiener Karl Hamedl.«3 Der internationale Profiradsport mit seinen spektakulären Bewerben, der Amateursport mit zahlreichen nationalen Rennen und seinen Höhepunkten bei Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen sowie der Arbeitersport, für den das Radfahren enorme Bedeutung hatte, waren zu Beginn der 1930er-Jahre die drei Säulen des kompetitiven Radfahrens in Österreich, deren unterschiedliche Entwicklung den Radsport entscheidend prägten. Während Professionals und »bürgerliche« Amateure zwar getrennte Rennen fuhren, aber im gleichen 1 Neues Wiener Journal, 20. 7. 1931, 8. 2 Neues Wiener Journal, 20. 7. 1931, 6. 3 Die Stunde, 21. 7. 1931, 6.

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Abb. 11: Das österreichische Radteam bei der 2. Arbeiterolympiade, Wien 1931. Bild: Hlebowicki, Archiv Michael Zappe

Verband organisiert waren (und beide an den UCI-Weltmeisterschaften teilnahmen), gab es zum Arbeiterradsport kaum Verbindungen.

Eine kurze Vorgeschichte Schon in der Ära des Hochrads trat neben die Fortbewegung auch der sportliche Wettkampf. Bereits beim 1869 gegründeten ersten Vélocipède-Verein waren die Anlage von Rennstrecken und die Abhaltung von Rennen Teil der Satzungen. 1870 gewann der »Profi« Friedrich Maurer das erste Radrennen im Wiener Prater. In Graz und Wien wurden zahlreiche Klubs gegründet, Rennen und Meisterschaften veranstaltet, an denen »Herrenfahrer«, Amateure, und »Preisgeldfahrer«, also Profis, teilnahmen und großen Publikumszuspruch fanden. Um 1890 kam das Niederrad (»Safety«) in Mode und wurde in Fernfahrten wie Wien – Graz – Triest (1892) oder Wien – Berlin (1893) eingesetzt. Zugleich begannen Frauen, eigene Vereine zu gründen und »Damenrennen« durchzuführen. In Graz und Wien wurden neben Touren- auch schon eigene Rennräder produziert. Es gab zahlreiche Straßenwettbewerbe, in Graz, Wien, Mödling und Krems existierten Radrenn-

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bahnen.4 In Wien war Maxime Lurion der erste »Star« des Radsports, ehe Adolf Schmal bei den ersten modernen Olympischen Spielen 1896 in Athen zunächst auf der Radbahn zwei dritte Plätze im Sprint über 333 und über 10.000 Meter errang und zwei Tage später die Goldmedaille im Straßenrennen über 12 Stunden. Der Grazer Max Gerger gewann 1895 das Rennen Bordeaux – Paris und – bereits als Profi – wurde er 1896 WM-Dritter und ein Jahr darauf Europameister auf der Bahn.5 Um 1900 verlor der Radsport in Österreich jedoch sukzessive an Bedeutung. Werksteams wie Puch und Styria zogen sich zurück oder beschränkten ihr Engagement. Das Automobil (als Utopie und Versprechen) sowie das Motorrad (als Fortbewegungsmittel und Produkt) hatten dem Fahrrad den Rang abgelaufen. Während 1903 die Tour de France und 1909 der Giro d’Italia gegründet wurden, hielten in Österreich Radklubs und Einzelfahrer den Amateursport aufrecht.6 Das »Safety« wurde zum Massenverkehrsmittel, der Radsport hingegen stagnierte. Populär blieben die Bahnrennen sowie einzelne Straßenbewerbe wie die Semmering-Bergrennen oder »Quer durch Niederösterreich«. Noch 1912 entsandte Österreich sechs Radrennfahrer zu den Olympischen Spielen in Stockholm, die zumindest im Teambewerb Platz sieben belegten, in der Folge gab es bis 1928 keine österreichische Beteiligung am olympischen Radsport. Während des ersten Weltkriegs kam der Radsport nicht zum Erliegen, doch regierte wie in den gesamten 1920er-Jahren Quantität vor Qualität. Das betraf auch die Verbände, denn weder dem »Österreichischen Radsportausschuss« noch dem »Österreichischen Touringclub« gelang die Bildung eines einheitlichen Dachverbandes. So existierte auch ein eigener Verband der Rennfahrer. Unabhängig vom bürgerlichen Radsport hatte sich daneben ein – zahlenmäßig bedeutender – ArbeiterRadsport entwickelt, der ab 1899 im »Verband der Radfahrvereine Österreichs« organisiert war. 1926 wurde er zum »Arbeiter-Radfahrer-Bund Österreichs« (ARBÖ) umgewandelt und war radsportlich höchst aktiv, lehnte aber jeglichen Kontakt zum bürgerlichen Sport ab. In den 1920er-Jahren waren in Österreich eine kleine Gruppe von Professionals sowie zahlreiche bürgerliche und Arbeiter-Radrennfahrer aktiv, es gab fast jedes Wochenende zwischen April und Oktober Radsport-Veranstaltungen. Doch war das Medien- und Publikumsinteresse begrenzt, nicht zuletzt deshalb, weil internationale Erfolge rar blieben. Ausnahmen bildeten lediglich Max Bulla, der 1926 mit 21 Jahren bereits Profi wurde, zweimal die nationale Straßenmeisterschaft gewann, dann aber für die Chemnitzer Firma »Diamant« und 4 N.N., Meilensteine der Rad-Geschichte, in: Wolfgang Gerlich/Othmar Pruckner (Hg.), Rennrad Fieber, Wien 2015, 248–251. 5 Wolfgang Wehap, frisch, radln, steirisch. Eine Zeitreise durch die regionale Kulturgeschichte des Radfahrens, Graz 2005, 62–63. 6 Walter Ulreich/Wolfgang Wehap, Die Geschichte der PUCH-Fahrräder, Gnas 2016, 282.

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später für den Schweizer Rennstall des Oscar Egg fuhr und daher in seiner Heimat kaum mehr präsent war sowie bei den Amateuren einzig Franz Dusika, der 1928 zumindest einen 15. Rang bei den Olympischen Spielen in Amsterdam im Einzelzeitfahren erreichte und mit August Schaffer7 auch im Tandemrennen antrat. Der einzige österreichische Teilnehmer am Radrennen bei der ArbeiterOlympiade in Frankfurt 1925 erreichte das Ziel nicht. Strukturen, Erfolge, Medienpräsenz und Publikumsinteresse des österreichischen Radsports hinkten um 1930 den großen Radsportnationen weit hinterher.

Abb. 12: Franz Dusika (links) und August Schaffer im Staatsmeistertrikot auf der Prater Hauptallee. Bild: Wiener Bilder, 14. 6. 1931

7 August Schaffer, Ausschnitte aus den Erlebnissen eines Radrennfahrers, in: Othmar Hassenberger (Red.), Körpersport-Jahrbuch 1933. Das Jahrbuch der Aktiven. Offizielles Jahrbuch des Österr. Hauptverbandes für Körpersport. 2. Jahrgang, Wien 1933, 127–128.

Die frühen 1930er-Jahre

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Die frühen 1930er-Jahre Zu Beginn der 1930er-Jahre kann der österreichische Radsport als beliebter Breitensport gelten, zu einem populären Massensport fehlten ihm weiterhin internationale Erfolge, spektakuläre Veranstaltungen im Inland und die daraus folgende Publikumswirksamkeit und Medienresonanz. Lokale Rennen waren gut besucht und der Radsport hatte seine fixe, aber eben nachrangige Präsenz in den Medien. Primäre Ursachen dafür waren eine organisatorische Zersplitterung – nicht nur zwischen dem »bürgerlichen« und dem Arbeitersport – und eine durch die Wirtschaftskrise noch verschärfte mangelnde finanzielle Unterfütterung seitens der Radindustrie und externer Sponsoren. Noch 1936 hieß es, zwar im Sinne der austrofaschistischen Propaganda, aber dennoch nicht unrichtig: »Man kann ruhig behaupten, daß es keinen einzigen Sportzweig in Oesterreich gibt, an dessen Konsolidierung so eifrig und so lange gearbeitet wurde, und wo trotzdem die Erfolge dieser Arbeit so spärlich waren, wie im Radfahrsport.«8 Basiszahlen zum Radsport anno 1932 verweisen deutlich auf dessen Breitenwirkung: So werden für den ÖRB (Österreichischer Radfahrerbund) und seine Unterverbände 119 Vereine mit 4.600 Mitgliedern ausgewiesen, für den ARBÖ 22.000 Mitglieder.9 Diese Zahlen werden freilich relativiert, weil neben den »Rennfahrern« im engeren Sinn (»Schlauchreifenfahrer«) auch »Tourenfahrer« (»Wulstreifenfahrer«), Senioren, Junioren, zahlreiche »Radwanderer« oder solche RadfahrerInnen mitberücksichtigt sind, die sich an Agitations-, Fest-, Urlaubs- und Propagandafahrten beteiligten. Ganz ähnlich wie in der deutschen Arbeiterradfahr-Bewegung waren auch im ASKÖ die Grenzen zwischen dem Fahrrad als Fortbewegungsmittel, Vergnügungs- und Sportgerät fließend.10 Offizielle Zahlen des ÖRB wiesen bezüglich der Rennfahrer für Niederösterreich 29 Vereine mit 500 Mitgliedern, für die Steiermark 23 Klubs mit 1.110 Mitgliedern, für Tirol und Vorarlberg 67 Vereine mit 2.600 Mitgliedern aus. Auch im Touringklub waren rund 400 Radrennfahrer organisiert.11 Bezüglich des Arbeitersports divergieren die Zahlen erheblich: So variieren die Angaben für das Jahr 1930 zwischen 438 Vereinen mit 20.000 Mitgliedern12 und 530 Arbeiterradvereinen mit 22.000 Mitgliedern, in denen etwa 1.000 Renn- und 1.000 NachwuchsfahrerInnen aktiv waren, davon rund 30 weibliche.13 8 Sport-Tagblatt, 21. 10. 1936, 7. 9 Beckmanns Sport-Lexikon. A – Z, Leipzig/Wien 1933, 163 und 1727. 10 Dieter Vaupel, Von Selbstgleichschaltung und Deutschlandfahrt. Radsport im Dienste des NS-Systems, in: SportZeiten 22 (2022) 2, 7–30, 9. 11 Der Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer, Feb. 1932, 11. 12 Reinhard Krammer, Arbeitersport in Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterkultur in Österreich bis 1938, Wien 1981, 267. 13 Der Arbeiter-Radfahrer, April 1930, 3.

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Organisatorisch war der bürgerliche Radsport in den 1930er-Jahren im Wesentlichen im 1923 gegründeten ÖRB vereint, zu dem sich der »NÖ. Radfahrerverband« der »Österreichische Touringklub«, der »Steirische Radfahrergauverband« und der »Radfahrerverband für Tirol und Vorarlberg« zusammengeschlossen hatten.14 Zentren waren Niederösterreich/Wien, Graz und Tirol, treibende Kraft war der Tiroler Verband gewesen, wobei der Verbandssitz 1929 sogar vorübergehend von Wien nach Innsbruck verlegt worden war. Schon im Februar 1923 war man der »Union Cycliste Internationale« (UCI) beigetreten.15 Etliche Vereine existierten jedoch abseits des ÖRB, so etwa der in Graz gut verankerte »Alpenländische Radfahrerbund«, der erst im Sommer 1936 auf Anordnung von »Sportführer« Ernst Rüdiger Starhemberg dem ÖRB-Landesverband Steiermark beitreten musste.16 Der ÖRB selbst, die vier Verbände, aber auch einzelne der ihm angeschlossenen Vereine, veranstalteten jährlich zwischen 60 und 80 Rennen. Die prekäre Situation des bürgerlichen Radsports um 1930 manifestierte sich auch darin, dass etliche Meisterschaftskonkurrenzen gar nicht mehr ausgetragen wurden.17 Der Arbeiterradsport war im ARBÖ organisiert, der wiederum einer der 16 Mitgliederverbände des ASKÖ war, er war nach Landes-, Orts- und Bezirkskartellen organisiert. Im Gegensatz zum ÖRB vertrat der ASKÖ ab 1932 durch die Gründung einer Motorradsektion auch den motorisierten Zweiradsport, vor allem aber unterschied er sich durch seine ambivalente Position gegenüber dem Sport, die nicht generell »gegen den Wettkampf gerichtet« war, aber »Kritik an den Formen« übte, »die der Wettkampf anzunehmen droht«,18 wenn Siege und materieller Gewinn im Zentrum stehen. So nahmen nicht wettkampfmäßig betriebene Ausfahrten im ASKÖ wesentlichen Raum ein. Wenn der ARBÖ für das Jahr 1930 136 »offene Veranstaltungen« nannte, von denen 118 in der »Provinz stattfanden«,19 inkludierte das zumindest »sportliche« Ausfahrten ohne Wettkampfcharakter. Im Jahr 1933 organisierte der ARBÖ etwa 50 Radrennen20 im engeren Sinn, wobei in den Rennberichten vielfach nur zwischen zehn und 15 Teilnehmer genannt werden. Selbst beim populären Rennen »Rund um Wien« nahmen nur 106 (1930)21 und 94 (1933)22 Fahrer teil. Sowohl der bürgerliche als 14 Der Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer, Feb. 1932, 11. 15 Othmar Hassenberger (Red.), Körpersport-Jahrbuch 1932. Offizielles Jahrbuch des Österr. Hauptverbandes für Körpersport, Wien 1932, 174. 16 Sport-Tagblatt, 10. 6. 1936, 5. 17 Othmar Hassenberger (Red.), Körpersport-Jahrbuch 1933. Das Jahrbuch der Aktiven. Offizielles Jahrbuch des Österr. Hauptverbandes für Körpersport. 2. Jahrgang, Wien 1933, 136– 137. 18 Der Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer, Oktober 1932, 8. 19 Der Arbeiter-Radfahrer, April 1930, 3. 20 Der Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer, April 1933, 2. 21 Der Arbeiter-Radfahrer, Juli 1930, 9.

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auch der Arbeiterradsport waren zwar in den Tagesmedien präsent, blieben aber selbst im Vergleich zur Zahl der Aktiven und der Veranstaltungen noch unterrepräsentiert. So transportierten sie sowohl ihre Anliegen wie auch die Ankündigungen und Resultate der Wettrennen über eigene Zeitungen.

Radsport im Austrofaschismus Die massiven politischen Veränderungen der Jahre 1933/34, von der Etablierung des Austrofaschismus bis zum Bürgerkrieg im Februar 1934, hatten wesentliche Auswirkungen auch auf den Radsport. Schon am 12. Februar 1934 wurden nicht nur die SDAPÖ, sondern auch alle ihre Verbände verboten, das betraf gerade auch die sozialdemokratische Sportorganisation und den ARBÖ. Etliche ArbeitersportlerInnen beendeten ihre Karriere oder gingen in die illegale politische Arbeit,23 viele setzten ihre sportlichen Aktivitäten aber in »bürgerlichen« Vereinen fort: So wurde Ende Mai 1934 das bedeutendste Radrennen des Jahres, der »Semperit-Preis«, durch einen Zweikampf zwischen Karl Kühn24 und Karl Hamedl entschieden, dem Sieger und dem Zweiten der Arbeiterolympiade von 1931. Auch Alois Gneist, der Olympiadritte, setzte seine Radkarriere fort. Von der Bildfläche verschwanden weniger die »Helden« des Arbeiterradsports als die Ideale, für die sie lange Zeit eingetreten waren. Ab Mai 1934 wurden alle Sportagenden im Bundeskanzleramt zentriert. Sportführer Ernst Rüdiger Starhemberg präsentierte im Herbst die neue »Österreichische Sport- und Turnfront« (ÖSTF), einen autoritär strukturierten Verband: Der »Sportführer« ernannte die Leitungsorgane der Verbände und Vereine, entschied über die Abhaltung von Bewerben und die Teilnahme von SportlerInnen an Wettkämpfen.25 Sport sollte »ein Dienst am Vaterlande, ein Dienst am Volk«26 sein, dafür musste eine positive nationale Identität erweckt und der Sport in den Dienst der Volksgesundheit gestellt werden. Im Radsport konnten diese Ziele durch eine Straffung der Struktur, eine Mobilisierung ökonomischer Unterstützung und die Veranstaltung attraktiverer Bewerbe zumindest ansatzweise 22 Der Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer, August 1933, 6. 23 Krammer, Arbeitersport, 236–256. 24 Kühn war allerdings schon 1932 vom Verein »Straßenbahn« zu den »Neubauer Radlern« und damit vom Arbeiter- zum bürgerlichen Radsport gewechselt, Hamedl startete ab dem Mai 1934 für »Slovan«. 25 Matthias Marschik, Sport im Austrofaschismus, in: Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur, Münster/London/ Wien 2005 (3. Aufl.), 372–389. 26 Sport-Jahrbuch 1935. 4. Jahrgang des Körpersport-Jahrbuches des österreichischen Hauptverbandes für Körpersport, hg. von der Österreichischen Turn- und Sportfront mit der Österreichischen Turn- und Sportzentrale, Wien 1935, 5.

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erreicht werden. Hierbei zeigen sich Parallelen zu Deutschland, wo ein um 1930 relativ unbedeutender und wenig erfolgreicher Sportzweig nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten durch eine rigide Struktur und massive politische Förderung »eine wahre Renaissance« erlebte.27 Vor allem Rennen innerhalb der deutschen Grenzen wurden ausgebaut und popularisiert, nicht zuletzt durch eine massive Beteiligung der SA. Präsident des nunmehr zentralistisch organisierten Österreichischen Radfahrer-Bundes28 war zunächst Eduard Reininger, ein Pionier des Radsports, Fahrradmechaniker und früh schon Funktionär des NÖ Radfahrerverbandes29. Als Leitungsmitglied wurde ihm Othmar Hassenberger, der Pressereferent der Turnund Sportfront, zur Seite gestellt. Zusätzlich abgesichert wurde die Kontrolle dadurch, dass die Turn- und Sportfront Hermann Wraschtil als »Referenten für Radfahren« installierte,30 mit dem sich Reininger stets akkordieren musste. Ab dem Jänner 1935 war der Uhrmacher Carl E. Schlesinger, Turner, Leichtathlet und Radsportler, der ebenfalls vom niederösterreichischen Verband kam, Nachfolger von Reininger.31 1933 schuf man mit der »Fernfahrt Rund um Niederösterreich« einen ersten publikumswirksamen Bewerb. Dieser war auf vier Rennen zwischen Anfang Mai und Mitte Juli aufgeteilt, deren Ergebnisse addiert wurden. Die Veranstaltung wurde vom NÖ. Radfahrverband, der eine führende Position im nationalen Radsport übernahm,32 ausgeschrieben und vom Semperit-Werk organisiert. »Unsre Sportkreise müssen es der Semperit A.-G. danken, daß diese heimische Gummifabrik durch die Tragung der Gesamtkosten […] es überhaupt ermöglicht hat, daß Oesterreich zu diesem großen Etappenrennen kommt.«33 Die Rundfahrt des Jahres 1934 führte bereits durch fünf Bundesländer, war mit 937 Kilometern nur unwesentlich länger, aber deutlich schwieriger. Medienpräsenz und BesucherInnenzahlen bestätigen, dass »diese Veranstaltung einen vollen Erfolg zu erzielen vermochte. Wenn heute Oesterreichs Straßenrennfahrer in ihrem Können eine ganz gewaltige Steigerung aufzuweisen vermögen, so ist dies einzig und allein auf das Semperit-Rennen zurückzuführen.«34 1935 führte

27 Vaupel, Selbstgleichschaltung, 18. 28 Albert Titsch, Die Regeln des Radsports, in: Othmar Hassenberger (Red.), KörpersportJahrbuch 1934. Das Jahrbuch der Aktiven von einst und jetzt. Offizielles Jahrbuch des Österr. Hauptverbandes für Körpersport (Olympisches Comité für Österreich). 3. Jahrgang, Wien 1934, 124–127. 29 Der Radfahrer, 15. 8. 1934, 6. 30 Der Radfahrer, 25. 1. 1935, 6. 31 Sport-Tagblatt, 21. 1. 1935, 7. 32 Der Radfahrer, 25. 1. 1935, 13. 33 Sport-Tagblatt, 4. 5. 1933, 6. 34 Der Radfahrer, 18. 7. 1934, 6.

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das Rennen – über mehrere Wochen verteilt – in acht Etappen über insgesamt 1.650 Kilometer.

Abb. 13: Start zum Semperit-Rennen am Wiener Heldenplatz. Bild: Der Radfahrer, 31. 5. 1935

Nach einer Absage im Jahr 1936 kam es erst 1937 zur vierten Auflage: »Das Semperit-Rennen hat dem österreichischen Straßenrennsport, der zum Verdorren verurteilt schien, neue Impulse gegeben. Nachdem die großen österreichischen Rennfahrer der Vor- und unmittelbaren Nachkriegszeit die Renntrikots ausgezogen hatten […], schien es, als ob sie ohne Nachfolger bleiben sollten. Die Vereinsrennen und die wenigen Verbandsveranstaltungen boten der jungen Radfahrergeneration zu wenig Anreiz.«35 Auch auf der Bahn versuchte das Regime den Radsport zu fördern, indem auf der im Zuge der Arbeiter-Olympiade errichteten und ab dem Herbst 1931 auch 35 Der Radfahrer, 30. 6. 1937, 2.

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vom bürgerlichen Sport genutzten Stadionrennbahn ein »Großer Preis von Europa«36 veranstaltet wurde. Das sei »das größte Radrennen seit dem Jahre 1897, in dem auf der damals weltberühmten alten Praterbahn die Weltmeisterschaft durchgeführt wurde […] Die schnellsten Fahrer der Welt werden in Wien zu sehen sein, die Meister von sieben Ländern werden erwartet.«37 Als Veranstalter trat der »Wiener Sportklub« auf, aus Österreich nahmen neben Franz Dusika und August Schaffer auch die »beiden ehemaligen Arbö-Fahrer [!] Mohr und Schmaderer« teil.38 Sieger im Hauptrennen wurde Franz Dusika. 1935 wurde die Veranstaltung im kleineren Maßstab wiederholt, indem im Hauptrennen nur mehr fünf Ausländer und fünf Mitglieder der österreichischen Nationalmannschaft startberechtigt waren. Sieger wurde vor 8.000 ZuschauerInnen abermals Dusika. 1936 fiel das Rennen mangels Unterstützung seitens der (Rad-)Industrie aus, für 1937 gab es bereits umfangreiche Planungen, letztlich kam es aber wieder nicht zustande. Der Aufwärtstrend im Radsport wurde von den Medien meist sehr positiv kommentiert. Es ist zu vermuten, dass dies zumindest zum Teil dem Zugriff des Regimes, von der Vorzensur über die Einrichtung einer Pressekammer bis zur staatlichen Aktienmehrheit an etlichen Verlagen,39 geschuldet war. In den Publikationen der Turn- und Sportfront jedenfalls wurde die Entwicklung geradezu euphorisch präsentiert. So habe sich die »Semperit-Rundfahrt« zu »einem ganz Oesterreich umfassenden, gigantischen Radrennen entwickelt (…), welches Monate hindurch die an dem Radsport interessierten Kreise in Atem hielt. Die besten Straßenfahrer Oesterreichs lieferten sich in diesem Rennen gigantische Kämpfe« und hätten »kolossale Fortschritte« gemacht, sodass sie »immer mehr an die internationale Klasse herankommen«.40 Aber auch die Rennen auf der Bahn hätten »Glanztag[e]« des Radsports bedeutet. Doch selbst die Turn- und Sportfront musste spätestens 1937 eine gewisse Stagnation konstatieren: Wurde das Programm der Straßenrennen deutlich weniger enthusiastisch geschildert und eher auf den »Fleiß« der Fahrer denn auf spektakuläre Leistungen hingewiesen, musste man bezüglich des Bahnsportes überhaupt zugestehen, die Lage habe sich »bedenklich verschlechtert und der Ausblick für die Zukunft ist ein trüber […] Wie eine Ironie mutet es an, daß diese unglückliche Konstellation im Bahnrennsport gerade in eine Zeit der geschäftlichen Hochkonjunktur der 36 37 38 39

Kurt Jeschko, Sport in Wien, Wien 1969, 76. Neues Wiener Journal, 16. 5. 1934, 12. Die Stunde, 27. 5. 1934, 6. Karin Moser, »Mit Rücksicht auf die Notwendigkeiten des Staates…« – Autoritäre Propaganda und mediale Repression im austrofaschistischen »Ständestaat«, in: Matthias Karmasin/Christian Oggolder (Hg.), Österreichische Mediengeschichte. Band 2: Von Massenmedien zu sozialen Medien (1918 bis heute), Wiesbaden 2019, 37–59, 43–44. 40 Hassenberger, Jahrbuch 1933, 153.

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Fahrradindustrie fällt […] Die Industrie ist vielfach desinteressiert an Bahnrennen, sie macht ihre Geschäfte auch ohne die Reklame solcher Veranstaltungen.«41 Konnten die Semperit-Rennen sukzessive als nationale Hauptereignisse der Straßensaison bei den Radamateuren aufgebaut werden, so suggerierten die Bahnrennen nur kurzfristig eine zumindest europäische Bedeutung des nationalen Radsports. Doch internationale Erfolge stellten sich kaum ein und auch im Profirennsport stand Max Bulla allein auf weiter Flur. Etwa zehn österreichische Fahrer versuchten sich während der 1930er-Jahre als Berufsfahrer, zunächst die Wiener Karl Thallinger, Walter Cap und der in Amsterdam lebende Karl Dunder, später auch Wilhelm Wudernitz und die Tiroler Johann Mayr und Albert Oblinger. Als jedoch der Veranstalter der Tour de France wegen der Teilnahme eines österreichischen Teams beim ÖRB anfragte, bekam er eine abschlägige Antwort: »Oesterreich besitzt zur Zeit 5 Berufs-Straßenfahrer und zwar Bulla, Dunder, Thallinger, Mayer und Oblinger. Außer Bulla und vielleicht Thallinger sind die übrigen den Strapazen einer Tour de France kaum gewachsen.«42 Generell konnten österreichische Fahrer international kaum reüssieren: 1932 wurde überhaupt kein Teilnehmer zu den Sommerspielen nach Los Angeles geschickt. 1936 trat zwar ein zwölfköpfiges Team in Berlin an, der neunte Rang von Dusika/Mohr im Tandemrennen und Platz fünf bei der Mannschaftsverfolgung waren aber nicht mehr als Achtungserfolge. Auch die ausbleibenden Erfolge bei den Straßen- und Bahn-Weltmeisterschaften der UCI zeigten die eklatanten Leistungsunterschiede zur internationalen Spitze auf. Nach dem positiven Auftritt Dusikas 1932 in Rom sollte die WM in Leipzig im August 1934 österreichische Erfolge bringen: Es wurde ein Team zusammengestellt und die Medien brachten große Vorberichte,43 ehe »den vom Oesterreichischen Radfahrerbund gemeldeten acht Fahrern die Beteiligung an den Weltmeisterschaften von Seiten des Obersten Sportführers für Oesterreich nicht gestattet« wurde.44 Von offizieller Seite hieß es, dass es »die politischen Verhältnisse […] mit sich [brachten], daß den österreichischen Vertretern die Starterlaubnis nicht erteilt werden konnte«.45 Bei den Bahn-Weltmeisterschaften gab es gleichfalls keine herausragenden Platzierungen: So erreichte Eugen Sehnalek 1935 in Belgien den siebenten Rang, 1936 wurde Oskar Augusti in Bern 17. und 1937 in Kopenhagen konnte Lothar Sztrakati Platz elf belegen.

41 Othmar Hassenberger (Red.), Österreichisches Sport-Jahrbuch. Handbuch für Sport und Turnen 1937. Amtliches Jahrbuch der Österreichischen Sport- und Turnfront, Wien 1937, 112. 42 Der Radfahrer, 31. 3. 1936, 4. 43 Der Radfahrer, 31. 7. 1934, 3. 44 Sport-Tagblatt, 11. 8. 1934, 5. 45 Hassenberger, Sport-Jahrbuch 1933, 154.

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Ein wichtiger Gradmesser sollte im Herbst 1937 das erstmals seit 1912 wieder ausgetragene Rennen Mailand – München werden: »Der Plan, das traditionelle Radrennen Mailand-München wieder aufleben zu lassen, wurde gelegentlich der Olympischen Spiele 1936 in Berlin von den Radsportdelegierten Deutschlands, Italiens und Oesterreichs in Erwägung gezogen. Dieses große Rennen sollte die Sportkameradschaft dieser drei Länder deutlich aufzeigen.«46 Auch wenn die Veranstaltung als »Symbol par excellence einer innigen ›Achsen‹-Verbundenheit im Radsport« gedacht war,47 gab es schon im Vorfeld etliche Probleme: Zunächst als gemeinsame Veranstaltung der drei Nationalverbände geplant und offen für Amateure und Profis, wurde es schließlich vom Deutschen Verband allein organisiert und nur für Amateure ausgeschrieben, deren Zahl man schließlich auf acht pro Nation beschränkte. Kurz vor dem geplanten Termin Mitte Juli wurde das Rennen, angeblich wegen einer konkurrierenden Veranstaltung in München, kurzfristig auf Mitte September verschoben. Nachdem Mussolini einen Ehrenpreis für den schnellsten Fahrer und Hitler einen Preis für die erfolgreichste Nation gewidmet hatte, musste auch Bundeskanzler Schuschnigg »einen wertvollen Ehrenpreis« zur Verfügung stellen, »und zwar für den Sieger der zweiten Etappe, die in Innsbruck endet«.48 Die italienischen Fahrer dominierten das Rennen, auch wenn in den Medien von einem ausgezeichneten Abschneiden der Österreicher zu lesen war. Lothar Sztrakaty konnte beim Sieg des Italieners Menapace immerhin Platz fünf belegen. Sztrakaty, Mohr, Kühn, Hamedl, Schmaderer oder Altmann: Das waren Radfahrer, die mit beschränktem Equipment und mangelnder finanzieller Unterstützung Hervorragendes leisteten. Die wenigen Profis wie Cap, Dunder oder Thallinger wiederum konnten den Durchbruch auf internationalen Bühnen nicht realisieren. Was im österreichischen Radsport der 1930er-Jahre also fehlte, waren Heldenfiguren, die von der Industrie vermarktet und auch in den Medien inszeniert werden konnten. Zwei Radsporthelden hat Österreich in dieser Zeit dennoch hervorgebracht: Max Bulla und Franz Dusika. Bulla freilich, der schon 1926 Professional geworden war, war kein Held zum Angreifen, denn von seinen enormen Erfolgen erfuhr man nur via Medien: Sieger bei Marseille – Lyon, Etappensieger bei der Deutschland-Rundfahrt und der Meisterschaft von Zürich 1931, drei Etappensiege bei der Tour de France, Gewinner der ersten Tour de Suisse 1933 und zwei Etappensiege bei der spanischen Vuelta 1935 waren einige der herausragenden Resultate. Von den Radsportinteressierten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, fehlte Bulla für einen Helden der »Massen« 46 Der Radfahrer, 30. 9. 1937, 2. 47 Harald Oelrich, Sportgeltung, Weltgeltung: Sport im Spannungsfeld der deutsch-italienischen Außenpolitik von 1918 bis 1945, Berlin/Hamburg/Münster 2003, 367. 48 Sport-Tagblatt, 11. 9. 1937, 1.

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Abb. 14: Max Bulla führt bei 45 Grad das Feld der Tour de France 1931 an. Bild: Nachlass Max Bulla

einfach der Augenschein persönlicher Präsenz.49 Bei Franz Dusika wiederum reduzierte sich die Präsenz auf die Radrennbahn und er blieb Amateur, was ihm – auf andere Weise – nur ein beschränktes Publikumsinteresse bescherte. Zwar konnte er zwischen 1933 und 1937 zehn österreichische Meistertitel erringen und er betätigte sich schon in den 1930ern als geschickter Selbstvermarkter, war journalistisch tätig und mit seinem Radgeschäft stets präsent. Doch fehlten ihm, abgesehen von fünf Siegen bei »Großen Preisen« (Kopenhagen und Zürich 1934, Deutschland, Großbritannien sowie der Große Preis von Europa in Wien 1935) und einigen Erfolgen bei Bahnrennen in Paris die großen Erfolge bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen – mit einer Ausnahme, dem nachträglich zuerkannten dritten Platz bei der Bahn-WM 1932 in Rom.

49 Matthias Marschik, Der »Steher«. Max Bulla und das gelbe Trikot, in: Bernhard Hachleitner/ Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Michael Zappe (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013, 104–105.

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Der Radsport konnte in der Phase der NS-Herrschaft in Österreich im Vergleich zum Fußball, dem Skisport oder dem Eiskunstlauf als den österreichischen Paradesportarten nur eine geringe mediale und öffentliche Präsenz erreichen. Das wird auch evident im Vergleich zu den Sportarten, die vom NS-Regime besonders propagiert wurden, dem Boxsport, der in der »Ostmark« an Popularität massiv zulegte, und dem Turnen, das in den verschiedenen Organisationen (SS, SA, KdF, Polizei, Wehrmacht) breit betrieben wurde. Der Radsport blieb deutlich zurück, auch wenn die Großereignisse in den Medien in großer Aufmachung vorkamen. Die Zweitrangigkeit des Radsports in der Ersten Republik und im Austrofaschismus sowie das Fehlen großer »ostmärkischer« Radstars sind dafür wichtige, aber möglicherweise nicht hinlängliche Erklärungen. Ein gutes Exempel bietet die – retrospektiv gesehen1 – größte Radsport-Veranstaltung im nationalsozialistischen Österreich, die »Großdeutschlandfahrt« im Juni 1939. Sie sollte – als längste Rundfahrt der Welt mit einer Läge von 5.000 Kilometern – zur bedeutendsten Sportveranstaltung der Straßensaison werden.2 Ausgetragen wurde sie vom 1. bis 24. Juni 1939 mit Start und Ziel in Berlin. Für drei Tage gastierte das Rennen in Österreich: Am 9. Juni war Wien Etappenziel, dann ging es, nach einem Ruhetag, am 11. Juni von Wien nach Graz, am Tag darauf von Graz nach Salzburg. Schon ab dem Jahresbeginn 1939 überboten sich die Medien in Vorberichten vom »größten Straßenrennen der Welt«,3 1 Es waren noch weit größere Veranstaltungen geplant. So gab es im Sommer 1940 Konzepte, Olympische Spiele permanent im Deutschen Reich abzuhalten und ein neues »Sport-Europa« zu schaffen. Speziell im Motor-, Fecht- und eben im Radsport sollte eine deutsche Vorherrschaft in den internationalen Verbänden begründet und durch Monsterbewerbe untermauert werden; Hans Joachim Teichler, Die sportlichen Rivalitäten der Achsenmächte: Cortina d’Ampezzo und Garmisch-Partenkirchen 1941, in: Sport und Faschismen/Sport e fascismi. Geschichte und Region/Storia e regione 13 (2004) 1, 95–124, 105. 2 Hans Joachim Teichler, Internationale Sportpolitik im Dritten Reich, Schorndorf 1991, 352; Dieter Vaupel, Von Selbstgleichschaltung und Deutschlandfahrt. Radsport im Dienste des NSSystems, in: SportZeiten 22 (2022) 2, 7–30, 26. 3 Neues Wiener Tagblatt, 5. 4. 1939, 21.

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die Einbeziehung der »Ostmark« wurde extra betont, ein großer Empfang war geplant. Doch war das Wochenende vom 9. bis 11. Juni in Wien ein sportlicher »Großkampftag«, insofern lassen sich Präferenzen des Publikums erahnen: Der Zustrom zum Höhenstraßenrennen der Automobile und Motorräder wurde auf rund 120.000 bis 150.000 ZuschauerInnen geschätzt,4 im Praterstadion fanden sich 20.000 bis 25.000 BesucherInnen zum »Auswahlkampf der Gaue« im Fußball zwischen der »Ostmark« und Schlesien ein. Und das Galopperderby fand vor glänzender Kulisse statt. Bei der Zieleinfahrt der Radprofis in Schönbrunn war dagegen von »vielen hundert« oder »einigen tausend« Zuschauern die Rede, obwohl SA und NSKK ebenso wie »alle Radkampfsportler Wiens« zur Anwesenheit aufgefordert worden waren.5 Auch die Politprominenz glänzte eher durch Abwesenheit: Gauleiter Bürckel beehrte keines der Sportereignisse, sondern die gleichzeitig stattfindende Reichstheaterfestwoche. Dort war auch Wiens Bürgermeister Neubacher zu Gast, der davor das Derby besuchte. Lediglich der sportaffine Vizebürgermeister Kozich war außer beim Derby und auf der Höhenstraße auch beim Zieleinlauf der »Deutschlandfahrt« zugegen. Deren geringen Stellenwert verdeutlichte, dass der Appell der Veranstalter um finanzielle Unterstützung bei Reichsstatthalter Bürckel trotz etlicher Schreiben und persönlichen Kontaktnahmen auf taube Ohren gestoßen war.6 Über die weiteren »Ostmark«-Etappen von Wien nach Graz und weiter nach Salzburg gab es in den Zeitungen nur kurze Berichte und keinerlei Reportagen von den Zielankünften. Es scheint also weder große Inszenierungen noch massenhaftes Publikum gegeben zu haben. Dennoch darf nicht auf ein generelles Radsportdesinteresse in der »Ostmark« rückgeschlossen werden. Denn im Gegensatz zur halbherzigen Tourberichterstattung wurden die kommenden Lokalereignisse im Radsport prominent erwähnt: So schrieb der »Völkische Beobachter«: »Nachdem die ›Großdeutschlandfahrt 1939‹ die Grenzen der Ostmark verlassen hat, kann der Radsport mehr lokaler Bedeutung wieder in seine Rechte treten [sic].«7 Die distanzierte Rezeption der Deutschlandfahrt dürfte eher der Wiener Resistenz gegen das »Altreich« geschuldet gewesen sein, wie sie sich gerade im Sport massiv Ausdruck verschaffte.8 In der Folge soll daher überblicksartig die organisatorische Basis des 4 Matthias Marschik, Das Röhren der Moderne. Ein Wiener Umweg zur Vollmotorisierung, in: Dérive. Zeitschrift für Stadtforschung 87 (2022), 25–31. 5 Matthias Marschik, Die »Radkampfsportler« sind da. Die Großdeutschlandfahrt in Wien, in: Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Michael Zappe (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013, 112–115. 6 ÖStA/AdR/Bürckel Mat./Kt. 187/2958-2. 7 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 13. 6. 1939, 13. 8 Marschik, Radkampfsportler, 114.

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Abb. 15: Plakat der Zeitschrift »Der Deutsche Radfahrer« zur Großdeutschlandfahrt 1939. Bild: Archiv Michael Zappe

Radsportes im NS-Deutschland den radsportlichen Praxen in der »Ostmark« gegenübergestellt werden: Dabei soll es einerseits um die Bedeutung und Rezeption des internationalen Geschehens gehen, andererseits um den lokalen und regionalen Radsport.

Strukturen des Radsports in Österreich 1938–1945 Die grundsätzliche Intention des NS-Sports bestand darin, Leibesübungen, Turnen und Sport – als wichtige Bereiche der Massen- und Alltagskultur – zu kontrollieren und im Sinne einer politischen und weltanschaulichen Instru-

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mentalisierung und Militarisierung für ihre Zwecke zu nutzen.9 Die konkreten Sportpraxen und ihre Rezeption wichen davon jedoch oft erheblich ab.10 Im Deutschen Reich war der zerstrittene deutsche Sport unter Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten im Frühjahr 1933 zu einem Reichsführerring zusammengefasst worden, der im Jänner 1934 in einen 21 Fachämter umfassenden »Deutschen Reichsbund für Leibesübungen« (DRL) umgewandelt wurde.11 Die Deutsche Turnerschaft, der Arbeiter-Turn- und Sportbund, die konfessionellen Sportorganisationen, wurden mit der Zeit zerschlagen, Juden und Jüdinnen sukzessive aus dem Sporttreiben ausgeschlossen. Dennoch hörten Unstimmigkeiten und Kompetenzfragen nicht auf. Zum einen verblieben der Luft-, Kraftfahr-, Pferde- und Schulsport12 außerhalb des DRL, zum anderen wurden weite Teile der sportlichen Ertüchtigung von SA, KdF, HJ und BDM, NSKK, RAD und schließlich auch der SS verwaltet. Im Dezember 1938 wandelte Tschammer den DRL in den »Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen« (NSRL), also in eine von der NSDAP betreute Organisation, um. Bis 1933 existierten im deutschen Radsport drei unterschiedliche Verbände: Dem zentral organisierten »Bund Deutscher Radfahrer«, dem sich auch der »Verband der Berufsfahrer« angeschlossen hatte, stand eine lose und regional strukturierte »Vereinigung der deutschen Radsport-Verbände« gegenüber, ein lockerer Zusammenschluss einer heterogenen Szene von fast 30 regional organisierten bürgerlichen und etlichen konfessionellen Radverbänden. Die dritte, mit rund 400.000 Mitgliedern zahlenmäßig weitaus stärkste, Vertretung war der sozialdemokratische »Rad- und Kraftfahrerbund«. Diese Struktur wurde schon vor dem Sommer 1933 fast völlig zerschlagen und nach einer kurzen Übergangsfrist und trotz etlicher Querelen ab 1. Jänner 1934 zum »Deutschen Radfahrer Verband« (DRV) zusammengefasst.13 Das geschah unter weitgehender Ausgrenzung der Arbeiterradfahrer14, einer zunehmenden Ausschaltung jüdischer SportlerInnen und zugleich einer Nationalisierung des Radsports, indem ausländischen Fahrern die Teilnahme an deutschen Veranstaltungen massiv 9 Michael Krüger, Leibesübungen, Gymnastik, Turnen, Spiel und Sport zur Zeit der Weimarer Republik, in: Michael Krüger/Hans Langenfeld (Hg.), Handbuch Sportgeschichte, Schorndorf 2010, 199–209, 207. 10 Matthias Marschik, Between Manipulation and Resistance: Viennese Football in the Nazi Era, in: Journal of Contemporary History 34 (1999) 2, 215–229. 11 Hajo Bernett, Der Weg des Sports in die nationalsozialistische Diktatur, Schorndorf 1983, 7– 23. 12 Rudolf Müllner, Die Mobilisierung der Körper. Der Schul- und Hochschulsport im nationalsozialistischen Österreich, Wien 1993. 13 Vaupel, Selbstgleichschaltung, 8–13. 14 Obwohl es vereinzelt Arbeiterradfahrerinnen gab, verwenden wir hier und in der Folge die männliche Form, da ansonsten ein massives Ungleichgewicht bezüglich eines männlich konnotierten Radsports verschleiert würde.

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erschwert wurde. Festgehalten wurde hingegen am Profiradsport. SA und später auch SS übernahmen organisatorische Aufgaben.15 Die Führung des DRV wurde zunächst von eher radsportaffinen Verbandsführern wahrgenommen, ehe 1938 der fanatische Nationalsozialist und SS-Oberführer Viktor Brack die Leitung übernahm, der zugleich die Führung im Berufsverband des deutschen Radsports und im Fachamt Radsport des NSRL innehatte, also alle Leitungsfunktionen im Amateur- und Berufsradsport bekleidete.16 Speziell dem Radsport wurde die Erziehung der männlichen Jugend zugeschrieben: Er habe bewiesen, dass er »wahrhafte, wehrhafte Männer« heranbilden könne, die »im Kampfsport erprobt, im Kampf gestählt« seien. Etwas holprig erklärte der »Deutsche Radsport Verband«: »Der hohe Wert des Radfahrens liegt darin, daß durch das Treten und Vorwärtsbewegungen der Maschine der Kampfescharakter erweckt wird.«17 Der Fokus auf das Kampfelement war wohl mit ein Grund, analog dem Boxen auch im Radsport den Professionalismus aufrechtzuerhalten, konnte er diese angeblich deutschen Tugenden doch exemplarisch vorführen, wenn er nur betont national inszeniert wurde.18 Trotz einer grundsätzlich ambivalenten Haltung zum Berufssport wurden Profirennen massiv gefördert, nicht zuletzt durch eine intensive Einbindung der deutschen Radindustrie, die sich durch das Sponsoring große Gewinne erhoffte, zumal alle Profis ausschließlich deutsches Material verwenden mussten, dafür aber bei den Firmen angestellt wurden. Die erfolgreichsten Fahrer wurden in den Medien zu Helden stilisiert.19 Erst im Oktober 1944 wurden im Deutschen Reich Profisport und berufssportliche Veranstaltungen verboten. Die österreichischen Gaue wurden am 13. April 1938 als Sportbereich XVII dem DRL eingegliedert. Das jüdische Sporttreiben wurde umgehend und radikal eliminiert. Gegenüber den »Volksgenossen« hingegen sollte Milde walten: Bürgermeister Neubacher hatte eine Generalamnestie für alle Radsportler erlassen, die aufgrund von Profivergehen gesperrt worden waren. Noch am 31. März wurde das Verbot von Auslandsstarts für rund zehn Straßenfahrer aufgehoben; schwieriger gestaltete sich eine etwaige Reaktivierung Dusikas, da es ja der Deutsche Verband gewesen war, der seine Sperre erwirkt hatte.20 Wie im »Altreich« wurden die Sportarten Radfahren, Reiten, Fliegen und Boxen auf professioneller Basis weitergeführt, weil sie dazu dienen sollten, 15 Frank Schwalm, Der Kölner Radsport in der NS-Zeit, in: Ansgar Molzberger/Stephan Wassong/Gabi Langen (Hg.), Siegen für den Führer. Der Kölner Sport in der NS-Zeit, Köln 2015, 220–241, 224–227. 16 Vaupel, Selbstgleichschaltung, 17–18. 17 Zit. n. ebd., 9. 18 Ebd., 12. 19 Ebd., 22. 20 Neues Wiener Tagblatt, 1.4.38, 5.

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Deutschland internationale Reputation zu verschaffen. Deshalb gehörte der Radsport zunächst auch in Österreich zur »Mitgliedsgruppe B«, den sogenannten »Anschlussverbänden«.21 Der gesamte Vereinssport in Österreich wurde organisatorisch umgestaltet, auf das Führerprinzip umgestellt, zudem unterlagen alle Vereine der Kontrolle – und eventuell auch Auflösung – durch den Stillhaltekommissar.22 Nach dem »Anschluss« sollten auch in Österreich die heterogenen Sportpraxen unter der »Doktrin der politischen Leibeserziehung« dem »nationalsozialistischen Primat« untergeordnet werden.23 Durch den Sport – und gerade auch mittels Auto-, Flug- und des von Industrie und Tourismuswirtschaft geförderten Radsports – sollte den »ehemaligen« Österreicherinnen und Österreichern die Größe und Bedeutung der neuen Heimat aufgezeigt werden.24 Anfangs gab es zahlreiche Versprechungen Tschammers hinsichtlich des radsportlichen Aufund Ausbaus, von der Radsporthalle und der Umgestaltung des Praters in einen Radfahrerpark bis zur sportlichen Aufwertung Innsbrucks zum Zentrum der Bergsteiger, Skifahrer und Radsportler.25 Eine Radfahr-Euphorie sollte ausgelöst werden, die Radindustrie höhere Umsätze erwirtschaften. Vieles davon blieb leeres Versprechen.26 Mit der Überführung in den NSRL im Dezember 1938 fand sich der Radsport unter nunmehr 21 Fachverbänden. Gaufachwart für Radfahren war der schon vor 1938 im Radsportverband tätige Josef Aschenbrenner, nach seiner Einrückung der Ex-Rennfahrer Hans Oberst.27 Einen wichtigen Einfluss auf den Radsport in der »Ostmark« hatte Franz Dusika.28 Der erfolgreiche Radfahrer und Radhändler engagierte sich schon ab 1928 als Organisator von Radrennen, ab Mai 1936 war er Berichterstatter der Zeitschrift »Österreichischer Radsport« (ab November 1938 »Illustrierter Radsport« und ab Dezember 1938 »Ostmark-Radsport«),29 ab Fe21 Hajo Bernett, Die nationalsozialistische Sportführung und der Berufssport, in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 4 (1990) 1, 7–33, 13 und 33. 22 Wolfgang Witzelsperger, Der »Anschluss« 1938 – und seine Auswirkungen auf den Sport in Österreich, Diplomarbeit Universität Wien 1996, 74–83. 23 Matthias Marschik, Sportdiktatur. Bewegungskulturen im nationalsozialistischen Österreich, Wien 2008, 162–163. 24 Ebd., 157–160. 25 Neueste Zeitung (Innsbruck), 14. 6. 1938, 5. 26 Rudolf Müllner, Mobilitätsversprechen und »Verkehrsgemeinschaft«. Alltagsradfahren im Nationalsozialismus, in: Hachleitner et al., Motor, 108–111. 27 Othmar Hassenberger (Red.), Sport-Taschenbuch der Ostmark. Unter Mitwirkung der Sportbereichsführung Ostmark des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen. Ausgabe 1940/41, Wien 1940, 21. 28 Peter Autengruber, 22., Dusikagasse, benannt seit 1993 nach Franz Dusika (* 31. 03. 1908, † 12. 02. 1984), in: Peter Autengruber (Hg.), Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung – Herkunft – Frühere Bezeichnungen, Wien 1997. 29 Österreichischer Radsport, Februar 1937, 2.

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bruar 1937 deren Schriftleiter. Ab 1934 stand Dusika dem Nationalsozialismus nahe, ab März 1938 war er auch in der SA aktiv.30 Er schrieb überschwänglich im Sinne der Ideale des Regimes und rechnete mit den Radsportfunktionären des »Ständestaates«, besonders mit dem »Judenmischling«31 und ÖRB-Präsident Carl Schlesinger, ab. Im »Ostmark-Radsport« wurde mit Huldigungen an den Reichssportführer und den »Führer« regelmäßig nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet.

Abb. 16: Max Bulla auf dem Cover des »Ostmark-Radsport«, August 1940. Bild: Nachlass Max Bulla

30 Johannes Hochsteger, Biographische Studie zu österreichischen Sportidolen von 1933–1945, Diplomarbeit Universität Wien 2014, 107. 31 Österreichischer Radsport, April 1938, 16. (Siehe dazu Biografie von Franz Dusika in diesem Band).

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Radsport-Nation Deutschland Erfolge im internationalen Radsport sollten die Größe und Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches demonstrieren. Doch war die Zahl der Bewerbe begrenzt, denn ab Kriegsbeginn fanden weder Weltmeisterschaften noch große Rundfahrten statt: Die Tour de France setzte von 1940–1946 aus, der Giro d’Italia von 1941–1945 und die Vuelta a España von 1943–1944. Die Aufrechterhaltung des Sportverkehrs mit neutralen Ländern gelang nur zum Teil. Meist beschränkten sich die Kontakte auf spektakuläre Einzelaktionen wie die Entsendung der deutschen Berufsradfahrer Gustav Kilian und Heinz Vopel in die USA. Die wenigen »›internationalen‹ Begegnungen […] resultierten aus Auftritten ausländischer Berufssportler […], die sich die guten Verdienstmöglichkeiten im Reich nicht entgehen ließen«.32 Die radsportliche Werbung für das Regime in den Jahren 1938/39 blieb auf große nationale Veranstaltungen wie die Deutschlandrundfahrten oder das »Deutsche Turn- und Sportfest« in Breslau im Juli 1938 beschränkt. Unmittelbar nach dem »Anschluss« bestand die »nationale« Botschaft des Radsports primär in Jubelmeldungen und der Mitwirkung an der Abstimmungspropaganda: So dankte der Radfahrverband für Tirol und Vorarlberg für die »Gottesgnade [!]« der Rückkehr Österreichs zur »Allmutter Germania«, denn »arisch war unser Denken, arisch unser Sport«33 und viele Radsportler waren als politische Propagandisten aktiv, sei es bei Parteiveranstaltungen oder im Rahmen eigener Werbefahrten. Speziell sollte der Radsport den neuen ReichsbürgerInnen die Größe und Bedeutung Deutschlands demonstrieren. Großveranstaltungen in verschiedensten Sportgattungen bezogen im Sommer 1938 gezielt das »ostmärkische« Territorium mit ein und sollten als Werbeveranstaltungen für das neue große »Heimatland« dienen. So wurde die »Deutschlandfahrt der Radsportler« über das Gebiet der »Ostmark« geführt, um primär einen Eindruck der neuen Größe Deutschlands zu vermitteln. 62 Berufsfahrer aus sieben Ländern nahmen Mitte Juni die über 4.000 Kilometer lange Strecke in Angriff, unter ihnen die Wiener Max Bulla und Wilhelm Wudernitz. Ersterer gab auf der 3. Etappe auf, Zweiterer spielte eine untergeordnete Rolle. Dennoch wurde berichtet, dass dem Rundfahrt-Tross im Westen »Österreichs«, besonders in Vorarlberg, am Arlberg und beim Ziel in Innsbruck von einer begeisterten Menge zugejubelt wurde. Bei einem Empfang präsentierten sich die Fichtel & Sachs-Werke als Förderer des Radsportes und die Stadt Innsbruck als Sportmetropole.34 32 Hans Joachim Teichler, Internationale Sportpolitik im Dritten Reich, Schorndorf 1991, 278. 33 Vorarlberger Tagblatt, 18. 3. 1938, 7. 34 Neueste Zeitung, 15. 6. 1938, 5; Steyrer Zeitung, 21. 6. 1938, 6.

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Im September 1938 fand auch in Wien ein internationales Radrennen, das »Semperit-Criterium«, statt. Ausrichter war die SA-Brigade 90 gemeinsam mit der Radfahrsektion des Wiener Sportklubs, die Organisation übernahm Franz Dusika. Neben dem Hauptbewerb, der über 50 Runden um das Rathaus führte und bei dem auch einige Fahrer aus Italien und aus der Schweiz teilnahmen, gab es Geschicklichkeitsrennen für SA-Stafetten und unter dem Titel »Jugend voran« einen Bewerb für die Hitlerjugend-Auswahlkämpfer und Junioren.35

Abb. 17: Franz Dusika in der Uniform eines SA-Obertruppführers vor dem Wiener Rathaus. Bild: Archiv Michael Zappe

Weit umfangreicher als die Rundfahrt 1938 wurde in der »Ostmark« die Großdeutschlandfahrt 1939 beworben: »Mit der Heimkehr der Ostmark und der Rückgliederung des Sudetengaues wurden aber auch die Voraussetzungen für die Deutschlandfahrt 1939 wesentlich verschoben – aus der Deutschlandfahrt war die Großdeutschlandfahrt geworden! 5.000 Kilometer sind es nun, welche die Giganten der Landstraße im Kampfe um die Preise der Zeitungen hinter sich zu bringen haben, eine Strecke, die in knapp 20 Fahrtagen zurückzulegen ist! Dieses größte Radrennen Europas und gleichzeitig auch das größte Radrennen der Welt wird […] zu einer Triumphfahrt werden«.36 Dieses Ziel wurde – nicht zuletzt wegen einer zweitklassigen ausländischen Beteiligung – nur zum Teil erreicht. Statt der ursprünglich angekündigten 175 35 Illustrierte Kronen-Zeitung, 19. 9. 1938, 13. 36 Das Kleine Volksblatt, 26. 5. 1939, 11.

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nahmen nur 68 Fahrer aus sieben Nationen, und zwar ausschließlich Professionals, an der Tour teil. Der Start erfolgte am 1. Juni in Berlin, vom 9. bis 12. Juni gastierte das Rennen in der »Ostmark«37, danach führte die Stecke weiter in den »Sudetengau«. Mit Lothar Sztrakati befand sich nur ein – relativ chancenloser – Teilnehmer aus der »Ostmark« im Feld.38 Die Medien, allen voran der »Reichssender Wien«, berichteten euphorisch über das Rennen. Und es fehlte auch nicht an nationalsozialistischer Inszenierung: Sowohl der Zieleinlauf in Schönbrunn als auch der »Adolf-Hitler-Platz« vor dem Wiener Rathaus waren über und über mit deutschen Adlern und Hakenkreuzfahnen (und einigen Wappen der Stadt Wien) geschmückt. Die ZuseherInnen freilich ignorierten das Radrennen weitgehend. Nur noch selten, zum Beispiel im August 1940, stand internationaler Radsport im Mittelpunkt des Wiener Sportinteresses. Zehntausende säumten die Straßen der Innenstadt beim Schaffer–Dusika-Rundstreckenrennen, das einige internationale Stars – vor allem aus Italien – nach Wien brachte, wobei als Attraktion auch ein Tandemrennen geboten wurde, bei dem am Hintersitz prominente Wiener Fußballer wie Sesta, Binder oder Pesser zu finden waren.39 Im Mai 1941 fand ein Kriterium »Rund um das Rathaus« mit ungarischer, slowakischer und schweizerischer Beteiligung und im Sommer 1942 in Wien nochmals ein »internationales Rundstreckenrennen« mit Fahrern aus fünf Ländern um einen von Baldur von Schirach gestifteten Preis statt.40 Mit diesen wenigen Veranstaltungen war, was die »Ostmark« betrifft, der »internationale« Radsport schon wieder beendet. Zwar wurde im gesamten Deutschen Reich, und auch in der »Ostmark«, der Radsport aufrechterhalten, aber nur mehr auf nationaler, meist sogar auf regionaler oder lokaler Ebene. Nur mehr in den Zentren des »Altreich«-Radsports wurde weiterhin versucht, Radprofis gezielt als Botschafter Deutschlands im Ausland sowie als Unterhalter im Inland und an der Front einzusetzen.41 Das Ziel des Regimes, mittels Radsporterfolgen die »Weltgeltung« Deutschlands zu unterstreichen, konnte ebenso wenig erreicht werden wie die Hoffnung, das ehemalige Österreich auf sportlichem Weg in das Reich zu integrieren: Das Vorhaben wurde in anderen Sportzweigen weit effizienter realisiert. Der inter37 Südostdeutsche Tageszeitung. Heimatblatt für das ostmärkische Grenzlanddeutschtum, 10. 6. 1939, 9. 38 Im November 1938 trat der Wiener Spitzenfahrer Lothar Sztrakati vom SV Straßenbahn zu den Profis über. Er startete für die Dürkopp-Werke, die etliche deutsche Spitzenfahrer unter Vertrag hatten: Grazer Volksblatt, 2. 12. 1938, 11. 39 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 16. 8. 1940, 8. 40 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 23. 7. 1942, 5; 27. 7. 1942, 3. 41 Frank Grube/Gerhard Richter, Alltag im Dritten Reich. So lebten die Deutschen 1933–1945, Hamburg 1982, 156.

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nationale Radsport fand in der »Ostmark« nur mehr in Zeitungsberichten oder im Kino statt: So gab man in den Wochenschauen dem Profisport (Motorsport, Boxen und Radfahren) viel Platz. Die Sportberichterstattung in den Wochenschauen wurde immer mehr ausgebaut und stand damit im Gegensatz zur Abnahme der Zahl realer Sportereignisse.42 Doch auch der Unterhaltungsfilm zitierte das Thema Radsport: In der »Großstadtmelodie« (D 1943, Drehbuch und Regie Wolfgang Liebeneiner) spielte das Berliner Bahnrennen um das »Goldene Rad« eine Hauptrolle.43

Radrennen in der »Ostmark« und den »Alpen- und Donaugauen« Der Frühjahrsstart der Wiener Radsportler im April 1938 erfolgte – fast – programmgemäß: Vor dem Saisoneröffnungs-Rennen in Schwechat trafen sich »sämtliche Radsportler Wiens auf dem Adolf-Hitler-Platz«, um für die Volksabstimmung zu werben und dem Bürgermeister Hermann Neubacher zu danken, der dem Radsport seinen besonderen Schutz versprochen hatte. Nach der Feier fuhren alle Sportler gemeinsam nach Schwechat.44 Im Laufe des Jahres 1938 steigerte sich jedenfalls die Zahl der Rennfahrer, das Leistungsniveau sowie auch das Interesse des Publikums.45 Grund dafür waren verbesserte organisatorische Voraussetzungen, aber auch eine Verbreiterung der Basis. Im Radsport sei es rasch gelungen, den Rückstand gegenüber dem »Altreich« zu reduzieren, denn in der »Systemzeit« war der Radsport »den Anforderungen einer neuen, mit starken Fäusten an die Tore pochenden Zeit« nicht gewachsen. »Rennfahrer, die ein freies Wort wagten, […] wurden diszipliniert oder wie im ›Falle Dusika‹ überhaupt aus dem aktiven Sport entfernt«.46 Spätestens im Herbst 1938 wurden neue Wertigkeiten bezüglich diverser Sportarten evident: Auch wenn Fußball und Skisport weiterhin im Vordergrund standen, forcierte das neue Regime Sportarten wie Boxen, Radfahren und Schwimmen, denen im Sportleben und auch in der Sportberichterstattung größerer Raum zugestanden wurde. Nicht nur der DRL (später NSRL), sondern auch die HJ, SA, SS oder die Wehrmacht nahmen gerade auch den Radsport unter ihre Fittiche. So wurde in den Sportresultaten stets auf die Zugehörigkeit zu diesen Organisationen hingewiesen, bei unbekannten Sportlern ebenso wie bei Pro42 Wolfgang Meyer-Ticheloven, Zum Sport in den Kriegswochenschauen, in: Hans Joachim Teichler/Wolfgang Meyer-Ticheloven (Hg.), Filme und Rundfunkreportagen als Dokumente der deutschen Sportgeschichte von 1907–1945, Schorndorf 1991, 52–67. 43 Reichssportblatt, 11. 8. 1942, unpag. 44 Kleines Volksblatt, 3. 4. 1938, 24. 45 Marschik, Sportdiktatur, 255–256. 46 Sport im Volk, Oktober 1938, 34–35.

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minenten, die besondere Werbewirkung besaßen, beispielsweise beim »SS-Mann Goldschmid« und »S.A.-Mann Schmaderer« sowie beim fälschlicherweise als »SA.-Mann« titulierten Max Bulla.47 Besonders HJ und SA engagierten sich bei der Veranstaltung von Radrennen. So hatte Franz Dusika im Wiener Praterstadion ein großes SA-Sportfest organisiert: »Flugzettel werden verteilt, und zwar gleich von 5.000 SA-Leuten, Lautsprecherwagen fahren durch die Straßen Wiens, die Presse erhält alles notwendige Material.«48 Im Zentrum des Programms standen Radrennen und Vorführungen von KunstradfahrerInnen. Und auch die Wiener Bergmeisterschaften der Radfahrer auf der Höhenstraße erfuhren eine Erweiterung des Programms. »Unbekannte SA.-Männer und Hitlerjungen stürmen den Exelberg« titelte der »Völkische Beobachter«. Die Veranstaltung gewann »eine besondere Note durch die Rennen der ›Unbekannten‹. Mehr als 40 Hitlerjungen und ebensoviele SA.Männer waren mit ihren schweren Tourenrädern gekommen«. Sie »fuhren in ihren Lederhosen und in einfachen Hemden und an ihrem Ärmel sah man die Hakenkreuzbinde.«49 Gerade auch durch diese Erweiterungen hatte der Radsport in der »Ostmark« auf regionaler und lokaler Ebene einen allmählichen Aufstieg zu verzeichnen. Zwischen April und Oktober 1938 wurde fast jedes Wochenende ein Radrennen veranstaltet. Das Publikums- und Medieninteresse war den Radrennen sicher. Und die Zahl organisierter Radsportler stieg langsam, aber kontinuierlich. Eine Bilanz des DRL im Oktober 1938 wies detaillierte Zahlen nur für Wien aus: An der Spitze lagen Bergsteigen und Wandern mit 41.000 ausübenden Mitgliedern, gefolgt vom Fußball mit 12.000 und dem Turnen mit 10.000. Für den Radsport wurden 2.000 Aktive angeführt.50 Der Schwerpunkt der radsportlichen Bewerbe lag in Wien, »Niederdonau« und der Steiermark. Aber es existierten auch Bewerbe in anderen Gauen. So wurde bei der Wörthersee-Sportwoche der größte je in der »Ostmark« ausgetragene Staffelbewerb veranstaltet, der am Gipfel des Großglockners seinen Ausgang nahm und bei dem sich auf einer Strecke von 210 Kilometern Skiläufer, Berggeher, Radfahrer, Motorsportler, Paddler, Schwimmer, Läufer und Ruderer abwechselten.51 47 Ludwig Stecewicz, Sport und Diktatur. Erinnerungen eines österreichischen Journalisten 1934–1945, hg. v. Matthias Marschik, Wien 1996, 210 und 214. 48 Illustrierte Kronen-Zeitung, 2. 7. 1938, 13. 49 Völkischer Beobachter, Wiener Aufgabe, 18. 7. 1938, 8. 50 Neueste Zeitung, 13. 10. 1938, 6. Ähnliche, allerdings generell etwas niedrigere Zahlen finden sich im – erst 1946 publizierten – »Statistischen Jahrbuch der Stadt Wien« für die Jahre 1939 bis 1942. Für den Radsport in Wien wurden 38 Vereine mit 14.176 Mitgliedern, davon 1.306 Aktive und davon wiederum 203 »Kampfsportler« angeführt; Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1939–1942, hg. v. Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung für Statistik, Neue Folge. 6. Band, Wien 1946, 404. 51 Sport im Volk, 8. 8. 1939, 14.

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Am 31. August 1939 trat die vorübergehende Einstellung jeglichen internationalen Sports in Kraft, selbst die bereits laufende Rad-WM in Mailand wurde unterbrochen. Die Sportberichterstattung wurde trotz des Kriegsbeginns – mit einer kurzen Unterbrechung – nahtlos weitergeführt, wobei der Radsport neben Fußball, Schwimmen und Motorsport im Zentrum stand. Die Basis war, dass Reichssportführer Tschammer die Weiterexistenz eines die Lokalebene überschreitenden Sportes und die Einführung von nationalen »Kriegsmeisterschaften« verkündet hatte. Daneben fanden weiterhin – auch in der »Ostmark« – zahlreiche regionale und lokale Rennen statt, wobei zunehmend die bekannten Namen verschwanden oder bekannte Fahrer nur während ihres Fronturlaubs starten konnten.

Abb. 18: Rudi Valenta hat im Juli 1941 das »Hauptallee-Rennen« im Wiener Prater gewonnen, Franz Dusika interviewt ihn. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

In Österreich fanden zu dieser Zeit fast jeden Sonntag verschiedene lokale und regionale Radrennen statt. So starteten die Berufsfahrer zu einer Fernfahrt Graz – Semmering – Graz.52 Die lokalen und regionalen Bewerbe boten guten Sport und hatten ihr begeistertes Publikum. Einen propagandistischen Coup landete Franz Dusika, der für Juli 1940 die Wiederbelebung der Wiener Radrennbahn im Prater einleitete. »Blitzende Räder und brüllende Zuschauer« versprach die »Kleine 52 Ostmark-Radsport, September 1940, 3.

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Volks-Zeitung«.53 Mitte Juli gab es einen Länderkampf gegen Ungarn, eine Woche später das erste Profimeeting in Wien mit mehreren Teilnehmern aus dem »Altreich«.54 Die eigentliche Sensation war freilich, dass zwei Wiener Altstars, Max Bulla und Franz Dusika, dessen Sperre eine dreijährige Rennpause verursacht hatte, wieder auf die Rennbahn zurückkehrten, nachdem schon Vermutungen angestellt worden waren, beide hätten ihre Karriere beendet.55 Die Veranstaltung war ausverkauft, nicht zuletzt weil Dusika kräftig die Werbetrommel gerührt hatte, beispielsweise durch öffentlich zugängliche »Walzenrennen« vor der Wiener Oper.56 »Die berühmte feine Nase des Wiener Sportpublikums bewährte sich am vergangenen Sonntag wieder einmal ausgezeichnet. Die Leute wissen sehr genau, wo es etwas zu sehen gibt, und so kam es, daß die Veranstaltung der Berufsradfahrer im Stadion ein ausverkauftes Haus brachte«.57 Tagelang berichteten Zeitungen vom Sensationssieg des österreichischen Duos Dusika-Bulla über den Gewinner der Großdeutschlandfahrt Georg Umbenhauer und seinen Partner Otto Weckerling. Ende September wurde vor 8.000 ZuschauerInnen und in Anwesenheit des Reichssportführers eine weitere Großveranstaltung der Profis abgehalten, »die zweifellos den Höhepunkt des heurigen Sportjahres darstellt. Waren doch keine Geringeren als der Weltmeister und Olympiasieger Toni Merkens und der deutsche Berufs-Fliegermeister [Jean] Schorn gekommen. Aber unsere Wiener Dusika und Bulla fuhren ganz ausgezeichnete Rennen, die ihnen sogar über diese Weltklassefahrer Siege einbrachten.«58 In einem Rückblick auf das »Radkampfsport«-Jahr 1940 formulierte Dusika euphorisch: »Vor einem Jahre rief uns unser Reichssportführer zu: ›Weitermachen!‹ Heute können wir stolz beweisen: wir haben nicht nur ›weitergemacht‹, wir haben, beschützt von den besten Soldaten der Welt, geführt von dem größten Staatsmann und genialsten Feldherrn, in unserer Sparte Großes vollbracht. Der Aufstieg speziell des ostmärkischen Radsportes, weist eine Kurve auf, wie sie auch in Zeiten des Friedens nicht steiler sein kann«.59 Die Jahre 1941 und 1942 zeigten im Radsport eine zwiespältige Situation: Zum einen konnten die ›österreichischen‹ Fahrer mit der Spitzenklasse des ›Altreiches‹ kaum mithalten und wurden auch nicht zu den großen Veranstaltungen 53 54 55 56

Kleine Volks-Zeitung, 7. 7. 1940, 15. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 30. 6. 1940, 10. Das kleine Volksblatt, Nr. 204, 24. 7. 1940, 10. Hochsteger, Sportidole, 110. Rudolf Müllner, Rasender Stillstand. Radergometer und andere Fitnessmaschinen, in: Hachleitner et al., Motor, 196–197. 57 Das Kleine Volksblatt, 24. 7. 1940, 10. 58 Der Montag, 23. 9. 1940, 5. 59 Franz Dusika, Ein Jahr Abwehrkampf – ein Jahr Radsport?, in: Ostmark-Radsport, Oktober 1940, 3.

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Abb. 19: Georg Umbenhauer (li.) tritt 1940 auf der Wiener Praterbahn gegen Franz Dusika an. Bild: Franz Blaha, ÖNB-Bildarchiv, APA-Picturedesk

eingeladen, sondern bestenfalls zu einem Rundrennen in Pressburg.60 Zum anderen gab es in Wien und »Niederdonau«, in der Steiermark und in Kärnten einen sehr regen, aber meist nur regionalen oder lokalen Radsport der Amateure, während in Tirol und Vorarlberg ab 1941 auch keine Gaumeisterschaften mehr ausgetragen wurden.61 Speziell rund um Wien gab es sogar Zunahmen bei den Zahlen der Wettkämpfer, deren »Kampf- und Einsatzfreudigkeit« immer wieder gelobt wurde.62 Das Programm wurde bunt und vielfältig gestaltet, es gab Distanz- und Bergrennen, es gab lokale Kriterien, und auch die Praterrennbahn wurde häufig befahren. Wobei auffiel, wie sehr sich die Medienberichte in Superlativen übten, vom längsten oder schwersten Radrennen bis zum unaufhaltsamen Aufstieg des »Ostmark«-Radsports, dessen Entwicklung nur als »eine ohne Unterbrechung steil ansteigende Linie« dargestellt werden könne.63 Zu Wiener Radhelden wurden vor allem die beiden Altstars Bulla und Dusika, die besonders auf der Radrennbahn aktiv waren, zum Beispiel bei der nationalen Meisterschaft der Profi-Radsprinter im Juni 1942. »Die Wiener Radrennbahn bot 60 Das Kleine Volksblatt, 26. 4. 1941, 9. 61 Karl Graf, Tiroler Sportgeschichte. Turnen und Sport in Tirol bis 1955. Entwicklungen – Vereine – Meister, Innsbruck 1996, 220. 62 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 5. 4. 1941, 7. 63 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 16. 4. 1941, 4.

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am Sonntag ein Bild, wie man es sich schöner nicht vorstellen kann: Im Innenraum die Aufnahmewagen der Wochenschau, des Reichssenders und rundherum eine dichte Menschenmauer – mehr waren beim besten Willen nicht unterzubringen – und selbst die Bäume ringsum waren ›total ausverkauft‹«.64 Der groß angekündigte holländische Stehermeister Aad van Amsterdam war nicht erschienen und so lieferten sich der spätere Sieger Toni Merkens und Franz Dusika ein spannendes Duell, Max Bulla fuhr im Rahmenbewerb. Dusika und Bulla hielten die Fahnen der »Ostmark« im Radsport hoch oder zumindest war das die Wiener Sicht, denn beide traten so gut wie nie außerhalb der Stadtgrenzen an. Zur Jahreswende 1942/43 erzwang die militärische Lage eine weitgehende Reduktion des Sportlebens: Nachdem Goebbels auf eine Einstellung des Wettkampfsports auf nationaler Ebene gedrängt hatte, gelang es dem Reichssportführer von Tschammer im Februar 1943, ein Minimalprogramm zu bewahren: Veranstaltungen durften bis zur Gaustufe und darüber hinaus in einem Radius von 100 Kilometern stattfinden, wenn auch mit Restriktionen. So durften im Radsport nur mehr die besten 50 Fahrer teilnehmen. Unter Berücksichtigung der verordneten Einschränkungen war der Betrieb auch im »österreichischen« Radsport enorm. So gab es 1943 und noch im Frühjahr 1944 zahlreiche regionale und lokale Radrennen: Bei der Saisoneröffnung in Baden sei das »Nennergebnis über alle Erwartungen gut ausgefallen«.65 Auch wenn immer öfter prominente Namen fehlten, wurde doch weiterhin ein dichtes und vielfältiges Radsportprogramm zusammengestellt, selbst wenn manche Routinen gebrochen wurden, wie zum Beispiel in Gestalt eines gemeinsam von Profis und Amateuren bestrittenen Steherrennens im Wiener Radstadion.66 Noch im August 1944 forderte der »Völkische Beobachter« in den immer kürzer werdenden Sportspalten die Fortführung des Sportes unter den Bedingungen des totalen Kriegseinsatzes: »Das deutsche Sportleben geht weiter!«67 Im August 1944 war im Wiener Radstadion die – letztlich nicht mehr durchgeführte – Gaumeisterschaft der Steher geplant und auch ein Profibewerb, zu dem einige Fahrer aus dem »Altreich« ihr Kommen zugesagt hatten, der Sechstagespezialist Heinz Vopel sowie Schorn und Marklewitz .68 Noch im September gab es einige kleine Rennen auf der Straße und auf der Praterbahn, ehe am 10. Oktober mit den Klubmeisterschaften der verbliebenen Radvereine69 die Winterpause begann, der freilich kein Frühlingserwachen folgte.

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Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 3. 6. 1942, 3. Das kleine Blatt, 22. 4. 1944, 8. Das kleine Blatt, 1. 6. 1944, 6. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 7. 8. 1944, 6. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 30. 8. 1944, 4. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 11. 10. 1944, 4.

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Mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs endete am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa, bereits seit 27. April war eine provisorische österreichische Staatsregierung unter Karl Renner im Amt. Es herrschte Frieden, die Situation war freilich katastrophal. Das drängendste Problem war der Hunger in ganz Österreich, am schlimmsten in Wien: »Für jene, die über keine Geldmittel verfügten, um sich am boomenden Schwarzmarkt versorgen zu können, wurde [sic] Plündern, Hamstern, Tauschen und Betteln zur Nahrungsquelle«,1 beschreibt der Historiker Franz X. Eder die Situation in Wien in den Wochen nach Kriegsende. Die Verwaltungsstrukturen waren zusammengebrochen – aber Österreich war wieder selbstständig, auf Basis der Moskauer Deklaration. Anfang Juni 1945 übernahm die Rote Armee die Versorgung der Stadt Wien, doch nicht einmal die ohnehin minimalen Rationen – zwischen 833 Kalorien für NormalverbraucherInnen und 1.620 für SchwerarbeiterInnen – waren tatsächlich verfügbar. Rund zwei Drittel der Nahrungsmenge wurden in den Jahren 1945/46 auf informellen Wegen besorgt. Ab September übernahmen die Alliierten jeweils die Versorgung ihrer Zone, vorgesehen waren nun 1.549 Kalorien. Im Laufe des Winters und des Frühlings 1946 verschlechterte sich die Situation dramatisch. »Die erhofften Kartoffellieferungen aus den umliegenden Bundesländern blieben nun völlig aus. In der Mai-Krise des Jahres 1946 wurde mit 950 Kalorien der Tiefstand erreicht.«2 Trotzdem stand der Sportbetrieb nur für wenige Wochen still: Am 2. April 1945 hatte das letzte Fußballspiel im Zweiten Weltkrieg in Wien stattgefunden, knapp zwei Wochen vor der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee. Weitere drei Wochen später bestritten mit dem Wiener Sport-Club und dem First Vienna Football Club bereits wieder zwei Erstligaklubs ein Match gegeneinander. Ab dem 10. Juni wurde ein »Befreiungs-Pokal« ausgetragen und ab September folgte 1 Franz X. Eder, Privater Konsum und Haushaltseinkommen im 20. Jahrhundert, in: Franz X. Eder/Peter Eigner/Andreas Resch/Andreas Weigl, Wien im 20. Jahrhundert: Wirtschaft, Bevölkerung, Konsum (Querschnitte 12), Innsbruck/Wien/München/Bozen 2003, 201–285, 212. 2 Eder, Konsum, 215.

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eine reguläre Meisterschaft, wie vor 1938 ausschließlich mit Wiener Vereinen.3 »Wenn auch vorerst nur im regionalen Bereich, kann doch ein enormes Tempo der Restituierung sportlicher Praxen in Österreich noch im Jahr 1945 konstatiert werden. Am raschesten erfolgte die Wiederbelebung jener sportlichen Aktivitäten, die schon vor 1938 in den betreffenden Regionen gepflogen wurden und auch in den Jahren des Nationalsozialismus an Bedeutung zumindest nicht wesentlich eingebüßt hatten: Als Musterbeispiele können der Fußballsport (besonders in Ostösterreich und in den traditionell sozialdemokratisch dominierten Industriegebieten) und der Skilauf (speziell im Westen, in Salzburg, Tirol und Vorarlberg sowie in den übrigen Alpenregionen) genannt werden.«4 Ein wenig anders lag die Situation im Radsport: Das letzte nennenswerte Rennen im Zweiten Weltkrieg war im September 1944 ausgetragen worden, Ernst Cyganek gewann »Rund um den Modenapark«.5 Im Oktober fanden noch einzelne Vereinsrennen statt, dann folgte eine Pause bis in den Sommer 1945. »Das erste Radrennen wurde für den 15. Juli ausgeschrieben. Das Rennen findet auf dem Prater-Rundkurs statt und wird in allen Klassen ausgetragen.«6 Die Distanz reichte von sechs Kilometern bei der Jugend bis zu 50 Kilometern bei den Hauptfahrern. Insgesamt meldeten 79 Teilnehmer für das Rennen, davon 21 in der Klasse der Hauptfahrer. Fritz Bös, Josef Heinzer, Leo Kafka und Ernst Ciganek [sic], der 1944 das Rennen um den Modenapark gewonnen hatte, nannte das »Neue Österreich« als Favoriten für den Sieg. Für Qualität und Quantität sei mit diesen Fahrern gesorgt und »möglicherweise meldet sich im letzten Augenblick noch der eine oder andere Heimkehrer«.7 Es überrascht weniger, dass die Pause beim Radsport länger war als beim Fußball, vielmehr verwundert es, dass im Jahr 1945 schon wieder Rennen stattfanden. Die »Sport-Schau« schrieb: »Radrennfahrer leiden besonders unter den Nachwirkungen des Krieges. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Sie haben keine Ersatzteile für ihre Maschinen, keine Schlauchreifen und was sie sonst an tausend kleinen Dingen brauchen. Dazu kommt noch das große Handikap der Ernährungsfrage, die bei dieser Sportart zu den heutigen Hauptübeln sämtlicher Radler gehört.«8 Am 12. August reiste eine Gruppe Wiener Radfahrer nach Budapest, wo sie für zehn Tage blieben und mehrere Rennen bestritten, darunter einen Länderkampf 3 Matthias Marschik, Eine (Miss-)Erfolgsgeschichte. Fußball in Wien/Sport in Österreich, 1945 bis 1995, in: Michael Dippelreiter (Hg.), Wien. Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945, Wien/Köln/Weimar 2013, 651–680, 653–654. 4 Matthias Marschik, Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationsbewußtsein in Österreich (1945–1950), Wien 1999, 54. 5 Kleine Wiener Kriegszeitung, 26. 9. 1944, 6. 6 Neues Österreich, 6. 7. 1945, 4. 7 Neues Österreich, 14. 7. 1945, 4. 8 Sport-Schau, 19. 6. 1946, 2.

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auf der Bahn sowie auf einem Rundkurs im Budapester Stadtwäldchen. Für den Transport der Fahrer und ihrer Maschinen stellte der Ungarische Radfahrverband die erforderlichen Fahrzeuge bereit, wie der Besuch insgesamt in eine größere Sportbesuchsaktivität eingebettet war, zu der auch ein Fußballländerspiel gehörte.9 Das Rundstreckenrennen gewannen die Österreicher, auf der Bahn siegten die Ungarn. Neben den sportlichen Aktivitäten war die Reise nach Budapest für die österreichische Delegation auch eine Fahrt in eine Stadt mit weit besserer Ernährungssituation als in Wien. Einen Monat später waren beim Kriterium auf dem Grabenrundkurs in der Wiener Innenstadt ungarische Fahrer zu Gast. Das Rennen wurde ebenfalls zu einem Länderkampf erklärt, den die Österreicher klar für sich entschieden: Cyganek gewann vor Schiebl. Rudi Valenta belegte den dritten Platz, obwohl er erst kurz davor »von seiner Kriegsdienstleistung zurückgekehrt« war und deshalb nur knapp eine Woche zu Trainingsfahrten die Möglichkeit hatte«.10 Das erste Radrennen in Graz fand im September 1945 statt. Es wurde von der britischen Militärregierung durchgeführt und war zugleich die 50. Straßenmeisterschaft der Steiermark.11 Im Sommer 1945 tauchte dann Max Bulla wiederum in kurzen Zeitungsnotizen auf, er lebte offenbar in Oberösterreich und hatte mit dem Training bereits wieder begonnen. »Zwei, drei Jahre will ich noch mitmachen«,12 erzählte er einem Journalisten der »Oberösterreichischen Nachrichten«. Die »Volksstimme« listete ihn zwei Monate später unter den »Meisterfahrern in unserem Radsport«, die nach »ihrer Kriegsdienstleistung wieder heimgekehrt« sind.13 Dieses Rennen, veranstaltet vom Verein »Rund um Wien«, gewann Cyganek vor Valenta und Kastner.14 Es fand 1945 also ein Rumpfprogramm statt, bestehend aus Rundstreckenrennen und der Bergmeisterschaft, besetzt von lokalen Fahrern, von Anfängern bis zur Elite. Für den Überhang der Rundstreckenrennen gab es gute Gründe: Es mussten dabei keine Zonengrenzen überwunden werden, Rundstrecken verlangten auch weniger organisatorischen Aufwand. Ein kurzer Kurs kann relativ leicht abgesperrt werden, es sind keine Begleitfahrzeuge notwendig – und sie sind für die ZuschauerInnen attraktiv, weil sie die Fahrer zigmal vorbeifahren sehen – und die Rennen gehen mitten in der Stadt vor sich. Tatsächlich zogen diese »Kriterien« tausende, die größeren sogar zehntausende, BesucherInnen an, beim Rundrennen Graben – Stephansplatz – Tuchlauben gab es einen Sack Äpfel als 9 Neues Österreich, 15. 7. 1945, 4. 10 Österreichische Volksstimme, 21. 9. 1945, 4. 11 Wolfgang Wehap, frisch, radln, steirisch – eine Zeitreise durch die regionale Kulturgeschichte des Radfahrens, Graz 2005, 163. 12 Oberösterreichische Nachrichten, 27. 7. 1945, 4. 13 Österreichische Volksstimme, 27. 9. 1945, 4. 14 Weltpresse, 24. 9. 1945, 4.

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Siegeslohn, die Strecke verlief zwischen den Schutthalden der bombenbeschädigten Häuser.15 Bombenbeschädigt war auch die Stadionrennbahn im Prater. Krater im Betonband machten sie vorerst unbenützbar, zudem waren die Tribünen zerstört. So entwickelten sich die Kriterien, diese »Radrennen als urbane Spektakel«,16 für kurze Zeit zu Höhepunkten im österreichischen Radsportkalender. In Graz wurden bereits 1945 sowohl auf der Trabrennbahn wie auf dem GAK-Platz auch wieder Radrennen durchgeführt.17

Mehrere Verbände und eine Dachorganisation Organisiert wurden die meisten Rennen vom Österreichischen Radsportverband (ÖRV), dessen provisorischer Vorstand sich bereits am 16. Mai 1945 konstituiert hatte. »Er besteht aus den Herren Arper, Bradt, Daum, Hamedl, Kryl und Steinkellner.«18 Der ÖRV verstand sich offenbar als Nachfolger – aber nicht als Wiederbelebung – des 1938 aufgelösten Österreichischen Radfahrerbundes (ÖRB). Warum nicht der ÖRB reaktiviert wurde, lässt sich nur vermuten, naheliegend ist ein Zusammenhang mit der politischen Situation vor 1938: Der ÖRB war bis 1934 nur einer von mehreren Radverbänden, erst mit der zwangsweisen Auflösung des ARBÖ im Austrofaschismus wurde er zum einzigen österreichischen Radsportverband. Möglicherweise wollte man 1945 politisch breiter aufgestellt sein, darauf deutet jedenfalls die Zusammensetzung der Gruppe hin: [Franz] Hamedl war bis 1934 im Arbeiterradsport aktiv gewesen, nach dessen Verbot wechselte er in den ÖRB; bei [M.] Steinkellner handelt es sich vermutlich ebenfalls um einen bis 1934 im ARBÖ, später im ÖRB aktiven ehemaligen Rennfahrer. »Bradt« meint vermutlich Viktor Brodt, einen Sportjournalisten und »Pionier des Radsports« in der Ersten Republik. Er ist jedenfalls dem bürgerlichen Sport zuzurechnen,19 ebenso wie [Johann] Daum, [Franz] Kryl und [Josef] Arper vom Radsportverein »Rund um Wien«.20 Bei Hamedl sind hier aber weniger seine Verbandszugehörigkeiten vor 1938 als seine Mitgliedschaft bei der KPÖ ab 1945 interessant. Er trat häufig bei Veranstaltungen der Partei und ihr nahe stehender Organisationen auf und kandidierte bei der Wiener Landtags15 Vgl. zur Frühzeit des österreichischen Radsports nach dem Zweiten Weltkrieg: Marschik, Idealismus, 139–165. 16 Vgl. Michael Zappe, Radrennen als urbane Spektakel. Kriterien nach 1945, in: Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Michael Zappe (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013, 136–137, 136. 17 Wehap, frisch, 163. 18 Neues Österreich, 20. 5. 1945, 4. 19 Wiener Kurier, 6. 12. 1945, 5. 20 Kleine Volks-Zeitung, 23. 6. 1934, 7 und 9. 2. 1935, 10. Nicht alle Genannten lassen sich mit Sicherheit, aber doch mit hoher Wahrscheinlichkeit identifizieren.

Mehrere Verbände und eine Dachorganisation

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wahl 1945 für die KPÖ.21 Eine Nähe zur KPÖ und damit zur sowjetischen Besatzungsmacht war im österreichischen Sport zu Beginn der Zweiten Republik kein Einzelfall: »So standen im Jahr 1946 einem Viertel der damals 26 Verbände kommunistische Präsidenten vor, u. a. dem Schwimmverband, dem Radfahrerbund oder dem Arbeiterkraftsportverband, sowie dem später gegründeten Judoverband (1948) und dem Volleyballverband (1952).«22 Nach Kriegsende stand Wien unter Kontrolle der Roten Armee. Zwar schlossen die Alliierten am 9. Juni das sogenannte Zonenabkommen, es dauerte aber bis zum 1. September, bis die Westalliierten ihre Sektoren übernahmen.23 Unter diesen politischen Rahmenbedingungen scheint es naheliegend, dass zahlreiche Sportfunktionäre (und mittelbar dadurch auch Vereine und Verbände) die Nähe zur KPÖ suchten, die im Sport häufig zu findende Anpassung an gegebene Machtverhältnisse spielte hier sicher eine wichtige Rolle, die sich wohl nicht immer mit der politischen Überzeugung der einzelnen Funktionäre (und auch SportlerInnen) deckte. So wurde bereits am 26. April die »Zentralstelle für die Wiedererrichtung des österreichischen Sports« (ZÖS) ins Leben gerufen, in »Anwesenheit von 40 Sportlern aus allen Sportarten in den Amtsräumen des [Anm.: kommunistischen] Stadtrates Dr. Matejka«.24 Er war zuständig für Kultur und Volksbildung und betrachtete den Sport – wegen dessen Massenwirksamkeit – als wichtiges Element bei der Konstituierung einer österreichischen Nation. Er gab zu diesem Zweck bei dem Maler Paul Meissner ein Gemälde des Fußball-»Wunderteams« in Auftrag und plante die Errichtung von Denkmälern für Hugo Meisl und Matthias Sindelar.25 Ludwig Stecewicz, der ein Jahr nach der Gründung in einem ausführlichen Artikel für die von der Roten Armee herausgegebene »Österreichische Zeitung« auf die ZÖS zurückblickte, erwähnte nur Viktor Brodt als Vertreter des Radsports, gut möglich, dass aber auch Franz Hamedl anwesend war. Er wurde in der Folge jedenfalls zum wichtigsten österreichischen Radsportfunktionär. Die ZÖS war ein Jahr nach ihrer Gründung schon wieder Geschichte: Der sozialdemokratische ASKÖ lehnte sie ab und auch 21 Österreichische Volksstimme, 15. 11. 1945, 4. 22 Manfred Mugrauer, »Steht vollkommen auf unserer Seite…« Die Speerwurf-Olympiasiegerin Herma Bauma und die Kommunistische Partei Österreichs, in: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Dezember 2014, 17–25, 17. 23 Wien Geschichte wiki, Abkommen betreffend die Besatzungszonen und die Verwaltung der Stadt Wien, URL: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Abkommen_betreffend_die_Besat zungszonen_und_die_Verwaltung_der_Stadt_Wien (abgerufen 16. 11. 2022). 24 Österreichische Zeitung, 13. 4. 1946, 9. 25 Vgl. Bernhard Hachleitner/Sema Colpan, Die österreichische Nation, geboren aus einer Niederlage. ›Wunderteam‹-Gemälde als Element des Nation Building zu Beginn der Zweiten Republik, in: Matthias Marschik/Agnes Meisinger/Rudolf Müllner/Georg Spitaler (Hg.), Images des Sports in Österreich. Innensichten und Außenwahrnehmungen. Zeitgeschichte im Kontext 13, Göttingen 2018, 265–276.

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die ÖVP-nahe Union war wegen der kommunistischen Dominanz skeptisch. »Ende 1945 gelang es der KPÖ, mit dem Österreichischen Hauptverband für Körpersport eine neue überparteiliche Dachorganisation zu gründen, in der der Einfluss der Partei groß blieb: So waren fünf der 13 Vorstandsmitglieder und die beiden von der ZÖS übernommenen Sekretäre Mitglieder der KPÖ.«26 Neben der pragmatischen Anpassung an die Machtverhältnisse spielte wohl auch eine Rolle, dass nach dem Februar 1934 etliche SportlerInnen und Funktionäre zur KPÖ gewechselt waren – und 1945 (oder bereits im Widerstand) wieder dort anknüpften. ASKÖ und Union lehnten vorerst auch diesen »Österreichischen Hauptverband für Körpersport« ab. Der ASKÖ bemühte sich gleichzeitig, die eigenen Strukturen von »kommunistischer Infiltration« zu säubern, wie dies der Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung, Oscar Pollak, formulierte.27 Vor diesem Hintergrund adaptierte die KPÖ nun ihre Linie und konzentrierte sich ab 1948 auf die Schaffung eines Bundes der unabhängigen Sportvereine, die nicht dem ASKÖ und der Union angehörten. Es handelte sich dabei um rund die Hälfte der österreichischen Vereine.28 Daraus resultierte 1949 die Gründung des ASVÖ als überparteilichem dritten Dachverband neben den parteipolitischen Interessenverbänden ASKÖ und Union. Der ÖRB schloss sich dem ASVÖ an, der politisch ein breites Spektrum an Mitgliedsvereinen und -verbänden vereinte. Manche standen keiner politischen Partei nahe, das Spektrum reichte aber auch von KPÖnahen Vereinen bis zu jenen, die auch nach 1945 dem Deutschnationalismus huldigten und sich nur oberflächlich vom Nationalsozialismus distanzierten, wie der Österreichische Turnerbund (ÖTB). Die KPÖ versuchte ab 1945 nicht nur über Sportverbände Einfluss auf den österreichischen Sport zu gewinnen – und idealerweise von der Popularität des Sports und prominenter SportlerInnen zu profitieren: Bei der Freien Österreichischen Jugend (FÖJ), formal unabhängig, aber stark von der KPÖ beeinflusst, spielte Sport eine große Rolle. Zu ihren Mitgliedern zählte beispielsweise der Spitzenradrennfahrer Rudi Valenta. Auch der zweifache Sieger der Österreich-Rundfahrt Franz Deutsch (1951 und 1952) engagierte sich im Umfeld der Partei und in der Friedensbewegung.29 Wie in der innenpolitischen Landschaft entstanden auch im Radsport Doppelstrukturen: Parallel zum ÖRV nahm der sozialdemokratische ARBÖ bereits im Jahr 1945 seine Tätigkeit wieder auf. Für den Radrennsport spielte er eine 26 Mugrauer, Steht vollkommen, 22. 27 Georg Friesenbichler, Sport frei! Arbeitersport in Wien 1945–1985, Wien 1985, 18. 28 Michaela Tabar, Der Wiederaufbau des Österreichischen Sports nach dem Zweiten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung des Breiten- und Spitzensports der Verbände ASKÖ und Österreichische Turn- und Sportunion, Diplomarbeit Universität Wien 1991. 29 Matthias Marschik/Andreas Maier/Manfred Mugrauer, Speerwurf durchs Jahrhundert. Über das Zusammenspiel von Sport und Politik im Leben der Speerwerferin Herma Bauma, in: SportZeiten 15 (2015) 3, 47–74.

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bedeutende Rolle, verstand er sich doch weiterhin als eigenständiger Verband, kooperierte aber mit den anderen Verbänden ÖRV und Union. Mit der »1. Konstituierenden Generalversammlung« im Dezember 1945 wurde der ÖRV vereinsrechtlich formalisiert: Franz Hamedl wurde von der Versammlung zum Präsidenten bestellt; Victor Brodt und Hans Haberhans (der bis 1934 beim ARBÖ tätig gewesen war und im Austrofaschismus die »Rad- und Kraftfahrerhilfe« gegründet hatte30) zu seinen Vizepräsidenten gewählt.31 Von den Radsportverbänden (ÖRV, ARBÖ und Union) war der ÖRV der wichtigste, sowohl in Hinsicht auf die Mitgliederzahl, die Erfolge der Fahrer als auch die Anzahl der Veranstaltungen. Vorstand des Österreichischen Radfahrerverbandes, gewählt bei der 1. Konstituierenden Generalversammlung im Dezember 1945 Präsident: Franz Hamedl; Vizepräsidenten: Viktor Brodt, Hans Haberhans; Schriftführer: M. Lacollonge; Kassier: E. Ciganek; Jugendsportreferent: A. Duben; Vorsitzender des Sportausschusses: P. Költl; Beiräte: K. Rotter, J. Arper; Presse und Propaganda: V. Brodt; Kontrolle: K. Gill, A. Wutte. Sportausschuß: P. Költi, K. Lindovsky, J. Jeßl, M. Steinkellner, K. Novak, J. Kalla, K. Gill, H. Tesar und Steinhauer. Quelle: Wiener Kurier, 6. 12. 1945, 4.

Internationalität und dichtes Rennprogramm Bereits 1946 nahm der internationale Radsportverband »Union Cycliste Internationale« (UCI) auf Betreiben des Schweizer Verbandspräsidenten Carl Senn und mit Unterstützung Italiens den österreichischen Verband wieder auf.32 Damit stand den österreichischen Aktiven die Teilnahme an internationalen Rennen offen. Es ergingen gleichzeitig Einladungen zu mehreren großen Schweizer Rennen, inklusive Unterkunft und Verpflegung, so wurden Valenta und Cyganek zur Vier-Kantone-Fahrt in die Schweiz eingeladen.33 Im Gegenzug wollte die Schweiz Rennen in Österreich beschicken. Die Saison des Jahres 1946 begann in Wien am 4. April mit einem Querfeldeinrennen am Konstantinhügel im Prater. Der »Wiener Sport in Bild und Wort« brachte auf seiner Titelseite ein Bild von diesem Rennen, das als ein sportliches Volksfest mit über 10.000 ZuschauerInnen bezeichnet wurde und das mit einem Sieg Erich Wacholds endete. Die Straßensaison wurde mit einem Rennen über 52 Kilometer um Schwechat eröffnet, Valenta trug sich dabei in die Siegerliste 30 Österreichische Volksstimme, 3. 9. 1947, 4. 31 Vgl. Wiener Kurier, 6. 12. 1945, 5. 32 Vgl. Internationale Aufgaben für unsere Radrennfahrer, in: Wiener Sport in Bild und Wort, 2. 3. 1946, 13. 33 Rudi Valenta, Kampf um den Goldpokal, Wien 1956, 68–69.

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ein.34 Die Stadionbahn war zwar immer noch in schlechtem Zustand, Steherrennen (hinter Motorrädern) konnten wegen der hohen Geschwindigkeiten, die dabei erreicht wurden, kaum durchgeführt werden, die Flieger (Sprinter) kamen mit der desolaten Bahn besser zurecht. Am 4. Mai 1946 fand auf der provisorisch instand gesetzten Stadionradrennbahn ein Fliegerrennen statt, zu dem laut Zeitungsberichten 5.000 bis 6.000 ZuschauerInnen kamen – und dies zur Zeit der erwähnten »Mai-Krise«, als die Lebensmittelversorgung Wiens einen absoluten Tiefpunkt erreicht hatte. Mit 950 Kalorien pro Tag war kein Radsport möglich, die Aktiven mussten also über Zugang zu Quellen jenseits der offiziellen Zuteilung verfügen. So schildert Rudi Valenta, wie er jede Trainings- zur Hamsterfahrt erweiterte, indem er die Wohnungsvorhänge im burgenländischen Tadten gegen Lebensmittel tauschte: »Mein Schatz bestand nun aus einem Kilo Speck, einem Viertelkilo Butter, zwei Liter Milch, zehn Kilo Kartoffeln und – einer vier Kilo schweren Gans«.35

Abb. 20: Der »Große Straßenpreis von Österreich« wurde 1946 in mehreren Etappen ausgetragen. Ernst Cyganek gewann die erste Etappe in Graz. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Für den »Großen Preis von Wien« Mitte Juni, einem Kriterium rund um das Rathaus, waren neben der österreichischen Elite auch mehrere Schweizer, zwei französische und vier ungarische Radfahrer angekündigt. Die Schauspielerin Lotte Lang schwenkte die Start- und Zielflagge: Prominente aus dem Showgeschäft sollten damals bei vielen Rennen für Fotos auch in weniger sportaffinen 34 Wiener Sport in Bild und Wort, 6. 4. 1946, 1; 13. 4. 1946, 12. 35 Valenta, Goldpokal, 60.

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Medien sorgen. Das Rennen brachte jedoch eine Enttäuschung, die Schweizer kamen nicht nach Wien: »[W]ir müssen uns sichtlich mit der so ersehnten Internationalität noch etwas gedulden – das Tor zur übrigen Welt ist zwar nicht versperrt, aber scheinbar braucht es noch irgendeine Zauberformel, um durchzukommen. Diesmal blieb es also bei den zwei in Wien stationierten Franzosen und der Mannschaft unserer ungarischen Sportsfreunde.«36 Zumindest auf den Sportseiten spielte die Frage der internationalen Anerkennung Österreichs eine größere Rolle als die Versorgungslage. Das Rennen gewann der in der unmittelbaren Nachkriegszeit erfolgreiche gebürtige Grazer Johann Goldschmid. »Der Defektteufel geht um«, ein »äußerst boshafter Kobold, der unter den ach so kostbaren Schlauchreifen arge Verheerungen anrichtet«,37 schrieb der »Wiener Sport in Bild und Wort« anlässlich des Rennens »Rund um die Schmelz« in Wien – ähnliches war auch bei vielen anderen Rennen sowie in den Erinnerungen prominenter Fahrer zu lesen. Neben der oft schlechten Qualität der Schlauchreifen sorgten die katastrophalen Straßenverhältnisse für Probleme. Asphalt war selten zu finden, Kopfsteinpflaster, Steine, Schotterstraßen und Schlaglöcher führten zu häufigen Reifenwechseln oder mangels ausreichendem Ersatzmaterial zum vorzeitigen Aufgeben von Rennfahrern. Wien – Graz – Wien wurde 1946 nicht wie früher (und später) als Fernfahrt in einem Stück zurückgelegt, sondern in drei Etappen – mit jeweils einem Ruhetag dazwischen – geteilt: Am Freitag ging es von Wien nach Graz. Am Sonntag folgte ein Kriterium in Graz und am Dienstag die Rückkehr nach Wien. Für Fahrer und Funktionäre war dieses Rennen nicht nur ein sportlicher Wettkampf, sondern auch eine gute Gelegenheit, sich in Niederösterreich und der Steiermark mit Lebensmitteln zu versorgen. Rudi Valenta gewann das Rennen bei großer Hitze, auf dem Titelblatt des »Wiener Sport in Bild und Wort« ist zu sehen, wie er von einem Zuschauer aus einem Email-Weidling »[d]ie heißersehnte kalte Dusche« erhält.38 International bildeten im Jahr 1946 der Giro d’Italia – die Tour de France wurde erst 1947 wieder ausgetragen – und die Weltmeisterschaft in der Schweiz die Saisonhöhepunkte. An der Rad-WM in Zürich nahmen sieben Österreicher, allesamt aus Wien, sowohl an den Bahn- als auch den Straßenbewerben teil. »Ich weiß schon«, schrieb der Sonderberichterstatter des »Wiener Sport in Bild und Wort«, »in Wien wird es wieder heißen, ›Oh jeh, die Unsrigen haben ja gar nix g’wonnen!‹ Oh doch, sie haben gewonnen, und zwar nicht nur viele, viele Freunde, sondern auch endlich wieder einmal internationale Erfahrung, ohne die

36 Wiener Sport in Bild und Wort, 15. 6. 1946, 8–9. 37 Wiener Sport in Bild und Wort, 13. 7. 1946, 13. 38 Wiener Sport in Bild und Wort, 3. 8. 1946, 1.

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Abb. 21: Rudolf Valenta und die Dusche aus dem Weidling. Bild: Wiener Sport in Bild und Wort, 3. 8. 1946

es einfach nicht geht.«39 Es ging ohnehin weniger um kurzfristige Erfolge als darum, wieder im internationalen Sportbetrieb dabei sein zu können, Österreich zu repräsentieren (unabhängig davon, wie hoch die Bedeutung dieses Aspekts für die einzelnen Fahrer jeweils war). Es ging um die Frage, inwieweit die Moskauer Deklaration vom selbstständigen, von Deutschland unabhängigen, Österreich im internationalen Sportgeschehen Umsetzung fand. Das war keineswegs selbstverständlich, vor allem nicht in jenen Ländern, die unter deutscher Besatzung gelitten hatten, zumal ja viele der Fahrer und Funktionäre in der Wehrmacht ihren Kriegsdienst geleistet hatten, manche sogar individuell als Täter in das NSSystem verstrickt gewesen waren. Für die österreichischen Aktiven wiederum waren Rennen in der Schweiz, in Italien oder Frankreich nicht nur sportlich interessant, sondern auch eine gute Gelegenheit, sich satt zu essen sowie an Ersatzteile für die Räder zu kommen, wie Alfred Kain erzählt: »Wir haben daher viel aus Italien mitgebracht, da kann ich mich noch erinnern, da war es günstiger.

39 Wiener Sport in Bild und Wort, 6. 9. 1946, 7.

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Oder bei den Rennen hat man dann als Preis ein bisserl ein Material gekriegt. Oder tauschen konnte man, das ist vom Material abgehängt: italienische Schlauchreifen zum Beispiel – ein reiner Tauschhandel war das.«40 Der Erhalt eines Visums war zwar kompliziert, doch die Mühe lohnte sich, denn »dort konntest du dich wenigstens satt essen, weil die haben schon andere Sachen gehabt. Besonders wenn es so richtige Empfänge gegeben hat. Das ist natürlich darauf angekommen, welchen Stellenwert das Rennen gehabt hat, ob es ein Länderkampf war und Österreich offiziell als Nation aufgetreten ist. In dem Fall hat es sicherlich Empfänge gegeben: Beim Bürgermeister oder ein Bankett.«41 Für Wiener Rennfahrer waren aber selbst Rennen in der österreichischen »Provinz« reizvoll, das sollte noch bis Ende der 1940er-Jahre so bleiben. Erst ab 1948 erreichte die Versorgungssituation ein halbwegs erträgliches Niveau: »Ansonsten hast du halt in Österreich ein bisschen was aufgetrieben. Wenn wir z. B. in Oberösterreich unterwegs waren, dann haben wir schon geschaut, was wir mitnehmen können: einen Zucker oder ein Mehl oder was. Das war üblich im Zuge der Ortsveränderung, normal ist man ja nicht hinausgekommen. Aber so im Klub, da sind so acht oder zehn Leute im Autobus gesessen. Und wenn der Trainer gesagt hat, wir fahren in Linz oder in Eferding, da hat man dann schon herumgeschaut, was man so hamstern kann. Weil in Wien hat es eher trist ausgeschaut, da habe ich nur von den CARE-Paketen was gekriegt. Was uns halt die Amis übrig gelassen haben. Aber es ist von Jahr zu Jahr besser geworden. Sagenhaft, wie schnell das gegangen ist. Und auch der Schleichhandel im Resselpark oder so, da hat es Zigaretten und Lebensmittel und alles gegeben, der hat sich bald aufgehört.«42 Auch Franz Deutsch erzählt von der Ernährungssituation: »Und da haben sie mich gefragt, warum ich das Rennen verloren habe. Habe ich gesagt: Weil ich zu wenig zu essen gehabt habe. Da hat mir die Frau vom Bubi Bös – der ein guter Radfahrer war – ein Verhackert-Brot gebracht, weil sie gesagt hat, die Steirer brauchen das. Die Ernährungssituation war damals wirklich sehr schlecht. Wir haben in meinem ersten Verein, bei ›Rund um Graz‹, einen Obmann gehabt, der war ein Gärtner und er ist zu den ganzen Gärtnern gegangen und hat gesagt: Gebt’s ein bisserl eine Jause her für unsere Fahrer.«43 Im Herbst 1946 wurden dann auch die Bahnrennen intensiviert. Sie waren für das Publikum attraktiver als die Straßenrennen, die sich zum größten Teil weit außerhalb der Städte abspielten, und galten als sportlich wertvoller als die Kriterien. Allerdings gab es in Österreich nur eine reine Radrennbahn – beim Praterstadion – und die befand sich in sehr schlechtem Zustand: einerseits die 40 Alfred Kain, in: Matthias Marschik, Frei spielen. Sporterzählungen über Nationalsozialismus und Besatzungszeit, Wien/Berlin 2014, 359–370, 366. 41 Kain, in Marschik, Frei spielen, 366. 42 Kain, in Marschik, Frei spielen, 367. 43 Franz Deutsch, in: Marschik, Frei spielen, 320–332, 325.

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Oberfläche der Bahn selbst, andererseits war durch die Zerstörung der Tribünen für das Publikum recht wenig Platz. »Bahnrennen sind also die Sehnsucht aller Rennfahrer. Und heute werden solche Rennen auf der Stadionbahn abgehalten oder eigentlich improvisiert.«44 Nahe am Publikum, eine gute Gelegenheit, die Stars wie Max Bulla aus der Nähe zu sehen, sportlich aber eher bedeutungslos, waren die im Winter als Werbeveranstaltungen abgehaltenen Walzenrennen.45 Ab Dezember 1946 war die österreichische Regierung für die Zuteilung der Nahrungsmittel verantwortlich. Die Ernährungslage blieb weiterhin angespannt und der strenge Winter verschärfte die Situation erneut.46 Trotzdem: »Die rührigen Radfahrer nähern sich schon wirklichen Friedensverhältnissen, nicht in Bezug auf die Materialien, denn da haperts schon noch, aber zumindest in Bezug auf ihre Rennfahrertätigkeit im allgemeinen. Nicht nur, daß sie an und für sich recht viel vorhaben, wie neben vielen anderen Rennen die kommende Etappenfahrt ›Quer durch Oesterreich‹ beweist, beginnen sie jetzt, nach der erfolgten Reorganisation ihrer Landesverbände, auch schon mit der Austragung ihrer einzelnen Landesmeisterschaften.«47 Insgesamt standen für 1947 in Österreich 101 Radrennen auf dem Programm, fast doppelt so viele wie ein Jahr zuvor, als es 52 gewesen waren.48 Zum Materialmangel sagt Alfred Kain, damals knapp 20jähriges Talent und später Profi: »Ich kann mich erinnern, ich habe am Anfang genau zwei Schlauchreifen gehabt, ich bin dreimal gestartet und habe dreimal Defekt gehabt. Damals konnte man den Schlauchreifen nicht so wie heute problemlos reparieren, sondern unerfahren wie ich war, habe ich den ganzen Reifen aufgetrennt und wieder zusammengenäht. Ich bin öfters eine Nacht lang gesessen, bis der Defekt behoben war. Aber man musste jeden Reifen reparieren, denn das war damals eine Rarität, ein Schlauchreifen nach dem Krieg.«49 Auch 1948 war die Lage noch prekär: »Die Reifenknappheit ist der größte Feind. So hängt die Teilnahme der Salzburger Radfahrer an der geplanten Radfernfahrt ›Quer durch Österreich‹ ganz und gar von der Materialfrage ab.«50 Deshalb wurden für die Sieger meist Sachpreise in Form von Rad-Teilen wie Lenkern, Schaltungen oder Kettenrädern vergeben. Stundenweltrekordler Franz Wimmer erzählt: »Und jeder hat sich gefreut, wenn er um Gottes willen keinen Pokal gewonnen hat, sondern einen Sachwert oder so etwas, den hat er dann 44 Neues Österreich, 11. 8. 1946, 5. 45 Österreichische Zeitung, 13. 12. 1946, 7. Rudolf Müllner, Rasender Stillstand. Radergometer und andere Fitnessmaschinen, in: Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013, 184–187. 46 Eder, Privater Konsum, 216. 47 Welt am Sonntag, 27. 4. 1947, 4. 48 Der Radfahrer. Offizielles Organ des Österreichischen Radfahrerbundes. 1. Jg., April 1952, Nr. 1, [1]. 49 Kain, in: Marschik, Frei spielen, 361. 50 Salzburger Nachrichten, 21. 8. 1948, 2.

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Abb. 22: Die Spitzengruppe bei einem Rennen auf der Wiener Höhenstraße 1948. Bild: Nachlass Max Bulla

verkaufen können und hat er Geld gehabt dafür, aber Geld hat es keines gegeben, verdient haben wir nichts beim Radfahren – da war nichts drinnen. Aber wenn man irgendeinen Gegenstand gekriegt hat, den hat man verkaufen können, da hat man im Gegenwert nachher ein Geld gehabt dafür und ein Pokal war unverkäuflich.«51 Zwischen den Rennfahrern und den Klubs wurde ein reges Tauschgeschäft mit den gewonnenen Teilen aufgezogen. Bei seiner Generalversammlung im April 1947 benannte sich der ÖRV in Österreichischer Radfahrbund (ÖRB) um, nahm also den Namen des bis 1938 existenten bürgerlichen Verbandes an. In diesem Jahr gründete der ÖRB auch gemeinsam mit dem ARBÖ die Österreichische Radsportkommission, die ÖVPnahe Union schloss sich wenig später an – eine Konstruktion, die bis zur Gründung des Österreichischen Radsportverbandes (ÖRV) im Jahr 1972 Bestand hatte. In den Jahren 1946 und 1947 wurde auch der regionale Radsport reformiert und strukturbereinigt: So wurden etliche Klubs, die – vielfach schon seit den Kriegsjahren – nicht mehr aktiv waren, behördlich aufgelöst. Andererseits wurde 51 Franz Wimmer, in: Marschik, Frei spielen, 448–461, 453.

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der »Alpenländische Radfahrerbund«, der sich bis 1936 der Eingliederung in den ÖRB widersetzt hatte, als »Steirischer Radfahrer Verband« unter seinem ehemaligen Obmann Ferdinand Pelkhofer neu gegründet.52 Ein Zeichen dafür, dass die Konkurrenz zwischen Wien und Graz auch nach 1945 weiter virulent blieb, zumal die Steiermark gute Radfahrer besaß, vor allem aber mit Puch und Junior die beiden großen Radhersteller beheimatete, die sich auch im Radrennsport profilieren wollten.53 Mittels Schreiben vom 29. August 1949 erkannte das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau die ÖRK als »Fachverband aller in Österreich radsporttreibenden Verbände« an. Dieses Ministerium war auch zuständig für die »Genehmigung von Wettfahrten und sportlichen Veranstaltungen mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern auf Bundesstraßen« und damit für den Radrennsport ein wichtiger Ansprechpartner. Auf Basis der Kraftfahrvorschriften und der Straßenpolizeiordnung, die 1947 in Kraft getreten waren, verfasste das Ministerium einen entsprechenden Erlass, der Radrennen zwar grundsätzlich erlaubte, allerdings einen Absatz enthielt, der den Interessen der Veranstalter entgegenstand: »Start und Ziel sollen […] womöglich nicht in Landeshauptstädten oder Kurorten liegen […] Die Benützung der in Landeshauptstädten oder Kurorten befindlichen Durchfahrtstraßen von Bundesstraßen ist in der Regel nur für die Dauer der verkehrsschwachen Zeit (Nacht, Morgen) zu gestatten.«54 Die Radrennen sollten den Straßenverkehr möglichst wenig stören und idealerweise abseits der belebten Städte stattfinden. Für die Veranstalter waren Start und Ziel in den großen Städten dagegen essenziell, um nahe an das Publikum zu kommen – und auch symbolisch spielten Start und Ziel im Zentrum – etwa beim Wiener Rathaus, in Graz am Mariahilferplatz oder bei der Hauptpost – eine große Rolle. Städtische Wahrzeichen dienten als Hintergrund für attraktive Bilder in den Printmedien, Zuschauermassen sorgten für sichtbare Belege der Popularität, die Kriterien hatten es vorgemacht: »Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß der Radsport Volkssport im wahrsten Sinne ist, dann wurde dieser am vergangenen Sonntag sehr eindeutig erbracht. Es regnete frühmorgens in Schnürln und dennoch strömten aus allen Bezirken mehr als 10.000 Freunde unserer Radfahrer zum Rathausplatz.«55 52 Wehap, frisch, 158. 53 Eigene offizielle semi-professionelle Rennteams gründeten sowohl Puch wie Junior aber erst im Jahr 1949: Walter Ulreich/Wolfgang Wehap, Die Geschichte der PUCH-Fahrräder, Gnas 2016, 282; Wolfgang Wehap, Der Löwe mit dem Sportlerherz, Die Geschichte der JuniorFahrradwerke, 2017, 96. 54 OeStA/AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau: Bewilligung von Wettfahrten und sportlichen Veranstaltungen durch die Straßenpolizeibehörden. Zl. 200.543-VI/29–1948, Wien, 3. 12. 1947, 3. 55 Wiener Sport in Bild und Wort, 24. 5. 1947, 10.

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Die Radfernfahrt »Quer durch Österreich« Das größte Radsportereignis in Österreich im Jahr 1947 war die Fernfahrt »Quer durch Österreich«. Als Veranstalter traten die »Welt am Montag« und die »Welt am Abend«, die beiden von der französischen Besatzungsmacht herausgegebenen Zeitungen, auf – ganz nach dem Vorbild der Tour de France, die ursprünglich von der Sportzeitung »L’Auto«, ab 1947 vom Sportjournal »L’Equipe«, durchgeführt wurde. Das Rennen führte in vier Etappen von Bregenz nach Wien und wurde am 11. Juni 1947 gestartet. Am Vortag schürte die »Welt am Abend« die Erwartungshaltung: »In Tirol und Vorarlberg herrscht großes Interesse für diese Veranstaltung. So hat [sic] sich Radio Bregenz und Radio Innsbruck bereit erklärt, laufend Berichte von der Fahrt zu bringen. In diesem Zusammenhang ist es auch erwähnenswert, daß auch die Ravag zwei Sprecher, Richard Mals-Gogola und Many Hrubec, mit ihren Mikrophonen auf zwei wichtigen Punkten der Strecke postiert hat, die die Hörer im östlichen Teil Oesterreichs unterrichten werden, so vor allem beim Ziel in Schönbrunn.«56 Die weitere Strecke zum Rathausplatz durfte nicht als Teil des Rennens, sondern nur neutralisiert zurückgelegt werden. Für die dort wartenden ZuschauerInnen wurde ein Rahmenprogramm abgehalten. Eine Besonderheit von »Quer durch Österreich« bildete die Fahrt über die Zonengrenzen, die erstaunlich problemlos verlief, wie sich Franz Deutsch erinnert: »Wir sind bei der ersten Österreich-Rundfahrt, die letzte Etappe von Linz nach Wien gefahren. Da haben wir uns bei der Demarkationslinie alle aufstellen müssen, da sind wir abgezählt worden, ob das wohl stimmt und dann ist das weitergegangen. Wir haben so einen Identitätsausweis gehabt, aber 1947 war das nicht mehr so streng wie am Anfang. Probleme hat es da keine mehr gegeben, die haben nur geschaut.«57 Freilich stand dieses erste radsportliche Großereignis noch im Zeichen der Not: »Also bei der Österreich-Rundfahrt ist es schon gegangen, da haben wir schon tadellose Unterkünfte gehabt. Aber bei ›Quer durch Österreich‹, da weiß ich noch, wir sind in Salzburg sehr schlecht untergebracht gewesen, zum Essen haben wir nur Salat und Polenta in der Nacht bekommen – also es war nichts da. Der Verein, der Radfahrerbund hat zu dieser Zeit kein Geld gehabt – wir haben noch keine Fabriken gehabt, die einzige Semperit war in der Lage, uns ein kleines bißchen mit Reifen zu unterstützen, da haben wir dann Reifen bekommen – aber es ist sehr schwer gewesen, sehr schwer die erste Zeit«.58

56 Welt am Abend, 10. 6. 1947, 4. 57 Franz Deutsch, in: Marschik, Frei spielen, 325. 58 Richard Menapace, in: Marschik, Frei spielen, 411–423, 418.

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Radsport in Österreich 1945–1950

Abb. 23: Österreich-Rundfahrt 1950. An der Zonengrenze Ennsbrücke wird das Feld geschlossen durchgeschleust. Bild: Votava, Brandstätter Images, APA-Picturedesk

Die internationale Beteiligung am Rennen war bis zur letzten Minute gefährdet, doch befanden sich letztendlich unter den 28 Rennfahrern auch drei Franzosen und der »gefürchtete italienische Bergspezialist Menapace aus Bozen«, der 1947 noch die deutsche Staatsbürgerschaft hatte, in Südtirol lebte und für Italien an den Start ging.59 Die erste Etappe führte nach Innsbruck und endete »am Rennweg, einer breiten Allee, die auf beiden Seiten von vielen tausenden Menschen umsäumt war. Innsbruck ist jedenfalls um nichts weniger sportbegeistert als Wien«,60 so die »Welt am Abend«. Anders im nächsten Etappenort: »Die Anteilnahme der Salzburger blieb wesentlich kleiner als die der Innsbrucker, und auch die Unterbringung und Verpflegung der Fahrer war keineswegs angetan, daß den Giganten der Landstraße das sonst so schöne Salzburg in guter Erinnerung bleiben könnte. Die Rennfahrer schliefen in einem ehemaligen Luftschutzbunker im Mirabellgarten, das heißt, sie lagen nur dort, denn die meisten konnten in den muffigen Räumen die ganze Nacht kein Auge schließen.«61 Das »Salzburger Volksblatt« schrieb dagegen von Salzburger Radsportfreunden, die sich »vielhundertköpfig versammelt« hätten und »in Weißglut«62 den Zieleinlauf 59 60 61 62

Zu Menapace und die mit ihm verbundenen Zugehörigkeitsdiskurse siehe Kapitel 6. Welt am Abend, 12. 6. 1947, 4. Welt am Abend, 14. 6. 1947, 5. Salzburger Volksblatt, 13. 6. 1947, 3.

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verfolgten, der allerdings unter der zu schmalen und frisch geschotterten Straße litt. Das von Menapace und der »Welt am Abend« so geschmähte Abendessen war offenbar ein gemeinsames mit dem Salzburger Landessportrat Karl Iser im Arbeiterheim.63 In Linz herrschte wieder große Begeisterung: »In Klein-München entwickelte sich diese Begleiterschar zu einer ausgesprochenen Plage und Gefahr, um so mehr, als die Fahrer sichtlich schon von der ›Sportpsychose‹ erfaßt waren. Eine unübersehbare Menschenmenge umsäumte die Einfahrtsstraßen und die Zielgerade beim Hessenplatz«.64 Von Wien zeichnet der »Wiener Sport« ein Bild der Begeisterung, von der die gesamte Stadt erfasst worden sei: »Am Sonntag früh unterhielten sich in den Büros, in den Werkshallen der Fabriken, ja selbst in der Straßenbahn Menschen, die nie zuvor über den Radsport gesprochen hatten, über nichts anderes als über das bevorstehende Großereignis, das Eintreffen der ›Giganten‹ auf dem Rathausplatz. Und dann geschah etwas, was man in Wien zuvor noch nicht erlebt hatte: Von den Mittagsstunden an setzte eine Art Völkerwanderung zum Rathausplatz, zur Mariahilferstraße, Hadikgasse, Wientalstraße und hinaus zum Riederberg ein […] Zu einer wahren Triumphfahrt entwickelte sich das Schlußstück der Etappe von der Stadtgrenze bis zum Rathausplatz. Schon in Hietzing standen Zehntausende von Menschen Spalier, in der Mariahilferstraße wurde es noch ärger, auf der Ringstraße gab es einen zehnreihigen Kordon von ›Adabeis‹ und vor dem Rathaus erwarteten weitere 10.000 die Fahrer. Nach polizeilichen Schätzungen waren etwa 150.000 bis 180.000 Menschen auf den Beinen.«65 Gesamtsieger wurde der Franzose Robert Renonce vor seinem Landsmann Illitch und Rudi Valenta. Es mag sein, dass die Schilderung etwas übertrieben ist, am Sonntag waren in den Büros wohl nicht besonders viele Menschen anzutreffen, auch die Zuschauerzahlen sind nur Schätzungen und es war in dieser Zeit relativ leicht, viele Menschen zu einem (kostenlosen) Spektakel auf die Straße zu bekommen. Spannend ist aber, wie sehr die (fast) gesamtösterreichische Radsportbegeisterung zum Thema der Medien wird. Einen weiteren Beleg für die Popularität des Radsports liefert die Auflagenzahl der »Welt am Abend«: Sie stieg massiv an, von etwa 25.000 auf rund 95.000 Exemplare. Es war allerdings ein kurzlebiger Erfolg, bis September 1947 sank sie wieder auf unter 40.000 Stück.66 Die Radrennen zählten spätestens in diesem Jahr neben dem Fußball und den Boxkämpfen zu den beliebtesten Sportveranstaltungen in Österreich und wurden für Zeitungen und Radio in63 64 65 66

Vgl. Salzburger Volksblatt, 13. 6. 1947, 3. Welt am Abend, 14. 6. 1947, 5. Wiener Sport in Bild und Wort, 21. 6. 1947, 10. Myriam Gourlet, Die französische Medienpolitik in Österreich während der Besatzungszeit 1945–1949. Angers 2002. (Gourlet bezieht sich auf Zahlen von: Compte-rendu de l’activité des Services de l’Information, juin 1947, MAE/C, Vienne, C.102.)

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Abb. 24: Mehretappenfahrt »Quer durch Österreich« von Bregenz nach Wien 1947. Von rechts: Menapace, Illitch und der Sieger Renonce. Bild: Votava/Brandstätter Images/APA-Picturedesk

teressant. Mit »Ausführlicher Bericht vom Radrennen ›Quer durch Oesterreich‹« warb die »Welt am Abend« auf ihrer Titelseite, auf der sie auch auf die Radioübertragung hinwies: »Die Sendergruppe Rot-Weiß-Rot, deren Reporter die Radfahrer auf ihren vier Etappen begleiten, bringt einen Hörbericht von der Ankunft in Salzburg und den [sic] Verlauf der Etappe Innsbruck – Salzburg heute um 19.30 Uhr. Ebenso morgen wird auch die Ankunft in Wien am Samstag übertragen.«67 Rund die Hälfte der letzten Seite (und damit gut drei Viertel des Sportteils) war dem Bericht über die erste Etappe gewidmet: »Valenta trägt das ›gelbe Trikot‹« lautete die Überschrift, darunter: »Die Franzosen sind doch gekommen – Sonne über dem Arlberg.«68 Die »Neue Zeit«, das »Organ der Sozialistischen Partei Steiermark«, widmete den »Giganten der Landstraße« knapp ein Drittel seines Sportteils.69 Große Berichte erschienen 67 Welt am Abend, 12. 6. 1947, 1. 68 Welt am Abend, 12. 6. 1947, 4. 69 Neue Zeit, 12. 6. 1947, 4.

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auch in der »Österreichischen Zeitung«70 (»Zeitung der Sowjetarme für die Bevölkerung Österreichs«), der »Österreichischen Volksstimme«,71 ebenso in den »Oberösterreichischen Nachrichten«,72 in der »Salzburger Volkszeitung«73, in den »Vorarlberger Nachrichten«74 und dem »Vorarlberger Volksblatt«.75 »Das Kleine Volksblatt« brachte dagegen nur eine kurze Ergebnismeldung und der »Volkswille«76 erst am Ende des Rennens einen Kurzbericht. Die vom britischen Informationsdienst herausgegebene »Weltpresse« berichtete erst über die bevorstehende Ankunft der Rennfahrer in Wien, die ersten drei Etappen wurden ignoriert. Auch im »Wiener Kurier« erschien zur ersten Etappe nur ein kleiner Bericht, erst über das Gesamtergebnis und das folgende Kriterium (das Valenta gewann) wurde etwas größer berichtet.77 Es ist wenig überraschend, dass die veranstaltende »Welt am Abend« am ausführlichsten informierte, große Berichte fanden sich auch in den von der Sowjetunion kontrollierten Zeitungen, die britische »Weltpresse« berichtete wenig (hier spielt wohl auch eine Rolle, dass das Rennen die britische Zone nicht durchfuhr, was auch die geringe Beachtung im »Volkswillen«, der Kärntner KP-Zeitung, erklären könnte). Die Regionalzeitungen entlang der Route publizierten dagegen recht umfangreich, der »Wiener Kurier« (von den amerikanischen Streitkräften herausgegeben) brachte nur kleine Berichte, obwohl das Rennen in Wien endete und mit Rudi Valenta zeitweise ein Wiener Fahrer das Gelbe Trikot trug. Von den Besatzungsmächten maßen also Frankreich und die Sowjetunion dem Rennen (und wohl dem Radsport in Österreich insgesamt) große Bedeutung bei, ansonsten spielten regionale Bezüge (der Streckenführung, weniger der Fahrer) eine Rolle: Die in den Bundesländern entlang der Strecke erscheinenden Zeitungen berichteten ausführlich. In Wien ist das Bild uneinheitlich. In der Steiermark und Kärnten scheint die mediale Aufmerksamkeit (mit Ausnahme der »Neuen Zeit« aus der Radmetropole Graz) geringer gewesen zu sein. Der Radsport stand in Österreich nun auch auf breiterer Basis, nicht nur was das Publikum und das Medieninteresse betraf. Die Zahl der Rennen hatte sich von 1946 auf 1947 fast verdoppelt, im Vergleich zu 1945 fast verzehnfacht.

70 71 72 73 74 75 76 77

Österreichische Zeitung, 12. 6. 1947, 7. Österreichische Volksstimme, 12. 6. 1947, 4. Oberösterreichische Nachrichten, 12. 6. 1947, 3. Salzburger Volkszeitung, 12. 6. 1947, 4. Vorarlberger Nachrichten, 12. 6. 1947, 3. Vorarlberger Volksblatt, 12. 6. 1947, 3. Volkswille, 18. 6. 1947, 7. Wiener Kurier, 12. 6. 1947, 3; 16. 6. 1947, 3.

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Entwicklung der Radsportveranstaltungen in Österreich Jahr 1945

Anzahl 11

1946 1947

52 101

1948 1949

130 154

1950 1951

167 229

Im Jahr 1951 führte der ÖRB mit 102 Veranstaltungen fast die Hälfte der Rennen durch, 53 der ARBÖ, 21 die Union, 12 die ÖRK, die Landessportausschüsse 10 und die – 1948 gegründete – Berufsfahrervereinigung 31. Quelle: Der Radfahrer. Offizielles Organ des Österreichischen Radfahrerbundes. 1. Jg., April 1952, Nr. 1, [1].

Bei der Weltmeisterschaft Anfang August 1947 in Frankreich war Österreich wieder mit einem großen Team vertreten: Bei den Profis gingen Josef Swoboda und der bereits 42-jährige Max Bulla an den Start. Bei den Amateuren hatten sich in nationalen Ausscheidungsrennen vier Fahrer, Pohnetal, Goldschmid, Schiebl und Valenta, für die Weltmeisterschaft qualifiziert, wobei Schiebl den achten Platz belegte. Bei den Bahnrennen in Paris kamen die Österreicher über die Hoffnungsläufe nicht hinaus.78 Der Sportjournalist Kurt Jeschko führte das schlechte Abschneiden auf infrastrukturelle Mängel zurück: »Allerdings lassen sich Taktik und Technik der Fliegerprüfungen und Verfolgungsrennen kaum in der Theorie wirklich erlernen. Zur Praxis gab aber die ziemlich ramponierte Wiener Stadionbahn unseren Leuten so gut wie keine Gelegenheit.«79 Als letzter Saisonhöhepunkt stand von 19. bis 21. September 1947 das Rennen Wien – Graz – Wien auf dem Programm. Die erste Etappe sollte vom Südtirolerplatz in Wien (neutralisiert bis Kilometerstein 5) bis zum Grazer Lendkai führen. Zurück sollte es dann wieder vom Lendkai bis zur Stadionrennbahn in Wien gehen. »Das Handelsministerium ist grundsätzlich, soweit Bundesstraßen betreffend, bereit, zu genehmigen, ersucht jedoch um da. [sic] Stellungnahme bis 10. September.«80 Aus Niederösterreich und der Steiermark kamen keine Einsprüche, anders die Situation in Wien: »Die Pol. Dion Wien hat gegen die Bewilligung des Startplatzes und gegen die Durchführung des Rennens bis zur

78 Vgl. Marschik, Idealismus, 144. 79 Kurt Jeschko, Giganten der Landstraße, in: Otto Haas (Hg.), Frommes Sportkalender 1948/49. Ein Jahrbuch für Sportler und Sportfreunde, Wien 1947, 122–123. 80 OeStA/AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Gegenstand: Österreichischer Radfahrer-Bund, Streckenbewilligung […] Brieftelegramm 5. 9. 1947.

Die Radfernfahrt »Quer durch Österreich«

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Stadionrennbahn Bedenken.«81 Die Polizeidirektion verlangte in diesem Schreiben von 9. September eine neutralisierte Fahrt bis zu (bzw. bei Rückfahrt ab) der Boschberghöhe in Favoriten, weil angesichts des Verkehrsaufkommens in Wien eine Fahrt im Renntempo nicht zu verantworten und eine Sperre der Strecke zu aufwändig sei. Einen Tag später folgt ein Aktenvermerk: »Insp. Leditzky vom Verkehrsamt hat angerufen und mitgeteilt, daß am 21. Sept. ein großes Fußballmatch im Stadion und ein Trabfahren in der Krieau stattfindet und es sohin unmöglich ist, daß das Ende des Rennens in der Stadion-Rennbahn festgesetzt ist«.82 Im Bescheid wurde schließlich unter anderem festgelegt, dass die »Durchfahrt in Maximalgeschwindigkeit von 10 km erfolgen« müsse und »es steht den diensthabenden Wachebeamten frei, die Geschwindigkeit aus Sicherheitsgründen des an- oder abströmenden Publikums dieser Großveranstaltungen weiter zu reduzieren.«83 Zugleich zeigt sich, dass – mit Ausnahme der verkehrspolizeilichen Bedenken in Wien – die Bewilligungen von Radrennen recht einfach und schnell (der Antrag wurde nur knapp zwei Wochen vor der Veranstaltung gestellt) erledigt wurden, die Behörden standen dem Radsport also grundsätzlich positiv gegenüber. Radsport werde nicht zu Unrecht mit dem »schmückenden Beiwort ›Volkssport Nr. 2‹ versehen. So leicht sich diese erfreuliche Feststellung in einer Rückschau treffen läßt, so gab es doch zahllose Widerstände zu überwinden. Glücklicherweise gelang es zur rechten Zeit, durch die Schaffung der österreichischen Radsport-Kommission (ÖRK) ein gemeinsames Dach zu errichten, in dessen Schutz die drei großen Verbände ArbeiterRadfahrer-Bund (ARBÖ) und Union seither einträchtig zusammenarbeiten. Auch die heikle Frage des Berufssports fand vor diesem Forum eine möglichst gerechte Behandlung.«84 Nach dem Ende der Straßen- und Bahnsaison wurden wieder Saalwalzenrennen ausgetragen. Hier tauchte im Oktober 1947 Franz Dusika zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder in einer Zeitungsmeldung auf. Er gewann das Rennen vor dem Franzosen Émile Bertignon.85

81 OeStA/AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Gegenstand: Österreichischer Radfahrer-Bund, Streckenbewilligung […] Polizeidirektion Wien. An das Bundesministerium f. Handel und Wiederaufbau. Betrifft: ÖRB; Radrennen Wien – Graz – Wien. 9. 9. 1947. 82 OeStA/AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Gegenstand: Österreichischer Radfahrer-Bund, Streckenbewilligung […] Aktenvermerk vom 10. 9. 1947. 83 OeStA/OeStA/AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Gegenstand: Österreichischer Radfahrer-Bund, Streckenbewilligung […] Bescheid 16. 9. 1947. 84 Der Radfahrer. Offizielles Organ des Österreichischen Radfahrerbundes. 1. Jg., April 1952, 1. 85 Welt am Abend, 16. 10. 1947, 4.

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Radsportbegeisterung und Österreich-Rundfahrt Trotz der Begeisterung des Publikums und des großen Medieninteresses für »Quer durch Österreich« blieb die Finanzierung von Großveranstaltungen schwierig. Auf der Generalversammlung des ÖRB im November 1947 sprach Präsident Franz Hamedl davon, dass auch für 1948 wieder eine Fahrt »Quer oder rund durch Österreich« geplant sei. Allerdings müssten »noch zahlreiche Hindernisse aus dem Weg geräumt« werden, »vor allem ist die finanzielle Frage noch völlig ungeklärt«.86 Es wurde schließlich ein Rennen »Rund durch Österreich« in nur vier Etappen ausgetragen: Start- und Zielorte waren Wien, Graz (Halbetappenziel Bad Aussee), Salzburg, Linz und wieder Wien. Tirol und Vorarlberg standen diesmal nicht auf dem Programm. Das war mehr als nur eine Verkürzung der Strecke: Es fehlte die französische Besatzungszone im Streckenplan des Rennens, das im Jahr zuvor von den Zeitungen der französischen Besatzungsmacht veranstaltet worden war. Geplant war offenbar eine Rundfahrt mit acht Etappen, die aber an der Finanzierung scheiterte. Ein Problem hatte die Streckenführung von »Quer durch Österreich« im Jahr 1947 gehabt: Sie durchmaß zwar in vier langen Etappen fast das ganze Land von West nach Ost, es fehlte aber Graz auf dem Streckenplan, das mit den zwei größten Fahrradwerken und einer höchst aktiven Radsportszene zumindest ökonomisch die wichtigste Radsportstadt in Österreich war, auf jeden Fall weit bedeutender als Vorarlberg und Tirol. Bezüglich des Mehretappenrennens von 1948 war in den Medien bereits häufig von der »Österreich-Rundfahrt« die Rede, bisweilen wurde auch von einer »Tour d’Autriche« geschrieben. Besonders hob die »Welt am Abend« hervor: »Die Uebernahme des Ehrenschutzes durch den Herrn Bundesminister für Justiz Dr. Gerö, den Herrn Bundesminister für Unterricht Dr. Hurdes, den Herrn Landeshauptmann und Bürgermeister von Wien Doktor h. c. Körner und den Herrn Bundesminister Maisel, hebt dieses Radrennen aus dem üblichen Rahmen solcher Veranstaltungen.«87 Das verlieh dem Rennen eine (staats)politische Aufladung und zeigte zugleich einen parteiübergreifenden Konsens. Dieser Wille zur Zusammenarbeit fehlte offenbar in der österreichischen Mannschaft bei »Quer durch Österreich«: Johann Goldschmid führte vor der letzten Etappe, verlor den Sieg aber noch, weil das französische Team konsequent zusammenarbeitete, während er weder von Menapace noch von Valenta, seinen beiden Kollegen im Nationalteam, Unterstützung bekam. Valenta sei schuldlos, weil durch Defekt zurückgefallen, Menapace aber habe die Niederlage »durch seinen Starrsinn« mitzuverantworten: »Wie man in Innsbruck vermutete, gab er vor St. Pölten das Rennen auf, um der Tiroler Mannschaft dadurch zu einem 86 Weltpresse, 27. 11. 1947, 3. 87 Welt am Abend, 19. 8. 1949, 5.

Radsportbegeisterung und Österreich-Rundfahrt

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dritten Platz in der Mannschaftswertung zu verhelfen. Wenn das wahr ist, kann dagegen nicht scharf genug Stellung bezogen werden.«88 Die »Österreichische Zeitung« griff nicht nur Menapace an: »Es wird gut sein, daß der Radsportverband eine strenge Untersuchung einleitet und die Schuldigen dieses unsportlichen Verhaltens im eigenen Lager feststellt und zur Verantwortung zieht. Sollte sich, wie vermutet wird, darunter auch einer der Funktionäre befinden, müßte trotzdem durchgegriffen werden.«89 Die »Welt am Abend« konkretisierte: »Wenn man erfährt, daß Firmeninteressen bei den Amateuren bereits eine Rolle spielen und diese sogar so weit gehen, daß dem einen Fahrer die Führung untersagt wird, weil er eine Radmarke fährt, die dem einen oder anderen Herren nicht genehm ist, kann man nur den Kopf schütteln.«90 Hier findet sich also der Vorwurf, Fahrer und Funktionäre würden persönliche Ziele, Firmeninteressen und möglicherweise Lokalpatriotismus über das Ziel eines österreichischen Siegs stellen. Auch der Sportjournalist Kurt Jeschko vermerkte unmissverständlich: »Die größte Minuspost unserer Straßenfahrer ist mangelnder Mannschaftsgeist« und »kurzsichtiger Egoismus«, was in der Konsequenz sportliche Erfolge im Ausland verunmögliche.91 Diese Misstöne stellten aber die grundsätzliche Bedeutung des Radsports in dieser Zeit nicht infrage, eher zeigen sie die Spannungen, die in einem boomenden Bereich durch Diskrepanzen zwischen sportlichen und Geschäftsinteressen entstanden. Die »Tour d’Autriche« war gewiss der Höhepunkt des Radsportjahres 1948, doch gab es daneben noch weit über hundert andere Rennen, wobei auffällt, wie sehr die Veranstalter sich schon durch die Namensgebung um Attraktivität bemühten. Es gab nicht nur »Österreichische Bahn-, Straßen- und Bergmeisterschaften«, sondern in allen drei Bereichen auch Landesmeisterschaften. Der Titel des Straßenmeisters von Österreich wurde aus der Addition dreier Rennen ermittelt. Das in diesem Jahr von der Tour nicht berücksichtigte Vorarlberg richtete eine eigene kleine Rundfahrt aus, gleichzeitig bescheiden als »Rund um’s Ländle« und großspurig als »Tour de Vorarlberg« tituliert.92 Die Inszenierung der Zwei-Etappen-Fahrt, veranstaltet vom »Sportund Bekleidungshaus Löffler in Gemeinschaftsarbeit mit dem Radlerklub Vorkloster«, orientierte sich jedenfalls an großen Vorbildern, vom Start ausländischer Fahrer aus Italien und der Schweiz über zahlreiche Sachpreise lokaler Firmen bis zum Startzeichen durch den prominenten Kammersänger Helge Rosvaenge.93 88 89 90 91 92 93

Weltpresse, 20. 9. 1948, 8. Österreichische Zeitung, 21. 9. 1948, 7. Welt am Abend, 22. 9. 1948, 6. Jeschko, Giganten, 122. Vorarlberger Nachrichten, 23. 7. 1948, 3. Vorarlberger Nachrichten, 26. 7. 1948, 5.

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Der Verband sah in den Entwicklungen des Radsports durchaus einen Aufschwung: So wurden im Jahr 1948 insgesamt 674 Lizenzen ausgestellt, gegenüber 545 im Jahr zuvor. Dieser Steigerung der Quantität würde »zweifellos eine Steigerung in den Spitzenleistungen« folgen, zumal es gelungen war, »dem katastrophalen Materialmangel, wie Räder und Bereifung, einigermaßen Herr zu werden« und damit »einen, den Verhältnissen angemessen, ganz respektablen Sportbetrieb abzuwickeln«.94 Ins Auge fiel ab 1948 nicht zuletzt eine zunehmende Flexibilität der Radsportler, denn die Siegerlisten der Veranstaltungen glichen einander bis auf jeweils wenige Ausnahmen. Zonengrenzen spielten offensichtlich keine Rolle mehr, die Spitzenfahrer starteten in Wien und Graz ebenso wie in Innsbruck oder Vorarlberg. Und immer häufiger wurde auch von Einladungen an die wenigen Stars des österreichischen Radsports zu Amateurrennen nach Italien, Jugoslawien, in die Schweiz oder auch nach Frankreich berichtet. Auch nahmen österreichische Fahrer an den Olympischen Sommerspielen 1948 zwar mit eher geringem Erfolg, so doch teil: Valenta konnte im Straßenrennen immerhin Platz 14 belegen, Walter Freitag und Kurt Nemetz erreichten bei den Bahnrennen die Plätze acht und neun. Während die Teilnahme Österreichs an den Olympischen Spielen in den Medien generell als Wiederaufnahme in die internationale Staatengemeinschaft gefeiert wurde (während Deutschland noch ausgeschlossen war),95 wurden im Radsport überraschenderweise bereits höhere Ansprüche gestellt: Die Platzierungen der Österreicher wurden kaum erwähnt oder abschätzig kommentiert: »Im Radfahren hätten die Bahnfahrer ruhig zu Hause bleiben können.«96 Im Sommer 1949 fand dann tatsächlich die erste Österreich-Rundfahrt statt. Franz Hamedl übernahm eine Ausfallshaftung (auf die nicht zurückgegriffen werden musste).97 Das Rennen wurde in sieben Etappen ausgetragen. Die erste führte von Wien nach Graz, weiter ging es nach Klagenfurt, Lienz, Zell am See, Innsbruck, Salzburg (Halbetappenziel), Linz und wieder nach Wien. Außer dem Burgenland und Vorarlberg wurden alle Bundesländer befahren, die Route führte durch alle vier Besatzungszonen. Auf der Titelseite des offiziellen Programmheftes, herausgegeben vom sozialdemokratischen »Kleinen Blatt«, wurde »Das Rennen der Giganten« angekündigt, illustriert von einer Zeichnung, die Radrennfahrer beim Anstieg zum Großglockner zeigt.98 Der Briefkopf des »Organisationskomi94 Karl Lehmann, Österreichs Radsport im Aufschwung, in: Otmar Hassenberger (Red.), Österreichisches Sportjahrbuch 1949. Das amtliche Jahrbuch des österreichischen Sports, Wien 1949, 187–189, 187. 95 Marschik, Identität, 165–174. 96 Vorarlberger Nachrichten, 31. 7. 1948, 4. 97 Der Radsport. Offizielles Organ des Österreichischen Radfahrerbundes. 1. Jg., April 1952, 2. 98 Österreich-Rundfahrt. Offizielles Programm. Herausgegeben vom Kleinen Blatt, Wien 1949, 1.

Radsportbegeisterung und Österreich-Rundfahrt

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Abb. 25: Das Fahrerfeld der Österreich-Rundfahrt 1949 in Wien, zwischen Autos und Straßenbahnen. Bild: Sport-Schau 14. 7. 1949

tee[s] der Österreich-Rundfahrt 1949« trug das Wappen der Österreichischen Radsportkommission (mit dem Hinweis auf die drei Verbände) und nannte den ministeriellen und bürgermeisterlichen Ehrenschutz (wie schon bei »Rund durch Österreich« im Jahr davor).99 Fünfzig Fahrer sollten »inklusive der Ausländer« an den Start gehen. »Für Sanität und Ordnungsdienst kommt der Veranstalter auf, von seitens [sic] der Gendarmerie und Polizei wird um Beistellung von Sicherheitsorganen gebeten.«100 Weiters ersuchte »[a]us propagandistischen Gründen und der einmaligen Spitzenveranstaltung des Radsportes« das Organisationskomitee um die Genehmigung der Verlegung des Starts vom Schwarzenberg- auf den Rathausplatz, die auch erteilt wurde. Passend dazu gab es am Vortag einen 99 OeStA/AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Organisationskomitee[s] der Österreich-Rundfahrt 1949. An das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau. Betrifft: Radrennen Rund um Oesterreich vom 23.– 31. Juli. 30. 5. 1949. 100 OeStA/AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Organisationskomitee[s] der Österreich-Rundfahrt 1949. An das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau. Betrifft: Radrennen Rund um Oesterreich vom 23.– 31. Juli. 30. 5. 1949.

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Empfang beim Wiener Bürgermeister Theodor Körner und bei Stadtrat Viktor Matejka.101 Körner gab auch das Startsignal für die erste Etappe. Der Apparat Österreich-Rundfahrt Die Rennleitung des ÖRK umfaßt 40 Personen, darunter befinden sich fünf Mechaniker, Ärzte, Sanitätspersonal und Chauffeure. 30 Journalisten, Pressephotographen und Filmkameraleute, sowie sieben Radiosprecher werden ein anschauliches Bild von der Rundfahrt vermitteln. 120 Quartiere wurden gemietet, um Fahrer, Begleitpersonal und die Pressegilde unterzubringen. Über 5000 Richtungsanzeiger mußten entlang der Strecke zur Orientierung der Fahrer angebracht werden. Für die Marschverpflegung wurden benötigt: 70 kg Reis, 20 kg Mehl, 30 kg Zucker, 20 kg Rosinen, 30 kg gedörrte Zwetschken und 20 kg Schokolade. Für Getränke wurden 40 kg Kaffee, 5 kg Tee und 20 kg Himbeersaft bereitgestellt. 9000 Liter Benzin wurden für die offiziellen Begleitfahrzeuge – 14 Personenautos, 8 Lastautos und 10 Motorräder – bereitgestellt. An Ersatzmaterialien wurden mitgenommen: 80 Laufräder, 15 Schaltungen, 15 Ketten, 200 Bremsgummi, 40 Bremsseile, 400 Schlauchreifen und 1000 Speichen. Quelle: Wiener Kurier, 22. 7. 1950, 14.

Das über insgesamt 1.262 Kilometer führende Rennen gewann Richard Menapace in einer Gesamtzeit von 36 Stunden 38 Minuten und 27 Sekunden mit einem Vorsprung von 38:46 Minuten auf Franz Deutsch. Im Radio, in den Tageszeitungen und in den Sportillustrierten wurde ausführlich berichtet. Die großen Tageszeitungen beschäftigten »Sonderberichterstatter«, die Illustrierten publizierten Hefte in größerem Umfang, die fast ausschließlich dem Ereignis gewidmet waren. Statistiken sollten die Dimension der Veranstaltung veranschaulichen. Wenn so viel in Bewegung gesetzt wird, wenn so viele Medienleute berichten, musste das Ereignis wichtig sein. Es zeigte aber auch tatsächlich den hohen Aufwand und das personelle Übergewicht von Funktionären und Journalisten im Vergleich zu den fünfzig Fahrern. Der Begleittross von Organisations-, Firmen-, Betreuer- und Werbefahrzeugen, der an der Strecke und auch in den Zeitungsfotos deutlich zu sehen ist, war im Vergleich zu internationalen Großereignissen winzig, für österreichische Verhältnisse aber bereits enorm. In vielen Zeitungsartikeln wurde neben den sportlichen Ereignissen vor allem auf die große Zahl der ZuschauerInnen, nicht nur in den Start- und Zielorten, sondern auch entlang der Strecke, eingegangen. Die Chancen der Fahrer wurden abgeschätzt, die weitgehend unbekannten Athleten der französischen und der italienischen Dreierteams wurden aufmerksam taxiert. Von den Österreichern wurde meist der im Vorjahr noch hart kritisierte Richard Menapace favorisiert. Der eigentliche Star war in gewisser Weise aber Österreichs Landschaft: »Österreichs Berge sind zu überwinden« schreibt die »Weltpresse« vor dem Start. 101 Österreichische Zeitung, 23. 7. 1949, 7.

Schmale ökonomische Basis

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»Kaum eine andere Rundfahrt der Welt, die Tour des Suisse vielleicht ausgenommen, hat relativ derart große Höhenunterschiede zu überwinden. Die Sensation in dieser Hinsicht wird der Großglockner sein.«102 Die Kombination all dieser Faktoren sorgte in den ersten Jahren der Rundfahrt für österreichweite Begeisterung – 1949 ähnlich wie 1950; auch der Sieger war mit Richard Menapace in beiden Jahren ident. Er schrieb über die letzten Kilometer der Österreich-Rundfahrt 1950: »Auf dem Riederberg, der schwarz von Zuschauern war, spielte sich nichts Bemerkenswertes mehr ab. […] Die 20 Kilometer vom Riederberg bis zum Wiener Rathaus hörte das Menschenspalier nicht mehr auf. Dem Ziel zu wurde es immer dichter. Auch in diesem Jahr stand die Begeisterung der Bevölkerung derjenigen nicht nach, die ich seinerzeit beim Giro d’Italia erlebt hatte. Es müssen wohl Hunderttausende gewesen sein, die auf dieser Fahrt vom Riederberg zum Rathaus unseren Sieg bejubelten. Es erfüllte mich eine große Freude, daß auch in Österreich der Radsport in dieser Weise zum Volkssport geworden war.«103 Und: »Wiederum war es Wiens Bürgermeister Dr. Körner, der uns am Ziel als erster beglückwünschte und uns die Ehrenpreise überreichte.«104 Hier schließt sich der Bogen: Das Wiener Rathaus und der sozialistische Bürgermeister Theodor Körner als Ausgangs- und Endpunkt. Dazwischen liegen entlang der oft noch immer unasphaltierten Straßen die österreichischen Landschaften, mit dem Großglockner als Höhepunkt, gesäumt von hunderttausenden begeisterten ZuschauerInnen. Es blieb übrigens nicht bei den sportlichen Preisen: Körner verlieh dem erst unlängst eingebürgerten Menapace auch das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien, ein deutliches Zeichen dafür, dass den Erfolgen Menapaces eine über den Sport hinausgehende Bedeutung zugemessen wurde. Was bei »Quer durch Österreich« im Ansatz vorhanden war, wurde nun umgesetzt: Die symbolische (Wieder-) Inbesitznahme des Landes, vom Wiener Rathaus bis zum höchsten Berg Österreichs.105 Die Leser (und Leserinnen) der Zeitungen konnten zumindest auf der Landkarte das »neue« Österreich erfahren.

Schmale ökonomische Basis Die ökonomische Basis des österreichischen Radsports konnte mit der Begeisterung des Publikums und mit der Medienpräsenz nicht mithalten. Bei Amateurrennen war die Höhe der Preisgelder gering, die Fahrer durften auch keine 102 Weltpresse, 13. 7. 1949, 17. Mehr zum Großglockner und dessen Bedeutung für die Österreich-Konstruktion in Zusammenhang mit der Rundfahrt siehe Kapitel 8. 103 Richard Menapace, Richard Menapace erzählt, Wien 1951, 175. 104 Menapace, Menapace, 176. 105 Siehe dazu Kapitel 8.

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Produktwerbung machen. Der Sport sollte nicht den Lebensunterhalt finanzieren – so die Theorie. Es gab aber Möglichkeiten, diese Bestimmungen zu umgehen: Eine beliebte Variante waren die Werksvereine der Fahrradhersteller: Waren der Name und das Logo eines Fahrradherstellers gleichzeitig Name und Wappen des Vereins, für den ein Fahrer antrat, konnte beispielsweise »Puch«, »Junior«, »RIH« oder »Dusika« auf dem Renntrikot erscheinen. Das bescherte den meisten Fahrern aber bestenfalls ein notdürftiges Auskommen, wie Franz Wimmer erzählt. Etliche Radsportler »waren den ganzen Sommer arbeitslos, haben so dahinvegetiert, haben ein bißchen Unterstützung von daheim gekriegt, die haben nicht viel Geld gehabt und nicht viel Standard. Über den Sommer sind sie drüber gekommen; ein bißchen etwas haben sie gewonnen, da haben sie leben können. Im Winter haben sie nichts [zu] tun gehabt und haben kein Geld gehabt: die haben gerade irgendwo einen Job bekommen. Also ich weiß von der ›Union‹, die sind in irgendeinem Ministerium als 2. oder 3. Heizer dazugekommen und der hat im Heizraum Kohlenschaufeln oder irgend so etwas gemacht. Das war so ein pro forma Job, den er gehabt hat, da hat er einen Lohn gekriegt, nicht viel, weil es war eine unqualifizierte Arbeit, aber so ist er über den Winter drübergekommen.«106 Bei vielen Rennen gab es Preise, die für die Fahrer wertvoller waren als Pokale und Medaillen: Da gab es Reifen, Bremsen und andere Ersatz- bzw. Verschleißteile zu gewinnen, mitunter auch ein komplettes Rad. Nur bei größeren Rennen gab es auch Geldprämien, als Hauptpreis ein Rennrad oder sogar ein Motorrad. Die Preise kamen nicht nur von Firmen, die als Sponsoren auftraten, sondern auch von Privatpersonen, ein Prinzip, das die Tour de France schon früh mit großem Erfolg eingeführt hatte. Nur bei den ab Herbst 1948 ausgetragenen Rennen der Berufsfahrer waren höhere Prämien ausgeschrieben. So waren beim Rennen Wien – Graz – Wien, einem Profirennen im Jahr 1949, das hinter Motorrädern gefahren wurde, für den Sieg immerhin 5.000 Schilling zu gewinnen,107 nach heutiger Kaufkraft etwa 5.200 Euro.108 Die Amateurrennen waren geringer dotiert: Bei »Quer durch Österreich« im Jahr 1948 erhielt der Gesamtsieger einen Ehren- oder Materialpreis im Wert von 1.200 Schilling, dazu kamen Preise bis zum 15. Platz sowie Preise für die Etappenwertungen und die besten Bergfahr-

106 Franz Wimmer, in: Marschik, Frei spielen, 453. 107 Organisationsleitung Wien – Graz – Wien (Hg.), Semperit-Derby Wien – Graz – Wien. Offizielles Programm der Nonstop-Fahrt hinter 125 ccm Puch Wien – Graz – Wien 430 km 16. Juli 1949, Wien 1949, 2. 108 Österreichische Nationalbank: Historischer Währungsrechner, URL: https://www.eurolo gisch.at/docroot/waehrungsrechner/#/ (abgerufen 17. 11. 2022).

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er.109 1949 erhielt der Gesamtsieger 1.500 Schilling.110 Richard Menapace erinnerte sich fast fünf Jahrzehnte später: »Geld hat man nicht viel verdient mit dem Radsport, es war schon viel Idealismus. Obwohl ich sagen muss, ich habe trotzdem noch ganz nett verdient bei der Österreich-Rundfahrt. Ja, weil ich die ganzen Zwischenziele gewonnen habe. Und beschenkt haben sie mich, beschenkt. Wenn ich am Bahnhof angekommen bin, da haben sie mich empfangen, da war ein ›Hallo‹: Und jeder wollte mir was schenken, vom Kinderwagen bis zur Krawatte.«111 Menapace »bekam als ersten Preis ein komplettes Rennrad, das ihm die Puch-Werke auf eine 125-ccm–Maschine umtauschten«112, auch der Sieger der österreichischen Meisterschaft 1948 erhielt ein Rennrad.113 Angesichts der Radsportbegeisterung der späten 1940er-Jahre scheint es naheliegend, dass sowohl Radrennfahrer als auch Veranstalter mit einem Profibetrieb liebäugelten. International wurden die großen Landesrundfahrten von Profis bestritten und bei den Bahnrennen im Winter verdienten die Stars viel Geld. Mitte 1948 erfolgte auch in Österreich die Gründung des Berufsradfahrerverbandes. Als 1. Präsident fungierte Stoll, als 2. Präsident Kosteletzky, dem Sportausschuss gehörten Bulla, Kaletta, Dusika, Zimkovsky, Girörer sen. und jun. an. »Diese Vorstandsmitglieder werden übrigens fast ausnahmslos selbst wieder, teils als Schrittmacher, teils als Rennfahrer in den Sattel steigen.«114 Im Dezember 1948 ernannte die Generalversammlung des Österreichischen Berufsfahrerverbandes Max Bulla und Franz Dusika zu Ehrenmitgliedern.115 Die Erfolge des Verbandes waren allerdings – trotz anfangs großer Hoffnungen – überschaubar. Die Finanzierung eigener Firmenteams in Österreich war fast nicht zu schaffen und es gab Zweifel, ob ausreichend erstklassige Fahrer für eine Profi-Nationalmannschaft vorhanden waren, die an den großen Rundfahrten teilnehmen könnten. Anders als heute traten bei der Tour de France bis 1961 keine Firmen-, sondern Nationalteams an. Der UCI-Generalsekretär habe deshalb die Schaffung von »Unabhängigen« empfohlen, mit denen man in Frankreich gute Erfahrungen gemacht habe.116 Gemeint waren damit wohl die 109 OeSTA/ AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Ausschreibung für das internationale Radrennen in 4 Etappen »Rund um Österreich«. 110 OeSTA/ AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Ausschreibung für die internationale Rundfahrt vom 23. Juli bis 30. Juli 1949 […]. 111 Menapace, in: Marschik, Frei spielen, 424. 112 Neue Zeit, 2. 8. 1949, 4. 113 Das Kleine Volksblatt, 12. 10. 1948, 10. 114 Welt am Abend, 26. 5. 1948, 8. 115 Weltpresse, 10. 12. 1948, 5. 116 OeSTA/ AdR HBbBuT BMfHuW AllgReihe/Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau/Organisationskomitee der Österreich-Rundfahrt: Betrifft: Radrennen Rund um Österreich vom 23.–31. Juli 1949. An: Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau. 30. Mai 1949.

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»touriste-routiers«, wie Max Bulla bei seiner erfolgreichen Tour-de-FranceTeilnahme im Jahr 1931 einer gewesen war. Das waren Profis, die aber nicht als Teil einer Mannschaft, sondern als Einzelfahrer antraten. Bei der Tour des France endete die Phase der »touriste-routiers« allerdings vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Radprofis wollten eine gemeinsame Österreich-Rundfahrt mit den Amateuren organisieren. Gestartet werden sollte allerdings mit Zeitintervallen zwischen den beiden Gruppen. 100.000 Schilling könnten bereitgestellt werden, neben rund zehn österreichischen sollten 20 ausländische Professionals teilnehmen.117 Das wurde von den Rundfahrt-Organisatoren allerdings mit dem Argument abgelehnt, die Profis hätten zu wenige schwere Rennen zur Vorbereitung und würden keine entsprechenden Leistungen bringen können. Ein solches Argument offenbarte einerseits ein provinzielles Verständnis von Professionalismus, das nur die (tatsächlich wenigen) Profirennen in Österreich berücksichtigte. Tatsächlich fanden in Westeuropa zahlreiche Rennen statt, die auch österreichischen Profis offenstanden. Anderseits war es (zumindest zum Teil) wohl ein vorgeschobenes Argument: Die Österreich-Rundfahrt 1949 mit den (Schein-)Amateuren hatte gut funktioniert, finanziell und – mit einem österreichischen Sieger – auch sportpatriotisch. Deshalb galt: »Insgesamt konnte sich der Professionalismus im österreichischen Radsport nicht lange behaupten: Es fehlte an Sponsoren ebenso wie an der notwendigen Infrastruktur, vor allem an einer für den Radsport geeigneten Halle, aber auch am Willen der Funktionäre, doch nicht an Fahrern, die den Sprung ins Profigeschäft wagten.«118 In dem von der Vereinigung der Berufsrennfahrer Österreichs herausgegebenen »Radsport Handbuch« sind in den Jahresbestenlisten für 1951 immerhin 22 Berufsfahrer bei Bahn- und 17 bei Straßenrennen aufgelistet.119 Deren größtes Problem war der Mangel an Rennen in Österreich. »Der österreichische Berufsradsport hatte am Samstag mit dem 3. Semperitderby hinter kleinen Motoren Wien – Graz – Wien seinen einzigen großen Tag im Jahr. Alle verfügbaren Kräfte und einige namhafte Ausländer wurden aufgeboten, um die Leistungsfähigkeit des noch jungen Berufssportes überzeugend zu demonstrieren.«120 Für die »namhaften Ausländer« wären die Siegesprämien allein kein Grund zur Teilnahme gewesen, es müssten hohe Startgelder bezahlt werden und dazu sei der Markt in Österreich zu klein. Ferry Dusika widersprach dieser Lesart. Er könne durch seine guten persönlichen Kontakte internationale Stars zu Sonderkonditionen nach Österreich bringen, zudem gäbe es potenzielle Geldgeber. Tatsächlich schaffte es Dusika (mit Max Bulla) im Jahr 1949, den italienischen Superstar Gino Bartali (u. a. zweimaliger 117 Vgl. Ein Projekt der Rad-Professionals, Neue Zeit, 18. 11. 1950, 12. 118 Marschik, Idealismus, 158. 119 Radsport Handbuch. Herausgegeben von der Vereinigung der Berufsradrennfahrer Österreichs, Wien 1952, 29. 120 Salzburger Nachrichten, 9. 7. 1951, 3.

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Sieger der Tour de France und dreimaliger Gewinner des Giro d’Italia) zum Rathauskriterium nach Wien zu holen.

Abb. 26: Der Vertrag des italienischen Superstars Gino Bartali für das Rathauskriterium 1949 als Beleg für dessen vergleichsweise geringe Gage. Bild: Wiener Kurier, 18. 6. 1949

Das Rathauskriterium ist ein gutes Beispiel für die Inszenierung eines innerstädtischen Radrennens als Spektakel, als Show vor – je nach Quelle – 20.000 bis 25.000 ZuschauerInnen. Der Showcharakter wurde nur in der »Weltpresse« mit kritischem Unterton thematisiert, während die anderen Zeitungen vor allem auf die sportlichen Aspekte eingingen und selbst die kommunistischen Blätter übten keine Kritik am kommerziellen Spektakel. Das Rennen wurde am Abend bei künstlichem Licht ausgetragen. Fanfaren vom Rathauserker verkündeten den Beginn des Rennens. »Dann ertönten noch Applaussalven für den Ehrenstarter Attila Hörbiger, für den Prämienspender Joschi Weidinger, für die komplett erschienene Austriamannschaft, und dann nahm das Rennen, dem Bundminister Dr. Gerö, Ministerialrat Dr. Kol[l]ars und viele Persönlichkeiten des Sportes beiwohnten, seinen Anfang.«121 Bartali gewann das Rennen vor dem 121 Weltpresse, 5. 10. 1949, 13.

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Schweizer Gottfried Weilermann und dem Österreich-Rundfahrt-Sieger Richard Menapace, der als Amateur eine Ausnahmegenehmigung erhalten hatte, gegen die Profis antreten zu dürfen. Max Bulla hatte Bartali an der Ennsbrücke abholen müssen, weil er Probleme an der Zonengrenze hatte. Die »Weltpresse« kommentierte: »Die Veranstaltung wies einige Schönheitsfehler auf, ohne die man sie als gelungen hätte bezeichnen können. Prämien in Form alkoholischer Getränke, dann ein ›Ehrenkuß‹ der schönsten Gerngroß-Verkäuferin auf die Lippen des Siegers gedrückt, waren unnötige Beigaben zu einem sportlich so ernsten Fest.«122 Das Rennen war übrigens das zweite Rathauskriterium in diesem Jahr, am 26. Juni waren die Amateure um den »Großen Preis der Weltpresse« gefahren, den Rudolf Lauscha vor Richard Menapace gewonnen hatte.123 Möglicherweise war es also diese Konkurrenzsituation, die zu den kritischen Bemerkungen seitens des britischen Informationsdienstes zumindest beigetragen hatte. In der Steiermark sorgte die Konkurrenz zwischen den beiden großen nationalen Radherstellern Puch und Junior für Dynamik.124 In Wien dagegen wurde die Radsportszene von etlichen Kleinherstellern dominiert, die mit enormem Engagement auch im Rennsport tätig waren, so die Firmen »Select« und »Isis«, wobei Letztere ab 1950 sogar einen Profirennstall mit dem Zugpferd Rudi Valenta unterhielt.125 Die größten Player im Wiener Radrennsport waren RIH und Dusika. RIH war die Marke der Familie Hamedl, die ab 1928 ein Fahrradgeschäft betrieb, aber auch eigene Räder in Kleinserien produzierte. Nach 1945 beschäftigte »RIH« 25 Mitarbeiter, 38 Geschäfte vertrieben österreichweit RIH-Räder, nebenbei gab es auch einen Versandhandel. Ferry Dusika hatte 1935 mit Alfred Schaffer einen Radhandel eröffnet, verkaufte zunächst Puch-Räder, später wurden auch andere Rahmen meist italienischer Provenienz in großem Maßstab eingekauft und unter verschiedenen Markennamen vertrieben. Dusika war einer der Initiatoren und der wichtigste Manager des österreichischen Profiradsports und betrieb selbst einen Rennstall.126 Neben den Radherstellern trat, wie schon vor 1938, vor allem der Reifenproduzent Semperit als Sponsor auf. Der Vergleich zweier Programmhefte aus dem Jahr 1949 zeigt hinsichtlich der Unterstützer und Sponsoren etliche Parallelen, aber auch deutliche Unterschiede: Beim Rathauskriterium der Amateure 1949 wurde um den »Großen Preis der Weltpresse« gefahren, im Heftchen inserierten die Firmen Salm-Reifen, Sport-Schaffer, Friedrich Orth (ein Geschäft für Pokale, Medaillen etc.), weiters 122 123 124 125

Weltpresse, 5. 10. 1949, 13. Weltpresse, 27. 9. 1949, 5. Ulreich/Wehap, Puch, 282–284. Michael Zappe/Walter Schmidl/Martin Strubreiter/Werner Schuster, Wiener Mechanikerräder 1930–1980 – eine Rundfahrt durch mehr als 100 Wiener Fahrradmarken, Wien 2013, 116 und 245–246. 126 Zappe et al., Mechanikerräder, 60–67 und 165–171.

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die Hersteller RIH, Ziel-Rad und Dusika (der mit seinem Fahrer Rudi Valenta warb). Dazu kam auf der Rückseite eine Semperit-Annonce. Mit Ausnahme des Letzteren waren das ausschließlich Wiener Sponsoren und Inserenten. Die Aufteilung der Veranstalter war paritätisch, zwar dominierte der ÖRB die Rennleitung, es waren aber auch ÖRK, ARBÖ und Union vertreten.127 Beim Profirennen Wien – Graz – Wien (dem »Semperit-Derby«) im gleichen Jahr, das als »Nonstop-Fahrt hinter 125 ccm Puch« ausgetragen wurde,128 waren die zwei Hauptsponsoren schon auf der Titelseite erkennbar. Die Liste der Spender der Hauptpreise zeigte ein bunt gemischtes Bild, das – anders als beim Rathauskriterium – weit über den Radsport hinausging und auch über Wien und Graz: Hauptsponsoren waren Puch, die Reifenfirma Erik Zaar sowie die »Weltpresse«. Insgesamt waren Firmen aus sieben Bundesländern als Spender angeführt, nur das Burgenland und Salzburg fehlten. Dusika (der gemeinsam mit Max Bulla als Veranstalter fungierte) inserierte für sein Sporthaus, die Rückseite gehörte Semperit, auf den zwei Seiten davor fanden sich insgesamt zwölf Inserate. Dabei zeigte sich die zunehmende Motorisierung: Nur drei Inserate bewarben ausschließlich Fahrräder und Fahrradteile, drei bewarben Fahr- und Motorräder und Kfz-Teile, zwei stammten von Mechanikern, je eines bewarb Automaterial und Motorräder. Dazu kamen ein Restaurant und ein Reisebüro, das die »Radfahrkönigin« suchte und mit einem Gratisurlaub am Wörthersee lockte.129 Die Zusammensetzung der Spender, Inserenten und Sponsoren dieser Veranstaltung lässt auf eine (zumindest erhoffte) Strahlkraft dieses Rennens über die RadsportCommunity hinaus schließen und zeugt von einer erhofften Wirkung in ganz Österreich, lässt Rückschlüsse auf ein über Wien deutlich hinausgehendes Netzwerk von Dusika und Bulla zu. Eine Karikatur im Programmheft illustrierte die Bedeutung von Medien und Sponsoren für den Radsport. Im Vordergrund ist ein Beiwagenmotorrad mit der Aufschrift »Presse« zu sehen, im Hintergrund ein Kameramann mit einer Filmkamera, dazwischen zwei Radrennfahrer hinter Motorrädern, die unter einem Transparent mit der Aufschrift »Semperit« durchfahren. Auf dem Trikot eines Motorradfahrers (der zweite ist halb verdeckt) ist zu lesen »Puch«.130 Das Ziel des Rennens war in Schönbrunn, die Österreichische Post gab einen Sonderstempel heraus und die »Sport-Schau« erwartete Großes: »Wenn am späten Nachmittag die ersten Fahrer durch das Ziel kommen werden, dahinter 127 Grosser Preis der Weltpresse, Offizielles Programm der Radrennen »Rund um das Wiener Rathaus«. Sonntag den 26. Juni 1949, unpag. 128 Organisationsleitung Wien – Graz – Wien (Hg.): Semperit-Derby Wien – Graz – Wien. Offizielles Programm der Nonstop-Fahrt hinter 125 ccm Puch Wien – Graz – Wien 430 km 16. Juli 1949, Wien 1949. 129 Ebd., unpag. [14]. 130 Ebd., unpag. [10].

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Abb. 27: Karikatur im Programmheft von Wien – Graz – Wien 1949

die Journalisten in Rekordzahl, wenn die fahrende Tribüne (zum erstenmal wird ein Autobus ausgerüstet, der für Zuschauer gedacht ist) und die Begleitfahrzeuge und die Veranstalter und der letzte Schrittmacher und der letzte Materialwagen wieder zu Hause sein werden, wenn der Sieger und der Letzte gleich tiefe Seufzer ausgestoßen haben werden – dann hat vielleicht eine neue Epoche im österreichischen Radsport begonnen.«131 Die Erwartungen erfüllten sich letztlich nicht, das Rennen Wien – Graz – Wien war nur für wenige Jahre erfolgreich, wie der Profibetrieb insgesamt in Österreich kurzlebig blieb. Das einzige über mehrere Jahrzehnte wirklich große Radsportereignis in Österreich und das einzige, dessen Bedeutung für längere Zeit über die Radsport-Community hinausging, war die Österreich-Rundfahrt. Sie blieb bis in die 1990er-Jahre eine Amateurrundfahrt, obwohl zu Beginn intensiv diskutiert wurde, ob nicht analog zu den großen Landesrundfahrten (neben Tour de France und Giro d’Italia auch die Tour des Suisse) auf Profibetrieb umgestellt werden sollte.132 Der Scheinamateurismus 131 Sport-Schau, 12. 7. 1949, 5. 132 Vgl. z. B. die Stellungnahmen von Hamedl und Dusika, Wiener Kurier, 22. 7. 1950, 14.

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ging mit einer Provinzialisierung einher, denn dadurch hatte die nationale Spitzenklasse gute Siegchancen, eben weil in Westeuropa der Rundfahrtbetrieb auf Profis abgestimmt war. Österreich konnte sich in Gestalt seiner Rundfahrt selbst feiern, aber auch seine Landschaft und seine erfolgreichen Radfahrer. Das war eine Einschätzung, die auch zeitgenössischen Beobachtern nicht fremd war, wenn etwa der Sportjournalist Heribert Meisel Ende der 1950er-Jahre formulierte: »Tatsache bleibt freilich, daß die ausländischen Fahrer, denen die heimischen Teilnehmer der Österreich-Rundfahrt gegenüberstehen, nicht allererste Garnitur sind […] und es ist nicht ausgeschlossen, daß an dieser arrangierten Gleichwertigkeit der Österreicher jenen Organisatoren der Österreich-Rundfahrt gelegen war, die nicht nur Amateurfunktionäre, sondern auch Fahrraderzeuger waren und denen der Erfolg ihrer Marke das ein oder andere Mal schon über den rein sportlichen Sinn des Wettkampfes ging.«133 Möglicherweise hätte ein Einstieg des Großherstellers Junior den Professionalismus in Österreich befördern können. Franz Deutsch vermutete, dass die Grazer Junior-Werke knapp davor gestanden waren, im Gegensatz zu den kleinen Profiteams von Dusika und ISIS eine echte Profimannschaft zu etablieren, wäre nicht der Junior-Chef Franz Weiß im Jahr 1951 tödlich verunglückt: »Weil wenn der das erlebt hätte, dass ich auch die Rundfahrt im Jahr 1952 gewonnen habe, dann wären wir sicher alle Profis geworden […]. Eine Profi-Mannschaft, das wäre damals schon im Bereich des Möglichen gewesen. Der Franz Weiß hat zum Beispiel die Grazer Traditionsveranstaltung ›Rund um die Hauptpost‹ im Jahr 1951 ganz groß aufgezogen. Da war Rang und Namen da von den Radfahrern von Wien, dann war eine große Modeschau und alles Mögliche. Also der Weiß hat den Trieb gehabt, auf Profi zu machen.«134 Ein solcher Rennstall wäre jedenfalls für den Schritt aus Österreich hinaus zu den Rennen in Italien, Frankreich, Spanien, den Benelux-Ländern und der Schweiz notwendig gewesen. So mussten manche Fahrer diesen Schritt individuell versuchen: Alfred Kain und Kurt Schneider bestritten »zwei Jahre lang neben den Profirennen in der Heimat vor allem Kermesrennen [sic] in Belgien und den Niederlanden, und die Preisgelder werden wohl gerade die Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Massage und Startgelder aufgewogen haben. […] Und an eine Rückkehr nach Österreich war nicht zu denken: Der Profibetrieb war Ende 52 völlig eingestellt worden.«135 Franz Kain arbeitete sich über kleinere Rennställe wie Schlegel (Schweiz, 1953), Bertin – D’Allessandro (Frankreich, 1954 und 1956), Bertin – D’Allessandro – The Dura (Belgien, 1955) hoch, wobei ihm einige Siege bei Eintagesrennen in Frankreich und Belgien gelangen. »Zwei Mal, 133 Heribert Meisel, Tor! Toor! Tooor! Erlebnisse eines Sportreporters. 2. Aufl., Wien 1959, 99. 134 Franz Deutsch, in: Marschik, Frei spielen, 328. 135 Marschik, Frei spielen, 360.

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1954 und 1955, nahm Alfred Kain auch an der Tour de France teil, jeweils in einem ›gemischten‹ Luxemburger Team. Der Start 1954, gemeinsam mit Kurt Schneider und Kurt Urbancic, war das erste Antreten österreichischer Fahrer bei der Tour nach 1945.«136 Dabei schienen eigentlich die Karriereoptionen von Rudi Valenta besser zu sein, er konnte die Erwartungen aber nur selten erfüllen.137 Über mangelnde Präsenz in und Unterstützung durch die Printmedien konnte sich der Radrennsport nicht beklagen: Zeitungstitel schmückten nicht nur die Start- und Zieltransparente vieler Veranstaltungen. Bei »Quer durch Österreich« traten mit der »Welt am Abend« und »Welt am Montag« die Zeitungen der französischen Besatzungsmacht als Veranstalter auf. Bei der Österreich-Rundfahrt fungierte »Das Kleine Blatt« (die Boulevardzeitung der SPÖ) als Herausgeber des offiziellen Programms, wobei unklar bleibt, ob hier eine Nähe zur SPÖ und eine dadurch erhoffte politische Unterstützung (vor allem in Wien) oder schlicht ein ökonomisch besseres Angebot ausschlaggebend war. Ab 1953 produzierte die Wochenzeitschrift »Sport und Toto« das offizielle Programm der Österreich-Rundfahrt.

Abb. 28: Rudolf Valenta mit einem eigens angefertigten »Österreich-Trikot« 1950 beim Bol d’Or in Paris. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Die Popularität des Radsports in dieser Zeit lässt sich auch an den Ergebnissen der von den österreichischen Sportjournalisten durchgeführten Sportlerwahl ablesen.138 1949 gewann Richard Menapace, 1950 wurde Rudolf Valenta Zweiter

136 Marschik, Frei spielen, 360–361. 137 Zu Valenta siehe Kapitel 6. 138 Erst im Jahr 2005 sollte mit Georg Totschnig (nach seinem Etappensieg bei der Tour des France) wieder ein Radsportler diese Wahl gewinnen.

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hinter dem Fußballer Walter Zeman. Zwar spielte hier sein Sieg bei Wien – Graz – Wien sicher eine Rolle, wichtiger war aber sein zweiter Platz beim Bol d’Or, einem 24-Stundenrennen hinter Schrittmachern, das im Pariser Vélodrome d’Hiver ausgetragen wurde. Dieser Erfolg wurde in den österreichischen Zeitungen groß herausgestrichen, unabhängig von Erscheinungsort und politischer Ausrichtung: »Ein Oesterreicher begeistert Paris«139 lautete die Schlagzeile in den »Oberösterreichischen Nachrichten«, »Valenta das As der ›Bol d’Or‹ in Paris«140 die der »Vorarlberger Nachrichten«, »Valenta, der Heros von Paris«141 schrieb der »Wiener Kurier«. Herausragend war, dass Valenta einen österreichischen Erfolg auf internationaler Bühne errungen hatte, aber dabei nicht, wie man das dem Boxer Josef Weidinger oft nachsagte, auf sein Heimatland vergessen hatte. Während Weidinger sogar seinen Namen auf »Jo Weidin« französisiert hatte,142 hatte Valenta für das Bol d’Or in Paris ein »wunderbar weiße[s] Seidentrikot, das auf Rücken und Brust mit meinen Landesfarben Rot-Weiß-Rot verziert war« erworben.143

Radsportnetzwerke(r) Gekennzeichnet ist der österreichische Radsport in den Jahren ab 1945 von einer großen Nähe der führenden Funktionäre zu politischen Parteien und Sportjournalisten. Aus heutiger Sicht auffällig erscheint vor allem die Nähe von Franz Hamedl, dem wohl wichtigsten Verbandsfunktionär und »Vater« der ÖsterreichRundfahrt, zur KPÖ:144 Er deklarierte sich nicht nur in der »Volksstimme« und dem »Neuen Österreich« für diese Partei und ihr nahestehende Organisationen, sondern kandidierte für die Wiener Landtagswahl 1945 auf der Liste der KPÖ.145 Franz Dusikas gemeinsam mit Max Bulla verfasstes Anleitungsbuch für Radrennfahrer erschien im Globus-Verlag der KPÖ.146 Mit Max Bulla war Dusika befreundet, die beiden traten auch gemeinsam als Veranstalter von Profirennen auf und waren im Berufsradfahrerverband tätig. 1950 managte Bulla Rudi Valentas Profikarriere, organisierte auch Auslandsstarts, Ferry Dusika agierte als 139 140 141 142 143 144 145 146

Oberösterreichische Nachrichten, 28. 11. 1950, 4. Vorarlberger Volksblatt, 28. 11. 1950, 6. Wiener Kurier, 28. 11. 1950, 10. Matthias Marschik, Bewegte Körper. Historische Populärkulturen des Sports in Österreich, Wien 2020, 464. Valenta, Goldpokal, 170. Georg Roskosny, Wo steht unser Radsport? Gespräch mit dem Präsidenten des Radfahrverbandes, in: Jugend voran, 1. Jg., Nr. 11, 31. 3. 1946, 4. Österreichische Zeitung, 15. 11. 1945, 4. Franz Dusika/Max Bulla, Der erfolgreiche Radrennfahrer: Neue Wege zur Leistungssteigerung, Wien 1951.

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Betreuer. Dusika war offenbar der umtriebigere Geschäftsmann, Bulla hat zeitweise für ihn in seinem Sportgeschäft gearbeitet. Dusika »war überaus fleißig, um fünf Uhr früh ist er schon ins Büro gegangen und ihm ist sehr viel eingefallen. Er hat seinen Namen sehr bekannt gemacht. […] In einem gewissen Zeitraum hat er da sicherlich sehr viel bewegt«,147 erzählt Max Bullas Sohn Michael. Aber auch in den – anfangs konkurrierenden – Radsportverbänden existierten Seilschaften. Ganz verschwunden waren die alten Konflikte allerdings nicht, sie wurden nun aber bisweilen auf einer symbolischen Ebene ausgetragen. So wurden im Programm der Österreich-Rundfahrt 1950 – das das sozialdemokratische »Kleine Blatt« herausgab – die verantwortlichen Organisatoren Franz Hamedl, Franz Hanakam, Franz Rilki und Karl Kainz mit Karikaturen und Kurzporträts vorgestellt. Während bei Hamedl, Hanakam und Kainz auf deren Anfänge im Arbeiterradsport der Ersten Republik eingegangen wurde, erfuhren die LeserInnen über den Union-Mann Rilki nur eine Anekdote, die mit seinem offenbar beträchtlichen Übergewicht zu tun hat: » Als man ihn im Vorjahr hänselte, weil er am Start der Rundfahrt mit einer Puch 125 auftauchte, die unter seiner Körperlast zu versinken schien, versprach er mit ihr den Glockner zu bezwingen. Tatsächlich erkletterte er mit der stöhnenden Puch – halb zog sie ihn, halb sank sie hin – Österreichs höchste Bergstraße.«148 Neben der Häme für den bürgerlichen Funktionär ist die Bezugnahme auf den Großglockner interessant, der in der Nachkriegszeit nicht nur für die Teilnehmer der Österreich-Rundfahrt, sondern auch für die motorisierten Gefährte vieler TouristInnen zur beliebten Belastungsprobe wurde – als höchster Berg Österreichs mit starker Symbolkraft. Hier stellt sich auch die Frage, inwieweit diese Netzwerke neu entstanden sind und inwieweit sie auf älteren Kontakten aufbauten. Bulla und Dusika kannten einander schon vor 1934, obwohl Bulla als erfolgreicher Profi nur selten in Österreich an den Start ging (eine Ausnahme war die Veranstaltung zum 50Jahre-Jubiläum des Wiener Sport-Clubs, des Vereins, für den Dusika fuhr), während Dusika, der Amateur blieb, meist in Österreich startete. Doch auch Dusika verbrachte viel Zeit in Frankreich, wo er bei Bahnrennen Erfolge feierte. Während des Nationalsozialismus waren die beiden öfters gemeinsam bei Rennen anwesend und in der Zweiten Republik agierten sie in vielen Bereichen als Partner, beispielsweise als Veranstalter des Profirennens Wien – Graz – Wien. Hamedl und Hanakam waren bis zum Verbot 1934 im ARBÖ tätig, Hamedl schloss sich nach dem Verbot des ARBÖ im Austrofaschismus dem nunmehr einzig erlaubten Verband ÖRB an, wo er mit den bürgerlichen Funktionären 147 Interview Bernhard Hachleitner/Johann Skocek mit Max Bullas Sohn, Michael Bulla, 2. 5. 2022, Hinterbrühl. 148 Österreich-Rundfahrt. Offizielles Programm. Herausgegeben vom Kleinen Blatt, Wien 1950, 18.

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zusammenarbeitete. Insgesamt war die österreichische Radsportszene nicht groß, es ist davon auszugehen, dass einander alle kannten. Die Konstruktion der drei Radsportverbände nach 1945 dürfte auch weniger auf die Wünsche der Radsportfunktionäre (und der Diskrepanzen zwischen ihnen) zurückzuführen sein, sondern auf Vorgaben von SPÖ und ÖVP an die ihnen angeschlossenen oder nahestehenden Verbände ARBÖ und Union. Vorstand der ÖRK 1951 Auf Grund einer Vereinbarung aller drei Radsportverbände, die in der ÖRK vertreten sind, stellte jedes Jahr ein Verband den Vorsitzenden. Für 1951 wurde Hanakan (Arbö) zum Vorsitzenden gewählt, 1. Vizepräsident: Hamedl (ÖRB), 2. Vizepräsident Rilki (Union); Kassiere Hamedl und Schuster; Schriftführer: Tesar und Blümel; Kontrollausschuß: Költl, Glatzmayer, A. Mohr.

Unterschiedliche Standpunkte gab es in einzelnen Punkten, beispielsweise in der Frage des Profibetriebs. Die Bruchlinien verliefen aber nicht mehr entlang der ideologischen oder parteipolitischen Grenzen. Die Differenzen waren nicht verschwunden, so wurde Franz Hamedl, von der »Arbeiter-Zeitung« als der »kommunistische Großverdiener und Vorsitzender der Radsportkommission« bezeichnet, er sei ein »Rückversicherer auf Pedalen«, der für den Osten wirbt, aber jede Chance nützt, vom Westen eingeladen zu werden.149 Implizit zeigt diese Beschreibung Hamedls aber genau die große Veränderung: Weder SPÖ noch KPÖ lehnten in der Zweiten Republik den »bürgerlichen Sport« ab. Auch wenn es parallele Verbände gab, betrieben sie gemeinsam Sport und bewegten sich im Kalten Krieg geschickt (oder opportunistisch, je nach Sichtwiese) zwischen Ost und West, aber auch zwischen Theorie und Praxis. Anders als in der Ersten Republik spielten nun auch Diskussionen um Arierparagrafen keine Rolle mehr, auch wenn es in manchen Bereichen weiter informelle Ausschlüsse von Juden und Jüdinnen und Antisemitismus gab.150 Auch hatte sich das Verständnis von Sportförderung verändert: Während sie in der Ersten Republik (und verstärkt im Austrofaschismus) vor allem dem großbürgerlichen und aristokratischen, später einfach dem bürgerlichen Sport zugutekam, war die Unterstützung nun breiter angelegt. Eine zusätzliche Einnahmequelle für die Sportverbände bildeten ab 1950 die Gewinnanteile aus dem Sporttoto, im ersten Jahr waren es insgesamt 31 Millionen Schilling.151 Der Radfahrerverband (eigentlich die Kommission) erhielt wie viele andere Verbände auch 4,4 Prozent 149 Arbeiter-Zeitung, 9. 5. 1951, 8. 150 Matthias Marschik, Ein »ungepflegtes Bild«: Antisemitismus im österreichischen Sportgeschehen von 1945 bis zur Gegenwart, in: Transversal. Zeitschrift für Jüdische Studien 8 (2012) 2, 81–100, 83–85. 151 Matthias Marschik, Oktroyierte Gemeinschaft. Der Wiederaufbau des österreichischen Sportes am Beginn der Zweiten Republik, in: Historicum, Winter 1998/99, 34–42, 39.

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oder 218.944 Schilling. Der größte Teil (38 Prozent oder 11,818.000 Schilling) ging an den Fußballbund.152 Innerhalb der Radsportverbände ging mit 54.000 der größte Teil an den ÖRB, der ARBÖ erhielt 27.000 und die Union 22.000 Schilling.153 Zum Vergleich: Das Budget der Österreich-Rundfahrt 1949 lag bei etwa 100.000 Schilling, davon entfielen 55.000 Schilling auf die Preise, der Rest auf die Organisation der Veranstaltung. »Die Kosten sind durch Spenden von Firmen und Zeitungen sowie durch Subventionen des Unterrichtministeriums und des Sportbeirates gedeckt.«154

Abb. 29: Offizielles Programm der Österreich-Rundfahrt 1951, mit Autogrammen vieler Fahrer

Zusammenfassend kann also gesagt werden: Während in den 1930-Jahren der Radsport in Österreich fast nur durch die Erfolge Max Bullas eine breitere, mediale Öffentlichkeit erreichte, wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb kürzester Zeit zu einer der populärsten Sportarten, es war häufig die Rede vom 152 Neue Zeit, 4. 8. 1950, 5. 153 Das Kleine Volksblatt, 10. 12. 1950, 15. 154 Neue Zeit, 2. 8. 1949, 4.

Radsportnetzwerke(r)

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»Volkssport Nr. 2« (nach dem Fußball). Kriterien in den Städten waren publikums- und medienwirksame Spektakel, die ersten Auflagen der ÖsterreichRundfahrt (inklusive ihrer Vorform »Quer durch Österreich«) brachten hunderttausende ZuschauerInnen an den Straßenrand und waren begleitet von massiver Medienpräsenz. Zeitungen veröffentlichten nicht nur umfangreiche Text- und Bildstrecken, sondern traten nach dem Vorbild der Tour de France auch als Sponsoren und Veranstalter von Radrennen auf. Die Tour de France bildete besonders bei der Österreich-Rundfahrt einen wichtigen Bezugspunkt: Sie war Vorbild und (unerreichbares) Ideal. Die im Zusammenhang mit der Tour de France geprägten Narrative von Helden, vom Erfahren der schönen Landschaft eines Landes und vom Kampf der Helden gegen die hohen Berge (in Österreich vor allem der Großglockner) prägten auch die Erzählungen der Österreich-Rundfahrt. Als Besonderheit kam in den ersten Nachkriegsjahren die Überwindung des Mangels hinzu: Die Radfahrer mussten nicht nur mit einer katastrophalen Ernährungssituation, die sich erst ab 1948 einigermaßen zu stabilisieren begann,155 umgehen lernen; es fehlte auch an Rädern und Ersatzteilen (vor allem Reifen) und die Straßen waren in einem katastrophalen und eigentlich für Rennräder ungeeigneten Zustand. Auch wenn – wie in der ersten Republik – wieder mehrere, politisch definierte Radsportverbände existierten (ÖRV/ÖRB, ARBÖ und Union), arbeiteten diese Verbände nun zusammen und etablierten die Dachorganisation ÖsterreichischeRadsport-Kommission. Der Antagonismus zwischen »bürgerlichem« Sport und sozialdemokratischem Arbeitersport war nicht verschwunden, die Gegensätze waren aber nicht mehr unüberbrückbar, die Frage des Professionalismus wurde nun pragmatischer behandelt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Politik der KPÖ, die massiv den Aufbau eines gemeinsamen österreichischen Sports propagierte. Mit Franz Hamedl war ein KPÖ-Mitglied der wahrscheinlich wichtigste Radsport-Funktionär der Nachkriegszeit. Es entwickelte sich ein System des Schein-Amateurismus, das den österreichischen Radsport bis in die 1980er-Jahre prägen sollte. Damit blieb der internationale Vergleich begrenzt, auch bei der Österreich-Rundfahrt, waren doch die anderen großen (west)europäischen Rundfahrten Teil des Profibetriebs – es entwickelte sich ein selbstreferentielles System mit der Österreich-Rundfahrt als Höhepunkt. Ein »echter« Profibetrieb mit Rennen in Österreich konnte sich nur für wenige Jahre ab 1948 etablieren, hier war Franz »Ferry« Dusika die zentrale Figur als Veranstalter. Er trat häufig gemeinsam mit Max Bulla auf, die beiden 155 Noch 1948 ergab eine konstatierte Untersuchung 40 Prozent der weiblichen und 70 Prozent der männlichen Jugendlichen in Wien einen »sehr schlechten« Gesundheitszustand mit Untergewicht von bis zu 20 Kilogramm: Wolfgang Maderthaner, Wieder Weltstadt? Wien im Wiederaufbau, in: Ferdinand Opll (Hg.), Wie Phönix aus der Asche. Wien von 1945 bis 1965 in Bilddokumenten, Wien 2010, 12–28, 15.

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profitierten von der Prominenz aus ihrer aktiven Zeit. Das zeigt sich im »Großen Sport Almanach« von 1952, einem 400-seitigen Überblickswerk über den Sport in Österreich, in dem sich Dusika (über Bahnrennen) und Bulla (über Straßenrennen) gemeinsam mit Georg Gartner (über das Kunstradfahren) den Part zum Radsport aufteilen, dabei aber letztlich das Thema verfehlten, indem sie persönliche Erlebnisse bei der Tour de France (Bulla) und generelle Eindrücke über Sechs-Tage-Rennen verfassten, die aktuelle Situation in Österreich komplett ausklammerten.156 Wie nicht zuletzt die Etablierung des Sporttotos belegt, näherte sich der Radsport (der in das Fördersystems des Sporttoto einbezogen war) ab dem Beginn der 1950er-Jahre einer generell modernisierten Sportpraxis in Österreich an. Als Teil einer zunehmend ökonomisierten, medialisierten und professionalisierten Unterhaltungsindustrie des Sports ging er freilich seiner Sonderstellung und seiner speziellen Bedeutungen, die er in den unmittelbaren Nachkriegsjahren besaß, verlustig. Als Breiten- und Amateursport blieb das Radfahren weiterhin bedeutsam, doch seine Funktion im populären Massen- und Mediensport wurde zunehmend reduziert beziehungsweise auf wenige Großereignisse beschränkt, die den Prämissen der Vergnügungsindustrie und der populären Unterhaltung entsprechen mussten. Die Ursachen für den Bedeutungsverlust lagen primär im wirtschaftlichen Bereich, wo speziell der Skisport im Sinne des Tourismus massiver unterstützt wurde, weiters in generell sich verändernden Freizeitpraxen, die dem Besuch von Sportereignissen (selbst im Bereich des Fußballs) nachhaltig zusetzten.157

156 Max Bulla, Giganten auf großer Fahrt bzw. Franz Dusika, Von Fliegern, Stehern und Verfolgern, in: Österr. Sportlehrer-Verband (Hg.), Großer Sport Almanach. Ein Informationswerk für Skeptiker und Enthusiasten, Wien 1952, 129–132. 157 Roman Horak/Matthias Marschik, Vom Erlebnis zur Wahrnehmung. Der Wiener Fußball und seine Zuschauer 1945–1990, Wien 1995, 14.

6.

Biografien

Franz »Ferry« Dusika (31. März 1908–12. Februar 1984) Es ist fast eine Ironie der Geschichte, dass in der gleichen Ausgabe des »Reichsorgans der Arbeiter-Radfahrer Österreichs«, die Franz Dusikas erstes Rennergebnis berichtete, auf der ersten Seite auch ein Aufsatz unter dem Titel »Der Radsport und die Bürgerlichen« erschien. Dusika gewann am 14. September 1924 die Konkurrenz für »Neulinge« bei einem Rennen auf der vier Kilometer langen Exelbergstraße. Der spätere Bahnspezialist war 16 Jahre alt und ließ keine Zweifel an seinem Ehrgeiz und Talent: »Vom Start weg führt Dusika und hält die Führung bei bis ins Ziel.«1 Im erwähnten Aufsatz auf der Titelseite räsonierte der Redakteur über die ideologischen Implikationen des durch eine tiefe Schlucht zwischen Arbeitern und Bürgerlichen getrennten Sports. Argumente für und gegen eine Teilnahme von ArbeitersportlerInnen bei bürgerlichen Veranstaltungen und Vereinen wurden abgewogen. Es ging dabei um grundsätzliche Unterschiede im Sportkonzept,2 aber es ging auch ums Geld, denn der Verband der Arbeiterradfahrer war »nicht in der Lage, Geldmittel zur Verfügung zu stellen«. Die Lenker der »bürgerlichen Sportvereine, die Fabrikanten, Kapitalisten, die Exporteure und Händler« jedoch könnten sich mehr leisten. Von »Uhren aus Gold und Silber, Schlauchreifen« und anderen Preisen und Anerkennungen, die bei bürgerlichen Konkurrenzen zu gewinnen sind, war die Rede. Das Themenbündel Geld, Politik, Ideologie, Amateurismus und Profitum, Radrennsport und der Einsatz von Sportstars für ökonomische und nationale Interessen wird Dusika Zeit seines Lebens begleiten. Er kam von ganz unten, die Eltern ließen sich scheiden, der Bub kam ins Waisenhaus, in seiner Familie waren frühe Tode durch Krebs häufig. »Ich selbst litt bereits mit sechs Jahren an fau-

1 Reichsorgan der Arbeiter-Radfahrer Österreichs, 20. 10. 1924, 8. 2 Matthias Marschik, »Wir spielen nicht zum Vergnügen«. Arbeiterfußball in der Ersten Republik, Wien 1994, 29–39.

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Biografien

lenden Zähnen, war kränklich und schwach«3 erzählte er. Eine Karriere als Radrennfahrer schien unmöglich, dennoch begann er beim Arbeitersportverein »Freiheit 1911« mit dem Radsport.4 Dusika entstammte dem proletarischen Milieu, aber er war ideologisch nicht fixiert, wie sich schon in den 1930er-Jahren herausstellen sollte, wo er zum bürgerlich-nationalen »Wiener Sport-Club« wechselte. Der schwache Knabe betrieb den Sport nicht bloß um der Pokale und Prämien willen, sondern als Mission. Wie die ArbeitersportlerInnen und als Arbeitersportler, nur eben ganz anders. Der Radsport profitierte von Dusikas Hartnäckigkeit und Geschäftstüchtigkeit. Und der Wiener »Self Made Man« schrieb wiederum dem Radsport heilende Wirkung zu. In einer für Sportbesessene typischen Wendung rationalisierte er die tägliche Mühe. Die »ständige Forderung, die Formung der Persönlichkeit, die Erfolge und Lebenserfahrungen« und nicht zuletzt die mit dem Training zusammenhängende »Umstellung der Lebensgewohnheiten« seien unersetzliche Faktoren der gelungenen Karriere und Lebensbilanz gewesen.5 Wenn der Radsport den Buben angeworben hatte, so warb der erwachsene Mann als Ernährungsberater der Nation, Geschäftsmann, Förderer der Jugend und Organisator für den Sport – und für die daraus erwachsende Lebenseinstellung – nach Dusikas Vorstellung. 1932 finanzierte ihm ein in den Medien nicht genannter »Sponsor«, nach heutigem Verständnis wohl ein »Gönner« oder »Mäzen«, die Anreise zu der RadWeltmeisterschaft in Rom,6 wo er gemeinsam mit August Schaffer für Österreich an den Start ging. Im Flieger-Bewerb der Amateure, einem Sprintrennen über 200 Meter, verlor Dusika beide Läufe im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister, den Deutschen Albert Richter, und auch beide Rennen um Platz drei. Dusika gewann aber letztlich die Bronzemedaille, nachdem der ursprüngliche Dritte, der Deutsche Willi Frach, nachträglich wegen eines Verstoßes gegen die Amateurbestimmungen disqualifiziert worden war.7

3 Norbert Adam, Österreichs Sportidole, Wien 1984, 78. 4 Reichs-Organ der Arbeiter-Radfahrer Österreichs, April 1925, 7. 5 Paul Hopfgartner, Franz »Ferry« Dusika und der Radsport in Österreich, Diplomarbeit Universität Wien 2019, 13–14. 6 Matthias Marschik, Der Wiener »Radpapst«. Franz »Ferry« Dusika, in: Bernhard Hachleitner/ Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Michael Zappe (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013, 120–121, 120. 7 Sport-Tagblatt, 5. 9. 1932, 6; UCI_Track_Cycling_World_Championships, URL: https://en.wi kipedia.org/wiki/1932_UCI_Track_Cycling_World_Championships (abgerufen 14. 10. 2022).

Franz »Ferry« Dusika (31. März 1908–12. Februar 1984)

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Abb. 30: Länderkampf gegen Ungarn 1931 auf der Radrennbahn im Wiener Prater. Das Team Österreichs: Stoll, Swoboda, Dusika, Schaffer. Bild: Wiener Bilder 4. 10. 1931

Geschickter Selbstvermarkter Die Geschichte mit der Bronzemedaille, die er nicht im Rennen, sondern auf dem grünen Tisch gewonnen hatte, kann als frühes Beispiel für die Zuschreibungstaktik gesehen werden, die Dusika wie kaum ein anderer Sportheld beherrschte. Schon 1932 hatte er für die »Illustrierte Kronen-Zeitung« sogar selbst einen »Sonderbericht« verfasst,8 in dem er begeistert den Enthusiasmus der Italiener für den Radrennsport beschrieb. Dusika erhielt bei seiner Rückkehr von der Weltmeisterschaft gleich zwei Kränze, einen »von den Präsidenten […] des Österreichischen Radfahrerbundes« und einen vom Niederösterreichischen Radfahrerbund.9 Dusika hatte »anlässlich eines kurzen Gesprächs«10 auch eine Erklärung für seine Niederlage im kleinen Finale zur Hand. Nicht der Gegner Frach war besser gewesen, nein, er, Dusika, hatte einen Fehler gemacht, der dem Gegner den Sieg ermöglichte. »Ein einziger Blick, den er unzeitgemäß nach

8 Illustrierte Kronen-Zeitung, 3. 9. 1932, 12. 9 Sport-Tagblatt, 8. 9. 1932, 6. 10 Sport-Tagblatt, 8. 9. 1932, 6.

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rückwärts warf, raubte ihm die beste Chance, denn er konnte dann den verlorenen Raum nicht mehr aufholen.«11 Dusika reihte nach der Weltmeisterschaft in Rom auf nationaler Ebene Sieg um Sieg aneinander, er sammelte in den folgenden sechs Jahren zehn österreichische Meistertitel, was sich in den Zeitungen im Ehrentitel »Meisterfahrer« niederschlug. Und er war auch international erfolgreich. Er feierte Erfolge bei Bahnkriterien und gewann die Großen Preise von Kopenhagen, Zürich ( jeweils 1933), Großbritannien, Deutschland (1934) und den Großen Preis von Europa (1935), der als eine Art Europameisterschaft galt. Dusika war auf dem Gipfel seiner Laufbahn als Bahnradrennfahrer angekommen. Im April 1935 meldeten die Zeitungen, dass sich Dusika und Schaffer »selbstständig« gemacht hatten. Sie eröffneten zusammen ein »Sportwarenhaus« in der Wiener Fasangasse 26.12 Schaffer, geboren 1886, kündigte sein Karriereende an. Dusika hingegen, mit 27 Jahren im besten Sportleralter, hatte ausgangs des Winters schon selbst über sich gewitzelt, er sei »g’füllt«13, doch wollte er im April »ganz besonders eifrig trainieren und in erster Linie auf die in Brüssel stattfindende Weltmeisterschaft losgehen, die ihm schon einmal nur knapp entgangen ist.«14 Dennoch kam Dusika zu Saisonbeginn im Mai auf sportlichem Terrain nur langsam in Schwung. Große Aufmerksamkeit löste er hingegen mit einer »Autogrammstunde der Prominenten« im neu eröffneten Geschäft »Olympia-Sport Schaffer-Dusika« aus. Prominente wie »das Eislaufwunderkind Hedy Stenuf, der berühmte Skiläufer Balaun, die Fußballieblinge Peter Platzer, Karl Sesta«15 hatten sich angesagt. Selbst Eiskunstlauf-Weltmeister Karl Schäfer wollte vorbeischauen. Dusika hatte es in die Gesellschaftsspalten geschafft. Den nötigen Wiener Schmäh hatte Dusika jedenfalls parat. In der »Illustrierten Kronen Zeitung« schilderte er eine Begegnung mit einem autogrammsuchenden Buben, der gleich fünf Unterschriften haben wollte. Warum das? »Zum Tauschen natürlich. In meiner Schul krieg ich von an Freind für fünf Dusika einen Sindelar!«16 Auf den Sportseiten diverser Zeitungen platzierte er regelmäßig Inserate seines Geschäftes.17 Für den »Großen Preis von Europa« der Flieger am 20. Juni 1935 auf der Wiener Stadion-Radbahn wurden von den Zeitungen viele internationale Stars angekündigt, vom »gegenwärtig beste[n] Rennfahrer [Severino] Rigoni«18 bis zu den Meistern aus Frankreich. Dusika war im Vorfeld des Bewerbes lediglich durch 11 12 13 14 15 16 17 18

Sport-Tagblatt, 8. 9. 1932, 6. Illustrierte Kronen-Zeitung, 26. 4. 1935, 13. Illustrierte Kronen-Zeitung, 22. 2. 1935, 13. Illustrierte Kronen-Zeitung, 22. 2. 1935, 13. Radsport, 15. 5. 1935, 15. Illustrierte Kronen-Zeitung, 16. 5. 1935, 12. Wiener Neueste Nachrichten, 6. 6. 1935, 9. Die Stunde, 25. 5. 1935, 6.

Franz »Ferry« Dusika (31. März 1908–12. Februar 1984)

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Abb. 31: Ein Blick in Franz Dusikas Fahrradgeschäft in der Wiener Fasangasse. Bild: Archiv Michael Zappe

einen Sieg mit Gattin Hilde bei einem »Partner«-Rennen auf der Prater-Hauptallee aufgefallen,19 doch am 20. Juni sahen 7.000 ZuschauerInnen auf der StadionRennbahn Dusika im Qualifikationslauf, Zwischenlauf und schließlich Endlauf sicher siegen.20 Für die »Illustrierte Kronen Zeitung«, war das nichts weniger als der Beweis, dass er »noch immer der ›Alte‹ ist, der unbestrittene Meister der Radrennbahn.« Gegen die »stärksten Fahrer Europas«, unter anderem gegen den »wunderbaren Schweizer Meister [Werner] Wägelin«, konnte er »siegreich bleiben«.21 Es sei ein »großes Sportfest« gewesen, bei dem Dusika seinen Vorjahrssieg wiederholen konnte.22 In der restlichen Saison bestritt Dusika wieder etliche Rennen in ganz Europa und schlug sich respektabel, sammelte Preisgelder, Renommee und Zeitungsberichte. Mitte Juli stieg auf der Stadion-Rennbahn eine Revanche gegen den Italiener Rigoni, der im GP von Europa Dritter geworden war und diesmal Dusika einwandfrei besiegte.23 Kurz danach errang Dusika den Staatsmeisterschaftstitel über 1.000 Meter und fuhr anschließend nach Brüssel, um im Heysel-Stadion an 19 20 21 22 23

Sport-Tagblatt, 29. 5. 1935, 5. Der Radfahrer, 20. 6. 1935, 14. Illustrierte Kronen-Zeitung, 21. 6. 1935, 11. Wiener Sport Tagblatt, 21. 6. 1935, 4. Illustrierte Kronen-Zeitung, 23. 7. 1935, 13.

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den Fliegerrennen der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Als Dritter im dritten Vorlauf 24 und Zweiter im Hoffnungslauf konnte er jedoch nicht reüssieren.25 Wieder in Wien, folgten ein Länderkampf gegen Ungarn und weitere Bahnrennen. 1936 nahm Dusika an den Olympischen Sommerspielen in Berlin teil. Er scheiterte am Versuch, eine Medaille zu erringen, wurde im Vorlauf des Achtelfinales vom Holländer Van Vliet geschlagen.26

Mitglied von NSDAP und SA In Deutschland hatte der Rad(renn)sport seit Beginn der NS-Herrschaft 1933 Konjunktur,27 in Österreich hingegen herrschte ein Mangel an Rennen. Dazu kam, dass Dusika im Frühsommer 1937 wegen Verstoßes gegen die Amateurbestimmungen gesperrt wurde, weil er öffentlich für einen »Verkaufsartikel mit seinem Namen Reklame gemacht« habe,28 wobei die Anzeige vom Deutschen Radfahrer-Bund initiiert wurde.29 Wie lange Dusikas Sperre dauerte, ist nicht zu rekonstruieren; zwar meldeten mehrere Zeitungen, dass nach dem »Anschluss« auch Dusika unter die am 31. März 1938 verkündete »Generalamnestie« des Radfahrbundes fiele,30 doch tauchte er als Rennfahrer erst 1940 wieder auf, wobei die Zeitungen damals berichteten, dass sein Start als »Berufsfahrer« erfolge,31 was sowohl als Indiz zu werten sein könnte, dass seine Sperre als Amateur nicht aufgehoben worden war, als auch als Hinweis darauf, dass er hoffte, als »Profi« gutes Geld zu verdienen. Am 15. Februar 1937 hatte Dusika die Schriftleitung der Zeitschrift »Österreichischer Radsport« übernommen (siehe dazu später). Vom »aktiven Kampfsport« werde er sich deshalb nicht zurückziehen, stellte er dort klar.32 Seine Angriffe auf Verbandsfunktionäre und die Begeisterung über den Radsportboom in Deutschland ergänzte Dusika nach dem »Anschluss« Österreichs durch öffentliche Ergebenheitsbekundungen gegenüber dem Führer und durch Hetze gegen dessen GegnerInnen. Man kann, wie das die Historikerkommission zur

24 25 26 27 28 29 30 31 32

Der Tag, 11. 8. 1935, 16. Wiener Sport Tagblatt, 14. 8. 1935, 6. Der Radfahrer, 15. 8. 1936, 2. Dieter Vaupel, Von Selbstgleichschaltung und Deutschlandfahrt. Radsport im Dienste des NS-Systems, in: SportZeiten 22 (2022) 2, 7–30, 9. Der Tag, 25. 5. 1937, 11; Die Stunde, 4. 6. 1937, 6. Neues Wiener Tagblatt, 1. 4. 1938, 25 und 36. Kleine Volks-Zeitung, 2.4.38, 13. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 2. 7. 1940, 6. Der Tag, 17. 2. 1937, 11.

Franz »Ferry« Dusika (31. März 1908–12. Februar 1984)

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Klärung belasteter Straßennamen auch getan hat,33 viele Beispiele für Dusikas NS-Opportunismus und Begeisterung für Hitlers Krieg anführen, wobei er stets die ideologisch-politische Dimension des Sports betonte:34 »Wir sahen auch, wie aus dem toten deutschen Sportzweig seit Hitlers Machtübernahme, eine Rennbahn nach der anderen eröffnet wurde, wie sich die Zuschauerräume bei den Veranstaltungen plötzlich füllten, wie der deutsche Straßenrennkalender sich immer mehr vergrößerte, wie die herrliche Deutschlandhalle mit der wunderbaren Rennbahn entstand. […] Kann man nun verstehen, daß die Herzen der österreichischen Sportler höher schlugen […] jetzt gehören wir zu Deutschland, jetzt gibt es nur mehr ein glückliches, kampfgestähltes, nicht niederzuringendes Sport-Großdeutschland.«35 Dusika trat gleich nach dem »Anschluss« der NSDAP und der SA bei. In seinem Antrag stellte er sich als tapferer Anhänger der illegalen NSDAP dar. Um seine unzweifelhafte NS-Gesinnung zu untermauern, formulierte er beispielsweise: »1937/38 wegen meiner scharfen Presseangriffe in der von mir redigierten Zeitung Oesterr. Radsport, gegen die von der Turn- und Sportfront eingesetzten Bundessportbehörden, im Besonderen gegen den Präsidenten, den Mischling Schlesinger, ausgeschlossen worden.«36 In seinem Geschäft habe er deutsche und antisemitische Zeitungen aufgelegt, mittellose Parteigenossen habe er unterstützt und sei seit »1928 Mitglied des einzigen Vereins mit Arierparagraphen ›Wiener Sportklub‹«.37 Dusikas Beitrittsantrag zur NSDAP wurde am 10. Juli 1938 von der Ortsgruppenleitung »Rennweg« befürwortet, neuerlich am 22. Jänner 1940, diesmal von der Ortsgruppenleitung »Arenberg«, schließlich am 15. Juli 1940 von der Kreisleitung der NSDAP Wien. Handschriftlich (und mit 19/10/30 datiert) ist auf einem beiliegenden Blatt vermerkt: »Dusika Franz […] ist nat. soz. eingestellt. Soll während Verbotszeit wegen nat. soz. Einstellung die Lizenz entzogen worden sein!«38 Dusika versuchte in seinem Antrag also herauszustreichen, dass er bereits vor dem »Anschluss« im Sinne des Nationalsozialismus tätig gewesen und dafür auch 33 Peter Autengruber, 22., Dusikagasse, benannt seit 1993 nach Franz Dusika (* 31. 03. 1908, † 12. 02. 1984), in: Peter Autengruber (Hg.), Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung – Herkunft – Frühere Bezeichnungen, Wien 1997. 34 Österreichischer Radsport, April 1938, 3. 35 Österreichischer Radsport, April 1938, 3. 36 Personal-Fragebogen zum Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedkarte und zur Feststellung der Mitgliedschaft im Lande Österreich; BArch, PK B 0419. 37 Personal-Fragebogen. Was de facto, aber nicht wörtlich stimmt: Der Verein nahm zwar keine Jüdinnen und Juden auf, hatte aber seinen Statuten zufolge (zumindest in allen bekannten) keinen Arierparagrafen. 38 BArch/Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei. Personal-Frageboegen 6049, Dusika Franz, 31.III.1908. Vgl. zu Dusika im Nationalsozialismus auch: Peter Autengruber, Franz Dusika, in: Peter Autengruber/Birgit Nemec/Oliver Rathkolb/Florian Wenninger, Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein Lesebuch, Wien/Graz/Klagenfurt 2014, 213–217.

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Biografien

Abb. 32: Der Radaktivist Franz Dusika 1940 mit einem SA-Funktionär vor dem Wiener Rathaus. Bild: Votava/Brandstätter Images/APA-Picturedesk

sanktioniert worden war (was freilich im doppelten Sinne unrichtig war, war Dusika doch wegen eines Verstoßes gegen die Amateurbestimmungen und noch dazu auf Betreiben des deutschen Verbandes ausgeschlossen worden). Die illegale Betätigung bildete allerdings die Voraussetzung, trotz der Aufnahmesperre in die NSDAP aufgenommen zu werden. Auch wenn das Aufnahmeverfahren recht lange dauerte, die »Partei« akzeptierte seine Angaben, wie das auf 1. Mai 1938 rückdatierte Aufnahmedatum und die Mitgliedsnummer – 6.295.534 – zeigen. Ob (und wenn, in welcher Art) er bereits vor 1938 nationalsozialistisch tätig gewesen war, lässt sich nicht rekonstruieren, jedenfalls präsentierte sich Dusika während des NS-Regimes als überzeugter, langjähriger Nationalsozialist. In der SA brachte er es als »Fachwart der S.A. Gruppe Österreich für Radfahren« zum Obertruppführer.39 In einem von ihm selbst unterschriebenen »Personalfragebogen für die Anlegung der SA-Personalakte« steht als Eintrittsdatum in die SA: »15. 3. 1938«. Die Ziffer »8« ist überschrieben. Das Datum der Unterschrift: 13. Juni 39 Personal-Fragebogen; Hopfgartner, Dusika, 18.

Franz »Ferry« Dusika (31. März 1908–12. Februar 1984)

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1938.40 In einem anlässlich eines Kreditansuchens Dusikas erstellten Akt teilte der Wirtschaftsberater Ing. Mucha namens der NSDAP, Gau Wien, Kreis III, jedoch mit, Dusika sei bereits »seit 1937 bei der SA, derzeit Obertruppführer, Arier, ledig, wohnhaft III., Fasangasse 26«.41 Dusikas Dienstbarkeit dem NS-Regime gegenüber sollte sich auszahlen. Er erhielt das ›arisierte‹ Radgeschäft des Abraham Adolf Blum in Floridsdorf, Brünner Straße 45, das bereits am 17. März 1938 von der Polizei geplündert worden war.42 Auch dieses, sein zweites, Radgeschäft bewarb er intensiv in diversen Tageszeitungen: »Dusika startet … in Floridsdorf«.43 In der Folge war Dusika in den Medien sehr präsent, als Radhändler, Organisator und Platzsprecher bei diversen Radrennen, Vortragender bei verschiedenen Anlässen zu den Themen »Radsport als Wehrsport«, aber auch zur Radtouristik. Nicht zuletzt fungierte er als Trainer des Radteams der »Ostmark«-HJ, das er im Juli 1938 sogar zu seinem Auftritt beim Turn- und Sportfest in Breslau begleitete.44 Als Aktiver dagegen pausierte er, abgesehen von einem Antreten in einer SA-Staffel im Rahmen des Rathaus-Kriteriums45 rund zwei Jahre lang. Bei einem »Berufsfahrer-Radrennen« auf der Stadion-Rennbahn feierte er am 30. Juni ein umjubeltes Comeback, bei dem er gemeinsam mit Max Bulla den Gewinner der Großdeutschlandfahrt Georg Umbenhauer und dessen Partner Otto Weckerling besiegte.46 Wann Dusika zur Wehrmacht einrücken beziehungsweise an die Front musste, lässt sich nicht exakt rekonstruieren. Er hatte jedenfalls noch recht lange die Gelegenheit, Radsport zu betreiben: In den Zeitungen tauchte er als Rennfahrer noch 1942 regelmäßig auf, letztmals in einem von ihm verfassten Artikel im »Kleinen Volksblatt« vom 18. Februar 1943.47 In seiner NS-Registrierung gibt er an, am 22. September 1945 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen worden zu sein.48 Er blieb vorerst in den westlichen Besatzungszonen: Bis Dezember 1945 sei er im amerikanischen Lazarett in Hofgastein tätig gewesen, anschließend habe er sich geschäftlich in Flies 40 WStLA/2.7.1.4.A1 Gauakten 1932–1945, Akt 69.426/Personalfragebogen für die Anlegung der SA-Personalakte Franz Xaver Dusika, 13. 6. 1938. 41 WStLA/2.7.1.4.A1 Gauakten 1932–1945, Akt 69.426/Schreiben der NSDAP, Gau Wien, an das Wirtschaftsamt des Gaus Wien, 22. 7. 1938. 42 Vgl. Tina Walzer/Stephan Templ, Unser Wien. »Arisierung« auf österreichisch, Berlin 2001, 196–197. 43 Das Kleine Blatt, 9. 3. 1939, 16. 44 Neues Wiener Tagblatt, 20. 7. 1938, 42. 45 Illustrierte Kronen-Zeitung, 8.3.1939, 14; Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 2.7.1940, 6. 46 Das Kleine Volksblatt, 24. 7. 1940, 10. 47 Kleines Volksblatt, 18. 2. 1943, 5. 48 WStLA/1.3.2.119 A 42 NS-Registrierung, 408 (Franz Dusika, geb.31. 03. 1908)/Polizeidirektion Wien. Magistrat. Bez. Amt. Wien III. An die Staatspolizeiliche Abteilung. [undat. nach dem 11. 1. 1947].

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(Tirol) aufgehalten. Ab 19. Juni 1946 war er wieder in Wien gemeldet.49 Während dieser Zeit und auch in den folgenden eineinhalb Jahren ist von dem vorher (und nachher) so omnipräsenten Dusika keine einzige Zeitungsmeldung zu finden. Das hängt – direkt oder indirekt – wahrscheinlich mit seiner NS-Vergangenheit zusammen.

Entnazifizierung Wie so viele ÖsterreicherInnen verharmloste Dusika nach 1945 seinen Einstieg in Partei und SA, er verfälschte entscheidende Daten, wurde dabei erwischt – und kam weitgehend ungeschoren davon. Das Bezirksamt des 3. Bezirks in Wien stellte fest, dass Dusika »anläßlich der Registrierung der Nationalsozialisten eine Meldung erstattet hat, die mit den Angaben im Gauakte nicht übereinstimmt«.50 Dusika hatte als Aufnahmedatum zur NSDAP das Jahr 1940 angegeben, also die Rückdatierung auf den 1. Mai 1938 und die Mitgliedsnummer – 6.295.534 – nicht erwähnt. Das ist – wie schon gesagt – deswegen von Bedeutung, weil sein rückdatiertes Aufnahmedatum und die Mitgliedsnummer aus dem 6-MillionenBlock zeigen, dass ihn die NSDAP in Würdigung seiner Verdienste für die Partei vor dem »Anschluss« in der Phase der Aufnahmesperre aufgenommen hatte. Zudem gab Dusika an, in der SA keine Funktion innegehabt zu haben, tatsächlich war er Obertruppführer.51 Dusika hatte im Nachhinein behauptet, ein SA-Sturmführer Adolf Stein sei im März 1938 in seinem Geschäft erschienen und habe ihm erklärt, er müsse der SASportgemeinschaft der Spitzensportler hinkünftig angehören – und der NSDAP beitreten. »Ich habe diese Aufforderung mit meinen Verwandten besprochen, die – weil aus rassischen Gründen gefährdet – mir nahelegten, mich dieser Aufforderung nicht zu widersetzen, weil ich Ihnen als Mitglied vielleicht helfen könnte.«52 Nie habe er an politischen Veranstaltungen teilgenommen und mit der »richtigen« SA nie etwas zu tun gehabt. »Meine Tätigkeit war rein sportlich.«53 Weiters führte Dusika aus, zwei seiner Schwestern seien mit Juden verheiratet, mehrere Onkel und Tanten seien von den Nazis ermordet worden. Die Erklärung, 49 WStLA/1.3.2.119 A 42 NS-Registrierung, 408 (Franz Dusika, geb.31. 03. 1908)/Meldeblatt zur Registrierung […]. 8408. Dusika Franz. 2. 7. 1946. 50 WStLA/1.3.2.119 A 42 NS-Registrierung, 408 (Franz Dusika, geb.31. 03. 1908)/Polizeidirektion Wien. Magistrat. Bez. Amt. Wien III. An die Staatspolizeiliche Abteilung. [undat., nach dem 11. 1. 1947]. 51 WStLA/1.3.2.119 A 42 NS-Registrierung, 408 (Franz Dusika, geb.31. 03. 1908)/Meldeblatt zur Registrierung […]. 8408. Dusika Franz. 2. 7. 1946. 52 WStLA/1.3.2.119 A 42 NS-Registrierung, 408 (Franz Dusika, geb.31. 03. 1908)/Franz Dusika an das Magistratische Bezirksamt 3. Bezirk, Einspruch vom 23. 2. 1947. 53 Ebd.

Franz »Ferry« Dusika (31. März 1908–12. Februar 1984)

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er sei gegen seinen Willen und praktisch ohne sein Zutun NSDAP- und SAMitglied geworden, ist eine häufige, aber unglaubwürdige Rechtfertigung in NSRegistrierungsakten. Bei Dusika belegen die Dokumente aus der NS-Zeit das Gegenteil. Trotzdem galt Dusika nur als »Minderbelasteter«54 und am 30. Juni 1948 wurde das Verfahren gegen ihn vom Magistrat des 3. Wiener Bezirkes eingestellt. Dusika unterschrieb eine Erklärung, der zufolge er »nach dem Zusammenbruch Deutschlands an keinen, auch nicht an geheimen, nationalsozialistischen Organisationen« teilgenommen »oder eine nationalsozialistische Tätigkeit betrieben habe«.55 Ab dem Sommer 1947 stand der Fortführung seiner Tätigkeit als Rennfahrer, Geschäftsmann, Funktionär und Radsportpromotor nichts mehr im Weg.

Erfolgreicher Netzwerker und Geschäftsmann Von seinem Opportunismus in der NS-Diktatur wusste man in der »Szene«, aber wie in Österreich damals allgemein üblich, sprach das niemand an.56 Auf dem Rad betrieb der alternde Dusika noch bis 1952 Wettkampfsport, das 1935 gegründete Geschäft florierte. Er baute eigene Räder, importierte auf verschlungenen Wegen aber auch Rahmen aus Frankreich und Italien, primär von »Cinelli«. Was Dusika auszeichnete, waren zum einen professionelle und publikumswirksame Werbestrategien, für die er sowohl erfolgreiche Sportler wie bekannte SchauspielerInnen engagierte, zum anderen unklare Beschaffungsmethoden.57 Dabei kam Dusika 1947 mit dem Gesetz in Konflikt, als er entgegen den Bestimmungen des in den Nachkriegsjahren geltenden Bedarfsdeckungsstrafgesetzes sieben Fahrräder komplett verkauft hatte, die er nur zerlegt und als Ersatzteile in den Handel hätte bringen dürfen. Außerdem hatte er einen »übermäßigen« Betrag für die Fahrräder verlangt – 1.100 statt 700 Schilling. Er wurde zu 500 Schilling Geldstrafe verurteilt. Nur die kommunistische »Volksstimme« und die »Wiener Zeitung« berichteten über das Verfahren, alle anderen Zeitungen übergingen die Causa.58 Just an dem Tag, als der Gerichtsbericht in den Zeitungen erschien, ließ sich Dusika in den Vorstand des Berufsfahrerradver54 WStLA/1.3.2.119 A 42 NS-Registrierung, 408 (Franz Dusika, geb.31. 03. 1908)/Franz Dusika an das Magistratische Bezirksamt 3. Bezirk, Meldeblatt 16. 5. 1947. 55 WStLA/1.3.2.119 A 42 NS-Registrierung, 408 (Franz Dusika, geb.31. 03. 1908)/Erklärung Dusika Franz, 30. 6. 1948. 56 Interview Paul Hopfgartner mit Karl Pointner, in: Hopfgartner, Dusika, Anhang 80–96, 94–96. 57 Michael Zappe/Walter Schmidl/Martin Strubreiter/Werner Schuster, Wiener Mechanikerräder 1930–1980 – eine Rundfahrt durch mehr als 100 Wiener Fahrradmarken, Wien 2013, 64–65. 58 Österreichische Volksstimme 8. 2. 1949, 3; Wiener Zeitung, 8. 2. 1949, 4.

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bandes wählen, als einer der Stellvertreter seines Freundes und Revisors Max Bulla.59 Am 3. März 1949 war der »Wiener Zeitung« zu entnehmen, Franz Dusika habe sich an der Salzburger Firma »Peter Stix & Co« als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt:60 Die Firma plante, aus hochwertigen Komponenten ein kostengünstiges »Volkssportrad« herzustellen.61

Abb. 33: Franz Dusika (r.), Geschäftsmann, Organisator, Rennstallbetreiber, hier mit Rudi Valenta auf der Radrennbahn im Prater. Bild: Archiv Rudolf Valenta

Für sein Wiener Geschäft gründete Dusika einen Rennstall, er nahm Ernst Ciganek, Hermann Kosulic und Rudi Valenta als Profis unter Vertrag und unterstützte Edwin Simic bei seinem Stundenweltrekord für Amateure. Erfolge wurden werbewirksam hinausposaunt: Als Valenta im März 1949 Wien – Hainburg – Wien auf einem Dusika-Rad gewonnen hatte, nutzte Dusika dies sofort für eine Inseratenkampagne.62 Doch auch seine Zeit als Fahrer war noch nicht ganz vorbei, er nahm an Schaurennen in der Pause von Fußballspielen teil; wobei hier der Werbeeffekt wohl wichtiger war als der sportliche Wert. Dem Radfahren blieb

59 60 61 62

Neues Österreich, 9. 2. 1949, 5. Wiener Zeitung, 11. 3. 1949, 7. Salzburger Volksblatt, 20. 5. 1950, 6. Neues Österreich, 29. 3. 1949, 5; Neues Österreich, 1. 5. 1949, 5.

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Dusika aber auch nach seiner leistungssportlichen Karriere treu: im Jahr 1973 unternahm er mit Max Bulla eine medial begleitete Fernradfahrt nach Marokko über 5.000 Kilometer. Zunehmend betätigte sich Dusika auch wieder als Organisator: Im Sommer 1949 trat er mit Bulla als Veranstalter der Fernfahrt Wien – Graz – Wien auf.63 Verpflichtet wurde unter anderem der prominente Belgier Albert Hendrickx. Dessen Antreten war vom »Wiener Kurier« ermöglicht worden, der Fahrer war am Riederberg von Max Bulla und Frau Dusika in Empfang genommen worden.64 Das über Wochen in fast allen Zeitungen angekündigte Rennen wurde ein großer Erfolg, Menschenmassen säumten die Straßen, um die hinter Motorrädern herfahrenden »Helden der Landstraße« zu feiern.65 Gleiches galt für den von Bulla und Dusika organisierten Auftritt des italienischen Weltstars Gino Bartali beim Rathauskriterium. Nur der Fußball nahm auf den Sportseiten der Zeitung noch größeren Raum ein.66 Im Jahr 1950 konnte sich Dusika gegen seinen Mitbewerber Franz Hamedl die Rechte als Veranstalter auf der neu renovierten Stadionrennbahn sichern.67 In einem Gastkommentar in der »Weltpresse« im Spätsommer 1949 brachte Dusika seine Rolle auf den Punkt: Er agierte als Mahner und Förderer, Organisator und Erklärer, der wisse, warum österreichische Radsportler im Ausland nicht so erfolgreich wie erwartet seien und was zu tun sei:68 Die Radrennfahrer müssten das geschützte Nest Österreich verlassen und im Ausland lernen. Dusika beanspruchte die Repräsentantenrolle für sich. Alles weitere, die Netzwerkarbeit mit Journalisten, Managern und Politikern, die Dusika-Jugendtour und andere Veranstaltungen, die Lobbyarbeit für ein Radstadion in Wien waren Folgen dieses Drangs und Talents zur Selbstinszenierung und des Geschicks, den öffentlichen Diskurs zu dominieren. Im Jahr 1968 rief Dusika schließlich die mit seinem Namen eng verbundene »Jugendtour« ins Leben. Er trieb Sponsoren auf und interessierte die Medien dafür, die restliche Arbeit machten viele Verbandsund Vereinsfunktionäre. Dusika erarbeitete sich einen singulären Ruf als Sport-Promotor und Ernährungsguru,69 das Geschäft in der Fasangasse wurde sukzessive erweitert. Ein Erfolgsfaktor war seine Qualität als Netzwerker: Dusika hatte beste Kontakte zu 63 64 65 66

Weltpresse, 4. 6. 1949, 11. Wiener Kurier, 15. 7. 1949, 5. Weltpresse, 18. 7. 1949, 5. Weltpresse, 15. 6. 1949, 5; Neues Österreich, 15. 6. 1949, 5; Österreichische Zeitung, 15. 6. 1949, 7; Wiener Kurier, 15. 6. 1949, 5; Salzburger Nachrichten, 18. 6. 1949, 6; Wiener Kurier, 18. 6. 1949, 5. 67 Wiener Kurier, 10. 3. 1950, 5. 68 Weltpresse, 11. 8. 1949, 13. 69 Franz Dusika/Max Bulla, Der erfolgreiche Rennfahrer. Neue Weg zur Leistungssteigerung, Wien 1951, 36–54.

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Abb. 34: Franz Dusika wirbt für seine Sport-, Mode- und Radgeschäfte in der Fasangasse. Bild: Archiv Max Bulla

Rennfahrerkollegen und Journalisten, er freundete sich mit mächtigen Politkern an, Gerüchte sprechen davon, dass Prominente und Journalisten bei Dusika billig exklusive Sportartikel und Kleidung einkauften und dass Bürgermeister Leopold Gratz (SPÖ) maßgeblich an der Bewilligung für den Bau eines Radstadions im Gemeinderat beteiligt gewesen sei.70 Sicher ist die enge Verbindung zu Helmut Zilk, der Dusika als ORF-Journalist, vor allem aber später als Unterrichtsminister und Wiener Bürgermeister, unterstützte. Dusika war Trauzeuge bei Zilks Heirat mit der Schauspielerin Dagmar Koller.71 Nach Dusikas Tod im Jahr 1984 ging

70 Vgl. die Interviews mit den Funktionären Rudolf Thuri und Christian Glaner, dem ExRadfahrer Kurt Schneider sowie den Journalisten Karl Pointner und Michael Kuhn, in: Hopfgartner, Dusika, Anhang 1–98. 71 Othmar Pruckner, Reportage: Die Bahnradfahrer vom Ferry-Dusika-Stadion, in: profil, 19. 11. 2015, URL: https://www.profil.at/gesellschaft/reportage-bahnradfahrer-ferry-dusika-stadion -6072933 (abgerufen 29. 1. 2023).

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seine Villa an der Algarve (Portugal) an das Ehepaar Zilk-Koller über.72 Der langjährige ARBÖ-Funktionär Rudi Thuri spricht in diesem Zusammenhang von einer Vererbung: »So wie ich das sehe, war das ein Dankeschön von ihm für alles was Zilk für ihn gemacht hat, weil der hat ihm viel geholfen.«73 Der ehemalige Sportchef der Kronen-Zeitung, Michael Kuhn, glaubt dagegen nicht an die Geschichte von der Erbschaft: Zilk habe »der Witwe Dusika das Haus in Portugal abgekauft, es heißt zwar immer, dass er es ihm geschenkt hat, aber was ich weiß, hat Zilk es ihr abgekauft.«74

Abb. 35: Franz Dusika (li.) und Leopold Gratz als Trauzeugen bei der Heirat von Dagmar Koller und Helmut Zilk 1978. Bild: Votava/Brandstätter Images/APA-Picturedesk

1993 wurde die Dusikagasse im 22. Bezirk nach ihm benannt, das Wiener Radstadion erhielt den Namen »Ferry-Dusika-Hallenstadion«. Erst Jahrzehnte später sollte Dusikas Rolle im NS-System öffentlich diskutiert werden. 2012 schrieb Wolfgang Benda im »profil«, Dusika sei es nach 1945 gelungen, »seine braune

72 Fritz Neumann, So war Ferry Dusika, so ist Österreich, in: Der Standard, 25. 3. 2014, URL: https://www.derstandard.at/story/1395363189487/so-war-ferry-dusika-so-ist-oesterreich (abgerufen 14. 10. 2022). 73 Hopfgartner, Dusika, Anhang 110. 74 Hopfgartner, Dusika, Anhang 167.

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Vergangenheit zu verharmlosen«.75 In der Liste der umstrittenen Wiener Straßennamen scheint Dusika unter den Fällen mit »intensivem Diskussionsbedarf« in der problematischsten Kategorie auf. Die Straße trägt immer noch seinen Namen und das Radstadion wurde bis zum Abriss im Jahr 2021 nicht umbenannt.76

Franz Dusika und der »Ostmark-Radsport« Wer über Franz Dusikas Verhalten im Dritten Reich und sein späteres Leugnen der Unterstützung des NS-Regimes spricht, kommt an seiner Tätigkeit als Schriftführer der Zeitschrift »Österreichischer Radsport« (ab Dezember 1938: »Ostmark Radsport«) nicht vorbei. Dusika inserierte dort ab der Ausgabe 1 im Mai 1936 und in der Folge in jeder Ausgabe für sein Radsportgeschäft Dusika–Schaffer in der Fasangasse 25 im 3. Wiener Gemeindebezirk. Ab der Ausgabe vom 25. Februar 1937 wurde das Erscheinungsbild der Monatszeitung neu gestaltet und im Editorial hieß es: »Nicht nur das Aeußere der Zeitschrift wurde verändert, nein, auch viel wichtigere Veränderungen sind durchgeführt worden. Kein Geringerer als Franz Dusika hat die redaktionelle Leitung […] übernommen.« Seine Erfahrungen als Rennfahrer und seine Beziehungen ins In- und Ausland prädestinierten ihn »zu dem geeignetsten Mann, eine Radsportzeitung zu redigieren«.77 Der eifrig am öffentlichen Diskurs teilnehmende Dusika hatte durch »launige Berichte radsportlicher Natur bereits sein journalistisches Talent« gezeigt,78 er verschaffte dem Magazin sofort mediale Beachtung. In einem Geleitwort zitierte Dusika voller Stolz die kollegiale Anerkennung.79 Auf der gleichen Seite kündigte Dusika in der ihm eigenen Mischung aus Trotz und Zuversicht an, wie einst den Empfehlungen, das Radrennfahren sein zu lassen, auch diesmal negativen Ratschlägen konsequent nicht folgen zu wollen. »Nein, so schnell nimmt man mir nicht den Mut!« Kaum war der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 vollzogen, bekannte sich Dusika im Brustton der Überzeugung zum NS-Regime. Auf dem Cover der April-Ausgabe prangte »Unser Sportführer von Tschammer und Osten« bei einer »Morgenspazierfahrt« auf dem Rad:80 Im Heftinneren 75 Wolfgang Benda, Räder für den Sieg, in: Profil, 29. 9. 2012, URL: https://www.profil.at/home /raeder-sieg-343085 (abgerufen 29. 1. 2023). 76 Vgl. Autengruber, Dusika, 213–217. 77 Österreichischer Radsport, Februar 1937, 2. 78 Illustrierte Kronen Zeitung, 6. 2. 1937, 13. 79 Radsport, Februar 137, 2., angeführt werden Erwähnungen in der Neuen Freien Presse (6. 2. 1937), in der Kronen-Zeitung (6. 2. 1937), im Kleinen Blatt (5. 2. 1937), in den Wiener Neuesten Nachrichten (5. 2. 1937) und im Kleinen Volksblatt (5. 2. 1937). 80 Radsport, April 1938, 1.

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wurde Tschammer den LeserInnen in einem ausführlichen, hagiografischen Porträt vorgestellt.81 Zentral wurde seine militärische Karriere »als einer der jüngsten Offiziere in Deutschland« präsentiert, wobei er sich »an vorderster Front« durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet habe.82 In einem Bekenntnisschreiben, das zwar nicht von Dusika gezeichnet ist, aber von ihm verantwortet wird, huldigte er dem »Anschluss« des mangelkranken österreichischen an den zukunftsträchtigen deutschen Sport. Ohne Hurrarufe an den Führer ging das nicht, wie das im Leitartikel der April-Ausgabe deutlich wurde, die im Zeichen der Volksabstimmung stand: Unter der Überschrift »Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Nun auch im Sport vereint« wurde die »Nacht zum 12. März« zur »geschichtlichen Großtat« erklärt: »Deutsch-Oesterreich ist Nationalsozialistisch geworden! Einem Lauffeuer gleich ging diese Nachricht durch alle deutschen Gaue und erfüllte die Herzen aller deutschen Menschen mit unbeschreiblichem Jubel und Freude […] Wir alle, vor allem wir Sportler, sind jetzt Streiter geworden. Soldaten einer neuen Idee. Unsere Waffe ist das Herz, der Charakter, die Gesinnung […] Wir sind wieder ein Volk, ein Reich. Und über uns allen steht der Führer. Ihm wollen wir dienen, für ihn wollen wir streiten. Denn er war unser Retter in höchster Not!«. Der Beitrag endete in einer Engführung von Sport und Politik: »Der Reichssportführer von Tschammer und Osten hat am vergangenen Sonntag vor Zehntausenden von Sportkameraden und Kameradinnen den neuen Weg gewiesen. Seinen flammenden Appell zum Zusammenschluß richtete er an alle Turner und Sportler Deutsch-Oesterreichs. Wie ein Vater zu seinen Kindern spricht, so hat der Reichssportführer zu uns gesprochen. Sein Vaterherz schlug uns allen entgegen.« Der Beitrag endete mit einem nachdrücklichen Aufruf für die Abstimmung am 10. April und einem »Sieg-Heil«.83 Unterhalb des Leitartikels steht ein Einspalter, in dem – als redaktioneller Beitrag getarnt – Werbung für das Sporthaus Dusika–Schaffer gemacht wird, camoufliert durch die Ankündigung einer »großen Fahrradschau in der Fasangasse«, gemeint war wohl Dusikas Fahrradgeschäft, in dem »die interessantesten und neuesten Fahrräder und Artikel« zu begutachten seien.84 Zu diesem Zeitpunkt war Franz Dusika bereits »SA-Obertruppführer«, wie die Akten des Wiener Stadt- und Landesarchives zeigen. Die Dienstgradbestätigung der SA (23. Juni 1938) beweist, dass der SA-Angehörige »Dusika Franz Xaver mit Wirkung vom 12. März 1938 den Dienstgrad eines SA-Obertruppführers« trug.85

81 82 83 84 85

Radsport, April 1938, 7. Radsport, April 1938, 7. Radsport, April 1938, 3. Radsport, April 1938, 3. SA der NSDAP, Dienstgradbestätigung vom 12. 03. 1938; WStLA, 2.7.1.4.A1 Gauakten 1932– 1955, Akt 69.426.

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Die Schreibtätigkeit Dusikas muss also vor dem Hintergrund seiner Einbettung in das NS-Regime gelesen werden. Im April-Heft 1938 fand sich eine Eloge über die Rettung des österreichischen Radsports. Vor allem die »unpopulärste Steuer, die es je gab – die Fahrradabgabe«, sei abgeschafft worden, was Dusika als willkommenes Geschenk des Führers verkaufte; »den Dank werden die Radsportler in ihrer Gesamtheit am 10. April abstatten.«86 Mit diesen Beiträgen war die Positionierung Dusikas aber noch nicht abgeschlossen. Er war ja als Aktiver noch immer wegen Verstoßes gegen die Amateurbestimmungen gesperrt. Noch am 4. März hatte »Die Stunde« geschrieben, dass der ÖRB von Dusika verlangte, die Kritik am Verband einzustellen. Dusika erwiderte, »dass die Erteilung der Lizenz keinesfalls mit Zugeständnissen seiner Überzeugung zu erkaufen sei«.87 Die rassistische Diktion in dem Artikel »[Carl] Schlesinger muss gehen!«, in dem Dusika gegen den ÖRB-Präsidenten polemisierte, ist freilich nicht aus der Erbitterung des kaltgestellten Radrennsportlers zu erklären: »Gott sei Dank, dass wir von diesen unfähigen Diktatoren des Sport erlöst wurden und auch der Mann, gegen den unser Kampf im Besonderen ging, wird von der Bildfläche verschwinden. Schlesinger ist ein Judenmischling und somit im neuen Deutschland unmöglich. Seine diktatorische Herrschaft, gepaart mit nicht zu überbietender Unfähigkeit hat dem Radsport viel Leid und Misserfolg gebracht. Auch das ist zu Ende.«88 Der »Österreichische Radsport« entwickelte aus dieser Haltung eine verlässliche Propagandatätigkeit für das Dritte Reich. Dafür finden sich zahlreiche Beispiele. Kennzeichnend dafür ist die Grenzüberschreitung vom Radsport zum Regime und retour. So endete ein Artikel in der Ausgabe vom Juni 1938 über die Funktionäre und ihre neue Sorgfaltspflicht mit folgenden Worten: »Würde sich die Unfähigkeit des Einen oder des Anderen herausstellen, die Mitarbeit wäre rasch liquidiert. Der Nationalsozialismus hat einen wunderbaren ›eisernen Besen‹, und noch wunderbarer – es wird unbarmherzig – wenn notwendig – davon Gebrauch gemacht. Ja, heutzutage, braucht man nicht mehr auf eine Generalversammlung warten.«89 Dusika machte, was nach 1945 seine Stärke sein sollte, schon 1938. Er organisierte Rennen, für die Ausrichtung der ersten Gaumeisterschaft erhielt er im eigenen Blatt90 öffentliches Lob. Neben Kritik an der Kirche und dem Zwang zum Kirchgang91 statt der »wirklichen, wehrhaften Leibesertüchtigung« kam auch das explizite Indienststellen des NS-Sports unter die Prämissen der Wehrertüchti86 87 88 89 90 91

Radsport, April 1938, 4. Die Stunde, 4. 3. 1938, 9. Radsport, April 1939, 16. Radsport, Juni 1938, 2. Radsport, Juni 1938, 6. Radsport, Oktober 1938, 5.

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gung nicht zu kurz. Ziele waren »Kampfziele«, die Aufgabe des Magazins war auch die Veröffentlichung der »offiziellen Mitteilungen des Gaufachwartes und aller Kreisfachwarte«.92 Im Dezember 1938 änderte das Magazin seinen Namen in »Ostmark Radsport«. Der SA-Brigadeführer und Wiener Vizebürgermeister Thomas Kozich prangte am Cover der Ausgabe vom Jänner 1939. Der Grund war, dass sich Kozich in einem Interview auf Seite 12 als Unterstützer des Radsports präsentieren konnte. Seine Äußerungen »verraten eine überraschende Sachkenntnis und tiefes Interesse an unserem schönen Radsport«.93 Ab Kriegsbeginn im September 1939 stellte sich die Zeitschrift in den Dienst der Sache. Die Metaphern wurden noch schwülstiger, und Dusikas Support des Radsports verriet alle Werte, die der Sport so gern vor sich herträgt: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall…« schlagzeilte er im Oktober 1939 und unterstützte den »Abwehrkampf« für »die gerechteste Sache der Welt […] Wir haben diesen Krieg nicht gewollt! Deutschland war noch nie so stark wie jetzt! Im Vertrauen auf unseren Führer, auf unsere gerechte Sache, nehmen wir es mit euch allen auf! Wenn es gilt, unser Deutschland aus der Umklammerung zu befreien, einer Umklammerung, die Krämergeist zu einem uns erdrückenden Ring machen wollte! Daß es gründlich daneben geriet, das steht heute schon fest! Wir siegen, weil wir für Deutschland kämpfen!«94 Sport wurde nun als Ertüchtigung gesehen und zum Bildungsziel Nummer eins erklärt,95 der Radsport sollte Unterstützung des Krieges sein. Die Trennung von Sport und Politik deklarierte Dusika als obsolet: Unter dem Titel »Sport und Politik« hieß es, »daß dem Sport eine politische Sendung von allergrößter Wichtigkeit zukommt: die völkerverbindende Idee! Diese findet in den Olympischen Spielen ihren höchsten Ausdruck. Dem Vaterlande gilt’ s, wenn wir zu spielen scheinen!«96 Wie aus anderen Sportdisziplinen wie zum Beispiel dem Fußball bekannt, war die Sportszene darauf stolz und das NS-Regime daran interessiert, auch noch mitten im Krieg mit Sportwettkämpfen den Anschein von Normalität zu erwecken. Unter dem Titel »Wie schauts aus meine Herren!« betonte Dusikas Blatt, dass im Unterschied zu ausländischen Veranstaltungen wie dem »Internationalen Querfeldein«, das von Paris nach Mailand verlegt werden musste, in Großdeutschland der Rennbetrieb nach wie vor funktionierte.97 Und ein Wunsch wurde, nach den Worten von Dusikas Magazin, wach, »[d]er für alle Deutschen zum Gebet geworden ist: Gott erhalte unseren Führer!«98 92 93 94 95 96 97 98

Ostmark-Radsport, Jänner 1939, 3. Ostmark-Radsport, Jänner 1939, 12. Ostmark-Radsport, Oktober 1939, 3. Ostmark-Radsport, Oktober 1939, 3, 4, 5. Ostmark-Radsport, Dezember 1939, 3. Ostmark-Radsport, Februar 1940, 3. Ostmark-Radsport, Juli 1940, 3.

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Doch selbst im Ostmark-Radsport ließ sich im März 1943 das Gefühl nicht mehr ganz verdrängen, dass sich die Kriegslage langsam änderte. So »kriegswichtig« der Sport auch sei, zeigte man Verständnis dafür, dass Radsportwettkämpfe nur mehr eingeschränkt und lokal möglich waren. »Allein schon die Forderung, die Deutsche Reichsbahn und andere Verkehrsmittel nicht unnötig zu belasten, bedingt diesen Verzicht.«99 Dusikas Verantwortung nach 1945 ist angesichts dieser von ihm geleiteten Berichterstattung nicht glaubwürdig.

Max Bulla (26. September 1905–1. März 1990) Maximilian Bulla wurde am 26. September 1905 in Wien geboren. Er wuchs als Sohn eines Staatsbeamten in der Schönburgstraße im vierten Wiener Gemeindebezirk, in der Nähe des Südtiroler Platzes, auf. Nach dem Ersten Weltkrieg kam der 13-Jährige (wie andere Wiener Kinder) zur Erholung nach Dänemark. Bulla lernte in Kopenhagen bei seiner Pflegefamilie Radfahren – und er wollte länger als die vorgesehenen drei Monate bleiben, weil die Ernährungslage weit besser war als in Wien. So fuhr Max Bulla eines Tages mit einem zweiten Wiener Buben »hinaus auf die ›Lange Linie‹, einem [sic] Promenadeweg am Rande der Stadt, auf dem König Christian von Dänemark seinen Morgenritt zu machen pflegte. Der König kam pünktlich wie immer angeritten und die beiden Buben hielten ihn kurzerhand auf und baten ihn in einem dänisch-wienerischen Kauderwelsch, er möge sie doch noch länger im schönen Kopenhagen bleiben lassen. Der König versprach, den Wunsch der beherzten Buben zu erfüllen und hielt auch Wort«: Der Aufenthalt wurde auf neun Monate ausgedehnt. »Am Tag nach dem ›Überfall‹ auf den König war Max populär in Kopenhagen, denn die Zeitungen brachten einen großen Bericht unter dem Titel ›Max fra Wien and Kong Christian‹«.100 Diese Anekdote wurde in der Sportzeitung »Wiener Sport in Bild und Wort« überliefert. Dort erschien 1946 die 14-teilige Serie »Vom Zeitungsfahrer zum Giganten der Landstraße. Der Roman, den das Leben geschrieben hat. Max Bulla erzählt von seiner Rennfahrerlaufbahn ». Die Geschichte aus Dänemark eröffnet den Erzählgestus dieser Aufsteigergeschichte. Mit viel Fleiß, großem Talent, ein wenig Glück und einer Portion Frechheit setzte sich der kleine Max aus Österreich trotz oft widriger Umstände in der Welt des professionellen Radsports durch. 1946 konnte diese Geschichte durchaus als Metapher einer Zukunftshoffnung gelesen werden. Zurück in Wien absolvierte Max Bulla eine Ausbildung zum Kürschnergehilfen. Im Melderegister scheint er als 18-Jähriger erstmals als selbstständig ge99 Ostmark-Radsport, März 1943, 1. 100 Wiener Sport in Bild und Wort, 6. 2. 1946, 14.

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meldet auf, noch lebte er in der elterlichen Wohnung.101 Als er nach »längerem, unermüdlichen Sparen«102 ein Rad kaufen konnte, begann er nebstbei Zeitungen auszufahren. Dem bekannten Radsportler Franz Kaletta »fiel das Bürscherl auf, das mit seinem schweren Rad so geschickt über das Großstadtpflaster flitze. Einmal nahm er ihn zu einem Training der damaligen Spitzenfahrer mit. Max hängte sich mit seinem vorsintflutlichen Vehikel an die Hinterräder der Kanonen und die konnten ihn bei bestem Willen nicht mehr los werden.«103 Bullas Talent und Wille waren entdeckt. Er trat der »Radfahr-Sektion Grand-Hotel« bei, sein erstes Rennen bestritt er 1925: Bei »Rund um Wien« belegt er sensationell den vierten Rang und sein Name tauchte nun regelmäßig in Zeitungsmeldungen auf, ab Saisonmitte wurde er zu den Spitzenfahren gezählt; bei den Bahnmeisterschaften der Amateure wurde er knapp geschlagen,104 im September gewann er die Wiener Bergmeisterschaft am Exelberg.105

Abb. 36: Max Bulla in seinem ersten Jahr als Radprofi, 1926. Unten links als »Fan« seine spätere Frau Josefine Sapletan. Bild: Archiv Michael Zappe

101 WStLA, 2.5.1.4.K11. Bulla Max. 26. 9. 1905, Meldezettel Maximilian Bulla [undatiert, Stempel Jänner 1926, Datum der Abmeldung 20. 3. 1927]. 102 Wiener Sport in Bild und Wort, 6. 2. 1946, 14. 103 Wiener Sport in Bild und Wort, 6. 2. 1946, 14. 104 Wiener Neueste Nachrichten, 24. 8. 1925, 2. 105 Sport-Tagblatt, 14. 9. 1925, 6.

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Bulla wird Profi Schon auf seinem ersten Meldezettel vermerkte Bulla neben seinem Beruf als Kürschnergehilfe »auch Rennfahrer«.106 1926 löste er eine Profilizenz und startete für den Radhersteller Wutte (»Rational Räder«). Ein Sieg im ersten Profirennen brachte ihm gleich einen zusätzlichen Vertrag mit »Fichtel & Sachs«. Er gewann in diesem Jahr etliche Straßenrennen – darunter die österreichische Meisterschaft über 300 Kilometer mit einem Vorsprung von mehr als 15 Minuten – und zählte auch auf der Bahn zu den stärksten Fahrern. Bulla war nun in der RadCommunity eine prominente Figur: Das »Sport-Tagblatt« brachte ein Porträtbild des »bekannten Wiener Berufsfahrer[s]« Max Bulla,107 die Hersteller warben mit seinen Siegen.108 1927 übersiedelte er ins Ausland: Bulla habe »mit den DiamantWerken in Chemnitz einen Vertrag für die kommende Saison abgeschlossen und wird nicht nur alle großen Rennen in Oesterreich, sondern auch eine Anzahl deutscher Straßenrennen bestreiten.«109 Auf seinem Meldezettel wird am 20. März 1927 ein Auszug nach »unbekannt« vermerkt.110 Beim ersten Straßenrennen in Deutschland belegte Bulla den dritten Rang.111 »Das trug ihm nicht nur den in Aussicht gestellten Vertrag ein, sondern sogar eine Sonderprämie und außerdem noch etwas, für den Anfang nicht weniger Wichtiges: Die Anerkennung und Achtung seiner Konkurrenten.«112 Bei seinen Starts in Österreich gewann Bulla häufig, sowohl auf der Straße als auch auf der Bahn. Auch in Deutschland gelangen ihm Spitzenresultate, wobei er laut den Medien oft von Defekten gebremst wurde. Auch bei der Weltmeisterschaft 1927 schied er wegen eines Reifenschadens aus.113 Im Oktober veröffentlichte das »Sport-Tagblatt« eine Postkarte aus Paris, die unter anderem von Bulla und dem Schweizer Stundenweltrekordler Oscar Egg, einem Freund und späteren Teamchef von Bulla, unterzeichnet war.114 »In sehr freundlicher Weise ist unser Meisterfahrer Max Bulla von der französischen Sportpresse begrüßt worden.«115 In den österreichischen Zeitungen fanden sich zahlreiche Kurzmeldungen, die von »Max Bulla in Paris« berichteten.116 106 WStLA, 2.5.1.4.K11. Bulla Max. 26. 9. 1905, Meldezettel Maximilian Bulla [undatiert, Stempel 1926, Datum der Abmeldung 20. 3. 1927]. 107 Die Stunde, 28. 4. 1926, 9. 108 Radsport-Zeitung, 10. 7. 1926, 2; Sport-Tagblatt, 12. 7. 1926, 6. 109 Sport-Tagblatt, 11. 1. 1927, 5. 110 WStLA, 2.5.1.4.K11.Bulla Max. 26. 9. 1905, Meldezettel Maximilian Bulla [undatiert, Stempel 1926, Datum der Abmeldung 20. 3. 1927]. 111 Rote Fahne, 27. 3. 1927, 10. 112 Wiener Sport in Bild und Wort, 30. 3. 1946, 14. 113 Sport-Tagblatt, 29.7.27, 5. 114 Vgl. Sport-Tagblatt, 22.10.27, 10. 115 Vgl. Sport-Tagblatt, 27.10.27, 5.

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Die Straßensaison 1928 bestand für Bulla vor allem aus Rennen in Deutschland, bei denen er einige Spitzenplätze erreichte. Bei der Weltmeisterschaft in Budapest wurde Bulla im Straßenrennen Sechster, Österreich gewann den Mannschaftspokal.117 Max Bulla war in der internationalen Klasse angekommen und führte mittlerweile ein Pendlerdasein. Er verbrachte jeweils die Straßenrennsaison im Ausland, war in der Schweiz und später in Deutschland, in Jestetten knapp an der Schweizer Grenze, gemeldet, kehrte im Oktober nach Wien zurück, das er im Winter für die Bahnsaison mit Rennen vor allem in Frankreich und Deutschland wieder verließ.118 Am 26. März 1929 heiratete Max Bulla Josefine Sapletan, die selbst als Radrennfahrerin aktiv war und die Schwester des Radprofis Raimund Sapletan war, der wie Max Bulla für »Grand Hotel« gefahren war. Am 25. Juni 1929 wurde der erste Sohn Maximilian geboren. Im Juni wurde erstmals über einen Start Bullas und der Brüder Cap bei der Tour de France spekuliert.119 Bulla bestritt in diesem Jahr aber kaum Rennen, bei der WM in der Schweiz belegte er den achten Platz.120 Im Winter standen Bahnrennen in Deutschland auf dem Programm, das Sechstage-Rennen in Stuttgart war seine Premiere bei dieser populären und deshalb für die Fahrer lukrativen Rennform.121 1930 wurde Bulla vom deutschen Fahrradhersteller »Dürkopp« verpflichtet.122 In Frankreich machte er erstmals bei Paris – Roubaix auf sich aufmerksam: Er fuhr lange an der Spitze und wurde erst durch einen Defekt zurückgeworfen.123 Bei Turin – Brüssel124 und bei Marseille – Lyon wurde Bulla Dritter,125 bei der Deutschland-Rundfahrt belegte er den neunten Gesamtrang.126

116 Vgl. z. B. Sport-Tagblatt, 7. 11. 1927, 8. 117 Vgl. z. B. Linzer Volksblatt, 29. 8. 1928, 8. 118 Einige Eintragungen auf Bullas Meldezetteln: 16. 1. 1929 aus Leipzig kommend zugezogen, als Beruf gibt er Rennfahrer an (»früher Kürschnergehilfe« ist angemerkt); am 27. 3. 1929 Ummeldung wegen Verehelichung, am 9. 12. 1929 zog er wenige Häuser weiter an den Wiedner Gürtel 54; 26. 10. 1935: Wiedner Gürtel 54, 28. 4. 1936 abgemeldet nach Zürich. Bei seiner Anmeldung am 6. 11. 1936 gibt er als früheren Aufenthaltsort Paris an und am 22. 5. 1937 meldet Bulla sich nach Jestetten ab. Am 22. 10. 1937 wieder zurück, am 21. 3. 1938 abermals nach Jestetten, am 26. 4. 1938 wieder Wien. Auf dem ersten Meldezettel ist Bulla als »Maximilian« eingetragen, auf allen späteren als »Max«. 119 Vgl. Sport-Tagblatt, 12. 6. 1929, 7. 120 Sport-Tagblatt, 23. 8. 1929, 5. 121 Vgl. Sport-Tagblatt, 11. 10. 1929, 6. 122 Sport-Tagblatt, 18. 3. 1930, 5. 123 Sport-Tagblatt, 25. 4. 1930, 5. 124 Neue Freie Presse, 23. 7. 1930, 9. 125 Sport-Tagblatt, 20. 8. 1930, 6. 126 Sport-Tagblatt, 2. 6. 1930, 8.

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Abb. 37: Max Bulla und seine spätere Frau Josefine Sapletan, um 1928. Bild: Nachlass Max Bulla

Auf dem Weg ganz nach oben 1930 hatte sich Max Bulla also in der Weltelite etabliert, war der beste österreichische Radrennfahrer und in Radsportkreisen eine bekannte Figur. Eine breite – über den Sport hinausgehende – Öffentlichkeit kannte Bulla aber noch kaum. Das sollte sich erst im folgenden Jahr ändern, als er für das Team von Oscar Egg verpflichtet wurde. »Bulla wird die Marke Oscar Eggs in allen heurigen großen französischen Straßenrennen vertreten, abgesehen von der Rundfahrt durch Deutschland, in der er für Opel tätig sein wird. Bulla wird in den internationalen Sportkreisen als ausgesprochenes As auf der Straße betrachtet.«127 Erstmals im Spitzenfeld bei einem wichtigen Profirennen landete Bulla mit einem fünften Platz bei Paris – Lyon.128 Auch bei der Deutschland-Rundfahrt, in der Bulla für eine gemischte Mannschaft startete, gelangen ihm Spitzenresultate: ein Etappensieg und Rang neun in der Gesamtwertung. In den Ergebnismeldungen 127 Sport-Tagblatt, 7. 3. 1931, 9. 128 Sport-Tagblatt, 23. 4. 1931, 7.

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wurde Bulla übrigens als Schweizer angeführt,129 nicht aber in den längeren Berichten: »Für uns Oesterreicher ist dieses Rennen auch sehr bedeutungsvoll, denn unsere Farben sind durch Meister Max Bulla zu großen Ehren gekommen.«130 Wenig später folgte der erste große Sieg: »Der Wiener Bulla – Straßenmeister von Zürich. Der nach Deutschland übersiedelte Wiener Radmeister, holte sich letzten Sonntag in Zürich die über 210 Kilometer führende Straßenmeisterschaft gegen ein internationales Feld.«131 Und es ging weiter: »Wieder ein Sieg Bullas […] dem [sic] österreichischen Meisterfahrer«132 bei »Rund um den Genfer See«. Das »Grazer Tagblatt« schrieb vom »Sieg eines österreichischen Rennfahrers«.133

Im Gelben Trikot der Tour de France Zum Höhepunkt des Jahres und von Max Bullas Karriere wurde die Tour de France des Jahres 1931. »Die zweite Etappe der ›Tour de France‹ […] gewann der österreichische Rennfahrer Max Bulla und errang damit einen sensationellen Sieg, der umso höher zu werten ist, als es einen ganz seltenen Fall darstellt, daß ein Einzelfahrer eine Etappe gewinnt«.134 »In der Geschichte der Tour de France ist es das erstemal seit ihrem Bestande, daß ein zur Gruppe der Touristen zählender Fahrer das gelbe Trikot tragen kann, das Zeichen seines Etappensieges.«135 Bulla gewann insgesamt drei Etappen und trug einen Tag das Gelbe Trikot als Gesamtführender. In der Schlusswertung wurde er 15. des Gesamtklassements und Sieger der Einzelfahrerwertung mit über einer Stunde Vorsprung.136 Viele französische Zeitungen, die mit einem riesigen Apparat von der Tour de France berichteten, waren von der Leistung, vor allem auch von Bullas offensivem Fahrstil, begeistert137 – ganz ähnlich die deutsche Zeitschrift »Illustrierter Radrenn-Sport«: »Bulla ist der Held der 25. Tour de France. Er ist nicht deswegen der Held, weil er drei Etappen in großem Stil und zwei weitere nur durch Zufall und Pech nicht gewonnen hat. Er ist der Held, weil er jedes Rennen mit unnachahmlicher Verve fährt, die alle zwingt, auf ihn, nur auf ihn zu achten. Wie er immer wieder die Initiative ergreift in Momenten, wo alles verloren scheint, 129 130 131 132 133 134 135 136 137

Vgl. z. B. Sport-Tagblatt, 20. 5. 1931, 7. Sport-Tagblatt, 2. 6. 1931, 5. Der Tag, 2. 6. 1931, 9. Sport-Tagblatt, 24. 6. 1931, 6. Grazer Tagblatt, 2. 7. 1931, 12. Sport-Tagblatt, 2.7.31, 7. Sport-Tagblatt, 6. 7. 1931, 5. Vgl. Sport-Tagblatt, 29. 7. 1931, 6. Das belegen sowohl zahlreiche Zeitungsausschnitte in Bullas Nachlass als auch über Gallica (https://gallica.bnf.fr) zugängliche Zeitungen und Zeitschriften.

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Abb. 38: Max Bulla im Ziel der 4. Etappe der Tour de France 1931 von Brest nach Vannes. Bild: Nachlass Max Bulla

davonstürmt und sich dann auch noch durchsetzt, das ist phantastisch, bezwingend.«138 Der deutsche »Illustrierte Radrennsport« zitierte eine Lobeshymne der französischen Zeitung »L’Auto«: »Fragt man hundert Sportsleute, wer ihrer Meinung nach die markanteste, überraschendste und originellste Erscheinung der Rundfahrt durch Frankreich war, da werden mindestens 95 antworten: Max Bulla. Dieser Fahrer, der im Juli geradezu spielend die Kategorie der Touristen gewann, rief durch seine überraschende Leichtigkeit, seine Ungezwungenheit, seine bezwingende Freundlichkeit und ganz besonders seine glänzenden athletischen Fähigkeiten, die es ihm gestatteten […] sich auch mehrmals den Assen der nationalen Mannschaften völlig ebenbürtig zu zeigen, die Bewunderung derjenigen hervor, die das Rennen verfolgten. Mit einem Wort, der brillante und geradezu rätselhafte Oesterreicher wurde die große Entdeckung der Tour de France.«139

138 Illustrierter Radrenn-Sport, 14. 7. 1931, 827. 139 Illustrierter Radrenn-Sport, 1931, Nr. 51, 1370 [oder 1310, schwer lesbar].

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Ähnlich war die Berichterstattung auch in Österreich: Neben einem ganzseitigen Artikel über Bullas Erfolg im »Sport-Tagblatt«140 brachte das »Neue Wiener Journal« unter der Überschrift »Giganten der Landstraße« einen Beitrag Robert Brums über »Die grandiose Leistung eines Oesterreichers bei der Tour de France«.141 Schwer tat sich dagegen die sozialdemokratische Presse mit Bullas Erfolg. Einerseits war er ein österreichischer Sportler, ein Wiener Arbeiter, andererseits ein Vertreter des »bürgerlichen« Profisports. Die »Arbeiter-Zeitung« ignorierte die Tour des France abgesehen von einer eher skurrilen Kurzmeldung fast vollständig: »Bulla siegt im Radrennen Rund um Frankreich«, hieß es, und die Zeitung schrieb von der »Klasse der Amateure«,142 womit Bulla fälschlicherweise, aber wohl nicht zufällig, zum Amateur gemacht wurde. Man kritisierte nicht Bulla, sondern die kommerzialisierten Strukturen des »bürgerlichen« Sports und die Geschäftsinteressen seiner Funktionäre. Der Erfolg lohnte sich auch finanziell: 38.805 Francs habe er, so erzählte Bulla, gesamt an Preisen und Prämien verdient, 16.000 Franc von den verschiedenen Fabriken, »die mit seinem Bild und Namen Reklame machten«, dazu waren in der Folge noch rund 50.000 Franc Startgelder bei 30 Bahnrennen gekommen.143 Das waren grob gerechnet 30.000 Schilling,144 umgerechnet und inflationsbereinigt entspricht das knapp 125.000 Euro.145 Aussagekräftiger ist vielleicht ein Vergleich mit Löhnen des Jahres 1931: 80 Prozent aller Jahreseinkommen lagen zwischen 1.400 und 4.800 Schilling, Bulla verdiente etwa das Acht- bis Zehnfache eines männlichen Facharbeiters. Sein Einkommen entsprach etwa dem Jahresbudget des Fußballvereins »Floridsdorfer AC« im Jahr 1933.146 Von einer »Wiedergeburt des Radrennsports« schrieb das »Sport-Tagblatt«.147 Kurz gesagt wurde Max Bulla durch seinen Tour-Erfolg über die Sport-Community hinaus in Österreich ein Star. So wurde berichtet: »Der Verein Austria, der die Verbindung zwischen den in Paris und Umgebung ansässigen Arbeitern und Angestellten aufrechterhält, veranstaltete gestern Abend einen Empfang für den österreichischen Radfahrmeister Max Bulla.«148 Als international erfolgreicher Star bildete Bulla einen Kristallisationspunkt für einen Wiener Lokalpatriotismus, und er wurde, neben dem Wunderteam, zu einer der raren Quellen eines nationalen Sportpatriotismus. Wegen der fehlen140 141 142 143 144 145

Sport-Tagblatt, 30. 7. 1931, 7. Neues Wiener Journal, 16. 7. 1931, 10. Arbeiter-Zeitung, 27. 7. 1931, 6. Neues Wiener Journal, 7. 8. 1931, 12. Kurs: 27,91 ½, Quelle: Arbeiter-Zeitung, 19. 7. 1931, 16. Historischer Währungsrechner der Österreichischen Nationalbank, URL: https://www.euro logisch.at/docroot/waehrungsrechner/#/. 146 Der Tag, 19. 3. 1933, 14. 147 Sport-Tagblatt, 15. 8. 1931, 1. 148 Neue Freie Presse, 5. 8. 1931, 10, ähnlich in weiteren Zeitungen.

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Abb. 39: Sturz von Max Bulla bei einer Schotterpassage der Tour de France 1931. Bild: Nachlass Max Bulla

den Breitenwirkung bildete Bulla – anders als das Wunderteam – aber nach 1945 keinen Ansatzpunkt für »nation-building«. 1931 war Bulla »[a]uf dem Gipfel des Ruhmes«, wie der letzte Teil seiner Biografie im »Wiener Sport in Bild und Wort« betitelt ist. Es wird noch erzählt, wie Bulla trotz nur drei Stunden Schlaf das Rennen Marseille – Lyon gewann, bei der Weltmeisterschaft in Kopenhagen den fünften Rang belegte und zum Saisonabschluss bei einem Kriterium in Algiers siegte.149 Bulla hatte auch in Österreich rasch einen Status als Prominenter erlangt: Im »Wiener Magazin« war ein Foto von Bulla mit seinem Sohn in der Koje bei einem Sechstagerennen zu sehen, in den »Wiener Bildern«bildete man Bulla mit Frau und Sohn im Wohnzimmer ab.150 Das »Sport-Tagblatt« zitierte eine französische Weltrangliste des Sports, in der Bulla bei den Radfahrern auf Rang sieben aufschien.151 Nach den großen Auftritten in Frankreich folgten in Wien wieder Saalwalzenund Bahnrennen. Schon Mitte Jänner 1932 reiste Bulla nach Amerika, um gemeinsam mit seinem Vereinskollegen Franz Thallinger bei Sechstage-Rennen 149 Vgl. Wiener Sport in Bild und Wort, 15. 6. 1946, 14. 150 Wiener Bilder, 3. 1. 1932, 7. 151 Sport-Tagblatt, 4. 1. 1932, 6.

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Abb. 40: Max Bulla mit seinem Sohn Maximilian in der Koje eines Sechstagerennens. Bild: Nachlass Max Bulla

teilzunehmen.152 Bulla bestritt zuerst einen Bewerb in Chicago,153 anschließend in New York, wo er sich bei einem Sturz das Schlüsselbein brach.154 Anfang April nahm er bereits wieder am Pariser Sechstage-Rennen teil, das »Sport-Tagblatt« und andere Zeitungen berichteten täglich über Bulla, oft per Telegramm155 oder »eigenem Drahtbericht«. Bulla wohnte mittlerweile in Frankreich, er hatte im kleinen Pariser Vorort Puteaux eine Villa gemietet.156 Bei den Straßenrennen des Frühjahrs 1932 kam Bulla »nur sehr schwer wieder in den gleichmäßigen Tritt«.157 Dennoch hieß es, dass Bulla für die kommende »Tour de France« als Kapitän der deutschen Mannschaft nominiert werden sollte,158 die ja

152 153 154 155 156 157 158

Sport-Tagblatt, 16.1.32, 7. Sport-Tagblatt, 18.2.32, 6. Neues Wiener Tagblatt, 6. 3. 1932, 19. Neues Wiener Tagblatt, 6. 4. 1932, 21. Ebd. Sport-Tagblatt, 3. 6. 1932, 6. Neues Wiener Journal, 10. 6. 1932, 12.

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nicht von jeweiligen Landesverbänden, sondern vom Veranstalter zusammengestellt wurde. Im Berliner »Illustrierten Radrennsport« wurde das in den Versuch einer Vereinnahmung umgemünzt: »Schon mehrfach hieß es, Herr Desgrange, der ›Vater der Tour‹, beabsichtige den famosen Bulla im nächsten Jahr als ›As‹ in der deutschen Ländermannschaft die Rundfahrt bestreiten zu lassen, vielleicht sogar als Kapitän unseres Teams. Bulla ist Oesterreicher, aber die ›Verwandtschaft‹ zwischen Oesterreich und Deutschland ist ja derart eng, daß man den blonden Wiener geradezu als Reichsdeutschen ansehen kann. Wir haben den sympathischen Max ja nie als Ausländer angesehen […]«.159 Außerdem fahre Bulla ja ohnehin in einem deutschen Rennstall. Bei der Tour de France kam Bulla erst zur Hälfte des Rennens besser in Fahrt, es gelang ihm ein dritter und vierter Etappenplatz,160 in der Gesamtwertung wurde er 19. Den österreichischen Zeitungsmeldungen folgend wäre eine bessere Gesamtplatzierung möglich gewesen, hätte er nicht als Domestik für besser platzierte Mannschaftskollegen arbeiten müssen. Bei der Weltmeisterschaft ging Bulla nicht an den Start, im Herbst bestritt er einige Rennen in Frankreich und den Benelux-Ländern. Im Winter folgten die schon gewohnten Sechstagerennen.

Abb. 41: Max Bulla bei der Tour de Suisse 1933. Bild: Miroir des Sports, Nachlass Max Bulla

159 Illustrierter Radrenn-Sport, Nr. 50, 1931, 1370. 160 Sport-Tagblatt, 27.7.32, 5.

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Nach Österreich kam Bulla nur, um seine Familie zu besuchen und Urlaub zu machen. Es fanden keine Profirennen statt, bei denen er teilnehmen hätte können. Eine Ausnahme bildete das Meeting des »Wiener Sport-Club«, das im Mai 1933 unter großem Medien- und Publikumsinteresse auf der Stadionbahn ausgetragen wurde: »Ueberall kennt man Bulla als die große, berühmte ›Sportkanone‹, nur seine Heimatstadt Wien hat bisher recht wenig von ihm gewußt. Nun ist er zum ersten Mal, seitdem er berühmt geworden ist, auf einen kurzen Abstecher nach Wien gekommen«,161 schrieb die »Illustrierte Kronen-Zeitung« im Mai 1933. Von einem »Festtag der Wiener Radfahrer« schrieb die »Wiener Allgemeine Zeitung«.162 Die »Wiener Bilder« tauften die Veranstaltung in »BullaMeeting«163 um, auf dem abgebildeten Foto war Bulla in einer Rennpause mit Frau und Sohn zu sehen. Sportlich wichtiger waren aber die Straßenrennen: 1933 gewann Bulla die Gesamtwertung der erstmals ausgetragenen Tour de Suisse. Das brachte ihm unter anderem eine Titelgeschichte im Schweizer »Sport« ein.164 »Im Gesamtklassement ist der Sieg verdientermassen dem sympathischen Wiener Max Bulla zugefallen.«165 Und er kam in einem Artikel »Wie ich die Tour de Suisse gewann« auch selbst zu Wort.166 Ein Artikel »Wie ich Rennfahrer wurde. Von Max Bulla« war die Titelgeschichte des »Sport« am 14. September 1933.167 Und am 11. Mai 1934 waren auf dem Titelblatt der »Zürcher Illustrierten« Max Bulla und der Schweizer Amateur-Straßenweltmeister Paul Egli auf dem elterlichen Bauernhof Eglis abgebildet.168 Bulla scheint jedenfalls geschäftstüchtig gewesen zu sein, das attestierte ihm sogar die Schweizer Presse nach dem Sieg in der Tour de Suisse, die er anfangs nicht »sonderlich wichtig« genommen habe: Alle anderen Starter hatten zuvor einen kleinen Bewerb auf der Bahn in Oerlikon absolviert, Bulla hatte hingegen wegen des höheren Startgeldes noch rasch ein Kriterium in Antwerpen und ein Straßenrennen in Troyes bestritten und war erst eine Stunde vor dem Start in Zürich eingetroffen.169 Im Jahr 1934 investierte Bulla dann einen Teil seines 161 162 163 164 165 166 167

Illustrierte Kronen-Zeitung, 4. 5. 1933, 6. Wiener Allgemeine Zeitung, 7. 5. 1933, 10. Wiener Bilder, 14. 5. 1933, 7. Sport, 4. 9. 1933, 5. Sport, 4. 9. 1933, 5. Sport, 4. 9. 1933, 8. Sport, 14. 9. 1933, 1. Im Nachlass Max Bullas sind zahlreiche weitere Ausschnitte aus Schweizer und französischen Zeitungen zu finden, die dessen Popularität nachdrücklich belegen. Vgl. dazu auch: Marlene Mehler, Der Radsport in Österreich in den 1930er- und 1940er-Jahren unter besonderer Berücksichtigung von Max Bulla, MA., Universität Wien 2020. 168 Zürcher Illustrierte, 11. 5. 1934, 1. 169 Arnold Wehrle/Daniel Hostettler/Hansjakob Strasser (Red.), Das goldene Buch der Tour de Suisse. 1933 bis 1986 – eine Jubiläumschronik in Bildern, Zürich 1986, unpag.

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Abb. 42: Max Bulla (li.) und der Schweizer Weltmeister Paul Egli. Bild: Zürcher Illustrierte, 11. 5. 1934. Bild: Nachlass Max Bulla

Vermögens in Österreich: Er kaufte bei einer Zwangsversteigerung nach einer Insolvenz ein Grundstück und Betriebsgelände in der Hinterbrühl.170 Weitere Etappensiege bei der Tour de Suisse folgten in den Jahren 1934 und 1936. Ebenso konnte Max Bulla zwei Etappen bei der Vuelta a España 1935 für sich entscheiden. Anfang 1937 wurde er »für die Mondial Equipe engagiert, für die er künftighin die Rennen in der Schweiz bestreiten wird«171 und er stieg als »Auslandspropagandist« in die Felgen- und Bremsen-Firma seines deutschen Trainingspartners Altenburger ein.172 Weiterhin fuhr er Bahnrennen in Deutschland, erstmals ist Franz Dusika als Partner dafür im Gespräch, der aber nicht zu den Profis wechselte.173 Bulla betrieb außerdem Werbung für den »Klassereifen Tubolari Union«.174

170 171 172 173 174

Interview Michael Bulla, Hinterbrühl, 2. 5. 2022. Die Stunde, 12. 2. 1937, 6. Sport-Tagblatt, 19. 2. 1937, 3. Die Stunde, 5. 3. 1937, 6. Der Radfahrer, 30. 3. 1937, 7.

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Ein neues Metier für Max Bulla waren in diesem Jahr Steherrennen auf der Straße in Frankreich und Belgien,175 ansonsten verlief die Saison wenig erfolgreich, sowohl bei der »Deutschlandrundfahrt« als auch der »Tour de Suisse« schied er aus.176 Im Herbst weilte Bulla zumeist in Wien, zwischendurch reiste er in geschäftlichen Angelegenheiten nach Deutschland, er ließ sich seine Ohren operieren und pausierte in der Sechstagesaison.177 Im Februar 1938 trainierte er an der französischen Riviera und kündigte Starts bei großen Rennen an.178 Am 13. April meldete der »NS-Telegraf« Bullas Rückkehr aus dem »Altreich« nach Wien und seine Teilnahme an der Deutschlandrundfahrt.179 Ab 26. April 1938 war Bulla wieder in Wien gemeldet.180 »Bulla, unser bekanntester Berufsfahrer, der sich bisher immer nur in Frankreich aufhalten mußte, wurde von den deutschen Phänomen-Werken engagiert. Bulla wird alle internationalen Rennen bestreiten und auch beim Rennen durch Deutschland an den Start gehen.«181 Im Sinne der NS-Propaganda wurden prominente Sportler nach dem »Anschluss« »heimgeholt«, auch wenn sich an ihrer Sportpraxis vorerst wenig änderte. Der »Deutsche Telegraf« machte Bulla in einer Ankündigung seiner Teilnahme an der Deutschland-Rundfahrt fälschlicherweise zum »SA-Mann«.182 Bulla hätte 1938 wohl auch die Option gehabt, in die Schweiz zu gehen, was er jedoch nicht tat: Mit dem Rennstallbetreiber Oscar Egg war er eng verbunden und als Radprofi hätte er vermutlich auch eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung erhalten – ähnlich wie der Austria-Fußballer Walter Nausch.183 Bulla habe das später als großen Fehler bezeichnet, er sei seiner Frau zuliebe, die nicht in die Schweiz wollte, in Wien geblieben.184 Den Kontakt zur Schweiz brach er aber nie ganz ab. Sportlich verlief die folgende Saison wenig erfolgreich, bei der »DeutschlandRundfahrt« gab Bulla auf, der Bericht im »Deutschen Telegraf« legte einen Motivationsmangel als Ursache nahe.185 Angesichts seiner früheren Erfolge war der Tenor jedoch verständnisvoll. Wenig später erschien in mehreren Zeitungen ein aus dem Schweizer »Sport« nachgedruckter Artikel mit dem Titel: »Bulla schlägt Schmeling«. Es ging um eine Begegnung zwischen dem Schwergewichtsboxer 175 176 177 178 179 180 181 182

Die Stunde, 23. 4. 1937, 6. Innsbucker Nachrichten, 5. 8. 1937, 15. Die Stunde, 22. 10. 1937, 6; Sport-Tagblatt, 10. 11. 1937, 5, Sport-Tagblatt, 28. 12. 1937, 5. Die Stunde, 19. 2. 1938, 9. NS-Telegraf, 13. 4. 1938, 8. WStLA, 2.5.1.4.K11. Bulla Max. 26. 9. 1905, Meldezettel Max Bulla, 26. 4. 1938. Das Kleine Volksblatt, 8. 5. 1938, 22. Deutscher Telegraf, 13. 5. 1938, 8; auch: Das Kleine Volksblatt, 14. 5. 1938, 12; Kleine VolksZeitung, 15. 5. 1938, 20; Illustrierte Kronen-Zeitung, 4.6.38, 14. 183 Vgl. dazu: Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Johann Skocek, Ein Fußballverein aus Wien. Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938–1945, Wien/Köln/ Weimar 2019, 88–93. 184 Interview Michael Bulla, Hinterbrühl, 2. 5. 2022. 185 Deutscher Telegraf, 11. 6. 1938, 11.

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und Bulla auf einem Schiff während einer Amerikareise: »Bullas Schläge wurden immer schwungvoller. Ja, sie erzielten immer mehr Wirkung, sie waren mustergültig placiert, mit einem Wort: Schmeling war nicht mehr zu retten.«186 Erst im letzten Satz folgte die Aufklärung: Die beiden hatten ein Tischtennisspiel bestritten. Geschichten wie diese zeugen von der großen Popularität Bullas. In der Saison 1940 startete Bulla dann wieder selbst bei Rennen, allerdings nur auf der Stadionrennbahn, wo er meist gemeinsam mit Franz Dusika antrat. Den beiden gelangen überraschende Erfolge (»Bulla und Dusika auf alter Höhe«), die Veranstaltungen erreichten große Popularität, »die Radrennbahn [war] nach langer Zeit wieder einmal ausverkauft«.187 Beim Dusika-Schaffer–Kriterium um das Rathaus traten Bulla, Schaffer und Dusika auf Tandems an, mit jeweils einem prominenten Fußballspieler als Partner – und begleitet von einem Propagandaspektakel.188 Wie viele andere prominente Wiener SportlerInnen war Bulla auch bei einer Sammelaktion für das Kriegs-Winterhilfswerk beteiligt.189 In der Saison 1941 wurden die Radrennen weniger. Bulla musste seinen Militärdienst antreten, wurde aber nach Wien versetzt und konnte so trainieren und an Rennen teilnehmen.190 Am 22. Juni, dem Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, gewann er gleich drei Steherrennen.191 Ab diesem Zeitpunkt dominierte der Krieg den Alltag und das Sportleben. Trotzdem fanden noch einzelne Radrennen statt, Bulla gewann im September und Oktober zwei Steherrennen in Wien.192 Auch 1943 wurden noch Rennen auf der Stadionbahn ausgetragen, Bulla gewann einige Nebenbewerbe und erreichte Podiumsränge in Hauptrennen.193

Nationalsozialismus: Sport, Politik und Geschäft Im Februar 1938 hatte Bulla ein mögliches Ende seiner Laufbahn angekündigt: Zwölf Jahre als Profi seien eine fordernde Zeit gewesen, bald werde der »›Zwirn‹ alle sein.«194 Ob es Zufall war, dass Bulla seine Karriere als Straßenfahrer ausgerechnet bei der kurz nach dem »Anschluss« ausgetragenen »GroßdeutschlandRundfahrt« vorerst beendete und ob dies mit der Instrumentalisierung des 186 Illustrierte Kronen-Zeitung, 13. 7. 1938, 9. 187 Kleine Volks-Zeitung, 2. 7. 1940, 9; Kleines Volksblatt, 22. 7. 1940, 7; Illustrierte KronenZeitung, 22. 7. 1940, 5; Kleine Volks-Zeitung, 22. 7. 1940, 4; Kleines Volksblatt, 24. 7. 1940, 10. 188 Vgl. z. B. Kleine Volks-Zeitung, 8. 8. 1940, 8. 189 Kleines Volksblatt, 20. 9. 1940, 9. 190 Wiener Neueste Nachrichten, 12. 6. 1941, 6. 191 Vgl. Völkischer Beobachter, 23. 6. 1941, 6. 192 Kleine Volks-Zeitung, 12. 9. 1941, 6; Das kleine Volksblatt, 6. 10. 1941, 6. 193 Wiener Neueste Nachrichten, 6. 7. 1942, 7. 194 Österreichischer Radsport, Februar 1938, 4.

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Radsports durch das Regime zusammenhing, darüber kann nur spekuliert werden. Anders als von vielen anderen prominenten Sportlern sind von Max Bulla im Zusammenhang mit der »Anschluss«-Propaganda keine Aussagen überliefert, in denen er das neue politische System begrüßt hätte. Er befand sich im März 1938 im »Altreich« (bei Karl Altenburger in Jestetten) sowie in der Schweiz, kehrte aber Ende April nach Wien zurück. Bis zum Sommer 1940 war es um Max Bulla in den Zeitungen jedenfalls sehr ruhig. Im August 1940 schmückte jedoch ein Bild von Max Bulla die Titelseite des »Ostmark-Radsports«, als »Held des Tages«. Gemeinsam mit Franz Dusika hatte er ein Rennen gegen die Sieger der Deutschland-Rundfahrt 1937 und 1939, Otto Weckerling und Georg Umbenhauer, gewonnen. Klar ist, dass er in der Zwischenzeit geschäftlich mehrmals in die Schweiz reiste, wohin er freundschaftliche und geschäftliche Kontakte hatte. Oscar Egg, sein früherer Teamchef, hatte eine Schaltung für Fahrräder entwickelt, die er offenbar mit großem Erfolg weltweit vertrieb.

Gescheiterte »Arisierung« 1938 dürfte Bulla versucht haben, sich ein Einkommen nach dem Radsport zu sichern. Er hatte Kapital und es schien sich eine Gelegenheit zu bieten, als die Garage »Hohenberg & Földvary«,195 in der Nähe seiner Wohnung gelegen, »arisiert« werden sollte. Der kommissarische Verwalter Walter Andrea (nach eigenen Angaben ein Schulfreund Bullas) konnte wegen dieser Funktion die Garage allerdings nicht selbst »arisieren«. Er trat offenbar an Bulla heran, den er als »Ariseur« und sich selbst als Geschäftsführer ins Spiel bringen wollte. Aus den Akten der Vermögensverkehrsstelle geht hervor, dass Bulla am 28. Mai 1938 einen Kaufvertrag mit den jüdischen Besitzern (der dem Akt nicht beiliegt) und mit dem kommissarischen Verwalter Max Balter196 einen 15-jährigen Vertrag als Geschäftsführer abgeschlossen habe. Allerdings hieß es, es finde »sich nicht die geringste Angabe über seine fachliche Eignung. Die einzig bekannte Tatsache, nämlich, dass er Radrennfahrer ist, kann im Hinblick auf den Befähigungsnachweis keinerlei [sic] Bedeutung beigemessen werden.«197 Aus der politischen Beurteilung gehe lediglich hervor, dass Bulla in der »illegalen Zeit eine positive Haltung gegen die NSDAP. [sic] eingenommen hat und nichts gegen diese veranlasst hat. Nach meiner Ansicht kann eine Tätigkeit, die ihrer Bestätigung derart 195 Meist »Földvari«. 196 Hier handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler, in allen anderen Dokumenten ist von Walter Andrae als kommissarischem Verwalter die Rede. 197 OeStA/ AdR/ E-uReang/ VVSt/ Gew. 1111/Aktenvermerk Betrifft Garage Hohenberg & Földvari – Wien V., Arbeitergasse 47.

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vorsichtiger Umschreibung bedarf, wohl kaum als Verdienst für die NSDAP. bezeichnet werden.«198 In Hinblick auf die »wirtschaftliche Würdigkeit« des Bewerbers lägen keine Angaben vor, es könne aber angenommen werden, dass »der Bewerber aus seinen sonstigen Einnahmen eine derart auskömmliche Existenz findet, dass er auf die Erwerbung eines Unternehmens im Weg der Arisierung nicht angewiesen ist.«199 Von einer SA-Mitgliedschaft Bullas, wie in manchen Zeitungen zu lesen war, war keine Rede und sie kann deshalb so gut wie ausgeschlossen werden. Die Garage wurde schließlich einem gewissen Rudolf Kühnelt zugesprochen, einem SS-Mann und Juliputschisten, der zu zwanzig Jahren Kerker verurteilt worden war (und davon drei in Stein abgesessen habe).200 Bulla legte dagegen Beschwerde ein, nach längeren Verhandlungen wurde er »unter Hinweis auf die Aussichtslosigkeit« dazu gebracht, diese zurückzuziehen.201 Im Wesentlichen hatte Bulla damit argumentiert, dass er den von Walter Andrae mit den jüdischen Besitzern abgeschlossenen Vertrag übernommen und diesen am 28. Mai 1938 der Vermögensverkehrsstelle vorgelegt habe. Zwischen dem SS-Mann Kühnelt und den jüdischen Besitzern Hohenberg & Földvari sei nie ein rechtsgültiger Vertrag geschlossen worden, da diese ihre Rechte schon an Bulla abgetreten hätten. In dieser Beschwerde gibt Bulla an, er sei »Arier und Parteimitglied«.202 Am 15. Juli 1939 forderte Bulla von der Vermögensverkehrsstelle die Rückzahlung seiner an Hohenberg entrichteten Anzahlung von 2.100 Reichsmark, was ihm bei endgültiger Abwicklung der »Arisierung« zugesagt worden sei. Am 1. Juni 1940 erklärte sich die Vermögensverkehrsstelle für unzuständig, ob Kühnelt als Rechtsnachfolger Hohenbergs haftbar sei, müsse ein Zivilgericht klären. Ob Bulla den Gerichtsweg beschritten hat, geht aus den vorliegenden Akten nicht hervor. Klar ist, dass Bulla eine jüdische Firma »arisieren« wollte. Dem ursprünglichen Garagenbesitzer Leopold Hohenberg gelang mit seiner Frau Margit die Flucht nach Chile. Moritz Földvary, der Vater von Margit, blieb in Wien: Vom Dezember

198 OeStA/ AdR/E-uReang/ VVSt/ Gew. 1111/Aktenvermerk Betrifft Garage Hohenberg & Földvari – Wien V., Arbeitergasse 47. 199 Ebd. 200 OeStA/ AdR/ E-uReang/VVSt/ Gew. 1111/Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gauleitung Wien, 23. 8. 1938. An die Vermögensverkehrsstelle. 201 OeStA/ AdR/ E-uReang/VVSt/ Gew. 1111Abteilung Handwerk Pg. Ziegler! An das Sekretariat z. H. Pg. Schubert, im Hause. 8. 3. 1939. Betrifft: Garage Hohenberg & Földvary, Wien V. Arbeitergasse 47. Bezug: Beschwerde des Max Bulla beim Herrn Reichswirtschaftsminister. 202 OeStA/ AdR/ E-uReang/VVSt/ Gew. 1111/Rechtsanwalt Dr. Florian Doppler, Wien V. Schönbrunnerstraße 60. An das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Berlin. Einschreiter Max Bulla […]. Berufung gegen eine Entscheidung der Vermögensverkehrsstelle in Wien [undatiert, Ende 1938].

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1939 bis zum Juni 1942 war er in Altersheimen untergebracht, am 28. Juni 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er zu Tode kam.203 Wie hoch das Angebot Bullas vom Mai war, geht aus den Akten nicht hervor, es dürfte aber höher als Kühnelts Offert gewesen sein. Ob es Nebenabsprachen zwischen Hohenberg und Bulla gegeben hat, ist nicht ersichtlich. Bulla schrieb jedenfalls 1947, er habe mit Hohenberg vereinbart, dass er 75 Prozent des wirklichen Wertes in Schweizer Franken zahlen werde, »damit Herr Hohenberg durch den vom deutschen Staat erzwungenen Verkauf nicht geschädigt sein sollte«.204 Das Geld sei in Zürich deponiert gewesen, er selbst sei in der Schweiz gewesen. Wie Bulla sich die Abwicklung vorgestellt hat, bleibt unklar, außer man geht davon aus, dass er den seitens der Vermögensverkehrsstelle festgesetzten Betrag und zusätzlich die 75 Prozent des tatsächlichen Wertes in Schweizer Franken zahlen wollte. Das Geld ging bei »Arisierungen« ja nicht an den jüdischen Besitzer, sondern an die Vermögensverkehrsstelle. Ein Scheingeschäft wäre unmöglich gewesen. Der jüdische Besitzer Hohenberg dürfte Bulla jedenfalls nicht als feindlichen Übernehmer betrachtet haben, darauf lässt ein Brief seines Sohnes Bernhard schließen. Dieser war als Offizier der britischen Armee (er war 1938 nach Palästina geflohen) in Kärnten stationiert und hatte sich offenbar mit Bulla in Wien getroffen. Kurz darauf schreibt er: »Ich waere sehr interessiert, ob Sie mir vielleicht genauere Auskünfte ueber den Stand der Dinge in unserer Garage informiert sind [sic]. […] Mir wurde vom Bundesministerium fuer Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung die Zusicherung einer vollen Wiedergutmachung gemacht und diese Angelegenheit soll bereits ins Laufen gebracht worden sein. […] habe auch schon von meinem Vater aus Chile Nachricht bekommen, worin er sie herzlich gruessen laesst und es freut ihn, dass Sie und Ihre Familie am Leben und gesund sind.«205

203 OeStA/AdR/-uReang/ FLD 2150/Der Leiter des Ältestenrats der Juden in Wien. An den Herrn Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau. 28. 3. 1943; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Opfersuche, Moritz Földvari. 204 WStLA/ 1.3.2.119.K7/Registrierung der Nationalsozialisten Meldestelle für den 4/5. Bezirk/ Bulla Max/Max Bulla: Erklärung. 4. 2. 1947. 205 WStLA/ 1.3.2.119.K7/Registrierung der Nationalsozialisten Meldestelle für den 4/5. Bezirk/ Bulla Max/Cpl. Bernhard Hohenberg P/2573, District Security Office Carinthia District […] 8. Feb. 46.

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Das Geld in der Schweiz Den größten Teil von Bullas NS-Registrierungsakt macht aber eine andere Sache aus. In einem Brief »An die Staatsregierung in Wien, Jänner 1946« gibt er an, dass seine Frau 1939 verhaftet worden sei, »mit vorgehaltener Pistole holte man sie in Gegenwart ihrer Mutter fort«, während er im Ausland war. »Die Anzeige liess verlauten, dass ich in der Schweiz noch Geld hätte, welches weder angemeldet noch abgeliefert sei.« Er habe sich nach seiner Rückkehr sofort bei der »Devisenfahndungsstelle« gemeldet. »Meine Frau wurde daraufhin entlassen und ich in Haft genommen. Was ich dort durchmachen musste will ich hier lieber nicht niederschreiben. Man hielt mich solange fest bis ich meine Ersparnisse aus der Schweiz in Wien hatte. Zehntausend schw. Franken wurden mir, trotz dem Nachweis dass ich dieses Geld durch sportliche Erfolge in der Schweiz verdient habe, weggenommen. Insgesamt musste ich dann über achttausend Reichsmark zusätzlich, zu meinem Verlust der Franken, Strafe bezahlen. Auch dafür sind viele Zeugen vorhanden, mit denen ich in Haft war und Andere die das alles miterlebt haben.«206 In einer Erklärung vom 4. Februar 1947 variiert und erweitert Bulla diese Darstellung: »Im August 1939, ich weilte wieder einige Tage in der Schweiz, wurde in Wien meine Frau verhaftet. Bei meiner daraufhin sofort erfolgten Rückkehr erfuhr ich, dass bei mir eine Hausdurchsuchung stattgefunden hatte, bei welcher Rmk. 25.000.-, der gesamte Schmuck meiner Frau und von mir einige goldene, Schweizer Armbanduhren (Preise) beschlagnahmt wurden. Auch mein Freund, Walter Rath, welcher mit dieser Angelegenheit in Verbindung stand, wurde verhaftet. Ich sollte von meinem Guthaben, schw. Frs. 10.000.- an eine bestimmte Person in Amerika überweisen, was von einem Mitwisser zur Anzeige gebracht wurde. Sofort wurde auch ich in Haft genommen, worauf meine Frau aus der Sippenhaftung entlassen wurde. Man verhörte mich tagelang, um zu erfahren, für wen ich Dienste leiste. Ich gab keinen Namen preis und da ich Erwerb und Bestand meines ausländischen Guthabens, durch sportliche Betätigung vor der Besetzung Oestereichs nachweisen konnte, kam ich mit einer Gefängnisstrafe von 88 Tagen und dem Verfall der beschlagnahmten Beträge, Rmk. 25.000.- und schw. Fr. 10.000., davon. Mein Pass wurde mir abgenommen und ich stand unter Beobachtung. Im November 1940 wurde ich nocheinmal verhaftet, da man mich neuerdings in Gesellschaft von Juden antraf. Infolge Mangels an Beweisen wurde ich wieder auf freien Fuss gesetzt.«207 206 WStLA/ 1.3.2.119.K7/Registrierung der Nationalsozialisten Meldestelle für den 4/5. Bezirk/ Bulla Max/Max Bulla: Nachsichtsgesuch, Blatt II (undatiert). 207 WStLA/1.3.2.119.K7/Registrierung der Nationalsozialisten Meldestelle für den 4/5. Bezirk/ Bulla Max/Max Bulla: Erklärung. 4. 2. 1947.

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Walther Rath, Sportlehrer, gab am 23. April 1946 an, er sei gemeinsam mit Josefine Bulla verhaftet worden. Max Bulla sei auf seine Bitte in die Schweiz gefahren, um von seinem Guthaben 10.000 SFR in die USA zu überweisen und zwar an einen »Herrn Hacker, Besitzer des Silberhofes Hacker in Wien«.208 Diese nicht verifizierbare Angabe klingt glaubwürdig,209 allerdings ist angesichts des Entstehungskontextes in einem NS-Registrierungsakt Skepsis angebracht. Oskar Deliglise [Oscar Deleglise], Direktor des Reinhardt-Seminars, bestätigte am 19. Mai 1946, dass er »im Sommer 1939 mit Herrn Max Bulla, der mir als Sportler sehr gut bekannt ist, zusammen mit meinem Vater [Laurent] auf der Elisabethpromenade in einer Zelle in Haft war«.210 Zeitungsmeldungen aus der Nachkriegszeit folgend saß der bekannte ehemalige Kriminelle und Drogenschmuggler Laurent Deleglise211 tatsächlich in Haft, weil ihm der Kremser Oberbürgermeister Franz Retter das 1931 von Deleglise erworbene und in der Folge renovierte Schloss Ranna abpressen wollte.212 Die Verhaftung Bullas im Jahr 1940 wiederum bestätigte eine Pauline Berger, die angibt, gemeinsam mit Bulla verhaftet worden zu sein. Die Polizeidirektion Wien, Gefangenhaus, teilte am 21. Mai 1947 mit, dass Max Bulla nach eigener Angabe ab 10. August 1939 in Gestapo-Haft gewesen sei. Ein aktenmäßiger Bescheid sei wegen der »durch Brand nach Kriegshandlungen« (in Wahrheit von der Gestapo selbst) vernichteten Akten nicht möglich.213 Es liegen dem Akt weitere Schreiben bei, die Bullas antinazistische Gesinnung bestätigen sollen, deren Wert angesichts des Entstehungskontextes allerdings begrenzt ist. 208 WStLA/1.3.2.119.K7/Registrierung der Nationalsozialisten Meldestelle für den 4/5. Bezirk/ Bulla Max/Max Niederschrift. Walther Rath, Sportlehrer, Inhaber des Boxklub »Wieden«, wohnft. 1., Wildpretmarkt 1, 23. 4. 1946. 209 Die Silberwarenfabrik Hacker stand zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits unter kommissarischer Verwaltung, doch war einem der Gesellschafter, Cornel Hacker, die Flucht nach Kalifornien gelungen, vgl. Andrea Hodoschek, Das tragische Schicksal der vertriebenen Familie Hacker, in: Kurier, 9. 8. 2015, 6. 210 WSTLA/1.3.2.119.K7/Registrierung der Nationalsozialisten Meldestelle für den 4/5. Bezirk/ Bulla Max/Oskar Deliglise. 19. 3. 1947. 211 Zu Laurent Deleglise vgl. Regina Thumser-Wöhs, Ausgrenzung und Verfolgung Drogensüchtiger während der NS-Zeit, in: Lucile Dreidemy/Richard Hufschmied/Agnes Meisinger/ Berthold Molden/Eugen Pfister/Katharina Prager/Elisabeth Röhrlich, Florian Wenninger/ Maria Wirth, Bananen, Cola, Zeitgeschichte: Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert. Band 1, Wien/Köln/Weimar 2015, 307–317, 309–310. 212 Vgl. z. B. Österreichische Zeitung, 23. 10. 1945, 2. 213 Tatsächlich sind nur etwa 20 Prozent der Gestapo-Kartei erhalten, dass Bullas Name darin nicht zu finden ist, hat also wenig Aussagekraft. Abfragen in den Materialien von DÖW und WStLA. »Insgesamt dürften mindestens 50.000 Personen in die Mühlen von Wiens Gestapo geraten sein. Über 11.000 Menschen sind in der vorliegenden Erkennungsdienstlichen Kartei der Wiener Gestapo erfasst;« (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Die Erkennungsdienstliche Kartei der Gestapo Wien, URL: https://www.doew.at/er innern/personendatenbanken/gestapo-opfer/die-erkennungsdienstliche-kartei-der-gestap o-wien (abgerufen 15. 3. 2022).

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Am wahrscheinlichsten erscheint, dass die NS-Behörden im Sommer 1939 darauf aufmerksam wurden, dass Bulla noch Geld auf Schweizer Konten deponiert hatte. Es war noch vor Kriegsbeginn, und er konnte glaubhaft machen, dass es Geld aus seiner Radsportkarriere war. In diesem Fall könnte auch das Comeback Bullas als Radprofi Folge seiner verschlechterten finanziellen Situation gewesen sein. Der Radsport könnte geholfen haben, nach seiner Einberufung zur Wehrmacht, die 1941 erfolgte, zumindest zeitweilig in Wien stationiert zu werden. Ob Bulla tatsächlich jüdische Freunde mit Geldtransfers unterstützt hat, lässt sich schwer sagen. Schriftliche Aufzeichnungen über einen illegalen Transfer von Devisen hätten im Falle ihrer Entdeckung wahrscheinlich den Tod bedeutet. Devisenvergehen konnten im Deutschen Reich seit 1936 mit dem Tode bestraft werden.

NSDAP-Mitgliedschaft ab 1940 Auffällig ist jedenfalls, dass Bulla ab 1940 wieder vermehrt in den Zeitungen auftauchte und seine sportliche Karriere wieder aufnahm. Im April 1940 beantragte Max Bulla zudem die Mitgliedschaft bei der NSDAP, in die er mit 1. Juli dieses Jahres und der Mitgliedsnummer 8.117.347 aufgenommen wurde. Die Gründe seines Beitritts lassen sich nicht rekonstruieren. Seine Aussage, er sei »ohne meine Zustimmung und absolutes Wissen in meiner Abwesenheit bei der Ortsgruppe Margareten zur ›Partei‹« angemeldet worden, was er erst 1940, nach Zusendung der Mitgliedskarte bemerkt habe, ist eine Rechtfertigung, wie sie sich in ähnlicher Form auch in vielen anderen Registrierungsakten findet. Sie deckt sich aber nicht mit der Praxis der Aufnahmeverfahren. Eine Aufnahme in die NSDAP ohne persönlichen Antrag war nicht möglich.214 Es gibt einen zweiten Aktenbeleg zu Bullas Parteimitgliedschaft. Bulla selbst gab 1938 in Zusammenhang mit der gescheiterten »Arisierung« der Garage an, Parteimitglied zu sein. Das wiederum entsprach allerdings ziemlich sicher nicht der Wahrheit. Nach dem »Anschluss« herrschte bei der NSDAP eine Aufnahmesperre. Nur wer nachweisen konnte, bereits vorher illegales Mitglied gewesen zu sein oder andere Verdienste für den Nationalsozialismus erworben hatte, wurde trotz dieser Sperre aufgenommen. Auf Bulla traf das nicht zu, wie aus dem erwähnten Aktenvermerk zur »Arisierung« hervorgeht.215 Außerdem weist seine

214 Vgl. dazu Wolfgang Benz (Hg.), Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt/M. 2009. 215 OeStA/ AdR/E-uReang/VVSt/Gew. 1111/Aktenvermerk. Betrifft Garage Hohenberg & Földvari – Wien V., Arbeitergasse 47. So wie die 1938 behauptete Mitgliedschaft nicht der Wahrheit entsprach, gilt das auch für eine Schutzbehauptung im Registrierungsakt: Bulla

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Mitgliedskarte 1940 als Aufnahmejahr aus. Ob ihn Freunde zu einem Parteibeitritt motiviert haben oder er sich Vorteile davon erhoffte, vielleicht einen Schutz nach den Problemen mit der Devisenbehörde – darüber kann nur spekuliert werden. Die Streichung von der Registrierungsliste erfolgte jedenfalls rasch, per Bescheid vom 21. Mai 1947.216 Bei der Betrachtung von Bullas Rolle im Nationalsozialismus zeigen sich zwei Ebenen: die öffentliche und die private-geschäftliche. Als Sportstar war er eine öffentliche Figur. Bemerkenswert bei einer Person seiner Popularität ist das Fehlen von zustimmenden Äußerungen zum »Anschluss« und zum neuen Regime. Bis auf einzelne Auftritte bei Veranstaltungen wie im Rahmenprogramm des Dusika–Schaffer-Kriteriums hielt er sich von der Öffentlichkeit fern. Die seltenen Zeitungsmeldungen über ihn sind dennoch wohlwollend. 1940 startete er ein Comeback als Aktiver. In dieser Phase begann auch seine Partnerschaft mit Franz Dusika, vorerst auf der Rennbahn. Nach 1945 sollte sie sich im geschäftlichen Bereich fortsetzen. Auf der persönlichen Ebene erscheint Bulla als erfolgreicher (ehemaliger) Profisportler, der nach Möglichkeiten suchte, sein Vermögen anzulegen. Ein Weg schien die letztendlich gescheiterte »Arisierung« einer Garage. Die vorliegenden Dokumente deuten darauf hin, dass Bulla versucht hatte, den jüdischen Besitzer einigermaßen fair zu entschädigen. Nicht endgültig zu bewerten ist auch Bullas Darstellung seiner Gestapohaft, weil zeitgenössische Dokumente fehlen. Am wahrscheinlichsten erscheint, dass Bulla wegen nicht gemeldeter Gelder auf Schweizer Konten belangt wurde. Diese Interpretation beruht allerdings nur auf Aussagen aus der Zeit nach 1945. Das gilt auch für seine angebliche Hilfe für jüdische Freunde durch Devisentransfers. Belegt ist dagegen seine Mitgliedschaft bei der NSDAP ab 1940, darüber hinausgehende Aktivitäten im Sinne des Nationalsozialismus sind keine bekannt. Bulla galt nach 1945 als »Minderbelasteter« und wurde rasch von der Registrierungsliste gestrichen. Unmittelbar nach Kriegsende verbrachte Bulla offenbar einige Zeit in Oberösterreich. In den »Oberösterreichischen Nachrichten« war über ein »Freudiges Wiedersehen mit Max Bulla« zu lesen. Auf der Linzer Landstraße war er einem Sportredakteur bei einer Trainingsfahrt begegnet. Er lebe in der Nähe von Windischgarsten und jetzt »wo Oesterreich die Schrecken des Krieges überstanden hat, trotz seiner 39 Jahre noch nicht denken will, Abschied vom Radsport

gab an, Andrae habe ihn ohne sein Wissen bei der Partei angemeldet, um seine Position bei der »Arisierung« der Garage zu verbessern. 216 WSTLA/1.3.2.119.K7/Registrierung der Nationalsozialisten Meldestelle für den 4/5. Bezirk/ Bulla Max/Registrierungsbehörde (Meldestelle) zur Registrierung der Nationalsozialisten für den 4. Bezirk. Z. MNr. 3590 Bulla Max. Ausnahme von der Registrierung. Bescheid vom 21. 5. 1947.

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zu nehmen.«217 Zwei, drei Jahre wolle er noch Rennen bestreiten. Über die Gründe dieses Aufenthalts in Oberösterreich gibt es keine Informationen, ob er einfach aus dem zerstörten Wien mit seiner schlechten Versorgungslage fliehen wollte oder ob auch der Wechsel in die amerikanische Besatzungszone eine Rolle gespielt hat, bleibt unklar. Sein Aufenthalt dauerte jedenfalls nicht lange: Am 27. September listete die »Volksstimme« Bulla in einer Auflistung heimgekehrter Radsportler auf.218 Die Meldekartei führt Bulla ab 21. Jänner 1946 wieder in Wien, an der bekannten Adresse am Wiedner Gürtel.

Eine Villa in Döbling Einen Teil seines Vermögens dürfte Bulla über den Nationalsozialismus gerettet haben, jedenfalls erwarb er gemeinsam mit seiner Frau Josefine am 28. November 1945 von August und Maria Hutja eine Villa in der Döblinger Peter Jordan-Straße 64.219 Als Kaufpreis wurden RM 42.000 vereinbart. Die Bullas übernahmen einen Kredit mit Hypothek auf die Liegenschaft in Höhe von 11.199.80 Reichsmark und zahlten 30.800.20 Reichsmark in bar. Interessant ist, dass August Hutja Direktor der »Mollner Holzwarenfabrik- und Sägewerke A.G. vormals Rothmaier u. Hutja«220 war und Molln unweit von Windischgarsten liegt, wo Bulla den Sommer 1945 verbracht hatte.221 Am 2. April 1947 wurden Max und Josefine Bulla jeweils als Hälfteeigentümer in das Grundbuch Oberdöbling eingetragen.222 Die beiden wohnten aber weiterhin am Wiedner Gürtel, die Villa vermieteten sie an die USBesatzungsmacht, die daran anscheinend wegen der unmittelbaren Nachbarschaft zur Villa des österreichischen Bundeskanzlers Leopold Figl Interesse hatte.223 Die Besitzverhältnisse der Villa waren allerdings unklar. Am 15. November 1946 ging beim Magistratischen Bezirksamt IX (Döbling) eine »Anmeldung entzogener Vermögen« ein. Das Ehepaar Bulla hatte die Villa zwar rechtmäßig erworben. Von den Hutjas allerdings war das Haus mit Kaufvertrag vom 27. Februar 1939 zuungunsten der jüdischen Besitzerin Karoline Philipp »arisiert« worden. Der Schätzwert von 32.000 Reichsmark war von der Vermögensverkehrsstelle auf »RM 26.000.- und RM 2.8000.- Auflage« herabgesetzt worden. 217 218 219 220 221

Oberösterreichische Nachrichten, 27. 7. 1945, 4. Österreichische Volksstimme, 27. 9. 1945, 9. Bezirksgericht Döbling/Grundbuch Oberdöbling/EZ1411. Peter-Jordan-Straße 64. Neues Wiener Tagblatt, 7. 4. 1939, 17. Ob das ein Zufall ist oder es einen Zusammenhang zwischen Bullas Oberösterreich-Aufenthalt und dem Kontakt zu Hutja gibt, ist unklar. Michael Bulla bestätigte, den Namen Hutja von seinem Vater gehört zu haben. 222 Bezirksgericht Döbling/Grundbuch Oberdöbling/EZ1411. Peter-Jordan-Straße 64. 223 Interview mit Michael Bulla (Sohn von Max Bulla) geführt von Johann Skocek und Bernhard Hachleitner, Hinterbrühl, 2. 5. 2022.

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Tatsächlich bezahlt wurden knapp 25.000 Reichsmark, inklusive Verkaufsspesen und Schätzgebühr. Der größte Teil erfolgte durch die Übernahme einer Hypothek (RM 12.7880.90.-) und einer Zahlung an das Finanzamt (7.878.-).224 Weil mittlerweile Max und Josefine Bulla das Haus von August und Marie Hutja erworben hatten, mussten sie eine Meldung beim Bezirksamt machen und waren Adressat der Rückstellungsansprüche. Am Tag der Anmeldung wurde die Villa auf einen Wert von 32.000 Reichsmark geschätzt. In einer Teilerkenntnis verfügte die Rückstellungskommission die sofortige Rückgabe der Liegenschaft an die Erben von Karoline Philipp und sprach ihnen die Mieterträge ab 26. 1. 1948 zu. Umgekehrt mussten sie eine Hypothek übernehmen und an das Ehepaar Bulla 26.000 Schilling bezahlen. Tatsächlich erfolgt ist die Rückstellung nicht, es gab offenbar eine Einigung zwischen Bulla und Philipp. Kurz nach dem Ende der Besatzungszeit, die Villa war in gutem Zustand und ausgestattet mit modernen Haushaltsgeräten von den amerikanischen Mietern zurückgestellt worden,225 verkauften die Bullas die Liegenschaft um 425.000 Schilling an Leopold und Adele Baruciak, ein Teil davon entfiel auf verschiedene Lasten, 281.998.98 Schilling bezahlten die Baruciaks bei Vertragsabschluss am 10. Oktober 1955 in bar.226

Bulla und der Radsport nach 1945 Beim Querfeldeinrennen im Prater im Mai 1946 stiftete Bulla als Siegespreis eine »herrliche Schweizer Armbanduhr«,227 es sollte aber nicht bei seiner Rolle als Zuschauer bleiben: Kurz darauf wurde sein Start bei der Tour de Suisse angekündigt. Angeblich war geplant, dass er für den Fahrradhersteller »Cilo« starten sollte, doch seien die Plätze im Team bereits vergeben worden.228 Zur Weltmeisterschaft in der Schweiz reiste Bulla lediglich als Zuschauer. Gegen Ende des Jahres trat er bei einem Saalwalzenrennen an, angekündigt als »der österreichische Tour-de-France-Sieger, der damit seine jahrelange Pause im Rennwesen unterbricht«.229 1947 setzte Bulla seine Karriere dann aber doch bei Straßenrennen wieder fort: »Meisterfahrer Max Bulla, der Sieger der Touristen-Tour-de-France 1932, startet 224 WStLA/VEAV/Bezirkgericht Döbling/Anmeldung entzogener Vermögen. Max und Josefine Bulla. Haus in Wien XIX: Peter Jordangasse 64 […]. 225 Interview Michael Bulla. 226 WStLA/2.3.1.19/Urkundenbuch Bezirksgericht Döbling/TZ 58/1956/A10/688/Kaufvertrag, angezeigt am 13. 10. 1955. 227 Oberösterreichische Nachrichten, 3. 4. 1946, 4. 228 Vgl. Vorarlberger Nachrichten, 11. 7. 1946, 3. 229 Österreichische Zeitung, 13. 12. 1946, 7.

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demnächst in der Schweiz in verschiedenen Rennen«, war in der »Volksstimme« zu lesen.230 Tatsächlich nahm Bulla an der Tour de Suisse teil. Nach vier Etappen lag er an achter Stelle,231 auf der fünften brach er nach einer Soloflucht ein,232 worüber die österreichischen Zeitungen ausführlich berichteten.233 Bulla hatte also ein zweites Comeback gestartet, fuhr ab 1947 – er war mittlerweile 41 Jahre alt – wieder ernsthaft Rad, ging bei großen internationalen Rennen an den Start. Ganz konnte er an seine Leistungen und Erfolge der 1930er-Jahre nicht mehr anschließen, zumindest punktuell mischte er jedoch immer noch vorne mit. 1948 fuhr Bulla einige Rennen hinter Motorrädern, engagierte sich im Profiverband 1949 gemeinsam mit Franz Dusika als Veranstalter.234 Ihr wichtigstes Rennen war das »Semperit Derby« Wien – Graz – Wien, das von Profis hinter Motorrädern gefahren wurde. Im Mai reisten die beiden nach Italien, um Verträge mit Fahrern für dieses Rennen abzuschließen. Den größten Eindruck machte aber die Verpflichtung des italienischen Superstars Gino Bartali, zweimaliger Sieger der Tour des France und dreifacher Giro-Sieger: »Bartali hat schon seinerzeit Max Bulla, mit dem ihm eine herzliche Freundschaft verbindet, fest versprochen, einmal in Österreich bei einem Meeting der Professionals mitzuwirken.«235 Bartali sollte ursprünglich bei einem Rennen auf der Stadionrennbahn antreten, schließlich wurde daraus ein Start bei einem Kriterium um das Wiener Rathaus. Das war aber bei Vertragsabschluss noch nicht klar. »Bartali erhält für einen Start in Italien oder in der Schweiz ungefähr 12.000 bis 14.000 S bezahlt. Einen Betrag, den wir arme Schlucker uns nicht leisten können. Wenn die Stadionbahn bis auf den letzten Platz besetzt ist, so sind die Gesamteinnahmen so hoch wie das Startgeld für Bartali. Aber auf Grund der alten Freundschaft mit Bulla ließ der Millionär Bartali mit sich reden und setzte seine Unterschrift unter einen Vertrag, der ihm kaum die Hälfte bietet.«236 200.000 Lire waren es, wie ein vom »Wiener Kurier« veröffentlichtes Faksimile des Vertrags mit Gino Bartali zeigt.237 Das war allerdings nicht gar so wenig, es entsprach etwa 9.400 Schilling.238 Hier zeigt sich ein Erzählmotiv, das bei Zeitungsartikeln über Bulla nach 1945 eine wichtige Rolle spielt: Einer aus dem armen, kleinen Österreich hat Großes geleistet und ist deshalb befreundet mit den Größten der (Radsport-)Welt. Dusika formulierte das in einem Artikel in den »Oberöster230 231 232 233 234 235 236 237 238

Österreichische Volksstimme, 22. 5. 1947, 4. Österreichische Zeitung, 21. 8. 1947, 5. Österreichische Zeitung, 23. 8. 1947, 5. Vgl. z. B.: Vorarlberger Nachrichten, 20. 8. 1947, 3. Weltpresse, 4. 6. 1949, 11. Weltpresse, 15. 6. 1949, 5. Neues Österreich, 15. 6. 1949, 5. Wiener Kurier, 18. 6. 1949, 5. 200.000 Lire entsprachen am 15. 6. 1949 1.275 Franken, 1 Schilling war 0,135 Franken wert, ergibt 9.444 Schilling. Quelle: Noten (Mittelkurse), Neues Österreich, 15. 6. 1949, 5.

Max Bulla (26. September 1905–1. März 1990)

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reichischen Nachrichten« explizit: »Wissen Sie, was es bedeutet, Gino Bartali zu engagieren? Einen Mann, dem die ganze Welt um einen Vertrag nachläuft, einen Mann, der in Italien ein Abgott ist? Als wir, Max Bulla und ich, als Wiener Veranstalter des Bartali-Meetings, zur Vertragsunterzeichnung nach Italien reisten, rollte dort gerade der ›Giro‹. […]«239 Er würde gerne in Wien starten, falls sich ein Termin finden ließe, aber »›die Gage?‹ Da zeigte Bartali seine weißen Zähne: ›Normalerweise bekomme ich für einen Start 500.000 Lire, aber für Wien mache ich es um, sagen wir, 200.000 Lire‹«.240

Abb. 43: Max Bulla gratuliert dem Sieger von »Rund um Vorarlberg«, Rudolf Valenta. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Bei Wien – Graz – Wien ging Co-Veranstalter Bulla auch selbst an den Start – und es sollte sich lohnen: »Von einem französischen Radsportfreund wurden nämlich für Max Bulla 3000 Schilling gestiftet, wenn er das Rennen unter elf Stunden bewältigt.«241 Der favorisierte Belgier Hendrickx gewann vor Valenta, Bulla wurde Sechster. Mit einer Zeit von 9:45:03 unterbot er die elf Stunden-Grenze locker.242 Das zeugt nicht nur von seiner nach wie vor guten Form, sondern auch von seiner Popularität in Frankreich. Ab 1950 wurde es deutlich ruhiger um Max Bulla, einerseits weil er seine aktive Karriere beendete, anderseits ging auch die kurze Phase der Profirennen in 239 240 241 242

Oberösterreichische Nachrichten, 30. 9. 1949, 4. Ebd. Weltpresse, 16. 7. 1949, 5. Arbeiterwille, 17. 7. 1949, 4.

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Österreich und seine Tätigkeit als Veranstalter zu Ende. Er war bei den Zeitungen aber weiterhin als Experte gefragt, er berichtete von der Österreich-Rundfahrt (ein Foto zeigt ihn, wie er aus seinem Jeep Richard Menapace während des Anstiegs auf den Großglockner anfeuert), er gibt Einschätzungen zu den Chancen und Leistungen der aktuellen österreichischen Fahrer ab.243 Auch engagierte er sich beim Antreten von Rudi Valenta beim Bol d’Or in Paris, war auch selbst beim Rennen anwesend. In den späteren Jahren erschienen meist zu Jubiläen seines Tour-de-FranceErfolges oder an runden Geburtstagen größere Artikel in Zeitungen und Zeitschriften.244 Präsentiert wurde stets ein nicht mehr junger, aber immer noch fitter und begeisterter Radsportler: So fuhr er an seinem 60. Geburtstag die Strecke seines ersten Profisiegs (Schwechat – Fischamend und retour) – vier Minuten schneller als damals. Die Zeit verweist einerseits auf eine erstaunliche Fitness, andererseits auch auf große Fortschritte bei Material und Straßenzustand.245 Auch als Georg Totschnig (2005) und Patrick Konrad (2021) jeweils eine Etappe bei der Tour de France gewannen, waren häufig Hinweise auf Max Bulla und seine Siege zu finden. Und in einem Beitrag auf der offiziellen Website der Tour de France aus dem Jahr 2019 ist zu lesen: »Bei der Tour 1931 war Max Bulla der erste und letzte unabhängige Fahrer, der das Gelbe Trikot errang. Eine echte Meisterleistung.« So habe Henri Desgranges, Herausgeber der französischen Sportzeitschrift »L’Auto« und Begründer der Tour de France, mit Lob für Bulla nicht gespart: »Zu unserer großen Freude konnten wir Bulla während der gesamten Strecke beobachten. Dieser junge Mann fährt harmonisch und ausgeglichen, sitzt fest im Sattel, tritt gleichmäßig in die Pedale, ohne dass sein Kraftaufwand die Schönheit der Bewegung beeinträchtigt – er hat einfach Klasse. Seine distinguierte Miene, seine leuchtenden Augen voller Schalk und Verstand sprechen Bände über diesen jungen Mann, der nicht ein Wort unserer Sprache spricht. Seine gleichbleibende Freundlichkeit und seine Fröhlichkeit, die an Leducq246 erinnert, runden das Bild des neuen Trägers des Gelben Trikots ab.«247

243 Vgl. Wiener Kurier, 27. 7. 1950; 28. 7. 1950, 5. 244 Vgl. z. B. Die ganze Woche, 29. 9. 1988, 102; SonntagsBlick, 5. 6. 1993, 63. 245 »Alter schützt vor Tempo nicht«, eine Zeitungsseite ohne weitere Hinweise (Archiv Michael Bulla). 246 Gemeint ist der französische Radstar André Leducq (1904–1980). 1930 und 1932 gewann er die Tour de France. URL: https://www.munzinger.de/search/portrait/Andre+Leducq/1/518 81.html (abgerufen 14. 1. 2023). 247 Ein Tag in Gelb: Max Bulla (I/X). 18. Juni 2019–11:45, URL: https://www.letour.fr/de/aktuelle s/2019/ein-tag-in-gelb-max-bulla-i-x/1276158 (abgerufen 19. 1. 2023).

Richard Menapace (20. Dezember 1914–21. April 2000)

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Richard Menapace (20. Dezember 1914–21. April 2000) Die Titelseite des »Neuen Österreich«, des »Organs der demokratischen Einigung«, war zumeist innen- oder außenpolitischen Themen vorbehalten. Am letzten Juli-Tag des Jahres 1949 genehmigte Chefredakteur Ernst Fischer aber eine Ausnahme: Die ersten eineinhalb Seiten waren der »Österreich-Rundfahrt« der Radamateure vorbehalten: Wo sonst Präsident Truman, »Generalissimus Stalin« oder Leopold Figl zitiert wurden, rückt an diesem Tag die Aufregung um einen Radfahrer ins Zentrum: »Die Spannung wuchs von Minute zu Minute […]. Würde er siegen? Er, das war immer nur einer: der kleine, gestern noch unbekannte Radfahrer Richard Menapace aus Salzburg. In acht Tagen ein Begriff für ganz Österreich geworden, zum ›Bergkönig‹ gekrönt, mit Prämien, Medaillen, Ehren überhäuft […] Er, das war Menapace, das war aber zugleich auch Österreich. Dann auf einmal: auf der breiten Straße, einsam, schmal, fast unscheinbar in diesem Hexenkessel. Ein Fahrer, ein kleiner Mann, ein gelbes Trikot! […] Ein einziger Triumphzug […] In dem Augenblick, da er auf dem Rathausplatz ankommt, geht das Rufen in das Getöse eines Tollhauses über. […] Man hat das in Wien noch nicht erlebt. Ein Radfahrer bringt die ganze Stadt außer Rand und Band. Das lacht, jubelt, schreit, überschreit sich: immer nur ein Wort, immer der gleiche Name. Buben auf den Bäumen, der Großpapa vor dem Altersheim, die Mädchen hinter den Kinderwagen, die feinen Leute im Auto und die weniger feinen auf ihren Rädern. Nur ein Ruf immer von neuem: Menapace! […] Inzwischen ist auf dem Mast vor dem Rathaus die rot-weiß-rote Fahne hochgegangen. Der Bürgermeister beglückwünschte Menapace.«248 Wie der Südtiroler Gärtner, italienische Rennfahrer, Optant und später deutsche Soldat Richard Menapace der erste österreichische Sportheld der Ära des Wiederaufbaus wurde, soll im Folgenden weniger anhand seiner sportlichen Erfolge, sondern primär entlang seiner Vita249 rekonstruiert werden, auch wenn die beiden Ebenen kaum zu trennen sind. Die in den Medien entworfenen Images des Richard Menapace haben für das kleine, nach Selbstbewusstsein und -bestätigung suchende Österreich eine nahezu homerische Funktion übernommen.250

248 Neues Österreich, 31. 7. 1949, 1. 249 Für wichtige Hinweise und Material danken wir Richard Menapace jr., Carlo Moos und Andreas Praher. 250 Matthias Marschik, Österreich erfahren… Richard Menapace und der österreichische Radsport nach 1945, in: Matthias Marschik/Agnes Meisinger/Rudolf Müllner/Johann Skocek/Georg Spitaler (Hg.), Images des Sports in Österreich. Innensichten und Außenwahrnehmungen, Göttingen 2018, 335–348.

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Abb. 44: Wiens Bürgermeister Theodor Körner gratuliert Richard Menapace zum Tour-Sieg 1949. Bild: Archiv Toni Egger

Südtirol, Italien, Deutsches Reich: Biografie 1914–1946 Richard Menapace wurde als drittes von sieben Kindern des Engelbert Menapace und seiner Frau Colletta, geb. Nardelli, im Südtiroler Tramin geboren. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, der – italienischsprachige – Vater arbeitete als Schlosser, die – deutschsprachige – Mutter sorgte für den Haushalt. In seiner Autobiografie schreibt Richard Menapace, von der Familie habe er Zusammenhalt und »Wille zum Durchhalten« gelernt, von seiner Heimat die »Heiterkeit und Milde des südlichen Weinlandes«, vermischt mit dem »Ernst der Berge und Wälder Tirols«.251 Die Fahrräder, die in der väterlichen Werkstatt repariert wurden, wurden ihm zu ersten Sportgeräten, als sein Volksschullehrer stundenlang von den Helden des Giro d’Italia schwärmte.252 Im Jahr 1929 übersiedelte Menapace als Lehrling zu einer Gärtnerei nach Bozen. Im Alter von 17 Jahre konnte er sich den Ankauf eines »Halbrenners« leisten, mit dem er erste kleine Sporterfolge errang. Er trat daraufhin einem lokalen Radclub in Bozen bei und feierte etliche Siege. 1934 gab es bereits Erfolge

251 Richard Menapace, Richard Menapace erzählt…, Wien 1951, 1. 252 Ebd., 5.

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bei Radrennen in Norditalien, es folgte die erste Teilnahme an den italienischen Meisterschaften.253 In den Jahren 1935/36 absolvierte Richard Menapace seinen Militärdienst, den er als Gefreiter der Luftwaffe (»Aviere scelto«) abschloss.254 Laut seiner Eigendarstellung entwickelte er in dieser Zeit eine sehr negative Einstellung zum italienischen Militär, aber auch gegen Italien und den Faschismus.255 Den zweimonatigen Grundwehrdienst absolvierte er in Orvieto bei Rom, danach sollte er nach Rhodos geschickt werden, doch sorgte der Präsident seines Radclubs für eine Versetzung nach Bozen, sodass er weiterhin radsportlich aktiv sein konnte. Mit seinen Erfolgen hätte Menapace die Qualifikation für die Olympischen Spiele 1936 erreicht, doch durfte er als Militärangehöriger nicht ins Ausland.256

Abb. 45: Jugendporträt von Richard Menapace. Bild: Archiv Toni Egger

253 254 255 256

Ebd., 8–31. Abwanderungsantrag Richard Menapace, Bundesarchiv, R9361-IV-325358. Interview Matthias Marschik mit Richard Menapace jr., 12. 1. 2022. Menapace erzählt, 32–34.

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Trotz einiger Angebote von Profirennställen entschied sich Menapace im Jahr 1936, zumindest vorerst Amateur zu bleiben. Er absolvierte Starts in ganz Italien und wurde in die Nationalmannschaft aufgenommen. Ab 1937 fuhr er als »Unabhängiger«, konnte also an Profirennen teilnehmen. Der erste bedeutende Sieg gelang ihm beim Rennen »Mailand – München«.257 Mit diesem Rennen, mit dem »eine dreistaatliche Harmonie suggeriert«258 wurde, indem es durch alle drei Länder führte und als »Länderkampf« zwischen Italien, Österreich und dem Deutschen Reich ausgetragen wurde, trat Richard Menapace, der »kleine blonde Junge, der aus dem Tramin stammt«,259 erstmals auch ins Rampenlicht österreichischer Sportmedien. Auch in Italien wurde er erst mit diesem Sieg einer großen Sportöffentlichkeit bekannt und in Südtirol berichteten die »Dolomiten« ausführlich über den Erfolg und schlossen ein großes Porträt des offenbar bis dahin kaum bekannten Fahrers an.260 1938 (16. Platz) und 1939 (Aufgabe nach Sturz) bestritt Menapace unter anderem den Giro d’Italia.261 Am 16. November 1939 beantragte Menapace die »Genehmigung zur Abwanderung ins Deutsche Reich«. Als Wohnort gab er St. Jakob in Bozen an, als Beruf »Gärtner zuletzt Radrenner«.262 In der Familienerzählung heißt es, dass die Mutter als »glühende Monarchistin« gegen Deutschland agitierte, der Sohn hingegen unentschlossen war: Doch weil er keine Arbeit gehabt habe, die Radrennen immer weniger geworden seien und er keinesfalls zur italienischen Armee wollte, habe er letztlich eine »formale Option«263 präferiert. Dabei ergeben sich zwischen Autobiografie und den Angaben im Abwanderungsantrag etliche Diskrepanzen: So verlegt Menapace seine Gärtnerlehre im Antrag auf die Jahre 1933 bis 1935, absolviert habe er sie im – renommierten – Hotel Greif in Bozen, wo er laut seinem Sohn aber erst später gearbeitet hat. Zudem führt Menapace im Antrag für die Jahre 1937 und 1938 eine zweijährige Ausbildung als »Kanzleiangestellter« im »Syndakat Bozen« an,264 die in der Biografie unerwähnt bleibt. Am 5. Februar 1940 wurde die Umsiedlung bewilligt, im März als vollzogen gemeldet. Als neue Adresse wurde »c/o Karl Altenberger, Fahrradteile-Fabrik in Jestetten (Baden)« gemeldet. Ab 1. März war Menapace dort als »Hilfswerker & Rennfahrer« beschäftigt. Die Einbürgerungsurkunde datiert vom 9. Februar

257 Ebd., 36–53. 258 Harald Oelrich, Sportgeltung, Weltgeltung: Sport im Spannungsfeld der deutsch-italienischen Außenpolitik von 1918 bis 1945, Berlin/Hamburg/Münster 2003, 367. 259 Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 20. 9. 1937, 10. 260 Dolomiten, 20. 9. 1937, 5. 261 Menapace erzählt, 54–79. 262 Abwanderungsantrag Richard Menapace, Bundesarchiv, R9361-IV-325358. 263 Interview mit Richard Menapace jr. geführt von Matthias Marschik, 12. 1. 2022. 264 Abwanderungsantrag Richard Menapace, Bundesarchiv, R9361-IV-325358.

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1940, unterzeichnet vom Landeshauptmann von Tirol.265 Hier tritt eine weitere Diskrepanz auf: In der Autobiografie nennt Menapace eine briefliche Einladung Altenbergers als Grund der Option. Im Antrag ist von der Tätigkeit in Jestetten keine Rede, stattdessen führt Menapace als Berufswunsch an: »Möchte in eine Flugschule eintreten«, die »erwünschte Stellung im Reich« sei daher »Freiwilliger zur Luftwaffe (Fliegerschule)«.266 Ab März 1940 lebte und arbeitete Menapace jedenfalls in Jestetten, schloss einen Vertrag mit dem bekannten Radhersteller »Wanderer«, ab April 1940 fuhr er Radrennen im Deutschen Reich, und zwar neben Straßen- auch Bahnrennen. Im Jänner 1941 bekam Menapace einen Stellungsbefehl zur Fliegerausbildung in Gießen, später in Kassel. Wenig später habe ihn ein persönliches Schreiben des »Reichssportführers« mit einer Freistellung für Trainings und Rennen erreicht.267 1941 und 1942 fuhr Menapace als Profi mit einer Lizenz zunächst des »Deutschen Radfahrer-Verbandes«, dann des »Berufs-Verbandes des deutschen Radsports«.268 Anfang 1942 absolvierte er eine Ausbildung als Offiziersanwärter, dann eine Dolmetscherausbildung in Berlin269, die »Obergefreiter« Menapace im August 1942 mit einer Prüfung als Wehrmachtsdolmetscher abschloss.270 Menapace wurde via Kreta an den nordafrikanischen Kriegsschauplatz geschickt. Nach zwei Monaten sei sein »Verband völlig aufgelöst« gewesen und eilig verlegt worden. Menapace sei in der Folge bis Anfang Mai 1945 als Dolmetscher an verschiedenen Orten in Italien eingesetzt worden, am 3. Mai sei er nach dem Ende der Kampfhandlungen, ohne in Gefangenschaft zu geraten, nach Hause gefahren.271 Im Sommer 1945 habe er ein Angebot des Bozner »Hotel Greif«, wieder als Gärtner zu arbeiten, angenommen. Daneben bestritt er, durchaus erfolgreich, wieder kleinere Radrennen.272

Südtirol, Innsbruck, Salzburg, Österreich. Biografie 1946–1951 Im Sommer 1946 wurde Menapace vom ehemaligen Tiroler Radrennfahrer Hans Waroschitz zur Teilnahme an einem Rennen Innsbruck – Karres eingeladen. Als er überraschenderweise einen Grenzpassierschein erhalten hatte, nahm Me265 Einbürgerungsurkunde Deutsches Reich von Richard Menapace, im Besitz von Richard Menapace jr. 266 Abwanderungsantrag Richard Menapace, Bundesarchiv, R9361-IV-325358. 267 Menapace erzählt, 79–84. 268 Lizenz 1941 des »Deutschen Radfahrer-Verbandes«, Mitgliedskarte 1941/42 des »BerufsVerbandes des deutschen Radsports«, im Besitz von Richard Menapace jr. 269 Menapace erzählt, 84. 270 Luftwaffenausweis für Wehrmachtdolmetscher für Richard Menapace, im Besitz von Richard Menapace jr. 271 Menapace erzählt, 90–91. 272 Ebd., 92.

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napace – von den österreichischen Medien wahlweise als Italiener, Südtiroler oder als Innsbrucker bezeichnet – auch gleich am Innsbrucker Rennen »Rund um den Hopfgarten« teil.273 Die Erfolge in beiden Bewerben motivierten Menapace, trotz seiner 33 Jahre seine Karriere als Amateur fortzuführen. Franz Hamedl, Präsident des österreichischen Radsportverbandes und Eigentümer der Radfirma »RIH« in Wien, versuchte offenbar, nach Westösterreich zu expandieren und verpflichtete Menapace für sein Rennteam. Bei 25 Starts in Italien und Österreich erreichte Menapace 21 Siege, so beim Rennen »Bregenz – Wien« im Juni 1947. Im Juli debütierte er in einer Innsbrucker Auswahl im Städtekampf gegen St. Gallen274, zwischen Juli und September gewann er unter anderem das Linzer Höhenstraßenrennen, die Innsbrucker Radfernfahrt und die Salzkammergut-Rundfahrt. Er wurde zunächst vor allem in Westösterreich populär,275 doch bald hieß es: »Was Menapace bedeutet, wissen in Oesterreich allein schon aus der diesjährigen Saison alle Radsportler.«276 1947 fuhr Menapace mit italienischer, ab 1948 dann mit österreichischer Lizenz, als zuständiger Landesverband wurde »Innsbruck« eingetragen, als Adresse aber die Zieglergasse 34 in Wien, der Wohn- und Betriebsort von Franz Hamedl.277 Er startete für den Verein »Innsbrucker Schwalben«278 und lebte offensichtlich auch von – illegalen – Startgeldern: So trat er beim Rennen »Rund um die Voralpen« nicht an, weil »seine Forderungen – er ist selbstverständlich Amateur – zu hoch waren!«279 Als im Mai 1948 die Gründung eines Profiverbandes verkündet wurde, schien auch Menapace auf der Liste der potenziellen Berufsfahrer auf,280 blieb aber letztlich Amateur: Er habe es nicht nötig, »zum Berufssport überzuwechseln, denn erstens gilt er als gut situierter Mann, und zweitens ist er seit geraumer Zeit als Filialleiter eines Wiener Fahrraderzeugers in Salzburg tätig, wo er ebenfalls ein sehr auskömmliches Dasein fand. Schließlich wird er im kommenden Radsportjahr […] unter den Amateuren die allererste Geige spielen.«281 Im ersten Halbjahr 1948 errang Menapace große Erfolge in Vorarlberg, Tirol, Salzburg, aber auch in Wien, etwa bei der nationalen Bergmeisterschaft. Oft hieß es, »Bergkönig« Menapace sei wieder »eine Klasse für

273 274 275 276 277 278 279 280 281

Vorarlberger Nachrichten, 28. 8. 1946, 2. Salzburger Nachrichten, 15. 7. 1947, 2. Menapace erzählt, 100–105. Volkswille, 7. 8. 1947, 7. Österr. Radfahrer-Bund, Lizenz 437 für Richard Menapace, im Besitz von Richard Menapace jr.; WStLA, Meldearchiv: Hamedl, Franz. Österreichische Zeitung, 14. 5. 1948, 6. Welt am Abend, 22. 5. 1948, 8. Welt am Abend, 26. 5. 1948, 8; Weltpresse, 30. 12. 1948, 5. Salzburger Volkszeitung, 10. 1. 1949, 4.

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sich« gewesen282 oder er wurde als »kleiner Bartali« bezeichnet.283 Zugleich vermittelte er Engagements starker italienischer Fahrer bei Rennen in Österreich.284

Abb. 46: Richard Menapace bei der österreichischen Bergmeisterschaft 1948 von Klosterneuburg auf den Leopoldsberg. Bild: Nachlass Max Bulla

Zu diesem Zeitpunkt war Menapace freilich noch deutscher Staatsbürger. Allerdings machte Menapace von der den OptantInnen durch ein italienisches Gesetz aus 1948 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, unter Verzicht auf die deutsche wieder die italienische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Am 23. November 1948 bestätigt Italien die Wiedereinbürgerung Menapaces.285 Sein Lebensmittelpunkt war vorerst Innsbruck. Doch die kolportierten Pläne zur Eröffnung eines Radgeschäftes in der Tiroler Hauptstadt hatten sich zerschlagen, 282 283 284 285

Salzburger Tagblatt, 14. 6. 1948, 7. Salzburger Tagblatt, 2. 8. 1948, 6. Welt am Abend, 9. 6. 1948, 6. Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 23. 11. 1948, im Besitz von Richard Menapace jr.

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offiziell, weil er seinem Freund Hans Waroschitz286 und dessen Rad-Geschäft – er verkaufte RIH-Räder – nicht Konkurrenz machen wollte.287 Vermutlich war es RIH-Chef Franz Hamedl, Freund von Waroschitz und Arbeitgeber von Menapace, der eine Vertretung in Salzburg suchte und die Verbindung zum Ex-Radfahrer Franz Perfahl herstellte, mit dem Menapace ein Radgeschäft in Salzburg gründete. Im Mai 1948 meldeten die Zeitungen seine bevorstehende Übersiedlung.288 Laut Meldeschein war Menapace ab 3. Dezember 1948 in Salzburg gemeldet »bei Perfahl« (zugereist von Innsbruck), ab 26. Oktober 1949 dann in »eigener Wohnung« in der Salzburger Auerspergstraße 59.289 Franz Hamedl war als Präsident des Radsport-Verbandes wohl auch an der Entscheidung beteiligt, Menapace im September 1948 als Kapitän des Nationalteams für »Quer durch Österreich« zu bestimmen. Allerdings sorgte Uneinigkeit unter den Fahrern, die einen möglichen Gesamtsieg verhinderte, für erheblichen medialen Aufruhr. Die Schuld wurde nicht nur in »taktischen Fehlern der Rennleitung« gefunden,290 auch der neo-österreichische Team-Kapitän Menapace wurde heftig kritisiert. Ihm wurde Egoismus und »Starrsinn« vorgeworfen, zudem habe er durch seine Aufgabe knapp vor Renn-Ende eine gute Placierung des Nationalteams verhindert, dafür »seinen« Tirolern zum dritten Platz in der Teamwertung verholfen.291 Hart urteilte die »Welt am Abend«: »Der Südtiroler Menapace, über dessen Fahrerqualitäten keine Zweifel bestehen, ist ein Hitz- und Querkopf. Für ihn gibt es nur das eigene ›Ich‹. Zusammenarbeit ist ihm ein Fremdwort.«292 Die medialen Angriffe verebbten aber relativ rasch, und Menapace konnte im Herbst 1948 noch etliche Erfolge in Österreich und Südtirol erzielen, vor allem wurde er österreichischer Straßen- und Bergmeister. Der Titel eines »Tiroler Bergmeisters« wurde ihm wegen seiner italienischen Staatsbürgerschaft hingegen nachträglich wieder aberkannt.293 Ab 1949 fuhr Menapace für den Salzburger »TSV Austria«.294 Nach Verletzungen und schwachen Leistungen zu Jahresbeginn konzentrierte er sich auf die Werbung für sein Fahrradgeschäft: So mokierte sich die Presse darüber, dass er in Salzburg den »Großen RIH-Preis« sponserte, das Rennen aber gewann und so alle Preise selbst einheimste.295 Auch Starts auf der neuen Salzburger Aschenbahn 286 Lukas Morscher, Eine verlorene Kunstform, URL: https://innsbruck-erinnert.at/eine-verlore ne-kunstform/ (abgerufen 17. 11. 2022). 287 Interview Matthias Marschik mit Richard Menapace jr., 12. 1. 2022. 288 Salzburger Volkszeitung, 19. 7. 1948, 6. 289 Salzburger Landesarchiv, Meldekartei. 290 Das Kleine Volksblatt, 19. 9. 1948, 9. 291 Weltpresse, 20. 9. 1948, 8. 292 Welt am Abend, 22. 9. 1948, 6. 293 Welt am Abend, 8. 10. 1948, 5. 294 Salzburger Nachrichten, 9. 4. 1949, 6. 295 Salzburger Tagblatt, 2. 5. 1949, 7.

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dienten primär Werbezwecken.296 Doch dann intensivierte er sein Training und trat auch bei Rennen in München sowie in Augsburg an. Im Juli war schon wieder ein »[p]rachtvoller Sieg Menapaces« zu vermelden,297 seine Konzentration galt jedoch primär der erstmals ausgetragenen Österreich-Tour. Kurz vorher, am 16. Juli 1949, heiratete er in Innsbruck Magdalena (von) Elzenbaum, die ebenfalls aus Tramin stammte. Franz Hamedl war Brautführer. In der erstmals ausgetragenen »Österreich-Rundfahrt«, gern auch als »Tour d’Autriche« bezeichnet, übernahm Menapace nach der zweiten Etappe die Führung und baute seinen Vorsprung am Großglockner weiter aus. Er gewann mit einer Ausnahme alle Bergwertungen, siegte bei fünf der sieben Etappen und beendete die Rundfahrt mit dem Rekordvorsprung von fast 40 Minuten.298 Menapace schilderte die Begeisterung in ganz Österreich als »grenzenlos«, der »Patriotismus schlug hohe Wellen«, doch auch Menapace selbst habe beim Erklingen der Nationalhymne »von (!) Rührung die Tränen in den Augen«.299 Die Medienberichte verdeutlichen die nationale Bedeutung von Menapaces Sieg: »Unbeschreiblich war die Freude derer, die diesen Augenblick miterleben durften, daß es der Oesterreicher Menapace war, der die Oesterreich-Rundfahrt zu einem Triumph für die rotweißroten Farben gestaltete.«300 Besonders gefeiert wurde Menapace in seiner neuen Heimat Salzburg, wo er vor zehntausenden begeisterten Fans mit einer zweispännigen Kutsche vom Bahnhof zum Mirabellplatz geführt wurde: »der Salzburger Nationalheros Menapace hatte, als er nach dem Siege aus Wien hier ankam, Menschenspaliere, wie sie seit jenen Iden des März 1938 nicht mehr gesehen worden sind«.301 Im Herbst 1949 erreichte Menapace etliche weitere Siege, so bei der Bergmeisterschaft auf der Ries bei Graz. Anfang Oktober durfte Menapace mit einer Sondererlaubnis sogar am Profi-Meeting »Rund um das Rathaus« in Wien starten und sich mit Gino Bartali matchen.302 In seiner Autobiografie erwähnt Menapace aber auch den Preis dieser Erfolge, eine permanente Überanstrengung und mehrere Erkrankungen. Schon vor Beginn der Frühjahrssaison, im Februar 1950, bekam Menapace von Bürgermeister Körner das Sportehrenzeichen der Gemeinde Wien verliehen, es folgten etliche öffentliche Auftritte, unter anderem beim Spatenstich für die Salzburger Radrennbahn. Mitte März erfolgte die Ehrung anlässlich der Wahl zum Sportler des Jahres 1949. Am 7. Februar 1950 beantragte Menapace die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, die ihm am 26. Mai auf 296 297 298 299 300 301 302

Salzburger Volkszeitung, 14. 5. 1949, 8. Weltpresse, 21. 7. 1949, 13. Arbeiter-Zeitung, 26. 7. 1949, 4. Menapace erzählt, 129. Das kleine Volksblatt, 31. 7. 1949, 12. Neues Österreich, 5. 8. 1949, 3. Weltpresse, 5. 10. 1949, 5.

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Abb. 47: Richard Menapace mit dem Siegeskranz der Tour d’Autriche 1949. Bild: Archiv Toni Egger

Antrag der Salzburger Landesregierung verliehen wurde. Dem Salzburger Antrag waren mehrere Schreiben beigelegt: Die »Kammer der Gewerblichen Wirtschaft Salzburg« bescheinigte Menapace eine wirtschaftliche Absicherung und verwies darauf, dass es sich »um einen Südtiroler und um einen Sportsmann ersten Ranges handelt, der für Österreich Triumphales geleistet hat«. Das Salzburger Landessportamt betonte ebenso die »hervorragenden sportlichen Leistungen«, aber auch sein gutmütiges und hilfsbereites Wesen. Der Salzburger Vize-Bürgermeister bat um beschleunigte Behandlung. Die Bundespolizeidirektion Salzburg schließlich bescheinigte ihm neben seiner Unbescholtenheit – auch bezüglich des NS-Systems – ein beträchtliches Vermögen: in Salzburg ein Geschäftsvermögen von 170.000 Schilling, in Südtirol Haus- und Grundbesitz von 200.000 Schilling. Wegen dieser Besitzungen lege Magda Menapace größten Wert

Richard Menapace (20. Dezember 1914–21. April 2000)

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auf Beibehaltung ihrer italienischen Staatsbürgerschaft. Zudem waren mehrere Zeitungsausschnitte mit großen Erfolgen Menapaces beigefügt.303 Im Jahr 1950 startete Menapace langsam in die Saison, ein Schlüsselbeinbruch und ein weiterer schwerer Sturz schienen einen Start bei der Tour d’Autriche zu verhindern.304 Etliche Medien äußerten sich sehr skeptisch: »Die Nominierung des Vorjahrssiegers Menapace, dessen Start nach seinem jetzigen zweiten schweren Sturz noch gar nicht gewiß ist, erfolgte wohl mehr aus Propagandagründen, bauend auf die Popularität des Salzburgers. Denn laut Papierform hätte Menapace diesmal im A-Team nichts zu suchen.«305 Doch gewann er auch die Tour 1950, diesmal mit über 20 Minuten Vorsprung, und löste erneut riesige Begeisterung aus: »900 Polizisten waren noch zu wenig gewesen, der Begeisterung Einhalt zu gebieten […] Alte Mütterchen in Hauskleidern waren auf die Straße geeilt und standen just neben dem Herrn mit dem amerikanischen Vielzylinder, kleine Kinder schrien und winkten, und das ›Mittelalter‹ war ganz außer Rand und Band. Ein Österreicher hat wieder gewonnen: Menapace, die radelnde Maschine!« Und weiter schrieb der »Grazer Montag«: »Gerührt schloß sich die greise Hand des Bürgermeisters um die Blasen und Schwielen von Richards kleiner Faust. Wien grüßte seinen Rundfahrtsieger wie einen König […]. Es lebe Richard, der König der Rundfahrt, es lebe der Radsport und Österreich!«306 Schon bald nach dem neuerlichen Triumph wurden Rücktrittsgerüchte laut: Wenn Menapace »wahr machen sollte, was er angekündigt hat – in Hinkunft nämlich nur mehr Fahrräder zu verkaufen und sie nicht selbst zu benützen –, so nimmt er in die beschauliche Zurückgezogenheit seiner gesicherten Existenz das Gelbe Trikot als die Erinnerung an eine Zeit mit, in der er zweifellos der populärste Österreicher war.«307 Im Herbst 1950 gab Menapace zwar noch Nennungen für einige Rennen ab, nahm aber nicht mehr teil. 1951 veröffentlichte er seine Autobiografie »Richard Menapace erzählt…«, die er »den jungen Fahrern, die einmal die Farben Österreichs in Kampf und Sieg vertreten werden«, widmete.308 Das Buch verkaufte sich gut und bekam positive Rezensionen. Lob kam nicht zuletzt vom Salzburger Landeshauptmann Josef Rehrl, der in einem Silvestergruß an Menapace schrieb: »Über Weihnachten habe ich wieder ihr feines Buch gelesen!«309 Sein Sohn Richard jr. berichtet, sein Vater sei Zeit seines Lebens ein

303 304 305 306 307 308 309

Salzburger Landesarchiv, Staatsbürgerschaftsakt Richard Menapace. Salzburger Tagblatt, 22. 5. 1950, 10. Wiener Kurier, 11. 7. 1950, 5. Grazer Montag, 31. 7. 1950, 6. Neues Österreich, 30. 7. 1950, 3. Menapace, Menapace, V. Brief von LH Josef Rehrl vom 31. 12. 1951, im Besitz von Richard Menapace jr.

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»unpolitischer Mensch« gewesen und habe viele Angebote in dieser Richtung ausgeschlagen, etwa Anfang der 1950er-Jahre ein Nationalratsmandat der SPÖ.310

Abb. 48: Lange Kommunikationswege prägten nicht nur die Medien der Nachkriegsjahre: Richard Menapace am Telefon. Bild: Archiv Toni Egger

Schwierigkeiten hatte Menapace allerdings mit der Gründung eines eigenen Geschäftes: Man wollte in Salzburg keinen übermächtigen Konkurrenten, daher arbeitete er lange Zeit im Geschäft von Franz Perfahl. Die Salzburger Innung soll Menapace bezüglich seiner Meisterprüfung im Fahrradmechaniker-Gewerbe jahrelang »etliche Prügel in den Weg« gelegt haben.311 Erst im Mai 1954 konnte er die Prüfung ablegen. Kurz vorher hatte er ein Schreiben von Bundeskanzler Raab erhalten: Es »wurde mir mitgeteilt, dass Sie vollkommen unbesorgt sein können, es werden ihnen keinerlei Schwierigkeiten bei der Ablegung der Prüfung in den Weg gelegt werden«.312 Schon nach wenigen Jahren erkannte Menapace, dass die 310 Interview mit Menapace jr., 12. 1. 2022. 311 Ebd. 312 Meisterprüfungszeugnis und Brief Julius Raab, im Besitz von Richard Menapace jr.

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beginnende Massenmotorisierung seine Werkstätte gefährde: 1957 schloss er das Geschäft und schuf sich eine neue Existenz als Immobilienmakler.313 Nach 15 Jahren Abstinenz vom Fahrrad begann er mit 55 Jahren aus gesundheitlichen Gründen wieder mit dem sportlichen Radfahren und bestritt etliche Seniorenrennen.

Rudolf Valenta (24. März 1921–15. Juli 2001) Im 1952 erschienenen »Radsport Handbuch« wird die ambivalente Bedeutung der Figur Rudolf »Rudi« Valenta deutlich: Er ist in dieser Broschüre überaus präsent, sowohl mit Fotos – vor einem beeindruckenden Arlberg-Panorama bei »Quer durch Österreich« 1952 und als Testimonial der »Suwe-Kandahar«Schaltung – als auch in den Porträts der österreichischen Profifahrer, wo es heißt: »Gilt derzeit noch immer als der erfolgreichste und populärste österreichische Fahrer nach dem Kriege. […] Die versiertesten Fachleute im Ausland prophezeien ihm eine große Steherzukunft. Valentas Antreten verursacht stets Bewegung im weiten Kreis der Radsportfreunde, was nicht zuletzt auch auf sein bescheidenes Wesen zurückzuführen ist. Wo Valenta auftritt, da präsentiert der Radsport seinem Publikum eine Spitzenleistung«.314 Der Text ist voll von halbherzigen Formulierungen. Er »gilt« nur als erfolgreichster und beliebtester Fahrer, das Ausland (und nicht das nationale Publikum und seine Experten) sagt ihm eine große Zukunft voraus, nicht er, sondern der Radsport bietet Spitzenleistungen: Valenta war trotz großer Erfolge nie der große Star des österreichischen Nachkriegs-Radrennsports. Den Platz des Publikumslieblings nahmen der zu Kriegsende bereits 40-jährige Max Bulla, der bereits 37 Jahre alte und durch seine Aktivitäten in der NS-Zeit belastete Franz Dusika sowie der Südtiroler »Immigrant« Richard Menapace ein, der 1949 die erstmals durchgeführte Wahl zum »Sportler des Jahres« gewann, während Valenta im Jahr darauf hinter dem Fußballer Walter Zeman nur Platz zwei belegte. Bereits 1952, mit nur 31 Jahren, beendete Valenta seine radsportliche Karriere. Grund dürfte der 2. Rang beim Bol d’Or im Pariser Vélodrome d’Hiver gewesen sein, wobei Valenta bis zuletzt überzeugt war, durch die Rundenrichter um den Sieg geprellt worden zu sein. Das habe in seiner Karriere einen massiven Knick ausgelöst.315

313 Interview mit Menapace jr., 12. 1. 2022. 314 Franz Dusika (unter Mitarbeit Richard Voelpel, Karl Kainz und Sepp Graf), Radsport Handbuch, (hg. v. der Vereinigung der Berufsradrennfahrer Österreichs), Wien (o. J.), 18. 315 Interview mit Erich Valenta (Sohn von Rudolf Valenta) geführt von Matthias Marschik, 23. 9. 2022.

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Abb. 49: Rudi Valenta beim Bol d’Or 1950. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Start im Nationalsozialismus: Biografie 1938–45 Valentas radsportliche Karriere begann bei der Wiener Bergmeisterschaft 1938 am Exelberg, bei der er das Nachwuchsrennen der HJ gewann. Die Leistung verdiene »höchste Beachtung und Anerkennung, denn sie wurde mit einem Tourenrad erzielt«.316 Nach Valentas Darstellung habe er das Rennen nur als Zuschauer besuchen wollen und erst ein Aufruf des Rennsprechers habe ihn zum Mitmachen motiviert.317 Im März 1939 gewann er ein »Wehrsport-Rennen der HJ«,318 dann wurde er Zweiter bei der Vorausscheidung für die »Deutsche Jugendmeisterschaft«,319 was ihm die Startberechtigung bei der Reichsmeisterschaft in Köln eintrug. Danach trat Valenta dem Verein der »Straßenbahner« bei

316 317 318 319

Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 18. 7. 1938, 8. Rudi Valenta, Kampf um den Goldpokal, Wien 1956, 41. Der Montag mit dem Sport-Montag, 27. 3. 1939, 9. Valenta, Goldpokal, 44 und 48; Neues Wiener Tagblatt, 22. 5. 1939, 21.

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und startete bei einigen Straßen- und Bahnrennen, wobei er meist die Juniorenklasse gewann.320 Obwohl Valenta 1940 zwischen 60 und 70 Stunden als Gießer arbeitete, gelangen ihm noch als »C-Fahrer« etliche gute Ergebnisse bei den »B-« teilweise auch bei den »Hauptfahrern«. Er nahm an vielen Straßen- und auch bei Bahnrennen im Raum Wien teil und konnte häufig die Nachwuchswertung gewinnen. So wurde er Sechster bei der Straßenmeisterschaft, und sowohl auf der Straße als auch auf der Bahn wurde er in die »Gauauswahl« für Städtekämpfe gegen Budapest einberufen. Als einziger »C-Fahrer« trat er bei der »Bereichsmeisterschaft« an. Am Jahresende 1940 setzte ihn der »Völkische Beobachter« an die Spitze der »C-Wertung«,321 Anfang 1941 stieg er gleich in die Klasse der »Hauptfahrer« auf.322 In diesem Jahr etablierte sich Valenta in der Spitze der Wiener Radfahrer: Er wurde Dritter in der Gau- und Zweiter bei der Wiener Bergmeisterschaft. Den gleichen Rang belegte er auch bei der Straßenmeisterschaft der »Ostmark« und bei der Gaumeisterschaft auf der Bahn. Er startete bei Rennen in Pressburg und Krakau und stand im Team für einen Städtekampf gegen München. Valenta wurde Dritter der »Deutschen Kriegsmeisterschaft im Einerstraßenfahren« und kurz darauf gelang der erste große Sieg bei einem Rennen in der Hauptallee vor 20.000 ZuschauerInnen: Dabei habe »Valenta bewiesen, dass er nicht nur zähe und ausdauernd, sondern auch schnell ist und daß er überdies ›mit Kopf‹ zu fahren versteht. Denn die Erfassung des richtigen Augenblickes bei seinem Vorstoß verriet den denkenden, routinierten Rennfahrer«.323 Valentas Leistungen wurden nun auch in den Medien ausführlich kommentiert. Er beendete die Saison mit seinem Klub als Mannschaftsmeister der »Ostmark«. In seiner Autobiografie hebt Valenta das Jahr 1942 als »großes Jahr« hervor: Er habe 25 Rennen bestritten und dabei 13 Siege errungen, davon drei »österreichische Meistertitel«. In vier Einsätzen für das deutsche Team bei Länderkämpfen habe er ebenso viele Erfolge erzielt.324 Der Saisonüberblick zeigt jedoch, dass Valenta in Wien keine herausragende Position einnahm und sich die Publikumsgunst mit dem bereits 38-jährigen Karl Kühn und dem aufstrebenden 320 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 2. 10. 1939, 4; Der Montag mit dem Sport-Montag, 16. 10. 1939, 8. 321 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 28. 11. 1940, 8. 322 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 5. 4. 1941, 7. 323 Wiener Neueste Nachrichten, 21. 7. 1941, 6. 324 Valenta, Goldpokal, 56. Was Valenta im Rückblick als »österreichische Meistertitel« bezeichnet, waren Siege in »Gau-« und »Bereichsmeisterschaften«, von denen Valenta im Jahr 1942 genau genommen sogar vier gewann: Mit Thanner und Gabriel siegte er in der »Bereichsmeisterschaft im Mannschaftsfahren«, weiters gewann er die »Bereichsmeisterschaft im Bergfahren« sowie die »Gaumeisterschaft von Wien im Bergfahren« (beide Titel wurden in einem Rennen vergeben) und auf der Bahn wurde er gemeinsam mit Chylik Sieger in der »Bereichsmeisterschaft im Zweisitzerfahren über 2000 Meter«.

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Abb. 50: Jugendliche Begeisterung nach einem Sieg Rudi Valentas bei einem Rennen in der Prater-Hauptallee 1942. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Anton Chylik teilen musste. Zu Saisonbeginn oft Zweiter, errang Valenta Siege beim längsten Rennen des Jahres, dem »Semperit-Preis«, sowie beim Kriterium in der Hauptallee: »Wieder Prachtleistung Valentas« titelte der »Völkische Beobachter«.325 Nach Rang sieben bei der »Deutschen Straßenmeisterschaft« gelangen ihm etliche Siege auf der Bahn. Dass er dennoch nicht unter die ganz Großen eingereiht wurde, zeigte sich bei einem Bahnländerkampf in Wien, bei dem Valenta an das Team der Slowakei »verliehen« wurde. Er trat für den Sportbereich »Donau-Alpenland« bei den deutschen Bahnmeisterschaften an und fuhr Rennen in Breslau, Budapest und Pressburg für das Nationalteam, wobei er die beiden Letzteren gewann. Nach einem Erfolg bei der »Bereichs- und Gaubergmeisterschaft« hieß es: »Der Sieger Valenta hat sich schon wirklich einmal einen Titel verdient«.326 Zunehmend wurde von »Prachtsieg[en] Valen-

325 Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 29. 6. 1942, 4. 326 Wiener Neueste Nachrichten, 17. 8. 1942, 9.

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tas«327 geschrieben, doch in der Jahreswertung wurde er bei den Straßenfahrern hinter Kühn, bei der Gesamtreihung hinter Chylik jeweils auf Platz zwei gereiht.328 Im Februar 1943 wurde Valenta zur Wehrmacht eingezogen und bestritt im April noch einige Rennen. Im Herbst 1945 kehrte er aus der Gefangenschaft zurück.

Im Schatten alter Männer: Die Jahre 1945–1952 Die ersten Trainings von Rudi Valenta nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Herbst 1945 waren Hamsterfahrten ins Burgenland, seine Rennpremiere erfolgte bei einem Länderkampf gegen Ungarn in Wien,329 der überlegen gewonnen wurde. Valenta erzielte noch im Herbst gute Resultate, allerdings keine Siege, was die Medien mit der Aussage, er sei »wieder brav gefahren«,330 kommentierten. Das Jahr 1946 eröffnete Valenta mit einem Sieg in Schwechat und wurde deshalb vom Verband zur »Vier-Kantone-Rundfahrt« in die Schweiz entsandt, die Valenta vor allem als »Fresstour« und als Aufbesserung der veralteten Ausstattung, von den schlechten Rädern bis zu den armseligen Trikots, in Erinnerung behielt.331 Bei der Straßenmeisterschaft und im Höhenstraßenrennen landete er jeweils im Vorderfeld, stand jedoch im Schatten des Jungstars Ernst Cyganek. Valenta gewann das in drei Etappen ausgetragene Straßenrennen Wien – Graz – Wien, das als »Großer Preis von Österreich« betitelt wurde, jedoch wurde er wieder nicht bejubelt, hatte doch der Favorit Cyganek nach einem Sturz aufgeben müssen. Bei der UCI-Weltmeisterschaft in Zürich wurde Valenta als 25. bester Österreicher, dennoch hieß es nur »Die Österreicher unplaciert«.332 Valenta blieb noch in der Schweiz und startete bei »Rund um den Tessin«, wo er einen »ehrenvollen«333 achten Platz erreichte. Er beendete die Saison mit Siegen beim Rathauskriterium und einem Kriterium in Linz. Eine Rangliste des Radfahrerbundes ÖRB sah für 1946 Valenta in Front.334 Zu Beginn des Jahres 1947 feierte Cyganek etliche Erfolge, doch im Mai wurde er »von Valenta wieder ein wenig aus dem Sattel gehoben«.335 Anfang Juni gewann Valenta, der inzwischen eine Anstellung bei der Post gefunden hatte, die erste 327 328 329 330 331 332 333 334 335

Kleine Volkszeitung, 31. 8. 1942, 5. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 20. 11. 1942, 5. Valenta, Goldpokal, 65. Volksstimme, 25. 9. 1945, 4. Valenta, Goldpokal, 69–71. Wiener Kurier, 2. 9. 1946, 5. Weltpresse, 12. 9. 1946, 5. Das kleine Volksblatt, 3. 4. 1947, 7. Welt am Abend, 19. 4. 1947, 5.

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Etappe von »Quer durch Österreich«, eines Rennens von Bregenz nach Wien, im Gesamtklassement war er als Dritter bester Österreicher. Bei einem bestens besetzten Rennen in Mailand belegte er Platz vier, danach trat er bei den Weltjugendfestspielen in Prag an, was vermutlich seiner Mitgliedschaft in der »Freien Österreichischen Jugend«, der KPÖ-nahen Jugendorganisation, geschuldet war.336 Nach einem Start beim Rennen Mailand-Rapallo erreichte Valenta unter anderem Rang zwei beim »Großen Preis von Österreich« Wien – Graz – Wien. In der Rangliste des ÖRB lag am Jahresende Heinrich Schiebel voran, »mit bloß einem Punkt Vorsprung vor dem ›ewigen Kronprinzen‹ Valenta«. Dieser habe »glänzend abgeschnitten, besonders erfolgreich war er im Ausland und für das Olympiajahr verspricht er sehr viel […] Für ihn gibt es nur eine Parole, und die lautet: Mehr auf Härte trainieren.«337

Abb. 51: Rudi Valenta in einer Kurve beim Rennen »Rund um die Voralpen« im Jahr 1947. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Im März 1948 fuhr Valenta bei der »Coppa Cladirola« in Mailand, Ende April feierte er seinen ersten Sieg bei »Rund um Wien« und am 1. Mai beim ASKÖSportfest im Stadion, einem »glanzvolle[n] Fest des Arbeitersports«.338 Er gewann »Rund um die Voralpen« und mehrere Kriterien, absolvierte Anfang Juni ein 336 Jugend voran, 22. 6. 1947, 1 und 6, 1. 337 Österreichische Zeitung, 31. 10. 1947, 7. 338 Welt am Abend, 3. 5. 1948, 6.

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Rennen in Paris-Monthlery und siegte in der Wiener Straßenmeisterschaft und – vor Menapace – im ersten Lauf zur Staatsmeisterschaft, konnte aber wegen einer Operation am 2. Rennen (»Rund ums Ländle«) nicht teilnehmen. Im Straßenrennen der Amateure bei den Olympischen Spielen in London 1948 belegte er Rang 14, musste dort aber erkennen, »dass der österreichische Radsportbetrieb um gute 20 Jahre hinter anderen Ländern nachhinkte«, weil es keine Sponsoren und nur eine schwache »Radindustrie« gab.339 Kurz danach bestritt er die WM in Valkenburg, wo jedoch kein Österreicher ins Ziel kam. Nach Rang 7 bei einem Kriterium in Luzern wurde er Zweiter bei der Wiener Bergmeisterschaft und im Rathauskriterium. Dann folgte »Quer durch Österreich«, wo Valenta mit Menapace und Goldschmid das Nationalteam bildete, das allerdings die »Hoffnungslosigkeit« erkennen musste, »mit unzulänglichem Material internationale Erfolge anzustreben«.340 Valenta gewann zwar eine Halbetappe, ein möglicher österreichischer Gesamtsieg wurde jedoch durch Uneinigkeit im Team und durch zahlreiche Defekte verspielt.341 »Wir sind überzeugt, daß Valenta die Rundfahrt gewonnen hätte, wenn er nur halb so viel Defekte gehabt hätte«, meinte die »Welt am Abend«.342 Noch im September trat Valenta dem neu gegründeten und von den Amateuren stark angefeindeten »Verband der Berufsfahrer« bei343 und besiegte gleich im ersten Rennen seinen Mentor Dusika. Als die Medien im Jänner 1949 den Zwist zwischen Amateuren und Berufsfahrern (»Der ›Krieg‹ hat begonnen«344) problematisierten, weilte Rudi Valenta mit den Profis Gino Bartali und Ferdy Kübler zum Training an der Riviera. Dort erst habe er professionelle Arbeit kennen gelernt, es sei alles vom Material bis zu den Schuhen, aber auch Training und Sitzposition, verändert worden.345 Für das Team »Fiorelli« bestritt er bei Mailand – San Remo sein Profidebut,346 für den Dusika-Rennstall gewann er das Rennen Wien – Hainburg – Wien. Erstmals schrieben die Medien euphorisch über Valenta: Der »Held vieler Straßenrennen«347 habe sich »als hervorragender und routinierter Fahrer« erwiesen, »dem man seine Trainingsstunden mit den Weltklassefahrern Bartali, Kübler, Sommer usw. deutlich ansah«. Die »Leistungen unseres Meisterfahrers Rudi Valenta haben die Fachleute derart beeindruckt, daß er nunmehr außer seinem österreichischen Vertrag auch Jahresverträge von italienischer sowie von Schweizer 339 340 341 342 343 344 345 346 347

Valenta, Goldpokal, 75. Weltpresse, 16. 9. 1948, 5. Österreichische Zeitung, 21. 9. 1948, 7. Welt am Abend, 22. 9. 1948, 6. Das kleine Volksblatt, 30. 9. 1948, 9. Das kleine Volksblatt, 23. 1. 1949, 11. Valenta, Goldpokal, 78. Neues Österreich, 23. 3. 1949, 5. Weltpresse, 8. 2. 1949, 5.

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Seite erhalten hat«.348 Am 2. April hieß es: »Endlich findet man in dem großen Feld der internationalen Berufsfahrer wieder einen Österreicher, der das Zeug hat, wie einst Max Bulla, zur Spitzenklasse vorzustoßen. Es ist nämlich gelungen, Valenta in dem bekannten Schweizer ›Tebagteam‹, dessen Kapitän Weltmeister Kübler ist, unterzubringen.«349 Valenta startete bei zwei Rennen in der Schweiz, ehe eine Verletzung das Antreten bei Paris – Roubaix verhinderte.350 Stattdessen trat er bei einem Kriterium in Luzern und dann gemeinsam mit Dusika, der dabei seine Karriere beendete, bei einem Aschenbahnrennen in Wien sowie beim Rathauskriterium an, wo er hinter Weltmeister Planner den zweiten Rang belegte. Im Mai nahm Valenta den Giro d’Italia in Angriff, musste aber nach einem schweren Sturz aufgeben. Nach einigen Bewerben in der Schweiz und in Österreich – unter anderem mit dem Vizemeistertitel bei den Straßenfahrern – bereitete sich Valenta auf das Rennen Wien – Graz – Wien hinter Schrittmachern (»SemperitDerby«) vor, das er als Zweiter hinter dem hohen Favoriten Albert Hendrickx beendete. »Damit ist der junge Favoritner in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Man wird wohl kaum fehlgehen, wenn man ihm eine große internationale Karriere voraussagt.«351 Valenta startete dann bei der Tour de Suisse, die er aber nicht beenden konnte, ebenso wie das WM-Rennen in Kopenhagen, weil er erst am Abend zuvor mit einem LKW in Dänemark eingetroffen war.352 Eine Knieverletzung verhinderte weitere Starts. Dennoch versuchte Valenta, »im Ausland einen Fabriksvertrag zu bekommen, um bei ganz großen Rennen Startmöglichkeit zu erhalten. Doch wer kannte schon einen Valenta aus Österreich? Es war umsonst, mir blieben überall die Türen verschlossen.«353 Zu Jahresbeginn 1950 laborierte Valenta an einer Knieverletzung und überlegte bereits sein Karriereende.354 Die Medien lamentierten derweil über den Berufsradsport: Die meisten Fahrer würden zu früh zu den Profis wechseln, die wenigen Talentierten würden versagen: »Rudi Valenta, dieser sympathische, kraftvolle Fahrer konnte […] an der Riviera trainieren, seine Kräfte für die großen Entscheidungen des internationalen Radsports stählen. Ein italienischer Firmenvertrag war in Reichweite, aber der Wiener vergab seine Chance, indem er in die Heimat zurückkehrte und dort billige Lorbeeren sammelte.«355 Valenta 348 349 350 351 352 353 354 355

Wiener Kurier, 28. 3. 1949, 5. Neues Österreich, 2. 4. 1949, 5. Volksstimme, 20. 4. 1949, 6. Das kleine Volksblatt, 17. 7. 1949, 13. Arbeiterwille, 23. 8. 1949, 4. Valenta, Goldpokal, 116–117. Weltpresse, 5. 1. 1950, 4. Salzburger Nachrichten, 27. 3. 1950, 6.

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konzentrierte sich im Frühjahr auf das Rennen Wien – Graz – Wien. Er lehnte Auslandsangebote ab und kam erst Ende April in Form.356 Er gewann die Rennen Wien – Graz und »Rund um Wien« und wurde im Juni österreichischer Straßenmeister. Gegen die »Weltelite der Rennfahrer« war er auch beim »SemperitDerby« Wien – Graz – Wien erfolgreich, nicht zuletzt, weil Vorjahrssieger Hendrickx ausschied.357 Doch: »Es war ein Martyrium, ein Leidensweg, den als bester Fahrer der Oesterreicher Rudi Valenta in Rekordzeit hinter sich brachte. Warum sollen wir nicht stolz darauf sein!«358

Abb. 52: Rudi Valenta bei der Zwischenrast in Graz beim Rennen »Wien – Graz – Wien« 1950. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

356 Valenta, Goldpokal, 119. 357 Das Kleine Volksblatt, 2. 7. 1950, 12. 358 Volksstimme, 2. 7. 1950, 7.

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Dieser Erfolg ließ wieder die Frage aufkommen: »Was nun, Valenta?«359 Max Bulla versprach, seine Frankreich-Kontakte zu nutzen, um ihm Auslands-Starts zu ermöglichen. Valenta wollte die Deutschland-Rundfahrt bestreiten, gab aber auch eine Nennung für die Straßen-WM im Belgien ab. Letztlich wurde ihm das Antreten bei beiden Veranstaltungen untersagt, als Grund wurde jeweils die Nennung beim anderen Event genannt. »Der arme Valenta sitzt nun zwischen zwei Sesseln.«360 Zwischenzeitlich fasste er sogar den Entschluss, sich auf Steherrennen auf der Bahn zu konzentrieren,361 bestritt aber dann einige Bahn- und Straßenrennen in Österreich sowie Kriterien in München und Zürich. Kühne Ideen waren in den Medien zu lesen, von Verträgen als Sechstagefahrer in Deutschland bis zu einer Übersiedlung nach Brasilien, ehe Anfang November die Einladung zum Bol d’Or im Vélodrome d’Hiver in Paris, einem 24-StundenRennen hinter Schrittmachern, publik wurde. »Hoffentlich ist Valenta nicht wieder zu weich«, schrieben die Medien.362 Promotet von Max Bulla, gecoacht von Ferry Dusika und für das Team »GarinWolber« startend, wurde Valenta Zweiter und damit zur »Sensation« und zum »Heros von Paris«.363 Tagelange euphorische Presseberichte wichen bald wieder kritischen Anmerkungen. So schrieb Heribert Meisel: »Im Vorjahr ist Valentas Karriere gescheitert. An Valenta selbst. Er beweist im Rennen unglaubliche Härte. Eine Härte, die ihm im Privatleben manchmal fehlt. Er trotzt Marathonstrecken und unterliegt dem Heimweh. Wir halten Valenta die Daumen. Daß er diesmal die eiserne Energie aufbringt, die ein Berufssportler haben muß, will er Weltklasse werden. Valenta muß sich selbst schlagen, dann wird er viele Gegner schlagen! Der Bol d’Or war für Rudi Gold wert. Er muß es zu schmieden verstehen. Und aufs Heimweh vergessen.«364 Der Sensationserfolg von Paris weckte große Hoffnungen für 1951. Vor allem aber wurde Valenta aufgrund seines zweiten Platzes beim Bol d’Or bei der Wahl zum österreichischen Sportler des Jahres 1950 mit Rang zwei hinter FußballTormann Walter Zeman ausgezeichnet. Schon im Jänner trat Valenta wieder in Paris an, bei einem Rennen hinter schweren Motorrädern war er jedoch chancenlos. Er fuhr für den Rennstall des Wiener Schuh- und Radherstellers »Isis« Bahnrennen in Gent und Paris, ein Straßenrennen in der Bretagne, dann bestritt er die Tour de Romandie, die er auf Platz elf beendete. Im Mai hatte Max Bullas Plan, Valenta beim Langstreckenrennen Bordeaux – Paris unterzubringen, Erfolg: Er erreichte den beachtlichen 14. Rang und blieb gleich in Frankreich, wo er 359 360 361 362 363 364

Wiener Kurier, 7. 7. 1950, 5. Weltpresse, 3. 8. 1950, 5. Neue Zeit, 20. 7. 1950, 5. Weltpresse, 22. 11. 1950, 2. Weltpresse, 27. 11. 1950, 16; Wiener Kurier, 28. 11. 1950, 5. Wiener Kurier, 2. 12. 1950, 5.

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etwa ein Rennen hinter Motoren in Thouars bestritt. Im Juni weilte er für mehrere Bahn- und Straßenrennen in Wien, im Juli gewann er mit neuem Streckenrekord nochmals Wien – Graz – Wien. Bei einem Bahnrennen in Wien stürzte Valenta schwer und lag eine Woche im Spital. Gegen den Rat der Ärzte ging er für das Team des deutschen Fahrradherstellers »L. Bauer« dennoch bei der DeutschlandTour an den Start, musste aber während der 3. Etappe aufgeben. Er bestritt weitere Rennen in Österreich, wo er etwa den dritten Rang bei der Straßenmeisterschaft belegte. Ein kurzfristig zugesagter Start bei der WM in Italien verlief wenig erfolgreich. Im Spätherbst nahm Valenta wieder die Vorbereitung für das Bol d’Or-Rennen auf, das aber letztlich abgesagt wurde. In der ersten Hälfte des Jahres 1952 absolvierte Valenta nochmals ein volles Rennprogramm: Der Aufbau erfolgte zunächst bei den nationalen Profi-Rennen, ehe er im Mai wieder mehrere Veranstaltungen in Paris absolvierte. Der erste Jahreshöhepunkt war ein nochmaliger Start bei Wien – Graz – Wien. Es reichte, hinter dem klaren Sieger Hendrickx und als bester Österreicher, nur zu Platz vier. In der zweiten Jahreshälfte absolvierte Valenta nur mehr vereinzelte Rennen. Nach der Saison 1952 gab Valenta das Ende seiner Karriere bekannt. Sein letztes Antreten erfolgte beim »Burgenlandrennen«, welches er im Oktober siegreich beendete.365 Danach schlug Valenta eine Karriere abseits des Sports ein. Zwar fungierte er 1958/59 als Trainer des Nationalteams, doch betrieb er zunächst ein Schuhgeschäft und arbeitete später für eine Schuhfirma. Nach einem Intermezzo als Tankstellenbesitzer und Cafetier arbeitete er viele Jahre als Einkäufer für die Firma »Bally«. Über 20 Jahre betrieb er keinen Radsport mehr, erst dann stieg er wieder aufs Rennrad und nahm an Seniorenrennen teil. Wie Menapace und Bulla (der seine sportliche Lebensgeschichte allerdings nur als Fortsetzungsgeschichte in einem Sportblatt veröffentlichte) verfasste auch Rudi Valenta eine Autobiografie, die 1956 unter dem Titel »Kampf um den Goldpokal« erschien. Valentas Schilderungen unterscheiden sich aber deutlich von den anderen Biografien: Im Gegensatz zu den Erfolgsgeschichten von Bulla und Menapace schreibt er eine heroische Story und bezeichnet das Radfahren – durchaus in NS-Diktion – durchgängig als »Kampfsport«,366 in dem Erfolg nur durch »Entbehrungen und Strapazen, Hunger, Durst und Müdigkeit« zu erringen ist.367 Valenta beschreibt ausführlich die Qualen des Trainings und die ständige Überwindung, auch bei schlechtem Wetter hunderte Kilometer abzuspulen oder stundenlang im Keller auf der Walze zu trainieren, aber auch die minutiöse Vorbereitung auf die Rennen, wo er vorher jeden wichtigen Punkt mit Steinen am Straßenrand markierte. Er kontrastiert die kurze Euphorie nach Siegen stets mit 365 Burgenländische Freiheit, 19. 10. 1952, 6. 366 Valenta, Goldpokal, 5. 367 Valenta, Goldpokal, 53.

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Schmerzen und Misserfolgen und charakterisiert sich als »für den Kampfsport stets viel zu gutmütig, zu ehrlich und zu offen«.368 Max Bulla und Richard Menapace bleiben in der Biografie Valentas lediglich Randfiguren: Bulla wird als »der erfolgreichste österreichische Rennfahrer im Ausland«369 vorgestellt. Trotz seiner Versuche, für Valenta Auslandsstarts zu organisieren, kommt er letztlich nicht gut weg. Auch die Figur Menapaces beschränkt sich auf Treffen bei einigen Rennen: Valenta hoffte, von Menapaces Erfahrung zu profitieren, der sah ihn jedoch nur als Konkurrenten.370 Dusika hingegen nimmt eine zentrale Rolle ein, ist doch die gesamte Biografie als Karrierebericht an Dusika konzipiert, dem er bei der Bahnreise zum Bol d’Or seine bisherige Laufbahn schildert. Valenta fuhr im Team mit Dusika etliche Bahnrennen, radelte eine Zeitlang für dessen Rennstall und besprach mit ihm die Entscheidung, am Bol d’Or teilzunehmen. Der »Freund Ferry« war für Valenta Kollege, Arbeitgeber, Organisator und Betreuer. Das Antreten beim Bol d’Or wird als zentrales Ereignis in Valentas Karriere stilisiert. Über 130 Seiten der Biografie sind allein diesem Rennen gewidmet, und das Buch endet auch mit diesem Ereignis. Obwohl Valenta ja auch 1951 und 1952 noch große Erfolge feierte, ist darüber kein Satz mehr zu lesen. Der Kampf um Anerkennung und Siege ist mit der ungerechten Aberkennung des Sieges371 für den »ehrlichen« Valenta verloren, die Qualen und Opfer rentieren sich nicht mehr.

Der Radsport in Autobiografien Schon der Umgang mit den Relikten der eigenen Sportvergangenheit war bei den Stars des österreichischen Nachkriegs-Radsports höchst unterschiedlich: Während von Franz »Ferry« Dusika kein Nachlass existiert (oder zumindest nicht auffindbar ist), hinterließ Max Bulla seinen Söhnen ein umfangreiches, allerdings ungeordnetes Konvolut an Zeitungen, Zeitungsausschnitten, Trophäen und Fotos. Rudi Valenta hingegen hat seine Trophäen und einen Großteil seiner Räder verschenkt, allerdings fünf ausführliche, chronologisch geordnete Alben mit zahlreichen Fotos und eingeklebten Pressemeldungen angelegt. Richard 368 369 370 371

Valenta, Goldpokal, 19. Valenta, Goldpokal, 25. Valenta, Goldpokal, 74. Rudi Valenta war bis zuletzt überzeugt davon, um den Sieg geprellt worden zu sein. Eine zehn Runden dauernde Pause seines Konkurrenten Fiorenzo Magni sei von den Rundenrichtern nicht berücksichtigt worden. Bulla, Dusika und andere Radexperten sahen keinen Irrtum der Rennleitung. Und auch Valenta selbst beschrieb Ende 1950 in mehreren Interviews eine Fehleinschätzung, die der völligen Übermüdung geschuldet war. Vier Jahre später gab er in seiner Autobiografie aber wieder der Betrugserzählung Ausdruck.

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Menapace hatte bis zu seinem Tod ein Zimmer im Keller seines Hauses, in dem er Siegespreise, Bilder und Zeitungsbände aufbewahrte.372 Dusika und Menapace (der später aber auf Immobiliengeschäfte umsattelte) blieben als Inhaber von Radgeschäften ihrem Metier verbunden, Bulla (als »Privatier«) und Valenta (der in die Schuh- und Cafétierbranche wechselte), gingen auf Distanz zum Radsport.373 Und auch vom Radfahren selbst distanzierten sich Valenta und Menapace für etliche Jahre, ehe sie wegen gesundheitlicher Probleme wieder aufs Rennrad stiegen und sich an Seniorenbewerben beteiligten. Von allen Vätern, Menapace, Bulla und Valenta, ist bekannt, dass sie ihren Kindern von einer Radkarriere abrieten.374 Dennoch haben drei der bekanntesten Radsportler der Nachkriegsjahre Autobiografien verfasst. Richard Menapace und Rudi Valenta haben Bücher geschrieben oder schreiben lassen. Die Anfänge von Max Bullas Karriere wurden in einer Serie im »Wiener Sport in Bild und Wort« dargestellt, wobei der journalistische Bericht längere Passagen in Ich-Form enthält.375 Dusika, der als Autor des »Österreichischen« und als Schriftleiter des »Ostmark-Radsports« als einziger bekannter Radsportler Österreichs schon während des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus journalistisch tätig war, hat – vermutlich gerade wegen seiner Tätigkeiten im NS-Regime – keine schriftliche Darstellung seiner Karriere hinterlassen. Obwohl er später mehrfach als Buchautor tätig war, war in diesen Werken keine Reminiszenz an seine Karriere enthalten.376 Autobiografien bekannter Sportler waren in den späten 1940er-Jahren en vogue. Und sie wurden durchwegs noch während oder unmittelbar nach Beendigung der Karriere verfasst: So erschien der 1946 verfasste Lebensbericht des Motorradrennfahrers Martin Schneeweiß nach seinem tödlichen Unfall posthum im Jahr 1948 bei Globus,377 Josef »Bubi« Bradl schrieb seine Autobiografie 1948, also lange vor Beendigung seiner Karriere,378 Toni Sailer verfasste sein Buch 1956379 unmittelbar nach dem dreifachen Olympiasieg und ebenfalls zwei Jahre 372 Diese befinden sich inzwischen größtenteils im Heimatmuseum Tramin, URL: http:// www.hoamet-tramin-museum.com/de/vereinsleben.php (abgerufen 18. 11. 2022). 373 Allerdings fungierte Valenta 1958/59 als Betreuer des österreichischen Amateur-Nationalteams. 374 Max Bullas älterer Sohn hat sich dennoch einige Zeit als Radrennfahrer versucht. Interviews Matthias Marschik mit Erich Valenta (23. 9. 2022), Michael Bulla (2. 5. 2022) und Richard Menapace jr. (12. 1. 2022). 375 Sie werden als Auszüge aus dem »Renntagebuch« Bullas bezeichnet (vgl. Wiener Sport in Bild und Wort, 18. 5. 1946, 14), unterscheiden sich aber stilistisch nicht vom restlichen Text. 376 So veröffentlichte Dusika schon 1951 gemeinsam mit Max Bulla in der »Tagblatt-Bibliothek« des kommunistischen Globus-Verlages ein Trainingshandbuch: Franz Dusika/Max Bulla, Der erfolgreiche Radrennfahrer: Neue Wege zur Leistungssteigerung, Wien 1951. 377 Martin Schneeweiß, Zwischen Start und Ziel. Aus meinem Rennfahrerleben, Wien 1948. 378 Josef Bradl, Mein Weg zum Weltmeister, Innsbruck 1948. 379 Toni Sailer, Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg, Salzburg 1956.

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vor dem Ende der Skikarriere. Dass gleich zwei Autobiografien von Radrennsportlern in Buchform erschienen, verdeutlicht die Bedeutung dieses Sports. »Richard Menapace erzählt« wurde unmittelbar nach seiner Rennfahrerlaufbahn publiziert, das Buch von Rudi Valenta hingegen erst 1956, also erst drei Jahre nach seinem Abschied. Max Bullas Rennbiografie wurde unter dem Titel »Vom Zeitungsfahrer zum Giganten der Landstraße. Ein Roman, den das Leben geschrieben hat« in 16 Folgen zwischen dem 19. Februar und dem 15. Juni 1946 in der Illustrierten »Wiener Sport in Bild und Wort« veröffentlicht, also noch lange vor dem Ende seiner Laufbahn. Alle Lebensgeschichten werden durch Fotos untermalt. Nur das Buch Menapaces erzählt eine chronologische sportliche Lebensgeschichte von der Kindheit bis zum Ende der Karriere. Die Biografie Bullas bricht überraschend im Jahr 1931 ab,380 und Valenta gruppiert das Geschehen rund um sein Antreten beim Bol d’Or im Oktober 1950. Die Rennkarriere davor wird in Rückblenden berichtet, die er während der gemeinsamen Bahnfahrt nach Paris seinem »Sportkameraden« Dusika und seinem Manager Bertignon erzählt. Wie zentral die Ereignisse in Paris waren, wird daran deutlich, dass Valenta die letzten zwei Jahre der Karriere, 1951 und 1952, mit keinem Wort erwähnt. Alle drei Autobiografien erzählen klassische Aufsteigergeschichten381 und fokussieren eindeutig auf die Sportkarriere. Mit Ausnahme von Beschreibungen der Kindheit bleibt das Privatleben weitgehend ausgeklammert. Auch politische Entwicklungen bleiben außen vor, es gibt keinerlei Stellungnahmen dazu, und Politiker werden – außer als Ehrengäste und Gratulanten – nicht erwähnt. Selbst die Ereignisse des Krieges und der Militärdienst bleiben blass. Den September 1939 schildert Menapace emotionslos: »Im Herbst brach dann der Krieg aus. Ich war in dieser Zeit recht unschlüssig, was ich eigentlich beginnen sollte«, um dann lakonisch seine Option und die Übersiedlung nach Deutschland, zum Bremsenhersteller Altenburger, zu erzählen, wo er als Rennfahrer und Mechaniker arbeitete.382 Doch widmet Menapace unter dem Titel »Als Soldat in Deutschland, Afrika und Italien«383 ein neunseitiges Kapitel seinen Kriegserlebnissen, in denen er verklausuliert Ängste und lebensgefährliche Situationen, aber auch positive Erfahrungen (»So genoß ich trotz des Krieges diese Art Dienst [als Dolmetscher])« berichtet. Weit kürzer kam der Militäreinsatz bei Valenta zur Sprache:

380 Möglicherweise sollten sie eine Vorstufe zu einer später abzufassenden Biografie oder Autobiografie sein. 381 Nikola Langreiter, Ein Gewinn. Österreichische Schirennfahrer in Autobiografien, in: Matthias Marschik/Georg Spitaler (Hg.), Helden und Idole. Sportstars in Österreich, Innsbruck 2006, 61–74, 62. 382 Richard Menapace, Richard Menapace erzählt, Wien 1951, 79–80. 383 Menapace, Menapace, 83–91.

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»Ich denke, wir lassen den Krieg aus […] Er war so schrecklich, und mit dem Radsport hatte er doch auch nichts zu tun«.384

Abb. 53: Cover von Rudi Valentas autobiografischem Buch »Kampf um den Goldpokal«. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Auch die Ökonomie ist selten Thema. Alle drei schildern kurz ihre Lehrlingstätigkeit (Menapace als Gärtner, Valenta als Gießer und Bulla als Kürschner, der nebenbei mit dem Rad Zeitungen auslieferte), Angst vor Arbeitslosigkeit wird nicht erwähnt, auch nicht nach 1945, als Menapace rasch eine Stelle als »Obergärtner« in Bozen annahm, während Valenta bei der Bundesbahn, später bei der Post, unterkam. Er schildert allerdings ausführlich den Hunger und die Ernährungsprobleme der Nachkriegszeit sowie die radsportlichen »Hamsterfahrten« und das Kalorien-Paradies Schweiz. Zentral wurden ökonomische Fragen nur im Kontext des Professionalismus erörtert. Bei Bulla wurde der Umstieg relativ emotionslos geschildert: »Wie bei so manchem talentierten aber unbemittelten Sportler blieb also nun die Alternative: Entweder den geliebten Sport aufgeben oder ihn zum Beruf zu machen.«385 Nach einem Jahr als Profi in Österreich wird 384 Rudi Valenta, Kampf um den Goldpokal, Wien 1956, 58. 385 Bulla, Zeitungsfahrer, 2. 3. 1946, 14.

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der Umstieg zum »Diamant«-Rennstall in Sachsen und schließlich zum Team von Oscar Egg als logische Konsequenz guter Leistungen gesehen. Immer wieder werden die enormen Summen erwähnt, die man im Radsport durch harte Arbeit und Einordnung in die Taktik des Teams verdienen konnte. Genau diese Unterwerfung war es, weshalb sich Menapace gegen die Berufsfahrerlaufbahn entschied: »Die an sich gute Bezahlung in einer Fabrikmannschaft konnte mich nicht verlocken«. Er wollte trotz finanzieller Einbußen sein eigener Herr bleiben und nicht durch eine Stallorder »gehemmt und frühzeitig verbraucht« werden.386 Für Valenta war das Profitum hingegen eine berufliche Wegmarke: Als Profi wäre »eine Leistungssteigerung […] unausbleiblich. Ich setzte mich mit dem Berufsfahrerverband ins Einvernehmen und erklärte, Profi zu werden, wenn sie mir eine vernünftige Lebensbasis zusichern könnten. Sie konnten es, ich unterschrieb und war Berufsfahrer.«387 Glaubt man den Schilderungen der drei Fahrer, dann war Zeit ihrer Karriere das Radfahren nahezu ihr einziger Lebensinhalt und -sinn. Hobbys, Freizeit oder konkrete Vorlieben, seien es hochkulturelle Interessen wie Theater oder Belletristik, seien es populärkulturelle Ablenkungen wie Kino oder Tanzen, werden nicht erwähnt, selbst die Heirat ist jeweils nur eine Fußnote. Einzig Bulla erzählt, dass er am Start der ersten Etappe der Tour de France »an alle meine Lieben in der Heimat« dachte.388 Das Leben besteht in erster Linie aus Training, fast ausschließlich auf dem Fahrrad, aus gesunder Ernährung, einem eng getakteten Tagesablauf. Im Zentrum stehen Selbstüberwindung und Askese. Bulla hatte am Beginn seines Engagements in Deutschland bereits »ein eisernes Training bei Schnee und Regen hinter sich und war nur ein Bündel von Muskeln, Sehnen und unbändiger Energie mit nicht einem Quentchen Fett«.389 Auch Menapace beschreibt exzessive Trainingsfahrten in den Südtiroler Bergen: »Schon Anfang Februar machte ich meine ersten Flitzerfahrten, obwohl noch Schneebänder die Straßen säumten. Die eisige Kälte der frühen Jahreszeit konnte meine glühende Begeisterung für das Fahren nicht dämpfen.«390 Während der Südtiroler fast wie ein Alpinist von Fahrten auf gewohnten Routen, aber auch von Glücksmomenten auf einsamen Passstraßen schwärmt, pendeln die Schilderungen Valentas zwischen Freude und Wadenkrämpfen, Übermut und verbissenem Kilometersammeln. Im Zentrum steht Selbstoptimierung sowie das Ausloten der eigenen Leistungsgrenzen. Es genügte nicht, ein »perfekter Sportler« zu sein. »Unermüdlich muß man jahraus, jahrein an seinem eigenen Körper arbeiten und auf

386 387 388 389 390

Menapace, Menapace, 35. Valenta, Goldpokal, 77. Bulla, Zeitungsfahrer, 18. 5. 1946, 14. Ebd. Menapace, Menapace, 23–24.

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vieles verzichten, um schließlich ein bißchen Erfolg zu ernten. Und je größer die Erfolge werden sollen, desto mehr muß man arbeiten.«391 Wenn das sportliche Leben vorwiegend im Rennsattel stattfindet, spielen die Fahrräder eine zentrale Rolle. Detailliert beschrieben werden die Nachteile der Tourenräder, mit denen die ersten Rennen bestritten wurden, aber auch die Freude über neue, bessere Ausrüstung. Freute sich Rudi Valenta bei seinem ersten Antreten in der Schweiz noch über »leichtere Schlauchreifen« und Seidenjerseys, die er statt der »alten ausgewaschenen, aus Zellwolle hergestellten Trikots« überstreifen durfte,392 diente sein erstes Trainingslager an der Riviera im Frühjahr 1948 der Perfektionierung von Körper und Equipment, aber ebenso dem Zusammenspiel der beiden Komponenten. Er übte nach neuen Vorbereitungsplänen und bekam nicht nur ein extraleichtes Rennrad, sondern auch »funkelnagelneue Radfahrschuhe […] mit Stahleinlage, solche, mit denen eben Bartali fuhr«. Aber auch der Fahrstil wurde wissenschaftlich optimiert: Der Betreuer hatte »so viel an mir auszusetzen, daß ich ganz verzweifelt war. Nichts paßte ihm: der Sitz war falsch, meine Armhaltung zu verkrampft, die Beine traten nicht richtig in die Pedale.«393 Was die Schilderungen aller drei Fahrer eint, ist die volle Konzentration vor dem und auf das große Ereignis, das Rennen: Das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit ist bei allen drei Fahrern enorm. Zwar bekunden alle mächtigen Respekt vor den großen Namen des Radsports, die geradezu ehrfürchtig aufgezählt werden, um aber dann doch der Überzeugung Platz zu machen, dass mit listiger Taktik, dem Ausbleiben von Defekten, etwas Rennglück und höchstem Einsatz bis zur Erschöpfung auch die Stars bezwungen werden können. Ging es nicht gerade um Top-Ereignisse wie den Giro, die Tour de France oder eine Weltmeisterschaft, waren alle drei von ihrer konkreten Siegeschance überzeugt, und nur ein taktischer Fehler oder eine Serie von Defekten, vom Lenkerbruch bis zum Reifenschaden im entscheidenden Moment des Rennens, konnte das verhindern. Mitunter war sogar ein solches Manko aufzuholen: »Mitten in einer Jagd hatte ich Reifenschaden und wie auf Kommando legten meine Konkurrenten daraufhin erst recht los. Sie waren nicht wenig erstaunt, als ich 15 Kilometer später – völlig allein fahrend – wieder bei ihnen auftauchte.«394 Zwar werden große Siege ausführlich geschildert, wobei den Autoren mitunter die Begriffe fehlen, das Glücksmoment zu beschreiben. Verblüffend ist jedoch die Selbstverständlichkeit, mit der die eigene Leistungsfähigkeit wahrgenommen 391 392 393 394

Bulla, Zeitungsfahrer, 6. 4. 1946, 14. Valenta, Goldpokal, 69. Valenta, Goldpokal, 78. Bulla, Zeitungsfahrer, 1. 6. 1946, 14.

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Abb. 54: Richard Menapaces Biografie

wird, sofern man alles in die Waagschale wirft. Seinen ersten großen Erfolg kommentierte Valenta so: »Am glücklichsten machte mich dabei, daß ich nach einem wirklich ernsthaften Kampf Sieger geworden war. Entbehrungen und Strapazen, Hunger, Durst und Müdigkeit bis zum Umfallen lohnten sich also, das war mir jetzt aufgegangen.«395 Bei vielen Rennsiegen scheint der Erfolg selbstverständlich, wenn die Rahmenbedingungen passen und man selbst das Maximum aus sich herausholt. Bei der letzten Etappe der »Tour d’Autriche« 1949 kam Menapace, gegen jeden Rat der Trainer, »plötzlich der Gedanke abzuhauen. Ich spurtete den ersten Berg hinauf, nur Gandolfi und Wiesner vermochten mir mit einigen Radlängen Abstand zu folgen: In der darauffolgenden Abfahrt ließ ich mich von diesen beiden einholen, spurtete aber auch den nächsten Berg wieder hinan. Jetzt konnten mir auch die beiden nicht mehr nachkommen.« Schließlich kam Menapace »mit vollen 13 Minuten Vorsprung« im Ziel in Wien an,396 ohne das irgendwie als außerordentlichen Triumph zu verbuchen. Neben solchen einsamen Siegen gab 395 Valenta, Goldpokal, 53. 396 Menapace, Menapace, 35.

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es auch Endspurts, die um Reifenbreite entschieden wurden. Es gab harte Kämpfe gegen Konkurrenten und das reibungslose Zusammenspiel einer Verfolgergruppe, ganz selten wurde auch das Gegenteil, nämlich die Uneinigkeit zwischen verschiedenen Fahrern, geschildert. So dürften, zieht man die Autobiografien heran, auch die Kontakte zwischen den Stars des österreichischen Nachkriegs-Radsports nicht friktionsfrei gewesen sein. Während Valenta über seinen Mentor, väterlichen Freund und Manager Ferry Dusika kein schlechtes Wort verliert, spricht er über Max Bulla sehr distanziert und ist vor allem frustriert, als Bulla, der beim Bol d’Or überraschend in der Box Valentas auftaucht, diese bald wieder verlässt: »Für ihn war es uninteressant geworden«. Auch von Menapace war Valenta enttäuscht: »Wenn ich anfangs noch glaubte, von dem kleinen Südtiroler […] etwas zu lernen, wurde mir bald klar, daß diese Annahme unrichtig war. Da er nämlich in mir seinen größten Rivalen sah, hüllte er sich mir gegenüber in Schweigen.«397 Bei Menapace wird Bulla sehr distanziert beschrieben, wenn er auch lobt, dass dieser »es mit eigener Kraft, ohne jegliche Unterstützung, zu internationalem Rennfahrerruhm gebracht« hatte. Dusika kommt weder als Fahrer noch als umtriebiger Manager vor und Valenta, obwohl immerhin Teamkollege in der Nationalmannschaft bei der »Tour d’Autriche« 1948, wird nur indirekt angesprochen, indem Menapace »Unstimmigkeiten mit den anderen Fahrern des Teams« erwähnt.398 Nicht die Auseinandersetzungen mit Konkurrenten, sondern der rücksichtslose Kampf mit und gegen sich selbst steht im Mittelpunkt der Erzählungen: »Mit einer letzten Anstrengung, bei der ich glaubte, meine inneren Organe lösten sich vor Schmerz in Atome auf, überspurtete ich meinen Rivalen und durchfuhr, mit nur einer Radlänge Vorsprung, umjubelt das Ziel.«399 Es gibt Siege, die mit letztem Einsatz erkämpft und solche, die mit scheinbarer Leichtigkeit errungen werden. Aber auch diese scheinbar einfachen Erfolge sind nur durch vorhergehende Qualen möglich. So sind im Radsport Selbstausbeutung und Selbstoptimierung zwei Seiten einer Medaille. Vor allem aber ist harte Arbeit an sich selbst, vielleicht noch krasser als in anderen Sportarten, keineswegs Garant für Siege. So zeigt sich der Radrennsport in den drei Autobiografien letztlich als harte und unbarmherzige Männerwelt.400 Veranstalter und Rennställe, Manager und Promoter, Medien und Publikum geben die Rahmenbedingungen vor, in denen sich körperlich wie geistig fitte Individuen unter extremem Einsatz bewähren müssen und wo besondere »Helden« dafür ideelle und materielle Gratifikationen einheimsen. Was allen drei Texten fehlt, ist eine Kritik 397 398 399 400

Valenta, Goldpokal, 73–74 und 180. Menapace erzählt, 49 und 107. Valenta, Goldpokal, 73. Das überrascht besonders bei Max Bulla, war doch seine Gattin Josefine Sapletan Mitte der 1920er-Jahre selbst eine erfolgreiche Radrennfahrerin.

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an diesem System. Eine Reflexion findet sich nur ansatzweise in ironischen Formulierungen im journalistischen Text von und über Bulla401 und in den ständigen Selbstzweifeln von Rudi Valenta. »Österreich« ist in allen drei Texten lediglich eine Randnotiz. So wie der Sieg bei einer »österreichischen Meisterschaft« nicht am nationalen Titel, sondern an der Qualität der Gegner bemessen wird, so ist auch ein Erfolg »für Österreich« bestenfalls ein erfreulicher Nebeneffekt. Natürlich denkt Bulla bei den Rennen im Ausland immer wieder an seine Heimat Österreich, selbstverständlich ist Valenta stolz, Österreich zu repräsentieren und gerade der Südtiroler Menapace tröstete sich »einigermaßen«, dass trotz seiner Niederlage wenigstens »der Österreicher Valenta« die erste Etappe der »Tour d’Autriche« gewann.402 Im Gegensatz zum Nationalstolz, den etwa Spieler des Fußball-Nationalteams äußern, wenn sie für »ihr« Land antreten dürfen, scheint die Nation im Individualsport Radfahren etwas zu sein, das durch Publikum, Politik und Medien an die Fahrer herangetragen wird. Es ist Bürgermeister Körner, der Menapace zum Sieg »für Österreichs Farben« gratulierte, es sind die Zeitungen, die die Chancen der »Österreicher« taxieren, und es ist das begeisterte Publikum, das nach einem österreichischen Sieg »einmal […] dasselbe denken und wünschen« konnte. Freilich: Als nach seinem zweiten Rundfahrt-Sieg »die österreichische Nationalhymne erklang«, standen selbst Richard Menapace »vor Rührung die Tränen in den Augen.«403

401 Ein Beispiel: »Am Fischamender Bergl sah Max endgültig nur mehr gebeugte Rücken, und die verschwanden mehr und mehr. ›Da heißt es noch viele Knödel essen‹, sagte er sich und ein defekter Reifen pfiff höhnisch seine Begleitmusik dazu. Was blieb da noch anderes übrig, als aus dem Sattel zu steigen und resigniert wienerisch ›Geh’n ma ham und sag’n ma, es war nix‹ zu murmeln«; Bulla, Zeitungsfahrer, 2. 3. 1946, 14. 402 Menapace, Menapace, 101. 403 Menapace, Menapace, 129.

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Sport und Mediensport 1945–1950

Medialisierung ist ein wesentliches Charakteristikum der Etablierung des modernen Sportgeschehens kurz vor und um 1900. Die Verbreitung und Internationalisierung des Sports bedingte, dass die Leistungen bewunderter AthletenInnen oder favorisierter Teams nicht ständig unmittelbar in »Augenschein« genommen werden konnten.1 Zugleich führte die Medienberichterstattung zu einer Vergesellschaftung sportlicher Werte und Bedeutungszuschreibungen.2 Tages- und Wochenzeitungen, aber auch Illustrierte, begannen, Sportberichte abzudrucken. Viktor Silberers »Allgemeine Sport-Zeitung« war das erste3 erfolgreiche reine Sportmedium Österreichs, es folgten 1911 das »Illustrierte Sportblatt« und nach 1918 das täglich erscheinende »Sport-Tagblatt«. In den 1920er-Jahren entstand eine Vielzahl von Sparten-, Vereins- und Verbandszeitungen und -zeitschriften, sowohl im Bereich des bürgerlichen als auch des Arbeitersports. Abgesehen von inhaltlichen Verschiebungen änderte sich diese Struktur auch im Austrofaschismus kaum. Novitäten der Zwischenkriegsjahre waren lediglich die fotografische Unterfütterung der Sportberichterstattung, die nach den statischen Abbildungen der Anfangsjahre zunehmend imstande war, Rasanz und Bewegung einzufangen, sowie die Präsenz des Sports im Radio. Die Radio-LiveBerichterstattung ermöglichte neue Aspekte des Mediensports.4 Ab dem März 1938 wurde die Sport- und vor allem die Bildberichterstattung über Sport in den

1 Matthias Marschik, Moderne und Sport. Transformationen der Bewegungskultur, in: Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Otto Penz/Georg Spitaler (Hg.), Sport Studies, Wien 2009, 23–34. 2 Otto Penz, Produktion und Kodes des Mediensports, in: ebd., 38–50. 3 Die »Illustrierte-Sport Zeitung« (1878–1879) wurde zwei Jahre früher gegründet, konnte aber nicht reüssieren. Rudolf Müllner, Der Urvater der Österreichischen Sportpublizistik: Victor Silberer (1846–1924), in: Matthias Marschik/Rudolf Müllner (Hg.), »Sind’s froh, dass Sie zu Hause geblieben sind.« Mediatisierung des Sports in Österreich, Göttingen 2010, 129–138. 4 Theodor Venus, Sport im Rundfunk. Die Entwicklung der aktuellen Sportberichterstattung im österreichischen Hörfunk 1924–1938, in: Marschik/Müllner, Sind’s froh, 67–76.

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Sport und Mediensport 1945–1950

Medien noch ausgebaut.5 Jüdische Journalisten wurden radikal »entfernt«, der Sportjournalismus ideologisiert. Wie der Sport sollte auch die Sportpresse Normalität suggerieren und Konflikte kalmieren.6 In der Praxis war die Bandbreite enorm: Artikel, die nationalsozialistische Ideale propagierten, standen neben Beiträgen, die sich kaum von der Berichterstattung von vor 1938 unterschieden. Zudem fanden sich mitunter auf den Sportseiten Themen und Konflikte, die in anderen Ressorts unsagbar waren: Eine enorme Kluft von Anspruch und Wirklichkeit kann konstatiert werden.7 Noch im April 1945 tauchten im »Neuen Österreich« wieder Meldungen zu den Themen »Sport« und »Fußball« auf, Ankündigungen erster Freundschaftsspiele sowie Aufrufe an Aktive und Funktionäre, sich zur Wiedererrichtung des Sports zusammenzufinden.8 Die Ankündigung des ersten Radrennens erfolgte für den 15. Juli. Auf dem traditionellen »Prater-Rundkurs« waren Bewerbe »in allen Klassen« ausgeschrieben. Nennungen waren beim Sekretariat des »Österreichischen Radsport-Verbandes« abzugeben, der sich also offenbar schon wieder konstituiert hatte.9 Und auch die Stars des Radsports tauchten im Laufe des Juli wieder auf, wie die »Oberösterreichischen Nachrichten« überrascht meldeten, als ein Reporter Max Bulla entdeckte, der mit dem Rad durch Linz spurtete.10 Der Verband wurde neu gegründet, die ersten Rennen geplant, die Stars kehrten zurück auf die Bühne – und auch die Zeitungen berichteten wieder über den Radsport: Auf den ersten Blick schien die Ausblendung der sieben NS- und der sechs Kriegsjahre perfekt zu gelingen. Doch schon ein Blick auf die massiven Veränderungen der Medienlandschaft verdeutlicht die Brüchigkeit der intendierten Konstruktion.

Sportberichterstattung in Printmedien, Radio und Wochenschau Die Sportberichterstattung der späten 1940er-Jahre zeigt in der Retrospektive ein auffallend einheitliches Erscheinungsbild, zieht man ihre extreme Fragmentierung in Betracht. Auch und gerade in der Zeit des Wiederaufbaus präsentierte sich der Sport in seiner medialen Inszenierung als neutrales und »unpolitisches« 5 Erik Eggers, Die Geschichte der Sportpublizistik (bis 1945): Von der Turnpresse im 19. Jahrhundert zur gleichgeschalteten Sportpresse im »Dritten Reich«, in: Thomas Schierl, Handbuch Medien, Kommunikation und Sport, Schorndorf 2007, 10–24. 6 David Forster, »Deutsche Sportpresse an die Front«. Sportjournalismus in der »Ostmark«, in: Marschik/Müllner, Sind’s froh, 218–227. 7 Matthias Marschik, Sportdiktatur. Bewegungskulturen im nationalsozialistischen Österreich, Wien 2008, 621–622. 8 Neues Österreich, 24. 4. 1945, 4; 30. 4. 1945, 4. 9 Neues Österreich, 6. 7. 1945, 4. 10 Oberösterreichische Nachrichten, 27. 7. 1945, 4.

Sportberichterstattung in Printmedien, Radio und Wochenschau

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Terrain.11 Die Medienproduktion war geprägt von den Zerstörungen des Krieges und damit verbundenen technischen Unzulänglichkeiten sowie den Zonengrenzen und Transportschwierigkeiten, wobei eine Regionalisierung der Sportpraxen und auch der Berichterstattung zu konstatieren war. Dazu kamen die Einflüsse der Alliierten, der politischen Parteien und der wieder entstandenen Einfluss-Sphären der Dachverbände ASKÖ, Sport-Union und ab 1948 des ASVÖ sowie in der Anfangszeit auch der – bald kommunistisch orientierten – »Zentralstelle für die Wiedererrichtung des österreichischen Sports« (ZÖS).12 Betroffen davon waren nicht nur Meldungen über das Sportgeschehen im Ausland, sondern auch über jenes in anderen Zonen, die anfangs oft erst mit tagelanger Verspätung in den Redaktionen eintrafen.13 Im Sektor der Tageszeitungen erschien ab 15. April 1945 die sowjetische »Österreichische Zeitung«, ab 23. April das Dreiparteienorgan »Neues Österreich«. Ab 21. September durfte dann in Wien je ein Parteiblatt von ÖVP, SPÖ und KPÖ herausgegeben werden. Nachdem die US-Besatzer schon im Juni 1945 die »Salzburger« und »Oberösterreichischen Nachrichten« publizierten, wurde das Modell der Lizensierung je einer parteipolitisch zugeordneten Zeitung auch auf die westlichen Zonen angewendet.14 Das bedingte Ende 1945 die enorme Zahl von 32 Tageszeitungen, von denen 26 Neugründungen waren. Die Versorgung mit Nachrichten erfolgte primär durch die Nachrichtenagenturen der Besatzungsmächte, die Niederlassungen in Österreich etablierten. Im Herbst 1945 wurde im Bundeskanzleramt die »Amtliche Nachrichtenstelle« wiederbelebt und 1946 in die »Austria Presse Agentur« umgewandelt. Auch bezüglich der Sportseiten bedingte diese Konstellation einen anfangs direkten, nach der Lizenzübertragung an österreichische Herausgeber im Herbst 1946 indirekten Einfluss der Besatzungsmächte, vor allem aber massive Zugriffsmöglichkeiten der Sport-Dachverbände. Die journalistische Kontinuität zur NS-Zeit war beträchtlich. Zwar wurden rund zehn Prozent der Anträge in der Journalistengewerkschaft wegen großer Nähe zum NS-Staat abgelehnt, doch waren ungefähr 40 Prozent der Journalisten schon in der NS-Zeit tätig gewesen, 30 Prozent hatten nur vor 1938 journalistische 11 Matthias Marschik, Sport als »leerer Signifikant«: Die Neutralisierung des Sportes als Bedingung seiner kulturellen Bedeutungen, in: Matthias Marschik, Bewegte Körper. Historische Populärkulturen des Sports in Österreich, Wien 2020, 26–33. 12 Manfred Mugrauer, Die Sportpolitik der KPÖ, in: Mitbestimmung. zeitschrift für demokratisierung der arbeitswelt, 40 (2011) 1, 7–12. 13 Martin Maier, Wir bauten uns ein Schloß aus Druckerschwärze, in: Josef Strabl (Hg.), Wir Sportreporter. 100 Jahre österreichische Sportpresse, Wien 1980, 85–92. 14 Wolfgang Müller, Informationsmedien in der »Besatzungszeit«: Tagespresse, Rundfunk, Wochenschau 1945–1955, in: Matthias Karmasin/Christian Oggolder (Hg.), Österreichische Mediengeschichte, Bd. 2: Von Massenmedien zu sozialen Medien (1918 bis heute), Wiesbaden 2019, 75–98, 82.

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Erfahrungen gesammelt.15 Geprägt war der Markt der Printmedien durch massive Papierknappheit: Die Zeitungen umfassten meist vier Seiten in kleiner Schrift, mit oft mangelhafter Papierqualität und wenigen Bildern. Das Sportressort musste mit maximal einer halben Seite pro Ausgabe auskommen. Auch nach dem Ende der Rationierung von Rotationspapier im März 1949 blieb der Parteieneinfluss auf den Tageszeitungsmarkt enorm, unabhängige Blätter wie die »Presse« oder die »Kleine Zeitung« erschienen erst ab Herbst 1948, das erste Boulevardblatt, der »Bildtelegraf«, gar erst 1954.16 Es ist auffallend, dass sich in Österreich trotz der restriktiven Rahmenbedingungen schon früh etliche illustrierte Wochenblätter etablieren konnten. Auch deren Lizenzen wurden nach parteipolitischen Kriterien vergeben: Es begann noch 1945 mit der sozialdemokratischen »Wiener Bilderwoche«, es folgte die »WeltIllustrierte« der KPÖ, während die ÖVP erst 1949 die »Große Österreich Illustrierte« lancierte. Dazu kamen mit »Film« und der »Wiener Illustrierten« zwei unabhängige Blätter sowie ab 1948 die innovative Bilderbeilage des »Kurier«.17 Schon 1946 wurde das Angebot durch zwei reich bebilderte Sportzeitschriften ergänzt, die »Sport-Schau« und »Wiener Sport in Bild und Wort«. Dazu kam im gleichen Jahr das Wochenblatt »Sport-Funk« sowie 1949 »Sport und Toto«. Die »Sport-Schau« und der »Wiener Sport« stachen durch hohe Text- und Bildqualität, aber auch durch die Verwendung des Kupfertiefdruckverfahrens heraus, das trotz schlechter Papierqualität ansehnliche Zeitungen entstehen ließ. Die »Sport-Schau« erschien vom Jänner 1946 bis zum August 1953 und wurde vom Sozialdemokraten Hans Schwendenwein herausgegeben, der der katholischen Widerstandsbewegung um Karl Rössel-Majdan und Karl Kastelic angehört hatte.18 Der »Wiener Sport« existierte vom Jänner 1946 bis zum Herbst 1949. Herausgeber waren zunächst Heinrich Post und ab 1947 Julius Mars-Marsidouscheg. Beide hatten im Krieg für die »Kleine Volks-Zeitung« geschrieben. Mars-Marsidouscheg hatte ab 1934 beim »Telegraf« gearbeitet, wo er sich zum stadtbekannten Lokalreporter entwickelte, zudem leitete er die Boulevard-Zeitung »7-Tage-Blatt«.19 1945 15 Fritz Hausjell, Journalisten gegen Demokratie oder Faschismus. Eine kollektiv-biographische Analyse der beruflichen und politischen Herkunft der österreichischen Tageszeitungsjournalisten am Beginn der Zweiten Republik (1945–1947), Frankfurt/M./Bern/New York 1989, 98–101. 16 Ebd., 83. 17 Marion Krammer, Rasender Stillstand oder Stunde Null? Österreichische PressefotografInnen 1945–1955, Wien 2022, 50. 18 N. N., Karl Rössel-Majdan, Handschlag genügt, URL: https://www.doew.at/erinnern/biogra phien/erzaehlte-geschichte/widerstand-1938-1945/karl-roessel-majdan-handschlag-genuegt (abgerufen 22. 8. 2022). 19 Peter Sonnenberg, Medienkontrolle während der NS-Zeit. Eine kollektiv-biographische Analyse ausgewählter Journalisten der 1938 verbotenen Wiener Tageszeitungen »Wiener Tag« und »Telegraf«, Diplomarbeit Universität Wien 2009, 63–65.

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wurde er Lokalredakteur der sowjetischen »Österreichischen Zeitung«, ab 1946 war er Kassier im Syndikat der Sportjournalisten. Der Rundfunkbetrieb wurde trotz der Zerstörung vieler Anlagen und der Beschlagnahmung von Equipment durch die Alliierten schon Ende April zunächst in Wien wieder aufgenommen. In der Folge wurde das Radio nach den vier Besatzungszonen aufgeteilt: Das sowjetische »Radio Wien« bespielte Niederösterreich, »Rot-Weiß-Rot« die amerikanische, »Alpenland« die britische und die »Sendergruppe West« die französische Zone. Die Alliierten übten relativ starke Zensur, behielten die Oberkontrolle und beeinflussten die Programmgestaltung. Stand anfangs Unterhaltung im Mittelpunkt, wurden die Programme zusehends politisiert. Eine sukzessive Übergabe an österreichische Betreiber erfolgte erst ab 1953. Dem Sport wurde ein großer Stellenwert zugesprochen, in diesem Bereich kam es auch zunehmend zu Kooperationen, gerade auch bei der Live-Berichterstattung von nationalen Großereignissen. Das dominierende audiovisuelle Informationsmedium schließlich war und blieb ab 1945 die Wochenschau, auch sie wurde von den alliierten Mächten produziert. Bis 1949 gab es eine sowjetische, eine kombinierte US-amerikanische, eine britische sowie eine französische Wochenschau, der anfangs intensive Austausch von Material wurde sukzessive reduziert.20 1949 gelang es, eine staatlich verwaltete und von SPÖ- und ÖVP-nahen Filmgesellschaften (»KIBA« und »Sascha«) produzierte »Austria-Wochenschau« zu installieren. Erster Geschäftsführer war Ernst Marboe. Spielte der Sport in den alliierten Wochenschauen eine wichtige Rolle, freilich beschränkt auf Großereignisse wie Olympia und auf nationaler Ebene fokussiert auf Fußball und Skisport, wurde er ab 1949 zu einem zentralen Topos der Heimat.21

Sportjournalismus nach 1945 Der Sportjournalismus musste sich im Jahr 1945 personell weitgehend neu aufstellen. Zum einen konnte das jüdische Sportfeuilleton nur mehr rudimentär wieder belebt werden, waren seine Proponenten doch teils emigriert, wie Arthur Baar oder Leo Schidrowitz, teils ermordet worden wie Emil Reich22 oder Paul Kolisch. Zum anderen waren etliche während der NS-Jahre in Wien tätige Journalisten politisch untragbar. Das galt besonders für die Radioreporter Theo 20 Karin Moser, Propaganda- und Gegenpropaganda. Das »kalte« Wechselspiel während der alliierten Besatzung in Österreich, in: Medien & Zeit 17 (2002) 1, 27–42. 21 Hans Petschar/Georg Schmid, Erinnerung & Vision. Die Legitimation Österreichs in Bildern. Eine semiohistorische Analyse der Austria Wochenschau 1949–1960, Graz 1990. 22 Alfred Pfoser, Der Sportessayist der 1920er Jahre: Emil Reich (1884–1944), in: Marschik/ Müllner, Sind’s froh, 139–148.

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Ehrenberg, Balduin Naumann, Max Lange und Erich von Kunsti.23 Aber auch die Stars der Sportpublizistik wie etwa der im Dezember 1945 verstorbene Max Leuthe24 oder Wilhelm Schmieger waren durch ihre Aktivitäten während der NSZeit diskreditiert. Schmieger schrieb zwar noch für das »Kleine Volksblatt« und versuchte ein Comeback im Radio, konnte jedoch an seine frühere Popularität nicht mehr anschließen.25 Die Sportjournalistik der Nachkriegsjahre gruppierte sich rund um Remigranten26 wie Maximilian Reich,27 Robert ›Nazl‹ Brum,28 Viktor Brod und Rudolf Löhner sowie um Erwin Müller, der als »Halbjude« den NS-Staat als »Erwin Nindl« überlebt hatte. Dazu kamen der SPÖ nahe stehende Autoren wie Martin Maier, Josef Strabl oder Otto Hollborn, der KPÖ verbundene Journalisten wie Ludwig Stecewicz29 und konservative Kräfte wie Josef Graf und Kurt Jeschko. Auch viele dieser Journalisten hatten eine einschlägige NS-Vergangenheit. So hatte Josef Strabl bis zum März 1938 den »Revolutionären Sozialisten« angehört, war aber spätestens 1941 für den »Völkischen Beobachter« tätig.30 Kurt Jeschko arbeitete, abgesehen von seinen Sportberichten, für die NS-Zeitschrift »Die Wehrmacht« und ab 1944 für das »Deutsche Nachrichtenbüro«. Jeschko wurde bis 1956 (!) als »belastet« eingestuft.31 Dazu kamen etliche junge Sportredakteure 23 Naumann, Ehrenberg und Lange wurden in Volksgerichtsprozessen angeklagt und verurteilt: Theodor Venus, Sport im Rundfunk: 1945–1964, in: Marschik/Müllner, Sind’s froh, 77–86, 79; Kunsti arbeitete kurz bei »Rot-Weiß-Rot«, wurde aber 1946 wegen seiner politischen Vergangenheit entlassen: Gisela Säckl, Erich Kunsti – Wegbereiter »lebendiger« Radioberichterstattung, in: Medien & Zeit 19 (2004) 3, 25–31. 24 Matthias Marschik/Christian Schreiber, »Ich bin der Begründer des Wiener Fußballsports«. Die Geschichte(n) des Max Johann Leuthe, in: SportZeiten 9 (2009) 2, 7–26. 25 Bernhard Hachleitner, Der Radiostar Wilhelm »Willy« Schmieger (1887–1950), in: Marschik/ Müllner, Sind’s froh, 158–168, 167. 26 Wie die Auflistung zeigt, war Sportjournalismus ausschließlich männlich; Johanna Dorer/ Matthias Marschik, Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in der Sportberichterstattung, in: Johanna Dorer/Brigitte Geiger/Brigitte Hipfl/Viktorija Ratkovic´ (Hg.), Handbuch Medien und Geschlecht, Wiesbaden 2023, URL: https://doi.org/10.1007/97 8-3-658-20712-0_58-1 (abgerufen 21. 12. 2022). 27 Maximilian Reich/Emilie Reich, Zweier Zeugen Mund. Verschollene Manuskripte aus 1938 Wien – Dachau – Buchenwald, hg. v. Henriette Mandl, Wien 2007. 28 Zu Müller, Reich und Brum siehe Gerhard Urbanek, Österreichs Deutschland-Komplex. Paradoxien in der österreichisch-deutschen Fußballmythologie. Wien/Berlin 2012, 99–103. 29 Ludwig Stecewicz, Sport und Diktatur. Erinnerungen eines österreichischen Sportjournalisten 1934–1945, hg. v. Matthias Marschik, Wien 1996; Manfred Mugrauer, Die Politik der KPÖ 1945–1955. Von der Regierungsbank in die innenpolitische Isolation, Göttingen 202, 285. 30 N. N., Illegale Zentren und Treffpunkte der Revolutionären Sozialisten, URL: http://www.das rotewien.at/seite/illegale-zentren-und-treffpunkte-der-revolutionaeren-sozialisten (abgerufen 22. 11. 2022); Urbanek, Komplex, 252. 31 Edgar Schütz, »Einen Handkuss den Damen…«: Kurt Jeschko (1919–1973), in: Marschik/ Müllner, Sind’s froh, 258–267, 260.

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wie Alfred und Richard Nimmerrichter, Fritz Senger, Edi Finger (Klagenfurt), Franz Pilsl (Linz) oder Heribert Meisel (Salzburg). In der Anfangsphase litten die Sportressorts besonders in den Tageszeitungen sowohl an Platz- als auch an Informationsmangel. Das führte einerseits zu kurzen Ereignisberichten, die mit Tabellen und Ergebnislisten unterfüttert wurden, zum anderen zu oft erheblichen Verzögerungen, sodass Berichte aus anderen Zonen erst mit mehrtägiger Verspätung erschienen. Zusätzlich beschränkt wurde der Raum für nationale Sportberichte durch Auslandsmeldungen aus dem Land des jeweiligen Lizenzinhabers. So waren je nach Medium ausführliche Berichte über den Sowjetsport, amerikanische Ereignisse oder eben englischen Fußball zu lesen. Der für den Sport zur Verfügung stehende Raum erweiterte sich sukzessive, eine erhebliche Expansion ist aber erst 1949 mit der Aufhebung der Papier-Rationierung zu konstatieren. Erst ab diesem Zeitpunkt kamen zur aktuellen Berichterstattung auch Glossen und Kommentare dazu, zunächst ab 1949 von Kurt Bernegger in den »Salzburger Nachrichten«, dann von Heribert Meisel im »Kurier«. Ab dieser Zeit vermehren sich auch Gastkommentare, wenn beispielsweise Max Bulla im »Kurier« exklusiv von der Österreich-Rundfahrt 1950 berichtete. Ansonsten waren die Beiträge kaum einmal gezeichnet, bestenfalls wurde der Autor durch Initialen kenntlich gemacht. Auffallend war die stilistische Ambivalenz. Viele Artikel schlossen an eine martialische Sportsprache an, wie sie gerade auch für die NS-Sportpresse typisch war – wenn etwa von »Schlachten«, von »mörderischen Kämpfen« und »Frontbegradigungen« geschrieben und Kampf und enormer Einsatz gelobt, Entbehrungen und Strapazen betont wurden. Oft schien es aber auch, als ob diese Formulierungen mit einem Augenzwinkern gewählt waren. Denn kontrastiert wurde die harte männliche Sportsprache – zumindest wenn Platz zur Verfügung stand – durch fast lyrische Formulierungen, ausschweifende Schilderung von Nebensächlichkeiten, ironische Wendungen oder so manche Wortspiele, wenn etwa »der Staatsmeister Sitzwohl nicht so wohl im Sitz sitzt, wie man es eigentlich erwartet hatte…«.32 Was auf den Sportseiten der Tageszeitungen nur begrenzt möglich war, wurde in den Sportillustrierten breit ausgestaltet. Dort wurden Stimmungsbilder von Sportereignissen ausgebreitet, dort wurden Essays, ja Sportfeuilletons, verfasst, die den Vergleich mit den 1920er-Jahren nicht zu scheuen brauchten.33 Verantwortlich dafür waren primär die Chefredakteure, zunächst Martin Maier34 bei der »SportSchau« und Erwin Müller beim »Wiener Sport in Bild und Wort«. Dazu kam, dass die beiden Blätter Fotos der besten Sportfotografen wie Franz Votava, Mario Wi32 Neues Österreich, 25. 7. 1950, 5. 33 Matthias Marschik, »Ein Schloß aus Druckerschwärze«: Sportjournalismus im Wiederaufbau, in: Marschik/Müllner, Sind’s froh, 228–237. 34 Martin Maier, Wir bauten uns ein Schloß aus Druckerschwärze, in: Josef Strabl (Hg.), Wir Sportreporter. 100 Jahre österreichische Sportpresse, Wien 1980, 85–92.

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Abb. 55: Richard Menapace liest eine Kritik über seine Leistungen. Bild: Archiv Toni Egger

beral oder Franz Fremuth, Franz Blaha, seltener auch von Lothar Rübelt verwendeten, die ja ihre Bilder in der Tagespresse kaum publizieren konnten. Der Radsport, und zwar sowohl das nationale als auch das internationale Renngeschehen, insbesondere die Tour de France, spielte in beiden Illustrierten eine große Rolle. Ab 1949 publizierte die »Sport-Schau« besonders umfangreiche Nummern anlässlich der Österreich-Rundfahrt und des Rennens »Wien – Graz – Wien«, die sichtlich an französischen Vorbildern der 1930er-Jahre orientiert waren. Was mit den Jahren deutlich zunahm, war eine patriotische Grundhaltung, nicht nur bei Fußball-Länderspielen oder internationalen Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen 1948, sondern auch im Radsport. Von den meisten Zeitungen war 1948 heftig kritisiert worden, dass die Tour d’Autriche nur wegen grober Unstimmigkeiten im österreichischen Team an den Franzosen Colliot gegangen war. So wurde im Jahr darauf ein nationaler Geist beschworen: Menapace sei »der einzige aussichtsreiche Bewerber des österreichischen Teams, er muß von allen heimischen Fahrern unterstützt werden. An und für sich eine Selbstverständlichkeit«, dass sie diesmal »alle Klub-, Firmen- und Länderinteressen zurückstellen und für einen Sieg der rotweißroten Farben kämpfen«.35 Zudem sah man Österreich spätestens ab Ende der 1940er-Jahre in den Rang einer gleichberechtigten (Sport-)Nation aufsteigen: »Was die Zuschauer bei der [sic] ›Giro L’Italia‹, der ›Tour de France‹ und sonst all den großen Radrennen anzieht, das trifft in dem35 Weltpresse, 27. 7. 1950, 5.

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selben Maße bei der ›Tour de Autriche‹ [sic], der alljährlichen Oesterreich-Rundfahrt zu. Jubelnde Menschen zu beiden Seiten der Straße und ein Begeisterungssturm ohnegleichen trägt förmlich die Fahrer, steigert sie zu großen, mehr noch zu imposanten Leistungen und macht es verständlich, warum man die Renngrößen Kapazitäten nennt, sie zu Giganten stempelt.«36 Einige Zeitungen begnügten sich nicht mit ausführlicher Berichterstattung, sondern unterstützten den Radsport auch direkt. Besonders die französische »Welt am Abend«, die sich schon durch eine umfangreiche Berichterstattung zum Radsport hervortat, trat 1947 als Veranstalter des Rennens »Quer durch Österreich« hervor. Das »Kleine Volksblatt« veranstaltete die Österreichische Straßenmeisterschaft 1948. Doch auch andere Zeitungen unterstützten einzelne Etappen oder spendeten Sachpreise, wenn etwa der »Kurier« die Verpflichtung von Hendrickx für »Wien – Graz – Wien« sponserte. Speziell bei den Großereignissen der Österreich-Rundfahrt und dem Rennen »Wien – Graz – Wien« entsandten etliche Zeitungen Sonderberichterstatter, die zum Teil sogar mit eigenen Autos dem Rennen folgten. Den größten Einfluss auf eine weitere Popularisierung des Radsports hatten jedoch Radio und Wochenschauen, wurden hier doch auch weniger am Sport Interessierte angesprochen. Bei »Radio Wien« betraute man im Herbst 1946 den unerfahrenen, erst 22-jährigen Fritz Senger mit der Leitung der Sportabteilung. Da anfangs weder Übertragungswagen noch Aufzeichnungsgeräte zur Verfügung standen, konnten Sportreportagen nur zeitversetzt, oft Tage nach dem Ereignis, erfolgen. So wurde zunächst nur aus dem Studio informiert, täglich in der Sendung »Sport und Musik«. Jeden Freitag gab es eine Vorschau auf den Wochenendsport und ab Sommer 1946 eine weitere tägliche Sendung »Aus der Welt des Sports«. Die Erfolge der Sportberichterstattung zwangen auch die anderen Sender, dem Beispiel von »Radio Wien« zu folgen. Ab 1947 wurde die Sportberichterstattung zunehmend aktueller, es gab Direktberichte von Fußball-Länderspielen und der Eishockey-WM in Prag. Der erste Großeinsatz erfolgte anlässlich der Olympischen Winterspiele in St. Moritz, wobei alle Sender Sonderberichterstatter entsandt hatten. Ab diesem Zeitpunkt gab es auch einen intensivierten Austausch zwischen den Sendergruppen.37 Ab 1949 konnte von den großen Radereignissen direkt berichtet werden, so wurde die Österreich-Rundfahrt von einem Sendewagen von »Rot-Weiß-Rot« mit Reportern von allen Sendern begleitet. Solange die Wochenschauen von den Alliierten produziert wurden, blieb der nationale Sport auf einzelne Berichte von Fußballspielen und Ski-Wettkämpfen beschränkt. Das änderte sich ganz markant mit der Etablierung der »AustriaWochenschau«, die sofort eine »laute, euphoristische und überdimensionierte 36 Volkswille, 25. 7. 1950, 4. 37 Venus, Rundfunk, 80–84.

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Abb. 56: Max Bulla (li.) mit dem Sportreporter Heribert Meisel um 1950. Bild: Nachlass Max Bulla

Hervorhebung sportlicher Ereignisse« betrieb, die im Gegensatz zur sublimeren und indirekteren Inszenierung hochkultureller nationaler Größe steht. Beide zusammen, Hochkultur und Sport, nehmen jedenfalls von Beginn an »privilegierte Positionen im Zeichensystem der Austria-Wochenschau ein. Die Erfolge von Sportlern, […] die Ehrungen der verdienten Helden durch Mitglieder der Regierung und den Bundespräsidenten bestätigen die Transferierung einer agonalen, wenn nicht kriegerischen Komponente auf einen anderen Schauplatz«. Dabei wird in den Wochenschauen allerdings ein klarer Fokus gesetzt: Obwohl Fußball und Eiskunstlauf »weiterhin äußerst populär bleiben und der Radsport, vor allem über die Österreich-Rundfahrt, die Funktion übernimmt, den Sport zu lokalisieren und gleichzeitig eine überregionale Identifizierung anzubieten, genügen in der Folge die Großtaten der Skikanonen, das Gefühl der nationalen Geltung sich und der Welt zu repräsentieren«.38 So ist letztlich in den Wochenschauen der Übergang von der Donau- zur Alpenrepublik, die »Verwestlichung« des Österreich-Images39 und ein Rückgang der Popularität des Radsports bereits vorweggenommen.

38 Petschar/Schmid, Erinnerung, 22–23. 39 Matthias Marschik, Go West! Der österreichische Fußball von 1954 bis 1990, in: Dérive. Zeitschrift für Stadtforschung 32 (2008), 26–29.

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Radsport in Bildern Visualisierung, zu Beginn vor allem in Form von Fotografien, bildet ein zentrales Element der Popularisierung des Sports. Dies trifft in verquerer Weise auch auf den österreichischen Radrennsport der Nachkriegsjahre zu. Zum einen führte die spezielle Mediensituation – die alliierte Kontrolle, die Einbettung in die Parteienlandschaft und vor allem die Rationierung des Papiers – zu einer generellen Knappheit an Bildern. Zum anderen waren die wenigen Fotos von besonderer Ausdrucks- und Symbolkraft. Das betraf die Porträtierung der konkreten Situationen, aber auch die Inszenierung des Radsports und seiner besonderen Bedeutung – nicht zuletzt im Sinne einer nationalen Erzählung. Medien »konstruieren durch den verstärkten Einsatz ebenso wie durch die explizite Nichtverwendung bzw. Nichtveröffentlichung von Fotografien nationale Identität. Sie beeinflussen die persönliche Wahrnehmung und Identifikation mit Personen, Themen, Sachverhalten oder mit der Nation«.40 PressefotografInnen – fast ausschließlich Männer – hatten am Beginn der Zweiten Republik große wirtschaftliche Probleme, dazu kam ein schwieriger rechtlicher Status, galt Fotografie doch als »freies Gewerbe«, dem erst zu Beginn des Jahres 1947 durch die Gründung einer Berufsvertretung, des »Syndikats der Pressefotographen und Pressebildagenturen Österreichs«41, entgegengewirkt wurde. Das Syndikat wehrte sich vehement gegen die Konkurrenz durch »Pfuscher« und verhandelte einheitliche Honorarsätze, wobei ein Einzelbild mit 50, eine Bilderserie mit 300 Schilling veranschlagt wurde.42 Wie oft diese Honorarsumme unterschritten wurde, sei dahingestellt. Analog zum Zeitungsjournalismus43 gab es auch im Bereich der Pressefotografie zahlreiche personelle Kontinuitäten zum Nationalsozialismus und zur austrofaschistischen Ära.44 Wie im Sport-Journalismus, in dem gerade aus der Mangelsituation zahlreiche journalistisch hochwertige Artikel entstanden,45 wurden in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre Sportfotografien von hohem Niveau produziert, auch wenn diese in den Zeitungen und Illustrierten durch die mangelnde Papierqualität oft nur unzureichend reproduziert wurden. Papierknappheit und -qualität ließen bis Ende der 1940er-Jahre kaum Bebilderung zu. Daher war der Markt für Sportfotos jahrelang auf die wenigen – meist von den Alliierten produzierten – Illustrierten beschränkt, die aber Sportereignissen auch nicht allzu viel Raum gaben. Also blieben nur die ab 1946 erscheinenden Sportzeitschriften, die »Sport-Schau«, der 40 41 42 43 44 45

Krammer, Rasender Stillstand, 14–15. Ebd., 141–151. Ebd., 170. Hausjell, Journalisten. Krammer, Rasender Stillstand, 25. Marschik, Schloß aus Druckerschwärze, 228–237.

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»Wiener Sport in Bild und Wort« sowie der »Sport-Funk« sowie ab 1949 »Sport und Toto« übrig, wenn Sportfotografen ihre Produkte veröffentlichen und Sportfans an Bilddokumenten interessiert waren. Dementsprechend wenige Bildjournalisten wandten sich dem Thema Sport zu: So stammte ein Großteil der Bilder im »Wiener Sport in Bild und Wort« von Mario Wiberal und Franz Fremuth, dazu kamen vereinzelt Illustrationen von Franz Votava und Maximilian Fibinger sowie etliche unsignierte Aufnahmen und ausländische Agenturfotos. In der »Sport-Schau« hingegen lieferten Franz Votava und ebenfalls Franz Fremuth die meisten Bilder, mitunter wurden auch Fotos von Blaha und Aigner publiziert, ab 1946 weiters einzelne, meist ganzseitige, Bilder von Lothar Rübelt. Ab Herbst 1948 erschienen die meisten Fotos in der »Sport-Schau« unsigniert oder mit dem Copyright »Foto Sport-Schau«.46 Von den auf Sportthemen spezialisierten Fotografen gab Franz Fremuth mit 1.200 Schilling ein überraschend hohes Monatseinkommen an, Fibinger mit 700 und Votava mit 400 Schilling lagen deutlich darunter.47 Wer waren nun die wichtigsten Sportfotografen der beginnenden Zweiten Republik? – Franz Fremuth48, gelernter Dreher, eignete sich das Fotohandwerk in Volkshochschulkursen an. In den 1930er-Jahren begann er eine Karriere als Pressefotograf. Während der NS-Zeit arbeitete er als Fotograf für die Agentur »P.B.Z.-Essel«. Ab 1945 war er angestellter Mitarbeiter der »Volksstimme« sowie der gleichfalls von der KPÖ herausgegebenen »Stimme der Frau«. Freiberuflich arbeitete er für die »Österreichische Zeitung« sowie für deren illustrierte Wochenendbeilage, die »Welt-Illustrierte«.49 – Maximilian Fibinger absolvierte ab 1940 eine Lehre bei Franz Blaha, er war für die »Wiener Illustrierte«, die »Wiener Bilderwoche« und die »Welt-Illustrierte« tätig. Im Jahr 1947 eröffnete er ein eigenes Gewerbe, ab 1949 arbeitete er mit Mario Wiberal, ab 1953 mit Herbert Sündhofer zusammen. – Lothar Rübelt50 war ab 1919 als freier Fotograf tätig, bis zum Tod seines Bruders Ekkehard gemeinsam mit diesem. Er wurde zu einem Wegbereiter moderner Fotografie und arbeitete für verschiedenste Medien, vom sozial46 Der genaue Grund dafür ist nicht eruierbar, vermutlich waren es rechtliche und ökonomische Ursachen, möglicherweise ein Abkommen mit einer Agentur, für die etliche Fotografen tätig waren. 47 Zu Rübelt und Wiberal liegen keine Angaben vor. Krammer, Rasender Stillstand, 180. 48 Zu den Lebensläufen generell siehe die Kurzbiografien bei Krammer, 323–360. 49 Ebd., 63. 50 Michaela Pfundner, Dem Moment sein Geheimnis entreißen. Der Sportbildberichterstatter Lothar Rübelt, in: Marschik/ Müllner, Sind’s froh, 317–327; Matthias Marschik/Michaela Pfundner, Wiener Bilder. Fotografien von Lothar Rübelt, Schleinbach 2020, 13–25.

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demokratischen »Kuckuck« bis zur NS-Illustrierten »Der Notschrei«. Obwohl Nazi-Sympathisant, akkordierte er sich auch mit den Medien des Austrofaschismus. 1938 wurde er »Vertrauensmann der Bildberichterstatter« für die Ostmark im »Reichsverband der deutschen Presse«, Kriegsberichterstatter sowie »wissenschaftlicher Fotograf«. Nach 1945 bestritt er vehement eine Verstrickung ins NS-System und arbeitete wieder als Pressefotograf. – Franz Votava war ab 1937 in der Agentur von Franz Blaha tätig, 1938–1945 arbeitete er im Rahmen dieser Anstellung für den »Scherl-Bilderdienst«. Ende 1945 startete Votava seine eigene Agentur und fungierte zudem als Vertreter der Agentur »Keystone« in Österreich. – Mario Wiberal51 war ab 1923 als selbstständiger Pressefotograf tätig, zugleich angestellter Mitarbeiter beim »Verlag der Wiener Zeitungen«, er fotografierte vor allem für den »Abend«, den »Telegraf« und das »Echo«, in der NS-Zeit für die »Kleine Volks-Zeitung« und die »Wiener Illustrierte«. 1935–1943 fungierte er als Kameramann für Frank Rossak sowie für die »Ostmark-Wochenschau«. Ab 1945 stand er für die KP-nahe Wochenschau der »Wien-Film« hinter der Kamera, als Fotograf arbeitete er in der Agentur Votava, später kooperierte er mit Maximilian Fibinger. Betrachtet man die Bildproduktion der wenigen Sportfotografen, muss eine enorme Schaffenskraft konstatiert werden. Zwar fiel bei wöchentlich erscheinenden Illustrierten der Zeitdruck extrem rascher Ablieferung in den Redaktionen weg, dafür müssen die Bildberichterstatter von einem Sportevent zum nächsten gehetzt sein. Sicherlich existierten Kooperationen zwischen den Fotografen und es gab in den späteren 1940er-Jahren bereits kleine Agenturen mit einigen Mitarbeitern, die sich die Arbeit aufteilen konnten. Doch wenn etwa Franz Fremuth an einem Wochenende Bilder von mehreren Fußballmatches, dazu von Box-, Gewichtheber- und Leichtathletikveranstaltungen und noch dazu von einem Radrennen schoss, muss er wohl von einer Veranstaltung zur nächsten geeilt sein, um die Auftraggeber zu beliefern und um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

51 Wolfgang Maderthaner, Tolle Jahre. Sport, Gesellschaft, Politik in Österreich. Der Fotograf Mario Wiberal, Wien 2011, 9–14.

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Abb. 57: Schönheit und Schmerz: Fotoreportage vom Rennen »Quer durch Österreich« 1947. Bild: Sport-Schau, 18. 6. 1947

Aber nicht nur unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Qualität der Bilder enorm hoch einzuschätzen. War in den 1920er-Jahren die Rasanz und Lebendigkeit von Lothar Rübelts Sportfotos fast noch ein Alleinstellungsmerkmal, zeichneten sich nun fast alle Bilder durch »Action« aus. Packende Szenen wurden festgehalten, dazu wurden mitunter überraschende Perspektiven oder Standpunkte gewählt und oft sind angespannte, verzweifelte oder überglückliche Mienen der Sportler und Sportlerinnen zu erkennen. Man sieht den entscheidenden Schuss zum einzigen Tor eines Matches oder kann – so wird es zumindest nachträglich im Bildtext suggeriert – einen Fehlpfiff des Schiedsrichters entlarven. Der Radrennsport spielte zunächst eine geringe Rolle in der Sportfotografie, doch mit zunehmender Popularität dieses Sports nahmen auch die Quantität und die Qualität der Bilder rasch zu. Sieht man anfangs ein Feld anonymer Fahrer beim Start oder den Sieger beim Schluss-Spurt oder der einsamen Zieldurchfahrt, so wird nun immer häufiger der Moment des Sieges, die Verzweiflung der Niederlage oder das schweißüberströmte oder nach einem Sturz blutende Gesicht eines Radrennfahrers sichtbar gemacht. Dazu werden die Rennen in einen urbanen oder landschaftlichen Kontext integriert: Der Start vor dem Wiener Rathaus, das noch geschlossene Feld vor der Votivkirche oder später das Panorama der Pack oder des

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Großglockners binden das Sportereignis in ein nationales Ambiente ein und weisen darauf hin, dass es bei einem Radrennen nicht nur um Sport geht.52 Wenn es Streckenskizzen der Tour d’Autriche den LeserInnen ermöglichten, ihre neue Heimat zumindest mit dem Finger auf der Landkarte zu erkunden,53 dann waren die Szenerien hinter den Radfahrern Konkretisierungen der einzelnen Versatzstücke »österreichischer« Identität: Burgtheater und Salzburger Festspielhaus als kulturelle Identifikationsorte, Semmering und Pack als Übergangsorte (oft mit alliierten Grenzbalken, die für die Radler aber bedeutungslos erscheinen), Kitzbühel und der Großglockner als landschaftliche Wegmarken, die von den »Helden der Landstraße« symbolisch besucht und ganz konkret bewältigt wurden. Diese Eroberung lief anfangs vor der Folie von Ruinen und Kriegszerstörungen ab, mit behelfsmäßigem Material und auf schlechten Straßen. Dass die Fahrer diese Schwierigkeiten durch Härte, Kampf und Einsatz überwanden, stellte allerdings die generelle Bewältigung durch ein aufbauwilliges Österreich in Aussicht, wenn man sich die Sportler zum Vorbild nahm.

Abb. 58: Leid und Freude. Fotoreportage vom Rennen »Quer durch Österreich« 1948. Bild: Wiener Sport in Bild und Wort, 22. 9. 1948

52 Matthias Marschik, Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationsbewußtsein in Österreich (1945–1950), Wien 1999. 53 Matthias Marschik, Wie groß ist Österreich? in: Wolfgang Gerlich/Othmar Pruckner (Hg.), Rennrad Fieber. Lust und Leidenschaft auf dünnen Reifen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines schnellen Sports, Wien 2015, 195–200, 196.

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Die Fotografien der Radrennen aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren »versinnbildlichten die zum Aufbau eines neuen Österreich geforderte Härte, wie sie freilich viele der heimkehrenden Soldaten ohnedies internalisiert hatten. Die Radrennfahrer kämpften gegen die Konkurrenten, aber auch mit Defekten und bewältigten schier unüberwindliche Alpenpässe. Sie arbeiteten sich durch Schlamm und Morast, waren Schnee und Regen ausgesetzt, fuhren ihre Rennen auf Kopfsteinpflaster und Schotterstraßen. Sie inszenierten eine raue, wenn auch kameradschaftliche Maskulinität. Und wie sie im Krieg Raumgewinn erringen sollten, eroberten sie nun symbolisch wie real den Raum des neuen Österreich. Sie alle trotzten dem Hunger und den Entbehrungen.«54 Zeit und vor allem Raum bildeten zentrale Aspekte der Fotografie: Das Foto platzierte die BetrachterInnen »im Raum, stellte eine Beziehung zwischen dem eigenen Ich und der Umgebung dar, die physisch und symbolisch erfahren wurde«.55 Folgerichtig wurden in den Bildern der Radrennen Ende der 1940er-Jahre erste Erfolge vorgezeigt: Statt der Ruinen wurden hinter den Radfahrern nun heile Landschaften und restaurierte Gebäude sichtbar. Der Schutt war weggeräumt und eine Modernisierung hielt Einzug in Gestalt der Tourfahrzeuge, die den Tross der Aktiven begleiteten. Die Trikots der Fahrer und die Streckenabsperrungen waren nun von Werbeaufschriften geprägt. Wenn Roland Barthes, mit Bezugnahme auf die Tour de France, formuliert, sie sei »eine Rundreise mit Prüfungen und eine vollständige Erforschung der irdischen Grenzen […]. Aufgrund ihrer Geographie ist die Tour also eine enzyklopädische Erfassung der menschlichen Räume«,56 dann lässt sich das, in verkleinertem Maßstab, auch auf die Bilder des Radsports im Nachkriegs-Österreich übertragen: Was die Praxis des Radsports an hunderttausende ZuschauerInnen vermittelte und was Zeitungsartikel mitunter in dürren Ergebnislisten, oft aber in blumigen Texten an die LeserInnen weitergaben, das konnten die (vergleichsweise wenigen) Fotografien der Ereignisse auf den Punkt bringen: »Was dieses neue Österreich war, wie es aussah und welche Leistungen zu seiner Errichtung nötig waren, entnahm man nicht zuletzt den Images des Sports und zu dieser Zeit besonders des Radsports«.57 54 Matthias Marschik, Österreich erfahren… Richard Menapace und der österreichische Radsport nach 1945, in: Matthias Marschik/Agnes Meisinger/Rudolf Müllner/Johann Skocek/ Georg Spitaler (Hg.), Images des Sports in Österreich. Innensichten und Außenwahrnehmungen, Göttingen 2018, 335–348, 346. 55 Maiken Umbach, Fotografie als politische Praxis im Nationalsozialismus. Überlegungen zur Vermittlung von Ideologie und Subjektivität in privaten Fotoalben, in: Michael Wildt/Sybille Steinbacher (Hg.), Fotos im Nationalsozialismus. Neue Forschungen zu einer besonderen Quelle, Göttingen 2022, 25–48, 43. 56 Roland Barthes, Die Tour de France als Epos, in: Gerd Hortleder/Guter Gebauer (Hg.), Sport – Eros – Tod, Frankfurt/M. 1986, 25–36, 26–28. 57 Marschik, Österreich erfahren, 346.

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Österreich wird gezeichnet Österreich war in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre »gezeichnet« von den Nachwirkungen des Krieges und der Herrschaft des Nationalsozialismus, »gezeichnet« aber auch vom Sport, nicht zuletzt vom Radsport, und seinen Beiträgen zum Aufbau einer nationalen Identität. Zugleich führte die spezifische Mediensituation aber auch dazu, dass in der Berichterstattung der Printmedien zumindest anfangs oft mit Zeichnungen, von Karikaturen bis zu Streckenskizzen, gearbeitet wurde: Diese Pläne und Skizzen sind also im engsten Wortsinn Beiträge zur österreichischen »imagined community«,58 sie liefern Versatzstücke der Skizzierung dieser Nation durch zentrale Bildmetaphern, stellen aber zudem, entlang der einzelnen Etappen, reale wie symbolische Zusammenhänge her. Sie arbeiten mit an der Ausbildung einer – vorerst ideellen, noch nicht materialisierten – raumbezogenen Identität, verstanden als »kognitiv-emotionale Repräsentation von räumlichen Objekten (Orten) im Bewusstsein eines Individuums bzw. im kollektiven Urteil einer Gruppe«.59 Der Terminus »Raum« definiert dabei keinen Ort direkter Erfahrung und ist daher weniger ein territorialer als ein »relationaler Begriff des gesellschaftlichen Produktionsprozesses der Wahrnehmung und Aneignung«, wie er sich symbolisch in Codes, Zeichen, Karten und imaginierten Landschaften manifestierte.60 »Die Suche nach Heimaten, nach Ruhe und Sicherheit spendenden Orten und Räumen findet nur in Ausnahmefällen eine große Gemeinschaft, im Normalfall aber begrenzte, erfahrbare Berge, Landschaften, Häuser. ›Heimat‹ ist wohl am einfachsten zu erleben im Wiedererkennen und Wiederfinden des Vertrauten«.61 Vorbild der radsportlichen Skizzen im Nachkriegs-Österreich war sicherlich die Konzeptualisierung der Tour de France, bei der die Streckenführung eine Aneignung der »Heimat«, der Weite und Schönheit des Landes, mit seiner Geschichte und seinen Grenzen, also einer Abgrenzung zum »Außen«, verband.62 Die großen Rundfahrten wurden in den Medien oft in Schaubilder übersetzt, in denen die gesamte Streckenführung oder eine einzelne Etappe visualisiert

58 Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Berlin 1998, 14–15. 59 Peter Weichhart/Christine Weiske/Benno Werlen, Place Identity und Images. Das Beispiel Eisenhüttenstadt, Wien 2006, 33. 60 Ernst Hanisch, Landschaft und Identität. Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte, Wien 2019, 28–29. 61 Ernst Bruckmüller, Symbole österreichischer Identität zwischen »Kakanien« und »Europa«, Wien 1997, 37. 62 Georges Vigarello, Die Tour de France, in: Pierre Nora (Hg.), Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005, 452–480, 460.

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wurde, wie hier an einigen Beispielen der Tour de France und der Tour de Suisse aus den Jahren 1931 bis 1933 gezeigt werden soll:63

Abb. 59: Streckenplan der Tour de France 1931: Ausschnitt aus »Match«. Bild: Nachlass Max Bulla

63 Alle Zeitungsausschnitte stammen aus dem Nachlass von Max Bulla, daher sind die Medien, in denen sie erschienen sind, nicht immer rekonstruierbar. Das erste Bild ist aus »Match« (Juni 1931), das dritte ein Schweizerisches Plakat von 1933, das vierte aus dem Schweizer »Sport«, 30. 8. 1933, 2.

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Abb. 60: Streckenplan und Siegerliste der Tour de Suisse 1933. Zeitungsausschnitt. Bild: Nachlass Max Bulla

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Abb. 61: Streckenplan der 5. Etappe der Tour de Suisse 1933. Zeitungsausschnitt. Bild: Nachlass Max Bulla

Die Bildersprache der Tour de France oder der Tour de Suisse wurde auch in Österreich rezipiert, wie eine im Juli 1947 in der »Sport-Schau« anlässlich der Berichterstattung zur Tour de France veröffentlichte Skizze belegt. Diese verknüpfte den geografischen Aspekt mit einem zentralen Bild einer »Tour der Leiden« und damit also zwei Metaphern der Tour de France. Zumindest im Begleittext wurde aber auch ein Bezug zu Österreich, nämlich zur gleichzeitig veranstalteten »Fernfahrt Bregenz – Wien«, hergestellt.64 Das Rennen quer durch Österreich wurde auf diese Weise in die große Tour de France integriert, wobei zwar einerseits die Kleinheit Österreichs und die Unvergleichbarkeit des Rennens »Bregenz – Wien« im Vergleich zur gewaltigen Tour deutlich wird, andererseits aber doch eine Parallelisierung erfolgt, die dem österreichischen Rennen Bedeutung verleiht. Neben der Österreich-Rundfahrt in vier Etappen, die im Jahr 1948 Vorarlberg noch nicht tangierte, trug man im westlichsten Bundesland 1948 ein Zwei-EtappenRennen aus, wahlweise verniedlichend »Rund um’s Ländle« oder großspurig »Tour de Vorarlberg« genannt. Nicht nur in der Namensgebung orientierte man sich am französischen Vorbild, auch der Streckenverlauf sollte das kleine Bundesland in seinen Grenzen, eingebettet zwischen Deutschland, Schweiz, Liechtenstein und 64 Sport-Schau, 9. 7. 1947, 11.

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Abb. 62: Die Tour de France wird auch in Österreich als »Rennen der Leiden« gezeichnet. Bild: Sport-Schau, 9. 7. 1947

Tirol, kenntlich machen: Eine Skizze der »Vorarlberger Nachrichten«65 machte die Umrundung des Landes ebenso deutlich wie die Grenzlinien (wobei es vermutlich nur Zufall ist, dass »Deutschland« in einer anderen, serifenlosen Schrifttype gesetzt wurde). Im Zentrum der Karte steht allerdings nicht das Leiden der Fahrer, sondern der Schriftzug des Hauptsponsors: Bei der Tour de Vorarlberg soll sich alles um diejenigen drehen, die die Veranstaltung ermöglicht haben. Im Juli 1949 kam es erstmals zu einer »Radfernfahrt« unter dem Titel »Rund um Österreich«. Eine der sieben Etappen führte erstmals auch über den Großglockner, wie eine Streckenskizze in der »Sport-Schau«66 verdeutlichte. Facettenreich wurden das Rennen und sein Umfeld skizziert, wobei, im Sinne einer Rundfahrt, die Form Österreichs fast kreisrund dargestellt wird. Gemäß der 65 Vorarlberger Nachrichten, 22. 7. 1948, 4. 66 Sport-Schau, 19. 7. 1949, 2.

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Abb. 63: Streckenplan der »Tour de Vorarlberg« 1948. Bild: Vorarlberger Nachrichten, 22. 7. 1948

Annahme eines unpolitischen Sports bleiben in dieser Darstellung die Sportpolitik und die finanziellen Schwierigkeiten der Rundfahrt selbst ebenso außen vor wie die prekäre politische und ökonomische Situation des Landes Österreich. Bombenbeschädigte Häuser waren ebenso wenig zu sehen wie Zonengrenzen oder alliierte Soldaten. Im Sinne der Ausblendung aktueller Problemlagen stand eine strahlende »Sonne als Symbol glücklicher Zukunft«67 über dem Land. Was gezeigt wird, sind erstens die Etappenorte: In Wien gibt ein stilisierter Rathausmann den Startschuss und schwenkt auch die Zielflagge, in Graz grüßt ein freundlicher Uhrturm, in Klagenfurt führt die Strecke durch den Schlund des Lindwurms und in Salzburg feiern Radfans mit einem »Stiegl«-Bier die Ankunft der Fahrer im Schatten der Hohenfeste. Der Zielort Lienz ist lediglich durch eine fröhliche Kuh charakterisiert, Innsbruck wird durch die Nordkette – und nicht durch das »Goldene Dachl« – repräsentiert, Linz durch die Eisenbahnbrücke. Zweitens werden die Bilder der Zielorte in weitere klischeehaft gezeichnete Se67 Wolfgang Kos, Eigenheim Österreich. Zu Politik, Kultur und Alltag nach 1945, Wien 1994, 106.

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henswürdigkeiten eingebettet, etwa einen Fischer an der Mur oder einen Ruderer auf der Donau. In direktem Bezug zum Radrennen stehen hingegen ein offener Grenzbalken beim »Deutschen Eck« vor Salzburg, die Straße blockierende Gänse im Wechselgebiet und vor allem ein freundlich dreinblickender Glockner. Eine dritte Handlungsebene bilden die Radfahrer selbst, die in unterschiedlichen Posen gezeigt werden: Beim Kartenlesen auf der Suche nach der richtigen Route, beim Sprint, aber auch erschöpft am Streckenrand liegend, im Wörthersee badend oder (auf dem Fahrrad statt auf einer Leiter balancierend) beim »Fensterln« in Tirol, vor allem aber bei unterschiedlichen Wegen, den Glockner zu bezwingen. Makaber hingegen wirkt die Szene, in der der Lindwurm offenbar einige Fahrer verspeist hat. Bis auf diese Szene wird hingegen ein heiteres Bild der Rundfahrt gezeichnet, das die Probleme Österreichs ebenso ausblendet wie die Leiden der Fahrer. Das ist also nicht das bei der Zeichnung der Tour de France und auch bei vielen Fotoberichten von der Österreich-Rundfahrt vorherrschende Szenario der »Helden«, sondern das Schaubild einer freundlichen österreichischen Landschaft oder Bühne, die radfahrerisch erobert werden kann und will, charakterisiert eher durch Versatzstücke eines Heimatfilms als durch solche einer »Tour der Leiden«. Es fehlt auch, und das ist überraschend, jeder Hinweis auf ein begeistertes Publikum. Weit eher handelt es sich um ein Wunschbild eines erhofften zukünftigen Österreich, das den LeserInnen der »Sport-Schau« hier in seinen regionalen Facetten vorgeführt wird: die Tour d’Autriche als Weg in eine bessere Zukunft des Landes. Wesentlich karger ist die Skizze der Österreich-Rundfahrt 1949 am Vorsatz zu Richard Menapaces Autobiografie.68 Auch hier wird Österreich, im Sinne der »Rundfahrt«, fast kreisrund gezeichnet, im Zentrum werden die Rahmendaten von Menapaces Erfolg, die Einzel-, Mannschafts- und Bergwertung, aufgelistet: Menapace steht also im Zentrum des Rennens oder, anders formuliert, die Rundfahrt gruppiert sich um Menapaces Erfolge. Zentral sind auch in dieser Zeichnung die Etappenorte, gekennzeichnet durch klassische Wahrzeichen wie Stephansdom, Uhrturm, Annasäule, Hohensalzburg und die Linzer Pöstlingbergkirche. Allerdings wird Klagenfurt durch den Wörthersee, Lienz lediglich durch ein Bauernhaus repräsentiert. Ergänzt werden diese Sujets durch weitere symbolträchtige touristische, aber zugleich auch radfahrspezifische Orte, etwa die Ghega-Viadukte am Semmering, das Gipfelhaus auf der Pack, die Serpentinen der Strengberge und die Kirche von Heiligenblut vor der Auffahrt zum Glockner.69 Die Karte richtet sich offenbar an eine eher radsportaffine Leserschaft. Die Route ist durch eine klar erkennbare Straße markiert, auf der sich immer wieder einzelne stilisierte, aber keineswegs ironisch skizzierte Radfahrer erkennen lassen. Sie erobern – stellver68 Richard Menapace, Richard Menapace erzählt…, Wien 1951, Vorsatz. 69 Zum nationalen Mythos von Heiligenblut: Hanisch, Landschaft, 168–171.

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Abb. 64: Streckenplan der als »Rund um Österreich« bezeichneten Österreich-Rundfahrt 1949. Bild: Sport-Schau, 19. 7. 1949

tretend für die Bevölkerung – sehr konzentriert die »österreichische« Landschaft. Der Sport ist ein ernsthafter Beitrag zur Konsolidierung des Landes. Die »Österreich-Rundfahrt« des Jahres 1950 wird im »Kleinen Volksblatt« fast technizistisch angekündigt: Start- und Zielorte, Bergwertungen und Streckenlängen werden in eine stilisierte Karte eingetragen.70 Es erinnert fast an ein vereinfachtes »Roadbook« für die Fahrer. Die LeserInnen sollen hier nicht über »Österreich«, sondern über den Ablauf eines Sportereignisses informiert werden. Die über den Sport hinausgehenden Detailinformationen werden im »Kleinen Volksblatt« erst bei den tagesaktuellen Berichten nachgeliefert. Während des Rennens wird die Sportseite der Zeitung jeweils mit einer Kopfzeile versehen, die die Route des Tages skizziert. Das verdeutlicht, welche Bedeutung der Rundfahrt beigemessen wird, die trotz anderer wichtiger Sportereignisse acht Tage lang die Sportberichterstattung dominiert. Hinter kleinen, stilisiert gezeichneten Rennfahrern auf schmalen Straßen wird jeweils, in der in diesem Medium generell verwendeten Frakturschrift, der Start- und Zielort genannt, der zudem durch traditionelle Sehenswürdigkeiten charakterisiert wird. Sind es in Wien der Stephansdom und die Kuppel der Karlskirche und bei der Zielankunft das Rathaus, wird Graz durch den Uhrturm, Linz durch den Dom und Innsbruck durch An70 Das Kleine Volksblatt, 22. 7. 1950, 9.

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Abb. 65: Streckenplan und Ergebnisliste der Österreich-Rundfahrt 1949. Bild: Richard Menapace erzählt, Vorsatz

Abb. 66: Etappenplan der Österreich-Rundfahrt 1950. Bild: Kleines Volksblatt, 22. 7. 1950

nasäule und Goldenes Dachl kenntlich gemacht. Sogar in Lienz wird die Liebburg als Marker gezeichnet, lediglich für Zell am See wird nicht die Kirche, sondern der See mit Segelboot als charakteristisch gesehen. Im Bildzentrum ist das rad-

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sportlich wichtigste Hindernis erkennbar, der Semmering mit seinen Viadukten, der Riederberg und natürlich ein – allerdings keinesfalls furchterregend gezeichneter – Großglockner. Unter der Zeichnung wird, in serifenloser Schrift, die Nummer der Etappe und die zurückzulegende Distanz angeführt: Im Kontrast der Schriften wird damit die Tradition mit dem modernen Radsport in Beziehung gesetzt. Wie in der Erzählung der Tour de France werden dabei Rennen und Geschichte verknüpft, jedoch in geradezu umgekehrter Richtung: Statt die Österreich-Rundfahrt in die nationale Geschichte einzubetten, werden die Traditionen – im Sinne eines »Wiederaufbaus« – durch das Rennen wiederbelebt.71

Abb. 67: Etappenzeichnungen der »Tour d’Autriche« 1950. Bilder: Kleines Volksblatt, 23.–30. 7. 1949

Das Programmheft zur gleichen Rundfahrt von 1950, herausgegeben vom »Kleinen Blatt«, skizziert den Verlauf des Rennens pragmatischer und moderner.72 So werden am Kopf der Seite die Basisdaten des Rennens erläutert, die offenbar dessen Bedeutung hervorheben sollen. Rund um die Liste der Fahrer, die an den Start gingen, werden nahezu in Rechteckform die Zielorte und Etappen mit ihrer jeweiligen Länge sowie den Bergwertungen aufgeführt. Am Fuß der Seite sieht man dynamische anonyme Radrennfahrer. Im Gegensatz zum »Kleinen Blatt« 71 Das Kleine Volksblatt, 23. 7. 1950, 7; 26. 7. 1950, 7; 29. 7. 1950, 7; 30. 7. 1950, 7. 72 Österreich-Rundfahrt. Offizielles Programm, hg. v. Kleinen Blatt, Wien 1950, 14–15.

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werden im Programmheft die Städte (und ihre Tradition, vom Rathausmann bis zum Pöstlingberg) hier ganz klar dem Sportereignis – als Start- und Zielorte – untergeordnet. Der Sport und seine Helden nutzen die österreichischen Städte und Landschaften als Sportraum.

Abb. 68: Starterliste und Etappenplan der Österreich-Rundfahrt 1949. Offizielles Programm der Österreich-Rundfahrt 1949

Im Programmheft für die Österreich-Rundfahrt 1951 wird in den Illustrationen eine gänzlich andere Perspektive eingenommen, nämlich jene des Beobachters. Hier wird in den gezeichneten Illustrationen nicht das Radrennen selbst und auch nicht die Inszenierung »Österreichs« zentral gestellt. Vielmehr wird auf die Rundfahrt als Ereignis fokussiert. In den Texten des Heftes wird oft von den Medien geschrieben, von den langen Zeitungsberichten und den Liveübertragungen im Radio, aber auch von »Triumphfahrt[en] durch das Spalier von hunderttausenden Zuschauern«.73 Die gezeichneten Tagesübersichten gehen noch einen Schritt weiter, indem sie auch die Start- und Zielorte zu interessierten Beobachtern eines »Events« machen: Uhrturm und Lindwurm erwarten mit Ferngläsern die Fahrer, die Kirche von Zell am See begrüßt die Tour mit einem Fähnchen und sitzt dann sogar selbst auf einem Fahrrad und auf den Bergen bei Innsbruck verfolgt eine Gämse die Fahrer durch ein Teleskop. Als »böse« wird nur der Großglockner 73 Österreich Rundfahrt. Offizielles Programm 1951, Wien 1951.

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dargestellt, hinter dem zudem eine pechschwarze Wolke Schlechtwetter ankündigt. Nur der Glockner verweist also auf das Leiden der großen Radrennen, zum Beispiel der Tour de France, der im Programmheft sogar ein eigener Beitrag gewidmet ist. Die Österreich-Rundfahrt erscheint – parallel zu einem im Wiederaufbau befindlichen Land, in dem sich schon bescheidene Vorzeichen von Wohlstand erkennen lassen – als Medien- und Zuschauerspektakel, in dem auf den Unterhaltungscharakter des (Rad-)Sports verwiesen wird. Es geht nicht um die Leiden der Fahrer, sondern um das – inszenierte – Vergnügen des Publikums.74

Abb. 69: Etappenzeichnungen »Tour d’Autriche« 1951. Offizielles Programm der ÖsterreichRundfahrt 1951

Dieses Vergnügen wird im Programmheft 1952 noch wesentlich weitergedacht, indem nun die Zeichnung selbst unterhaltsam wirken soll. Zwar wird das System, jede Etappe mit Datum, Ankunfts- und Zielort, Streckenlänge sowie mit Abfahrts- und Ankunftszeit auf einer Seite darzustellen, beibehalten. Aber die Orte 74 Österreich Rundfahrt. Offizielles Programm 1951, Wien 1951, 7, 11, 15, 17.

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werden nicht mehr durch stilisierte Sehenswürdigkeiten charakterisiert. Gerade Wien ist noch an einem lächelnden Stephansdom zu erkennen, vor dem ein weinseliger Wiener auf einem waidwunden Rad zu sehen ist. Die übrigen Orte werden durch vorgeblich witzige Szenen aus dem Radsport ersetzt, vom Buben, der auf einem Roller die Rennfahrer überholt bis zu frauenfeindlichen Szenen, bei denen die Radfahrer von attraktiven und leicht bekleideten Frauen abgelenkt werden.75 Das offizielle Programmheft hat sich vom Rennen selbst emanzipiert und will selbst ein Teil der Unterhaltung sein.

Abb. 70: Etappenzeichnungen »Tour d’Autriche« 1952. Offizielles Programm der ÖsterreichRundfahrt 1952

Dafür spricht auch das Titelbild des Heftes, eine gezeichnete Darstellung nicht nur der wesentlichen Konstituenten der Rundfahrt, sondern eine neuartige Kartographie des Radfahrens in Österreich. Hier geht es nicht mehr um die Darstellung konkreter Orte, sondern um eine metaphorische Zeichnung Österreichs und seines Radsports. Rund um einen Berg, an dessen Spitze der berühmte »Mann mit dem Hammer« thront und die hinaufradelnden Fahrer reihenweise erschlaffen lässt, ist ein Potpourri von Szenen angesiedelt, die nur wenig mit der Rundfahrt zu tun haben. Männer starren Rad fahrenden Frauen nach, ein Liebespaar mit Rad verschwindet im Wald, ein rasanter Radler durchtrennt eine – dennoch grinsende – Kuh, dazwischen ein alter Mann auf einem Hochrad und 75 Österreich Rundfahrt 1952. Offizielles Programm, hg. v. Kleinen Blatt, Wien 1952, 5, 11, 19.

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ein Werbeplakat für Limonade, das bei den Vorbeifahrenden das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Am oberen und am unteren Bildrand sind einerseits die Radfanatiker (mit dem Spruch »Jeder Österreicher ein Radfahrer«), andererseits die Radgegner zu sehen, die auf der Straße Reißnägel streuen und den Spruch »Radler go home!« auf den Berg pinseln. Das um den Berg gewickelte Spruchband »Es geht rund« bildet das Motto und ist der einzige Hinweis auf die Rundfahrt selbst. Das Titelbild des Programms hat sich verselbstständigt und zeichnet ein buntes Bild des Radfahrens und Radsports in Österreich als Teil einer aufkommenden Unterhaltungskultur. Gehen wir davon aus, dass eine Zeichnung wesentlich mehr Möglichkeiten hat, eine Realität nach eigenem Gutdünken zu schaffen als ein Foto und ein geschriebener Text, dann erzählen die Zeichnungen zu den bedeutenden österreichischen Radrennen paradigmatisch von massiven Bedeutungsverschiebungen innerhalb weniger Jahre, konkret zwischen 1947 und 1952: Ende der 1940er-Jahre ging es zunächst darum, dem Publikum anhand einer Rundfahrt quer durch oder rund um Österreich das Land und seine zentralen Orte nahezubringen und damit via Sport die Topografie des Landes und der Nation zu vermitteln. Den LeserInnen der Zeitungen oder Programmhefte sollte es ermöglicht werden, das neue »Österreich« trotz Zonengrenzen zumindest mit dem Finger auf der Landkarte nachzuvollziehen und seine markanten Punkte, von den Zielorten bis zum Großglockner und zum Semmering, geistig mit den Helden der Landstraße zu erfahren. Doch ab etwa 1950 macht sich der Wiederaufbau und zumindest das Versprechen einer Wohlstandsgesellschaft deutlich bemerkbar: Die Erkundung des Landes scheint nun abgeschlossen und der Radsport mutiert zum Teil einer Unterhaltungsindustrie, das Vergnügen vermitteln soll. Der Radsport wird zum Entertainment.

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Abb. 71: Karikatur zur Österreich-Rundfahrt 1952. Offizielles Programm der Österreich-Rundfahrt 1952

8.

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»Der Österreicher schafft sich eine ›virtuelle Heimat‹, und das ist wahrscheinlich seine wahre kulturelle Leistung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Heimat ist auf einer virtuellen Landkarte zu finden, der Sport markiert einen der Grenzposten zu ihr […] Ist es da ein Wunder, daß nur mehr Schauspieler und Sportler […] Sympathie, nicht bloß Anerkennung oder Bekanntheit, sondern Zuneigung erreichen?«1 Der Radsport spielte auf dieser virtuellen Karte des wiederentstandenen Österreich eine besondere Rolle: Das radsportliche Österreich positionierte sich zwischen der Opferrolle eines kleinen, zerstörten und besetzten Landes und dem Versprechen eines bevorstehenden Wiederaufbaus. Die Fragen nach »Opfer« oder »Täter« verschwanden hinter der emotionalisierten Spannung des sportlichen Wettkampfes. In dieser Konstellation übernahm der olympische Sport eine entscheidende Funktion in der Außenwirkung, der Radsport dagegen eine wirksame Rolle in der Konstruktion dieses »Österreichs« nach innen. Er produzierte ab 1946 mit Radrennen, Kriterien, den Etappenfahrten durch Österreich und schließlich ab 1949 mit der Österreich-Rundfahrt, auch als »Tour d’Autriche« bezeichnet, anschauliche, emotionale Ereignisse und stellte die Verbindung von einzelnen Metropolen (Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck) und symbolischen Orten (Semmering, Pack, Wörthersee, Großglockner und Heiligenblut) her. Wenn Oliver Rathkolb die ÖsterreicherInnen in der Rolle von »›Opfer‹-Siegern« sieht, konstruierten der Radsport und die Österreich-Rundfahrt genau das: relativierte Siege nach innen, nach außen das Beklagen der Kleinheit und der Benachteiligung. Dieses Muster konnte ansatzweise durch die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1948 (von denen Deutschland noch ausgeschlossen blieb) durchbrochen werden, nachhaltig aber erst durch den dritten Platz des Fußball-Nationalteams bei der WM 1954 und endgültig 1956 durch Toni Sailers drei Goldmedaillen bei den Winterspielen in Cortina d’Ampezzo. 1 Johann Skocek/Wolfgang Weisgram, Wunderteam Österreich. Scheiberln, wedeln, glücklich sein, Wien/München/Zürich, 29–30.

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Voraussetzung für diese bedeutsamen und gesamtgesellschaftlich relevanten Wirkungen des Radsports war dessen Stellung als Populärkultur:2 Als solche hatte sich der Radsport im Österreich der Zwischenkriegszeit und auch während der NS-Ära nur sehr bedingt etabliert und auch ab der Mitte der 1950er-Jahre wurde er in seiner Popularität wieder von Sportarten wie dem Fußball und dem Skilauf bei Weitem übertroffen. Doch zwischen 1945 und 1950, eigentlich bis zur Mitte der 1950er-Jahre, kann ihm diese bedeutende Stellung zweifellos zugeschrieben werden, vor allem bezüglich der Medienresonanz und der Begeisterung des Publikums. In dieser Zeitspanne war der österreichische Radsport, freilich unter den restriktiven Prämissen der Kriegsfolgen, »ein industrie-kulturelles Produkt, das ohne moderne urbane Infrastruktur, ohne moderne Kommunikationsmittel (allen voran die […] Sportpresse), letztendlich ohne moderne Ökonomie und Staatlichkeit nicht auskommen kann und dennoch nicht ausschließlich durch diese Vorgaben bedingt und eindeutig definiert ist«.3 Sport, Sportpolitik und sportliche Praxen werden dennoch immer wieder »dethematisiert«, indem ihnen jegliche »politische« Relevanz abgesprochen wird.4 Doch Sportpraxen, denen eine populärkulturelle Breitenwirkung zukommt, replizieren nicht nur Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Feldern, sind mithin nicht nur Spiegelbild der Gesellschaft, sondern bilden besondere Kulturen aus, die in komplexe Beziehungen zu anderen sozialen Feldern treten. Erst damit entwickeln sie eine genuine kulturelle Wirkmacht. Nur aus dieser Perspektive macht es Sinn, über eine Sportgeschichtsschreibung hinaus die kulturellen Bedeutungen des Sports zu analysieren und als prägenden Teil der Geschichte ernst zu nehmen. Eine solche Bedeutung des Radsports wurde schon in zeitgenössischen Quellen angesprochen: Etliche Zeitungen konstatierten schon ab 1947, der Radsport sei auf dem Weg zu einem »Volkssport«, und am Ende der 1940erJahre wird ihm die Rolle eines »Volkssports Nr. 2« hinter dem Fußball, aber noch vor dem Skilauf zugeschrieben.5 Das bestätigte der damals erfolgreichste Radrennfahrer des Landes, Richard Menapace, der sogar darüber hinausging: »Damals war der Fahrradsport Nummer eins, […] damals war das wichtig und 2 Matthias Marschik, Sport und Sportgeschichte, Identitäten und populäre/populare Kulturen, in: Bettina Kratzmüller/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Hubert D. Szemethy/Elisabeth Trinkl (Hg.), Sport and the Construction of Identities, Wien 2007, 104–116. 3 Roman Horak/Wolfgang Maderthaner, Mehr als ein Spiel. Fußball und populare Kulturen im Wien der Moderne, Wien 1997, 13. 4 Claudia Bruns, Wissen – Macht – Subjekt(e). Dimensionen historischer Diskursanalyse am Beispiel des Männerbunddiskurses im Wilhelminischen Kaiserreich, in: Österr. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 16 (2005) 4, 106–122. 5 Neues Österreich, 10. 5. 1950, 4; Volkswille, 16. 11. 1950, 4.

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vor allem war es für Österreich, das ist ganz klar, weil wir alle dasselbe Hoheitszeichen drauf gehabt haben: Österreich.«6 Menapace verknüpfte seine retrospektive Einschätzung mit der Bedeutung des (Rad-)Sports für die Ausgestaltung eines nationalen Bewusstseins. Die Wirkmacht des populären Sportgeschehens für gesellschaftliche Bedeutungskonstruktionen beruht auf drei speziellen Qualitäten: – die dem Sport innewohnende Emotionalität,7 und zwar seitens der SportlerInnen, der ZuschauerInnen und auch, via Medien, einer interessierten Öffentlichkeit, – hohe Glaubwürdigkeit durch die Rückbindung gesellschaftlicher Normen und Werte an den (eigenen) Körper, sowie – die Konstruktion klarer kompetitiver und vordergründig transparenter Regelsysteme, die im Gegensatz zu anderen sozialen Systemen standen und stehen.8 In den bisherigen Kapiteln haben wir den Radsport in Österreich seit 1930 und in den ersten Nachkriegsjahren aus verschiedenen Facetten beleuchtet, hinsichtlich seiner Ereignisgeschichte, seiner Struktur, seiner großen Stars und seiner Darstellung und Präsenz in den Medien. Abschließend gilt es, diese Versatzstücke zusammenzuführen in der Frage, mit welchen Bildern die großen Radrennen, insbesondere »Quer durch Österreich« (1947), »Rund durch Österreich« (1948) und die »Österreich-Rundfahrt« (ab 1949), beschrieben, welche Themen im Kontext des Radsports transportiert werden und wie sich diese Erzählungen in die Genealogie der Nationswerdung Österreichs einordnen lassen. Im Grunde gilt es, auf die von Wolfgang Kos bereits vor fast dreißig Jahren formulierten Fragen9 nach der öffentlichen Semantik, dem Selbstdarstellungsrepertoire und den ikonografischen Stereotypen der »Wiedergeburt Österreichs« neu und fokussiert auf spezifische Quellen zu replizieren. Denn wie immer stellt sich bezüglich der Stereotypen die Frage: »Ist es möglich, dass die immer wieder neu aufgelegten Fotos von damals uns zu

6 Richard Manapace, in: Matthias Marschik, Frei spielen. Sporterzählungen über Nationalsozialismus und »Besatzungszeit«. Wien/Berlin 2019, 424. 7 Dies korreliert mit einem »emotional Turn« in der Geschichtswissenschaft, vgl. Rüdiger Schnell, Haben Gefühle eine Geschichte? Aporien einer »History of emotions«, Göttingen 2015; Ute Frevert, Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009) 2, 183–208. 8 Grant Jarvie, Sport, culture and society. An introduction. London/New York 2006; Raymond Boyle/Richard Haynes, Power Play: Sport, the Media and Popular Culture, Edinburgh 2009; Matthias Marschik, Moderne und Sport. Transformationen der Bewegungskultur, in: Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Otto Penz/Georg Spitaler (Hg.), Sport Studies, Wien 2009, 23–34. 9 Wolfgang Kos, Eigenheim Österreich. Zu Politik, Kultur und Alltag nach 1945, Wien 1994, 64.

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liebgewonnenen Missverständnissen verleiten?«10 Einige dieser Missverständnisse oder zumindest Schieflagen sollte unser Projekt aufklären. Wesentlich ist es dabei, das Feld der Kultur nicht als Ergebnis eindimensionaler Unterdrückung oder Selbstbehauptung, sondern als Austragungsort permanenter (nicht nur) politischer Kämpfe um Hegemonien zu verstehen, als das »jeweilige Feld der Praxen, Repräsentationen, Sprachen und Bräuche in jeder historisch bestimmten Gesellschaft«, das die »widersprüchlichen Formen des Alltagsbewusstseins« umfasst, die im »alltäglichen Leben verwurzelt sind und dazu beigetragen haben, es zu formen«.11 Gerade Bewegungskulturen in ihrer vorgeblichen Politikferne bilden ein wesentliches Terrain jener Kämpfe, indem sie es erlauben, individuelle wie kollektive Praxen gesellschaftlicher Positionierung umzusetzen und strategische Konstruktionen sozialer Identitäten vorzunehmen.

»Wieder-Aufbau«: Radsport in einem kaputten Land

Abb. 72: Die Teilnehmer von »Rund durch Österreich« vor dem ausgebrannten Hotel Erzherzog Johann am Semmering, 1948. Bild: Votava/Brandstätter Images/APA-Picturedesk

10 Christina von Hodenberg, Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte, München 2018, 9. 11 Stuart Hall, Gramscis Erneuerung des Marxismus und ihre Bedeutung für die Erforschung von »Rasse und Ethnizität«, in: Stuart Hall, Ideologie, Kultur, Rassismus. Ausgewählte Schriften 1, Hamburg/Berlin 1989, 56–91, 89.

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»Immer wieder sah man in der Bildpropaganda nach 1945 Unentwegte mit Krampen und aufgekrempelten Ärmeln gegen Schuttberge ankämpfen. Egal, wer sie vorher gewesen sein mögen – nun waren sie Garanten österreichischer Lebenskraft«,12 schreibt Wolfgang Kos über den Beginn des Wiederaufbaus. Diese Lebenskraft demonstrierten auch Radrennfahrer, die mit ihren heroischen und als heroisch inszenierten Leistungen paradigmatische Versatzstücke eines kaputten, aber im Aufstieg befindlichen Österreich lieferten. Egal, ob es sich nun um die Österreich-Radrundfahrt oder ein kleines Kriterium rund um den Kirchturm handelte, bewältigten die Rennfahrer das Trümmerland Österreich, auf schlechten Straßen und vor der Kulisse von Ruinen. Im Radsport konnte beispielhaft gezeigt werden, dass innerhalb der Zerstörungen enorme Leistungen möglich sind und auf diese Leistungen aufgebaut werden kann. Gerade weil der Wiederaufbau relativ langsam in Schwung kam, weil zuvor der Schutt weggeräumt werden und die Versorgungslage einigermaßen stabilisiert werden musste, war der Vorweis von Tempo ein vordringliches Sujet des Wiederaufbau-Szenarios. Was im Alltag noch als Utopie erschien, war im rasanten Radsport bereits real, wenn jeder Einzelne (und das hieß im Radsport: jeder Mann) sein Bestes gab. Nach Oliver Rathkolb beruhte die Ausbildung einer österreichischen Identität primär auf der Opferthese und dem Bezug auf die schöne Landschaft.13 Diese beiden Bausteine konnte der Radsport zeichenhaft verbinden: Er machte die Landschaften erfahrbar, zeigte aber in Form der Zerstörungen, Ruinen und schlechten Straßen den Opferstatus, der freilich nicht selbst verschuldet, sondern durch den Nationalsozialismus, den Krieg und die alliierten Bomben hervorgerufen war. Die dritte Säule der Konstituierung Österreichs war die – primär alpine – Heimat. Genau diese wurde durch die Radrennen erobert und zugleich mit Wien und dem Osten Österreichs verbunden. Dass aus dem Identitätsangebot ein Nationalbewusstsein wurde, dafür sollten österreichische Siege sorgen. Die ersten Nachkriegsjahre waren in Österreich von Zerstörung, vom Kampf ums Überleben, von Verzicht, vom beginnenden Wiederaufbau und von Hoffnung auf zukünftigen Wohlstand, gekennzeichnet,14 wobei Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen den Besatzungszonen, zwischen Männern und Frauen und bald auch zwischen West und Ost erheblich waren, als die Mittel aus 12 Kos, Eigenheim, 104. 13 Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015, Wien 2005, 25. Als weiteren wesentlichen Aspekt der Konstituierung Österreichs nach 1945 nennt Rathkolb den Antikommunismus, worauf weiter unten eingegangen wird. Wolfgang Kos, Imagereservoir Landschaft. Landschaftsmoden und ideologische Gemütslagen seit 1945, in: Reinhard Sieder/Heinz Steinert/ Emmerich Tálos (Hg.), Österreich 1945–1995. Gesellschaft – Politik – Kultur, Wien 1995, 599– 624. 14 Ernst Langthaler, Umbruch im Dorf ? Ländliche Lebenswelten von 1945 bis 1950, in: Sieder et al., Österreich, 35–53; Ela Hornung/Margit Sturm, Stadtleben. Alltag in Wien 1945–1955, in: ebd., 54–67.

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dem Marshall-Plan ab dem Sommer 1948 den westlichen Bundesländern in weit höherem Maße zugutekamen. Die Hoffnung auf eine rasche Verbesserung, verbunden mit einer unbestrittenen Eigenstaatlichkeit und einer zunächst vagen, jedoch positiv konnotierten nationalen Identität, unterschied die Situation nach 1945 gravierend von jener nach 1918. Die Etablierung eines nationalen Selbstwertgefühls, eines positiv besetzten Images von Österreich, ein Gefühl des Stolzes auf das Land, noch nicht den Staat, aber die »Heimat« Österreich, eine Ahnung und schließlich Gewissheit von Nation, basierte nicht zuletzt auf dem Sport und seinen Erfolgen. Der Sport erweist sich als »Potenzbereich österreichischer Identität« und die erfolgreichen SportlerInnen wurden vielleicht noch mehr als anderswo zu Helden (und selten auch Heldinnen) stilisiert: »Tatsächlich holten die Österreicherin und der Österreicher der Nachkriegszeit Ikonen in ihren Alltag, unter denen der Sport neben dem allgemeinen Wohlstandsdenken wahrscheinlich den wichtigsten Platz einnahm«.15 Das anfangs dominante Image der materiellen und ideellen Zerstörung prägte auch die Radrennen und die Berichterstattung darüber. Ständig fanden sich Hinweise auf schlechte Straßen und daraus resultierende Defekte, auf die prekäre Ernährungslage und Probleme mit schlechtem Material. Das würde zur Erschöpfung der Rennfahrer und zu Benachteiligungen im internationalen Vergleich führen. Noch bei den österreichischen Meisterschaften 1949 waren die Straßen »in unbeschreiblichem Zustand«, von 42 Fahrern beendeten nur 16 das Rennen, denn »die Strecke war wirklich männermordend«.16 Im Jahr darauf war die Situation ähnlich: »Strömender Regen und furchtbare Straßen – das waren die Kennzeichen dieses Rennens, eines Rennens, das streckenweise einer der gigantischen Etappen der ›Tour de France‹ aufs Haar glich. Elf Berge waren zu überwinden, mancher davon mörderisch steil, mit engen, lehmigen Karrenwegen, in die sich tiefe Furchen gegraben hatten, und über die das Regenwasser zu Tal schoß. Eine undurchsichtige Brühe war die Straße geworden. Als Einlage zu dieser Bouillion gab es so viel Steine, wie die Geologie kennt.«17 Auch die Ernährungslage wirkte sich zumindest bis 1948 massiv auf die Radsportler und ihre Leistungsfähigkeit aus, auch wenn die Top-Fahrer durch ihre Trainer und Funktionäre etwas bevorteilt waren und ihre Trainings und sogar manche Rennen zu Hamsterfahrten umfunktionierten, wie das Rudi Valenta in seiner Autobiografie eindrücklich schildert. Verstärkt wurden die Schwierigkeiten einer radsportlichen Eroberung eines beschädigten Landes nicht zuletzt durch die ökonomische Schwäche der heimischen Industrie rund um das 15 Josef Seiter, Vergessen – und trotz alledem – erinnern. Vom Umgang mit Monumenten und Denkmälern in der Zweiten Republik, in: Sieder et al., Österreich, 684–705, 689. 16 Sport-Schau, 21. 6. 1949, 10. 17 Sport-Schau, 20. 6. 1950, 11.

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Fahrrad: Die wirtschaftliche Situation im Nachkriegs-Österreich ließ keine massive Förderung des Radsports zu und führte dazu, dass die Fahrer mit zweitklassigem oder veraltetem Material antreten mussten. Dabei darf nicht übersehen werden, dass schon das alltägliche Radfahren einer extremen Mangelwirtschaft unterworfen war: Fahrrad-Teile wurden auf Müllhalden gefunden und selbst zusammengeschraubt. Besonders Reifen waren nicht zu bekommen und wurden durch Substitute aus Kork oder Reste alter Autoreifen ersetzt. So lieferte Puch die ersten Räder der Nachkriegsproduktion ohne Reifen aus.18 Obwohl auch der Reifenhersteller »Semperit« durch Zugriffe der sowjetischen Besatzungsmacht große Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme der Produktion hatte, war er doch der einzige Betrieb, der zumindest beschränkte Mittel zur Förderung des Radsports aufbringen konnte. Die Radfirmen dagegen, vor allem »Puch« und »Assmann«, deren Produktion durch die Rüstungsproduktion im NS-Österreich massiv expandiert hatte, litten zunächst an den Kriegszerstörungen und den Zugriffen der Besatzungsmächte, dann an den Lieferschwierigkeiten bei Komponenten, ehe sie den Fokus auf motorisierte Zweiräder legten. Die Fahrradproduktion lief zögerlich an, die Unterstützung für den Radsport und die Sportler war gering. Die kleinen Wiener Hersteller (RIH, Isis) waren ökonomisch zu schwach, um dem Radsport entscheidende Impulse geben zu können. Einzig die »Junior«-Werke in Graz hätten das Potenzial und den Willen zur Förderung des Radsports gehabt, die wurden aber durch den Unfalltod des Firmeninhabers Franz Weiß unterbrochen. Klagen über die Materialknappheit, über zweitklassige oder nur im Ausland zu bekommende Ausstattung begleiteten den österreichischen Radsport bis zum Beginn der 1950er-Jahre. Im Herbst 1946 nahmen österreichische Fahrer an den UCI-Radweltmeisterschaften in Zürich teil, wobei der Zeitungsbericht in der »Weltpresse« die Summe der Benachteiligungen zu einem Szenario des kleinen und armen Österreich zusammenfasste: »Die österreichische Radlermannschaft, die bei den Weltmeisterschaften in Zürich weilte, ist wieder in die Heimat zurückgekehrt. Zwei sind allerdings noch im Wunderland der Eidgenossen verblieben: Valenta, der bei einer großen Rundfahrt starten und dabei noch einmal das Kriegsglück versuchen wird, und Cyganek, der sich in der Schweiz einer Penicillin-Spezialkur unterziehen wird, um endlich sein böses Furunkel ganz loszuwerden. Die Stimmung der ›Heimkehrer‹ war die denkbar beste. Die Begeisterung über das gelobte Land des Radsportes, die Schweiz, über alle Maßen groß.« Die Fahrer beneideten »ihre Kollegen aus dem Ausland wegen der ungleich günstigeren Bedingungen, unter denen diese an den Start gehen können. Das Training eines Fahrers wie [der Schweizer Amateur-Sprinter-Weltmeister Oscar] Plattner könnte ein Wiener bei den herrschenden Ernährungsverhält18 Walter Ulreich/Wolfgang Wehap, Die Geschichte der Puch-Fahrräder, Graz 2016, 172.

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nissen nicht acht Tage aushalten. Wenn unsere Burschen aber erst vom Material, das den anderen zur Verfügung steht, sprechen, bekommen ihre Augen einen ganz wehmütigen Glanz.«19 Dass unter diesen Voraussetzungen vorerst keine Spitzenplatzierungen erwartet werden konnten, war den Berichterstattern klar, doch das Versprechen einer besseren Zukunft war vorgezeichnet. Der Wiederaufbau sollte ein kollektiver Aufstieg sein, basierend auf harter gemeinsamer Arbeit, die von ganzen Männern geleistet, von Frauen ge- und unterstützt werden musste. Bei der Konstruktion dieses Kollektivs ergeben sich ebenso Parallelen wie Unterschiede zur nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft«. In dieser komplexen Situation bot der Sport eine wichtige Klammer für die Zusammenführung individueller Schicksale und einer positiven Wirkung im Sinne von Aufbau und staatsbildender Wirkung. Die Faszination des Sports war enorm: Nicht zufällig waren die Jahre nach 1945 die Zeit mit der bis dahin größten Zahl an SportlerInnen und Sportvereinen, aber auch mit dem größten Publikumsinteresse an Sportveranstaltungen in der bisherigen Geschichte Österreichs.20 Denn der als »unpolitisch« titulierte Sport inkludierte auch ehemalige KZ-InsassInnen, RückkehrerInnen der Emigration, aus Osteuropa vertriebene und geflüchtete »Volksdeutsche«, er inkludierte Juden und Jüdinnen und sogar Deserteure in eine männlich dominierte und definierte »Nachkriegsgesellschaft«, die sich ohne Blicke zurück dem »Wiederaufbau« und zugleich dem Aufbau eines neuen Österreich widmete. Wie prekär diese Inklusion allerdings war, zeigen Beispiele wie der Ausschluss von »displaced persons« oder des Vereins »Hakoah Linz« aus dem regulären Fußballbetrieb.21 Die besondere Funktion des Radsports hing daher wohl auch mit der weitgehenden Absenz solcher Traditionen zusammen: Weder war er so massiv wie der Skisport mit einer nationalsozialistischen Vergangenheit belastet, noch konnte oder – je nach Perspektive – musste er sich, wie der Fußball, an prägende »jüdische« Traditionen erinnern.22 So wie der Wiederaufbau ein Zusammenwirken der Arbeiter und Handwerker mit den Konstrukteuren und Technikern erforderte, so beruhte der Radsport auf der Zusammenarbeit verschiedener Akteure in einem Team. Kollektiver Aufstieg auf der Basis individueller Leistung und zugleich einer Teamarbeit passten gut in die Erzählungen des Radsports. Persönlicher Erfolg und individuelle Leistung waren also, ganz ähnlich wie im NS-Regime, kein Widerspruch zu Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, nur das Zusammenspiel von Individualität und 19 Weltpresse, 6. 9. 1946, 5. 20 Roman Horak/Matthias Marschik, Vom Erlebnis zur Wahrnehmung. Der Wiener Fußball und seine Zuschauer 1945–1990, Wien 1995. 21 Michael John, Hakoah Linz und andere Formen jüdischer Sportkultur nach 1945, in: Michael John/Franz Steinmaßl (Hg.), … wenn der Rasen brennt… 100 Jahre Fußball in Oberösterreich, Grünbach 2008, 105–109. 22 So war der Radsport eine der wenigen Sportarten, in denen die Hakoah bis 1938 nicht aktiv war.

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Kollektivität sollte neu geregelt werden: Die einzelne Leistung sollte nicht mehr nur im Rahmen des Kollektivs ihre Berechtigung haben und die Gemeinschaft sollte keine oktroyierte, sondern eine freiwillige sein. Der Sport konnte dieses neue Zusammenspiel in besonderer Weise demonstrieren, auch wenn mitunter der persönliche Erfolg zu sehr betont wurde. Bei »Rund durch Österreich« des Jahres 1948 etwa sei der mangelnde Kollektivgeist der österreichischen Fahrer schuld daran gewesen, dass einzelne Fahrer zwar gute Platzierungen erreichten, das österreichische Team aber den Sieg verspielte.23 Offensichtlich war das Versprechen, dass nun statt der Ausrichtung in Reih und Glied, statt absoluten Gehorsams und der Unterordnung unter das ›Volksganze‹ wiederum Individualität gefragt war, zu wörtlich genommen worden, »in dem kurzsichtiger Egoismus über das höhere Ziel, einen Erfolg Österreichs, triumphierte. Solange aber unseren Leuten das Fahren als Mannschaften nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, werden die Starts im Ausland nur gewisse wirtschaftliche, kaum aber sportliche Erfolge größeren Stils bringen.«24

»Tour d’Autriche« und ihre Vorläufer Im Radsport gab es, anders als im Ski- und Fußballsport, weder Traditionen regelmäßiger Erfolge auf europäischer Ebene (Bulla und Dusika bildeten Ausnahmen), noch waren nach 1945 internationale Siege zu verzeichnen. Die Situation unterschied sich auch von den Olympischen Spielen, bei denen Österreich nicht nur als gleichberechtigter Partner in die internationale Gemeinschaft wiederaufgenommen wurde, sondern sich – oft wider Erwarten – sogar erfolgreich im Wettkampf der Nationen behauptete. Im Gegensatz dazu entwickelte der Radsport in den ersten Jahren der Zweiten Republik eine identitätsstiftende, bald nationale Bedeutung besonders nach innen. Im Zentrum stand die Konstruktion und Ausgestaltung Österreichs, das für die eigene Bevölkerung greifbar und augenfällig gemacht wurde. Österreich konnte im Radsport deshalb paradigmatisch präsentiert werden, weil das Radrennen – im Gegensatz zum Fußballmatch in einem Stadion oder dem Skibewerb auf einem Berghang – das an Unmittelbarkeit und Augenschein einer Sportarena gebundene »Gesamtkonzept Sportveranstaltung«25 durchbrach – und damit quasi den Fernsehsport vorwegnahm.

23 Vgl. Welt am Abend, 21. 9. 1948, 6. 24 Kurt Jeschko, Giganten der Landstraße, in: Otto Haas (Hg.), Frommes Sportkalender 1948/49. Ein Jahrbuch für Sportler und Sportfreunde, Wien, 120–126, 124. 25 Georg Spitaler, War Sport cool? Sportdiskurse und Jugend im fordistischen Wien, in: Roman Horak/Wolfgang Maderthaner/Siegfried Mattl/Lutz Musner/Otto Penz (Hg.), Randzone. Zur Theorie und Archäologie von Massenkultur in Wien 1950–1970, Wien 2004, 126–148, 130.

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Abb. 73: Die Fahrer beim Anstieg zum Großglockner, Zeichnung. Offizielles Programm der Österreich-Rundfahrt 1949

Das galt schon 1946 für den ersten »Großen Preis von Österreich«, der die »Neue Zeit«, das »Organ der Sozialistischen Partei Steiermarks«, zu folgender Betrachtung veranlasste: »›Giganten der Landstraße‹, dieser Ausdruck wurde erstmals im Zusammenhang mit der ›Tour de France‹ geprägt, welche Radsportveranstaltung (…) als der schwierigste Bewerb der Welt gilt. Nun, wir haben zwar keine ›Tour d’Autriche‹ (Österreich-Rundfahrt), aber auch der ›Große Preis von Österreich‹, der heute mit dem Straßenrennen Wien – Graz über 200 km seinen Anfang nimmt, hat es in sich und wird für die besten österreichischen Radrennfahrer eine Prüfung auf Herz und Nieren bedeuten.«26 Auch wenn die Strecke weit davon entfernt war, ganz Österreich zu umrunden, verband sie doch die beiden Radsport-Hochburgen Wien und Graz, und mit dem Semmering war ein bekannter Berg als Kriterium inkludiert. Die beiden Begriffe »Giganten der Landstraße« und »Tour de France« prägten auch in den Folgetagen die umfassende Berichterstattung.27 Schon bei dieser rudimentären Österreich-Rundfahrt gab es also ein Vorbild, bei dem das Prinzip des Etappenrennens, die Verbindung von Massenmedien und Radsport, die Bilder von Land, Landschaft und Nation sowie die Figur des männlichen Helden prototypisch entwickelt wurden: die Tour 26 Neue Zeit (Graz), 26. 7. 1946, 3. 27 Weltpresse, 31. 7. 1946, 5.

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de France. Deren Vokabular bezüglich des Rennens und seiner Protagonisten wurde in die Berichte über die Österreich-Rundfahrt übernommen. 1947, bei dem in vier Etappen von Bregenz nach Wien ausgetragenen »Quer durch Österreich«, wurde bereits ein weitgehend selbstbewusstes Land präsentiert. Das begann bei den Streckenbeschreibungen, in denen die Fahrer »mit dem Arlberg sowie den Pässen Thurn und Lueg mörderische Steigungen zu überwinden haben«28, bis zum Stolz darauf, dass »Österreich« den zweiten Platz in der Nationenwertung belegte. So wurde das Rennen nicht ohne Stolz als der »kleine Bruder der Tour de France«29 beschrieben. 1949, bei der ersten tatsächlichen »Österreich-Rundfahrt«, in den Medien oft als »Tour d’Autriche« bezeichnet, wurde der nationale Auftrag schon explizit angesprochen: »Wie in vielen anderen Ländern, so soll auch in Österreich die Radrundfahrt ›Rund um Österreich‹ […] nicht nur ein sportliches, sondern auch ein nationales Ereignis ersten Ranges werden.«30 »Eine Kleinigkeit gegen die 5000 Kilometer der Tour de France, wird [die Österreich-Rundfahrt] immerhin quer durch Oesterreich führend, den Fahrern allerhand zum Auflösen geben!«31 Das sollte nicht zuletzt durch die Einbeziehung des nationalen Monumentes Großglockner bewerkstelligt werden. War die Österreich-Rundfahrt das kleine Abbild der Tour de France, konnte auch Österreich als Äquivalent des großen ruhmreichen Frankreich mit seiner traditionellen nationalen Verfasstheit positioniert werden. Indem nach langen Diskussionen die Fahrer des 1948 gegründeten Profiverbandes von der Tour ausgeschlossen wurden, entschloss man sich zu einer spezifisch österreichischen Variante, indem der Amateurstatus eine klare Trennlinie zu den großen europäischen Rundfahrten zog. Das kleine Österreich trat nicht in Konkurrenz zur europäischen Elite. Die Kleinheit des Landes, der Amateurstatus und die kurze Renndauer betonten die Unvergleichbarkeit mit der Tour de France, andererseits sei die Österreich-Rundfahrt aber doch auf eine Stufe zu stellen: »Laßt uns […] ein Kränzlein winden all den Helden, die mit ihrem sauren Schweiße die Österreich-Rundfahrt getauft haben. Sie bezwangen den inneren Schweinehund, der da ständig ruft und bohrt: ›Gib auf! Wozu diese irrsinnige Schinderei?‹ Acht lange Tage und Nächte waren sie Asketen des Sports, Sklaven einer hehren Idee. Und der Erfolg? […]; eine Handvoll Amateure war am Werk, in der österreichischen Radsportgeschichte einen Markstein zu setzen. Diese energiegeladene Atmosphäre, die unerbittliche Realität, verwoben mit den zarten Farben des österreichischen Panoramas, gewürzt und versalzen mit Einzelschicksalen der Fahrer, werden allen Teilnehmern unvergesslich bleiben. 28 29 30 31

Oberösterreichische Nachrichten, 11. 5. 1947, 3. Wiener Sport in Bild und Wort, 21. 6. 1947, 10. Salzburger Tagblatt, 22. 7. 1949, 7. Neue Zeit, 21. 7. 1949, 4.

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Unscheinbare Menschen lösten mit ihren filigranen Rädern und unbeugsamen Herzen schier unlösbare Probleme. Nicht einmal der majestätische Glockner konnte sie klein kriegen. ›Das Rennen hatte Schwierigkeiten, wie sie der Giro nicht aufweist‹, meinten die Azzurri, ›eine rechte Schwester der Tour de France‹, behaupteten die Franzosen. Österreichs Rundfahrt kann sich sehen lassen!«32 Zu Beginn der 1950er-Jahre wurde diese Ambivalenz dann bereits selbstbewusst formuliert: »Einer der jüngsten, aber am besten entwickelten Ableger der Tour de France ist die Österreich-Rundfahrt. Sie stellt nicht nur die längste und schwerste Etappenfahrt der Amateure dar, sondern bietet durch Ausnutzung der Geländevorteile unseres Landes besonders reizvolle Möglichkeiten der Streckenführung.«33 Die Österreich-Rundfahrt wurde zum wichtigsten österreichischen Radsportereignis und zu einem Baustein nationaler Identität. Der Verzicht auf einen Profibetrieb verunmöglichte Vergleiche mit dem Top Level des internationalen Radsports, bot aber die Chance auf österreichische Siege. In einem stark selbstreferentiellen (Medien-)System fand eine nach innen wirksame Helden- und Identitätskonstruktion statt. Die Österreich-Rundfahrt war eine auf die Kleinheit und den Zustand des Landes heruntergebrochene Version der Tour de France. Dass die einheimischen Fahrer bei der Österreich-Rundfahrt »nicht zu[r] Weltklasse« zählten, die ausländischen Teilnehmer »nicht allererste Garnitur« waren, das hatten Experten wie der Sportjournalist Heribert Meisel natürlich erkannt. Verschriftlicht hat er diese Einsicht aber nicht Ende der 1940er-Jahre, sondern erst 1954, als er retrospektiv auch »[k]leinliche Streitereien und Eifersüchteleien innerhalb der führenden Kreise des österreichischen Radsports« anprangerte und formulierte, dass die mäßige Qualität der Rundfahrt durchaus im Interesse der Organisatoren »gelegen war, die nicht nur Amateurfunktionäre, sondern auch Fahrraderzeuger sind und denen der Erfolg ihrer Marke das eine oder andere Mal schon über den rein sportlichen Sinn des Wettkampfes ging«.34 Ein großes Etappenrennen ist vor allem ein Medienereignis. Im Gegensatz zu Bahnrennen oder Kriterien sind die Geschehnisse eines Straßenrennens nur medial zu verfolgen. Jedes Rennen »lebt durch die Berichterstattung, mehr als durch Beobachtung am Straßenrand, sie ist Erzählung von Ereignissen«.35 Auch hier findet sich eine Parallele zur Tour de France und zu großen radsportlichen Ereignissen: Medien beschließen, »ein Event zu schaffen und darüber zu berichten, um neue Leser zu gewinnen und die Auflage zu steigern«.36 Mit der medialen Konstruktion (die stets einen passenden politischen, gesellschaftlichen 32 33 34 35

Weltpresse, 2. 8. 1949, 5. Der Radfahrer. Offizielles Organ des Österreichischen Radfahrerbundes, April 1952, 2. Heribert Meisel, Tor! Toor! Tooor! Erlebnisse eines Sportreporters, Wien 1954, 118–119. Georges Vigarello, Die Tour de France, in: Pierre Nora (Hg.), Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005, 452–480, 476. 36 Vigarello, Tour, 462.

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und ökonomischen Kontext benötigt) geht bei den großen Radrundfahrten auch die Konstruktion einer nationalen Identität einher, die stark auf zwei Elemente fokussiert: (männliche) Heldenfiguren und das Erfahren eines Landes (im wörtlichen wie im symbolischen Sinn).

Landschaften und Städte: Österreich erfahren Die Versuche, ein neues Nationsbewusstsein zu installieren und zu festigen, füllten ab 1945 die topographische Entität mit Interpretationen dieses Raumes, seiner Einheit und seiner »Sonderstellung« auf.37 Österreich definierte sich nach 1945 stark über seine Landschaft, seine Natur. Man hielt »umso stärker an der idyllischen Landschaft fest, als nirgendwo sonst das Potential so groß war, Vertrautes, Zeitloses, Fort- und immer weiter Bestehendes zu finden.« Deshalb waren auch »die unzähligen Heimatfilme jener Zeit ein derartig großer Erfolg«.38 Belebt und als Aspekt des Selbstbewusstseins einer Bevölkerung inkorporiert wird die Natur aber erst im Gefühl, sie auch kontrollieren zu können. Es bedurfte also der Bilder von Bauern und Bäuerinnen im Heimatfilm oder der Arbeiter in Kaprun, die zeigten, wie die Natur aktiv gestaltet, bearbeitet und verändert werden konnte. Gerade auch der Radsport bot solche Bilder der Überwindung und Beherrschung von Landschaft und Natur, wenn die Fahrer die ebenso unwirtliche wie geschönte österreichische Bergwelt durchfuhren und sich den Herausforderungen der »Natur« stellten, wenn der Radsport, trotz Schnee, Kälte, Hitze, Regen und Schlamm betrieben, von den Medien als extrem »harte« und »männliche« Aktivität dokumentiert und inszeniert wurde.39 Dieser Topos schloss dezidiert an die Tour de France an: Der Historiker Christopher S. Thompson hat detailliert die sozialdarwinistische und nationalistische Ideologie des Tour-Gründers Henri Desgrange analysiert: In einem von der militärischen Niederlage gegen Deutschland traumatisierten Frankreich um 1900 fiel dieses Heldenbild auf fruchtbaren Boden. Zugleich spielte bei der Tour de France von Beginn an der Aspekt, Frankreich zu »erfahren« und die Nation topografisch zu definieren, eine große Rolle, aufbauend auf malerische Land-

37 Gernot Heiss, Im »Reich der Unbegreiflichkeiten«. Historiker als Konstrukteure Österreichs, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 7 (1996) 4, 455–478. 38 Thomas Woldrich, Das schöne Austria. Tourismuswerbung für Österreich mittels Landschaft, Kultur und Menschen, in: Ursula Prutsch/Manfred Lechner (Hg.), Das ist Österreich. Innensichten und Außensichten, Wien 1997, 37–60, 48. Vgl. dazu auch Kapitel 1. 39 Matthias Marschik, Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationsbewußtsein in Österreich (1945–1950), Wien 1999, 210.

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schaften, große Städte, idyllische Dörfer und vor allem das eindrucksvolle Hochgebirge, das den Fahrern Übermenschliches abverlangte.40

Abb. 74: Fahrerfeld und Wagenkolonne der Tour de France auf einer staubigen Landstraße, 1931. Bild: Nachlass Max Bulla

Wie die Tour de France stellte auch die Österreich-Rundfahrt Verbindungen zur Vergangenheit her und inkludierte prominente Persönlichkeiten der Politik, von Bundes- und Landes- bis zu Lokalpolitikern.41 Doch während die Tour de France gemäß dem Historiker Pierre Nora selbst zu einem Erinnerungsort Frankreichs geworden ist, war die Österreich-Rundfahrt erst ein Weg dorthin. Eine Spur die zu verschiedenen Erinnerungsorten Österreichs führte. Es ging vom Wiener Rathaus zum Salzburger Festspielhaus und zum Wörthersee, auf den Arlberg und Semmering, die Orte wurden ideell durch die Etappenpläne und real durch die Fahrer miteinander in Beziehung gesetzt. In der Rundfahrt 1949 wurden, mit Ausnahme des Burgenlands und Vorarlbergs, in sieben Etappen, davon eine Doppeletappe, sieben Bundesländer durchfahren. Mittels der Schilderungen, der Fotos und der Grafiken trug dieses Rennen dazu bei, Österreich und seine zentralen Orte (die stets durch traditionelle Marker und zugleich touristische Se-

40 Christopher S. Thompson, The Tour de France. A cultural history, Berkeley/Los Angeles/ London 2008, v. a. 141–214. 41 Vigarello, Tour, 460 und 464.

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henswürdigkeiten charakterisiert wurden) kennenzulernen.42 Dazu kam noch ein spezielles innerösterreichisches Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden »Radhochburgen« Wien und Graz, das eine lange Tradition sowohl zwischen Radherstellern wie auch den Aktiven besaß: Graz, das schon vor 1900 wegen seiner Radproduktion als das »Coventry Österreichs« bezeichnet wurde, brachte in Gestalt des Akademisch-Technischen-Radfahr-Vereins zugleich den ersten bedeutenden Radfahrklub des Landes hervor. Den Ruf als Radhauptstadt Österreichs konnte Graz auch nach 1945 wiederbeleben. Die großen Radfabriken Puch und Junior (sowie der Zulieferer Assmann) standen in Graz und gründeten 1949 eigene Rennteams. So mussten die wichtigsten Etappenfahrten von Wien nach Graz oder über Graz führen. Mit der Rivalität zwischen Graz, Wien und der »Provinz« konnte damit auch im Radsport ein für die Sportspannung so wesentliches Element der intranationalen Konkurrenz Platz greifen. In den Österreich-Rundfahrten wurde damit sowohl praktisch wie symbolisch die Stadt mit ihren imperialen (Schönbrunn), barocken (Melk, Pöstlingberg), katholischen (Kirchen und Klöster) und gründerzeitlichen (Wiener Rathaus) Traditionen mit der österreichischen Technik (Semmering-Viadukte, Großglockner-Straße) und dem ländlichen Österreich verknüpft. Das Rurale, das – wie auch in der Heimatfotografie – die »Unschuld« des Landes konstruieren sollte,43 wurde mit der Kultur und Kulturlandschaft Österreich verbunden. Die Verkettung blieb nicht rein äußerlich, sie wurde durch die Emotionalität des Sports mit Gefühlen aufgeladen. Zugleich reduzierte man aber urbane Kulturen und Landschaften zu einer Kulisse für den Sport. Ab der Tour d’Autriche 1949 wurde – wie auch im Heimatfilm – selbst »das Hochgebirge bereits ›profanisiert‹ und nichts weiter als ein Ort der Sportausübung.«44 Schon bei ihrer ersten Auflage 1949 bezog die Österreich-Rundfahrt den Großglockner in ihren Streckenplan ein. Dabei mischte sich das Vorbild Tour de France mit den natürlichen Gegebenheiten einer »Alpenrepublik« Österreich. Die Medienberichterstattung wurde damit noch um eine Spur euphorischer: »Mit der vierten Etappe erreichte die ›Tour d’Autriche‹ zweifellos ihren absoluten Höhepunkt. Die 93 km lange Strecke von Lienz nach Zell am See, wobei der Großglockner zu bezwingen war, verlangte von den Giganten der Straße alles ab und stellte die denkbar größte Zerreißprobe für Mensch und Maschine dar.«45 Nach der Bergwertung beim Fuschertörl schien sich die Erwartung des Außergewöhnlichen bestätigt zu haben: »Die Gegnerschaft der einzelnen Fahrer untereinander trat in den Hintergrund, vorherrschend war die Kraftprobe Mensch 42 Siehe dazu das Kapitel: »Österreich wird gezeichnet«. 43 Elizabeth Cronin, Heimatfotografie in Österreich. Eine politisierte Sicht von Bauern und Skifahrern, Wien 2015, 174–175. 44 Gertraud Steiner, Die Heimat-Macher. Kino in Österreich 1946–1966, Wien 1987, 105. 45 Salzburger Volkszeitung, 27. 7. 1949, 4.

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und Material gegen Berg. […] Ein denkwürdiger Augenblick im österreichischen Sport.«46

Abb. 75: Offizielles Programm der Österreich-Rundfahrt 1950. Am Cover Franz Deutsch

Die nationale Bedeutung für Österreich wurde klar angesprochen: »Das Herz jedes Österreichers wird bei den Helden im Sattel sein, wenn sie die steilen Serpentinen des Großglockners emporklettern.«47 Der höchste Berg Österreichs hatte besondere Bedeutung für ein Land, das sich als »Alpenrepublik« verstand. Mit dem Bau der Hochalpenstraße, 1930 begonnen und 1935 fertiggestellt, wurde ein für den Alltagsverkehr kaum brauchbarer Verkehrsweg in der Zeit des Austrofaschismus zu einem »Kristallisationspunkt für ein kleinstaatliches Österreich-Bewusstsein« stilisiert. »Die Attraktivität des Projekts, der verbreitete

46 Wiener Kurier, 27. 7. 1949, 5. 47 Oberösterreichische Nachrichten, 24. 7. 1950, 7.

Radsport-Helden

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Konsens, dass der Glocknerstrasse eine geradezu schicksalhafte Notwendigkeit innewohne, war einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, die alle Register zog, alle Medien bespielte und alle Schichten der Bevölkerung ansprach«.48 Die Verbindung von erhabener Natur, technischer Innovation und Moderne wurde auch im Nationalsozialismus um Elemente der »Blut-und-Boden-Ideologie« erweitert und weitergeführt, schließlich war der Glockner nun der höchste Berg Deutschlands.49 Die Inszenierung kulminierte in zwei spektakulären Autorennen um den »Großen Bergpreis von Großdeutschland«, die 1938 und 1939 die deutschen Stars mit ihren Rennwagen von Mercedes und Auto Union auf den Glockner brachte. Konnte die erstmalige Befahrung des Glockners in der Tour d’Autriche des Jahres 1949 als spektakulärer Probelauf verstanden werden, bedeutete er in der Folge die Komplettierung der Rundfahrt zu einem nationalen Ereignis. Der Titel des »Glocknerkönigs«, für die Gesamtwertung des Rennens bedeutungslos, weil die Glockneretappe ja erst in Zell/See endete, wurde fast so bedeutsam wie der Sieg in der Rundfahrt selbst. Der Großglockner wurde zum Markenzeichen der Rundfahrt: Die Glockner-Etappe wurde in den Medien ausführlichst besprochen, sie war Kernthema der Wochenschau-Beiträge und sie bildete jahrelang das Sujet auf der Titelseite der Sportillustrierten und der offiziellen Programmhefte: So sind auf den Coverseiten der Programme der ersten Österreich-Rundfahrten, analog zur Symbolik der Tour de France, ein oder mehrere Fahrer im Anstieg zum Großglockner zu sehen, im Hintergrund die Fels- und Eislandschaft des Hochgebirges. Was der Großglockner für Österreich bedeutete, das konnten der Gaisberg, die Ries, der Zirlerberg oder die Wiener Höhenstraße auf lokaler Ebene duplizieren.50

Radsport-Helden Richard Menapace war einer der ersten Sporthelden der Zweiten Republik, nach seinem Sieg bei der Österreich-Rundfahrt kurzzeitig vielleicht der größte.51 Dabei macht ihn seine Biografie zu einem unwahrscheinlichen, vielleicht gerade des48 Georg Rigele, Die Großglockner Hochalpenstraße. Die Geschichte ihres Baus, in: Johannes Hörl/Dietmar Schöndorfer (Hg.), Die Großglockner Hochalpenstraße. Erbe und Auftrag, Wien/Köln/Weimar 2015, 75–100, 75–76. 49 Georg Rigele, Die Großglockner-Hochalpenstraße. Zur Geschichte eines österreichischen Monuments, Wien 1998, 340. 50 Auf diesen vier Anhöhen wurden auch die nationalen Bergmeisterschaften der Jahre 1946 bis 1949 ausgetragen. 51 1949 wurde er neben Ellen Müller-Preis (Fechten) zum ersten österreichischen Sportler des Jahres gewählt.

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halb so typischen österreichischen Helden. Seinen ersten Sieg bei der ÖsterreichRundfahrt im Jahr 1949 errang er noch als italienischer Staatsbürger. Von den Zeitungen wurde Menapace bis 1948 meist als »Südtiroler«, manchmal als »Italiener« oder später als »Innsbrucker« bezeichnet, ab 1949 dann als »Salzburger« (er war seit 3. Dezember 1948 dort gemeldet). Während 1948 noch diskutiert wurde, ob der Italiener Menapace österreichischer Staatsmeister werden könne,52 war 1949 häufig vom »Staatsmeister« und vom »Salzburger« die Rede, mit seinem Sieg bei der Österreich-Rundfahrt wurde er zum »Österreicher«. Was völlig ausgeblendet wurde, ist das Faktum, dass Menapace bis 1948 deutscher Staatsbürger war. Die komplexe Motivlage eines Südtiroler Optanten kommt schlicht nicht vor. Geschadet hätte sie seiner Popularität wahrscheinlich nicht, denn sie konnte ja unterschiedlich gelesen werden: Sie war nicht unbedingt ein Optieren für Deutschland, sondern konnte ebenso gegen das faschistische Italien und dessen Südtirolpolitik gerichtet gewesen sein. Menapace konnte aber auch im Sinne eines »geeinten Tirols« gelesen werden. Jedenfalls war er eine populäre Figur: In Salzburg »haben sie mich mit der Musik hinein auf den Residenzplatz begleitet, und der Landeshauptmann hat mich dort begrüßt mit Musik. Sogar die Amerikaner haben mit ihrem Jazz vor dem Hotel geblasen, wenn wir vorbeigezogen sind. Hunderte Radfahrer sind mit Glockengeläute voran – der Residenzplatz war voll. Es war ein großartiger Empfang und die Begeisterung war unglaublich.«53 Gerade wegen seiner komplexen Migrationsgeschichte, die weitgehend, aber nicht ganz, ausgeblendet wurde, verkörperte Menapace in der Nachkriegszeit einen perfekten Helden der Wiederaufbauzeit. Radsport wird häufig mit Anstrengung, Kampf und Verausgabung assoziiert. All das verkörperte der sehnigen Menapace im wahrsten Sinn des Wortes. Doch Menapaces Siege symbolisierten zugleich einen Aspekt eines zukünftigen Österreich, nämlich Leichtigkeit, Mühelosigkeit und Selbstverständlichkeit. Er unterscheidet sich damit von Rudolf Valenta: Deutlich jünger als Menapace schien bei ihm der Weg nach oben vorgezeichnet, doch unterbrachen Krieg und Gefangenschaft, aus der er im September 1945 zurückkehrte,54 seine weitere Karriere. Valenta hat Nationalsozialismus und Krieg als traumatisierend erlebt. Er hat dies, durchaus außergewöhnlich, auch in seinem Erinnerungsalbum, das ansonsten ausschließlich dem Radsport gewidmet ist, explizit problematisiert. Auf einer Seite dieses Albums finden sich – neben einem Zeitungsausschnitt zu seiner Heimkehr – unter der Überschrift »Schwarze Tage« die Namen im Krieg getöteter Radfahrer-Kollegen, eine an Käthe Kollwitz erinnernde Grafik und die 52 Vgl. Welt am Abend, 8. 10. 1948, 5. 53 Richard Menapace, in: Marschik, Frei spielen, 424. 54 Österreichische Volksstimme, 21. 9. 1945, 4.

Radsport-Helden

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Abb. 76: Auf den Schultern von »Riesen«: Richard Menapace als Sieger der Rundfahrt 1949. Bild: Archiv Toni Egger

Worte »Mord« und »Tod«. Darunter ein Hakenkreuz, in dessen Balken eingeschrieben ist: »Irrsinn«, »Brandstiftung«, »Angriff«, »Krieg«, »Raub«, »Opfer« und »Mord«.55 Ab 1946 feierte er große Erfolge, galt als der kommende Mann im österreichischen Radsport, doch Ende 1947 wurden in der Presse erstmals kritische Stimmen laut, er müsse härter an sich arbeiten. Er wurde als »ewiger Kronprinz« bezeichnet.56 1948 folgten weitere Erfolge, er gewann eine Etappe bei »Rund durch Österreich«, hätte nach Meinung der Presse auch die Gesamtwertung gewinnen müssen.57 Dazu kam mediales Lob für seine Erfolge im Ausland.58 Im Herbst wechselte Valenta zu den Profis, das »Neue Österreich« schrieb, er habe sogar das Zeug, »wie einst Max Bulla, zur Spitzenklasse vorzustoßen«.59 Trotz einiger guter Ergebnisse im Ausland, dem Sieg bei der österreichischen Meis55 56 57 58 59

Fotoalbum (»No. 2«) von Rudi Valenta. Im Besitz von Erich Valenta. Österreichische Zeitung, 31. 10. 1947, 7. Welt am Abend, 22. 9. 1948, 6. Neues Österreich, 2. 4. 1949, 5. Ebd.

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Abb. 77: Albumseite zu den Jahren 1943 bis 1945 im Bilderalbum des Rudi Valenta. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

terschaft 1950 und bei Wien – Graz – Wien nahm die Kritik zu: Die Erfolge in Österreich seien billig errungene Siege, bei Auslandsstarts wiederum habe er zu wenig Durchsetzungsvermögen. Das änderte sich für kurze Zeit nach seinem zweiten Platz beim Bol d’Or in Paris. Egal, wie hart Valenta an sich arbeitete, wie sehr er durch mangelndes Material, unprofessionelles Management (Bulla und Dusika) und schlechte Trainingsbedingungen zurückgeworfen wurde, die Kritik fiel hart aus. Wie sehr Valenta an dieser Kritik psychisch und letztlich auch physisch litt, zeigt seine Autobiografie: Für Valenta war die Karriere mit dem zweiten Platz beim Bol d’Or – wo er sich um den Sieg betrogen fühlte – vorbei. Seine weitere Karriere kommt in seiner Autobiografie nicht mehr vor. Während jene Fahrer, die als (Schein-)Amateure in Österreich große Erfolge feierten, als Helden bejubelt wurden, ist Valenta in gewisser Weise ein tragischer Held. Er tat, was gefordert wurde: den safe space des österreichischen Amateurradsports verlassen und sich dem Wettkampf mit den Besten der Welt zu stellen – schaffte es im internationalen Profibetrieb aber nicht ganz nach oben. Er wurde, ebenso wie der Boxer Josef Weidinger, implizit dafür bestraft, dass er sich nicht mit der Kleinheit Österreichs zufriedengegeben hat, ohne aber, wie später etwa Toni Sailer, international zu reüssieren. Möglich ist zudem, dass bei der

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harten Kritik an Valenta durch manche Zeitungen seine durch die Mitgliedschaft in der Freien Österreichischen Jugend (FÖJ) ausgewiesene Nähe zur KPÖ eine gewisse Rolle gespielt hat. Dass es nicht gänzlich unmöglich war, als Österreicher über den internationalen Profibetrieb zum Radsporthelden zu werden, bewiesen in beschränktem Maß Franz Dusika, aber noch wesentlich mehr Max Bulla.

Umgang mit der NS-Zeit in der Sportpolitik Max Bullas Erfolge als Profi lieferten nicht zufällig den Einstieg in einen Zeitungsartikel aus dem Jänner 1946: Nach dem Fußball-Länderspiel Österreich gegen Frankreich trafen im Hotel »[z]wei Sportgrößen echtester Wiener Prägung« aufeinander, die beide in Frankreich Karriere gemacht hatten: Max Bulla und Auguste »Gustl« Jordan. Jordan hatte seit 1932 in Frankreich gespielt, 1938 die Staatsbürgerschaft angenommen und war seither im französischen Team angetreten, so auch beim Match im Dezember 1945 gegen Österreich. Man kenne natürlich »Max Bulla, den ›Giganten des Rennsattels‹, den Sieger der Tour de France, der als kleiner unbekannter Tourist aus Österreich die ›Asse‹ der ganzen Welt stehen ließ. Über 200 Siege auf Bahnen und Straßen erstrampelte er sich im Laufe der zwanzig Jahre seiner Rennfahrerlaufbahn. Wenn er in Paris vom Bahnhof kam, winkten ihm die Taxichauffeure – höchster Ausdruck der Popularität.« Im Plauderton habe der Fußballer Jordan vom Spiel erzählt, doch Bulla unterbrach ihn: »›Was hast du denn getrieben in den letzten Jahren?‹ ›Ich war eingerückt als französischer Soldat und zwei Jahre in deutscher Gefangenschaft.‹ ›Nah geh, und sag, was machst du eigentlich noch, außer Fußballspielen?‹« Jordan erzählt von einer Bar, die er in Paris betreibt. Der Kriegsdienst in den feindlichen Armeen bleibt anekdotenhaft (bei Jordan) beziehungsweise unerwähnt (bei Bulla). »›Grüß mir Paris‹ ›Und du die Wiener!‹«60 endet der Artikel. Interessant ist, wie die Zitate zwar auf Jordans Schicksal im Zweiten Weltkrieg eingehen, jenes von Bulla jedoch völlig unerwähnt lassen, was typisch für viele Zeitungsartikel, nicht nur aus dem Sportbereich, in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist. Was die, die in Wien geblieben waren, gemacht haben, bildet zumeist eine Leerstelle (egal ob sie Täter, Opfer oder etwas dazwischen oder von beidem gewesen waren), man weiß es und spricht nicht darüber oder man will es nicht wissen. Interessant ist, was der Wiener in der Fremde gemacht hat. Die Tatsache, dass man sich noch vor kurzem als Feinde gegenübergestanden hat, wird vollkommen ausgespart und damit unsichtbar gemacht. Diese veröffentlichte Version des Gesprächs war typisch für den Umgang mit der jüngsten Vergangenheit: »Bei der Konstruktion eines neuen Österreichbildes 60 Wiener Sport in Bild und Wort, 26. 1. 1946, 15.

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sollte dem Sport eine tragende Rolle zukommen. Der Sport sollte helfen, die Verbrechen der NS-Zeit vergessen zu machen und ein ›reingewaschener Sportbetrieb‹ sollte nach innen stabilisierend wirken sowie nach außen glänzen.«61 Der zugrunde liegende – und mehr als fragwürdige – Grundkonsens der Sportarbeit wurde immer wieder klar ausgesprochen: »Der nationalsozialistische Überfall im März 1938 löschte nicht nur den Namen Österreich, sondern auch Österreichs Sport aus. Er wurde zu einem Bestandteil des reichsdeutschen Sportes und war im Rahmen dieses der systematischen Unterdrückung der Berliner Sportdiktatoren ausgesetzt.«62 Der Autor dieser Zeilen, Otmar Hassenberger, wusste natürlich um die Unhaltbarkeit der Konstruktion einer »Stunde Null«. Er war von 1934 an Schriftleiter der österreichischen Turn- und Sportfront gewesen, in der NS-Zeit dann Gaupressewart für Sport und nach 1945 Schriftleiter im Unterrichtsministerium, Gruppe Sport. Er verantwortete die Herausgabe der österreichischen Sportjahrbücher und der Olympia-Publikationen des ÖOC, war führendes Mitglied der Sport-Union, deren Zeitung er ab Dezember 1945 herausgab, aber auch des Ski-Verbandes und der ÖVP, für die er ab 1950 als Bezirksvorsteher von Hietzing fungierte. Durch seine politische »Flexibilität« gelang es Otmar Hassenberger sich in allen politischen Regimen durchgängig in führenden sportpublizistischen Funktionen zu positionieren und auf diese Weise wesentlichen Einfluss auf den Sport auszuüben. Zum Versuch einer »Stunde Null« im Sport passte auch, dass für dessen Entnazifizierung keine speziellen Regulative existierten. Der NSRL, als »von der NSDAP betreuter Verband«, wurde nach den Regelungen bezüglich der Partei beurteilt und verboten, die Vereine, Funktionäre und Aktiven nach den Vorgaben der Vereinsgesetzgebung bzw. nach dem Verbotsgesetz behandelt. Mit der Wiedereinsetzung der Verfassung von 1920 erlangten auch deren Bestimmungen bezüglich Vereinen neuerlich Geltung. Vereine und Verbände forderten von ihren Mitgliedern in meist vagen Formulierungen »politische und moralische Tragbarkeit« oder sistierten Vorstandstätigkeit, aber auch aktive Sportausübung bis zur Klärung in einem Entnazifizierungsverfahren. Das Vereins-Reorganisationsgesetz vom 31. Juli 1945 erlaubte den Vereinen, alle Veränderungen im Verein oder den Statuten seit dem »Anschluss« rückgängig zu machen. Mit Bescheid der Vereinsbehörde konnte der Verein weiter bestehen. Die Verbote von sozialdemokratischen und kommunistischen Vereinen wurden aufgehoben. Gemäß Verbotsgesetz konnte der Verein einzelne Mitglieder ihrer Funktion entheben, dies konnte aber auch seitens der Behörde erfolgen. Erleichterungen 61 Andreas Praher, Vergessen und verdrängt – Salzburgs Sport im Nachkriegsösterreich, in: Minas Dimitriou/Oskar Dohle/Walter Pfaller/Andreas Praher (Hg.), Salzburgs Sport in der NS-Zeit. Zwischen Staat und Diktatur, Salzburg 2018, 357–382, 358. 62 Otmar Hassenberger, Sport in Österreich, in: Hugo Steiner (Hg.), Österreich. 950 Jahre, Korneuburg 1946, 59.

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für »Minderbelastete« brachte das Nationalsozialistengesetz von 1947: Sie sollten ab 1. Mai 1950 wieder in Vereinen als FunktionärInnen tätig werden können.63 Tatsächlich ging es dann schneller: »Bereits im Juni 1948 wurden die Sühnefolgen für ›Minderbelastete‹ aufgehoben und ab 1950 wurden auch ›Belastete‹ weitgehend amnestiert […] Der Ausschluss belasteter Funktionsträger mündete meist, sofern keine direkte Beteiligung an Kriegsverbrechen nachgewiesen werden konnte, in kurzen Unterbrechungen in Form von zeitweiligen Berufsverboten«.64 Dafür sorgten nicht zuletzt häufige Interventionen der Dachverbände ASKÖ und Union, »die sich für ihre belasteten Mitglieder stark machten. Sie würden für den Aufbau und die Leitung des nationalen Sportbetriebs gebraucht.«65 Die Beschuldigten selbst unterstützten dies durch Hinweis auf ihre sportlichen Leistungen und ihren Patriotismus für Österreich.66 Nachdem anfangs die Alliierten großen Einfluss auf den Sport ausübten, wurden die Agenden der Sportorganisation ab 1947 den Ländern übertragen. Es entstanden Landessportorganisationen mit – paritätisch besetzten – Landessporträten, die zu je einem Drittel aus Vertretern von ASKÖ, Union und Vertretern von Vereinen, die sich weder dem einen noch dem anderen Lager zugehörig fühlen (also ab 1949 dann VertreterInnen des ASVÖ) zusammensetzten, sowie mit Landesfachvertretungen für die einzelnen Sportfachverbände. Das im Herbst 1946 beschlossene und im April 1947 installierte Salzburger Modell wurde österreichweit nachgeahmt.67 Das Zusammenspiel der Dachverbände war nur ganz zu Beginn kein Gegeneinander, wie die sportlichen Aktivitäten 1946 zu »950 Jahre Österreich« belegen: Die Sportveranstaltungen im Rahmen dieser Feierlichkeiten waren die erste Überprüfung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sportverbänden: ASKÖ und Union, der Österreichische Fußball-Bund und der Hauptverband für Körpersport, obwohl auf unterschiedlichen organisatorischen Ebenen angesiedelt, erarbeiteten mit ihren Landesverbänden ein Konzept, das sportliche Aktivitäten in allen Bundesländern vorsah. Damit erreichte man ein erstes gemeinsames Ziel: »Das Ausmaß, in welchem in einem Volk Leibesübungen und Sport gepflegt werden, ist ein Gradmesser seiner Zivilisation. […] Frohsinn und neue Schaffenskraft erwachsen dem Sportler aus seiner Betätigung, sportliche Leistungen fördern Willensstärke und Entschlußkraft, sein Vereinsleben Hilfsbereitschaft, Kameradschaft und Duldsamkeit.«68 63 Ulrike Feistmantl, Entnazifizierung und Wiederaufbau des Salzburger Sportwesens, in: Dimitriou et al., Salzburgs Sport, 335–356, 335–338. 64 Praher, Vergessen, 359. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Feistmantl, Entnazifizierung, 351. 68 950 Jahre ›Österreich‹. Festschrift der Wiener Sportwoche, Wien 1946, 7.

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Bald schon musste aber auch im Sport der Antikommunismus »als wesentliche Komponente für die relative Stabilität der österreichischen Nachkriegsgesellschaft«69 angesehen werden, sodass eine antikommunistische Orientierung die Chance auf eine gemeinsame antifaschistische Sportpolitik unterlief und ersetzte.70 Was aus gemeinsamen Sportverbänden geworden wäre, kann nicht einmal gemutmaßt werden. Sicher ist aber, dass mit dem Scheitern einer gemeinsamen überparteilichen Sportorganisation in Gestalt von »ZÖS« und »Hauptverband für Körpersport« zugleich eine wesentliche Zukunftsperspektive einer neuen Organisation des österreichischen Sports früh ad acta gelegt, eine egalitäre und nicht parteipolitisch dominierte Organisation des Sports unterlaufen und eine umfassende Entnazifizierung hintangestellt wurde, indem »höchst belastete ehemalige NSDAP-Eliten oder Fachleute […] aus ›nationalem Interesse‹« re-integriert wurden.71 Bemerkenswert beim Radsport ist, dass mit dem ÖRV (später ÖRB) ein weder ÖVP noch SPÖ nahestehende Verband der mit Abstand größte war. Sein langjähriger Präsident Franz Hamedl, auch Organisationschef der ÖsterreichRundfahrt und damit der wichtigste Radsportfunktionär, gehörte der KPÖ an. Eine wichtige Rolle im Sportbetrieb der Nachkriegszeit spielte auch die Freie Österreichische Jugend (FÖJ), der Rudi Valenta ebenso angehörte wie Franz Deutsch, der Rundfahrtsieger von 1951 und 1952: Gegründet als überparteiliche, antifaschistische Organisation entwickelte sie sich rasch zu einer de facto Vorfeldorganisation der KPÖ.72 Interessant in diesem Kontext ist auch, dass, anders als in der Ersten Republik, die KPÖ und auch die Sozialdemokratie den Professionalismus nicht mehr grundsätzlich ablehnten. Diskutiert wurde nun über die Frage, ob ein Profibetrieb in Österreich ökonomisch überlebensfähig oder doch der Scheinamateurismus aus pragmatischen Gründen sinnvoller sei. Das Ausblenden des Nationalsozialismus und die Reduktion des Zweiten Weltkriegs auf ein anekdotisches Erzählen bedeutete aber nicht das Fehlen einer Anknüpfung an frühere sportliche Erfolge, wie sich das auch bei Max Bulla und Franz Dusika zeigte. Der »minderbelastete« Bulla und der massiv involvierte, aber laut Entnazifizierung gleichfalls nur »minderbelastete« Dusika waren weiter aktiv. Dusika betrieb sein Fahrradgeschäft (ohne seinen früheren Kompagnon Alfred Schaffer, der ein eigenes Geschäft eröffnet hatte) und betätigte sich wie schon in der NS-Zeit als Manager und Organisator und nicht zuletzt als Vor69 Rathkolb, Republik, 34. 70 Manfred Mugrauer, Die Sportpolitik der KPÖ. Sportvereine, in: mitbestimmung. Zeitschrift für demokratisierung der arbeitswelt 40 (2011) 1, 7–13, 8. 71 Rathkolb, Republik, 33. 72 Matthias Marschik/Andreas Maier/Manfred Mugrauer: Speerwurf durchs Jahrhundert. Über das Zusammenspiel von Sport und Politik im Leben der Speerwerferin Herma Bauma, in: SportZeiten 15 (2015) 3, 47–74, 65.

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bereiter des Profiverbandes. Aber auch Bulla betrieb ein eigenes Gewerbe und hatte in der Elisabethstraße in der Innenstadt ein Büro, wo er – gemeinsam mit einem gewissen Karl Stoll – als Vertreter renommierter Fahrrad-Komponentenhersteller (Naben, Reifen, Felgen, Schaltungen) fungierte.73 Bulla betätigte sich in den folgenden Jahren aber vor allem als Testimonial, Experte und Kommentator in Sachen Radsport. Nach 1945 wurde besonders hervorgehoben, dass der »kleine Maxl« aus dem kleinen Österreich es geschafft hatte, bei den Allergrößten zu reüssieren. Das Narrativ Bulla nach 1945 unterschied sich von dem vor 1938. Vor dem Anschluss war in der medialen Darstellung Bullas zwar ein Lokal- und Österreichpatriotismus zu erkennen. Seine Erfolge wurden darin zwar gewürdigt, jedoch nicht mit der Kleinheit des Landes verknüpft. Bullas Erfolge der 1930er-Jahre lieferten ihm symbolisches Kapital, auch wenn es weniger in Geldwert umsetzbar war wie später etwa bei Franz Klammer oder Hermann Maier. Vor allem war Bullas Bekanntheitsgrad abseits der Sportinteressierten wohl doch zu gering. Ferry Dusika hingegen wurde als Ernährungs- und Gesundheitsapostel weit über den Sportbereich hinaus bekannt und baute sein Sportgeschäft zum wichtigsten Radgeschäft Wiens aus. Zudem etablierte er sich als wichtigster Förderer des Radsportnachwuchses. Er gründete gleich drei Radsportvereine (für jeden Dachverband einen, Bulla war übrigens Proponent eines dieser Klubs), was einerseits seine politische Flexibilität (oder Haltungslosigkeit) zeigte, andererseits aber auch mit der hohen Anzahl der bei ihm gemeldeten Radrennfahrer zusammenhing. Die Etablierung der Nachwuchsrundfahrt »Dusika-Tour« trug dann noch einen Baustein zur Etablierung seines Namens als Marke bei. Bei dieser eindrucksvollen nachsportlichen und Nachkriegskarriere spielte seine NSVergangenheit nur ganz zu Beginn eine Rolle. Anders als Bulla hatte er sich intensiv im NS-System betätigt, als SA-Mann, Parteimitglied und Schriftleiter des »Ostmark-Radsports«, und war dabei auch Verfasser von einschlägigen Propagandatexten. Erst 1947, als der Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten zunehmend lockerer wurde, erschien Dusika wieder in der Öffentlichkeit und baute sich ein beeindruckendes Netzwerk über alle ideologischen Grenzen hinweg auf. Seine Verstrickung in das NS-System spielte dabei offenbar keine Rolle. Sie wurde erst viele Jahrzehnte später thematisiert.

73 Inserat (Zeitungsausschnitt, undatiert) im Nachlass von Max Bulla.

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Gender/Frauenradsport Männer, die aus einem »verlorenen Kampf« heimkehrten, Kriegsgefangene, die gedemütigt und unterernährt zurückkamen, Gatten, die nicht mehr in den Familienkontext passten, Frauen, die zwischenzeitlich den Alltag ohne Männer meisterten, Nazis, die sich um ihre Ideale betrogen sahen und Besatzungssoldaten, die mehr zu bieten hatten als Heimkehrer:74 Männer standen im Zentrum der gesellschaftlichen Nachkriegs-Diskurse. Frauen, die im Krieg und in den Nachkriegsmonaten viel männlich konnotierte »Überlebensarbeit« leisteten, wurden hingegen gerade in den ersten Nachkriegsjahren zurück in die Privatheit gedrängt.75 Zu einer solchen Renaissance von Maskulinität76 bot sich der Sport in seiner physisch grundgelegten Männlichkeit paradigmatisch an. So sollte nach 1945 gerade im Sport eine männliche Überlegenheit augenfällig werden. Er sollte den ungebrochenen Primat von Maskulinität repräsentieren, Männern neue Sicherheit geben. Wenn selbst die wenigen von Frauen präferierten Vergnügungen, das Tanzen und das Kino, schon hinterfragt und kritisiert wurden,77 war deren Antreten im Wettkampfsport vielfach verpönt. Auch die Nationsbildung schloss nicht nur an das »Modell westlicher Nationalismen« an, sondern ebenso »an traditionelle Geschlechterhierarchien«: Nachgefragt wurden einerseits harte und patriarchale Männlichkeit, andererseits die »sogenannten ureigensten, ideologisch verklärten weiblichen Fähigkeiten« wie Güte, Mütterlichkeit, Opferbereitschaft, Verzicht und Liebe, die als natürliche Pflichten gesehen wurden.78 Gerade wenn die kleine, junge Nation Österreich im Sinne einer »Stunde Null« als schwach erlebt wurde, musste sie von kräftigen Männern erschaffen und beschützt werden. Das betraf die mehr oder minder ausschließlich von Männern bespielten Felder der Politik und Ökonomie, aber auch die in der Hochund Populärkultur und eben auch im Sport entworfenen Geschlechterbilder. So liefen ab 1945 und bis in die beginnenden 1950er-Jahre in Österreich zwei Entwicklungen des Sports fast parallel: Zum einen überflügelten Sportlerinnen ihre männlichen Kollegen bezüglich internationaler Erfolge: Augenfällig wurde 74 Ela Hornung, Trümmermänner. Zum Schweigen österreichischer Soldaten der Deutschen Wehrmacht, in: Wolfgang Kos/Georg Rigele (Hg.), Inventur 45/55, Wien 1996, 233–250. 75 Johanna Gehmacher/Maria Mesner, Land der Söhne. Geschlechterverhältnisse in der Zweiten Republik, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, 37–39. 76 Irene Bandhauer-Schöffmann/Ela Hornung, Von der Erbswurst zum Hawaiischnitzel. Die Hungerkrise im Wien der Nachkriegszeit in ihren geschlechtsspezifischen Auswirkungen, in: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Michael Gehler/Rolf Steininger (Hg.), Österreich in den Fünfziger Jahren, Innsbruck 1995, 11–34, 31. 77 Karin M. Schmidlechner, Frauenleben in Männerwelten. Kriegsende und Nachkriegszeit in der Steiermark, Wien 1997, 267–268. 78 Erika Thurner, Nationale Identität und Geschlecht in Österreich nach 1945, Innsbruck/Wien/ München 2000, 9 und 70.

Gender/Frauenradsport

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Abb. 78: Ein seltenes Foto eines Frauenradrennens in Wien. Bild: Wiener Illustrierte, 23. 10. 1948

dies 1948 bei den Olympischen Spielen, wo Trude Jochum-Beiser (Winter) und Herma Bauma (Sommer) die einzigen Goldmedaillen für Österreich gewannen. In St. Moritz errangen Athletinnen sechs von acht Medaillen, in London wurden alle vier Medaillen von Frauen errungen. Die Medien nahmen davon zwar reichlich Notiz, monierten aber primär die Schwäche der männlichen Teilnehmer. Zum anderen wurde der Sport extrem männlich inszeniert. So rangierten männlich codierte Sportarten wie Fußball, Boxen und der Radsport an der Spitze der Beliebtheitsskala. Auch die Veranstaltungen selbst inszenierten männliche Härte und Ausdauer. Frauen wurden in diesen Sportarten in Gestalt von beliebten Schauspielerinnen oder Sängerinnen lediglich als Aufputz engagiert und überreichten Siegespreise. Die Sportseiten der Medien unterstützten die sportive Restitution von Männlichkeit massiv. »So wurde in der praktischen wie medialen Realität des Sports das Faktum der starken, sportlichen und auch im Wettkampf erfolgreichen Frau zurückgenommen. Frauen schienen im Sport, Männer jedoch in der Inszenierung des Sports als Sieger auf.«79

79 Matthias Marschik/Johanna Dorer, Ambivalenzen der Sportberichterstattung. Mediendiskurse und Subtexte zum Frauensport von 1900 bis 1950, in: Anke Hilbrenner/Dittmar Dahlmann (Hg.), »Dieser Vergleich ist unvergleichbar«. Zur Geschichte des Sports im 20. Jahrhundert, Essen 2014, 207–234, 229.

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Im Skisport waren Frauen in der Nachkriegszeit noch vergleichsweise präsent und erfolgreich: »Die ersten Erfolge im österreichischen Nachkriegsskisport schrieben aber mehr die Frauen als die Männer«, sie galten »in der Regel eher als unbelastet als die in Lagern internierten bzw. in Nachkriegsprozessen angeklagten ehemaligen SA- und SS-Sportler«.80 Auch in der Leichtathletik waren Frauen zwar marginalisiert, aber zumindest wegen ihrer Erfolge akzeptiert. Aus dem Radsport – wie auch aus dem Fußballsport – waren Frauen nahezu exkludiert, noch mehr als in der extrem ambivalenten Situation des Frauensports bis 1938.81 Frauen waren im österreichischen Radsport nach einer kurzen Blütezeit um 1900 eine kaum beachtete Minorität. So gab es, sowohl im bürgerlichen wie im Arbeiterradsport, Hinweise auf sportlich und wettkampfmäßig Rad fahrende Frauen.82 Vor oder nach großen Radrennen wurden – vor allem in Wien und Graz, aber auch in der Provinz – kleinere Wettbewerbe für Kinder und Frauen veranstaltet, die oft im Zwischenraum zwischen Sportveranstaltung und der Spekulation auf männliche Schaulust angesiedelt waren, etwa wenn das Rennen mit einer Schönheitskonkurrenz verbunden war. So veranstaltete der Motor- und Radfahrclub Wörthersee im Jahr 1927 ein Frauenrennen: »Die Damen starteten um 10 Uhr, alle mit Herrenrennrädern.« Es waren bei dem Rennen auch Nicht-Mitglieder des Klubs zugelassen, angeblich um dem Damenradsport den Weg zu ebnen. Erste wurde Fräulein Grete Rubinstein, wobei die Siegeszeit von »12 Min. 15 Sek.« die Kürze der Strecke verdeutlicht.83 Der ASKÖ vermeldete 1930, dass sich unter seinen 1.000 RennfahrerInnen dreißig Frauen befanden.84 Nach 1945 fanden Radsportlerinnen innerhalb der bestehenden Verbände nur sehr zögerlich Akzeptanz und blieben stets unter männlicher Kontrolle. So hatte sich der Österreichische Radsportverband entschlossen, im Rahmenprogramm großer Radrennen auch einige kurze Läufe für Frauen zu veranstalten: erstmals bereits beim Rathauskriterium in Wien im August 1945, wobei die Streckenlänge 1.600 Meter betrug85 (!) oder auch bei einem Jubiläumsrennen in Linz, wo ein Frauen-Rennen über 20 Kilometer ausgetragen wurde.86 Im Sommer 1950 wurde 80 Andreas Praher, Österreichs Skisport im Nationalsozialismus. Anpassung – Verfolgung – Kollaboration, Berlin/Boston 2022, 393. 81 Matthias Marschik/Johanna Dorer, Sportliche Avancen – Frauensport in Wien 1934–1938, in: Österr. Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 27 (2016) 3, Schwerpunktheft: Perspektivenwechsel: Geschlechterverhältnisse im Austrofaschismus, 94–116. 82 Petra Sturm/Kathrin Pilz, Fehlende (Vor-)Bilder? Österreichische Radpionierinnen der 1890er Jahre und Zwischenkriegszeit, in: Matthias Marschik/Agnes Meisinger/Rudolf Müllner/Johann Skocek/Georg Spitaler (Hg.), Images des Sports in Österreich, Innensichten und Außenwahrnehmungen, Göttingen 2018, 67–84. 83 Kärntner Zeitung, 20. 4. 1927, 5. 84 Der Arbeiter-Radfahrer, April 1930, 3. 85 Neues Österreich, 7. 8. 1945, 4. 86 ARBÖ-Mitteilungen, 15/1948, 12.

Der neue sportliche männliche Held

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ein »Erstes Damen-Radrennen in Graz« veranstaltet: »Anläßlich der 100-kmLandesmeisterschaft der steirischen Radrennfahrer findet am Sonntag 14 Uhr auf der Strecke Puntigam-Feldkirchen ein Damen-Radrennen aller Altersklassen statt.«87 Die Streckenlänge betrug offenbar rund drei Kilometer. Auch bei anderen großen Radveranstaltungen, wie dem Langstreckenrennen Wien – Graz – Wien, wurden Frauen auf die ihnen von Männern zugeschriebene Rolle reduziert: Im Rahmenprogramm fand sich eine Schönheitskonkurrenz: »Wir suchen die Radfahrkönigin! Schöne Frauen zeigen sich immer gerne. Und die Männer lassen sich die Gelegenheit, schöne Frauen zu bewundern, nicht entgehen. Auch wenn die eigene Gattin darüber schimpfen sollte. Diesmal werden aber die Gattinnen nichts zu schimpfen haben, denn bei der Schönheitskonkurrenz, die im Rahmen der Zielveranstaltung von Wien – Graz – Wien durchgeführt wird, werden nicht Mannequins, sondern alle Wienerinnen aufgefordert, ihren Geschmack dem breiten Publikum vor Augen zu führen. Wienerinnen heraus!«88 Prämiert wurden übrigens, in dieser Reihenfolge: »1. das schönste Rad 2. die schönste Radsportkleidung 3. die schönste Frau«. Der Siegespreis bestand in einem Urlaub am Wörthersee.89 Wenn Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit entscheidende Prinzipien der Nation und der Nationswerdung sind, dann sind die Ideale von Geschlechterzuschreibungen deren Überhöhung und Popularisierung. An der positiven Stereotypisierung des Männerideals hatte der Sport, gerade auch der Radsport, nach 1945 wesentlichen Anteil. In den Jahren nach 1945 waren viele Karikaturen und Bilder im Sportkontext schlicht frauenfeindlich und/oder sexistisch. So kritisierte die »Weltpresse« beim Rathauskriterium 1949 zwar die Inszenierung mit einem Kuss der »schönsten Gerngroß-Verkäuferin auf die Lippen des Siegers«, nicht aber wegen ihres Sexismus, sondern weil es eine Abwertung des »sportlichen so ernsten Festes« bedeute.90

Der neue sportliche männliche Held Wie schon nach 1918, als der populäre Sport von Ausschreitungen auf und abseits der Stadien geprägt war und die Berichterstattung zahlreiche »Verrohungsdebatten« enthielt,91 dominierte nach 1945 ein militanter Diskurs die Sportberichte: 87 Neue Zeit, 1. 9. 1950, 4. 88 Semperit-Derby Wien – Graz – Wien. Offizielles Programm der Nonstop-Fahrt hinter 125 ccm Puch. Wien – Graz – Wien. 430 km. 16. Juli 1949, Wien 1949, 14. 89 Sportfunk, 17. 7. 1949; Marschik, Idealismus, 228–229. 90 Weltpresse, 5. 10. 1949, 13. 91 Roman Horak/Wolfgang Maderthaner, Mehr als ein Spiel. Fußball und populare Kulturen im Wien der Moderne, Wien 1997, 48.

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»[D]ie Entscheidungsschlachten der ersten Österreich-Rundfahrt werden erst am Großglockner geschlagen.«92 Härte und Männlichkeit waren nicht nur Element des Radsport-Diskurses, denn alle Sport-Texte und Bilder in den Tages- und Sportzeitungen zu Ende der vierziger Jahre zeigen deutlich: »Es bedurfte ganzer Helden, um diese Herausforderungen zu bewältigen und die Massenmedien überhöhten diesen Eindruck nochmals, indem sie in Text und Bild Sport-Heroen konstruierten.«93

Abb. 79: Der Nachkriegsheros Rudi Valenta beim Rennen Wien – Graz – Wien 1949 mit Schrittmacher und Begleitfahrzeug. Bild: Nachlass Rudolf Valenta

Die Sprache der Sportberichterstattung fiel nicht selten in eine kriegerische Diktion zurück, wobei sich Erinnerungen an die Kriegserlebnisse mit unmittelbaren Erfahrungen des Alltags verbanden, die Kampf, Einsatz und Härte gegen sich selbst wie gegen andere als selbstverständliches Element des Lebens erscheinen ließen. So wurde bei der Vorarlberg-Rundfahrt 1948 der Flexenpaß zur ultimativen Prüfung: »Schweiß und Blutdruck und Dreck und ein großes Wollen: Dort bricht einer neben seinem Rad zusammen, bleibt liegen, will und kann nicht mehr. Dort bleibt einer stehen, völlig erschöpft, schaut ins Rund unserer schönen Berge, schüttelt den Kopf. […] Dort macht einer kehrt, will zurück nach Stuben, bergab, nur bergab! Die Sonne brennt tückisch in Schweiß und rote Augen, das Wasser in den kleinen, schmucken Aluminiumflaschen wird weniger, versiegt. Endlich ist der Paß da, endlich!«94 Und im Programm des »Oster-Preises« der

92 Salzburger Nachrichten, 25. 7. 1949, 4. 93 Marschik, Idealismus, 214. 94 Tageszeitung. Organ der Kommunistischen Partei Österreichs. Land Vorarlberg, 27. 7. 1948, 3.

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Radsportler in Wien war eine Semperit-Werbung geschaltet mit dem Text: »Österreichs Kampfradsportler schwören auf Semperit.«95 Die Nähe zu Klaus Theweleits »Männerphantasien« ist eine gleich zweifache, einmal zu den »weißen männlichen kämpfenden Körpern« und zugleich zu Schlamm und Schmutz als Körpergrenzen und als das, was abgewehrt werden und zugleich im engsten Wortsinn beherrscht werden muss, denn wer »sich unterwirft, dem steigt der Schlamm der Feigheit in die Kehle«.96 Siege mussten also gegen sich selbst und gegen die Natur errungen werden, wie das viele Formulierungen der Autobiografie Rudi Valentas veranschaulichen. Es waren männliche Erfolge, die über die jüngst vergangenen Zeiten und für das neue Österreich errungen wurden: »Wer schon den Krieg verliert, der muß zumindest im sportlichen Wettkampf seine Härte und Männlichkeit unter Beweis stellen. Und ein sportlicher Sieg konnte über die militärische Niederlage mit allen durch sie hervorgerufenen Minderwertigkeitsgefühlen zumindest kurzzeitig hinwegtäuschen – und dies alles noch im Dienste der ›neuen Zeit‹.«97 Zum anderen passten die soldatisch-männlichen Inszenierungen des Radsports zur Wiederaufrüstung Österreichs bereits ab 1945. Sie unterstützten auf einer alltagskulturellen Ebene eine »mehr oder weniger kritiklose Anknüpfung an allgemein problematische militärische Tugenden und Traditionen« und arbeiteten auf diese Weise einer »kooperativ mit den Westallierten vorangetriebene systematische Remilitarisierung ab 1948/49«98 zu. Der Radsport verlangte nach Tugenden, die soldatisch konnotiert waren, aber auch das Fahrrad selbst weist enge kulturelle Bezüge zu Krieg und/oder Nationalsozialismus auf. Das beginnt bei den deutlich gestiegenen Produktionskapazitäten bei Fahrrädern in der NS-Zeit (speziell bei Puch und Junior) und reicht über den speziellen Stellenwert, den das Fahrrad in Kriegszeiten als Verkehrsmittel an der »Heimatfront«99 genoss, bis hin zum Frühjahr 1945, als viele Fahrräder in den letzten Kriegstagen zunächst versteckt wurden, während sie danach gegen unerlaubte Zugriffe alliierter Soldaten verteidigt werden mussten. Verräterisch ist in diesem Kontext etwa, wenn Menschen nach 1945 erzählen, sie hätten in ihrem

95 Offizielle Nennungsliste mit Wertungstabellen zu den großen Osterrennen. Sonntag, 9. April 1950. Prater-Hauptalle, Wien 1950, 1. 96 Klaus Theweleit, Männerphantasien. Band 1. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte. Frankfurt/ M. 1977, 495. 97 Marschik, Idealismus, 214–215. 98 Christian Stifter, Die Wiederaufrüstung Österreichs. Die geheime Remilitarisierung der westlichen Besatzungszonen 1945–1955, Innsbruck 1997, 193. 99 Rudolf Müllner, »Werkzeug und Waffe an der Heimatfront«. Das Fahrrad im Zweiten Weltkrieg, in: Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müllner/Michael Zappe (Hg.), Motor bin ich selbst. 200 Jahre Radfahren in Wien, Wien 2013, 116–119.

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Rad einen »guten Kameraden« gesehen.100 »Ich hatt’ einen Kameraden« übertitelte aber der »Wiener Sport in Bild und Wort« auch einen Bericht über den Todessturz des 23-jährigen Radfahrers Bernhard Pokorny,101 dessen Tod ohne jedes Pathos als zu akzeptierende Gefahr des Sports lakonisch abgehandelt wurde. Kampf wurde in den Nachkriegsjahren zu einer wichtigen Metapher des österreichischen Sports. Damit wurde den politischen und ökonomischen Anforderungen der Nachkriegsjahre ebenso Rechnung getragen wie den persönlichen Bedürfnissen vieler Männer, die aufgrund der Beendigung ihres Soldatendaseins und der aus ihrer Sicht aus den Fugen geratenen Geschlechterordnung gerade im Sport noch erleben und vorweisen konnten, dass sie »richtige Männer« waren und deren Qualitäten repräsentierten.102 Kampf wurde seitens der Medien, der Öffentlichkeit und ebenso seitens der Vereine und Verbände gefordert, er war aber zugleich die Formel, die sich die Sportler selbst auferlegten. Man musste an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen oder sogar versuchen, die eigenen Grenzen zu überwinden. So schreibt Rudi Valenta schon in der Einleitung zu seiner Autobiografie: »Viel beglückender als der Sieg ist ohne Zweifel das Wissen, den Kampf gegen sich selbst, gegen die eigene Schwäche, gegen alle Tücken und Intrigen gewonnen zu haben. Dieser Sieg ist schwerer zu erringen, er ist aber für jeden Kampfsportler erreichbar.«103 Auch Richard Menapace, dessen Autobiografie eher von spielerischer Leichtigkeit des Erfolgs erzählt, schildert zugleich Erlebnisse, die seine Härte gegen sich selbst dokumentieren, vom Sturz beim Giro d’Italia 1939, wo er trotz gequetschtem Muskel und einer offenen Wunde am Unterschenkel noch eine Etappe in Angriff nahm, bis zu »Quer durch Österreich« 1947, wo er beim Versuch, während der Fahrt die Kette wieder aufs Kettenrad zu montieren, mit der Hand in die Speichen geriet und stürzte. Doch trotz gequetschter blutender Finger, einer Gehirnerschütterung und schwerer Hautabschürfungen schulterte er das nicht mehr fahrbereite Rad und marschierte eine Stunde bis zum Ziel.104 Der Nachkriegssport wurde also in weiten Bereichen »zum Sinnbild für eine durch Kraft und Härte, Stärke und Kampf, Linearität, Ökonomie und Rationalität, Beherrschung, Herrschaft und Überlegenheit definierte ›Männlichkeit‹« stilisiert. Weiblichkeit hingegen wurde abgewertet und stand für Orientierungen wie »Zartheit, Schwäche, Zyklizität, Emotionalität und Spontaneität, die es im

100 Wolfgang Wehap, Frisch, radeln, steirisch. Eine Zeitreise durch die regionale Kulturgeschichte des Radfahrens, Graz 2005, 155. 101 Wiener Sport in Bild und Wort, 29. 9. 1948, 10. 102 Marschik, Idealismus, 233. 103 Rudi Valenta, Kampf um den Goldpokal, Wien 1956, 5. 104 Richard Menapace, Richard Menapace erzählt…, Wien 1951, 76–78 und 103.

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Sport zu bekämpfen und zu überwinden galt«.105 Dem Großteil der Sportlerinnen wurde die Fähigkeit zum Kampf abgesprochen: »Es fehlt an Ausdauer, an der Kraft, sich, nach anfänglichen Mißerfolgen, doch bis zum gesteckten Ziel durchzukämpfen.«106 Tabu waren auch alle Aspekte einer erotischen Anziehung unter Männern, auch wenn sie hin und wieder verklausuliert auftauchen, wenn etwa Richard Menapace den Sieger des Giro d’Italia 1938 und 1939, Giovanni Valetti, in seiner erotisierten und erotisierenden Männlichkeit beschreibt: »Er war ausgezeichnet durch eine ausgesprochene, auch ästhetisch schöne, Athletengestalt, seine Beine waren wie aus Bronze gegossen, vergleichbar denen eines sehr edlen Pferdes. Sie arbeiteten so gleichmäßig als handelte es sich um die Kolben einer Maschine.«107 Der soldatische Mann, nach Kriegsende gesellschaftlich am Rand stehend, fand im Sport noch seinen Raum. Zwar erklärt Ernst Hanisch den »alten Kriegermythos« in Österreich (und Deutschland) nach 1945 für obsolet108 und auch Ulrich Bröckling sieht die Hochzeit des »militanten Heroismus« als beendet an,109 doch schwindet damit keineswegs die Militanz in Form soldatischer Eigenschaften, Körperzuschreibungen oder Kampfmetaphern. Es war neben dem nach 1945 gleichfalls populären Boxsport vor allem das Radfahren, das diese Werte pflegte und tradierte, zentriert um die Figur des Heimkehrers: Es waren deren Bilder, »die das Österreichbewusstsein stärkten und vor allem eine Rückkehr zur Normalität versprachen. Ungeachtet ihrer jeweiligen Rolle und Funktion wurden Wehrmachtsangehörige in den Folgejahren pauschal zu Opfern und Helden des Krieges erklärt.«110 In den fotografischen – aber im übertragenen Sinn auch textuellen – »Bildern« von Sportlern wird eine visuelle Beständigkeit evident. Kampf und Leiden erweisen sich also weiterhin als unabdingbar, aber der Gegner und auch das »Framing« haben sich gewandelt, denn man kämpft nun für den und im Wiederaufbau. Männliche Werte sind dafür nach wie vor gefragt, wie ein Beitrag zur Österreich-Rundfahrt 1949 auf der Titelseite der Weltpresse111 paradigmatisch zeigt, wo der Gesamtführende Richard Menapace geradezu in Superlativen als »markanteste[r] Mann« der Rundfahrt, eines »Dramas in sieben Etappen«, beschrieben wird: Er ist »drahtig«, besteht nur aus »Sehnen« und »Muskeln«, er besitzt »Kämpferqualitäten«, was ihn zum »Triumphator«, zu 105 Birgit Palzkill, Zwischen Turnschuh und Stöckelschuh. Die Entwicklung lesbischer Identität im Sport, Bielefeld 1990, 46–47. 106 Grazer Montag, 27. 10. 1947, 4. 107 Menapace, Menapace, 64. 108 Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien 2005, 99–126. 109 Ulrich Bröckling, Postheroische Helden. Ein Zeitbild, Berlin 2020, 23–29. 110 Lisa Rettl/Magnus Koch/Richard Wadani, »Da habe ich gesprochen als Deserteur«. Eine politische Biografie, Wien 2015, 174. 111 Weltpresse, 27. 7. 1949, 1.

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einem »Tausendsassa« macht; Formulierungen wie: »Der ›Bergkönig‹ tritt mit einer Wucht an, dass man meint die Kette reißt« scheint übermenschliche Kräfte hinter seinen Leistungen zu vermuten, denn: »Wie ein Maschinenmensch treibt er sein Stahlross nach vorne.« Als solcher lässt er seine Gegner verzweifeln: »Kampf und Krampf« zeigen sich »auf den Gesichtszügen« von Enrico Gandolfi, der »verzweifelt kämpfen« muss, letztlich aber gegen den »Strategen« Menapace den Kürzeren zieht. Mit vielen dieser Formulierungen assoziiert man eine nationalsozialistische Diktion, Assoziationen an die Ernst Jünger’sche Stahlgestalt sind naheliegend. Der Artikel zitiert durchwegs soldatische Tugenden, doch ist der Radsportler kein Frontkämpfer gegen die Alliierten mehr, sondern er kämpft an der Wiederaufbaufront. Der populäre Sportjournalist Heribert Meisel formuliert, dass Radsportler »Roßnaturen« sein müssten, aber eben keine Soldaten, sondern Arbeiter, denn Radfahren sei ein Beruf, aber eben »die schwerste Arbeit.«112 Auch in der Sprache der Medien hat sich Entscheidendes verändert: Zum einen ist das Gesamtsetting anders geworden. Es geht nicht um die Zerstörung des Gegners, sondern um den Sieg im sportlich-fairen Wettkampf, und es geht nicht um die Vernichtung eines Feindes, sondern um das Bezwingen der Natur. Menapace wird selbst im euphorischen Artikel der Weltpresse nirgends als »Held« bezeichnet, sondern als »ein Mann […] der die Heldenrolle so traumhaft verkörpert«, er verkörpert also bloß eine heldische Rolle. Es geht nicht um einen Kampf auf Leben und Tod, sondern es handelt sich um eine Inszenierung auf der Bühne des Radsports. Das wird in den Medienberichten zum Radsport überdeutlich: In das NS-Vokabular wird häufig eine Metaebene eingezogen, die durch Relativierung und Ironisierung eine klare Distanzierung einführt. Ein weiterer klarer Unterschied bestand in der Inszenierung des Leidens. Das Leiden ist ein konstituierender Topos des männlichen Radrennsports, der nach 1945 auch im österreichischen Radsport vorkommt. In der Konstruktion der »Giganten der Landstraße« tritt die Inszenierung der Radsportler neben den Mythos von Kaprun, wo die österreichischen Arbeiter nach 1945 »zu den ›Helden‹ der Arbeit des Wiederaufbaus gerechnet« werden, die im Dienst für Österreich tätig waren: »Sie verloren keinen Weltkrieg, sondern sie gewannen den ›Krieg‹ gegen die Natur«. Es ging um einen Kampf »jenseits des Krieges, Gegner ist die Natur, die bezwungen werden muss«.113 Es ging um die Produktion von »Ikonen des Wiederaufbaus«, so Erika Thurner: Das Kriegsende »erforderte es fast zwangsläufig, andere Orte und Räume mit militärischem Geist zu besetzen. Die über die Armee idealisierten, überhöhten Männlichkeitsbilder 112 Meisel, Tor! 113 und 116. 113 Ernst Hanisch, Landschaft und Identität. Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte, Wien 2019, 182 und 186.

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– und in komplementärer Funktion die geforderten weiblichen Rollen – wurden in Arbeitswelt und Privatsphären verlagert. Der Alltag – wenn auch zunächst noch teilweise zwischen Schutthalden loziert –, er mußte heroisiert werden«. In den Beschreibungen der Helden des Radsports und der Männer von Kaprun erfolgte »immer wieder der Rückgriff auf Metaphern des Krieges«, um die »nationale Bedeutung zu steigern«.114 Auch wenn der Radsport oft in Kriegsmetaphern beschrieben und abgebildet wurde und wenn die Fahrer an die Grenzen körperlicher und physischer Belastbarkeit gehen mussten, wurde dennoch klar: Es war kein Krieg. Das Rennen war mit der Zieldurchfahrt beendet, der extremen Spannung und Entspannung folgte der Jubel und schließlich die Rückkehr in den Alltag. Und das war es auch, was die Medien, trotz ihrer mitunter martialischen Sprache, letztlich durch relativierende, ironische, kalmierende Formulierungen deutlich machten: Hier wurde ein Österreich-Bewusstsein zwar durch maximalen Einsatz, aber doch auf friedlichem Weg geschaffen.

114 Thurner, Identität, 44 und 48.

9.

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Am Ende unseres Weges mit den »Sportkameraden« Franz »Ferry« Dusika, Max Bulla, Richard Menapace und Rudolf Valenta legt der Rückblick aus dem Jahr 2023 den Eindruck nahe, dass Österreich als Nation, Staat und Wirtschaftskraft flott unterwegs ist. Die Identifikation der ÖsterreicherInnen mit diesem Land ist mittlerweile so gefestigt, dass sie weder durch eine Ski-WM ohne Goldmedaille noch durch eine Diskussion über die Neutralität im Angesicht des Überfalls Russlands auf die Ukraine erschüttert werden kann. Es war gerade auch der Sport, und da nicht zuletzt die »Tour d’Autriche« und ihre Radsporthelden, der in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre die ÖsterreicherInnen auf den Weg brachte: Ihr Land sei ein lohnendes Ziel, das erheblicher Anstrengungen wert ist. Die Radsportler brachen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf, ohne zu ahnen, dass Österreich ihr Ziel sein würde. Die Begeisterung des Publikums, die Inszenierungen der Politik, die Intentionen der Besatzer, die Überwindung von Not und Hunger sowie ein noch zaghafter wirtschaftlicher Aufschwung trugen dazu bei, die Nation Österreich als Ziel ins Auge zu fassen. Auch aus dem einfachen Grund, dass es nach der NS-Ära und mit Blickrichtung auf eine europäische Nachkriegsordnung keinen anderen Weg gab. Der (öffentliche Show-)Sport ist längst als eine politische Inszenierung mit nationalem Brimborium anerkannt. Das Nationale fand irgendwann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Weg in den Sport. Es gibt zahlreiche fundierte Untersuchungen über Beginn, Wirkweise, Struktur und Mehrwert dieses seltsamen, wenn auch überaus populären und wirkmächtigen Zusammenspiels. Es ist bis heute Dauerthema internationaler Debatten, zum Beispiel zur Frage, ob russische SportlerInnen an Olympischen Spielen teilnehmen dürfen oder nicht.1 Österreich erwuchsen aus der Kooperation von Sport und Nation unerwartete und weitreichende Konsequenzen. Eine der Voraussetzungen dafür war, dass sich schon bald nach Menapaces zweitem Rundfahrtsieg 1950 der öffentliche Wettkampfsport zu einem vielgesichtigen Phänomen auszudifferenzieren begann. Die 1 URL: https://www.jensweinreich.de/ (abgerufen 20. 2. 2023).

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steigende Zuversicht ins nationale und individuelle Überleben reduzierte den Druck auf den Alltag. Raum für Unterhaltung öffnete sich, auch der Wert von SportlerInnen wurde ab dem Beginn der 1950er-Jahre nicht mehr nur entlang der Leistung bemessen, das (schau)spielerische Element wurde zu einem Faktor der individuellen und nationalen Selbsterzählung. Der von Besatzungsmächten, heimischen Politikern und eben auch SportlerInnen definierte Raum Österreich verwandelte sich in eine Bühne. Franz Deutsch, der Nachfolger Richard Menapaces als Sieger der Österreich-Rundfahrt (1951, 1952), wurde als lockerer Geselle präsentiert, der zur Steigerung seiner Lebensgeister und Wettkampfperformance gern zu Bier und Underberg griff. Max Bulla bezeichnete ihn als »Dulliöh-Sieger, aufgeputscht mit Wein und Bier«.2

Abb. 80: Eine neue Generation: Franz Deutsch und ein Fluggerät namens Underberg. Bild: Archiv Toni Egger

2 Wolfgang Wehap, Biografisches Rad-Lexikon Steiermark. Sonderedition Ausstellung »Radkult«, Leoben 2012, 29f.

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Die von den Radsportlern und anderen Athleten vorgelebte Arbeitsmoral, Disziplin, Härte und Strebsamkeit etablierten in der Krisenzeit essenzielle und bis heute wirksame Tugenden. Dazu kommt das in den Rundfahrtprogrammen und Zeitungsberichten formulierte Bild des Landes als eines zu gestaltenden (Trümmerlandschaft), schönen (Seen) und schaurigen (Glockner) Raums, in dem es sich wunderbar leben lässt. Sofern man sich entsprechend anstrengt. Österreich lebt noch heute zu einem erheblichen Teil von der Selbstinszenierung als »Heimatfilm« in einer idyllischen Kulisse mit Burgen, Bergen und Bauern, aber auch einem barocken Ambiente. Wir stehen vor einer »Dominanz der Narrative«, die mit Bildern und hegemonialen Erzählungen tradiert werden und bis heute »den Blick in bestimmter Weise lenken.«3 Die locker-kumpelhafte Selbstdarstellung von Franz Deutsch und seinen KollegInnen aus anderen Sportdisziplinen darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mindestens so hart arbeiteten wie die ersten Nachkriegsheroen. Eher das Gegenteil war der Fall. Deutschs Griff zu Aufputschmitteln zeigt den Leistungsdruck des Sportlers in einer zunehmend im Sinne der fordistischen Arbeitslogik ausgerichteten Welt. Die Arbeit mit dem Körper war auch Arbeit gegen den Körper. Der Output war das entscheidende Kriterium. In einer Zeit, da die Identifizierung der Bevölkerung mit dem Land Österreich Fahrt aufnahm, integrierte sich der Hochleistungssport allmählich in die Unterhaltungsindustrie und musste sich deren Standards und Qualitätskriterien unterwerfen. Dusika und die anderen Radsporthelden in den Jahren 1930 bis 1950 waren zwar dankbare Themen der Zeitungen und des Radios, der forcierte sport-medialökonomische Komplex entstand jedoch erst mit dem Einsetzen der modernen, von den USA vorformulierten Formen der Massenkommunikation. In Österreich darf der Spitzensport allerdings eine Sonderrolle für sich beanspruchen. Sie wurde, wie dieses Buch am Beispiel einiger Radrennfahrer gezeigt hat, ab 1930 sozusagen ausprobiert und im NS-Regime in die dort vorgesehene Form gebracht. Seinen konkreten und effizienten Beitrag zur Konstruktion Österreichs begann der Sport freilich im vollen Ausmaß erst ab 1945 zu entfalten. Menapaces und Valentas nationale und internationale Erfolge im Erfahren Österreichs bildeten dazu den noch naiven, tastenden und euphorisch rezipierten Vorlauf. Wahrscheinlich wären die weiteren Pas de deux von Sport und Nation ohne diese zaghaften aber wegweisenden Versuche verzögert und anders abgelaufen. Das am Beginn der Zweiten Republik vom (kommunistischen) Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka in Auftrag gegebene Bild des »Wunderteams« der 1930er-Jahre setzt ja in einer Zeit der Radsporteuphorie einen bewussten, pro3 Michael Wildt, Einführung, in: Michael Wildt/Sybille Steinbacher (Hg.), Fotos im Nationalsozialismus. Neue Forschungen zu einer besonderen Quelle, Göttingen 2022, 7–22, 16.

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pagandistischen Rückgriff auf eine integrierende, nationale Fußballerinnerungsgeschichte. Da war es zur Glorifizierung des Skifahrers Anton Sailer nach seinem dreifachen Olympiasieg 1956 als Repräsentant des Wiederaufbaus nur mehr ein kleiner, geradezu selbstverständlicher Schritt. Vielleicht ist es zu weit gegriffen, die Gründung des Wirtschaftsfaktors Ski- und Wintertourismus als Folge der Euphorie rund um Menapace zu verorten. Tatsächlich aber setzte die Radsporteuphorie Ende der 1940er-Jahre den ersten Impuls auf dem Weg zu einem nationalen österreichischen Sportnarrativ, dessen bleibender Wert in der Erwirtschaftung von großen Mengen symbolischen und baren Kapitals besteht.

10. Literatur- und Quellenverzeichnis

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Literatur

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Literatur- und Quellenverzeichnis

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Literatur

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Literatur- und Quellenverzeichnis

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Zitierte Zeitungen Allgemeiner Tiroler Anzeiger Arbeiter-Zeitung Arbeiterwille Burgenländische Freiheit Deutscher Telegraf Dolomiten Die ganze Woche Grazer Montag Grazer Tagblatt Grazer Volksblatt Illustrierte Kronen-Zeitung Illustrierter Radrenn-Sport Innsbrucker Nachrichten Jugend voran Das Kleine Blatt Das Kleine Volksblatt Kleine Volkszeitung Der Montag mit dem Sport-Montag Neue Freie Presse Neue Zeit Neues Österreich Neues Wiener Journal Neues Wiener Tagblatt Neueste Zeitung (Innsbruck) NS-Telegraf Oberösterreichische Nachrichten Ostmark-Radsport

Interviews

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Österreichische Zeitung Österreichischer Radsport (Österreichische) Volksstimme Der Radfahrer Radsport Radsport-Zeitung Reichsorgan der Arbeiter-Radfahrer Österreichs Reichssportblatt Rote Fahne Salzburger Nachrichten Salzburger Tagblatt Salzburger Volkszeitung SonntagsBlick Sport Sport im Volk Sport-Schau Sport-Tagblatt Die Stunde Südostdeutsche Tageszeitung. Heimatblatt für das ostmärkische Grenzlanddeutschtum Der Tag Völkischer Beobachter Volkswille Vorarlberger Nachrichten Vorarlberger Tagblatt Welt am Abend Weltpresse Wiener Allgemeine Zeitung Wiener Bilder Wiener Kurier Wiener Neueste Nachrichten Wiener Sport in Bild und Wort Wiener Zeitung Zürcher Illustrierte

Interviews Interview Bernhard Hachleitner/Johann Skocek mit Michael Bulla (Sohn von Max Bulla), 2. 5. 2022, Hinterbrühl. Interview Matthias Marschik mit Erich Valenta (Sohn von Rudolf Valenta), 23. 9. 2022, Leopoldsdorf bei Wien. Interview Matthias Marschik mit Richard Menapace jr. (Sohn von Richard Menapace), 12. 1. 2022, per Zoom. Interview Matthias Marschik mit Michael Bulla (Sohn von Max Bulla), 2. 5. 2022, Hinterbrühl.

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Literatur- und Quellenverzeichnis

Archive Bundesarchiv (Berlin) Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Landesarchiv Bozen Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖStA/AdR) Salzburger Landesarchiv Salzburger Stadtarchiv Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA) Privatarchiv Michael Bulla Privatarchiv Richard Menapace jr.