Nationen im Gleichschritt: Der Kult der >Nation in Waffen< in Deutschland und Frankreich, 1871-1914 9783666357817, 3525357818, 9783525357811

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Nationen im Gleichschritt: Der Kult der >Nation in Waffen< in Deutschland und Frankreich, 1871-1914
 9783666357817, 3525357818, 9783525357811

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 118

VöR

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Peter Ulimann, Hans-Ulrich Wehler

Band 118 Jakob Vogel Nationen im Gleichschritt

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Nationen im Gleichschritt Der Kult der >Nation in Waffen< in Deutschland und Frankreich, 1871-1914

von

Jakob Vogel

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Vogel, Jakob: Nationen im Gleichschritt : der Kult der >Nation in Waffen< in Deutschland und Frankreich, 1 8 7 1 - 1 9 1 4 / von Jakob Vogel. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1997 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft ; 118) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1995 ISBN 3-525-35781-8 kart. NE: G T

© 1997, Vandenhoeck 8c Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Pohle. Druck und Bindung: Guide-Druck GmbH, Tübingen.

Inhalt

Vorwort

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Einleitung

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A. Militärische Feierlichkeiten im Kult um die >Nation in Waffen< B. Ritual, Kult, Repräsentation C. Zwischen nationalem Vergleich und Lokalstudien

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Kapitel I Vom militärischen Zeremoniell zum nationalen Ritual

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A. Die Ritualisierung der militärischen Ausbildung im Paradezeremoniell B. Die Militarisierung der staadichen Repräsentation C. Die Armee als Sinnbild der »Nation in Waffen< D. Der Wandel der öffendichen Fest- und Feierkultur E. Die Institutionalisierung der nationalen Militärfeiern in Deutschland und Frankreich Kapitel II Das rituelle Bild der >Nation in Waffen< A. Das monarchische »Volk in Waffen« Deutschlands 1. Die militarisierte Monarchie a) Der >reichsnationale< Armeekult der Kaiserparaden b) Die Repräsentation der preußisch-deutschen Militärmonarchie c) Die langsame Öffnung eines militärisch-höfischen Festes 2. Der Wandel der deutschen Militärfeiern bis zum Ersten Weltkrieg a) Die Ausweitung der militärisch-nationalen Öffendichkeit b) Das >traditionalistische< Bild des deutschen Heeres c) Die Rolle Kaiser Wilhelms II. im Wandlungsprozeß der Militärfeiern

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Β. Die republikanische »Nation en armes« Frankreichs 1. Die wehrhafte Republik

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a) Die republikanische Inszenierung der »Nation en armes« 93 b) Die symbolische Rangordnung des republikanischen Staates .. 99 c) Das hierarchisierte Massenfest der »Nation en armes« 103 2. Die Entwicklung der französischen Militärfeiern bis zum Ersten Weltkrieg 112 a) Das >modernisierte< Bild der Armee 112 b) Zwischen Zivilisierung und Militarisierung 117 c) Die Apotheose der Armee 1912-1914 122 C. Das »Volk in Waffen« und die »Nation en armes« im Vergleich .... 129 Kapitel III Die militärische Erinnerung der >Nation in Waffen
Nation in Waffen
Nation in Waffen
Nation in Waffen
Nation in Waffen < Als am 1. September 1909 die Truppen zur alljährlichen Herbstparade des Gardekorps auf dem Tempelhofer Feld bei Berlin in Felduniform, also ohne die üblichen farbenprächtigen Paradeuniformen, erschienen, war die Verwunderung der zahlreichen Zuschauer außerordentlich groß. Einzelne Anwesende vermuteten sogar, es gäbe »gar keine richtige Parade, sondern ein großes Gefecht«, mit dem der Kaiser die Herbstmanöver beginnen lassen wolle.1 Gar zu eng war in ihren Augen das Bild der in den bunten Uniformen aufziehenden Truppen mit der Vorstellung einer >richtigen< militärischen Feierlichkeit verbunden. In ähnlicher Weise sah auch die französische Zeitung »L'Illustration« in dem feldmäßigen Auftritt der Soldaten am 16. März 1912 zur Frühjahrparade in Vincennes einen Hinweis auf den »caractère sérieux, presque grave, de la fete«,2 während der »Petit Parisien« die ohne ihre schmückenden Paradeuniformen auftretenden Soldaten bereits »tout prêts à partir pour la guerre« wähnte. 3 Sieht man von derartigen außergewöhnlich >kriegerischen< Veranstaltungen ab, so gehörte das bunte Bild der Militärfeiern in Deutschland wie in Frankreich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zu den regelmäßig wiederkehrenden Höhepunkten des sozialen Lebens. Zu den Veranstaltungen versammelten sich immer wieder Tausende von Zuschauern, um gemeinsam mit den staatlichen Würdenträgern der feierlichen Truppenparade beizuwohnen. Das große Publikumsinteresse galt neben den Soldaten vor allem den höchsten Repräsentanten des Nationalstaates, dem deutschen Kaiser und dem französischen Staatspräsidenten. Ihre Anwesenheit unterstrich ebenso wie die in den Fahnen, im Dekor und selbst in den Liedern der Militärmusik allgegenwärtige Nationalsymbolik den nationalen Charakter der Feierlichkeiten, die bereits von den Zeitgenossen in beiden Ländern zu den wichtigsten Veranstaltungen des nationalen Kultes gezählt wurden. 4 Die große Bedeutung der Militärfeiern in der deutschen und französischen Gesellschaft vor 1914 mag gerade in Deutschland nach der Erfah11

rung zweier Weltkriege unverständlich erscheinen. Entsprechend gering war die Aufmerksamkeit, welche die deutsche Geschichtswissenschaft den Militärparaden wie auch anderen folkloristischen Aspekten der Militarisierung der europäischen Gesellschaften im 19. Jahrhundert bislang einräumte. 5 Nur vereinzelt wurde auf die wichtige Funktion hingewiesen, welche die militärischen Feierlichkeiten im kaiserlichen Ritualkalender6 und bei der Integration der Bevölkerung im neugegründeten Nationalstaat7 besaßen. Das weitaus größere Interesse, das die französische Forschung den Feierlichkeiten des militärischen Kultes entgegenbrachte, 8 hängt daher vermutlich auch mit der relativ ungebrochenen Tradition der Militärparaden des 14. Juli zusammen, die sich in Frankreich nicht zuletzt dank des siegreichen Ausganges der beiden Weltkriege bis heute erhalten hat. Gerade der öffentliche Kult um die Armee kann jedoch wichtige Aufschlüsse über die Stellung der Armee in der Gesellschaft vermitteln. Vor allem die militärischen Feiern in ihrer Verknüpfung von militärischer Repräsentation, nationalstaatlicher Feierlichkeit und populärem Massenfest erscheinen dabei als eine Schnittstelle, die eine ganze Reihe der in der Historiographie zum deutschen Kaiserreich und zur französischen Dritten Republik zum Teil kontrovers debattierten Fragen über nationalen Kult und militärische Repräsentation, über staatliche Feiern und populäre Festkultur sowie auch allgemein über das Verhältnis zwischen Militär und Gesellschaft zu bündeln vermag.

Nationaler Kult und militärische

Repräsentation

Die regelmäßigen Feierlichkeiten, die sowohl in Deutschland als auch in Frankreich in den Jahrzehnten nach dem Krieg von 1 8 7 0 / 7 1 zu einer festen Einrichtung im sozialen Leben beider Länder aufstiegen, verknüpften die Präsentation der militärischen Kampfkraft und Stärke eng mit der Selbstdarstellung des Nationalstaates. Fahnen und Hymnen, aber auch der inszenierte Auftritt der höchsten staadichen Würdenträger machten die Veranstaltungen zu nationalstaatlichen Feiern, deren >nationale< Bedeutung durch ihre Einbettung in einen nationalen, d.h. gesamtstaatlichen Feierzyklus noch weiter unterstrichen wurde. Dabei wurden die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung in jeweils spezifischer Weise in die Inszenierung der Veranstaltungen eingebunden. Damit verband sich in den Veranstaltungen die Selbstdarstellung von Nationalstaat und Armee mit dem Bild einer um beide Institutionen geeinten nationalen Gesellschaft, die auf diese Weise als >Nation in WaffenNation in Waffen< in Deutschland und Frankreich kann somit einerseits wichtige Einblicke in die Eigendynamiken eines militärisch-nationalen Kultes um die Armee der allgemeinen Wehrpflicht vermitteln und andererseits Aufschluß über die spezifischen politischen und sozialen Konstellationen geben, durch die der militärische Nationalkult in beiden Ländern jeweils seine charakteristische Form erhielt. Welches Gesellschaftsbild transportierten die deutschen und die französischen Militär feiern? Und wie paßte sich dieses bis 1914 den veränderten Zeitumständen an? Welche Rolle spielten die bürgerlichen Gesellschaftskreise, denen Charlotte Tacke in ihrer vergleichenden Studie über den Hermanns- und Vercingetorixkult in beiden Ländern eine zentrale Bedeutung bei der sozialen Konstruktion der Nation zuschreibt, 22 im Rahmen des Kultes um die >Nation in Waffen