Moderne Wahlen. Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert [1. ed.] 9783868549218, 9783868543131

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Moderne Wahlen. Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert [1. ed.]
 9783868549218, 9783868543131

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Hedwig Richter

Moderne Wahlen Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert

Hamburger Edition

4

Für Matthias G.

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mittelweg 36 20148 Hamburg www.hamburger-edition.de © der E-Book-Ausgabe 2017 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-921-8 E-Book Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde © 2017 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-313-1 Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras, unter Verwendung von Ausschnitten aus »Isolierwände zur Herstellung von Nebenräumen für die Reichstagswahl«. © Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, GStA PK , XVI HA Rep. 30 Nr. 596. Satz: Dörlemann Satz, Lemförde

5

Inhalt

Einleitung Demokratie als Fiktion

1

2

3

7

Elitenprojekt. Wahlen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

37

Bürgerliche Lauheit und die preußische Städteordnung

39

Obrigkeitliche Interessen und Wahltechniken

56

Republikanische Eliten in den USA

71

Das vermögende Subjekt

94

Der statistisch Erfasste

111

Der sesshafte Bürger im Herrschaftsterritorium

116

Lebensalter und Partizipation: Der mündige Mann

126

Mobilisierung. Die Gemeinschaft der Männer in der Jahrhundertmitte

137

Die Nation an der Urne

139

Der Hunger und die Eieraufkäufer

156

Parteienzirkus in Amerika

166

Wer ist das Volk? Wahlen als Marker für Zugehörigkeit

184

Gewalt. Staatsmacht und Volkswille

193

Staatsbürgerliche Männlichkeit

208

Kommunikation

228

Wahlen in traditionsbedürftigen Zeiten

235

Das Dreiklassenwahlrecht, der Hybrid zwischen Tradition und Moderne

237

Traditionale Bedenken

253

Demokratie und ihre Einhegung

268

Neuinterpretationen und konservative Aneignung

280

Krieg

301

Boykott und Wahlabstinenz

309

Inhalt

4

5

6

Freiheit und Manipulation. Probleme moderner Herrschaft

321

Allgemeines und gleiches Männerwahlrecht in den USA und Deutschland

323

Wahlmanipulationen der preußischen Obrigkeit

351

Bürgerliche Aneignung der Wahlen und nicht-staatliche Manipulationen

379

»Das Dynamit des Gesetzes«. Staatliche Bemühungen um das universal suffrage

392

Wahlen als Gesinnungstest

409

Korruption und Mord bei amerikanischen Wahlen

418

Neue Bedenken gegen die Demokratie

437

Massenpartizipation als Konsens vor dem Weltkrieg

445

Rationalisierung

447

Reformdiskurse, Skandalisierung und Fortschrittsoptimismus

462

Die Bildung der Bürger

481

Die Ordnung der Dinge im Wahllokal

499

Beschleunigte Zeiten

517

Rassismus

527

Universalisierung partizipativer Techniken und Erster Weltkrieg

531

Fazit

553 Beförderung des Wahlrechts durch die Herrschenden

556

Ideale, Praktiken und Strukturen

561

Analogien und Unterschiede zwischen Preußen und den USA

565

Anhang

573

Abkürzungen

575

Quellen

576

Literatur

587

Register

645

Dank

656

Zur Autorin

657

Einleitung Demokratie als Fiktion

Einleitung. Demokratie als Fiktion

9

Warum haben sich politische Wahlen durchgesetzt, sodass die Legitimation politischer Herrschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts kaum noch ohne Massenpartizipation möglich ist? Wie lässt sich der Erfolg dieses Verfahrens erklären? Als Antwort finden sich recht eindeutige Erzählungen: Wahlen ermöglichen den Menschen ein gleiches, allgemeines, direktes und freies Mitspracherecht. Folglich haben sich Männer und Frauen dieses Recht im Laufe der Jahrhunderte in Form von Massenwahlen und gegen die politische Autorität erkämpft. Zuerst geschah das in England, dann prominent in den USA und Frankreich. Andere Länder zogen nach, während Preußen mit seiner Demokratieunfähigkeit auf den Abgrund undemokratischer Entwicklungen verweist. »In jedem von uns gibt es etwas, das nach Freiheit schreit«, rief Martin Luther King im Kampf für das Wahlrecht der Afroamerikaner, und gegen alle Widrigkeiten haben sich Frauen und Männer immer wieder diese Freiheit angeeignet, Demokratien errichtet und damit Gleichheit und Gerechtigkeit installiert. Diese Geschichten sind populär, und sie werden vielfach von der Forschung aufgegriffen.1 Doch wollten die Menschen tatsächlich von jeher wählen? Und warum wurde der Schrei nach Freiheit ausgerechnet seit der Aufklärung so laut? Und kam er tatsächlich zunächst nur aus den Kehlen von angloamerikanischen oder französischen Männern (denn tatsächlich sind Frauen in diesem Chor lange Zeit kaum zu hören)? Warum setzte sich ausgerechnet das Verfahren der Massenwahlen durch, dessen Technik durch seine Manipulations- und Korruptionsanfälligkeit besonders viele Fallstricke birgt? Damit scheint das Wahlverfahren den Versprechen der Moderne, der Gleichheit, der Freiheit und der Autonomie der Individuen, nicht besonders förderlich zu sein. Wählen bedeutet aber auch deswegen ein gerüttelt Maß an Unfreiheit, weil sich alle dem Mehrheitsentscheid beugen müssen. Würde also nicht das Losverfahren für mehr Gleichheit 1

Beispielhaft dafür Keyssar, Right to Vote; Retallack, German Right; Winkler, Geschichte des Westens; Höffe, Kritik der Freiheit.

Einleitung. Demokratie als Fiktion

10

und Gerechtigkeit sorgen?2 Und gesetzt den Fall, es würde aufgrund des Freiheits-, Gleichheits- und Selbstbestimmungsprinzips gewählt werden, warum setzte sich dann nicht die direkte Demokratie durch, in der die Dinge unmittelbar vor Ort abgestimmt werden?3 Warum ging stattdessen Massenpartizipation Hand in Hand mit der Entwicklung des modernen Staates und der Nationskonstruktion? Da das Narrativ des Freiheitskampfes zur Erklärung offenbar nicht ausreicht, will ich es um drei Thesen ergänzen. Diese untersuche ich in jenem Zeitraum, in dem sich moderne Massenwahlen entwickelt haben: im 19. Jahrhundert. Die Untersuchung soll vergleichend anhand von Preußen und den USA durchgeführt werden, also zweier Länder mit einer als konträr geltenden Wahlgeschichte. Ich möchte dabei vor allem die Praxis der Wahlen untersuchen, auch wenn ich ideengeschichtliche und diskursive Aspekte nicht unbeachtet lassen werde. Durch diesen Zugriff ergeben sich die folgenden drei Thesen: Erstens wurden Wahlen zu Beginn der modernen Demokratiegeschichte eher von oben oktroyiert als von unten eingefordert, und auch im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts erwiesen sich moderne Wahlen zwar nicht immer, aber immer wieder als Elitenprojekt. Zentral erscheint mir die Funktion von Wahlen als Disziplinierungsinstrument der Eliten. Dabei fasse ich Elite diskursiv als einen wertfreien Begriff, der Personen bezeichnet, die sich in den Augen der Mehrheitsgesellschaft im weitesten Sinn durch Machtfülle oder Leistungen auszeichneten und dadurch Einfluss genossen.4 Entsprechend entwickelte sich zweitens die Massenpartizipation nicht notwendig aufgrund einer normativen Dynamik, etwa als Freiheitskampf, sondern wurde häufig durch sozialstrukturelle Bedingungen gefördert – wobei sich ideelle und strukturelle Impulse gegenseitig befeuern konnten. Die strukturellen ökonomischen Grundlagen etwa dienten unterschiedlichen Akteursgruppen als Anreiz, Wahlen durchzuführen oder einzufordern: Für die Regierung konnte es beispielsweise in der ersten Jahrhundert2 3 4

Vgl. zu den Alternativen Buchstein, Lostrommel und Wahlurne. Vgl. die kritische Einschätzung von direkter Demokratie bei Dunn, Breaking Democracy’s Spell, S. 132. Es geht also nicht darum, ob Eliten tatsächlich Leistungen erbracht haben oder Macht besitzen, was in der Elitenforschung eine große Rolle spielt. Auch ist die genaue Definition dessen, wer dazu gehörte und wer nicht, nicht zentral, weil im historischen Verlauf die Zuschreibung von Eliten stark schwankte, vgl. umfassend dazu Reitmayer, Eliten; Hartmann, Elitesoziologie.

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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hälfte sinnvoll sein, die immer reicher werdende Bevölkerung mit Wahlen zu integrieren, während es für die insgesamt besser gestellten, gebildeten, politisierten Arbeiter in der zweiten Jahrhunderthälfte zweckmäßig wurde, mehr Partizipationsrechte in Preußen einzufordern. Drittens ergab sich auf der Grundlage eines Sets an spezifischen Ideen und strukturellen Prozessen eine relativ parallele Entwicklung für Preußen und die USA , die den Schluss einer nordatlantischen Geschichte nahelegt und rein länderspezifische Erklärungen für die Ausbreitung der Massenwahlen wenig überzeugend erscheinen lässt. Dabei waren die USA und Preußen im 19. Jahrhundert grundverschieden. In der Neuen Welt stimmte man stolze Lobgesänge auf die Republik an, Männer präsentierten sich als freie Bürger auf freiem Grund. In Preußen aber herrschte vielfach die Reaktion, und die Obrigkeit unterdrückte Revolutionen und Sozialisten. Universal suffrage hier – Dreiklassenwahlrecht da. Immer wieder werden Preußen und die USA als Gegenpole verstanden. Daher ist es sinnvoll, diese Fallbeispiele zu analysieren.5 Falls meine Thesen auf beide Länder zutreffen, können bestimmte nationale Erklärungsmuster, die in Demokratie- und Parlamentsgeschichten auftauchen, neu überdacht werden. Sowohl für Preußen als auch für die USA liegen bereits hervorragende Forschungen zum Thema Wahlen vor, sodass es möglich ist, beide über diesen langen Zeitraum in den Blick zu nehmen. Doch weil sich diese Studie für die genaue Wahlpraxis und ihren sozialen und kulturellen Kontext interessiert, sollen in jedem Land beispielhaft zwei Tiefenbohrungen durchgeführt werden: in je einer ländlichen Gegend – Pommern und South Carolina – und in je zwei Metropolen – Berlin und New York City. Alle vier Regionen sind in gewisser Weise symptomatisch für den ganzen Staat: Pommern mit seiner relativen Rückständigkeit,6 South Carolina mit seiner einflussreichen Elite in einem (ehemaligen) Sklavenhalterstaat; Berlin als Residenz-, aber auch als Revolutionsstadt, mit seinen Möglichkeiten liberalen und sozialistischen Denkens, New York mit den sozialen und ethnischen Spannungen und seinem hitzigen politischen Leben; schließlich stehen beide Metropolen für den Hochdruck, mit dem Städte im 19. Jahrhundert wuchsen und Innovationen entfesselten. Sämtliche vier Regionen 5 6

Beispielhaft für die Geschichtsschreibung sind die Arbeiten von James Retallack oder die älteren Studien von Hans-Ulrich Wehler. Dies wird letztlich in der Studie von Dirk Mellies bestätigt (Mellies, Modernisierung).

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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sind zugleich Extremfälle, doch gerade das Extreme kann wie in einem Brennpunkt das Typische verdeutlichen, so etwa die konservative Gesinnung der Menschen auf dem Lande in Pommern oder South Carolina. Wichtig ist dabei allerdings die Einbettung der Befunde in die Zusammenhänge des jeweiligen Nationalstaates, um unangemessene Verallgemeinerungen zu vermeiden. Im Fall Preußen geht der Blick zudem immer auch wieder in die anderen deutschen Länder, weil Preußen eng in den deutschen Kontext eingebunden war, spätestens mit der Reichsgründung 1871 kaum noch eine unabhängige Politik betrieb und weil insbesondere seit Ende des 19. Jahrhunderts sein Wahlrecht als eine gesamtdeutsche Frage diskutiert wurde. Obwohl es vor allem in der Zeit nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, der 1865 endete, zu einem Austausch zwischen den Ländern kam und transnationale Prozesse die Entwicklung moderner Wahltechniken wesentlich prägten, geht diese Studie vergleichend vor. Allerdings handelt es sich nicht um einen strengen historischen Vergleich im orthodoxen Sinne.7 Vielmehr lässt sich die Studie von globalhistorischen Ansätzen inspirieren, die aus ihrem weit schweifenden Blick eine Vielfalt an Erkenntnissen gewinnen können.8 Um den Erfolg der Institution Wahlen zu verstehen, gilt es, jene Jahrzehnte in den Blick zu nehmen, in denen sie sich herausgebildet hat. Der Untersuchungszeitraum setzt daher mit der Zeit um 1800 ein und endet mit dem Ersten Weltkrieg, in dessen Vorfeld sich ein gewisser Konsens für allgemeine Wahlen durchsetzen konnte, der dann durch den Brandbeschleuniger des Weltkriegs in vielen Ländern auch das Frauenwahlrecht ermöglichte. Bewusst entscheide ich mich für den Begriff »Moderne«. Moderne bedeutet in diesem Zusammenhang ganz konventionell mit Max Weber gesprochen die Rationalisierung der westlichen Welt. Damit verbunden sind (idealtypisch zugespitzt) die Industrialisierung und ein Anstieg des Wohlstandes, die Konstruktion von Nationen mit dem einhergehenden Gleichheitsanspruch der Bürger, die Differenzierung der Gesellschaft in funktional spezifizierte Teilbereiche, sodass sich Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Religion zunehmend unabhängig voneinander artikulieren konnten. Moderne bedeutet der selbstbewusste Auftritt des Bürgertums und damit der Anstieg des Bildungsniveaus, die Entwicklung der Presse, die Möglich7 8

Kaelble, Historischer Vergleich; nach wie vor instruktiv: Welskopp, Stolpersteine. Vgl. etwa Osterhammel, Verwandlung.

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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keit einer unabhängigen Öffentlichkeit. Koselleck nennt den Anbruch der Moderne »Sattelzeit«: Die westliche Welt überwand das Bergmassiv, und vor ihr lag eine neue, verheißungsvolle Welt. Die Antinomien der Moderne gehören freilich dazu, nationalistische Exklusionsprozesse etwa, Rassismus oder die Disziplinierung des Subjekts. Die ideellen Grundlagen moderner Zeiten lassen sich entsprechend mit den aufklärerischen Forderungen nach Rationalität, nach der Würde des Menschen und nach seiner Pflicht zur Selbstbefreiung identifizieren, aber auch mit einem konservativen Sicherheitsbedürfnis, mit Ängsten und der Sehnsucht nach Traditionen. Vor allem die Freiheitsdiskurse waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts Elitendiskurse, doch entwickelten sie eine faszinierende Dynamik. Gewiss, »Moderne« und »Modernisierung« sind hochumstrittene Begriffe. Wenn man sich ihnen aber ohne akademische Ressentiments nähert, bieten sie ein theoretisches Modell mit hoher Erklärungskraft.9 Die Konzentration auf die Moderne ist deswegen sinnvoll, weil erst mit ihr die Forderung nach der universellen Würde des Menschen und damit die ungeheuerliche Idee der Gleichheit – der Gleichheit im Hier und Jetzt – zum Durchbruch kamen. Die Gleichheitsforderung gab der Freiheitsforderung eine neue Schärfe. Denn Freiheit für wenige gab es seit jeher. Mit der Moderne und ihrem Universalisierungsanspruch entwickelte sich Freiheit zu einer unerhörten Herausforderung. Nicht zuletzt nährte sie die Vorstellung von einem Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen.10 Es mag interessant sein, ob in der Antike mit Scherben oder Bohnen, geheim oder mit Hammelsprung abgestimmt wurde, und Diversität und Komplexität vormoderner Gesellschaften zeigen sich auch in ihren Wahlpraktiken, doch für die Frage nach dem Funktionieren moderner Demokratie spielt all das eine untergeordnete Rolle.11 Erst in der Sattelzeit wurde das Wahlrecht zu einem universellen und zugleich individuellen Rechtsanspruch, 9

10 11

Vgl. zum Gewinn eines reflektierten Modernebegriffs mit einem Forschungsüberblick über die Kritik: Pollack/Rosta, Religion in der Moderne, S. 25–47; Berger, Modernisierungstheorie; vgl. die kritische Analyse des Zusammenhangs von Modernisierungstheorie, Sonderwegthese und Partizipationskultur Steinbach, Modernisierungstheorie; zur Aufklärung: Cassirer, Philosophie der Aufklärung; Stollberg-Rilinger, Aufklärung, S. 11. Hunt, Human Rights. Vgl. zu der Diskussion um die heuristische Funktion der Antike in der Demokratieforschung Richter, Gleichheit; u. weitere Beiträge in dem Heft über Egon Flaigs »Mehrheitsentscheidung«: »EWE . Erwägen, Wissen, Ethik. Forum für eine Erwägungskultur« von 2014.

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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der auf der Nationalidee und deren Postulat der egalitären Staatsbürger gründete.12 Und es ist dieser Rechtsanspruch und nicht der Vorgang der Abstimmung oder die Idee des Mehrheitsentscheides, der politische Massenwahlen begründet.13 »Eine recht klare Zäsur trennt vormoderne von modernen Wahlen«, so Barbara Stollberg-Rilinger.14 Die immer wieder bemühte Geschichte der Demokratie von der Antike (dann langes, langes Schweigen über die dunkle Vormoderne) über bedeutende Denker seit der Renaissance bis zu den Gelehrten der Zeit nach 1945 erscheint zuweilen unreflektiert, weil darin eine Geschichtsschreibung von großen Männern mit klassischem Profil betrieben wird, die womöglich weniger mit dem historischen Gegenstand als vielmehr mit der politischen Selbstverortung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu tun hat. Insbesondere die politikwissenschaftliche Ideengeschichte betreibt manchmal eine Historiografie ohne Anschauung sozialer Gegebenheiten und ideeller Implikationen, unberührt häufig von gender- oder globalgeschichtlichen Einsichten.15 Die immer gleiche Auswahl der analysierten Personen, ob Hobbes, Locke oder Jefferson, verführt dazu, lediglich die alten Erzählungen zu bestätigen.16 Diese Forschung erklärt eher die Jakobiner oder einen totalitären Geist wie Rousseau zu Vätern der Demokratie, als dass sie die Bauernaufstände im Spätmittelalter oder einen Reformer wie Karl August von Hardenberg berücksichtigt.17 Aber sieht sich eine Geschichte, die sich auf die USA und Preußen konzentriert und mit einem Konzept der Moderne operiert, nicht einem ähnlichen Vorwurf ausgesetzt, nämlich dem des Eurozentrismus? Doch so wie es selbstverständlich sinnvoll sein kann, sich etwa europäischen Denkern des 18. Jahrhunderts zu widmen, so gibt es durchaus Themen, die den Westen als Referenzraum haben, und zu ihnen gehört die Entwicklung moder12 13 14 15 16

17

So Brandt, Neoständische Repräsentationstheorie, S. 151; vgl. Habermas, Diskurs der Moderne; Rosa, Weltbeziehungen, S. 361–363. Vgl. zu vormodernen Wahlen Stollberg-Rilinger, Symbolik und Technik; Dartmann u.a., Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfahren. Stollberg-Rilinger, Symbolik und Technik. Vgl. die Kritik der Cambridge School dazu (Skinner, Bedeutung und Verstehen); einen guten Überblick bieten Hellmuth/Ehrenstein (Hg.), Intellectual History. Crick, Democracy; zu dieser Darstellung gehören auch die zahlreichen Überblickswerke zur Demokratietheorie, etwa das vielfach aufgelegte Werk von Massing u.a. (Hg.), Demokratietheorien. Vgl. hingegen die Geschichte der Menschenrechte in Deutschland (Blickle, Leibeigenschaft).

Einleitung. Demokratie als Fiktion

15

ner Wahlen.18 Dekonstruktivistische Kritik hat die Meistererzählung des Westens nicht überflüssig, sondern reflektierter und theoretisch informierter gemacht.19 Ulrich Mücke notiert, die Globalgeschichte mit ihrem Blick auf die Verflechtungen sei gewiss inspirierend, doch was die Entwicklung der Wahlen betreffe, »handelt es sich (leider) um eine sehr einseitige Verknüpfung«, nämlich um den Einfluss des Westens auf die anderen Länder.20 Jürgen Osterhammel konstatiert generell, es sei »kapriziöse Willkür, eine Geschichte ausgerechnet des 19. Jahrhundert zu entwerfen, die von der Zentralität Europas absähe«.21 Und dass Grenzen und Unterscheidungen zuweilen unscharf sind und unterlaufen werden, setzt diese Grenzen voraus und bestätigt ihr Vorhandensein.22 Bei der Geschichte der Massenwahlen ist es insofern einleuchtend, vom »Westen« zu reden, weil die postulierte Menschenwürde in diesem Raum aufkam und damit auch die Forderung des Wahlrechts als individuelles Recht.23 Da sich Wahlen auf das Staatsbürgerrecht konzentrierten und die Gleichheit bis ins 20. Jahrhundert in aller Regel als staatsbürgerliche Gleichheit gedacht war, ist es zudem ratsam, den nationalen Rahmen zu beachten (der nicht zuletzt durch die Staatsbürgerschaft konstituiert wurde).24 Die ersten Ansätze einer globalen Demokratie-Geschichte haben einen anderen Fokus. So zeigt John Keane in seiner beeindruckenden Studie über weltweite demokratische Praktiken, dass Wahlen und demokratische Ideen in reicher Vielfalt weltweit anzutreffen sind. Doch ähnlich wie bei dem Blick auf die Antike und Vormoderne fehlt den meisten dieser Wahlen der moderne egalitäre Anspruch.25 Damit ist bereits auch etwas zu

18 19

20 21

22 23 24 25

Vgl. dazu überzeugend Mücke, Peru. Der Nachweis des Westens als »imaginäre Entität«, so Chakrabarty, »verringert seine Anziehungskraft oder Macht nicht« (Chakrabarty, Europa provinzialisieren, S. 306); vgl. Reckwitz, Moderne. Mücke, Peru. Osterhammel, Verwandlung, S. 20. 85 Prozent der Weltfläche waren vor dem Ersten Weltkrieg unter der Kontrolle der westeuropäischen Nationen (Conrad, Globalisierung, S. 37). Reckwitz, Moderne, S. 234. »Das Mark der Moderne« von Andreas Zielcke, Süddeutsche Zeitung, 31. 3. 2015. Vgl. dazu Herbert, Geschichte Deutschlands, S. 11f. Keane, Life and Death; vgl. auch Bayly, Geburt, S. 110–126; Osterhammel, Verwandlung, S. 848–866; was Europa betrifft so spricht Samuel Finer vom 19. Jahrhundert als der Zeit der »Konstitutionalisierung Europas« (Finer, History of Government, Bd. 3, S. 1567).

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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dem Einwand gegen eine »deterministische«, »teleologische« und »lineare« Geschichte gesagt. Auch wenn Meistererzählungen eine Verführungskraft besitzen und zuweilen Historikerinnen und Historiker davon abhalten, genauer hinzuschauen und Abweichungen zu registrieren, so finden sich eben doch auch richtungsgebundene Prozesse und Kausalitäten, die eine bestimmte Entwicklung wahrscheinlicher werden lassen als andere Entwicklungen. Geschichte ist allerdings niemals determiniert, weil der Zufall und der Eigensinn der Menschen allen Plausibilitäten immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Dennoch lassen sich Muster und Prozesse erkennen, und die wissenschaftliche Mühe ihrer Interpretation ist unverzichtbar. Das oft vorgebrachte Argument gegen eine Geschichte der Moderne, dass es Kontinuitäten zur Vormoderne gebe, ist ohnehin wenig überzeugend. Selbstverständlich gibt es in historischen Entwicklungen immer Überschneidungen und »Ungleichzeitigkeiten«. Und dennoch finden Entwicklungen statt, die Zeitabschnitte voneinander unterscheidbar machen. Auch muss ein Konzept von Modernisierung nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass die ganze Welt früher oder später diese Entwicklung nimmt, wodurch die Welt in Vorreiter und Nachzügler eingeteilt werden kann. Es ist zuweilen interessanter, mit Max Weber danach zu fragen, warum ausgerechnet der Westen diesen Weg in die Moderne gegangen ist. Dank der Forschungsleistungen in der Globalgeschichte und in den Postcolonial Studies muss eine Geschichte des Westens allerdings ihre Fokussierung reflektieren und in die Analyse einbeziehen. Dipesh Chakrabarty spricht von den »privilegierten Erzählungen der Staatsbürgerschaft«, ohne die die Moderne nicht zu denken ist, ohne die aber auch die Konstruktion der Anderen nicht denkbar geworden wäre.26 Nicht zufällig erreichten Kolonialismus und »wissenschaftlicher« Rassismus einen Höhepunkt in der Zeit um 1900, als sich im Westen die Gleichheit und das gleiche Stimmrecht weitgehend Bahn brachen (mit allen Abstrichen, die nach wie vor am Werk waren). Für die Konstruktion der staatsbürgerlichen Gleichheit in den nordatlantischen Ländern war der Gegenentwurf der »nicht-zivilisierten« Welt bedeutsam, und angesichts der Fremdheit der Anderen in der kolonialen Welt schien die Gleichheit der »Weißen« besonders augenfällig. Eine Geschichte der politischen Wahlen im 19. Jahrhundert muss eine weitere Einseitigkeit reflektieren: Sie beschäftigt sich fast ausschließlich mit Männern und Männlichkeit. Nicht nur, weil die Akteure 26

Chakrabarty, Europa provinzialisieren, S. 309; Müsebeck, Arndt.

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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Männer waren, sondern auch, weil fast alles, was mit Wahlen zusammenhing, mit Konstruktionen von Männlichkeit verbunden wurde. Die Genderforschung hat dazu beigetragen, diesen Umstand in die Analyse zu integrieren. Dabei kann es nicht darum gehen, dass Frauen den Wahlkämpfern Kaffee gekocht und für die Partei Flugblätter verteilt haben. Solche Erkenntnisse können leicht zu Verzerrungen führen und verdecken, wie konsequent die Exklusion der Frauen herrschte und wie überaus mächtig die politischen und sozialen Konstruktionen von männlicher Hegemonie waren. Hilfreich sind dabei Ansätze, wie sie Karen Hagemann, Ute Planert, Raewyn Connell oder Jürgen Martschukat vertreten, denen es mit der Einbeziehung der Geschlechterebene gelingt, neue Zusammenhänge aufzuzeigen, etwa die enge Symbiose von Männlichkeitsidealen mit Staatskonzepten und Nationskonstruktionen.27 Was aber ist mit Wahlen gemeint? Meistens werden sie als eine Technik definiert, um eine Körperschaft zu bilden oder eine Person mit einem Amt zu betrauen.28 Die Politikwissenschaft unterscheidet zwischen Wahlen und Plebisziten (wobei Letzteres oft mit dem Terminus »Abstimmung« bezeichnet wird).29 Die Akteure im 19. Jahrhundert trennten hier allerdings weniger säuberlich: Wenn etwa Amerikaner elections abhielten, sorgten sie häufig sowohl für die Bestimmung von Personen zu Ämtern als auch für die Abstimmung über Plebiszite wie etwa Verfassungsänderungen; beides fand sich auf einem Stimmzettel. Da sich diese Studie vor allem für den Wahlakt und dessen Interpretationen im historischen Kontext interessiert und der Inhalt der Wahlentscheidung sekundär ist (ob für das Bürgermeister- oder Präsidentenamt oder für einen Verfassungszusatz), ist also die Unterscheidung zwischen Wahlen und plebiszitären Abstimmungen nicht zielführend. Daher ist für diese Untersuchung die weitere Definition in der Encyclopedia Britannica sinnvoll, die Wahlen definiert als »den formalen Prozess, durch eine Abstimmung eine Person für ein öffentliches Amt auszuwählen oder ein politisches Vorhaben zu akzeptieren bzw. zurückzuweisen«.30

27 28 29 30

Hagemann, Nation, Krieg; Connell, Der gemachte Mann, S. 163; Martschukat, Ordnung; Kimmel, Manhood. Nohlen, Wahlrecht, S. 23; ähnlich Rokkan, Electoral Systems, S. 6. Vgl. Sternberger/Vogel, Wahl der Parlamente, S. 1–14. Gibbins u. a., Election.

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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Selbstverständlich bildet die Frage, was gewählt wurde, dennoch einen unverzichtbaren Hintergrund meiner Untersuchungen: War es ein Abgeordneter, dessen Wahl schon im Vorfeld feststand; ging es um ein mächtiges Parlament oder einen wenig attraktiven Magistrat? Die Frage der Wahltechniken lässt sich davon nicht lösen. Auch ist es wichtig, sorgsam das jeweilige Wahlrecht zu berücksichtigen. Während sich die Wahlen in den Vereinigten Staaten stark ähnelten und häufig Kommunalwahlen, Präsidentschaftswahlen, Kongresswahlen oder Plebiszite rechtlich und verfahrenstechnisch gleich organisiert waren, ist Preußen ein besonders interessanter Fall, weil hier ab 1867 das Dreiklassenwahlrecht auf Landesebene durch das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht auf der Reichsebene ergänzt wurde. Diese wahlrechtliche Diskrepanz offenbarte die Vorstellungen der Menschen besonders deutlich, weil sie zu einer nicht endenwollenden Reformdebatte um das seit 1849 geltende preußische Dreiklassenwahlrecht führte. Immer wieder drängen sich normative Ansprüche in die Definition hinein – vor allem durch die fünf Attribute einer demokratischen Wahl im heutigen Sinne, »gleich«, »allgemein«, »geheim«, »direkt« und »frei«. Auf die Frage nach Essenz von Wahlen verweisen einschlägige Definitionen auf das Prinzip der freien Auswahl.31 Die durch die Grundsätze »geheim« und »direkt« gewährte Wahlfreiheit jedoch war im 19. Jahrhundert nur selten gegeben, denn Geheimhaltung war eine abstrakte Idee, auf die zunächst nur intellektuelle Eliten verfielen, und auch die Direktheit konnte sich nur nach und nach durchsetzen.32 Ob in Neuengland Wahlämter innerhalb einer Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurden, in den Südstaaten nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg eine Einparteienherrschaft das Land regierte oder ob beim preußischen Dreiklassenwahlrecht Junker die Landarbeiter zu einer ihnen genehmen Wahl drängten: Wahlfreiheit erwies sich häufig als dysfunktional, und Geheimhaltung kam nur wenigen in den Sinn. Ähnlich sieht es mit der Allgemeinheit aus. US -amerikanische Wahlen schlossen die indigene Bevölkerung, häufig Latinos und selten auch Juden aus, sie hatten zum Teil bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Zensus (also Besitz- oder Steueranforderungen für das Wahlrecht), um 1900 wurden vielfach die Analphabeten und erneut die Afroamerikaner ausgeschlossen. Preußen hatte zwar bereits ab 1848 31 32

Gibbins u.a., Election; Sternberger, Über die Wahl, S. 923. Arsenschek, Wahlfreiheit.

Einleitung. Demokratie als Fiktion

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ein allgemeines Männerwahlrecht, doch seit 1849 war es ungleich, weil die Stimmen je nach Steuerleistung unterschiedlich gewichtet wurden. Allerdings hatten alle diese modernen Wahlen in ihrem Kern den Anspruch auf Allgemeinheit, das hieß auf Einbeziehung aller Bürger. Dieser Anspruch war über viele Jahrzehnte im 19. Jahrhundert der deutlichste Ausdruck der aufklärerischen Gleichheitsforderung, denn das aufgeklärte, gleiche, würdige, freie Subjekt sollte mitbestimmen können. Das Neue an diesen Wahlen war nicht die Gleichheitsforderung für die Wahlberechtigten, denn auch in den meisten vormodernen Wahlen hatte die Elite der Wahlberechtigten ein gleiches Stimmrecht (»one voter, one vote«). Das Neue an modernen Wahlen war ihr universeller Anspruch, der sich aus der aufklärerischen Gleichheitsforderung für alle ergab (»one man, one vote«). Daher nannten die Zeitgenossen das moderne Wahlrecht meistens auch universal suffrage oder allgemeines Wahlrecht. Wie dieser Anspruch umgesetzt wurde, ob mit Geheimhaltung oder mit Waffenschutz, und wer überhaupt zur bürgerschaftlichen Allgemeinheit gehörte, war umstritten. Erst um 1900 trafen sich die diversen Entwicklungsfäden der Wahltechnik in dem, was ungefähr den heutigen Normen zur Geheimhaltung und einer freien, direkten Wahl entspricht, und erst nach dem Ersten Weltkrieg genügte das Wahlrecht in etwa dem heutigen Verständnis von Allgemeinheit und Gleichheit. Daher verstehe ich unter politischen Wahlen die Technik des Abstimmens, um kollektive politische Entscheidungen zu treffen, wobei sich das originär Moderne in dem prinzipiellen Anspruch auf Allgemeinheit zeigt. Da die Durchsetzung dieses Anspruchs wesentlich die Geschichte der modernen Demokratie prägt, ist diese Studie ein Beitrag zur Demokratiegeschichte. Die Vorstellungen, was unter Demokratie zu verstehen sei, haben sich immer wieder grundlegend verändert. Eine auf heutige Demokratievorstellungen fixierte, normativ festgelegte Definition erlaubt es kaum, Demokratieentwicklungen vor 1919 oder selbst vor 1945 sinnvoll zu analysieren – sei es in den USA oder in Europa. Doch seit den »demokratischen Revolutionen« in Frankreich und Amerika wurde Demokratie mit Gleichheit verbunden und mit Freiheit – dem Anspruch, dass die Gleichen kraft ihrer Freiheit die Herrschaft ausüben und in Freiheit ihr Leben gestalten.33 Hier wird erneut mit dem Universalitätsanspruch das Umstürzende der 33

Vgl. dazu die umsichtigen Ausführungen von Müller, Nach dem Ersten Weltkrieg, S. 22–30, insbes. S. 29.

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Moderne deutlich: »Moderne Demokratie« heißt in letzter Konsequenz die Relevanz aller Menschen – nicht zuletzt für die Herrschaft. Ernst Moritz Arndt, der zu den vielen Intellektuellen gehörte, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Zukunft in der »Demokratie« sahen,34 erklärte 1814: »Die besten Kaiser und Könige und alle edlen Menschen haben ja auch immer nur bekannt, daß sie für das Volk da sind und für das Volk und mit dem Volke regieren.«35 Arndt knüpfte damit an das 1791 von Claude Fauchet notierte Diktum an: »Alles für das Volk, alles durch das Volk, alles dem Volke« (»tout pour le peuple, tout par le peuple, tout au peuple«),36 das dann Jahrzehnte später von Lincoln aufgegriffen wurde: »Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk« (»government of the people, by the people, and for the people«). Der Historiker Edmund S. Morgan, dem diese Studie wesentliche Anregungen verdankt, schreibt darüber: »Nüchternes Nachdenken dürfte uns zeigen, dass alle Regierungen vom Volk sind, dass sie alle bekunden, für das Volk zu regieren, und dass keine von ihnen im buchstäblichen Sinne durch das Volk regiert.«37 Tatsächlich verwiesen Theoretiker und Intellektuelle von Beginn der modernen Wahlgeschichte an auf den utopischen und fiktiven Charakter von Demokratie.38 Denn wie soll das funktionieren, dass alle regieren? »Die Identität von Staat und Gesellschaft, von souveräner Entscheidungsinstanz und Gesamtheit der Bürger ist von Anbeginn dazu verurteilt, ein Mysterium zu bleiben«, so Reinhart Koselleck über die Entstehung demokratischer Ideale.39 Durch die aufklärerische Forderung nach der Autonomie des Individuums einerseits sowie durch die ökonomischen Umwälzungen, dank derer sich diese Autonomie aller zu einem realistischen Projekt kristallisierte, ergab sich die drängende Frage, wie die Freiheit aller möglich sein könne, solange überhaupt noch Herrschaft ausgeübt wurde.40 Wahlen nun boten, so meine These, für dieses Dilemma der Moderne ein zuverlässiges Verfahren. Sie erfüllten die zentrale Funktion, Herrschaft in aufgeklärten Zeiten zu ermöglichen, indem sie auf 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. zu den Abweichungen historischer Demokratiebegriffe zu heutigen normativen Demokratiedefinitionen Stamm-Kuhlmann, Ernst Moritz Arndt, S. 103–112. Arndt, Verfassungen in Teutschland, S. 222. Fauchet, Sermon, S. 7. Morgan, Inventing the People, S. 38. Meier u.a., Demokratie, S. 848–852; vgl. Lancizolle, Über Königthum und Landstände, S. 344–346. Koselleck, Kritik und Krise, S. 136. Vgl. zu der Frage Stollberg-Rilinger, Aufklärung, S. 202.

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der einen Seite Herrschaft – und damit zwangsweise soziale Asymmetrie und Dominanz – legitimierten; auf der anderen Seite respektierten sie das aufklärerische Gebot der Gleichheit und Freiheit aller Menschen. Anders gewendet: Wahlen ermöglichten die Fiktion von Demokratie, sie boten eine Performanz der demokratischen Utopie. Das bedeutet zugleich, dass Wahlen ein Scharnier zwischen den Bürgern und dem Staat bildeten und damit wichtiger Bestandteil der Nationskonstruktion wurden. In dieser Studie sind Wahlen das zu Erklärende, das Explanandum, das Eigentliche, das Faszinierende. In der klassischen politikwissenschaftlichen und historischen Wahlforschung hingegen dreht sich in der Regel alles um den einen Aspekt der Wahlergebnisse, letztlich also darum, wer wen wann warum wählte.41 Diese Studien haben eine Fülle an Erkenntnissen hervorgebracht, die für jede weitere Wahlforschung die Basis bildet.42 Dass jedoch die regelmäßige Abhaltung von Wahlen selbst erklärungsbedürftig ist, kam Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts kaum in den Sinn. Die normative Aufladung von Wahlen erwies sich als so stark, und Wahlen hingen als Herzstück der Legitimation so eng mit den politischen Nachkriegsordnungen zusammen, dass sie von Ausnahmen abgesehen, bei denen es um eine Fundamentalkritik an der liberalen Demokratie ging, kaum selbst infrage gestellt werden konnten.43 In der Geschichtsschreibung gibt es aber seit einiger Zeit eine Reihe von Arbeiten, die weniger nach Wahlergebnissen und Wahlentscheidungen fragen.44 Wegweisend für den neuen Zugang und damit auch für eine neue Geschichte der Wahlen sind die Studien des Wahlforschers Frank O’Gorman geworden, der nach Bedeutungen der Wahlen für die Zeitgenossen sucht, die über die offiziellen Wahlfunktionen hinausgehen.45 In Frankreich bot der Historiker Pierre Rosanvallon mit seinen 41

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In der Politikwissenschaft gibt es immerhin Ansätze wie den von Sarcinelli, der die symbolische Bedeutung von Wahlkämpfen in den Blick nimmt, jedoch kaum den Wahlakt untersucht (Sarcinelli, Symbolische Politik). Vgl. dazu den Forschungsüberblick in Winkler, Historische Wahlforschung; erwähnenswert der Klassiker Sternberger/Vogel, Wahl der Parlamente; ein neuer Überblick mit aktuellerer Forschung: Nohlen, Wahlrecht; für die USA : Keyssar, Right to Vote. Richter/Buchstein, Einleitung. Vgl. den Forschungsüberblick in Kühne, Demokratisierung und Parlamentarisierung; sowie in Crook/Crook, Secret Ballot; vgl. auch den Überblick in Ullmann, Politik im deutschen Kaiserreich, S. 83–85; sowie Nohlen, Wahlrecht, S. 39–41. O’Gorman, Campaign Rituals; O’Gorman, Ritual Aspects; vgl. auch den Forschungsüberblick in Gatzka u.a., Kulturgeschichte moderner Wahlen.

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Wahlstudien einen demokratietheoretisch reflektierten Zugang,46 der dazu beitrug, dass im französischsprachigen Raum vielfältige Studien über die Praxis und Kultur der Wahlen entstanden.47 In den Vereinigten Staaten ist die Wahlforschung zwar nach wie vor an Fragestellungen über Wahlrecht oder Wahlergebnis orientiert, wie nicht zuletzt die beeindruckende und umfassende Studie von Alexander Keyssar über US -amerikanische Wahlen zeigt. Doch nimmt hier die historische Wahlforschung immer wieder die Praxis in den Blick, auch wenn sie theoretisch kaum reflektiert wird.48 In Deutschland wurde in der Geschichtsschreibung bereits in den 1980er Jahren die Forderung laut, Wahlen nicht primär an aktuellen normativen westlichen Standards zu messen.49 Eine kulturalistisch interessierte Politikgeschichte weitete denn auch den Blick für neue Perspektiven50 ebenso wie die Frühneuzeitforschung, die in Anbetracht der völlig anders gelagerten Wahlpraktiken ihrer Untersuchungszeit ohnehin ein weiteres Wahlverständnis entwickelte.51 Historikerinnen und Historiker wie James Retallack, Simone Lässig oder Karl-Heinrich Pohl haben mit lokal- und regionalgeschichtlichen Studien die historische Wahlforschung auf eine mikro- und akteursbezogene Ebene gehoben, und Peter Steinbach drang mit seiner großen Arbeit über die Reichstagswahlen als Ausdruck des politischen Massenmarktes bereits tief in die Wahlpraxis ein. Maßgebliche Impulse für die Wahlforschung lieferte zudem Karl Rohe mit seinem Verständnis von »politischer Kultur«.52 Thomas Kühne zeigt mit seinen Arbeiten über das Dreiklassenwahlrecht, welcher Erkenntnisgewinn möglich ist, wenn Praktiken und symbolisches Handeln in die Analyse einbe46 47 48 49 50

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Etwa Rosanvallon, Le Sacre du citoyen. Garrigou, Histoire sociale du suffrage universel; Déloye/Ihl, L’Acte de vote; Ihl, L’Urne électorale. Bensel, Ballot Box; Brewin, Celebrating Democracy; Altschuler/Blumin, Rude Republic. Beispielsweise Neugebauer-Wölk, Wahlbewusstsein; Kühne, Historische Wahlforschung. Vgl. etwa Gert Melville, Das Sichtbare und das Unsichtbare; Vorländer, Verfassung als symbolische Ordnung; Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider; Frevert/Haupt, Neue Politikgeschichte; vgl. den kritischen Kommentar bei Rödder, Klios neue Kleider. Stollberg-Rilinger, Symbolik und Technik; Stollberg-Rilinger, Vormoderne politische Verfahren; Dartmann u.a. (Hg.), Technik und Symbolik. Rohe, Politische Kultur; Rohe, Wahlen und Wählertraditionen; Lässig u.a., Modernisierung und Region; Retallack, The German Right; vgl. auch die grundlegenden Arbeiten von Almond u. Verba; Steinbach, Zähmung.

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zogen werden. Seine Studie erweist sich ebenso wie die der Historikerin Margaret L. Anderson über die Wahlen im Deutschen Kaiserreich als Meilenstein in der historischen Wahlforschung.53 Andersons Forschungen haben darüber hinaus für Aufsehen gesorgt, weil sie – empirisch dicht argumentierend – die demokratischen Funktionen der Wahlen und des Reichstags aufzeigen. Außerdem haben in den letzten Jahren auch kulturhistorisch interessierte Forscher wie Robert Arsenschek, Andreas Biefang oder Thomas Welskopp in Studien über das parlamentarische Leben in Deutschland die Wahlpraktiken aufgegriffen. Thomas Mergel verweist in programmatischen Texten generell auf die kulturhistorische Dimension von Wahlen.54 Vor diesem Hintergrund entstand eine Neue Wahlgeschichte, eine new electoral history, wie Malcolm Crook und John Dunne sie nennen.55 Sie ist ein spätes Kind des cultural turn, der einerseits auf die Konstrukthaftigkeit sozialer Wirklichkeit und die symbolische Qualität von Kommunikation verweist, andererseits aber auch – in einer gegenläufigen, später einsetzenden Bewegung – Materialitäten und Praktiken ins Visier nimmt. In beiden Fällen geht es darum, »hinter« die Dinge zu schauen, und auf Unausgesprochenes, Nichtexplizites aufmerksam zu machen.56 Dadurch hat sich der Fokus in der Neuen Wahlgeschichte vom formellen Wahlrecht und den Wahlergebnissen hin zu den symbolischen, diskursiven, aber auch praxeologischen und materiellen Dimensionen der Organisation von Wahlen und der Stimmabgabe verschoben.57 Yves Déloye und Olivier Ihl sprechen von einer »Materialitätsgeschichte der Demokratie«.58 Diese Perspektive soll die ideengeschichtlichen Ansätze, die für die Erkenntnis der aufklärerischen Dynamik in der Wahlgeschichte unverzichtbar sind, ebenso ergänzen wie die strukturellen Bedingungen, die sich etwa in der außeror-

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Anderson, Practicing Democracy; Arsenschek, Wahlfreiheit; Kühne, Dreiklassenwahlrecht. Biefang, Macht; Welskopp, Banner der Brüderlichkeit; Mergel, Wahlkampfgeschichte als Kulturgeschichte; vgl. auch Mergel, Propaganda nach Hitler. Richter/Buchstein (Hg.), Kultur und Praxis; Déloye/Ihl, L’Acte de vote. »Sich über Dinge zu wundern, über die sich üblicherweise niemand mehr wundert!«, so Achim Landwehr, Diskurs und Diskursgeschichte; einen Überblick zu den methodisch-theoretischen Entwicklungen bei Reckwitz, Praxis – Autopoiesis – Text. Vgl. den Forschungsüberblick in Gatzka u.a., Kulturgeschichte moderner Wahlen. Déloye/Ihl, L’Acte de vote, S. 12.

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dentlichen Bedeutung der Ökonomie für die Entwicklung der Demokratie zeigen. Entscheidend für die vorliegende Studie ist es, den Wahlakt als einen erklärungsbedürftigen Brauch zu betrachten. Dadurch geraten vernachlässigte Funktionen ins Blickfeld, und neue Bedeutungen werden offengelegt. Die unerwarteten Funktionen und vielfältigen Bedeutungen, die Menschen zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Regionen und Milieus den Wahlen zuschrieben, sind ein wichtiger Bestandteil, um zu verstehen, warum Wahlen im Laufe des Jahrhunderts so wichtig wurden.59 Dabei gilt es, vorsichtig mit einer funktionalen Argumentation umzugehen und die Kausalitäten sorgsam abzuwägen. Es sind nämlich nicht die Funktionen, die Wahlen hervorgebracht haben; doch die Vielfalt der Funktionen, die Wahlen nach und nach an sich zogen, gaben diesem Verfahren Stabilität und ließen es schließlich, so vermute ich, für moderne Herrschaft so wichtig werden.60 Dieser theoretisch-methodische Ansatz, der geistesgeschichtliche Analysen mit Praxis und sozialstrukturellen Bedingungen verbindet, erweist sich als zentral für die Untersuchung meiner drei Thesen. Wenn Wahlen von oben forciert wurden, wie meine erste These lautet, und das Interesse der Eliten an Wahlen auch im weiteren Verlauf wichtig blieb, so stellt sich die Frage, welche Interessen und Funktionen die Herrschenden mit Wahlen verbanden. Dieses Problem kann aber erst aufgeworfen werden, wenn die herkömmlichen Erklärungsmuster hinterfragt werden, die Wahlen geradezu als menschliches Bedürfnis interpretieren, als ein von unten errungenes Recht gegen den Willen der Regierenden. Dabei stütze ich mich auf die Forschungen von Edmund S. Morgan, der in der Ausrufung des »Volkes« und den daraus folgenden partizipativen Idealen eine Erfindung der Eliten sieht, um Herrschaft mit dem Namen des Volkes zu legitimieren und gegen unten, zuweilen auch gegen oben (etwa den König), abzusichern.61 Die neuere Forschung, insbesondere die von Eric Nelson, haben diese Thesen speziell für die amerikanische Unabhängigkeitsbewe-

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Vgl. zu einer weiten Definition von Wahlen Kühne, Historische Wahlforschung, S. 54; vgl. auch O’Gorman, Campaign Rituals, S. 136; O’Gorman, Ritual Aspects; O’Gorman, Voters, Patrons, and Parties; Chartier, Cultural History; Muir, Ritual; Bensel, American Ballot Box. Vgl. zur kausalen Argumentation Weber, »Objektivität«. Morgan, Inventing the People; vgl. dazu auch Stollberg-Rilinger, Aufklärung, S. 229f.

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gung nachgewiesen und deren elitären Charakter unterstrichen.62 Wichtig ist in diesem Zusammenhang die angelsächsische quantitative Forschung über die historische Entwicklung der Demokratie, die ebenfalls diskutiert, inwiefern Demokratie von oben oder von unten forciert wurde.63 In der vorliegenden Untersuchung wird aber deutlich, dass es bei der Analyse moderner Herrschaft sinnvoll ist, noch einen Schritt weiterzugehen. Herrschafts- und Verfassungsgeschichte kann nicht in dem Sinne aufgefasst werden, dass Macht einseitige Kommunikation von oben nach unten bildet und in der Regel repressiv ausgeführt wird,64 indem sie das Volk täuscht, zensiert, beschränkt. Vielmehr ist Macht produktiv. Staatliche Herrschaft in der Moderne bedarf der Nutzbarmachung aller Bürger.65 Die vielfältigen Aufgaben des modernen Staates, die dafür notwendige Rationalisierung der Herrschaft und Differenzierung der Gesellschaft, aber auch die Konstruktion der Nation sind ohne diese Fruchtbarmachung und Einbindung der Staatsbürger nicht denkbar. Der Blick auf Praktiken und Materialität ist wichtig für die zweite These: dass die Entwicklung von Massenpartizipation sozialstrukturell bedingt und nicht notwendigerweise normativ motiviert ablief. So zeigt Lynn Hunt, wie die veränderte Einstellung zur Würde des Körpers, etwa Mitleid mit den Schmerzen der Anderen, Scham oder körperliche Distinktion, das Postulat der universellen Menschenwürde mit hervorgebracht hat.66 Doch erst der wachsende Wohlstand bot diesen Diskursen die Möglichkeit zur Konkretisierung. Peter Blickle weist nach, wie die schiere Empörung gegen körperliche Erniedrigung und Leibeigenschaft die Menschen aufgebracht hat und damit wesentlich zur Konstruktion der Menschenrechte beitrug.67 Der Zusammenhang von Körperlichkeit und Materialität mit Fragen der Menschenwürde verweist darauf, wie wichtig die Berücksichtigung dieser Aspekte auch im Hinblick auf die Geschlechterfrage ist. Die Dominanz des Männlichen bei den Wahlen ist überaus erstaunlich, wenn man den impulsiven und expansiven universalen Gleichheitsanspruch von Wahlen im 19. Jahrhundert bedenkt. Sie ist umso merkwürdiger, weil schon zu Beginn des Jahrhunderts religiöse Differen62 63 64 65 66 67

Nelson, Royalist Revolution. Vgl. dazu Geddes, Democratization; ausführlich zum Forschungsstand siehe Kap. 1. So in den herkömmlichen Verfassungsgeschichten in Daum, Verfassungsgeschichte. Foucault, Security. Hunt, Human Rights. Blickle, Leibeigenschaft.

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zen (die über Jahrhunderte die Menschen in erbitterte Kriege geführt hatten) im Wahlrecht weitgehend ausgeschaltet wurden, weil bereits in der Jahrhundertmitte die Exklusion der Armen relativiert und teilweise beendet wurde (obwohl das Argument, dass nur Steuerzahler wählen sollten, einige Plausibilität beanspruchen konnte) und weil ein Großteil der Bürger sogar die Kategorie Rasse nicht mehr als Ausschlusskriterium gelten lassen wollte. Die in der Moderne durchdeklinierte und durch Wissenschaft unerbittlich gewordene Dichotomie der Geschlechter – Frauen als Kreaturen des häuslichen Lebens, Männer als die zuständigen Akteure für die Außenwelt inklusive der Politik68 – erscheint mir zumindest als zentrale Antwort nicht überzeugend. Denn warum sollte gerade ein besonders junger Diskurs so besonders stabil sein, wenn doch andere Exklusionsmuster wie Religion, Klasse und Rasse in Anbetracht der egalisierenden Kraft der Staatsbürgerschaft so erfolgreich infrage gestellt wurden? Ich würde daher dafür plädieren, Materialität und Praktiken in die Analyse der Geschlechterfrage einzubeziehen, um zu verstehen, wie gerade auch in Körpern das männlich überlegene »Sein im Modus der Evidenz« (Bourdieu) wieder und wieder reproduziert werden konnte und der Ausschluss der Frauen gewissermaßen »in der Natur der Dinge« lag.69 Es ist also hilfreich, wenn die Wahlforschung nicht nur über Symbolsysteme und die Performanz des Wahlaktes reflektiert, sondern auch darüber, wie das Wahllokal und die Straßen rings um den Wahlort, wie Wahlkabinen und Registraturlisten Macht zuteilen oder verweigern, wie Wahlpraktiken männliche Körperlichkeit präferieren oder domestizieren und wie sie geschlechtsspezifische Festlegungen treffen. Die Materialität des Wählens verdichtete den Wahlakt im 19. Jahrhundert als Herrschaftsakt der weißen Männlichkeit und determinierte die Exklusion der Anderen – nicht zuletzt aufgrund der Lust der jungen Männer an Gewalt.70 Wahlen dienten dabei nicht nur als ein Spiegel der männlichen Ordnung. Vielmehr lassen sie sich als eine »große rituelle Zeremonie« verstehen, wie Bourdieu es nennt, um die männliche Herrschaft immer und immer wie-

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Heinsohn/Kemper, Geschlechtergeschichte, S. 6; vgl. dazu auch den viel diskutierten Klassiker von Hausen, »Geschlechtscharaktere«. Bourdieu, Männliche Herrschaft, S. 158. Latour, Neue Soziologie; Latour, Wir sind nie modern gewesen; Reemtsma, Gewalt als attraktive Lebensform.

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der zu reproduzieren.71 Erst ein sich veränderndes Setting der Dinge und der Körper konnte den Horizont für die Partizipation der Frau öffnen.72 Es waren also oftmals materiale und sozioökonomische Bedingungen, die Hoffnung auf demokratische Zeiten und eine universelle Menschenwürde weckten. Häufig wurden die Ideale aber von einer geistigen Avantgarde formuliert, und es konnte einige Zeit dauern, bis sie in den unteren Schichten auf Resonanz stießen. Das Wahlrecht blieb für viele Menschen oft noch Jahrzehnte nach seiner Einführung ein Abstraktum, das ihnen wenig bedeutete. Hier zeigen sich beispielhaft Kontinuitätslinien. Denn oft verbanden die Menschen mit Wahlen noch lange Zeit alte Herrschaftsnormen und übten die Wahl etwa als Akt des Gehorsams gegenüber den alten Autoritäten aus. Auch wenn Wahlen also Ausdruck der legitimen, rationalen Herrschaft sind, um mit Max Weber zu sprechen, so wurden sie doch oft mit traditionalen oder charismatischen Herrschaftsformen verbunden. Der Blick auf die Wahlpraktiken zeigt schillernde Hybride, die einen Einblick in den politischen Horizont der Menschen geben können. Dieser mikrohistorische Blick auf die Praktiken offenbart bemerkenswerte Ähnlichkeiten über den Atlantischen Ozean und über unterschiedliche Herrschaftssysteme hinweg. Die dritte These dieser Arbeit muss sich auch mit der Frage auseinandersetzen, ob Preußen und das Deutsche Reich in demokratischer Hinsicht gegenüber den anderen westlichen Ländern einen Ausnahmefall bilden. Nun gilt die Sonderwegthese seit den 1980er Jahren als überholt, wozu nicht zuletzt eine reiche und differenzierte Preußenforschung beigetragen hat.73 Und so wurde deutlich, dass von einer Sonderentwicklung Deutschlands nicht viel übrig bleibt, sobald die Forschung empirisch interessiert und international ausgelegt ist. Dazu gehört beispielsweise die quantitative Studie der Politikwissenschaftlerin Isabela Mares, die das Kaiserreich als typischen Fall in seiner Zeit interpretiert – »Deutschland ist ein Mikrokosmos Europas«.74 Im europäischen Vergleich war das deutsche Bürgertum nicht besonders rückständig und adelshörig, die deutsche Gesellschaft nicht besonders militarisiert, die deutschen Libe-

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Bourdieu, Männliche Herrschaft, S. 156. Vgl. dazu die Anregungen in Barad, Meeting the Universe Halfway. Vgl. die zentralen Studien von Blackbourn/Eley, Mythen. Zur Preußenforschung vgl. etwa Mettele/Schulz (Hg.), Kulturstaat; Clark, Preußen; Stamm-Kuhlmann, Militärstaat Preußen; Dwyer, Modern Prussian History. Mares, Open Secrets, S. 7.

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ralen erwiesen sich nicht als singuläre Verräter an der fortschrittlichen Sache, der Kulturpessimismus war nicht tiefer verwurzelt als in anderen Ländern. Besonders interessant und für diese Studie aufschlussreich ist die Tatsache, dass die preußische und deutsche Presse nicht von kaiserlichen Zensoren maßlos geknebelt wurde, sondern sogar besonders frech war.75 Das hat paradoxerweise dazu geführt, dass die Bilder der bissigsten Satireblätter wie des »Simplicissimus« oder des »Wahren Jacob« in der Nachwelt häufig als getreues Abbild deutscher Vergangenheit gelten und damit in zahllosen Reproduktionen die Geschichte der deutschen Wahlen verzerrt haben. Die prominenteste Darstellung über den deutschen Wahlgang in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist der Junker in Ostelbien, der sein Wahlvolk schikaniert (vgl. Abb. 25). Tatsächlich erweist sich die Vorstellung einer abweichenden demokratischen Entwicklung Deutschlands als besonders zählebig und empirieresistent. Womöglich fühlen sich Wissenschaftler irgendwie unwohl, wenn sie den Deutschen in Sachen Demokratie nicht ein historisch kumuliertes Defizit nachweisen können. In Überblicksdarstellungen, in wissenschaftlichen Diskussionen und im öffentlichen Diskurs gilt die Demokratieunfähigkeit der Deutschen im 19. Jahrhundert jedenfalls weithin als gesetzt. Selbst Margaret Andersons Studie über die Wahlen im Deutschen Reich, die allgemeine Anerkennung gefunden hat und empirisch stichfest ist, wird dann mit einer Fußnote abgetan.76 So fördern zahlreiche Einzeluntersuchungen über die preußischen Wahlen wichtige Erkenntnisse zutage, doch mangels Vergleich bestätigen sie ein ums andere Mal die Anomalität der Preußen: Die ostelbischen Junker oder rheinländischen Fabrikanten, die den Wählerwillen unterdrückten, die Landräte, die nichts von Wahlfreiheit wissen wollten, die manipulative Wahlkreiseinteilung oder die Missachtung des Stimmengewichts der wachsenden Städte, auch die im 19. Jahrhundert übliche Nichtgeheimhaltung beim Dreiklassen-

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Vgl. den Forschungsüberblick in Ullmann, Politik im deutschen Kaiserreich, S. 71–83; Clark, Preußen; vgl. auch das Interview mit Stephan Malinowski: Ullrich/Staas, »Vom zweiten zum ›Dritten Reich‹«, ZEIT-Geschichte über das Deutsche Kaiserreich, Nr. 4 (2010), S. 98–104. Typisch dafür Retallack, »Get Out the Vote!«; wie so oft bildet die sorgfältige (wohl von einem Kollektiv verfasste) Nipperdey’sche Interpretation eine bemerkenswerte Ausnahme.

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Abb. 1 Die in Deutschland besonders lebhafte Satire und Kritik gelten der Nachwelt häufig als reales Abbild und beherrschen das Image der deutschen Wahlen bis heute: Pickelhaube und Rindviehvolk. »Mitbürger, auf zur Wahl!!«, Simplicissimus, Juni 1898 © VG Bild-Kunst, Bonn 2017; Künstler: Th. Th. Heine

wahlrecht werden immer wieder als Ausweis der deutschen Autoritätshörigkeit und Reformunfähigkeit angeführt.77 Um die Demokratieferne Deutschlands zu belegen, wird gerne betont, dass ein weites Wahlrecht keineswegs »demokratisch« genannt werden könne, denn immerhin besaß Deutschland ein solches Wahlrecht. Folglich wird das Parlament als maßgeblicher Indikator für Demokratie ins Feld geführt – und lange Zeit wurde die Bedeutung des Reichstags kleingeredet. Als man diese nicht mehr abstreiten konnte, wurde die »Parlamentarisierung« als entscheidendes Demokratiemerkmal identifiziert, diese habe in Deutschland gefehlt, weil die Regierung nicht vom Parlament abhängig war (während ein undemokratisch gewähltes Parlament wie in England demgegenüber unproblematisch erscheint und die parlamentarische Unabhängigkeit des amerikanischen Präsidenten nicht als defizitär gilt).78 Die unterschiedlichen Gewichtungen von Parlament, Wahlrecht oder Regie77 78

Kühne, Dreiklassenwahlrecht; Ziblatt, Shaping Democratic Practice; die Arbeiten von James Retallack zum Wahlrecht. Kocka, 19. Jahrhundert, S. 144f.; einen Forschungsüberblick zu dem Thema bietet Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 17–26.

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rungsbildung besagen viel über die jeweilige politische Kultur. Aber es ist wenig überzeugend, ein einzelnes Merkmal normativ aufzuladen und zum allgemeingültigen Kennzeichen für »Demokratie« zu erklären.79 Martin Kirsch konstatiert in seiner vergleichenden Studie: »Eine generelle Regel, ob für die Durchsetzung des parlamentarisch-demokratischen Verfassungsstaates eine ›Demokratisierung ohne volle Parlamentarisierung‹ (Frankreich, Dänemark, Deutschland) oder eine ›Parlamentarisierung ohne volle Demokratisierung‹ (Großbritannien, Italien u.a.) vorteilhafter war, lässt sich aus der europäischen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts nicht herauslesen.«80 Deutschland weise, so Kirsch weiter, im europäischen Vergleich »eine relativ frühe Demokratisierung auf«.81 Auch die neueste Forschung bestätigt die alte These Manfred Rauhs von einer »stillen Parlamentarisierung« Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg.82 Die vorliegende Studie will mit dem Blick auf die Wahlpraktiken nicht zuletzt zeigen, dass auch im Vergleich mit den USA Deutschland im 19. Jahrhundert schlicht nicht außergewöhnlich war. Der Sonderwegerzählung entspricht die amerikanische Exzeptionalismusthese. Diese wird ebenso mit großer Geste abgelehnt und, wenn es zum Schwur und zur Demokratie kommt, stillschweigend vorausgesetzt. Amerikanische Historiker erklären so ein ums andere Mal die Imprägnierung des amerikanischen Volkes mit Demokratie spätestens seit der Revolution.83 Dabei gibt es eine beachtliche Forschung über antidemokratische Entwicklungen in der US -Geschichte.84 Sie scheint aber das Gesamtbild über die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert kaum zu irritieren. So zeigt etwa Alexander Keyssar in seiner beeindruckenden Studie über die Entwicklung des Wahlrechts in den USA die ganzen problematischen Gegenströmungen auf. Aber dass es letztlich die stolze Geschichte der maßgeblichen Demokratie ist, bleibt recht unangefochten. Richard Bensel kommt in seiner großartigen Studie über die amerikanischen Wahlen in der Jahrhundertmitte gar ein wenig ins nostalgische Grübeln über diese

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So etwa Ullmann, Politik im deutschen Kaiserreich, S. 41; vgl. auch Langewiesche, Diskussion, S. 640f. Kirsch, Monarch und Parlament, S. 398, vgl. auch S. 386f. Kirsch, Monarch und Parlament, S. 401. Mares, Open Secrets; Laufs, Rechtsentwicklungen. Wilnetz, American Democracy, xxi et passim. Vgl. etwa Smith, Civic Ideals.

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wilde, emotional aufgeladene frühe Form der Demokratie.85 Das liegt nicht zuletzt daran, dass die US -Amerikaner im 19. Jahrhundert selbst absolut von ihrer demokratischen Singularität und der daraus folgenden Mission überzeugt waren. Doch da auch demokratische Identität ein Konstrukt ist, gilt es, diese überzeugende Erzählung und Selbstverständigung als Faktum zu nehmen; es hat ganz offensichtlich seine Gründe, warum es den Amerikanern trotz aller undemokratischen Praktiken gelang, sich und die Nachwelt von ihrer Demokratielust zu überzeugen. Da bisher erst relativ wenig über die Fragestellung dieser Studie geforscht wurde, wie der Siegeszug der Massenwahlen zu erklären ist, und da die Studie viele gesellschaftliche Felder in den Blick nimmt, ist eine breite Quellenbasis notwendig. Dazu gehören zum einen die Quellen staatlicher Akteure, die etwa die Gesetzgebung oder die Wahlorganisation beschreiben und sich in nationalen und in regionalen staatlichen Archiven finden. Sowohl in Preußen als auch in den USA beispielsweise schrieben Staatsangestellte Berichte über den Ablauf von Wahlen, die substanzielle Erkenntnisse über die Haltung der Obrigkeit bieten. Daneben sind Quellen aus Sicht der Bürger und Bürgerinnen wichtig, etwa Tagebücher, Briefe, Zeitungsartikel oder Wahlbeschwerden. Diese Quellenbasis ist insofern problematisch, als untere Schichten keine oder nur wenige Quellen produziert haben, gerade auch was Wahlen betrifft. Das muss vor allem im Hinblick auf die erste These berücksichtigt werden, die von der treibenden Kraft der Eliten ausgeht. Wahlbeschwerden beispielsweise, die eine besonders wertvolle Quellengattung bilden, wurden eher von mittleren und oberen Schichten, zumeist von gebildeteren Bürgern aufgesetzt. Sie finden sich sowohl für Preußen als auch für die USA , weil moderne Wahlen fast immer das Recht zur Wahlanfechtung mit sich bringen.86 Wahlbeschwerden bieten einen plastischen Einblick in die Wahlpraxis und die Vorstellungswelt der Akteure. Wenn etwa Amerikaner auf den Vorwurf, sie hätten den Wahlgang mit roher Gewalt beeinflusst, erwidern, man könne ihnen die Prügelei nicht zur Last legen, weil Gewalt am Wahltag schließlich normal sei, oder wenn polnische Landarbeiter in Preußen berichten, wie klug sie allen Manipulationsversuchen des Grundbesitzers widerstanden und dennoch die Wahlen verloren hätten, so lassen sich daraus zahlreiche Erkenntnisse gewinnen. Gewiss müssen diese Dokumente (wie alle Quel85 86

Keyssar, Right to Vote; Bensel: American Ballot Box. Vgl. dazu die hervorragende Arbeit von Arsenschek, Wahlfreiheit.

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len) kritisch gelesen werden, und eine sorgfältige Interpretation muss jeweils fragen, ob sie die Spitze eines Eisbergs offenlegen, ob sie lediglich einseitige Übertreibungen bieten oder ob sie Ausdruck einer besonders kritischen Öffentlichkeit sind. Umso wichtiger ist die Einbettung in andere Quellen. Zeitungsartikel geben einen unersetzbaren Einblick darin, wie Wahlen in ihrer Zeit wahrgenommen und ausgeübt wurden. Sie sind nicht immer, aber doch häufig Ausdruck gebildeter Weltanschauungen, aber gerade Eliten spielen in der Wahlgeschichte eine entscheidende Rolle. Daher ist es auch sinnvoll, wissenschaftliche Abhandlungen oder politische Essays über Wahlen und Wahlrecht als Quellen heranzuziehen. In ihnen wird verhandelt, welche Bedeutung und Funktionen Intellektuelle oder Politiker Wahlen beimaßen. Bei Reformvorschlägen verdeutlichen die Autoren zudem, wie Praxis und Materialität der Wahlen aussahen. Um 1900 schwillt die Literatur über Wahlreformen an, sodass nur noch eine kleinere Auswahl dieser Schriften in Augengeschein genommen werden kann. Dabei habe ich die stark rezipierten Texte ausgewählt, die entweder von Zeitgenossen viel zitiert wurden oder deren Autoren zu den führenden Köpfen ihrer Zeit gehörten. Für Preußen ist die Quellenlage im frühen 19. Jahrhundert besser als für die USA , weil Wahlen als ein Akt der Obrigkeit angesehen und entsprechend umfangreich dokumentiert wurden, während die wählenden Eliten in den USA in dieser Zeit Wahlen unter sich und ohne größeren Papieraufwand betrieben. Mit der Ausweitung des Massenwahlrechts zur Jahrhundertmitte verbessert sich die Quellenlage in beiden Ländern. Die Zeitungen werden aufmerksamer und berichten häufiger über den Wahlakt. Immer wichtiger werden auch die Parlamentsprotokolle, in denen die Diskussionen über Wahlbedeutungen und Wahlfunktionen dokumentiert sind. In der zweiten Jahrhunderthälfte, in den USA vor allem seit dem Bürgerkrieg, multiplizieren sich die Dokumente, und entsprechend häufen sich die Quellen in dieser Zeit. Abbildungen, vor allem Karikaturen, spielten eine zunehmend wichtigere Rolle. Da für die Fragestellung Materialität und Praxis besonders wichtig sind, beziehe ich viele Bilder in die Analyse ein. Mit der Festlegung auf die Moderne ergeben sich für diese Studie vier Untersuchungsräume und Zäsuren, mit deren Hilfe ich die Thesen überprüfen will. Erstens die Zeit der Revolutionen und Reformen um 1800: In diesen Jahren lassen sich Wahlen deutlich als Elitenprojekt erkennen, das eng mit den Interessen der Herrschenden verknüpft ist. Der zweite Zeit-

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raum zeigt den Ausbruch des Wahlrechts aus elitären Strukturen, den politischen und ökonomischen Aufbruch im zweiten Drittel des Jahrhunderts, insbesondere in den 1840er Jahren in den USA und während der 1848er-Revolution in Preußen. Die dritte Zäsur markiert den großen egalitären Aufbruch im Namen der Nation in den 1860er und 1870er Jahren. Viertens schließlich kommt die globalisierte Zeit um die Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg in den Blick, in der sich länderübergreifend ein Konsens für ein universal suffrage durchsetzte und parallel die dafür notwendigen Wahltechniken installiert wurden. Die fünf Kapitel sind einerseits chronologisch aufgebaut und entsprechen diesen Zäsuren. Andererseits legen sie inhaltliche Schwerpunkte. In Kapitel 1 über das »nützliche Subjekt« werden die Wahlen als Elitenprojekt interpretiert und die vielfältigen Interessen der Regierenden an Wahlen analysiert. Zentral sind dabei die Bedürfnisse der Staatsbildung um 1800 und im ersten Drittel des Jahrhunderts sowie der Nationskonstruktion. Im zweiten Kapitel geht es um die Zeit in der Mitte des Jahrhunderts und um die revolutionäre Gemeinschaft der Männer 1848/49 in Preußen und in der Jacksonian Democracy, wie die Zeit von den 1830er bis in die 1850er Jahre nach Präsident Andrew Jackson genannt wurde. Hier wird besonders nachvollziehbar, warum das Wahlrecht nur als »männlich« gedacht werden konnte. Diese Identifizierung verdeutlicht erneut, wie irreführend eine normative Interpretation der Wahlrechtserweiterung sein kann, denn offensichtlich spielten hier andere Elemente als Gleichheitsideale mit. In den USA wurde der Wahlakt so gewalttätig, dass damit nicht nur selbstredend Frauen ausgeschlossen waren und sich schicklicherweise nicht am Wahllokal blicken ließen. Auch alle anderen, etwa die African Americans oder die Native Americans, hielten sich am Wahltag zurück. Um die Jahrhundertmitte gewann die emanzipative Bedeutung von Wahlen an Relevanz. Zugleich erschien es auch den konservativen Kräften immer offensichtlicher, dass die Zukunft der Demokratie gehöre. So untersucht das dritte Kapitel, wie es den Konservativen gelang, sich mit demokratischen Elementen in ihren Staaten zu arrangieren und sie in ihr Weltbild zu integrieren. Denn das 19. Jahrhundert war in vielerlei Hinsicht ein konservatives Zeitalter, und man kann den allgemeinen Demokratisierungsprozess kaum verstehen, wenn man diese wesentliche Kraft nur als Gegenpartei definiert oder gar – normativ – als zu überwindenden Restbestand. Das konservative Arrangement mit demokratischen Elementen beantwortet teilweise die Frage, die ich im vierten Kapitel stelle: Warum es in den 1860er

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Jahren zu einem bemerkenswerten partizipativen Schub kam. Dabei wird deutlich, wie wichtig die Idee der bürgerlichen Mit- und Selbstbestimmung für die Nationskonstruktion war. Wahlen wurden immer kompetitiver, und sowohl in Preußen als auch in den USA trat die Regierung als intervenierende Partei auf. So gewannen Wahlmanipulation und Korruption an Bedeutung. Ich interpretiere sie auch als spezifisch modernen Ausdruck einer Gesellschaft, die sich im oft schmerzlichen und schwierigen Differenzierungsprozess befindet, in dem die Politik sich von anderen Teilbereichen der Gesellschaft, wie dem Markt oder der Religion, trennt.87 Das fünfte Kapitel zeigt diesen Differenzierungsprozess und die Bemühungen, die insbesondere reformerische Eliten darum führten. Die neuen Wahltechniken zur Sicherung der Geheimhaltung und Bekämpfung der Korruption, die den politischen Prozess von anderen Systembereichen trennen sollten, indem sie den Bürger wortwörtlich in einer Wahlkabine isolieren, werden zum praktischen Symbol dieses Reformwillens. Schließlich: Eine Person, die Monat um Monat im Archiv sitzt und zu ihrem Thema Quellen liest, Akten abtippt, Standardwerke über den Forschungsgegenstand wälzt, Kopien dazu anfertigt und durcharbeitet, neigt dazu, ihrem Thema ein zu großes Gewicht beizulegen. Die inspirierende Studie von Glenn C. Altschuler und Stuart M. Blumin hat mich vor dieser Fehleinschätzung bewahrt. Die beiden Historiker beschreiben, wie gering letztlich die Bedeutung von Politik im Leben gewöhnlicher Amerikaner war.88 Das gilt auch für die ganz normalen Preußen. Ihre Geschäfte, die Familien, die Religion, das Duellieren, die Kriege und feschen Uniformen, die Wunder der Technik, die Hochzeit der Prinzessin, zunehmend auch der Sport, neue Volksbelustigungen in Theatern und auf Festwiesen – all das fesselte die Menschen im 19. Jahrhundert viel stärker als der Wahlgang. Nicht zuletzt diese Einsicht, die einen Großteil des normativen Pathos aus der Demokratiegeschichte nimmt, hat meine drei Thesen ermöglicht: erstens Wahlen als Elitenprojekt, zweitens der Einfluss struktureller Dynamiken auf die Wahlrechtsausweitung, drittens die Parallelitäten in der demokratischen Entwicklung, die zeigen, wie sowohl in einer Republik als auch in einer Monarchie die Fiktion einer aufgeklärten, egalitären, demokratischen Herrschaft Fuß fassen konnte.

87 88

Vgl. zum Differenzierungstheorem Pollack, Genese, S. 291–298. Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 86, vgl. S. 7, 79 u. 94f.

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Wahlen und Demokratie sind also ein Bereich unter vielen. Sie sind mit ihrer fiktionalen Grundierung ein besonders prekärer Ausschnitt der modernen Welt. »Bei nüchterner Betrachtung wird uns aber klar, dass die Volkssouveränität funktioniert hat, wie fiktional sie auch immer sein mag«, schreibt Edmund S. Morgan.89 Diese Studie will mit einem genauen Blick auf die Wahlen zu einer Antwort beitragen, wie es zu dieser Fiktion kam und warum sie so gut funktioniert.

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Morgan, Inventing the People, S. 38.

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1 Elitenprojekt Wahlen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

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Bürgerliche Lauheit und die preußische Städteordnung

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Bürgerliche Lauheit und die preußische Städteordnung »Trostlose Lauheit« herrschte in den Häusern Berlins, wenn für die Männer die Wahlen anstanden, und jede Abstimmung über die Stadtverordneten offenbarte aufs Neue die Gleichgültigkeit der Bürger.1 Weder die gesetzlich fixierte Wahlpflicht in der 1808 installierten Städteordnung noch das weit gefasste Wahlrecht vermochte die Wähler zu motivieren. Von den 146000 Berlinerinnen und Berlineu rn durften immerhin 9200 Männer ihr Votum abgeben, was 7 Prozent der gesamten Stadtbevölkerung entsprach. Wie in der ersten Jahrhunderthälfte üblich durften nur Männer mit einem gewissen Eigentum wählen. In der Städteordnung waren das die Bürger, also Einwohner, die sich das Bürgerrecht erkauft hatten. Zusätzliche Anforderungen bestanden nicht, sodass der Besitzzensus für die damalige Zeit recht niedrig lag. In ganz Preußen besaßen damit rund 10 Prozent der Stadtbevölkerung das Wahlrecht, was 2,8 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach.2 Doch selbst die weitreichenden Kompetenzen, die den Gewählten übertragen wurden, motivierten die Bürger nicht. Die Regulierungen sahen vor, dass die Stadtverordnetenversammlung »unbeschränkte Vollmacht in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens« erhielt (StO § 108) und

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»Zur vaterländischen Literatur«, Vossische Zeitung, 6. 1. 1844. Denn Städter bildeten 28 Prozent der Gesamtbevölkerung (Wehler, Reformära, S. 10). Neuere Zahlen belegen, dass in einigen Landstrichen rund 13 Prozent das Wahlrecht besaßen und korrigieren damit die bisher geläufige Zahl von 7 Prozent Wahlberechtigten nach oben (Meier, Politisierung, S. 47); s. auch Pahlmann, Anfänge, S. 36–46; Pahlmann, Wahlverhalten, S. 122f.; vgl. den Überblick in Genschmar, Die Preußische Städteordnung, S. 7. Die Wahlberechtigung sank später zumindest in Berlin, Druckschrift von Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath, Berlin 10. 6. 1836, LAB A Rep. 001–02, Nr. 2588.

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dass die Bürger sowohl den Magistrat als ausführendes Organ als auch den Bürgermeister wählen konnten.3 Die Bürger kannten die Wahlen vor allem aus dem kirchlichen Leben.4 Auch in den kleinen, aber einflussreichen Zirkeln der Freimaurerlogen wurde gewählt.5 Kommunale Mitbestimmung war bisher jedoch einer kleinen städtischen Elite vorbehalten gewesen. Von einem politisch weitergehenden Wahlrecht hatten die Bürger bis dahin aus Frankreich und den okkupierten Gebieten gehört, wo auch Tausende deutscher Männer wählen konnten.6 In Berlin waren 1806, gleich nach der Besatzung der Stadt, auf französischen Befehl hin 2000 der wohlhabendsten Bürger zwangsverpflichtet worden, in der Petrikirche einen »großen Rat« zu wählen.7 Diese offenkundige Verknüpfung der Wahlen mit der ungeliebten Besatzungsmacht und ihre unmissverständliche Disziplinierungsfunktion wird den Berlinern die Städteordnung kaum sympathischer gemacht haben, als diese kurz nach dem Abzug der französischen Truppen 1808 eingeführt wurde. In Berlin sollte nach dem Willen des Innenministeriums der reformerische Oberpräsident Johann August Sack die Stadt als Musterbeispiel für die Vorzüge der neuen Städteordnung präsentieren.8 Doch noch wenige Wochen vor den ersten Wahlen, die im April 1809 stattfinden sollten, notierte Sack, die Öffentlichkeit wolle einfach nicht glauben, dass die ungeliebte Regulierung tatsächlich kommen werde.9 Die Bürger hatten andere Sorgen: Die französischen Besatzer hatten der Stadt nach ihrem Abzug einen Schuldenberg von 4,5 Millionen Talern hinterlassen, der Handel stockte, viele Menschen fanden keine Arbeit, Not und Armut lasteten oft selbst auf den besser gestellten Beamten.10

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Die Städteordnung vom 19. 11. 1808 ist nachzulesen auf: Online Portal Westfälische Geschichte, http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/lang Datensatz.php?urlID =721&url_tabelle=tab_websegmente [2. 1. 2017]. Vgl. zu kirchlichen Wahlen Schulz, Eliten und Bürger, S. 288–292. Buchstein, Modernisierungstheorie, S. 124. Crook/Dunne, European Elections?. Der »große Rat« wiederum bestimmte das »Comité administratif« (Pahlmann, Anfänge, S. 35); Preuß, Städtewesen, S. 237. Pahlmann, Anfänge, S. 37 und 44. Immediat-Zeitungs-Bericht Oberpräs. Sack, 9. 2. u. 22. 4. 1809, in: Granier, Berichte, S. 355 u. 409. Vgl. die Quellen aus der Zeit zu Beginn des Jahres 1809, in: Granier, Berichte, S. 336–572; Ribbe/Schmädeke, Berlin-Geschichte, S. 83.

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Abwehr der nivellierenden Wahl- und Städteordnung Nicht nur die Berliner wollten die Verordnung und das Wahlrecht nicht. Besonders heftig wehrten sich die Pommern. Die Provinz empfand die Wahlen als unnötig und scheute die Kosten, die eine Einsetzung der vorgesehenen kommunalen Beamten mit sich bringen würde. Die alten Magistratsmitglieder wollten nicht auf ihre bisherigen Privilegien verzichten, und dass die Juden gleichberechtigt mitstimmen sollten, erschien vielen Stadtbürgern als anstößig.11 Schließlich zogen in jeder zweiten pommerschen Stadt staatliche Kommissare das Wahlprozedere an sich, weil die örtlichen Amtsträger als unfähig galten und in den Augen der Obrigkeit den Geist der Städteordnung schlicht nicht verstünden. Zuweilen mussten die Wahlen wegen Unregelmäßigkeiten mehrfach wiederholt werden, sodass die pommersche Regierung erst nach mehrjähriger Verzögerung Vollzug melden konnte. Der Regierungsbezirk Stralsund mit dem erst 1815 an Preußen gefallenen Neu-Vorpommern konnte sich der Städteordnung ganz verweigern, indem er auf seine Ordnungen und Privilegien aus der Schwedenzeit hinwies.12 Die städtischen Abstimmungen zeugten auch in den folgenden Jahrzehnten von der »Gleichgültigkeit und Passivität« der Bürger.13 Heinrich Runge, ein Berliner Stadtverordneter, notierte, dass »von den stimmfähigen Bürgern des Bezirks kaum die Hälfte [erscheint] und diese kleine Zahl zeigt sich noch so erschlafft und so lässig«. Nur mit »Indifferentismus« würden die Bürger der »Trostlosigkeit des ganzen Actus« beiwohnen und abstimmen; »mit derselben, schrecklichen Ruhe geht man nach Hause, um an die ganze Geschichte nicht mehr zu denken, froh, daß sie nur alle drei Jahre wiederkehrt«.14 Jahr um Jahr begleiteten obrigkeitliche Mahnungen 11

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Bericht Oberpräs. Sack an Minister des Innern Graf Dohna, Berlin, 5. 4. 1809, sowie weitere Berichte Sacks im Frühjahr, in: Granier, Berichte, S. 390; Pahlmann, Anfänge, S. 43; Eggert, Einführung, S. 6–10; Mellies, Modernisierung, S. 222f.; vgl. Wehrmann, Pommern, 279f. Mellies, Modernisierung, S. 222f.; Fenske, Verwaltung Pommerns, S. 18 u. 55; Meier, Stadtbürgertum, S. 131f. u. 143; Lancizolle, Königthum und Landstände, S. 341 u. 402; Übersicht von den Städten und deren Bevölkerung in Neu-Vorpommern, I. HA Rep. 89, Nr. 14294; Unterlagen in Rep. 65c, Nr. 1645, LAG ; vgl. auch Nolte, Staatsbildung, S. 60f. Flugblatt »Die bevorstehende Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer unseres preußischen Vaterlandes« von Dr. H. Thiele, Halle, 20. 7. 1849, I. HA Rep. 90A, Nr. 3247, Bl. 235, GStA PK . Runge, Mein Glaubensbekenntnis, S. 5.

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die Stadtwahlen: »der Magistrat darf gewiß hoffen, daß Niemand von ihnen ohne dringende Abhaltung, und ohne sich in diesem Falle bey dem Vorsteher des Bezirks schriftlich entschuldigt zu haben, sich der Beywohnung der Wahl seines Bezirks entziehen [werde]«.15 Die städtischen Akten sind voll mit Überlegungen, wie sich die Bürgerschaft besser zur Wahl bewegen ließe.16 Doch in der Regel fehlte ein Drittel bis die Hälfte der Wahlberechtigten.17 Um die Bürger von den Vorteilen der Partizipation zu überzeugen, nutzen die Reformer – eine gebildete Elite aus Adel und Bürgertum – die neuen Möglichkeiten moderner Druckerzeugnisse.18 1832 empfahl die Preußische Regierung allen Verwaltungsstellen den »Katechismus für Stadt-Verordnete der Preußischen Städte«,19 der die Bürger davor warnte, sich aus »Verdruß« von »dem Gemeinwesen überhaupt und von den Wahlen insbesondere zurückzuziehen«.20 Die liberale Vossische Zeitung mahnte, »den Geist« der Städteordnung zu würdigen, und kritisierte es, wenn »so Vielen es ein unerhörtes Opfer dünkt, im Laufe von drei Jahren für die Kommune einige Stunden ihre Bequemlichkeit zu entbehren!«.21 Der aufblühende Zeitungsmarkt, der Teil einer von Historikern als Kommunikationsrevolution bezeichneten Neuerung war, bot generell ein wichtiges Forum, um moderne Ideen zu propagieren und um die immer 15

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Obrigkeitliche Bekanntmachung, Berliner Intelligenz-Blatt, 25. 5. 1811, A Rep. 000–02–01, Nr. 68, LAB ; Unterlagen vom Magistrat der Stadt Berlin, A Rep. 004, Nr. 166, LAB ; vgl. zum Ablauf der Stadtverordnetenwahlen in Berlin A Rep. 000–01–01, Nr. 1239, LAB . Magistrat der Stadt Berlin, z.B. Magistrat, 21. 5. 1835, sowie Druckschrift von OberBürgermeister, Bürgermeister u. Rath von Berlin, 10. 6. 1836, beide in A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB ; Druckschrift von Ober-Bürgermeister, Bürgermeister u. Rath von Berlin, 5. 6. 1820, u. weitere Unterlagen in der Akte, A Rep. 000–02–01, Nr. 29, LAB ; Unterlagen in A Rep. 001–02, Nr. 2585 u. F Rep. 310 – Sammlung 1848, Nr. 1422b, LAB . Bericht der Stadtverordnetenversammlung an den Magistrat, gez. Humbert, 3. 7. 1817, LAB Rep. 000–02–01, Nr. 185, Bd. 4, Bl. 19f., LAB . »Zur vaterländischen Literatur«, Vossische Zeitung, 6. 1. 1844; Zeitungsartikel und Magistratspublikationen in A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB ; Artikel in Spenersche Zeitung, 15. 4. 09; vgl. Pahlmann, Anfänge, S. 45; vgl. zu den Reformeliten und ihren Hoffnungen für die Städteordnung, Brief Oestereich an Schön, Braunsberg, 26. 2. 1810, XX . HA Nl Schön, T. v., (Depositum von Brünneck I) Nr. 152. Königl. Regierung, Abtheilung des Innern, 13. 7. 1832, Rep. 65c, Nr. 1633, Grundsatzfragen der Städteordnungen, 1831–1847, Bl. 38, LAG . Zitiert nach der Besprechung des Buches in Janke, Städte-Ordnung, S. 307 u. 312. »Städtische Angelegenheiten«, Vossische Zeitung, 12. 6. 1841, A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB .

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wichtiger werdende nationale Gemeinschaft überhaupt verwirklichen zu können.22 Die Bürger verstanden, dass es um grundsätzliche Fragen ging, um die Schaffung einer neuen Ordnung, die sie systematischer einbeziehen sollte. So riefen auch die reformerischen Homogenisierungsbestrebungen ihren Unmut hervor. Die Berliner Regierung bemühte sich um die Eindämmung der »mancherlei Auswüchse und Übelstände, die unter den gleichfalls noch herrschenden feudalen Zuständen« bestanden, wie es ein Richter in Greifswald beschrieb,23 und startete alle paar Jahre eine Initiative zur freiwilligen Einführung der Städteordnung in ganz Pommern.24 Auch in andern Teilen Preußens empfanden Bürger die zentralisierenden Bestrebungen als Gängelung und »prinzipmäßige[s] Gebahren der Büreaukratie mit ihrer Willkür, Eigenmacht, Nichtachtung der Rechte«25 und schimpften auf »den ganzen abstracten Staatsbegriff der modernen politischen Doctrin, […] mit allem was er an Centralisation, Codification, Nivellirungs- und Uniformitätssucht, an Despotismus der Gesetze und Mechanisirung der ganzen Rechtsordnung mit sich führt«.26 Der unbändige Gutsbesitzer Friedrich August Ludwig von der Marwitz bezeichnete den führenden Reformer Karl August von Hardenberg als einen »türkischen Großvezier«.27 Und der

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Schulz, Demokratie, S. 707f.; Bösch, Mediengeschichte, S. 97; Behringer, Kommunikationsrevolution. Im Rückblick berichtet von Temme, Augenzeugenberichte, S. 113. Trotzdem kam der Homogenisierungsprozess für die Verfassungen in den pommerschen Städten erst im 20. Jahrhundert zu einem Ende, s. die Übersicht in Referat betreffend die Änderung der Verfassung der Städte Neuvorpommerns und Rügens, ca. 1912, Rep. 65C, Nr. 1667, LAG ; zu den Homogenisierungsbestrebungen Unterlagen in I. HA Rep. 89, Nr. 14294 u. Nr. 14295, GStA PK ; Rep. 65c, Nr. 1647 und Nr. 1651, LAG . Das Ministerium des Innern ging sogar einem anonymen Schreiben aus Greifswald nach, in dem behauptet wurde, das Stadtbürgertum wolle die Städteordnung, doch Magistrat und Bürgervertretung, die allesamt verfilzt seien, verweigerten die; inwiefern das zutreffend ist, bleibt unklar; das anonyme Schreiben gehört zu den wenigen positiven Einschätzungen der Städteordnung außerhalb der Reformbürokratie: Minister des Innern und der Polizei an Königl. Regierung zu Stralsund, Berlin, 2. 5. 1831, Rep. 65c, Nr. 1633, 1831–1847, Bl. 19–24, LAG (mit dem angehängten Schreiben des Anonymus vom 24. 3. 1831), s.a. Regierungsunterlagen aus Berlin und Stralsund in der Akte u. in Rep. 65c, Nr. 1 u. Nr. 1636, LAG ; vgl. auch Stamm-Kuhlmann, Pommern, S. 371f. So erinnerte sich Jahrzehnte später Temme, Augenzeugenberichte, S. 121. Lancizolle, Königthum und Landstände, S. 525. Zitiert nach Frie, Marwitz, S. 283.

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Jurist Carl Wilhelm von Lancizolle erklärte, die Magistrate der Städteordnung seien »Wahlkörper« ohne »lebendige Seele«; die »notorisch geringe Teilnahme« an den Wahlen sei nur folgerichtig.28 Er spottete über die Reformer, die sich von der Städteordnung die »Erweckung eines neuen wunderherrlichen Communallebens« erhofft hatten.29 Viele seiner Juristenkollegen amüsierten sich über die »Fluth von Rescripten, die täglich aus den Federn der jungen Räthe« im Justizministerium flossen.30 In Anspielung auf die Weltfremdheit der Städteordnung zitierten die Bürger höhnisch die Bibel: »Wer sich aber vorgenommen hat, über das Gesetz des Höchsten nachzusinnen, der muß […] den verborgenen Sinn der Gleichnisse erforschen und mit Rätselsprüchen vertraut sein«.31 Oft rebellierten Sondergruppen wie der Landadel, die Universitäten oder die hugenottische Minderheit dagegen, von der nivellierenden Städteordnung verschlungen zu werden. Insbesondere konservative Kritiker setzten sich gegen die Neuerungen der aufgeklärten Elite zur Wehr. Reformgegner um von der Marwitz, den Hardenberg für seine Renitenz sogar in Arrest setzen ließ, sahen sich dabei »nicht als die Vertreter von Gutsherreninteressen, sondern als Bewahrer konstitutioneller Freiheiten gegen die Zumutungen administrativer Selbstermächtigung«, wie Ewald Frie konstatiert.32 Die Abneigung der katholischen Residenzstadt Münster gegen das Ende des Fürstbistums und die Herrschaftsübernahme durch preußisches »Beamtenregiment, Zentralisation, hochgeschraubte Abgaben und vor allem ein zahlreiches Heer« (so der Münsteraner Verleger Hüffner) kann die preußische Administration kaum überrascht haben.33

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Lancizolle, Königthum und Landstände, S. 344–346; vgl. auch S. 216, 341–346 u. 351–353. Lancizolle, Königthum und Landstände, S. 351. So im Rückblick berichtet von Temme, Augenzeugenberichte, S. 114. Jesus Sirach 39, S. 1 u. 3; davon schreibt Oberpräs. Sack, Immediat-Zeitungs-Bericht, 9. Februar 1809, in: Granier, Berichte, S. 355. Frie, Marwitz, S. 268 u. 281–283; Meier, Stadtbürgertum, S. 149; Pahlmann, Anfänge, S. 46; Schambach, Dortmund, S. 115. Johann Hermann Hüffer in seinen Lebenserinnerungen, zitiert nach Kill, Münster, S. 57.

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Abb. 2 Bürgerrolle Berlin, Erfassung des Individuums. Eines der Wahlverzeichnisse, wie sie über viele Jahrzehnte in westlichen Staaten üblich wurden: mit Wohnort, Name, teilweise mit Beruf, aber nahezu immer mit »Bemerkungen«. Landesarchiv Berlin A Rep. 001–02, Nr. 2532, 1815

Wahlakt als Performanz der aufgeklärten Gesellschaft Dabei hatten sich die Reformer die Wahlen schön gedacht. Die Städteordnung definierte alle Bürger vor dem Staat als gleich (StO §§ 32–33). Gegen das »nach Klassen und Zünften sich theilende Interesse« setzten die Reform-Eliten den Gemeinsinn der Nation. Weder Religion (auch Juden durften wählen), noch Geburt (Adel zählte nicht), noch Zünfte bildeten das Objekt der Regierungspraxis, sondern das Individuum: »Es nehmen an den Wahlen alle stimmfähigen Bürger Anteil, und es wirkt jeder lediglich als Mitglied der Stadtgemeinde ohne alle Beziehung auf Zünfte, Stand, Korporation und Sekte« (StO § 73, vgl. auch § 19). Zwischeninstanzen wie Gutsherrschaften oder Universitäten wurden ausgeschaltet (StO § 8 u. 24). Die Wählerregistratur zeigt die Konzentration auf den individuellen Bürger, seinen Namen, seinen Wohnort, seinen Beruf (Abb. 2). Die Idee von der Gleichheit ermöglichte es, die Menschheit ganz neu, nämlich rational zu ordnen, und sie gestattete die Vorstellung, dass sich die (grundsätzlich gleichen Menschen) nicht durch Geburt und Adel, sondern

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durch Eigentum und Leistung auszeichnen konnten. Die »ganze Nation« der Gleichen, das waren wie auch in den anderen westlichen Ländern dieser Zeit die »freyen Eigenthümer«.34 Auf den komplexen Zusammenhang von Eigentum und Staatsbürgerschaft, ja von Wohlstand und Menschenrechten, werden wir noch zu sprechen kommen. Zunächst aber brauchte der moderne Staat das Geld und die ökonomischen Kompetenzen der Bürger. Daher sollte das Wahlrecht Bürger und Kapital enger an die Staatsgeschäfte binden. Gleichheit, Wohlstand und Freiheit standen für die Reformer in einem sittlich selbstverständlichen Zusammenhang.35 Die nach 1945 viel beschworene Differenz des 19. Jahrhunderts zwischen den zivilgesellschaftlich orientierten citoyens und den aufs Kapital versessenen bourgeois spielte zu der Zeit keine Rolle. Die Städteordnung unterstützte ausdrücklich den Prozess der Ökonomisierung. In ihr finden sich die Ideen des von den Gebildeten intensiv rezipierten Adam Smith, etwa dessen Überzeugung, dass Wettbewerb der entscheidende Antrieb für Leistung und wachsende Produktivität sei, aber auch dessen Vision von Wohlstand für alle – »ganz sicher kann keine Nation blühen und gedeihen, deren Bevölkerung weithin in Armut und Elend lebt«.36 Tatsächlich war die Städteordnung in dieser Hinsicht erfolgreich, denn der Großteil der Gewählten gehörte zur Kaufmannschaft, und mit ihr dominierte ökonomischer Sachverstand die Verwaltungen.37 Die Wahlen sollten in den Kirchen stattfinden, ein Gemeinschaftsereignis, gesäumt von einträchtigem Gesang erbaulicher Lieder und einer würdigen Predigt: die Zusammenkunft gemessener, gleicher, Steuern zahlender Männer. Die Reformer dachten an die Gefühle der Wähler, sie wollten sie mit dem Wahlakt zu feierlicher Stimmung erheben. Am Sonntag vor den Wahlen setzten die Geistlichen in Kirchen und Synagogen die Bürger über die Wahltermine in Kenntnis. Oberpräsident Sack berichtete: »Die heute in Kirchen gehaltenen Predigten haben die Gemüther der Bürger schon zu dem wichtigen Wahl-Geschäfte gestimmt und vorbereitet, wel34 35

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Zitiert nach Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 100f. Vgl. etwa Hardenberg, Rigaer Denkschrift; vgl. Gutachten der achten Abtheilung der Kurie der drei Stände über die Petitionsanträge Nr. 393, 399, 436, betreffend eine Gemeinde-Ordnung für das platte Land in den östlichen Provinzen, 4. 6. 1847, I. HA Rep. 169 B. 1b B, Nr. 23, GStA PK . Zitiert nach Höffe, Kritik der Freiheit, S. 118; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 34. Pahlmann, Anfänge, S. 152f.; Mellies, Modernisierung, S. 315; Meier, Stadtbürgertum, S. 284.

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Abb. 3 Das Innere der St.-NikolaiKirche am 6. 4. 1809. Die Verteidigung des ersten Berliner Magistrats unter der Leitung von Oberpräsident Sack und Propst Konrad Gottlieb Ribbeck, Handzeichnung von Friedrich August Calau um 1809 Stadtmuseum Berlin, Reproduktion: Christel Lehmann, Berlin

ches übermorgen beginnen wird.«38 Wie im 19. Jahrhundert üblich fanden die Wahlen also an einem Werktag statt. In Aushängen und Zeitungsaufrufen wurde über den Ablauf des Wahlaktes informiert. Da bei den ersten Wahlen alle 102 Stadtbezirke auf einmal wählten, jedoch nur 22 Kirchen zur Verfügung standen, musste die Wahl an fünf Tagen stattfinden, vom 18. bis 22. April 1809.39 An jedem Wahltag riefen die Glocken zwei Mal zu den Wahlversammlungen: einmal eine halbe Stunde vorher, dann um 9 Uhr, zu Beginn der Versammlung. Vor der Friedrichswerderschen Kirche, dem alten Bau, in dem noch wenige Jahre zuvor die französischen Besatzungssoldaten gelagert hatten, teilten Kurrendeknaben Liedblätter aus. Gardisten und ein Unteroffizier der Bürgerwehr sorgten am Eingang für Ordnung. Für die Wahlpredigten

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»Tagebuch«-Eintrag vom 16. 4. 1809, Oberpräs. Sack in seinem Bericht an Minister Dohna, Berlin, 18. 4. 1809, in: Granier, Berichte, S. 404; vgl. ebd. die weiteren Berichte Sacks an Dohna. Bericht Oberpräs. Sack an Minister Graf Dohna, Berlin, 22. 4. 1809, in: Granier, Berichte, S. 408.

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hatte man die renommiertesten Geistlichen gewonnen.40 In der Nikolaikirche etwa sprach bei der ersten Wahlversammlung am 18. April 1809 der Oberkonsistorialrat Gottfried August Hanstein, der in Berlin neben Friedrich Schleiermacher als einer der besten Prediger gehandelt wurde. Er erklärte der Wahlversammlung, »es soll gleichsam die Hand der Religion selbst den ersten Grundstein legen zu dem neuen Gebäude des Bürgerthums und Bürgerglücks, das auf den Ruinen des zertrümmerten Glücks der Nation emporsteigen soll«.41 Nach dem Gottesdienst, wie man ihn allgemein nannte, wurden alle Nichtwähler hinausgebeten und die Kirchentüren geschlossen. Die Schließung der Türen kannten die Männer von vormodernen Wahlen. Sie markierte die Gleichheit der Anwesenden unter Eliminierung aller Asymmetrien außerhalb des Wahlgeschehens.42 Der Wahlvorstand, ein Vertreter des Magistrats, schritt nun zum Altar und verlas die entscheidenden Paragrafen der Städteordnung.43 Mithilfe der Bürgerrolle stellte er die Identität der Anwesenden fest, indem er die Namen der verzeichneten Bürger vortrug. Jeder Wähler durfte Kandidatenvorschläge unterbreiten. Daraufhin erhielten alle Anwesenden eine schwarze und eine weiße Kugel, um einzeln über jeden Kandidaten per Ballotage abzustimmen (StO §§ 94f.).44 Ein »verdecktes und verschlossenes Gefäß« lief reihum, und die Bürger legten bei Zustimmung zum Kandidaten ihre weiße und bei Ablehnung die schwarze Kugel hinein. In ein zweites Gefäß warfen sie die andere Kugel. Die Kandidaten mit den meisten weißen Kugeln galten als gewählt, die mit den zweitmeisten Stimmen als Stellvertreter.45 Zur Sicherheit ließ der Magistrat in Berlin als Urnen »hölzerne Gefäße beschlagen, jedes mit einem Schloß im Scharnier40 41 42 43 44

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Bericht Sack an Innenminister Dohna, Berlin, 22. 4. 1809, in: Granier, Berichte, S. 408. Predigt Hanstein, 18. 4. 1809, zitiert nach Pahlmann, Anfänge, S. 53. Stollberg-Rilinger, Symbolik und Technik. Pahlmann, Anfänge, S. 53, dort auch weitere Details, S. 54–56. Die Praxis konnte jedoch vom Gesetz abweichen: Notiz, o. A., Berlin, 10. 7. 1818, A Rep. 004, Nr. 166, Magistrat der Stadt, Bl. 8, LAB ; Berliner Intelligenz-Blatt, 13. 4. 09, A Rep. 001–02 Nr. 2530, Königsbrücken Bezirk, LAB ; Wahlprotokoll mit dem Ablauf, 1830er Jahre, A Rep. 001–02 Nr. 2529, Generalbüro, LAB ; Ober-Bürgermeister etc. an Eine Wohllöbliche Stadtverordneten-Versammlung, Berlin, 4. 3. 1810, A Rep. 000–01–01, Nr. 1239, LAB ; Aufruf an die stimmfähigen Bürger, Der Magistrat, Berlin, 10. 4. 1848, F Rep. 310, Sammlung 1848, Nr. 1422b, LAB ; Notiz, o. A., Berlin, 14. 4. 1809, A Rep. 004, Nr. 166, Bl. 3, LAB , und weitere Unterlagen in dieser Akte. Instruction für Commissarius des Magistrats, A Rep. 001–02, Nr. 2571, Bl. 79, LAB ; vgl. Vossische Zeitung, 16. 5. 1848.

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band«.46 Das aufwendige Verfahren verhinderte Manipulationen und ermöglichte als eine der wenigen Wahlregulierungen zu Beginn des Jahrhunderts die geheime Stimmabgabe.47 Das heißt, es kam auf die einzelne Stimme jedes Bürgers an. Die Städteordnung kategorisierte entsprechend die Städte allein nach der Anzahl der Einwohner (StO § 9), ebenso wie die Stadtbezirke durch die Einwohnerzahl festgelegt wurden (StO § 11f.).48 Sie setzte damit auf die »schiere Kopfzahl« und das Mehrheitsprinzip. Zu Recht erkennt Thomas Nipperdey in der Städteordnung »die Wurzeln von so etwas wie Demokratie«.49

Wahlen als Zumutung Doch die Wahlen erwiesen sich als eine Zumutung. Mit Gottesdienst, Verlesung der Ordnung und vorhergehender Wahl der drei Beisitzer für den Wahlvorstand zog sich das Verfahren quälend in die Länge. Allein die Identifizierung der Wähler (bei durchschnittlich über 300 Wahlberechtigten und 150 bis 200 Anwesenden) durch Verlesen der Namen war langwierig. Die aufwendige Ballotage war eine Wahltechnik, die sonst in kleinen, elitären Gruppen gepflegt wurde (vgl. Abb. 4).50 Meistens wurde die Wahlhandlung in den preußischen Kirchen in vier oder fünf Stunden abgeschlossen, zuweilen aber musste sie am nächsten Tag fortgesetzt werden.51 Die Abschreckung der Bürger durch die lange Wahldauer blieb ein Problem, und die Ausarbeitung einer Technik für die schnellere Stimmabgabe gehörte zu den wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg der Massenwahlen.52 Wer bei den preußischen Städtewahlen

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Notiz vom 26. 4. 1809, A Rep. 001–02, Nr. 2601, LAB . Przeworski, Suffrage and Voting Secrecy. Damit ging die Ordnung durchaus einen ersten Schritt hin zur Einwohnergemeinde; die Forschung betont hingegen, es habe sich nach wie vor um das Prinzip der Bürgergemeinde gehandelt (Fenske, Verwaltung Pommerns, S. 53); vgl. auch Nolte, Staatsbildung, S. 62. Nipperdey, Bürgerwelt, S. 38. Die Ballotage stammt wohl von den Benediktinern, die sie im frühen Mittalter für die geheime Abtwahl eingeführt hatten und die sie womöglich in Anlehnung an die Bohnen-Abstimmung bei den Griechen installiert hatten; vgl. auch Crook/Crook, Reforming Voting Practices, S. 205f. Auch in den Greifswalder Logen wurde mit der Ballotage abgestimmt (Buchstein, Modernisierungstheorie, S. 124). Schambach, Dortmund, S. 107. Vgl. Kap. 5; vgl. auch die Unterlagen in E 146, Bü 7604, HStAS t.

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Abb. 4 Die Ballotage als aufwändige Wahlpraxis für elitäre Zirkel. Hier eine der ersten Ballot Boxes, die von Mitgliedern der Association of the Oldest Inhabitants of the District of Columbia genutzt wurde National Museum of American History, Wikimedia Commons

fehlte, musste eine schriftliche Entschuldigung vorlegen, und das Wahlprotokoll listete die fehlenden Bürger eigens auf (s. Abb. 5).53 Viele Juden fühlten sich außerdem unwohl in den Kirchen. Aber nicht nur sie stießen sich am religiösen Charakter des Wahlvorgangs. So manchem Christen erschienen die Predigten zu langatmig. Als einmal ein Bürger selbst das Wort ergriff und eine Ansprache hielt, wurde er vom Magistrat scharf zurechtgewiesen. Es gab Auseinandersetzungen um die Lieder, deren Inhalt sich ebenso wenig wie die Predigten »nicht allein auf die christliche Kirche beziehen« sollte, um Andersdenkende und Andersgläubige nicht zu verprellen.54 Regelmäßig forderten die Bürger pragmatischere Regeln, etwa die Kürzung der Predigt auf eine Viertelstunde (die zudem nicht von der Kanzel gehalten werden sollte), die Einschränkung des

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Aufruf an die stimmfähigen Bürger, Der Magistrat, Berlin, 10. 4. 1848, F Rep. 310, Sammlung 1848, Nr. 1422b, LAB ; Liste E an Wahlprotokollen, A Rep. 001–02, Nr. 2530, LAB ; Vordruck von Oberbürgermeister etc., Berlin, 30. 5. 1823, A Rep. 001–02, Nr. 2585, LAB . Zitat aus Notiz, o. A., ca. 1828, A Rep. 004, Nr. 166, Bl. 58; Schambach, Dortmund, S. 107; Beilage zur Spenerschen Zeitung, 13. 6. 1833, LAB A Rep. 001–02 Nr. 2529; Vordruck von Oberbürgermeister etc., Berlin, 30. 5. 1823, A Rep. 001–02, Nr. 2585, LAB , und weitere Unterlagen in der Akte; Übersicht über Verlauf der Wahlversammlungen, o. A., ca. 1831, A Rep. 004, Nr. 166, Bl. 74, LAB , und weitere Unterlagen in der Akte; Instruction für den Herrn Commissarius des Magistrats, A Rep. 001–02, Nr. 2571, Bl. 78f., LAB ; »Städtische Angelegenheiten«, Erste Beilage zur Vossischen Zeitung, 14. 6. 1841, A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB . Wegen der Ansprache des Bürgers: Ober-Bürgermeister an den Stadtverordneten und Rentier Herrn Benda, Berlin, 27. 7. 1838, A Rep. 000–01–01, Nr. 1239, LAB . Vgl. auch »Predigten bey der Wahl der Stadt Verordneten«, A Rep. 001–02, Nr. 2576, Bl. 28, LAB .

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Abb. 5 Zeugnis der Disziplinierungsfunktion: Liste der Nichtwähler 1818, Anlage zum Wahlprotokoll Landesarchiv Berlin A Rep. 001–02, Nr. 2530

Gesangs oder die Zusammenlegung von Wahlen.55 Zuweilen ließen die Bürger einfach die Ballotage weg und wählten rasch öffentlich, was jedoch eine Ungültigkeitserklärung der Wahl nach sich ziehen konnte.56 Die Prinzipien der Geheimhaltung und der Gleichheit erschienen ihnen gleichermaßen entbehrlich: Sie wählten ohnehin immer wieder dieselben alteingesessenen Honoratioren.57 Auch sonst hatten die Wahlen eher wenig mit den Ideen der Reformer zu tun. Eine »Öffentliche Bekanntmachung« monierte, dass es in den Kirchen und Betsälen häufig zur »Verletzung der Sitte« komme, zu »Störungen und Beschädigungen«. Regelmäßig wurde das »Tabacksrauchen« in den Kirchen beanstandet.58 Die Kirchengemeinden wollten nicht die anfallenden Kosten für den Kirchendiener und für die Liedblätter tragen, und auch der Prediger forderte eine Aufwandsentschädigung für den Zusatzdienst. Die freiwilligen Spenden, die man den Bür55

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Ober-Bürgermeister etc. an Eine Wohllöbliche Stadtverordneten-Versammlung, Berlin, 4. 3. 1810, A Rep. 000–01–01, Nr. 1239, LAB ; Beratungsnotiz, Berlin, 21. 7. 1828, A Rep. 004, Nr. 166, Bl. 55, LAB . Wahlbericht, Stadtverordnetenvers., Berlin, 25. 6. 1817, A Rep. 00–02–01, Nr. 185, Bd. 4, Bl. 9, LAB ; Wahlbericht, Stadtverordnetenvers. an Magistrat, 27. 7. 1826, A Rep. 000–02–01, Nr. 60, Bl. 83, LAB . Pahlmann, Wahlverhalten, S. 207f. Öffentliche Bekanntmachung, Vossische Zeitung, 15. 7. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2426, LAB ; Obermann, Wahlen, S. 56.

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gern am Ausgang zur Deckung der Kosten abforderte, blieben bescheiden, und Stadt und Kirchen stritten sich um die Gabe.59 Manche Kirchen gingen dazu über, während der Wahlversammlung gleich drei Mal die Kollekte einzusammeln.60 Rund 70 Jahre später pries der Großmeister der Geschichtsschreibung im aufblühenden Deutschen Reich, Heinrich von Treitschke, die Städteordnung als Geniestreich der Preußen, der in Europa einzigartig gewesen sei. Er fügte hinzu: »Diese Reform mußte der Nation durch den Befehl des Königs aufgezwungen werden. Der märkische Adel und die alte Schule des Beamtentums klagten über die republikanischen Grundsätze der Städteordnung«; auch »der ermattete Gemeinsinn des Bürgertums zeigte anfangs geringe Neigung für den erzwungenen Ehrendienst«.61 War das der Beginn einer Erzählung im Hegel’schen Geist, die das Stadtbürgertum depotenzieren wollte, um die Glorifizierung des Staates umso wirksamer in Szene zu setzen – einer Erzählung, die zu der Vorstellung eines unmündigen preußischen Bürgertums beitrug, das geradezu unvermeidlich in die Diktatur geschritten sei? Ähnliche Vorwürfe erheben Historiker, die im Umfeld des Frankfurter Projektes »Stadt und Bürgertum« Untersuchungen einzelner Städte vornahmen.62 Auf der Mikroebene nach Akteuren und nach Transformationen in der longue durée fragend, zeichnen sie ein differenziertes Bild der bürgerlichen Lebenswelt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei betonen sie immer wieder den emanzipatorischen, modernisierungswilligen Geist des Stadtbürgertums.63 Doch was die Wahlen in der ersten Jahrhunderthälfte betrifft, können auch diese Studien keine Begeisterung der Bürger konstatieren, und die geringe Wahlbeteiligung erwähnen sie häufig nicht. Steuerzahler wurden immer wieder regelrecht dazu 59

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Oberkirchenvorsteher, Sophienkirche Kramer an Magistrat, Berlin, 19. 7. 1818, sowie Notiz, o. A., Berlin u. weitere Wahlunterlagen in der Akte, A Rep. 004, Nr. 166, Magistrat der Stadt Berlin, Bl. 7f., LAB . Der Magistrat zu Berlin an Königl. Hochwürdiges Consistorium der Provinz Brandenburg, Berlin, 5. 11. 1837, A Rep. 004, Nr. 166, LAB . Treitschke, Deutsche Geschichte I, S. 277. Treitschkes Vermutung, das habe sich mit den Freiheitskriegen geändert, ist allerdings falsch. So in etwa lautet der Vorwurf von Historikern insbesondere in Studien, die im Umfeld des Frankfurter Projektes »Stadt und Bürgertum« entstanden sind; vgl. etwa Meier, Stadtbürgertum, insbes. S. 15, 39 u. 282; Meier, Politisierung, S. 21f.; vgl. den Forschungsüberblick in Hettling, Affäre; Möller u.a., Einleitung, S. 340. Möller, Augsburg; Meier, Stadtbürgertum; Koch, Verfassung der Stadt Frankfurt, S. 130f.

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gezwungen, das Bürgerrecht zu erwerben – was die lästige Pflicht des Wählens automatisch mit sich brachte. Als besonders unangenehm empfanden es die Bürger, wenn sie gewählt wurden. Einmal gewählt, scheuten die Bürger das Amt, »gerade als ob sie eine Ansteckung dabei zu befürchten hätten«, wie ein Zeitgenosse notierte, und suchten nach allen Ausreden, um sich vor der Pflicht zu drücken.64 Der Wahlverdruss herrschte überall in Preußen, in den kleineren und in den Großstädten. Und das Bürgertum zeigte, anders als Treitschke meinte, keineswegs nur »anfangs« eine »geringe Neigung« zum Wählen.65 22 Jahre nach ihrer Einführung überprüfte der preußische Staatsrat die Städteordnung und nahm ihre Revision in Angriff.66 Im abschließenden Bericht, der einen guten Überblick bietet, heißt es: »Die leider große Gleichgültigkeit bei dem Wahlgeschäft veranlaßt, daß nur wenige Bürger Lust haben, ihre häuslichen Geschäfte und ihr Gewerbe früh Morgens zu verlassen«.67 Doch die Revision von 1831 (der 1853 eine weitere folgte)68 64

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Runge, Mein Glaubensbekenntnis, S. 1; vgl. Möller, Augsburg, S. 30; Brief von Stadtverordneter Fitzcke? [unleserl.], Berlin, 25. 7. 1815, u. weitere Ablehnungsbescheide durch Gewählte mit mehr oder weniger plausiblen Entschuldigungen, A Rep. 000–02–01, Nr. 3, Bd. III , 1815–1817, Bl. 3, LAB ; Metzing an Stadtverordnetenversammlung, Berlin 13. 3. 1820, u. Backofen an Magistrat, 26. 6. 1820, beide in A Rep. 000–02–01, Nr. 29, Bd. 5, 1820–1822, LAB , und weitere Ablehnungsbescheide durch Gewählte; Meier, Stadtbürgertum, S. 152–154; Schambach, Dortmund, S. 327; unter einem Dreiklassenwahlrecht war die Wahlbeteiligung ohnehin stets gering (Mettele, Köln, S. 285); Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 47 u. 49; Pahlmann, Anfänge, S. 38, 43, 123–129. Vgl. die lange Liste derer, die »zur Gewinnung des hiesigen Bürgerrechts […] verpflichtet« waren: Gutachten der Abtheilungen des königl. Staatsraths für das Innere, für die Justiz, und für die Finanzen, Berlin, 25. 1. 1830, Rep. 60, Nr. 666, Die Deklaration der Städte-Ordnung, 1824–1836, Bl. 156, LAG . Wahlverdruss war also kein ländliches Phänomen, wie Wölk meint: Neugebauer/ Wölk, Wahlbewusstsein, S. 320; Potsdam, Vossische Zeitung, 4. 6. 1842, A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB ; Druckschrift von Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königl. Residenzien, Berlin, o. D., ca. 1838, A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB ; Öffentliche Bekanntmachung von Magistrat, Berlin, 11. 1. 1849, A Pr.Br. Rep. 030, Nr. 14005, LAB ; Abschrift, Stadtverordneter Benda an Regierung zu Potsdam, Berlin, 16. 4. 1844, A Rep. 000–01–01, Nr. 1239, LAB . Vgl. über die revidierte Städteordnung Pahlmann, Anfänge, S. 65–70. Gutachten der Abtheilungen des königl. Staatsraths für das Innere, für die Justiz, und für die Finanzen, Berlin, 25. 1. 1830, Rep. 60, Nr. 666, 1824–1836, Bl. 170, LAG . In Pommern kam die Revision von 1831 ohnehin kaum zum Tragen, weil die Städte entweder gar nicht nach der Städteordnung organisiert waren oder aber sich für die Beibehaltung der Ordnung von 1808 entschieden, Fenske, Verwaltung Pommerns, S. 56.

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brachte ebenso wenig eine Besserung wie der Thronwechsel 1840, von dem sich mancher Demokrat einen partizipativen Boom erhofft hatte. Ein Großteil der Wähler ging nicht zur Wahl, und vielerorts wurden die Wahlen nicht mehr wie von der Städteordnung vorgesehen jährlich durchgeführt.69 Hatten sich also die Preußen bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als besonders demokratieunfähig erwiesen? Doch auch in anderen deutschen Staaten offenbarte sich bürgerliche Laxheit. In Baden bemühten sich die Behörden ebenfalls, die von den »allzu häufig sich wiederholenden Gemeindewahlen ermüdete« Bürgerschaft zum Wahlgang zu bewegen.70 In Württemberg, das bereits seit 1819 ein beachtlich egalitäres Wahlrecht besaß, wurden die Schultheißen ermahnt, »nach Kräften« für eine hohe Wahlbeteiligung zu sorgen.71 Die Teilnahme bei Kommunalwahlen sank häufig unter 50 Prozent, und auch die Androhung von Bußgeldern verbesserte die Situation nicht.72 »Ach! schon wieder wählen«, spottete der Stuttgarter Beobachter 1844 über die Wahlunlust der Schwaben: »Sich für nichts und aber nichts, / nur für Andere quälen! / Einen ganzen Tag sich ab / An der Arbeit stehlen! / Wär’s entleidet doch den Herrn, / Stimmen abzuzählen!«73 Im Heyday der Revolution, als Wahlen eine neue Bedeutung errangen, kommentierten die Westfalen die Maiwahlen 1848 gleichwohl nüchtern: »Was hilft uns das alles, wir müssen erst Gänseweide haben.«74 Offensichtlich bedeutete das Wahlrecht für einen Großteil der Menschen nicht ein mit Leidenschaft erkämpftes Recht. Vielmehr – und hier wird meine erste These deutlich – erweisen

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Potsdam, Vossische Zeitung, 4. 6. 1842, A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB ; Abschrift, Stadtverordneter D. A. Benda an Regierung zu Potsdam, Berlin, 16. 4. 1844, A Rep. 000–01–01, Nr. 1239, LAB ; vgl. zur Revision der Städteordnung Hofmann, Städtische Öffentlichkeit, S. 158–160. In Dortmund ging nur jeder vierte Wahlberechtigte zur Wahl (Schambach, Dortmund, S. 122). Zitiert nach Nolte, Gemeindebürgertum, S. 122; vgl. Brandt, Konstitutionalisierungswelle, S. 837–840. Das Königl. Oberamt Urach an das Schulheißen-Amt, 28. 6. 1842, E 7, Bü 97, HStASt . Hettling, Reform, S. 132. Zitiert nach Hippel, Landtagswahlen, S. 1; Fredericus von Gottes Gnaden König von Württemberg. Souveräner Herzog in Schwaben und von Teck etc etc etc, 29. 1. 1815, HStASt A 22, Bü 8. Zitiert nach Neugebauer/Wölk, Wahlbewusstsein, S. 326; vgl. auch die schwache Wahlbeteiliung 1848/49 in Dortmund: Schambach, Stadtbürgertum, S. 252.

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sich Wahlen in der ersten Jahrhunderthälfte häufig als ein hoheitliches Projekt, dem sich die Bürger mit wenig Elan fügten – oder auch zu entziehen trachteten.75

Weltweites Desinteresse an Wahlen Auch in anderen Ländern waren das Desinteresse an Wahlen und das Bemühen der Obrigkeit um eine höhere Beteiligung in der ersten Jahrhunderthälfte die Norm. Bereits 1837 führte Dänemark aufgrund der geringen Beteiligung die Wahlpflicht ein.76 In Niederösterreich konnte »trotz alles Zuredens keine Wahl zu Stande gebracht werden«, wie ein Beamter meldete, »indem das Vorurtheil, daß hinter der Wahl etwas Hinterlistiges liege, was zu ihrem Nachtheile sey, den Leuten nicht zu benehmen war«.77 In Frankreich klagten die Behörden 1813 nach einer Wahlbeteiligung von 5 Prozent, dass es der Bevölkerung wahrscheinlich gleichgültig wäre, wenn man das Wahlrecht aus der Verfassung streichen würde.78 Schon während der Revolution hatten nur rund 20 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, und unter Napoleon lag die Beteiligung bei den allgemeinen Wahlen nicht wesentlich höher.79 Erst als die französischen Regierungen die Wahlen stark von oben dirigierten (wie die Juli-Monarchie 1830 oder Napoleon III . in der zweiten Jahrhunderthälfte), gelang es, eine höhere Wahlbeteiligung zu erzielen.80 In der Geschichte der Wahlen, aber auch in der Politikwissenschaft stellt sich immer wieder die Frage, warum Bürger dazu tendieren, sich nicht an der Wahl zu beteiligen. Vielleicht ist es sinnvoller, danach zu fragen, warum sie es tun sollten. Die Bürger waren mit der Städteordnung überfordert und konnten Wahlen nicht mit ihrer Lebenswelt und ihren

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Vgl. Kaschuba, Politische Horizonte, S. 87; vgl. zur Kritik an der veralteten Ansicht, die Städtereform sei eine Art Ersatzverfassung, Nolte, Staatsbildung, S. 56ff. Vgl. dazu auch den wegweisenden Aufsatz von Gertrude Himmelfarb von 1966 (Himmelfarb, Politics of Democracy). Christensen, Bereitschaft der Bürger, S. 216; zur geringen Wahlbeteiligung in den dänischen Städten auch ebd. S. 217 u. 221, 229f. Urwahlprotokoll Groß Gerungs, 17. 6. 1848, zitiert nach Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 624. Crook, Elections in the French Revolution, S. 190; Crook/Dunne, European Elections?. Edelstein, Integrating, S. 320 u. 325; Crook/Dunne, European Elections?, S. 677. Edelstein, Integrating, S. 323.

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eigenen Interessen verbinden.81 Der gebildete Berliner Polizeipräsident und renommierte Reformer Justus Gruner notierte 1809 hellsichtig: »Wir werden hier noch manche unangenehme Erfahrung durch die neue StädteOrdnung machen. Der Grad der Bildung und eine seit Jahrhunderten unterhaltene entgegengesetzte Ansicht machen eine richtige Würdigung und Anwendung vor der Hand bei unsern Bürgern unmöglich.«82 So blieb es im Vormärz bei einer kleinen gebildeten, urbanen Elite, die auf die Städteordnung und ein weites Wahlrecht setzte, ja überhaupt setzen konnte. Wenn sie Macht hatte, versuchte sie eine »Erziehungsdiktatur«83 auszuüben und die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen – was zwar nur begrenzt gelang, gleichwohl die Modernisierung forcierte.

Obrigkeitliche Interessen und Wahltechniken Wenn der Impuls für die Ausweitung des Wahlrechts aber vonseiten der Regierenden kam: Welches Interesse hegten sie damit? Zugespitzt lautet die Antwort: Wahlen leisteten nicht nur durch ihre Legitimierungsfunktion einen wichtigen Beitrag zur Bildung des modernen Staates, sondern auch durch die Integration des Individuums, die den Zugriff des Staates auf jeden Einzelnen erleichterte.

Finanzen, Steuern und der Zugriff auf das Subjekt Den Weitsichtigen unter den Verantwortlichen in Preußen war klar, dass sie mit den alten Herrschaftsmethoden nicht mehr weitermachen konnten. Napoleons Kriegszüge und die Fremdherrschaft hatten die deutschen Ständegesellschaften zerrüttet. Bei den Verhandlungen von Tilsit ließ Napoleon den preußischen König Friedrich Wilhelm III. seine tiefe Verachtung spüren und setzte ihn, wo es nur ging, zurück. (Die später gerühmte Intervention durch Königin Luise fügte der allgemeinen Schmach wohl nur eine weitere Peinlichkeit hinzu.) Preußen verlor die Hälfte des Landes und die Hälfte seiner Einwohner (4805000 von 9743000). Es war vor aller Welt ge81 82 83

Immediat-Zeitungs-Bericht von Oberpräs. Sack, 9. Februar 1809, in: Granier, Berichte, S. 355. Auszug aus einem Schreiben des Polizei-Präsidenten Gruner an den Staatsminister Graf Dohna, Berlin, 17. November 1809, in: Granier, Berichte, S. 554. Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 624.

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demütigt worden.84 Als entscheidend – wie so häufig bei der Entwicklung moderner Staaten – erwiesen sich die Finanzprobleme. Die öffentlichen Schulden waren in einem bisher nicht gekannten Ausmaß angestiegen, weil im Zuge des Staatsbildungsprozesses die gesamtstaatlichen Aufgaben umfangreicher wurden und immer neue Ausgaben erforderten. Die Kosten für die Revolutions- und napoleonischen Kriege verschärften die Situation.85 Preußen steckte als Verlierer besonders tief in Kriegsschulden.86 Die Revolution in Frankreich, die nicht nur den Eliten als blutiger Exzess in Erinnerung war, hatte sich auch an dem maroden Geld- und Steuersystem in Frankreich entzündet.87 In der Hoffnung, mit Reformen einen »ruhigeren« Weg als Frankreich einzuschlagen, versuchten daher viele Staaten ihre Finanzen zu ordnen. Die Berufung Hardenbergs in die Leitung des preußischen Staates 1810 galt primär diesem Ziel.88 Nicht zuletzt für den Aufbau eines schlagkräftigen Heeres brauchte die Obrigkeit das Geld. Die Gesellschaft musste also effizienter werden, um ein gesundes Finanzsystem zu ermöglichen.89 Als weiteres Problem drohte die Legitimitätsfrage. Die fiskalische Inkompetenz der alten Mächte und die sich über fast fünfzehn Jahre hinziehende Kriegsnot malten überall das Gespenst des Machtverfalls und der Anarchie an die Wand und führten in ganz Europa zu einer Legitimationskrise.90 Die Aufklärung hatte sich in die Köpfe der Eliten, aber auch vieler Bürger der mittleren Schichten eingenistet und verlangte überall nach Vernunftgründen, gerade auch für Herrschaft. In Amerika und Frankreich hatte sich gezeigt, dass sich Könige einfach abschaffen ließen. Indem der Fürst zum »Menschen« geworden war, weitete sich das politische Entscheidungsrecht potenziell auf alle Vertreter der Gesellschaft aus.91 Wer bereit war, die Dinge nüchtern zu sehen, wusste: Um in der neuen Weltordnung mitspielen zu können, musste Herrschaft neu gestaltet wer84 85

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Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III ., S. 252–265. Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 116, 118f., vgl. auch S. 113 u. 126; zum Zusammenhang von Finanzen und Reformpolitik: Stollberg-Rilinger, Aufklärung, S. 210 f; Ullmann, Staatsschulden. Vgl. Berding/Hahn, Reformen, S. 186; Rumpf, Gesetze wegen Anordnung, S. 1f. Koselleck, Kritik und Krise, S. 50f.; Fahrmeir, Revolutionen und Reformen, S. 36–39. Clark, Preußen, S. 388f. Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 55–78; vgl. die Quellen in Schissler/Wehler: Preußische Finanzpolitik; vgl. zur Kritik an der Finanzreform Stamm-Kuhlmann, Modernisierung von oben, S. 264. Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 110, 113, 128, 184; Clark, Preußen, S. 446. Koselleck, Kritik und Krise, S. 126f. et passim.

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den. Doch das ließ sich im neuen Jahrhundert nur als gesamtgesellschaftliches Projekt bewerkstelligen. Für ein wirkungsvolles Steuersystem und ein effizientes Heer musste die Mitverantwortung der Menschen geweckt und eine leistungsorientierte Gesellschaft geschaffen werden. In Preußen nahmen einige Dutzend gelehrter Männer aus der Verwaltung die Reformen in die Hand. Sie befanden sich in einer denkbar schwierigen Situation:92 Während 150000 Mann französischer Besatzung das Land ruinierten und die Bevölkerung in Apathie versank, saßen sie in Ostpreußen und kämpften mit einem zwar reformwilligen, aber skrupulösen König um den Fortbestand des beschädigten Staates.93 Zwar waren die Unterschiede innerhalb dieser Reformergruppe aus Bürgerlichen und Adligen beträchtlich,94 doch gab es insgesamt große Übereinstimmungen. Die Sprache der Reformer zeichnete sich durch eine geradezu utopische Hochstimmung aus. Ihr Projekt war der Bau eines neuen Staates – des Staates als »das an und für sich Vernünftige«, wie es Hegel dann auf den Punkt brachte.95 Und auch wenn viele der Reformen nicht so schnell wie gewünscht oder gar nicht umgesetzt wurden und auch wenn mit der Restaurationszeit und den Karlsbader Beschlüssen 1819 der reformerische Impuls in vielerlei Hinsicht scheitern und abbrechen würde,96 so stellte die Reformelite doch die Weichen neu.97 Mit Recht hat die Historikerin Barbara Vogel ihre Agenda als eine »bürokratische Revolution« bezeichnet.98 Der Diskurs über eine »Revolution von oben« sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Preußen gerade damit einen gängigen europäischen Weg einschlug. Auch in anderen Ländern, in Großbritannien, Schweden oder Österreich etwa, nahmen um 1800 aufgeklärte Eliten Staatsreformen in Angriff. Blutige Revolutionen waren nicht die Norm, sondern die Ausnahme, vor der alle – nachvollziehbarerweise – zurückschreckten.

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Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 624. Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 28; vgl. dazu auch Nolte, Staatsbildung, S. 27 u. 36. Vgl. den Überblick bei Nolte, Staatsbildung. Vgl. Nonn, Das 19. und 20. Jahrhundert, S. 200; Winkler, Geschichte des Westens, S. 397; Hobsbawm, Nations and Nationalism; Hegel, Grundllinien, § 258. Vgl. zur Entmystifizierung der Reformbeamten Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III ., S. 10; vgl. auch Obenaus, Verfassung; Ullmann/Zimmermann, Einleitung. Hintze, Geist und Epochen, S. 22; vgl. zur Kritik an den Reformern: Sösemann, Bibliographie. Vogel, Die preußischen Reformen, S. 17.

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Neue Legitimationsstrategien: nationale Gleichheit und Partizipation Der Bau des modernen Staates ging Hand in Hand mit dem Konzept von Nation, dessen erstaunliche Wirkmächtigkeit nicht dadurch geschmälert wurde, dass es nicht eindeutig war und sich nicht nur im Spannungsfeld zwischen Preußen und Deutschland als strittig und dehnbar erwies.99 »Vor der Nation ist jeder Mensch gleich – dieser revolutionäre Glaubenssatz der Moderne setzte Sprengkräfte frei, die auf Dauer nichts verschonten«, so Dieter Langewiesche.100 Da »alle«, das »Volk« oder auch »die ganze Nation« gemeint waren, schuf die staatsbürgerliche Identität eine unüberbietbare Legitimation für den modernen Staat. Wahlen erhielten dabei die zentrale Funktion, die gleichen Individuen als Staatsbürger im Nationalstaat zu konstruieren und sie plausibel mit dem Staatsapparat zu verbinden. Wahlen ermöglichten die Fiktion von legitimer Herrschaft in aufgeklärten Zeiten: dass bei Gültigkeit des Gleichheitsgebots Herrschaft möglich sei, obwohl Herrschaft doch stets soziale Asymmetrie und Dominanz bedeutete.101 Die Städteordnung folgte auch hierin einer transnationalen Entwicklung: »[Der] Prozess der Nationsbildung«, so Stein Rokkan, »bringt beinahe zwangsläufig die Verleihung des Stimmrechts an große Massen von Bürgern mit sich, denen es zuvor an politischen Artikulationsmöglichkeiten fehlte.«102 1807 schrieb Hardenberg von Riga aus eine provokante Denkschrift. Er sah eine unaufhaltsame Revolution im Gange: Der »große Weltplan einer weisen Vorhersehung« bezwecke, »das Schwache, Kraftlose, Veraltete überall zu zerstören« und »neue Kräfte zu weiteren Fortschritten zur Vollkommenheit zu beleben«. Der »Wahn, daß man der Revolution am sichersten durch Festhalten am Alten« und der Abwehr neuer Grundsätze wehren könne, habe großen Schaden angerichtet, denn: »Die Gewalt dieser Grundsätze ist so groß, sie sind so allgemein anerkannt und verbreitet, daß der Staat, der sie nicht annimmt, entweder seinem Untergange oder der erzwungenen Annahme derselben entgegensehen muß.«103 Im Zentrum der neuen Zeit sah Hardenberg die Gleichheit, genauer: »die natürliche Freiheit

99 Stamm-Kuhlmann, Pommern, S. 366; Clark, Preußen, S. 446. 100 Langewiesche, Wirkungen, S. 12; vgl. auch Rosa, Weltbeziehungen, S. 362; vgl. Bender, Among Nations, S. 4. 101 Vgl. dazu die Ausführungen von Max Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 369. 102 Rokkan, Mass Suffrage, S. 134. 103 Hardenberg, Rigaer Denkschrift.

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und Gleichheit der Staatsbürger«.104 So erklärt sich die penible Geheimhaltung in der Städteordnung, die den Einfluss sozialer Unterschiede unterbinden sollte. Nur mit der Geheimhaltung und mit dem Mehrheitsprinzip kam das Individuum zur Geltung, nur so galt jedes gleich. Diese Geschichte vom modernen Staatsbau, der über das Nationskonzept die Gleichheit der Staatsbürger ermöglicht, ist auch die Geschichte der bürgerlichen Emanzipation. In der Logik dieses Emanzipationsnarrativs gilt die demokratische Selbstbestimmung des Bürgers als eines der zentralen Versprechen der Moderne.105 Als »Kennzeichen unserer Zeit« bezeichnete der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson 1837 »die neuartige Bedeutung, die man der einzelnen Person beimisst. […] Der Mensch ist alles«, und dann deklarierte er den in der Aufklärung gründenden Appell zur Eigenverantwortlichkeit: »Es ist an dir, alles zu wissen; es ist an dir, alles zu wagen.«106 Die Erweckungsbewegungen in Europa und den USA in dieser Zeit stellten die Entscheidung des autonomen Individuums in den Mittelpunkt des Heilsgeschehens.107 »Er ist ein Prinz. – Noch mehr, er ist ein Mensch!«, gaben die Sänger in Mozarts Zauberflöte das humanistische Gedankengut auf den Bühnen von Wien bis Prag zum Besten. 1816 wurde die Oper in Berlin vor den Kulissen des preußischen Starbeamten Karl Friedrich Schinkel aufgeführt. Rahel Levin empfing in ihrem Salon die interessantesten Leute, die ihre Zeit zu bieten hatte, Frauen und Männer, Juden und Christen – es zählte das Individuum, nicht der Stand oder die Religion. Die reformerischen Intellektuellen, die durch die Kriegswirren durch ganz Europa getrieben wurden, deklinierten die Ideen von Gleichheit, Freiheit und Nation in ihren Traktaten, Büchern und Salons in Paris, Prag, Wien oder Berlin, und immer öfter auch in den Zeitungen, diesem wichtigen Organ des Fortschritts.108 Die gelehrte Elite nährte die modernen Ideen, sodass sie sich entfalten und in diesem Jahrhundert der Individuali-

104 Vgl. zum Begriff »Staatsbürger« in der Rigaer Denkschrift: Koselleck, Begriffsgeschichte, S. 113f.; vgl. dazu auch Nolte, Staatsbildung, S. 33–35. 105 Habermas, Diskurs der Moderne; Rosa, Weltbeziehungen, S. 361–363. 106 Emerson, The American Scholar, S. 54f.; Constant, Über die Freiheit der Alten, S. 370; Ranke-Zitate in: Bauer, Das »lange« 19. Jahrhundert, S. 21; Zitate in: Dann, Gleichheit, S. 1024; vgl. dazu auch Stamm-Kuhlmann, Staatsverständnis, S. 614f. u. 627f., dort insbes. die Fußnoten 58 und 60. 107 Tindall/Shi, America, S. 359f.; Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 147. 108 Varnhagen, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 21–23; vgl. auch Scheel/Schmidt, Dokumente, S. 276.

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sierung (Thomas Nipperdey) an Boden gewinnen und vielfach realisiert werden konnten. Von seinem schwedischen Exil aus erregte sich Ernst Moritz Arndt (Sohn eines in Unfreiheit geborenen Mannes) über die Leibeigenschaft und gewann mit seinen national-freiheitlichen Schriften die Begeisterung der gebildeten Jugend.109 In Preußen gab es – neben einer antiliberalen Tradition – eine etablierte Denkweise, die staatsbürgerliche Gleichberechtigung mit Freiheit, Menschenrechten und Republikanismus verband und damit demokratische Herrschaftsformen für die angemessene Antwort auf die Anforderungen der Zeit hielt. »Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen«, und: »Nur die Fähigkeit zur Stimmgebung macht die Qualifikation zum Staatsbürger aus«, erklärt Kant 1797.110 Wilhelm von Humboldt hatte schon 1792 in seinen »Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«, die Despotie verdammt und die Freiheit der Menschen gefordert.111 »Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung: dieses scheint mir die angemessene Form für den gegenwärtigen Zeitgeist«, schrieb Hardenberg dann zu Beginn des neuen Jahrhunderts,112 und Ernst Moritz Arndt erklärte 1814: »Alle Staaten, auch die noch keine Demokratie sind, werden von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr demokratisch werden.«113 »Indessen enthält jeder wohlgeordnete Staat, dessen Bürger politische Freiheit, d. i. einen gesetzmäßig anerkannten Antheil an Entscheidung über die öffentlichen Angelegenheiten genießen, ein demokratisches Princip in sich, welches einzig in der unumschränkten Willkürherrschaft fehlet«, führte Theodor Hartleben 1824 in seinem Lexikon aus.114 Der Unternehmer und Politiker David Hansemann meinte 1834, nicht zuletzt aufgrund der ausgedehnten Rechte bei Kommunalwahlen und der Einschränkung aristokratischer Gewalt könne »die demokratische Tendenz der Staatsregierung« in Preußen »nicht bezweifelt werden«; die Macht der preußischen Beamten 109 Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III ., S. 154; Stamm-Kuhlmann, Restoration Prussia, insbes. S. 43–45; Häntsch u.a., Thorild; vgl. zur Rolle der Eliten bei Staatsreformen: Müller, Nach dem Ersten Weltkrieg. 110 Kant, Metaphysische Anfangsgründe, VI , S. 432 u. 314; vgl. Dann, Kants Republikanismus; Kosellecks Ausführungen in Meier u.a., Demokratie, S. 842f. u. 849–853. 111 Höffe, Kritik der Freiheit, S. 120. 112 Hardenberg, Rigaer Denkschrift. 113 Arndt, Verfassungen, S. 222. 114 Hartleben, Geschäfts-Lexikon, S. 836f.

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sei letztlich »demokratischer Natur«, und »demokratisch sind meistens die politischen Ansichten der preußischen Beamten; sie wollen, insofern politische Rechte ertheilt würden, daß Jedermann, der Bildung hat, dieselben besitze, und der hohe Wahlzensus in Frankreich ist ihnen eine schlechte Geldherrschaft«.115 Viele weitere Wortführer im deutschsprachigen Raum (etwa Friedrich Schlegel, Joseph Görres oder Karl Heinrich Ludwig Pölitz) sprachen sich für »Demokratie« aus, und etliche interpretierten demokratische Herrschaft gar als urdeutsches Phänomen. Die germanisch-protestantische Staats- und Kirchenbildung habe, so spekulierte etwa der Historiker Gervinus, die »demokratischen Konsequenzen« vorweggenommen, die dann über die protestantische Tradition bis nach Nordamerika gedrungen seien.116 Tocquevilles Buch über die Demokratie in den USA wurde kurz nach seinem Erscheinen ins Deutsche übersetzt und intensiv rezipiert.117 Doch die Individualisierung lässt sich nicht nur als Emanzipation deuten. Bedenkenswert ist zunächst, dass die Freiheitsrhetorik ausschließlich aus dem Munde der Gebildeten kam. Wenn sich untere Schichten zu Wort meldeten, ging es ihnen gerade im Vormärz – aber, wie wir sehen werden, auch noch in der Revolution von 1848 – viel eher um die elementarsten Bedürfnisse. Partizipationsforderungen bleiben abstrakt, solange Hunger herrscht und die Sterblichkeit, nicht zuletzt die der Kinder, hoch ist. Zudem forcierten Nation und Staatsbürgerschaft nicht nur Freiheit und Selbstbestimmung, sondern legitimierten auch den Zugriff des Staates auf das Individuum. So war mit dem Nationskonzept untrennbar die Nutzbarmachung der Menschen verbunden: Die gleichen Staatsbürger zählten im Hinblick auf ihre Leistung.118 Für die neue Zeit brauchte der Staat schließlich die ganze Gesellschaft. Moderne wird in dieser Hinsicht als Promotor eines Macht- und Disziplinierungsapparats gesehen, dem sich die Individuen freiwillig unterwerfen. Tatsächlich sah Hardenberg in der Nationalrepräsentation ein Instrument der Staatsbildung, das die notwendige intrinsische Motivation des Einzelnen hervorrufen sollte, sich für die Ge-

115 Hansemann, Preußen und Frankreich, S. 226 u. 229, vgl. zur Argumentation ebd., S. 225–229. 116 Zitiert nach Meier u.a., Demokratie, S. 872, s. auch S. 869–874 u. 881. 117 Meier u.a., Demokratie, S. 863 u. 881–883. 118 So Koselleck, Parsons u.a., vgl. den Überblick in Rosa, Weltbeziehungen, S. 362.

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meinschaft einzusetzen.119 In der Präambel zur Städteordnung hieß es explizit, sie habe den Zweck, »Gemeinsinn zu erregen«.120 Wahlen sind hier als ein Instrument zu verstehen, das in besonders hohem Maße die Selbsttechniken der Disziplinierung fördert.121 Sie erweisen sich als performativer Akt, in dem sich die Bürger als Quasimitregenten mitsamt ihrem Eigentum dem Staat verpflichten. Die reformerische Spenersche Zeitung sekundierte angesichts der Wahlmüdigkeit mahnend: »Es thut noth, daß die Bürger endlich, endlich das Kleinod kennen zu lernen sich bemühen mögen, weshalb Europa sie beneidet; und das hier kaum dem Namen nach gekannt zu seyn scheint: die Städte-Ordnung von 1808.« Durch sein Wahlrecht werde der Bürger »in einem hohen Grade geehrt«.122 Den preußischen Regierungsbeamten blieb die disziplinierende Intention der Wahlen stets präsent. Ein Schreiben des Staatsrats von 1830, in dem dieser über den Ursprung der Städteordnung räsonierte, fasste zusammen, die Ordnung diene dem »Zwecke, des Bürgers Sinn für die Wohlfahrt des Staates […] zu heben und in ihm neue Kraft und Thätigkeit zu beleben«. Und weiter hieß es: »Die traurigen, besonders in den Kriegsjahren gemachten Erfahrungen gaben dem Staate die Überzeugung, daß die Zeit neue Mittel erfordere, den Gemeinsinn zu beleben, und durch Begeisterung der Nation einen glorreichen Ausgang des nothwendig werdenden Kampfes zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit vorzubereiten.«123 Thomas Stamm-Kuhlmann stellt in seiner Analyse des preußischen Reformprogramms fest, dass es nicht um Selbstbestimmung an sich ging, vielmehr setzte Hardenberg Partizipation und Freiheit utilitaristisch für die Nationsbildung ein.124 Indem sie sich auf das Volk beriefen, hatten die 119 Hardenberg, Rigaer Denkschrift; wichtig für das Repräsentationsprinzip war das Edikt wegen Errichtung der Gendarmerie, 30. 7. 1812, in: Gesetzessammlung für die königl. Preußischen Staaten 1812, Nr. 127, S. 141–160; vgl. zum Gendarmerieedikt auch die Würdigung von Nolte, Staatsbildung, S. 68–70; vgl. Vogel, Verwaltung und Verfassung, S. 37. 120 Vgl. zu dieser Intention auch Reulecke, Urbanisierung, S. 16. 121 Vgl. auch Rosanvallon, Le Sacre du citoyen, S. 135–143. 122 Städtisches, Spenersche Zeitung, 16. 3. 1841, A Rep. 001–02, Nr. 2588, LAB ; vgl. auch Bülow-Cummerow, Preußen, seine Verfassung, S. 92; Stein an Hardenberg, Memel, 8. 12. 1807, in: Stein, Ausgewählte politische Briefe und Denkschriften, S. 171. 123 Gutachten der Abtheilungen des königl. Staatsraths für das Innere, für die Justiz, und für die Finanzen, Berlin, 25. 1. 1830, Rep. 60, Nr. 666, 1824–1836, Bl. 156f., LAG ; vgl. »Potsdam«, Vossische Zeitung, 4. 6. 1842. 124 Stamm-Kuhlmann, Staatsverständnis, S. 627 u. 654.

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Reformer ein starkes Argument gegen die »Partikularinteressen« des Adels, der auf seine angestammten Rechte nicht verzichten mochte und wenig Interesse an zentralstaatlichen Neuerungen hatte. Mit Eric Hobsbawm kann man also »Nation« als Erfindung einer Elite zur Festigung ihrer Machtinteressen – auch gegenüber anderen Eliten – interpretieren. Und Edmund S. Morgan zeigt für England, wie die Fiktion von Volkssouveränität vom Adel forciert wurde, um sie in Abwehr gegen willkürliche Regentenherrschaft und zum Schutz des Eigentums zu nutzen.125 Der Disziplinierungswille zeigt sich besonders deutlich bei der Reform des Heeres, die wie die Einführung der Wahlen von aufklärerischen Idealen begleitet wurde. »Es scheint bei der jetzigen Lage der Dinge drauf anzukommen«, schrieb Scharnhorst 1808 über die Reorganisation des Militärs, »daß die Nation mit der Regierung aufs Innigste vereinigt werde, daß die Regierung gleichsam mit der Nation ein Bündnis schließt, welches Zutrauen und Liebe zur Verfassung erzeugt und ihr eine unabhängige Lage wert macht.« Auch hier war von »Selbständigkeit« und »Freiheit« die Rede, und über die zu bildende Nationalmiliz schrieb der General: »Alle Bewohner des Staats sind geborene Verteidiger desselben.«126 Die Reformer, die sich an einem Idealbild der französischen Revolutionsarmee orientierten, setzten auf intrinsisch motivierte Bürgersoldaten, angefeuert durch Nationalstolz und patriotische »Tapferkeit, Aufopferung, Standhaftigkeit«. Diese Bürger mussten gebildet und frei sein, um die »edelsten Kräfte des Menschen entwickeln« zu können.127 Zuvor hatte der Staat immer viel Energie darauf verwenden müssen, die in der Regel zwangsrekrutierten Soldaten an der Flucht zu hindern.128 Die Wehrpflicht aber wertete den Militärdienst auf, der bis dahin vielfach als ein schmutziges Handwerk zwielichtiger Existenzen galt, und erhob den Soldatenstand zum patriotischen Statement. Der Militärdienst sollte »die heiligsten Interessen« schützen, nämlich die »Liebe zum Fürsten, zum Vaterlande, zur Freiheit […], das Glück, das Eigenthum, die Existenz des Einzelnen«, wie 1841 ein Kom-

125 Hobsbawm, Nations; vgl. zu »Nation« den hervorragenden Forschungsüberblick in Nonn, Das 19. und 20. Jahrhundert, S. 196–235; Morgan, Inventing the People, S. 167. 126 Scharnhorst: Immediat-Bericht der Militär-Reorganisationskommission, Königsberg, 15. 3. 08, abgedruckt in Stein, Ausgewählte politische Briefe und Denkschriften, S. 201f. 127 Zitiert nach Jürgensen, Strategien der Mobilisierung. 128 Stöver, Geschichte Berlins, S. 20.

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mentator zusammenfasste.129 Die Reformer erwarteten also ganz ähnlich wie bei den Wahlen (und zunächst ähnlich vergebens) auch bei der Einführung der Wehrpflicht ein hohes Nationalgefühl. Denn ebenso wie das Wahlrecht sollte auch der Militärdienst als Vorrecht gelten, das den zur Nation gehörigen Bürger auszeichnete und die Bürger an die Nation band.130 Nach verbissenem Widerstand der Konservativen konnten die Reformer 1813/1814 die Wehrpflicht einführen. Selbst wenn sie in mancherlei Hinsicht verwässert wurde, so bedeutete auch sie eine Innovation, deren Ausmaß heute kaum noch nachvollziehbar ist: Jeder männliche Bürger (theoretisch auch jeder Adlige und jeder Reiche) musste zur Armee. In den kommenden Jahrzehnten wurde das Wahlrecht ebenso wie in den USA argumentativ an den Wehrdienst gekoppelt: Wer bereit sei, für die Nation sein Leben zu opfern, solle auch mitregieren dürfen. Hier offenbarte sich ähnlich wie bei den Steuerzahlern die enge Verknüpfung des Wahlrechts mit gouvernementalen Nutzbarkeitserwägungen. »Die allgemeine Wehrpflicht, der nationale Gedanke und die Verfassung, es sind ja Geschwister«, erklärte Hans Delbrück Jahrzehnte später.131

Techniken der Selbstdisziplinierung Der Zusammenhang von guten Staatsbürgern und deren Einbindung über Selbstbestimmungstechniken war seit der Aufklärung weltweit bei intellektuellen Eliten anerkannt. »Ein schwachsinniger Despot kann Sklaven mit eisernen Ketten zwingen; ein wahrer Politiker jedoch bindet sie viel fester durch die Kette ihrer eigenen Ideen; deren erstes Ende macht er an der unveränderlichen Ordnung der Vernunft fest. Dieses Band ist umso stärker, als wir […] es für unser eigenes Werk halten«, erklärte der französische Aufklärer Joseph Michel Antoine Servan (1737–1807); auf »den weichen Fasern des Gehirns beruht die unerschütterliche Grundlage der stärksten Reiche«.132 In Goethes Drama von 1773 ruft Götz: »Das ist der 129 Seelhorst, Heerwesen, IV. 130 Frevert, Die kasernierte Nation, S. 15 u. 27f.; Frevert, Soldaten, Staatsbürger, S. 76f.; Clark, Preußen, S. 388; vgl. auch die Schrift von Carl von Rotteck: Ueber Stehende Heere und Nationalmiliz; vgl. zu den Reformen in Pommern Mellies, Modernisierung, S. 221f. 131 Delbrück, Stimmrecht, S. 377; Pole, Representation. 132 Servan, Discours sur l’administration de la justice criminelle, zitiert nach Foucault, Überwachen und Strafen, S. 131.

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edelste Vorzug des Edlen, dass er sich selbst bindet. Ketten sind für das rohe Geschlecht, das sich selbst nicht zu fesseln weiß.«133 Über ein Gespräch zwischen Freiherr von Stein und dem Aufklärer Graf Schlabrendorf, das diese 1814 in Paris führten, berichtete Karl August Varnhagen von Ense: »[R]epublikanische Gesinnung werden Sie doch in keinem Staate entbehren können«, habe Schlabrendorf erklärt, »und jeder Fürst muß sie im eigenen Interesse wecken und nähren«. Worauf Stein erwidert habe: »Was Sie meinen, erkenn ich an; aber wir haben andere Benennung dafür, wir nennen’s Gemeinsinn.«134 Carl von Rotteck hatte 1818 für Baden entdeckt, welche Bindekraft Wahlen entwickeln konnten: »Wir waren Baden-Badener, Durlacher, […] Freiburger, Konstanzer, Mannheimer: ein Volk von Baden waren wir nicht«; dank der Wahlen und der Verfassung »aber sind wir Ein Volk, haben einen Gesamtwillen und ein anerkanntes Gesamtinteresse, d.h. ein Gesamtleben und ein Gesamtrecht«.135 Entsprechend mahnte Tocqueville, »das mächtigste und vielleicht einzige verbleibende Mittel, die Menschen für das Schicksal ihres Vaterlandes zu erwärmen, besteht darin, sie an der Regierung teilhaben zu lassen«.136 Auch Napoleon diente das allgemeine und gleiche Wahlrecht als Instrument der Integration. Wahlen banden die Untertanen an seine Macht, aber sie sorgten auch dafür, dass die einzelnen Regionen effizienter agieren konnten, ohne die Notwendigkeit ständiger Interventionen von oben.137 Doch mit dem Disziplinierungsdiskurs und der Forcierung der Selbsttechniken schwang die aufklärerische Überzeugung der Machbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt durch die autonomen Individuen mit. Kants Appell von 1784 zeichnete sich durch die Idee der Selbst-Befreiung aus, der Befreiung aus der »selbstverschuldeten Unmündigkeit«: Indem das Übel nicht anderen zugeschrieben wird, sondern sich selbst, ist der Mensch in der Lage, sich selbst zu ermächtigen und die Umstände zu ändern.138 Die 133 Goethe, Götz von Berlichingen, 1773, S. 390. 134 Varnhagen, Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 33; vgl. auch »Reformen (politische)«, in: Staats-Lexikon (1848), S. 420. 135 Carl von Rotteck, Ein Wort über die Landstände (1818), zitiert nach Sellin, Gewalt und Legitimität, S. 228f.; vgl. zum Wahlrecht in Baden: Brandt, Konstitutionalisierungswelle, S. 836f. 136 Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 272f.; vgl. ähnlich Thomas Jefferson, First Inaugural Address In the Washington, D.C., 4. 3. 1801; vgl. Martschukat, Ordnung, S. 21–42. 137 Crook/Dunne, European Elections?, S. 663 u. 671f. 138 Richter, Heimtücke der Moderne.

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Losung der Aufklärung »Sapere aude!« richtet sich an das Selbst, nicht an fremde Mächte (was sie von vielen unwirksamen Freiheitsappellen unterscheidet). Der Mensch ist nicht dazu berufen, Opfer sein.139

Disziplinierung und Emanzipation Doch Disziplinierung ist ambivalent und eng verwoben mit Emanzipationsbestrebungen. Es gehe darum, das Volk zu »bürgerlicher Freiheit, zur lebendigsten Bewegung innerhalb der Gesetze, zur Theilnahme an den wichtigsten Rechten zu erziehen und zu erheben«, hieß es 1832 in einer von der preußischen Regierung lancierten Broschüre.140 »Veredelung der Menschheit« nannte dies Hardenberg, und er sprach von einer »Abschaffung aller Polster der Trägheit«, von der Notwendigkeit, Schülern und Studenten »selbst Denken« zu lehren, plädierte für eine radikale Aufwertung auch des Bauernstandes – und schrieb immer wieder die Worte »Freiheit« und »Gleichheit« wie Ausrufezeichen in seine Zukunftsvisionen.141 Stein nannte in seiner Nassauer Denkschrift als Kern der Reform den »Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen, und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre«.142 Wilhelm von Humboldt, der sich mit anderen Reformern für die Gründung einer Berliner Universität einsetzte, erläuterte im Zusammenhang mit den geforderten Partizipationsrechten, dass der Staat »die Bürger in Stand setzen muß, sich selbst zu erziehen«.143 Wie so oft sahen auch hier Außenseiter die Chancen besonders deutlich. In der ersten afroamerikanischen Zeitung, die für kurze Zeit im New York der späten 1820er Jahre erschien, dem Freedom’s Journal, argumentierten die Herausgeber, dass die Sklavenbefreiung »nützliche Glieder der Gesellschaft« hervorbringen werde.144 Die afroamerikanischen Autoren, die sich zur Verfassung als ihrem »Polarstern« bekannten, riefen die Afroame139 Nipperdey, Bürgerwelt, S. 34; vgl. dazu kritisch Martschukat, Ordnung, S. 30. 140 Zitiert nach der Besprechung des Buches in Janke, Städte-Ordnung, S. 307 u. 312. 141 Hardenberg, Rigaer Denkschrift; vgl. zur Gleichheit auch Nipperdey, Bürgerwelt, S. 32 u. 68; Brandt, demokratische Moderne, S. 33. 142 Aus der Denkschrift Steins »Über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizei-Behörden in der preußischen Monarchie«, 1807, http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID =4655&url_tabelle=tab_quelle. 143 Zitiert nach Stamm-Kuhlmann, Staatsverständnis, S. 648; vgl. zur Entwicklung der preußischen Universitäten Czolkoß, Universität Greifswald. 144 »To our Patrons. Editorial«, Freedom’s Journal, 26. 3. 1827.

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rikaner nicht zur Revolution auf, sondern mahnten zur Disziplin. Sie appellierten an die Minorität der stimmberechtigten African Americans, pflichtbewusst zur Wahl zu gehen.145 Und sie rieten den geknechteten Afroamerikanern, ihre Kinder gut auszubilden und zum Fleiß zu erziehen.146 Bis heute sind Partizipation, demokratische Ordnung und Staatsbürgerschaft eng mit meritokratischen und bildungsbürgerlichen Diskursen verknüpft. Gerade die Afroamerikaner verdeutlichen aber die exkludierende Kraft der Moderne. Mit der nationalen Integration der Individuen zu ihrer Nutzbarmachung formierte sich als Idee, was Dipesh Chakrabarty die »privilegierten Erzählungen der Staatsbürgerschaft« nannte, ohne die die Moderne nicht zu denken sei.147 Dazu gehört auch, dass der nützliche, wehrhafte Bürger und Patriot dezidiert als Weißer und dezidiert als Mann konzipiert war.148 Im Prozess der Nationsbildung gehören Emanzipationsforderungen und Disziplinierungsbestrebungen untrennbar zusammen. Wahlen und Wahlrecht leisteten dabei einen wichtigen Beitrag. Erstens dienten Wahlen als legitimationsstiftender Nachweis dafür, dass die aufklärerischen Ideale von Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit (man könnte auch sagen: die demokratischen Ideen) praktizierbar seien. Zweitens boten Wahlen ein Bindeglied zwischen den vielen gleichen Individuen und dem Staatsapparat und erleichterten damit den staatlichen Zugriff auf den einzelnen Bürger. So nahmen moderne Wahlen gemeinsam mit dem Nationalstaatsprinzip im 19. Jahrhundert ihren Aufstieg.149 Und ebenso wie der Nationalismus in der ersten Jahrhunderthälfte zunächst nur von einer distinguierten Minderheit propagiert wurde,150 erwiesen sich auch Wahlen als eine vorwiegend von den Reformeliten getragene Institution, weil vorerst nur sie die Nützlichkeit der Wahlen erkennen konnten.151 Doch weil das Kon145 »To our Patrons. Editorial«, u. »Proposals for Publishing the Freedom’s Journal: Prospectus«, beide in Freedom’s Journal, 26. 3. 1827. 146 Ebenda. 147 Müsebeck, Arndt; Chakrabarty, Europa provinzialisieren, S. 309. 148 Kocka, 19. Jahrhundert, S. 87; Mann, Dark Side of Democracy, S. 3; Hagemann, Nation, Krieg und Geschlechterordnung, S. 670 u. 578. 149 Vgl. dazu in europäischer Perspektive Rokkan, Staat, Nation und Demokratie, S. 286. 150 Vgl. dazu das Modell von Hroch, Europa; vgl. zu den Reformern Nolte, Republikanismus, S. 21f. 151 Vgl. dazu Nipperdey, Arbeitswelt, S. 189; Foucault, Überwachen und Strafen, S. 248; Rahden, Clumsy Democrats, S. 492f.; Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 607f.

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zept der Nation so außerordentlich attraktiv war, breitete es sich immer mehr aus. Mit dem Nationskonzept sollten auch die Wahlen an Plausibilität gewinnen. Das Ziel der Reformen war also keine »einheitliche Untertanengesellschaft«, wie Dieter Langewiesche vermutet.152 Wahlen und Nationalgefühl funktionierten (zumindest in der Theorie) weit effektiver als jeder Zwangsund Polizeiapparat.153 Die oktroyierte Eintreibung der Steuern oder die gewaltsame Verpflichtung der Männer zum Heeresdienst – das war für moderne Zeiten zu aufwendig und ineffektiv. Gerade für die Nutzung der Steuerzahler und die Indienstnahme des immer mächtiger werdenden Besitzbürgertums brauchte staatliche Herrschaft die intrinsische Motivation der gebildeten Bürger und nicht den Gehorsam von Untertanen. Gewiss, die Städteordnung und die Reformen bildeten in Preußen nur einen Ausschnitt aus einer immer noch ständisch geprägten Welt.154 Die Monarchie in Preußen setzte noch nicht einmal die versprochene Verfassung ins Werk. Provinziallandtage wurden zwar aktiviert, hatten aber wenig mit moderner Partizipation zu tun.155 Insbesondere das platte Land war weiterhin geprägt von der Herrschaft des Grundbesitzes, von der Missachtung sozial und wirtschaftlich abhängiger Unterschichten. Die Patrimonialgerichtsbarkeit legte die Rechtspflege in die Hand der Grundbesitzer.156 Der Adel wehrte sich immer wieder erfolgreich gegen die zentralstaatlichen Pläne, Reinhard Koselleck sah gar ein »verwaltungspolitisches Versickern der Staatsmacht auf dem Land«.157 Neu-Vorpommern mit seinem 152 Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 625. 153 Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 130; Mast, Nationalpädagogische Bestrebungen, S. 227; vgl. auch das liberale Verständnis von Selbstverwaltung im StaatsLexikon von Carl von Rotteck und Carl Welcker von 1848, Artikel »Württemberg« von H. Scherer, Bd. 12, S. 812–827, hier S. 817 u. 825f. 154 Vgl. dazu Ritter, Stein, S. 267–301. 155 Der König verlieh für die Landtage noch als Gnadenerweis die ständischen Virilstimmen, die den deutlichsten Gegensatz zu einem allgemeinen Wahlrecht bildeten, Unterlagen in: Stände Westfalen. Die Verteilung von Viril-Stimmen auf für die Provinz Westfalen angeordneten Landtagen und die desfallsigen Urkunden, I. HA Rep. 90 XLVII , Nr. 20, 1831, GStA PK ; vgl. Wienfort, Preußen, S. 964–969; vgl. zum Provinziallandtag in Pommern im Vormärz Fenske, Verwaltung Pommerns, S. 37f. 156 Wienfort, Preußen, S. 975–977; Botzenhart, Landgemeinde; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 48. 157 Koselleck, Reform und Revolution, S. 209; vgl. auch Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 36; Ruetz, Konservatismus, S. 56; Stamm-Kuhlmann, Restoration Prussia, S. 54f.

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Widerstand gegen die Kommunalordnung und der Bewahrung seiner aus der Schwedenzeit überkommenen Ständeordnung gibt ein beredtes Beispiel davon.158 »Widerwärtig, tief widerwärtig war mir dieses Preußen, dieses steife, heuchlerische, scheinheilige Preußen«, schrieb Heinrich Heine 1832, »dieses philosophisch christliche Soldatentum, dieses Gemengsel von Weißbier, Lüge und Sand.«159 Jenseits von Preußen gestaltete sich die Lage in Deutschland oft noch ungünstiger. Mecklenburg, das sich damals mit Fleiß den Ruf und Spott der besonderen Rückständigkeit erwarb, tat sich sogar schwer damit, die Leibeigenschaft und das Bauernlegen abzuschaffen, das den Bauern kein Eigentumsrecht zuerkannte. Doch aller Beharrungstendenz zum Trotz: Etwas lag in der Luft. Vom neuen »Geist des Zeitalters« schrieb 1831 John Stuart Mill, von einem Zeitalter des Wandels und des Überganges.160 Der Franzosenhasser Ernst Moritz Arndt erklärte, die Französische Revolution »hat gewiesen, wie weit der menschliche Geist sich in irdischen Dingen vermessen darf, alles zu wollen und zu wagen, was er in ihm selbst als ewige Aufgabe der Vernunft gegründet findet«.161 Hardenberg und seine Mitstreiter hatten die Zeichen der Zeit erkannt. – Aber ist das nicht zu grob argumentiert: die Vereinigten Staaten von Amerika und Preußen in einem Atemzug zu nennen, wenn es um diese Neuerungen geht? Peter Blickle verneint das in seiner faszinierenden Studie über die Menschenrechte. Er hält die Interpretation für falsch, »es sei, wenn in Deutschland um 1800 von Freiheit, Eigentum und Bürgerrechten gesprochen wird, etwas prinzipiell andres gemeint als in Amerika«. Die deutschen Länder hätten zugleich mit den USA »Freiheit und Eigentum einerseits und Bürgerrechte andererseits teils in Gesetzen, teils in Verfassungen niedergelegt«.162 Gerade im Hinblick auf die Wahlen zeigt sich diese Parallelität. »Einer großen und allgemeinen Revolution kann Europa nicht entgehen, es mag Sieger bleiben, wer da will«, notierte Carl von Clausewitz 1809, überleben könnten nur Monarchien, »die in den wahren Geist dieser großen Reformation« selbst einstimmten.163 Der hochgebildete Europäer Varnhagen schrieb vom »anmutigen und verheißenden Einfluß« 158 Stamm-Kuhlmann, Pommern, S. 378–381; Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 269. 159 Heine, Vorrede zu »Französische Zustände«. 160 Kaube, Gegenwart. 161 Arndt, Verfassungen, S. 23. 162 Blickle, Leibeigenschaft, S. 15. 163 Zitiert nach Wehler, Feudalismus, S. 532.

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dieser Epoche, geprägt von »der Menschenfreundlichkeit, der Aufklärung, der Duldung- und Gleichstellungslehren«.164 Ob er ahnte, dass seine Visionen für die Mehrheit der Menschen kaum relevant werden konnten, solange sich die ökonomischen Bedingungen nicht grundlegend geändert haben würden?

Republikanische Eliten in den USA Wie aber sah die Welt aus, in der die Versprechen des Neuen schon am Werke waren und wo die Verfassung eine »republikanische Form der Regierung« vorschrieb? Herrschte in den Vereinigten Staaten nach der Unabhängigkeit ein »weitverbreiteter Enthusiasmus für das allgemeine Männerwahlrecht«, wie Gordon S. Wood feststellt, ein Radikalismus der Revolution?165 Die Zeitgenossen jedenfalls waren sich einig, dass hier etwas ganz Neues im Gange war, eine »neue Freiheitsgestalt«, so Varnhagen, wie es sie weder in England, Holland, der Schweiz noch in Deutschland gebe.166 Und Ranke urteilte über die amerikanische Unabhängigkeit: »Dies war eine größere Revolution, als früher je eine in der Welt gewesen war, es war eine völlige Umkehr des Prinzips. Früher war es der König von Gottes Gnaden, um den sich alles gruppierte, jetzt tauchte die Idee auf, dass die Gewalt von unten aufsteigen müsse.«167 Naturrechtlich argumentierend bezeichnete die Unabhängigkeitserklärung von 1776 alle Menschen als gleich, und das Recht auf »Leben, Freiheit und das Streben nach Glück« galt als unveräußerlich und »selbstverständlich«. Entwickelte sich hier das Wahlrecht nicht doch von unten?

Elitäres Demokratieverständnis Die Verfassung der USA von 1787/88 – ein bewundernswert dichtes Werk moderner Herrschaftslegitimation – war ein Produkt der vorhergehenden chaotischen Zeiten mit fiskalischem Fiasko. Auch hier drehten sich Verfassungsfragen also nicht zuletzt um die ökonomischen Grundlagen der Ge164 Varnhagen, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S. 8f. 165 Wood, Radicalism, S. 269. 166 Varnhagen, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S. 8; vgl. auch Stollberg-Rilinger, Aufklärung, S. 237. 167 Leopold Ranke, 19. Vortrag, 13. 10. 1854, in: Schieder/Berding, Leopold von Ranke, S. 417.

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sellschaft. 1786 stand der Staatsbankrott ins Haus. Nach dem Empfinden der Eliten ging es außerdem um die Gefahr revoltierender Unterschichten, um Ausschreitungen und Tumulte, die überall für Unruhe sorgten.168 Die Geschichte der Federalists, die sich bei der amerikanischen Verfassungsgebung gegen die Anti-Federalists durchsetzen konnten, ist eben auch die Geschichte einer erfolgreichen Besitzelite. Mit der US -Verfassung habe sich ein »elitendemokratisches Verständnis von ›Demokratie‹ und ihrer Verfahren« durchgesetzt, so Dirk Jörke in der Tradition von Charles A. Beards pessimistischer Interpretation der Federalist Papers stehend.169 Bezeichnenderweise galten in den USA die Begriffe »Demokratie« und »Demokraten« von Ausnahmen abgesehen bis in die 1830er Jahre als anrüchig.170 Die Verfassungsväter, die 1787 in Philadelphia zusammenkamen und hinter verschlossenen Türen entschieden, waren nicht vom Volk gewählt, sondern von den Legislativen der Einzelstaaten bestimmt.171 Viele von ihnen gehörten zu den reichen Grundeigentümern und den vornehmen Familien, welche die neue Welt herausgebildet hatte.172 Sie misstrauten den »besitz- und prinzipienlosen Massen«, wie es der Gründungsvater John Dickinson, Sklavenhalter und Plantagenbesitzer aus Maryland, ausdrückte.173 Mit der Aufnahme der Fugitive Slave Clause in die Verfassung achteten sie dezidiert auf den nachhaltigen Schutz der Sklaverei.174 Der 29-jährige Charles Pinckney, Sprössling einer schwerreichen Südstaaten- und Sklavenhalterfamilie aus Charleston, war wie sein Cousin Charles Cotesworth Pinckney einer der Unterzeichner der amerikanischen Verfassung. Später wurde Charles Pinckney Gouverneur von South Carolina, und unter seinen Nachkommen fanden sich weitere Gouverneure und einflussreiche Pinckneys. (Zweifellos waren sie alle stolz darauf, natural aristocracy zu sein, wie sich die Oberschicht in Abgrenzung zu Europas Machtelite titulierte.) Der gleiche Pinckney war es auch, der auf der Federal 168 Morgan, Inventing the People, S. 266. 169 Jörke, Kritik, S. 155; zur Kritik an dieser Interpretation: Howard, Grundlegung der amerikanischen Demokratie; Abromeit, Demokratie?, S. 78; McClelland, Western Political Thought, S. 370–380. 170 Meier u.a., Demokratie, S. 854f. u. 861. 171 Beard, Economic Interpretation, S. 65; vgl. auch Johnson, Review: »Jürgen Heideking«, S. 177. 172 Mann, The Sources of Social Power, S. 156; vgl. auch zur Kritik an der Pennsylvanischen Verfassungsgebung: Brunhouse, Counter-Revolution. 173 Journal of the Federal Convention (1840/2003), S. 468. 174 Artikel 4, Absatz 2, S. 3.

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Convention in Philadelphia erklärte, Gleichheit sei »das wichtigste Kennzeichen der Vereinigten Staaten«.175 Immer wieder wirkt die Tatsache verwirrend, die der englische Gelehrte Samuel Johnson bereits 1775 im Hinblick auf die Südstaaten in die Frage fasste: »Wie kommt es, dass wir die lautesten Freiheitsschreie von Seiten der Sklavenhalter hören?«176 In der Gesellschaft der Plantagenbesitzer in South Carolina zeigten die wohlhabenden »Gleichen« (nicht ganz unähnlich der Junkergesellschaft in Pommern) ein starkes Verlangen nach Selbstbestimmung und Autonomie. Während sie darauf achteten, Nichtbesitzende und Immigranten vom Wahlrecht auszuschließen, lancierten sie regelmäßig Petitionen gegen den Umstand, dass in South Carolina die Wahlmänner für das Präsidentenamt durch die Staatsregierung bestimmt und nicht vom »Volk« gewählt wurden.177 Thomas Jefferson, der als einer der demokratischsten der frühen Präsidenten gilt, der die Wissenschaften liebte und als Architekt Palladios Klassizismus in der neuen Welt errichtete, hielt Afroamerikaner für minderwertige Geschöpfe, was ihn freilich wie viele andere Großgrundbesitzer nicht daran hinderte mit einer Sklavin Kinder zu zeugen. So bildete sich in den Südstaaten Amerikas eine Elite, der die quasiständische »Ehre« ebenso am Herzen lag wie republikanische Tugenden. Die Forschung spricht von einer »Herrenvolkdemokratie«, in der die Rechtlosigkeit der Armen selbstverständlich blieb.178 Der Einfluss dieser Südstaatler auf den verfassungsgebenden Prozess lässt sich jedenfalls weniger durch deren »starkes Gefühl für das Gemeininteresse« begreifen, wie es Daniel W. Howe in seiner Sonderwegerzählung über die USA darstellt, sondern eher durch ihre pluto175 Pinckney, 25. 6. 1787, zitiert nach Greene, »Slavery or Independence«, S. 15. 176 Johnson, Taxation no Tyranny. 177 Alle Quellen in SCDAH : Special Committee, report and resolution on the governors message relaying resolutions from Tennessee concerning congressional caucuses for nominating, Dec. 20, 1823, S165005, Item 127, 1823; Committee on Privileges and Elections, report and resolution on questions concerning the office of presidential elector, Dec. 8, 1828, S165005, Item 98; S165005, Item 76, Dec. 12, 1840; S165005, Item ND 967, ca. 1844; S165005, Item 106, 1844, Dec. 18, 1844; S1650005, Item 118+119, 1845; Committee on Privileges and Elections, report on a bill to allow the people to elect electors for President and Vice-President, Nov., 27, 1847, S165005, Item 25, 1847; Committee on Privileges and Elections, report on a bill to provide for the popular appointment of presidential electors, Dec. 13, 1847, S165005, Item 92, 1847; S165005, Item ND 964, 1848; report rejecting a bill to give the election of electors of President and Vice President to the people, S165005, Item 383, 1852; ähnlich Petitionsunterlagen S16501, Item 05326, o. D.; S165005, Item 189, 1855, Nov. 30, 1855. 178 Wyatt-Brown, Honor and Violence.

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kratische Autorität.179 Die Ansammlung wohlhabender, protestantischer weißer Männer schrieb denn auch in die Verfassung der Vereinigten Staaten nicht das Recht, zu wählen.180 Gleichwohl: Die Beard’sche Hermeneutik des Verdachts gegenüber allem Besitzbürgertum hat ihre empirischen Grenzen.181 Denn Schutz des Eigentums bedeutete zuvörderst die Abwehr einer tyrannischen Obrigkeit. Wir werden außerdem sehen, wie stark die gleichmacherische Dynamik der kapitalistischen Energien wirkte. Im Vergleich mit Preußen ist der Verweis auf exkludierte Gruppen wie die Afroamerikaner oder die indigene Bevölkerung wichtig. Die USA , in denen bis zur Jahrhundertmitte die Südstaaten den Ton angaben, waren eine Sklavenhalterrepublik.182 Ein Generalstaatsanwalt erklärte über die Ungleichheit: »Die afrikanische Rasse in den Vereinigten Staaten ist überall – und sogar dort, wo sie frei ist – eine degradierte Klasse und übt keinen politischen Einfluss aus«; nach der Verfassung seien Afroamerikaner »offensichtlich nicht unter dem Begriff Staatsbürger miteinbegriffen«.183 Doch die Knechtschaft der Afroamerikaner wurde in den internationalen Diskursen allmählich zum Skandal. Denn die aufklärerischen Ideen von Gleichheit ergaben ohne universalen Anspruch wenig Sinn und griffen immer weiter um sich. Frankreich hatte bereits 1794 die Sklaverei verboten. Im gleichen Jahr beschränkten die USA immerhin durch den Slave Trade Act den Import weiterer Sklaven, und auch der Staat New York setzte die sukzessive Befreiung der Sklaven fest. Ressentiments, Ängste und Rassismus blieben dennoch gegen die immer stärkere Idee der Gleichheit bestehen. Die wohlhabenden Weißen in Charleston, eine der wohlhabendsten Städte der Vereinigten Staaten in der Vorkriegszeit, ließen die eigene Dienerschaft nicht unter ihrem Dach schlafen und riegelten nachts ihre Häuser zum Schutz gegen die Sklaven ab.

179 Howe, What Hath God Wrought, S. 61; vgl. dazu auch Weir, »Harmony«. 180 Vgl. dazu Keyssar, Right to Vote, S. 4. Morgan schreibt über die Wahlen in der vorrevolutionären Zeit, die sich durch die Revolution zunächst nicht wesentlich geändert hätten: »Die Männer, die das Volk als seine Vertreter in seine Versammlungen entsandte, […] waren im allgemeinen jene, die durch ihre Geburt und ihren Wohlstand ein wenig – oder auch ganz erheblich – über ihren Nachbarn standen« (Morgan, Inventing the People, S. 147). 181 Vgl. zur Neueinschätzung von Beards und seiner Zeitgenossen Wood, Significance, S. 3f. 182 Fehrenbacher, Slaveholding Republic. 183 Zitiert nach Litwack, Free Negro, S. 274.

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Als New York 1821 Eigentumsqualifikationen für Weiße abschaffte, wurden sie ausdrücklich für den »Farbigen« (man of color) in die Staatsverfassung aufgenommen.184 Das hieß, dass die wenigen African Americans, die zuvor noch das Wahlrecht besessen hatten, nun noch stärker dezimiert wurden.185 Als am 4. Juli 1827 nach dem Gesetz der sukzessiven Sklavenbefreiung in New York auch die letzten Afroamerikaner frei wurden, zelebrierten sie den Tag mit Gottesdiensten. Bei der größten Feier, in der Zionskirche in New York, zitierte der Prediger die Verfassung: »Alle Menschen sind gleich erschaffen.« Dann sprach er von den Vorurteilen der Weißen (»Sie möchten nicht, dass ihr als gleich geltet«) und mahnte seine Zuhörer zur Selbstverantwortung: Sie sollten den Weg der Tugend einschlagen, fleißig sein und die Wissenschaften studieren.186 Zwar gab es in New York nun keine Sklaven mehr, doch die Weißen richteten den Alltag in strenger Segregation ein: Auf dem Dampfschiff des Hudson River mussten Afroamerikaner bei Wind und Wetter an Deck bleiben, manche Verkehrsmittel blieben ihnen ganz untersagt, Weiße demütigten die Afroamerikaner täglich auf der Straße und versetzten ihnen gelegentlich – zur Erheiterung der Passanten – Peitschenhiebe. Viele Theater, Gaststätten oder Frisöre verboten Afroamerikanern den Zutritt. Hochschulen nahmen selbstverständlich keine afroamerikanischen Studenten auf, in weißen Kirchen waren sie entweder nicht willkommen oder mussten in der »Niggerbank« segregiert sitzen.187 Tatsächlich wünschten sich zahlreiche Weiße, die African Americans ganz aus der Stadt zu verbannen. Der Politiker Mordecai Noah von der berüchtigten New Yorker Politmafia Tammany Hall erklärte, »was tun unsere farbigen Bürger anderes, als unsere Armenhäuser und Gefängnisse zu füllen und unsere Straßen als Bettler zu verstopfen?«188 So bildeten insbesondere die Afroamerikaner eine arbeitende Unterschicht, deren vergleichbare Bevölkerungsgruppe in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenfalls weitgehend entrechtet blieb, auch wenn die Leibeigenschaft undenkbar geworden war. Doch die weißen 184 Williams, The Book of the Constitution, S. 30. Weitere Wahlanfechtungen in: Recommendation of Freemen 1803, To the Mayor Aldermen + Commonalty of the City of NY, The petition of Joseph Brotherton of the said City, o. D. (1803), NYC Common Council Papers, Box 22, Fold. 618, Elections 803, NYCMA . 185 Voter’s List 1808: New York City Poll Book 1808 + 3 voting books, 18. 11. 1808, NYHS . 186 Hamilton, Oration. 187 Burrows/Wallace, Gotham, S. 547–551. 188 Zitiert nach Burrows/Wallace, Gotham, S. 548.

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Amerikaner, die ihr eigenes Stück Land kultivieren und ohne Hunger und soziales Elend leben konnten, hatten Grund zur Zufriedenheit. Im Vergleich zu ihren europäischen Zeitgenossen ging es ihnen sehr gut.189 Tausende von Deutschen aus armen Regionen wie Pommern flohen in die Neue Welt. In Amerika konnten sie nicht nur ein materiell gesicherteres Leben führen, sondern auch erstaunliche Freiheiten erleben: Die amerikanischen Männer und Frauen blieben vom Staat weitgehend unbehelligt, zumal, wenn sie auf dem Land lebten, und zumal, wenn es sich um den Zentralstaat in Washington handelte. Doch hatten sie kaum Einfluss auf die Politik, was sie wahrscheinlich wenig bekümmerte. In den Briefen aus den USA berichten die Auswanderinnen und Auswanderer von ihren guten Verdienstmöglichkeiten und von den Preisen, sie schreiben über die Arbeit oder über Freizeitbeschäftigungen. Dass sie nun in einer Republik lebten und in der Ferne kein Monarch mehr über sie herrschte, war den Menschen in der Regel gleichgültig.190 Für die Jahre der jungen Republik bis in die 1820er Jahre beschreiben die Historiker Glenn Altschuler und Stuart Blumin Politik als Geschäft einer Elite. Sie war in ihrer Zusammensetzung zwar flexibler als beispielsweise die englische Gentry, doch galt auch hier: »Politik […] war nicht wirklich Sache des Volkes.« Der Historiker Ronald P. Formisano stellt fest: »Eine ›gewohnheitsmäßige Unterordnung‹ bestand weiter fort.«191 Es herrschten klare Hierarchien. Womöglich leuchtete einem Neubürger aus Pommern der Unterschied zwischen einem mächtigen Grundbesitzer in South Carolina, der sich zur natural aristocracy rechnete, und einem preußischen Rittergutsbesitzer, der für besondere Tüchtigkeit den Adelstitel erworben hatte, nicht ein. Die Ämter in den USA wurden häufig innerhalb der alten Familien vererbt: »Gehen Sie in ein beliebiges Dorf in den Neuenglandstaaten«, erklärte ein Zeitgenosse, »und Sie werden sehen, dass das Amt des Friedensrichters und sogar der Posten des Volksvertreters, der immer durch die freieste Wahl des Volkes bestimmt wurde, generell von Generation zu Generation in höchstens drei oder vier Familien weiterverliehen wurden.«192 Wenn Sean Wilentz über die Amerikaner schreibt, »dass sie aus der Revolutionszeit eine republikanische Sichtweise

189 Howe, What Hath God Wrought, S. 32. 190 Vgl. Helbich u.a., Briefe aus Amerika. 191 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 15; Formisano, Political Culture, S. 128; vgl. auch Bowman, Masters & Lords, S. 148 u. 147–149. 192 Zitiert nach Formisano, Political Culture, S. 131.

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ererbt haben«, ist das ein typisches Missverständnis ideengeschichtlicher Forschung.193 Die Leute auf dem Land, von denen viele als Einwanderer die Revolution gar nicht erlebt hatten, waren mit Ackerbau und ihrem Alltag beschäftigt. Das Wahlrecht besaßen sie in aller Regel nicht, und wenn doch, nahmen sie es mehrheitlich nicht wahr. Auch in den USA trieben Eliten das Nationsprojekt voran, und wie in Preußen erkannten auch sie die Bedeutung von Wahlen. Sie waren es, die auf den Stellenwert der Ökonomie aufmerksam machten.194 Die progressiven Eliten glaubten an die Gestaltbarkeit der Welt, die Vernunft der Individuen und die Notwendigkeit, diese vernünftigen Individuen als »Nation« und »People« einzubeziehen. Auch für die amerikanischen Eliten galt dabei die Gleichheitsidee zunächst den selbständigen Bürgern, dem Freeman mit Land und Boden, nicht den Armen.195 Zwar fanden sich beträchtliche Unterschiede in den Einzelstaaten, doch herrschten meistens ein Zensus und oft die Anforderung des Landbesitzes, die teilweise bis weit ins Jahrhundert bestehen blieben. Im Staat New York lehnte die Regierung die Forderung, das Wahlrecht auszuweiten, mit dem Hinweis darauf ab, dass dies eine Gefahr für Wohlstand und Sicherheit bedeute.196 Mit der neuen New Yorker Verfassung von 1821/22 wurden zwar die Zensusbestimmungen gesenkt und für die Weißen 1826 endgültig abgeschafft. Doch für die Afroamerikaner blieben die Bestimmungen so hoch, dass von den 12499 Afroamerikanern nur 16 wählen durften.197 »Ich möchte annehmen, dass es einigen Grund zur Aufregung gab«, erklärte bei der Verfassungsgebenden Versammlung 1821 ein humoristischer Redner, »als einige wenige Hundert Neger in der Stadt New York im Gefolge derer […], denen sie so oft die Schuhe und Stiefel geputzt hatten, zu den Wahlen gehen und die politischen Zustände des gesamten Staats verändern sollten.«198 Wie überall zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterschied die staatliche Ordnung häufig zwischen Stadt und Land; anders war es kaum denkbar, denn das Land war schlecht erschlossen, und die Bevölkerung hatte dort wenig Zeit und nicht genügend Informationen, um sich politisch zu engagieren. Städter mussWilentz, American Democracy, S. xxi. Morgan, Inventing the People. Wood, Significance, S. 16; Morgan, American Slavery; Weir, »Harmony«. Minutes of the Common Council of the City of New York, 27. 1. 1803, NYCMA . Burrows/Wallace, Gotham, S. 513; s. den Überblick in: Minutes of the Common Council of the City of New York, 14. 2. 1831, NYCMA . 198 Delegate Erastus Root, zitiert nach: Fox, Negro Vote, S. 62. 193 194 195 196 197

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ten oft höhere Eigentumsqualifikationen aufweisen, genossen allerdings mehr Privilegien.199 Doch entfaltete der höhere Wohlstand in den USA seine demokratisierenden Wirkungen: Der Zeitungsmarkt entwickelte sich schneller, die Infrastruktur erleichterte die Kommunikation früher als in Deutschland, und auch das Wahlrecht breitete sich rascher aus, wie wir sehen werden.

Wahlrecht, Wahlbeteiligung, Wahlakt in der jungen Republik Nicht zuletzt aufgrund der starken lokalen Unterschiede ist unklar, wer in den USA das Wahlrecht besaß und wer dann tatsächlich wählen ging – unzweifelhaft ist, dass von den wahlberechtigten weißen Männern nur eine Minderheit wählte.200 Das ist wenig erstaunlich, denn der Wahlakt war ungefähr so aufregend wie in den preußischen Städten, wie eine Quelle über das Abstimmen von 1820 zeigt: »Alle Wähler mussten sitzen, und wenn sie zur Wahl aufgerufen wurden, mussten alle Wähler des jeweiligen Kandidaten ihre Kopfbedeckung abnehmen und aufstehen, um gezählt zu werden, und mussten sich daraufhin wieder hinsetzen und ihre Köpfe bedecken.«201 Doch die intensive Forschung um den Historiker Philip J. Lampi über die autochthone Demokratie in den USA hat erst jüngst mit einem erstaunlichen Projekt über die Wahlen in der frühen Republik festgestellt, wie außerordentlich hoch die Wahlbeteiligung gewesen sei. Sie habe teilweise bei über 100 Prozent gelegen, ja zuweilen sogar bei 200 oder 300 Prozent.202 Diese absurden Zahlen zeigen das Dilemma einer Wahlforschung, die nicht die Wahlpraxis und Wahlkultur berücksichtigt. Denn die hohen Zahlen verweisen vor allem auf die Normalität von Unregelmäßigkeiten und die Unzuverlässigkeit der zeitgenössischen Angaben. Wenn glaubwürdigere Daten vorliegen, zeichnen diese in der Regel ein anderes Bild: Bei der Präsidentschaftswahl von 1800 wurden die Wahlmänner von rund 62000 Männern gewählt, das war weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten und ein Bruchteil der insgesamt 5306000 Einwohner. Wahlberechtigt waren demnach bei den Präsidentschaftswahlen 3,5 Prozent der

199 Williams, The Book of the Constitution; Pole, Representation, S. 26f.; Pole, Political Representation, S. 306f.; Keyssar, Voting, S. 855. 200 Rogers, Right to Vote, S. 6; Morgan, Inventing the People, S. 303. 201 Zitiert nach Formisano, Political Culture, S. 143. 202 A New Nation Votes. American Election Returns, http://elections.lib.tufts.edu/papers.html [1. 2. 2017].

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Wählerstimmen für die Präsidentschaftswahl in Prozent zur Gesamtbevölkerung

Gesamtbevölkerung (knapp 1 Prozent über der Zahl preußischer Wahlberechtigter durch die Städteordnung).203 Der Prozentsatz war nicht nur wegen der Eigentumsqualifikationen so niedrig, sondern auch, weil Frauen, Minderjährige und Minderheiten wie Sklaven, Native Americans oder Latinos kein Wahlrecht besaßen, aber auch weil die ländliche Bevölkerung (die abgeschottet lebte und an die politischen Diskurse kaum Anschluss haben konnte) in der Regel nicht zu den politischen Akteuren zählte.204 Neue Beschränkungen kamen hinzu. New Jersey etwa beendete 1808 sein seit 1776 bestehendes einzigartiges Wahlrecht für besitzende, alleinstehende Frauen.205 Andererseits aber fielen manche Restriktionen, sodass die Zahl der Wahlberechtigten anstieg. Zahlen von eingezogenen Soldaten in Virginia zeigen, dass 1815 etwa zwei Drittel der erwachsenen Männer kein Wahlrecht besaßen,206 was den An203 204 205 206

Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 14. Keyssar, Right to Vote, S. Table A2 bis Table A4. Klinghoffer/Elkis, Women’s Suffrage in New Jersey, S. 159f. Pole, Representation, S. 34.

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gaben von New York in dieser Zeit entspricht.207 Damit lag der Prozentsatz der Wahlberechtigten bereits im zweistelligen Bereich im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Bei den Präsidentschaftswahlen aber wählte nach wie vor ein kleinerer Teil der Männer, weil viele Staaten die PräsidentenWahlmänner durch die jeweiligen Landesregierungen und nicht durch eine Wahl bestimmten. Auch wenn bei Kommunalwahlen der Anteil wesentlich höher lag, so waren doch 1824 nach wie vor nur 3,8 Prozent der Gesamtbevölkerung für die Präsidentschaftswahl wahlberechtigt.208 Auch als mehr und mehr weiße Männer das Wahlrecht erhielten, blieb die Wahlbeteiligung bemerkenswert niedrig. Der Historiker Sean Wilentz, der eigentlich zeigen will, wie revolutionär-demokratisch imprägniert die frühe Republik war, fragt erstaunt: »Warum war die Wahlbeteiligung so gering?«209 Die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung von 56 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen von 1828 gilt in der Geschichtsschreibung vielfach als Auftakt zur Jacksonian Democracy und zur grundlegenden Demokratisierung. Konkret heißt diese Zahl, dass von den im Zensus erfassten 12839000 Amerikanern (zu denen beispielsweise nicht die indigene Bevölkerung gehörte) 1149000 wählten. Es handelte sich also bei rund 17 Prozent Wahlberechtigten um weniger als 9 Prozent Wähler in der Gesamtbevölkerung. Historiker wie Morgan oder Kousser haben außerdem darauf aufmerksam gemacht, dass aus den Zahlen der Wahlberechtigung und der Wahlbeteiligung vielfach arme Weiße und im Ausland geborene Bürger wissentlich herausgerechnet waren und die Zahlen so im Ergebnis höher lagen.210 Nicht gänzlich übersehen sollte man schließlich extreme Regulierungen wie den Ausschluss der Juden vom Wahlrecht in Rhode Island bis 1842.211 Hinzu kam, dass auch nach der Expansion des Wahlrechts die Gewählten in der Regel den alten Eliten angehörten.212 Wahlen blieben also auch in den USA bis weit ins 19. Jahrhundert ein Elitenprojekt.

207 Keyssar, Right to Vote, S. 52. 208 United States History, Elections, Online Highways LLC , http://www.u-s-history.com/ pages/h261.html [1. 2. 2017]; Congressional Quarterly, Presidential Elections, S. 80. 209 Wilentz, American Democracy, S. 52. 210 Kousser, Shaping. Auch die Historiker Altschuler und Blumin mahnen eine zurückhaltende Interpretation an, die Wahlen von 1828 seien ein einmaliges Ereignis geblieben (Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 16); ebenso Formisano, Political Culture, S. 17. 211 Congressional Quarterly, Presidential Elections, S. 79. 212 Burrows/Wallace, Gotham, S. 515.

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Doch die Intentionen der amerikanischen Eliten unterschieden sich von denen ihrer preußischen Zeitgenossen in einer Hinsicht fundamental. In Amerika sorgten Wahlen für die rationale Legitimation von Herrschaft, also für eine von allen relevanten (das heißt: besitzenden) Individuen anerkannte Herrschaft. Da die Amerikaner sich mit ihrer Unabhängigkeit von der britischen Krone zugleich von allen traditionalen Legitimationen losgesagt hatten, waren sie auf diese neuartige Berechtigung angewiesen. So präsentierte sich in den amerikanischen Wahlen die politische Gemeinschaft (der Besitzeliten) in neuem legitimatorischen Glanz. Doch auch hier ging es darum, die relevanten Bürger durch die Wahl zu binden. Thomas Jefferson erklärte 1801 über die bürgerliche Mitbestimmung: »Ich glaube, sie ist die einzige [Regierungsform], in der jedermann, dem Aufruf des Gesetzes folgend, sich auf das Niveau des Gesetzes hinaufschwingen und Übergriffe gegen die öffentliche Ordnung als seine persönliche Angelegenheit ansehen dürfte.«213 Die preußische Funktionselite legte die Schwerpunkte etwas anders: Wahlen dienten zwar ebenfalls als rationale Legitimation, doch stand die Disziplinierungs- und Erziehungsfunktion der Wahlen im Vordergrund – einmal zur Abwehr des Ständestaats, zum andern aber, um die nützlichen Individuen zu integrieren. Der Monarch hatte also gute Gründe, die Wahlen zu unterstützen, wenn er sich wie in Preußen für die Reformen einsetzte. Wahlen wurden daher in den USA nicht nur von einigen wenigen Reformern gewünscht, sondern von der gesamten Oberschicht. Aufrufe an Nichtwähler finden sich in den USA für diese Zeit noch nicht, ebenso wenig Klagen über eine zu geringe Wahlbeteiligung. Die Personen, die für die Eliten zählten und als relevant galten, fanden sich offenbar bei den Abstimmungen ein, und die Wahlunterlagen weisen darauf hin, dass die (wenigen anwesenden) Wähler ihr alt angestammtes Recht ernst nahmen. Anders als in Preußen gab es kein konservatives Establishment, das moderne Wahlen grundsätzlich ablehnte. Doch es war die Besitzelite und nicht ein egalitäres Männervolk, das die Geschicke lenkte.214 Gegenüber Personen, die nicht der Oberschicht angehörten, und die dennoch das Wahlrecht besaßen, fanden die Eliten Mittel und Wege, die Dinge zu ihren Gunsten zu wenden. In South Carolina besaß das Lowcountry, der Osten mit großen 213 Thomas Jefferson: First Inaugural Address in the Washington, D.C., 4. 3. 1801; vgl. Martschukat, Ordnung, S. 21–42. 214 Dahl, Who Governs?, S. 11–24; vgl. auch Jahar, Urban Establishment.

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Plantagen und reichen Städten wie Charleston, eine wesentlich stärkere Repräsentation als der Rest des Staates mit einer ärmlichen Schicht aus Yeomen, den landbesitzenden Kleinbauern.215 Auch mit Bestechungen und mit der Anwesenheit von Militär sorgten Eliten jahrzehntelang dafür, dass ihre Wahlwünsche durchgesetzt wurden.216 Um 1800 und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts instruierten häufig hohe Militärs ihre Untergebenen, wie sie zu wählen hätten. Zuweilen marschierten Offiziere an der Spitze ihrer Mannschaften zum Wahllokal, um dort deren Stimmabgabe zu überwachen, zuweilen schüchterten sie das Volk ein.217 In der bequemsten, wenngleich offensichtlich unrechtmäßigen Variante schickten Offiziere ihre Männer ins Wahllokal mit klaren Anweisungen zum Wählervotum.218 »Ein Kavallerieregiment paradierte in den Wäldern, es lieferte einen martialischen Auftritt ab«, berichtete 1806 ein Amerikareisender über eine Wahl: »Man sagt, dass die Truppen angefordert wurden, um in Wahlangelegenheiten zu Diensten zu sein.«219 Während die Wahlunterlagen der preußischen Städtewahlen den Disziplinierungscharakter spiegeln (vgl. Abb. 5), zeigt sich in den schlichten amerikanischen Wahlergebnissen (returns) aus den Jahrzehnten um 1800 ein anderer Geist: Die Wahlhelfer (election managers), angesehene Bürger, die von ihresgleichen im Parlament ernannt wurden, verkünden in den knappen, meist nur eine Seite umfassenden returns das Wahlergebnis, zuweilen auch die Stimmenzahl pro Kandidat; die Anzahl der Wähler ist überschaubar, man scheint sich zu kennen; oft sind die Namen mit dem Esquire versehen, einem aus der feudalen Welt stammenden Titel für Angehörige der Oberschicht; oft werden die Stimmen nach Wahllokalen aufgelistet, was ebenfalls auf die Übersichtlichkeit der Face-to-face-Gesellschaft hinweist. Das Wahllokal befand sich in Kirchen,220 häufig aber auch in den schmucken Tempeln der bürgerlichen Welt, die um die Jahrhundertwende gebaut wurden, in Gerichts- und Parlamentsgebäuden oder in den Bauten des Ge215 216 217 218 219 220

Dinkin, Voting in Revolutionary America, S. 11. Morgan, Inventing the People, S. 172–179 u. 183. Morgan, Inventing the People, S. 173 u. 186–188. Petition, o. A., South Carolina, 1825, S165015, Item 29, 1825, SCDAH . Hooker, Diary, Eintrag vom 27. 9. 1806. Comm. Report and Resolution Appointing Managers, 1823, S165005, Item 98, SCDAH , vgl. auch die Unterlagen aus den frühen 1820er Jahren in NYC Common Council, Box 78, Fold. 1694 u. NYC Common Council Papers, Box 84, Fold. 1771, Elections 1822, NYCMA .

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Abb. 6 Wer konnte 1814 lesen und schreiben? In den Unterlagen der Wahlen für South Carolina finden sich zahlreiche Stimmzettel aus der Zeit um 1800, hier von Saint-Paul’s, Special Election for State Senator, 21. 11. 1814, SCDAH . Image provided by the South Carolina Department of Archives and History

schäftslebens. Teilweise fanden Wahlen im Privathaus eines reichen Bürgers – oft des Wahlmanagers221 – statt, was den bürgerlichen, exklusiven Charakter der Wahlen unterstrich.222 Die Abstimmung mit dem Stimmzet221 Report of the Committee appointed to draft resolutions and appoint managers of electors for the next general election, In the Senate 20. 12. 1823, S165005, Item 00098, 1823; To the Honorable the Speaker + other members of the House of Representatives, 16. 10. 1826, S165015, Item 83; (38 Unterschriften) To the Honourable the Speaker + other members of the House of Representatives, 16. 10. 26, S165015, Item 83, alle Unterlagen in SCDAH . 222 Election returns, 1782–1866, South Carolina. General Assembly, House of Representatives, S165079, SCDAH ; Election returns in S165024, 1831–65, Election certificate for district officers, General Ass. Box 1, No 2–01 & Box 2, SCDAH ; Minutes of the Common Council of the City of New York, Bd. VI , 406–419, 3. 12. 10 + Minutes of the Common Council, 13. 5. 22 + Minutes of the Common Council of the City of New York, 15. 3. 24, NYCMA ; returns, 1820er Jahre, in NYC Common Council, Box 78, Fold. 1694, NYCMA ; Wahllokale in South Carolina etwa in Report of the Committee appointed to draft resolutions and appoint managers of electors for the next general election, In

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tel (by ballot) erlebte in diesen ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Konjunktur. Das Verfahren war aufwändiger und erforderte Lesekenntnisse und (da der Stimmzettel bis zur Jahrhundertmitte in der Regel beschrieben wurde) Schreibfertigkeiten, was den Kreis der Wähler ganz natürlich beschränkte. Die Geheimhaltung der Wahl spielte bis in die zweite Jahrhunderthälfte kaum eine Rolle, auch wenn vereinzelte Gelehrte den Zusammenhang von freier und geheimer Wahl konstruieren und zuweilen ins Gesetz einfließen lassen konnten.223 Doch diese Idee war in der damaligen Welt lebensfremd und konnte sich nicht durchsetzen. Geheimhaltung erschien in den USA , wie sich zeigen wird, noch abwegiger als in den preußischen Städten der ersten Jahrhunderthälfte. Stimmzettel hatten meistens nichts mit Geheimhaltung zu tun.224 Das Wahlgesetz von New Jersey, das die Frauen um 1800 zunächst einschloss, umschreibt feierlich und beispielhaft das vorgesehene Wahlprozedere: »Jeder Wähler, jede Wählerin soll offen und für alle sichtbar seinen bzw. ihren Stimmzettel (der ein einzelnes handschriftliches Billett zu sein hat, auf dem die Person oder die Personen vermerkt sind, für die er bzw. sie die Stimme abgibt) dem besagten Richter übergeben, […] der sofort nach Erhalt mit für alle hörbarer Stimme den Namen des betreffenden Wählers verkündet.«225 Da sich die Wähler kannten und oft gesellschaftlich der gleichen Schicht angehörten, war die geheime Wahl nicht so wichtig. Erst 1871 verboten die USA mit einem natio-

the Senate, 20. 12. 1823, S165005, Item 00098, 1823, SCDAH ; Committee Report on the Voting for Lieutenant Governor, S165005, Item 53, 1826, SCDAH ; Brewin, Celebrating Democracy, S. 77; Comm. Report and Resolution Appointing Managers, 1823, S165005, Item 95 u. 98, SCDAH ; Comm. Report on the Voting for U.S. Senator, S165005, Item ND # 202, 1824, SCDAH ; Comm. on Priv. and Elections, Report and Supp. Papers, S165005, Items 84–87, 1824, SCDAH ; Resolution for the new Election for collector 2nd Ward in Common Council, 24. 9. 1827, NYC Common Council, Elections 1827, Box 109, Fold. 2064; Committee on Priv. 6 Elections, report on the Appointment of Managers, 1829, 165005, Item 74, NYCMA . 223 In Frankreich hatte es 1795 als Folge des Großen Terrors den Vorschlag für geheime Wahlen mit Stimmzetteln und Wahlkabinen gegeben (Crook/Crook, Reforming Voting Practices, S. 208). 224 Bourke/DeBats, Identifiable Voting, S. 263 u. 274; Buchstein, Stimmabgabe, S. 403–406. 225 An Act to regulate the election, 22. 2. 1797, in: Elmer, Digest of the Laws of New Jersey, S. 153.

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nalen Gesetz grundsätzlich die Abstimmung viva voce (also per Zuruf), legten allerdings wenig Wert auf die Exekution der Regulierung, sodass mündliche Stimmabgabe oft noch weiter praktiziert wurde.226

Abschottung der Oberschicht Bezeichnend ist auch der Unterschied der Wahlmotivation. Während es in Preußen darum ging, Menschen zur Abstimmung zu bewegen, achtete die wahlberechtigte Oberschicht in New York City und South Carolina darauf, dass niemand ohne Wahlrecht partizipierte.227 Proteste gegen Wahlfälschungen und der Anstoß zu Wahlprüfungen gingen von den Bürgern aus – anders als in der Preußischen Städteordnung, wo der bürokratische Apparat jede Wahl automatisch überprüfte.228 Die amerikanischen Wähler befürchteten bei nicht korrekten Wahlen und der Beteiligung von Nichtberechtigten, »dass das entscheidende Privileg des Wahlrechts, dieses herausragende Charakteristikum des repräsentativen Regierungssystems, zunichtegemacht werden könnte« – wie sich in New York 1810 einige protestierende Esquires ausdrückten.229 Thomas Jeffersons demokratische Bekenntnisse zu seiner Amtseinführung 1801 (also zu einer Zeit, als die Wähler nur wenige Prozent der Bevölkerung ausmachten) müssen unter diesem Vorzeichen gelesen werden, sein Aufruf für »eine eifersüchtige Sorge um das Wahlrecht des Volkes« und für »eine absolute Akzeptanz der Mehrheitsentscheidungen, die das Lebensprinzip der Republiken ist«.230 Die republikanische Rhetorik war nicht die Sprache des Volkes, sondern – hier glichen die Vereinigten Staaten wieder Preußen – das gelehrte Pathos gebildeter Eliten. Anders als in Preußen, wo Stadtbewohner zum Erwerb des Bürgerrechts und damit der Wahlpflicht gedrängt wurden, verlangten in den USA Männer von sich aus ein Mitbestimmungsrecht. 1801 etwa versuchten 226 Crook/Crook, Ballot Papers, S. 9. 227 Das galt für diese Zeit auch schon für Baden: Nolte, Gemeindebürgertum, S. 13 u. 15; als ein Impuls »von unten«, wie Nolte meint, kann das kaum gedeutet werden (ebd., S. 14). 228 Vgl. etwa die Unterlagen in NYC Common Council Papers, Box 115, Fold. 2143, Elections 1828, NYCMA . 229 Thomas Addis Emmet and Elisah Morrill Esqrs, Protest To the Honorable the Mayor + Common Council of the City of New York, o. D. (Nov. 1810), zitiert nach: Minutes of the Common Council of the City of New York, Bd. VI , 406–419, 3. 12. 1810, NYCMA . 230 Thomas Jefferson: First Inaugural Address, Washington D.C., 4. 3. 1801.

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Joshua Barker und 38 Mitbürger in New York das Wahlrecht zu erwerben, wie die Protokolle des Stadtrates vermerken: »Der Fall stellt sich so dar, dass Joshua Baker Esq[uire] und 38 andere Personen ein Haus und ein Grundstück in der Frankford Street erworben haben und dass dieser Kauf eingestandenermaßen dazu diente, ihnen das Wahlrecht bei der besagten Wahl zu verschaffen, was aber angefochten wurde.«231 Nur wenige der 39 Männer wurden vom Common Council als reich genug erachtet und in den Kreis der Wähler aufgenommen.232 South Carolina wehrte Männer ab, die hofften, aufgrund des Eigentums ihrer Ehefrauen wählen zu dürfen.233 Im Januar 1803 kam es in New York vermehrt zu Bürgerversammlungen, die eine Ausweitung des Stimmrechts begehrten.234 In ihren Petitionen forderten sie auch, von der mündlichen Wahl (viva voce) zur Abstimmung mit Stimmzettel überzugehen. Der Common Council lehnte beides entschieden ab: Die Charter New Yorks existiere seit nunmehr über fünfzig Jahren und die Stadt sei unter diesen Rechten und Privilegien aufgeblüht; es sei eine große Gefahr, eine bewährte Ordnung willkürlich zu verändern.235 Sowohl in New York als auch in South Carolina finden sich in den Wahlunterlagen der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts Beschwerden von besitzenden Bürgern, die den Aufstrebenden das Wahlrecht absprachen und auf Einhaltung des Zensus drängten.236 Bereits in den 1810er und 1820er Jahren kamen außerdem zur Sicherung des Wahlrechts die ersten Forderungen auf, eine Wählerregistratur einzuführen. South Carolinas Hauptstadt Columbia installierte 1819 ebenso wie Charleston ein solches Verzeichnis, vorrangig wohl deshalb, um Immigranten an der Wahl231 232 233 234 235 236

Minutes of the Common Council of the City of New York, 28. 11. 1801, NYCMA . Minutes of the Common Council of the City of New York, 4. 12. 1801, NYCMA . Bellinger, Compilation, Introduction. Minutes of the Common Council of the City of New York, 17. 1. 1803, NYCMA . Minutes of the Common Council of the City of New York, 27. 1. 1803, NYCMA . From the people of St. James Goose Creek, Protest against John D Davis, Oct. 18, 1832, S165015, Item 19, 1832, SCDAH ; Committee on Privileges and Elections, report considering the expediency of a resolution to raise the property qualification of voters residing out of the district or parish of residence, Dec. 19, 1844, S165005, Item 160, 1844, SCDAH ; Wahlanfechtungen in Unterlagen des Committee on Privileges and Elections S165005, Item 00094, 1823, SCDAH ; Petition, o. A., S165015, Item 29, 1825, SCDAH ; To the Hon. Jacob B. Jon and the other members of the Senate of the State of SC , S165015, Item 30, 1825, o. D., SCDAH ; zu Charleston: Bellinger, Compilation, S. 321; für New York außerdem: Dokument vom 8. 7. 1824 und weitere Unterlagen in NYC Common Council Papers, Box 90, Fold. 1863, Elections 1824, NYCMA . Vgl. zur Bedeutung des Zensus Williams, The Book of the Constitution, S. 35.

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beteiligung zu hindern.237 Die Regierung im Staat New York dachte über ähnliche Maßnahmen nach, konnte sie aber nicht durchführen (wahrscheinlich der administratorischen Komplexität wegen).238 Bei der Abwehr gegenüber einer Ausweitung des Wahlrechts nutzten die Wähler die demokratischen und republikanischen Diskurse ebenso selbstverständlich wie Jefferson und sahen darin gewiss keine rhetorische Finte, wenn sie mahnten, die »Entscheidung des Volkes« gegen die Unterschichten zu schützen.239 Dank der sorgsamen Beachtung der Wahlbeschränkung durch die wenigen Wahlberechtigten blieben Wahlen bis in die 1820er Jahre, in manchen Staaten noch wesentlich länger, die Institution einer Minderheit. Sprechen aber die rigide Beachtung der Wahlrechtsqualifikationen und die Abwehr neuer Wählerschichten nicht doch für eine von unten erkämpfte Wahlrechtserweiterung?240 Bereits die Verfassungsväter stritten sich 1787 darüber, ob es den Wunsch des »einfachen Volkes« (common people) nach einem Wahlrecht denn gebe. Der Gründungsvater Pierce Butler, einer der bedeutendsten Sklavenhalter und Plantagenbesitzer in South Carolina, erklärte: »Es gibt kein Recht, das vom Volk eifersüchtiger gehütet wird, als das Wahlrecht.«241 Doch John Dickinson (ebenfalls Gründungsvater, Plantagenbesitzer, Sklavenhalter) erwiderte, er halte es für eine Chimäre, dass die Einschränkung des Wahlrechts für die Nichtberechtigten ein Problem darstelle.242 Der Historiker Keyssar wiederum behauptet, es habe immer auch von unten die Einforderung des Wahlrechts gegeben, doch kann er dafür kaum Quellen anführen.243 Als Nachweis für die These muss häufig das »Memo237 Keyssar, Right to Vote, S. 65; Minutes of the Common Council, 27. 11. 1828, NYCMA . 238 Sickles, Remarks, S. 8. 239 Committee on Privileges and Elections, report and resolution on the petition of William N. Thompson asking for an investigation into the election of a senator for St. Bartholomews parish, 1823, S165005, Item 00094, SCDAH . 240 Das legen die Aussagen von Keyssar nahe (Keyssar, Right to Vote, S. 35). 241 Journal of the Federal Convention, S. 468. 242 Ebenda. 243 Keyssar erwähnt die Forderung von Bewohnern in der Nähe von Lenox von 1780, zitiert nach einem Sammelband von »popular sources«; aber auch hier sprechen die Betroffenen nicht selbst, die Petitoren sprechen im Namen der andern (»these poor polls who have gone for us into the greatest perils«); wollten die Armen das Wahlrecht, konnten nur selbst keine Petition verfassen? Oder hatten nicht einmal mehr Eliten ein Interesse an ihrem Wahlrecht? (Keyssar, Right to Vote, S. 14, vgl. auch 35).

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rial of the Non-Freeholders of the City of Richmond« von 1829 herhalten, also von Bürgern ohne ausreichendes Eigentum, den Keyssar für den »eloquentesten Ausdruck eines Protestes der vom Wahlrecht Ausgeschlossenen selbst« hält.244 Es bleibt aber doch ein eher abseitiges Dokument. Insgesamt forderten bemerkenswert wenige Männer das Wahlrecht ein, und die Quellen präsentieren diese wenigen in aller Regel als Besitzende und Angehörige einer aufstrebenden Schicht. Sie besaßen bereits genug Geld und Bildung, um sich die Zeit für politische Geschäfte leisten zu können, sie waren überhaupt in der Lage, eine wohlformulierte Petition aufzusetzen, und man kann davon ausgehen, dass es Stadtbewohner waren.245 Häufig ging es bei den Forderungen um mehr Partizipation auch gar nicht um das Wahlrecht, sondern etwa um eine angemessenere Repräsentation. Denn nicht nur in South Carolina sorgte die natural aristocracy dafür, dass sie in ihren Wahlkreisen mit wesentlich weniger Männern mehr Abgeordnete wählen durften als die Bürger in den ärmeren Regionen.246 Insgesamt lässt sich für die erste Jahrhunderthälfte nicht nachweisen, dass die Mehrheit der Amerikaner ein Interesse an der Stimmabgabe hegte.247 Die Erweiterung des Wahlrechts erfolgte vielmehr, wie wir sehen werden, auf Druck der Parteien, die sich miteinander in immer stärkerer Konkurrenz befanden. Die anhaltend niedrige Wahlbeteiligung signalisiert den geringen Stellenwert, den Wahlen in der amerikanischen Gesellschaft tatsächlich einnahmen.248 Auch in den 1830er Jahren stieg daher die Zahl der Wähler prozentual weniger stark an als die der Wahlberechtigten.249 Mit der Zunahme der Wahlberechtigung wurden dann Stimmen laut, die ähnlich wie die Mahnungen in Preußen klangen, in den USA allerdings von den Parteien rührten. So rief eine Parteizeitung die Bürger auf, »ihre Pflichten ihrem Land gegenüber nicht zu vergessen und an der Abstimmung teilzu-

244 Prindle, Paradox, 67f.; Keyssar, Right to Vote, S. 35f. 245 Vgl. die oben zitierten Akten für NYC sowie Memorial, signed by a great number of Freeholders and Lease holders, zitiert nach: Minutes of the Common Council of the City of New York, 5. 2. 1821, NYCMA ; vgl. auch Pole, Political Representation, S. 307–319. 246 Pole, Political Representation, S. 308f.; vgl. zu der Tradition der ungleichen Wertung der Stimmen in South Carolina: Simon, Devaluation. 247 Johnston, New York after the Revolution, S. 330. 248 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 17; Pole, Political Representation, S. 318. 249 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 37.

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nehmen«.250 Schon in dieser Zeit entwickelte sich in der amerikanischen Bevölkerung eine tiefe Abneigung gegen Parteien.251 Eine andere Sache waren die Spektakel rund um die Wahl. Häufig fanden am Wahltag Volksfeste statt, und die Inauguration der Präsidenten wurde populärer und bunter. Offenbar gab es zwei Sphären in der Politik: einerseits das Spektakel fürs Volk und andererseits die Wahlen als Geschäft der wohlhabenden, informierten Bürger.252 Dafür spricht auch, dass der Wahlakt selbst zumeist nüchtern und komplikationslos vor sich ging – eine Sache der »bessern Leute«, geprägt durch »stille Würde« und von »angemessener Sorgfalt«253 wie es Zeitgenossen beschrieben und wie die Einförmigkeit der Wahlunterlagen vermuten lassen.254 Erst in der Jacksonian Democracy im zweiten Drittel des Jahrhunderts, die zur Politisierung weiterer Schichten beitrug, breitete sich das politische Spektakel aus und bezog – wenn auch nur ganz allmählich – die Wahlen mit ein. In New York City zeigten sich deutliche Symptome der ungezügelten Volkswahlen bereits 1828. In diesem Jahr verhalf die Politmafia Tammany der Democratic Party maßgeblich zum Sieg.255 Die Bürger der alten Eliten bemühten sich weiterhin, die Massen von den Wahlurnen fernzuhalten, und empörten sich über die Korruptionen und Manipulationen.256 Zuvor hatten sich Wahlanfechtungen eher auf kleinere technische Fragwürdigkeiten bezogen und, soweit die Akten erkennen lassen, nie zu einer Neuwahl geführt.257 Doch nun klagten die Bürger über ein ganz neues Ausmaß 250 Zitiert nach: Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 49. 251 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 10. 252 Pasley betont, dass trotz der Exklusion großer Bevölkerungsteile in einer »culture of everyday life« die Massen in der frühen Republik politisiert gewesen seien, wie etwa Käse-Herstellen für den Präsidenten, so sein bezeichnendes Beispiel (Pasley, Cheese, insbes. S. 49). 253 Zitiert nach Morgan, Inventing the People, S. 183, u. in Minutes of the Common Council of the City of New York, 25. 12. 1826, Common Council Minutes, NYCMA . 254 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 15 f; vgl. den Forschungsüberblick zu frühen Wahlen Brewin, Celebrating Democracy, S. 2–4. 255 Burrows/Wallace, Gotham, S. 514. 256 Kopie Protest an George Curtis u.a., Esquires Inspector of Election of 1st ward (mit 31 Unterschriften), 9. 11. 1828, u. Petition an Common Council of the City of New York, o. D., 1828, u. weitere Unterlagen dazu in NYC Common Council Papers, Box 115, Fold. 2143, Elections 1828, NYCMA ; Minutes of the Common Council of the City of New York, 17. 11. 1828, NYCMA . 257 Unterlagen zum Fall Shivers, 1823 in NYC Common Council Papers, Box 90, Fold. 1863, Elections 1824, NYCMA ; Minutes of the Common Council of the City of

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an Manipulationen. Sie beschwerten sich über Fälschungstechniken, wie sie künftig – besonders in New York – gang und gäbe wurden: Einschleusen von ortsfremden Wählern in den Wahlbezirk, Mehrfachwählen (repeating), physische Behinderung von Wählern an der Stimmabgabe, eine Anzahl abgegebener Stimmen, die weit über der Zahl der Wähler oder gar der Wahlberechtigten lag, und korrupte Wahlaufseher.258 In einer der Petitionen an die Stadt, die zur Korruptionsbekämpfung aufriefen, schrieben 58 Bürger auf die Verfassungsänderung von 1821 anspielend: »Dass sie von einer tiefen und feierlichen Überzeugung von der innigen Verbindung zwischen der Reinheit [purity] und Unabhängigkeit der Wahlen und der Dauerhaftigkeit unserer republikanischen Institutionen durchdrungen sind. Dass diese stets so kraftvollen Überlegungen seit der Ausweitung des Wahlrechts durch die neue Verfassung insbesondere in den größeren Gemeinden und in den Städten ein tief greifendes Interesse erweckt haben.«259 Bemerkenswerterweise bewogen auch die detaillierten und massiven Beschwerden der Bürger die Stadtverwaltung unter dem Bürgermeister der demokratischen Partei offenbar nicht dazu, ihre Abneigung gegen Neuwahlen aufzugeben und auch nur eine Wahl für ungültig zu erklären. Stattdessen sinnierten die Stadträte in einer ausführlichen Stellungnahme unberührt darüber, wohin denn eine Ungültigkeitserklärung für Wahlen führe solle, der Arbeitsaufwand für den Stadtrat sei unabsehbar.260 Die Wahlbeschwerden, die sich in South Carolina im Staatsarchiv finden, zeugen bis ins zweite Drittel des Jahrhunderts kaum von Volksmassen New York, 29. 12. 1823; vgl. auch Dokument vom 8. 7. 1824, NYC Common Council Papers, Box 90, Fold. 1863, Elections 1824, NYCMA ; Unterlagen NYC Common Council, Box 78, Fold. 1694 u. NYC Common Council Papers, Box 84, Fold. 1771, Elections 1822, NYCMA ; Unterlagen dazu in NYC Common Council Papers, Box 115, Fold. 2143, Elections 1828, NYCMA . 258 Unterlagen zu dem Fall in NYC Common Council Papers, Box 115, Fold. 2143, Elections 1828, NYCMA ; Affidavit of O. Rowley, in Common Council, January 12, 1829, NYC Common Council Papers, Box 122, Fold. 2218, Elections 1829, NYCMA und weitere Unterlagen in dieser Akte; vgl. auch »The National Intelligencer says«, Niles’ Register, 8. 10. 1835, 68. 259 An das Common Council of the City of New York, o. D., 1828, NYC Common Council Papers, Box 115, Fold. 2143, Elections 1828, NYCM ; weitere Petition: The Section of your Petitioners citizens and Freeholders of the tenth Ward of the City of New York to the Mayor, Aldermen + Commonalty of the City of New York, November 20, 1829, NYC Common Council Papers, Box 122, Fold. 2218, Elections 1829, NYCMA . 260 Report, 26. 1. 1829, adopted, NYC Common Council Papers, Box 122, Fold. 2218, Elections 1829, NYCMA .

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und unkontrollierbaren Turbulenzen, obwohl die Wahlbeteiligung insgesamt wahrscheinlich höher lag.261 Vielmehr handeln die Klagen noch lange von falschen Auszählungen, angeblich nicht wahlberechtigten Wählern oder von faulen Wahlaufsehern.262 In einer »Namensliste widerrechtlicher Stimmabgaben« ist die häufigste Begründung für den Ausschluss von der Wahl eine zu kurze Residenzzeit, Armut oder Minderjährigkeit.263 Wie oben im Fall der Offiziere erwähnt, kam es allerdings immer wieder dazu, dass Abhängige, Untergebene oder einfach physisch Schwache zur Stimmabgabe gezwungen wurden. Das war eine typisch amerikanische Manipulationsform, die sich das ganze Jahrhundert über halten würde. Bereits 1815 verbot ein Wahlgesetz in South Carolina, das sich auf ein Gesetz von 1721 berief, »Arrest und Drohungen aller Art«, um Stimmen zu erpressen.264 Allen Unregelmäßigkeiten zum Trotz schienen rassistische Regulierungen sich stets relativ reibungslos durchgesetzt zu haben. »Ein Indianer hat keinen Rechtsanspruch auf das Wahlrecht in diesem Staat«, hieß es in einem Urteil, »und es können weder seine Leistungen noch seine Dienste oder andere Umstände an diesem durch seine Geburt gegebenen Zustand etwas ändern.«265

Gründe für die Wahlrechtserweiterung Wie politisiert war die US -amerikanische Bevölkerung, deren Engagement sich zunehmend in Korruption ausdrückte oder doch zumindest in den Abwehrreaktionen der alten einflussreichen Schichten? Gewiss sollte die Einschätzung vorsichtig bleiben: Die weißen Draufgänger hatten viel 261 Morgan, Inventing the People, S. 184–208; freilich gab es aber auch in South Carolina Fälle von Gewalt, z.B. Comm. Report and Supporting papers, S165005, Item 155, 1823, SCDAH . 262 Vgl. Memorial, With a request that it be read, 23. 12. 1823, NYC Common Council Papers, Box 90, Fol. 1863, Elections 1824, NYCMA ; Unterlagen in S165013, Box 100, Misc. General Assembly 062, SCDAH ; Comm. on Priv. and Elections, Report and Supp. Papers – Elect of a Senator from St. Barth, S 165005, Item 86, 1824, SCDAH ; Unterlagen in S165015, SCDAH ; Bellinger, Compilation, S. 294; Edgefield District, Charles Bressey, Contested Elections, 1820, GA – C. Rekpts. – 1820–98, SI 65013, Box 100, SCDAH . 263 »List of Names of illegal votes at the late Election for members of the Legislature of this State, held in the Parishes of St. Philips & St. Michael, on the 11th & 12th October last«, 8. 12. 1830, S165013, Box 100, Misc. General Assembly 062, SCDAH ; vgl. auch Bellinger, Compilation, S. 295–297. 264 The State vs. Fargus, 1815, Bellinger, Compilation, S. 295. 265 The State ex. rel. Marsh vs. Managers Elections, York, 1829, in: Bellinger, Compilation, S. 302.

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mehr die Jagd nach Glück und Geld im Blick als Politik. Alle Zeugnisse aus dieser Zeit verweisen auf die außergewöhnliche Bedeutung des Geldes im Leben der Amerikaner.266 Tocqueville (der übrigens selbst nie den Wahlakt in den USA miterlebt hat, was seine recht idealisierten Bemerkungen über das gleiche Wahlrecht erklärt) notierte in seinem Notizbuch die Aussage eines amerikanischen Bürgers, die Nominierung des Präsidenten errege die Parteien und Zeitungen, »aber die Masse des Volkes bleibt gleichgültig«.267 Seit längerer Zeit wird auch der egalitäre Impetus der Jacksonian Democracy infrage gestellt.268 Jacksons neue Demokratische Partei war zwar eine Koalition aus Arbeitern, irischen und deutschen Einwanderern, Landarbeitern und Glücksuchern. Dennoch hatte die Bewegung wenig mit den Gleichheitsidealen zu tun, die in der älteren Geschichtsschreibung mit Jacksons Präsidentschaft verbunden wurden. Viele Bevölkerungsgruppen blieben per definitionem draußen. In der Regel dominierten die Reichen und Honoratioren weiterhin die Politik. Die Democrats und mit ihnen in New York die Tammany Hall hatten ganz ebenso wie die konservativen Whigs an ihrer Spitze überwiegend wohlhabende weiße Männer.269 Selbst dann, als Eigentumsqualifikationen schwanden und die Wahlberechtigung auf über 10 Prozent der Gesamtbevölkerung anstieg, partizipierten nur wenige. Bei den Präsidentschaftswahlen 1824 lag die Wahlbeteiligung – die natürlich streng von der Zahl der Wahlberechtigten zu unterscheiden ist – bei 25 Prozent. Auch bei den Wahlen auf der Ebene der Einzelstaaten, die insgesamt auf mehr Interesse stießen, stieg die Beteiligung bis etwa 1840 selten über die Hälfte.270 Damit gingen nur etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung zur Wahl.271 Altschuler und Blumin halten das Jahr 1840 für die Wende hin zu einer gesteigerten politischen Partizipation.272 Bezeichnenderweise fällt dieses Jahr ins gleiche Jahrzehnt wie das europäische Revolutionsjahr 1848, das zu einer enormen Politisierung und

266 Rothman, Flush Times; Verdienst ist auch eines der zentralen Themen in den Briefen der Auswanderer: Helbich u.a.: Briefe aus Amerika. 267 Zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 16. 268 Howe, What Hath God Wrought, S. 4; Tindall/Shi, America, S. 293f., 351; Prince, »Riot Year«, S. 6. 269 Prince, »Riot Year«, S. 12; Burrows/Wallace, Gotham, S. 515; Beckert, Monied Metropolis, S. 81. 270 Keyssar, Right to Vote, S. 40 und 52; Pole, Election Statistics, S. 218f. 271 Collier, American people, S. 27; Keyssar, Right to Vote, S. 40. 272 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 18.

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Wahlrechtserweiterung führte. Doch Altschuler und Blumin warnen zugleich davor, den Demokratisierungsgrad auch von 1840 zu überschätzen. Sie verweisen darauf, dass es gerade die Parteien waren, die nicht nur ein weiteres Wahlrecht einforderten, sondern auch die vielmals trägen Männer zur Partizipation drängten. Zum engeren Kreis der Parteianhänger hingegen zählten ihrer Meinung nach allenfalls 3 bis 7 Prozent der Bevölkerung.273 Für die USA ist es also ähnlich unangebracht wie für Preußen, wenn Theoretiker wie Acemoglu und Robinson erklären, dass politische Partizipationsrechte von unten eingefordert und von oben allenfalls gewährt wurden, um die Beherrschten ruhigzustellen.274 Das wäre ein Interpretationsrahmen, der die Wahlrechtsausübung immer für ein Bedürfnis der Regierten und entsprechend als ein Zugeständnis der Regierenden präsentiert. Macht wird hier negativ und restriktiv gesehen. Doch Macht kann auch produktiv sein. Die Erweiterung des Wahlrechts, so würde ich Acemoglu und Robinson modifizieren, geschah oftmals nicht, um die Massen mit den von ihnen eingeforderten Wahlen zu beruhigen, sondern viel eher, um sie (die für den Staat Relevanten, also die männlichen Besitzer oder Steuerzahler) mit den Wahlen besser einbinden zu können. Die Forschungsdebatte über die Ursachen der Wahlrechtserweiterung lässt sich wohl schlicht deshalb nicht befrieden, weil die Gründe komplex und vielfältig sind.275 In seiner aufschlussreichen Geschichte der Demokratie zeigt Edmund S. Morgan das große Interesse der Eliten an der Idee des Volkes und der »Fiktion« von Volkssouveränität. »Die Berufung auf das Volk«, so Morgan, »kam von oben.«276 Und auch die Politikwissenschaftlerin Ruth Collier plädiert in ihrer vergleichenden Studie dafür, diese dichotomische Sicht zwischen den Interessen der Herrschenden und der Beherrschten aufzugeben. In der ersten Welle der Demokratisierung, die im frühen 19. Jahrhundert begann, hätten die unteren Schichten allerdings 273 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 27–37, 40 u. 46. 274 Acemoglu/Robinson, Economic Origins; vgl. dazu auch den anregenden Blog von Daron Acemoglu und James Robinson: www.whynationsfail.com [2. 2. 2016]; außerdem Przeworski, Suffrage and Voting Secrecy, S. 4; Przeworski, Granted or Conquered?. 275 Geddes, Democratization, Kap. 2 u. Conclus.; Ziblatt, How Did Europe Democratize?, S. 337. 276 Morgan, Inventing the People, S. 148, vgl. auch 42, 49f., 62, 169, 173; Keane, Life and Death, S. 257.

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eine viel geringere Rolle gespielt als gemeinhin angenommen.277 Bei allen wichtigen Unterschieden lässt sich festhalten: Das Wahlrecht war in Preußen ebenso wie in den USA in der ersten Jahrhunderthälfte eher eine Sache der Eliten. Den Nutzen, den die Eliten aus dem Wahlrecht ziehen konnten, nämlich eine aufgeklärte Herrschaftslegitimation und die Disziplinierung und Nutzbarmachung der Individuen, will ich anhand von fünf Themenfeldern konkretisieren: Eigentum und Steuern, Statistik, Sesshaftigkeit und Alter.

Das vermögende Subjekt Im Herzen der Veränderung stand das Eigentum: eine progressive, dynamische, ja revolutionäre Kraft. Denn auch wenn sich die Wahlrechtserweiterung nicht auf eine Formel bringen lässt, so spielt doch zweifellos Eigentum eine zentrale Rolle. Es ist ahistorisch, den Zusammenhang von Eigentum (oder »Kapitalismus«) und Partizipationsexpansion als antagonistische Geschichte zu schreiben, wie es heute zuweilen durch postdemokratisch inspirierte Denker geschieht.278 Gegen massive Kritik279 konnte sich denn auch in den heutigen Sozialwissenschaften und in der Demokratieforschung weitgehend der empirische Befund durchsetzen, dass materieller Wohlstand und Demokratie miteinander korrelieren und ökonomische Prosperität zur Ausbreitung des Wahlrechts beiträgt.280 Ohne die Industrialisierung, die erst den Wohlstandsanstieg ermöglichte, hätte es nicht zu den konkreten Veränderungen kommen können, die um 1800 277 Collier, Paths toward Democracy; zu einem ähnlichen Ergebnis kam 1915 Charles Seymour, Electoral Reform in England and Wales; vgl. auch McCormick, Ethno-Cultural Interpretations, S. 371; Beyme, Demokratie, Sp. 1135. 278 McCormick, Contain the Wealthy; typisch dafür auch die Erzählung zum Wahlrecht von Keyssar, Voting, S. 855; einen Einblick in die Debatte bietet Nolte, Demokratie, S. 426–438. 279 Vgl. dazu Ziblatt, How Did Europe Democratize?, S. 314. 280 Wohlstand als Voraussetzung von Demokratie ist die sogenannte Lipset-These: Lipset, Some Social Requisites; vgl. den hervorragenden Forschungsüberblick von Ziblatt, dem ich viele Anregungen und Hinweise verdanke: Ziblatt, How Did Europe Democratize? Ganz ähnlich im Ergebnis auch der neuere Forschungsüberblick von Geddes, Democratization; Boix, Democracy and Redistribution, S. 2; dazu auch die Arbeiten von Larry Diamond; vgl. auch die Ergebnisse der Bürgertumsforschung Schulz, Wirtschaftlicher Status, S. 258.

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einsetzten und die Logik einer Massenpartizipation immer plausibler erscheinen ließen. »Die Industrielle Revolution ist die gründlichste Umwälzung menschlicher Existenz in der Weltgeschichte, die jemals in schriftlichen Dokumenten festgehalten wurde«, so Eric Hobsbawms Statement.281 In historischer Perspektive wird dabei, zumeist mit Rekurs auf John Locke, die kausale Verknüpfung vom Recht auf Eigentum mit der Wirtschaftsentwicklung betont. »Wirtschaftswachstum gibt es dann, wenn die Eigentumsrechte gesellschaftlich produktive Aktivitäten lohnenswert machen«, so die Interpretation der Ökonomen Douglass North und Robert P. Thomas.282 Dieser Zusammenhang ist auch deswegen wichtig, weil der Schutz des Eigentums zunächst nicht in Abwehr nach unten stattfand, sondern in Abwehr gegen den Fürsten. Dieser sollte keinen unbeschränkten Zugriff mehr auf das bürgerliche Eigentum haben und nicht wie in Frankreich mit einer zerrütteten Ökonomie das Land in den Untergang treiben können.283 Auch deswegen tauchen in den Menschenrechtsproklamationen der Zeit die Freiheitsrechte immer gemeinsam mit den Eigentumsrechten auf.

Das Recht auf den eigenen Körper und die These vom Basal-Respekt Von Bedeutung ist zudem die Verbindung, die in der amerikanischen Bill of Rights von 1791/92 geknüpft wird: »Die Rechte der Individuen auf den Schutz von Person, Wohnung, Schriftstücken und Eigentum vor willkürlicher Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahmung«. Dieser Verfassungszusatz verdeutlicht, dass eine Reduzierung auf Dinge die grundlegende Bedeutung des Eigentumsrechts verkennen würde. Das grundsätzlichste Recht auf Eigentum ist das Recht auf Unversehrtheit des Körpers und damit eng verbunden der Schutz vor Sklaverei, Leibeigenschaft, aber auch vor willkürlichen Verhaftungen. John Lockes Eigentumstheorie gründet eben darauf: »Jeder Mensch hat ein Eigentum an seiner eigenen Person; auf diese hat niemand ein Recht als er selbst.«284 Von daher erklärt sich auch die außerordentliche Bedeutung des englischen Habeas Corpus Act von 1679. Gedanken von der Würde des Individuums und von Partizipation können sich schwerlich entwickeln, wenn Körper einer 281 282 283 284

Hobsbawm, Industrie und Empire, S. 1. North/Thomas, Rise of the Western World, S. 8. Plumpe, Sklaven sind wir alle!. Locke, Zweite Abhandlung, Kap. V, Sec. 27.

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Prügelstrafe unterzogen und Herren die Leiber ihrer Untertanen mit Willkür beherrschen.285 Die existenzielle Macht über den Körper und die tiefe psychische Imprägnierung von körperlicher Gewalt kann wohl nur aus der Beobachterperspektive des wohlhabenden Westens unterschätzt werden. Die Selbstverständlichkeit, mit der die amerikanische Gesellschaft Afroamerikaner vom Wahlrecht ausschloss, wird auch an der geradezu unvermeidlichen Missachtung von Menschen gelegen haben, die nicht Herren ihrer Körper waren. Auch der rätselhaft zähe Ausschluss der Frauen lag wohl nicht zuletzt daran, dass Personen, deren Körper von andern in Besitz genommen werden durften, nur schwer als stimmfähig gedacht werden konnten.286 Die britisch-amerikanische Frauenrechtlerin Mary Gawthorpe begründete ihr Engagement für das Frauenwahlrecht mit der sexuellen Unterdrückung ihrer Mutter und mit dem Entsetzen, das sie als Kind bei der nächtlichen »Schlacht im Bett« ihrer Eltern empfunden habe. Sie selbst wurde bei Demonstrationen für das Frauenwahlrecht schwer verletzt und erhielt vom Staat kein Recht gegen die Täter.287 Meine These ist also, dass für die Integration einer Person in demokratische Prozesse eine minimale, aber grundsätzliche Achtung gegenüber dieser Person gegeben sein muss: ein Basal-Respekt. Um diesen zu ermöglichen, müssen die materiellen Umstände die Achtung vor dem Körper der Person erlauben. Um die Wende zum 19. Jahrhundert eliminierten Regierungen in weiten Teilen der westlichen Welt die Leibeigenschaft und schafften körperliche Strafen ab oder drängten sie doch zurück. Die Folter als Teil juristischer Prozesse galt weithin als obsolet.288 Peter Blickle hat den engen Zusammenhang, den die Menschenrechtserklärungen zwischen Freiheit, Bürgerrechten und Eigentum knüpfen, damit erklärt, dass Menschenrechte immer gegen die (anthropologisch als Unrecht empfundene) Leibeigenschaft postuliert würden. Das Recht auf Eigentum bedeute zuallererst das Recht auf die Verfügung über den eigenen Leib.289 Dieser Zusammenhang zeigte sich auch in der preußischen Städteordnung. Sie entstand in enger Verbindung zum Oktoberedikt von 1807 und zu den folgenden Ge-

285 286 287 288 289

Morgan, Inventing the People, S. 71; Douglass, My Bondage, S. 80–88. Overton, An Arrow Against All Tyrants. Steinbach, Women in England, S. 291; Holton, Gawthorpe. Blickle, Leibeigenschaft, S. 17. Blickle, Leibeigenschaft, S. 17.

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setzen, die die letzten Residuen der Leibeigenschaft aufhoben und der Landbevölkerung weitgehende Freiheiten gewährten.290 Zur Unversehrtheit des Körpers gehört jedoch noch ein anderes: dass Menschen ihr Leben durch Nahrung und ausreichend Besitz an Kleidung und Obdach erhalten können. Lynn Hunt blickt in ihrer Geschichte der Menschenrechte auch auf diese Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die dem Anspruch auf Menschenrechte vorausgehen mussten: »Der Körper wurde um seiner selbst willen ›geheiligt‹, in einer säkularen Ordnung, die auf der Autonomie und Unverletzlichkeit der Individuen beruhte.« »Größere Achtung der körperlichen Integrität«, »klarere Demarkationslinien zwischen den Körpern der Individuen« bezeichnet Hunt als charakteristische Entwicklungen, »eine immer höher werdende Schamschwelle«, »ein steigendes Empfinden für die körperliche Etikette« und: »Die Menschen begannen, alleine zu schlafen oder das Bett nur mit dem Ehepartner zu teilen.«291 Kurz: kein Menschenrecht ohne Obdach, Kleidung und Bett. »In der Praxis sind es stets Dinge«, könnte man mit Bruno Latour sagen, »die ihre ›stählerne‹ Eigenschaft der fragilen ›Gesellschaft‹ leihen.«292 Für die Menschenrechts-Dinge aber bedarf es eines gewissen Wohlstands. Die Abschaffung der körperlichen Formen von Abhängigkeit, die Installierung »leibhaftiger Freiheit« (Peter Blickle) und die Mittel, den freien Individuen ein würdiges Leben in Aussicht zu stellen, all das bedeutete an sich schon eine ungeheuerliche Umwälzung, denn der Bauernstand, »der zahlreichste und wichtigste« (Hardenberg) war davon betroffen.293 Die Masse der Landbevölkerung – rund vier Fünftel der Einwohner – besaß nun die Dignität des freien Individuums. Eine Aufwärtsspirale des Fortschritts (die nicht nur ein Konstrukt der Modernisierungstheorien ist, sondern sich in vielfältigen Variationen empirisch nachweisen lässt) gewann an Dynamik: Die Freiheit der Person und der Schutz des Eigentums ermöglichten, wie North und Thomas gezeigt haben, ökonomische Prosperität, weil sie den Menschen Motive zum wirtschaftlichen Handeln und zur Eigeninitiative ließen. Gleichheit und Würde des Indivi290 Gutachten der Abtheilungen des Staatsraths für das Innere, Berlin, 25. 1. 1830, Rep. 60, Nr. 666, 1824–1836, Bl. 157, LAG ; vgl. Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III ., S. 278f. 291 Hunt, Human Rights, S. 82 u. 29f.; vgl. zu den Dingen des wachsenden Wohlstandes Hufton, Frauenleben, S. 29f. 292 Latour, Eine neue Soziologie, S. 117, vgl. auch 118. 293 Blickle, Leibeigenschaft, S. 17.

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duums sowie Partizipationsmöglichkeiten mögen also wohl als Ideen existiert haben und von Eliten gefördert worden sein. Doch erst nachdem sich ein gewisser Wohlstand ausgebreitet hatte, konnten sich die Ideen in der Praxis manifestieren, indem immer mehr Menschen ein Basal-Respekt entgegengebracht wurde – nicht nur von oben.

Ökonomische Triebfedern der Demokratie Die preußischen Reformer versuchten die neumodischen Ideen in die Tat umzusetzen. Sie kannten die Ideen des schottischen Moralphilosophen Adam Smith, die vor allem über die Universität Königsberg nach Preußen gedrungen waren.294 »Die Sicherheit des Eigentums und der Person«, so ein Mitarbeiter Steins, »[sind] die alleinigen Zwecke des Staates.«295 Antikapitalistische Gegenstimmen ließen nicht auf sich warten: Leopold von Gerlach, der kluge Militär und konservative Vertraute Friedrich Wilhelms IV., sprach von den »unnatürlichen Eroberungen, die das privateste Eigenthum macht«; die Liberalen würden ihm keine Schranken mehr entgegensetzen und entsprechend schlimm sei die Armut angewachsen.296 Tatsächlich mündeten die neuen Eigentumskonzepte nicht unmittelbar in wachsendem Wohlstand. Der schnelle Anstieg der Bevölkerung seit Beginn des 19. Jahrhunderts (in Preußen bis zur Jahrhundertmitte um knapp 100 Prozent) führte zunächst zur Verelendung von Bauern- und Handwerkerfamilien, ein Phänomen, das vielfach mit dem Begriff »Pauperismus« umschrieben wurde.297 Die Spannungen, die dann aus dem neuen Anspruch auf individuelle Würde einerseits und dem neuen Elend andererseits resultierten, waren gewiss eine der Ursachen für die revolutionären Explosionen in der Jahrhundertmitte. Eigentum und ein relativer Wohlstand bilden also eine Grundlage, ohne die menschliche Würde vielleicht gedacht, aber kaum praktiziert werden kann. Sie entfachen aber selbst darüber hinaus noch eine bemerkenswerte demokratisierende Dynamik. Mindestens vier ökonomische Triebfedern zur Demokratisierung lassen sich durch Eigentum ausmachen: Erstens verlieh der flexible Besitz Macht – und zwar unabhängig von Geburt und Stand. Tocqueville waren diese Zusammenhänge klar: »Der 294 295 296 297

Plumpe, Lob der Preußen. Zitiert nach Nolte, Staatsbildung, S. 59. Eintrag vom 30. März 1845, Gerlach, Denkwürdigkeiten, S. 107. Marschalck, Bevölkerungsgeschichte, S. 27–30.

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Handel wird eine neue Quelle der Macht, und die Finanzleute werden eine politische Größe.«298 Die preußischen Reformer insistierten immer wieder auf Eigentum und Leistung als die entscheidende Qualifikation im Gegensatz zur adligen Geburt. »Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt«, kommentierten 1848 Marx und Engels, und »alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen […]. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt.«299 Da der moderne Staat mehr und mehr Aufgaben übernahm und finanzieren musste, wurde für ihn ein regelrechtes Steuerwesen immer bedeutsamer. Als neuer Leistungsträger erwies sich das Bürgertum, dessen Normen von Leistung, Kultur, Familie und Geselligkeit den Adel, aber auch die Bauern und weite Teile der Unterschichten zunehmend prägten und die Gesellschaft veränderten. Aufgrund ihrer gewonnenen Macht klagte die kleine Schicht des vermögenden Bürgertums zweitens vielmals (nicht immer) ein Mitbestimmungsrecht ein, und zwar deshalb, weil sie ein Interesse daran hatte, was mit ihrem Eigentum und ihren Steuern passierte.300 »Das, was alle Actionärs der Gesellschaft betrifft müssen alle Actionärs auch wissen«, hieß es 1820 im Brockhaus.301 Die Prominenz der Forderung: »No taxation without representation« bringt diese Idee zum Ausdruck. John Keane zeigt, wie wichtig für die Regierenden das Vertrauen der Bürger war, um an deren Gelder zu gelangen.302 Vertrauen jedoch ließ sich am besten durch Transparenz und Mitbestimmung gewinnen. Das Edikt vom 27. Oktober 1810 über die Finanzen des preußischen Staates proklamierte das Ziel, »das Münzwesen auf einen festen Fuß zu setzen, so wie Wir Uns vorbehalten, der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Repräsentation sowohl in den Provinzen als für das Ganze zu geben«.303 Noch im gleichen Jahr führte 298 Tocqueville, Demokratie, S. 6. 299 Marx/Engels, Manifest; vgl. Stamm-Kuhlmann, Pommern, S. 371. 300 Vgl. zur Hoffnung auf den erzieherischen Effekt von Besitz Beecher, Universal Suffrage, S. 6. 301 Zitiert nach Vogel, Gewerbefreiheit, S. 120. 302 Keane, Life and Death, S. 172f. u. 249f.; vgl. auch Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 110f. 303 Zitiert nach Rumpf, Gesetze wegen Anordnung, S. 1.; vgl. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 120f.

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Preußen die Gewerbefreiheit ein, auch wenn viele grundlegende Reformen ausblieben. Drittens aber wurden die besitzenden Bürger für die moderne Staatsmacht nicht nur als Steuerzahler interessant, sondern sie konnten von den Herrschenden schlicht nicht mehr ignoriert werden. Das lag nicht nur an dem Basal-Respekt, der sie als Menschen unter Menschen würdigte, sondern auch daran, dass die Bürger immer gebildeter wurden. Die Regierenden konnten einen Sklaven oder einen leseunkundigen Landarbeiter schwerlich als politisches Subjekt in Betracht ziehen. Insgesamt rührt die politische Irrelevanz des platten Landes auch von der geringen Bildung der Bewohner. Ganz anders stellte sich die Situation mit alphabetisierten Untertanen dar, die womöglich sozialistische, liberale, nationalistisch- oder pietistisch-egalitäre Flugblätter lasen. Hardenberg wusste genau um die Bedeutung der »öffentlichen Meinung« in einem modernen Staat und trug 1819 zur Gründung eines offiziellen Regierungsblattes bei, der Preußischen Allgemeinen Staatszeitung.304 1846 dann hieß es im Staats-Lexikon von Rotteck und Welcker über die Realisierbarkeit von Demokratie: »Mit Recht mögen wir aber jetzt in der Erfindung der Druckerpresse und in der unermeßlichen Zunahme des literarischen Verkehrs, wodurch das Forum und die Volkstribüne wenigstens theilweise ersetzt, wodurch die Anregung und Belehrung in Bezug auf alle öffentlichen Angelegenheiten bis in das Haus des Bürgers gebracht werden, die Bedingung erblicken, wonach das häusliche Leben mit dem öffentlichen von Neuem in engere organische Verbindung gebracht und die allgemeine politische Freiheit, ohne die Sklaverei eines Theils der Bevölkerung, begründet werden kann.«305 Zusammen mit den USA gehörte Preußen im 19. Jahrhundert zu den Ländern mit der höchsten Alphabetisierungsrate. Viertens schließlich versetzte erst der wachsende Wohlstand die Menschen in die Lage, Politik in einem modernen Staat zu betreiben (um hier einem weiteren modernisierungstheoretischen Argumentationsstrang zu folgen). Denn Wohlstand ermöglicht die für eine komplexe Demokratie essenzielle Infrastruktur. Dazu gehören Schulen und damit Bildung, die wiederum die Voraussetzung für Lesefähigkeit sind und die Möglichkeit

304 Nolte, Staatsbildung, S. 37f. 305 Schulz, Demokratie, S. 707f.

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bieten, sich zu informieren.306 Außerdem bedarf es eines gewissen Kapitals, um politische Zeitungen zu produzieren, die für eine kritische Öffentlichkeit unabdingbar sind. Ebenso wichtig ist aber ein Leben, das neben der Arbeit genug Mußestunden lässt, um sich politischen Diskursen widmen zu können. All das hatten die Zeitgenossen im Blick, weswegen sie nur den Besitzenden Unabhängigkeit und ein vernünftiges Urteil zutrauten (»Selbständigkeit«, wie der Terminus im 19. Jahrhundert hieß). Diesen Aspekt hoben auch die französischen Regulierungen nach der Revolution hervor und dämpften 1795 mit einem hohen Zensus die demokratischen Ansprüche. Die 1814 eingeführte Charte constitutionelle sah das Wahlrecht sogar nur für die 110000 reichsten Steuerzahler vor.307 Das Argument der notwendigen Voraussetzung der »Selbständigkeit« trug schließlich zum preußischen Dreiklassenwahlrecht bei, das von Frankreich über den Südwesten und das Rheinland nach Preußen kam.308 Bis ins 20. Jahrhundert blieb das Problem der »Selbständigkeit« ein Problem des Wahlrechts und der Reformdebatten.309 Auch wenn bereits eine (noch recht leise) Stimme für Gleichheit jenseits von Eigentum und für ein Wahlrecht als »ursprüngliches Recht«, ja als ein Menschenrecht zu hören war,310 so galt doch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weithin die Logik des Besitzes. Der französische Revolutionsdenker Sieyès erklärte: Die Steuerzahler seien die »eigentlichen Aktionäre des großen gesellschaftlichen Unternehmens. Sie allein sind die wahren Aktivbürger, die wahren Glieder der Gesellschaftsverbindung«.311 Den deutschen Liberalen wie Carl von Rotteck oder David Hansemann wäre es ohnehin nicht in den Sinn gekommen, die Abschaffung des Zensus zu fordern.312

306 Zur Ausbreitung der Zeitungen durch Wohlstand: Mellies, Modernisierung, S. 237–261 u. 336. 307 Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 14; Rapport, Revolution, S. 14; vgl. Rosanvallon, Le Sacre du citoyen, S. 55–68. 308 In Württemberg gab es seit 1819 ein Klassenwahlrecht; Instruktion des Ministeriums des Innern wegen des Wahlgeschäfts, Stuttgart, 6. 12. 1819, § 6, Art.2, in: Verfassungen in Deutschland. 309 Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 9f.; vgl. dazu auch Mettele, Köln, S. 282–286. 310 Vgl. dazu historisch Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 9f. 311 Emmanuel Joseph Sieyès, Préliminaire de la constitution française, Paris 1789, http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k41690g [1. 2. 2017]. 312 Botzenhart, Parlamentarismus, S. 35f. u. 68–99.

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These vom Wohlstandssockel Der Zusammenhang von Eigentum, Wohlstand und Demokratisierung wird in der Forschung intensiv diskutiert. Der Politikwissenschaftler Carles Boix erklärt den Zusammenhang von Eigentum und politischer Partizipation damit, dass der Wohlstandsanstieg eine Verringerung der Ungleichheit bedeute. Erst ab einer gewissen sozialen Kongruenz seien Eliten bereit, Macht abzugeben, weil dann der materielle Verlust, der durch die erweiterten partizipatorischen Rechte bevorstehe, weniger dramatisch ausfallen werde.313 Ähnlich wie Acemoglu und Robinson geht auch Boix von dem grundlegenden Wunsch der Menschen nach Partizipation aus. Er übersieht dabei die gouvernementalen Interessen der Eliten an breiteren Partizipationsrechten. Außerdem entwickelten sich in den industriellen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts Demokratisierung und Ungleichheit geradezu parallel. Zuletzt hat Thomas Piketty gezeigt, wie die Ungleichheit im 19. Jahrhundert zunahm und vor dem Ersten Weltkrieg einen seither nie wieder erreichten Höhepunkt erklomm.314 Auch Boix ließe sich daher modifizieren: Die Wahlrechtserweiterung hängt womöglich weniger mit der abnehmenden Ungleichheit zusammen. Wichtiger ist wohl ein gewisser Wohlstandssockel für alle, der auch bei anhaltender oder wachsender Ungleichheit Bildung und politisches Engagement in der Breite erlaubt. Untersuchungen mit großen Datenmengen über Demokratieentwicklungen weltweit geben keine eindeutige Antwort, welche Rolle die Ungleichheit spielt. Aus historischer Perspektive jedenfalls erscheint die Wohlstandssockelthese plausibler.315 Eigentumsqualifikation: Grundbesitz und Steuern Eigentum prägte weiterhin die Geschichte der Demokratie. So wurden ständische Qualifikationen nicht durch Ideen einer absoluten Gleichheit abgelöst, sondern durch Eigentumsqualifikation.316 Dabei blieb »Eigentum« zunächst eng mit »Grundbesitz« verbunden, denn zu Grund und Boden gehörten häufig politische Rechte, wie etwa in Preußen die Patrimonialgerichtsbarkeit. Mit Grundbesitz verband sich die Vorstellung von

313 314 315 316

Boix, Democracy and Redistribution. Piketty, Kapital. Vgl. zu dem Forschungsüberblick Geddes, Democratization. Wienfort, Preußen, S. 968; vgl. Stollberg-Rilinger, Vormoderne politische Verfahren.

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angestammten Eliten.317 Große Landflächen bildeten eine politische Qualifikation jenseits der Person, die auf Adel, Geburt oder auch old money abzielte – und eine eher ständische Auffassung des Wahlrechts signalisierte.318 Die progressiven Denker der damaligen Zeit erkannten, wie wichtig die Loslösung von altangestammtem Grundbesitz war, um die neuen Klassen ins Staatsgeschehen einbinden zu können: Carl von Rotteck etwa sah in »den Besitzern des beweglichen Vermögens« und in den »Industriellen« Repräsentanten des »demokratischen Elements« im Staate.319 Und Tocqueville erklärte: Das »auf andere Weise als durch Feudalbesitz« erworbene Grundeigentum, vor allem »das bewegliche Eigentum«, sei es letztlich, das »Einfluss verschaffte und Macht verlieh«.320 Edmund Burke registrierte das ebenfalls. Doch während Rotteck die »Regsamkeit, Bildungs- und Entwicklungslust« dieses Besitzbürgertums positiv beurteile, sah Burke mit Sorge, dass die neuen »Geldbesitzer« (monied interest) abenteuerlustig seien und »gegen alles, was Neuerung heißt, weniger abgeneigt. Daher werden die, welche sich nach Veränderungen sehnen, allemal ihre Zuflucht am ersten zu den Geldbesitzern nehmen.«321 Dabei bedeutete bereits die Grundbesitzqualifikation eine gewisse Ablösung des Geburtsprinzips. Denn sie konnte die adlige Geburt beim Wahlrecht ausstechen, wenn beispielsweise im Vormärz ein Adliger mit dem Verlust seines Rittergutes auch sein Stimmrecht verlor – und ein Nichtadliger mit Erwerb des Gutes das Wahlrecht gewann. In der »Anweisung zur Wahl der Landtagsabgeordneten und Stellvertreter des ersten Standes in Neuvorpommern und dem Fürstenthum Rügen« hieß es 1823, dass Grundeigentum Voraussetzung für das Wahlrecht sei, jedoch: »Adeliche Geburt der Rittergutsbesitzer wird nicht gefordert.«322 Bis 1848 ge317 Teilweise galt als Grundbesitz nur, wenn er bereits seit zehn Jahren im Besitz war, Wienfort, Preußen, S. 968; vgl. auch Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 6; vgl. zum Bayerischen Wahlrecht im Vormärz, das Grundbesitzern die erste von fünf Wahlklassen einräumte: Brandt, Konstitutionalisierungswelle, S. 835. 318 Nolte, Demokratie, S. 176. 319 Rotteck, 1839, zitiert nach Meier u.a., Demokratie, S. 875. 320 Tocqueville, Demokratie, S. 7. 321 Rotteck, 1839, zitiert nach Meier u.a., Demokratie, S. 875; Burke, Betrachtungen, 179f. 322 Anweisung zur Wahl der Landtagsabgeordneten und Stellvertreter ersten Standes in Pommern, § 1, Rep. 60, Nr. 396, Wahl der Landtags-Abgeordneten I. Standes im Herzogtum Pommern und Fürstentum Rügen, 1823–1852, Bl. 40, LAG ; vgl. auch Wienfort, Preußen, S. 968.

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langte dank der Reformen ein Drittel der ostelbischen Rittergüter, mit denen sich eine besonders starke rechtliche Stellung verband, in die Hand von Nichtadligen.323 Dennoch zeigen zahlreiche Studien, dass Ungleichheit durch unflexibles Kapital wie Landbesitz zementiert wird. Grundbesitz untermauert familiäre und vormoderne Vertrauensnetzwerke (trust networks, wie Charles Tilly das nennt): Die Loyalität gilt dem Landbesitzer und kann sich somit nicht dem Staat zuwenden. Die Auflösung der alten Bodenordnung war daher für die Entwicklung eines Zentralstaates unabdingbar. Er brauchte den Zugriff auf das Territorium, und nationale Selbstvergewisserung bezog sich immer stärker auf den nationalen »Identitätsraum«.324 Die Zeitgenossen erkannten die Sprengkraft, die in einer Flexibilisierung des Grundeigentums lag. In seiner Rigaer Denkschrift erklärte Hardenberg offen, da eine »völlige Gleichheit« hinsichtlich der Abgaben auch für den Adel geboten sei, müssten die Privilegien für den Grundbesitz abgeschafft werden; mit den »befreiten Grundstücke[n]« würde sich »eine neue, reiche Quelle für die Staatseinkünfte eröffnen«.325 Die preußischen Reformer setzten sich also nicht nur für die Liberalisierung des Bodenbesitzes ein, sondern auch für die Loslösung politischer Rechte vom Landbesitz.326 Grundbesitzqualifikation förderte eben nicht den Staatsgedanken, wie Konservative später oft behaupten würden, im Gegenteil: Grundbesitzer sahen sich wie in Pommern oft als Verfechter staatsunabhängiger Obrigkeit.327 In Preußen entzündete sich die konservative Bewegung im Vormärz bezeichnenderweise in Pommern, und zwar aus Protest gegen die »Mobilisierung des Grundeigentums« und gegen die Entkoppelung von politischen Rechten und Grundbesitz.328 Tatsächlich gelang es den Konservativen, die Entwicklung zu verlangsamen. Sie brachten das progressive Gendarmerie-Edikt Hardenbergs von 1812, das eine rationale Neuaufteilung des Territoriums bezweckte, in weiten Teilen zu Fall und verhinderten damit die direkte staatliche Kontrolle über das Land.329 1848 räumte der 323 Bowman, Masters & Lords, S. 58; vgl. auch Buchsteiner, Großgrundbesitz; Obenaus, Verfassung, S. 48f. 324 Maier, Consigning the Twentieth Century; vgl. Kap. 1. 325 Hardenberg, Rigaer Denkschrift. 326 Nolte, Staatsbildung, S. 63. 327 Lancizolle, Königthum und Landstände. 328 Zitiert nach Frie, Marwitz, S. 278; Mellies, Modernisierung, S. 280 329 Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 57f.

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Gutsbesitzer Ernst von Bülow-Cummerow ein, die Tendenz verlange vom »aufgeklärten Staatsmann«, sich »vollkommen mit dem Prinzip einer gewissen Gleichheit der Rechte aller Einzelnen einverstanden« zu erklären, doch auch wenn jeder wählen dürfe – es müsse der Grundbesitz entschieden bevorzugt werden.330 Die Konservativen in Pommern wachten darüber, dass auf kommunaler und Kreisebene nicht das ominös französische, aus dem Rheinland dräuende Zensuswahlrecht Einzug hielt, sondern der Grundbesitz als Qualifikation erhalten blieb.331 Eine Reformkommission aus Berlin zeigte 1853 Verständnis und bejahte, »daß in Pommern das Stimmrecht in der Gemeinde stets von dem Grundbesitz abhängig sein soll«; gerechtfertigt sei dies »durch die einfachen Verhältnisse, die in Pommern überall bestehen«.332 Das moderne Reichstagswahlrecht würde dann all diese Klammern zur alten Welt übergehen, Grundbesitzer und Landarbeiter würden mit gleicher Stimme wählen, und oft genug entschieden sich die Bauern gegen den kandidierenden Grundherrn, oft wählten sie gegen das große Geld.333 Dabei kann die Demokratie-Untauglichkeit, die sich in Landbesitzergesellschaften wie in Pommern und South Carolina beobachten lässt, ebenfalls mit dem Wohlstandssockel-Modell erklärt werden: Diese unflexiblen, in vielerlei Hinsicht quasiständischen Gesellschaften blockierten einen angemessenen Wohlstandsanstieg in den unteren Schichten und verhinderten damit lange Zeit die Wahlrechtsausbreitung. Anders als in den Nordstaaten Amerikas und den südwestdeutschen Staaten musste daher in diesen heterogenen Gesellschaften das moderne Wahlrecht vielfach von außen gegen die lokalen Eliten oktroyiert werden. In Preußen war 330 Bülow-Cummerow, Wahlen, S. 10 u. 16–18. 331 Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 9f.; Wienfort, Preußen, S. 974; vgl. Entwurf einer Instruktion einer Kreisordnung, 13. 12. 1872, Rep. 66a, Nr. 5, LAG ; Rapport, Revolution, S. 14; vgl. auch Wehler, Kaiserreich, S. 53; vgl. dazu auch die einliegenden statistischen Nachrichten zu dem Entwurf der Kreis-Ordnung für die sechs östl. Provinzen, Stettin, 14. 4. 1860, Rep. 60, Nr. 77, Bl. 207, LAG ; Abschrift Präsident, i.V. gez. Steinecke, Königl. Ansiedlungs-Kommission, an Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu Berlin, Posen, 10. 4. 1899, I. HA Rep. 90, Nr. 3248, GStA PK . 332 Bericht der fünften Commission über die sechs Gesetz-Entwürfe zur Regelung des Gemeindewesens auf dem platten Lande, Erste Kammer, No 160, 14, Berlin, 28. 2. 53, Rep. 65e, Nr. 1646, Bl. 44, LAG . 333 Margret Anderson nennt dafür zahlreiche Beispiele (Anderson, Practicing Democracy).

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die Zentralmacht stark genug, um nach und nach die Massenpartizipation zu erzwingen: 1808 die preußische Städteordnung mit einem niedrigen Zensus, 1848 das allgemeine Männerwahlrecht, 1867/69 dann das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht. Die Zentralmacht in Washington hingegen hatte weit weniger Interventionsmöglichkeiten als Berlin, und so blieben trotz aller Bemühungen in Form von Zusatzartikeln in der Verfassung und Truppeneinmarsch in der Zeit der Reconstruction die African Americans bis in die 1960er Jahre ausgeschlossen. Die Kräfte, die Partizipation weiterhin an Grundbesitz binden wollten, fanden sich nicht nur in ländlichen und im Ruf der Rückständigkeit stehenden Gebieten wie Pommern oder South Carolina. In England blieben die Regulierungen des strict settlement erhalten, die Grundbesitz an Adelsfamilien knüpften. Grundbesitzer besaßen auf der Insel bis zum Vorabend des Weltkrieges ein privilegiertes Wahlrecht. In den USA verlangten zunächst sieben der dreizehn Gründungsstaaten Grundbesitz als Wahlvoraussetzung. Alte Grundbesitzerfamilien, gerade auch aus dem Süden, dominierten die Politik auf föderaler Ebene. Zur englischen Tradition des Wählers als Christian white men of property (Christopher Collier) schien zu Beginn des Jahrhunderts auch in der Neuen Welt keine Alternative denkbar, und in Amerika ging die Forderung nach Gleichheit der Vermögenden mit der Missachtung der Armen Hand in Hand.334 Noch in den 1840erJahren konnten die Grundbesitzer in Rhode Island allen Angriffen und einem Aufruhr zum Trotz ihre privilegierte Stellung halten und fanden sich bei einer Verfassungsänderung nur bereit, das Wahlrecht auf Steuerzahler, Vermögende und Männer mit besonders langem Aufenthalt auszudehnen.335 Freilich gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen großem Grundbesitz und dem Landbesitz des kleinen Mannes. Während in Pommern im Vormärz schätzungsweise 100000 preußische Kleinbauern ihren Grundbesitz verloren und sozial in die Reihen der landlosen Landarbeiter abstiegen,336 fand sich in den USA – neben dem Großgrundbesitz – ebenso wie in anderen agrarischen Staaten wie etwa Württemberg eine breite Masse von kleinen besitzenden Bauern. Einige Quadratmeter Grundbesitz und damit der Stand eines freeholders war für weiße Männer in den USA re334 Collier, American people, S. 19; Morgan, Inventing the People, S. 103f. 335 Keyssar, Right to Vote, S. 72–75. 336 Rapport, Revolution, S. 46.

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lativ leicht zu erwerben, und in immer mehr US -Staaten bedeutete dieser Status das Wahlrecht.337 Die eigene Scholle weckte das Gefühl von Gleichheit und Unabhängigkeit.338 Thomas Jefferson hatte diese hart arbeitenden freien Bauern im Blick, wenn er von »Volk« sprach: »Die Menschen, die das Land bearbeiten, sind Gottes erwähltes Volk.«339 Diese Unabhängigkeit war, wie sich gerade bei amerikanischen Wahlen erweisen sollte, mehr Klischee als Wirklichkeit, denn die Yeomen in den USA waren bekannt für ihre Abhängigkeit und Bestechlichkeit. Doch war die Unabhängigkeit ein wirkmächtiges Klischee, das im Umkehrschluss die besondere Angreifbarkeit des landlosen Mannes forcierte, sodass man diesem nur zögerlich ein Wahlrecht zugestehen mochte.340 Als South Carolina allen weißen Männern das Wahlrecht einräumen wollte, schuf es eine geniale Hintertür zur Privilegierung der Landbesitzer: Wer 50 Acre Land besaß durfte unabhängig von seiner Residenzdauer wählen – ein wichtiges Gesetz in einem so mobilen Land wie den USA . Mit der Zunahme der Wahlberechtigten und dem tumultuarischen Anstieg der Wahlbeteiligung spielte der Landbesitz bei der Stimmabgabe eine neue gewichtige Rolle: Die Kandidaten statteten ihre Anhänger im Vorfeld mit dem geforderten Landbesitztitel aus (titles of fifty acres of land), sodass diese an der Wahl teilnehmen konnten.341 In sieben Südstaaten, darunter South Carolina, wurde die Anzahl der Abgeordneten und damit die Gewichtung der Stimmen mit einer Formel bestimmt, die sich an der Steuerleistung orientierte.342 Noch 1849 bestätigte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Prozess Luther vs. Borden grundsätzlich Steuer- oder Eigentumsqualifikationen.343 Nicht zuletzt mithilfe von Eigentumsqualifikationen versuchten neben den Südstaaten auch einige Nordstaaten nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865, die 337 Greene, »Slavery or Independence«, S. 18 u. 33. 338 Wilentz, Suffrage Reform, S. 32; Howe, What Hath God Wrought, S. 37; vgl. dazu auch die Ansicht von Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn in Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 21. 339 »What Did Lincoln Really Think of Jefferson?«, NY T, 4. 7. 2015; vgl. Keyssar, Right to Vote, S. 10. 340 Morgan, Inventing the People, S. 154–165. 341 John Danelson’s affidavit, 16. 10. 1834, u. weitere Zeugenaussagen in S165013, Box 100, Misc. General Assembly 062, SCDAH . 342 Bowman, Masters & Lords, S. 152. 343 Keyssar, Right to Vote, S. 29, 71–76; vgl. auch Congressional Quarterly, Presidential Elections, S. 79f.; Keyssar, Right to Vote, S. 34f., 40f. u. 71; Bernheim, Ballot in New York, S. 132.

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egalitären Geister loszuwerden, die sie gerufen hatten. »Den Männern von Verstand gehört mit Sicherheit in jedem Land der Großteil des Besitzes, und mit gleicher Sicherheit werden sie zu den einzigen Machthabern des Landes, wenn man die Angelegenheiten jemals bis zum Letzten treiben sollte«, erklärte die Atlantic Monthly 1879 ihre Vorschläge, die Rechte der Wählermassen einzuschränken.344 Rhode Island beharrte darauf, dass Ausländer Grundbesitz im Wert von 134 Dollar aufweisen mussten,345 und verlangte bis 1928 eine Eigentumsqualifikation.346 In Preußen entschied die Steuerleistung nicht nur auf Landesebene über das Wahlrecht, sondern in noch stärkerem Ausmaß auch bei den Kommunalwahlen bis zum Ersten Weltkrieg.347 Der Steuerzensus aber, der häufig die Bodenbesitzqualifikation für das Wahlrecht ablöste und im 19. Jahrhundert vielerorts das Wahlrecht dominierte,348 führte einen oft übersehenen Paradigmenwechsel herbei: Er war erstens von keinem ständischen Gedanken getrübt, zweitens schrieb er das Wahlrecht dem Individuum zu, drittens zählte nur die Leistung des Individuums für den Staat, und viertens verstärkte er die dynamische Kraft des Kapitalismus im Staatsgeschehen. Kurz: Der Steuerzensus war ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichheit. Der preußische König hatte es 1809 dem Oberpräsidenten Sack in einem Befehl »zur Pflicht gemacht«, nach der Organisation der neuen Städteordnung »mit Regulirung einer Einkommensteuer vorzugehen«.349 Der Jurist Lancizolle kommentierte degoutiert: die Städteordnung lege »ein höchst ausgedehntes (wohl nicht ungefährliches) Besteuerungsrecht über die Einwohner«.350 Auch hier war das konservative Misstrauen angebracht, denn die Indienstnahme des Eigentums für den Staat richtete sich immer gegen die Privilegienwirtschaft der Aristokratie. Der »Zusammenhang der Finanzgesetze mit den Reformen auf den anderen Gebieten [ist] leicht erkennbar«, erklärte in der Kaiserzeit ein Historiker, der die Akten des Staats»Limited Sovereignty in the United States«, Atlantic Monthly 43, Feb. 1879, S. 186. Foner, Reconstruction, S. 447 Beckert, Democracy and its Discontents, S. 151. Vgl. Kap. 5.2.; vgl. Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 44–47. Daum, Verfassungsgeschichte, S. 97; Vogel/Schultze, Deutschland, S. 196. Immediatsbericht des Staatsminister von Altenstein, Königsberg, 9. Mai 1809, Granier, Berichte, S. 438. 350 Lancizolle, Königthum und Landstände, S. 525 u. 342f., vgl. auch S. 135, 320 u. 346. 344 345 346 347 348 349

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Bindung des Wahlrechts an Eigentum- und Steuerqualifikationen in den USA , 1790–1855

ministeriums gesichtet hatte: »Der Freistellung des Individuums entspricht die allgemeine Personensteuer, der Freigabe der Gewerbe seitens des Staates, die Gewerbesteuer, der Aufhebung der an Grund und Boden haftenden Eigenthumsbeschränkungen, die Grundsteuer«; und weiter: die »auf dem Gebiete der inneren Verwaltung sich Bahn brechenden Prinzipien des self governments finden bei der Steuerverfassung […] ihre Verwirklichung«.351 Für die Reformer in Preußen war der Zensus wie in den USA primär kein Exklusionsinstrument. Vielmehr sollte er so niedrig sein, dass die unterbürgerlichen Schichten eine reale Aussicht auf Erlangung des Wahlrechts hatten. Grundsätzlich gingen die Frühliberalen von aufklärerischen Gleichheitsidealen aus, auch wenn die Gleichheit ein Zukunftsversprechen war, für das noch einige Erziehungsarbeit zu leisten sei.352 Die noch nicht Gebildeten und die nicht »Selbständigen« sahen Reformer als leichte Beute für Korruption, weshalb sie von politischem Einfluss ferngehalten werden sollten. Der britische Jurist William Blackstone hatte 1760 diese Wahlrechtsqualifikation mit den Worten begründet, dass »solche Perso351 Dieterici, Steuer-Reform in Preußen, IV. 352 Schulz, Demokratie, S. 709; Langewiesche, Republik, S. 540f.

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nen auszuschließen sind, deren Lebensumstände so elend sind, dass man davon ausgehen muss, sie hätten keinen eigenen Willen«.353 Als sich 1819 mit Hardenberg eine Verfassungskommission für Preußen bildete, hieß es in der Kabinettsordre: »Eine ständische Verfassung, an der die ganze Nation theilnehmen soll, setzt freye Eigenthümer in allen Ständen voraus.«354 Bei der Begründung des Dreiklassenwahlrechts hieß es dann im Bericht der Verfassungskommission 1849, man müsse »die Wahl nicht nur als ein Recht, sondern vom Standpunkte des Gesammtwohl aus auch als eine Pflicht betrachten«. Die Fähigkeit zur Pflichterfüllung aber ließe sich am besten über die Steuerleistung erkennen.355 So setzte sich in der ersten Jahrhunderthälfte allmählich der Steuerzensus durch, auch in den meisten anderen deutschen Staaten. Unterschichten, zu denen in der Regel die ländliche Bevölkerung gehörte, blieben weltweit zunächst ausgeschlossen.356 In Pommern aber beendete erst die Reform der Kreis- und Provinzialordnung in den 1870er-Jahren den Anachronismus der Grundbesitzqualifikation, indem nun für die Provinziallandtage auch die Großgrundbesitzer ausschließlich über ihre Steuerleistung definiert wurden.357 Selbstverständlich kam es im Laufe dieser Entwicklung zu Überschneidungen und hybriden Formen. Für Korsika zeigt der Historiker Jean-Louis Briquet, wie das moderne Wahlrecht zunächst mit patriarchalischen Herrschaftsformen verknüpft wurde und adlige Grundbesitzerfamilien im 19. Jahrhundert ihre Sprösslinge in republikanische Ämter wählen ließen. Und auch das in vielerlei Hinsicht ungleiche Wahlrecht in den Südstaaten Amerikas oder das preußische Dreiklassenwahlrecht sind solche Mischformen zwischen Vormoderne und Moderne. Die starke Verknüpfung des Wahlrechts mit Eigentum sowohl in den USA als auch in Preußen zeigt, wie wichtig die strukturellen, ökonomi-

353 Blackstone, Commentaries on the Laws of England, Bd. 2, S. 42. 354 Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 100f. 355 Ausschuss für Verfassungsrevision, Drucksache Nr. 237, 13. 10. 1849, I HA Rep. 169 C 80, Nr. 1, Bl. 17, BA . 356 Kellmann, Deutsche Staaten, S. 937f.; Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 14. 357 Fenkse, Verwaltung Pommerns, S. 46; Mellies, Modernisierung, S. 286f. In Pommern behielten allerdings oft genug die Großgrundbesitzer das Heft in der Hand, weil sie häufig zu Abgeordneten gewählt wurden (Mellies, Modernisierung, S. 287).

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schen Entwicklungen waren. Zugleich wird deutlich, wie eng sie sich mit ideellen Vorstellungen verbanden. Selbstbewusste, partizipationsfähige, egalitäre Bürger waren ohne Eigentum nicht vorstellbar. Wie in den Vereinigten Staaten hielten daher auch in Preußen die staatstragenden Eliten, die von nationalen Idealen überzeugt waren, eine Partizipation der Besitzenden für richtig. Doch während es sich dabei in den USA um die gesamte Oberschicht handelte, war es in Preußen zunächst nur die kleine Reformelite. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erkannten auch Hochkonservative, wie nützlich Wahlen auch zur Disziplinierung der Massen sein konnten.

Der statistisch Erfasste 1820 war es den preußischen Behörden nach jahrelangem Vorlauf endlich gelungen: Mit monströsen rechnerischen und statistischen Mühen, die zum Aufblühen einer professionellen Bürokratie beitrugen, richtete der Staat eine den ganzen Volkskörper durchdringende Steuerverwaltung ein.358 Nicht zuletzt die Notwendigkeit, systematisch Steuern einzutreiben, ließ im 19. Jahrhundert auch in den anderen modernen Staaten bürokratische Herrschaft immer unverzichtbarer werden.359 Dabei ist die Technik zur Erfassung des nützlichen Individuums nicht ohne eine Hilfsdisziplin vorstellbar, die sich in dieser Zeit entfaltete: die Statistik. »Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert des Zählens und Messens«, so Jürgen Osterhammel. »Erst jetzt steigerte sich die Idee der Aufklärung, die Welt vollständig beschreiben und taxonomisch ordnen zu können, zum Glauben an die wahrheitserschließende Kraft der Zahl.«360 Statistik (von lateinisch »statisticum« – den Staat betreffend) galt als ein Staatsunterfangen, als »Lehre von den Daten über den Staat«.361

358 Wienfort, Preußen, S. 987f.; vgl. zu den anderen deutschen Staaten Brandt, Konstitutionalisierungswelle, S. 871. 359 Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 181; Gehrmann, Bevölkerungsgeschichte, S. 38–50. 360 Osterhammel, Verwandlung, S. 62. 361 Behrisch, Vermessen; Gehrmann, Bevölkerungsgeschichte, S. 38–50.

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Modernes Paradox: die Masse der autonomen Individuen Statistik wurde zum wegweisenden Instrument im Umgang mit einem modernen Paradox: Moderne Herrschaftspraxis musste einerseits das Individuum in den Blick nehmen, andererseits aber wegen der Gleichheitsforderung die Individuen in einer bisher kaum vorstellbaren Masse erfassen.362 Denn wenn jedes Individuum zählte und gleich war (und nicht nur einige privilegierte), führte dies in der Konsequenz zur Vermassung. Hinzu kam, dass die Vielen auch quantitativ zulegten: Preußen hatte 1816 10,4 Millionen Einwohner, bis 1865 verdoppelte sich die Bevölkerung. In den USA lebten 1820 10 Millionen Menschen, 1870 hatte sich die Anzahl auf 40 Millionen vervierfacht.363 Die großflächigen, bevölkerungsreichen Territorialstaaten schienen nur noch in Zahlen fassbar und über Statistik integrierbar. Dabei lieferte die Statistik den Regierungen Handlungsanweisungen, die nicht traditional begründet waren, sondern dem Bedürfnis nach objektiver, wissenschaftlicher Fundierung entgegenkamen. Bereits Émile Durkheim und Marcel Mauss haben auf den Zusammenhang von Statistik, Herrschaftswissen und Herrschaftstechniken und auf die Konstruktionskraft statistischer Zahlen hingewiesen.364 Mary Poovey beschrieb die Statistik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: »Zahlen trugen nunmehr wesentlich dazu bei, sowohl die ›imaginierte Gemeinschaft‹ […] hervorzubringen als auch den Regierungsapparat, mit dem diese nationale Gemeinschaft beherrscht werden konnte.«365 Ein preußischer Beamter brachte es auf den Punkt: Es komme bei den statistischen Informationen darauf an, »dies umfangreiche Material in Bewegung zu setzen, zu beleben und practisch nutzbar zu machen«.366 362 Vgl. dazu Schmidt, Statistik und Staatlichkeit, S. 12; Maier, Leviathan, S. 171–173; Foucault, Überwachen und Strafen, S. 246; Osterhammel, Verwandlung, S. 58f.; vgl. dazu Habermas, Diskurs der Moderne, S. 318 u. 288; Schieder, Strukturen, S. 154. Foucault schreibt dazu: »In einem Disziplinarregime hingegen ist die Individualisierung ›absteigend‹: je anonymer und funktioneller die Macht wird, um so mehr werden die dieser Macht Unterworfenen individualisiert« (Foucault, Überwachen und Strafen, S. 248). 363 Marschalck, Bevölkerungsgeschichte, S. 27. 364 Durkheim/Mauss, Klassifikationen; vgl. Foucault, Security, Territory, Population, S. 280; Foucault, Wille zum Wissen; Foucault, Überwachen und Strafen, S. 167, 169, 246f., 252; Levitan, Cultural History of the British Census; Bulmer u.a., Social Survey; Schmidt, Statistik und Staatlichkeit; Poovey, Discourse of Statistics, inbes. S. 275; Poovey, Modern Fact. 365 Poovey, Discourse of Statistics, S. 264; vgl. auch Poovey, Making a Social Body, S. 2. 366 Brief an Bismarck, Berlin, 26. 11. 1864, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, Bl. 10, GStA PK .

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Herrschaftstechniken Die Reformeliten in Preußen erkannten früh die Bedeutung der neuen Herrschaftstechnik und richteten 1805 in Berlin ein Königlich Preußisches Statistisches Bureau ein.367 Männer wie Carl Friedrich Wilhelm Dieterici (1790–1859) oder Ernst Engel (1821–1896), in der Wolle gefärbte preußische Beamte, leiteten das Bureau und arbeiteten an der Idee, die Bevölkerung mithilfe der Statistik zu perfektionieren.368 Auch andere Staaten, wie die USA und Großbritannien, aber auch Belgien, die Niederlande oder Württemberg, installierten noch in der ersten Jahrhunderthälfte zentrale statistische Büros.369 Der preußische Innenminister ermunterte 1838 die Landräte zu regelmäßigen statistischen Berichten, indem er auf den »mannigfachen Nutzen« der Statistik verwies, »wenn Kreisstände und Kreisbewohner auf eine solche Weise mit dem Kreise in allen wesentlichen Beziehungen näher bekannt und dadurch zu einem regeren Interesse für die Angelegenheiten desselben angefeuert werden«.370 So schuf Statistik einerseits Homogenisierung und nationale Einheit. Andererseits diente sie als ein geradezu überwältigender Kategorisierungsapparat, der zur Konstruktion immer neuer Ordnungsgattungen wie Vermögen, Alter, Geburtsort, Schulbesuch, Alphabetisierung, Familienstand oder Nation beitrug.371 Wichtiges Medium der Statistik waren die Volkszählungen. Diese wiederum bildeten die Voraussetzung für Massenwahlen, und jede Wahl wurde selbst zu einer Volkszählung im Kleinen.372 Die Erfassung im Zensus sorgte für Eindeutigkeit und klare Definitionen. So begannen in den 1820er Jahren die preußischen Behörden Staatsangehörigkeit zu thematisieren.373 367 Böckh, Statistik. 368 Dieterici, Über Auswanderungen und Einwanderungen; Dieterici, Zunahme der Bevölkerung; Engel, Methoden der Volkszählung; Blenck, »Engel«. 369 Poovey, Discourse of Statistics, S. 264; Schneider, Wissensproduktion. 370 Minister des Innern und der Polizei an die königl. Regierungen (in den Provinzen), Berlin, 2. 9. 1838, Rep. 65c, Nr. 2278, Organisation der amtlichen Statistik, 1828–1899, Bl. 2 f, LAG ; vgl. auch die Unterlagen in Rep. 66 (Grfswld), Nr. 25, Landratsamt Greifswald. Statistik des Kreises, 1847–1917, LAG . 371 Gehrmann, Bevölkerungsgeschichte, S. 45; DeBats, Hide and Seek, S. 546. 372 An Act Directing a Census, No. 859, 1848, Bellinger, Compilation, S. 517; vgl. zu dieser Funktion auch Wahlen im Prozess der Entkolonialisierung (Förster, Koloniale Transformationen, S. 403–408). 373 Rep. 65c, Nr. 191–194; Rep 65c, Nr. 2811 + Rep. 66 (Grfswld), Nr. 331–342, LAG ; vgl. auch Gutachten der Abtheilungen des königl. Staatsraths für das Innere, für die Justiz, und für die Finanzen, Berlin, 25. 1. 1830, Rep. 60, Nr. 666, 1824–1836, Bl. 170, LAG .

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Eine Person etwa, die eine gemischte Identität als Polin und Deutsche hatte oder sich eher als Pommer denn als Preuße fühlte, musste sich aufgrund des Zensus ihre Nation verdeutlichen. Zunehmend entschied gar die Bürokratie über Identitäten und nahm individuelle Definitionen vor.374 Der US -Zensus, der seit 1790 mit relativ modernen statistischen Mitteln durchgeführt wurde, teilte 1820 die weiße Bevölkerung erstmals in Männer und Frauen ein. Die Dichotomie der Geschlechter war gewiss nicht neu, doch ihre wissenschaftliche, explizite Festschreibung bestärkte den Ausschluss der Frau. Seit 1840 wurden die amerikanischen Weißen in »native« und »foreign born« getrennt.375 Auch »Verrückte und Idioten« wurden zur erfassten Kategorie, der man dann explizit das Wahlrecht absprach.376 Ein bundesweiter Zensus erbrachte dann in der Zeit vor dem Bürgerkrieg den Nachweis (den Experten als grob fehlerhaft zurückwiesen), dass freie Afroamerikaner im Gegensatz zu versklavten besonders häufig »Wahnsinnige oder Idioten« seien.377 Mithilfe der Statistik gerieten auch arme Bevölkerungsschichten ins Handlungsfeld der Administration, und aktuelle Pauperismusdiskurse erhielten eine wissenschaftliche Fundierung. Die Situation der Armen sollte nicht zuletzt mithilfe der Statistik und dem Zugriff auf das Individuum tatkräftig verbessert werden.378 Darüber hinaus kam Statistik als Instrument der reflexiven Beschreibung dem Bedürfnis moderner Gesellschaften zur Selbstbeobachtung und Identitätsfindung als progressive Nation entgegen. Häufig schien es in den numerischen Abbildungen eines Landes auch um dessen Selbstdarstellung von Macht, Wissen, Modernität zu gehen.379 Das moderne Wahlrecht bot der Statistik besondere Möglichkeiten der staatlichen Durchdringung. »Die Republik besteht aus Individuen, die in der demokratischen Wahl zu Zahlen werden«, so der Politikwissenschaftler Philip Manow.380 Häufig waren es Wahlen, für die der Staat erstmals die männliche Bevölkerung erfasste, um sie nach Kategorien wie Wohnort oder »Stand und Beschäftigung« zu definieren.381 374 375 376 377 378 379 380 381

Ther, Nationalstaaten; Anderson, Imagined Communities, S. 166. Litwack, Free Negro, S. 263; Historical Statistics of the United States, S. 25. Litwack, Free Negro, S. 263; Historical Statistics of the United States, S. 25. Litwack, Free Negro, S. 263. Levitan, Cultural History of the British Census; Schmidt, Statistik und Staatlichkeit. Osterhammel, Verwandlung, S. 59; Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 141. Manow, Im Schatten des Königs, S. 9. Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 470f.

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Das Berliner Statistische Bureau lieferte ausführliches Material für Wahlresultate, Berechnungen möglicher Ergebnisse oder für die Optimierung des Wahlrechts. 1855 etwa erklärte ein Regierungsrat nach der Auflistung großen Zahlenmaterials: Wenn die »durch die statistischen Thatsachen dictirten Reflexionen richtig« seien, so sei der schädliche Einfluss der urbanen Wähler nachgewiesen, weshalb es kein zu liberales Wahlrecht geben sollte.382 Das 1849 eingeführte preußische Dreiklassenwahlrecht hatte seine Entstehung auch den Tabellen und Zahlenkolonnen aus dem Statistischen Bureau zu verdanken, die der Büroleiter Dieterici präsentierte.383 Als Max Weber nach der Jahrhundertwende mit Erbitterung gegen das Dreiklassenwahlrecht anschrieb, bemerkte er: Alle Neuerungsversuche »begannen seit 30 Jahren ihren Weg in gleicher Art im Königlich Preußischen Statistischen Büro mit Berechnung derjenigen Zahl zuverlässig plutokratischer Abgeordneter, welche die Reform voraussichtlich ins Parlament bringen würde«.384 Die Berechnung der Steuerklassen für das Wahlrecht bot ein geradezu unerschöpfliches Feld administrativer Ordnung und statistischer Neugier: Hier wurden die Bürger nicht nur in Wähler und Nichtwähler, in Wahlberechtigte und Nichtwahlberechtigte eingeteilt, sondern auch in Reiche, weniger Reiche und Arme.385 In New York City sah der Wahlforscher und Reformer John I. Davenport in der statisti-

382 Bemerkungen des Regierungs-Raths Graffunder im statistischen Büreau, o. D., ca. Anfang 1855, u. weitere Unterlagen in dieser Akte I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, Bl. 16 ff., GStA PK ; Auszug aus der von dem Innenminister dem Ministerpräsidenten vorgelegten Denkschrift mit der Überschrift: »Die nächsten Aufgaben im Ressort des Ministeriums des Innern«, 1. 8. 1891, Das Gesetz, betr. die Änderung des Wahlverfahrens, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3230, GStA PK ; Statistiken zu den Akten, betreffend das Wahlrecht zum Abgeordnetenhause und das Wahlverfahren im Allgemeinen I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 28, GStA PK ; Minister des Innern an Staatsmin., Bethmann Hollweg, 28. 1. 1817, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3239, GStA PK ; Unterlagen aus den 1870er und 1880er Jahren in I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 19, Bd. 1, GStA PK . 383 Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 28, 34–42 u. 46; Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 134. 384 Weber, Ein Wahlrechtsnotgesetz des Reichs, S. 220; ein Beispiel dafür wäre Webers Kollege Rudolf von Gneist (von Gneist, Nationale Rechtsidee, S. 1). Auch bei der Einführung des Frauenwahlrechts stellten viele Regierungen im Vorfeld Berechnungen darüber an, welche Auswirkungen auf das Parlament dadurch zu befürchten seien (Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 203, 208 et passim). 385 Vgl. etwa die statist. Unterlagen zu den Parlamentswahlen in I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, Nr. 3230 sowie Nr. 3249, GStA PK ; I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 28, GStA PK ; XVI . HA Rep. 30, Nr. 583, GStA PK .

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schen Unwissenheit über die Bevölkerung einen der Gründe für die endemischen Wahlfälschungen.386 Romantiker und Konservative kritisierten die Welt der »Zahlen und Figuren«, wie Novalis die Moderne bezeichnete, und setzten das Organische, das Mysterium, das Originelle dagegen. Doch die Subjektivierung mit Statistik und Registratur barg auch emanzipatorisches Potenzial. »Zwar trug die Einwohnerstatistik dazu bei, einen Überwachungsstaat zu schaffen, doch half sie zugleich den Menschen, ihre Identität und ihre Macht zu behaupten«, so die Historikerin Kathrin Levitan.387 Erst die Identifizierung des Subjektes verschaffte ihm Relevanz und verhalf damit dem Prinzip der numerischen Mehrheit in Verbindung mit der Idee der Gleichheit zum Durchbruch: dem universal suffrage. Denn so alt das Mehrheitsprinzip innerhalb elitärer Gruppen wie ständischer Vertretungen war, so neu war es im Zusammenhang mit der Idee der Gleichheit aller. Ohne die Technik der Statistik aber hätten sich diese Ideen nicht als Massenpartizipation konkretisieren lassen.

Der sesshafte Bürger im Herrschaftsterritorium Für den Aufbau eines effektiven Staates musste die Regierung das Territorium durchdringen.388 Der mit Grenzen klar definierte Raum nivellierte die Unterschiede und machte Adlige und Bauern, Herren und Untertanen zu »Einwohnern«.389 So gewann die Raum-Semantik im 19. Jahrhundert in Verbindung mit dem Nationskonzept an Gestaltungskraft. Der Staat hatte nicht mehr lediglich Territorium, sondern er war wesentlich Staatsgebiet. Das »Sein des Staates selbst, nicht das Haben einer ihm zugehörigen Sache erzeugt den Anspruch auf Respektierung des Gebietes«, so Georg Jellinek.390 Die Zeitgenossen füllten, ordneten und intensivierten den Raum durch seine Herauslösung aus alten Herrschaftszusammenhängen, durch seine infrastrukturelle Durchdringung, durch seine Vermessung und die

386 Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 11. 387 Levitan, Cultural History of the British Census, S. 6; vgl. dazu die von Foucault beschriebene Haltung Baudelaires: Foucault, Was ist Aufklärung?, S. 44. 388 Vgl. Behrisch, Vermessen, S. 7. 389 Koselleck, Begriffsgeschichte, S. 115. 390 Georg Jellinek, 1914, zitiert nach Jureit/Tietze, Postsouveräne Territorialität, S. 10.

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Nutzung seiner Ressourcen, aber auch durch die romantische Ikonografie nationaler Landschaften – wie sie Caspar David Friedrich in Deutschland oder die Hudson River School in den USA malten. Mit der Industrialisierung schließlich wurde die Steuerung der Menschenströme durch das Territorium zu einer der großen neuen staatlichen Aufgaben.391 Ein modernes Wahlrecht forderte entsprechend von den Wählern einen festen Wohnsitz im Herrschaftsterritorium. Meistens kam eine Mindestdauer hinzu, die der Wähler am Ort der Wahl und zudem in dem größeren Staatsterritorium gelebt haben musste. Die Kontrolle des Wohnortes aber gilt als zentrales Instrument moderner Staatsmacht.392 Natürlich forderten die Gesetzgeber die Residenzpflicht auch deshalb, um beim Wähler Kenntnisse der Landesverhältnisse voraussetzen zu können. Dennoch liegt die disziplinierende Logik der Wohnortkontrolle ebenso auf der Hand: Für die Nationsbildung sowie für die Nutzbarmachung der Individuen mussten diese identifizierbar und damit sesshaft sein.

Kontrolle des Wohnortes Die Kontrolle der Wohnsitzregelung bedurfte einer modernen effizienten Bürokratie, und ihre Ausübung bedeutete eine verwaltungstechnische Leistung. Dazu war die Staatsmacht in den USA in aller Regel nicht in der Lage. Mit Zunahme der Einwanderungsströme wurde die Bevölkerung immer unkontrollierbarer. In der Zeit vor dem Bürgerkrieg blieben lediglich 5 bis 10 Prozent der Wähler innerhalb einer Dekade konstant, die anderen zogen weg.393 Die amerikanischen Männer rekurrierten daher bei der Frage des Wohnorts wie auch sonst häufig bei wahlrechtlichen Fragen auf den Schwur, um die Unzulänglichkeit des Verwaltungsapparats zu kompensieren. Wie andere Wahlanforderungen diente die Frage nach dem Wohnort häufig dazu, unliebsame Wähler auszuschalten oder erwünschte Wähler zu konstruieren.394 In Nebraska beispielsweise meldeten die Wahlaufseher häufig Wahlergebnisse aus Siedlungsbezirken, von deren Existenz niemand je gehört hatte. Ende der 1850er Jahre wollte der Rechtsanwalt Eliphus Rogers der Sache nachgehen. Er machte sich mit seinem Pferd auf den Weg, um einen angeblichen Wahlbezirk und dessen 391 392 393 394

Komlosy, Grenze. Foucault, Überwachen und Strafen, S. 280, 368. Winkle, Voters, S. 595f. Bensel, Ballot Box, S. 42 u. 87–93.

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32 Wähler zu finden, die bei den Wahlergebnissen gemeldet worden waren und sich in seiner Nachbarschaft, jenseits des Flusses, befinden sollten: »Ich überquerte den Platte River an der Stelle, die als Shinn’s Ferry bekannt ist; dann wanderte ich über den alten Indianerpfad in das Calhoun County hinunter; […]; ich reiste bis in die Nacht hinein weiter, ohne irgendeine Siedlung anzutreffen.« Insgesamt stieß Rogers auf seinem zweitägigen Ritt nur auf sieben potenzielle Wähler, die aber allesamt nichts von einer Wahl gehört hatten.395 Die Dauer der Residenzpflicht – die weltweit in der Regel bei sechs bis zwölf Monaten lag – verdeutlicht die unterschiedlichen Intentionen des Wahlrechts. Die Städteordnung von 1808 verlangte von einem Bürger für das Wahlrecht lediglich einen Wohnsitz in der Stadt ohne einen Mindestaufenthalt (§ 17). Das war großzügig und entsprach der gewünschten Wirkung der Ordnung, die Bürger zur Partizipation zu bewegen und in die Nation zu integrieren. Dieser Logik unterlag auch das Frankfurter Reichswahlgesetz von 1849: Die Dauer der Residenz galt als gleichgültig, aber der Wähler musste im Wahlbezirk wohnen.396 Entsprechend großzügig fielen die Regulierungen von 1869/71 für die Reichstagswahlen aus.397 Auch beim Dreiklassenwahlrecht in Preußen lässt sich mit einer Residenzpflicht von nur sechs Monaten die Integrationsfunktion ablesen.398 Die Bürger sollten nicht eingeschränkt, sondern in die Pflicht genommen werden. Daher hatte Preußen 1842 auch das alte Heimatrecht, das die Staatsbürgerschaft an das Herkunftsterritorium koppelte und einen Umzug erschwerte, durch das moderne Prinzip des Unterstützungswohnsitzes ersetzt: Da, wo der Bürger wohnte, sollte er seine Rechte genießen und Pflichten erfüllen.399 Wie hoffnungslos ihrer Zeit voraus solche Regulierungen zunächst waren, wird darin deutlich, dass es im Vormärz in vielen Städten noch die Meldepflicht für Reisende gab und Amtsblätter »einpassirte« und »auspassirte Fremde« publizierten. Berlin wehrte sich bis in die 1860er Jahre erfolg395 Zitiert nach Bensel, Ballot Box, S. 202f. 396 Gesetz, betreffend die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause, 12. 4. 1849, § 11, Centralausschuß für Revision der Verfassungs-Urkunde, Berlin, 1. 11. 49. 397 Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes, 31. 5. 1869, § 7. 398 Wahlgesetz für die zweite Kammer, 6. 12. 1848, Artikel 2; es gab sogar die Überlegung, »ohne Rücksicht auf die Dauer seines Aufenthaltes« zu empfehlen, Bericht der Kommission für Revision der Verfassung, Berlin, 1. 11. 1849, 31f., I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 1, Bl. 85, GStA PK ; vgl. Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 284–286. 399 Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 627f.

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reich dagegen, die Stadtmauern einzureißen, in der Hoffnung, die Kontrolle über die bürgerliche Mobilität beizubehalten.400 In den USA wurde trotz defizitärer Bürokratie ebenfalls bereits in der ersten Jahrhunderthälfte der Wohnsitz als Wahlrechtsqualifikation gefordert.401 In New York etwa durften Bürger nur für das Stadtviertel städtische Angestellte wählen, in dem sie wohnten.402 Zudem mussten sie ein Jahr im Staat New York und ein halbes Jahr in ihrem Wahlbezirk gelebt haben.403 Insgesamt variierte die Residenzpflicht in den einzelnen US -Staaten von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahren, auch wenn sie meistens bei sechs bis zwölf Monaten lag.404 In den ersten Jahrzehnten des modernen Wahlrechts räumten einige US -Staaten sogar Ausländern ein Wahlrecht ein, sofern sie auf dem Territorium wohnten. Ähnlich wie in Preußen ging es darum, die Menschen zu integrieren und zu verpflichten. Ganz anders als in Preußen blieb aber all das eher Theorie, weil der Wohnort vielfach nicht überprüft werden konnte. Wie wir sehen werden, war das partielle amerikanische Ausländerwahlrecht letztlich wohl ein Produkt dieser staatlichen Ohnmacht.

Erwünschte und unerwünschte Mobilität Dabei gab es für die Staatsgewalt zwei Arten der Mobilität: eine erwünschte und eine unerwünschte. Die erwünschte war die für einen modernen Staat notwendige Flexibilität der Arbeitskräfte. Zur unerwünschten Flexibilität gehörten Nichtsesshafte – »Zigeunerbanden«, »Hausbettelei« betreibende und »andere umherziehende Personen«, »Bärenführer u. dergleichen«, wie die preußische Administration sie bezeichnete.405 Ihre Bekämpfung wurde in Preußen zum festen Bestandteil der Regierungspraxis und tauchte in

400 Berliner Intelligenzblatt, 20. 6. 1816; Mintzker, Defortification. 401 Vgl. etwa: A petition from six Inhabitants of xx parishes of St. [unleserl.] praying for certain attentions in the election cause, 4. 12. 1830, SCDAH S165015, Item 45, 1830. 402 Minutes of the Common Council of the City of New York, 26. 3. 1822, NYCMA . 403 Minutes of the Common Council, 13. 5. 1822 u. 14. 2. 1831, NYCMA . 404 Vgl. etwa: An Act to regulate the Election of Mayor and Aldermen of the City of Charleston as amended December 23, 1878, 4, Records of Comm. of Elections, Box 1, Election of 1877, CCPL ; vgl. die Übersicht in: Provisions Covering Elections and Suffrage prepared by the Honest Ballot Association, Cleveland, Ohio, 29. 12. 1919, NYPL Albert S. Bard Papers, 1896–1959, Box 67, Fold. 15; Keyssar, Right to Vote, S. 148. 405 Vgl. die Provinz-Unterlagen aus Pommern aus dem Vormärz, Rep. 65c, Nr. 1259–1275, LAG .

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den Informationsberichten der Provinzregierungen regelmäßig auf.406 1843 beispielsweise informierte der Polizeidirektor aus Stralsund über die »vagabunden Geschwister Cronwald und Adelheid Snakenborg […], letztere mit ihrem einjährigen unehelichen Kinde«. Die Behörden in HessenNassau hatten die drei nach Pommern geschickt, weil sie angeblich dort geboren waren. Doch der Polizeidirektor konnte sie in keinem Taufregister finden.407 In den USA richtete sich der Kampf gegen nomadische Lebensweisen gegen die Native Americans, nicht jedoch gegen die nach Westen wandernden Weißen. Die indigene Bevölkerung gehörte so selbstverständlich nicht zur Allgemeinheit, dass die Verfassung sie vom Bevölkerungszensus ausschloss, der darüber entschied, wie viele Repräsentanten ein Staat entsenden konnte.408 Die Native Americans galten als eigene Nation, die ein eigenes Repräsentationssystem mit eigenen Wahlen erhielt. Im Laufe der zentralstaatlichen Homogenisierungsbestrebungen nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 wurden sie verstärkt zur Sesshaftigkeit gezwungen. Mit dem Dawes Act von 1887 parzellierte die Regierung ihre Reservate und ordnete sie den Native Americans nach Individuen zu: Das Territorium sollte klar gegliedert und seine Besitzverhältnisse modern geregelt und nicht Kollektiven zugeordnet sein. Von den amerikanischen Wahlen blieb die indigene Bevölkerung gleichwohl bis 1924 als nicht zur Nation gehörig ausgeschlossen.409 Urbanisierung, Industrialisierung und Migration – in Preußen vor allem Binnenmigration – schufen schließlich Unterschichten, die Regierungsverantwortliche als bedrohlich empfanden.410 Die verhassten »Demokraten« in Deutschland wurden 1848/49 in einem Spottgedicht als Nichtsesshafte stigmatisiert: »Ohne Heimat, ohne Paß,/ nirgends, allerwe-

406 Zeitungsbericht der Regierung in Stralsund, vom 25. 5. 1884 und 24. 11. 1885, beide in I. HA Rep. 89, 16081, Nr. 32, 1880–1889, GStA PK ; Zeitungsbericht des Regierungspräsidents, Cösiln, 26. 5. 1884, I. HA Rep. 89, 16005, und weitere Berichte in dieser Akte, GStA PK . 407 Der Polizei-Director an Einen Königs Hochlöbliche Regierung hier, Stralsund, 3. 9. 1843, Rep. 65c, Nr. 130, Wechselseitige Auslieferung der Vagabunden auf Grund der zwischen Preußen und Nassau bestehenden Konvention, 1843, Bl. 1f., LAG ; vgl. auch Rep. 65c, Nr. 318, Bd. 1, 1903–1911, LAG . 408 »Indians not taxed« hieß es in der Verfassung, womit mehr oder weniger alle Native Americans ausgeschlossen waren, da sie keiner Steuerpflicht unterlagen. 409 Stremlau, Allotment; Keyssar, Right to Vote, S. 60. 410 Maier, Leviathan, S. 173.

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gen,/ wandern sie ohn’ Unterlaß,/ auf geheimen Stegen.«411 Ähnlich dachte ein einflussreicher New Yorker über die Migranten, deren Stimmberechtigung er für einen Fehler hielt: »Sie haben hier bei uns keine feste Wohnung und keinen Namen; sie haben ihr eigenes Land verlassen und sind in unseres gekommen, um ihre Lebensverhältnisse zu verbessern, und sie lehnen alles ab, was gut, ehrenhaft oder gesetzmäßig ist und einen guten Ruf hat.«412 Es war ein konservatives Misstrauen gegen alles Flexible, Neue, nicht Angestammte, gegen den »heimatlosen Pöbel«.413 Als Wahlen immer mehr auch Exklusion bezweckten, gewannen die Wohnortqualifikation und die Wahlregistratur als Verwaltungstechnik wachsende Bedeutung. In den Städten der Industrieländer wuchsen die Probleme, die expandierenden Bevölkerungsmassen zu kontrollieren, und die staatlichen Behörden kämpften damit, weiterhin Identität und Wohnort der Individuen für die Wahlen »zweifelsfrei reconstruier[en]« zu können.414 Die »Vagabundenfrage« wurde zu einem zentralen Anliegen der Verwaltungen. In Preußen erklärte ein Kritiker, das liberale Gesetz über die Freizügigkeit von 1867 für den Norddeutschen Bund »sei für Schaaren zum vernichtenden Zwang geworden«.415 Viele Regierungen nutzten nun die Residenzpflicht als Wahlrechtsqualifikation, um arme Bevölkerungsgruppen wie Wanderarbeiter oder Obdachlose auszuschließen. Preußen verlangte in seinem Wahlgesetz für das Erfurter Unionsparlament vom November 1849, mit dem es im Alleingang die deutsche Einigungspolitik weitertreiben wollte, die ungewöhnlich hohe Residenzdauer von drei Jahren.416 In der gleichen Zeit griff auch Frankreich zu dieser Maßnahme: Aus strategischen Überlegungen heraus, das Wahlrecht nicht allzu offen einzuschränken, verlangte die 411 »Demokratenlied«, 1848, in: Universitätsbibliothek Frankfurt, http://edocs.ub.unifrankfurt.de/volltexte/2006/6395/ [1. 2. 2017]. 412 Eintrag vom 5. 11. 1840, Hone, Diary (Bd. 2), S. 51. 413 So der preußische Regierungsrat Ulmenstein, zitiert nach Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 18. 414 Schreiben von drei Bürgern, Berlin, 4. 12. 1889, A Rep. 001–02–01, Nr. 232, 1889–1891, Bl. 7, LAB ; vgl. auch die Magistratsunterlagen in LAB A Rep. 001–03, Nr. 51, 1880–1901. 415 Burrows/Wallace, Gotham, S. 829; H. Stursberg: Die Vagabundenfrage, 1882, 6, zitiert nach Althammer, Bismarckreich, S. 135; vgl. zur Binnenmigration Conrad, Globalisierung, S. 48. 416 Verordnung zur Ausführung der Wahlen der Abgeordneten, § 13, Potsdam 26. 11. 1849, I. HA Rep. 169 C 80, 16, Nr. 4, Bl. 2, GStA PK ; vgl. Keyssar, Right to Vote, S. 146–151.

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Regierung der Zweiten Republik von allen Wählern einen dreijährigen festen Wohnsitz und schloss damit die von der Krise besonders betroffenen und heimatlos gewordenen unteren Schichten aus.417 Um 1900 nutzten dann in Deutschland die Reichsregierung und diverse Länderregierungen Wohnsitzanforderungen, um die Sozialdemokraten zu bekämpfen.418 Gerade in den Städten blieben Arbeiter selten lange in einer Wohnung wohnen, zwei oder drei Wohnungswechsel für eine Arbeiterfamilie waren nicht ungewöhnlich.419 In Prenzlau bei Berlin verbot der Landrat 1908 bei einer Nachwahl den Wanderarbeitern mit Hinweis auf die Wohnortqualifikation kurzerhand zu wählen, obwohl dies gegen die Gesetze des Reichstagswahlrechts verstieß.420 »Freilich haben gewisse Vorkommnisse der letzten Jahre, lokale Rebellionen in aller Form, gezeigt, daß die landwirtschaftlichen Wanderarbeiter jener Gegend ihren gnädigen Gutsherren nicht immer in zahmer Botmäßigkeit ergeben sind«, schrieb ein sozialistisches Blatt, wiederholt habe »die Exekutive gegen unzufriedene, selbstbewußte Wanderarbeiter eingegriffen«.421 Der konservative preußische Historiker Georg von Below rügte den Versuch, die Sozialisten über den Wohnort niederzuhalten, und kommentierte das Oldenburger Wahlrecht, das ebenfalls eine dreijährige Residenzpflicht vorschrieb: »Diese Bestimmung ist recht charakteristisch für die Ängstlichkeit, mit der man das offene Geständnis der Gefährlichkeit des gleichen Wahlrechts vermeidet. Sie richtet sich ausgesprochenermaßen gegen die Sozialdemokratie und ist auch, da die Arbeiterbevölkerung ein verhältnismäßig fluktuierendes Element darstellt, nicht wirkungslos.«422 Auch die amerikanischen Besitzeliten konnten nicht der Versuchung widerstehen, unter dem Banner der Gleichheit die Unterschichten auszuschließen. Die fremdenfeindliche Know-Nothing-Party forderte in den 417 Mattmüller, Durchsetzung, S. 221. 418 Reichskanzler, Reichsamt des Innern, an Königl. Württemb. Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, 10. 12. 1912, und weitere Korrespondenz in dem Zusammenhang – sowie Königl. Württemb. Ministerium des Innern an Königl. Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, 17. 5. 1913, beide 16 Bü 253, HStASt . 419 Ullrich, Großmacht, S. 140. 420 Zeitungsausschnitt »Landrat und Wanderarbeiter, oder: Reichstagswahlrecht und Reaktion. Aus Prenzlau«, 1908, unleserl. Angaben, R 8034 II , Nr. 5851, Bl. 91, BA . 421 Ebenda. 422 Below, Wahlrecht, S. 103; vgl. zu dem Thema auch den Kommentar des Abgeordneten Seyda, Sten. Ber. pr. AH , 6. 12. 1817, Sp. 6705.

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1850er Jahren eine 21jährige Residenzpflicht vor der Einbürgerung. Vieljährige Sesshaftigkeit hatte sich zu einem Privileg entwickelt, das sich nur wenige leisten konnten. Die kleine Gruppe der Alteingesessenen waren in der Regel auch die Wohlhabenderen, und sie dominierten die Wahlen und die zu besetzenden Ämter.423 In New York City stellten sich die Migrationsprobleme potenziert dar: Während in Berlin die Bevölkerung um 66 Prozent stieg (von 1840 mit 330000 Einwohner bis 1860 auf 547000 Einwohner), nahm die Einwohnerzahl in New York im gleichen Zeitraum um 161 Prozent zu (von 312000 auf 814000) und überholte in dieser Zeit die Einwohnerschaft Berlins. In den 1890er Jahren stieg die Bevölkerung in Berlin auf 1624000 Einwohner an, in New York auf 3480000. Entsprechend radikal gestalteten sich die Wahlen in New York, und entsprechend aggressiv fielen in der Reformzeit um 1900 die Maßnahmen in der amerikanischen Metropole aus, um Wähler zu disziplinieren.424 In South Carolina galt als Definition der zur Wahl berechtigenden Residenz: »Im strengen und juristischen Sinne ist recht eigentlich das der Wohnsitz einer Person, wo diese ihre wahre, feste und dauerhafte Heimat und ihren Hauptwohnsitz hat, und zu dem sie, im Falle einer Abwesenheit, zurückzukehren gedenkt.«425 Das Oberste Gericht von Colorado kam zu einem ähnlichen sibyllinischen Ergebnis: Residenz bedeute »eine Absicht, aus dem momentanen Aufenthaltsort den wirklichen Wohnsitz [true home] zu machen«.426 Durch die Hintertür drang mit dem schwer definierbaren »true home« eine Eigentumsqualifikation ein, denn gewiss war es einem frisch umgezogenen, wohlhabenden Kaufmann leichter, ein true home nachzuweisen, als einem in prekären Verhältnissen wohnenden Straßenkehrer. Speziell Afroamerikaner wurden von den weißen Eliten oft mithilfe von derartigen Qualifikationen ausgegrenzt. »Wir wissen, dass die Neger in unserer Mitte ein nomadischer Stamm sind«, rechtfertigte ein Generalstaatsanwalt um 1900 die Exklusion der Afroamerikaner.427

423 424 425 426 427

Winkle, Voters, S. 598 u. 604f. Brewin, Celebrating Democracy, S. 138. Bellinger, Compilation, S. 522. Zitiert nach Keyssar, Right to Vote, S. 147. Reformation of State Government, Registration and Election Law, Attorney General, Mississippi, 1908, http://archive.org/stream/stategovernmenti00holc/stategovernmenti00holc_djvu.txt [16. 2. 2017].

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Territoriale Durchherrschung Die emsige Erfassung von Wahlergebnissen geordnet nach Kommunen, Wahlkreisen, Wahlbezirken und Ländern bildete ein notwendiges Pendant zur Erfassung der Subjekte.428 1903 forderte der Reichskanzler alle Länder auf, dem Kaiserlichen Statistischen Amt nach den Wahlen »eine Gesamtübersicht für den Wahlkreis und außerdem […] eine General-Zusammenstellung der Abstimmungsergebnisse aus sämtlichen Wahlbezirken zugehen zu lassen, und zwar unter Aufrechnung der Summen für die einzelnen Kreise, Bezirksämter, Kreishauptmannschaften«.429 Auch diese Durchdringung war eine Rationalisierung – und auch hier erhoben die Konservativen Protest.430 In den USA bemühten sich seit den 1840er Jahren Regierungsverantwortliche um eine Einteilung des Landes in Wahlbezirke und in immer kleiner werdende Wahlkreise mit zahlreichen dezentralisierten Wahllokalen, damit die Menschenmassen sich aufteilten, die Individuen einem Ort zugerechnet werden konnten und die Wahlen disziplinierter abliefen.431 1840 legte die Stadt New York neue Grenzen für die Wahlbezirke fest, in denen jeweils nicht mehr als 500 Wähler leben durften.432 Durchschlagenden Erfolg hatten die Disziplinierungsbemühungen allerdings erst um 1900, als die Stadtverwaltung mit einer neuen kleinteiligen Wahlkreisgeometrie und mithilfe eines erstarkten bürokratischen Apparates die Korruption bekämpfte (Abb. 7).433 Die Wahlkreisgeometrie oder das »Gerrymandering« – wie es nach dem darin besonders gewitzten Gouverneur von Massachusetts Elbridge Gerry genannt wurde (ebenfalls einem Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung) – teilte die Wahlkreise so ein, dass es den Herrschenden

428 Bender, Among Nations, S. 4. 429 Reichskanzler an Württemb. Ministerium der auswärtige Angelegenheiten, 21. 3. 1903, 16 Bü 253, HStASt ; vgl. auch Osterhammel, Verwandlung, S. 53f. 430 Eintrag, 19. 7. 1849 (offenbar falsches Datum, die Urwahlen waren erst am 27. 7. 1849), Gerlach, Denkwürdigkeiten, S. 344. 431 Brewin, Celebrating Democracy, S. 228; Anderson, Imagined Communities, S. 173. 432 Lincoln, Constitutional History of New York, Bd. 3, S. 96; vgl. Proceedings of the Board of Aldermen, 26. 10. 1842, vgl. auch 3. 4. 1838, 6. 9. 1842 u. 3. 10. 1853, NYCMA ; An Ordinance to divide the City of New york into convenient Election-districts, pursuant to section 8, Article 3, Title 3, of act of the legislature. Passed April 5th, 1842. New York 1866, NYPL ; vgl. dazu Lincoln, Constitutional History of New York, Bd. 3, S. 117. 433 Bernheim, Ballot in New York, S. 131.

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Abb. 7 Durchdringung des Territoriums. Wahlkreiseinteilung in Manhattan, 1895 Jefferson M. Levy, The elector’s hand book, or, Digest of the election laws of the State of New York, applicable to the city of New York, New York 1895, S. 3

zugute kam. Gegnerische Gruppen wurden mit künstlichen Grenzen in einem Wahlkreis zusammengefasst und so minorisiert. Gezielte Veränderungen der Wahlkreise sorgten in Preußen für einen dem Landrat genehmen Wahlausgang und trugen in South Carolina zur Ausschaltung der afroamerikanischen Wähler bei. Die künstliche Aufrechterhaltung alter Grenzen trotz enormer Veränderungen in der Bevölkerungszahl bewirkte wiederum die Marginalisierung der Arbeiterstimmen in Großstädten – auch das eine Taktik, die vielerorts von den Herrschenden genutzt wurde, wenn Massenwahlen stattfanden. Viele amerikanische Städte aber sahen sich mit ihrer unprofessionellen Verwaltung nicht in der Lage, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine ordentliche Wahlregistratur durchzuführen.434 Das begünstigte die Korruption, erschwerte aber obrigkeitliche Manipulationen. So setzen sich amerikanische Reformer um die Jahrhundertwende – im Zuge der bürgerlichen Rückeroberung der Politik – für eine effizientere Registraturund Meldepflicht ein und forderten, die Residenzpflicht auf bis zu fünf Jahre auszudehnen.435 Bis 1924 hatte sich dann die Registratur in New York City zu einer scharfen Waffe entwickelt und zielte neben vielen anderen Qualifikationen besonders auf die Sicherung der Staatsbürgerschaft und des Wohnortes. In das »Registration Book« mussten die Wahlvorstände ne-

434 Königl. Polizei-Präsidium gez. Gerlach an einen Hohen Magistrat, Berlin, 26. 5. 1835 und weitere Magistratsunterlagen in LAB A Rep. 001–02, Nr. 2588. 435 Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 34f. u. 91; Report of the Honest Ballot Association, 18 West 34th Street, New York City, 1. 1. 1914–31. 12. 1915, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; vgl. auch Kap. 5.

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ben Dutzenden anderer Informationen nicht nur die aktuelle Adresse und das Geburtsland eintragen, sondern auch jene Adresse, »an welcher der Wähler bei seiner vorigen Registrierung bzw. seiner vorigen Stimmabgabe wohnte«, »den vollen Namen des Hauseigentümers, Mieters oder Pächters« oder »die Dauer der Sesshaftigkeit in den Vereinigten Staaten, falls der Wähler die amerikanische Staatsangehörigkeit durch Heirat erworben hat«.436 Das Wahlregister erwies sich für die Bürokratie als hilfreich und ersetzte zuweilen das fehlende Melderegister. In den Tabellen der Wahlregistratur, in denen selten die Spalte remarks fehlte, konnte man nachlesen, wer zu- und wer weggezogen und wer an welchem Tag eingebürgert worden war.437 In New York nutzte die Polizei die Wohnortangaben in den Wahlregistern, um Kriminelle dingfest zu machen.438 Geografische Karten, die Wahlergebnisse übersichtlich und häufig farbig markiert darstellten, wurden immer beliebter, weil sie die Herrschaft konkret werden ließen, weil sie weiße Flecken auslöschten und über die amorphe Masse des Territoriums und der Bevölkerung herrschaftsrelevante und klare Informationen boten. »Die Karte ist machtvoll, da sie mit unseren kognitiven Fähigkeiten so stark in Einklang steht«, so Donald A. Debates.439

Lebensalter und Partizipation: Der mündige Mann Wichtig war für das Wahlrecht auch die Altersdefinition. In einer Zeit, in der die Kindheit noch wenig entdeckt war, in der Mädchen und Jungen hart arbeiteten, in der die Wehrpflicht für junge Männer installiert wurde und Jugendliche keine strafrechtlichen Begünstigungen genossen – in dieser Zeit blieben junge Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Staaten, die schon ein modernes, also mehr oder weniger allgemeines Männerwahl436 Registration Book, 1924, Aufkleber auf dem Registration Book: »Important Notice to all election officers«, NYCMA ; vgl. dazu auch das Plädoyer von Senator J. Bourne, in dem er die strengen Regeln Oregons für die Registratur darlegt, Speech of Bourne, Jr., of Oregon in the Senate of the United States, 5. 5. 1910, Albert S. Bard Papers, 1896–1959, New York Public Library, Box 69, Fold. 15. 437 Voter Registration Book 1, 1898, Aiken County, 1882–98, SCHA L02006. 438 Board of Elections of the City of New York, General Office, 107 West 41st St., President John R. Voorhis to Mayor McClellan, 21. 11. 1906. 439 Unzeitig, Erobern und Erkunden; DeBats, Power of Map.

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Abb. 8 Beliebte Druckerzeugnisse: Das Deutsche Reich auf einen Blick mit wissenschaftlicher Präzision und klaren Handlungsanweisungen für die kundigen Regierenden Landesarchiv Berlin, F Rep. 270 A 7769

recht hatten, forderten ein Mindestalter von 25 bis 30 Jahren.440 In der Regel lautete die Begründung für die Altersbeschränkung wie 1849 im Verfassungsausschuss der Paulskirche, dass »eine gewisse Reife zur Ausübung des politischen Ehrenrechts gehöre«.441 Das Wahlalter für das passive Wahlrecht lag entsprechend höher, weil bei einem Amt das Argument der Reife noch mehr ins Gewicht fiel. Selbst das egalitäre preußische Wahl440 Vogel/Schultze, Deutschland, S. 192f.; vgl. Friedrich von Württemberg [an seine Untertanen], 29. 1. 1815, A 22, Bü 8, HStASt ; Dresemann: Wahlrecht und Wahlfähigkeit, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Bd. 5, Sp. 1088–1110; Cunningham/Stromquist, Child Labor, S. 62–70; vgl. zum Wahlalter auch in historischer Perspektive: Buchstein, KiVi kontrovers. 441 Georg Waitz als Berichterstatter des Verfassungsausschusses, Sten. Ber. pr. AH , 18. 2. 1849; vgl. auch Redebeitrag Malkewitz, Sten. Ber. pr. AH , 12. 2. 1910; »Wie kann die preußische Wahlrechtsfrage gelöst werden?«, von Robert Schmölder, Tag, 29. 5. 1913.

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recht vom April 1848 setzte das Alter für das passive Wahlrecht hoch an, sodass im preußischen Parlament nur Männer ab dem 30. Lebensjahr saßen.442 Warum erschienen Jugendliche und junge Männer unreif und für den Staat nicht relevant? Warum verlieh selbst der Heeresdienst ihnen nicht die Würde des Wahlrechts? Zunächst ist gewiss ausschlaggebend, dass sie bis zur Volljährigkeit – die wie in Preußen oft ab 25 galt – unmündig waren und ähnlich wie Frauen von anderen vertreten wurden, zumeist von ihrem Vater. Doch oft lag das erforderliche Wahlalter über der Volljährigkeit. Und es stellt sich die Frage, warum trotz der Last und Verantwortung, die Kinder und junge Menschen zu tragen hatten, und trotz der niedrigeren Lebenserwartung die Volljährigkeit so hoch lag; zumal auch Steuern seit der ersten Jahrhunderthälfte zunehmend nicht mehr nach Hausstand, sondern nach Individuen berechnet wurden, wodurch den jungen Menschen weitere Bedeutung zuwuchs.

Diskriminierung der jungen Menschen in Preußen Eine mögliche Antwort auf die Geringschätzung der Jugend liegt darin, dass der Staat mit seinem Bedürfnis nach Durchherrschung zunächst ein höheres Interesse an verheirateten Männern hegte. Noch lange galt der Status des Familienoberhaupts als entscheidende Zurechnungskategorie für Autorität. Bei den Beratungen über den Norddeutschen Bund Ende der 1860er Jahre wurde diskutiert, das Wahlrecht wie bei manchen vormodernen Wahlen an die »Führung eines eigenen Haushalts« zu knüpfen.443 Das Heiratsalter aber lag nicht zuletzt aufgrund der strengen Ehebegrenzungen, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts anhielten, sehr hoch. Gesellen etwa waren meistens nicht verheiratet.444 Zu Beginn des Jahrhunderts lebte in Deutschland und Frankreich vermutlich weniger als die Hälfte der Menschen im heiratsfähigen Alter in einer Ehe.445 Gerade Lohnarbeiter heirateten selten und wenn überhaupt, dann um das 30. Lebensjahr, viele erst zwi-

442 Vgl. dazu Protokoll der ersten Sitzung der Wahlrechtskommission. Zweiter Teil nach der Pause: 15. Februar 1910, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 2e, GStA PK . 443 Below, Wahlrecht, S. 2; vgl. zur zählebigen Kategorie »Head of Household« bis weit ins 20. Jahrhundert: Brückweh, Menschen zählen, S. 190–196. 444 Marschalck, Bevölkerungsgeschichte, S. 37; Ehmer, Soziale Traditionen, S: 35; Maurer, Bevölkerungspolitik, S. 58. 445 Tenfelde, Arbeiterfamilie, S. 74; Weber, Peasants, S. 171.

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schen dem 30. und 40.446 Marx sprach von der »erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier«.447 Männern gelang es oft erst in höherem Alter, eine eigene Existenz aufzubauen. Unselbständige Erwerbstätigkeit, vor allem die klassische Lohnarbeit, nahm entsprechend mit zunehmendem Alter ab. Sie stellte nicht nur einen spezifischen sozialen Status dar, sondern häufig eine Art Vorstufe, die einer ausgedehnten Jugendphase bis etwa zum 30. Lebensjahr vorbehalten war.448 Beamte oder Handwerksmeister, aber auch selbständige Landwirte oder Journalisten kamen oft erst mit über 30 auf eine feste oder selbständige Position.449 Junge Akademiker, die eine Beamtenlaufbahn anstrebten, dienten nach ihrem Studium zwischen 6 und 10 Jahren kostenlos dem Staat, bis sie um das 30. Lebensjahr einen der begehrten Beamtenposten erhielten.450 Insgesamt zeigt sich das Bild einer Gesellschaft, in der Alter privilegiert wurde: Ältere Menschen durften heiraten, herrschten über Frau und Kind und übten die bessere Arbeit aus. Dabei versetzten die neuen Zeiten in Deutschland gerade junge Männer in Erregung. In der Turnerbewegung um Friedrich Ludwig Jahn traten liberal gesinnte Jünglinge für die Idee der Nation ein und lebten ein subversives Männerideal. Doch sie blieben marginalisiert. Die Jungen wurden zensiert und drangsaliert – ob als Turner oder als Literaten im »Jungen Deutschland«, als schwarz-rot-golden beflaggte Studenten oder als Arbeiterführer. Das herrschende Männerbild in der Gesellschaft blieb das des gesetzten, würdigen Hausvorstandes.451

Privilegierung der jungen Menschen in den USA In den USA lagen die Dinge anders. Amerika privilegierte die Jugend.452 »Ein fünfzehnjähriger Amerikaner ist so vernünftig wie ein Franzose von vierzig Jahren«, erklärte der französische Amerikareisende Chevalier, und 446 Gestrich, Familie, S. 22 u. 29; hinzu kam, dass die strenge Handhabung des Rechts auf Ehe, die insbesondere mittellose Menschen von der Heirat abhalten sollte, in der ersten Jahrhunderthälfte dafür sorgte, dass 20 bis 30 Prozent eines Jahrgangs unverheiratet blieben (Gestrich, Familie, S. 30; Ehmer, Soziale Traditionen, S. 42–45). 447 Marx/Engels, Manifest. 448 Ehmer, Soziale Traditionen, S. 139. 449 Requate, Journalismus, S. 165; Ehmer, Soziale Traditionen, S. 134–146. 450 Henning, deutsche Beamtenschaft, S. 89f. 451 Hagemann, Deutschheit, Mannheit, Freiheit; vgl. Borutta/Verheyen, Präsenz der Gefühle. 452 Historical Statistics of the United States, S. 27.

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sein Landsmann Tocqueville beobachtete, wie früh die Knaben hier erwachsen wurden.453 Der Männlichkeitsforscher und Historiker Anthony Rotundo spricht von der amerikanischen »boy culture« dieser Zeit.454 Weiße amerikanische Männer, also die für den Staat relevanten Bürger und Wähler, heirateten wesentlich früher als die preußischen: in der ersten Jahrhunderthälfte mit etwa 25 Jahren.455 Sie hatten damit nicht nur früher Gewalt über ihre Ehefrauen und Kinder, sondern nutzten häufig auch ihre sexuelle Macht gegenüber Sklavinnen.456 Allerdings vermag das nicht zu erklären, warum das Wahlalter schon zu Beginn des Jahrhunderts bei 21 Jahren lag (wobei auch in den USA das passive Wahlrecht meist höher angesetzt wurde, grundsätzlich also auch hier das Reifeargument zählte).457 Entscheidend ist wahrscheinlich, dass die jungen Männer eine wesentliche Gesellschaftsgruppe bildeten und oft – wie in den Frontstaaten – die Gesellschaft dominierten. Die Mitglieder der liberal-progressiven Young-America-Bewegung beschimpften in den 1830er Jahren ihre Gegner als »unfähige und unverbesserliche alte Käuze«.458 Die jungen Männer in den USA hatten die Wahlen fest im Griff, während ihre Altersgenossen in Europa am Wahltag aus der Ferne zusahen, wie die älteren Männer zur Wahlversammlung zogen oder – in revolutionären Zeiten – parallel dazu Randale veranstalteten.459 Das gesellschaftliche Standing der amerikanischen jungen Männer wirkte sich bei den Wahlen massiv aus: Sie beherrschten die neu entstandenen Massenparteien,460 und seit dem zweiten Drittel des Jahrhunderts bestimmten sie bei den Wahlen die Straßen, das Wahllokal, die Kommunikation und damit häufig das Wahlergebnis. Nicht zuletzt damit lässt sich die Gewalttätigkeit, Aggressivität und Kompetitivität amerikanischer Wahlen erklären – alles Charakteristika, die dem männlichen Geschlecht insbesondere in jungen Jahren schon damals fest zugeschrieben wurden.461 453 454 455 456 457

458 459 460 461

Chevalier, United States, S. 324; Tocqueville, erwähnt in: Kimmel, Manhood, S. 55. Rotundo, American Manhood. Haines, Long Term Marriage Patterns. Schweninger, Families in Crisis, S. 19. In der US -Verfassung lag es für den Präsidenten bei 35, für Senatoren bei 30 u. für Repräsentanten bei 25 Jahren; vgl. zu den Verfassungen der Einzelstaaten: Williams, The Book of the Constitution. Zitiert nach: Grimsted, American Mobbing, S. 192. Obermann, Wahlen, S. 55. Brewin, Celebrating Democracy, S. 79. Kimmel, Manhood, S. 13–78.

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Während die Parteien häufig nichts dagegen hatten, wenn minderjährige Rowdys sich zu ihren Anhängern gesellten und sich prügelnd ein Stimmrecht erwarben,462 musste ein Greis Vorsicht walten lassen. Sonst konnte es ihm ergehen wie dem 75-jährigen John Cowie, der von einem Rabauken auf den Boden geschleudert und blutig geschlagen wurde, weil er nicht die Partei wählen wollte, die der Mob wünschte.463 Eine Karikatur von 1844 zeigt einen Greis, der klüger handelt. Vor dem Hintergrund einer prügelnden Meute, die das Wahllokal stürmt, erklärt ein Alter seine Wahlabstinenz: »Ich habe seit dreißig Jahren in diesem Wahlbezirk meine Stimme abgegeben. Aber seit das Rowdytum die Szene beherrscht, kann ich nicht mehr wählen gehen, ohne meine persönliche Sicherheit aufs Spiel zu setzen« (vgl. Abb. 10).464 Die Vertreibung der Alten konnte aber auch mit subtileren Mitteln geschehen. 1833 gab ein »Großvater« zu Protokoll, »dass er niemals auf die Idee gekommen sei, dass sein Anspruch auf den Status eines amerikanischen Staatsbürgers je infrage gestellt werden könnte, bis er […] bei seinem Erscheinen im Wahllokal aufgefordert wurde, zum ersten Mal in seinem Leben einen Eid auf diese Staatsbürgerschaft zu leisten, was er ablehnte«.465 Sein altmodischer Stolz und die Weigerung seine Staatsbürgerschaft dem zweifelhaften Geschehen des Schwures auszusetzen, schlossen ihn von den Wahlen aus. Wahlreformer, die sich um eine Disziplinierung amerikanischer Wahlen bemühten, legten daher Wert darauf, Wahlen für die Alten risikoärmer zu gestalten, indem sie beispielsweise Schranken für jüngere Wähler hochzogen. In Massachusetts, wo die Industrialisierung schon früh Wahlreformer auf die politische Bühne rief, galt der seit 1856 erforderliche literacy test nur für Wähler unter sechzig Jahren.466 Doch erst um die Jahrhundertwende, als Geschlechterstereotype hinterfragt wurden und als mit den Reformern ältere Generationen das politische Geschehen wieder stärker mitbestimmten, ließ die Gewalttätigkeit bei den amerikanischen Wahlen nach. 462 Ignatiev, How the Irish became White, S. 185. 463 Bensel, Ballot Box, S. 228f. 464 »Acts for the Better Maintaining the Purity of Elections«, Caricat. American, 1844, 1844–33, NYHS . 465 5th Board of Assistant Aldermen, 3. 6. 1833, Documents of the Board of Aldermen, NYCMA . 466 Ballot Record in Other States, Massachusetts, o. D., Bard Papers, 1896–1959, Box 62, Fold. 7, NYPL .

Elitenprojekt. Wahlen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

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Um die Wende zum 20. Jahrhundert glichen sich die Altersvorstellungen in Europa und den USA an. Der Bevölkerungsanstieg seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert hatte auf beiden Seiten des Atlantiks für soziale Dynamik gesorgt und in Europa die Altershierarchien fragwürdig erscheinen lassen: Es wurde immer unklarer, wer die angestammte Position der Eltern einnehmen konnte, die vielen überzähligen Söhne und Töchter passten nicht mehr in die alten Strukturen und begannen die Städte zu bevölkern.467 Das Heiratsalter der deutschen Männer sank um 1900 auf etwa 27, die Zahl der Verheirateten nahm zu, und jüngere Beschäftigte wurden gegenüber älteren nicht mehr im gleichen Maße diskriminiert.468 Durch die Urbanisierung lebte in den Zentren eine zunehmend jüngere Bevölkerung.469 Mit abnehmendem Heiratsalter aber und mit der zunehmenden Konzentration des Wahlrechts auf das Individuum, sank das Mindestalter: Seit der Jahrhundertmitte fiel das Anforderungsalter für das aktive Wahlrecht um bis zu fünf Jahre und lag dann zwischen 20 und 25 Jahren.470 Das aktive Stimmrecht für die Reichstagswahlen sah bis 1912 ebenso wie in vielen deutschen Einzelstaaten ein Alter von 25 Jahren vor und sank später wie in England und Italien auf 21 Jahre. Beim preußischen Dreiklassenwahlrecht erhielten die Männer von Anfang an, seit 1849, mit 24 das Wahlrecht.471 Die Altersgrenze zwischen 20 und 25 Jahren hatte dann bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Bestand. In den 1970er Jahren senkten die westlichen Staaten das Wahlalter auf 18 Jahre (die USA 1971 und die Bundesrepublik 1972).472 Im 19. Jahrhundert plädierten viele Regierende auch deshalb für ein hohes Wahlalter, weil es das »conservative Princip« bestärkte, wie es ein Bürger 1870 in einem Brief an Bismarck ausdrückte, und zwar jenseits der Frage nach der Reife eines Menschen. Der Briefschreiber erklärte, er halte als liberaler Bürger das Wahlrecht für richtig und wichtig, gleichwohl sehe er die Gefahren des gleichen Reichstagswahlrechts und schlage deshalb vor, »daß die drei Klassen […] anstatt auf der Steuerzahlung, auf dem Le467 Fahrmeir, Revolutionen und Reformen, S. 29–31. 468 Gestrich, Familie, S. 76–79; s. auch Weber, Peasants, S. 178–185; Ehmer, Soziale Traditionen, S. 35–37, 144–145; Tenfelde, Arbeiterfamilie, S. 75. 469 Tenfelde, Großstadtjugend, S. 231f. 470 Wahlordnung, Herzogtum Zähringen, 10. 4. 1848, DB 1, 21, BA ; Rosanvallon, Democracy, S. 104. 471 »Die Wahlrechte in Deutschland und im Auslande«, Bautzener Nachrichten, 20. 5. 1913. 472 Landtagswahlgesetz für Württemberg, 22. 3. 1924, Art. 2, E 30 Bü 320, HStASt .

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bensalter der Urwähler gebildet würden«.473 Das »conservative Princip«, das dem höheren Alter neben der Reife grundsätzlich mehr Dignität zumaß, zeigte sich innerhalb des Wahlrechts an weiteren Stellen. So wurde zuweilen festgelegt, dass bei Stimmengleichheit der Ältere als gewählt gelte.474 Die Vossische Zeitung spottete 1897 über die konservativen Bedenken: »Was Wunder, daß die Angst vor der Jugend sich schon zu der Forderung verirrt, es solle allen Deutschen bis zur Vollendung ihres dreißigsten Lebensjahres das Wahlrecht entzogen werden! Nicht zum ersten Mal hat die ›Kreuzzeitung‹ jetzt dieses Verlangen gestellt … in Schwaben, hieß es einst, werde der Mensch erst im vierzigsten Jahre klug. Weshalb fordert man in Ostelbien nicht, daß die Wahlfähigkeit an das Schwabenalter geknüpft werde?«475 In aller Regel forderten die Linken, Progressiven, die Sozialdemokraten und Linksliberalen eine Herabsetzung des Wahlalters.476 Sie verwiesen darauf, wie wenig rational begründet die Altersbeschränkung sei. In einem Antrag von 1869 im Reichstag, in dem die Sozialdemokraten eine Herabsetzung des Wahlalters auf 20 Jahre verlangten, argumentierte Bebel: »Die Humanität und Gerechtigkeit gebietet, keinem Staatsbürger ein Recht wegen Verhältnissen zu entziehen, in die er in den meisten Fällen ohne seine Schuld und sein Zuthun gerathen ist.«477 Der Publizist Richard Nordhausen erklärte nach dem Scheitern eines solchen sozialistischen Antrags: »Ob die Sozialdemokratie mit ihrem abgelehnten Antrag nur zum Fenster hinaus wirken wollte, oder ob sie es tatsächlich für wünschenswert hält, die Jugendlichen in noch höherem Maße als bisher zu politisieren und sie gleich an die Urne zu schleppen, das bleibe dahingestellt.«478 Nicht nur die Arbeiter, auch die Wähler der Sozialdemokratie waren jünger als der Durch473 Brief von anonymem Schreiber an Bismarck, 31. 5. 1870, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . 474 Königl. Rescript in Betreff der Wahl der Vertretung des deutschen Volks zum Zweck der neuen Begründung der Verfassung Deutschlands, 11. 4. 1848, Art. 11, E 30, Bü 49, HStASt . 475 »Politische Reise«, Vossische Zeitung, 20. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, 22, BA . 476 Antrag Nr. 66, Auer und Genossen, 24. 11. 1893, Reichstag, 9. Legislatur-Periode, II . Session 1893/94; »Die im Reichstage vertretenen politischen Parteien«, in: Beilage zum Staats-Anzeiger für Württemberg, 13. 12. 1911, 16 Bü 253, Durchführung der Wahlen zum deutschen Reichstag. 477 Änderungs-Antrag von Schweitzer, Nr. 58, Hasenclever, Fritzsche, I. LegislaturPeriode, Sitzungs-Periode 1869, R 101, Nr. 3342, BA . 478 »Die Macht der Stimme«, Tag, Nr. 39, 15. 2. 1913.

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schnitt. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Änderung des Dreiklassenwahlrechts unausweichlich schien, befragten die Verantwortlichen erneut die Statistiker im – wie das Statistische Büro mittlerweile hieß – Statistischen Landesamt. Das Ergebnis war eindeutig: Mit über 40 wählte kaum noch ein Mensch die Sozialdemokratische Partei.479 Nicht zuletzt diesem Umstand war es geschuldet, dass das Pluralwahlsystem, das ausgewählten Personenkreisen eine oder mehrere Stimmen zuteilte, vielen so attraktiv erschien. So schlug etwa der Rheinische Bauernverein vor, Zusatzstimmen für die »Erreichung« des 40. sowie zusätzlich des 50. Lebensjahrs zu geben.480 Auch für das Reichstagswahlrecht forderten konservative Kräfte um die Jahrhundertwende, die Altersgrenze auf 30 oder doch auf ein Alter zwischen 25 und 30 anzuheben. Dänemark setzte das Wahlalter in eben dieser Zeit auf 30 hoch.481 Ähnlich wie bei der Wohnortregelung sahen auch die US -Staaten Altersregulierungen vor, und auch hier blieb das Wahlgesetz vielfach ein frommer Wunsch, weil sich die Regierungen bürokratisch schlecht gerüstet zeigten. Nur selten lagen Geburtsregister vor. Zuweilen galt der Bartwuchs als Maßstab. Oft führten erst ein Schwur oder Verhandlungen am Wahlort zur Entscheidung, ob der Wähler alt genug sei: Dieser war erst nach der Hinrichtung jenes Mörders geboren worden, meinte etwa ein Bürger; andere verwiesen auf den Geburtstag ihrer eigenen Kinder. Häufig wurde das vermeintliche Alter eines Mannes daran gemessen, ob er die von den anderen Männern gewünschte Partei wählen wollte.482

Reife und Rationalität Zwei grundsätzliche Dinge lassen sich schließlich noch anhand des Wahlalters erkennen: Erstens war die Erfordernis eines höheren Alters auch 479 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 501f. 480 Rheinischer Bauernverband an Abgeordnetenhaus mit Bitte die 820 Exemplare bei Abgeordneten zu verteilen und bei Herrenhaus-Mitgliedern, 25. 2. 1918, HA 1, Rep 169 C 80, Nr. 25, BA . 481 »Kompensationen«, Das Volk, 24. 12. 1897, R 8034 II , Nr. 5849, BA ; »Reichskanzler und Reichstagswahlrecht«, Königsberger Allgemeine Zeitung, R 43, Nr. 1788, Bl. 38, BA ; »Zur Revision des Reichstagswahlrechts«, Berliner Börsenzeitung, 4. 11. 1897, I. HA Rep. 90A, Nr. 3244, Bl. 3, BA ; »Die sächsischen Konservativen und das Reichstagswahlrecht«, Berliner Tagblatt, 16. 11. 1897; »Die Sozialdemokraten«, Reichsbote, 16. 4. 1898, RLB R8034, II , 5075, 80, BA ; vgl. Meyer, Wahlrecht, S. 446; Sten. Ber. pr. HH , 11. 5. 1904, 312; Below, Wahlrecht, S. 161. 482 Bensel, Ballot Box, S. 94–106.

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dem modernen Prinzip der Rationalität geschuldet. Denn »Reife« bedeutete die Fähigkeit, rational abzuwägen. In der Vormoderne lag die Bedeutung eines Menschen in seinem Stand und seiner Geburt, unabhängig von seinem Alter. Ein Knabe konnte zum Herrscher gewählt werden. Die feudalen Virilstimmen im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches oder in den Landständen konnten Minderjährige haben. So zeigt auch das geforderte Wahlalter die grundsätzliche Differenz zwischen modernen und vormodernen Wahlen an. Zweitens ist die Altersbeschränkung eines von zahlreichen Mitteln der Eindämmung der Massen, wobei sich diese Eingrenzung an vielen Stellen zugleich mit dem Massenwahlrecht ausprägte. Auch aufgrund dieser Logik mussten Frauen, als sie schließlich politisch für mündig erklärt wurden, zuweilen ein höheres Alter erreicht haben als Männer, um das Wahlrecht zu erhalten. In Großbritannien etwa durften Frauen nach dem Ersten Weltkrieg erst mit 31 Jahren wählen, Männer hingegen mit 21.483

483 Nolte, Demokratie, S. 190; Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 202–204.

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2 Mobilisierung Die Gemeinschaft der Männer in der Jahrhundertmitte

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Die Nation an der Urne Landauf, landab wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts gewählt. In der Alten Welt und in der Neuen Welt, auf dem Land und in den Städten. In Amerika hatten sich Wahlen zu einem Volkssport junger Männer entwickelt: Massenaufläufe, Prügeleien, viel, viel Alkohol – und Wahlen, die oft mit der Faust oder durch Korruption entschieden wurden. Das Wahlrecht hatte sich zunehmend ausgebreitet. Spätestens um 1840 waren Wahlen in den USA nicht länger eine Angelegenheit weniger Gentlemen. Die Mehrheit der weißen Männer – etwa 20 Prozent der amerikanischen Gesamtbevölkerung – besaß ein Stimmrecht, und mehr und mehr Ämter wurden über ein Wahlverfahren besetzt. Etwa zweimal im Jahr fanden Wahlen statt.1 1848 durften (mit Ausnahme von South Carolina) erstmals alle Bürger selbst – und nicht mehr die Regierung – die Wahlmänner für die Präsidentschaftswahl wählen, und erstmals geschah dies zur gleichen Zeit.2 In vielen Ländern Europas gab es – wie in den südwestdeutschen Staaten – ebenfalls schon in der ersten Jahrhunderthälfte ein weites Wahlrecht. In der 48erRevolution brach sich der Gedanke der Massenwahlen dann überall Bahn. Zudem kletterte sowohl in Europa als auch in den USA in der Jahrhundertmitte die Wahlbeteiligung auf 60 bis 70 Prozent, teilweise sogar auf über 80 Prozent – das Maximum; mehr ist ohne Wahlpflicht und Wahlzwang in aller Regel nicht zu erreichen.3 Freie und gleiche Wahlen – diese Forderung lag in den Frühlingstagen 1848 in der Luft, und alles sah danach aus, dass sie sich für die Männer

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Hayduk, Gatekeepers, S. 48; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 58. Howe, What Hath God Wrought, S. 832f. Rosanvallon, Democracy, S. 110; DeBats, Hide and Seek; Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 404 u. 598; Sperber, alte Revolution, S. 14 u. 20; Edelstein, Integrating, S. 325; Mattmüller, Durchsetzung, S. 219–221; Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 101.

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durchsetzen würde.4 Die Deutschen wählten in den Kommunen, sie wählten Ländervertretungen, und sie wählten ein erstes gesamtdeutsches Parlament.5 Selbst im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, das später in der europäischen konstitutionellen Landschaft die kuriose Insel ohne Massenpartizipation sein sollte, fügte sich der reaktionäre Adelsstand in ein allgemeines und gleiches Wahlrecht.6 Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. versprach, ein »volkstümliches Wahlgesetz zu erlassen«, das »allen Interessen des Volkes« gerecht werden und eine »umfassende Vertretung« gewährleisten solle.7 Und der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha ließ mitteilen, er erachte Wahlen für »zweckmäßig, ja für nothwendig«.8 England blieb die Ausnahme; wer jedoch »mit richtigem Blick die englischen Zustände« ansehe, erklärte der deutsch-schweizerische Politiker und Freigeist Carl Vogt, der müsse »finden, daß es faul ist an der Wurzel und daß es gezwungen sein wird, baldigst dieses allgemeine Stimmrecht einzuführen, um sich vor dem Ruin zu retten, den ihm der Census und die Bevorzugung der Classen im Innern schafft«.9 Das war neu: Das »allgemeine Wahlrecht«, wie man es nannte, war Gegenstand großer Leidenschaften geworden. Auch wenn die Staatsmacht nach wie vor ein Interesse an der Integration der Bevölkerung durch Wahlen zeigte, wurde das Wahlrecht nun auch von unten gefordert und von den Bürgern intensiv genutzt.10 4

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Vgl. etwa »Die freie Wahl der Führer«, Görlitzer Fama, 4. 5. 1848, S. 3f.; »Breslau, den 2ten Mai«, Vossische Zeitung, 6. 5. 1848, 4; Helwing, Das preußische Wahlgesetz, S. 4; Stadtverordnete von Koblenz an König, Koblenz, 6. 3. 1848, I. HA Rep. 89, Nr. 187, GStA PK ; vgl. auch Schulz, Eliten und Bürger, S. 429; Mattmüller, Durchsetzung, S. 218f.; Dann, Gleichheit, S. 1035. Vgl. etwa Akten in DB 1 / 21, BA ; Öffentl. Bekanntmachung, Magistrat, Berlin, 11. 1. 1849, I. HA Rep. 90A, Nr. 2147, GStA PK ; Zeitungsbericht, Jan. u. Feb. 1849, Stettin, 5. 3. 1849, I. HA Rep. 89, Nr. 16043, GStA PK . »Schwerin«, Locomotive, 11. 5. 1848, S. 128. Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 449. Staatsministerium Sachsen-Coburg-Gotha an Fünfziger Ausschuss von 16. 4. 1848, DB 1 / 21, BA . Redebeitrag Vogt 1849, Paulskirche, zitiert nach Vogel u.a., Wahlen in Deutschland, S. 337. Plakat Bekanntmachung, Magistrat, Berlin, 19. 4. 1848, F Rep. 310, Nr. 1218a, Sammlung 1848, LAB ; Flugblatt von E. Vorster, »Sind die Berliner Wahlen gültig oder ungültig?«, Berlin 26. 1. 1849, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 141, GStA PK ; Aufsätze »Das Wahlgesetz und die Wahlen« u. »Die bevorstehende Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer unseres preußischen Vaterlandes«, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247,

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Neue Funktions- und Bedeutungszuschreibungen für Wahlen Wie hatte es dazu kommen können? War aus dem Elitenprojekt inzwischen eine Sache des Volkes geworden? Bei der Analyse der Wahlrechtserweiterung will dieses Kapitel den Bedeutungen und Funktionen nachgehen, die neue Akteursgruppen nunmehr den Wahlen zuschrieben. Dabei wird abermals die Relevanz des Nationskonzepts deutlich, das in der Jahrhundertmitte zunehmend auch bei Schichten Anklang fand, die nicht einer Elite zuzurechnen waren. Nur im Windschatten der Nationalidee, die mit aufklärerischen Gedanken von Gleichheit und Freiheit verwoben war, konnte sich Massenpartizipation entwickeln, wie im ersten Kapitel deutlich wurde. Die nationale Idee schuf die Grundlage für den – ganz und gar nicht selbstverständlichen – Gedanken, alle Männer (unabhängig von ihrem Vermögen) über die Wahlen an den Staatsgeschäften zu beteiligen. Doch damit hätten Wahlen ebenso blutleer verlaufen können wie Stadtverordnetenwahlen und wie viele Abstimmungen mit einem universal suffrage im 21. Jahrhundert. Es kam 1848 ganz wesentlich auf die Zuschreibungen der Wähler an und auf ihre Bereitschaft, Wahlen in ihre Welt zu integrieren und mit Sinn zu versehen. Dabei lassen sich neben der Idee der Nation zwei weitere Antriebskräfte erkennen: konkrete Interessen, häufig materieller Art, und die Konnotation der Wahlen mit Männlichkeit. Diese Phänomene waren deswegen so bedeutsam, weil sie es nicht zuletzt den Männern der unteren Schichten erlaubten, Wahlen mit ihrer Lebenswelt zu verbinden und ihnen damit Sinn zu verleihen. Die integrierende Kraft, aber eben auch die exklusive Gewalt der Männergemeinschaft erhöhten die Attraktivität und Wertschätzung des Wahlaktes. Das Konglomerat aus Nationsvorstellungen, konkreten Interessen und Männlichkeitsidealen lässt sich sowohl in Preußen als auch in den USA finden. Doch spielte in Preußen der Nationalgedanke bei der Wahlrechtserweiterung eine wichtigere Rolle als in den USA , während materielle Interessen und Gewalt in Amerika einen Stellenwert errangen, der für Preußen kaum denkbar war. Diese unterschiedliche Gewichtung hing auch mit den verschiedenen AkBl. 196–199 u. Bl. 235–236, GStA PK ; Buch »Das Wahlgesetz – Sr. Majestät dem Könige und einer Hohen Nationalversammlung ehrerbietigst gewidmet von Graf von Reichenbach«, Breslau, 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 94–103, und weitere Unterlagen in der Akte, GStA PK ; Verbot eines Massenaufzugs gegen das Wahlgesetz, Staatsmin., 1848, I. HA Rep. 89, Nr. 186, Geheimes Zivilcabinet, Jüngere Periode, Nr. 210–14, BA ; »Graudenz«, Locomotive, 10. 5. 1848, S. 122; vgl. auch Fenske, Strukturprobleme, S. 15.

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teursgruppen bei den Wahlen zusammen: In Preußen waren es nach wie vor die eher liberalen, reformorientierten, gebildeten Bürger der mittleren und oberen Schichten, die sich für Wahlen einsetzten, während in den USA zunehmend untere Schichten das Wahlszenario bestimmten. Insgesamt trugen diese Differenzen dazu bei, dass sich die Praxis der Wahlen in Preußen und den USA in keiner anderen Zeit stärker unterschied als im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Allerdings gebietet auch hier eine angemessene Analyse, das Wahlgeschehen in den größeren Kontext einzuordnen. Auch wenn Wahlen in der Jahrhundertmitte eine neue Wertschätzung genossen, so standen sie für die große Mehrheit der Menschen weiterhin nicht im Zentrum ihres Lebens.

Nation und die 1848er-Revolution Die ganze 48er-Idee, wie sie von städtischen Oberschichten und dann insbesondere im Frankfurter Nationalparlament exekutiert wurde, ergab nur im Rahmen des Nationalgedankens Sinn. Durch ihn erhielt die Revolution ihre Legitimität. Doch gerade die Nationalidee durchdrang in der Jahrhundertmitte immer mehr Schichten. Nicht zuletzt deswegen ist die Revolution von 1848 keine bürgerliche Revolution der oberen Klassen geblieben.11 Wahlen boten für die fortschreitenden Prozesse der Nationsbildung ein meisterhaftes Instrument, nachdem sie zu Beginn des Jahrhunderts eine Antwort auf die frühen Probleme moderner Staatsbildung gewesen waren. Mit Wahlen konnte die Staatsmacht den neuen Anforderungen an nationaler Gemeinschaft und Gleichheit gerecht werden. Wahlen leisteten einen wichtigen symbolischen Beitrag, indem sie die nationale Gleichheit materialisierten. Mit der Ausbreitung der Nationalidee breitete sich auch der Gedanke der Verantwortlichkeit aller Bürger für die Nation aus, der seinerseits die Techniken der Selbstdisziplinierung förderte.12 Die ganzen Jahre des Vormärz über hatte unter vielen Gebildeten in Preußen das uneingelöste Verfassungsverspechen des Monarchen geschwelt, und der Traum von der Nation hatte immer weiter um sich gegriffen. Nicht zuletzt die politischen Vereine hatten wesentlich dazu beigetragen, den abstrakten Nationalgedanken mit der Alltagswelt der Menschen

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Nolte, Demokratie, S. 170. Schulz, Eliten und Bürger, S. 358; Nolte, Demokratie, S. 100.

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zu verbinden.13 Als sich nun 1848 die Herzogtümer Schleswig und Holstein – ganz deutsch fühlend – von Dänemark absetzten und schließlich sogar preußische Truppen in den Konflikt eingriffen, reizte das die Deutschen in ihrer nationalen Hochstimmung. Der Konflikt erhielt bei den Zeitgenossen im Revolutionsjahr 1848 größte Aufmerksamkeit. Auch der Aufstand der Polen, die auf ihre eigene Nation hofften, steigerte das Nationalgefühl der Deutschen und verdeutlichte mit der wachsenden Polenfeindlichkeit bald, wie Inklusion stets mit Exklusion einhergeht und Partizipationsverheißung mit Gewaltbereitschaft.14 Diese Prozesse waren von strukturellen Bedingungen geprägt. Die Aufwertung von Eigentum und der damit verwobene Aufstieg des Bürgertums wurden bereits angesprochen. Die Industrialisierung, die in Preußen in den 1830er Jahren einsetzte, unterwarf das ganze Land scharfen Veränderungen. Friedrich Wilhelm IV. und seine Berater wollten die Modernisierung vorantreiben und die Eisenbahn ausbauen. Für die Finanzierung der Bahn sah sich der Monarch jedoch genötigt, die Stände einzuberufen, was zum Vereinigten Landtag führte. Das wiederum heizte die revolutionäre Stimmung auf.15 Das schnelle Bevölkerungswachstum seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die sozialen Spannungen verschärft. Der »Pauperismus«, womit die Not der Menschen in Hunger und Armut bezeichnet wurde, entsprach immer weniger den aufklärerischen Ideen von Menschenwürde: Er wurde allgemein als eklatantes Unrecht empfunden – auch das war ein neuer Gedanke.16 Bis zur Jahrhundertmitte hatte sich zudem ein neuer, in seiner Bedeutung kaum zu überschätzender Akteur in der nordatlantischen Welt entwickelt: die Massenpresse. Sie war eine der wichtigen strukturellen Voraussetzungen für die Erweiterung des Wahlrechts. Das Ancien Régime war unwiederbringlich vorbei, und der Vormärz erwies sich trotz aller Repressionen in vielerlei Hinsicht als eine dynamische

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Stamm-Kuhlmann, Militärstaat Preußen, S. 117; Schulz, Eliten und Bürger, S. 358; Breuilly, Nationalism; Stolleis, Staatsrechtslehre, S. 99. Langewiesche, Nation, Nationalismus, S. 192; zunächst wurden die Polen auch mit positiven Gefühlen bedacht, vgl. Petition Berliner Studenten »für die Herstellung der Nationalität Polens«, Vossische Zeitung, 11. 5. 1848; Andrae, Erinnerungen, S. 7; vgl. auch Kocka, 19. Jahrhundert, S. 87. Geisthövel, Restauration und Vormärz, S. 121; Clark, Preußen, S. 525f. Mit Friedrich Engels »Briefe aus dem Wuppertal« von 1839 setzte das Genre des sozialkritischen und soziologischen Journalismus ein (Raddatz, Marx, S. 176).

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Epoche, in der Pressefreiheiten gewährt und sich eine (freilich noch kleine, bürgerliche) Zivilgesellschaft entwickelte.17 Die Zeitungen verbreiteten nicht nur in kürzester Zeit die Nachricht vom nationalen Sieg der Liberalen in der Schweiz und von den revolutionären Ereignissen in Frankreich, sondern sie ermöglichten auch, dass die neuen Ideen sich wie Frühlingsluft über Europa legten – und in ihrer scheinbaren Omnipräsenz und Unabweisbarkeit von den Verantwortlichen als Selbstverständlichkeit akzeptiert werden mussten. Die neuen Medien bezogen breite Schichten ein, gerade in Ländern mit einer hohen Alphabetisierungsrate wie den USA oder Preußen. In den amerikanischen Großstädten erreichten die Zeitungen seit den 1830er Jahren nahezu jeden weißen Erwachsenen in den verschiedenen Sprachen der Einwanderergruppen, und als Penny Press waren sie für die Massen erschwinglich. Zeitungen trugen auch in Preußen zu einem sich verdichtenden Kommunikationsraum bei,18 in dem sich die Idee der Nation mit Leben füllte und immer weitere Teile der Bevölkerung ergriff.19 Der preußische Historiker Robert Prutz widmete bereits 1845 der Presse ein ganzes Geschichtsbuch, in dem er erklärte, der Journalismus sei »durch und durch ein demokratisches Institut, […] ebenso wie die Buchdruckerkunst [und] die Eisenbahnen«.20 Die prominente liberale Vossische Zeitung berichtete stets ausführlich unter der Rubrik »Vereinigtes Deutschland« über alle deutschen Länder, die rebellische Locomotive über das »Deutsche Reich in spe«. Auf den Plätzen stellten sich 1848 Männer mit Zeitungen in der Hand aufs Podest und lasen den Menschen vor, was in Preußen, in Deutschland und der ganzen Welt passierte. Neben den dominierenden nationalen Themen und ausführlichen Berichten über jede Truppenbewegung (die Militarisierung dieser Jahre veranschaulichend) fanden sich in der Presse auch zahlreiche Berichte über soziale Fragen, über Aufstände der Druckergehilfen, Streiks und Forderungen der Arbeiter. Weniger Platz nahm das Thema Wahlen ein. Dennoch kann ein gewisser Bedeutungsgewinn nicht übersehen werden. Die Redakteure schrieben über Fragen des Wahlgesetzes, nannten die Namen der Wahlmänner und informierten über Abgeordnete des Frankfurter Parlaments. Sie berichte17 18 19 20

Nolte, Gemeindebürgertum, S. 147; Geisthövel, Restauration und Vormärz, S. 54f. Ryan, Civil Society, 569; Burrows/Wallace, Gotham, S. 667f. u. 674–679. Bösch, Mediengeschichte, S. 97f. u. 104. Prutz, Journalismus, S. 84.

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ten über Wahlrechtsentwicklungen in Spanien und Wahlkorruption in England, über das österreichische Wahlgesetz, welches »das Missfallen aller pol. Gebildeten« finde, über den »aufgeregten Zustand« in Prag während der Wahlen und über Amerikas »Jubel, welcher allenthalben über die demokratischen Bewegungen in Europa herrscht«. Am ausführlichsten informierten preußische Zeitungen über Wahlen und Nationalversammlung in Frankreich.21 Doch Zeitungen gaben auch konkrete Hilfestellungen, ohne die Massenwahlen nicht durchführbar sind. Sie kündigten Wahltermine und Wahllokale an, lieferten Auflistungen der Wahlkreisgrenzen oder informierten über Wahlergebnisse. Zeitungen wurden sowohl in Preußen als auch in den USA sogar in die Wahlgesetze aufgenommen, um die angemessene Informierung der Bevölkerung zu gewährleisten.22 Zeitungen gehörten zum unverzichtbaren Instrumentarium moderner Wahlen. Im Frühjahr 1848 trafen sich in den preußischen Städten vom Rhein bis nach Pommern die Bürger und verfassten Petitionen an den König, in denen sie ihn aufforderten, Wahlen und parlamentarische Mitbestimmung zu ermöglichen. Petitionen waren nichts Neues, doch die Obrigkeit sah die selbstbewussten Wortmeldungen nicht gerne und versuchte mancherorts, sie zu unterdrücken.23 Angesichts der revolutionären Gefühlslage aber hielt sich die preußische Regierung zurück. In Berlin versammelten sich am 13. März über 20000 Menschen. Dabei zeigte sich bereits eine Zweiteilung der Interessen, die für die Demokratisierung typisch war: Die einen (zumeist die Wohlhabenden und Gebildeten) forderten konstitutionelle Rechte, die anderen (eher die Arbeiter und Gesellen) bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen.24 Berlin war voll von »lärmenden Volks21

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Ausgaben Görlitzer Fama, Locomotive etc. um den 1. Mai 1848; »No 131 der Wiener Zeitung«, »Prag« und »Amerika«, Vossische Zeitung, 16. 5. 1848; »Sämmtliche Wahlmänner der Stadt Berlin«, u. weitere Artikel in Vossische Zeitung, 3. 5. 1848, 7f. u. 30. 4. 1848; Münsterberger Stadtblatt, 5. 5. 1848 etc. Bellinger, Compilation, S. 154. Obermann, Wahlen, S. 39. Petitionen aus Magdeburg, Koblenz, Düsseldorf, Schönebeck, Krefeld, Köln etc., März 1848, I. HA Rep. 89, Nr. 187, GStA PK ; Comité für die Reichstags-Wahlen in Trier an Fünfzigerausschuss, Trier, 21. 4. 1848, DB 1 / 21, BA ; Comite des politischen Clubs Namens einer Anzahl von mind. 300 Bürger der Stadt Demmin an Oberpräsident von Pommern, 25. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34, LAG ; Briefe und Petitionen an den König, März u. April 1848, in I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, GStA PK ; An einen hohen FünfzigerAusschuss, Comité für die Reichstags-Wahlen, Trier, 21. 4. 1848, DB 1 / 21, Wahlen zur

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versammlungen«, »Straßentumulte[n]« und »Katzenmusik«, wie ein Bürger notierte.25 Noch im März 1848 brachen die viel besungenen Barrikadenkämpfe in Berlin aus. Sie gehörten zu den erbittertsten Straßenschlachten des Revolutionsjahres in Europa. 900 Menschen starben. Die Kämpfe wirkten wie Dynamit. Die Preußen empörten sich – bereit, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Der König war fassungslos und eingeschüchtert und berief ein neues Kabinett, das sogenannte Märzministerium, das er mit namhaften Liberalen wie Ludolf Camphausen oder David Hansemann besetzte. Auch der pommersche Ökonom Johann Karl Rodbertus, der zur Vermeidung eines »barbarischen« Umsturzes Sozialpolitik zugunsten der Arbeitermassen für notwendig hielt, gehörte dazu. Diese Männer sahen in den Wahlen die Erfüllung eines lang ersehnten Ziels: einer Repräsentativverfassung, aber auch eines einigen Deutschlands mit frei gewähltem Parlament. Bisher hatten sich die Besitzbürger für ein ungleiches Klassenwahlrecht eingesetzt, wie es seit 1845 in der Gemeindeordnung der Rheinprovinz galt.26 Ein gleiches Wahlrecht für die Allgemeinheit schien ihnen, wie auch den bürgerlichen Eliten in anderen Ländern, nicht praktikabel. Doch angesichts der Erschütterung Preußens durch die revolutionäre Gewalt, angesichts der Ereignisse in Frankreich und der ungestümen Wahlrechtsdemonstrationen in den Städten, entschieden sich die Männer der Märzregierung zusammen mit dem ständischen Landtag und dem König für ein allgemeines und gleiches Wahlrecht in Preußen. Das Gesetz wurde am 8. April 1848 erlassen.27 Anders als 1808 stand die Mehrheit der Bevölkerung dem Wahlrecht nicht mehr misstrauisch gegenüber. Gesellenvereine, Klubs und interessierte Bürger setzten sich in Versammlungen und in Pamphleten damit auseinander.28 In Zeitungen, in Protestschreiben und Petitionen, aber auch

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dt. Nationalversammlung in den Einzelstaaten, BA ; vgl. die missfällige Einschätzung von Marx über die Proteste der Arbeiter (Raddatz, Marx, S. 216); vgl. auch Clark, Preußen, S. 537; Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 115f.; zur Breslauer Deputation: Jacoby, Heinrich Simon, S. 209–220. So im Rückblick Temme (Augenzeugenberichte, S. 163). Rapport, Revolution, S. 90; Botzenhart, Parlamentarismus, S. 133–137. Das preußische Wahlgesetz vom 8. 4. 1848. Bekanntmachung (großes Plakat), Der Magistrat, Berlin, 19. 4. 1848, F Rep. 310, Nr. 1218a, Sammlung 1848, LAB ; Flugblatt von E. Vorster, »Sind die Berliner Wahlen gültig oder ungültig?«, Berlin 26. 1. 1849, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 141, GStA PK ; Aufsätze »Das Wahlgesetz und die Wahlen« u. »Die bevorstehende Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer unseres preußischen Vaterlandes«, I. HA Rep. 90 A,

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auf Plakaten, von denen die Mauern Berlins 1848 strotzten, offenbarte sich die neue Bedeutung von Wahlen.29 Bürger forderten »allgemeine Wahlen« oder protestierten gegen den Ausschluss der Dienstboten, der »im Land hierselbst unglücklich wirken« würde, wie es selbstbewusst in einem Schreiben an die Regierung hieß.30 Besonders heftig protestierten die Berliner gegen den indirekten Wahlmodus, während er für die Menschen auf dem Land kein ernsthaftes Thema zu sein schien. Am 19. April sahen sich die Berliner Stadtverordneten dazu verpflichtet, den Märzministern den Rücken zu stärken.31 Auf großen Plakaten und Flugblättern forderten sie »Mitbürger! Freunde!« auf, das neue Wahlrecht vom April zu akzeptieren: »Binnen wenigen Tagen schreitet die ganze mündige Nation zur Wahl.« Sie verwiesen auf die Gewalt der Ereignisse: »Welche Thorheit, zu glauben, irgend ein Mensch, irgend eine Macht der Erde könne uns die Freiheit rauben! Wer das glauben kann, der ist der Freiheit nicht würdig.« Es sei ganz unsinnig, selbstverordnete Gesetze zu bekämpfen: »Kein Minister kann fernerhin der ganzen Nation Gesetze vorschreiben; die Nation macht sich selbst ihre Gesetze.«32 Die Regierung nahm die Debatte über das Wahlgesetz genau zur Kenntnis. Am 24. April 1848 berichtete Camphausen erleichtert, das Verzeichnis der Eingaben »wider die Aufhebung des Wahlgesetzes« zeige, »daß anscheinend fast in allen Staatsbezirken eine bedeutende Einwohnerzahl sich zu Gunsten der Staatsministerii ausgesprochen hat, was vielleicht noch durch die Allgemeine Preußische Zeitung zur öffentlichen Kenntiß zu bringen sein dürfte«.33 Je näher der Wahltermin im Mai rückte, desto

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Nr. 3247, Bl. 196–199 u. Bl. 235–236, GStA PK ; Buch »Das Wahlgesetz – Sr. Majestät dem Könige und einer Hohen Nationalversammlung ehrerbietigst gewidmet von Graf von Reichenbach«, Breslau, 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 94–103, GStA PK , und weitere Unterlagen in der Akte; Verbot eines Massenaufzugs gegen das Wahlgesetz, Staatsmin., 1848, I. HA Rep. 89, Nr. 186, Geheimes Zivilcabinet, Jüngere Periode, Nr. 210–14, BA ; »Graudenz«, Locomotive, 10. 5. 1848, S. 122. Davon berichteten die Zeitungen; einige der Aushänge finden sich noch in den Archiven. Protestschreiben, Berlin, 1. 4. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 2, u. weitere Petitionen und Schreiben in der Akte, GStA PK . Bekanntmachung (Plakat), Magistrat, Berlin, 19. 4. 1848, F Rep. 310, Nr. 1218a, Sammlg. 1848, LAB ; Stadtverordnete, Berlin (Fournier, Schäfer) an Staatsmin., 19. 4. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 15, GStA PK . Anhang Plakat »Mitbürger! Freunde!«, Schreiben Stadtverordnete zu Berlin (Fournier, Schäfer) an Staatsministerium, 19. 4. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 15, GStA PK . Camphausen an Auerswald, 23. 4. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, GStA PK .

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hitziger wurde die Stimmung: Aufruhr und Freude, Protest und Feierlaune – große Erregung aller Orten. Die Vossische Zeitung sprach von einer »Wahlschlacht«.34 Die Dörfer stritten sich darum, Austragungsort der Wahlen zu sein.35 Die Geistlichen auf Rügen berichteten über die auf »der Insel herrschende Aufregung« wegen der Wahlen.36 Die Bürger diskutierten in »konstitutionellen Clubs« über das Wahlrecht, organisierten Demonstrationen oder trafen sich mit Landräten, um die anstehenden Wahlen durchzusprechen.37

Wahlen vom 1. Mai 1848 Dann kam der Tag der Wahl, der 1. Mai 1848. Erstmals durften die Preußen nach einem allgemeinen, gleichen und geheimen Männerwahlrecht ihre Stimme abgeben. Wahlen waren nicht länger die Angelegenheit eines exklusiven Klubs wohlhabender Herren.38 Die Preußen durften sowohl für das deutsche Parlament in Frankfurt als auch für die preußische Nationalversammlung in Berlin nach den neuen Modalitäten abstimmen. Da das Wahlrecht die Indirektheit vorsah, wählten zunächst alle Männer in der »Urwahl« am 1. Mai die Wahlmänner – meist angesehene Bürger wie Rudolf Virchow oder Theodor Fontane. Diese kürten dann am 8. und 10. Mai in der »Hauptwahl« die Abgeordneten. Wohl über 90 Prozent der preußischen Männer im wahlfähigen Alter besaßen 1848 das Stimmrecht – so viele wie in keinem anderen deutschen Staat.39 Das hieß, dass der Prozentsatz der Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung 1848 auf knapp 20 Prozent angestiegen war. Durchschnittlich durften rund 75 Prozent der deutschen Männer im Wahlalter für das Frankfurter Parlament wählen. 34 35

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»Nach den täglichen parlamentarischen Kämpfen«, Vossische Zeitung, 9. 5. 1848. Magistrat von Pasevalck an Oberpräsidenten von Pommern, Herrn von Bonin zu Stettin, 22. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 55, LAG ; vgl. für Frankreich Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 435f. Konsistorium der Provinz Pommern an jeden der Superintendenten Dr. v. Schubert in Altenkirchen, Otto in Garz, Schlopper in Bergen, 26. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 63, LAG . Landratsamt Anklam, Kreissekretär (Name unlerserl.), Anklam, 27. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 64, LAG , u. weitere Korrespondenzen in der Akte; Landrat zu Demmin an Oberpräsidenten, 2. 5. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 87, LAG ; Die Mitglieder des konstitutionellen Vereins, ca. 210 Unterschriften (an Staatsmin.), Insterburg, 24. 4. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 26, GStA PK . Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 124. Mieck, Preußen, 252; Clark, Preußen, S. 547; Botzenhart, Parlamentarismus, S. 140f.

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Ungefähr 70 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, wobei Zahlen für die Wahlbeteiligung gerade auch für Preußen nur schwer zu ermitteln sind.40 Damit möglichst viele Preußen zur Urne gehen konnten, setzte die Obrigkeit bei der Bürgerwehr und bei der Eisenbahn vor allem Männer unter 24 Jahren ein, die noch nicht wählen durften.41 Der König und sein Staatsministerium erklärten den Wahltag zum Feiertag, an dem »die in den bürgerlichen Gesetzen für Sonn- und Festtage gegebenen Bestimmungen angewendet werden sollen«.42 Als am Morgen des 1. Mai 1848 die Kirchenglocken die Preußen zur Urne riefen, trafen sich die Bürger wie bisher zu einem festgelegten Termin. Doch schon die Zusammenkunft einfachster Männer mit den Reichen und Mächtigen, Bauern und Adligen war ein Kuriosum; die bisherigen Städtewahlen in Preußen hatten die Armen ausgeschlossen. Erstmals wählte auch die Landbevölkerung, die nach wie vor die große Mehrheit bildete. Zu Beginn der Wahlversammlung verlas der Vorsteher alle Namen der Wahlberechtigten; alle anderen mussten den Raum verlassen.43 Die Abstimmung in Form einer Zusammenkunft sollte als Zeichen der Einheit und Zugehörigkeit gelten, und die Gesetzgeber verwiesen darauf, wie wichtig »die Feierlichkeit einer öffentlichen Versammlung« sei.44 Die Zeitungen konstatierten allenthalben, dass die Wahlen »von der größten Ruhe und Ordnung begleitet« waren.45 Die Stimmabgabe zielte auf das selbständige Individuum, das frei seinen Willen äußern sollte. Daher sollte die Wahl in Preußen geheim mit Stimmzetteln erfolgen.46 Wie in den anderen deutschen Ländern teilte ein

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Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 101; Obermann, Wahlen, S. 35f.; Botzenhart, Parlamentarismus, S. 141–163; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 609. »Berlin, den 28. April«, Vossische Zeitung, 30. 4. 1848. Friedrich Wilhelm, Camphausen, Bornemann an Staatsmin., Potsdam, 24. 4. 1848, Gesetzessammlung No. 18, Rep. 60, Nr. 34, Die Ausführung des Wahlgesetzes vom 8. 4. 1848, 1848–49, Bl. 2, LAG . Vgl. dazu und zum folgenden Ablauf das Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes vom 8. April 1848; Kill, Münster, S. 201–203. Sten. Ber. Pr. ZK , 42. Sitzung, 26. 10. 1849, S. 902. »Sämmtliche Wahlmänner der Stadt Berlin« und weitere Informationen in der Zeitungsausgabe, Vossische Zeitung, 3. 5. 1848, S. 7f.; Vossische Zeitung, 30. 4. 1848; Görlitzer Fama, 4. 5. 1848; Münsterberger Stadtblatt, 5. 5. 1848; die Ausgaben der Locomotive von 1848. Vgl. zur Nutzung eines Stimmzettels Crook/Crook, Reforming Voting Practices, S. 210; Tanchoux, Procédures.

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Wahlkommissar in der Versammlung die amtlich abgestempelten Zettel aus, auf denen die Wähler den Namen ihres Kandidaten schrieben. Damit auch die Analphabeten votieren konnten, erlaubte das preußische Wahlgesetz Hilfe bei der Niederschrift durch einen »Stimmzähler«. Diese explizite Regelung zeigt, wie ernst die Staatsmacht die Geheimhaltung nahm und welche Bedeutung sie den unteren Schichten beimaß.47 Die Zettel wurden gefaltet, einer der Wahlhelfer sammelte sie ein und warf sie in die Urne, die vor der Wahlkommission auf dem Tisch stand.48 Das Gesetz sah vor, dass die Wahlkommission in Anwesenheit aller die Zettel entfaltete, sie herumzeigte, laut die Namen der Gewählten vorlas und dann notierte. Am 1. Mai 1848 musste sofort im Anschluss an die Wahl das Prozedere von vorne beginnen. Waren im ersten Wahlgang die Wahlmänner für das preußische Parlament gewählt worden, ging es im zweiten Wahlgang um die Wahlmänner für das deutschlandweite Parlament in Frankfurt.49 Die neue Wahltechnik mit Stimmzetteln war schneller als die Ballotage, aber weniger geheim. Denn das Einwerfen der Wahlkugeln ließ sich leichter verdecken, als das Notieren des Namens in der Versammlung. So versuchten Offiziere in Preußen ihre Untergebenen zu beeinflussen. In Koblenz wies ein Unteroffizier in der Wahlversammlung im Biersaal Laupus einen Soldaten zurecht, weil der den Namen eines liberalen Kandidaten auf den Stimmzettel geschrieben hatte. Der Soldat aber erklärte, der Offizier habe ihm »nichts zu befehlen«, worauf der Vorgesetzte ihn ohrfeigte. Die Kameraden und Mitbürger empörten sich, und alles endete »in einer außerordentlichen Wut«, »Stühle, Gläser, Steine, alles, wessen man habhaft werden konnte, flog hagelartig hin und her.«50 In Pommern ließ der Anklamer Landrat »zur Erleichterung der Urwähler und zur Vervollständigung des Ganzen« Stimmzettel drucken, die eine Unterschrift der Wähler vorsahen und damit die Geheimhaltung aufhoben. Wie der Soldat in Konstanz wehrte sich in Anklam der »constitutionale Club« und legte beim Oberpräsidenten Beschwerde ein. Dem schien

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Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes, 8. 4. 1848, § 11. Da im Reglement von »uneröffneten Zetteln« die Rede ist, die nun gezählt und mit der Anzahl der anwesenden Wähler abgeglichen werden sollten, mussten die Wähler also der Geheimhaltung wegen die Stimmzettel falten. Reglement zur Ausführung der Verordnung vom 11. April d. J. über die Wahl der preußischen Abgeordneten zur deutschen Nationalversammlung, zu § 5. »Koblenz, den 2. Mai«, Vossische Zeitung, 6. 5. 1848, S. 5.

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das Regularium selbst nicht ganz klar, sodass er nicht eingriff.51 Womöglich lag die Unterschrift aber auch im Interesse der politisch weniger Gebildeten. In Österreich etwa empfanden viele Bürger die Anonymität der Stimmzetteltechnik als unbegreifliches Arkanum, sie war ihnen »fremd und vielleicht sogar unangenehm«, wie der Historiker Thomas Stockinger schildert, und so notierten viele nicht nur ihre Namen auf den Wahlschein, sondern häufig auch Loyalitätsbekundungen.52 In der preußischen Provinz Posen beklagten sich Wähler einige Monate später, als mit dem gleichen Verfahren abgestimmt wurde, dass leseunkundigen Männern von selbsternannten Helfern der Stimmzettel beschrieben werde, zum Teil mit einem Namen, den die Analphabeten ausdrücklich nicht wollten. Teilweise sei überhaupt nicht geheim, sondern offen mit Zuruf abgestimmt worden.53 Insgesamt aber blieben Manipulationsversuche die Ausnahme, und auch die Obrigkeit griff kaum manipulierend ein.54 Die Wähler saßen nicht länger gelangweilt in Kirchenbänken und ließen ihre Ballotage-Kugeln in die Urne kullern. In der Zahl um ein Vielfaches angewachsen drängten, jubelten, protestierten sie. In Trier attackierten Bürger das Militär, das die schwarz-rot-goldenen Symbole abriss, es kam zu Schießereien, und das Heer meldete einen Toten.55 »Man betrachte doch nur Berlin!«, schrieb die liberale Vossische Zeitung im Mai 1848, »noch vor wenig Wochen an allen öffentlichen Orten die langweiligsten Gespräche über den Hof und unbedeutende Tagesneuigkeiten, so wie die fadesten Witzeleien, jetzt überall eifriger Drang nach Belehrung und gründlichem Austausch der Ansichten über Verhältnisse des Staates.«56 Sogar die drögen Berliner Abstimmungen zur Stadtverordnetenversammlung nahmen einen Aufschwung und erzielten 1848 einen Beteiligungsrekord von fast 51

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Landratsamt Anklam, im Auftrage der Kreissekretär (Name unleserl.) an (unleserl., wohl Oberpräsident Bonin), Anklam, 27. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 64, LAG ; vgl. zur Nichtgeheimhaltung von schriftlicher Abstimmung Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 674f. Stockinger, Voix perdues?. Urwähler aus dem 1. und 2. Wahlbezirk der Stadt Jarocin an Landrathsamt zu Pleschen, 24. 1. 1849, vgl. auch weitere Wahlprüfungsakten unter dieser Signatur, I. HA Rep. 169 C, 80, Nr. 4, Bd. 1, GStA PK . Es gab auch Ausnahmen, vgl. etwa Ausschuss Verfassungsrevision, Drucksache, No. 237, 13. 10. 1849, 17, I HA Rep. 169 C 80, Nr. 1, BA ; Petition an Legitimationsausschuss, 72. Sitzung, Deutsche Nationalversammlung, 5. 9. 1848, DR 51 / 49, BA . »Trier. Am 2. Mai«, Locomotive, 11. 5. 1848, S. 128. »Direkte oder indirekte Wahlen«, Vossische Zeitung, 16. 5. 1848.

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zwei Dritteln der Wahlberechtigten, und während sonst die meisten kommunalen Deputierten einfach wiedergewählt worden waren, überwog nun erstmals der Anteil der Neugewählten.57 Die Vossische Zeitung, die seit Jahrzehnten so viele vergebliche Wahlaufrufe gedruckt hatte, berichtete von sich häufenden Anträgen auf Wiederbewilligung des Stimmrechts durch jene Bürger, denen das Wahlrecht wegen wiederholter Nichtteilnahme an den Wahlen entzogen worden war.58 Massenwahlen blieben in Preußen organisatorisch ein hoheitlicher Akt. Wie bei den Stadtwahlen nahm auch bei den landesweiten Wahlen im Mai 1848 die Obrigkeit eine automatische Prüfung jeder Wahl vor: »Sämtliche Verhandlungen der Wahl, sowohl der Wahlmänner als der Abgeordneten werden vom Landrat resp. Magistrat oder Bürgermeister dem Oberpräsidenten eingereicht, welcher dieselben, mit seinem Gutachten versehen, dem Minister des Innern zur weiteren Mitteilung an die Abgeordnetenversammlung vorzulegen hat« (§ 31). Das dichte preußische Berichtswesen erfasste jeden Wahlgang.59

Die Obrigkeit und die Ideen der Gleichheit Was aber waren die Interessen von Regierung und Monarchie an diesen Wahlen? Zum einen mussten sie schlicht revolutionäre Forderungen erfüllen. Die liberalen Regierungsmitglieder hatten schon lange auf mehr Partizipationsrechte gedrängt und konnten sich mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit abfinden. Doch daneben spielten auch regierungstechnische Überlegungen eine Rolle: Massenwahlen boten die Möglichkeit, das Nationalgefühl für die anwachsenden staatlichen Aufgaben nutzbar zu machen.60 Hegel hatte zu den nationalen Ideen mit seiner Definition des Staates als »Wirklichkeit der sittlichen Idee« einiges beigetragen.61 Im liberalen Staats-Lexikon schrieb Carl Welcker 1848: »Nächst der Familie die allgemeinste, zugleich aber die höchste, allumfassendste und einflussreichste aller menschlichen Einrichtungen ist der Staat«62 – also nicht die Kirche oder die Monarchie. Die Staatsidee aber bekräftigte den Leistungsgedanken, der wiederum die Gleichheitsrhetorik stärkte: 57 58 59 60 61 62

Pahlmann, Wahlverhalten, S. 208; Vossische Zeitung, 16. 5. 1848. »Bekanntmachung«, Vossische Zeitung, 3. 5. 1848. Unterlagen in Rep. 60, Nr. 34, Bl. 64, LAG . Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 153–157. Hegel, Grundlinien, § 257. Welcker, Staatsverfassung, S. 363.

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Wer dem Staat etwas leistete – mit Steuern oder Heeresdienst – habe ein Recht zur Partizipation. Leistung konnte prinzipiell jeder vollbringen. In einem Aufruf vom Mai 1848, der in verschiedenen Zeitungen gedruckt wurde, hieß es: »Hört, wackere deutsche Brüder und Mitbürger […]. Ihr Alle bildet den Staat, habt daher auch alle ohne Unterschied die natürliche Verpflichtung, den Staat zu retten.«63 Das war ganz hegelianisch: Die »höchste Pflicht« der Einzelnen sei es, »Mitglieder des Staats zu sein«.64 Doch wie konnte man die namenlosen Massen dazu bringen, diese Idee zu internalisieren? »Die unassimilierten bäuerlichen Massen mussten genauso in die herrschende Kultur integriert werden, wie sie in eine Verwaltungseinheit integriert worden waren«, notierte Eugen Weber in seinem Buch über die Bildung des Nationalstaats im 19. Jahrhundert.65 In Frankreich war die bemerkenswerte Teilnahme von 85 Prozent der Wahlberechtigten 1848 auf dem Land nicht zuletzt dem günstig gelegten Wahltag, dem Ostersamstag, und der Mobilisierung durch Lehrer und Priester zu verdanken. Massiver Druck von oben – das würde auch weiterhin wesentlich die französischen Wahlen prägen. Eine besondere Herausforderung war es dabei stets, die Landbevölkerung in den Griff zu bekommen. Und tatsächlich mussten die französischen Männer auf dem Land unter der Aufsicht des Bürgermeisters in Dorfgemeinschaften 1848 zum Wahllokal ziehen.66 Wahlen erwiesen sich als eine performative Bestätigung der neuen Gemeinschaft. Ein weites Wahlrecht sollte der »sozialen Frage ihren Stachel nehmen, Liebe zum Staate, konservative Gesinnung daraus hervorwachsen« lassen, wie ein Historiker später die Motive der Frankfurter Abgeordneten zusammenfasste.67 So fand in der Jahrhundertmitte der Dreiklang aus Staat, nützlichem Individuum und Gleichheit anders als zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine breitere Unterstützung.68

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Zitiert nach: Görlitzer Fama, 11. 5. 1848, S. 165. Hegel, Grundlinien, § 258. Weber, Peasants, S. 486; vgl. auch Edelstein, Integrating, S. 323. Rosanvallon, Democracy, S. 98–114; Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 642; Edelstein, Integrating, S. 321–323. Below, Wahlrecht, S. 49. Vgl. dazu ganz typisch Mohl, Lebenserinnerungen, S. 31.

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Das allgemeine Wahlrecht und die Gebildeten Anders als um 1800 hielt nicht mehr nur eine intellektuelle Spitzengruppe Partizipation für eine nützliche Sache. Wahlen galten breiteren bürgerlichen Schichten als Grundlage des Staates und als Ausdruck der nationalen Gemeinschaft.69 »Eine der wesentlichen Fundamental-Bestimmungen der künftigen Verfassung ist das Wahlgesetz«, erklärte Ernst von BülowCummerow, der Reformkonservative und einer der Wegbereiter des kommenden Dreiklassenwahlrechts, »die Zukunft Preußens« erwachse aus dem richtigen Wahlrecht.70 Die ganze Verfassung beruhe auf dem Wahlrecht, konstatierte der Historiker Georg Waitz 1849 als Berichterstatter des Verfassungsausschusses in Frankfurt, »ihr Wesen und Charakter werde vor Allem hierdurch bestimmt«.71 Die Demokraten verwiesen auf die in der Wahlgeschichte so wichtige Erziehungsfunktion: das allgemeine und gleiche Wahlrecht sei das Mittel für die »sittliche Organisation der Massen«.72 Das »Wohl und Wehe der Gegenwart und der Zukunft«, erklärte ein anonymer Autor 1848, hinge von den für die Volksversammlung Gewählten und damit vom Wahlrecht ab.73 »Eine neu erstandene Welt erhebt sich auf den Trümmern der alten«, schrieb der Historiker Helwing Ernst ins Vorwort zu der Ausgabe eines kommentierten »Preußischen Wahlgesetzes«: In die Hände der Wähler sei die »politische Zukunft Preußens, ist das Schicksal des gemeinsamen Vaterlandes gelegt«.74 Die Initiative für die zahlreichen Petitionen, die sich für eine Verbesserung des Wahlmodus einsetzten, ging häufig von den gebildeten, städtischen Bürgern aus, wie beispielsweise in Stettin, wo die Kaufleute und Handwerker in einer Versammlung mit 800 Teilnehmern eine Adresse an den König verlasen und in der Stettiner Börse zur Unterschrift auslegten. In der Petition forderten sie: »Ew. Majestät wolle sich mit den Fürsten vereinigen, um diesem Wunsche der

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»Sämmtliche Wahlmänner der Stadt Berlin« und weitere Informationen in der Zeitungsausgabe, Vossische Zeitung, 3. 5. 1848, S. 7f.; Vossische Zeitung, 30. 4. 1848; Görlitzer Fama, 4. 5. 1848; Münsterberger Stadtblatt, 5. 5. 1848; die Ausgaben der Locomotive von 1848. Bülow-Cummerow: Wahlen, S. 8; zu Bülows Bedeutung: Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 30–35 u. 65. Georg Waitz, 16. 2. 1849, zitiert nach: Vogel u.a., Wahlen in Deutschland, S. 324. Redebeitrag Landfermann, Sten. Ber. pr. ZK , 26. 10. 1849, 883; vgl. auch Kap. 5. Anonymus (F. v. B), Verfassungs- und Wahlgesetz. Helwing, Das preußische Wahlgesetz, S. 4.

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ganzen deutschen Nation nach einem deutschen Volksparlament Gewährung zu verschaffen. […] Die Vereinigung zwischen Fürst und Volk kann aber in deutschen Staaten nur durch eine wahrhafte Vertretung des Volks mit beschließender Stimme bei der gesamten Gesetzgebung erreicht werden.«75 In einigen Fällen organisierten Berliner Bürger landesweite Proteste, wie die Demonstrationen am Gründonnerstag, dem 20. April 1848, gegen den indirekten Wahlmodus – auch das ein Nachweis ihres lebendigen Interesses.76 Das wichtigste Berliner Blatt, die Vossische Zeitung, deklamierte am Vorabend des 10. Mai 1848, dem Tag der Abgeordnetenwahl für die Frankfurter Nationalversammlung: »Indem wir dies schreiben, schwebt über dem ganzen preußischen Vaterlande die Stunde der gewichtigsten Entscheidung. Die Namen derer, welche das Gebäude des neuen Staates aufrichten sollen, mischen sich in den Wahlgefäßen; verhüllt im Wesen unscheinbarer Urnen liegt die entscheidende Zukunft für Millionen.«77 Die gebildeten Männer produzierten immer mehr Literatur über Wahlen und Wahlgesetze. Schon kurz nach den Maiwahlen war »Das preußische Wahlgesetz vom 8ten April 1848, nebst den darauf Bezug nehmenden Ordnungen und statistischen Übersichten« in dritter Auflage erhältlich.78 Städter und Gebildete konzentrierten sich in ihrer nationalen Jubelstimmung auf die gesamtdeutschen Wahlen. Dorthin schickten sie ihre erste Garde und dominierten damit die Frankfurter Szene.79 Die gebildeten Schichten trugen dafür Sorge, dass sich die nationalen Massen an den Wahlen beteiligten. In ländlichen Gegenden wie Pommern fühlten sich die Honoratioren bemüßigt, die Bevölkerung aufzuklären, wie und wer zu wählen sei.80 Priester und Pfarrer flochten in ihre Predigten 75 76

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Bericht Regierungspräsident an Innenminister, Stettin, 14. 3. 1848, zitiert nach: Obermann, Wahlen, S. 54. Die Mitglieder des konstitutionellen Vereins, ca. 210 Unterschriften, Insterburg, 24. 4. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 26, GStA PK ; Minkels, Polizeipräsident, S. 186f.; vgl. zur sozialen Zusammensetzung: Jacoby an Polizeipräsidenten Minutoli, April 1848 zitiert in: Minkels, Polizeipräsident, S. 182f. »Berlin, den 8. Mai«, Vossische Zeitung, 9. 5. 1848, S. 2; vgl. auch »Deutsches Reich in spe – Berlin«, Locomotive, 9. 5. 1848, S. 1. Inserat, Vossische Zeitung, 3. 5. 1848, S. 23. Fenske, Strukturprobleme, S. 51; vgl. auch Below, Wahlrecht, S. 75. Flugblatt »Liebe Landleute«, von 18 Bürgern, Stargard, 25. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34 (Grfswld), Bl. 98, LAG . Landrat zu Demmin an Oberpräsidenten, 2. 5. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 87, LAG .

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Wahlvorschläge.81 Die Zurückhaltung des Staates in Preußen gab den national und revolutionär gesinnten Bürgern mehr Einflussmöglichkeiten. Dabei richteten sie sich mit durchaus divergierenden Absichten an die Bevölkerung. In der Lausitz, so meldete eine Zeitung, lüge man dem Landvolk vor, es dürfte nur »Studierte« ins Parlament wählen.82 In Pommern aber forderte ein Flugblatt die »lieben Landsleute« auf: »Wählt Leute Eures Gleichen! Wählt solche, die da wissen, was Euch Noth thut« – »Wählt jedoch ja nicht Männer, die früher stolz auf Euch herabsahen.«83 Viele Gutsbesitzer betätigten sich im konservativen Geist an den Wahlen. In Oberschlesien etwa gründete ein Verein zur »Förderung der Interessen des Grundbesitzes« zahlreiche »Wahlcomitees«, um für »günstige« Wahlergebnisse zu sorgen.84

Der Hunger und die Eieraufkäufer Doch so ungestüm nationale Ideen durch Preußen und Europa fegten: Für die Mehrheit der Frauen und Männer insbesondere auf dem Land85 waren es Hunger, Missernten und wirtschaftliche Not, die sie auf die Straßen trieben. Wahlen oder parlamentarische Arbeit standen nicht im Fokus der unteren Schichten und der aufkeimenden Arbeiterorganisationen. Die meisten Arbeiter sahen ihre Waffen viel eher im Streik und in Revolten.86 Gleichwohl ließen sie die Gelegenheit der Wahlen nicht ungenutzt, und die damals von Karl Marx herausgegebene populäre Neue Rheinische Zeitung erklärte, die Frankfurter Nationalversammlung sei »hervorgegangen aus der

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Petition an den Legitimations Ausschuss, zu 72. Sitzung, Deutsche Nationalversammlung, 5. 9. 1848, DR 51 / 49, BA ; Anderson, Practicing Democracy, S. 74. »Deutsches Reich in spe – Frankfurt a.M«, Locomotive, 9. 5. 1848, S. 1. Flugblatt »Liebe Landleute«, Stargard, 25. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34 (Grfswld), Bl. 98, LAG . Präsident des Oberschlesischen Vereins zur Förderung der Interessen des Grundbesitzes an Graf von Brandenburg, 12. 1. 1849, I. HA Rep. 90 A, Staatsmin. Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1. Vgl. zur »Politisierung« der Landbevölkerung die Ausführungen von Stockinger, die auch einen detaillierten Forschungsüberblick bieten (Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 37–77, 351–362). Raddatz, Marx, S. 216f.

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Wahl des gesamten deutschen Volkes«.87 Als Ziel fassten viele aus der Unterschicht die Revolution oder eben doch irgendeinen Umsturz ins Auge: das Ende ihres Elends.88 Immer mehr Landarbeiter lebten ohne eigenen Grund und Boden und blieben damit nicht nur jeder Laune des Wetters und der Ökonomie, sondern auch der grundherrlichen Willkür ausgeliefert. Das alte Handwerk befand sich im Niedergang. Den ökonomischen Veränderungen ausgeliefert, stürmten Menschen in ganz Europa in Angst und Panik die Werkstätten und Fabriken und zerstörten Maschinen, die sie als Konkurrenz empfanden. »Gegenüber den schamlosen Orgien der Finanzaristokratie – der Kampf des Volkes um die ersten Lebensmittel!«, beschrieb Karl Marx die Spannungen dieser Transformationsgesellschaft.89 In den »hungrigen Vierzigern« verdarben in ganz Europa die Ernten und führten zu einem furchtbaren Massensterben. Am schlimmsten war es in Irland, wo rund eine Million Menschen verhungerte. »Die seltsamsten Surrogate werden hervorgesucht, um den Hunger zu stillen«, berichtete der Regierungspräsident über die verarmte Bevölkerung in Schlesien, der Provinz mit den reichsten Großgrundbesitzern, »Quecken, Baumrinde, die ersten aufkommenden Kräuter werden begierig gesammelt; selbst die Kadaver gefallenen Viehes«.90 Hunderttausende Menschen auch aus Preußen machten sich auf nach Amerika: Das waren nicht zuletzt Handwerker und situiertere Bürger, die in der Alten Welt wenig Chancen sahen und sich von Amerika mehr Wohlstand versprachen.91

Gewaltsame Proteste in Preußen Die Dagebliebenen revoltierten europaweit in Hungeraufständen und Hungermärschen.92 In Pommern brach 1848 in vielen Städten die Gewalt aus, in Stralsund und Wolgast verwüsteten die Menschen Häuser. Die Empörung der Armen richtete sich 1848 gegen die lokalen Autoritäten, die 87

88 89 90 91 92

»Die Frankfurter Versammlung«, Neue Rheinische Zeitung, 1. 6. 1848; um später allerdings nicht mit sardonischen Bemerkungen über ein eingeschränktes Wahlrecht zu sparen: etwa »Die Berliner ›National-Zeitung‹ an die Urwähler«, Neue Rheinische Zeitung, 26. 1. 1849; »Die ›Kölnische Zeitung‹ über die Wahlen«, 1. 2. 1849. Die Zeitung hatte die beachtliche Auflagenhöhe von 6000 (Siemann, deutsche Revolution, S. 119). Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 483 u. 525. Marx, Klassenkämpfe, S. 123. Zitiert nach Obermann, Wahlen, S. 61. »Das afrikanische Wunder« von Ralph Bollmann und Lena Schipper, FAZ , 31. 5. 2015. Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 195f.; Sperber, Alte Revolution, 16f.; Rapport, Revolution, S. 45–50; Marschalck, Bevölkerungsgeschichte, S. 27–30.

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Landräte, Dorfschulzen, Bürgermeister, Gutsherren, Besitzbürger. Vor dem Haus des Dramburger Landrats in Pommern versammelten sich am 1. April abends um halb acht »30 Chausseearbeiter, begleitet von vielen Straßenjungen« mit der Forderung nach Lohnerhöhung, wie in der Presse berichtet wurde.93 Während die Stettiner Bürger sich am 1. Mai zu den Wahlversammlungen trafen, zogen die Gesellen, die zu jung zum Wählen waren, durch die Stadt, um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen und, wie es in der Stadtchronik hieß, »um die ihnen nach ihrer Ansicht nachteiligen Möbles-Magazine und Kleiderhandlungen zu zerstören«.94 Als man den wählenden Bürgern davon berichtete, griffen die Mitglieder der Bürgerwache zu den Waffen und gingen auf die jungen Männer los. Die Gewalt eskalierte, einige der Gesellen wurden schwer verletzt, einer starb an seinen Wunden.95 »Es sind in Wolgast 6 – 7 Häuser demolirt auch mehrere missliebige Personen gemisshandelt und verwundet. Die Veranlassung dazu sollen alte Forderungen der Bürger, oder vielmehr einiger Bürger, dem Magistrate gegenüber gegeben haben«, schrieb die Vossische Zeitung.96 Breslauer Tagelöhner und Fleischergesellen – auch sie zu jung, um zu wählen – marschierten während der Maiwahlen durch die Straßen und »petirten« in der Öffentlichkeit und beim Magistrat.97 In Berlin war bereits 1847 eine dreitägige Hungerrevolte ausgebrochen. Die Industrialisierung, die Verstädterung und damit die Heimatlosigkeit und Ungebundenheit Tausender Menschen, Heerscharen ohne Dach und Arbeit (das zehn Jahre zuvor gegründete Maschinenbauunternehmen Borsig entließ Hunderte von Arbeitern)98 – all das sorgte für ein Gefühl der Unsicherheit, aber auch für Aufbruchstimmung.

Wahlversprechen Für viele der hungrigen Menschen blieben Ideen von Repräsentation und bürgerlicher Freiheit abstrakt, auch wenn sie sich für die Nationalidee begeistern konnten. Die »ganze Wahlangelegenheit ist neu und ziemlich unklar«, erklärten gebildete Zeitgenossen, das gelte für »die Bewohner«, umso 93 94 95 96 97 98

»Aus Pommern«, Vossische Zeitung, 12. 5. 1848; Obermann, Wahlen, S. 55. Obermann, Wahlen, S. 55. »Stettin, den 2. Mai«, Vossische Zeitung, S. 3. 5. 1848, S. 3, ebenso in der Vossischen »Nachrichten aus Stettin«, 3. 5. 1848; Obermann, Wahlen, S. 55. »Aus Pommern«, Vossische Zeitung, 12. 5. 1848. »Breslau, 10. Mai«, Vossische Zeitung, 13. 5. 1848. Stöver, Berlin, S. 28.

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mehr jedoch »für das noch auf geringerer Stufe politischer Bildung stehende Landvolk«.99 Dennoch begannen auch die unteren Schichten damit, Wahlen mit ihrer Lebenswelt zu verbinden – und zwar auch dort, wo es zuvor schon wie in Württemberg oder Frankreich ein relativ breites Wahlrecht gegeben und wo man bis dahin dem Wahlgeschäft eher lustlos gegenübergestanden hatte.100 Die einfachen Menschen nutzten den Wahltag nicht nur für Demonstrationen und Radau, sondern richteten ihre Aufmerksamkeit auch auf die Wahlversprechen, denen im Wahlkampf eine neue, bedeutende Rolle zukam. Bezeichnend dafür war ein Missverständnis, das in ganz Deutschland auftrat: dass die verheißene »Pressfreiheit« die Abschaffung aller Lasten und Pflichten gegenüber den Gutsherren bedeuten würde.101 In Cöslin ließ der Regierungspräsident am 5. April bekannt machen, dass sich das Gesetz über die Pressefreiheit vom 17. März »nicht auf Aufhebung von Abgaben, einseitige Abänderung von Contracts- und Besitzverhältnissen« beziehe.102 Diese Fehldeutung, die erweiterte Meinungsfreiheit mit Arbeitsentlastung verwechselte, steht geradezu symbolisch für die ganz unterschiedlichen Ziele, die bürgerliche Nationalisten und hungrige Tagelöhner mit den Wahlen verbanden. Da es in Preußen noch keine Parteien gab, zogen zahlreiche Propheten und Idealisten durch die Städte und übers Land, um für ihre Sache zu werben. Wahlkämpfer waren eine neue Erscheinung. Sie hielten aufwühlende Ansprachen, verteilten Flugblätter mit Zukunftsversprechen und stellten häufig die Autorität der Gutsbesitzer infrage.103 »Wie ein Lauffeuer verbreitete sich über ganz Pommern das Gerücht«, erinnerte sich ein Gutsbesitzer, »daß jeder Tagelöhner drei Morgen Acker, einen Morgen Wiesen, dazu Wohnung, Garten, freie Weide für eine Kuh, drei Schafe und vor allen Dingen für seine geliebten Gänse erhalten solle, und wurde fest geglaubt […], 99 Petition an den Legitimations-Ausschuss, 72. Sitzung, Deutsche Nationalversammlung, 5. 9. 1848, DR 51 / 49, BA ; vgl. auch Schreiben des Kreissekretärs an (unleserl., wohl Oberpräsident Bonin), Anklam, 27. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 64, LAG , u. weitere Korrespondenzen in der Akte. 100 Rosanvallon, Democracy, S. 110; Gienapp, Political Culture, S. 18; Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 404, 598 u. 607. 101 Regierungspräsident in Cöslin an Innenminister, 7. 4. 1848, zitiert nach: Obermann, Wahlen, S. 55; vgl. auch Bleiber, Pro oder Kontra?, S. 340; Mellies, Modernisierung, S. 273. 102 Obermann, Wahlen, S. 55. 103 Unterlagen in Rep. 60, Nr. 34, Bl. 64, LAG ; Andrae, Erinnerungen, S. 27f.; Mellies, Modernisierung, S. 272.

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daß alle Pächter hinfort Eigentümer werden sollten«.104 Fassungslose Bürger beobachteten, wie alle Welt den »Wahlwühlereien« frönte: Das war neu, befremdlich und für viele Bürger irgendwie unschicklich.105 Doch die Wahlversprechen waren keineswegs Humbug. Politikwissenschaftler haben gezeigt, welche Bedeutung materielle Wahlversprechen und Korruption haben können: Wenn der Wähler unmittelbar für seine Stimmabgabe belohnt wird, lässt sich sein Interesse nachhaltig für Wahlen und Politik wecken.106 Zudem sind Wahlversprechen bis heute wichtiger Bestandteil einer zentralen Wahlfunktion: der Kommunikation (vgl. Kapitel 2.8). 1848 zeigten sie an, wo die Not am größten war. Bismarck berichtete in der konservativen Kreuzzeitung von Flugschriften, die jedem »Arbeiter 6 Morgen Land, 2 Kühe und 60 Thlr« zusicherten. Die Pommern »lesen sonst nichts Gedrucktes, und was ihnen gedruckt zugeschickt wird, hat für ihre Einfalt stets amtlichen Charakter«, weswegen sie alle Wahlversprechen für bare Münze nähmen, ergänzte Bismarck.107 Ähnliche Zeugnisse finden sich auch für andere Wahlen zu anderen Zeiten, etwa 1867 für den Norddeutschen Bund, als nach knapp zwanzig Jahren wieder erstmals allgemeine und gleiche Wahlen stattfanden. Eine adlige Rittergutsbesitzerin (eine der wenigen sichtbaren Frauen in dieser Geschichte) schrieb nach dem Urnengang an Bismarcks Ehefrau Johanna über das bedauerliche linke Wahlergebnis in ihrem Kreis: »Wenn nun schon im Allgemeinen dem Bauern nur die Politik verständlich ist – die ihm seine Steuern ermäßigt – da sind diese armseligen Weber, welche in immerwährendem Kampf mit […] Sorgen leben, noch leichter zu gewinnen von Solchen, die ihnen eine Verbesserung ihres Looses in Aussicht stellen. Diese Tendenzen verfolgt scheinbar der Redakteur des ›Social-demokraten‹«; mit seinen Versprechungen gewann dieser »Revolutionair« die Wahlen – »zum Großen Ärger der national und conservativ gesinnten Bauern unseres Dorfes«, teilte die Rittergutsbesitzerin mit. Dabei habe ein Teil der sozialdemokratischen Leser absolut nicht gewusst, »um was es sich überhaupt handelte, sie konnten die Proklamationen nicht selbst lesen – aber die Aussicht mehr Lohn und viel Recht zu erhalten – ließ sogar Arbeiter des Hofes im letzten Augenblick die Zettel verwechslen«. »Zettel verwechslen« hieß: Sie 104 105 106 107

Andrae, Erinnerungen, S. 33. Obermann, Wahlen, S. 37. Lu/Shi, Rural Elections. Bismarck, »Stimmungs-Bericht aus Hinterpommern«, Kreuzzeitung, 11. 7. 1848.

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tauschten die konservativen Stimmzettel, die nach Auskunft der Adligen die Rittergutsbesitzer gedruckt hatten, gegen die des »Sozialdemokraten« ein.108 Neben Wahlversprechen war 1848 die revolutionäre Situation ausschlaggebend dafür, dass sich die Massen zum abstrakten Akt der Wahl bewegen ließen: der Glaube daran, dass sich die Dinge zu den eigenen Gunsten ändern ließen. Wenn die Menschen Macht hatten, auf die Straße zu stürmen und Geschäfte einzureißen, Gutsherren zu bedrohen und Schulzen abzusetzen, dann konnten womöglich auch Wahlen die Welt verbessern. Dass die hohe Wahlbeteiligung eine Identifikation des Wahlvolks mit repräsentativen Idealen widerspiegelt, ist unwahrscheinlich.109 Zudem fanden die politischen Aktivitäten meistens in den Städten statt; die Wahlbeteiligung auf dem Land blieb ausgesprochen niedrig. Das lag gewiss auch daran, dass der Weg zum Wahllokal auf dem Land wesentlich mühsamer und damit der Wahlakt zeitaufwändiger war als in der Stadt; wenn also nicht, wie in Frankreich, massiver staatlicher Druck die Menschen zum Urnengang drängte, schien für viele Landbewohner der Aufwand der Stimmabgabe nicht lohnenswert.110 Im schlesischen Münsterberg beschwerten sich die Postillione in der Presse über die Nichtwähler: »Es ist sehr mißliebig bemerkt worden, daß die hohe Wichtigkeit des am 1. Mai abgehaltenen Wahlgeschäfts von noch gar Vielen nicht erkannt« worden sei, »namentlich ist die arbeitende und dienende Klasse so dürftig vertreten gewesen«; das sei deswegen bedauerlich, weil »es ja gerade dieser Stand ist, der sich als den gedrücktesten betrachten mag und wünschen muß recht bald eine Besserung seiner Lage herbeigeführt zu sehen«.111 Die einfachen Leute aber, die wählten, scheinen ihr Geschäft ernst genommen zu haben, und ihre Anzahl war groß genug, um für aufregende Veränderungen zu sorgen. Oft wählten sie als Wahlmänner ihresgleichen.112 Der Landrat des Kreises Greifenberg berichtete an den pommerschen Oberpräsidenten Wilhelm von Bonin, »daß auf dem platten Lande 108 J. von Wiells [?] geb. v. Saffts [?] an Gräfin/Ministerin [Johanna von Bismarck], 16. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . 109 Vgl. dazu die Überlegungen von Stockinger, Dörfer und Deputierte, S. 602f. 110 Obermann, Wahlen, S. 57, vgl. auch S. 58. 111 »Nicht zu übersehen. Die Postillions bei der hiesigen Kgl. Post-Expedition«, Münsterberger Stadtblatt, 12. 5. 1848. 112 »Das Ergebnis der Wahlen in unserem Kreise«, Greifenhagener Kreisblatt, 10. 5. 1848, S. 76.

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des hiesigen Kreises bei den am 1. d[es] M[onats] stattgefundenen Urwahlen mit wenigen Ausnahmen nur Tagelöhner und kleine Bürger zu Wahlmännern erwählt worden sind«. Der Landrat konnte sein Entsetzen kaum verbergen: »Unter diesen Vorbedeutungen kann möglicher Weise das Schauspiel zur Aufführung kommen, daß von dem diesseitigen Kreise ein gewöhnlicher Tagelöhner zur Vereinbarung der Preußischen Staatsverfassung als Abgeordneter erwählt wird.«113 Bismarck erinnerte sich später: 1848 votierte »ganz Hinterpommern socialistisch, lauter Tagelöhner, Krüger und Eieraufkäufer«.114 Und der Historiker Franz Mehring schrieb Jahrzehnte später über die Maiwahlen: »Sogar die hinterpommersche Vendée war rebellisch geworden.«115 Tatsächlich zogen Männer ins Parlament, die nicht nach dem Geschmack der oberen Schichten waren. Adolf von Thadden-Trieglaff, ein Patriarch vor dem Herrn und Mittelpunkt der pommerschen Erweckungsbewegung, verlor in seinem Wahlkreis gegen einen »versoffenen Bauern« , der den Leuten »weitgehende Versprechungen« gemacht hatte, wie ein anderer Gutsbesitzer notierte.116 Missmutige Junker beschwerten sich über das frisch gewählte preußische Parlament, in dem ihr »Stand […] gar nicht vertreten« sei.117 Aus Niederschlesien meldeten sich achtzehn Rittergutsbesitzer, die detailliert aufzählten, welche »Stände« in ihrem Kreis Abgeordnete in die Parlamente geschickt hätten – nämlich der »kleinste Besitz 69 Prozent«, »der mittlere Grundbesitz (Bauern) 26 Prozent«, dazu noch andere zwielichtige Stände, und der »größere Grundbesitz null«.118

Die Parlamente in Berlin und Frankfurt Neben einer großen Mehrheit von höheren und niederen Beamten, darunter Richter, Landräte, Justiz- und Verwaltungsbeamte (70 Prozent der Abgeordneten), wurden auch Dutzende von Bauern (12 Prozent) und Handwerker (5 Prozent) ins preußische Parlament, die sogenannte »Natio113 Landrat zu Greifenberg an Oberpräsidenten Bonin, 3. 5. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 80, LAG . 114 Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Bd. 3, S. 17. 115 Mehring, Sozialdemokratie, S. 371. 116 Andrae, Erinnerungen, S. 32f. 117 Die Stände des Landschaftlichen Pleß’er Kreises, 12. 5. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 55, GStA PK . 118 Die Rittergutsbesitzer (18 Unterschriften), Glogau, 5. 5. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, GStA PK .

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nalversammlung«, gewählt; Gutsbesitzer stellten tatsächlich nur 7 Prozent.119 Diese Versammlung mit Männern auch niederer Herkunft – die »böse Nationalversammlung«, wie sie ein Stettiner Beamter nannte – war ein Schock und ängstigte Bürger und Adlige im konservativen, aber auch im liberalen Lager.120 Von »Originalwasserpolacken als Volksvertreter[n]« sprach ein konservativer Ministerialbeamter, der unter den Abgeordneten Männer wahrnahm, »die Morgenstunden zum Holzkleinmachen« nutzten, die »Kiol Bassa« hießen und »an das Barfußgehen gewöhnt« seien.121 Ein anderer Zeitgenosse schrieb über einen Delegierten, der ein »Brettschneider« sei und der »beim Verfassungsmachen für 3 Thlr. täglich« besser dastehe »als beim Holzhauen«.122 Das »gefahrvolle Gewirre des allgemeinen gleichberechtigten Stimmrechts«, schrieb ein Bürger, das »aus einer mächtig aufgeregten Zeit« hervorgegangen sei, besitze vor allem »Gewalt im Zerstören und Verneinen«.123 Und ein pommersches Kreisblatt schrieb später vom »Unglück, mit dem die vorjährige National-Versammlung unser Land überschüttet hat«.124 Das Parlament erschien vielen als Ausdruck für die trunkene Unordnung der revolutionären Zeit – ähnlich verstörend wie die offenen Äußerungen von Religionsfeindlichkeit, die scheinbare Demütigung des Königs in schwarz-rot-goldenen Farben, der erzwungene Rückzug der Truppen aus Berlin nach den Barrikadenkämpfen oder die Gewalttätigkeit der jungen Männer auf der Straße.125 Dem fernen Parlament in Frankfurt jedoch schenkten die einfachen Männer – anders als die gebildeten Städter – besonders wenig Aufmerk-

119 Mellies, Modernisierung, S. 270–273; Fenske, Strukturprobleme, S. 50f.; Bleiber, Pro oder Kontra?, S. 343; Clark, Preußen, S. 547; Botzenhart, Parlamentarismus, S. 608. 120 C. E. Nendell, Kantor und Lehrer der evangelisch refomirten Schloßgemeinde, im Auftrage, Stettin, 11. 2. 1849, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 152, GStA PK u. weitere Zuschriften in der Akte; »Wer soll Vertreter des Volkes sein«, Demminer Wochenblatt, 31. 1. 1849, VI . HA Nl. Boetticher, K., 31, GStA PK ; Bleiber, Pro oder Kontra, S. 343; Obermann, Wahlen, S. 85f. 121 Andrae, Erinnerungen, S. 49f. 122 Bismarck, »Stimmungs-Bericht aus Hinterpommern«, Kreuzzeitung, 11. 7. 1848. 123 Flugblatt »Die bevorstehende Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer unseres preußischen Vaterlandes« von Dr. H. Thiele, Halle, 20. 7. 1849, I. HA Rep. 90A, Nr. 3247, Bl. 235f., GStA PK . 124 »Wer soll Vertreter des Volkes sein«, Demminer Wochenblatt, 31. 1. 1849, VI . HA Nl Boetticher, K., 31, GStA PK . 125 Clark, Kulturkampf, S. 27; Clark, Preußen, S. 539–543; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 446; Andrae, Erinnerungen, S. 17.

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Abb. 9 »Wie der geehrte Abgeordnete für Hinterpommern über die deutsche Frage denkt«. Für Zeitgenossen war das Phänomen des Abgeordneten aus dem Volk eine kuriose Neuerung. Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 2 (1869), S. 68

samkeit. Einige pommersche Gemeinden machten sich noch nicht einmal die Mühe eines zweiten Wahlgangs für Frankfurt.126 Ein Landrat meldete, dass die Abstimmungen zur deutschen Nationalversammlung »günstiger« ausgefallen seien als die preußischen Wahlen, da sich hier »ein geringeres Interesse der überall die Mehrzahl bildenden kleinen Leute kund gegeben«.127 Das geringere Interesse der Wählermassen am gesamtdeutschen Parlament im Mai 1848 lag gewiss auch daran, dass zuerst die Wahlmänner für Preußen gewählt wurden und danach die Frankfurter – und das an einem Werktag. Der Redakteur Friedrich Held verkannte in einsamer Radikalität die Dinge, als er in seiner Locomotive bebend resümierte: »Das deutsche Volk hat keinen Sinn für die Freiheit!«128 – Das Wahlergebnis lässt sich vermutlich einfacher erklären: Die Tagelöhner und »Eieraufkäufer« brachten nicht auch noch für einen zweiten Wahlgang die Zeit auf,129 und sie hatten trotz aller nationalen Euphorie, die auch bei ihnen eine Rolle spielte, weniger Sinn für »Grundrechte« oder »Repräsentation«, die in Frankfurt die Gemüter erhitzten.

126 Mellies, Modernisierung, S. 274; vgl. auch Kill, Münster, S. 201–203. 127 Landrat zu Greifenberg an Oberpräsidenten Bonin, 3. 5. 1848, Rep. 60, Nr. 34, Bl. 80, LAG . 128 »ABC «, Locomotive, 10. 5. 1848, S. 1. 129 In den folgenden Wahlen, im Januar 1849, achteten die Behörden darauf, die Abstimmungen durch mehr und kleinere Wahlversammlungen zu verkürzen (Vossische Zeitung, 1. 5. 1849).

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Demokratische Rhetorik in den USA In den USA scheinen hingegen seit der Jahrhundertmitte partizipative Ideale gerade auch für die einfacheren Schichten eine immense Bedeutung errungen zu haben. Republikanische und egalitäre Diskurse erfüllten überall in den USA die Luft. Die Männer in South Carolina wünschten sich, dass sie mehr Ämter durch Wahl besetzen dürften.130 Häufig finden sich in den Akten Eingaben, die für die Einrichtung weiterer Wahllokale, kürzerer Wege zur Urne und längerer Öffnungszeiten plädieren.131 Besonderen Unmut rief seit den 1840er Jahren die Tatsache hervor, dass die Wahlmänner für das Präsidentenamt in South Carolina von der Regierung bestimmt und nicht von den Bürgern gewählt wurden: »In einer Republik ist das Volk die Quelle aller Macht und aller Ehre«, protestierten 1845 einige Bürger, »und wenn seine Vertreter ihnen das in der Verfassung garantierte Privileg vorenthalten, ihre Vertreter zu wählen, sind sie nicht mehr FREI .«132 Zwar muss man auch hier davon ausgehen, dass eher die Bessergestellten und nicht etwa die armen Farmer im Upcountry solche Forderungen stellten. Dennoch deuten die Petitionen darauf hin, dass Wahlen – anders als zu Beginn des Jahrhunderts – für immer mehr Männer attraktiv wurden. Die ganz normalen weißen Amerikaner demonstrierten ebenfalls eine überbordende Gleichheits- und Demokratierhetorik. Es gehe bei den Wahlen um nichts weniger als darum, »die Dauerhaftigkeit unserer demokratischen Institutionen sicherzustellen«, wie es 1840 in einem Flugblatt der New Yorker Democrats hieß.133 Wahlen galten als »ein weiterer triumpha-

130 Petition from sundry Persons to give the Election of Commissioner in Equity to the people, o. D., 1844, S165015, Item 174, 1844, SCDAH ; S165005, Item ND 5003, 1857 C., SCDAH . 131 A Petition of the citizens of Abbeville Dist. praying a new place of Election, called Speeds Box, 7. 11. 1844, S165015, Item 168, 1844, SCDAH ; Petition of city [unleserl.] of Pendleton Dist. praying the establishment of a place of election, S165015, Item 175, 1844, SCDAH , und zahlreiche weitere items in S165015. 132 Petition of Sundry citizens of Greenville Dist. praying that the election of Electors for President and vice President may be given to the people, S165015, Item 54, 1845, SCDAH ; vgl. auch Petition of L. G. W. Dill praying a refusal of the act of 1824, ca. 100 Unterschriften, o. D., 1843, S165015, Item 123, 1843, SCDAH . 133 »The Democratic Corresponding Committee«, New York, 24. 9. 1840, Stanford University Libraries, https://searchworks.stanford.edu/view/8127512 [5. 2. 2017]; vgl. auch »Make way for the Indomitable 5th Ward«, Zeitungsausschnitt, o. A., 1840, Fifth Ward Whig Committee Electors records, 1840–1850, NYPL .

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ler Ausdruck der Stimme der Demokratie«.134 Alle Parteien priesen Wahlen als »erhaben und feierlich«,135 sie würden »billigerweise als ein Grundrecht angesehen«.136 Ein französischer Beobachter notierte: »Der Ausdruck ›Demokrat‹, der anderswo selbst die Anhänger der Republik in Angst und Schrecken versetzen würde, wird hier mit großem Beifall bedacht, und die Bezeichnung ›demokratisch‹ wird eifersüchtig von allen Parteien als Alleinstellungsmerkmal in Anspruch genommen.«137 In riesigen Paraden zum 4. Juli und anderen sich bietenden Gelegenheiten jubelte das freie (weiße) Volk. New York, nach Berlin und Wien die drittgrößte »deutsche« Stadt, glorifizierte 1848 die revolutionären Erhebungen der Deutschen.138 Lajos Kossuth, den ungarischen Kämpfer gegen österreichischen und russischen Despotismus, empfingen die New Yorker 1851 wie einen nationalen Kriegshelden.139 Doch was genau meinten diese Männer mit »Demokratie«, warum nahm die Wahlbeteiligung in den Vereinigten Staaten so stark zu?

Parteienzirkus in Amerika Der Blick auf die Wahlpraktiken in den USA in der Jahrhundertmitte erlaubt freilich keine eindeutige Antwort. Die Männer trafen sich während der zwei bis drei Tage dauernden Wahlen beim Wahllokal, das sich im Rathaus, im Feuerwehrhaus, in einem Laden, in der Kirche, immer häufiger in der Kneipe, oft auch in einem Privathaus befand. Vor dem Wahllokal drängten Parteimitglieder den Wählern die Stimmzettel auf, die von den Parteien gedruckt worden waren. Der Andrang war gewaltig. Zeitgenossen berichteten, man hätte manchmal geradezu über die Köpfe der andern

134 Zitiert nach Ryan, Civil Society, S. 573. 135 Petition of L. G. W. Dill praying a refusal of the act of 1824, ca. 100 Unterschriften, o. D., 1843, S165015, Item 123, 1843, SCDAH ; vgl. auch Sundry citizens of Laurens Dist. an the speaker and members of the House of Representatives, 25. 10. 1838, S165015, Item 134, 1838, SCDAH ; Eintrag vom 2. 12. 1840, Hone, Diary (Bd. 2), S. 53. 136 Sundry citizens of Laurens Dist. an the speaker and members of the House of Representatives, 25. 10. 1838, S165015, Item 134, 1838, SCDAH ; vgl. auch Eintrag vom 2. 12. 1840, Hone, Diary (Bd. 2), S. 53. 137 Chevalier, United States, S. 108. 138 Proceedings of the Board of Aldermen, 8. 5. 1848, NYCMA ; Burrows/Wallace, Gotham, S. 745. 139 Burrows/Wallace, Gotham, S. 822.

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laufen müssen, um ans »Wahlfenster« zu gelangen.140 Dort reichte der Wähler von außen durch das Fenster hindurch den Stimmzettel dem Wahlleiter, der im Haus stand und den Wahlschein in die Urne warf. Das Arrangement mit einem Fenster oder einer Barriere war nötig, um die Wahlurne vor den andrängenden Massen zu schützen (vgl. Abb. 13). Das lieferte jedoch den einzelnen Wähler umso mehr den Massen aus, die sich rings um das Wahllokal versammelten. Durch das Setting der Wahl hing also die Stimmabgabe wesentlich von der körperlichen Kraft ab. Das Wahllokal sei, so Richard Bensel, zuweilen »der am wenigsten demokratische Ort in der gesamten amerikanischen Politik« gewesen.141

Stimmen kaufen und verkaufen Für viele verhieß der Wahltag ein gutes Zusatzeinkommen. Ein Mann konnte seine Stimme für etwa einen Dollar verkaufen; der Preis blieb während des 19. Jahrhundnerts recht stabil.142 Außer Geld boten Kandidaten den Wählern aber auch Alkohol. Bei der Korruption spielten die Parteien eine immer wichtigere Rolle. Das leicht verdiente Geld und die Sauferei sorgten unter den Männern für gute Stimmung, und es machte Spaß, mit den Parteien durch die Straßen zu ziehen, den Alltag zu vergessen, »Gegner« zu verprügeln, Afroamerikaner zu jagen, denen man sich auch als armer Einwanderer überlegen fühlen konnte. Parallel zu den Massenwahlen entwickelte sich das spoils system, wie es die Kritiker abwertend nannten, bei dem der Wahlsieger die öffentlichen Ämter an seine Parteileute verteilte. Dieses Patronage-System gilt als eine der zentralen Grundlagen amerikanischer Partizipation im 19. Jahrhundert. Auch als die Politisierung nach dem Bürgerkrieg weiter zunahm, blieb für viele Wähler der Wahlakt nur insofern interessant, als er unmittelbar ihren materiellen Interessen diente. Als ab 1867 die Afroamerikaner für wenige Jahre das Wahlrecht ausüben durften, sorgte zwar auch hier die Hoffnung auf Landbesitz für die hohe Wahlbeteiligung (knapp 90 Prozent!).143 Gerade bei den afro140 Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 75; Brewin, Celebrating Democracy, S. 78. 141 Bensel, Ballot Box, S. 292. 142 Affidavit of O. Rowley, in Common Council, January 12, 1829, NYC Common Council Papers, Box 122, Folder 2218, Elections 1829, NYCMA ; »Hired Repeaters Crowding Out Thousands of Voters«, The Sun, 18. 5. 1870; Riis, Other Half, S. 43; Bensel, Ballot Box, S. 62. 143 Foner, Reconstruction, S. 290f.; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 272.

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amerikanischen Wählern zeigte sich jedoch, dass die Forderungen und Träume der unteren Schichten bei Wahlen auch viel weiter gehen konnten. Für Afroamerikaner wurde das Wahlrecht zum Inbegriff von Freiheit und Gleichberechtigung.

Keine geheime Stimmabgabe Die Wahlen waren allen juristischen Regelungen zum Trotz selbstverständlich nicht geheim. Für nahezu das ganze 19. Jahrhundert galt de facto kein geheimes Stimmrecht, wie der amerikanische Wahlforscher Philip Converse feststellt.144 »Die geheime Abstimmung vor aller Augen« – so hat Alain Garrigou die Wahlpraxis umschrieben.145 Vielfach herrschte ohnehin die Überzeugung vor, nur die öffentliche Wahl gewährleiste republikanische Tugenden (in Preußen sagte man: »Mannestugenden«). Wahlen als der Inbegriff verantwortungsvoller Gemeinschaft sollten ein öffentlicher, männlicher, direkter Akt sein. Noch häufiger aber spielte die Frage von geheimen oder offenen Wahlen schlicht keine Rolle, sie war in der Regel ein Streitpunkt für Intellektuelle.146 Bei den amerikanischen Wahlen konnte jeder bei der Stimmzettelübergabe sehen, welche Wahlentscheidung ein Mann getroffen hatte. Denn der von den Parteien gedruckte Wahlzettel ließ meistens leicht die Parteienpräferenz erkennen. In der ersten Jahrhunderthälfte galt die Stimmabgabe per Stimmzettel häufig auch de jure als offene Wahl: »Der Wähler soll seinen Stimmzettel dadurch bekräftigen, dass er seine Entscheidung vorliest und den Anwesenden bekannt gibt«, wie es 1846 hieß.147 In Utah, wo eine homogene Bevölkerung mormonischen Glaubens lebte, gaben die vom Wahlvorstand als »Brüder« angesprochenen Wähler lediglich ihren Namen an, der dann notiert wurde. Der Wahlvorstand warf für sie einen Stimmzettel mit dem Namen des mormonischen Kandidaten in die Urne. Viele Mormonen gaben auch die Namen ihrer »Freunde draußen in den Canyons oder den Kohlegruben« an, für die dann ebenfalls ein Wahlschein eingeworfen wurde.148 In verschiedenen Staaten wurden die Stimmzettel durchnummeriert und die Namen der Wähler in einer Abstimmungsliste mit dieser Nummer eingeConverse, Change, S. 277. Zitiert nach Tanchoux, L’Introduction, S. 182; vgl. auch Stockinger, Voix perdues?. Vgl. zu den hybriden Formen offener und geheimer Wahl Buchstein, Public Voting. Charles O’Conor, 1846, zitiert nach: Lincoln, Constitutional History of New York, Bd. 3, S. 114; Bourke/DeBats, Identifiable Voting, S. 269. 148 Zeugenaussage, 1867, zitiert nach: Bensel, Ballot Box, S. 215. 144 145 146 147

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Abb. 10 Wie es nicht sein sollte: Anstatt durch das Wahlfenster den Stimmzettel zu reichen, stürmen die Massen das Wahllokal. Acts for better maintaining of the purity of elections (litho), 1844, American School, (19th century) / American Antiquarian Society, Worcester, Massachusetts, USA / Bridgeman Images

tragen.149 Die offene Wahl ohne Stimmzettel war gewiss keine »aristokratische« Form des Wählens (auch keine typische Südstaaten-Wahltechnik),150 wie die Vorkämpfer für die geheime Stimmabgabe schon in der ersten Jahrhunderthälfte und dann die Reformer verstärkt um 1900 behaupteten, um ihr favorisiertes System der geheimen Stimmzettelwahl zu rechtfertigen.151

149 Bensel, Ballot Box, S. 56. 150 Eine Behauptung, die verschiedentlich von der Forschung übernommen wurde, Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 247; Morgan, Inventing the People, S. 184; Bourke/DeBats, Identifiable Voting, S. 273. In South Carolina beispielsweise schrieb das Gesetz bereits 1808 das »ballot« vor (A Synopsis, o. D., ca. 1850er Jahre, in: Bellinger, Compilation, S. 535); An Act to Authorize the Citizens of This State, No. 376, 1808, Statues of South Carolina, u. An Act to Amend the Acts Regulating Elections, No 449, 1831, in: Bellinger, Compilation, S. 145 u. 170, ähnlich S. 342 (von 1820), 356 (von 1841, hier ist vom »written ballot« die Rede, ebenso S. 432 u. 535). 151 Buchstein, Public Voting, S. 17.

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Warum aber schrieben Gesetzestexte bereits um 1800 die geheime Stimmabgabe vor? Wahrscheinlich war die Idee der geheimen Wahl ein Relikt der elitären vormodernen Wahlen.152 Nicht nur in Preußen, sondern in ganz Deutschland, wo die Stimmzettelwahl bereits für 1419 belegt ist,153 sahen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Wahlordnungen vielfach eine geheime Abstimmung vor.154 Ebenso übernahmen auch in den USA manche Staaten das veraltete, geheime Verfahren. Die obsoleten Techniken erwiesen sich dabei stets nur noch bedingt als sinnvoll. Das Wissen, dass die geheime Abstimmung die Wahlfreiheit schützte und für eine rationale Entscheidung wichtig war, blieb unter den informierten Juristen und anderen Gebildeten lebendig, doch für die meisten Wähler hatte es keine Bedeutung. Wahlgesetze blieben daher oft uneindeutig. Allein für New York liegen zeitgleich die unterschiedlichsten Regulierungen vor, die nebenbei auch verdeutlichen, wie wenig in den USA der geschriebene Gesetzestext zählte. So führte der Staat New York bereits in den 1780er Jahren die Wahl durch einen beschriebenen Stimmzettel (by written ballot) ein.155 Das schien allerdings in Vergessenheit zu geraten, denn 1804 kam es erneut zur Einführung eines Stimmzettels.156 1822 dann genehmigte der Staat feierlich den gedruckten Stimmzettel (printed ballot),157 und in den städtischen Akten finden sich in den Jahren 1823 und 1829 Zeugnisse für den Gebrauch eines Wahlscheins.158 Doch 1829 erklärten die New Yorker Stadtväter: »Eine Abstimmung mit Stimmzetteln anstelle der mündlichen Stimmabgabe [viva voce] würde bei jeder Wahl aufs Neue zu größten

152 Stollberg-Rilinger, Symbolik und Technik. 153 In der Freien Reichsstadt Isny im Württembergischen (Burmeister, Entwicklungstendenzen, S. 123). 154 Gerlach, Geschichte, S. 34–36; Oberamt Urach an Schulheißten-Amt, 28. 6. 1842, E 7, Bü 97, HStASt ; Königl. Dekret, betr. Die Anordnung einer neuen Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer, Regierungs-Blatt für das Königreich Württemberg, 19. 11. 1831, E 146 Bü 7604, HStASt . 155 Vgl. die Verfassungsangaben und Gesetze zitiert nach: Bernheim, Ballot in New York, S. 130f. 156 Johnston, New York after the Revolution, S. 310. 157 New York Laws, April 1822, zitiert nach Buchstein, Stimmabgabe, S. 410. 158 State of New York, 23. 12. 1823, u. weitere Unterlagen in NYC Common Council Papers, Box 90, Folder 1863, Elections 1824, NYCMA ; Offered by John Sozier, 5. 5. 1828, NYC Common Council Papers, Box 115, Folder 2143, Elections 1828, NYCMA ; Petition to Sames Pohner, 20. 11. 1829, NYC Common Council Papers, Box 122, Folder 2218, Elections 1829, NYCMA .

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Schwierigkeiten und Verwirrungen führen.«159 Tatsächlich: Der Wahlakt war in jeder Hinsicht ein öffentliches Geschäft, die Praxis einer Face-toface-Gesellschaft, in der sich jeder berechtigt fühlte, vom andern so ziemlich alles zu wissen. Politik war keine abstrakte Sache, sondern eine lokale Angelegenheit – und nur insofern konnte sie die Menschen auch interessieren. Die Jacksonian Democracy, die mit der Präsidentschaft Andrew Jacksons (1829–1834) begann und bis Mitte der 1850er Jahre dauerte, steht – trotz aller Abstriche, die die neuere Forschung zu Recht macht – ebenso wie die aufstrebende Democratic Party für eine Politisierung breiterer Schichten. Andrew Jackson, ein Haudegen, Kriegsheld und Schlächter der Native Americans, war das Idol der weißen jungen Männer. Den alten Eliten erschien er vielfach als Provokation, und wer Verstand und Kultur besaß, so meinten sie, müsse den Selfmademan missbilligen, von dem seine Anhänger in der Präsidentschaftskampagne gegen John Quincy Adams 1828 schwärmten: »Adams kann schreiben, Jackson kann kämpfen.«160 Die Jacksonian Democracy markierte eine Vulgarisierung der Politik: weg von den patriarchalischen, reichen Grandseigneurs, hin zu den draufgängerischen weißen Männern, die sich dann die Wahlen aneigneten. Korruption spielte eine immer größere Rolle. Dabei lähmten die Wahlen über Tage hinweg das ganze Land. »Die wirtschaftliche Aktivität kommt zum Erliegen«, beobachtete ein Zeitgenosse 1840, »der Hammer bleibt auf dem Amboss liegen, der Kaufmann vernachlässigt sein Kontor und der Anwalt seine Kanzlei. Niemand lädt einen Freund zum Essen ein, und es gibt kein anderes Gesprächsthema als die Wahlen.«161

Frühe Wahlmanipulationen in New York City In New York City zeigten sich die Veränderungen besonders früh und wie unter einem Vergrößerungsglas. 1815 hatte für die 100000 Einwohner noch eine strenge Grundbesitzqualifikation gegolten, 1850 hingegen durften von den auf über eine halbe Million angewachsenen Stadtbewohnern nahezu alle weißen Männer wählen. Dazu zählten auch die Zehntausen159 Report, adopted, 26. 1. 1829, NYC Common Council Papers, Box 122, Folder 2218, Elections 1829, NYCMA ; s. a. die returns, die den Namen der Wähler mit dessen Votum auflistet, in: Report of Commission, 24. 12. 1824, NYC Common Council Papers, Box 90, Folder 1863, Elections 1824, NYCMA . 160 Zitiert nach Tindall/Shi, America, S. 287. 161 Eintrag vom 5. 11. 1840, Hone, Diary (Bd. 2), S. 51.

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den eingebürgerten Zuwanderer, die allein in den 1840er Jahren die Einwohnerzahl der Stadt um 65 Prozent anwachsen ließen. 1815 noch hatte die Staatsregierung in der Landeshauptstadt Albany die wichtigsten Ämter besetzt, 1850 aber bestimmten die Wähler die Amtsinhaber in der Verwaltung und in der Kommunalregierung.162 Auf faszinierende Weise zeigte sich in New York City auch, wie eng Massenwahlen mit Gewalt und Korruption zusammenhingen.163 Früher als anderswo lief in New York die »Wahlmaschine« einer politischen Organisation heiß: Tammany Hall hieß die berüchtigte Polit-Mafia. Der Boss der Organisation segnete die Nominierungen der Kandidaten ab, und ein immer dichter werdendes Netz an Tammany-Mitarbeitern überwachte die Wahlbezirke.164 Bestechungen waren problemlos möglich, weil sich das Votum des Wählers bei den öffentlichen Abstimmungen leicht überwachen ließ.165 Ihren Erfolg erkämpfte sich Tammany vor allem damit, dass sie sich um die Heerscharen der Einwanderer kümmerte und diese mit einem zusätzlichen Obolus zu einer ihr genehmen Stimmabgabe drängen konnte. Die junge Democratic Party, die sich auch als Partei der Einwanderer verstand, und Tammany arbeiteten meistens eng zusammen. 1821 hatte die neue Verfassung New Yorks das Wahlrecht für Weiße massiv ausgeweitet, und 1828 war es zur ersten New Yorker Stimmabgabe mit eklatanten Wahlfälschungen gekommen.166 Das war aber lediglich der Auftakt. Seit den 1830er Jahren häuften sich die Probleme, und die Wahlakten der Stadtverwaltung wiesen nicht mehr nur returns und Amtseide auf, sondern eine Fülle an Beschwerden und Erlassen bis hin zu langen Recherchen über die Gültigkeit von Wahlen.167 1833 nahm sich die Stadt vor, das Bernheim, Ballot in New York, S. 132f. Clubb u.a., Analyzing Electoral History, S. 157f. Vos, Hall, S. 1150f.; Clubb u.a., Analyzing Electoral History, S. 158. Keyssar, Right to Vote, S. 28; vgl. zu New York: Proceedings of the Board of Aldermen, 24. 6. 1833, NYCMA . 166 Es waren also nicht erst die Wahlen von 1844, wie Davenport behauptet (Davenport Election and Naturalization Fraud, S. 29); vgl. Kap. 1.3: »Republikanische Eliten in den USA «. 167 Petition Sames Pohner an Mayor, Aldermen + Commonalty of the City of New York, 20. 11. 1829, NYC Common Council Papers, Box 122, Folder 2218, Elections 1829, NYCMA ; Unterlagen in NYC Common Council Papers, Box 129, Folder 2294, Elections 1830 u. Unterlagen in NYC Common Council Papers, Box 135, Folder 2366, Elections 1831, NYCMA ; Proceedings of the Board of Aldermen von 1830–1833, NYCMA ; Documents of the Board of Aldermen, Nr. 1f., 4f. in diesen Jahren, NYCMA . 162 163 164 165

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bisher ungeklärte Prozedere für eine Wahlprüfung rechtlich zu fixieren.168 Immer wieder entbrannte die Diskussion um eine Verschärfung der Wählerregistratur, immer wieder wurden neue Registraturgesetze erlassen.169 Doch alle blieben wirkungslos. 1834 liefen die Wahlen in New York völlig aus dem Ruder. Das Jahr ging ins Gedächtnis der Stadt als das »Jahr des Aufruhrs« ein. Das lag nicht zuletzt an den Spannungen, die das ganze Land durchzogen und eruptionsartig die Staaten schüttelten: ein frenetischer Rassismus, dessen Hass sich auch gegen die Sklavereigegner richtete, ein krasser Antikatholizismus und harsche Feindseligkeiten zwischen den Klassen. Die sozialen Realitäten, die durch Urbanisierung und Immigration geprägt waren, standen in offensichtlichem Gegensatz zur Gleichheitsrhetorik.170 In diese Zeit fiel die erste Wahl, in der die New Yorker selbst ihren Bürgermeister wählen konnten. Andrew Jackson und seine Demokratische Partei hatten das Land polarisiert, und die Abstimmung im April 1834 wurde zu einem weltanschaulichen Schlachtfeld stilisiert – vonseiten der Democrats als Kampf der Armen gegen die »Geldaristokratie« und mit der Kritik an einer Nationalbank, die Reiche privilegiere.171 (Der Lebemann Charles Astor Bristed spottete, man gelte bei den Leuten schon als Millionär, wenn man nur zwei- oder dreihunderttausend Dollar besitze.172) Während der Wahltage fanden regelrechte Straßenschlachten zwischen Armen und Reichen statt, zwischen Einheimischen und Einwanderern – und immer wieder gegen Afroamerikaner und deren weiße Verbündeten. »Wir befanden uns tatsächlich inmitten einer Revolution«, schrieb die populäre Sun.173 Wähler wurden bedroht, Wahlen im Geheimen falsch ausgezählt, Waffenlager ge168 Proceedings of the Board of Aldermen, 27. 5. 1833, Documents of the Board of Aldermen, No. 82, NYCMA . 169 Board of Assistant Aldermen, 10. 2. 1834, NYCMA ; Eintrag vom 4. 11. 1834, Hone, Diary (Bd. 1), S. 117; Proceedings of the Board of Aldermen, 13. 10. 1834 u. 21. 10. 1834, NYCMA ; vgl. auch die Pläne der Whigs: Marion House, Special Meeting, 8. 10. 1840, 5th Ward Whig Committee Electors records, 1840–1850, NYPL . 170 Prince, »Riot Year«, S. 1, 18 et passim; »Was Abolitionism a Failure?« von Jon Grinspan, NY T, 30. 1. 2015. 171 Chevalier, United States, S. 165; Einträge vom 8. 4. 1834 u. 13. 2. 1834, Hone, Diary (Bd. 1), S. 99f. u. 199; Burrows/Wallace, Gotham, S. 573–575; Ryan, Civil Society, S. 573. 172 Bristed, Upper Ten Thousand, S. 286. 173 Zitiert nach Burrows/Wallace, Gotham, S. 575; vgl. Ryan, Civil Society, 573f.; Hone, Diary (Bd. 1), S. 99f., Eintrag vom 8. 4. 1834.

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stürmt, die Häuser gegnerischer Politiker johlend umstellt, der berüchtigte sechste Wahlbezirk, in dem besonders viele irische Einwanderer lebten, von Whighs unter dem Ruf »Verdammte Iren!« gestürmt, worauf die Tammany-Anhänger und Democrats in die Wallstreet einfielen. Zahlreiche Ordnungshüter der Stadt wurden verletzt. Der Herausgeber des Courier and Enquirer, James Watson Webb, ein Whig aus alter Familie, präsentierte sich als überlegener Raufbold, der mit Dutzenden schwer bewaffneter junger Männer in Downtown die Zerstörung seines Zeitungshauses verhinderte.174 Der Bürgermeister setzte berittene Truppen ein. Staatliches Militär eilte zur Hilfe, um die Straßenschlachten zu beenden.175 Die Parteien frönten allesamt der Wahlmanipulation, und die Whigs standen den Democrats in Sachen Wahlmanipulationen bald in nichts mehr nach. Sie entließen Gefangene am Wahltag aus dem Gefängnis, um sie für sich wählen zu lassen, sie steckten die Bewohner der Armenhäuser in neue Kleider und geleiteten sie zum Wahllokal, und nach den Wahlen belohnten sie ihre Anhänger mit Posten.176 »Mein privater Geldbeutel wurde großzügig zur Unterstützung der Whig-Prinzipien eingesetzt«, erklärte ein Whig-Kandidat in einem Brief gegenüber dem einflussreichen Publizisten und Politiker Thurlow Weed.177 Doch es wäre falsch zu glauben, dass sich alles um Randale und Schlägereien gedreht hätte. Wie die Akten zeigen, führten die Whigs auch schlicht einen professionellen Wahlkampf mit Versammlungen oder der Durchsicht von Registraturlisten, um ihre Leute zu rekrutieren und zur Stimmabgabe zu bewegen.178

Der Stimmzettel als Instrument der Parteien Ebenso wie die anderen Parteien sorgten auch die Whigs für eine unkomplizierte Stimmabgabe, indem sie ihren Wählern den gedruckten Stimmzettel in die Hand drückten. Die Zettel erlaubten eine reibungslose Abstim174 Petition von 34 Wählern, 19. 5. 1834, Dokument Nr. 9, Board of Aldermen, 9. 6. 1834, NYC Board of Aldermen, Documents, 1834, Bd. 1, NYCMA ; Burrows/Wallace, Gotham, S. 574; Proceedings of the Board of Aldermen, 14. 4. 1834, NYCMA ; Eintrag vom 8. 4. 1834, Hone, Diary (Bd. 1), S. 99f. 175 Proceedings of the Board of Aldermen, 14. 4. 1834, NYCMA ; Eintrag vom 8. 4. 1834, Hone, Diary (Bd. 1), S. 100. 176 Burrows/Wallace, Gotham, S. 622. 177 Richard H. Woods, White Plains, to Thurlow Weed Esq., Editor, Albany Evening Journal, 27. 12. 1838, Thurlow Weed Papers, 1818–1882, Folder 2, NYHS . 178 Fifth Ward Whig Committee Electors records, 1840–1850, NYPL .

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mung.179 Im Parteibetrieb drehte sich daher vieles um die Organisation und Verteilung der Stimmzettel.180 Die rasche Ausbreitung der Zetteltechnik seit den 1830er Jahren in den USA steht für die Fokussierung des politischen Betriebes auf die Parteien. Die Stimmzettel zeigen außerdem, wie wenig es um einzelne Kandidaten ging, die massenweise auf dem Zettel abgedruckt wurden und kaum unter den Wählern bekannt waren.181 Die Stimmzettel spielten folglich in der Parteienkritik eine immer wichtigere Rolle. Denn parallel zur Ausbreitung der Parteien schwollen die Anti-Parteien-Diskurse an. Interessanterweise zogen andere Staaten mit der Stimmzetteltechnik nach, sobald moderne Parteien ins Spiel kamen. Auch im Kaiserreich sorgten die Parteien für den Druck und die Verteilung der Wahlzettel. Die Zettel wurden nachgerade zum Symbol der Parteienherrschaft – und damit auch zum Symbol der Top-down-Kommunikation, wie viele Bürger die Wahlen empfanden. Karikaturen zeigten auf beiden Seiten des Atlantiks den Wähler als gebeutelten »Jedermann« (häufig als Mann der unteren Schichten), der sich der Agitation der Parteileute (in der Regel besonders unsympathische Zeitgenossen) kaum zu erwehren weiß. »Da steht Einer! Es ist ein armer Handwerksmann«, kommentierte die Illustrierte Gartenlaube eine Karikatur (Abb. 12). »Er lebt das ganze Jahr so still mit seinen Sorgen dahin. Niemand von den höchst verschiedenartigsten Herrschaften, welche ihn jetzt bestürmen, kümmert sich sonst nur im Geringsten um ihn. Da kommt der Tag, der ihn, neben dem Steuerzettel, daran erinnert, daß er ein deutscher Reichsbürger sei – und siehe da: er ist plötzlich ein umworbener, ein angesehener Mann.«182 In Preußen allerdings waren die Wahlen in der Jahrhundertmitte noch weit davon entfernt.

179 Buchstein, Geheime Abstimmung, S. 50; vgl. 5th Ward Whig Committee Elections, NYPL , 1849; vgl. auch Argumentation im Congress 1859 (Bensel, Ballot Box, S. 56). 180 Special Meeting, 8. 10. 1840, 16. 10. 1840, u. Regular Meeting, 22. 10. 1847, Marion House 165 Chapel St., Fifth Ward Whig Committee Electors records, 1840–1850, NYPL . 181 Anders Bensel, der meint, die Stimmzettel hätten für eine besondere Hinwendung der Parteien zu den Wählern und damit für eine Sachorientierung gesorgt (Bensel, Ballot Box, S. 15). 182 Die Gartenlaube (1881) Heft 44, S. 740.

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Abb. 11 Der Bürger als Opfer der lästigen Parteien »Trials of a Wavering Citizen«, Harper’s Weekly, 7. 11. 1857. Courtesy of the Library of Congress, LC- USZ 62–118006

Saufen, Wetten, Wählen In den USA bedeutete die Parteienherrschaft in der Jahrhundertmitte auch, den Wähler mit Alkohol bei Laune zu halten. Saufen gehörte zu den Wahlen wie die Bibel, auf die der Wähler seinen Schwur ablegen konnte. Alkohol sorgte für Feierstimmung und ließ Gewalt schneller eskalieren. Er diente zur Betäubung von Wählern, die Parteileute dann zum Abstimmen drängten.183 Auch wenn die ersten Trinkverbote für die Wahlen schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgesprochen worden waren,184 blieben Abstimmungen ein Saufgelage. »[Die Wahlhelfer] beschäftigten sich mit Sport und Amüsements und verbrachten ihre Zeit damit, Unordnung und Durcheinander unter den Wählern des besagten Bezirks 183 DuBois, Taking Law, S. 73; Bensel, Ballot Box, S. ix. 184 Committee on Privileges and Elections, report on the presentment of Richland District regarding the accessibility of liquor during elections, 30. 11. 1832, S165005, Item 3, 1832, SCDAH .

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Abb. 12 »Ein Wahlphilister«. Top-down-Kommunikation wie in den USA . Aufgedrängte Stimmzettel bei den Reichstagswahlen Bilder aus dem alten Deutschen Reichstag 1867–1900. Sammlungen Dietrich Rollmann und Michael Ropers, hrsg. von Achim Zink. Bonn, n.d.; reproduziert in: Lothar Gall (Hg.), Regierung, Parlament und Öffentlichkeit im Zeitalter Bismarcks. Politikstile im Wandel. Paderborn, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003, Umschlag

hervorzurufen.«185 Bis zur Jahrhundertmitte wurde Alkohol dank der steigenden Getreideproduktion im Westen, einer günstigeren Destillationstechnik und der verbesserten Transportmöglichkeiten immer billiger und überschwemmte geradezu das Land.186 Die Wählervergünstigungen von Tammany bestanden auch in der Vergabe der begehrten Lizenz zur Herstellung von Alkohol.187 Wahlen fanden immer öfter in Kneipen statt, und rings um das Wahllokal hielten die Männer spektakuläre Saufgelage ab. Ein Zeuge in einem Wahlkorruptionsprozess erzählte 1858 freimütig von dem Besäufnis in einem New Yorker Wahllokal und der guten Stimmung: »Rings um mich gab es viel zu trinken, […] es war eine ziemlich 185 Dokument Nr. 1, Board of Aldermen, 14. 5. 1833a, Documents of the Board of Aldermen, NYCMA . 186 Burrows/Wallace, Gotham, S. 532. 187 Burrows/Wallace, Gotham, S. 741.

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ausgelassene Zeit – wenn Sie verstehen, was Ausgelassenheit am Abend einer Wahl bedeutet.«188 Das Auszählen der Stimmen dehnte die Wahlfreuden bis in die Dunkelheit aus. Nachts herrschte trunkene Ausgelassenheit, der Mob drängte ins Wahllokal, um beim Stimmenzählen dabei zu sein, um zu kontrollieren, zu raufen, um weiter zu saufen und um dem Gegner doch noch eins auszuwischen.189 Die Sieger veranstalteten gewaltige Festumzüge und beleuchteten den Himmel mit Feuerwerk. Als der amerikanische Maler und Publizist William Dunlap 1834 einen Bekannten in der New Yorker Irrenanstalt besuchte, klagte er, der Freund sei von Alkohol und Wahlen wahnsinnig geworden, und riet ihm, sich künftig von allen Abstimmungen fernzuhalten.190 Zur Wahlgaudi gehörten in den USA auch die Wetten. 1844 hieß es im New Yorker Stadtparlament, »die Praxis, Wetten auf den Wahlausgang abzuschließen, ist zu einem Übel geworden, das in seinem Ausmaß und durch seinen Einfluss zu allen Befürchtungen Anlass gibt. Man nimmt an, dass bei den letzten Wahlen viele Tausend oder vielleicht sogar Millionen Dollar auf die Ergebnisse gesetzt wurden. Die natürliche und unvermeidliche Folge dieser Praxis ist es, dass sich die Korruption in unsere Wahlen einschleicht und sie zu einem Mittel der schlimmsten Form des Glücksspiels werden lässt.«191 Das Glücksspiel, das bei den oberen Schichten immer mehr in Verruf geriet, wurde zum Synonym für Wahlen und Politik. Und Henry David Thoreau kommentierte: »Alle Wahlen sind eine Art Spiel, wie Schach oder Puff, nur mit einem winzigen moralischen Beigeschmack, ein Spiel um Recht und Unrecht, um moralische Probleme; natürlich setzt man auch Wetten darauf.«192 Obwohl Wetten regelmäßig verboten wurden, blieben sie erhalten.193 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts

188 Zitiert nach Bensel, Ballot Box, S. 50. 189 Dokument Nr. 1, Board of Aldermen, 14. 5. 1833a, Documents of the Board of Aldermen, NYCMA ; Dokument Nr. 11, Board of Aldermen, 30. 7. 1838, Documents of the Board of Aldermen, 1838–1839, Bd. 5, 149, NYCMA ; Documents of the Board of Aldermen, New York, 1841–1842, 665, Document No. 85, 25. 4. 42. 190 Prince, Riot Year, S. 4; Bensel, Ballot Box, S. 50 u. 190. 191 Proceedings of the Board of Aldermen, 18. 11. 1844, NYCMA . 192 Thoreau, Pflicht zum Ungehorsam, S. 13; vgl. über die Zeit vor dem Bürgerkrieg Piatt, Men Who Saved the Union, 141; vgl. auch Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 114. 193 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 73.

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wurden in New York auf einen Wahlsieg bis zu 25000 Dollar gesetzt.194 Wetten waren zu einem solch integralen Bestandteil amerikanischer Wahlen geworden, dass die frustrierten Gegner des Glücksspiels erklärten, die Verbote gegen Wetten seien »ein toter Buchstabe und könnten nicht durchgesetzt werden«.195 In New York gehörte das Glücksspiel ins Weichbild von Tammany. Die Spieler wurden von der Mittelklasse zunehmend als Subjekte mit abweichendem, die Ökonomie schädigendem Verhalten stigmatisiert und teilweise sogar mit maßloser Gewalt bekämpft.196 In der Zeit vor dem Bürgerkrieg wurde das Glücksspiel Teil der großen Gereiztheit und unerbittlichen Gegnerschaft. Bis in die 1840er Jahre etablierten sich in allen US -Staaten parallel zur Ausbreitung des allgemeinen Wahlrechts die populären Begleitumstände der Wahlen. Auf seinem Gemälde »County Elections« zeigt George C. Bingham in einem auf den ersten Blick idyllisch wirkenden Genregemälde die Übel der Wahlen: die Sauferei (links im Bild), das Anschleppen von unfähigen Wählern, Gewalt (rechts versinnbildlicht durch einen Mann mit Verband), das Aufdrängen von Stimmzetteln (oben auf der Treppe durch einen den Zylinder lüftenden Parteimann) und Bestechung (im linken Drittel, wo ein Mann offenbar Geld in seine Hand zählt, während ein anderer zuschaut). Das Glücksspiel wird durch zwei Jungs dargestellt, die vorne auf dem Boden sitzen: die Wähler als unmündige Kinder beim Spiel.197

Politisches Desinteresse Die handfesten Wahlpraktiken und die endemische Korruption schienen für viele Bürger nicht im Gegensatz zur Demokratie zu stehen. Doch es wäre irreführend, aus dem wilden Männertreiben und den lauten Demokratiebekundungen die Schlussfolgerung zu ziehen, Wahlen seien das Herzstück der amerikanischen Gesellschaft gewesen und Politik hätte im Zentrum ihres Lebens gestanden. Altschuler und Blumin können zeigen, 194 »The Last Betting«, NY T, 8. 11. 1905; vgl. Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 235. 195 Provisions Concerning Elections and Suffrage prepared by the Honest Ballot Association for the Conference of the National Municipal League, Cleveland, Ohio, 29. 12. 1919, Albert S. Bard Papers, 1896–1959, New York Public Library, Box 67, Folder 15, NYPL . 196 Rothman, Flush Times, S. 157–207; Burrows/Wallace, Gotham, S. 777, 824 u. 827; Bellinger, Compilation, S. 180 u. 302f., 531. 197 Vgl. zu Binghams politischen Motiven Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 129–131.

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Abb. 13 Ironisches Idyll. Saufen, Wetten, Prügeln, Schleppen: Die scheinbar friedliche Männergesellschaft bei den County-Wahlen erweist sich auf den zweiten Blick als Abgrund menschlicher Schwächen und politischer Alpträume. John Sartain after George Caleb Bingham, The County Election, 1852, Courtesy of Reynolda House Museum of American Art, Affiliated with Wake Forest University. Gift of Barbara B. Millhouse

dass die treibenden Kräfte hinter den Forderungen nach einer Wahlrechtserweiterung die Parteien waren.198 Schließlich profitierten von den Wahlen im amerikanischen spoils system die Parteigänger in einem beträchtlichen Ausmaß, weil es nur wenig feste Angestellte im öffentlichen Dienst gab und ein Großteil der Posten nach jeder Wahl neu besetzt werden konnte. Richard L. McCormick bezeichnete die Zeit vor dem Bürgerkrieg als das Zeitalter der Parteien.199 Zum engeren Kreis der Parteianhänger zählten allenfalls 3 bis 7 Prozent.200 Entgegen gängiger Forschungsmeinung kann also von einer tief greifenden Politisierung der Gesellschaft kaum die Rede sein. Fraglos hatte Politik einen Unterhaltungswert, so Altschuler und Blu-

198 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 27–37, 40 u. 46. 199 McCormick, Party Period and Public Policy. 200 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 27–37, 40 u. 46.

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min, doch es gab Aufregenderes im Leben der Amerikaner.201 Grafikreproduktionen, die im 19. Jahrhundert immer beliebter wurden und die Wände der amerikanischen Häuser zierten, zeigten Farmen und Dampfschiffe, heldenhafte Feuerwehrmänner und Sportler und Pferderennen – Politik aber gehörte nicht in dieses amerikanische Panorama. Die bekannten Gemälde des Malers George Caleb Bingham (vgl. Abb. 13), in denen Wahlen thematisiert wurden, waren Ausnahmeerscheinungen und zählten nicht zu den erfolgreichen und vielfach reproduzierten Bildern des Künstlers.202 Typisch war der Kommentar eines Amerikaners von 1854: »Alle Politiker sind Schufte – das ist alles ein Spiel, um jemanden zu betrügen – um Profit zu machen und einander zu bestrafen.«203 Wenn Politik thematisiert wurde, dann freuten sich die Bürger an den Karikaturen, die sich über Parteien und Wahlen lustig machten. Den meisten Amerikanern gingen tiefere Kenntnisse von Politik ab. »Stimmen Sie nicht für General Jackson! Denn er lebt nicht mehr!«, mahnte eine Zeitung 13 Jahre nach dem Tod des beliebten Generals und Präsidenten.204 Politik störte geradezu das alltägliche Leben. »Wir sind von Herzen froh, dass die Auseinandersetzung vorüber ist«, hieß es etwa in einer Parteiprovinzzeitung 1840, als die Präsidentschaftswahlen nach einem heftigen Wahlkampf vorbei waren, »es ist nicht sehr angenehm, sich Tag und Nacht in Politik suhlen zu müssen […]. Die große Mehrheit unserer Bürger ist fleißig und findet es angenehmer, ihren Beschäftigungen nachgehen zu können, ohne von politischer Aufregung behelligt zu werden.«205 Die Parteien wussten genau, wie sehr Politik den Bürgern auf die Nerven ging und wie schlecht das Image der Politiker war.206 Gerade das unermüdliche Drängen, die Bürger an die Wahlurne zu bringen, trug zur wachsenden Antipathie gegen die Parteien bei. Nicht die Obrigkeit rief in den USA die Menschen zur Wahl auf, sondern die Parteiorganisation: »Lassen Sie sich von keiner geschäftlichen Angelegenheit, keiner Verpflichtung, keiner Vergnügung davon abhalten, Ihr Recht als

Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 86, vgl. 7, 79, 94f. Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 129. Zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 114. Clarksville Jeffersonian, zitiert nach: Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 77. Greenfield Gazette and Mercury, 10. 11. 1840, zitiert nach: Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 33. 206 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 105–111. 201 202 203 204 205

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freier Bürger auszuüben«, mahnte eine Parteizeitung.207 »Treffen Sie sich mit Ihren Nachbarn, führen Sie den Nachlässigen die Notwendigkeit des Handelns eindrücklich vor Augen, rütteln Sie die Indifferenten wach und flehen Sie die Abtrünnigen an, auf den rechten Pfad zurückzukommen«, beschwor mit geradezu religiösem Unterton eine andere Zeitung.208 Im neuenglischen Städtchen Greenfield kam auf 20 potenzielle Wähler ein Wahlkampfarbeiter. Diese Parteileute knüpften sich alle stimmberechtigten Männer vor, die nicht am Wahllokal auftauchten, bearbeiteten sie, ermahnten sie, fuhren sie zum Wahllokal. Angesichts dieser Aktivitäten war es letztlich bequemer, die Stimme abzugeben, als sich dem Druck zu widersetzen und nicht zu wählen.209

Distanzierung der oberen und mittleren Schichten Korruption und ein undisziplinierter Wahlablauf schürten in den USA die Aggression der Mittel- und Oberschichten.210 Viele von ihnen empfanden Massenwahlen als neuartig, als beängstigend und irritierend. Konservative Zeitgenossen hatten das Gefühl, dass immer mehr Gauner und unpatriotisches Gesindel in die öffentlichen Ämter gewählt wurden.211 So beschwerten sich einige Bürger aus Charleston über die Wahlbeteiligung von ortsfremden Händlern, über die Wahl von Männern ohne Eigentum oder über »verschiedene Weisen, auf denen Betrug, Meineid und Korruption sich anschickten, das heiligste Privileg freier Männer zunichte zu machen«.212 Ähnlich hieß es in einem Brief an das Parlament in der Hauptstadt Columbia: »Die Gesetzeshüter können nicht vorsichtig genug sein, um all die not207 Augusta Daily Chronicle and Sentienel, 1860, zitiert nach: Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 70. 208 Zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 70. 209 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 71. 210 Keyssar, Right to Vote, S. XXII . 211 Einträge in Hone, Diary (Bd. 1 u. 2), S. 22, 48–51, 99f., 182, 322 u. 395; Brewin, Celebrating Democracy, S. 83; The Nation, 30. 5. 1867, zitiert nach: Bernheim, Ballot in New York, S. 133; vgl. Brief an Taylor von L. [unleserl.], Philadelphia 6. 10. 1834, Taylor & Genet Letters 1796–1882, Box 1, Folder 3, NYHS . 212 Memorial [ca. 200 Unterschriften], 15. 10. 1831, S165015, Item 188, 1831; weitere Beschwerden über die Stimmabgabe fremder Kaufleute: Memorial of Sundry citizens [34 Unterschriften], protesting against the return of the John Harleston Read as Senator elect from that Parish to the President and Members of the Senate of the State of SC , George Town, 15. 12. 1830, S165015, Item 44, 1830; Protest against John D Davis From the people of St James Goose Creek, 18. 10. 1832, alle Akten in SCDAH .

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wendigen, aufmerksamen Wächter rings um dieses Privileg aufzustellen – ein Privileg, das allein den freien Männern zukomment.«213 Viele Wahlberechtigte sahen eine »verbreitete Praxis der Bestechung, der Korruption und des Meineids bei den Wahlen«.214 »Dass es Übelstände gibt, ist nicht zu bezweifeln.«215 Die Bitten, das Wahlrecht auszuweiten, wies die Regierung, die in South Carolina in der Hand der Superreichen lag (wir erinnern uns: der selbsternannten natural aristocracy), forsch zurück, weil ein ausgedehnteres Wahlrecht »für die Freiheiten des Volkes gefährlich« sei.216 Die neuen Gesetze, die seit den 1830er Jahren gegen Wahlfälschungen erlassen wurden, verweisen in South Carolina ebenso wie in New York auf die gefühlte Bedrohung der angestammten Eliten.217 Besonders oft erwähnten die Gesetzestexte die Wahlurnen, die weder konfisziert noch fortgebracht noch zerstört werden sollten218 – alles typisch amerikanische Manipulationspraktiken. 1844 forderten einige Bürger die Anhebung der Eigentumsqualifikation, wahrscheinlich als Reaktion auf die grassierenden Wahlfälschungen im gleichen Jahr.219 Immer intensiver beschäftigen sich die Menschen mit der Frage, wer zum Volk gehörte. 213 Sundry citizens of Laurens Dist. to the speaker and members of the House of Representatives, 25. 10. 1838, S165015, Item 134, 1838, SCDAH ; vgl. auch A petition from several Inhabitants [ca. 150 Unterschriften], D. E. Huger, 4. 12. 1830, S165015, 1830, SCDAH ; Memorial [ca. 200 Unterschriften], 15. 10. 1831, S165015, Item 188, 1831, SCDAH . 214 Memorial [ca. 200 Unterschriften], 15. 10. 1831, S165015, Item 188, 1831, SCDAH . 215 A petition from several inhabitants [ca. 150 Unterschriften], D. E. Huger, To president and members of Senate, 4. 12. 1830, S165015, 1830, SCDAH ; weitere Beschwerden in S165015, Item 45, 1830, u. in der Akte SI 65013, Misc. General Assembly, Box 100, SCDAH ; s. auch Bellinger, Compilation, S. 302–336, 393, 434 et passim; s. auch die Beschwerden in Bellinger, Compilation. 216 Schreiben des Committee on the Judiciary, S165005, ND 5594, ca. 1844, und die weiteren Unterlagen in: Committee on the Judiciary, report on the presentment of Greenville District regarding the election of Presidential Electors, S165005, SCDAH ; für die 1850er Jahre s. die Unterlagen in S165005, Committee on Federal Relations, report on the presentment of Anderson District regarding the election of presidential electors, SCDAH . 217 An Act to amend the Acts regulating Elections, 1831 (Bellinger, Compilation, S. 169; vgl. auch S. 168–170). 218 An Act to amend the Acts regulating Elections, 1831, Bellinger, Compilation, S. 169; vgl. auch 170. 219 »To Raise The Property Qualification Of Voters Residing Out Of The District or Parish of Residence«, report of the Committee on Privileges and Elections, 19. 12. 1844, S165005, Item 160, 1844, SCDAH ; zu den Fälschungen 1844 vgl. Howe, What Hath God Wrought, S. 832f.

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Wer ist das Volk? Wahlen als Marker für Zugehörigkeit Bei der Frage nach Zugehörigkeit zum Wahlvolk empfiehlt sich zunächst ein Blick auf die Zahlen. In den USA gilt als entscheidende Zäsur für die Etablierung der Massenwahlen das Jahr 1840, als ein Präsidentschaftskandidat erstmals eine echte Wahlkampagne durchführte und die offiziell gemeldete Beteiligung die 80-Prozent-Marke überschritt.220 Auch in den kommenden Jahren vor dem Bürgerkrieg lag die Teilnahme mit 60 bis 80 Prozent sehr hoch.221 Allerdings sind diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen, weil nicht nur die Afroamerikaner ausgeschlossen waren (1860 bildeten sie 3,8 Millionen, was im Süden einem Drittel und insgesamt 12 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach), sondern auch die Native Americans oder Chinesen ganz selbstverständlich nicht dazu gezählt wurden. Zudem finden sich in der zugrunde liegenden Volkszählung Fehler, die den Prozentsatz der Teilnehmer überproportional hoch erscheinen lassen,222 und die Ziffern berücksichtigen nicht die vielen gefälschten Zusatzstimmen, mit denen bei amerikanischen Wahlen im 19. Jahrhundert zu rechnen ist.223 Da 1840 die 2413000 wählenden Männer rund 80 Prozent der Wahlberechtigten ausmachten, bedeutete das, dass von den 17630000 Einwohnern rund 3016250 wahlberechtigt waren. Das sind 17 Prozent derer, die überhaupt im Zensus berücksichtigt worden waren.224 Dieser Prozentsatz blieb bis zum Bürgerkrieg (1861–1865) gültig.225 Zum Vergleich: In Preußen konnten 1848 knapp 20 Prozent der Gesamtbevölkerung wählen. Jahre vor der Jacksonian Democracy besaßen in Baden mit der Verfassung von 1818 rund 17 Prozent, in Württemberg seit der Verfassungsgebung von 1819 etwa 14 Prozent aller Einwohner das Wahlrecht.226 Howe, What Hath God Wrought, S. 832f.; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 18. Gienapp, Political Culture, S. 18f. DeBats, Hide and Seek. Converse, Change; vgl. dazu auch Summers, Plundering Generation, S. 54. The American Presidency Project. UC Santa Barbara. Retrieved 2012–11–09, http://www.presidency.ucsb.edu/data/turnout.php [25. 2. 2014]; Keyssar, Right to Vote, S. 40 u. 52. In New York gingen 1834 rund 15 Prozent der Bewohner wählen, sodass auch hier der Prozentsatz der Wahlberechtigten in dieser Größenordnung gelegen haben musste; Chevalier spricht von 36000 Wählern, Chevalier, United States, S. 162. 225 Congressional Quarterly, Presidential Elections, S. 80. 226 Becht, Wahlen, S. 18; Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 84; Brandt, Konstitutionalisierungswelle, S. 831; Hettling, Reform, S. 124. 220 221 222 223 224

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Gleichheitsrhetorik und soziale Ungleichheit in den USA Durch das Massenwahlrecht brach in den nordatlantischen Gesellschaften in der Jahrhundertmitte das Dilemma zwischen Gleichheitsrhetorik und sozialer Heterogenität auf: Einerseits galt Massenpartizipation als Standard für staatliche Legitimität, andererseits empfanden es nicht nur die alten Eliten als augenscheinliche Absurdität, Analphabeten und »Holzhackern« politische Macht in die Hände zu legen. In Preußen war es letztlich ebenfalls unstrittig – und das erscheint mir bemerkenswert –, dass es ein auf Massenwahlen beruhendes repräsentatives Parlament geben müsse und Legitimation ohne Massen nicht mehr möglich war.227 Die preußische Verfassung von 1848 beseitigte ständische und religiöse Differenzen und trug damit zur »säkularisierten Staatsbürgergesellschaft«228 bei; auch die revidierte Verfassung von 1850 blieb dabei. Wesentlich dafür war der Gleichheitsparagraf, Artikel 4: »Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich«. Gerade für die Landbevölkerung, die nach wie vor zwei Drittel der Gesellschaft bildete, kann die Bedeutung der Revolution von 1848 kaum überschätzt werden. Nicht nur, weil die Männer auf dem Land erstmals wählen durften. Vor allem wurde im Zuge der Revolution die Entfeudalisierung des Agrarsektors endgültig abschlossen, und allen Bauern war es möglich, das Eigentumsrecht an dem von ihnen bewirtschafteten Land zu erhalten.229 Der aufklärerische Gedanke der Gleichheit hatte sich von der realitätsfernen Idee einiger Eliten zum diskursiven Allgemeingut entwickelt, und Preußen war trotz des Widerstands der Krone und der einflussreichen ultrakonservativen Eliten zu einer konstitutionellen Monarchie geworden. 1848 war keine gescheiterte Revolution.230 Doch die rechtliche Gleichheit löste nicht die sozialen Ungleichheiten. Sie führte vielmehr in den heterogenen Gesellschaften zu massiven Spannungen. Frankreich versuchte nach der Revolution mit einer extrem langen Residenzpflicht das Wahlrecht zugunsten der alten Kräfte einzudämmen, was zur Ausgrenzung der meisten Wähler und damit der unteren Schichten führte. England brachte sich erst gar nicht in die Kalamitäten, in227 Extract, Protokoll Sitzung des Staatsmin., Bellevue, 24. 11. 1851, I. HA Rep. 90 A, Staatsmin. Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, Bl. 146, GStA PK ; vgl. dazu auch Biefang, Macht, S. 38; vgl. auch Bromme, Verfassungen, VII ; Ruetz, Konservatismus, S. 124. 228 Ruetz, Konservatismus, S. 131. 229 Langewiesche, 1848, S. 621. 230 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Fehrenbach, Verfassungsstaat.

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dem es letztlich – trotz der berühmten Wahlrechtsreformen – die Wahlrechtserweiterung in engen Grenzen hielt. In Preußen empörten sich Konservative, dass einfache Polen Gesetzgeber wählen durften. Preußens Lösung mit dem Dreiklassenwahlrecht war dennoch zur Jahrhundertmitte international gesehen auf der Höhe der Zeit, weil es (was von der Forschung häufig beiseite gewischt wird) ein allgemeines Wahlrecht vorsah. Auch in den USA zeigten sich die oberen Schichten von Anfang an entsetzt, als immer mehr einfache Männer an der Urne auftauchten.231 Ein reicher, hochgebildeter New Yorker notierte über die wählenden Neueinwanderer: »Diese Iren, die Fremde in unserer Mitte sind, […] entscheiden in der Stadt New York die Wahlen.«232

Aushandlung von Identitäten An eine staatliche Einschränkung des Wahlrechts aber war in den Vereinigten Staaten aufgrund der schwachen Zentralmacht und defizitären Bürokratie nicht zu denken. Schon die Ausweitung des Wahlrechts war weniger ein willentlicher Akt einer Regierung oder der Eliten gewesen. »Das amerikanische Gemeinwesen traf keine bewusste Entscheidung, der im Zuge der industriellen Revolution allmählich entstehenden Arbeiterklasse das Wahlrecht zu verleihen«, so Keyssar.233 Konkret hieß das, dass in den USA , wo das Papier geduldig und das Land weit war, immer mehr Männer (meist von Parteileuten angetrieben) zur Stimmabgabe auftauchten, deren Wahlberechtigung sich nicht ermitteln ließ. Die Bevölkerung einer durchschnittlichen Kommune tauschte sich im Westen alle zehn Jahre um etwa zwei Drittel aus, und auch im Osten blieb die Fluktuation hoch.234 Die Bürokratie war in dem jungen Land zu schwach, um die Identität der Bürger feststellen zu können. (»Den in den Vereinigten Staaten reisenden Europäer überrascht am meisten das Fehlen dessen, was wir bei uns Regierung oder Verwaltung nennen«, schrieb Tocqueville.235) Und so trafen die Männer, die beim Wahllokal zusammenströmten, die Entscheidung über Identität und Zugehörigkeit. Die Erweiterung des Wahlrechts in den USA lässt

231 Winkle, Voters, 694f.; Burrows/Wallace, Gotham, S. 515; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 95. 232 Eintrag vom 17. 12. 1835, Hone, Diary (Bd. 1), S. 184; vgl. auch Kap. 4.8. 233 Keyssar, Right to Vote, S. 69. 234 Vgl. Kap. 1; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 93. 235 Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 78.

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sich also mit naturrechtlichen oder demokratischen Idealen häufig nicht erklären.236 Hier wird einmal mehr deutlich, wie wichtig der Blick auf die Praxis ist. Jede amerikanische Wahl war ganz konkret ein Akt der Selbstversicherung, der Aushandlung und Konstruktion von Identität. Oft verlangte das Gesetz, den eigenen Namen laut zu nennen – alle sollten wissen, wer hier wählte. »Jeder Wahlaufseher oder Richter soll bei der Entgegennahme des Stimmzettels den Namen des betreffenden Wählers laut nennen, und dieser soll von einem Schreiber auf einer separaten Liste notiert werden«, legte in der Jahrhundertmitte das Wahlgesetz in South Carolina fest.237 Ein juristisches Handbuch für South Carolina zählte die Beweismittel auf, die zur Feststellung der Identität genutzt werden konnten: »Einträge der Eltern in der Familienbibel (falls vorhanden), das Kirchenbuch (falls vorhanden), Einträge im Sterberegister, der behandelnde Arzt (falls es einen solchen gibt), Aussage der Eltern, Aussage naher Bekannter, andere Zeugen«.238 Häufig blieb es bei »anderen Zeugen«, also bei den anwesenden Männern. Wenn sich die Leute verschiedenster Herkunft zur Wahl versammelten (Afroamerikaner und Native Americans allenfalls als Zuschauer in sicherem Abstand), konnte selbst die Staatszugehörigkeit oft nicht geklärt werden. In South Carolina wurde ein Wähler, der längere Zeit in Alabama gelebt hatte, feierlich gefragt: »Hielten Sie sich selbst für einen Bürger von Alabama?«239 Es gab eine Vielzahl an weiteren Unklarheiten: Wenn eine Residenzpflicht von einigen Monaten oder Jahren vorgeschrieben war – wie sollte ein Siedler ohne Kalender wissen, wie lange er schon hier lebte?240 Da auch Einbürgerung meistens an eine Residenzdauer gebunden war, wurde Nationalität ebenfalls strittig. Häufig versuchten die Anwesenden herauszufinden, ob der mögliche Wähler bereit war, ihre Partei zu wählen. Im Bericht einer Wahluntersuchung hieß es 1857: »Eine Zusammenfassung aller Zeugenaussagen zeigte, dass es in allen Wahlbezirken große Gruppen fanatisierter Männer gab, die […] den Wählern der Demokraten […] den 236 So erklärt Howe die Wahlrechtsausbreitung, Howe, What Hath God Wrought, S. 490. 237 A Synopsis, o. D., ca. 1850er Jahre, in: Bellinger, Compilation, S. 535. 238 Bellinger, Compilation, S. 522. 239 Edgefield District, Charles Bressey, 1820, GA – C.Rekpts. – 1820–98, SI 65013, Box 100, SCDAH . 240 Bensel, Ballot Box, S. 22–24, 86–137.

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Zugang zu den Wahllokalen verwehrten. Einzelne Fälle tätlicher Angriffe wurden in den meisten Wahllokalen nachgewiesen.«241 Aber auch mit hartnäckigen rechtlichen und pseudo-rechtlichen Fragen (wer wusste um den Unterschied?) ließen sich unerwünschte Wähler ausschließen. Kannte der Mann, der hier wählen wollte, die Verfassung? An welchen Präsidenten erinnerte sich der Wähler? Warum wollte er ausgerechnet in diesem Staat wählen, wo ihn doch offenbar niemand kannte? Oft wurden an der Urne ganze Lebensgeschichten erzählt: Woher der Mann kam, seit wann er hier wohnte, ob er eine einheimische Frau hatte, ob er jene Feuersbrunst erlebt hatte – alles, was zur Bestätigung oder Falsifizierung seiner Zugehörigkeit dienen konnte. Richard Bensel schätzt, dass jeder zehnte Wähler von sich selbst nicht wusste, ob er tatsächlich wahlberechtigt war.242 Zuletzt blieb oft nur noch der Schwur – der insgesamt bei amerikanischen Wahlen eine bemerkenswert große Rolle spielte. »Das Buch rausholen« hieß das: also die Bibel präsentieren, auf die der Wähler seinen Eid über sein Recht zur Stimmabgabe ablegen musste.243 Der Schwur war eine der ersten Maßnahmen, die gegen die Massenwahlen eingesetzt und in der anonymen Großstadt New York schon zu Beginn der 1820er Jahre genutzt wurden.244 Doch der Schwur öffnete der Willkür Tür und Tor.245 Wie sehr die Wahlpraxis die Wahlfreiheit unterdrückte, wird in einer Untersuchung von Bourke und DeBats deutlich, die aufweist, wie sich die Wahlergebnisse innerhalb eines Wahlkreises in kürzester Zeit vereinheitlichten und dann homogen blieben.246 Ebenso bezeichnend ist, dass die Meldung der Wahlergebnisse an die Zentrale weniger über die Wahlbezirke liefen, sondern über die einzelnen Wahllokale (ballot boxes). Das bestätigt die eigenartige Interpretation des Mehrheitswahlrechts durch die amerikanischen Männer: Die Mehrheit der Starken trug den Sieg an der ballot box davon. In dieser Tradition ergab das Verhältniswahlrecht, in dem jede Stimme wiegt und auf oberer Ebene ein irgendwie abstraktes Ergebnis ermittelt wird, keinen Sinn. 241 Contested congressional election case, Maryland, 1857, in: Harris, Election Administration, S. 317. 242 Bensel, Ballot Box, S. 23; vgl. auch Beeby, Demise of Grassroot Populism, S. 189. 243 Bensel, Ballot Box, S. 22–24. 244 Vgl. die Geschichte des Schwurs bis 1831 in: Minutes of the Common Council of NCY, 14. 2. 1831, NYCMA . 245 Bensel, Ballot Box, S. 175; vgl. zum Eid in historischer Perspektive: Wickevoort Crommelin, Princeps legibus solutus?. 246 Bourke/DeBats, Structures of Political Involvement, insbes. S. 237.

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Unmöglichkeit einer Wahlrechtsbegrenzung auf dem amerikanischen Land Angesichts der Demokratierhetorik und angesichts der mangelnden Bürokratie ließ sich das Wahlrecht vor allem in den ländlichen Gegenden und im vorrückenden Westgrenzland kaum noch beschränken. In der Jahrhundertmitte war es nahezu unmöglich geworden, einem weißen Mann, der sich beim Wahllokal einfand, grundsätzlich das Wahlrecht zu verweigern.247 Das freigiebige Ausländerwahlrecht in den neuen Territorien oder Staaten war wohl nicht nur ein großzügiges Lockmittel für neue Siedler, wie es häufig gedeutet wird, sondern auch eine pragmatische Anpassung an die Realität.248 Das erklärt auch, warum es trotz des eklatanten Antikatholizismus insgesamt nur wenige Versuche gab, Katholiken grundsätzlich auszuschließen. Ihre Nichtzugehörigkeit war nicht offensichtlich. Europäische Immigranten konnten in dieser Männergemeinschaft grundsätzlich keinem überzeugenden Othering unterworfen werden, weil Staatsbürgerschaft nicht am Gesicht abzulesen war und weil viele derer, die die Auswahl trafen, selbst zugewandert waren.249 Das hieß nicht, dass es nicht zu massiver Diskriminierung von Immigranten, insbesondere von Iren oder Katholiken kam. Angehörige der alten Familien erklärten immer wieder mit rassistischen Versatzstücken die irischen Einwanderer zu Menschen zweiter Klasse.250 Ethnische Exklusionen In den 1850er Jahren erzielte die fremdenfeindliche American Party oder Know-Nothing-Party furiose Wahlsiege mit ihrer Einwanderer- und Katholikenfeindlichkeit.251 Doch die Partei konnte ihr radikales Exklusionsprogramm letztlich nicht durchsetzen. Ausgeschlossen blieben daher nur diejenigen, die von der weißen Männergemeinschaft zweifelsfrei als anders definiert werden konnten: Afroamerikaner, Native Americans, Chinesen, oft Lateinamerikaner. Seit den 1830er Jahren, als das British Empire Sklaverei für illegal erklärt hatte und als das Wahlrecht immer weiter wurde, fügten US -Staaten in ihre Verfassungen als Wahlvoraussetzung white ein. Jeder Staat, der seit 247 Vgl. dazu etwa den Fall von 1845 in RG 46, SEN 28A-D7, Box 20, Folder 9, NARA . 248 Vgl. dazu die Anmerkungen in »The Popular Movement« von O’Sullivan, Morning News (New York), 24. 5. 1845, zitiert nach: Copeland, Primary Documents, S. 259. 249 Einen solchen Fall schildert Bensel von 1859 (Bensel, Ballot Box, S. 178–189). 250 Chevalier, United States, S. 186. 251 Keyssar, Voting, S. 856.

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Exklusion der Afroamerikaner vom Wahlrecht, 1790 –1855

1819 der Union beitrat, verbot explizit Afroamerikanern die politische Partizipation.252 Zugleich wurde der Status der indigenen Bevölkerung als »eingeborene und abhängige Nationen« definiert, als in den USA geborene Fremde ohne Wahlrecht.253 Als Kalifornien 1850 als 31. Staat den USA beitrat, entschieden sich die Delegierten der Verfassungsgebenden Versammlung für die Exklusion aller Nichtweißen (white men only).254 1857 stimmten die Männer des jungen Washington Territory im Nordwesten in einem Referendum dafür, nicht nur alle Sklaven, sondern überhaupt jede person of color von der Wahl auszuschließen.255 Zur Jahrhundertmitte hatten nahezu alle US -Staaten, egal ob alt oder neu, freien Afroamerikanern das Stimmrecht genommen.256

252 Assistant Attorney General to Secretary of the Interior, 9. 8. 1898, RG 48, Entry 713, 1898–1907, Box 62, NARA ; Campbell, Assistant Attorney General to Secretary of the Interior, 20. 8. 1903, RG 48 (Interior), Entry 713, Box 63, NARA ; vgl. Keyssar, Right to Vote, S. 55 u. 60–63; Curtis, Freeholder, S. 126–229. 253 Keyssar, Right to Vote, S. 60. 254 Ryan, Civil Society, S. 575. 255 DeBats, Hide and Seek, S. 551. 256 Tindall/Shi, America, S. 304.

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Der Ausschluss der Afroamerikaner von den Wahlen folgte lediglich den alltäglichen Gepflogenheiten. In New York verdrängten weiße Migranten die afroamerikanischen Arbeiter, und fortan errichteten nicht mehr African Americans, sondern irische und deutsche Männer die modernen Wohnkomplexe. Die Ressentiments gegen Afroamerikaner tränkten die Luft. Anders als Immigranten, die zunehmend in Paraden wie denen zum St. Patrick’s Day oder am 4. Juli den öffentlichen Raum für sich beanspruchten, mochte die weiße Bevölkerung Afroamerikaner nicht einmal mehr als Kutscher in ihrer Stadt sehen. In der Zeit vor dem Bürgerkrieg existierten nicht nur im Süden die Black Codes zur rassischen Segregation, auch im Norden achteten die Weißen auf Distanz. In den öffentlichen Verkehrsmitteln durften Schwarze vielfach nicht in denselben Wagen oder Sitzreihen wie Weiße Platz nehmen.257 Das New York Zoological Institute ließ die Besucher am Eingang auf einem Schild wissen: »Farbigen ist der Zutritt verboten«.258 1857 konstatierte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten in dem dramatischen Rechtsstreit Dred Scott vs. Sandford, Afroamerikaner, egal ob frei oder versklavt, seien »Wesen einer niedrigeren Art und keinesfalls dazu fähig, mit der weißen Rasse gesellschaftliche oder politische Beziehungen einzugehen – und Wesen einer so viel niedrigeren Art, dass sie keine Rechte besitzen, die der weiße Mann respektieren müsste«, wie es in den Worten des Chief Justice Roger B. Taney hieß; Afroamerikaner seien »nicht dazu bestimmt, dazuzugehören«, schließlich seien sie kein Teil des Volkes, das Unabhängigkeitserklärung und Verfassung gestaltet und sich verliehen habe.259 Als Lincolns Leichnam im April 1865 in einem riesigen Umzug durch New York gezogen wurde, verbot der Stadtrat den Afroamerikanern die Teilnahme an der Parade, und nur nach Protesten durfte eine kleine Gruppe am Ende des Zugs mitlaufen.260 Der Wahlakt, der ja vielfach Staatsbürgerschaft konstituierte, trug zur Konstruktion von Rasse bei. Hier spielte erneut die Aushandlung der Männer vor Ort die entscheidende Rolle. Wer konnte tatsächlich als »weiß« gelten? Sah der Kerl nur so hellhäutig aus und war in Wirklichkeit ein Schwar-

257 Zitiert nach: Burrows/Wallace, Gotham, S. 854, s. auch S. 859. 258 Zitiert nach: Burrows/Wallace, Gotham, S. 642. 259 Dred Scott vs. Sandford, Opinion Taney, in: Legal Information Institute, Cornell University Law School, http://www.law.cornell.edu/supremecourt/text/60/393 [2. 1. 2017]. 260 Burrows/Wallace, Gotham, S. 904f.

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zer? Zuweilen holten sich Wahlleiter professionelle Hilfe, wie in einem Fall aus den 1860er Jahren, als ein Rechtsanwalt hinzugezogen wurde, »um durch die Untersuchung der Person, die das Wahlrecht in Anspruch nehmen will, festzustellen, ob bei ihr das weiße Blut vorherrschend sei oder nicht«.261 Der rassistische Konsens wurde nicht infrage gestellt. »Selbstverständlich kann kein ›Neger‹, kein Mischling, kein Indianer oder kein ›freier Farbiger‹ das Wahlrecht ausüben«, erklärte ein Jurist aus South Carolina vor dem Bürgerkrieg. Doch selbst in South Carolina, so fuhr er fort, gelte es, »viele heikle und schwierige Erwägungen vorzunehmen«. Darauf folgte ein umständliches Räsonieren über die Definition von »Mulatte«, über »Beimischung afrikanischen Bluts«, »leichte Spuren von Neger-Rasse« – das Gesetz könne hier keine Sicherheit bieten, und »ein bloßes Übergewicht der Weiß-Rassigkeit ist sicherlich nicht ausreichend, um ein Individuum aus der Klasse der Degradierten herauszuheben«, selbst ein »Viertelmischling« (quadroon) müsse als Mulatte gelten. Die Jury am Wahlort solle allenfalls jene Personen zulassen, bei denen das »afrikanische Blut« nicht mehr als ein Achtel ausmache. Im Zweifelsfall aber durfte ein Dunkelhäutiger nicht wählen. Gerichtsverfahren bestätigten regelmäßig: »Dunkle Hautfarbe stellt einen augenscheinlichen ersten Beweis für den Sklavenstatus dar.«262 In der Bundeshauptstadt Washington zogen die Anhänger der Demokratischen Partei Wahl um Wahl mit Bannern durch die Straßen, auf denen sie gegen »Nigger« und »Rassenvermischung« hetzten.263 Afroamerikaner trauten sich am Wahltag ohnehin kaum auf die Straße, und wohl nur wenige hatten den Mut, ihr Wahlrecht einzufordern, falls sie zu der wahlberechtigten afroamerikanischen Minderheit gehörten.264

Identifizierung in Preußen In Preußen nahm die Bürokratie im Vorfeld eine erste Identifizierung der Wähler bei der Erstellung der Wählerlisten vor. Daher diente die Wahlversammlung in geringerem Ausmaß als Performanz der Zugehörigkeit. Dennoch handelten auch die preußischen Männer beim Wählen die Iden-

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Zitiert nach Bensel, Ballot Box, S. 127. Bellinger, Compilation, S. 525f. Foner, Reconstruction, S. 272. Argersinger, New Perspectives, S. 682; Du Bois, Black Vote, S. 31; Brewin, Celebrating Democracy, S. 97; Chevalier, United States, S. 361. Zuweilen gingen sie aber doch auch wählen: Brewin, Celebrating Democracy, S. 98.

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tität aus. Der Wahlleiter entschied sowohl bei den Reichstagswahlen als auch bei den Landtagswahlen darüber, ob ein Preuße dazu gehörte und wählen durfte oder nicht. Bei Bedarf konnte er von einem Wähler die »Vorlegung einer Legitimation« verlangen.265 Wahlleiter verweigerten die Annahme der Stimme, wenn etwa ein Pole angeblich nicht in der Lage war, den Namen des Kandidaten richtig zu buchstabieren. Andersherum, hieß es in einer Wahlbeschwerde, konnten sich Polen bei der Wahl in einer Kirche so sicher fühlen, dass sie alle Anwesenden, die nicht ihren Kandidaten wählten, bedrohten.266 Unerwünschte Wähler ließen sich mit solchen Mitteln ausschließen, wenngleich alle Parteien zunehmend damit rechnen mussten, dass sich die Ausgeschlossenen wehrten – und oft genug Recht bekamen.267

Gewalt. Staatsmacht und Volkswille Amerikanische Wahlen waren vor allem eine fantastische Zeit für junge weiße Männer, die in immer größeren Scharen an den Wahllokalen auftauchten. Das Politikspektakel, das in britischer Tradition lange vom Wahlakt getrennt gewesen war, verlegte sich nun auf die Stimmabgabe. Wahlen wurden zum trunkenen Fest, das Mannsvolk marschierte in Fackelzügen die Dorf- und Stadtstraßen ab. Es war eine furiose Demokratie, ein »großartiger Humbug«, wie ein Whig-Mann nach der verrückten Kampagne von 1840 bemerkte, als es den Whigs gelungen war, ihren UpperClass-Kandidaten William Henry Harrison als einfachen, saufenden Kerl darzustellen und den aus schlichten Verhältnissen stammenden Martin Van Buren als volksfernen Snob.268 Die Stimmabgabe hatte häufig wenig mit der Ermittlung eines Mehrheitswillens zu tun. Am Wahlmorgen ging

265 Leinert, Landtagswahlen, S. 37; Schreiben Minister des Innern an Regierungspräsidenten, 9. 11. 1911, XVI . HA Rep. 30, Nr. 602, PK GStA ; »Zu den Reichstagswahlen«, Berliner Correspondenz, 10. 11. 1911, I. HA Rep. 90 A, Nr. 112, 1903–1915, PK GStA . 266 Brief konservativer Wahlverein des 1. Reichstagswahlkreises an den Präsidenten des Staatsministeriums Fürsten von Bismarck, 28. 11. 1886, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3. 267 Abschrift Brief Tischlermeister Threns (unleserl.), Berlin, 24. 11. 1889 u. Petition dreier Bürger »Gegen die Gültigkeit«, Berlin, 4. 12. 1889, beide Dokumente in A Rep. 001–02–01, Nr. 232, 1889–1891, Bl. 5, LAB . 268 Zitiert nach: Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 35.

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es zunächst darum, welche Partei Wahlaufseher und Wahlhelfer stellen würde, um die Auszählung zu dirigieren. Ein alter Parteimann beschrieb das Prozedere in der Zeit vor dem Bürgerkrieg: »Die Whigs und die Demokraten standen auf beiden Straßenseiten am Bordstein Spalier, damit sie als Partei mit der größten Anhängerschaft erscheinen – also als die Mehrheit, die alle öffentlichen Ämter besetzen kann, die die Stimmen der Wähler entgegennehmen, diese zählen und die Wahlergebnisse verkünden kann.« Der Zeitgenosse erläuterte weiter: »Nicht nur rechtmäßige Wähler standen am Bordstein Spalier, sondern auch irgendwelche großen Burschen, und nachdem sie einmal gezählt worden waren, stellten sie sich am anderen Ende wieder an, und daher war die Zählung offensichtlich nicht sehr vertrauenswürdig. Dann gab es eine große Hektik, wer die ›Wahlurnen‹ für sich beanspruchen durfte, und wer am besten kämpfen konnte, bekam die Aufsicht über sie.«269 Oft genug setzten sich Wahlen in diesem Sinne fort. Das ganze Arrangement des Wahlaktes bot keinerlei physischen Schutz, und Zugehörigkeit war an körperliche Stärke gebunden.

Prügelrecht Ein erfahrener Wahlkämpfer erklärte in den 1850er Jahren stolz: »Das hing von dem ab, was man ›die Muskeln‹ nennt; wir alten Jackson-Demokraten verhinderten die Whigs, so gut wir konnten.«270 Am Wahltag herrsche nunmal das Prügelrecht, erklärte ein irischstämmiger Politiker.271 Das Wahlfenster wurde in der Jahrhundertmitte in umstrittenen Wahlkreisen auf der linken Seite von der einen und auf der rechten Seite von der anderen Partei mit ihren Männern als »Herausforderern« (challengers) bestückt, die möglichst jede Gegenstimme anfechten und, wenn nötig mit Gewalt, verhindern sollten.272 Da amerikanische Männer häufig Waffen trugen, eskalierte die Situation schnell. »Bewaffnete und organisierte Vereinigungen, die der einen oder anderen politischen Partei verpflichtet waren, griffen auf Feuerwaffen zurück, mit denen man sie großzügig ausgerüstet hatte, und kämpften mit wildem und kühnem Übermut«, wurde über eine Wahl in Baltimore berichtet. In Straßenschlachten gingen die Männer mit Flinten, Pistolen, Messern und Schlägern aufeinander los. Die Partei der xeno269 270 271 272

Zitiert nach Ignatiev, How the Irish became White, S. 185. Zitiert nach Bensel, Ballot Box, S. 173. William McMullen, zitiert nach Ignatiev, How the Irish became White, S. 196. Bensel, Ballot Box, S. 172f.

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phoben Know-Nothings schleppte in den 1850er Jahren eine Kanone an, mehrere Personen wurden getötet und weit über hundert verletzt.273 »Am Wahltag führen sie sich eher wie wilde Tiere als wie Menschen auf«, erzählte ein Mann von einer Wahl 1858. »Es könnte in einem Wolfsrudel, das gerade aus den Wäldern gekommen ist, nicht mehr Zerren und Ziehen geben als zwischen den Menschen am Wahltag.«274 Die Chicago Times stimmte ein und empfahl zum Umgang mit den gegnerischen Democrats: »Setzt sie hinter Schloss und Riegel – schnappt die Wahlurne und tragt sie weg!«275 In einem Spottlied auf die Iren berichtet der fiktive Ire »Paddy«, der von einer Wahlprügelei mit den Know-Nothings geschlagen nach Hause kommt, seiner »Bridget« (wobei das Eingeständnis der Niederlage gegenüber einer Frau als besondere Demütigung gelesen werden muss): »Unsere Partei hatte dreißig Mann, alle mit großen Stöcken bewaffnet« – doch das half nichts: »Die verdammten Know-Nothings haben den Sieg davongetragen. […] Ich werde nie mehr dorthin gehen, wo diese Leute wählen.«276 Als besonders merkwürdiges Phänomen der Gewalttätigkeit entwickelte sich die erzwungene Wahl: Männer ergriffen Männer (häufig aus sozial benachteiligten Gruppen, Einwanderer, Analphabeten oder Alte), die ihnen mehr oder weniger zufällig über den Weg liefen, und schleppten sie zum Wahlfenster, wo sie zur Abgabe eines Stimmzettels gezwungen wurden.277 In einem kleinen Dorf am Mississippi wurden 150 Männer per Dampfboot angefahren und zum Erstaunen der Dorfbewohner unter Gewaltandrohung im Gänsemarsch zum Wahllokal eskortiert.278 Ein gewisser Heinrich Book, der nach dem Gesetz eigentlich nicht wählen durfte, weil er noch nicht lange genug in den USA lebte, wurde 1859 von zwei Dieben ausgeraubt. Und weil gerade Wahlen anstanden, sperrten sie ihn bis zum Wahltag ein. Am Wahlmorgen bugsierten sie ihn vor das Fenster und zwangen ihn, ihre Partei zu wählen (wofür sie bestimmt Geld bekamen).

273 John Thomas Scharf, 1856, zitiert nach: Brown, American Violence, S. 42f. 274 Zitiert nach Summers, Plundering Generation, S. 52. 275 Chicago Daily Times, 25. 3. 1858, zitiert nach Summers, Plundering Generation, S. 56. 276 »Paddy’s Fight with the Know-Nothings«, ohne Datum, 1850er Jahre, Public Library, https://www.loc.gov/item/amss.sb30402b/ [30. 3. 2017]. 277 Bensel, Ballot Box, S. 178–180 u. 198. 278 Report of the Special Committee appointed by the House of Representatives, Louisiana, u. Zeugenaussage Philemon, o. D., 1845, RG 46, SEN 28A-D7, Box 20, Folder 10, NARA .

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Dann schnappte ihn ein anderer Rabauke und zwang ihn erneut zur Stimmabgabe. Er habe insgesamt vier- oder fünfmal wählen müssen.279 Besonders die fremdenfeindlichen Know-Nothings sperrten gerne Immigranten ein, um sie am Wahltag dazu zu zwingen, den Stimmzettel für ihre Partei abzugeben.280 Ganze Kutschen mit eingepferchten Männern wurden von Wahllokal zu Wahllokal gefahren und unter Schlägen wieder und wieder zur Stimmabgabe gezwungen.281 Die Zwangswähler wurden zuvor häufig mit Alkohol abgefüllt. Ein Augenzeuge berichtete, wie eine ganze Gruppe von Männern zum Wahllokal eskortiert wurde: »Sie gingen in einer einzigen Reihe ganz nahe hintereinander her; diese Gruppe bestand aus den erbärmlichsten und heruntergekommensten Objekten, die ich je gesehen habe. Die meisten von ihnen waren offensichtlich sturzbesoffen.«282 Auch in South Carolina nahmen Parteileute Männer gefangen und fuhren sie von Wahllokal zu Wahllokal, wo die Gefangenen gezwungenermaßen den Kandidaten ihrer Kidnapper wählen mussten. Naheliegenderweise nutzten Parteimänner immer wieder auch Gefängnisinsassen als Stimmvieh.283 Ein Amerikaner war eben ein freier Mann und Herr seiner selbst. Und es gab keinen Grund, warum bei den Wahlen gerade die Staatsmacht die Spielregeln vorgeben sollte. Wie bei der Wahlberechtigung wurden auch bei der Frage der Stimmabgabe die Dinge oft genug pragmatisch vor Ort geregelt. »Freie Wahlen«, ein Slogan, den die Amerikaner als heiliges Prinzip beschworen, bedeutete vor allem: Wahlen frei von Regeln. Ein Demokrat beschrieb, wie die Whigs ihn 1838 die Stufen des Wahllokals hinunterstießen und mit dem Argument am Wählen hinderten, »sie lebten in einem freien Land, und daher hätten sie das Recht, nur den wählen zu lassen, der ihnen gefalle«.284 Es ging um den »freien Willen des Volkes«, doch das war gewiss kein »Kopfwahlsystem«, wo der Einzelwille in die Waagschale geworfen und beckmesserisch gezählt wurde.

279 280 281 282 283 284

Bellinger, Compilation, S. 393–412; Bensel, Ballot Box, S. 178f. Bensel, Ballot Box, S. 179. Bensel, Ballot Box, S. 183. Wahlen in Baltimore, 1859, zitiert nach: Bensel, Ballot Box, S. 182. Bellinger, Compilation, S. 393–412. Henry B. Miller, Diary, 1838, zitiert nach: Grimsted, American Mobbing, S. 182.

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Gewalt und Demokratie Doch schließlich: Wenn die Macht vom Volke ausgeht – was liegt näher, als dass es auch die Gewalt ausübt? Und zwar Gewalt als Herrschaft gegen den menschlichen Körper. Es wäre freilich ein Kurzschluss, zu glauben, darin bestätige sich Barrington Moores These, dass Revolution und Gewalt eine notwendige Voraussetzung für Demokratisierungsprozesse seien.285 Tatsächlich erwies sich Gewalt immer wieder als hinderlich für Demokratie, nicht nur in den USA . Das Jahr 1848 prägte sich den Preußen nicht zuletzt durch seine Gewalttätigkeit als das »tolle Jahr« ein. Die deutsche Revolution verlor ebenso wie die französische in den Augen vieler Bürger durch ihre Brutalität an Legitimation.286 Die Übergriffe auf Pfarrhäuser, die Verhöhnung uniformierter Militärs oder der erzwungene Rückzug der Truppen aus Berlin nach den Barrikadenkämpfen, all das schürte Zweifel und Ängste in der Bevölkerung.287 »Die Autorität der Offiziere konnte nichts mehr ausrichten«, hatte die Vossische Zeitung über eine Ausschreitung während einer Wahlversammlung berichtet.288 Wenn man bedenkt, dass die Gewährung der Sicherheit als zentrale Aufgabe des Staates und als Quell seiner Legitimation galt, lässt sich ermessen, wie verunsichert die Regierung und wie verängstigt die Bürgerinnen und Bürger waren.289 Extralegale Gewalt, aber auch schlicht: junge, auf den Straßen lärmende Männer gehörten in Deutschland offensichtlich nicht zum kulturell dominanten Männlichkeitsbild, anders als in den USA .290 In Preußen hielten viele Bürger Gewalt für einen Irrweg, der wenig mit dem breit akzeptierten Projekt eines Nationalstaates zu tun hatte. Die Kölnische Zeitung erklärte, eine Mindestvoraussetzung für sinnvolles politisches Engagement bedürfe der Überzeugung, »jede Revolution, Gewalttat und Zerstörung für ein schweres Unglück« zu halten und für Reformen immer »den friedlichen Weg« vorzuziehen.291 »Die Nüchternheit unseres 285 Vgl. zu der Thematik umfassend Keane, Violence; Berg, Eine wilde und unordentliche Demokratie; vgl. dazu auch Kap. 3. 286 Seld, Wunderliche Reise, S. 311–339 et passim; Baumgarten, Liberalismus, S. 51; Meyer, Wahlrecht, S. 194 u. 256. 287 Clark, Kulturkampf, S. 27; Clark, Preußen, S. 539–543; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 446; Andrae, Erinnerungen, S. 17. 288 »Koblenz, den 2. Mai«, Vossische Zeitung, 6. 5. 1848, S. 5. 289 Conze, Securitization, S. 455. 290 Vgl. ganz typisch die angstbesetzten Erinnerungen von Mohl, Lebenserinnerungen, S. 31. 291 »Die Demokratie und die Wahlen«, Kölnische Zeitung, 15. 10. 1852.

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Abb. 14 »Berliner Straßen-Krawall. Angriff der Berliner Demokraten auf das Hotel des MinisterPräsidenten von Auerswald.« Junge Männer beim Radaumachen auch in Preußen, dort aber nicht gern gesehen. Neuruppiner Bilderbogen, »Das merkwürdige Jahr 1848« akg-images

Volkes«, so der Liberale Hermann Baumgarten später, habe dem gewalttätigen Radikalismus »nur eine enge Bühne« eingeräumt.292 Während extralegale Gewalt in Preußen die Ausnahme blieb, standen in den USA die jungen Männer dauerhaft in Konkurrenz zur Staatsmacht. Norbert Elias beschreibt Gesellschaften ohne Gewaltmonopol als Räume, in denen physische Gewalt jederzeit »schockartig« in den Alltag brechen kann.293 Nicht überall, aber in vielen Staaten Amerikas war das der Fall. Männer, die Justiz und Wahlen jenseits gesetzlicher Verfahren in die Hand nahmen, verhinderten rechtsstaatliche Entwicklungen, und Amerikaner akzeptierten extra-legale Gewalt in einem zerstörerischen Ausmaß. Lokale Machthaber folterten, um Geständnisse zu erpressen, Männer erdrosselten, erschlugen, erhängten im Volkszorn ohne viele Umstände ihre Mitmenschen, Gewalt gegen Sklaven, gegen Frauen, gegen Native Americans, die Allgegenwart von Waffen und ihre tatsächliche Notwendigkeit 292 Baumgarten, Liberalismus, S. 51. 293 Elias, Wandlungen der Gesellschaft, S. 325.

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fürs Überleben – all das bestimmte insbesondere im Süden den Alltag. Die Gesellschaft war geprägt von Verdacht, paranoiden Ängsten, Korruption, Betrug, Gewalt und Anomie.294 Panische Gerüchte über Sklavenaufstände und erbarmungslose Reaktionen der Weißen spiegeln die perverse Beklommenheit der Bürger gegenüber den Sklaven.295 Gerade in South Carolina, wo es mehr Afroamerikaner als Weiße gab, lebten die Bürger in Angst vor Aufständen, so der Charlestoner Historiker David Ramsay.296 Fremde nahmen die Gewalt deutlich wahr. Demokratie habe »keine milde Sprache, keine Geschmeidigkeit der Formen«, schrieb um 1840 der Franzose Chevalier über die USA , »sie neigt dazu, Mäßigung mit Schwäche und Gewalt mit Heldentum zu verwechseln, […] sie kennt kaum Selbstkontrolle.«297 Als sich in der nordatlantischen Welt gouvernementale Regierungspraxis durchsetzte und physische Gewalt zurückgedrängt wurde, erklärte der prominente amerikanische Publizist George Fitzhugh: »Die Masse der Menschheit kann nicht durch das Recht regiert werden. […] Nicht die moralische Überzeugung, sondern die physische Kraft regiert.«298 Die grassierende Gewalt nahm ihren Ausgang in den 1830er Jahren. Der Historiker Carl E. Prince schrieb über das Jahr 1834, dem »Jahr des Aufruhrs«, von dem oben bereits die Rede war, es habe zu »den ersten Rissen im Mauerwerk der amerikanischen Gemeinschaft nach der Revolution« geführt.299 »Die Gesellschaft scheint aus den Angeln zu sein, man hat bei uns den Dämon von ›Blut und Gemetzel‹ losgelassen!«, hieß es 1835 in Niles’ Weekly Register. »An allen Ecken und Enden unserer Union kommt es zu Unruhen und Mord und Totschlag. […] Tausende interpretieren das Gesetz auf ihre Weise.«300 Ein Reisender aus Europa berichtete, »der Geist der Anarchie hat in den Vereinigten Staaten in einer Weise sein Haupt erhoben, die zu ernsthafter Beunruhigung Anlass gibt«.301 Die Mordraten

294 Rothman, Flush Times, S. 13, 249 et passim. 295 Rothman, Flush Times, S. 92. 296 David Ramsay, Civis. An Address to the Freeman of South-Carolina, 1788, zitiert nach: Greene, »Slavery or Independence«, S. 24. 297 Chevalier, United States, S. 188; ähnliche Beobachtungen machte auch Tocqueville: Pierson, Tocqueville in America, S. 640. 298 Fitzhugh, Cannibals. 299 Prince, Riot Year, S. 1f., 5 u. 17f.; vgl. auch Brown, American Violence, S. 7 u. 33–54; vgl. auch »During the Last and Present«, Niles’ [Weekly] Register, 5. 9. 1835. 300 »During the Last and Present«, Niles’ [Weekly] Register, 5. 9. 1835. 301 Chevalier, United States, S. 161.

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schnellten in der Jahrhundertmitte in die Höhe und ließen die anderer westlicher Staaten weit hinter sich.302 Die Zeitgenossen sprachen von mobocracy und King mob.303 »Unsere gesamte Gemeinschaft scheint in unnatürlicher Weise aufgeregt zu sein«, hieß es 1835 in den Southern Times aus Columbia. »Mobs, Streiks, Unruhen, Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei, Aufstände, lynch clubs scheinen die großen Themen des Tages zu sein.«304 Abraham Lincoln beschrieb 1837 die ungezügelte Gewalt, warnte vor der Gefahr des mob law und urteilte über seine Landsleute: »Da sie die Regierung immer schon als den schlimmsten Fluch ansahen, bejubelten sie die Verhinderung der Regierungstätigkeit und beteten für nichts mehr als für die totale Vernichtung der Regierung.«305 Diese Gesetzlosigkeit sei eine direkte Gefahr für die »Fortdauer unserer politischen Institutionen« und damit für die Freiheit.306 Waren das Übertreibungen einer Elite, um mit Krisendiskursen die Gesellschaft zu disziplinieren?307 Gewiss spielte das auch eine Rolle. Doch lassen sich Quellen nicht ignorieren, die übereinstimmend die ungeheure Präsenz von Gewalt dokumentieren.308 Auch in den kommenden Jahrzehnten blieb Gewalt ein integraler Bestandteil amerikanischer Demokratie. Native Americans fanden zu Tausenden einen brutalen Tod. Afroamerikaner konnten nicht nur in den Südstaaten ohne Prozess erhängt werden, auch Latinos wurden zu Dutzenden im Südwesten der Vereinigten Staaten gelyncht.309 Kommunalverwaltungen in Kalifornien setzten in den 1850er Jahren Prämien für jeden »Indianerskalp« aus, gleich ob von Kindern oder Erwachsenen. In dieser Zeit schlachteten sich in Kansas zweihundert Sklavereigegner und -befürworter gegenseitig ab: »Bleeding Kansas«, wie der Publizist Horace Greely den Konflikt nannte. Bezeichnenderweise hatte die Staatsmacht es den Männern in die Hand gelegt, in einer Wahl darüber zu entscheiden, ob Kansas ein freier oder ein Sklavenstaat werden sollte, und damit der Gewalt Tür

Roth, American Homicide, S. 299. Grimsted, American Mobbing, S. 3f. Zitiert nach Grimsted, American Mobbing, S. 3. Lincoln, Challenge of Violence, S. 9f. Ebenda. So Martschukat, Ordnung, S. 41. Vgl. dazu Grimsted, American Mobbing, S. 3f.; vgl. auch Chevalier, United States, S. 407. 309 Carrigan, Lynching; vgl. Cutler, Lynch-Law, S. 1; vgl. Berg, Lynchjustiz; Carrigan, Lynching; Gilje, Rioting in America. 302 303 304 305 306 307 308

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und Tor geöffnet. Die korrupten Wahlen konnten den Konflikt nicht befrieden.310 Die Ausbreitung von Schusswaffen forderte auch am Wahltag immer mehr Todesopfer. In Baltimore beispielsweise starben bei den Wahlen 1856 acht Personen, 150 wurden verwundet.311 1857 massakrierten Mormonen wahrscheinlich aus Angst vor Überfremdung ein durchziehendes Siedlertrack. Auch der Mexikanisch-Amerikanische Krieg (1846 bis 1848), in dem Zehntausende Mexikaner getötet wurden, nährte die Gewalt. »In Wahrheit wird das Menschenleben nicht so hoch geschätzt wie das Geld«, klagte ein New Yorker in dieser Zeit, und über die kommenden Wahlen schrieb er: »Aufruhr und Gewalt ergehen sich ungehindert auf den Straßen.«312 Zudem schürten Korruption und Agitation der Parteien die Abneigung der Bürger gegen die Staatsmacht. Viele Amerikaner sahen eine Ursache der Probleme in den Zuwanderern, die angesichts ihrer sozialen Lage für Korruption eher anfällig seien als Einheimische und so leichte Beute für die Parteien waren. Von 1845 bis 1854 war die amerikanische Bevölkerung mit drei Millionen Immigranten um 15 Prozent angewachsen.313 Die Wirtschaftskrise von 1857 brachte die USA und mit ihnen die immer enger verflochtene nordatlantische Wirtschaftswelt an den Abgrund.314 Aus ganz Amerika hörte man in den Vorkriegsjahren die gleiche Klage. »Man stimmte allgemein darin überein, dass die fragliche Wahl durch Unruhen und Gewalt überschattet war«, hieß es 1857 etwa aus Maryland.315 »Das Übel existiert jetzt in einem bisher nicht bekannten Ausmaß«, klagten Bürger in South Carolina.316 Die Anomie in der Jahrhundertmitte offenbarte die Ablehnung der Bürger gegenüber der Staatsmacht, und zugleich forcierte

310 Summers, Plundering Generation, S. 233–235 u. 248–251; Childers, Interpreting Popular Sovereignty; Hochgeschwender, Bürgerkrieg, S. 44. 311 Brown, American Violence, S. 43; Campbell, Deliver the Vote, S. 46–48; »Morgendämmerung«, FAZ , 30. 8. 2015; zu Gewalt und Korruption in South Carolina in den 1850ern: GA Petitions, S165015, SCDAH . 312 Einträge vom 25. 10. u. 3. 11. 1840, Hone, Diary (Bd. 2), S. 48. 313 Summers, Plundering Generation, S. 303. 314 Report, Session, 1855, of the Committee of Privileges and Elections on the Protest of Sundry Citizens, in: Bellinger, Compilation, S. 480–484, und zahlreiche weitere Dokumente in diesem Sammelband über Wahlfälschungen in den 1850er Jahren; Summers, Plundering Generation, S. xv et passim. 315 Zitiert nach: Harris, Election Administration, S. 316. 316 Memorial [ca. 200 Unterschriften], 15. 10. 1831, S165015, Item 188, 1831, SCDAH .

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sie den Bürgerkrieg.317 Der Historiker Mark Summers resümiert: »In den 1850er Jahren machten sich viele Amerikaner nicht allein wegen der Sklaverei Sorgen, sondern fragten sich auch, ob nicht die Demokratie insgesamt gescheitert sei und ob der Preis, der für sie zu zahlen sei – Demagogie, Bestechlichkeit, manipulierte Wahlen –, nicht allzu hoch sei.«318

Gründe für die Gewalt in den USA Für das Ausmaß an Gewalt in den USA lassen sich mindestens vier Ursachen ausmachen: Erstens besaß Gewalt in vielfältiger Form ganz rechtmäßig mitten in der Gesellschaft einen festen Platz: durch Sklaverei, durch Ermordung der indigenen Bevölkerung oder durch die Tatsache, dass an der Frontier das Leben stets mit der Flinte verteidigt werden musste. Zweitens verschärften womöglich die evangelikalen Erweckungen die Situation. In jüngerer Zeit verweisen Historiker darauf, dass der religiöse Radikalismus zur Unfähigkeit der amerikanischen Gesellschaft beigetragen habe, Ambivalenzen und gesellschaftliche Abweichungen zu ertragen. Die Ausschreitungen gegen katholische Nonnen bei Boston im Jahr 1835 und das Niederbrennen ihres Ursulinen-Klosters durch den Mob waren Ausdruck dieser furiosen Intoleranz.319 Das Bild des »Nordens« und das dichotomisch gegenübergestellte Bild des »Südens« entstanden in dieser Zeit.320 »In den Augen eines Europäers, der ein Freund progressiver Reformen und ein Feind der Gewalt ist«, schrieb der Franzose Michel Chevalier, sei »die Verbreitung des Radikalismus in der Politik« sehr befremdlich.321 Auch wenn der Protestantismus seine unbestreitbaren Verdienste bei der Abschaffung der Sklaverei hatte, so spielte er doch auch diese Rolle. Es ging um das Seelenheil, also um alles oder nichts. Der Historiker Manfred Berg verweist auf einen dritten Grund als zentrale Ursache der Gewalt: Rassismus. Im Einwanderungsland USA waren die Menschen in ganz anderem Ausmaß als etwa in Preußen mit seinen überschaubaren ethnischen Minderheiten vom Rassismus beherrscht. Die Mehrheit (der Weißen) besaß nicht nur »naturgegeben«, »seit jeher«, »gottgewollt« oder wie auch immer traditionell begründet die Herrschaft, son317 318 319 320 321

Summers, Plundering Generation, S. xiii. Ebenda, S. 303. Schultz, Fire and Roses; Hochgeschwender, Bürgerkrieg, S. 9. Grant, North Over South, S. 111 et passim. Chevalier, United States, S. 108.

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dern sie fühlte sich auch gedrängt, diese Vorherrschaft immer neu zu beweisen.322 Vor allem aber muss viertens die Rechtlosigkeit als Ausdruck des amerikanischen Glaubens an die Macht des einfachen Mannes verstanden werden, an die Herrschaft von unten, an »Graswurzeldemokratie«, kombiniert mit einem tiefen Misstrauen gegen die Obrigkeit, das oft die klügsten Köpfe des Landes antrieb. Amerika hatte sich schließlich in Ablehnung zu einem starken Staat entwickelt. O’Sullivan gab seiner Democratic Review323 das Motto: »Die beste Regierung ist jene, die am wenigsten regiert«. 1849 stellte Henry David Thoreau diese Parole seiner atemberaubenden Schrift »Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat« voran. Diese Abneigung wurde durch einen intellektuellen Manichäismus gespeist, der Amerika als die freie Welt pries und Europa als Ort der Tyrannei brandmarkte, in dem es von Cäsaren und Napoleons nur so wimmelte.324 In Amerika herrsche der Glaube vor, kommentierte ein zeitgenössischer Europäer, »dass die Nationen Europas schrecklich unter dem Joch absoluter Despoten stöhnen, und [Amerika] betrachtet sie mit einer Mischung von Mitleid und Verachtung. Wenn ein Amerikaner einen Blick auf die andere Seite des Atlantiks wirft, tut er das mit der überlegenen Miene eines freien Mannes, der auf eine Herde von Sklaven herabblickt.«325 Ihre Freiheit, davon waren die Amerikaner überzeugt, müsse stets tapfer und, wenn nötig, mit Gewalt verteidigt werden. Walt Whitman empfahl kurz vor dem Bürgerkrieg: »Den Staaten oder einem beliebigen von ihnen oder einer beliebigen Stadt der Staaten: ›Widersetzt euch viel, gehorcht wenig!‹/ Einmal unbesehens gehorcht, heißt einmal völlig versklavt,/ Einmal völlig versklavt aber wird weder eine Nation, noch ein Staat, noch eine Stadt der Erde nachher jemals ihre Freiheit wiedergewinnen.«326 Zu diesem alarmierten Gestus gehörte der amerikanische Glaube, das Wohl und Wehe der ganzen Welt hänge ab von der »Stadt auf einem Hügel« (die neutestamentarische Metapher für die USA ), nur Amerika könne die Welt lehren, was Demokratie sei. Vgl. zur Reproduktion von Rassismus: Martschukat, His Chief Sin. Eigentlich: The United States Magazine and Democratic Review, 1837–1859. Summers, Plundering Generation, S. 298; vgl. Berg, Lynchjustiz in den USA . Chevalier, United States, S. 188; beispielhaft dafür »Germany«, Niles’ Register, 8. 6. 1833, S. 237. Selbst ein gebildeter Beobachter wie Horace Mann unterlag diesem Urteil (Grant, North Over South, S. 128). 326 Whitman, Grashalme, Kap. 14, ganz ähnlich argumentiert Thoreau, Pflicht zum Ungehorsam. 322 323 324 325

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Die Abneigung gegen den Staat und eine Sympathie für den rechtsfreien Raum speiste sich auch aus der ubiquitären Abneigung gegen Politik und Parteien. Denn parallel zur wilden Demokratie lief der Anti-ParteienDiskurs, der Politik als dreckiges Geschäft ablehnte. Unter den Eliten gab es viele, die angesichts der Gesetzlosigkeit grundsätzlich an der Fähigkeit des Volkes zweifelten, sich selbst zu regieren, und damit die Idee der Demokratie hinterfragten.327 Häufig hegten sie die Ansicht, das universal suffrage ermächtige nur mindere Geister, wenn nicht gar kriminelle Elemente.328 Anomie erzeugte Anomie. Wie die Rassisten lebten auch die Sklavereigegner in radikalen Welten ohne Kompromiss und selbstgesetztem Reglement. »Ich muss schließlich sagen, dass ich an der Republik verzweifle, solange es in ihr Sklaverei gibt«, erklärte der Abolitionist William Lloyd Garrison.329 »Wir sind entschlossen, jedes Gesetz zu brechen, das uns befiehlt, einen Menschen zu versklaven oder wieder zum Sklaven zu machen, und wir sind bereit, die Strafe dafür auf uns zu nehmen«, verkündete Henry Ward Beecher.330 Die Obrigkeit hatte bei vielen offenbar schlicht keine Legitimation. So kam es unter den Bauern immer wieder zu Ausschreitungen gegen Pachtzahlungen. Im Staat New York wurde ein Sheriff bei dem Versuch ermordet, einen gesetzlichen Mietzins einzutreiben. Aufständische verkleideten sich gerne als Native Americans: gewiss in Anlehnung an die Boston Tea Party, aber wohl auch im Gefühl der Freiheit, mit der Staatsmacht ebenso wenig zu tun zu haben wie die Native Americans.331 Der Blick auf die Gewalt und die randalierende Stimmabgabe relativiert für die USA erneut die Rolle demokratischer Ideale im Sinne von Gleichheit. Das Mannsvolk exekutierte seinen Willen in wilder Freiheit – so oder so, ungestört von Gleichheitsidealen oder Gedankengebäuden der Gründungsväter. Die Verantwortlichen in Washington DC und den Hauptstädten der Staaten hatten gar keine andere Chance, als die immer weiteren Definitionen von »Demokratie« zu akzeptieren. Bei der Unabhängigkeitserklärung war Volk (people) angesichts des Legitimationsnotstandes die plausibelste Erklärung gewesen, die zudem eine (hochelitäre) Tradition im Mutterland England hatte.332 Und wie sonst sollten die Ame327 328 329 330 331 332

Summers, Plundering Generation, S. 299–304. Pierson, Tocqueville in America, S. 494, 503, 565, 640f. et passim. Address to the Colonization Society, 4. 7. 1829, in: Julius, Abolitionist Decade, S. 42. Beecher, Freedom, S. 44. Brown, American Violence, S. 52–55. Morgan, Inventing the People.

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rikaner sechzig Jahre später die unzusammenhängende anwachsende Gemeinschaft nennen, wie sonst die Schwäche der Zentralregierung rechtfertigen? Das Entsetzen mancher Eliten, als die Massen an der Wahlurne auftauchten, spricht für sich. In einem relativ gefestigten Staat mit definierter Oberschicht wie in Virginia oder South Carolina ließ sich die Erweiterung des Wahlrechts über Jahrzehnte verhindern. Auch die etablierten Staaten der Ostküste, die stark genug waren, um Gesetze zur Geltung zu bringen, schlossen Einwanderer und Arme durch Fristregelungen, eine Gebühr für Wähler (poll tax) oder Bildungstests so weit wie möglich vom Wahlakt aus. In Rhode Island blockierten noch Anfang der 1840er Jahre die Grundbesitzeliten die Ausdehnung des Wahlrechts.333 In Massachusetts legte das Parlament in der Jahrhundertmitte fest, dass Einwanderer nach ihrer Einbürgerung noch eine Frist von 2 Jahren abwarten mussten, bevor sie das Wahlrecht erhielten.334 Bereits 1856 hatte Massachusetts einen Lesetest eingeführt.335 South Carolina hatte das eleganter gelöst, indem es schon vor dem Bürgerkrieg für die unterschiedlichen Wahlämter je eine beschriftete Urne aufstellte und es dem Wähler überließ, ob er die jeweilige Aufschrift entziffern konnte oder eben nicht und damit ungültig wählte.336 In weiten Teilen der USA aber wären solche Vorschriften wirkungslos gewesen, weil sie nicht den Realitäten am Wahllokal entsprachen.

Gewaltsam erzwungene Stimmabgabe Was aber bedeuten Wahlen, bei denen die Stärkeren die Schwächeren verprügeln, bei denen Gruppenzwang eine freie Meinungsäußerung sabotiert, bei denen die Wähler im Suff alles Mögliche feierten, aber gewiss nicht das, was wir heute unter einer freiheitlichen Demokratie verstehen? Bourdieu würde den Wahlort als Spielfeld der Männer bezeichnen, auf dem sie ihre Kämpfe um die Anhäufung symbolischen Kapitals ausfechten: Trinkfestigkeit, physische Stärke, Ehre, Ansehen, Macht, Dominanz.337 Die Männerspiele machten die eigentliche fiktionale »Volksherrschaft« zu 333 Keyssar, Right to Vote, S. 74. 334 Eigentlich hatte die Regierung der Know-Nothing-Party sogar eine Frist von 14 Jahren beschlossen, dafür jedoch nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten (Keyssar, Right to Vote, S. 86). 335 Ballot Record in Other States, Massachusetts, o. D., Bard Papers, 1896–1959, Box 62, Fold. 7, NYPL . 336 Case of E. H. Miller. Senate. 1850. Williamsburg, Bellinger, Compilation, S. 453. 337 Bourdieu, Herrschaft, S. 189 et passim.

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einem für die Bürger ernst zu nehmenden Vorgang. Neben der schieren Freude am Suff und der Prügelei ging es damit auch um die Aufrechterhaltung der ebenso komplexen wie prekären Konstruktion demokratischer Staatsherrschaft. Im Wahllokal trafen das »souveräne Volk« und die Staatsmacht aufeinander. Wahlen bildeten das Scharnier dieser zuweilen kooperierenden, zuweilen antagonistischen Gewalten in den USA . Der Wahlort war umkämpft wie die Legitimität und wie die Frage danach, wer eigentlich die Herrschaft ausüben dürfe. Alle behaupteten im Brustton tiefster Überzeugung, Wahlen hätten die Rolle, »eine unverfälschte Widerspiegelung des Volkswillens zu sein«. »Volk« freilich konnte alles bedeuten, und Wahlen bedienten die Fiktion, das »Volk« herrsche tatsächlich und es herrsche auf eine irgendwie nachvollziehbare, rationale Weise.338 Die Parteien wussten, wie wichtig diese Fiktion war, und sie hatten allen Grund, ähnlich wie die preußische Obrigkeit, die Wähler mit Mahnungen an die Urnen zu treiben. Doch die Frage, wer zum Volk gehörte und wer nicht, war keine Stilfrage. Es ging darum, wer dabei sein durfte und wer nicht – letztlich war das die Frage des Bürgerkrieges. Die Wahlfunktion der obrigkeitlichen Disziplinierung aber wird durch die amerikanische Situation bis zur Jahrhundertmitte in zweierlei Hinsicht modifiziert: einmal, weil die Regierenden in den USA schlicht nicht die Macht hatten, Wahlen zur Disziplinierung zu nutzen (sofern man den Wahlterror der Parteien nicht als obrigkeitliche Disziplinierung interpretieren will), zum andern aber auch, weil sich zeigt, wie demokratisch zuweilen obrigkeitliche Interessen sein können.

Das weiße Mannsvolk an der Macht So hatten sich bis zur Jahrhundertmitte in den USA weiße Männer die Macht angeeignet, die nicht mehr, wie noch fünfzig Jahre zuvor, nur aus den gebildeten und vermögenden Schichten kamen. Es dominierten die lokalen Gewalten, die Sheriffs und Bürgermeister, Richter, Anwälte und andere starke Männer vor Ort. Die staatliche und föderale Gewalt begnügte sich damit, einige (wenige) Ressourcen zu verteilen wie Landrechte oder Postmaster-Stellen. »Die Postzustellung war die bei Weitem umfassendste Aktivität der föderalen Regierung«, so der Historiker Daniel W. Howe.339 Altschuler und Blumin sprechen von einer »recht intimen politischen Geo338 House of Representatives, Report, S. 12. 339 Howe, What Hath God Wrought, S. 225; vgl. McCormick, Party Period and Public Policy, S. 204.

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grafie«.340 Doch Tocqueville behauptete, dass die Schwäche der Regierung zugleich ihre Stärke sei. In Gesprächen mit Amerikanern umkreist er immer wieder das Problem, wie das Land trotz der scheinbar offensichtlichen Mängel des universal suffrage insgesamt so prosperieren könne. Seine Antwort lautete: »Das größte Verdienst der amerikanischen Regierung besteht darin, machtlos und passiv zu sein. Unter den gegenwärtigen Umständen braucht Amerika, um zu prosperieren, keine geschickten Führer, keine tief greifenden Pläne, keine großen Bemühungen, sondern Freiheit und immer mehr Freiheit!«341 Die USA waren kein monolithisches Gebilde. In Neuengland sah die Welt anders aus, gezügelter, solider, und die Südstaaten hatten über der Grundierung der Sklaverei und ihrer Reis- und Baumwollökonomie eine verfeinerte Kultur mit Pferdezucht, Gartenbau und einem Geschlechterverhältnis in der Oberklasse von altertümlicher Ritterlichkeit.342 Die Amerikaner sahen die Probleme deutlich, glaubten jedoch optimistisch an ihr manifest destiny, mit dem sie alle Widrigkeiten überwinden wollten; und sie fanden es ungerecht, wenn sie im Ausland als barbarischer Sklavenhalterstaat dargestellt wurden.343 Amerika war kein Land, das in Anarchie versank. Der Wahlforscher Richard Bensel verweist darauf, dass es am Wahllokal zwar immer wieder zu Mord und Totschlag kam, dies jedoch insgesamt die Ausnahme blieb.344 Ein Bürger aus Baltimore erklärte über das »Schauspiel unserer Wahlen«, dieses sei nicht ganz so gefährlich, wie man vermuten könne. Nach den Wahlen sei Baltimore ebenso friedlich wie Rom am Aschermittwoch.345 Amerika bot Raum für weiße Menschen mit Tatkraft, Ambitionen und Hoffnungen, ein Kontinent »von glücklichen Bewohnern, die für einen geringen Preis fruchtbare Grundstücke kaufen und frei sind von drückenden Abgaben«, wie der Amerikareisende

340 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 41. 341 Pierson, Tocqueville in America, S. 634, über die »ill effects« des universal suffrage z.B. S. 462, 503, 565, 693f. et passim; Tocqueville, Statement, S. 240. 342 Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 76. 343 »Mr Caleb Cushin«, New York Daily Tribune, 5. 5. 1857; »Sale of Wives in England«, Southern Sentinel, 2. 8. 1951; beispielhaft für die karikierte Darstellung in England: »Land of Liberty«, Punch 1847. 344 Bensel, Ballot Box, S. xii. 345 Pierson, Tocqueville in America, S. 502; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 82 u. 84.

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Gottfried Duden 1829 in einem vielbeachteten Reisebericht mitteilte.346 Den Menschen ging es in der Neuen Welt besser als ihren Zeitgenossen in Europa – das sollte man nicht übersehen –, und die Preußen hatten gute Gründe, nach Amerika auszuwandern. Hier hatten sie mehr Freiheiten, und gerade die unteren Schichten waren besser ernährt und besser gekleidet. Die Steuern waren gering. »Ich kenne kein Volk«, so Tocqueville, »das so zahlreiche und auch so erfolgreiche Schulen geschaffen hätte; Kirchen, die den religiösen Bedürfnissen der Einwohner besser entsprächen; Gemeindestraßen, die besser unterhalten wären.«347 Dank der blühenden Industrie profitierten in den USA alle Klassen vom neuen Wohlstand.348 Doch scheint aus heutiger Sicht, mit dem Wissen um den Bürgerkrieg, Chevaliers (von vielen Zeitgenossen geteilte) kritische Analyse mehr Berechtigung zu haben als die idealisierende Interpretation Tocquevilles: Das turbulente Element der amerikanischen »Demokratie«, so die Prognose von Chevalier, führe zu solchen Spannungen, dass ein friedliches Zusammenleben künftig ohne das Eingreifen einer starken Hand kaum möglich sein werde.349 »Die Demokratie kam zu früh«, analysiert der Historiker Pieter Spierenburg das amerikanische Phänomen: zu früh, als dass sich der Staat hätte konsolidieren können.350 Das Mannsvolk hatte die Gewalt; aber die grassierende Brutalität stand im Widerspruch zum modernen Staat, der auf Vertrauen basieren muss, um in seiner Komplexität zu funktionieren.351

Staatsbürgerliche Männlichkeit Michel Chevalier fragte sich, warum die religiösen Versammlungen der Amerikaner so viel schöner seien als die politischen Happenings, und bot gleich die Antwort: »Allen Festlichkeiten, allen Zeremonien, an denen keine Frauen teilnehmen, fehlt etwas.«352 Der Historiker David Grimsted Zitiert nach Ott, Amerika, S. 83. Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 104. Rothman, Flush Times, S. 2–13; Kimmel, Manhood, S. 23–27. Chevalier, United States, S. 406; ähnlich die Analyse vieler Zeitgenossen: Crick, Democracy, S. 67. 350 Spierenburg, Democracy Came Too Early; vgl. auch Wiebe, Self-Rule. 351 Frevert, Vertrauen, S. 38; Keane, Violence, S. 1. 352 Chevalier, United States, S. 319. 346 347 348 349

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beschreibt die amerikanischen Wahlen als »Männersport der amerikanischen Politik«.353 Mochten weibliche Zeitgenossen nach Aussagen der Frauenforschung einen ungeahnten Einfluss auf die Politik in der Zeit vor dem Bürgerkrieg gehabt haben: Beim Akt der Abstimmung machte sich das nicht bemerkbar.354 Ein Frauenwahlrecht galt als offensichtlich abwegig, und eine wählende Frau erschien den meisten als Unding. Dieser Konsens begann sich erst am Ende des 19. Jahrhunderts aufzulösen. Die Argumentation lief bis dahin häufig sogar in die Richtung, dass die Einforderung einer Wahlrechtsausweitung etwa für ein jüngeres Wahlalter oder für Afroamerikaner mit dem Argument abgetan wurde, dann könnte man ja auch gleich den Frauen das Wahlrecht erteilen.355 Und während die amerikanischen Männer am Wahlfenster so ziemlich alles verhandelten, Rasse, Alter oder Nationalität: Das Geschlecht und damit der Ausschluss der Frau blieben unstrittig.356 Die ökonomische Abhängigkeit kann das nicht plausibel erklären, weil immer mehr Frauen arbeiteten und vielerorts die Armen mitwählen durften. Entscheidend bei der Festlegung der Geschlechterrollen dürfte wohl eher die (jahrhundertealte) Definition des Weiblichen als das irrationale Element gewesen sein.357 Frauen wurden häufig mit Kindern, aber auch mit »Wilden« gleichgesetzt. Als ein aristokratisch gesinnter Bürger sich über die Exzesse am Wahltag mokierte, nannte er als Gipfel des Lächerlichen und Unschicklichen: »Selbst Frauen und Kleinkinder nehmen am allgemeinen Affekt teil.«358 In Karikaturen, die sich über eine Wahlrechtsausweitung lustig machen, werden Frauen neben Kindern und Nichtweißen gezeigt (etwa Abb. 10). Irrationalität musste gerade im Hinblick auf das Wahlrecht als absolutes Ausschlusskriterium gelten, da das Mitregieren theoretisch doch auf dem aufklärerischen Ideal des mündigen, rationalen Bürgers beruhte. Aber: Irrationalität wurde auch Katholiken und Afroamerikanern zugeschrieben,359 und doch führte das nicht zu deren völliger Exklusion.

Grimsted, American Mobbing, S. 181. Kelly, Gender and Class Formations. Bowman, Masters & Lords, S. 148. Bensel, Ballot Box, S. 27. Hausen, Nicht-Einheit. Isaac Mickie über die Wahlen 1840, zitiert nach: Brewin, Celebrating Democracy, S. 83. 359 Borutta, Antikatholizismus. 353 354 355 356 357 358

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Ausschluss der Frauen So bleibt die Auffassung von der besonderen Abwegigkeit des Wahlrechts für Frauen gegenüber allen anderen exkludierten Gruppen erklärungsbedürftig. Das 19. Jahrhundert war die Zeit, in der die hegemoniale Kultur immer mehr Menschen politisch als »gleich« anerkannte und scheinbar unverrückbare Grenzen niederriss. Warum ergriff der Sog der Gleichheit die Armen (obwohl doch der Zusammenhang von Steuern und Partizipation zuvor in Stein gemeißelt schien), warum die Andersgläubigen abweichender Konfessionen, warum ergriff er sogar bis zu einem gewissen Grad die Afroamerikaner – aber nicht die Frauen? Während die beachtlichen und von einem großen Teil der Bevölkerung getragenen Bemühungen des Abolitionismus das Wahlrecht für afroamerikanische Männer immerhin denkbar werden ließen (1852 publizierte Harriet Beecher Stowe Uncle Tom’s Cabin, dessen Bedeutung für die Gleichheitsdebatte kaum überschätzt werden kann), galt das Frauenwahlrecht weiterhin als kuriose Forderung einer randständigen Minderheit. Der deutsche Liberale Robert von Mohl erklärte 1874, als das Wahlrecht für Männer aus der Arbeiterklasse oder mit polnischsprachigem Hintergrund unhinterfragt galt: »Der völlige Ausschluß des weiblichen Geschlechts kann selbst bei Solchen, welche die Theilnahme an staatlichen Wahlen als ein natürliches Recht ansehen, kaum einem verständigen Zweifel begegnen. Auch sie müssen einsehen, daß ein Hereinziehen der Weiber in das politische Leben gegen deren Natur ist und von den verderblichsten Folgen für Alle wäre.«360 Dass die Moderne das Geschlecht zu einem Prinzip erhebt, das Gesellschaft und Recht grundsätzlich strukturiert, ist gewiss bedenkenswert. Die Frau bekam darin das Heim als den »natürlichen« Platz zugewiesen, während ihr die Öffentlichkeit verwehrt wurde. Zahlreiche weitere Diskurse – wie die Identifikation des Mannes als »Kulturwesen«, der anders als das »Naturwesen« Frau in der Lage sei, Geschichte zu machen – verfestigten in der Moderne die Inferiorität der Frau.361 Doch ist die Annahme überzeugend, dass der Ausschluss der Frau in der Vormoderne weniger dezidiert war, weil einige wohlhabende Witwen und adlige Äbtissinnen das Wahlrecht besaßen und vieles nicht schriftlich fixiert wurde? (Aus den USA ist genau ein Fall einer wählenden Frau in der Kolonialzeit bekannt.)362 360 Mohl, Staatsdienstprüfungen, S. 539. 361 Epple, Historikerinnen. 362 Chapin, Address, S. 172.

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Können gelehrte Diskurse um 1800 über Naturrecht und Ehevertrag und Geschichtsverständnis tatsächlich die Alltagspraxis der apodiktischen Exklusion von Frauen erklären?363 Es gab Elitendiskurse, die sich in alle Schichten ausbreiteten: Die Gleichheitsforderungen der Aufklärer konnten eine Revolution entfachen, und die Nationalidee der Reformer trieb irgendwann Millionen Männer begeistert in den Krieg. Doch die Überlegungen zum Eherecht verbunden mit Abhandlungen des staatlichen Vertragsrechts spielten für den überwiegenden Teil der Gesellschaft keine Rolle. Die misogynen Reflexionen Kants und anderer Aufklärer bewirkten wohl kaum die Unterdrückung der Frau in allen Gesellschaftsschichten. Ist es nicht plausibler, sie als Versuch zu verstehen, angesichts der neuartigen Gleichheitsforderungen die Unterordnung von »Weiblichkeit« rational zu rechtfertigen?364 Waren es damit nicht Rückzugsgefechte? Der Fall von New Jersey könnte diese These bestätigen: Als mit den Revolutionen am Ende des 18. Jahrhunderts die Ideen der Gleichheit aller immer stärker um sich griffen, schien es einigen (wenigen) Zeitgenossen wie Olympe de Gouges und Nicolas de Condorcet in Fraunkreich, der Britin Mary Wollstonecraft oder Theodor Gottlieb von Hippel in Deutschland folgerichtig, dass »alle« auch die Frauen umfasste. Nach dieser Logik führte New Jersey 1797 das Frauenwahlrecht ein. Mit den immer klareren Definitionen und Begründungen für den Ausschluss der Frau, fiel dieses Wahlrecht dann 1807 nach wenigen Jahren.365 Der Ausschluss der Frauen war eben nicht mehr selbstverständlich, sondern bedurfte besonderer philosophischer Überlegungen und Rechtspraktiken. Dabei fand 1848 das denkwürdige Treffen von Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtlern in Seneca Falls im Staat New York statt. Doch für das Frauenstimmrecht setzte sich selbst in dieser progressiven Runde nur eine äußerst knappe Mehrheit ein, während andere Forderungen wie die nach gleichem Eigentums- und Erbrecht einstimmig angenommen wurden.366 Zudem relativiert die neueste Forschung die Bedeutung von Seneca Falls und schreibt seinen Nimbus eher der klugen Geschichtspolitik der Anwe-

363 Gerhard, Grenzziehungen, S. 513f.; Karin Hausen selbst verweist darauf, wie wichtig es ist, den »Realitätsgehalt« der »Geschlechtscharaktere« zu prüfen (Hausen, Geschlechtscharaktere, S. 38). 364 Bourdieu, Herrschaft, S. 200f. 365 Klinghoffer/Elkis, Women’s Suffrage in New Jersey. 366 Kent, Gender Rules.

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senden zu. Die Zeitungen jedenfalls haben – anders als in der älteren Forschung oft behauptet wurde – kaum über das Treffen berichtet.367 Ähnlich sah es in Deutschland aus, wo der Ausschluss der Frauen ebenfalls weitgehend unhinterfragt blieb. Auch wenn Frauenrechtlerinnen wie Louise Otto-Peters seit den 1840er Jahren auf ihr Anliegen aufmerksam machten, blieben sie eine kaum hörbare Stimme.368 »Aber die Freiheit ist unteilbar!«, erklärte Louise Otto 1849: »Also freie Männer dürfen keine Sklaven neben sich dulden – also auch keine Sklavinnen.«369 In den öffentlichen Debatten, aber auch bei der Mehrheit der Frauen spielten diese Argumente bemerkenswerterweise keine Rolle. Das Frauenstimmrecht erwies sich damit ebenfalls als ein Elitenprojekt. Immerhin fühlten sich mittlerweile einige Konservative alarmiert und verdeutlichten mit ihrer Abwehr am ehesten das Erwachen eines emanzipativen Bewusstseins für die Frauen. Die Democrats in den USA unterstrichen ihre Männlichkeit mit Spott und tiefer Sorge über »Mannweiber«, die den ihnen von der Natur zugeordneten Platz nicht akzeptierten.370 In Preußen, wo sich seit den 1840er Jahren vermehrt antifeministische Diskurse finden, verboten die Gesetzgeber 1850 den Frauen (wie den Gesellen) die politische Betätigung in Vereinen – eine Behinderung, die in den USA so nicht möglich gewesen wäre.371 Für weltweite Irritation sorgte John Stuart Mill, der als anerkannter Gelehrter mit seiner Ehefrau Harriet Taylor für das Frauenwahlrecht kämpfte. Heinrich von Treitschke erklärte sich das so: »Mill […] hatte einen entsetzlichen Blaustrumpf zur Frau, mit der ich nicht acht Tage hätte zusammenleben können. Das imponierte aber dem gutmütigen Mann, und er kam nun zu der verflixten Idee, dass die Frau gleichberechtigt sei dem Manne.«372

367 Tetrault, Myth of Seneca Falls. 368 Sylvia Paletschek spricht davon, dass »schon größere Gruppen von Frauen begannen, bisherige Rollendefinitionen in Frage zu stellen«, doch in den Debatten jenseits dieser Zirkel tauchen ihre Positionen nicht auf (Paletschek, Frauen im Umbruch, S. 51). 369 Louise Otto, Frauen-Zeitung, 1849, Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern, DHI Washington D.C., http://www.germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_document. cfm?document_id=459&language=german [20. 2. 2017]. 370 »Female Influence in the Affairs of State – Politics not Woman’s Sphere«, Democratic Review 43 (1859), S. 175; vgl. auch Fitzhugh, Cannibals; Pierson, Antebellum New York Democrats. 371 Frevert, Ehrenmänner, S. 215. 372 Zitiert nach Frevert, »Unser Staat«, S. 97.

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Die männliche »Natur der Dinge« im Wahlakt Mit dem Blick auf die Wahlpraxis wird es verständlicher, warum die Exklusivität der Männer so lange als selbstverständlich galt. Das ganze Arrangement der Wahl ließ den Anspruch auf ein Frauenwahlrecht als offensichtlich und augenscheinlich absurd erscheinen. Ihr Ausschluss lag sozusagen in der »Natur der Dinge«.373 Die Männer markierten das Wahllokal in jeder Hinsicht als männliche Domäne. Dazu gehörten der Alkohol – der auch in Preußen immer wichtiger wurde –, das Tabakrauchen, die Prügeleien. Von Anfang an prägten Uniformen am Wahltag das Straßenbild. Sie waren ein prägnantes Zeichen sowohl für den Legitimationsanspruch als auch für Männlichkeit. In Preußen standen bei den Stadtwahlen »Gensd’armen« vor den Kirchen, um gewaltsam Eindringende abzuhalten.374 Auch während der Dreiklassenwahlen und später während der Reichstagswahlen wurden uniformierte Männer zur Disziplinierung der Bevölkerung in Wahlversammlungen oder vor Wahllokalen positioniert.375 In New York schrieb das Wahlregularium 1834 vor, dass jedes Wahllokal von sage und schreibe zwanzig »Officers« bewacht werden sollte.376 Nachdem New York City 1844 seine eigene Polizei installiert hatte,377 erließen die Stadtväter 1860 die realistischere Vorschrift, an jedem Wahllokal zwei Polizisten zu positionieren.378 Bei den preußischen Dreiklassenwah373 Bourdieu, Herrschaft, S. 159. 374 Aushang von Oberbürgermeister etc., Berlin, 30. 6. 1823, A Rep. 001–02, Nr. 2585, LAB . 375 Abschrift Deputation des Magistrats und der Stadtverordneten-Versammlung an General Wrangel, Berlin, 30. 12. 1848, u. Abschrift Oberkommando in den Marken an Einen wohllöblichen Magistrat, Berlin 31. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A, Staatsmin. Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GStA PK ; Richter, Registration. 376 Eintrag vom 4. 11. 1834, Hone, Diary (Bd. 1), S. 117; Proceedings of the Board of Aldermen, 13. 10. 1834 u. 21. 10. 1834, NYCMA . 377 Die Polizei trug allerdings erst in den 1850er Jahren ihre eigene Uniform; An Act to amend an act, entitled »An act to establish a Metropolitan Police District, and to provide for the Government thereof«, passed 15. 4. 1857, passed 10. 4. 1860, in: Laws relating to the city of NY, 1862, Municipal Library, Chap. CCLIX , Metropol. Police, NYCMA ; Howe, What Hath God Wrought, S. 432; vgl. zur mangelnden Organisation von Polizei in den USA Osterhammel, Verwandlung, S. 889. 378 An Act to amend an act, entitled »An act to establish a Metropolitan Police District, and to provide for the Government thereof«, passed 15. 4. 1857, passed 10. 4. 1860, in: Laws relating to the city of New York, 1862, Municipal Library, Chapter CCLIX , Metropolitan Police, Municipal Library, NYCMA ; Howe, What Hath God Wrought, S. 432.

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len und in South Carolina führten häufig die Offiziere der regulären Armee ihre Männer zum Wahllokal und überwachten dort deren Stimmabgabe. In besonders prekären Situationen schickte die Staatsmacht ihre eigenen Truppen als Aufseher: etwa bei den New Yorker Bürgermeisterwahlen von 1834, bei den preußischen Wahlen von 1848 und 1849, während des Bürgerkriegs oder während der Reconstruction, als die Republicans in den Südstaaten die Emanzipation der Afroamerikaner durchsetzten wollten.379 Als besonders demütigend empfanden es in den USA die weißen Südstaatler, dass mit der Bürgerkriegsarmee schwarze Soldaten auftauchten – und dann 1867 bei den Wahlen als Wachposten aufgestellt wurden.380 Bezeichnenderweise rekonstruierte 1915 das berühmte Filmepos »Die Geburt einer Nation«, das den Ku Klux Klan glorifizierte, ausführlich diese Szene. In den USA blieb der Wahlort umkämpft: von örtlichen Milizen, Bundestruppen, einheimischen Männern, verfeindeten Parteiangehörigen. Häufig sicherten die Bürger die Wahlen mit ihren Milizen. Dass eine solche Miliz in New York um 1850 zu zwei Dritteln aus Immigranten bestand, machte sie der Staatsmacht besonders suspekt. In den 1850er Jahren kam es zu einem regelrechten »militia fever«, und die Parteien zogen ihren zumeist jungen Anhängern Uniformen über, mit denen diese dann in Fackelzügen die Straßen auf und ab marschierten.381 Gegen Ende des Jahrhunderts hofften die amerikanischen Eliten zunehmend auf staatliche Truppen und blickten missmutig auf die uniformierten, all zu oft mit Schusswaffen ausgestatteten »Massen«. In Preußen konnte der Staat sein Gewaltmonopol recht erfolgreich durchsetzen, nachdem sich die Konflikte 1848 auch immer wieder daran entzündet hatten, dass die Bürger eigene Waffen und Uniformen trugen.382 An Andrew Jackson faszinierte die Amerikaner nicht zuletzt seine explizite Männlichkeit. Er zeichnete sich in den Augen der Zeitgenossen durch »die Unbesonnenheit seiner Gefühle« aus, und der fabelhafte Duellant galt als »cholerisch, impulsiv«.383 Das Duell wurde unter den Amerika379 Bensel, Ballot Box, S. 251 f.; Richter, Registration; »Trier. Am 2. Mai«, Locomotive, 11. 5. 1848, S. 128; vgl. zur Bürgerwehr: Pröve, Bürgergewalt, insbes. S. 62. 380 Foner, Reconstruction, S. 283 et passim. 381 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 63; Burrows/Wallace, Gotham, S. 829; vgl. zum Niedergang der US -Milizen Howe, What Hath God Wrought, S. 491. 382 Funk, Polizei und Rechtsstaat; Dudink/Hagemann, Masculinity, S. 16. 383 Kimmel, Manhood, S. 33 u. 38.

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Abb. 15 Himmelstürmender Mann, die Flagge zwischen den Beinen Republikanischer Stimmzettel, ca. 1868, South Carolina Image provided by the South Carolina Department of Archives and History

nern immer beliebter – es galt als männliches Abenteuer, dessen Illegalität seiner Attraktivität zuträglich war und sich wie in Preußen bis ins 20. Jahrhundert hielt.384 Auf dem Stimmzettel fanden die Wähler den Himmelstürmer und Draufgänger als Idealbild des Bürgers: aggressiv, kompetitiv, agil, viril (Abb. 15).385 Die Frau hatte an diesem Ort augenscheinlich nichts verloren. Zur Verspottung der »Gefühlserklärung«, die von den Delegierten in Seneca Falls in Anlehnung an die »Unabhängigkeitserklärung« erlassen worden war, nannte eine Zeitung 1848 als eine der vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Männer gegenüber den Frauen, dass die Frauen nicht teilnehmen könnten »am Lärm und am Gewimmel der Volksmenge«, womit sie die Absurdität unterstreichen wollten, dass Frauen etwas einforderten (nämlich die Teilhabe an der gewaltsamen Öffentlichkeit), obwohl sie dazu offensichtlich nicht geschaffen seien.386 Die Resolution von Seneca Falls the-

384 Eintrag vom 5. 12. 1835, Hone, Diary (Bd. 1), S. 178f.; Frevert, Ehrenmänner. 385 Statements and returns of votes, Chesterfield County, L13007, SCDAH . Nach Auskunft von Richard Bensel (E-Mail an HR , 9. 5. 2015) war der »working man hammering on the American flag« sehr verbreitet; vgl. Frevert, Ehrenmänner; vgl. zum Männerbild Kimmel, Manhood, S. 17 u. 43f. 386 »Independence«, The Camden Journal, 13. 9. 1848, Nr. 37.

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matisierte in einer offiziellen Forderung tatsächlich dieses Problem, das zum stillschweigenden Ausschluss der Frauen beitrug: »Es wird beschlossen, dass dasselbe Ausmaß von Tugend, Zartheit und Verfeinerung des Benehmens, das im gesellschaftlichen Leben von der Frau gefordert wird, auch vom Mann verlangt werden soll.«387 Wie anstößig das Erscheinen der Frau in diesem Umfeld auch noch Jahrzehnte später war, zeigte sich beim Akt der Identifizierung, bei dem man das Wahlalter oft über den Bartwuchs bestimmte. Eine Zeitung berichtete in den Jahren nach dem Bürgerkrieg, wie eine Frauenrechtlerin ihre Stimme abgeben wollte: »Die Wahlhelfer dachten gar nicht daran, ihren Stimmzettel entgegenzunehmen, aber sie waren so galant, sie nach ihrem Namen, ihrem Wohnsitz und ihrem Alter zu fragen. Sie fing an, ihnen zu antworten, machte dann aber eine Pause, errötete, drehte sich im nächsten Augenblick auf dem Absatz um und ging fort.« 388 Bourdieu legte dar, dass die Akzeptanz von Macht »nicht auf der freiwilligen Entscheidung eines aufgeklärten Bewusstseins beruht, sondern auf der unmittelbaren und vorreflexiven Unterwerfung der sozialisierten Körper«.389 Auch die preußische Kultur, die wohl weniger militarisiert und gewalttätig war, ließ den Wahlakt als unbedingt männliche Domäne erscheinen. Allein der Auftritt der Frau als selbständige Person vor aller Augen im öffentlichen Raum widersprach bis ins 20. Jahrhundert dem Verhaltenskodex: Die Frau sollte ihren Blick senken, nicht ihre Stimme erheben, sich auf der Straße möglichst an der Seite eines Mannes zeigen. Selbst die Nennung des eigenen Namens als Rechtssubjekt in der Öffentlichkeit musste in einer Gesellschaft befremdlich erscheinen, in der die Frau als Ehefrau identifiziert und als Ehefrau tituliert wurde (Frau Professor, Bäckerin, Frau Thomas Mann etc.). Die Exklusion der Frau saß zu tief, als dass sie mit Festlegungen und Diskursen um 1800 erklärt werden könnte. Die seit Jahrhunderten eingeübten alltäglichen Umgangsformen, der ganze Habitus der Frau verbannten sie aus dem Wahllokal. »Hinreichend abgesichert, bedarf die männliche Herrschaft keiner Rechtfertigung: Es genügt, wenn sie sich in Praktiken und Diskursen niederschlägt, die das Sein im Modus der Evidenz aussprechen« , so Bourdieu über die Stabilität männlicher Dominanz.390 Die etab387 388 389 390

Resolutions, Seneca Falls, in: Stanton, First Convention (Seneca Falls), S. 5. Inquirer, 1888, zitiert nach: Brewin, Celebrating Democracy, S. 143. Bourdieu, Herrschaft, S. 165. Bourdieu, Herrschaft, S. 158.

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lierte Minderwertigkeit der Frau, ihre Anstößigkeit in der Öffentlichkeit, ihre Inkompetenz für Herrschaft waren zutiefst in die Mentalitäten und Körper eingeschrieben.391

Die männliche Nation Auch alle Diskurse um die Identität der nationalen Gemeinschaft waren durchtränkt mit Männlichkeit.392 Der Verleger John L. O’Sullivan zeichnete in seinem berühmt gewordenen Essay Manifest Destiny von 1845 das Bild einer aggressiv fruchtbaren Männergemeinschaft, mit einer »offenkundigen Bestimmung, den uns von der Vorsehung zur freien Entfaltung unserer von Jahr zu Jahr wachsenden Millionenbevölkerung zugewiesenen Kontinent in Beschlag zu nehmen«.393 Den Autor trieb ganz zeitgemäß die Angst vor Rassenmischung. In O’Sullivans Vision kämpfte die Nation mit Gegnern »von gemischtem und verworrenem Blut«, seine weiße Gemeinschaft jedoch war geprägt durch »Größe« und »Freiheit«: »Die Vorhut der unaufhaltsamen Armee der angelsächsischen Emigration erstürmt bereits das Land, […] sie ist mit Pflug und Gewehr bewaffnet und hinterlässt eine Spur von Schulen, Colleges, Gerichtshöfen und repräsentativen Gebäuden, Fabriken und kirchlichen Versammlungsräumen.«394 Die Welt gehörte den weißen Männern, und immer wieder fällt auf, dass zur amerikanischen Männlichkeit die Jugendlichkeit gehörte. O’Sullivan war Teil der Bewegung »Young America«, die eine eigene amerikanische Kultur miterschaffen wollte und danach strebte, »republikanische Fortschrittlichkeit sowohl in die Literatur als auch ins Leben hineinzutragen«.395 Walt Whitman, die kraftvolle, urbane Stimme des jungen Staates,396 besang mit einer neuen, kernigen Sprache in Anlehnung an den Slang der Unterschichten sein Land Amerika, seine Stadt New York und die Demokratie. 1855 setzte er sein eigenes Porträt auf das Titelblatt seines

391 Bourdieu, Herrschaft, S. 161f., 171f. et passim. Bei Bourdieu wird deutlich, dass die Exklusion der Frau aus der Öffentlichkeit keine Neuerung der Moderne war, wie immer wieder behauptet wird, etwa bei Gerhard, Einleitung, S. 31; Hausen, Nicht-Einheit; Baker, Domestication, S. 630. 392 Baker, Domestication, S. 622–628. 393 O’Sullivan, Annexation. 394 O’Sullivan, Annexation; vgl. Hochgeschwender, Bürgerkrieg, S. 38. 395 Zitiert nach Lawson, Patriot Fires, S. 6. 396 Burrows/Wallace, Gotham, S. 710.

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Meisterwerks »Grashalme«: der Dichter als New Yorker Kerl, als junger, wagemutiger, lässiger Everyman.397 Die Historiker Edwin G. Burrows und Mike Wallace beschreiben New York zu Whitmans Zeit als eine »äußerst homosoziale Stadt. Männer versammelten sich, sie aßen, tranken, hurten, paradierten und politisierten gemeinsam, sie traten als Gruppen in Pensionen und Direktionsräumen auf und schliefen sogar zusammen.«398 Im Gedicht »Mannahatta« auf die Stadt New York von 1855 schwärmte Whitman von »der männlichen Rasse« – in »Pioniere! Pioniere!« besingt er »meine sonnengebräunten Jungen […], Oh ihr Jungen aus dem Westen!«399 Mit seiner Männlichkeit, seinem Jugendkult, aber auch mit seiner unbändigen Individualität, mit dem Optimismus und mit seinem Freiheitsdrang bannte Walt Whitman die Stimmen seiner Zeit in Versform. »Amerika ist das Land der Zukunft. Es ist das Land der Anfänge, der Projekte, der großen Pläne und Erwartungen«, erklärte 1844 Ralph Waldo Emerson, von dem Whitman stark beeinflusst war.400 Unter den weißen Männern entwickelte sich der Selfmademan, ein Begriff, der in den 1830ern auftauchte. Der Historiker Joshua D. Rothman beschreibt in dem Gauner Stewart einen typischen Amerikaner der Jahrhundertmitte, jung, unzufrieden, ungeduldig, von dem Glauben besessen, zu Großem bestimmt zu sein, und leicht zu frustrieren.401 Das Ziel des Selfmademan war Geld, Geld, Geld – ein Umstand, der Tocqueville und andere Beobachter immer wieder fesselte und irritierte.402 Klasse und sozialer Status waren aller republikanischen Rhetorik zum Trotz nicht verschwunden. Entscheidend war in den USA auch die Verknüpfung von Männlichkeit mit ethnischen Konzepten.403 Es schwelten Ängste vor der »Rassenvermischung«, und viele lebten in Panik vor dem »schwarzen Mann«, der weiße Frauen schwängerte.404 Nicht nur im Bürgertum sorgte man für Abgrenzung, auch in der intensiven Männlichkeitskultur der Arbeiterschaft gal397 398 399 400 401 402 403 404

Ebenda, S. 708. Ebenda, S. 796. Whitman, »One’s-Self I Sing, Grashalme [1867], Kap. 41. Zitiert nach: Howe, What Hath God Wrought, S. xiii. Rothman, Flush Times, S. 1f. Kimmel, Manhood, S. 23–27. Schweninger, Families in Crisis, S. 23; Kimmel, Manhood, S. 5. Burrows/Wallace, Gotham, S. 555.

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ten afroamerikanische Männer als minderwertig. »Weiße Männer werden nicht mit ihm arbeiten«, resümierte ein afroamerikanisches Journal 1851 über die Situation des afroamerikanischen Arbeiters. Der Kenner der Geschichte des Rassismus, Noel Ignatiev, bezeichnete diese Erkenntnis als »die Zauberformel der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung«.405 Die größte Gewerkschaft in der Zeit nach dem Bürgerkrieg, die bezeichnenderweise Knights of Labor hieß, ließ erst 1881 Afroamerikaner in ihren Reihen zu. Immerhin. Der Ausschluss der Frauen erwies sich auch hier als hartnäckiger. Gerade die Arbeiterkultur, die sich als politisch empfand und in der Öffentlichkeit wirkte, entwickelte eine besonders maskuline Performanz. Das gilt auch für die in den 1860er Jahren erstarkende Organisation der deutschen Arbeiterschaft: »Misogyne Gesellenkultur und maskuline Vereinskultur verbanden sich im Bild des männlichen Wahlkämpfers«, erklärt Thomas Welskopp.406 Die Arbeiterschaft war jung und männlich, der Sozialismus eine neue Bewegung, die »eiserne Faust« der Arbeiter sollte den Kapitalismus zerschmettern, in ruhigeren Zeiten hofften die Männer mit der »Faust in der Tasche« auf den raschen Ausbruch der Revolution. »Die Süntfluth wird kommen. Ein furchtbares Ungewitter wird wie ein Sturm dahin fegen und diejenigen auskehren, die sich ihm in den Weg stellen«, so August Bebel 1872.407 Ähnlich prophezeite in den USA der radikale, freilich wesentlich weniger einflussreiche Arbeiterführer Albert Parsons 1887 eine gesellschaftliche Umwälzung »durch Blutvergießen und Gewalt«.408 Revolutionen sind für gewöhnlich Gewaltorgien junger Männer, und Revolutionshoffnungen entspringen meist Männerfantasien. (Auch in dieser Hinsicht waren Sozialistinnen wie Rosa Luxemburg außerordentliche Erscheinungen.) Dass am Ende des Jahrhunderts gerade die Sozialdemokratie für das Frauenwahlrecht eintrat, dokumentiert einen bemerkenswerten Lernprozess und eine Unabhängigkeit gegenüber dem Zeitgeist, wie sie wohl nur ein Paria aufbringen kann. Aber dieser Positionswechsel zeugt auch von einem internen Disziplinierungsprozess der Partei, der nicht zuletzt (in Übereinstimmung mit dem Zeitgeist) die wilde Männlichkeit zurückdrängte.

405 406 407 408

Ignatiev, How the Irish became White, S. 129. Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 483. Referat in Glauchau 1872, zitiert in: Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 526. Parsons, Anarchism, S. 27f.

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Doch während man in den USA die physische Gewalt quasi als gottgegeben hinnahm, stand sie in Preußen in starkem Kontrast zum herrschenden Ideal des guten Bürgers und ehrlichen Untertans. Die alternativen Männlichkeitsideale der Turnerbewegung und der schwarz-rot-goldenen Studenten blieben während des Vormärz marginalisiert, dafür allerdings umso attraktiver für junge Querköpfe. Die Zensur und Metternich409 und überhaupt das Altherren-Regiment empörte die Studenten. In Burschenschaften und auf spektakulären Inszenierungen wie dem Wartburgfest und dem Hambacher Fest demonstrierten sie ihren Willen zur Veränderung und ihre demokratische Freiheitsliebe. Junge Männer wie Ludwig Börne, Heinrich Heine oder Ferdinand Freiligrath, die in den 1830er Jahren teilweise als »Junges Deutschland« kategorisiert wurden, schrieben in wilder Genialität gegen das Alte an. Georg Büchner verfasste 1835 mit 22 Jahren »Dantons Tod«, im selben Jahr veröffentlichte der 28-jährige David Strauß sein antidogmatisches »Leben Jesu«, und der junge Ludwig Feuerbach publizierte 1841 das revolutionäre »Wesen des Christentums«. Marx übernahm 1842 mit 24 Jahren die Redaktion der Rheinischen Zeitung, die bald darauf verboten wurde. Wenig später erklärte er: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.«410 Rastlos zogen die jungen Intellektuellen, die ihre Männerehre gerne im Duell verteidigten, durch Europa, flohen die Obrigkeit, wurden ins Exil geschickt, suchten die Revolution. Heine, immer mit der Zensur kämpfend und spielend, schrieb von Paris aus für die Allgemeine Zeitung, eines der wichtigsten deutschen Tagesblätter.411 Für die Mehrheit aber blieb die bärtige, junge Männlichkeit in Preußen suspekt. 1848 beschrieb ein bürgerlicher Zeitgenosse eine Versammlung von Demokraten: »Schon das äußerliche Ansehen der Versammlung war im Allgemeinen so widerwärtig«; die Anwesenden versuchten »durch vernachlässigte Kleidung, durch zerknitterte Hüte und schmierige Mützen, durch wüstes Haupt- und Barthaar, durch furchtbare Knittel und Knüppel zu imponieren; Schreien, Lärme, mit den Knüppeln und Knitteln auf 409 Wenigstens habe Metternich »nie mit der Göttin der Freiheit geliebäugelt«, erklärte Heine, die Jungmännerkultur der Deutschen verspottend, »er hat nie Arndts Lieder gesungen und dabei Weißbier getrunken, er hat nie auf der Hasenheide geturnt« (Heine, Vorrede zu: »Französische Zustände«). 410 Marx, Thesen über Feuerbach, 11. These, Fassung von 1845. 411 Raddatz, Marx, S. 42–47 u. 73–83; Hagemann, Deutschheit, Mannheit, Freiheit; Borutta/Verheyen, Präsenz der Gefühle.

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den Boden stoßen, auf Stühle und Bänke schlagen, es nahm kein Ende.«412 Junge Revolutionäre wie der Bonner Student Carl Schurz, der spätere amerikanische Innenminister, wanderten nach der Revolution in die USA aus.413 In New York und den anderen Metropolen aber gewann der Habitus der wilden Männer und der unteren Schichten politisch an Einfluss. Der neue Politikertypus hatte sich als fester Trinker und als Anführer der Freiwilligen Feuerwehr zu bewähren. William Magear Tweed, der 1851 mit 27 Jahren »Alderman« wurde und in die amerikanische Geschichte als Inkarnation politischer Korruption eingehen würde, gehörte zu diesen neuen Männern.414

Alternative Männlichkeiten Doch das Bild der Wirklichkeit ist mannigfaltiger. In den USA zeigte sich neben der bärtigen, demokratischen Männlichkeit in der Jahrhundertmitte auch ein verfeinertes, parfümiertes Manneskonzept des reichen Jünglings – freilich ebenso rassistisch und weiß. Gerade junge Männer liebten es, ihren Wohlstand zur Schau zu stellen. Die Angehörigen der Geldaristokratie beschrieb der angesagte Publizist Nathaniel Parker Willis als diejenigen, »die Kutschen besitzen […], die ein Opernabonnement haben, in die Grace Church gehen, ein Stadt- und ein Landhaus besitzen, Bälle ausrichten und Partys geben«.415 In der Jahrhundertmitte entstanden Parks, in denen Frauen der Oberschicht nicht mehr »Truppen von schnauz- und backenbärtigen Schwätzern« befürchten mussten, wie die New York Post hoffnungsfroh erläuterte, und wo die Reichen endlich ihre eleganten Kutschen zur Schau stellen könnten.416 Die Rolle der Frau war auch in dieser Oberschicht sekundär, untergeordnet. Sie diente wirklich als Prestige- und Tauschobjekt.417 Über den typischen New Yorker Mann – den Gothamite – erklärte Charles Astor Bristed in seinem Buch »Die oberen Zehntausend«: »Ein junger Gothamite beschafft sich in der Regel als Erstes ein Pferd, und dann, als Zweites, eine Ehefrau.«418 Die wohlhabenden Männer trafen sich in Klubs wie dem Union Club, zu denen Emporkömmlinge allerdings rasch 412 413 414 415 416 417 418

Temme, Augenzeugenberichte, S. 174. Nagel, Von republikanischen Deutschen. Burrows/Wallace, Gotham, S. 823. Zitiert nach Morris, Incredible New York, S. 20. Zitiert nach Burrows/Wallace, Gotham, S. 791. Bourdieu, Herrschaft, S. 189. Bristed, Upper Ten Thousand, S. 29.

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Zugang erhielten, wenn sie nur reich genug waren.419 Diese Schichten hielten sich von den Wahlen eher fern oder traten als Geldgeber, Korrumpierende und zunehmend auch als Korruptionsbekämpfer in Erscheinung. Über wohlhabende Männer im Wahllokal erzählen die Quellen wenig. Wenn sie zur Wahl gingen, achteten sie auf Distanz, wie eine Zeitschrift erläuterte: »Am frühen Morgen drängen sich in den Wahllokalen […] ganze Gruppen gutgekleideter, ruhiger und respektabler Bürger, die darauf bedacht sind, ihre Stimme abzugeben, um dann ihre Arbeit in ihren Banken, Geschäften und Büros aufzunehmen. […] Diese Klasse von Wählern setzt sich aus Geschäftsleuten zusammen, die sich nicht besonders tiefgehend mit der Politik befassen.«420 Die Mitglieder der Gangs und der Politmafia tauchten in der Regel etwas später am Wahlort auf, sodass generell die frühe Stunde als die Stunde der ehrlichen Männer galt.421 Häufig aber empfanden die Zeitgenossen, was ein Amerikaner über die Wahlen in New York City berichtete: »Kein anständiger Mann konnte sich der Türe nähern, sie war von der Kanaille umlagert.«422 In Charles Astor Bristeds Buch über die Oberschichten, »Die oberen Zehntausend«, kommen Wahlen gar nicht vor. Ein Gentleman wundert sich bei einem Gespräch mit seinem Fahrer über dessen politische Kenntnisse, womit der Autor treffend die Politik den unteren Schichten zuordnete.423 »Das erste Ziel eines jungen Engländers mit großem Vermögen und guten Beziehungen ist die Politik; sie ist das allerletzte Ziel eines ähnlich gut situierten New Yorkers«, notierte Bristed.424 Die Politik sei dominiert von »Hunderttausenden zugewanderter Siedler mit ihren fremdländischen Priestern« (eine Anspielung auf die Iren), für einen Mann mit Stil und Geld wie ihn aber gelte: »Kein Wähler in diesem Land hat weniger Einfluss als ich.«425 Die amerikanischen Eliten, so ein europäischer Reisender, hätten spätestens seit Jacksons Präsidentschaft wenig Einfluss.426 Ein Angehöriger der Oberschicht in Philadelphia erklärte, durch die »Schikanen der Politik« seien politische Ambitionen »von einem Niedergang des Charak419 420 421 422 423 424 425 426

Burrows/Wallace, Gotham, S. 714. Frank Leslie’s Illustrated Newspaper, 13. 11. 1857. Bensel, Ballot Box, S. 185. 14. 10. 1851, zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 113. Bristed, Upper Ten Thousand, S. 96f. Ebenda, S. 75. Ebenda, S. 285f. Chevalier, United States, S. 186.

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ters und einem Verlust an Prinzipientreue begleitet, die so erschreckend sind, dass jeder Mann von Geschmack und Gefühl sich nur tiefer in den Schatten des Privatlebens zurückziehen kann«.427 New Yorker Eliten sahen sich in ihrem Widerwillen durch die Tatsache bestärkt, dass sich im Common Council die Zahl der Kaufleute von 1838 bis 1850 halbiert hatte. Die neuen Stadtratsmitglieder kamen wie der erwähnte Feuerwehrmann William Tweed aus dem Kleinbürgertum: Sie waren Schlachthausbetreiber, Bäcker oder Kneipenbesitzer. Der Stadtrat mit den vierzig Aldermen erhielt aufgrund der Korruptionsvorwürfe den Spitznamen »Vierzig Diebe«.428 Das Upper-Class-Getändel kann als ein elitäres, gleichwohl wichtiges alternatives Konzept zur rauen Männlichkeit gelten.429 Für die Mehrheit aber zählte in dem dichotomischen Staatskonzept Luxus zur Sphäre weibischer, europäischer Aristokratie, die im Gegensatz zum männlichen, kernigen Republikanismus stand.430 Der amerikanische Autor und Historiker Washington Irving notierte 1835: »Wir schicken unsere Jugend ins Ausland, damit sie in Europa dem Luxus und der Verweichlichung verfallen; mir scheint, dass eine Tour durch die Prärien viel eher die Männlichkeit, Einfachheit und Selbständigkeit hervorbringen würde, die mit unseren politischen Institutionen in Einklang stünden.«431 Der Wilde Westen wurde zum Inbegriff demokratischer amerikanischer Männlichkeit.432 Die renommierte Democratic Review legte 1859 dar: »Das große konservative Element unserer Regierung besteht im Ausschluss der Frauen von einer aktiven Teilnahme an den politischen Gremien der Nation.« Die Monarchien hingegen seien vor der Gefahr einer weiblichen Erbfolge nicht gefeit oder müssten zudem jederzeit mit einem Thronfolger rechnen, der die Schwachheit eines Weibes besitze; da in Amerika nur Bildung und Leistung zählten, blieben Frauen – »von der Natur disqualifiziert« – in der ihnen zugeordneten Sphäre der Unterordnung.433 Dass in Frankreich immer wieder revolutionäre Unordnung herrsche, lag nach Überzeugung vieler Amerikaner an dem widernatürlichen Einfluss der französischen

427 428 429 430 431 432 433

Gienapp, Political Culture, S. 43; vgl. Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 8f. Burrows/Wallace, Gotham, S. 823–825. Howe, What Hath God Wrought, S. 705f. Kimmel, Manhood, S. 19 u. 28. Irving, Tour on the Prairies, Kap. 10. Kimmel, Manhood, S. 59–61. »Female Influence in the Affairs of State«, Democratic Review 43 (1859), S. 175f. u. 177.

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Frauen auf die Herrschaft.434 Auch der Franzose Michel Chevalier erklärte die Überzeugungskraft der amerikanischen Demokratie mit ihrer Männlichkeit: »Die Gesellschaft ist hier vollkommen maskulin; die Frau, die in allen Ländern wenig Sinn für das repräsentative System besitzt, hat hier keine Autorität.«435 Gerade die Vorstellung von Demokratie als der »natürlichen« Staatsform aller bestätigte den Anspruch der Männerherrschaft.

Legitimation durch Männlichkeit Staat und Herrschaft, wie auch immer sie definiert wurden, konnten durch ihre Verbindung mit Männlichkeit Anspruch auf ihre Überlegenheit erheben. Demokratische Kräfte waren weit davon entfernt, auf den Attraktivitätsfaktor der Männlichkeit zu verzichten. Gisela Bock spricht von der »expliziten Maskulinisierung der politischen Partizipation« im 19. und frühen 20. Jahrhundert.436 Männlichkeit schuf Legitimation, egal ob im Herrschaftskonzept intellektueller Eliten, in den Oberschichten oder in der Arbeiterbewegung. Die Überlegenheit des Mannes bedurfte im Wahllokal also gar nicht der Bestätigung durch Gewalt – wenngleich diese einen beachtlichen Zusatzbeleg für die Unterlegenheit der Frau bot. Daher gestaltete sich in Preußen und Deutschland, wo die Wahlen friedlicher und disziplinierter abliefen, die Exklusion der Frauen ebenfalls als selbstverständlich. Auch hier galt die eigene Staatsform als explizit männlich: »Unser Staat ist männlichen Geschlechts«, erklärte Wilhelm Heinrich Riehl 1855 in seinem Buch über die Ordnung der Gesellschaft, das in kürzester Zeit zahlreiche Auflagen erlebte.437 Ein »Vordrängen der Frauen auf den offenen Markt« sei Ausdruck des Zerfalls, meinte Riehl. »Die Geschichte unseres politischen Elends läuft parallel mit unserer Geschichte der Blaustrümpfe.«438 Preußens Überlegenheit ließ sich damit erklären: »Es giebt keinen Staat der so wenig Weiberherrschaft gesehen hat wie der preußische«, so Heinrich von Treitschke, und: »Obrigkeit ist männlich.«439 Die 434 »The Homes of America the Hope of the Republic«, Democratic Review 38/11 (1856), S. 292–298; »Female Influence in the Affairs of State – Politics not Woman’s Sphere«, Democratic Review 43 (1859), S. 178–185; vgl. auch »Six Weeks in the Moon«, Democratic Review, S. 513–523. 435 Chevalier, United States, S. 324. 436 Bock, Frauen, S. 183; vgl. Tosh, Hegemonic Masculinity, S. 41 u. 47–48. 437 Riehl, Familie, S. 5. 438 Riehl, Familie, S. 51f. 439 Zitiert nach Planert, Antifeminismus, S. 36; vgl. auch Frevert, »Unser Staat«, S. 112.

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Historikerinnen Karen Hagemann und Ute Plantert haben gezeigt, wie eng National- und Geschlechtsidentität miteinander zusammenhingen. Wie in den USA galt das unruhige, revolutionsgeschüttelte Frankreich als Negativbeispiel weibischer Dekadenz. Franzosen seien »oberflächlich«, »fein«, dem Luxus und dem höfischen Adel zugewandt, die Deutschen hingegen »treu«, »einfach«, »ehrhaft«, »wehrhaft«.440 Die demokratisch gesinnten Turner rühmten sich ihrer besonders intensiven Männlichkeit und bezichtigten wie ihre Zeitgenossen in den USA ihre Gegner des Luxus.441 In Preußen galten auch Polen als »weibliche Nation«, weil sie passiv seien, im Gegensatz zu den tatkräftigen, männlichen deutschen Kolonisatoren.442 Es klingt banal, doch eine Analyse der Männlichkeit von Wahlen muss stets im Auge behalten, dass Frauen per se das offensichtlich Minderwertige waren. Zu Recht empfiehlt der Historiker John Tosh, die »gender longue durée« in die Analyse einzubeziehen und das alte Patriarchatsmodell nicht flugs über Bord zu werfen.443 In zahlreichen Religionen galten Frauen seit Jahrhunderten mit den unterschiedlichsten Begründungen (von der Verführung Adams bis hin zu ihrer monatlichen »Unreinheit«) als Urbild der Sünde.444 Die Männer beherrschten die Frauen nicht nur rechtlich. Selbst wenn Frauen ökonomisch nicht mehr abhängig waren, erhielten sie doch weniger Lohn, ihre Arbeit war weniger geschätzt und ihr Status kritisch. Gesetze schützten Frauen in geringerem Maße als Männer. Bordelle erlebten in der Jahrhundertmitte in den USA einen Boom, und der Pastor der vornehmen New Yorker Trinity Church erklärte in einem Rechenschaftsbericht, er habe in seinen Dienstjahren nicht öfter als zehnmal ein Bordell besucht (vermutlich eine augenzwinkernde Untertreibung).445 Männer dominierten die Körper der Frauen oft auf erbarmungslose Art. Frauenrechtlerinnen begannen die Gewalt von Ehemännern zu thematisieren. Unter den knapp 9000 Prostituierten New Yorks befanden sich viele Kinder, denn zahlreiche Bordellbesucher bevorzugten den Geschlechtsverkehr Hagemann, Nation, Krieg und Geschlechterordnung, S. 571, vgl. Planert, Vater Staat. McMillan, Männlichkeitsideal, S. 89f. Conrad, Globalisierung, S. 137. Tosh, Hegemonic Masculinity, S. 56 u. 48, s. auch S. 45; Gudrun-Axeli Knapp erklärt ebenfalls, sie halte an der doppelten Aufgabe fest, »die Unterdrückung von Frauen in ihrer endlosen Varietät und monotonen Ähnlichkeit zu analysieren« (Knapp, Macht und Geschlecht, S. 228). 444 Mill, Subjection of Women, Kap. 1; Weber, Peasants, S. 171. 445 Burrows/Wallace, Gotham, S. 803. 440 441 442 443

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mit Minderjährigen.446 Sarah Moore Grimké aus Charleston und andere Frauenrechtlerinnen verglichen in diesen Jahren den Status der weißen Frauen mit dem der Sklaven.447 John Stuart Mill argumentierte 1868 ganz ähnlich wie später Bourdieu, dass seit jeher die Gesetze, die Erziehung, die Religion, die Moral, dass Konventionen und alle Praktiken (»alle gesellschaftlichen und natürlichen Gründe«) darauf angelegt seien, die Unterlegenheit der Frauen zu bestätigen und ihre freiwillige Unterwerfung zu besiegeln.448 In seiner Studie über das Leben der ländlichen Bevölkerung in Frankreich im 19. Jahrhundert gibt Eugen Weber einen Einblick in die alltägliche Demütigung und Herabsetzung der Frauen. Bei allen Unterschieden lässt sich diese Geschlechternorm auch auf Preußen und in etwas geringerem Maße auf die USA übertragen (wo die Frauen insgesamt wohlhabender und nicht in gleichem Ausmaß degradiert waren und früher anfingen, ihre Rechte einzufordern).449 Eingedenk der zahlreichen Variationen in den unterschiedlichen Regionen zeichnet Weber folgende Geschlechterordnung: Wenn ein Junge geboren wurde, gab es Freudenschüsse und ein Fest, wenn ein Mädchen zur Welt kam, bedeutete das eine Demütigung für den Vater. In manchen Gegenden brachten die Leute bei der Geburt einer Tochter auf dem Schornstein das böse Omen der Eule an, das ansonsten als Bekanntgabe eines Todesfalls aufgesteckt wurde.450 Um eine Tochter zu verheiraten, musste der Vater bezahlen, wobei die Mitgift generell als Ausgleichszahlung für die Last der Übernahme einer Frau gelten kann. Frauen mussten härter arbeiten und waren weniger frei. Sie aßen im Stehen und bedienten die Männer. Frauen durften in der Kirche nicht singen, und ihre periodische »natürliche Unreinheit« musste mit rituellen Handlungen »gereinigt« werden. Weber fand kein Sprichwort, das etwas Positives über Frauen sagte, alle verhöhnten oder demütigten sie: »Spiel, Wein und Frauen sind die drei großen Zerstörer« – »Wo der Hahn kräht, schweigen die Hennen« (»Maul halten, was kein’ Bart hat« hieß es im deutschen Sprachraum). »Die Unterdrückung der Schwächeren durch die Stärkeren

446 Ebenda, S. 804–806. 447 Durso, Sarah Moore Grimké; Address of Elizabeth Cady Stanton, in: Stanton, First Convention (Seneca Falls), S. 8; DuBois, Outgrowing the Compact, S. 843. 448 Mill, Subjection of Women, S. 26f. et passim. 449 Chevalier, United States, S. 342. 450 Weber, Peasants, S. 171–173.

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ist leicht zu verstehen«, resümiert Eugen Weber.451 Die physische Unterlegenheit, die beständig durch die schwächere Arbeitskraft, durch die Bedrängnis von Schwangerschaften, Geburt und Kinderaufzucht und durch häusliche Gewalt reproduziert wurde, ist eine wesentliche Erklärung für die tief verwurzelte Entrechtung der Frauen. Nicht zuletzt die Lohnarbeit für Frauen führte dazu, dass auch dieses Schicksal durch die Moderne allmählich modifiziert und abgemildert wurde. Teil dieser Emanzipation war die Zähmung des Mannes, die sich um die Wende zum neuen Jahrhundert beobachten lässt. So ist die Antwort auf die Frage, warum Wahlen – von Ausnahmen abgesehen – eine reine Männersache blieben, vielschichtig. Zum einen waren sie durch und durch männlich konnotiert und wurden entsprechend den Bereichen Öffentlichkeit, Rationalität, Selbstbestimmung zugerechnet. Staat und Herrschaft wurden über Vorstellungen von Männlichkeit definiert. Doch diese Hinweise sind tautologisch. Denn die Frage bleibt, warum diese Festschreibungen vorgenommen wurden. Gewiss hat Eugen Weber Recht, wenn er als wichtigen Ursprung der Diskriminierung die physische Beschaffenheit sieht.452 In den amerikanischen Wahlen wird aufgrund der Gewalttätigkeit der Zusammenhang von symbolischer Aufwertung des Männlichen und physischer Stärke besonders deutlich. Doch der konstruierte Habitus der Minderwertigkeit saß viel tiefer, als dass er einer Bestätigung durch tatsächliche physische Gewalt bedurft hätte. Dem selbstverständlichen, vorreflexiven Konstrukt der Mangelhaftigkeit und Inferiorität der Frau entsprach der Legitimationseffekt von allem, was »männlich« war. Der Wahlakt gewann ebenso wie das jeweilige Staatskonzept und wie Herrschaft überhaupt durch seine Identifizierung mit Männlichkeit grundsätzlich an Bedeutung und Attraktivität. Zugleich trugen Wahlen mit ihrer evidenten Männlichkeit zur Reproduktion der sozialen Geschlechterordnung bei.453 Dass Arbeiter und Fabrikanten als Wähler die gleiche selbstbewusste Rolle spielten, bestärkte und unterstrich die Männlichkeit und Relevanz des männlichen Geschlechts. Der Wahlakt, bei dem der aufrechte Mann als freier Bürger und als Herr der Straße zum

451 Ebenda, S. 173. 452 Körper lassen sich also in der Geschichtsschreibung nicht so leicht als Diskurs behandeln, wie es u.a. Judith Butler vorschlägt. Dieser radikalkonstruktivistische Ansatz würde eine Analyse der Wahlen erschweren. 453 Bourdieu, Herrschaft, S. 156.

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Wahllokal lief, sich prügelte, im Tabaksqualm Politik diskutierte, vor der Wahlkommission laut seinen Namen nannte, seine Stimme abgab und damit Herrschaft ausübte und Selbstbestimmung einforderte – dieser Wahlakt war nicht nur eine Rechtfertigungsperformanz demokratischer Gewalt, sondern auch der männlichen Herrschaft.454

Kommunikation Die vielen Männer, die vor den Wahlen diskutierten und Zeitungen wälzten, und die bemühten Parteifunktionäre oder Kandidaten, die um die Stimmen warben, zeugen von einer neuen Funktion der Wahlen: Kommunikation. Wahlen ermöglichten den Herrschenden (egal ob preußischen Ministern oder amerikanischen Parteibossen), mit den selbstbewussten, mündigen Bürgern in Kontakt zu treten, sie für ihre Projekte zu erwärmen, sie in die Pflicht zu nehmen, aber auch ihre Anliegen anzuhören. Während bei den vormodernen Wahlen Kommunikation innerhalb der kleinen Wählerschaft nicht des Wahlaktes bedurfte und Entscheidungen über Absprachen getroffen wurden, kommt der Kommunikationsfunktion von Wahlen in Massengesellschaften eine beachtliche Bedeutung zu. Bei den Wahlen erhalten Wähler eine staatliche Relevanz, die sie im Alltag nicht besitzen. Sie werden befragt, umworben, gebeten. Es ist eben zuallererst die Obrigkeit (und sei es in Form von Parteien), die Interesse an den Wahlen hat: Sie will Zustimmung oder doch zumindest Teilnahme als einen Akt der Loyalität und Legitimität. Obwohl die Kommunikation immer in beide Richtungen ging, definierte Joseph Schumpeter richtig die grundlegende Tendenz der Wahlkommunikation als top-down: »›Der Wille des Volkes‹« sei »das Erzeugnis und nicht die Triebkraft des politischen Prozesses«.455 Dass Wahlen durch rituelle Elemente (wie Stimmabgabe, Auszählung und Veröffentlichung der Ergebnisse) hoch standardisiert sind, nutzt der Kommunikation. Die Gleichförmigkeit schafft Verlässlichkeit und gewährleistet verschiedenen Seiten – Wählern, Regierenden, Parteien oder Lobbygruppen – einen Einfluss, der umso berechenbarer ist, je weiter Kor-

454 Ebenda. 455 Zitiert nach: Massing, Schumpeter, S. 183.

Kommunikation

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ruption und Gewalt zurückgedrängt werden. Die gesetzlich fixierte Periodizität moderner Wahlen garantiert die Kontinuität des Kommunikationsflusses zwischen oben und unten und stärkt insbesondere die Regierten.456 Nicht eingehaltene rituelle Komponenten können Probleme markieren und auf gesellschaftliche Verwerfungen hinweisen. Daher funktioniert die Kommunikation auch bei eigentlich misslungenen Wahlen. In Diktaturen mit ihrer deformierten Öffentlichkeit gehört der Wahlprozess zu den letzten Instrumenten, in denen die Herrschenden sich über die Beherrschten informieren können.457 Auch korrupte Wahlen, bei denen die Wahlentscheidung des Wählers keine Rolle spielt, bieten wichtige Informationen, eben deshalb, weil sich andere Elemente (Geld, Posten, Alkohol etc.) vor die »eigentliche« Funktion, die freie Willensentscheidung, schieben kann. Selbst der Wahlboykott ist kommunikationsrelevant: Die Empörten formulieren ihre Gründe und verweigern die Unterwerfung und den Loyalitätsakt.458 Durch den intensivierten Austausch werden in Wahlzeiten Probleme der Gesellschaft besonders deutlich.

Wahlen als Scharnier zwischen Zentralmacht und Volk Die weißen Männer in den USA signalisierten bei jeder Wahl ihre Unabhängigkeit, aber doch auch ihre Bereitschaft zum Mitmachen. Die Wahl diente, wie gezeigt, als Scharnier zwischen der fernen Gewalt in der Hauptstadt und den Bürgern. Wählen hieß, diesen Staat konstituieren. In Preußen verlief die Kommunikation mit der Obrigkeit formalisierter. »Unser vielgeliebter Herrscher, der König und Kaiser Wilhelm II ., weiß leider nichts von unserer Noth und von unseren Drangsalen«, ließen die polnischsprachigen Masuren 1897 in einem Aufruf wissen, als sie sich erstmals mit eigenen Kandidaten an den Wahlen beteiligten. »Also wählen wir masurische Abgeordnete, damit diese in Berlin unsere Noth schildern können.«459 Diese Bottom-up-Kommunikation (als Artikulation des Wählervertrauens oder als Kontrolle über die Regierung) hat in der Wahlforschung mehr Beachtung gefunden als die Interessen der Herrschenden.460 456 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 163; Mergel, Geschichte und Soziologie, S. 707; Mergel, Parlamentarische Kultur, S. 21. 457 Jessen/Richter, Introduction; zur Kommunikationsfunktion auch Mergel, Propaganda, S. 14. 458 Jessen/Richter (Hg.), Voting for Hitler and Stalin. 459 Aufruf der Masuren, abgedruckt in: Vossische Zeitung, 18. 10. 1897. 460 Nohlen, Wahlrecht, S. 32–35.

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Im 19. Jahrhundert spielten dabei konkrete, meistens materielle Wünsche der Wähler eine entscheidende Rolle. Die Bürger formulierten ihre Anliegen auf Wahlversammlungen oder in Petitionen.461 In manchen Ländern, etwa in Frankreich oder Österreich, nutzten die Wähler im 19. Jahrhundert sogar die Stimmzettel, um ihren Wünschen Ausdruck zu verleihen.462 Viele zeitgenössische Wahlforscher sahen in den Willensäußerungen den Hauptgrund für das Wahlrecht der unteren Schichten.463 Häufig knüpften sie daran die Überlegung, dass Wahlen der »Staatsmaschinerie« als »Sicherheitsventil« dienten.464 Ohne das Wahlrecht, so der Jurist Georg Meyer, wären die Arbeiter »ein Element der Gärung und Unzufriedenheit im Volke«.465 Die Periodizität der Wahlen (ein entscheidendes Element) sorgte dafür, dass die Kommunikation nach der Wahl nicht abbrach. Die bereits erwähnte Rittergutsbesitzerin, die nach den Wahlen im Februar 1867 an Bismarcks Frau schrieb, nutzte das kritische Wahlergebnis, um die desperate Situation der Bewohner ihrer Grafschaft zu beschreiben und eine »dringend nöthige Eisenbahn« einzufordern. »Der Herr Minister möchte die Welt mit Eisen und Blut reformieren – beides ist geschehen – Blut geben wir und bitten jetzt um Eisen«, erklärte die Adlige, »damit durch steigenden Wohlstand die Drachenbrut der Revolution niedergetreten werde.«466 Das war effektiv, und Otto von Bismarck selbst schickte Auszüge aus dem Brief an den Oberpräsidenten in Breslau weiter.467 Natürlich ließ sich ein Wahlsieg mindestens ebenso wie eine Wahlniederlage nutzen, um Forderungen Nachdruck zu verleihen. So teilte der Abgeordnete Maximilian von Nesselrode der preußischen Regierung nach seiner Wahl 1867 zum konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes mit, dass er, um weiterhin als

461 Vgl. etwa Koenigsmarck an Minister-Präsidenten Bismarck, 14. 11. 1863, GStA PK . 462 Crook, Protest Voting; Stockinger, Voix perdues?; vgl. auch Merl, Elections; Bohn, »The People’s Voice«. 463 Below, Wahlrecht, S. 48f.; Meyer, Wahlrecht, S. 419–421; Redebeitrag Pachnicke, Sten. Ber. Pr. AH , 5. 12. 1917, Sp. 6600, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 22, Bd. 2, GStA PK . 464 »Das Centrum und das Reichtags-Wahlrecht«, Kölner Volkszeitung, 21. 1. 1898; Keyssar, Right to Vote, S. 45. 465 Meyer, Wahlrecht, S. 420. 466 [Kaum lesbar:] J. von Wiells [?] geb. v. Saffts [?] an Gräfin/Ministerin [Johanna von Bismarck], 16. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . 467 Präsident des Staatsmin. an Ober-Präsidenten, Dr. Freiherrn von Schleinitz, Excellenz zu Breslau, 7. 3. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK .

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Konservativer Erfolg zu haben, der »Eisenbahn Verbindung ins Besondere der Linien von Gladbach nach Mühlheim mit einem Anschluss nach Ebersberg« bedürfe.468

Die Wünsche des Volkes Für das einfache Volk gingen Wahlversprechen vielfach direkt in Stimmenkauf über: durch Alkohol, Essen, Schuhe oder Baumaterialien.469 In Preußen war der Stimmenkauf weniger gebräuchlich als in den USA , gleichwohl nicht unbekannt. Bei einer Wahlanfechtung behauptete die klagende Partei 1877, der Bürgermeister habe einen Wahlmann damit unter Druck gesetzt, dass er ihm androhte, die Straße vor dessen Gehöft nicht pflastern zu lassen. Einem anderen Wahlmann versprach der Gemeindevorsteher, bei entsprechender Wahl den Sohn nicht zum Militär einzuziehen.470 Alles konnte als Lock- und Drohmittel für die Wahlen verwendet werden: Gehaltserhöhungen, Gehaltskürzungen, ein Job, Entlassung, Darlehen, Schafe, Land, eine Chaussee – und in den USA besonders wichtig, in Preußen eher selten: Posten und Ämter.471 In einem Flugblatt von 1848 über »republikanische Wühler« hieß es ironisierend: »Der Arbeiter in den Städten sollte – nach ihren Verheißungen: höheren Lohn bei geringerer Arbeitszeit erhalten; der Ackerbauer weder Zinsen noch Klassensteuer mehr zahlen dürfen.«472 Auch wenn die Klagen über Wahlversprechen zur Standardkritik der Konservativen gehörten, fügten doch auch sie sich diesen Gepflogenheiten. 1870 etwa beschlossen sie, dem Volk eine Reduzierung der Steuern und Verwaltungsgebühren zu versprechen, zugleich eine »gerechtere Heranziehung« der größeren Vermögen oder eine kostenneutrale Verwaltungsreform.473 Das erscheint heute als sinnvolle Kommunikation zwi-

468 Brief Graf Nesselrode, 22. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . 469 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 73. 470 Vierter Bericht der Kommission für die Wahlprüfungen, Haus der Abgeordneten, 26. 2. 1877, I. HA Rep. 169 C 80, 18, Bd. 1, Nr. 184, GStA PK . 471 Vgl. etwa Dritter Bericht der Kommission für die Wahlprüfungen, Haus der Abgeordneten, 28. 11. 1877, I. HA Rep. 169 C 80, 18, Bd. 1, u. weitere Unterlagen in der Akte, GStA PK ; Unterlagen in I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 18, Bd. 3, GStA PK ; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 315–322. 472 Flugblatt, Offene Ansprache, Neisse, 15. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, p 110, GS tA PK . 473 I. Wahlprogramm der Konserv. Partei, o. D., ca. 1870, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK .

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schen oben und unten und als angemessene Reaktion einer Regierung auf die Wünsche der Wähler.474 Bismarck beherrschte das Spiel der Wahlbotschaften. Wir werden noch öfter sehen, wie überaus ernst er Wahlen nahm und wie er in Detailfragen eingriff. »Von einer achtbaren Persönlichkeit aus dem Kreise Meisenheim bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, wie die Fortschrittspartei in der bäuerlichen Bevölkerung des Reichstagswahlkreises St. Wendel-Offweiler-Meisenheim Anhang gewinnt«, ließ er etwa die Herren des Staatsministeriums 1881 wissen. Er sei davon überzeugt, dass »Verstimmungen der Bevölkerung gegen die Regierung, die auf die Wahlen wirken, nicht selten Folgen amtlicher Maßregeln der Localbehörden sind«.475 Als 1886 die Verwaltung von Magdeburg wegen einer Polizeiverordnung zum Feuerschutz »Verstimmung und Unzufriedenheit der Bevölkerung« befürchtete, »welche demnächst bei den Wahlen in regierungsfeindlichem Sinne zum Ausdruck gelangen« werde, griff Bismarck ein und verlangte, »derartige tief in das wirtschaftliche Leben der Bevölkerung eingreifenden Verordnungen« zuvor besser abzusprechen.476 Die Regierenden in Berlin registrierten auch genau, welche Auswirkungen die Sozialistengesetze auf die Wahlergebnisse hatten – eine aus Regierungssicht extrem ungünstige.477 Fast alle Regungen der Bevölkerung erhielten in Wahlzeiten Relevanz: »Die jüngsten Wahlen haben mich in mehreren der östlichen Provinzen vielfach mit der ländlichen Bevölkerung in nähere Berührung gebracht«, schrieb etwa ein Bekannter an Bismarck und informierte ihn detailliert darüber, dass die Bevölkerung den dreijährigen Heeresdienst ablehne.478 Wahlen wurden daher nicht nur zu einer Zeit intensivierter Petitionsschreiberei, sondern auch multiplizierter Überwachungs- und Informationsberichte. Die Kommunikationsflüsse bewegten sich aber nicht nur bipolar zwischen oben und unten. Bürger diskutierten über Zeitungsberichte und 474 Vgl. zu »Demokratie als Handel und Tausch«: Schmidt, Demokratietheorien, S. 189–191. 475 Bismarck an Staatsmin., Berlin, 5. 12. 1881, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . 476 Notiz von Staatsmin., Nr. 1171/86, Organisation der Behörden 4., o. D. (April 1886), I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 477 Notiz, o. D. (24. 1. 1890), Ad St. M. S. J. 10/90, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 478 Dem Herrn Minister-Präsidenten vorgelegt, 14. 11. 1863, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248, GStA PK .

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Wahlinformationen, schimpften insbesondere in den USA über Parteien und tauschten sich über Wahlziele aus, und Parteileute steckten ihr Feld ab, markierten Feinde und Kompetenzen. Auch das Beispiel des preußischen Abgeordneten Nesselrode zeigt, wie Wahlen die Kommunikation auf allen Ebenen und zwischen unterschiedlichen Instanzen intensivierten. In Preußen setzten die liberalen Minister während der Neuen Ära um 1860 den König mit einem drohenden »negativen« Wahlergebnis unter Druck, um die anstehenden Reformen durchsetzen zu können.479 Der König seinerseits wollte die Wahlen nutzen, um in der Bevölkerung »Missverständnisse« über seine Regierung aus dem Weg zu räumen.480 Bismarck wiederum bediente sich der Drohkulisse anstehender Wahlen, um längst geplante Reformen gegenüber dem Staatsministerium durchzusetzen. Wahlen brachten Bewegung in die Gesellschaft, und ihre Periodizität ließ keine Ruhe aufkommen.

Kommunikation bei öffentlichen und bei geheimen Wahlen Eine zentrale Rolle beim Akt der Kommunikation spielt die Öffentlichkeit oder die Geheimhaltung der Wahl. Die längste Zeit des 19. Jahrhunderts dominierte die offene Abstimmung. Sie ermöglichte die Aushandlung von Sachgütern und sicherte den Einfluss der »natürlichen Autoritäten«. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aber wurde die offene Stimmabgabe zunehmend dysfunktional. Die Geheimhaltung schaltete im Interesse des Zentralstaates alle Instanzen zwischen Staat und Bürger aus,481 weil der Wähler seinen Willen unmittelbar kundtun sollte, ohne Einfluss von Parteileuten, Landräten oder Kirchenmännern. Geheimhaltung bedeutete, dass Kommunikation einerseits abnahm und andererseits abstrakter wurde. Daher forderten um 1900 im nordatlantischen Raum jene intellektuellen Eliten geheime Wahlen ein, die auf eine potente Staatsmacht und starke Exekutive setzten.482 Und sie brachten beides nach und nach zur Geltung. Auch wenn die Wahlbeteiligung stets viele Ursachen hat, so führte doch die Geheimhaltung nicht zufällig in einem Land wie den USA , wo korrupte Praktiken das Wahlgeschäft angefeuert hatten, zu einer Abnahme der Wahlbeteiligung, während im Deutschen Reich die 479 480 481 482

Brief Staatsmin. an Königliche Majestät, 18. 6. 1861, I. HA Rep. 90 A, Nr. 111, GStA PK . An das Staatsmin., 25. 10. 1861, I. HA Rep. 90 A, Nr. 111, GStA PK . Rokkan, Wahlrecht, S. 93. Rosanvallon, Gute Regierung, S. 82–96.

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Geheimhaltung mit einer wachsenden Wahlbeteiligung einherging. Doch insgesamt trugen die zahlreichen Kommunikationsmöglichkeiten von Wahlen wesentlich zu ihrer Attraktivität bei.

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Das Dreiklassenwahlrecht, der Hybrid zwischen Tradition und Moderne Nach der nationalen Euphorie und revolutionären Hochstimmung kehrte in Preußen am Ende des Jahres 1848 ernüchternd der Alltag zurück. Die Vorteile der politischen Partizipation schienen für viele fragwürdig geworden zu sein. Der Berliner Zeughaussturm wurde am 14. Juni 1848 mit tobenden jungen Burschen und der Plünderung des staatlichen Waffenbestandes (Abb. 14) propagandistisch so sehr gegen die demokratische Bewegung ausgeweidet, dass Linke zu der Überzeugung kamen, der Sturm sei von der reaktionären Kamarilla in Potsdam lanciert worden.1 Die Stimmung gegen Demokraten und Regierungskritiker wurde in Preußen ähnlich wie in Großbritannien oder Dänemark immer aggressiver, und es gehörte Courage dazu, weiterhin für die freiheitlichen Ideale der Revolution einzutreten.2 Die Zeitungen in Preußen waren voll davon, wie die letzten Demokraten im Süden Deutschlands bekämpft, gejagt und ausgemerzt wurden, und versorgten die Leser mit demütigenden und herabsetzenden Kommentaren über die »Insurgenten«.3 In dem »Demokratenlied« auf die »unsaubern Geister«, das in den Zeitungen gedruckt, auf Flugblättern verteilt und vom preußischen König zitiert wurde, hieß es: »Gegen Demokraten / helfen nur – Soldaten!«4 Nicht nur die liberalen Mittelschichten, sondern auch die große Mehrheit der unteren Schichten fanden sich mit der neuen Ordnung ab.

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Temme, Augenzeugenberichte, S. 166; Born, Erinnerungen, S. 73f. Müller, Nach dem Ersten Weltkrieg, S. 26; Meier u.a., Demokratie, S. 885f. Vgl. Görlitzer Fama, Osthavelländisches Kreisblatt u.a. in den Sommermonaten. »Demokratenlied« von Wilhelm von Merckel, 1848, in: Onlineportal der Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/6395/ [1. 1. 2014].

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Fürsorgliche Wahlüberwachungen Die Königstreue vieler Preußen blieb ein nicht zu unterschätzender Faktor, ebenso wie der erstarkte Widerwille gegen Krawall und Anarchie.5 Noch 1847 hatte Friedrich Wilhelm IV. den alten Legitimationsglauben bekräftigt und erklärt, keine Macht der Erde könne ihn dazu bewegen, »das natürliche Verhältniß zwischen Fürst und Volk in ein conventionelles, constitutionelles zu wandeln«.6 Von Gottes Gnaden sollte die Legitimität herrühren und nicht auf einer rational fundierten Konstitution mit allgemeinen Wahlen gegründet werden. Welche Erschütterung musste es für viele Preußen gewesen sein, als der Monarch sich im April 1848 gezwungen sah, das Dekret für ein Wahlgesetz zu erlassen: »Um die Unserem getreuen Volke auf der breitesten Grundlage verheißene konstitutionelle Verfassung in das Leben zu rufen, ist die Vereinbarung ihres Inhalts mit einer beschlussfähigen Versammlung freigewählter Volksvertreter erforderlich.«7 Auch wenn das Märzministerium die treibende Kraft für die Öffnung war (gedrängt freilich von den Straßenprotesten der Massen), so hatte das Volk das revolutionäre Wahlgesetz vom April 1848 doch formal aus den Händen des Königs erhalten. Wenig später, im Juni 1848, nahm Ministerpräsident Ludolf Camphausen, ein angesehener Liberaler, seinen Abschied. Innenminister Alfred von Auerswald (der Bruder des Urliberalen Rudolf von Auerswald, des späteren Staatsministers) flutete die Straßen mit Polizisten. Im November dann sorgte Ministerpräsident Graf von Brandenburg dafür, »dass der König Herr im Lande ist«, wie die Konservativen befriedigt konstatierten:8 Nach hitzigen Auseinandersetzungen wurde am 5. Dezember die Nationalversammlung im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt aufgelöst. 13000 Soldaten (also einer auf acht Einwohner!) rückten in die Hauptstadt ein, der Belagerungszustand wurde ausgerufen, politische Klubs geschlossen und etliche Zeitungen verboten.9 Am 5. Dezember oktroyierte der König eine 5

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Clark, Preußen, S. 552–555; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 668; Osterhammel, Verwandlung, S. 779; Gunilla Budde nennt 1848 eine »Revolution mit dem Regenschirm« (Budde, Blütezeit, S. 48, vgl. auch S. 50f.). Zitiert nach Clark, Preußen, S. 528. Propositionsdekret, Die Allerhöchste Proposition wegen Erlass eines Wahlgesetzes, Potsdam, 2. 4. 1848, I. HA Rep. 169 B, 3 Gesetze, Nr. 5, GStA PK . So Leopold von Gerlach, Clark, Preußen, S. 551; vgl. auch Temme, Augenzeugenberichte, S. 169. Clark, Preußen, S. 551.

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Verfassung – die erste in Preußen, und sie barg den berühmten Artikel 4: »Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich«. Einen Tag später, am 6. Dezember, erließ die preußische Regierung ein interimistisches Wahlgesetz und setzte gleich für den 22. Januar 1849 Urwahlen und für den 5. Februar Abgeordnetenwahlen an. Jedem »selbständigen Preußen, welcher das 24ste Lebensjahr vollendet«, blieb weiterhin das gleiche Wahlrecht zugesprochen (§ 67). Doch nun hatten Militär und Polizei das Heft in der Hand. Carl Ludwig Friedrich von Hinckeldey, ein erzkonservativer Protegé König Friedrich Wilhelms IV., erhielt den Posten des Berliner Polizeipräsidenten mit umfassenden Vollmachten.10 In Wahlangelegenheiten mussten die Bürger nun beim Oberbefehlshaber, General Wrangel, vorsprechen, einem Haudegen, der im Schleswig-Holsteinischen Krieg trotz Misserfolg als deutscher Held gefeiert worden war und wenig später in der Reaktionsära mit Berliner Dialekt und Militärgedöns zum Volksliebling avancieren sollte.11 Nur widerwillig erkannte der General an, dass das Versammlungsverbot für die Wahlen aufgehoben werden musste.12 Er verlangte jedoch, dass in den Versammlungen nur »Wahl-Angelegenheiten« und keine Politik besprochen werden dürften – was die Vossische Zeitung mit dezentem Spott kommentierte.13 Zudem war es den Bürgern untersagt, für ihre Zusammenkünfte wie bisher mit Zeitungen und Plakaten zu werben, mit denen die Häusermauern seit Beginn des Jahres 1848 dicht beklebt gewesen waren. Um 9 Uhr abends mussten die Wahlversammlungen beendet sein.14 Der Berliner Magistrat erklärte sich bereit, für Polizeiaufsicht bei den Wahlen zu sorgen – womöglich, um den Bürgern größere Freiräume zu ermöglichen.15

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Richter, Revolution, S. 647–650. Vossische Zeitung, 7. 5. 1848 u. 31. 12. 1848 u. 1. 1. 1849. Von Wrangel an Staatsministerium, 14. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, GStA PK , vgl. dazu auch weitere Unterlagen in der Akte. »Wie wir aus zuverlässiger Quelle wissen«, Vossische Zeitung, 1. 1. 1849, S. 3. Abschrift Oberkommando in den Marken an Einen wohllöblichen Magistrat, Berlin 31. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GStA PK . Abschrift Deputation des Magistrats und der Stadtverordneten-Versammlung an General Wrangel, Berlin, 30. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A, Staatsmin. Jüngere Registratur, Nr. 3225, GStA PK .

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Neben dem Militär wurden auch die Behörden aktiviert, und damit begann ein neues Kapitel in der deutschen Wahlgeschichte. »In unserer aufgeregten Zeit genügt es nicht, dem Kampfe der politischen Leidenschaften theilnahmlos zuzusehen«, hieß es in einem Brief des Innenministers Manteuffel, den Lehrer und andere Staatsbeamte zum Jahreswechsel 1849 in Vorbereitung auf die Wahlen erhielten; »die Königlichen Behörden [müssen sich über] die entscheidende Wichtigkeit der bevorstehenden Deputirten-Wahlen« im Klaren sein.16 Dieser Erlass ist der Beginn eines Eiertanzes, den die preußischen Regierungen von nun an um die Einflussnahme bei Wahlen führten: Einerseits hielten Monarchen und Regierungschefs eine solche »Wahlmache« geradezu für eine Staatspflicht, weil sie sich für die Ordnung zuständig fühlten und Wahlen in Preußen von jeher eine Staatsangelegenheit gewesen waren. Andererseits sahen sich die Verantwortlichen an die gesetzliche Vorschrift der geheimen Wahl gebunden. »Weit entfernt, auf den Ausfall dieser Wahlen einen direkten Einfluß auszuüben, oder gar durch ungesetzliche Mittel einen unlauteren Eifer kund zu geben, ist es vielmehr die Aufgabe der Behörden, jede Einschüchterung, jede Verführung von den Wahlen fern zu halten, jedem unredlichen Mittel, jeder Art der Corruption und Allem, was derselben in Form und Wesen ähnlich ist, entgegen zu treten«, so der Innenminister in seinem Schreiben. Die Behörden sollten die »Freunde der Ordnung und wahrer Freiheit« ermutigen, »den politischen Kampfplatz zu betreten, um das Bestehen der Verfassung durch die Wahl patriotischer und einsichtsvoller Abgeordneter sicher zu stellen«. Und dann kommt der bemerkenswerte Satz, der wiederum in den USA undenkbar gewesen wäre: »Die Regierung [hat] mit ihren constitutionellen Organen darüber zu wachen, daß in den bevorstehenden Wahlen der durch die schweren Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit hoffentlich geläuterte Volkswille seinen ungetrübten Ausdruck finde.«17 Bezeichnenderweise zeigte sich die Regierung dann tief enttäuscht über das Wahlergebnis, das trotz ihrer Bemühungen und Vorsichtsmaßnahmen so gar nicht ihren Vorstellungen entsprach. Die Wähler bestückten im Januar und Februar 1849 das zweite preußische Parlament mit einer 16

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Schreiben Innenminister Manteuffel, 28. 12. 1848, weitergeleitet an alle Volksschullehrer durch Minister Ladenberg, 6. 1. 1849, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . Schreiben Innenminister Manteuffel, 28. 12. 1848, weitergeleitet an alle Volksschullehrer durch Minister Ladenberg, 6. 1. 1849, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK .

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ähnlichen Zusammensetzung an Abgeordneten wie schon 1848. Auch wenn die Pommern zu 72 Prozent konservative Abgeordnete wählten (nur die Brandenburger stimmen noch konservativer ab)18 und auch wenn die Zahl der bäuerlichen Abgeordneten insgesamt von 11 auf 4 Prozent sank, so stieg doch der Anteil der Großgrundbesitzer lediglich auf 11 Prozent an, und das Parlament blieb insgesamt eher links und liberal.19 Dieser erneute Schock für Regierung, König und alle konservativen Kräfte prägte die weitere Politik. Zum zweiten Mal ließ der preußische König das Parlament auflösen. Selbst die Liberalen fürchteten das Risiko von Wahlen unter den Bedingungen eines gleichen Wahlrechts. In der Paulskirche hatten sich daher viele von ihnen zwar für ein allgemeines, jedoch ungleiches Männerwahlrecht ausgesprochen.20 Dem gleichen Wahlrecht hatten sie nur zugestimmt, damit sich die Linken als Gegenleistung mit dem Erbkaisertum einverstanden erklären würden.21 Die Risikohaftigkeit von Wahlen erwies sich generell als wichtiger Faktor für die Zeitgenossen, für die das Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit immer mehr die Oberhand gewann. Überhaupt waren Wahlen im 19. Jahrhundert wesentlich bedrohlicher als in den heutigen Wohlstandsgesellschaften, weil die politischen Gruppierungen nicht für abstrakte Parteiprogramme, sondern jeweils für eine ganz andere Welt standen: Die Liberalen etwa wollten den Markt weiter entfesseln, Konservative die Rechte der Massen beschneiden und die Sozialisten eine totale Neuordnung der Gesellschaft herbeiführen.

Konsens für ein weites Wahlrecht Trotz all dieser Bedenken herrschte unter den Verantwortlichen weiterhin ein breiter Konsens darüber, dass Preußen bestimmte Standards und Rechte nicht mehr zurücknehmen konnte.22 Mitte des 19. Jahrhunderts war es in einem Land, das sich auf den Weg in die Moderne gemacht hatte, schlicht unvorstellbar, Wahlen abzuschaffen und wieder eine rein monar18 19 20 21 22

Mellies, Modernisierung, S. 277f. u. 282. Vogel/Schultze, Deutschland, S. 203; Botzenhart, Parlamentarismus, S. 608. Meyer, Wahlrecht, S. 41f. Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 116–134; Botzenhart, Parlamentarismus, S. 141 u. 746. Protokoll Sitzung des Staatsministeriums, 1. 5. 1849, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GStA PK ; vgl. Barclay, König, Königtum, S. 10.

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chische Herrschaftsform einzuführen.23 In einem progressiven Provinzblatt hieß es, Demokratie sei nunmal der »wahrhaftige Gedanke der Zeit, wie einst das Christentum, wie einst die Reformation«.24 So radikal dachten nicht viele, doch alle wussten, dass die neue Welt nicht mehr ohne Massenwahlen zu regieren war. »Durch die Geschicke aller Staaten, die wir näher kennen, geht es wie ein stetiges Gesetz hindurch«, erklärte 1849 der liberale Abgeordnete Dietrich Wilhelm Landfermann, »daß nach und nach der Kreis der zur Theilnahme am öffentlichen Leben und namentlich am aktiven Staatsleben Berechtigten sich mehr erweitert«; entsprechend müsse man das Wahlrecht gestalten.25 Über die oktroyierte Verfassung schrieb der Konservative Leopold von Gerlach entsetzt: »Der Glaube an den göttlichen Ursprung der Obrigkeit hat bei ihr selbst aufgehört, weil sie selbst von den kommunistischen Ideen imponirt ist.«26

Massenwahlen ohne Risiko und ohne Gleichheit? Die Akten des Staatsministeriums zeigen, wie sich die Regierung um die Quadratur des Kreises bemühte: moderne Massenwahlen ohne Risiko und ohne faktische Gleichheit. Am 1. Mai 1849 begannen die Beratungen. Der Termin lag genau ein Jahr nach dem der ersten gleichen Wahlen in Preußen und nur wenige Wochen nach der Verkündigung eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts für das Deutsche Reich durch die Nationalversammlung in der Paulskirche (am 12. April 1849). Alle Mitglieder des Staatsministeriums vertraten die »Ansicht, dass die Verfassung nicht abgeändert werde dürfe, dass aber Abänderungen des Wahlgesetzes notwendig seien«.27 Als Ziel galt es, »konservative Wahlen herbeizuführen«.28 Doch war das nicht ein Widerspruch in sich: konservative Wahlen? Hier kam das Preußische Statistische Büro zum Einsatz: Es lieferte Berechnungen für ein hierarchisches und möglichst risikoarmes Wahlrecht, für »konservative Wahlen« 23

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Drucksache No. 40, 30. Mai 1849, Zweite Kammer, Berlin, 12. 8. 1849, Sammlung sämmtlicher Drucksachen der Zweiten Kammer, Bd. 1. Nr. 1 bis 100. Berlin: W. Moeser und Kühn, 1849. »Kampf oder Versöhnung«, Münsterberger Stadt- und Wochenblatt, 27. 7. 1849. Abgeordneter Landfermann, Sten. Ber. ZK , 42. Sitzung, 26. 10. 1849, S. 883. Eintrag vom 30. 3. 1845, Gerlach, Denkwürdigkeiten, S. 108. Abschrift, Protokoll Sitzung des Staatsministeriums, 1. 5. 1849, Punkt 3, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GStA PK . Abschrift, Protokoll Sitzung Staatsministerium, 7. 5. 1849, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1.

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also.29 Von einem Wahlrecht erhofften sich die Gesetzgeber eine überparteilich-bürokratische Institution, die nicht nur das Volk integrieren sollte, sondern König und Regierung möglichst präzise und »objektiv« Auskunft über dieses Volk geben konnte. Als geradezu ideale Lösung für die widerstrebenden Interessen zwischen Traditionalität und Moderne bot sich ein Wahlrecht an, das sich am Kommunalwahlrecht in der Rheinprovinz von 1845 und damit am französischen Recht orientierte.30 So entstand, um das Risiko zu minimieren und die Gleichheit zu bezähmen, das Dreiklassenwahlrecht. Es blieb ein allgemeines Männerwahlrecht – jeder erwachsene Mann, der mindestens 24 Jahre alt war, durfte wählen, von den international üblichen Ausnahmen wie Kriminellen oder Armenhilfeempfängern abgesehen.31 Doch es teilte die Wähler nach ihren direkten Steuern in drei Klassen ein. Jede »Abteilung«, wie die Klassen offiziell hießen, sollte in indirekten Wahlen die gleiche Anzahl an Wahlmänner in offener Abstimmung wählen. Dadurch wurde das Recht ungleich: Der ersten Klasse gehörten – relativ stabil bis zum Ende der Kaiserzeit – nur etwa 3 bis 5 Prozent der Wähler an, der zweiten etwa 12 bis 15 und der dritten Klasse 80 bis 83 Prozent.32 Zur Hierarchisierung trug die Indirektheit bei: Die Urwähler durften nur die Wahlmänner wählen; die stimmten dann einige Tage oder Wochen später in einer zweiten Wahlversammlung über die Abgeordneten ab. Das Gesetz sah vor, dass die Wähler bei den Wahlen einzeln aufgerufen wurden, dann an den Wahltisch der Kommission traten und laut den von ihnen gewählten Kandidaten zu Protokoll gaben, der neben den Namen des Wählers notiert oder vom Wähler selbst eingetragen wurde.33 Zunächst stimmten die rund 80 Prozent der Männer aus der dritten Klasse ab (von denen oft nur wenige kamen), dann die Männer der zweiten und schließlich die der ersten Klasse; die Abteilungen, die gewählt hatten, mussten abtreten. Das heißt, die dritte Klasse wählte quasi unter Aufsicht der anderen zwei Klassen, die erste für sich. Die Nichtgeheimhaltung der Abstimmung zähmte das Prinzip der Allgemeinheit, 29 30 31 32 33

Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 34. Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 117; Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 26 u. 55. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 386. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 116; Clark, Preußen, S. 573f.; Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 116. Reglement zur Verordnung vom 30. Mai d. J. über Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer, 31. 5. 1849, §§ 8–15.

Wahlen in traditionsbedürftigen Zeiten

244

wie wir weiter unten sehen werden. Sie war wohl aber auch deswegen bei den Beratungen des Staatsministeriums kaum strittig, weil die Frage der Geheimhaltung in der Jahrhundertmitte keine allzu große Rolle spielte.34 Immerhin hatte es bis dahin in Preußen nur geheime Wahlen gegeben, sowohl bei den Wahlen nach der Städteordnung als auch bei den Rheinländischen Kommunalwahlen, bei den Wahlen für die Provinziallandtage und bei den Kirchenwahlen.35 Vor allem die wohlhabenden Mittelschichten zeigten sich zufrieden mit diesem Gesetz. Schließlich war das Klassenwahlrecht ein deutliches Zugeständnis an sie und ein liberal-konservativer Kompromiss zwischen Bürgertum und Regierungsverantwortlichen.36 Die Konservativen kritisierten die Qualifikation durch das Geld, doch gelang es ihnen, sie zu relativieren, indem nicht das absolute Vermögen zählte, sondern das im jeweiligen Wahlkreis. Dadurch erhielten die Wähler auf dem Land, wo sich weniger Reichtum anhäufte als in den industrialisierten Zentren, einen wesentlich größeren Einfluss.37 Neben der Wahlkreiseinteilung, die in den kommenden Jahrzehnten kaum geändert wurde und damit der Urbanisierung nicht Rechnung trug, war dies eines der Elemente des Dreiklassenwahlrechts, das die konservative ländliche Bevölkerung bevorzugte. Insgesamt aber spielten nun die wohlhabenderen und häufig liberalen mittleren bis oberen Schichten eine wichtigere Rolle bei den Wahlen, nachdem sich beim Demokratisierungsschub im frühen 19. Jahrhundert nur eine kleine elitäre Oberschicht für Wahlen eingesetzt hatte.38 Diese Verknüpfung von Wahlrecht und Wohlsituiertheit fand sich in zahlreichen Ländern. In Schweden beispielsweise galt bis 1911 ein Zensuswahlrecht, das nur einigen Tausend Männern das Wahlrecht einräumte. In Italien herrschte ein verklausuliertes Zensussystem, indem Kenntnisse im Lesen und Schreiben verlangt wurden – vermögende Bürger davon jedoch

34 35 36 37 38

Protokoll Sitzung des Staatsministeriums, 21. 5. 1849, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GStA PK . Gerlach, Geschichte, S. 34f. Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 117; Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 26 u. 55. Das gilt trotz niedriger Wahlbeteiligung auf dem Land (Vogel/Schultze, Deutschland, S. 210). Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 9; vgl. auch die Leidenschaft, mit der Gelehrte das Wahlrecht diskutierten, Unterlagen in I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247 und in I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248, GStA PK ; vgl. Wagner, Landräte, Gutsbesitzer, Dorfschulzen, S. 257.

Das Dreiklassenwahlrecht, der Hybrid zwischen Tradition und Moderne

245

ausgenommen wurden.39 Frankreich, das seit Jahrzehnten als Land des Wahlzensus gegolten hatte (nach der Revolution von 1830 war die Wählerschaft von 110000 nur auf 170000 Männer angestiegen),40 konnte zwar nach der Revolution von 1848/49 das proklamierte allgemeine und gleiche Wahlrecht nicht mehr zurücknehmen. Doch führte die französische Regierung dafür eine so hohe Residenzdauer ein, dass die Ärmeren weitgehend ausgeschlossen blieben.41 In den USA hatten es die Eliten zugleich einfacher und schwerer: Die sozial untersten Schichten, die Afroamerikaner oder die Native Americans, waren ohnehin ausgeschlossen, doch zunehmend (mit dem Wachsen einer besitzlosen, mobilen Arbeiterklasse) entwickelte sich für die etablierten weißen Amerikaner das Ideal der weißen Gleichheit zu einem handgreiflichen Problem, das sie dann, wie wir sehen werden, vielfach einzudämmen versuchten. So begeistert sich die preußischen Männer im Mai 1848 zur Wahl getroffen hatten, so nüchtern lief die Stimmabgabe am 17. Juli 1849 ab, die erstmals unter dem Dreiklassenwahlrecht stand. Trotz vereinzelter Proteste in den Städten konnte die preußische Regierung insgesamt das neue Recht ohne größere Probleme durchsetzen. Rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung war wahlberechtigt. Allerdings lag die Wahlbeteiligung lediglich bei 32 Prozent; in der dritten Klasse gingen knapp 29 Prozent wählen, in der zweiten 45 und in der ersten Klasse 34 Prozent. Die Demokraten hatten schon im Vorfeld erklärt, die zu erwartende »Minderheitenwahl« mit einer Wahlbeteiligung von weniger als 50 Prozent werde die Ungesetzlichkeit des Klassenwahlrechts allen vor Augen führen.42 Das Greifenhagener Kreisblatt, eine nichtamtliche Zeitung, kommentierte:43 »Der Wahltag ist wie ein gewöhnlicher Tag mit geringer Theilnahme des Volkes 39 40 41

42

43

Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 54f.; »Wahlrecht und Wahlfähigkeit«, in: Staatslexikon (Görres-Gesellschaft), Sp. 1106. Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 14; Rapport, Revolution, S. 14. Marx kommentierte die französischen Wahlrechtsreformen: »In ganz Frankreich rief die oppositionelle Bourgeoisie die Bankettagitation für eine Wahlreform hervor, welche ihr die Majorität in den Kammern erobern« sollte (Marx, Klassenkämpfe, S. 123). Vossische Zeitung, 20. 7. 1849; Informationen in Flugblatt »Die bevorstehende Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer«, Halle, 20. 7. 1849, I. HA Rep. 90A, Nr. 3247, Bl. 235, GStA PK . So in einer Meldung in eigener Sache auf der ersten Seite, Greifenhagener Kreisblatt, 25. 7. 1849; der Landrat des Kreises Greifenhagen distanzierte sich ausdrücklich von dem Greifenhagener »Kreisblatt des Herrn Kundler«, »Bekanntmachungen«, Greifenhagener Kreisblatt, 25. 7. 1849.

Wahlen in traditionsbedürftigen Zeiten

246

vorüber gegangen. Ganze Dorfschaften haben gar nicht gewählt und selbst in Städten […] sind die meisten Urwähler nicht bei der Wahl erschienen.«44 Zuweilen gab es Spott über die »ergötzliche« Form des Dreiklassenwahlrechts, wie über die Abstimmung in der ersten Klasse in Bielefeld, wo sich die beiden einzigen Wähler gegenseitig zu Wahlmännern gewählt hätten.45

Die Revolution verabschiedet sich Alles in allem verabschiedete sich die Revolution erstaunlich lautlos. Die Grundstimmung in Europa war von Pragmatismus geprägt, und die allgemeine Apathie nach der Revolution führte zu einer illusionslosen Realpolitik.46 Von den empörten Zeitgenossen wanderten viele in die USA aus. »Wir krochen in die kleine Privatexistenz zurück, schrieben und lasen wieder unzählige Bücher und gingen unseren sonstigen Geschäften nach«, notierte der Liberale Hermann Baumgarten. »Unendlich klägliche Zeiten für Jeden, der Mannesstolz in sich trug«.47 Doch viele sahen die Entwicklung mit Erleichterung. Große Teile des Volkes waren wie in Pommern schließlich nicht für ein gleiches Wahlrecht auf die Straßen gegangen. Sie hatten auf Befreiung von den Lasten gehofft, auf ein Leben ohne Hunger und Elend, auf eine Bodenreform. Bei manchem hatten sie Erfolg gehabt, bei manchem nicht. Dem Wahlrecht aber weinten sie keine Träne nach. In »mehreren Wahlbezirken verschiedener Kreise«, erläuterte 1852 ein Bericht über die Wahlen in Brandenburg, habe »ein Theil der Urwähler, trotz der Vorstellung der Wahlkommissarien von der Ungültigkeit der Wahl, Sr. Majestät dem Könige ihre Stimme gegeben«.48 Die Regierung in der pommerschen Provinz berichtete, wie die Herrschaft des Königshauses »immer mehr« anerkannt werde und »bittere Reue« über vergangene revolutionäre Tage vorherrsche. »Der Wunsch spricht sich durchgängig aus, daß Ruhe und Friede nicht wieder gestört werden möge«, hieß es 1852.49 In Zukunft gedachten viele der Revolution als einer düsteren Zeit, als eines »frevelhaf44 45 46 47 48 49

»Wahlresultate«, Greifenhagener Kreisblatt, 28. 7. 1849, S. 135. Ebenda. Möller, Idealismus, S. 79; Himmelfarb, Politics of Democracy, S. 99. Baumgarten, Liberalismus, S. 54. Eulenburg an Innenminister Westphalen, 2. 11. 1852, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3249, Bl. 4, GStA PK . Zeitungsberichte der Regierung in Stralsund vom 11. 10. 1850, 6. 7. 1852, 6. 1. 1852 u. viele weitere, I. HA Rep. 89, 16078, Bd. 29, GStA PK .

Das Dreiklassenwahlrecht, der Hybrid zwischen Tradition und Moderne

247

ten Versuchs, […] die Existenz eines auf Sitte, Wahrheit und Recht gegründeten Staates« zu unterminieren.50 Gewiss waren die Worte in den Amtsberichten auch ein inszeniertes und zensiertes Idyll der Beamten, um ein günstiges Bild ihrer Provinz zu zeichnen, die nicht viel mehr als ihre geradezu sprichwörtliche Loyalität aufweisen konnte. In den pommerschen Städten, aber auch an der Greifswalder Universität, regte sich jedenfalls immer wieder bürgerlicher und liberaler Geist.51 Tatsächlich aber schienen die revolutionären Unruhen und die Hochstimmung gerade auf dem Land die Menschen erschöpft und ernüchtert zurückgelassen zu haben. Aus den Subsistenzunruhen hatte sich keine politische Bewegung entwickelt. Und so verfielen die Wähler wieder in ihre Wahllethargie. »Die Herren Wahlmänner scheinen Alle der gemäßigten Partei anzugehören und man ist im Ganzen mit der Wahl selbst zufrieden«, schrieb ein schlesisches Lokalblatt über die ersten Dreiklassenwahlen. »Auch hat man diesmal von Wahlumtrieben nichts gehört.«52 Die Regierung habe geradezu die Pflicht gehabt, den »bisherigen, so gefährlich erschienenen, politischen Radikalismus zu beseitigen, den das alte Wahlgesetz enthielt«, verkündete eine Flugschrift, »um einen geistigen Sieg der politischen Einsicht über den Wahnsinn phantastischer Einbildung« herbeizuführen.53 Etwa die Hälfte der in den Urwahlen gewählten Wahlmänner hatte bereits zuvor schon diese Funktion ausgeübt, womit auch sie für Kontinuität sorgten.54

Der Wahlakt bei den Dreiklassenwahlen Die Indirektheit linderte in den Augen vieler Preußen den Schrecken von Volkswahlen. Zuweilen fanden schon im Vorfeld Probeabstimmungen statt, um »unwürdige« Wahlauseinandersetzungen zu vermeiden und unterlegenen Kandidaten einen ehrenvollen Rückzug zu ermöglichen.55 Die regierungsnahen Blätter berichteten von Wahlversammlungen, in denen 50 51 52 53

54 55

Schreiben Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten von Ladenberg, 30. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . Mellies, Stereotyp, S. 26; Czolkoß, Universität Greifswald, S. 153–158. Münsterberger Stadt- und Wochenblatt, 20. 7. 1849, Titelblatt. Flugblatt »Die bevorstehende Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer unseres preußischen Vaterlandes« von Dr. H. Thiele, Halle, 20. 7. 1849, I. HA Rep. 90A, Nr. 3247, Bl. 235, GStA PK . Grünthal, Wahlkampfführung, S. 67. »Wahlangelegenheiten«, Osthavelländisches Kreisblatt, 1. 8. 1849.

Wahlen in traditionsbedürftigen Zeiten

248

die Urwähler preußische Patrioten zu Wahlmännern erhoben und Demokraten verhöhnten.56 Aufgrund des indirekten Wahlmodus fand die Wahl der Abgeordneten einige Tage später statt – beim ersten Mal nach 20 Tagen, am 27. Mai 1849. Diese Kür gestaltete sich als ein exklusiver Akt der gewählten Wahlmänner, ähnlich wie in den USA bei den Präsidentschaftswahlen: Eine soziale Elite traf sich und handelte unter sich die Dinge aus.57 In Potsdam versammelten sich in diesem Sinne die Männer im Schützenhaus zu einer ungetrübten Wahlversammlung mit absoluten Mehrheiten. »Nach Beendigung der Wahl machte der Herr Garten-Director Lenné den Versammelten bekannt, daß Se. Majestät der König es gern erlaubt habe, den Wahlmännern die Wasserkünste und Anlagen in Sans-Souci zu zeigen. Dahin begaben sich dieselben denn auch mit lebhaftem Danke für diese huldreiche Erlaubniß, obgleich das Wetter nicht günstig war.«58 Auf den Terrassen des Schlosses zeigte sich der König, mischte sich unter die Wahlmänner und entfernte sich dann unter dem »Hoch« der Wähler. Abgeordnete forderten »die Feierlichkeit« der öffentlichen Wahlversammlung. Die Räumlichkeiten sollten hoheitlich gestaltet und dem staatstragenden Akt angemessen sein.59 Später riet die konservative Partei ihren Wahlkämpfern, die »passende Ausschmückung der Lokalien mit Preußischen Fahnen«.60 Da die Kirchengebäude seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts nicht mehr ausreichten, fanden die Wahlen nun auch in anderen möglichst achtbaren Gebäuden statt, wie in Hörsälen, Rathäusern oder (in Berlin) in Arnims Hotel unter den Linden (wo sich sonst gerne die Dichter trafen), im Konzertsaal des Schauspielhauses, in der Aula der Tierarzneischule (vgl. Abb. 16) oder im Gebäude in der bildungsbürgerlichen Gesellschaft Urania.61 Immer wieder wählten die Preußen auch in

56 57 58 59 60

61

»Wahl-Anekdote« u.a. Nachrichten, Görlitzer Fama, 26. 7. 1849. »Wahlangelegenheiten«, Osthavelländisches Kreisblatt, 1. 8. 1849. Ebenda. Redebeitrag v. Beckerath, Sten. Ber. pr. AH , 26. 10. 1849, S. 902. Rathschläge für die conservative Wahl-Agitation in Stadt und Land, Vorstand des Preußischen Volks-Vereins, 27. 9. 1863, VI . HA Nl Zitelmann, K., Nr. 93, Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Herbst 1863, Bl. 2, GStA PK . »Wahl-Angelegenheiten«, Vossische Zeitung, 5. 5. 1848; Der Magistrat, Öffentliche Bekanntmachung, Wahl-Angelgenehit, 18. 1. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2457, LAB ; »Berlin«, Vossische Zeitung, 4. 5. 1848, A Rep. 001–02, Nr. 2454, LAB ; Beilage zur Bonner Zeitung, 13. 11. 1861, I. HA Rep. 169 C – 80, Nr. 4, Bd. 5, GStA PK ; Notiz TierarzneischulDirektion, Berlin, 20. 8. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2462, Bl. 255, LAB .

Das Dreiklassenwahlrecht, der Hybrid zwischen Tradition und Moderne

249

Abb. 16 Staatstragende Versammlung: Die Aula der Tierarzneischule war als repräsentativer, öffentlicher Bau ein typisches Gebäude, das unter den Dreiklassenwahlen als Wahllokal diente. Die Wahlen fanden im Hauptbau im ersten Stock statt. SUB Göttingen, 8 OEC I, 2423

Synagogen.62 Innenminister Manteuffel verlangte, »Wirtshäuser und Schulen, wenn irgend möglich, nicht zu benutzen«.63 Mangels Alternativen griffen die Behörden allerdings nach wie vor auch auf Kneipen oder Schulen zurück, obwohl dort häufig großes Gedränge herrschte, nicht alle Wähler einen Platz fanden und einmal gar die viel zu engen Schulbänke unter dem Gewicht der Männer zusammenbrachen.64 Die allermeisten Wähler empfanden Wahlversammlungen als eine lästige Pflicht, und schon der Weg zum Wahllokal erschien ihnen zu müh-

62 63 64

Vorladung [gedruckt], XVI . HA Rep. 30, 575, Bd. 1, Wahlen für das Abgeordnetenhaus 1903, GStA PK . Minister des Innern von Manteuffel an Landratsämter, 4. 6. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2462, LAB . Öffentliche Bekanntmachung, »Wahl-Angelegenheit«, Magistrat, 18. 1. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2457, LAB ; Sten. Ber. pr. AH ., 23. 3. 1860, 623, GStA PK .

Wahlen in traditionsbedürftigen Zeiten

250

sam. Vor allem für die Wahlmänner erwies sich die Reise in die Kreisstadt, wo die Abgeordnetenwahl oft abgehalten wurde, als zu kostspielig. So erschienen häufig nicht einmal sie zur Wahl.65 Oft liefen die Wahlen nicht feierlich ab, sondern betrüblich langweilig, und wieder einmal wurde die Dauer der Wahlen zum Problem: Da beim Dreiklassenwahlrecht die absolute Mehrheit erforderlich war, mussten die Preußen häufig eine Stichwahl vornehmen, wodurch sich der Wahlakt in die Länge zog. Die Urwahlen konnten mehrere Stunden dauern, und die Wahl der Abgeordneten kostete meistens einen ganzen Tag.66 Im Laufe der Jahrzehnte entwickelten die Wahlmänner Ideen zum Zeitvertreib: »In dem von ungeheurem Tabaksqualm erfüllten Lokal beginnen zahlreiche Dauerskate. Wer nicht Skat spielen kann, begnügt sich damit, Alkohol zu sich zu nehmen; wer auch dazu keine Lust verspürt, langweilt sich maßlos.«67 Doch wenn der Wahlausgang umkämpft war, erinnerten die Versammlungen manchmal nahezu an amerikanische Verhältnisse. Ein Wahlkommissar berichtete aus Oberschlesien, es sei alles »ordnungmäßig« verlaufen, »wenn man das den ganzen Tag andauernde wüste Gebrülle der großen Wählermasse als erlaubten Sport und die im 2. Wahlgange nach Erhitzung der Gemüter eigentlich fortwährend hier und da im Wahllokale entstandenen Prügeleien gleichfalls als eine berechtigte und unschuldige Eigentümlichkeit der hier zusammentretenden Wählerversammlung ansehen will«.68 1859 beschwerten sich Bürger, bei der Kür der Abgeordneten mit Hunderten von Wahlmännern habe eine große »Unordnung« und »ein vollständige[r] Mangel an gesetzlicher Kontrolle« geherrscht.69 Fortan gab es vor den Wahlen wieder Wahlaufrufe. Landräte und Konservative forderten in Zeitungen und Versammlungen die Bürger auf, »sich dieser für den Augenblick, wichtigsten Aufgabe nicht zu entziehen«.70 65 66 67 68 69

70

Antrag, Nr. 467, von v. Bonin, 16. 2. 1854, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 6, GStA PK ; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 54. Sten. Ber. ZK , 42. Sitzung, 26. 10. 1849, 902; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 128. National-Zeitung, 20. 11. 1903, zitiert nach: Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 157. Bericht, Tarnowitzer Landrat, 10. 11. 1893, zitiert nach: Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 157. Abgeordneter [unleserl.], Dem Präsidium des Hauses der Abgeordneten zur geneigten weitern Veranlassung ehrerbietigst eingereicht, Berlin 18. 1. 1859, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 4, Bd. 4, BA . Görlitzer Fama, 16. 7. 1849, 341; vgl. auch »Die Wahl der Stadtverordneten«, Greifenhagener Kreisblatt, 30. 5. 1848; »Wahlresultate«, Greifenhagener Kreisblatt, 28. 7. 1849, S. 135; vgl. auch »(Verspätet.) Liebe Landsleute!«, Osthavelländisches Kreisblatt, 21. 7. 1849.

Das Dreiklassenwahlrecht, der Hybrid zwischen Tradition und Moderne

251

Diese Wahlaufrufe verweisen erneut auf das Interesse der Regierenden. »Die ›möglichst größte Teilnahme der ganzen Nation an dem politischen Leben des Staates durch Beteiligung bei den Wahlen‹ war ein Leitmotiv gouvernementaler Wahlrechtspolitik«, so Thomas Kühne.71 Ein konservativer Jurist sah die Wahlverweigerung als eine Missachtung des preußischen Staates: »Denn es bedarf doch wohl nur eines sehr geringen Maaßes von Einsicht und Patriotismus, um das Demüthigende der Erscheinung zu empfinden, daß nicht ein Zehntheil der Wähler erscheint, um das wichtigste staatsbürgerliche Recht zu üben.«72 Die Linken blieben ohnehin bei ihrem Argument, dass die Legitimation einer Wahl bei zu geringer Wahlbeteiligung fraglich sei.73 Immer wieder stellten Behörden und Parlament Überlegungen an, wie sie die Wahlbeteiligung erhöhen konnten.74 Doch die Haltung der Preußen zu den Dreiklassenwahlen ähnelte zunehmend der zu den Stadtwahlen. In Pommern – wie immer ein Extremfall – war die Unlust noch größer als im restlichen Land: In den 1890er Jahren lag hier die Wahlbeteiligung bei 11 Prozent (in ganz Preußen bei rund 18 Prozent) und stieg in den beiden letzten Wahlen 1908 und 1913 nur auf 17 Prozent an, während in Preußen insgesamt 33 Prozent teilnahmen.75 Manche Zeitgenossen erklärten sich das geringe Interesse damit, dass die meisten Urwähler »im vollen Vertrauen zu der Weisheit Seiner königlichen Majestät Regierung von der Urwahl zurückbleiben«. Irgendwie würde es der Monarch schon richten, denn kein Zweifel könne daran bestehen, dass der »Wunsch jedes rechtschaffenen Unterthans Seiner Majestät unseres Allergnädigsten Königs ohne Zweifel darauf gerichtet [ist], das Haus der Abgeordneten mit den höchstweisen Intentionen Seiner königlichen Majestät Regierung in Übereinstimmung zu sehen«.76 Doch wenn man von dem Wahlboykott der Sozialisten absieht, war die Wahlabstinenz über die Jahrzehnte tatsächlich wohl weniger ein Ausdruck der Empörung, 71 72

73 74 75 76

Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 170. Reichensperger, Wahlen, S. 38; tatsächlich gingen in den katholischen Gegenden häufig nicht einmal 10 Prozent der berechtigten Männer zur Wahlversammlung (Brief Westphalen an Manteuffel, 15. 12. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, S. 24f., GStA PK ). Sten. Ber. pr. AH , 5. 12. 1917, Sp. 6604, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 22, Bd. 2. Antrag, Nr. 467, von v. Bonin, 16. 2. 1854, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 6, GStA PK ; Sten. Ber. ZK , 42. Sitzung, 26. 10. 1849, 902; vgl. auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 171. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 167f. Carl Brown an den Minister-Präsidenten Herrn Grafen von Bismarck, Wallischei (Posen), 5. 12. 1865, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK .

Wahlen in traditionsbedürftigen Zeiten

252

Wahlbeteiligung in Preußen in Prozent* Klasse I

Klasse II

Klasse III

Gesamt

1849

34

45

29

32

1855

39,6

27,2

12,7

16,1

1858

50,2

37,1

18,5

22,6

1861

55,8

42,4

23

27,2

1862

61

48

30,5

34,3

1865

57

44

27,3

30,9

1867

41,2

28,3

14,8

17,6

1893

48,1

32,1

15,2

18,4

1898

46,2

30,7

15,7

18,4

1903

49,2

34,3

21,2

23,6

1908

53,5

42,9

30,2

32,8

1913

51,4

41,9

29,9

32,7

* Wahlberechtigt waren insgesamt rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung

sondern vielmehr von gesundem Pragmatismus: Wenn es ausreichte, dass eine Handvoll Männer das lästige Wahlgeschäft erledigte, brauchten dazu nicht alle Abteilungsangehörigen einen halben oder ganzen Arbeitstag opfern. Thomas Kühne hat das überzeugend nachgewiesen und spricht von einer »Ökonomie der Wahlenthaltung« .77

Stachel im Fleisch der Monarchie Doch die neuartigen, fremden Geister, die das Wahlrecht rief, schlichen sich in die alten Herrschaftsprinzipien ein, und die allgemeinen Wahlen wurden ein Stachel im Fleisch der preußischen Monarchie. Selbst der Wahlboykott der »Demokraten« offenbarte den Bedeutungsgewinn von Wahlen. Wer hätte schon gegen die lahmen Städtewahlen einen Boykott initiiert? Die Revolution von 1848 hatte die Welt verändert, und der Gleichheitsgedanke, selbst in die preußische Verfassung eingeschrieben, nährte das Ideal von der Würde des Individuums und damit auch von seinem Selbstbestimmungsrecht.78 Das Dreiklassenwahlrecht kann also nicht schlicht als ein Ausdruck der Reaktion verstanden werden. Sowohl John 77 78

Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 178–190. Barclay, Revolution, S. 67.

Traditionale Bedenken

253

Stuart Mill als auch Tocqueville, zwei der wichtigsten frühen Demokratietheoretiker, schätzten die Stärken des preußischen Wahlrechts.79 Es war die friedliche Variante, in einer sicherheitsbedürftigen Zeit das Prinzip der allgemeinen Partizipation zu gewährleisten – friedlich im Vergleich etwa zur Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts in Frankreich 1792 oder des universal suffrage in den USA im Jahre 1870. Gerade wenn man bedenkt, dass selbst das mit Tausenden von Toten erkämpfte und mit Verfassungskraft garantierte Wahlrecht der Afroamerikaner um 1900 faktisch wieder ausgehebelt wurde, kann der preußische Versuch, die durch die Moderne hervorgerufenen sozialen Spannungen mithilfe des Dreiklassenwahlrechts zu lösen, kaum als erfolglos bezeichnet werden, wie sich auch im Folgenden zeigen wird.80 Anders als das Reichstagswahlrecht von 1849, das ein Wunschtraum blieb und erst von Bismarck 1866 wieder aufgegriffen wurde, konnte sich das Dreiklassenwahlrecht über Jahrzehnte behaupten.81 An der Schwelle zum 20. Jahrhundert allerdings wurde es sprichwörtlich für seine Rückständigkeit (»in Europa fast das schlechteste; schlechter sei es nur noch in Russland«82). In der unauslöschlichen Sonderwegerzählung gilt es heute noch als Inbegriff deutscher Demokratieunfähigkeit. In der Mitte des 19. Jahrhunderts aber war das preußische Wahlrecht im internationalen Vergleich recht gewöhnlich.

Traditionale Bedenken Die relative Modernität des Dreiklassenwahlrechts wird wohl anhand des konservativen Widerstands am deutlichsten, der sich in den ersten Jahren dagegen formierte. Anders als viele enttäuschte progressive Geister erkannten Konservative die Eigendynamik moderner Wahlen auch in dem neuen pekuniären Klassensystem. Die »periodisch wiederkehrenden« Wahlen, hieß es 1855 im Votum des Innenministers Westphalen, stärkten die »ungebildeten Massen« in der Meinung, »der König könne nicht mehr

79 80

81 82

Llanque, Demokratisches Denken, S. 72f. Auch Mergel verweist darauf, wie wichtig es war, das Wahlrecht und die sich damit bietenden Konfliktlösungsstrategien zu erlernen (Mergel, Betrug, Krawall, Stimmenkauf, S. 10). Fenske, Strukturprobleme, S. 17. Redebeitrag Korfanti, Sten. Ber. pr. AH , 1. Sitzung, 15. 2. 1910.

Wahlen in traditionsbedürftigen Zeiten

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Gesetzgeber und Regent sein«.83 »Konservatismus« stand dabei nicht für eine kleine Junkerelite, die gegen die evidente Mehrheit die Macht an sich gerissen hatte.84 Tatsächlich bestärkten die Veränderungen und Beschleunigungen das Sicherheitsbedürfnis und die Sehnsucht nach Traditionen – das gehörte zu den Antinomien der Moderne. Das 19. Jahrhundert war geprägt durch die revolutionären Umwälzungen der Industrialisierung, aber es brachte auch die Romantik und den Historismus hervor. Bei der Untersuchung des konservativen Arrangements mit modernen Wahlen will ich daher nicht nur den politischen Konservatismus in die Analyse einbeziehen, sondern ebenso den Traditionalismus der Mehrheitsgesellschaft berücksichtigen, der nach Karl Mannheim – in Abgrenzung zum Konservatismus – das Bedürfnis meint, am Gewohnten und an der Routine festhalten zu wollen.85 Hier soll also mit einem Konservatismuskonzept gearbeitet werden, das traditionale Haltungen in allen Bevölkerungsschichten mit einbezieht. Die staatliche »Ordnung« galt weithin als unumstrittener Wert, und nicht nur die unteren Bevölkerungsschichten und Konservative, sondern auch das akademische Bürgertum und Liberale verstanden sich mehrheitlich als loyale Untertanen der Monarchie86 – wobei man sich die Untertanentreue nicht zuletzt als einen ideellen Wohlfühlfaktor und nationalen Identitätsstifter vorstellen muss.87

Konservatives Misstrauen in allen Schichten Die unteren Schichten standen den partizipativen Rechten weiterhin eher misstrauisch gegenüber. In der Provinz Westpreußen beteiligten sich zahlreiche Bauern nicht an der Wahl, »weil sie, von streng royalistischen Gesinnungen durchdrungen, die Kammern als ein der Staats-Regierung und dem Volke, wenn auch nicht feindseliges so doch nachtheiliges und kostspieliges Element betrachten«, hieß es in einem internen Regierungsschrei83

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Votum des Ministers des Innern, v. Westphalen, zu dem Gesetz-Entwurfe der Bildung des Hauses der Abgeordneten der Zweiten Kammer betreffend, Berlin, 31. 1. 1855, 6, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, BA . Bösch, Das konservative Milieu, S. 13. Mannheim, Konservatismus, S. 93; vgl. zur Unterscheidung von Traditionalismus und Konservatismus Nipperdey, Bürgerwelt, S. 313; vgl. dazu auch Ruetz, Konservatismus, S. 56; Epstein, Conservatism, S. 7–11; Dwyer, Introduction, S. 5. Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III ., S. 9. Matthiesen, Greifswald in Vorpommern, S. 57; Stamm-Kuhlmann, Restoration Prussia, S. 48.

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ben. Einige Ortschaften hätten »sogar Petitionen eingereicht, worin gebeten wird, daß Se. Majestät der König die Staats-Regierung wie vor dem Jahre 1848 ohne Beirath der Kammern wieder übernehmen möge«.88 Auch wenn solche Informationen tendenziös waren, so hielten doch gewiss nicht wenige Preußen Wahlen für einen kostspieligen Unfug. In einem amtlichen Informationsbericht hieß es im Sommer 1849, dass die Pommern »überhaupt nicht mehr wählen würden, und daß sie lieber gar keine Vertretung haben wollten«.89 Ein Flugblatt von 1849 verdammte das alte »gleiche« Wahlrecht, das vor allem eine »große Gewalt im Zerstören und Verneinen« gehabt habe.90 Eine entscheidende Frage im Hinblick auf die Erweiterung des Wahlrechts im 19. Jahrhundert scheint also zu sein, warum sich die Gesellschaften in diesem traditionsorientierten Jahrhundert mit modernen Wahlen arrangierten. Diese Frage wird zuweilen durch die Überlegung verdrängt, warum es so lange dauerte, bis sich die Evidenz der Demokratie gegen den Konservatismus durchsetzen konnte.91 Zweifellos war, wie oben ausgeführt, ein Grund für das Arrangement, dass alles in diese Richtung drängte: die Ideen von Nation und Gleichheit, der Wohlstandsanstieg, Säkularisierungstendenzen, die allem Auf und Ab und aller Rekonfessionalisierung zum Trotz Religion allmählich an den Rand drängten und Legitimation von Gottes Gnaden ebenso prekär erscheinen ließen wie Ordnungsvorstellungen jenseits rationaler Begründungen. Doch die Zeiten waren widersprüchlich, und es lohnt sich ein genauerer Blick auf die traditionalen Bedenken. Dabei lassen sich vor allem drei konservative Vorbehalte gegen das Massenwahlrecht erkennen: erstens die Rationalität der Herrschaftslegitimation bzw. ihre naturrechtliche Begründung, zweitens die Allgemeinheit, die Konservative für eine verkappte Form der Gleichheit hielten, und drittens die Risikohaftigkeit und Willkür. Diese Bedenken

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Eulenburg an Innenminister Westphalen, 2. 11. 1852, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3249, Bl. 4, GStA PK . Abteilung für Kirchen- und Schulangelegenheiten an Oberpräsident, Stettin, 15. 8. 1849, zitiert nach Mellies, Modernisierung, S. 277; vgl. Frantz, Louis Napoleon, S. 9. Druckschrift »Die bevorstehende Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer unseres preußischen Vaterlandes« von Dr. H. Thiele, Halle, 20. 7. 1849, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, GStA PK . Vgl. über den Mangel an Konservatismusforschung: Bösch, Das konservative Milieu, S. 16.

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bezogen sich allesamt auch auf das Dreiklassenwahlrecht und verdeutlichen damit dessen relative Modernität. Die beiden letzten Punkte – Gleichheit und Risikohaftigkeit – wurden auch in den USA als Kritik laut. Es war eben keineswegs selbstverständlich, dass sich die Gesellschaften im 19. Jahrhundert mit dem allgemeinen Wahlrecht nicht nur abfanden, sondern immer breitere Schichten diese Institution zunehmend auch für sich nutzen konnten. Daher sollen zunächst die Bedenken dargelegt werden, um in den darauffolgenden Kapiteln zu untersuchen, wie es Konservativen und Traditionalisten gelang, sich die Massenwahlen anzueignen.

Rationalität der Wahlen Zunächst zum ersten Punkt, den konservativ-traditionalen Bedenken gegen Rationalität. Allein das Prinzip der Allgemeinheit war ein Bekenntnis zur rationalen Weltsicht. Denn die Allgemeinheit birgt die Idee, dass jedes einzelne Individuum Verstand genug besitzt, um bei der Wahl zur Herrschaft beizutragen, und dass damit die vielen Einzelwillen bei der Wahl sich insgesamt zu einer durchdachten Entscheidung summieren. Vernunft, nicht Tradition war die Grundlage dieser Legitimation. Doch auch das neue Distinktionsmittel in diesem Meer aus Individuen, nämlich Eigentum, war letztlich nichts als ein kühler, rationaler Gedanke. Der preußische »Ausschuß für Revision der Verfassung«, in dem so liberale Köpfe wie der Königsberger Eduard von Simson oder der Bankier Ludolf Camphausen saßen, konstatierte im Oktober 1849: Da die Stimmfähigkeit der Bürger »natürlich an eine Prüfung der moralischen Qualifikation nicht« geknüpft werden könne, so ließe sich diese »nur in den äußeren Lebensverhältnissen finden, für deren Beurtheilung die Steuerleistung der einzige Anhaltspunkt sei. Man gebe zu, dass dieses System seine Mängel habe, aber es bewähre sich in andern konstitutionellen Ländern«.92 Die Ultrakonservativen aber sahen durch das neue Wahlrecht die Parvenüs und »Geldsäcke« am Werk. Der Vorwurf der »Plutokratie« kam gerade auch aus hochkonservativen Kreisen.93 In einer Wahlversammlung erklärte der Publizist und Gründer der Kreuzzeitung, Hermann Wagener: »Die Privilegien aber und Monopole, meine Herren, die sind schon seit langer Zeit auf den Geldsack übergegangen, auf den Geldbesitz, der zuerst thatsächlich und jetzt 92 93

Ausschuss für Revision der Verfassung, No. 237, 13. 10. 1849, S. 14, I HA Rep. 169 C 80, Nr. 1, GStA PK . Vgl. etwa Redebeitrag Wedel-Piesdorf, Sten. Ber. Pr. HH , 11. 5. 1904, S. 312.

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auch rechtlich alle socialen und politischen Privilegien je länger desto mehr in sich aufzehrt und vereinigt – Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz und Censussystem neben einander!«94 Statt dieser auf Rationalität gründenden Herrschaft gelte es die transzendente Legitimation zu verteidigen. »Die Grundlage der conservativen Partei ist ihr Bekenntniß zur christlichen Obrigkeit, zu der Autorität von oben und nicht von unten. ›Es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott!‹«, erläuterte eine Zeitung aus Mecklenburg, wo die Herrschenden nach der Revolution von 1848/49 jede Partizipation einstellten und erst aus Berlin das Reichstagswahlrecht diktiert bekamen. Das »allgemeine Wahlrecht [steht] mit der conservativen Weltanschauung in Widerspruch«, so die Zeitung weiter.95 Immer wieder tauchte in den konservativen Diskursen die Metapher des »Organismus« auf, der nur mit Hierarchien und Ungleichheiten funktioniere und in dessen Ablauf es keine Willkür gebe.96 Romantisch inspiriert mahnten Konservative, auf die »zarten empfindlichen Bestandtheile« des Staates zu achten. »Die Zusammensetzung eines Staates ist etwas so Großes, Mannichfaltiges und Unergründliches«, wie es der Publizist Adam H. Müller ausdrückte: »Aber wer nennt den Staat eine Maschine, und seine Glieder ein totes Räderwerk!«97 Der Jurist Lancizolle, von Treitschke als »Stimme aus dem Grab« geschmäht, hatte schon 1846 vor dem »ganzen abstracten Staatsbegriff […]«, gewarnt, »mit allem was er an Centralisation, Codification, Nivellirungs- und Uniformitätssucht« mit sich bringe.98

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Rede Wagener, gehalten in der zweiten General-Versammlung des Central-Comité’s für conservative Wahlen, 7. 11. 1861, VI . HA Nl Boetticher, K., 31, Wahlen zu Hause der Abgeordneten, Bl. 76, GStA PK ; vgl. ganz ähnlich Denkschrift von Ferdinand von Westphalen, vorgetragen am 29. 10. 1851, Anlage, Nr. 4152, zum Schreiben an Geheimen Staatsminister v. d. Heydt, Simons, v. Stockhausen, v. Baumer, v. Bodelschwingh, 1. 11. 1851, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GStA PK . »Die Conservativen und das Reichstags-Wahlrecht«, Mecklenburgische Nachrichten, 29. 1. 1898, RLB R8034, II , 5075, Bl. 56. Vgl. die Diskreditierung der Maschinenmetapher im 19. Jahrhundert und die Konjunktur des Organismusbegriffs in: Stollberg-Rilinger, Staatsmaschine. Müller, Staatskunst, S. 3; vgl. auch Müllenbrock, Burke, S. 77. Lancizolle, Königthum und Landstände, S. 525 u. 342f., vgl. auch S. 135, 320 u. 346.

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Allgemeinheit Tatsächlich waren die »Nivellirungssucht« und der Gleichheitsgedanke das zugrunde liegende Kernproblem für Konservative, womit der zweite Kritikpunkt angesprochen ist, das Prinzip der Allgemeinheit, das als Synonym für Gleichheit galt (eine Gleichsetzung, die nur aus heutiger Sicht abwegig erscheinen kann). Für die Kritiker war hier das »Hexeneinmaleins der Kopfzahlwahlen« am Werk,99 das »Kopfzahlensystem« oder »Kopfzahlprinzip«, wie die konservativen Schimpfworte für ein egalitäres Wahlrecht hießen: Allein die Zahl, nicht die Qualität der Köpfe zähle, lautete die damit verbundene Klage. Da jeder Mann das Wahlrecht hatte, innerhalb der Klassen der egalitäre Mehrheitsentscheid galt und jede Wahl auch beim Klassenwahlsystem nach dem Majoritätsprinzip ablief, hielten die Kritiker auch das Dreiklassenwahlrecht für einen Ausdruck moderner Legitimation, die untrennbar mit den Gleichheitsforderungen verbunden sei. Gerade hier zeigte sich die romantische Aversion gegen die Kälte der rationalen Zahl, die der Staatstheoretiker Adam Müller 1809 als »neumodische Kopf-, Seelen- oder Geldrepräsentation« angeklagt hatte.100 Max Weber spottete später über die Gegner eines modernen Wahlrechts als »unsere Romantiker mit ihrem Abscheu vor der ›Ziffer‹«.101 Ein Gutsbesitzer drückte es so aus, dass nach dem allgemeinen Stimmrecht »100000 Pf[un]d. Menschenfleisch künftig einen Abgeordneten wählen«.102 Und sieben ostpreußische Grafen warnten 1849 in einer Petition vor der »Verderblichkeit des allgemeinen Stimmrechts« und vor dem »Irrige[n]« des neuen Wahlgesetzes, das »dem Wesen nach« doch auf dem revolutionären Wahlgesetz vom April 1848 ruhe. Die Grafen erklärten: »Das wichtigste politische Recht der Mitwirkung, das zur Gesetzgebung, wird dadurch mehr oder minder in die Hände der arbeitenden, besitzlosen und wenig besitzenden, für diese Mitwirkung hinsichts der Bildung durchaus nicht befähigten Volksklassen gelegt.«103

99 So Gerlach am 15. 2. 1849, zitiert nach Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 129. 100 Adam Müller, Elemente der Staatskunst, zitiert nach: Zeitgeist, Demagogische Umtriebe, S. 272. 101 Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 368. 102 Andrae, Erinnerungen, S. 23. 103 Petition, von Lauck in Ostpreußen (7 Unterschriften mit Grafentiteln) an die Zweite Kammer, 30. 7. 1849, I. HA Rep. 169 C 76, Nr. 1b, Adhib. II ., GStA PK Bl. 22f.; vgl. zur konservativen Kritik auch Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 60.

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In einem kritischen Regierungsgutachten hieß es, das allgemeine Wahlrecht werde nicht dem Auftrag gerecht, ein »richtiges und ideales Abbild des Volkes« zu sein.104 Denn nur die unterste und zahlreichste Klasse habe darin eine Stimme.105 Auch Innenminister Ferdinand von Westphalen meinte 1855, die Wahlordnung sei »höchst schädlich«, weil das darin »keineswegs aufgehobene Prinzip des allgemeinen Stimmrechts auf den verderblichen Begriffen über Volks-Souverainetät beruhet«.106 Finanzminister Carl von Bodelschwingh sekundierte und bezeichnete das im Dreiklassenwahlrecht herrschende »Prinzip der Kopfzahlwahlen als nivellirend zerstörend«.107 Eine preußische Regierungskommission für Verfassungsangelegenheiten hielt 1856 während der Reaktionszeit fest, die Gleichheit sei ein »revolutionäres Prinzip, ja, das Grundprinzip aller Revolution«, und zwar »im feindlichen Gegensatz zu der auf dem göttlichen Gesetze ruhenden, in der Geschichte entwickelten Rechts-Ordnung mit ihren mannichfachen Ungleichheiten und Standes-Unterschieden«; das Prinzip der Gleichheit in der Verfassung sei »eine radikale Unwahrheit, welche als solche unser Staatswesen in seinen Wurzeln vergifte, es nicht zur Ruhe kommen lasse und bei nächster Gelegenheit neue verderbliche Ausbrüche in Aussicht« stelle.108

104 Anlage Votum, 1848, Brief von Ladenberg an Königlichen Staatsministerium und Minister-Präsidenten, Generals der Kavallerie, Ritter v. Herr Grafen von Brandenburg, Berlin, 30. 1. 1849, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GStA PK ; Grünthal hält es für möglich, dass dieses Schriftstück ein zentrales Ursprungsdokument des Dreiklassenwahlrechts ist (Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 26–29). 105 Darauf verweist mahnend auch noch Meyer, Wahlrecht, S. 259. 106 Votum des Ministers des Innern, v. Westphalen, zu dem Gesetz-Entwurfe der Bildung des Hauses der Abgeordneten der Zweiten Kammer betreffend, Berlin, 31. 1. 1855, 4, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, BA . 107 Votum des Finanz-Ministers, zitiert nach: Votum des Ministers des Innern, v. Westphalen, zu dem Gesetz-Entwurfe der Bildung des Hauses der Abgeordneten der Zweiten Kammer betreffend, Berlin, 31. 1. 1855, 4, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, BA ; vgl. zu den ständischen Reaktivierungsbemühungen: Grünthal, Parlamentarismus, S. 226–261, u. 420–423. 108 Bericht der Kommission für Verfassungs-Angelegenheiten über den Antrag, im Artikel 4 der Verfassungs-Urkunde die Worte: »Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standes-Vorrechte finden nicht statt«, zu streichen, 25. 1. 1856, Haus der Abgeordneten. IV : Legislatur-Periode. I. Session, GStA PK .

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Wie aber sollte Herrschaft dann funktionieren? Noch nicht einmal die Hochkonservativen und noch nicht einmal die Honoratioren auf dem Land träumten von partizipationsfreien Zeiten. Landauf, landab hörte man in Preußen stattdessen die Forderung, das Prinzip der Allgemeinheit durch ein »ständisches Prinzip« zu ersetzen. Die Stadtväter einer schlesischen Kleinstadt meinten, dass ein Wahlrecht »sowohl den Willen des ganzen Volkes, als auch die Wünsche der einzelnen Klassen zum Ausdruck bringen« müsse, insbesondere die der »kleinen Städte«, aber auch von »Kirche und Schule«.109 Die Regierungsspitze sah das ähnlich und riet 1851, »unter möglichster Beseitigung des Kopfzahlsystems an das berechtigtere ständische Prinzip wieder anzuknüpfen«.110 Schließlich meldete sich auch König Friedrich Wilhelm IV. zu Wort und schlug »eine ständische Grundlage« für die Parlamentswahlen vor.111 Es war freilich Leopold von Gerlach, der dem König mit diesen Gedanken ständig im Ohr lag.112 An Bismarck schrieb Gerlach 1852: »Wie sollen Deutschlands Fürsten sich nicht vor jeder organischen Berührung mit Preußen fürchten, wenn sie sehen, dass die ätzende Säure der Preußischen Gesetzgebung in einem Menschenleben einen regierenden Reichsfürsten in einen Urwähler verwandelt.« 113 »Ständisch« wurde in dieser Argumentation zum Synonym einer historisch gewachsenen, transzendent gestützten Ordnung im Gegensatz zur schrankenlosen Gleichheit, zum willkürlich Neuen, zur »Entwurzelung« – ein geradezu hilfloses Argument, denn die Ständewelt, auf die man sich berief, gab es nicht mehr. »Die alte ständische Gliederung ist factisch nicht mehr vorhanden«, schrieb scharfsichtig Hermann Wagener, denn nicht zuletzt wegen des Gleichheitsparagrafen in der Verfassung gelte: »Ungleichheiten sind zwar noch vorhanden, aber sie schwimmen sporadisch 109 Der Magistrat, die Stadtverordneten-Versammlung, Beuthen a. d. Oder, 24. 3. 1849, I. HA Rep. 169 C 76, Nr. 1b, Verfassungs-Sachen, Adhib. II ., Bl. 15, GStA PK ; vgl. dazu auch Flugschrift, Poln. Würitz, Gr. Reichenbach, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 81, GStA PK . 110 Denkschrift von Ferdinand von Westphalen, vorgetragen am 29. 10. 1851, Anlage, Nr. 4152, zum Schreiben an Geheimen Staatsminister v. d. Heydt, Simons, v. Stockhausen, v. Baumer, v. Bodelschwingh, 1. 11. 1851, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, Bl. 130, GStA PK . 111 Extract, Protokoll Sitzung des Staatsministeriums, Bellevue, 16. 11. 1851, I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, Bl. 146, GStA PK ; vgl. in der Akte auch die Sitzung vom 22. 11. 1851. 112 Vgl. Gerlach, Denkwürdigkeiten. 113 Leopold von Gerlach an Bismarck, 11. 10. 52, in: Briefwechsel, S. 44.

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durcheinander.«114 Die Liberalen sahen das Gleichheitsprinzip bei den Wahlen zwar ebenfalls kritisch, doch verwahrten sie sich gegen die neuständischen Ambitionen. Wie John Stuart Mill sprachen sich immer mehr für ein Pluralwahlrecht aus, das verdienstvollen Personen – und nicht nur den Reichen – mehr Stimmen als anderen zusprach.115 Es ist aufschlussreich, welche Männer gemäß einer konservativen Weltsicht eine Zusatzstimme erhalten sollten. Der Rheinische Bauernverband aus Köln schlug beispielsweise eine zusätzliche Stimme für die Erreichung des 40. Lebensjahrs vor, für die Familiengründung, für die Geburt des 4. Kindes, aber auch für ein Eigenheim, Grundbesitz, ein hohes Einkommen, für das Staatsexamen, den Eintritt in höheren Beamtenberuf oder den Militärdienst, für den 10-jährigen Verbleib eines Arbeiters bei seinem Arbeitgeber oder dafür, fünf Jahre nicht umgezogen zu sein.116 Durch die Hierarchisierung aber erhofften sich die Zeitgenossen nicht zuletzt verlässlichere und berechenbarere Wahlergebnisse.

Willkür der Wahlen Das Allgemeinheitsprinzip und die Gleichmacherei öffneten – drittens – in der konservativen Weltsicht der Willkür Tür und Tor: Plötzlich konnte jedermann mitreden und aufsteigen und damit die gesellschaftliche Hierarchie und den Staat als »eine organische Totalität« (Adam H. Müller) ins Wanken bringen. Dass Wahlen das zentrale Verfahren für die »Institutionalisierung der Ungewissheit« einer modernen Gesellschaft seien (so Niklas Luhmann), also gerade die ohnehin nicht zu vermeidende Unsicherheit zu bannen vermochten, das kam Demokratietheoretikern erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Sinn.117 Bis dahin aber galt die »Willkür« der Wahlen allgemein als Problem. Schon Hobbes hatte im Leviathan eine der Fährnisse von Partizipation genau darin erkannt: »Die Entscheidungen eines Monarchen sind nur so unbeständig wie die menschliche Natur. In Versammlungen dagegen kommt zur natürlichen 114 Grundzüge der conservativen Politik, 1856, zitiert nach: Ruetz, Konservatismus, S. 135; vgl. Hirschman, Rhetoric of Reaction, S. 5. 115 Theorie eines neuen deutschen Wahlgesetzes, Breslau, 1849, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 4–11, GStA PK ; vgl. Schäfer, Verlust, S. 12. 116 Rheinischer Bauernverein, Cöln, Feb. 1918, Rheinischer Bauernverband an Abgeordnetenhaus mit Bitte die 820 Exemplare bei Abgeordneten zu verteilen und bei Herrenhaus-Mitgliedern, 25. 2. 1918, I. HA Rep 169 C 80, Nr. 25, GStA PK . 117 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 153–157; Rustow, Transitions.

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Unbeständigkeit noch die der Zahl.«118 Allgemeine Wahlen galten vielfach als Ausdruck populistischer Herrschaft, als ein Instrument der Demagogen und Putschisten und Revolutionäre, ein Mittel, das Volksverführern freie Bahn bot. Die Willkürlichkeit ergebe sich also auch daraus, dass jede illegitime Elite sich mit Demagogie dem wankenden Volkswillen aufzwingen konnte. »Sehen Sie doch gefälligst dahin, wo wir bereits geheime direkte Wahlen haben«, kommentierte ein Abgeordneter die Forderung nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht und führte zwei Negativbeispiele an: »Ich erinnere z.B. an Amerika. Nach jeder öffentlichen Wahl kommen dort ganze Serien der schamlosesten Wahlbestechungen und Beeinflussungen zu Tage und die Stimmabgabe wird dort mit Revolver und Dolch in der Hand kontrollirt. Denken Sie ferner an die napoleonische Regierung, wie sie ihren Thron befestigt durch Plebiscite.«119 Logische Folge des universal suffrage war in der zweiten Jahrhunderthälfte in den Augen der Konservativen gerade auch die plebiszitäre, diktatorische Herrschaft eines Napoleon III . Für den französischen Monarchen ergriffen allenfalls Außenseiter Partei, die seine Diktatur als angemessene Zähmung des revolutionslüsternen Frankreichs sahen.120 Napoleon habe das »tiefsinnige Wort gegen einen Radikalen gesagt«, schrieb Leopold von Gerlach 1852 an Otto von Bismarck, »er wolle auch überall die Republik, aber mit einer Diktatur«.121 Massenwahlen bedeuteten für diese Hochkonservativen eine Einschränkung der Freiheit durch die Willkürherrschaft der Mehrheit. Gerlach sprach von einer »Alliance« des »Despotismus mit dem Jakobinismus«.122 Nicht nur das universal suffrage also, sondern jede Form von Massenwahlen – auch das Dreiklassenwahlrecht – waren für Menschen mit traditionaler Gesinnung eine Provokation. In der konservativen Deutung, darauf hat Karl Mannheim verwiesen, ist die Welt durchsetzt von Irrationalität, das »Qualitative« wird im Gegensatz zum rational Quantitativen und zur Gleichmacherei in Stellung gebracht, das »Göttliche«, das »Organische«, die »Persönlichkeit als Gegenpol zum Mechanisch-Erfassbaren« ver-

118 Zitiert nach: Schmidt, Demokratietheorien, S. 63. 119 Sten. Ber. pr. AH , 9. Sitzung, 5. 12. 1883, S. 197. 120 Frantz, Louis Napoleon; vgl. Crook, Protest Voting; Gollwitzer, Cäsarismus, S. 32f. 121 Leopold von Gerlach an Bismarck, Sanssouci, 13. 11. 1852, in: Briefwechsel, S. 49. 122 Eintrag vom 7. 8. 1832, Gerlach, Denkwürdigkeiten, S. 171.

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standen.123 Häufig empfahlen Männer des 19. Jahrhunderts »natürliche Autorität« statt Gleichheit, wobei »natürlich« auf etwas selbstverständlich Gültiges, gewissermaßen »Gottgegebenes« verweisen sollte.124 »Autorität, nicht Majorität!«, das war die Devise traditional gesinnter Zeitgenossen gegen die Neuerungen von 1848.125 Trotz der völlig anderen Situation in den USA , wo »das Volk« zwangsläufig die Grundlage für die Legitimation bilden musste, ging auch dort die Ausweitung des universal suffrage mit großem Unbehagen einher. Nun lässt sich in den Vereinigten Staaten anders als in Europa der Konservatismus nicht als eigene politische Strömung ausmachen. Traditionelles Denken mit der konservativen Berufung auf die Gründungsväter war meistens liberal geprägt. Auch wenn zum Entsetzen der Wohlhabenden mehr und mehr weiße Männer als zum Volk gehörig definiert wurden, so konnte doch in den USA aufgrund mangelnder Legitimationsalternativen niemand ernsthaft die Abschaffung der Volksherrschaft fordern, und auch die unteren Schichten hatten anders als in Preußen niemals explizit etwas gegen ihr Wahlrecht einzuwenden. Mit Jackson hatte sich die Politik vulgarisiert, in grotesken Wahlkampfschlachten und am Wahltag ging es seit der Jahrhundertmitte vor allem darum, den »common man« zu bedienen.

Abwendung der oberen Schichten in den USA Die amerikanischen Oberschichten aber in ihrer traditional-liberalen Melange wandten sich von der Politik ab.126 Viele der Alt- und Neureichen widmeten sich – wie oben beschrieben – lieber dem Pferdesport als dem Volk im Wahllokal. Nachdem die Gewalt bei der Stimmabgabe in New York wieder einmal eskaliert war, bemerkte ein Bürger verbittert und zynisch, niemand traue sich im Angesicht der Gewalt, »sich der Majestät der Demokratie entgegenzustellen«.127 Distinguierte und wohlhabende Männer bezeichneten die Wahlen, die sich aufgrund der wachsenden Anzahl der zu wählenden Ämter vermehrten, als »zunehmendes und sehr ernstes Übel«. Alles, was man von diesen Wahlen zu erwarten hätte, seien »Parteigeist, 123 Mannheim, Konservatismus, S. 199f. 124 Vgl. die Akten in I. HA Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 3225, Bd. 1, GS tA PK ; vgl. Beck, Changing Concerns, S. 89. 125 Nipperdey, Bürgerwelt, S. 314. 126 Lawson, Patriot Fires, S. 100; Dahl, Who Governs?, S. 16–24. 127 Eintrag vom 3. 11. 1840, Hone, Diary (Bd. 2), S. 48f.; vgl. zur Abneigung der upper class auch Crick, Democracy, S. 10.

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böse Leidenschaften, Demagogie, Faulheit, Trunkenheit, Mob und Randale. Die Menschen werden in einen Dauerzustand des Aufruhrs versetzt.«128 In eigenen Klubs traf sich diese Elite, die sich bezeichnenderweise als »natürliche Erbaristokratie« (hereditary natural aristocracy) bezeichnete und sich von den »Parvenüs« distanzierte – »wir sind reich, sie sind vulgär«.129 Ein Anwalt aus New Jersey schrieb 1862 von den »blinden Massen, der schweinischen Menge, die uns unter dem verfluchten System des allgemeinen Wahlrechts regieren«.130 Der Freigeist Henry David Thoreau zeigte sich von der neuen Massenpolitik in Kombination mit dem Sklavenhalterstaat angewidert. In seiner furiosen Kritik »Pflicht zum Ungehorsam« finden sich ähnlich wie bei seinen konservativen Zeitgenossen in Preußen romantische, antimoderne Bedenken: »Die Mehrzahl der Menschen dient also dem Staat mit ihren Körpern nicht als Menschen, sondern als Maschinen. […] Sie sind nicht mehr wert als Pferde oder Hunde.«131 Und der ehemalige New Yorker Bürgermeister Philip Hone meinte: »Ich bin voll und ganz davon überzeugt, dass sich unser Land nicht gegen die verheerenden Auswirkungen des allgemeinen Wahlrechts wird behaupten können.«132 Wenn die Gewalt »in den Händen eines niederträchtigen wilden Pöbels« sei133 und wenn »die Wünsche der untersten Klasse« obsiegten, erklärten Intellektuelle wie Ralph Waldo Emerson, »wer kann dann noch daran zweifeln, dass die Stadt der Verwüstung anheimfallen werde«.134 Die typisch amerikanische Erzählung einer irgendwie gearteten guten und richtigen Demokratie in früheren Zeiten ist wie die meisten dieser Erzählungen nostalgisch.135

128 Zitiert nach Brewin, Celebrating Democracy, S. 83; vgl. auch Eintrag vom 6. 12. 1837, Hone, Diary (Bd. 1), S. 283. 129 Frederick Law Olmsted, zitiert in Lawson, Patriot Fires, S. 106, vgl. auch S. 113; vgl. zur Selbstbezeichnung der Eliten (vor allem auch der Sklavenhalter in den Südstaaten) Tindall/Shi, America, S. 419. 130 George T. Strong, zitiert nach Lawson, Patriot Fires, S. 113. 131 Thoreau, Pflicht zum Ungehorsam, S. 10. 132 Eintrag vom 12. 4. 1843, Hone, Diary (Bd. 2), S. 182. 133 Eintrag vom 12. 4. 1843, Hone, Diary (Bd. 2), S. 182, ähnlich der Eintrag vom 4. 11. 1840. 134 Eintrag vom 5. 11. 1834, Emerson, Journals and Miscellaneous Notebooks, S. 360; vgl. die Irritation anderer Zeitgenossen über die Gewalt (Prince, »Riot Year«). 135 Sven Beckert etwa sieht diese gute Zeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts (Beckert, Democracy and its Discontents, S. 132); vgl. zur Ablehnung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts Keyssar, Voting, S. 856.

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Herrschaft der Mehrheit in heterogenen Gesellschaften Der Gedanke der Gleichheit war zwar im Kommen und durch aufklärerische Gedanken forciert, doch sollte dabei nicht übersehen werden, wie neu er doch für viele Menschen war und wie wenig »natürlich« (um in den Begriffen der Zeit zu reden). Das Arrangement der Gesellschaften im 19. Jahrhundert mit einem allgemeinen und häufig auch mit einem gleichen Wahlrecht bleibt ein erklärungswürdiges Phänomen. Staaten wie die USA in ihren ersten Jahrzehnten oder auch Württemberg zeigen, dass die Homogenität einer Gesellschaft ein günstiges Klima für die Einführung eines allgemeinen Wahlrechts schafft. Wichtig ist dafür zugleich, wie oben deutlich wurde, ein Wohlstandssockel, der alle Einwohner materiell auf ein gewisses Mindestniveau anhebt und die Anerkennung – den oben genannten Basalrespekt – gegenüber »allen« Bürgern ermöglicht. Doch was, wenn sich neben der sozialen Schichtung noch ganz andere Heterogenitäten auftun? Insbesondere Kategorien von Rasse und Nation gewannen bis zur Jahrhundertmitte an Relevanz und stellten ein allgemeines Wahlrecht radikal infrage. In Europa schuf die nationale Begeisterung zwar einen fruchtbaren Boden für die Gleichheitsidee, zugleich ging sie mit der Exklusion der Menschen anderer Nation einher,136 schlicht auch deshalb, weil es keine Einheit ohne Grenzen gibt.137 Um die Jahrhundertwende hatte Max Weber die feste Überzeugung gewonnen, Demokratie ließe sich nur in homogenen Nationalstaaten verwirklichen.138 Besonders schwer hatten es Gleichheits- und Demokratieideale, wenn ethnische Grenzen eine Rolle spielten. Dieter Nohlen hat darauf verwiesen, wie überaus schwierig sich die Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in beinahe allen ethnisch heterogenen Staaten gestaltet.139 Wenn Gleichheitsforderungen wie ein universal suffrage in sehr heterogenen Gesellschaften umgesetzt werden, kommt es in aller Regel zu heftigen Spannungen und häufig zu gewalttätigen Konflikten. Eine Herrschaft der Mehrheit in ungleichen Gesellschaften, so der Politikwissenschaftler Arend Lijphart, bedeutet »eher Konflikte zwischen den Bürgern als Demokratie«, und ein universal suffrage sei dann »nicht nur

136 137 138 139

Rapport, Revolution, S. 8. Flaig, Mehrheitsentscheid, S. 89. Vgl. Müller, Das demokratische Zeitalter, S. 20. Nohlen, Wahlrecht, S. 50.

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undemokratisch, sondern auch gefährlich«.140 In Staaten wie der Ukraine, Ägypten oder Thailand offenbart sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts eben dieses Problem. Manchmal gelingt es Eliten, den Konflikt durch ein aggressives Othering zu ihren Gunsten zu lösen: Unter Beibehaltung der Gleichheitsrhetorik werden unerwünschte Gruppen als andersartig definiert und ausgeschlossen, im Extremfall sogar ermordet. In den USA zeigten sich diese Reaktionsmuster im 19. Jahrhundert. Da die Gleichheitsrhetorik quasi im genetischen Code des Staates enthalten und nicht mehr zu stornieren war, lösten die weißen Amerikaner die als gefährlich empfundene Heterogenität durch einen Ausschluss breiter Gruppen wie der Afroamerikaner, der Native Americans, der Chinesen, zuweilen der Mexikaner und später noch weiterer Gruppierungen wie der Mormonen oder der Analphabeten. Es war nicht zuletzt der sich ins Unerträgliche steigernde Konflikt zwischen Gleichheitsanspruch und Heterogenität, der den Bürgerkrieg mit herbeiführte. So beförderte gerade die Gleichheitsrhetorik in den USA Ausgrenzungen und die Eliminierung der Anderen aus der Staatsbürgerschaft. Wie auch immer man den Weg der »Revolution von oben« bewerten möchte, den die meisten europäischen Länder gingen: Während stärkere Staaten Modernisierungsprozesse einer gesellschaftlichen Pluralisierung dirigieren und damit ihre Minderheiten schützen konnten (wie in Preußen, wo Juden, Katholiken und Polen als Staatsbürger grosso modo staatsbürgerliche Rechte genossen), war dies in einem schwachen Staat wie den USA kaum möglich. Martin Kirsch kann für Frankreich zeigen, wie die Einführung eines gleichen Massenwahlrechts in einer heterogenen Gesellschaft Wahlen in Verruf brachte und die Wahlpraxis verkomplizierte.141 In Preußen hingegen ließen sich die Regierenden mit dem Dreiklassenwahlrecht nur beschränkt auf die Forderung nach Gleichheit ein. Aus Sicht einflussreicher Eliten entspannte das die Lage, womit das Klassenwahlrecht wahrscheinlich maßgeblich die reibungslose Einführung eines allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts auf Reichsebene ermöglichte. Damit bestätigt sich die These Karl Heinrich Pohls, der das preußische Wahlrecht als einen »notwendigen Zwischenschritt« zum gleichen Wahl-

140 Lijphart, Democracies, S. 3 u. 22f.; ähnlich Rokkan, Staat, Nation und Demokratie, S. 44. 141 Kirsch, Monarch und Parlament, S. 395.

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recht interpretiert, und somit als einen »angemessenen Weg in die Moderne«. 142 Das Argument der Willkür allgemeiner Wahlen wurde in den USA ebenfalls beschworen. Dabei waren es immer die Anderen, die zu Unrecht als »Gleiche« behandelt wurden und die als Wähler ein zu großes Risiko bedeuteten. »Die Föderalisten errichteten die starken Mauern, zwischen denen der Strom der Demokratie bis jetzt kräftig, aber sicher dahingeflossen ist«, hieß es nach dem Bürgerkrieg in einer historischen Interpretation des Wahlrechts. »Aber das Wasser ist immer weiter angestiegen; die Dämme haben beunruhigend anzusehende Risse, und der angeschwollene Strom droht die Deiche brechen zu lassen.«143 Die Dummheit vieler Wähler sei eine Gefahr für die Staatsmacht, hieß es an anderer Stelle.144 Als die African Americans 1867 das Wahlrecht erhielten, erklärte ein Politiker bedauernd, das sei eine Revolution, und »niemand kann die Auswirkungen einer Revolution vorhersagen«.145 Wir werden sehen, wie in den Turbulenzen der Jahre nach dem Bürgerkrieg das allgemeine Wahlrecht noch stärker in Misskredit geriet. Auch in den USA erhoben sich Bedenken, die Willkür der Wahlen sei für das sensible Staatsgebilde hochproblematisch. Dabei wurde eine verblüffend republikanische Variante dieses Arguments angeführt. In einer Monarchie könnte man leicht für Gleichheit sorgen, hieß es in einer Zeitung in South Carolina, als das obligatorische Wahlrecht für Afroamerikaner eingeführt wurde, jedoch: »In einer Republik ist das Volk der Souverän und muss vernünftig und tugendhaft sein; andernfalls wird seine Regierung die ekelhafteste Tyrannei und Unterdrückung praktizieren.« 146 Neben den Afroamerikanern verstärkten Immigranten die Sorge der Amerikaner, dass alte, bewährte Ordnungen untergraben würden und anarchische Elemente die Oberhand gewöhnnen. Die ausländerfeindliche Know-Nothing-Partei, die in den 1850er Jahren die politische Landschaft dominierte, verlieh dem eindrucksvoll Ausdruck.147

142 143 144 145 146 147

Pohl, Kommunen, S. 118 u. 130. »Limited Sovereignty in the United States«, Atlantic Monthly 43, Feb. 1879, S. 188. Ebenda, S. 185. Foner, Reconstruction, S. 279. »Letter from Hon. B. F. Perry«, Anderson Intelligencer, 12. 6. 1867. »A Democratic Voter«, Caricatures, c. 1835–5, NYHS .

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Zwei wesentliche Unterschiede zwischen Preußen und den USA drängen sich jedoch auf: Erstens galt die Rationalität der Wahlen in den USA so gut wie niemandem als Manko, da traditionale Legitimation ausgeschlossen blieb. Das Problem, das sich Intellektuellen stellte, war die faktische Irrationalität des Wahlaktes. Zweitens gehörten Wahlen in Amerika viel selbstverständlicher zur Lebenswelt als in Preußen: Man konnte der Wahl fernbleiben, man konnte die Nase darüber rümpfen wie die Männer der Oberschicht. Trotzdem bildeten Wahlen für alle einen selbstverständlichen Teil des amerikanischen Lebens – ebenso wie Einwanderer oder das Loblied auf die Freiheit.

Demokratie und ihre Einhegung Wie also lässt sich erklären, um die Frage dieses Kapitels nochmals in Erinnerung zu rufen, dass diese traditionell gesinnten Gesellschaften das allgemeine Wahlrecht letztlich doch akzeptierten? Entscheidend ist zunächst der Umstand, dass die Geschichte der Demokratie immer zugleich die Geschichte ihrer Eindämmung ist.148 Wahrscheinlich hätte sich das allgemeine Wahlrecht sonst gar nicht entfalten können – und, so ließe sich hinzufügen, sonst wäre das allgemeine Wahlrecht wohl nicht so erfolgreich geworden. Versuche, den Volkswillen in seiner Reinheit zu exekutieren, wie es etwa Rousseau vorgesehen hatte und beispielsweise in späteren Rätesystemen erprobt wurde, scheiterten nach kurzer Zeit. Erfolgreiche massenpartizipatorische Regierungsformen hatten und haben ein ausgeprägtes System von checks and balances.149 Thomas Jefferson, dessen demokratische Gesinnung als unumstritten gilt, erklärte, man habe nicht für einen »Wahldespotismus« (elective despotism) gekämpft; auch ein gewählter Despot bleibe von Übel, entscheidend sei die Gewaltenteilung: »Die Regierungsform, die wir suchten, sollte nicht allein auf freien Grundsätzen beruhen, sondern auch die Gewalt derselben zwischen politische Körper-

148 Morgan, Inventing the People, S. 268f.; Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 251–254; auch der Vorschlag von Buchstein und Hein, in Europa ein »House of Lots« einzuführen, kann als eine solche Einschränkung interpretiert werden (»Der Demokratie in Europa täte es gut, wenn Macht ausgelost würde«, FAZ , 5. 10. 2011). 149 Eine kritische Einschätzung des Systems von »checks and balances« findet sich bei Buchstein/Jörke, Unbehagen, insbes. S. 474–478 u. 485.

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schaften sollte so aufgeteilt und ausgewogen sein, daß keine ihre gesetzmäßigen Grenzen überschreiten könnte, ohne sogleich von der anderen zurückgehalten zu werden.«150

Repräsentation und Zweikammersystem Die wichtigsten Einschränkungen sind wohl die Institutionen der Repräsentation und die verfassungsmäßige Rechtsstaatlichkeit (die sich besonders in einer Verfassungsgerichtsbarkeit wie dem amerikanischen Supreme Court ausdrückt).151 Aber es gibt weitere institutionelle Einschränkungen, wie das Zweikammersystem, die für die Wahlpraxis besonders relevant sind. Zeitgenössische theoretische Überlegungen in Europa sahen die erste Kammer wie in England als »erbliche Kammer« des Adels oder – entsprechend den Vorstellungen der Liberalen – als Kammer der besonders Erfolgreichen und Einflussreichen, sodass das passive Wahlrecht dafür häufig an einen besonders hohen Zensus gebunden wurde.152 In den USA galt der Senat explizit als Parlament der »besseren Art«: Senatoren wurden für sechs Jahre bestimmt – die Abgeordneten im Repräsentantenhaus nur für zwei Jahre. Der Senat wurde nie komplett ausgewechselt, nur gestaffelt wurde alle zwei Jahre ein Drittel der Senatoren abgelöst. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch gab es US -Staaten, in denen Senatoren nicht durch Volkswahl, sondern von Staatsregierungen gekürt wurden. In manchen Einzelstaaten wie New York oder North Carolina galt für die Wähler der ersten Kammer ein höherer Besitzzensus. Eine gewisse Distanz des Senats zum Volkeswillen schuf darüber hinaus die Tatsache, dass jeder Staat unabhängig von seiner Bevölkerungszahl auf Bundesebene zwei Senatoren stellte. In South Carolina wurde die erste Kammer des Staates ebenso elitär besetzt, sodass das Lowcountry an der Ostküste mit den wohlhabenden Plantagenbesitzern und reichen Händlern darin stets ein Übergewicht hatte, das noch durch die Übermacht des Senats gegenüber dem Repräsentantenhaus South Carolinas potenziert wurde.153 In deutschen Ländern 150 Jefferson, Betrachtungen, S. 256. 151 Vgl. zur »Bindung und Einhegung« von Demokratie durch das verfassungsstaatliche Prinzip: Kielmansegg, Demokratische Legitimation, S. 644 u. 648. 152 Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 112; Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 84; Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 124; vgl. dazu auch Nolte, Gemeindebürgertum, S. 347. 153 Simon, Devaluation, S. 236; Meyer, Wahlrecht, S. 41f.

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wurden – typisch für Oberhäuser generell – die ersten Kammern häufig nicht nur mit Adligen oder vom Monarchen bestimmten Personen besetzt, sondern auch durch eine Vertretung der Kirchen oder Universitäten (so in Baden beispielsweise über viele Jahre von dem Liberalen Carl von Rotteck für die Freiburger Universität). In manchen Ländern wie Württemberg und Baden besaßen auch Vertreter von Handel oder Industrie einen festen Sitz im Oberhaus.154 In Preußen trug die Erste Kammer, die seit 1854 Herrenhaus genannt wurde, wohl nicht wenig zur Beruhigung der Gemüter bei. In diesem »Junkerparlament«, wie es Spötter nannten, saßen überwiegend Mitglieder des Adels, die ihren Sitz erbten oder auf Lebenszeit verliehen bekommen hatten.155 Die Kammer hatte eine sehr beschränkte Außenwirkung, besaß jedoch ein beachtliches Vetorecht. Darin glich sie dem englischen »Upper House«, das ebenso wenig demokratisch legitimiert war wie das preußische.156 Als die Sozialdemokraten bei den Reichstagswahlen 1912 ihren überwältigenden Sieg mit einem Drittel aller Stimmen einfuhren, wurden Rufe laut, zu ihrer Abwehr ein »Reichsoberhaus« einzurichten.157 Oberhäuser haben »mit Volksvertretung […] schlechterdings gar nichts zu schaffen. Sie bilden der Idee nach ein Gegengewicht«, so Max Weber.158 Oder, um das Phänomen der demokratischen Selbstbeschränkung mit den Worten von Karl Marx zuzuspitzen: »Jeder Paragraph der Konstitution enthält nämlich seine eigene Antithese, sein eigenes Ober- und Unterhaus in sich, nämlich in der allgemeinen Phrase die Freiheit, in der Randglosse die Aufhebung der Freiheit.«159

154 Zusammenstellung der Vorschriften über die Bildung der Ersten Kammern in den Deutschen Bundesstaaten, I. HA Rep 169, 80, Nr. 22, Bd. 2, 1917, GStA PK ; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 346. 155 Nipperdey, Bürgerwelt, S. 680f.; Ruetz, Konservatismus, S. 131; »Die Sozialdemokratie und die Landtagswahlen«, Die Post, 10. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, 15, BA . 156 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 857. 157 »Ein deutsches Reichsoberhaus«, Fränkischer Courier, 14. 10. 1913; »Abänderung des Reichstagswahlrechts oder Schaffung eines Reichsoberhauses?«, Pfälzische Presse, 21. 10. 1913, u. weitere Artikel in R 8043 II / 5853, BA . 158 Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 363. 159 Marx, Der achtzehnte Brumaire, S. 24.

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Indirektheit und Wahlen als Performanz der Bürgerlichkeit Eine ähnliche Funktion zur Einschränkung der Demokratie erfüllte die Indirektheit der Wahlen. Die amerikanischen Verfassungsväter waren sich sicher, dass »das Volk niemals eine ausreichende Kenntnis des menschlichen Charakters besitzen werde, um eine intelligente Wahl zwischen den sich bewerbenden Kandidaten zu treffen« – man könne ebenso gut dem Volk die Wahl des Präsidenten überlassen wie einem Blinden die Prüfung von Farben.160 Die konservativ gestimmten Federalist Papers, wohl die berühmtesten Dokumente der Ambivalenz zwischen Demokratie und ihrer Einschränkung, sahen in der Indirektheit ein probates Mittel gegen »Kabale, Intrigen und Korruption«, gegen »Aufruhr und Ungehorsam«: »Die Wahl mehrer Personen, die eine zwischengeschaltete Körperschaft von Wahlmännern bilden, wird viel weniger dazu angetan sein, die Gemeinschaft durch Unruhen zu erschüttern«, heißt es in Nr. 68 von Alexander Hamilton über die Wahl des electoral college, das den Präsidenten wählte.161 Angesichts der zunehmenden Korruption und Gewalt bei den Wahlen bildeten die indirekten Präsidentschaftswahlen tatsächlich einen augenfälligen Kontrast der nüchternen Diszipliniertheit, wenn die Wahlmänner in den Parlamentsgebäuden der Einzelstaaten zusammentraten und in den immer gleichen Worten ihr Wahlergebnis nach Washington meldeten.162 Hier fanden Wahlen ganz nach dem Herzen liberaler Bürger statt. Die mit rotem Siegel nach Washington eingesandten Stimmzettel und die mitgeschickte Liste der Wahlmänner zeugen von diesem bürgerlich-distinguierten Geist (Abb. 17). Hier wie so oft in der Geschichte der politischen Partizipation und der Demokratie wird deutlich, dass die Wahl eine durch und durch bürgerliche Technik ist: mit dem Individuum im Mittelpunkt, mit schönem Papier, mit feiner Handschrift und kalligrafischem Detail trotz der Verpflichtung zur Nüchternheit.

160 Zitiert nach: Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 296. 161 Hamilton u.a., Federalist Papers, Nr. 68, 14. 3. 1788, S. 405; vgl. dazu die zustimmenden Überlegungen von I. H. Wheeler, 14. 12. 1876, Samuel J. Tilden papers, Box 71, Folder 1, NYPL . 162 Briefe aus den Einzelstaaten an die Zentralregierung, Electoral Votes, Sen. 22A-J1 + Sen. 22A-K1 bis Sen. 38A-K1, NARA .

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Abb. 17 Bürgerliche Techniken. Wahlergebnisse aus New York für die Präsidentschaftswahl 1840 mit der Auflistung der Wahlmänner National Archives, Sen 26 A-J1 Presidential Elections 1840

Ursprünglich wurden selbst die Wahlmänner des electoral college nicht vom Volk gewählt, sondern von den Staatsregierungen bestimmt. South Carolina stellte als letzter Staat und nur gezwungenermaßen erst nach dem Bürgerkrieg die Wahl der Präsidentenwahlmänner dem Volk anheim. Die Indirektheit der Präsidentenwahl aber blieb erhalten, auch wenn sie heute nur noch eine Formalie ist. Es lohnt sich, die Ausführungen des katholischen Abgeordneten Reichensperger aus der preußischen Nationalversammlung anzuschauen, um den Horizont zu verstehen, in dem die Männer in der Jahrhundertmitte den Wahlmodus der Indirektheit interpretierten – Reichensperger zitiert den Franzosen Tocqueville, der die Weisheit der amerikanischen indirekten Wahl für den Senat preist: »Tocqueville sagt: Wenn man in den Saal der Repräsentanten zu Washington tritt, so fühlt man sich von dem gemeinen Aussehen dieser Versammlung betroffen. […] Es sind größtentheils DorfAdvokaten, Krämer, ja selbst Männer aus den untersten Klassen. […] Zwei Schritte von hier öffnet sich der Saal des Senats, dessen enger Raum einen großen Theil der Berühmtheiten Amerika’s enthält. Kaum erblickt man hier einen Mann, der nicht an frisch erworbenen Ruhm erinnert. […] Die

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Abb. 18 Wenige Herren, schöne Handschrift, edles Papier, rotes Siegel: Die Indirektheit des Wahlaktes dämmte die Risikohaftigkeit der Wahlen ein und garantierte bürgerliche Dominanz. Stimmzettel der indirekten Präsidentenwahl, 1840 National Archives, Sen 22 A-J1 Presidential Elections 1840

Wahl, welche die Repräsentantenkammer bildet, ist eine direkte; diejenige, aus welcher der Senat hervorgeht, unterliegt zwei Wahlstufen.«163 In Deutschland gehörte 1848 die Indirektheit der Wahlen zu den umstrittensten Punkten des Wahlmodus.164 Zuletzt setzten sich bei der Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung die Bedenkenträger mit einem indirekten Wahlverfahren durch, auch wenn sich Einzelstaaten wie Württemberg davon distanzierten. Die Wahlen zur preußischen Nationalversammlung 1848 und 1849 waren ebenfalls indirekt. So wurde der indirekte Wahlmodus immer wieder als Garant für Sicherheit ins Feld geführt: gegen das »Hazardspiel« direkter Volkswahlen und für die Heranbildung einer 163 Sten. Ber. pr. AH , 22. 10. 1849, S. 813f. 164 »Direkte oder indirekte Wahlen«, Vossische Zeitung, 14. 5. 1848; Comité für die Reichstags-Wahlen in Trier an Fünfzigerausschuss, Trier, 21. 4. 1848, DB 1 / 21, BA .

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»politischen Notabilität«, die den »dauernden Interessen des Staates eine viel größere Garantie biete als die Masse, die, vom Winde zusammengeweht, unter dem Einfluss der wechselnden Tagesmeinung wähle«.165

Abscheu vor Wahlagitation In Preußen waren es insbesondere die Liberalen, die auf den elitären Effekt der indirekten Wahlen hofften. Wenn man denn wirklich »das ganze Volk oder den größten Teil desselben zum Wahlrecht« berufe, erklärte in den 1830er Jahren Carl von Rotteck, dann sei die indirekte Wahl sinnvoll.166 Heinrich von Sybel erläuterte, ein direktes Wahlrecht führe zur »Appellation an die Leidenschaften und Abwesenheit verständiger Diskussion […], während das indirekte Wahlverfahren notwendig die umgekehrte Richtung entwickeln muß«.167 Gerade die Abwesenheit von Volkserregung erschien vielen Preußen als ein Nachweis für die Nützlichkeit des Dreiklassenwahlrechts.168 »Über diesen Wahlen ruht etwas Dämpfendes, gleich einem Schleier«, schrieb die zionistische Zeitung Die Welt, »die politischen Gegensätze scheinen gesänftigt, als wenn alle scharfen Spitzen der politischen Pfeile umgebogen wären.«169 In den amtlichen Informationsberichten aus Pommern hieß es regelmäßig, die Landtagswahl sei »ruhig und ohne bemerkenswerthe Agitation der Oppositionsparteien« verlaufen; die »Landbevölkerung ist in ihrer großen Mehrheit konservativ und königstreu gesinnt und hat diese Gesinnung auch bei den Wahlen bestätigt«.170 Im Kaiserreich mahnten die Regierungen bei anstehenden Neuwahlen regel-

165 So in der Zusammenfassung von Below, Wahlrecht, S. 157; s.a. Bericht der Kommission für Revision der Verfassung, Zweite Kammer, Nr. 237, 13. 10. 1849, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 1, 13–17, GStA PK ; Protokoll der ersten Sitzung der Wahlrechtskommission. Zweiter Teil nach der Pause: 15. 2. 1910 (Preußisches Abgeordnetenhaus), I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 2e, GStA PK ; Votum des Ministers des Innern, v. Westphalen, Berlin, 31. 1. 1855, 5f., I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, BA ; vgl. Biefang, Modernität wider Willen, S. 244. 166 Rotteck, ca. 1833/34, zitiert nach: Becht, Wahlen, S. 24; Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 147. 167 Zitiert nach: Below, Wahlrecht, S. 16. 168 Vgl. Gneist, Nationale Rechtsidee, S. 269; vgl. Brief Westphalen an Manteuffel, 15. 12. 1855, Bl. 22, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111. 169 »Zu den Landtagswahlen in Preußen« von Max Aram, Die Welt, 30. 9. 1898. 170 Zeitungsbericht des Regierungspräsidenten an den Kaiser, Köslin, 18. 11. 1898, I. HA Rep. 89, 16006, GStA PK ; Immediatzeitungsbericht des Oberpräsidenten, Stralsund, 24. 11. 1903, I. HA Rep. 90A, 3906, GStA PK .

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mäßig zur Eile, um die prekäre Situation des Wahlkampfes möglichst kurz zu halten.171 Der Freikonservative Publizist und Politiker Otto Arendt pries um die Jahrhundertwende die Schnelligkeit, mit der in Großbritannien Parlamentsauflösungen und Neuwahlen nacheinander folgten: »Die Entscheidung fällt schnell, das Land wird weder in eine lange Erregung versetzt, noch durch eine vielwöchige Wahlbewegung beunruhigt«, erläuterte er. »Der große Vorzug einer schnellen Wahl liegt auf der Hand. Die Wählerschaft gibt ihr Urteil nicht auf Grund langwieriger Beeinflussungen durch Presse und Agitation.«172 Auch wenn das Bedürfnis nach ruhigen Wahlen in Preußen besonders ausgeprägt war, so findet es sich doch auch in anderen Ländern. Wie wir gesehen haben, fühlten sich amerikanische Bürger vielfach angewidert von der Wahlpropaganda. Überall fanden sich Überlegungen, wie man Parteienkämpfe dämpfen und den Bürgern politische Auseinandersetzungen ersparen könne.173 Benjamin Constant hatte festgestellt, dass politische Erregung für die »modernen Nationen« nur »Unruhe und Ermüdung bedeutet«.174 Auch heute noch wird das Argument vertreten: eine gewisse »Indifferenz« sei nötig, so der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme, »um Toleranz und das ruhige Klima zu schaffen, die der Erhaltung einer Demokratie dienlich« seien.175

Offene Stimmabgabe Ein weiterer Wahlmodus schien nach Einschätzung der Zeitgenossen einschränkend im konservativ-traditionalen Sinne zu wirken: die offene Stimmabgabe. Das geheime Stimmrecht wurde in der ersten Jahrhunderthälfte vor allem von gebildeten Eliten wie den preußischen Reformern gefordert. In New York hieß es 1838 im Board of Aldermen gegen die anwachsende Wahlmanipulation: »Warum wird bei der Ermittlung des Wählerwillens der Wahl mit Stimmzetteln gegenüber der mündlichen Stimmabgabe der Vorzug eingeräumt? Einfach darum, weil Erstere dem Wähler 171 Bismarck an Puttkamer, Berlin, 11. 12. 1884, u. Ministerium des Innern (eigenhändig) an Staatsministerium, Berlin, 18. 12. 1884, R 43, Nr. 685 (Alte Reichskanzlei), BA . 172 »Was wir Deutschen bei den englischen Wahlen lernen können«, Der Tag, 7. 12. 1910, S. 1. 173 »Propositions of Amendments to the Constitution of the United States«, Washington, 1830, S. 3–6, NYPL ; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 33. 174 Constant, Über die Freiheit der Alten, S. 374. 175 Beyme, Demokratie, Sp. 1135.

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eine größere Unabhängigkeit bei der Ausübung seines Wahlrechts einräumt.«176 Doch blieb das Prinzip der Geheimhaltung bis zum späten 19. Jahrhundert ein Abstraktum, das in der Praxis kaum Sinn ergab. Die Dichotomie zwischen geheimen und öffentlichen Wahlen ist über viele Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ahistorisch, denn die Frage spielte kaum eine Rolle.177 Selbst Wahlen, die dem Gesetzestext nach geheim waren, wie etliche der US -amerikanischen, liefen häufig anders ab. In Anbetracht der sich ausbreitenden Massenwahlen ist es verständlich, dass das viva voce in der zweiten Jahrhunderthälfte zuweilen wieder verordnete wurde. So schrieben es verschiedene US -Staaten erneut vor, und die revidierte preußische Städteordnung von 1853 ordnete – anders noch als die revidierte von 1831 – die »mündliche und laut zu Protokoll gegebene« Stimmabgabe an.178 Der öffentliche Wahlakt beim Dreiklassenwahlrecht kann in vergleichender Perspektive daher nicht als »Innovation« einer Junkerelite gewertet werden, die allen bisherigen Wahlpraktiken »Hohn« spreche, wie die Forschung zuweilen annimmt.179 Aus England stammte die Argumentation, bei einer offenen Abstimmung könne niemand im Verborgenen Stimmen für einen bösen Zweck erkaufen, weil die Wahl enthüllen würde, wer sich von dunklen Mächten habe einlullen lassen.180 Bis 1872 entschieden sich die britischen Abgeordneten stets aufs Neue gegen das geheime Wahlrecht. Die Geschichte des Parlaments sei schließlich der fortwährende Kampf für Öffentlichkeit gewesen, erklärte der Reformpolitiker John Russell.181 Die preußische Regierung begründete 1849 die öffentliche Abstimmung nicht zuletzt damit, dass sie auch in England gelte und »dort zu den Bedingungen der echten konstitutionellen Freiheit gerechnet« werde. Weiter hieß es, die geheime Abstimmung sei ein »Krebsschaden der Intrigue«, der »unter dem Deck-

176 Documents of the Board of Aldermen, of the City of New York. 1838–1839, Volume V, No. 11, S. 149, Board of Aldermen, 30. 7. 1838. 177 Buchstein plädiert dafür, den Dualismus zwischen öffentlicher und geheimer Wahl aufzugeben und die hybriden Formen einer »observable vote« in den Blick zu nehmen (Buchstein, Public Voting, S. 45). 178 § 23, Städte-Ordnung für die Sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, 30. 5. 1853, A Rep. 000–02–01, Nr. 1240, Bl. 1, LAB ; Bourke/DeBats, Identifiable Voting, S. 263f., 269f. u. 274. 179 Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 52f. u. 56f. 180 Bourke/DeBats, Identifiable Voting, S. 274. 181 Anderson, Practicing Democracy, S. 58f.; Mill, Repräsentativregierung, S. 175.

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mantel des heimlichen schriftlichen Verfahrens ungestört zu wuchern vermag«.182 Ganz ähnlich war in der Paulskirche auch von liberaler Seite argumentiert worden.183 Öffentliche Stimmabgabe wurde mit dem Anspruch verbunden, dass republikanische Tugenden der männlich öffentlichen Auseinandersetzung bedürften. Männer von Rang und Namen, Persönlichkeiten aller Couleur, wie Ludwig Windthorst, Rudolf von Gneist oder Heinrich von Treitschke, traten mit diesen Begründungen für das offene Wahlrecht ein.184 Der ultrakonservative preußische Innenminister Puttkamer führte 1883 aus, die geheime Wahl liege im »Widerspruch« gegen die »ganze Entwicklung in dem modernen Staatswesen. Die Öffentlichkeit ist es, welche nach einer weitverbreiteten Meinung alles beherrschen soll. Die Presse leuchtet mit dem grellen Schein ihrer Blendlaterne in jeden Winkel […]. Gerade bei der wesentlichsten Bethätigung des politischen Lebens, oder bei demjenigen Akte, der dazu bestimmt ist, diejenigen zu wählen, welche hier in den Räumen dieses Hauses das Wohl des Volkes wesentlich zu vertreten haben, gerade da soll mit einemmale von der Öffentlichkeit keine Rede sein.«185 War das eine taktische Argumentation? Immerhin verteidigten nicht nur preußische Liberale und Konservative, sondern auch Montesquieu und John Stuart Mill mit eben diesem Argument die offene Stimmabgabe.186 Wie so oft in Wahlrechtsfragen wurde auch der Nationalcharakter angeführt: eine offene Wahl entspreche »dem deutschen Wesen«.187 Der Jurist und Reichstagsabgeordnete Georg Meyer meinte, das geheime Wahlrecht erziehe das »Volk zur Charakterlosigkeit«.188 »Einem freien Volke ist

182 Denkschrift Nr. 40, Staatsministerium, über die König. Verordnungen vom 30. 5. 1849, Sammlung sämmtlicher Drucksachen der Zweiten Kammer, Bd. 1. Nr. 1 bis 100. Berlin 1849. 183 Vogel u.a., Wahlen in Deutschland, S. 332. 184 »Das Zentrum und das Reichstagswahlrecht«, Kreuzzeitung, 20. 1. 1898; »Das Centrum und das Reichtags-Wahlrecht«, Kölner Volkszeitung, 21. 1. 1898; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 385f.; Below, Wahlrecht, S. 17f.; Gneist, Nationale Rechtsidee, S. 219f.; Redebeitrag Puttkamer Sten. Ber. pr. AH , 5. 12. 1883, S. 194. 185 Puttkamer in der 9. Sitzung, Preußisches Haus der Abgeordneten, 5. 12. 1883, S. 195. 186 Nolte, Demokratie, S. 132; Anderson, Practicing Democracy, S. 58f.; Mill, Repräsentativregierung, S. 175; vgl. auch Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 244. 187 »Zur Revision des Reichstagswahlrechts«, in [unleserl., evtl. Berliner Zeitung, die hier die Deutsche Tageszeitung zitiert], 4. 11. 1897, RLB R8034, II , 5075, 31, BA ; Mergel, Wahlkabine, S. 336. 188 Meyer, Wahlrecht, S. 561 u. 558.

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nichts so unentbehrlich, als der persönliche Muth des Mannes, seine Überzeugung offen auszusprechen«, lautete der Kommentar des Staatsministeriums.189 Die Befürworter der offenen Abstimmung scheuten sich nicht, die Öffentlichkeit der Wahlen gerade dafür zu rühmen, dass sie den »natürlichen Autoritäten« einen großen Einfluss gewährten. Auch hier trafen sich die Ansichten von Konservativen und Liberalen. Solange ein Bürger das Stimmrecht habe und nicht in der Lage sei, dieses selbständig auszuführen, sei es besser, seine Entscheidung allein nicht seinem Gutdünken auszuliefern. Sobald ein Bürger genug Selbstständigkeit besitze, werde er seine Meinung frei und offen vertreten können.190 Ernst Ludwig von Gerlach erklärte im Abgeordnetenhaus, die Wähler seien ohnehin verschiedenen Einwirkungen ausgesetzt, daher müsse das Wahlprozedere dafür sorgen, »dass man den richtigen Einflüssen unterliegt«.191 Deutlich zeigt sich hier die Vorstellung von der Fragilität und Risikohaftigkeit der Volkswahlen. Manche Zeitgenossen glaubten, der Untergang des Römischen Reiches sei auf die Praxis der geheimen Abstimmung zurück zu führen.192 Die Argumente für offene Wahlen in den Vereinigten Staaten ähnelten denen in Europa. »Frei und offen« (free and open) gehörten in den amerikanischen Wahlgesetzen häufig zusammen.193 Der radikal-republikanische Senator Lyman Trumbull erklärte: »Ich möchte in jedem Mann einen unabhängigen Wähler sehen, der sich nicht heimlich zur Wahl schleicht und seine Entscheidung hinter einem geheimen Stimmzettel versteckt.«194 Die New Yorker Stadtväter befürchteten, dass geheime Wahlen lediglich zu »Verwirrung« führten.195 Um 1880 traten die reformerischen Mugwumps für

189 Denkschrift Nr. 40, Staatsministerium, über die König. Verordnungen vom 30. 5. 1849, Sammlung sämmtlicher Drucksachen der Zweiten Kammer, Bd. 1. Nr. 1 bis 100. Berlin: W. Moeser und Kühn, 1849. 190 Puttkamer in der 9. Sitzung, Preußisches Haus der Abgeordneten, 5. 12. 1883, S. 194. 191 Sten. Ber. pr. AH , 2. Sitzung, 3. 12. 1855, S. 14. 192 Anderson, Practicing Democracy, S. 59. 193 Constitution, State of Montana, 22. 2. 1889, S. 5, RG 59 General Records of the Department of State, Misc. Corresp. 1784–1906, Entry 122, Box 2. 194 Redebeitrag Trumbull Senatsdebatte, 14. 3. 1867, The Congressional Globe, S. 101. 195 Report, adopted, 26. 1. 1829, NYC Common Council Papers, Box 122, Folder 2218, Elections 1829, NYCMA ; s.a. die »returns«, die den Namen der Wähler mit dessen Votum auflistet, in: Report of Commission, 24. 12. 1824, NYC Common Council Papers, Box 90, Folder 1863, Elections 1824, NYCMA .

Demokratie und ihre Einhegung

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die offene Wahl ein, mit dem altbekannten Argument, ein echter Mann müsse für seine politische Meinung offen eintreten können.196 Es gibt weitere Aspekte der öffentlichen und geheimen Stimmabgabe. Die Klanggeschichte etwa könnte darauf verweisen, welche Bedeutung das Kampfgetön bei amerikanischen Wahlen und der Ruf der männlichen Stimmen für die Gemeinschaftsbildung gehabt haben mögen. Weil die offene Stimmabgabe eine leichtere Kontrolle über das Wählervotum ermöglichte, trug sie in Preußen zur Disziplinierung und in den USA zur Korruption bei.197 Kurz: Das romantisch-kollektive Konzept der öffentlichen Wahl entsprach jenen Wahlfunktionen, die bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte hinein dominierten: die kollektive Identifikation, die Nutzbarmachung des Individuums und das Bedürfnis der Obrigkeit, die Bürger ins Kollektiv einzubinden. Wobei »Obrigkeit« in den USA mit den Parteien lokaler war und daher stets auch »volksnäher«. Anders als Stein Rokkan nahelegt, war die Entwicklung geheimer Wahlen also nicht eine zwangsläufige Begleiterscheinung des Massenwahlrechts.198 Die forcierte Geheimhaltung Jahrzehnte später signalisierte vor allem eine neue Funktionszuschreibung für Wahlen als Teil des Differenzierungsprozesses, nämlich als rationale Entscheidungsfindung der Politik, die nicht mit anderen Systemen kollidieren sollte: Weder Parteien noch Kirchen noch die Dorfgemeinschaft oder sonst ein anderer gesellschaftlicher Bereich sollten das sachlich begründete Votum des Bürgers beeinträchtigen. Nicht zufällig kam eine entscheidende Innovation für die Geheimhaltung nicht aus einer heterogenen Gesellschaft, sondern aus einer homogenen weißen Männergemeinschaft: 1856 wurde auf der australischen Insel Tasmania, wo nach der Ermordung der Urbevölkerung und der Einführung einer weitgehenden Autonomie gegenüber dem britischen Mutterland demokratisches Leben aufblühte, das Australian Ballot erfunden: eine Wahltechnik für die geheime Wahl, die in vielen Variationen bis heute die globale Wahlpraxis prägt.

196 Buchstein, Geheime Abstimmung, S. 56. 197 Vgl. Kap. 4; vgl. auch Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 199 et passim. 198 Rokkan, Mass Suffrage.

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Neuinterpretationen und konservative Aneignung Wie sah der Weg konkret aus, der die Konservativen zu ihrem Arrangement mit modernen Wahlen geführt hatte?199

Konservative im Parteienbetrieb So wie sich nach 1848 bei den preußischen Liberalen ein konservatives Sicherheitsbedürfnis regte, so entwickelte sich bei vielen Konservativen der Wille zur Erneuerung. Seit der Jahrhundertmitte organisierten sich in Preußen royalistische Vereine und eine konservative Partei, die dann der Kraft des Faktischen gehorchend die Massenbasis der Politik akzeptierten und Wahlen eine unanfechtbare politische Rolle einräumten.200 »Man hielt Vorversammlungen über Vorversammlungen, benutzte alle Einwirkungen und Einflüsse, um zum Ziele zu gelangen; wer sonst sich fern vom Volke gehalten und es gemieden hatte«, schrieb ein Publizist angewidert über die ersten konservativen Wahlkämpfe, »der trat jetzt kühn in die dichtesten Volkshaufen, reichte rechts und links die Hand den ›schwieligen Händen‹; die ganze Partei des Alten – Adel, Klerus, Geldsack usw. – bildete eine geschlossene Phalanx, unablässig tätig in Wahlumtrieben.«201 Im Briefwechsel zwischen Leopold von Gerlach und Bismarck erklärt Gerlach seine Abscheu vor den Massenwahlen, doch zugleich räsoniert er mit Bismarck, in welche der beiden Kammern sich dieser wählen lassen solle. Denn bemerkenswerterweise wünschte der König Bismarcks Kandidatur.202 Als das Reichstagswahlrecht eingeführt wurde, hatten sich die Konservativen längst an Wahlen gewöhnt. Im Staatsministerium hieß es: »Seitens der Herren Minister [wird] für sich der Grundsatz acceptirt, zwar nicht als Bewerber aufzutreten, eine Wahl aber auch nicht prinzipiell abzulehnen.«203 – »Man warb, man machte Versprechungen, eröffnete einzelnen 199 Beispielhaft und zusammenfassend für dieses Arrangement steht das Plädoyer für allgemeine und gleiche Wahlen des Konservativen Friedberg, Sten. Ber. pr. AH , 6. 12. 1917, Sp. 6683. 200 Puhle, Agrarische Interessenpolitik. 201 Zitiert nach: Obermann, Wahlen, S. 37; vgl. auch Retallack, Notables; Fischer, Konservatismus von unten. 202 Bismarck an Leopold von Gerlach, Frankfurt, 6. 11. 1852, u. Leopold von Gerlach an Bismarck, Sanssouci, 13. 11. 1852, in: Briefwechsel, S. 46 u. 50. 203 Sitzung Staatsmin., Verhandelt Berlin, 3. 1. 1867, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK .

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lokal einflussreichen Personen individuelle Aussichten«, kommentiert Lothar Gall das Treiben der Konservativen, »man zerstörte mit eigener Hand das, was man an ständischer Abgrenzung, Unterordnung und Verpflichtung eben noch selbst gefordert hatte und was bewusstseinsmäßig sicher auch noch vielfach vorhanden war. Man erhob den Bauern, den Handwerker, den kleinen Kaufmann verbal, wenn er die eigene politische Haltung zu teilen bereit war, zum Partner.«204 So wurden auch die Konservativen in Preußen Teil der von vielen Bürgern verspotteten und verachteten Parteienkultur. Doch das partizipative Engagement zahlte sich aus. Den Aufstieg der Konservativen bis zur Jahrhundertwende nennt Thomas Kühne eines der »auffälligsten Phänomene der preußischen Landtagswahlgeschichte«.205 Um 1900 wussten die konservativen Wahlkämpfer Bescheid und erklärten routiniert: »Der Bauer will nicht nur kurz vor der Wahl zur Wahlurne eingeladen sein, sondern auch außerhalb der Wahlzeit das Gefühl haben, daß man sich seiner Interessen annimmt.«206 Dieser Aufstieg konnte nicht mit einer inneren Abwehrhaltung gelin207 gen. Und daher wäre es falsch, die Wahlmanipulationen durch Regierungen und andere Herrschaftseliten, von denen später noch ausführlich die Rede sein wird, allein in den Fokus zu rücken. Zwar träumten etliche Männer weiterhin auf ihren Rittergütern und in ihren hochbestallten Beamtenposten von romantischer Ständeordnung und gutsherrlicher Gewalt. Doch sie wurden weniger, während die konservativen Realisten vielfältige, oft einander widersprechende Arrangements mit der neuen Zeit entwickelten. Bereits um Ministerpräsident Manteuffel sammelte sich in den 1850er Jahren eine staatstragende Gruppe, die sich für ein konstitutionelles System aussprach, für Wahlen mit bonapartistischem Touch, für einen starken Staat (was ja nicht gerade urkonservativem Denken entsprach) und für eine effiziente Bürokratie.208 Die konservative Kreuzzeitung sekundierte diese Bemühungen: Die von manchen erwünschte Aufhebung der Verfassung könne schließlich nicht dazu führen, »uns wie mit einem Zau-

204 Gall, Bismarck, S. 90. 205 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 50. 206 Abschrift Präsident, i.V. gez. Steinecke, Königl. Ansiedlungs-Kommission, an Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu Berlin, Posen, 10. 4. 1899, I. HA Rep. 90, Nr. 3248, GS tA PK . 207 Vgl. Hirschman, Rhetoric of Reaction; Grothe/Liebmann, Einführung, S. 2. 208 Grünthal, Parlamentarismus, S. 106.

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berschlag in das goldene Zeitalter zurückzuversetzen«, Kammern und Verfassung seien ein notwendiges Übel.209 Als es den Konservativen 1851 gelang, die ständischen Provinziallandtage wieder einzurichten, entwickelten sich diese geradezu zum Sinnbild des konservativen Dilemmas: Ohne echte legislative Befugnisse waren sie dysfunktional und spielten daher bis zu ihrer Demokratisierung in den 1870er Jahren keine nennenswerte Rolle. Gegen dieses Relikt aus der vorrevolutionären Zeit protestierten die Männer, die August von Bethmann Hollweg, der Großvater des späteren Reichskanzlers Theobald, um sich scharte. Die liberal-konservative Gruppe, die nach ihrem Organ die Wochenblattpartei genannt wurde, verteidigte explizit die Verfassung und bekämpfte ihre Demontage durch Ultrakonservative.210 Als mit der Reichsgründung die staatliche Modernisierung und Demokratisierung einen mächtigen Schub erhielt, teilten sich die konservativen Gruppierungen in Altkonservative, die dem neuen Reich und seinem modernen Wahlrecht ablehnend gegenüberstanden, und in Freikonservative, die im Reichstag die Nationalliberalen bei ihrer Reformpolitik unterstützten. Die Versöhnung der Altkonservativen Ende der 1870er Jahre mit Bismarck verdankte sich auch der Tatsache, dass sie sich mit der Moderne irgendwie abgefunden hatten. In der Gründung der Deutschkonservativen Partei 1876, die sich zur nationalen Idee bekannte, manifestierte sich ihr Einverständnis mit den neuen Zeiten. Während des Ersten Weltkriegs setzten sich ab 1917 auch die preußischen Konservativen für ein gleiches Wahlrecht ein.211

Wahlen zur Reproduktion alter Eliten Wie ein Blick auf die Wahlpraxis zeigt, fanden Traditionalisten zahlreiche Möglichkeiten, Wahlen in ihre hierarchische Welt mit der Geltung »natürlicher Autoritäten« und der Bezähmung der willkürlichen Demagogie zu integrieren. Das Dreiklassenwahlrecht bot für diese gouvernementalen Funktionszuschreibungen einen besonders günstigen Rahmen. Doch auch mit moderneren Wahlrechtsregelungen, etwa mit dem Reichstags209 Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung), 1852, zitiert nach Grünthal, Parlamentarismus, S. 263. 210 Nipperdey, Bürgerwelt, S. 683. 211 Redebeitrag Friedberg, Sten. Ber. pr. AH , 6. 12. 1917, Sp. 6683; vgl. zur Freikonservativen Partei: Alexander, Freikonservative Partei.

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wahlrecht oder dem Wahlrecht in US -Staaten, ließen sich konservative Funktionen exekutieren. Dabei werden mindestens drei traditional-konservative Wahlfunktionen deutlich: Erstens erklärten Zeitgenossen, dass Wahlen der Auswahl der Eliten bzw. der »natürlichen Autoritäten« dienen könnten; zweitens wurden Wahlen als Performanz des guten Untertans genutzt, und drittens interpretierten viele die Wahlen als Staatszweck und Staatspflicht. Erstens zur Wahl als Selektion »natürlicher Autoritäten«: Oft ging es dabei um die Bestätigung alter Eliten. In den USA zeigten sich diese Praktiken in aller Regel darin, dass eine kaufmännische Elite gewählt wurde,212 wobei diese Elite für tüchtige Aufsteiger offen war. Wahlforscher konnten auch zeigen, dass sich ärmere Schichten bei den amerikanischen de facto offenen Wahlen in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen ließen.213 Als direkt in den Jahren nach dem Bürgerkrieg das Misstrauen vieler Eliten gegen das allgemeine und gleiche Wahlrecht wuchs, sahen manche Zeitgenossen Korruption und Manipulation gar als ein notwendiges Mittel zur Zähmung der Wählermassen.214 Einige Amerikaner plädierten in der Nachkriegszeit sogar für die Abschaffung des universal suffrage. Die Mehrheit der Skeptiker jedoch verzichtete auf einen Angriff gegen diese Bastion amerikanischer Identität und formulierte scheinbar moderatere Forderungen. »Das Wahlrecht kann nicht abgeschafft werden, aber die Zahl der Wahlberechtigten kann deutlich reduziert werden«, meinte ein konservativer Autor 1879 zum Kampf gegen die Übel eines gleichen Wahlrechts.215 Der reformerische Journalist Ray Stannard Baker (mit Künstlernamen David Grayson) erklärte 1910, es sei »unbezweifelbar, dass alle Regierungen das Recht besitzen – und notgedrungen ausüben müssen –, die Anzahl jener Menschen zu begrenzen, die zur Beteiligung an den schweren Aufgaben der Wahlen berechtigt sein sollen«.216 In manchen Einzelstaaten sicherte das Wahlrecht allen universal-suffrage-Bekundungen zum Trotz ganz ungeniert die Reproduktion der Eliten. Das prominenteste Beispiel waren die Südstaaten, wo die alte Pflanzerelite bis in die zweite Jahrhunderthälfte

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Burrows/Wallace, Gotham, S. 515; Tindall/Shi, America, S. 650f. Bourke/DeBats, Identifiable Voting, S. 283. »Limited Sovereignty in the United States«, Atlantic Monthly 43 (1879), S. 189. Ebd., S. 190. »Negro Suffrage in a Democracy« von Ray Stannard Baker, Atlantic Monthly 106 (1910), S. 612.

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Abb. 19 Aufgrund der zunehmenden sozialen Segregation in den Städten konnten die oberen Schichten getrennt wählen. Die Illustration signalisierte dem Londoner Publikum die Gefahr einer Wahlrechtserweiterung, die in England gerade diskutiert wurde. »Election Day in New York. A PollingPlace among the ›Upper Ten‹. A PollingPlace among the ›Lower Twenty‹«, Illustrated London News, 3. 12. 1864, S. 566

ihre Macht mithilfe der Wahlen erhalten konnte. Auch nach dem Bürgerkrieg gelang es den Weißen, nach und nach ihre Vorherrschaft wieder zu sichern und die Afroamerikaner auszuschließen.217 Im Norden strebte die Mittel- und Oberschicht ab dem letzten Drittel des Jahrhunderts wieder verstärkt in die Politik. Die sozial immer schärfer segregierten Lebenswelten sorgten zunehmend auch für sozial homogenere Wahllokale, was den wohlsituierten Männern den Wahlgang erleichterte (vgl. Abb. 19). In Utah gelang, wie oben dargestellt, im Verbund mit dem allgemeinen Männerwahlrecht sogar eine Art theokratischer Herrschaft: Gewählt wurden die Führer der Mormonenkirche, und das Ergebnis war von vornherein durch die besondere Wahlpraxis gesichert, indem die Stimmabgabe durch Kirchenmitglieder kontrolliert und so zu einem Akt der Zustimmung oder – wenn man so will – Unterwerfung wurde.218 Auch in anderen

217 Times-Democrat, 7. 2. 1898, zitiert nach: Fredman, Australian Ballot, S. 79. 218 Vgl. Kap. 4, außerdem Memorial of the Non-Mormon People of Utah, 28. 11. 1882, R 48, E348, NARA .

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Ländern ging die Ausdehnung des Wahlrechts mit der konservativen Funktion des Elitenerhalts einher. Auf Korsika etwa dienten die von dem mächtigen Adel und Klientelismus dominierten Herrschaftsstrukturen geradezu als Kanäle, um Wahlpraxis und demokratisches Gedankengut in der Bevölkerung zu installieren: Über die stark von oben dominierte Stimmabgabe gelang es der Bevölkerung, sich an diese moderne Form der Herrschaftsausübung zu gewöhnen.219 Und in ganz Frankreich schrieben die Männer auf ihre Stimmzettel: »Vive L’Empereur«, wenn Napoleon sie zu den Wahlen befahl.220 Wahlmanipulation zugunsten einer Elite wurde im 19. Jahrhundert sowohl in Preußen als auch in den USA von den unterschiedlichsten Gruppierungen gutgeheißen oder doch als unvermeidlich hingenommen. Der einflussreiche Journalist Edwin L. Godkin erklärte 1889, es gebe keine Demokratie auf dieser Welt, »in der ein unwissender Wähler bei den Wahlen nicht betrogen wird – in der er also nicht in irgendeiner Weise dazu gebracht wird, seine Stimme nach den Vorgaben anderer Menschen abzugeben, anstatt nach seinem eigenen Willen. Der Priester führt ihn in die Irre, oder sein Vermieter oder der Kaufmann an der Ecke oder der Kneipenwirt oder sein Arbeitgeber oder sein politischer Vorgesetzter.«221 Godkin sah auch als eine typische Begleiterscheinung von Wahlen, was viele Historiker als spezifisch preußischen Defekt interpretieren: »Der unvermeidliche Einfluss des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer, des Gläubigers auf den Schuldner, des Reichen auf den Armen […] hat in allen Ländern mehr oder minder große Auswirkungen auf die Politik.«222 Ein so progressiver Geist wie Hermann Schulze-Delitzsch erklärte, bei einer Wahl habe jeder, der »eine bedeutende soziale Stellung hat, ein großer Grundbesitzer z.B., ein großer Arbeitgeber im Gewerbsleben, ein großer Fabrikant«, einen »großen und berechtigten Einfluss«.223 Tatsächlich gelang es keineswegs nur Regierungen und regierungsnahen Eliten, ihre »natürliche Autorität« bei Wahlen durchzusetzen, sondern auch polnischen Adligen, katholischen Priestern und allen voran dem liberalen Bürgertum.

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Briquet, Clientelism and Politicization. Crook, Protest Voting, S. 15. Godkin, Republican Party, S. 257. Ebenda, S. 249. Zitiert nach: Below, Wahlrecht, S. 75.

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Gerade bei den preußischen Kommunalwahlen, deren Klassenwahlrecht sich zu einer besonders festen Bastion gegen Unterschichten entwickelt hatte,224 konnten die Honoratioren im Vorfeld die Wahl unter sich ausmachen. In Wittenau bei Berlin beispielsweise lag alles in den Händen des Maschinenbauunternehmens Borsig. 1906 war Kommerzienrat Conrad Borsig zur Wahl vorgesehen, wofür Direktor L. Hempel die Organisation übernahm, indem er im Vorfeld die Wähler der ersten Klasse anschrieb und anwies, Conrad Borsig zu wählen und dafür ihre Stimme zu übertragen.225 Drei Jahre später organisierte derselbe Direktor Hempel erneut die Wahlen:226 Nachdem sich die maßgeblichen Männer auf ihre Kandidaten geeinigt hatten, informierte Louis Hempel alle Mitglieder des Vereins Wittenau-Borsigwalder. »Um Ihnen die Wahl zu erleichtern«, teilte er mit, »erlauben wir uns, Ihnen einliegend eine Vollmacht zu überreichen mit der ergebenen Bitte, dieselbe zu unterzeichnen und an Herrn Gutsbesitzer Gericke […] gelangen zu lassen. Den Tag der Wahl wird Herr Gericke ausfüllen, sobald derselbe feststeht.«227 In Rixdorf hob die aus Konservativen bestehende Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung noch nach der Jahrhundertwende die Grenze für die zweite Wahlabteilung um über 50 Prozent an, wodurch zahlreiche Kleinbürger in die dritte Abteilung abgedrängt wurden.228 Zu Massenwahlen gehört also nicht unbedingt die Wettbewerbs- und Konfliktorientierung. Wie häufig in Face-to-face-Gesellschaften oder dort, wo eine allgemein anerkannte Elite den Ton angibt, bestätigten Wahlen die bestehenden Herrschaftsstrukturen.229 Auf dem Land konnte vielfach »die Wiederwahl des Herrn v. Burgsdorf als von selbst verstehend vorausge224 Pohl, Kommunen. 225 Unterlagen von 1906, A Rep. 226, Nr. 120, A. Borsig Zentralverwaltung GmbH, Wahlen und Arbeit der Gemeindevertretung Wittenau, 1906–1919, LAB . 226 Louis Hempel, Vereinigung Wittenau-Borsigwalder Grundbesitzer und Industrieller, an [unleserl.], Berlin, 17. 2. 1910, A Rep. 226, Nr. 120, A. Borsig Zentralverwaltung GmbH, Wahlen und Arbeit der Gemeindevertretung Wittenau, 1906–1919, Bl. 21f., LAB . 227 Louis Hempel an Wittenau-Borsigwalder Besitzer und Industrieller, Eingetragener Verein, Berlin, 24. 3. 1810, A Rep. 226, Nr. 120, A. Borsig Zentralverwaltung GmbH, Wahlen und Arbeit der Gemeindevertretung Wittenau, 1906–1919, Bl. 24, LAB . 228 Flugblatt »Bürger Rixdorfs!«, 8. 8. 1910, A Rep. 044–03, Nr. 439, Magistrat der Stadt Rixdorf/Neukölln, Wahlen, Zeitungsausschnitte und Flugblattsammlungen, Bl. 3, LAB . 229 Kühne, Historische Wahlforschung, S. 49f.

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setzt« werden, wie ein Wahlagitator 1852 konstatierte, wobei sich Burgsdorf durch einen beliebigen Adels- oder Honoratioren-Namen ersetzen ließe.230

Wahlen als Performanz des guten Untertans Verbunden mit der Nutzung der Wahlen, um alte Eliten zu bestätigen, war eine zweite zeitgenössische Interpretation: Wahlen als Performanz des guten Untertans (eine Funktion, die in den Vereinigten Staaten freilich ohne Bedeutung war). Zumeist, wenn auch nicht immer, bezog sich diese partizipative Performanz auf die Monarchie und nicht auf den Adel oder andere ständische Herrschaftsschichten. Dadurch wird die Herkunft der Wahlidee aus dem modernen Zentralstaat, den der Monarch oft gegen die ständischen Partikularkräfte durchsetzte, noch einmal deutlich. Das demokratische und das aristokratische Prinzip schließen sich aus, hieß es 1846 in Rottecks und Welckers Staats-Lexikon, weil Gleichheit und Privileg sich widersprechen, doch: »Das monarchische und das demokratische Princip können gar wohl neben einander bestehen, ja sie mögen sich wechselseitig unterstützen.«231 Das ganze 19. Jahrhundert hindurch fand sich die Ansicht der Kompatibilität von Monarchie und Demokratie.232 Doch nicht nur in der Theorie und für die Eliten, sondern insbesonders für die Mehrheit der preußischen Bevölkerung mussten Wahlen mit der Monarchie in Einklang stehen. In ganz Europa hatten sich die Monarchen zu einem zentralen (»heiligen«) Element der Nation entwickelt. Neue Staaten suchten sich eine Dynastie, Republiken gaben sich meistens wieder einen Monarchen. Könige und Königinnen waren die Garanten für Stabilität, der Stolz der Menschen, ihre Identifikation, sie waren schließlich Dank der allseits zelebrierten »Untertanenliebe« ein folkloristisches Vergnügen. Bei allen unterschiedlichen Ausgestaltungen der monarchischen Machtbefugnisse und trotz fortdauernder Machtansprüche der Monar230 Zitiert nach Fischer, Konservatismus von unten, S. 123. 231 Schmidt, Demokratie, S. 714; vgl. auch Stamm-Kuhlmann, Ernst Moritz Arndt, S. 104–106; Gall, Bismarck, S. 257. 232 »Potsdam, den 3ten Juni«, in Vossische Zeitung, 4. 6. 1842; Brockhaus, 10. Aufl., Bd. 4 (1852), S. 688; Rudolf Sohm in: »Das allgemeine Wahlrecht der inneren und äußeren Politik«, Deutsche Wacht, 30. 9. 1897, RLB R8034, II , 5075, 6, BA ; Meinecke, Die deutsche Freiheit, S. 37; vgl. auch die Erzählung über Frankfurt als glückliche »verjüngte Wahlund Königsstadt« in »Festchronik vom Frankfurter Fürstentag«, Illustrirte Zeitung, 12. 9. 1863; vgl. Meier u.a., Demokratie, S. 866.

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Abb. 20 Wahlen als Performanz des guten Untertans. »Seiner Majestät Kaiser Wilhelm – Leipzig hat gesiegt! Hurrah! Stammtisch Hempel Ferdinand Münch«, Telegramm an Kaiser Wilhelm nach den Wahlen vom 25. 1. 1907 GStA PK , XVI HA Rep. 30 Nr. 595

chen wie in Preußen: Das »monarchische Prinzip«, vom dem seit dem Vormärz ganz Europa widerhallte, hatte sich aufgrund der »Veramtlichung« der Monarchie stets mehr als diskursiver Trost für den konservativen Zeitgeist erwiesen denn als gelebte Regierungspraxis.233 Die Preußen zeigten sich erfindungsreich, wenn es darum ging, Monarchie und Wahlen zu vereinen. So trennten sich 1849 bei den ersten Dreiklassenwahlen die Männer nach der Kür der Abgeordneten »mit einem dreifachen Lebehoch für Se. Maj. den König«.234 In Leipzig setzten einige Männer nach den erfolgreich konservativen Reichstagswahlen 1907 umge233 Fisch, Europa, S. 272; Biefang, Macht, S. 21f.; Riotte, Neue Ansätze, bes. S. 211 f u. 220; vgl. zur »Untertanenliebe« gegenüber dem englischen Königshaus in Karl Marx’ Familie: Raddatz, Marx, S. 163. 234 Spenersche Zeitung, 13. 2. 49, A Rep. 001–02, Nr. 2461, Bl., 24, LAB .

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hend ein Telegramm an Kaiser Wilhelm auf: »Seiner Majestät Kaiser Wilhelm – Leipzig hat gesiegt! Hurrah! Stammtisch Hempel Ferdinand Münch« (vgl. Abb. 20). Aus der Universität kam per Telegramm der gleiche Jubel ins Kaiserschloss: »Die deutschgesinnten Doktoranden des ersten chemischen Laboratoriums zu Leipzig bringen Euer Majestät anläßlich des Ausfalls der Wahl ein urkräftiges Hurra«.235 Da die Wahlen am Vortag von Kaisers Geburtstag stattfanden, machten manche Deutsche ihre kaisertreue Wahl gleich zum Geburtstagsgeschenk.236 Aber selbst bei einer Wahlniederlage konnte man versuchen, ganz oben zu punkten. Männer der Gemeinde Bühlow bei Cottbus teilten dem Kaiser nach dem Sieg der »königs- und vaterlandsfeindlichen Candidaten« in einem Telegramm ihre »Betrübnis« mit und nutzten die Gelegenheit, ihrer »patriotischen Gesinnung und unwandelbaren Treue alleruntertänigst Ausdruck zu verleihen in der Parole: Allzeit mit Gott für König und Vaterland«.237 In den Unterlagen des Reichstages gibt es ein eigenes Aktenkonvolut mit »Huldigungstelegrammen« und Postkarten, die Bürger dem Kaiser nach den Wahlen schickten und in denen sie in aller Regel den Sieg ihres Wahlkreises über die Sozialdemokraten als gewonnene Schlacht feierten. Absender sind etwa die »Alte historische Zwingergesellschaft, Berlin«, der »Wahlausschuss reichstreuer Wähler der Stadt Königsberg«, »Stammtisch ›Königstreue‹« oder der »Deutsche Fechtklub« – man meint den Telegrammen die nationale Laune im Bierdunst anzumerken.238 Zuweilen wurden in den Wahllokalen Sammelbüchsen für die Pflege von Soldaten aufgestellt.239 Der konservative Baron von Seld berichtete von einem Schäfer, der sich in einer politischen Versammlung auf dem Land zu der Frage äußerte, wen man wählen solle: Er habe lange darüber nachgedacht; weder dürfe es darum gehen, ob einer denke wie er selbst, denn er irre sich ja immer wieder; noch ginge es darum, einen zu wählen, der alle Wünsche erfüllte; so sei er zu der Erkennt-

235 Telegramm an Kaiser, Leipzig, 25. 1. 1807, I. HA Rep. 89, Nr. 215, 1866–1818, GStA PK . 236 Anderson, Lehrjahre, S. 490. 237 Telegramm Gemeinde Bühlow bei Spremberg an kaiserliche und königliche Majestät Berlin, Cottbus, 24. 1. 1912, XVI . HA Rep. 30, Nr. 595, GStA PK . 238 I. HA Rep. 89, Nr. 215, 1866–1818, Reichstag, Beiheft (Huldigungstelegramme), GStA PK . 239 »An die Wähler in Reuß älterer Linie«, Generalanzeiger für Thüringen, Franken und Voigtland, 2. 3. 1871, R 1401 / 1432, BA .

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nis gekommen, er müsse seine Stimme »dem geben, der durch seine Worte und Handlungen zeigt, daß er Gott fürchtet und den König ehrt«.240 Der Trubel in Schänken, Universitäten und Wahlversammlungen lässt sich freilich auch als Performanz der nationalen Gemeinschaft interpretieren, für die sich Massenwahlen zu allen Zeiten anboten und die in den USA eine herausragende Rolle spielte. Mit öffentlicher Übertragung der Wahlergebnisse im Freien vor sich drängenden Menschenmassen, wie es vor dem Ersten Weltkrieg aufkam, ähnelten Wahlen in gewisser Weise dem public viewing bei heutigen Fußballspielen. Als Ausdruck der nationalen Euphorie kann auch die Wahl von Nationalhelden gewertet werden. So erhielt in den USA Präsident Jackson noch Jahre nach seinem Tod zahlreiche Wahlstimmen.241 In verschiedenen Wahlkreisen wie im pommerschen Kreis Fürstenthum stimmten Tausende von Wähler für General Helmuth von Moltke, den Kriegshelden von Königgrätz.242 In Deutschland waren Mehrfachkandidaturen einer prominenten Persönlichkeit nicht unüblich, wobei der Kandidat, falls er in mehr als einem Wahlkreis gewählt wurde, nur eine Wahl annehmen konnte. In Preußen wählten die Menschen immer wieder Mitglieder der königlichen Familie.243 Im ostpreußischen Wahlkreis Labiau-Wehlau etwa nutzen 11367 der 14704 Wähler die ersten allgemeinen, gleichen und geheimen Männerwahlen im Februar 1867, um den Prinzen Friedrich Carl zu wählen, einen der Feldherren von Königgrätz.244 Einige Schlesier schrieben vor der Wahl an den König: »Weil Ew. Königliche Majestät rufen, so werden wir kommen, wie es gute Schlesier gewohnt sind, es gehe zur Feldschlacht oder zur Wahlschlacht. Wäre es möglich, so würden wir keinen Anderen zu unserem Wahlmann wählen, als unseren König und Herrn selbst.«245 Ein kor240 Seld, Wunderliche Reisen, S. 338. 241 Clarksville Jeffersonian, zitiert nach: Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 77. 242 Zeitung des Cösliner Regierungs-Bezirks, 5. 3. 1867, u. Orthmann, Oberstaatsanwalt, an Bismarck, Coeslin, 8. 3. 1867, beide in I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Selbst Bismarcks Sohn Wilhelm bekam von einem Handwerker in der Oberlausitz eine Stimme (Anderson, Practicing Democracy, S. 58). 243 Extract, Sitzung Staatsministeriums, 19. 2. 1849, ad II ., u. weitere Unterlagen in der Akte, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3192, GStA PK ; Copia, Eulenburg an Innenminister Westphalen, Marienwerder, 2. 11. 1852, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3249, Bl. 4, GStA PK . 244 Schreiben Prinz Friedrich Carl an »Herr Graf«, 17. 2. 1867, u. weitere Unterlagen in der Akte, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3192, GStA PK . 245 Unterthanen an König, Steingrund, 3. 10. 1863, zitiert nach: Bericht: Die bei den 1863 stattgefundenen Wahlen der Abgeordneten vorgekommenen gesetzwidrigen Beein-

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sischer Adliger erklärte 1887 ganz ähnlich über seine Gefolgsleute: »Früher sind sie uns in die Schlacht gefolgt; heute folgen sie uns bei den Wahlen.«246 Und 1867 schrieb ein über das moderne Wahlrecht begeisterter Bürger an die Regierung: »Durch Ew. Majestät Einführung des allgemeinen und directen Wahlrechts ist das ganze norddeutsche Volk wie durch ein Zauber einer großen Armee zu vergleichen, darin die Arbeitgeber die höheren und niederen Chargen bekleiden, und an der Spitze, Ew. Majestät als unser König.«247 Oft waren die Grenzen zwischen staatlicher Manipulation und dem Wunsch der Bürger nach Loyalitätskundgebungen fließend. Nicht selten erkundigten sich die Wähler von selbst bei ihrem Gutsherrn oder seit den 1860er Jahren auch direkt bei Bismarck oder beim Monarchen, wen sie wählen sollten.248 Eine von 15 Männern unterschriebene Anfrage der Gemeinde Steingrund an den König, welchen Kandidaten er empfehle,249 nutzten konservative Regierungsmitglieder im Verfassungskonflikt und präsentierten sie als Kommunikation zwischen dem Volk und seinem König: Das Volk wolle wissen, wie es bei den Wahlen seine Treue unter Beweis stellen könne, und der Monarch antwortet mit einem Lob für die »treue Gesinnung« und einer Wahlempfehlung für seine Regierung und gegen die Opposition.250 Die Konservativen im Staatsapparat sorgten dafür, dass das Schreiben des Königs als Flugblatt und in den Zeitungen weite Verbreitung fand.

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flussungen der Wähler und Verkümmerung der verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Preuss. Staatsbürger, 2. Sitzung, Haus der Abgeordneten, 11. 11. 1863, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, GStA PK . Zitiert nach Briquet, Clientelism and Politicization, S. 4. Heinrich Lehmberg an Bismarck, Bremen, 18. 3. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Gustav Bertog, Stadtverordneter-Vorsteher, an [unleserl.], Halberstadt, 5. 1. 1867, u. Telegramm von Dr. Günther an Bismarck, Barby, o. D., 1867, u. weitere Unterlagen in I. HA Rep. 90 A, Nr. 128; Der Oberpräsident der Provinz Sachsen, Witzleben, an Herrn Grafen von Bismarck in Berlin, Magdeburg, 26. 1. 1867, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; Telegramm von v. Loeper-Stoelitz, an Minister-Präsidenten v. Bismarck, Greiffenberg Pomm., 24. 10. 1863, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248, GStA PK ; Carl Welsch an Fürst Bismarck, 24. 7. 1878, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK ; Telegramm von Dr. Günther an Bismarck, Barby, o. D., 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Abgeordneter Reichenheim, Sitzung, Haus der Abgeordneten, 11. 11. 1863, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, S. 199, GStA PK . I. HA Rep. 90 A, Nr. 111, GStA PK .

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Landräte verschickten die königlichen Worte mitsamt der Anfrage aus Steingrund und versahen sie mit Empfehlungsschreiben und Drohungen, in der Hoffnung, die liberalen Abgeordneten loszuwerden. Ein Landrat mahnte, »daß die Wiederwahl unserer früheren Abgeordneten Techow und v. Saucken-Georgenfelde sich nicht mit der Treue gegen Se. Majestät den König vereinigen läßt«.251 Landrat Graf von Schulenburg schickte den Schulzen die königlichen Worte mit der Androhung: »Zugleich weise ich Sie an, der Gemeinde bekannt zu machen, daß Diejenigen, die trotz dieses Königlichen Wortes noch in einem dem ausgesprochenen Willen unseres geliebten Königs entgegengesetzten Sinne wählen, d.h. solchen Wahlmännern ihre Stimme geben, welche die bisherigen Abgeordneten Schultze und Haacke wieder zu wählen beabsichtigen, von mir als königsfeindliche Männer werden betrachtet werden.«252 Auch die Pommern griffen das Schreiben gerne auf. Die Ostseezeitung meldete die Anweisungen des Landrats von Puttkammer: »Wer angesichts dieser Königlichen Worte dennoch für die Fortschrittspartei stimmt, der ist ein Feind des Königs unsers Herrn! Bedenken Sie das wohl, bevor Sie zur Wahl nach Anklam reisen, und bedenken Sie, daß schwere disziplinarische Verantwortlichkeit Denjenigen treffen wird, der durch ein trotziges Verharren in der Opposition die dem Könige geschworene Treue verletzt«.253 Doch mit dem Steingrunder Schreiben jedenfalls hatten die Konservativen den Bogen überspannt. Manche Gemeinden hinderten die Landräte daran, bei der Wahlversammlung das Schriftstück zu verlesen,254 und es kam zu einem dramatischen parlamentarischen Nachspiel, das bei aller vorgeblichen Ehrerweisung gegenüber dem König diesen scharf in die 251 Landrath des Kreises Friedland, gez. v. Gottberg, an Magistrat, Domnau, 22. 10. 1863, zitiert nach: Bericht: Die bei den 1863 stattgefundenen Wahlen der Abgeordneten vorgekommenen gesetzwidrigen Beeinflussungen der Wähler und Verkümmerung der verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Preuss. Staatsbürger, 2. Sitzung, Haus der Abgeordneten, 11. 11. 1863, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, GStA PK . 252 Graf v. d. Schulenburg, Königl. Landrath, Osterburg, den 15. Oktober 1863, zitiert nach: Sitzung, Haus der Abgeordneten, 11. 11. 1863, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, S. 23, GStA PK . 253 Der Landrath von Puttkammer, Demmin, den 22. 10. 1863, u. weitere Informationen in: Sitzung, Haus der Abgeordneten, 11. 11. 1863, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, 45 et passim, GStA PK . 254 Sten. Ber. pr. AH , 11. 11. 1863, 27, u. Zweiter Bericht, No. 103, Sten. Ber. pr. AH , 19. 1. 1864, S. 29 et passim, u. Sten. Ber. pr. AH , 11. 11. 1863, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, GStA PK .

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Schranken wies.255 Das Parlament bekämpfte häufig die volkstümlichen Aneignungen des Wahlverfahrens, und Untersuchungskommissionen erklärten immer wieder Wahlen für ungültig, bei denen Landräte einen Kandidaten mit dem Hinweis empfahlen, dessen Wahl sei des Königs Wille.256 Die Monarchen mussten tatsächlich erst lernen, angemessen mit Wahlen umzugehen, und es wäre interessant, dieser Frage auch in anderen Monarchien nachzugehen. Dabei ist es bemerkenswert, wie aus Lippenbekenntnissen – oder Fiktionen, wie Edmund S. Morgan es nennt – Praxis wird, die das Leben der Menschen nachhaltig verändert. So war die preußische Verfassung schließlich für Friedrich Wilhelm IV. selbst kaum weniger ein »Oktroy« als für die Demokraten.257 Er musste es hinnehmen, dass ausgerechnet unter seiner Regentschaft Preußen zu einer konstitutionellen Monarchie wurde, auch wenn es ihm und seinen Ratgebern immerhin gelang, Konstitution und Wahlrecht den Untertanen als Geschenk des Monarchen zu präsentieren. Also waren sie eine Sache des Königs geworden. Wilhelm I. ging dann weiter, als es Friedrich Wilhelm IV. je getan hätte: Auf seiner Krönungsfeier am 18. Oktober 1861 wollte er eine Ansprache halten, auf der er seine Untertanen zu einer ihm gewogenen Stimmabgabe bei den nächsten Wahlen aufforderte. Ein Wahlaufruf zur Krönung war eine heikle Sache, und die liberalen Minister lehnten den Wunsch des Königs entschieden ab.258 Doch offenbarte das Vorhaben des Monarchen, wie stark dieser sich mittlerweile mit Wahlen als Bestandteil seiner Legitimation identifizierte. Während des Verfassungskonflikts drängte König Wilhelm weiter darauf, direkt in die Wahlkampagnen einzugreifen. Spätestens seit der Reichsgründung aber herrschte relative Einigkeit darüber, dass der Monarch sich überparteiisch präsentieren musste und sein Renommee nicht von der Willkürlichkeit des Wahlausganges abhängig machen durfte.259 255 Bericht: Die bei den 1863 stattgefundenen Wahlen der Abgeordneten vorgekommenen gesetzwidrigen Beeinflussungen der Wähler und Verkümmerung der verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Preuss. Staatsbürger, 2. Sitzung, Haus der Abgeordneten, 11. 11. 1863, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, GStA PK . 256 Vgl. etwa Unterlagen in I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, GStA PK . 257 Barclay, König, Königtum, S. 9f. 258 Staatsmin. an Wilhelm I., Berlin, 10. 10. 1861 u. 22. 10. 1861, u. Wilhelm I. an das Staatsmin., 25. 10. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK ; vgl. auch Kap. 4.2. 259 1883 konnte so selbst ein Gratulationsschreiben der Kaiserin zur Wiederwahl eines Geheimrats in die Berliner Stadtverordnetenversammlung für öffentlichen Unmut sorgen, Zeitungsausschnitt aus Berliner Börsen-Courier, No 559, 2. 11. 1883, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 14105.

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Wahlen als Staatszweck und Staatspflicht Neben der Reproduktion von Eliten und der Performanz des guten Untertans, deuteten Traditionalisten Wahlen auch als eine Staatspflicht, womit wir beim dritten Punkt konservativer Aneignung sind. Wahlen im »Staatsinteresse«, nicht als Teufelszeug der Revolutionäre – das war für Liberale eine Selbstverständlichkeit, für Konservative jedoch ein bemerkenswertes Eingeständnis.260 Sie versuchten zunehmend, Wahlen als staatstragendes Instrument zu nutzen, und die Akzeptanz des konstitutionellen Staates konnte sich auf immer breitere Basis stützen. In der National-Zeitung wurde die Thronrede zur Eröffnung des preußischen Landtages 1855 konservativ interpretiert: »So wird es denn immer unstatthafter, von einem revolutionären Ursprung der Verfassung zu reden, die Reaktion gegen dieselbe hat in den Augen der großen Mehrheit der Nation schlechterdings keinen besseren Kredit mehr.«261 Im Jahr 1867 erklärte ein konservatives Wahlkomitee in Posen, es herrsche bei der bevorstehenden Wahl für den Norddeutschen Reichstag »unter den Deutschen aller politischen Partei-Schattierungen eine imposante Einmüthigkeit. Sie alle haben das Bestreben, durch die Wahl ihren Willen dahin kund zu thun, daß die Provinz Posen alle Geschicke des Preußischen Staates theile, und daß sie mit Preußen in den Norddeutschen Bund eintrete.«262 In Bismarcks Akten findet sich, um ein zweites Beispiel zu nennen, 1867 der Aufruf »An alle preußischen Patrioten«: »Angesichts der Neuwahlen zum preußischen Abgeordnetenhause erkennen wir es als Pflicht, daß auch die conservative Partei sich über ihre Stellung (unter den vielfach veränderten Verhältnissen) klar ausspreche, (um ihre Anhänger in allen Theilen des Landes zu neuer Thätigkeit zu sammeln): […] Gottesfurcht, Treue gegen den König, Achtung von Gesetz und Obrigkeit, begeisterte Hingebung für das Vaterland und seine glorreiche Entwicklung, ächte Liebe zum Volk und treue Fürsorge für alle gesunden Keime der Volkswohlfahrt und -Bildung.«263

260 »Das preußische Dreiklassenwahlrecht«, Kreuzzeitung, 22. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, 25, BA . 261 National-Zeitung, 30. 11. 1855, zitiert nach: Grünthal, Parlamentarismus, S. 416. 262 Das Wahl-Comité der Deutschen für den Wahlkreis Posen [unleserl.], Rechtsanwalt, an Bismarck, Posen, 4. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . 263 An alle preußischen Patrioten, Berlin, 18. 10. 1867, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK .

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Um die Wahlen vom Ruch des Revolutionären zu befreien, hatte bereits im Herbst 1849 der Verfassungsausschuss der neu gewählten preußischen Zweiten Kammer das Traditionsargument in Anschlag gebracht, »nicht allein die Beteiligung der unteren Klassen an den Staatslasten spreche für ihre Heranziehung zu dem Wahlrecht, ein triftiger Grund dafür liege auch darin, daß es nicht wohl gethan sei, in Dingen, welche tief mit dem politischen Leben des Volkes zusammenhängen, ohne die äußerste Noth einen oftmaligen Wechsel eintreten zu lassen«.264 Da es nunmal ein breites Wahlrecht gebe, so die konservative Logik, sollte es nicht wieder abgeschafft werden, denn das würde zu einer unnötigen Änderung führen. Um 1900 griffen dann die wenigen Verteidiger des Dreiklassenwahlrechts zu dieser Rechtfertigung: Es sei grundsätzlich nicht ratsam, altes geltendes Recht anzugreifen. Hier ging es um die konservative Doktrin, Dauer legitimiere Herrschaft; bei langer Herrschaftsdauer wachse Recht aus dem Unrecht »wie die Blume aus dem Mistbeet« (Ernst Ludwig von Gerlach).265 Eleganter löste das der Katholik Peter Reichensperger mit der Behauptung, Verfassung und Wahlrecht seien nicht etwa das »Product einer willkürlichen Doktrin neuesten Datums, sondern sie beruht auf der breitesten historischen Grundlage des uralten Rechtes aller deutschen Stämme«.266 Vielen Männern des 19. Jahrhunderts schien es einleuchtend, dass Wahlen dem Staatszweck dienten, Informationen über das Volk zu liefern (eine Idee, über die Karl Marx seinen geballten Hohn ausschüttete, weil sie hinter der eigentlichen Idee, dass Wahlen der Legitimierung dienten, weit zurückblieb).267 »Der König [will] jetzt auch Leute aus seinem ganzen Volke hören«, hieß es im April 1848 im Wahlaufruf eines Flugblattes.268

264 Ausschuss für Verfassungsrevision, Drucksache, No. 237, 13. 10. 1849, S. 16, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 1, BA . 265 Nipperdey, Bürgerwelt, S. 315. 266 Reichensperger, Wahlen, S. 4. 267 »Die Berliner ›National-Zeitung‹ an die Urwähler«, Neue Rheinische Zeitung, 26. 1. 1849; »Die ›Kölnische Zeitung‹ über die Wahlen«, Neue Rheinische Zeitung, 1. 2. 1849. 268 Flugblatt »Liebe Landsleute«, von 18 namentlich genannten Bürger, Stargard, 25. 4. 1848, Rep. 60, Nr. 34 (Grfswld), Bl. 98, LAG ; ähnlich: Abschrift, Minister des Innern gez. V. Jagow an Ober-Präsidenten, Berlin, 22. 3. 1862, I. HA Rep. 76 Seminare, 10311, GStA PK ; Wilhelm I. an das Staatsministerium wegen der Ausführung der Wahlen der Abgeordneten zum Landtag, 19. 2. 1862 (richtig: 19. 3. 1862), 1858–1862, VI . HA Nl Krieger, R., 26, GStA PK .

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Unter den Konservativen griff allmählich der Glaube an eine von »ächt patriotischer Gesinnung getragene Majorität« um sich.269 Angesichts der liberalen Siege in Preußen vermuteten sie, das Dreiklassenwahlrecht lasse diese Wahrheit nicht ans Licht kommen. Tatsächlich verlor für viele Traditionalisten aufgrund des ungleichen Dreiklassenwahlrechts und aufgrund der Hoffnung auf die (eigentlich) konservative Majorität das Mehrheitsprinzip überhaupt seinen Schrecken. Wilhelm I. jedenfalls meinte es wahrscheinlich ernst, als er vor den Wahlen 1862 erklären ließ: »Meine Überzeugung ist – Ich weiß es – auch in den Herzen Meiner Unterthanen lebendig, und es kommt nur darauf an, denselben Meine wahre Gesinnung für deren Wohl klar und offen darzulegen.«270 Und es war nicht einfach machtpolitischer Zynismus, als der Innenminister 1862 entsprechend die Oberpräsidenten aufforderte, doch »die leitenden Grundsätze und die Absichten der Regierung« zum »klaren Verständniß« zu bringen, dann »bürgt der loyale […] Sinn der großen Mehrheit der Bevölkerung dafür, daß die Majorität der Wähler treu zur Regierung Seiner Majestät des Königs halten werde«.271 Gewiss waren diese Selbstversicherungen oft genug ein Pfeifen im Walde, mit dem man die Risikohaftigkeit der Wahlen zu bannen suchte. Häufig war dabei von »Vertrauen« die Rede.272 »Vertrauen« erwies sich als ein wichtiger Diskurs, mit dem man die neuen Legitimationsbedürfnisse und Herrschaftsverhältnisse zu mildern suchte; denn »königliches Vertrauen in sein Volk« klang besser als »Abhängigkeit des Königs vom Wählerwillen«.273 Im Wahlaufruf der Regierung zu den ersten Reichstags-

269 Circulare an sämmtliche König Herren Landräthe von Minister des Innern, von Westphalen, 5. 9. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 270 Wilhelm I. an das Staatsministerium wegen der Ausführung der Wahlen der Abgeordneten zum Landtag, 19. 2. 1862 [richtig: 19. 3. 1862], 1858–1862, VI . HA Nl Krieger, R., 26, GStA PK . 271 Abschrift, Minister des Innern gez. V. Jagow an Ober-Präsidenten, Berlin, 22. 3. 1862, I. HA Rep. 76 Seminare, 10311, GStA PK ; vgl. auch Bismarck an Eulenburg, 14. 2. 1866, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; vgl. auch Carl Brown an den Minister-Präsidenten Herrn Grafen von Bismarck, Wallischei (Posen), 5. 12. 1865, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . 272 Wilhelm I. an das Staatsministerium, 25. 10. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 273 Vgl. etwa Minister des Innern v. Jagow an die Oberpräsidenten, Berlin, 22. 3. 1862, I. HA Rep. 76 Seminare, 10311, GStA PK ; Provinzial-Correspondenz, Jan. 1867, zitiert nach: Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 104.

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wahlen war gar vom »unbegrenzten Vertrauen des Königs« aufgrund der Geheimhaltung der Wahlen die Rede.274 Die scharfe Zuspitzung des Konflikts mit den Sozialdemokraten und die Unfähigkeit, diese zu integrieren, erschwerten später diese Umschreibungen. Konservative Staatsrechtler sahen darüber hinaus in der Stimmabgabe – ganz ähnlich wie die Reformer zu Beginn des 19. Jahrhunderts – eine Verpflichtung gegenüber dem Staat. Der Jurist und Historiker Ferdinand Frensdorff etwa erklärte, »es handelt sich bei der Abgabe von Stimmen nicht um eine persönliche Befriedigung, sondern um einen allgemeinen Staatszweck«.275 Die Wahlaufrufe der Regierungen griffen diese Position immer wieder auf und sprachen von »Unterthanen-Pflicht«, »nationalem Pflichtgefühl« oder »unerläßlicher Pflicht aller patriotisch Gesinnten«.276 In John Stuart Mills Argumentation kam der Pflichtgedanke mit dem Vertrauensgedanken sprachlich in dem englischen Begriff trust zusammen. Mill argumentierte gegen die geheime Stimmabgabe, weil sie zu der irrigen Ansicht des Wählers führe, »das Wahlrecht sei ihm um seiner selbst willen gegeben«, dabei sei doch das Stimmrecht »moralisch, im vollsten Sinne des Ausdrucks, etwas ihm Anvertrautes«.277 Über den Gedanken der patriotischen Pflicht fanden viele konservativ Gesinnte zu einer Wahlinterpretation, die Wahlen als unbedingte Notwendigkeit erscheinen ließen. So hieß es 1898 in einem Wahlaufruf: eine Wahlenthaltung sei nicht akzeptabel, weil mit den Wahlen »die Existenz unseres nationalen Staates, die Errungenschaften aller der mit dem kostbaren Blute unserer Väter und Brüder erkauften Siege« in Gefahr stünden.278 Die Sozialdemokraten griffen später den Pflichtbegriff zum eigenen Nutzen auf: der Arbeitgeber müsse den Arbeitern für den Wahlgang frei geben, damit sie ihre Staatsbürgerpflicht erfüllen könnten.279

274 Provinzial-Correspondenz, Januar 1867, zitiert nach: Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 104. 275 Frensdorff, Aufnahme des allgemeinen Wahlrechts, S. 200f. 276 Wahl-Aufruf, Berlin, 15. 9. 1863, VI . HA Nl Zitelmann, K., Nr. 93, GStA PK ; Abschrift, Regierungs-Präsident an Minister des Innern, Berlin, Posen, 14. 1. 1899, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248, GStA PK ; Reichskanzler an Minister des Innern, 27. 12. 1906 u. 8. 12. 1911, 16 Bü 253, Durchführung der Wahlen zum deutschen Reichstag, HStAS tgt. 277 Zitiert nach: Buchstein, Public Voting, S. 19. 278 »Wahlenthaltung«, Schlesische Zeitung, 11. 6. 1898. 279 Arons, Beteiligung, S. 762.

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Kriegsmetaphern Wie in den USA strotzten auch in Preußen die Wahldiskurse von Kriegsmetaphern.280 Diese verbanden Wahlen mit dem »heiligsten« Männlichkeitskonzept, nämlich der des Kriegers, und verschärften den Appell an das Pflichtgefühl. So stellten die Konservativen in ihren Aufrufen die Wahl häufig als einen Kampf für Volk und Vaterland dar.281 Der konservative Innenminister Manteuffel erklärte im Dezember 1848, es gelte, den »Kampfplatz zu betreten, um das Bestehen der Verfassung durch die Wahl patriotischer und einsichtsvoller Abgeordneter sicher zu stellen«.282 Das Osthavelländische Kreisblatt unterstrich im Juli 1849 die Wahl als Pflicht gegenüber dem König: »Der König hat gerufen, – wer zu ihm hält, der folge Seinem Ruf!«283 Die Kampfmetapher erlaubte auch den Hinweis auf den Feind und verband die Pflicht zur Wahl mit der Pflicht zur loyalen Wahl. 1855 lancierte Innenminister Westphalen im Preußischen Sonntagsblatt den dringenden Aufruf an die »Lieben Landsleute«: »Liebe Freunde, es hilft nicht, daß wir etwa sagen, es sei ja früher unter der alleinigen Herrschaft unserer trefflichen Hohenzollernschen Fürsten auch ohne Kammern recht gut im Vaterlande zugegangen. […]; aber jetzt ist es einmal die Ordnung und Verfassung des Staates, an welche sich unser König aus freiem Entschluß gebunden hat, daß er Abgeordnete beruft.«284 In dem Aufruf hieß es außerdem: »Wenn die Wohlgesinnten nachlässig sind bei der Wahl, so werden das die Böswilligen, die Demokraten und heimlichen Feinde unserer Fürsten benutzen, um ihre Leute nach Berlin zu schicken, auf daß es von Neuem zu Zank und Hader und zu traurigen Zuständen komme, wie wir sie leider in dem schmachvollen Jahre 1848 durchgemacht haben.« Bismarck sprach bei seinen großangelegten Strategien der Wahlbeeinflussung von einem »Mobilmachungsplan«.285 Die Kriegsmetapher unterstrich 280 Baker, Domestication, S. 628f. 281 Brief von Kammergerichts-Rath Gottdammer an Karl Wilhelm Bötticher, Berlin, 25. 1. 1849, VI . HA Nl. Boetticher, K., 31, Wahlen zu Hause der Abgeordneten, GStA PK ; Flugblatt von Vorstand des Neisser Veteranen-Vereins, »Offene Ansprache«, Neisse, 15. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 110, GStA PK . 282 Schreiben Manteuffel an Staatsministerium, 28. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 283 »(Verspätet.) Liebe Landsleute!«, Osthavelländisches Kreisblatt, 21. 7. 1849. 284 Neues Preußisches Sonntagsblatt, September 1855, enthalten in: Brief Westphalen an Minister-Präsidenten Manteuffel, 21. 9. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 285 Bismarck an Eulenburg, vertraul., Berlin, 24. 5. 1865, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, Bl. 29f., GStA PK .

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auch die Zusammengehörigkeit. »Darum fort mit allen kleinen Einzelbedenken und abgeschüttelt alle Lässigkeit und Trägheit!«, kommentierte 1898 die Schlesische Zeitung. »Gerade diejenigen, welche die Größe und Wehrhaftigkeit des Vaterlandes erhalten wissen wollen, sollen einmüthig und vollzählig zur Stelle sein am Tage der Entscheidung. Frisch in den Kampf für Kaiser und Reich!«286 Die Wahlpflicht als Mannespflicht zeigte in den unteren Schichten zumindest bei den Dreiklassenwahlen wenig Wirkung. Während in den USA Parteien, Alkohol und eine republikanische Tradition die Stimmabgabe spätestens seit den 1840er Jahren auch im Volk Wurzeln schlagen ließen, blieb es in Preußen zunächst fraglich, ob die traditionalen Bevölkerungsschichten die Wahlpraxis in ihre Lebenswelt integrieren konnten. Regierungsberichte und Zeitungsartikel aus den Provinzen geben einen Einblick davon, welchen Stellenwert Wahlen erhielten. So ähneln sich die Meldungen über Sedanfeiern und Wahlen. Beide dienten der nationalen Integration. Regelmäßig hieß es beispielsweise aus Pommern nach den Kommunal-, Abgeordnetenhaus- oder Reichstagswahlen mit leichten Variationen: »Die vor kurzem stattgefundenen Wahlen […] sind durchweg in regierungsfreundlichem Sinne ausgefallen. Im September wurde allerorten die Sedanfeier, insbesondere von den Schulen und den Kriegervereinen, festlich begangen.«287 Wobei der Sedantag gewiss mehr Freude aufkommen ließ als die Stimmabgabe. Denn die Wahlen wurden zwar immer selbstverständlicher, doch spielten sie im Alltagsleben der Menschen kaum eine Rolle.288 Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts fingen die Preußen bei den Reichstagswahlen an, sich die Stimmabgabe als Instrument der Selbstbestimmung anzueignen.289

286 »Wahlenthaltung«, Schlesische Zeitung, 11. 6. 1898. 287 Abschrift Immediatbericht von Arnim, Regierungs-Präsident, Stralsund, Eingang: 29. 8. 1893, u. weitere Berichte in der Akte, I. HA Rep. 90A, Nr. 3906, Immediatzeitungsberichte des Regierungspräsidenten zu Stralsund, 1889–1918, GStA PK ; vgl. auch die Unterlagen und Zeitungsberichte in I. HA Rep. 89, 16005, 1880–1889 u. I. HA Rep. 89, 16078, Bd. 29, GStA PK . 288 Antrag, Nr. 467, von v. Bonin, 16. 2. 1854, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 6, GStA PK . 289 Mellies, Stereotyp, S. 36f.

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Kirchen Kaum zu überschätzen sind die Kirchen, wenn man nach Gründen sucht, warum die unteren Schichten Wahlen akzeptierten.290 Ähnlich wie die Monarchie hatten auch Kirchen kaum einen Grund, sich auf dieses moderne Herrschaftsinstrument einzulassen, das gottgewollte Legitimationen infrage stellte und durch rationale Logik zu ersetzten drohte. Allerdings waren Religion und politische Wahlen im 19. Jahrhundert schon rein organisatorisch eng miteinander verbunden: Die Prediger hielten zu den Wahlen der Stadtverordneten eine Ansprache; die Wahlen fanden in allen Jahrzehnten in den Kirchen und teilweise in Synagogen statt – und das bedeutete nicht nur, dass der Raum von den Geistlichen zur Indoktrination genutzt wurde, sondern auch, dass die Menschen sich hier nicht fremd fühlten. Und schließlich waren es die Kirchengemeinden, in denen die Bürger bereits vor dem 19. Jahrhundert regelmäßig wählen konnten. Die religiöse Einbettung des parlamentarischen Betriebs in Gottesdienste zur feierlichen Eröffnung des preußischen Landtages291 bedeutete ebenfalls eine Einordnung in den Horizont der Menschen, sozusagen eine Normalisierung, Entradikalisierung – eine Aneignung. In Preußen erkannte der katholische Klerus schnell die Bedeutung und die Chancen von politischen Wahlen.292 Kanzelaufrufe und geistliche Ermahnungen wurden ein fester Bestandteil der Wahlkultur.293 Wahlen waren für Katholiken und Konservative nicht nur eine Kröte, die sie schlucken mussten. Die Institution der Massenwahlen erwies sich als ein Chamäleon, das sich den unterschiedlichen Bedürfnissen anpasste. Sie bot den traditionsbedürftigen und romantischen Seelen einen Übergang in die Moderne, die ohne die Massen und die Gleichheitsidee nicht mehr zu fassen war.

290 Anderson, Practicing Democracy, S. 69–151; Sperber, Kaiser’s Voters. 291 Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung. Die 1909 einberufenen beiden Häuser des Landtags. Haus der Abgeordneten, 11. 1. 1910, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 9, Bd. 6, GStA PK . 292 Vgl. Kap. 4; An Ein hohes königliches Ministerium des Innern zu Berlin von [6 Unterschriften], Bleichen (Posen), 10. 2. 1849, I. HA Rep. 169 C Abgeordnetenhaus Abschnitt 80, Nr. 4, Bd. 1, 76–79RS , GStA PK ; Votum des Ministers des Innern, v. Westphalen, zu dem Gesetz-Entwurfe der Bildung des Hauses der Abgeordneten der Zweiten Kammer betreffend, Berlin, 31. 1. 1855, 4, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, BA . 293 Anderson, Practicing Democracy, S. 69 et passim; s.a. Anderson, Windthorst.

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Krieg Ein Argument für allgemeine Wahlen leuchtete den Konservativen zunehmend ein, auch wenn es zunächst vor allem von Liberalen angeführt wurde: Ein Mann, der in den Krieg zog, sollte auch das Wahlrecht besitzen. Tatsächlich schien der Lauf der Geschichte dieser Logik zu folgen. Nach den Befreiungskriegen setzte sich beim Wiener Kongress 1815 zwar das Bedürfnis nach Restauration durch, doch die Herrscher verstanden die Notwendigkeit einer (wie auch immer gearteten) Verfassung. Die südwestdeutschen Länder führten ein für internationale Verhältnisse weites Wahlrecht ein. Der Amerikanische Bürgerkrieg (1861–1865) wiederum gilt als entscheidender Initiator des afroamerikanischen Stimmrechts. Es scheint ein sich wiederholender Mechanismus zu sein: Auf den Krieg, egal ob gewonnen oder verloren, folgt die Wahlrechtserweiterung. Die naheliegende Erklärung für dieses Phänomen, die Historiker ebenso geben wie Zeitgenossen, ist der gleichmacherische Effekt von Kriegen, denn jeder Mann setzt im Kampf gleichermaßen sein Leben aufs Spiel.294 Doch ist das wirklich plausibel? Heinrich von Sybel verwies darauf, dass der Großteil der Soldaten zwischen 20 und 25 Jahren alt sei, also aus Altersgründen ohnehin keinen Anspruch auf das Wahlrecht besitze.295 Zudem folgt auf Krieg insgesamt gesehen wohl eher Chaos und Entrechtung. Und in den Söldnerkriegen in den Jahrhunderten zuvor hatte niemand aus dem Soldatentum ein Gleichheits- oder gar ein Partizipationsrecht hergeleitet. Doch mit dem 19. Jahrhundert änderte sich das, und Kriege schienen nun den Prozess der Demokratisierung zu unterstützen.

Wehrpflicht und Wahlrecht Das hing gewiss mit der Nationalisierung der Kriege zusammen. Die Völkerschlacht bei Leipzig prägte sich im Bewusstsein der Zeitgenossen als die Schlacht ein, bei der sich erstmals »Völker« gegenüberstanden – und nicht mehr die Söldner der Fürsten. Tatsächlich zeigte sich in Leipzig sinnbildhaft die neue Zeit: die mobilisierende Gemeinschaftsidee der Nation einerseits und die neue Dignität des Individuums andererseits. Durch die Nationalisierung der Kriege und den Gedanken vom autonomen Bürger 294 Mattmüller, Durchsetzung, S. 217; Keyssar, Right to Vote, S. XXI , S. 14f., 35f.; Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 18. 295 Below, Wahlrecht, S. 15.

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erfuhren Krieg und Soldatentum einen erstaunlichen Imagegewinn: Der Einwohner, der zuvor wie ein Hase zum Heeresdienst eingefangen, zwangsweise in der Kaserne eingesperrt und zuweilen an ausländische Kriegsherren verschachert worden war, stürzte sich dank des nationalen Gedankengebäudes als freier Mann bereitwillig in die Schlacht – so zumindest die Theorie, die allerdings zunehmend auf Resonanz stieß. 1848 füllten die Redakteure die Zeitungen mit Berichten über militärische Konflikte und Truppenverschiebungen. Die USA kämpften in Mexiko, die Preußen führten Krieg mit Dänemark. Nation und Krieg legitimierten sich gegenseitig. Die Konstruktion der Nation ging selten ohne Kriege vonstatten. Charles S. Maier listet in seiner globalen Sicht auf die Nationsbildungen im 19. Jahrhundert zwanzig dieser Konflikte auf, darunter den Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865, den Krieg des Deutschen Bundes gegen Dänemark von 1864, den deutschen Krieg zwischen Österreich und Preußen 1866 und den deutsch-französischen Krieg von 1870/71.296 Wie so oft erfuhren Legitimationsstrategien durch die Verbindung mit Männlichkeit eine besondere Überzeugungskraft. Die Gesellschaften in der Mitte des 19. Jahrhunderts militarisierten sich. Vor allem in den USA , aber auch in Preußen herrschte in breiten Bevölkerungsschichten eine derbe, brutale Männlichkeit, eine Hochschätzung des Militärs, des kämpfenden, tötenden Mannes.297 Doch in diesen Diskursen, die auch die unteren Schichten erfassten, überschnitten sich Krieg und politische Partizipation kaum. Andrew Jackson wurde von den einfachen Amerikanern weniger als Präsident und Mann der Demokratie gefeiert denn als unerschrockener General.298 Überhaupt sahen sich die Soldaten selbst in erster Linie nicht als wählende Staatsbürger, sondern vielmehr als Helden des Vaterlandes. Bezeichnenderweise finden sich kaum Zeugnisse aus den Schlachtfeldern und Schützengräben, die das Wahlrecht als eine Herzensangelegenheit der Soldaten dokumentieren, obwohl die Forschung das immer wieder nahelegt. Der Historiker Jack R. Pole hat immerhin für die USA »eine Art Petition«, wie er es nennt, von 1815 gefunden. Auf diesem Vordruck wurde bei der Musterung die Zahl der eingezogenen Männer ebenso eingetragen wie die 296 Maier, Leviathan, S. 114f. 297 Zur Ähnlichkeit des Militarismus in Republiken und Monarchien: Althammer, Bismarckreich, S. 82f. 298 Keyssar, Right to Vote, S. 59.

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Zahl derjenigen, die das Wahlrecht besaßen, womit – so interpretiert Pole die Druckvorlage – auf die hohe Zahl der Nichtwähler hingewiesen werden sollte.299 Doch es ist nicht ganz einfach, die Quelle einzuordnen. Falls der Vordruck tatsächlich eine Protestation gewesen sein sollte: Zeigt sich hier nicht vielmehr eine gut organisierte, kleine Gruppe, die mithilfe der anderen ihrer Forderung Ausdruck verlieh? Ging es um das Bedürfnis einfacher Soldaten? Allerdings findet sich doch mindestens ein eindrucksvolles Beispiel für die Partizipationsforderung von Soldaten: die Afroamerikaner im Bürgerkrieg. Sie argumentierten 1865, dass sie das Stimmrecht verdienten, weil sie sich als gute Soldaten bewährt hätten.300 Doch gerade in diesem Fall wird deutlich, dass der Kriegsdienst allenfalls ein Faktor unter anderen war. Denn noch nach dem Krieg stimmte selbst in den Unionsstaaten die weiße Mehrheit in Plebisziten gegen ein Wahlrecht der Afroamerikaner, und wie wir gesehen haben, konnten erst die Radical Republicans Jahre nach dem Krieg mit ihrer kompromisslosen Haltung das Wahlrecht durchsetzen.301 Es ist unübersehbar, dass es auch in diesem Fall namentlich die Gebildeten wie Pastor Henry Ward Beecher waren, die für das Wahlrecht kämpften.302 Auch der Bürgerkriegsgeneral Sherman sprach sich für das Wahlrecht der Afroamerikaner aus, denn »der Hand, die das Gewehr gehalten hat, kann man es nicht verwehren, den Stimmzettel in die Urne zu werfen«. (Zugleich betonte er, er halte die weiße Rasse gegenüber der schwarzen Rasse für überlegen.)303 Es mutet fast zynisch an: Krieg um Krieg hofften Afroamerikaner für ihren Einsatz und ihre Opferbereitschaft mit der rechtlichen Gleichstellung belohnt zu werden. 1918 dann rief W. E. D. Du Bois dazu auf: »Lasst uns […] unsere speziellen Kränkungen vergessen und uns den Schulterschluss mit unseren weißen Mitbürgern suchen.«304 Aber auch nach dem Ersten Weltkrieg sorgte sich niemand darum, den African Americans ihr geraubtes Wahlrecht wieder zu ermöglichen. Doch in der Regel scheint die Logik von Krieg und Wahlrecht nicht die zu sein, dass Männer einfordern, für ihren Heeresdienst mit Partizipa-

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Pole, Representation, S. 34. Keyssar, Right to Vote, S. 81f. Foner, Reconstruction, S. 176–227. Beecher, Universal Suffrage, S. 9; Keyssar, Right to Vote, S. 59. Zitiert nach Beecher, Universal Suffrage, S. 10. Du Bois, Close Ranks.

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tionsrechten belohnt zu werden. Vielmehr offenbart sich hier einmal mehr die gouvernementale Nützlichkeit von Wahlen. In den Kriegen des 19. Jahrhunderts ging es stets auch um die Frage nach dem Herrschaftsanspruch des Zentralstaats. Die modernen Massenkriege wären aber gar nicht möglich gewesen, wenn der Staat nicht zuvor schon einen tief greifenden Anspruch auf den individuellen Bürger durchgesetzt hätte. Der Staat brauchte den egalitären Bürger ohne Privilegien für den Einsatz im Krieg, und das Militär festigte diese Gleichheit: Auf dem Schlachtfeld der Massenkriege und wohl noch mehr in den Mystifizierungen des Krieges schmolzen die Männer zu einer Gemeinschaft, für die Hierarchisierungen jenseits des militärischen Disziplinarapparats kaum noch eine Berechtigung haben konnten. Der Krieg riss regionale Mauern nieder und befreite die Kulturen aus dem Korsett der lokalen Ordnungen.305 Dafür zog er allerdings die Mauern zwischen den Völkern, aber auch zwischen den Geschlechtern umso höher hinauf. Da Frauen »die Krone aller Pflichten gegen den Staat«, die Wehrpflicht, nicht erfüllten, so formulierte etwa der Konservative Hermann Wagener die immer wiederholte Begründung, stehe ihnen auch nicht das Stimmrecht zu.306 Erst mit der Totalisierung des Krieges im 20. Jahrhundert bezog das Argument (Kriegsdienst als Qualifikation für Wahlrecht) dann auch die »Heimatfront« und die Frauen in seine Integrationslogik ein.307 Aus der Gleichheit im Kriegselend die staatsbürgerliche Gleichheit zu schlussfolgern, lag also in der Luft. So wurde die Idee des freiwillig der Nation dienenden, wählenden Staatsbürgers zu einem wirkmächtigen Konstrukt. Es waren aber eben nicht die Soldaten selbst, die diese Theorie nährten und das Argument führten, sondern die üblichen Eliten, die auch sonst das Stimmrecht einforderten: Politiker, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre, Intellektuelle – die Stützen staatlicher und gesellschaftlicher Macht. Doch auch hier geht es nicht um schlichte Interessenkausalitäten, etwa in dem Sinne, dass Eliten einen (egoistischen) Wunsch hegten, für den sie 305 Gellner, Nationalismus, S. 89. 306 Frevert, »Unser Staat«, S. 120. 307 Redebeitrag Stadthagen, Sten. Ber. RT, 6. 7. 1917, Sp. 3521; Die preußischen Vereine des Deutschen Frauenstimmrechtsbundes: Berlin. Breslau. Danzig. Frankfurt/M. Halle/S. Göttingen, i.a. [unleserl.] Minna Cauer, Vorsitzende des Ortsvereins Berlin des deutschen Frauenstimmrechtsbundes, 15. 5. 1917, I. HA Rep 169 C 80, Nr. 25, vgl. auch weitere Unterlagen in der Akte, GStA PK ; vgl. Bader-Zaar, Women’s Suffrage; Schaser, Helene Lange und Gertrud Bäumer.

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dann den kleinen Mann mit fadenscheinigen Argumenten in Dienst nahmen. Die Logik leuchtete angesichts der strukturellen Veränderungen einfach ein, sie war überzeugend, die unteren Schichten widersprachen auch nicht. Dabei schien das Argument zunächst vor allem die Liberalen zu überzeugen, während die Konservativen es noch lange Zeit für vorgeschoben hielten. Die »freien Völker«, so erklärte Carl Welcker bereits 1838, hätten schon immer »die unmittelbaren politischen Stimm- und Entscheidungsrechte im bürgerlichen Gemeinwesen mit den Pflichten, dasselbe auf Leben und Tod zu vertheidigen«, verbunden. »Wer den Krieg zu beschließen das Recht haben will, der muß ihn auch verteidigen.«308 Das hatte mit den historischen Tatsachen wenig zu tun, begründete aber den immer dichter werdenden Elitendiskurs um die Militarisierung der Wahlrechtsfrage. »Die allgemeine Wehrpflicht, der nationale Gedanke und die Verfassung, es sind ja Geschwister, Kinder derselben Epoche«, so Hans Delbrück 1893 in seiner Begründung für das allgemeine Wahlrecht.309 Und der Wahlrechtshistoriker Georg Meyer erklärte in derselben Zeit: »Für einen Staat mit allgemeiner Wehrpflicht und allgemeiner Schulpflicht eignet sich das allgemeine Stimmrecht.«310 Im Ersten Weltkrieg griffen unterschiedliche einflussreiche Gruppen das Argument erneut auf. »Kein Krieger kehrt heim, der zur Erhaltung der alten Form steht, keiner, der nicht gewillt ist, neben die Gleichheit des Einsatzes seines Lebens fürs Vaterland, die Gleichheit des Rechts im Vaterlande zu setzen«, erklärte ein Gewerkschafter im Namen der Soldaten.311 Reichskanzler Bethmann Hollweg sorgte für eine Erklärung des Kaisers im April 1917, die Osterbotschaft: »Leuchtend stehen die Leistungen der ge-

308 Welcker, Geschlechtsverhältnisse, S. 649f. 309 Delbrück, Stimmrecht, S. 377; vgl. auch das Virchow-Zitat in Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 9. 12. 1883; vgl. z.B. auch die Redebeiträge aus allen Parteien, Sten. Ber. pr. AH , 5. u. 6. 12. 17. 310 Meyer, Wahlrecht, S. 448. 311 »Christlich-nationale Arbeiterbewegung und Lebensfragen von Volk und Reich«, Vortrag gehalten von Redakteur Joos-M. Gladbach auf dem 4. Dt. Arbeiter-Kongress, 28.–30. Okt. 1917 in Berlin (gedruckt im christlichen Gewerkschaftsverlag, Cöln 1917), I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 27, GStA PK ; vgl. auch Broschüre: »Arbeiterschaft und Kriegsentscheidung«, Vortrag gehalten von Generalsekretär Stegerwald auf dem vierten Deutschen Arbeiter-Kongress, 28.–30. Okt. 1917 in Berlin (gedruckt im christlichen Gewerkschaftsverlag, Cöln 1917), I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 27, GStA PK .

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samten Nation in Kampf und Not vor Meiner Seele. […] Nach den gewaltigen Leistungen des ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach Meiner Überzeugung für das Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum mehr.«312 Max Weber, auch kein Mann aus dem einfachen Volk, nannte das Wahlrecht für die Soldaten eine »Anstandspflicht«.313 Im 19. Jahrhundert sei es noch möglich gewesen, die vom Volke eingeforderten Verfassungsversprechen nicht zu halten, schrieb Friedrich Meinecke 1917, doch das habe sich gründlich geändert: »Ein Volk, das ein Zehnmillionenheer zu stellen und bei jedem neuen Existenzkampfe die namenlosen Opfer dieses Krieges wieder zu gewärtigen hat, läßt sich das nicht mehr gefallen.«314 Fortan blieb diese Logik insbesondere für konservative Denker überzeugend. Carl Schmitt sprach sich als »cäsarisch gesinnter Demokrat« für die Trias »echter Nationalismus, allgemeine Wehrpflicht und Demokratie« aus.315 Nun sind eigentlich immer »Eliten« die Wortführer, und es ist schwer auszumachen, inwiefern ein Politiker für breitere Schichten spricht oder ob ein Petitor tatsächlich im Namen der Entrechteten argumentiert. Dennoch bleibt die Frage, wo die Stimmen von unten sind, die erkennen lassen, dass das Wahlrecht für einfache Soldaten ein tieferes Anliegen war. In den zahlreichen Editionen von Feldpostbriefen und Memoiren spielt die Hoffnung auf ein Wahlrecht keine eminente Rolle. Die Frage stellt sich umso mehr, als Eliten das Wehrpflicht-Argument auch noch aus ganz offensichtlichen Nutzbarkeitserwägungen führten. Der Krieg identifizierte ebenso wie die Steuererhebung immer weitere Schichten als nützliche Individuen. »Jeder, der sein Teil beisteuert, ist von Natur aus und gemäß der Verfassung wahlberechtigt«, lautete die Devise im revolutionären Amerika nach den Freiheitskriegen am Ende des 18. Jahrhunderts.316 In der Verfassungsgebenden Versammlung sprach sich Benjamin Franklin gegen eine Landbesitzqualifikation aus mit dem Argument, diese wirke sich ungünstig auf »die Tugend und den öffentlichen Geist unserer einfachen Leute aus; dabei haben sie beides während des

312 »Eine Osterbotschaft Kaiser Wilhelms«, 7. 4. 1917, abgedruckt in: Der Tag, 8. 4. 1917. 313 Weber an F. Naumann, 3. 2. 1817, zitiert nach: Editionsbericht zu Weber, Ein Wahlrechtsnotgesetz, S. 216. 314 Meinecke, Osterbotschaft, S. 176. 315 Zitiert nach Müller, Nach dem Ersten Weltkrieg, S. 68. 316 Address of an Elector, Philadelphia, 29. 4. 1776, in: American Archives, University Library, http://amarch.lib.niu.edu/islandora/object/niu-amarch%3A95436 [25. 2. 2017].

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Krieges vielfach unter Beweis gestellt«; die amerikanischen Soldaten, so Franklin weiter, hätten nur wegen ihrer weitgehenden politischen Rechte eine so loyale Gesinnung im Krieg gezeigt.317 Etliche amerikanische Einzelstaaten akzeptierten den Kriegsdienst als ebenbürtige Wahlrechtsqualifikation wie die Entrichtung von Steuern: In New York durfte ein weißer Mann beispielsweise seit 1821/22 nicht nur wählen, wenn er Steuern bezahlte, sondern auch, wenn er Militärdienst geleistet hatte.318 In dieser Logik sollte das Wahlrecht als Anreiz dienen, als Belohnung für die Zeit nach dem Krieg. »Wann immer die Vereinigten Staaten sich im Krieg mit einem anderen Land befinden«, umschrieb ein amerikanischer Abgeordneter 1874 dieses Staatsinteresse, »und Bedarf an Soldaten, Bedarf an starken Körpern, muskulösen Armen und tapferen Herzen haben, werden sie großzügig das Wahlrecht ausweiten.«319 Die Gegnerschaft der Konservativen gegen das Dreiklassenwahlrecht rührte teilweise auch aus dieser Logik, wenn sie sich fragten, »ob denn ein Grenadier von Königgrätz, der zufällig nicht große Steuern zahlen könne, nicht so viel wiege als wie ein Spezereihändler, der zufällig reich geworden sei«.320

Demokratische Propaganda Es gab noch weitere Nützlichkeitserwägungen, die Regierungen in Kriegen dazu brachten, das Wahlrecht zu erweitern. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert, seit das allgemeine Wahlrecht in der nordatlantischen Welt mit Kultur und Zivilität identifiziert wurde,321 diente es auch der Propaganda. Als 1917 der Erste Weltkrieg überraschend zu einem Krieg um Demokratie geworden war, erklärte Reichskanzler Bethmann Hollweg im preußischen Staatsministerium, durch die Zuspitzung der innen- und außenpolitischen Situation, sei »ein in der Öffentlichkeit erkennbarer Schritt […] erforderlich durch Verheißung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für Preußen«. Entgegen der offiziellen Verlautbarungen erklärte der Kanzler: »Der entscheidende Grund für die Reform liegt

Journal of the Federal Convention (1840/2003), S. 471. Minutes of the Common Council of the City of New York, 14. 2. 1831, NYCMA . Zitiert nach: Keyssar, Right to Vote, S. 136. So der Abgeordnete Wagener im Zitat des Redebeitrags Windthorst, Sten. Ber. pr. AH , 26. 11. 1873, 96; die Rede wurde viel beachtet und zitiert, vgl. etwa Below, Wahlrecht, S. 8. 321 Richter, Transnational Reform. 317 318 319 320

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aber in der auswärtigen Politik mit ihrer starken Gefährdung der monarchischen und dynastischen Zustände. Es muss die Monarchie sich als eine volkstümliche darstellen.«322

Sprengung alter Strukturen durch den Krieg Trotz des vielfach vorgebrachten Arguments, dass jedem Kriegsteilnehmer das gleiche Partizipationsrecht zustehe, und obwohl es potente Gruppierungen gab, die diesem Zusammenhang Wirkkraft verliehen, wird es kaum der alleinige Grund gewesen sein, warum Krieg und Wahlrechtserweiterung im 19. Jahrhundert oft Hand in Hand gingen. Wohl mindestens so wichtig ist die Tatsache, dass der Krieg Fesseln sprengte, Strukturen zerschlug, Ordnungen zerstörte. Kriege wirkten wie Brandbeschleuniger. Sie dynamisierten Prozesse, die ohnehin anstanden, wohin die Zeit, die Strukturen, die Mentalitäten drängten. In diese Richtung geht auch ein Argument von Charles Tilly. Öffentliche Gewalt entfessele die Mechanismen, die zur Demokratie führen, indem sie »Vertrauensnetzwerke« verändere und zur Abnahme sozialer Ungleichheit führe. Demnach bringt die Gewalt nicht direkt die Demokratie hervor, sondern Gewalt bricht überkommene Strukturen auf.323 Daher findet sich der Zusammenhang von Krieg und Wahlrecht auch erst im 19. Jahrhundert, denn ohne die sich ausbreitende Idee der Gleichheit und ohne ihre Praxis hätte Gewalt nicht zur Demokratisierung geführt. Überzeugend ist auch, dass in Tillys Analyse die Intention der Akteure kaum eine Rolle spielt,324 während Acemoglu und Robinson ja davon ausgehen, dass Gewalt eine Bedrohung von unten darstellt, die Eliten zum Einlenken und zur Demokratisierung zwingt. Für den intentionalen Mechniamus aber bieten die Akten keine Evidenz. Sie zeigen jedoch, dass die kriegerische Gewalt – zum Teil auch gegen den Willen maßgeblicher Eliten – zu existenziellen Neuerungen führen konnte. Das wird nicht zuletzt beim Frauenwahlrecht deutlich, das sich nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzen konnte, obwohl viele Herrschaftseliten nach wie vor Bedenken hegten.325 Max Webers und Friedrich Meineckes Streitschriften und 322 Protokoll Staatsministerium, 5. 4. 1917, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3239, GStA PK . 323 Tilly, Contention and Democracy; vgl. zum gleichmacherischen Effekt auch Piketty, Kapital. 324 Ziblatt, How Did Europe Democratize?, S. 329f. 325 Morgan, Woman Suffrage; Higonnet/Higonnet, Double Helix; zu den Bedenken der Herrschaftseliten vgl. Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 201 et passim.

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Abhandlungen für ein Ende des Dreiklassenwahlrechts sind dann besonders überzeugend, wenn sie auf den allgemeinen Kontext der Zeit verweisen. Meinecke notierte 1916: »Hier wie dort bricht man mit alten untauglich gewordenen Traditionen und wagt den Sprung in das Neue. Sollte man ihn nicht auch da wagen, wo der Sprung schon längst erwogen und wiederholt angekündigt war?«326 Und Weber erklärte: »Gegenüber der nivellierenden unentrinnbaren Herrschaft der Bureaukratie, welche den modernen Begriff des ›Staatsbürgers‹ erst hat entstehen lassen, ist das Machtmittel des Wahlzettels nun einmal das einzige, was den ihr Unterworfenen ein Minimum von Mitbestimmungsrecht über die Angelegenheiten jener Gemeinschaft, für die sie in den Tod gehen sollen, überhaupt in die Hand geben kann.«327

Boykott und Wahlabstinenz Die Geschichte des Wahlrechts ist gewiss nicht nur eine Geschichte von friedlicher Anpassung und Aneignung. Schon 1848/49 wurden die Wahlrechtsfragen mit intensiver Leidenschaft ausgetragen. Das Dreiklassenwahlrecht führte zu wachsender Empörung und Verbitterung. Diese Aspekte allerdings sind gut erforscht. Kaum eine deutsche und gewiss keine preußische Geschichte kommt ohne den Hinweis auf die Perfidie des Dreiklassenwahlrechts aus. Dennoch lohnt sich ein genauer Blick auf den Widerstand gegen das Dreiklassenwahlrecht, der zum Boykott führte. Denn damit eröffnen sich nicht nur neue Funktionszuschreibungen. Eine Analyse des Wahlboykotts verdeutlicht auch die konträre Wahldeutung der Konservativen. Denn ein konservativer Wahlboykott ist in der Geschichte so gut wie unbekannt, für Preußen findet sich kein Beispiel, und in den USA könnte man allenfalls die degoutierte Abstinenz der Oberschichten als solchen auslegen; doch war das kein organisierter Boykott, oft wohl auch keine ausdrückliche, demonstrative Wahlenthaltung, wahrscheinlich eher ein flüchtiges Unterlassen denn eine bewusste Entscheidung dagegen.

326 Meinecke, Reform, S. 147. 327 Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 372.

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Wahlakt als Performanz der Unterwerfung Wahlen, die bisher immer auch der Integration gedient hatten, wurden für zahlreiche Gruppen zu einem Instrument, aber auch zu einem Symbol von Exklusion und Desintegration. Der Wahlakt bedeutet in diesem Horizont eine Unterwerfung unter die Obrigkeit oder doch zumindest ein offenes Eingeständnis, die Herrschaft anzuerkennen. Ein demokratisches Flugblatt von 1849 warnte vor der performativen Bedeutung der Stimmabgabe: »[W]ir haben das Wahlgesetz durch unsere Theilnahme acceptirt und die Herren sind also unsere rechtsgültigen Vertreter«, brachte es den Wahlakt auf den Punkt; aber eben dagegen müsse jedermann aufstehen und sagen: »Wir aber wollen unsere Hand n i c h t dazu bieten.«328 Dabei funktioniert ein Boykott umso besser, je eher die Obrigkeit die Dinge ähnlich sieht, also eine Teilnahme an der Wahl tatsächlich als Ausdruck loyaler Gesinnung deutet und die Stimmabgabe einfordert. In Preußen wünschte sich die Regierung zwar eine höhere Wahlbeteiligung. Doch ging es ihr vor allem darum, dass die Bürger »richtig« wählten – eine Wahlenthaltung erschien ihr zumeist günstiger als die Stimme für den Gegner. Generell kann eine geringe Wahlbeteiligung auf die unterschiedlichsten Motivationen verweisen. Mangelnde demokratische Gesinnung oder Vertrauen in die Vernunft der anderen Wähler, geringe Akzeptanz oder Zufriedenheit mit der bestehenden Ordnung, demonstrativer Protest oder stillschweigende Zustimmung – alle diese Möglichkeiten sind logisch, empirisch aber kaum nachweisbar.329 Doch anders als die stillschweigende Wahlenthaltung ist der öffentlich angekündigte Wahlboykott ein klares Signal. Ein Wahlboykott kann eine Waffe der Nichtherrschenden und Chancenlosen sein. Er setzt in vielen Fällen ein Ausrufezeichen: Zu dieser Gemeinschaft gehören wir nicht. Er kann aber auch die Behauptung aufstellen, die Boykotteure seien die Gemeinschaft, und mit der Nichtteilnahme solle die nicht von der Mehrheit getragene Herrschaft delegitimiert werden. In den USA gab es keinen mächtigen Staat, der seine Bürger zur Stimmabgabe drängte. Dennoch nutzten US -amerikanische Abolitionisten den Wahlboykott, um ihre Verachtung gegen das politische System zu demonstrieren; die Verfassung sei »ein Pakt mit dem Tod und ein Vertrag 328 Druckschrift, Wollheim, »Das Wahlgesetz und die Wahlen«, 8, o. D., 1849, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3247, Bl. 199 RS , GStA PK . 329 Schäfer, Verlust; Nohlen, Wahlrecht, S. 171.

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mit der Hölle«, erklärte der Sklavereigegner William Lloyd Garrison; wer in einem Land zur Wahl gehe, das Sklaverei beschütze, begehe eine Sünde.330 Henry Thoreau weist anhand der Sklaverei die Unsinnigkeit des Mehrheitsprinzips nach: »Auch für das Rechte stimmen, heißt, nichts dafür tun«, erklärte er in seiner Schrift »Pflicht zum Ungehorsam« von 1849, ein »kluger Mensch wird die Gerechtigkeit nicht der Gnade des Zufalls überlassen, er wird auch nicht wollen, dass sie durch die Macht der Mehrheit wirksam werde. Denn in den Handlungen von Menschenmassen ist die Tugend selten zu Hause.«331 Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 boykottierte die Mehrheit der Weißen die Wahlen, an denen die Afroamerikaner teilnehmen durften. 1867, bei den ersten Wahlen in South Carolina mit afroamerikanischen Wählern, nahmen von den 46300 registrierten weißen Männern nur 2900 ihr Wahlrecht wahr. Die Weißen in South Carolina bemühten sich, so viele Männer wie möglich zu registrieren, damit diese bei den Wahlen durch Nichtteilnahme die Verfassungsgebung verhindern konnten. Denn die Verfassung war erst gültig, wenn eine Mehrheit aller Registrierten zustimmte.332 Das war zuvor in Alabama gelungen. Doch dann sorgte eine Verordnung aus Washington dafür, dass eine einfache Mehrheit für die Verabschiedung der Verfassung ausreichte.333 In Preußen kam es mit dem allgemeinen und gleichen Männerwahlrecht im Mai 1848 zum ersten Wahlboykott, also noch vor der Installation des Dreiklassenwahlrechts. Nationale Minderheiten lehnten es ab, sich an diesem deutschnationalen Großevent zu beteiligen. In Böhmen verweigerten sich die Tschechen: In 40 von 68 Wahlkreisen ging niemand zur Wahl.334 Die Polen in Posen ließen in einer publizierten »Protestation« wissen, sie seien gegen die Teilung Polens und die Einverleibung polnischen Territoriums in den deutschen Bund, und eine Wahlbeteiligung würde »dasjenige bestätigen, wogegen sie protestirt haben und wogegen sie zu

330 Garrison, Address to the Colonization Society; Tindall/Shi, America, S. 432; DuBois, Taking Law, S. 70. 331 Thoreau, Pflicht zum Ungehorsam, S. 14. 332 Reynolds, Reconstruction, S. 73f.; vgl. zur Diskussion über den Wahlboykott »Letter from Hon. B. F. Perry«, Anderson Intelligencer, 12. 6. 1867; »Greenville, S.C., June 23«, Daily Phoenix, 3. 7. 1867; Foner, Reconstruction, S. 314. 333 West, Reconstruction, S. 16; »Interested Friendship«, Charleston Daily News, 22. 11. 1867, S. 2. 334 Nipperdey, Bürgerwelt, S. 609.

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protestiren nie aufhören werden«.335 Wahlenthaltung hieß in dieser Interpretation: nicht mitzutun beim Spiel der Herrschenden. Dasselbe geschah dann in Hannover, als es von Preußen annektiert und als Provinz integriert wurde.336 Die linken Kräfte wiederum zielten in Preußen später mit ihrem Wahlboykott gegen das Dreiklassenwahlrecht. Wenn die Wahlen vom Juli 1849, »wie zu erwarten steht, von einer Minderheit ausgeführt« würden, hieß es in einer Protestschrift, dann habe das Volk »gegen ihre Gültigkeit sowie alle daraus entstehenden Folgen zu protestiren«.337 Den radikalen Demokraten galt der Protest als »Kampf um unsere Freiheit«. Am 11. Juni 1849 versammelten sich in Köthen etliche Männer als »Zentralkomitee zur Wahrung des allgemeinen Wahlrechts« und erließen den »Köthener Beschluss«. Sie wollten nicht nur das Wahlrecht delegitimieren, sondern zugleich die ganze Obrigkeit mitsamt der oktroyierten Verfassung. Anders als bei den Polen und Tschechen 1848 präsentierten sie sich nicht als Minderheit, sondern als Mehrheit: »Wir müssen uns jetzt die Überzeugung verschaffen, daß die Idee, welche uns durchdringt, auch die Mehrzahl des Volkes belebt, dann können und werden wir die Contre-Revolution besiegen«, hieß es im Aufruf an die Berliner.338 Die Auswirkungen des Boykottaufrufs sind jedoch unklar.339 Immerhin wehrten sich auch gemäßigte Angehörige der Gutsbesitzerschicht wie der Politiker und Beamte Hans Victor von Unruh, der Abgeordnete Georg von Vincke oder der Hauptverfasser des modernen MaiWahlgesetzes von 1848 Wilhelm Grabow gegen das oktroyierte Klassenwahlrecht und sabotierten es.340 Klar ist, dass die Wahlbeteiligung am 17. Juli 1849 eklatant geringer war als bei den allgemeinen Wahlen zuvor und bei nur knapp über 30 Prozent lag – die Beteiligung in der mittleren

335 »Protestation«, Posen, 28. 4. 1848, zitiert nach: Vossische Zeitung, 3. 5. 1848, S. 4. 336 Vgl. zur geringen Wahlbeteiligung in Hannover Graf zu Stolberg an Eulenburg, Hannover, 5. 11. 1867, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . 337 »An die Urwähler Berlins«, Comité der Berliner Volkspartei, 1949, in: http://edocs. ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/5235/ [1. 8. 2014]. 338 »An die Urwähler Berlins«, Comité der Berliner Volkspartei, 1949, in: http://edocs. ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/5235/ [1. 8. 2014]. 339 Thomas Kühne vermerkt vorsichtig, ihm sei »ein gewisser Rückhalt in der Wählerschaft nicht abzusprechen« gewesen (Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 379). 340 Rückblick in: »Die Sozialdemokratie bei den Landtagswahlen«, Vossische Zeitung, 9. 6. 1897.

Boykott und Wahlabstinenz

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Klasse lag mit nur 45 Prozent am höchsten.341 Wenn man bedenkt, dass die nächsten Wahlen mit allgemeinem und gleichem Männerwahlrecht – 1867 im Norddeutschen Bund zum konstituierenden Reichstag – wieder einen enormen Anstieg verzeichneten (wobei hier die nationale Euphorie die entscheidende Rolle spielte), lässt sich die überaus geringe Beteiligung bei den Dreiklassenwahlen nicht schlicht mit Apathie erklären.342 Ausschlaggebend war wohl die Ökonomie der Wahlenthaltung, auf die Thomas Kühne aufmerksam gemacht hat, weil es durch den indirekten Wahlmodus ausreichte, wenn nur einige wenige aus der dritten »Abteilung« zur Wahl gingen. So blieb den anderen die Mühe des Wahlgangs erspart.343 Entsprechend gering fiel auch die Beteiligung bei den Dreiklassenwahlen zum Erfurter Parlament im Januar 1850 aus, dem misslungenen preußischen Versuch der Reichsbildung.344 Ein weiterer wichtiger Grund für geringe Wahlbeteiligung ist stets auch die Häufung von Wahlen. Damit lässt sich der Absturz der Wahlbeteiligung bei den preußischen Wahlen im Herbst 1867 erklären. Im gleichen Jahr hatten bereits zwei Wahlen für den Norddeutschen Bund stattgefunden.

Nutzen und Kosten des Wahlboykotts Links-progressive Kräfte nutzten fortan Wahlen als Forum für Protest (gegen das ungleiche Wahlrecht und soziale Ungerechtigkeiten) und für Polemik (gegen die »ostelbische Junkerherrschaft«).345 Die Periodizität erlaubte die regelmäßige Wiederkehr des Protestes und ließ die Klassenwahlen allmählich zu einer schwelenden Wunde werden. Doch falls es bei den Wahlen tatsächlich etwas Wichtiges zu entscheiden gab, waren die Kosten für einen Boykott hoch – um von den Fällen zu schweigen, in denen Regierungen Nichtwähler bestraften (eine Variante, die im 19. Jahrhundert kaum, im 20. Jahrhundert jedoch epidemisch anzutreffen war). So entschlossen sich beispielsweise die Bremer Demokraten wieder bei den Wahlen teilzunehmen, nachdem sie die ersten Kommunalwahlen nach der Revolution von 1848/49 boykottiert und sich damit selbst von allen politischen Geschäften und der Arbeit an einer 341 342 343 344 345

Vossische Zeitung, 20. 7. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2462, GStA PK . Darauf verweist Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 165. Kühne, Entwicklungstendenzen, S. 139. Nipperdey, Bürgerwelt, S. 671. Vgl. etwa »Tages-Neuigkeiten«, Greifenhagener Kreisblatt, 18. 7. 1849, S. 124.

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neuen Verfassung ausgeschlossen hatten.346 Teilnahme konnte gerade für oppositionelle Kräfte effektiver sein – womit sich eine der entscheidenden Stärken partizipativer Systeme offenbarte, nämlich die Inklusion und Nutzbarmachung aller Fraktionen. Als die preußischen Demokraten ihren Boykott gegen das Dreiklassenwahlrecht aufgaben, trugen sie wesentlich zum Aufbruch in die sogenannte Neue Ära von 1858 bis 1862 bei. Als Fortschrittspartei setzten sich die gemäßigten Demokraten gemeinsam mit den Liberalen für einen politischen Wandel in Preußen ein. Seit 1858 verfügten sie zusammen mit den liberalen Fraktionen über eine absolute Mehrheit. 1859 gründeten liberale und gemäßigt demokratische Bürger den Deutschen Nationalverein, eine Art national agierende Fortschrittspartei, um die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung voranzutreiben.347 1862 erreichte die Wahlbeteiligung mit 34,3 den Rekord für das Dreiklassenwahlrecht. Gerade der Aufbruch um 1860 und die Wahlsiege der Liberalen beweisen, wie selbstbewusst und unabhängig unterschiedliche Gruppierungen das Wahlrecht zu nutzen verstanden.348 Doch auch die 1860er Jahre nach der Neuen Ära können nicht allein im Schatten des Verfassungskonfliktes mitsamt den Machenschaften zur Wahlbeeinflussung interpretiert werden. Wenn Wolfgang Mommsen in dieser Zeit »die entscheidende Wegscheide« in »Richtung einer konservativen Alternative zum bürgerlichen Konstitutionalismus liberaler Prägung« sieht,349 so übersieht er offenbar, dass sich Preußens konstitutionelle Verfasstheit in dieser Zeit in erstaunlicher Parallelität zu der anderer westlicher Staaten entwickelte.350 In der Geschichte des Wahlrechts sind, wie wir sehen werden, die 1860er und frühen 1870er Jahre eine Zeit weltweiter Wahlrechtserweiterung. Auch die Arbeiterbewegung blühte in Preußen auf, nachdem sie in den 1850er Jahren schwer unterdrückt worden war. 1863 initiierte Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein und sorgte dafür, dass die Arbeiter im Vereinsprogramm die »Einführung des allgemeinen, gleichen und directen Wahlrechts mit geheimer Abstimmung« verlangten. Unter den (missmutig misstrauischen) Augen von Karl Marx wurde 1864 in London

346 347 348 349 350

Schulz, Eliten und Bürger, S. 585. Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 34. Gall, Bismarck, S. 252; vgl. auch Biefang, Modernität wider Willen, S. 247. Zitiert nach Nolte, Staatsbildung, S. 205. Vgl. dazu die Diskussion und den Forschungsüberblick in Langewiesche, Diskussion.

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die »Erste Internationale« ins Leben gerufen, und 1866 entstand mit der National Labor Union die erste amerikanische Arbeitervereinigung.351 In Deutschland waren sich die Führer der Arbeiterbewegung uneins über das Stimmrecht, viele von ihnen setzten auf Revolution und wiesen den konstitutionellen Weg Lassalles ab. Wilhelm Liebknecht, der 1869 die konkurrierende Sozialdemokratische Arbeiterpartei gründete, warnte vor einer »unverständigen Überschätzung des allgemeinen Stimmrechts«; das allgemeine Wahlrecht sei »zu einem förmlichen Götzendienst geworden«, meinte er mit Blick auf die Reformer, viele hielten das Stimmrecht für eine Wunderwaffe, »welche den ›Enterbten‹ die Pforten der Staatsgewalt öffnet; sie leben in dem Wahne, sich mitten im Polizei- und Militärstaat an dem allgemeinen Stimmrecht, wie weiland Münchhausen an seinem Zopf, aus dem Sumpf des sozialen Elends herausheben zu können«.352

Revolution und Wahlen Die Abneigung gegen das Massenwahlrecht durch eine revolutionäre Ideologie, die keinen Stein auf dem andern lassen und die Welt von Grund auf verändern wollte, war ähnlich intensiv wie bei den Konservativen, die oft zu den wenigen gehörten, welche die unterschwellige Kraft eines modernen Wahlrechts erkannten. Moderne Wahlen sind eine Institution des Kompromisses, der Ausbalancierung, der permanenten Kritik, der Offenheit und Risikobereitschaft, und es ist für geschlossene Denk- und Herrschaftssysteme kaum möglich, freie Wahlen in ihre Logik zu integrieren. Allerdings sind moderne Wahlen flexibel und attraktiv genug, um dazu beizutragen, solche Systeme zu unterwandern, zu mäßigen und von ihnen integriert zu werden. Das war nicht nur bei den Konservativen der Fall, sondern auch bei der Sozialdemokratie. Bei den Wahlen mit allgemeinem Männerwahlrecht für den verfassungsbildenden Reichstag 1867 gab es tatsächlich keinen Boykott. Sowohl ethnische Minderheiten als auch die Arbeiterschaft nahmen teil – und die mittlerweile gouvernemental gezähmten Konservativen ohnehin.353 Die frühe Sozialdemokratie hing trotz aller antiparlamentarischen Rhetorik elementar von den Wahlen ab. Auf die Dauer ließ sich die fundamentaloppositionelle Haltung kaum vermitteln, 351 Programm der social-demokratischen Partei Deutschlands, Erfurt 27. 12. 1866. 352 Liebknecht, Über die politische Stellung der Sozialdemokratie; vgl. dazu Winkler, Geschichte des Westens, S. 758. 353 Nipperdey, Machtstaat, S. 42.

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»schlichtweg, weil bei den Wahlen nur Erfolg haben konnte, wer sich den Spielregeln des Systems unterwarf«, so Thomas Welskopp.354 Und es waren die Wahlen, die in vielerlei Hinsicht die Sozialdemokratie als Partei und kämpfendes Kollektiv konstituierten. 1884 hieß es in einem sozialdemokratischen Wahlaufruf: »Ihr seid also im wahrsten Sinne des Wortes Eures Schicksals Schmied. Sagt nicht: ›Die oben thun doch, was sie wollen; sie kümmern sich nicht um den Reichstag.‹ Das ist falsch. Das allgemeine, gleiche Wahlrecht hat den Ärmsten und Niedersten im Staat dem Reichsten und Höchsten gleichgestellt.«355 Um 1900 erlebte Preußen – als Teil der sich globalisierenden Moderne – einen neuen Aufschwung der Massenpartizipation. Die Reichstagswahlen erreichten in allen Kreisen und Schichten eine bisher nicht dagewesene Akzeptanz. Revisionisten unter den Sozialdemokraten wie Leo Arons, aber auch zentrale Figuren wie August Bebel drängten seit den 1890er Jahren dazu, die Blockade sogar gegenüber dem Dreiklassenwahlrecht aufzugeben, die Wahlen für die eigene Sache zu nutzen und so das verhasste Klassenwahlrecht besser bekämpfen zu können. Bebel verwies 1893 darauf, dass weltweit Wahlrechtsreformen stattfänden, daher müsse man die Gunst der Stunde ergreifen.356 Auf dem Parteitag 1897 in Köln gelang es gegen den erbitterten Widerstand Wilhelm Liebknechts (warum wählen, wenn doch die Revolution ansteht?), den Beschluss des Boykotts gegen das Klassenwahlrecht aufzuheben, der 1893 nochmals wiederholt worden war.357 Dieser Widerruf ist bemerkenswert. Die Sozialdemokratie wollte mitgestalten. Leo Arons warf selbstkritisch die »Überlegung« auf, inwieweit die »früheren Unterlassungen [der Sozialdemokratie] in Preußen die zeitliche Rückständigkeit mitbedingen«.358 Das scheint die These zu bestätigen, dass die krasse Feindschaft der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der Sozialdemokratie zu einem demokratischen Defizit in Preußen beigetragen habe. Nun aber waren die Sozialdemokraten bereit, mit ihrer Wahlbeteiligung selbst Kandidaten aufzustellen oder auch bei Stichwahlen Kan354 Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 469. 355 Aufruf, 28. 10. 1884, zitiert nach: Bebel, Sozialdemokratie, S. 218. 356 Mann, SPD und die preußischen Landtagswahlen, S. 39; vgl. auch Nolte, Demokratie, S. 214. 357 Vgl. dazu den Bericht in »Sozialdemokratie und Landtagswahlen«, Freisinnige Zeitung, 10. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, Bl. 13, BA . 358 Arons, Wahlrechtsvorlage, S. 155; s. auch Mann, SPD und die preußischen Landtagswahlen, S. 39.

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didaten anderer progressiver Parteien zu unterstützen. Außerdem wollten sie durch ihre Beteiligung die Mängel des Wahlrechts ans Licht zerren: Durch eine besonders hohe Anzahl an Wählern sollten die Wahlversammlungen über Stunden in die Länge gezogen werden.359 Das Engagement der Sozialdemokraten, das innerhalb der Partei hochumstritten blieb, war wohl auch der Tatsache geschuldet, dass ein Wahlboykott weiterhin das Zeichen der Selbstexklusion gesetzt hätte, das aber passte nicht mehr in die Aufbruchszeiten um 1900. Die Gegner einer Wahlbeteiligung bedauerten das: »Der ganze Charakter unserer politischen Bewegung verliert die strenge Absonderung«, hieß es im Vorwärts.360 Das linke Berliner Tageblatt aber notierte treffend: »Jetzt muß auch der blindeste Gegner der Sozialdemokratie zugeben, daß dieselbe nicht eine rein revolutionäre Partei mehr ist, sondern eine Partei, die sich auf den Boden der Thatsachen stellt und auf gesetzlichem Wege mitarbeiten will am Wohle der Gesammtheit.«361 Der Wahlakt erweist sich hier wieder als grundsätzliches Einverständnis mit der bestehenden Ordnung. Als sich 1898 erstmals einige Sozialdemokraten an den preußischen Wahlen beteiligten und 1903 die Partei dann geschlossen zur Wahlbeteiligung aufrief, änderte das kaum das Wahlergebnis.362 Doch stieg der Anteil der Wähler in der dritten Klasse um knapp 6 Prozent auf 21,2 (gesamt: 23,6). 1908 und 1913 kletterte die Gesamtwahlbeteiligung sogar wieder auf über 30 Prozent. 1908 gewannen die Sozialdemokraten bei den preußischen Landtagswahlen acht Mandate, 1913 zehn von insgesamt 443 Sitzen.363

359 »Stellung der Socialdemokratie zu den Reichstagswahlen«, Hannoverischer Courier, 7. 10. 1897; Mann, SPD und die preußischen Landtagswahlen, S. 40 u. 44; Arons, Beteiligung, S. 762–767; Arons, Ergebnisse, S. 711 u. 717; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 161–164 u. 479–481. 360 »Die Betheiligung an den preußischen Landtags-Wahlen, Vorwärts, 16. 6. 1897. 361 »Die Betheiligung der Sozialdemokratie an den preußischen Landtagswahlen«, Berliner Tageblatt, 9. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, Bl. 14, BA ; vgl. zum Thema SPD und Wahlbeteiligung zahlreiche weitere Artikel in RLB R8034, II , 5074, BA . 362 Vogel/Schultze, Deutschland, S. 238. 363 Mann, SPD und die preußischen Landtagswahlen, S. 37.

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Obrigkeitliche Aversion gegen Wahlenthaltungen Auch wenn sich in Preußen die Regierungen und konservativen Eliten mit der geringen Wahlbeteiligung bei den Dreiklassenwahlen abfanden, so ließen Wahlboykott und Wahlenthaltung die Obrigkeit doch selten kalt. In einem Provinzblatt lautete ein mahnender Wahlaufruf 1849: »›Wir wählen nicht.‹ Wie in dem Kinder-Lehrgedicht / Der Suppenkaspar trotzig spricht: / ›Ich esse meine Suppe nicht!‹ / So sprecht Ihr: ›Nein, wir wählen nicht!‹ […] // Verleugnet Ihr die Bürgerpflicht.«364 Das neu gewählte preußische Parlament 1849 sprach seine Sorgen über »die Gleichgültigkeit« aus, die »bei den letzten Wahlen so vielfach bemerkt wurde«.365 Wahlaufrufe und obrigkeitliche Erinnerungen an die Bürgerpflicht blieben auch in den folgenden Jahrzehnten Bestandteil des Wahlprozederes.366 Die Wahlenthaltung der Beamten galt für die Regierung als Zeichen der Illoyalität. In der Wilhelminischen Zeit entwickelte sich für Beamte eine »verkappte Wahlpflicht«, wie Kühne es nennt.367 Die Verfolgung der Wahlenthaltung ist, wie schon öfters deutlich wurde, ein typisches Phänomen bei Wahlen und verweist auf ihre hoheitliche und disziplinierende Funktion. Als die Konservativen begannen, sich als Partei zu formieren und einen Wahlkampf zu führen, beschlossen sie als vornehmliches Ziel, sich »namentlich auch an die ca. 73 % der stimmberechtigten Urwähler zu wenden, die sich bisher noch gar nicht bei den Wahlen beteiligt« hätten, in dem festen Glauben, diese Mehrheit sei eigentlich konservativ gesinnt.368 Da sich die Konservativen nun einmal auf die Wahlen eingelassen hatten, mussten sie eine hohe Wahlbeteiligung als Bestätigung des Regimes auffassen und daher auch einfordern.369 Auch vielen Bürgern erschien es als ein Problem, dass die preußischen Wahlen stets von Minderheiten bestritten wurden.370 Die Reformvorschläge für das Wahlrecht zielten daher von

364 Görlitzer Fama, 19. 7. 1849, S. 346. 365 Redebeitrag von Beckerath, Sten. Ber. pr. AH (Zweite Kammer), 42. Sitzung, 26. 10. 1849, 902. 366 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 171. 367 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 77; vgl. Unterlagen in XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885–1919, GStA PK ; Bethmann Hollweg an Staatsminister, Berlin, 8. 12. 1911, I. HA Rep. 90 A, Nr. 307, GStA PK . 368 Patriotische Vereinigung, zitiert nach Grünthal, Wahlkampfführung, S. 73. 369 Vgl. dazu Gatzka, Des Wahlvolks großer Auftritt, S. 87; »Wahlenthaltung«, Schlesische Zeitung, 11. 6. 1898. 370 Grünthal, Dreiklassenwahlrecht, S. 62.

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1849 bis zum Ersten Weltkrieg häufig darauf, eine höhere Teilnahme zu bewirken.371 Die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts 1869/71 verdankte sich nicht zuletzt der Wahlenthaltung insbesondere der Männer auf dem Land, die man nunmehr integrieren wollte.372

371 Drucksache No. 40, Denkschrift über die Königlichen Verordnungen vom 30. Mai 1849, Zweite Kammer, Berlin, 12. 8. 1849, Sammlung sämmtlicher Drucksachen der Zweiten Kammer, Bd. 1. Nr. 1 bis 100. Berlin: W. Moeser und Kühn, 1849; Zusammenstellung der Wünsche der Wahlvorsteher, Magistrat zu Berlin, o. D. (Berlin, 1913), Punkt II .23, A Rep. 001–03, Nr. 56, LAB . 372 Vogel/Schultze, Deutschland, S. 211.

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4 Freiheit und Manipulation Probleme moderner Herrschaft

Allgemeines und gleiches Männerwahlrecht in den USA und Deutschland

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Allgemeines und gleiches Männerwahlrecht in den USA und Deutschland Am 19. und 20. November 1867 durften in South Carolina erstmals die afroamerikanischen Männer wählen. Fassungslos registrierten die Weißen das Geschehen. Die Daily Phoenix zitierte einen Old Englishman, der in einer öffentlichen Versammlung fragte, ob der farbige Mann nicht ein Affe sei, und unter dem Gelächter der Anwesenden schlussfolgerte, »wenn der Neger ein Affe ist, eignet er sich nicht zum Wähler«.1 »Eine vornehme Dame aus South Carolina«, rief »die geballte Männlichkeit unseres Staates« zum Widerstand auf gegen »eine solche Schmach und Schande, der die Pein zwanzig gewaltsamer Tode vorzuziehen sei«.2 Man gebe das Schicksal des Südens in die Hände »unwissender, dummer, halb-wilder Armer«, erklärte ein Politiker.3 Ein weißer Kandidat nahm die Sache sportlich und prahlte, es sei ihm ein Leichtes, die afroamerikanischen Stimmen »mit einem Banjo und einem Krug Whiskey« zu gewinnen.4 Manche gaben sich freundschaftlich besorgt: Die Afroamerikaner seien so unterwürfig, dass sie es gar nicht wagen würden, am Wahllokal aufzutauchen.5 Einer der weißen Südstaatler, die sich als Kenner der »schwarzen« Seele gaben, beschwichtigte: Die Freedmen, wie die befreiten Sklaven genannt wurden, wüssten doch nichts von Wahlen, und das Wahlrecht sei ihnen gleichgültig: »Sie werden sich nicht registrieren lassen und nicht wählen gehen, und viele von ihnen werden im Sinne ihrer Arbeitgeber wählen.«6

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»Debate on Negro Suffrage«, Daily Phoenix, 29. 8. 1865. Zitiert in »Letter from Hon. B. F. Perry«, Anderson Intelligencer, 12. 6. 1867. »Letter from Hon. B. F. Perry«, Anderson Intelligencer, 12. 6. 1867. Foner, Reconstruction, S. 292. Zitiert nach Foner, Reconstruction, S. 279. »Letter from Hon. B. F. Perry«, Anderson Intelligencer, 12. 6. 1867.

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Eine Minderheit jedoch zeigte sich liberal: »Was das Wahlrecht der Freigelassenen angeht, so kritikwürdig es derzeit auch sein mag, – es ist ein Element zukünftiger Stärke. […] Der Neger ist in den Südstaaten geboren; durch ein wenig Erziehung und mit einigen Besitzrechten kann er dazu gebracht werden, so viel Interesse an den Angelegenheiten und am Wohlstand der Südstaaten zu entwickeln, dass eine intelligente Stimmabgabe bei ihm sichergestellt ist.«7 Aus New York mahnte die liberale Nation: »Es gibt kein einziges Argument gegen das Negerwahlrecht, das sich nicht auf Vorurteile gründet.«8 Entscheidend für das Verständnis der kommenden Konflikte im Süden ist jedoch nicht nur die ethnische Spaltung, sondern auch die soziale: Die Mehrheit der Weißen im Süden, meist arme Bauern, glaubten, die Afroamerikaner seien das Stimmvieh der Plantagenbesitzer und würden sich mit diesen gegen die unbegüterten Weißen verbünden.9

Der erste Wahlgang der Afroamerikaner Die neuen Wähler waren nicht weniger erschüttert – und sahen die Dinge ganz anders. In einer hinreißenden Ansprache in Charleston erklärte ein afroamerikanischer Wahlkämpfer über das erwachte politische Leben in der black community: »Träume ich? Ist das hier Charleston, wo ich vor zehn Jahren war und ansehen musste, wie Menschen auf Auktionen versteigert wurden?«10 Afroamerikanische Bürger forderten ihre Mitbürger zur Wahlregistratur auf und liefen mit einem Banner durch die Straßen von Charleston: »Hast du dich registrieren lassen? Wenn nicht, mach’s jetzt!«11 Ein Prediger mahnte von der Kanzel in einer der afroamerikanischen Kirchen, die von den befreiten Männern und Frauen gegründet worden waren, damit sie nicht länger in den hinteren Bänken den weißen Predigern lauschen mussten: Die Gemeindemitglieder sollten die Wahl nicht nach egoistischen oder nach Parteigesichtspunkten treffen, sondern sie sollten darauf achten, nur die Besten zu wählen.12 Die Wahlen wurden ein Triumph der Volksherrschaft. In Scharen strömten die Afroamerikaner zur Urne, sie ließen sich nicht von den Dro-

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»Letter from Gen. Beauregard«, Daily Phoenix, 4. 4. 1867. Nation, 22. 5. 1866, zitiert nach Foner, Reconstruction, S. 314. Foner, Reconstruction. Zitiert nach Foner, Forever Free, S. 131. Zitiert nach: Powers, Black Charlestonians, S. 90. »Theory and Practice«, Orangeburg News, 21. 11. 1867, S. 2.

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hungen der Arbeitgeber abhalten, nicht von Müdigkeit, von fehlendem Schuhwerk und zerschlissener Kleidung (im November ein echtes Problem) und nicht von den altehrwürdigen Wahllokalen: Die afroamerikanischen Männer betraten als Souverän die Gerichtsgebäude der Weißen, die schmucken Kirchen und die stolzen Engine Houses der Kommunen. Der Erfolg war nicht zuletzt der hervorragenden Organisation der Republikanischen Partei zu verdanken, die im Leben vieler Afroamerikaner eine starke Institution geworden war, vergleichbar allenfalls der Kirche.13 79000 Afroamerikaner ließen sich in South Carolina registrieren, 69000 nahmen an der Wahl teil und sorgten für eine Wahlbeteiligung von 87 Prozent. »Die Menge […] dachte offensichtlich, dass wählen zu gehen wichtiger sei als alles, was sie zuvor je getan hatten«, schrieb die Charleston Daily News.14 Ein Weißer aus Alabama, wo ebenfalls wie in den anderen Südstaaten Wahlen stattfanden, wunderte sich: »Es gibt nichts Schwierigeres, als einen Neger von der Wahl fernzuhalten.«15 Insgesamt lag die Wahlbeteiligung im Süden bei den African Americans zwischen 70 und 90 Prozent. In South Carolina, Mississippi und Louisiana stellten die Afroamerikaner die Bevölkerungsmehrheit.16 Das war eine Revolution. Die Wähler mussten in diesem Herbst im Jahr 1867, dem annus mirabilis, wie Eric Foner es nennt, Abgeordnete in eine Verfassungsgebende Versammlung schicken, in der eine neue Konstitution erarbeitet werden sollte.17 Manche der afroamerikanischen Wähler hatten Probleme mit der Identifizierung im Wahllokal, weil sie als Sklaven oft nur Vornamen trugen und mit dem Zunamen ihrer einstigen Besitzer genannt wurden. So ließen die Behörden einige Wahllokale länger auf.18 Insgesamt lief aber alles in bemerkenswerter Ruhe ab.19 Die Zeitungen unterstrichen die Gleichgültigkeit der Weißen: »Die Wahl lief ruhig ab, und außer den dunkelhäutigen Wählern zeigten nur wenige Menschen irgend-

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Foner, Reconstruction. »The Convention Election«, Charleston Daily News, 21. 11. 1867, S. 3. Zitiert nach Foner, Reconstruction, S. 291. Foner, Reconstruction, S. 314. Foner, Reconstruction, S. 282; West, Reconstruction, S. 16; Reynolds, Reconstruction, S. 73f. »The Voting Yesterday« u. »Fraudulent Voting«, Charleston Daily News, 21. 11. 1867, S. 3. Lediglich von Beaufort wird berichtet, dort hätten bewaffnete Afroamerikaner die Wähler eingeschüchtert (»Beaufort«, Charleston Daily News, 21. 11. 1867).

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ein Interesse an ihrem Verlauf.«20 Von den weißen Registrierten in South Carolina nahmen nur wenige Tausend ihr Stimmrecht wahr.21 Die Botschaft der Weißen war klar: Sie hatten nichts mit der ganzen Angelegenheit zu tun.22 Interessant ist, dass wohl – anders als von der Forschung angenommen23 – viele weiße Männer gar nicht wählen durften. Die niedrige Quote der Wahlberechtigten in South Carolina von nur 10 Prozent der Gesamtbevölkerung legt diese Vermutung nahe.24 Wie immer, wenn neue Wählergruppen zugelassen wurden, höhnten die alten Eliten über deren Unfähigkeit und erzählten sich lustige Geschichten: »Viele Schwarze wussten nicht, worum es bei der Wahl ging, und viele gingen daher auch nicht wählen. Auf die Frage, wen er wählen würde, antwortete ein alter Farbiger, er stimme für Christus und sein Land.«25 In einem Wahllokal in Charleston »gab es einen kompletten Stau von Schwarzbeeren«, wie eine Zeitung die anstehenden dunkelhäutigen Wähler beschrieb, »die Wähler standen in Sechser- und Achterreihen rund ums Haus. Die Menge war aber allerbester Laune.«26 Die Wahlergebnisse wurden getrennt nach Weißen und Afroamerikanern gemeldet. Anders als von vielen Weißen erhofft, wussten die neuen Wähler genau, wofür sie stimmten: Sie votierten mit »Ja« für eine neue Verfassung und wählten republikanische Kandidaten.27 In South Carolina sorgten die Wähler damit für eine Mehrheit afroamerikanischer Abgeordneter in der Verfassungsgebenden Versammlung.28 Am 2. März 1867 hatte der Kongress den Reconstruction Act erlassen, um mit militärischer Gewalt in den Südstaaten die Gleichstellung der

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»The Convention Election«, Charleston Daily News, 21. 11. 1867, 3; vgl. Auch »Darlington«, Charleston Daily News, 22. 11. 1867; ganz ähnlich »Charleston« u. »Wilmington«, Daily Phoenix, 21. 11. 1867, S. 3; vgl. »By Telegraph«, Charleston Daily News, 21. 11. 1867, S. 1; »Darlington«, Charleston Daily News, 22. 11. 1867; Reynolds, Reconstruction, S. 74. Nur 3000 Weiße gingen zur Wahl, von denen 130 mit »Ja« stimmten (Reynolds, Reconstruction, S. 73f.). »Election in Charleston«, Charleston Daily News, 22. 11. 1867, S. 3. Beispielhaft Foner, Reconstruction, S. 272–278 u. 323f. Es gab insgesamt 125300 Wahlberechtigte (weiße und afroamerikanische), von denen 57,3 Prozent zur Wahl gingen (Reynolds, Reconstruction, S. 73f.). »Darlington«, Charleston Daily News, 22. 11. 1867. »The Convention Election«, Charleston Daily News, 21. 11. 1867, S. 3. »By Telegraph«, Charleston Daily News, 21. 11. 1867, S. 1; Reynolds, Reconstruction, S. 74. Foner, Forever Free, S. 143.

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Abb. 21 Im Norden wollte man sich die Wahl als harmonischen Akt vorstellen, dem sich nur noch Ewiggestrige (links mit einem Veto gegen das nationale Wahlrecht) entgegenstellten. Doch im Süden tauchten Schwarze und Weiße kaum gemeinsam an der Urne auf. »The Georgetown Election – The Negro at the Ballot-Box«, Harper’s Weekly, 16. 3. 1867, S. 172 Courtesy of the Library of Congress, LC- USZ 62–139438

Afroamerikaner und ihr Wahlrecht durchzusetzen. Dafür installierte die republikanische Regierung eine Militäradministration mit 20000 Soldaten in fünf Militärdistrikten. South Carolina gehörte zum zweiten Militärdistrikt, wo General Daniel E. Sickles das Kommando führte. Er erließ eine Reihe an Verordnungen, die das Leben der Afroamerikaner grundlegend erleichterten: Kleiner Besitz wurde von Steuern befreit, niemand durfte mehr wegen Schulden hinter Gitter gebracht werden, die Todesstrafe für Bagatelldelikte und die Bestrafung durch Peitschen wurden abgeschafft.29 General Sickles ließ es auch nicht an Befehlen zur Demütigung der Weißen fehlen. So zwang er sie, bei der jährlichen Parade der Charlestoner Feuerwehr (bis dahin einem extrem weißen, extrem männlichen Ritual) vor der Flagge der Vereinigten Staaten zu salutieren. Einer der einflussreichsten Posten, der Postmaster, wurde mit dem Afroameri-

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Reynolds, Reconstruction, S. 65.

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kaner Dr. Benjamin Boseman besetzt. Ähnlich erschütternd: »[W]ir haben tatsächlich Neger im Stadtrat. Das ist das Schlimmste, was man uns bislang angetan hat«, schrieb ein Bürger aus Charleston.30 Als Schmach empfanden es die Weißen auch, die öffentlichen Verkehrsmittel mit Afroamerikanern teilen zu müssen.31 Die Regierung in Washington wollte die Prinzipien des 14. Verfassungszusatzes unmissverständlich klar machen: »Alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert sind und ihrer Gesetzeshoheit unterstehen, sind Bürger der Vereinigten Staaten und des Einzelstaates, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Keiner der Einzelstaaten darf Gesetze erlassen oder durchführen, die die Vorrechte oder Freiheiten von Bürgern der Vereinigten Staaten beschränken.« Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zeugte die Geschichtsschreibung noch von dieser empfundenen Demütigung und bezeichnete die Militäradministration als »Siegerherrschaft«, »Herrschaft der Bajonette«, »Absolutismus der Militärherrschaft«, bei der es keine Gewaltenteilung mehr gegeben habe.32

Anhaltende Rechtlosigkeit der Afroamerikaner nach dem Bürgerkrieg Die Entschiedenheit der Radicals, wie die Befürworter einer konsequenten Reconstruction zugunsten der Afroamerikaner genannt wurden, kam nicht von ungefähr. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 hatten die Südstaaten zunächst Verfassungen installiert, in denen die Afroamerikaner weithin entrechtet blieben. Der damalige Präsident Andrew Johnson, der die Sklaverei vor allem aus Besorgnis über eine mögliche »Rassenmischung« abgelehnt hatte, befürwortete ähnlich wie sein Vorgänger Lincoln eine Einschränkung des afroamerikanischen Wahlrechts.33 In South Carolina hatte Johnson mit Benjamin F. Perry einen rassistischen Südstaatler als Gouverneur eingesetzt, der zwar für die Einheit der USA eingetreten war, dann jedoch auf Seiten der Konföderierten gekämpft hatte. Wie Präsident Johnson war Perry ein erbitterter Gegner der Pflanzeraristokratie und zielte vorrangig darauf ab, deren Dominanz zu brechen. 1867 würde Perry zahlreiche Zeitungsartikel gegen das Wahlrecht der Afro-

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Powers, Community, S. 218. Reynolds, Reconstruction, S. 66f. Reynolds, Reconstruction, S. 72. Tindall/Shi, America, S. 527.

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amerikaner schreiben.34 Als 1865 nach dem Bürgerkrieg die ersten Wahlen anstanden, zeigten Perry und die anderen Gouverneure in den Südstaaten am Wahlrecht der Afroamerikaner kein Interesse, teilweise lehnten sie es offen ab.35 Über eine halbe Million Menschen waren im Bürgerkrieg gestorben, die meisten sehnten sich nach Ruhe und nach den alten Zeiten – und schnell wurde klar, dass die Weißen nichts zu befürchten hatten. So galt die einfache Regel, dass die Wahlgesetze, die vor dem Bürgerkrieg gegolten hätten, wieder in Kraft träten.36 Gouverneur Perry stellte auch klar: »Kein Wähler wird zur Wahl zugelassen, der nicht schon 1860 wahlberechtigt war.«37 Als im Oktober 1865 Connecticut, wo nur eine kleine schwarze Minderheit lebte, das Wahlrecht für Afroamerikaner ablehnte, fühlten sich die weißen Südstaatler bestätigt: »Wenn selbst Connecticut, wo es nur eine Handvoll Bürger afrikanischer Abstammung gibt, nicht bereit ist, ihnen das Wahlrecht zu geben, obwohl die Sklaverei dort vor mehr als fünfzig Jahren abgeschafft wurde«, hatte eine Zeitung in South Carolinas Hauptstadt Columbia gefragt, »worin soll dann die Gerechtigkeit bestehen, diese Negerwahlrechts-Sache dem Staat South Carolina aufzuzwingen, in dem die verdutzten Freigelassenen von heute gestern noch passive, unwissende Sklaven waren und mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Staats ausmachen?«38 So waren die Wahlen im Herbst 1865, sowohl die Kommunalwahlen als auch die Delegiertenwahl für die Verfassungsgebende Versammlung, ohne die befreiten Sklaven abgelaufen. Perry mit seiner politischen Basis im Upcountry, wo die armen Weißen wohnten, hatte jedoch für mehr Gleichstellung unter den Weißen gesorgt und in der neuen Verfassung South Carolinas von 1865 zahlreiche Privilegien der Pflanzeraristokratie abgeschafft. Das Upcountry stellte nun gleichberechtigt wie das reiche Lowcountry an der Küste Landessenatoren entsprechend der Bevölkerungs34

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»Letter From Hon. B. F. Perry«, Daily Phoenix, 30. 5. 1867; »Letter From Hon. B. F. Perry«, Anderson Intelligencer, 12. 6. 1867; »Letter From Hon. B. F. Perry«, Daily Phoenix, 3. 7. 1867. Foner, Reconstruction, S. 189; über die ersten Wahlen nach dem Bürgerkrieg: Reynolds, Reconstruction, S. 13–15; Tindall/Shi, America, S. 527f.; Foner, Reconstruction, S. 179f. u. 188. »Elections«, Tri-Weekly News, 4. 9. 1865, S. 2. »In Charleston«, Tri-Weekly News, 4. 9. 1865, S. 2. »Negro Suffrage in Connecticut«, Daily Phoenix, 12. 10. 1865.

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zahl, der Gouverneur wurde vom weißen Volk gewählt, und Steuerprivilegien fielen weg. Für die Exklusion der Afroamerikaner hatte South Carolina die ersten black codes installiert, die es den Weißen erlaubten, Schwarze in einem sklavenähnlichen Zustand zu halten.39 Die Politik erfüllte mit der Zurückdrängung der alten Pflanzerelite eines der Hauptanliegen der siegreichen Partei. Tatsächlich blieb einer der wichtigsten Effekte des Bürgerkrieges das Ende der nationalen Dominanz dieser Südstaatenaristokratie und im Gegenzug der wachsende Einfluss der Industriekapitäne im Norden.40

Einführung des Reichstagswahlrechts Und nun kam also 1867, zwei Jahre später, das Wahlrecht für die einstigen Sklaven. Die nationalen Zusammenhänge für diesen Umsturz liegen auf der Hand: Der Bürgerkrieg und die Republikanische Partei hatten das allgemeine Männerwahlrecht durchgesetzt. Der erstarkte Nationalstaat in Amerika schien in der Lage zu sein, auch in der Provinz seine Standards zur Geltung zu bringen. Doch just in diesen Jahren machte die Erweiterung des Wahlrechts auch in anderen Staaten einen Sprung. In Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Serbien oder Luxemburg vergrößerten Reformen das Wahlvolk, Italien installierte eine teildemokratische Verfassung. Frankreich errichtete die Dritte Republik, und Großbritannien verdoppelte 1867 durch den Reform Act die Zahl der Wahlberechtigten.41 Der britische Liberale William Ewart Gladstone kommentierte: »Man kann nicht gegen die Zukunft ankämpfen.«42 Die Deutschen führten 1866 im Norddeutschen Bund ein allgemeines und gleiches Männerwahlrecht ein, das in diesem Ausmaß bisher in keinem größeren Staat praktiziert worden war. Jeder Mann ab dem 25. Lebensjahr, der seit mindestens drei Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit und außerdem seinen Wohnsitz im Wahlort hatte, keine Armenunterstützung empfing, nicht unter fremder Vormund39

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»To the Members of the Convention«, 27. 9. 1865, Daily Phoenix, 28. 9. 1865; vgl. auch Special Committee to Whom was Referred certain Resolutions Concering the Election for Members of Congress, In the House of Representatives, 27. 10. 1865, S165005, Item 217, 1865, SCDAH ; Foner, Reconstruction, S. 199–201. Tindall/Shi, America, S. 521. Mergel, Propaganda, S. 42; Clark, Kulturkampf, S. 35; Fisch, Das 19. und 20. Jahrhundert, S. 211; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 700; Mattmüller, Durchsetzung, S. 226f. Zitiert nach Himmelfarb, Politics of Democracy, S. 102; Formisano, Political Culture, S. 129.

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schaft stand und nicht kriminell war, durfte die Abgeordneten des Reichstags wählen. Dabei berief sich Bismarck auf die Paulskirchenverfassung und das Wahlgesetz von 1849, von dem das neue Gesetz 1866/71 entscheidende Passagen übernahm.43 Der Reichstag, das Parlament des neuen Deutschen Reiches, besaß die Budgethoheit,44 erließ die Gesetze und sorgte in seinen Debatten für ein gesamtdeutsches Diskussionsforum, das immer mehr Aufmerksamkeit erhielt, sodass auch die Wahlen allmählich zu medialen Großereignissen wurden. »Die wirkliche Verantwortlichkeit, das ist jene öffentliche Meinung, die in unseren Tagen nicht mehr die sechste, sondern die erste der Großmächte genannt werden muss«, erklärte Heinrich von Sybel 1867 im Parlament. Keine »Regierung hat in den modernen Verhältnissen Bestand, die auf die Dauer vor dem Anspruch dieses Gerichtes nicht besteht«.45 Wie auch in anderen konstitutionellen Staaten musste eine weitere Kammer (in diesem Fall der Bundesrat) den Gesetzen zustimmen. Die relative Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament hingegen war nicht so außergewöhnlich, wie die Forschung zuweilen angibt.46 Bismarck, der Deutschland zunächst mit seinem polternden Junkertum geschockt und begeistert hatte (»die großen Fragen der Zeit werden nicht durch Reden und Mehrheitsbeschlüsse entschieden, sondern durch Blut und Eisen«),47 verstand offenbar, dass die moderne Welt dem Bürgertum gehörte und ein effektiver Staat eines Parlamentes bedurfte – so jedenfalls interpretierten schon Zeitgenossen seine Kehrtwende.48 Über Bismarcks Beweggründe für die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts wurden seit dem 19. Jahrhundert zahlreiche Studien angestellt, seine widersprüchlichen Aussagen dazu für alle Positionen in Anspruch genommen.49 Orientierte sich Bismarck am »bonapartistischen« Modell

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Biefang, Macht, S. 44f. Wobei das Militärbudget auf mehrere Jahre festgelegt werden musste. Sten. Ber. Konst. Norddt. RT, 23. 3. 1867, S. 329. Kirsch, Monarch und Parlament; vgl. Biefang, Zeremoniell, S. 234. Zitiert nach: Nipperdey, Bürgerwelt, S. 762. »Die Wahlen«, Görlitzer Anzeiger, 10. 2. 1867. Um nur einige wenige zu nennen: Röder, Reichstagswahlrecht; Below, Wahlrecht; Oncken, Bismarck, Lassalle und die Oktroyierung; Delbrück, Regierung und Volkswille, S. 58f.; Angst, Bismarcks Stellung; Fehrenbach, Bismarck; vgl. auch die Zeitungsartikel der 1890er Jahre, R 8034 II , Nr. 5074, BA , u. die Zeitungsartikel von 1916 zum 50. Jahrestag der Einführung des Wahlrechts in R 8034II , Nr. 5852, BA ; vgl. zusammenfassend auch Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 19–27.

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Napoleons III ., der mit einem strengen Regiment Wahlbeteiligungen und Wahlergebnisse erzielte, wie sie erst wieder in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts erreicht wurden? Alle französischen Männer mussten, von oben dirigiert, zur Wahl und alle mussten für die Kandidaten der Regierung stimmen.50 Im Ausland, auch in den USA , galt »das Schicksal Frankreichs« unter Napoleon III . als Inbegriff imperialer, republikfeindlicher Regierungspraxis.51 Als die deutsche Regierung 1866 erklärte, es werde allgemeine und gleiche Wahlen geben, war daher die Sorge vor bonapartistischen Verhältnissen groß. »Also der Suffrage universel coup Bismarcks ist gemacht«, schrieb Engels 1866 an Marx, wie »es den Anschein hat, wird der deutsche Bürger nach einigem Sträuben darauf eingehn, denn der Bonapartismus ist doch die wahre Religion der modernen Bourgeoisie«.52 Ein Urteil, das die Gerlachs und ihre altkonservativen Gefolgsmänner sofort unterschrieben hätten. Die Liberalen hegten weniger Befürchtungen. Eine liberale Zeitung konstatierte, ein »Resultat ähnlich wie in Frankreich, wird das allgemeine Wahlrecht in Deutschland nicht geben«.53 Die ältere Forschung sah in dem neuen Wahlrecht vor allem eine Machenschaft Bismarcks gegen die Liberalen, ja gegen den Fortschritt. Bismarck habe fest mit der Untertanentreue des Volkes gerechnet und wollte die demagogische Mehrheit gegen seine politischen Widersacher ins Feld führen. Die neuere Forschung gibt hingegen zu bedenken, es sei nicht auszumachen, ob Bismarck tatsächlich so blauäugig auf die unerschütterliche Konservativität des Volkes gehofft habe. Vieles spreche gegen diese Naivität, zumal Bismarck die Resultate der gleichen Wahlen von 1848/49 kaum vergessen haben dürfte. Wahrscheinlicher sei, dass es sich bei dem Hinweis auf die Traditionalität des Volkes auch um ein taktisches Argument gegenüber den reaktionären Skeptikern gehandelt habe.54 Andererseits war die Stimmung eben nicht mehr revolutionär, und die Bevölkerung schien in vielerlei Hinsicht traditionsorientiert und ohnehin monarchistisch. In Bismarcks Akten finden sich zahlreiche Briefe von konservativen 50 51 52 53 54

Vgl. zu »Bonapartismus« und Reichstagswahlrecht: Anderson, Lehrjahre, S. 480– 482. Lawrence, Report, S. 1. Engels an Marx, 13. 4. 1866, zitiert nach: Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 135; vgl. Conze/ Groh, Arbeiterbewegung. »Die Wahlen«, Görlitzer Anzeiger, 10. 2. 1867; vgl. auch »Bei der Auswahl«, Kladderadatsch, 20. 1. 1867. Anderson, Lehrjahre, S. 200–202 u. 487; Biefang, Macht, S. 45.

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Männern aus dem ganzen Reich, die ihm in den Jahren vor 1866 erklärten, wie sehr das Dreiklassenwahlrecht die Mehrheiten verzerre, weil das monarchische Volk darin nicht Gehör finde.55 Bismarck blieb von diesen Stimmen nicht unbeeindruckt: Im Entwurf eines Briefes an Eulenburg notierte er mit einem Verweis auf diese Schreiben, »daß die Abänderung des bisherigen Wahlmodus als ein nothwendiges Erforderniß von allen Seiten anerkannt wird«.56 Ein Brief, der die Geheimhaltung und »Wahlfreiheit« zur Sicherung der konservativen Mehrheit forderte (mit der 1848er-Technik mit »Abstimmungszetteln ohne Namensunterschrift« und mit »Stimmbüchse«), schien Bismarck besonders aussagekräftig, und er schickte ihn direkt an Eulenburg zur »weiteren Erwägung«.57 Bismarck hatte gewiss auch die gouvernementalen Potenzen der Wahlen vor Augen. Wahlen sollten seine Politik bestätigen und seine Gegner schwächen. Doch auch das war nur einer von mehreren Beweggründen. Das vielgenannte Gespräch zwischen Bismarck und Ferdinand Lassalle über eine Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts,58 das Bismarck 1863/64 während des Verfassungskonflikts anregte, spricht für die ambivalente Motivlage: Bismarck hatte wohl die legitimen Ansprüche der Arbeiter erkannt, denn zunächst sprachen die beiden Männer über die soziale Frage. In jedem Fall war ein allgemeines und gleiches Wahlrecht, das Lassalles Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein 1863 gleich im ersten Paragrafen seines Gründungsdokumentes forderte, ein deutliches Zeichen des Entgegenkommens vonseiten der Regierung. Zugleich hoffte Bismarck in Zeiten des Verfassungskonflikts auf eine Koalition mit den Massen. Bismarcks Besinnung auf die 1848/49er-Tradition holte außerdem einen bedeutenden Teil der Liberalen an Bord, denn »Frankfurt« war für sie im Gegensatz etwa zur gewalttätigen 48er-Zeit in Berlin oder Baden unangefochten. Dass Bismarck damit zugleich Österreich ausbremste, weil er

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Verzeichnis von bei Staatsmin. eingegangenen Vorschlägen in Betreff der Reorganisation des Wahlgesetzes für das Haus der Abgeordneten, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . Die Worte »als ein nothwendiges […] anerkannt wird« waren in der Notiz durchgestrichen, doch die Intention des Briefentwurfs ist eindeutig, auch wenn bei der Korrektur andere Formulierungen bevorzugt wurden, Bismarck an Eulenburg, 9. 3. 1866, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . Bismarck an Eulenburg, 14. 2. 1866, beiliegend Brief Graf [Name unleserl.] an Bismarck, Cleve, 20. 3. 1866, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . Biefang, Modernität wider Willen, S. 250.

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mit der Berufung auf 1848 den preußischen Anspruch auf den deutschen Nationalstaat untermauerte und die preußische Reformfreudigkeit im Gegensatz zur österreichischen Stagnation unterstrich, tut dem keinen Abbruch. »Kurz: Die Berufung auf Reichsverfassung und Wahlgesetz«, fasst Andreas Biefang zusammen, »sollte die auseinanderdriftenden Strömungen und Interessen auf einen gemeinsamen Nenner bringen, sie diente dem ›nation-building‹.«59 Tatsächlich wurde das allgemeine Wahlrecht zu einem Symbol, auf das sich alle einigen konnten. Angesichts der erstarkenden zentrifugalen Kräfte in der sich ausdifferenzierenden Gesellschaft – die internationalen Märkte, die Kirchen, die Arbeiterbewegung etc. – war das viel. Bei den Beratungen der Wahlrechtsfragen im Parlament fand sich eine überwältigende Unterstützung für das neue Wahlrecht, und bei der Reichsgründung 1871 wurde es problemlos bestätigt.60 Abgesehen von den üblichen Verdächtigen um Ludwig von Gerlach und anders als in der Jahrhundertmitte, als selbst das Dreiklassenwahlrecht noch massiv bekämpft wurde, meldeten sich nur wenig Stimmen gegen das viel weitere Reichstagswahlrecht.61 Moderne Massenwahlen mit einem Anspruch auf Allgemeinheit waren weitgehend Konsens geworden. Gerade die internationalen Parallelen zeigen, dass hier nicht ein einzelner Akteur das Zepter führte – sei es Lincoln, Bismarck oder Gladstone. Wenige Jahre später erklärte der Zentrumspolitiker Windthorst: »Dazu kommt, daß wir in allen Staaten der Welt sehen, daß es mit dem Beschränken des Wahlrechts nicht mehr geht. In Amerika hat man das Wahlrecht auf die Neger ausdehnen müssen, in England sehen Sie, wie stetig die Reform vorschreitet, und es wird nicht lange dauern, so wird man dort eben so gut, wie wir im Deutschen Reiche, bei dem allgemeinen Wahlrechte angelangt sein.«62 Die Zeit war reif, Deutschland ging voran, und die Briten würden es auch noch mitkriegen – so selbstgewiss fühlten sich die deutschen Bürger nicht nur im liberalen La59

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Biefang, Macht, S. 47; damit wird übrigens Friedrich Meinecke bestätigt: Meinecke, Reform, S. 154; vgl. zum Mythos »Frankfurt 1848« auch »Festchronik vom Frankfurter Fürstentag«, Illustrirte Zeitung, 12. 9. 1863. Biefang, Macht, S. 47–49. Dazu gehört etwa die Druckschrift »Die Wahlkreise der Älteren und der Jüngeren. Sendschreiben an Herrn Geheimen Justizrath D. von Gerber von D. A. Danz, OberAppellation-Gerichtsrath und Professor in Jena, Weimar: Böhlau, 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK Sten. Ber. pr. AH , 26. 11. 1873, S. 96; vgl. auch Below, Wahlrecht, S. 52.

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Abb. 22 Die Karikatur zeigt – bei aller ironischen Distanz – den Stolz der Deutschen auf ihr progressives Wahlrecht. Sie sahen sich als Speerspitze moderner Regierungspraxis. Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 20 (1867), S. 10

ger. Alles in allem bestätigt sich Lothar Galls und Thomas Nipperdeys Interpretation: Bismarck ging mit der Zeit, mit den nationalen und liberalen Kräften, und das erklärt wesentlich seinen Erfolg.63 Er hätte als Einzelner dem Trend in der westlichen Welt nicht widerstehen und einem Ständestaat neues Leben einhauchen können, noch dazu in einer aufstrebenden Industrienation, deren Arbeiterschaft sich immer stärker in der Sozialdemokratie organisierte und deren Eliten sich vielfach als progressiv einschätzten. Dass das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht dann eine so stürmische Eigendynamik entwickelte, das konnten weder Bismarck noch Engels ahnen.

Der Wahlgang 1867 Am 12. Februar 1867 gingen die deutschen Männer nach knapp 19 Jahren wieder unter einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht an die Urne, sofern sie im Territorium des Norddeutschen Bundes lebten (Bayern, Würt-

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Gall, Bismarck, S. 223–227 et passim; Nipperdey, Machtstaat, S. 41f. u. 107–109.

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temberg, Baden und das südliche Hessen gehörten nicht dazu). Die Beteiligung an den Wahlen für die Verfassungsgebende Versammlung des Norddeutschen Reichstags lag bei beachtlichen 65 Prozent.64 Trotz der vorangegangenen preußischen Annexionen gab es keinen Wahlboykott. Im Gegenteil, die kriegerischen Auseinandersetzungen hatten die patriotische Stimmung fast überall befeuert, was sich bemerkenswerterweise in den Wahlen ausdrückte. Die Schlacht bei Königgrätz, die nur wenige Monate zuvor Preußens Dominanz gesichert hatte, entwickelte sich zum freudetrunkenen Mythos von deutscher Macht und preußischem Militär. Viele verstanden die Wahlen als Ausdruck der neuen nationalen Einheit. Ähnlich wie 1848 konnten die Menschen damit wieder ihre Lebenswelt direkt mit den Wahlen verknüpfen.65 »Durch das allgemeine und directe Wahlrecht, ist der Kastengeist, der so schwer auf uns lastet und uns moralisch ins Verderben stürzt, gründlich zerstört«, schrieb der Arbeiter Heinrich Lehmberg »im Namen einer großen Anzahl Arbeiter« an den preußischen König höchstpersönlich, »denn die Menschen sind im Staate alle gleich, selbst jeder bescheidene und fleißige Arbeiter wird geachtet […], und nun können wir uns wahrhaft bilden, und gute Menschen werden«.66 In einer regierungsnahen Zeitung fand sich der offiziöse Appell zu den Wahlen: »Noch niemals war das Volk zu einer so wichtigen Aufgabe berufen. Möge daher jeder sein Recht und seine Pflicht in der Sache recht ernst bedenken und wahrnehmen!«67 Ein »Wahl-Comité der Deutschen« in Posen teilte Bismarck in einem Brief mit, die Wähler zeigten eine »imposante Einmüthigkeit«: »Sie alle haben das Bestreben, durch die Wahl ihren Willen dahin kund zu thun, daß die Provinz Posen alle Geschicke des Preußischen Staates theile, und daß sie mit Preußen in den Norddeutschen Bund eintrete.«68 Auch die Liberalen ließen keinen Zweifel an ihrem nationalen Hochgefühl. In einer liberalen Wahlversammlung (»Volksversammlung«, wie sie es nannten) in der neu errichteten neogotischen Central-Turnhalle gab es 64 65 66 67 68

Nipperdey, Bürgerwelt, S. 42. Landsberg an Bismarck, 26. 1. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK ; Schulz, Eliten und Bürger, S. 588. Heinrich Lehmberg an Bismarck, Bremen, 18. 3. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Provinzial-Correspondenz, Januar 1867, zitiert nach: Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 103. Das Wahl-Comité der Deutschen für den Wahlkreis Posen [unleserl.], Rechtsanwalt, an Bismarck, Posen, 4. 2. 67b, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128.

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»keinen anderen Schmuck« als »am Einzugstage der Truppen, nämlich die Anwesenheit von 5000 Bürgern jeden Standes und Ranges, die gekommen waren, um sich über die Grundsätze zu verständigen, nach denen sie ihre Bürgerpflicht bei den Wahlen zu dem Norddeutschen Parlament vollziehen wollten«.69 Friedrich Wilhelm Loewe, 1849 der letzte Parlamentspräsident des Frankfurter »Rumpfparlaments« erklärte zum Auftakt der Veranstaltung: »Das Gute des Vaterlandes kann nur erlangt werden in erster Linie, wenn die Bürger sich frei vereinigen und in voller Freiheit und im vollen Meinungsaustausch ihren Willen kundgeben.«70 Vaterland, Freiheit, Wahlen – das gehörte zusammen. Die Zeitungen druckten einen Brief Johann Gustav Droysens, in dem er erklärte, er habe sich seit dem Frankfurter Parlament nicht mehr für ein Abgeordnetenmandat aufstellen lassen. »Jetzt aber, wo das, was wir in Frankfurt geplant und gehofft, endlich möglich geworden und in möglicher Gestalt zur Ausführung bereit liegt, werde ich mit Freuden bereit sein.«71 Die Regierung sah davon ab, offiziell eigene Kandidaten aufzustellen und als solche zu propagieren. Allerdings verdeutlichte sie in vielen Fällen, welche Kandidaten ihr genehm seien und welche nicht. Oft gab sie ihre Zustimmung erst nach der Nominierung. Immer wieder wurde Bismarck auch von konservativen Vereinen angefragt, ob bestimmte Männer in seinem Sinne seien. Die Regierung legte 1867 aber ein gewisses Bemühen an den Tag, nicht mit einer einzelnen Partei identifiziert zu werden.72 Dabei war sie gewiss auch vorgewarnt durch die preußischen Erfahrungen mit Parlamentswahlen. Denn die gouvernementale Wahlbeeinflussung in den

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Flugblatt Nr. 6. Erste große Volksversammlung. Betreffend. Die Wahlen zum Norddeutschen Parlament. Gehalten in Berlin, 17. 12. 1866, in der Central-Turnhalle, A Pr.Br.Rep. 030, Nr. 15534, LAB . Flugblatt Nr. 6. Erste große Volksversammlung. Betreffend. Die Wahlen zum Norddeutschen Parlament. Gehalten in Berlin, 17. 12. 1866, in der Central-Turnhalle, A Pr.Br.Rep. 030, Nr. 15534, LAB . »Brief des Professors Droysen (In Abschrift von Colberg mitgetheilt.)«, Cösliner Zeitung, 5. 3. 1867. Prot. Staatsmin., Kopie, Berlin, 3. 1. 1867, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2; Eulenburg an Regierungspräsidium, Berlin, 24. 12. 1866; Bismarck, vermutl. an Eulenburg, Berlin, 24. 1. 1867; Oberpräsident der Provinz Sachsen, Witzleben, an Herrn Grafen von Bismarck in Berlin, Magdeburg, 26. 1. 1867; Bismarck an Eulenburg, Berlin, 8. 2. 1867, u. weitere Dokumente in I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; Unterlagen in I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK ; vgl. auch Gall, Bismarck, S. 439–442; Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 97–99.

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vergangenen 19 Jahren hatte weithin für Unmut und Verbitterung gesorgt. Nun wollte Bismarck wahrscheinlich nicht riskieren, dass die Wahlen durch solche Praktiken Schaden nähmen. Dennoch fühlten sich viele Landräte, die maßgeblichen Vertreter der Obrigkeit im ländlichen Raum, verpflichtet, klare Wahlempfehlungen abzugeben. »Die Wahlen zum Norddeutschen Parlamente stehen nahe bevor; Wahlen, die jeden Patrioten auf das Lebhafteste interessiren müssen«, teilte der stellvertretende Landrat von Demmin mit. »Ich wende mich vertrauensvoll an die Herren Bürgermeister, die Gutsherrschaften und deren Vertreter, sowie an die Herren Geistlichen, die Gemeinde-Vorsteher und Lehrer, ja alle Wähler ohne Ausnahme mit der Bitte, sich recht eifrig und zahlreich an der Wahl betheiligen, folgerecht die Betheiligung fördern und unterstützen zu wollen, damit eine dem Könige und seiner Regierung erwünschte Wahl erzielt werde.«73 Hier zeigte sich wieder die Vermengung traditionaler Herrschaftsideen mit dem modernen Wahlrecht. Die Stettiner Zeitung erklärte, durch Wahlempfehlungen werde keine »direkte Pression« ausgeübt, vielmehr gehe es nur darum, daß die Wählerschaften darüber zuvor Aufklärung erhalten, von welchen Wahl-Kandidaten die Regierung eine angemessene Vertretung der Staatsinteressen erwarte«; es sei darin »umso weniger eine Beschränkung der Wahlfreiheit zu finden, als ja die Abstimmung eine geheime, also keinerlei Kontrolle möglich ist«.74 Bismarck und seine Regierung legten Wert auf eine hohe Wahlbeteiligung und einen ordnungsgemäßen Verlauf.75 Als der Allgemeine Arbeiter Verein in Hamburg sich über nicht korrekte Wahllisten beschwerte, griff Bismarck sofort ein und wies die Verwaltung an, der Beschwerde nachzugehen und die Registratur zu berichtigen.76 Bürger und Obrigkeit hielten sich weitgehend an die Gesetzesvorgaben, sodass einzelne Unregelmäßig73

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»Amtliche Nachrichten«, von stellvertr. Landrath und Kreisdeputierter von Heyden, Demminer Wochenblatt, Officielles Kreisblatt, 5. 1. 1867; vgl. auch die Wahlempfehlung im Kreisanzeiger für die Kreise Greifswald und Grimmen, 23. 1. 1867, Rep. 66 (Grfswld), Nr. 9, LAB . »Deutschland, Berlin, 18. Januar«, Stettiner Zeitung, 19. 1. 1867, Rep. 66 (Grfswld), Nr. 9, Bl. 34, LAG . Provinzial-Correspondenz, Januar 1867, zitiert nach: Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 103; vgl. auch Schreiben, wohl von Bismarck an Eulenburg, 5. 9. 1867, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; zur Wahlbeteiligung: Nipperdey, Machtstaat, S. 42. Allg. Deutsch. Arbeiter Verein, Rückers, an Bismarck, o. D., 1867 u. Bericht Scheel an Bismarck, Kiel, 18. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK .

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keiten in der Zeitung vermerkt werden konnten, etwa als ein pensionierter Militär sich weigerte, seinen Stimmzettel dem Wahlvorsteher zu übergeben, obwohl dieser den Zettel gemäß dem Wahlregularium in die Urne legen musste.77 »Mit mehr Ruhe und mit weniger Belästigung für die Wähler ist noch niemals ein Wahltag vorüber gegangen, als der 12. Februar. Kein Wähler hat sich länger, als wenige Minuten im Wahllokale aufzuhalten nöthig gehabt und die Berliner blieben deshalb auch an diesem Tage merkwürdig nüchtern.«78 Die Geheimhaltung wurde nicht überall, aber doch für die Maßstäbe der damaligen Welt erstaunlich ernst genommen. Wahlzettel, auf die Wähler ihre Namen notiert hatten, wurden als ungültig aussortiert.79 Der liberale Görlitzer Anzeiger hatte den Wählern eingeschärft, sich nicht von der »Lüge« der Konservativen täuschen zu lassen, die Wahlen seien öffentlich; sehr wohl ermöglichten die zusammengefalteten Stimmzettel, dass niemand die Wahlentscheidung erkennen könne; und das gelte auch für das platte Land.80 »[W]ir hatten kein Mittel, die Stimmen zu überwachen«, spiegelte eine liberale Zeitung spöttisch die besondere Problemlage der »Reaction«, »ja, wir mußten darauf gefaßt sein, daß Leute, die sich äußerlich und öffentlich zu uns bekannt, die geheime Stimmgebung benutzen würden, um heimlich von uns abzufallen.«81 Engels schrieb nun an Marx, »daß in Deutschland noch lange nicht das zu machen ist, was in Frankreich [mit den Wahlen] gemacht werden kann, und das ist immer gut«.82 Auch die Sozialdemokraten sahen 1867 von einem Boykott ab und stiegen in einen intensiven Wahlkampf ein. Die Wachsamkeit des Arbeitervereins in Hamburg stellte keinen Ausnahmefall dar. In den Wahlen zum konstituierenden Norddeutschen Reichstag konzentrierten die Arbeiter erstmals ihre Aktivitäten auf die Wahlen und lenkten damit den Fokus weg von »revolutionären Umtrieben« und Streiks. Die Lösung der nationalen Frage mit der Reichsgründung sollte auch manche Arbeiter und Sozialdemokraten befrieden und bei vielen den Ansporn für eine vermeintlich unmittelbar anstehende Revolution abschwächen. Die Mög77 78 79 80 81 82

»Polizei- und Tages-Chronik«, Berliner Gerichts-Zeitung, 16. 2. 1867. Ebenda. »Görlitz, 14. Februar«, Görlitzer Anzeiger, 14. 2. 1867; »Einem wegen seiner pronociert konservativen Gesinnung«, Berliner Gerichts-Zeitung, 14. 2. 1867. »Die Wahlen«, Görlitzer Anzeiger, 10. 2. 1867; vgl. auch die Versicherung am 12. 2. 1867. »Rundschau«, Berliner Gerichts-Zeitung, 14. 2. 1867, S. 2. Engels an Marx, 13. 3. 1867, zitiert nach: Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 137.

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lichkeit der Partizipation spielte eine entscheidende Rolle, denn Wahlen verdrängten gewalttätige Protestpraktiken und eschatologische Revolutionshoffnungen – weswegen sie aber auch noch lange Zeit von radikalen Sozialisten abgelehnt wurden.83 Es waren diese Wahlen vom 12. Februar 1867, in denen General Moltke vor lauter nationaler Militäreuphorie gleich in verschiedenen Wahlkreisen gewählt wurde. Durch den überwältigenden Wahlsieg des Generals würden die »wahren Aufgaben unseres Vaterlandes mit großer Stimmenmehrheit anerkannt«, erklärten altkonservative Zeitgenossen.84 Neben Moltke ließen sich zahlreiche weitere klangvolle Namen aus der alten Welt in den Reichstag wählen: etwa Prinz Friedrich Karl von Preußen, der Neffe Wilhelms I. und einer der Feldherren von Königgrätz, der Pommer und Bismarck-Jugendfreund Moritz von Blanckenburg oder Gerhard von Thadden, ein erfolgreicher Offizier von 1866 und aus altem pommerschen Adelsgeschlecht. »Jede Partei, mit Ausnahme weniger Extremer, ist aufrichtig bestrebt die königliche Staatsregierung zu unterstützen«, fasste ein Gutsbesitzer die Stimmung zusammen.85 Konservative stellten 59 der insgesamt 297 Abgeordneten, Freikonservative 39, die Nationalliberalen 80, während die deutsche Fortschrittspartei 19 Sitze erhielt, um die wichtigsten Parteien zu nennen. Freikonservative und Nationalliberale schlossen sich für die parlamentarische Arbeit eng zusammen und übernahmen gemeinsam die Rolle einer Regierungspartei.86 Die liberalkonservative Mehrheit war ein Ausdruck der national-monarchischen Hochstimmung des Wahlvolkes. Aber auch die Gegenkräfte schickten ihre erste Garde ins neue Parlament. Berlin etwa, ohnehin eine Hochburg der Linken und Liberalen,87 wählte Männer wie den Achtundvierziger Heinrich Runge, den linksliberalen Verleger Franz Duncker oder den herausragenden liberalen Politiker Eduard Lasker. Wen sie hingegen nicht wählten, das war Bismarck, der sich selbst hatte aufstellen lassen und gegen einen Demokraten verlor (dafür aber in einem ländlichen Wahlkreis gewann).88 Ein liberales Blatt be83 84 85 86 87 88

Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 465 u. 525f.; Biefang, Zeremoniell, S. 253. Zeitung des Cösliner Regierungs-Bezirks, 5. 3. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Baumer, Hauptmann a.D. und Gutsbesitzer, an Bismarck, Cunnersdorf bei Hirschberg, i. Schl., 11. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Gall, Bismarck, S. 442. Ribbe/Schmädeke, Berlin-Geschichte, S. 105f. »Rundschau«, Berliner Gerichts-Zeitung, 14. 2. 1867, S. 2.

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schwichtigte, Bismarck hätte eigentlich selbst in Berlin ganz gut Chancen gehabt, denn viele Liberale hielten ihn seit 1866 für den »kühnen Vollstrecker des Fortschritts-Programmes«.89 Dieses Einlenken der Liberalen auf die Bismarck’sche Linie wird zuweilen als Verrat interpretiert, als dramatisches Abrutschen ins konservative Abseits. Doch viele Zeitgenossen sahen in den Ereignissen eher ein Einlenken Bismarcks auf eine liberale Realpolitik.90 Die radikalen Demokraten und »Revolutionaire« jedoch beharrten auf ihrer Botschaft von mehr Gerechtigkeit, höheren Löhnen und weniger Armut, konnten damit aber kein Land gewinnen.91 Die Polen, die sich weiterhin gegen die preußische Einverleibung wehrten, jedoch an den Wahlen engagiert teilnahmen, errangen immerhin 13 der 297 Sitze. Nach der Wahl mussten die Zeitungen wiederholt die »Spannung, mit der man den Resultaten der Wahlen für den Norddeutschen Reichstag entgegensieht«, dämpfen, da das Wahlergebnis erst vier Tage nach der Stimmabgabe verkündet werden konnte.92 Ein Großteil der Deutschen pflichtete wohl dem preußischen König bei, als er in seiner von Bismarck sorgfältig vorbereiteten Thronrede zur Eröffnung des Parlaments am 24. Februar 1867 erklärte: »Es ist ein erhebender Augenblick, in welchem Ich in Ihre Mitte trete […]. Ich hege das Vertrauen zu Gott, […] [daß] unsere Kinder mit Dank auf diesen Reichstag als den Begründer der Deutschen Einheit, Freiheit und Macht zurückblicken werden. […] im Namen Deutschlands fordere Ich Sie vertrauensvoll auf: helfen Sie uns die große nationale Arbeit rasch und sicher durchführen.«93 Die nationale Euphorie – das darf nicht übersehen werden – war dabei klar an das Volk und sein Partizipationsrecht gebunden: Als die Verfassung für das Reich ausgearbeitet war, unterstrich Wilhelm I. in einer weiteren Thronrede, dass zwar die Einzelstaaten Kompetenzen abgeben mussten, das »Volk selbst aber wird auf keines seiner bisherigen Rechte zu verzichten haben«.94

89 90 91 92 93 94

Ebenda. Vgl. dazu Gall, Bismarck, S. 437–441. [Kaum lesbar:] J. von Wiells [?] geb. v. Saffts [?] an Gräfin/Ministerin [Johanna von Bismarck], 16. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . »Öffentliches«, Teltower Kreisblatt, 13. 2. 1867, S. 47. Thronrede, 24. 2. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3253, GStA PK . Thronrede, 1867, I. HA Rep. 169 C 76, Verfassungs-Sachen, Nr. 22, Bd. 2, GStA PK .

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Erklärungen für die internationale Ausweitung der Partizipation Wie lässt sich diese weltweit zu beobachtende Ausweitung der Partizipation in den 1860er und 1870er Jahren erklären? Was hatte sich seit 1848 verändert, als Regierungen zwar parlamentarische Zugeständnisse machten und Massenpartizipation einräumten, jedoch die konservativen Bedenken gegen die Gleichheit dominierten, und als – aus der Bottom-upPerspektive – insbesondere die unteren Schichten Wahlen selten als ihr ureigenes Thema ansahen und in Preußen das Ende des gleichen Wahlrechts zumeist gleichgültig hinnahmen? Die Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Klar ist, dass sich in dieser Zeit mit aller Wucht durchsetzte, was sich zu Beginn des Jahrhunderts angedeutet hatte und 1848 wie ein romantischer Traum aufgeleuchtet war: der Nationalstaat, dessen unabdingbare Grundlage das selbstermächtigte »Volk«, aber auch eine Zentralisierung der Staatsmacht war. Es zeigte sich nun neben dem herrschaftstechnischen Aspekt ein die Massen erfassender emanzipativer Bezug auf die Wahlen, der in der Geschichte der Wahlen bisher kaum zu sehen gewesen war. Diese doppelte Entwicklung von effektiverer Zentralherrschaft und emanzipativem Streben hing mit der intensivierten Verbürgerlichung der Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen. In Preußen entfaltete sich das Schulwesen und differenzierte sich aus, die Analphabetenrate sank wie in den USA weiterhin ab, während die Studentenzahlen stiegen und die Wissenschaften aufblühten. Die Regierungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten gründeten Lehrerseminare und neue Universitäten.95 Rudolf Virchow kam zu erstaunlichen Erkenntnissen über die Hygiene (eine weitere Rationalisierung im Zusammenleben anstoßend), und die Gebrüder Grimm gaben 1854 das Deutsche Wörterbuch heraus. Das Lesepublikum wuchs, und das Zeitschriftenwesen in Deutschland erlebte mit einiger Verzögerung gegenüber den USA eine rasante Entwicklung, allen voran die illustrierten »Familienblätter«, wie die beliebte »Gartenlaube«. Die noch vorhandenen Zensurpraktiken konnten das Aufblühen einer immer vielfältigeren und national kommunizierenden Presse nicht verhindern. 32 Tageszeitungen und 58 Wochenblätter er-

95

Lawson, Patriot Fires, S. 3 et passim; Wiebe, Search for Order, bes. S. 44 u. 76–110; Foner, Reconstruction, S. 469f.

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schienen 1862 allein in Berlin.96 Parteien gliederten sich nach unterschiedlichen Politikprofilen auf und errangen eine immer größere Bedeutung. Von der Entfaltung der Arbeiterbewegung war bereits die Rede. Da sich in der ganzen westlichen Welt ähnliche Entwicklungen beobachten lassen, spricht Sebastian Conrad von der »globalen Integration von Gesellschaften« seit Mitte des 19. Jahrhunderts.97 Diese globale Vitalität wiederum verdankte sich auch der Herausbildung eines weltweiten Systems von Märkten.98 Eine Freihandelsphase führte zu einem Wachstum des Welthandels um 260 Prozent und sorgte für eine der beiden erfolgreichsten Hochkonjunkturen vor 1950 (1850 bis 1873). Großbritannien blieb Spitzenreiter der Industrienationen, doch die USA erlebten seit den 1840er Jahren ebenfalls ihren Take-off und rückten an die zweite Stelle. Auch Preußen, Belgien oder Frankreich boomten bis zur Weltwirtschaftskrise 1873.99 Die Industrialisierung trieb alles in eine neue Richtung: Sie stärkte nicht nur die mittleren und oberen Klassen, sondern verbesserte auch das Leben der unteren Schichten. Während die Menschen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verheerende Hungersnöte erlebt hatten, gehörte diese existenzielle Not nun der Vergangenheit an. Von 1850 bis 1875 wuchs das Nettosozialprodukt auf dem Territorium des Deutschen Reiches um über 60 Prozent. Die Arbeitslöhne kletterten nach oben, die Preise für Nahrungsmittel sanken und hielten sich auf einem niedrigen Niveau. Auch in Randregionen wie Pommern, die kaum von der Industrialisierung betroffen waren, nahm die Armut ab. Der Reichtum gestattete Städten wie New York oder Berlin ihre Infrastruktur zu regeln und Stadtreinigungen, öffentliche Wasserversorgungen und Verkehrsmittel sowie Berufsfeuerwehren einzurichten. Die Lebenserwartung erhöhte sich, und nicht zuletzt die äußerst effektiven hygienischen Maßnahmen der Städte halfen dabei, die Kindersterblichkeit zu verringern. Die Rechtsgleichheit in Preußen blieb keine theoretische Floskel, sondern erfasste das Staatsleben. In den USA 96

97 98 99

Czolkoß, Universität Greifswald; Obert, Auguste Victoria, 11f.; Stöver, Berlin, S. 33; Burrows/Wallace, Gotham, S. 830; Wehler, Doppelrevolution, S. 418–420 u. S. 429–438; Clark, Preußen, S. 574 u. 580–582. Conrad, Globalgeschichte; vgl. auch Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 622. Conrad, Globalgeschichte, S. 155. Osterhammel, Verwandlung, S. 258–260; Wehler, »Doppelrevolution«, S. 40–45 u. 67. Einen Einblick in diesen ungeheuren Entwicklungssprung bieten die makroökonomischen Schätzungen des Ökonomen Angus Maddison (Maddison, World Economy, S. 382).

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revolutionierten Erfindungen die Landwirtschaft, und im Nordosten breiteten sich immer größere Fabriken aus. Auch in den Südstaaten schienen sich die Dinge nach dem Bürgerkrieg zu klären.100 Wird hier eine künstliche Kausalität hergestellt, wenn man aus alledem schließt, dass die besseren Verhältnisse den Gleichheitsgedanken und die Gleichheitspraxis weiterhin beförderten, dass die Bürger selbstbewusster geworden waren, mehr Zeit und Kraft für Politik hatten, sich besser informieren konnten und qualitätsvollere Informationen erhielten – und daher das Partizipationsrecht stärker mit ihren Vorstellungen verwoben? Jede Gruppe verfolgte auch eigene Interessen: In Preußen hofften Liberale auf mehr Freiheiten gegenüber dem starken Staat, Arbeiter auf bessere Arbeitsbedingungen und mehr Rechte, Konservative auf einen effektiveren Einfluss, um Traditionen zu bewahren und die unvermeidlichen Änderungen in ihrem Sinne zu gestalten. Die Pommern gründeten Vereine, Schwerin und Greifswald entwickelten sich zu liberalen Hochburgen, Konservative brachten sich politisch ein. Auch unter den Monarchen fanden sich liberale Köpfe.101 In den neuen Fabriken und neuen Geschäften in den USA – zunehmend auch in Deutschland – konnten Frauen ihr eigenes Geld verdienen, was erstmals einer größeren Anzahl von ihnen ein weitgehend autonomes Leben ermöglichte. Die Chance auf ökonomische Selbständigkeit für beide Geschlechter muss als einer der bedeutendsten Effekte der Industrialisierung gesehen werden und als wichtige Voraussetzung dafür, dass das Frauenwahlrecht allmählich in den Horizont des Denkbaren rückte.102 Tatsächlich mehrten sich seit Mitte der 1860er Jahre in den USA die Aktivitäten für das women’s suffrage.103 Als 1869 in Wyoming Territory das Frauenwahlrecht installiert wurde, verwahrte sich selbst unter den Bürgerrechtlerinnen noch eine Mehrheit gegen den als anmaßend empfundenen

100 Kocka, 19. Jahrhundert, S. 45 u. 141; Osterhammel, Verwandlung, S. 258–260; Wehler, Doppelrevolution, S. 40–67; Obert, Auguste Victoria, S. 11f.; Stöver, Berlin, S. 33; Burrows/Wallace, Gotham, S. 830; Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 630; Osterhammel, Verwandlung, S. 1295. 101 Inachin, Entwicklung Pommerns, S. 458–462; Matthiesen, Greifswald in Vorpommern, S. 39f., 49 u. 55–59; Mellies, Stereotyp; Fisch, Europa, S. 20. 102 »›Der Kapitalismus hat die Frauen befreit‹. Die Wirtschaftshistorikerin Deirdre McCloskey war früher ein Mann. Heute kämpfte sie für einen neuen Feminismus in der Wissenschaft«, FAZ , 12. 10. 2014; Burrows/Wallace, Gotham, S. 830. 103 Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 194.

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Anspruch auf das politische Stimmrecht. Doch für Frauenrechtlerinnen wie Elizabeth Cady Stanton war Wyoming ein bedeutender Schritt, weil hier im Alltag die Sinnhaftigkeit dieses Rechts deutlich werden konnte.104 1869 gründeten Frauenrechtlerinnen in New York City die National Woman Suffrage Association (NWSA ).105 In Deutschland kam es erst dreißig Jahre später zu einer Vereinsbildung für das Frauenwahlrecht. Dennoch wurde auch in den 1860er Jahren der Anspruch laut. Unter der Leitung von Louise Otto-Peters gründete sich 1865 der Allgemeine Deutsche Frauenverein. Ein Jahr später folgte die Gründung des Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts (der sogenannte Lette-Verein).106 »Die Frauen fordern das Stimmrecht«, schrieb Hedwig Dohm 1876 in einer brillanten und von der Öffentlichkeit als provozierend empfundenen Streitschrift.107 1879 erschien August Bebels Abhandlung »Die Frau und der Sozialismus«, in der er sich für das Frauenwahlrecht einsetzte; die in 20 Sprachen übersetzte Schrift wurde weltweit zu einem Grundlagendokument für die Frauenemanzipation. 1891 nahm die Sozialdemokratische Partei auf dem Erfurter Parteitag die Forderung nach dem Frauenwahlrecht in ihr Programm auf. Für die amerikanischen Frauenrechtlerinnen war es ein schwerer Schlag, als der 14. Verfassungszusatz von 1868, der die rechtliche Gleichstellung garantieren sollte, erstmals die Definition des Bürgers als »male« in die Verfassung schrieb.108 Dennoch gehören die Verfassungszusätze für das Wahlrecht der Afroamerikaner zu den wichtigsten Demonstrationen der individuellen Emanzipation. Dabei lassen sich die Motive der Afroamerikaner selbst nicht in das ökonomisch-bürgerliche Erklärungsschema einordnen. Die Wohltaten der Moderne kamen ihnen viel weniger zugute, denn ihnen wurde Bildung verwehrt, sie lebten in Armut und mit hoher Kindersterblichkeit. Ihr Verlangen nach Partizipation muss als etwas Singuläres verstanden werden. »Selten hat eine Gemeinschaft so große Hoffnungen in die Politik gesetzt wie die Afroamerikaner während der 104 Heinsohn, Politik und Geschlecht; Frevert, »Unser Staat«, S. 99 u. 102; Viles, West, S. 298. Dass das Frauenwahlrecht im Westen Siedlerinnen anlocken sollte, erscheint mir ebenso wenig plausibel wie das Argument, mit dem Ausländerwahlrecht seien männliche Siedler geworben worden, vgl. Kap. 2.5. 105 DuBois, Outgrowing, S. 848–852. 106 Ullrich, nervöse Großmacht, S. 335. 107 Dohm, Der Frauen Natur und Recht, S. 1; vgl. Bock, Frauen, S. 182. 108 Foner, Reconstruction, S. 255.

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Periode der Radical Reconstruction«, so Eric Foner.109 Dennoch ist die Gewährung des Wahlrechts auch für Afroamerikaner nur vor dem Hintergrund verständlich, dass Gleichheitsgedanken und Massenpartizipation allgegenwärtig geworden waren. Ohne den Wahlen im Alltag der Menschen eine zu große Bedeutung zuzuschreiben, kann man doch sagen, dass immer mehr Schichten verstanden, die Partizipationsmöglichkeiten für ihre eigenen Interessen zu nutzen.

Nationalisierungen und Zentralisierung Die Interessen der Regierungen blieben gleichwohl ein wichtiger Faktor für die Ausweitung des Wahlrechts. Der starke Zentralstaat hatte nun die Möglichkeiten, seinen egalitären Anspruch auf alle Staatsbürger zu festigen und auszubauen. Die Idee des Nationalstaats führte von den 1850er bis in die 1880er Jahre weltweit zu einem Verstaatlichungs- und Verdichtungsprozess.110 Die usurpatorische Kraft des Nationalstaates war anziehend: Denn das autonome Individuum, von den Fesseln ständischer und familiärer Kräfte befreit, wurde in der Nation wieder aufgefangen,111 und zwar als Gleicher unter Gleichen. Die nationale Gewaltmonopolisierung sorgte dafür, dass dem Staat Funktionen als »Hüter und Förderer des Gemeinwesens« (Georg Jellinek) zugewiesen wurden, wodurch er für die ihm unterworfenen Bürgerinnen und Bürger noch attraktiver wurde.112 »Die Standardisierung der Verwaltung und damit des Rechts machte die Menschen zu Bürgern eines bestimmten Landes«, so Eric Hobsbawm.113 In Berlin exekutierte die neue Herrschaft des deutschen Bundes eine intensive Gesetzgebung. Der Reichstag – unter Federführung der Liberalen – trieb die Homogenisierung des neuen Reiches und seine Nationalisierung voran: Wirtschaftsreformen mit grundsätzlicher Gewerbefreiheit, allgemeine Freizügigkeit, ein einheitliches Maß- und Gewichtssystem, Rechtsstaatlichkeit für alle Bürger (bei allen Diskriminierungen, die Juden, Katholiken oder Polen im protestantischen Staat offen und unterschwellig weiterhin erdulden mussten). Seit den 1880er Jahren entwickelte sich das Reich durch die Sozialgesetzgebung zu einem Interventionsstaat. In den USA inFoner, Reconstruction, S. 291. Maier, Leviathan, S. 166–170; Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 203f. Bauer, 19. Jahrhundert, S. 52. Zitiert nach Maier, Leviathan, S. 166; die Forschung spricht hier zuweilen von »innerer Nationsbildung« (Ullmann, Politik im deutschen Kaiserreich, S. 77). 113 Hobsbawm, Invention of Tradition, S. 264. 109 110 111 112

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tensivierte sich mit dem Bürgerkrieg (1861 bis 1865) ebenfalls die Nationalisierung, nicht zuletzt weil die Bedeutung von Loyalität, Zentralisierung und Solidarität für ein effektives Staatswesen deutlich geworden waren.114 Die Amerikaner bezeichneten ihr Land zunehmend als »Nation« und weniger als »Union«. Die Zentralregierung übernahm wie in Preußen immer mehr Aufgaben.115 Durch den Bürgerkrieg wurden gesamtstaatliche Maßnahmen möglich, die zuvor undenkbar waren. So zwang der Zentralstaat die Südstaaten, neue Verfassungen vorzulegen, und nahm sich das Recht der Ablehnung heraus, falls sie nicht mit der US -Konstitution harmonisierten. »Wenn wir täglich neue Dinge sehen, die der Staat tun sollte«, erklärte der junge Professor und Reformer, der spätere Präsident Woodrow Wilson, die neue Lehre von der Administration, »so ist es der nächste Schritt, zu klären, wie er sie tun sollte«.116 Wilson würde später zu den Reformern gehören, die mehr staatliche Intervention und eine Neuordnung des Wahlrechts einforderten. Das Phänomen »Nation« brachte seine eigenen Inszenierungen hervor, die zur Festigung der Nation beitrugen. Nach dem Bürgerkrieg wurde in allen US -Staaten der Kult um die amerikanische Flagge eingeführt. Die neuen nationalen Feiertage trugen zu einem bundesweiten Zeitregime bei, das durch die Einführung von öffentlichen Uhren und der exakten Zeitsynchronisation unterstützt wurde.117 Während im Deutschen Reich die verschiedenen Länder den Sedantag zelebrierten, vereinte sich die amerikanische Nation jährlich zum Memorial Day. Die Erinnerung an das Schlachtfeld diente überall zunehmend als Identifikationsspender.118 Wahlen wurden Teil des Integrationsprozesses: einerseits als Symbol der Einheit, andererseits konkret als kollektive Praxis. Die amerikanische Zentralregierung schrieb von oben Bestimmungen zum Wahlrecht vor, das zuvor fast ausschließlich Angelegenheit der Einzelstaaten gewesen war. Die Verfassungszusätze 14 und 15 (von 1868 und 1870), die den Afro114 Nipperdey, Machtstaat, S. 46f.; Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 631; Althammer, Bismarckreich, S. 127; Baker, Domestication of Politics, S. 635. 115 Lawson, Patriot Fires, S. 3 et passim; Wiebe, Search for Order, bes. S. 44 u. 76–110; Foner, Reconstruction, S. 469f. 116 Wilson, Administration, S. 201; vgl. zu Wilson und Wahlen: Steffes, School, Society, and State; vgl. zu Wilsons »Study of Administration«: Rosanvallon, Gute Regierung, S. 82f. 117 Hochgeschwender, Bürgerkrieg, S. 133f.; McCrossen, Marking Modern Times. 118 Hochgeschwender, Bürgerkrieg, S. 133f.

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amerikanern das Wahlrecht garantierten, waren der stärkste, aber nicht der einzige Ausdruck dieser neuartigen Intervention.119 In Deutschland erklärte ein Reichstagsabgeordneter: »Das Wahlrecht ist der Ausdruck der Zugehörigkeit zum Staat.«120 Tatsächlich hätte es wenig Sinn ergeben, einen Nationalstaat ohne Massenwahlen zu errichten, denn Wahlen manifestierten das Fundament der Nation: das Volk. Eine bessere Legitimation konnte es für Herrschaft nicht mehr geben. Gerade auch Monarchen mussten im 19. Jahrhundert ihre Übereinstimmung mit dem Volk unterstreichen, Wilhelm II . sollte geradezu süchtig nach Popularität werden. Zudem unterstützten Wahlen die Synchronisation des nationalen Raums und der kollektiven Zeit. Nationale Wahlen fanden am gleichen Tag und in regelmäßigem Rhythmus statt.121 Der erstarkte Zentralstaat führte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einem spannungsbeladenen Konfliktfeld von nationaler Zentralisierung und partikularistischen Kräften, die teils durch Selbstabgrenzung einzelner Gruppen, teils durch aggressive Exklusionsbemühungen vonseiten der Mehrheitsgesellschaft entstanden. Die Eisenbahn (Inbegriff der Moderne, der Vernetzung, der Gleichheit, der Beschleunigung) verband die Menschen, aber durch die engere Verbindung konnten abweichende Gruppierungen nicht mehr abgelegen ihr Dasein fristen. Die 1869 vollendete transkontinentale Eisenbahn in den USA rückte den Wilden Westen nahe an den Osten heran, und die letzten unabhängigen Native Americans wurden in Reservate gezwungen. Einzelstaaten, aber auch mafiaähnliche politische Organisationen entrüsteten sich über die »Tyrannei« der Regierung in Washington, die Bundesgesetze zur Geltung bringen wollte. In Preußen informierten die Kreisblätter auch die Dorfbewohner im abgelegenen Groß Kiesow über das Wohlergehen der Nation und über die Geschäfte der Regierung. Aber Sozialdemokraten hielten zumindest in der Theorie an ihrer internationalen Utopie fest und bestärkten damit ihren Pariastatus. Die separatistischen Welfen erstarkten unter der rigiden preußischen Politik, und nationale Minderheiten wie die Polen gewannen neues Selbstbewusstsein.122

119 Foner, From Slavery to Citizenship, S. 62. 120 Redebeitrag Pachnicke, Sten. Ber. pr. AH , 5. 12. 1917, Sp. 6605; ebenso für die USA : Foner, From Slavery to Citizenship, S. 62. 121 Buchstein, Stimmabgabe, S. 428f.; Howe, What Hath God Wrought, S. 832f. 122 Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 462f.; Bösch, Das konservative Milieu, S. 22f.

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In einer Welt, die sich mit Telegrafenkabeln über Land und See, mit Zügen, Straßen und mit transatlantischen Dampfschifflinien immer enger verflocht, wurde die Abgrenzung zugleich rigoroser, und der Mechanismus von Inklusion und Exklusion verschärfte sich. »Keine Kultur beschäftigte sich obsessiver mit Grenzen als jene, die sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts herausbildete und die auf nationalen, rassischen, Gender- und Klassentrennlinien beharrte. Die moderne Welt war von der Episteme der Trennung ergriffen«, so Charles S. Maier.123 Sowohl in Preußen als auch in den USA bemühten sich Verantwortliche um die Einhegung des transnationalen Phänomens Katholizismus.124 In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts führten die USA ein verschärftes Migrationsregime ein, und das erste Immigrationsgesetz, das Menschen nach ihrer ethnischen Herkunft klassifizierte, wurde erlassen: Der Chinese Exclusion Act und seine Erweiterungen in den 1880er Jahren verboten die Einwanderung chinesischstämmiger Arbeiter.125 Aus der nationalen Inklusion musste die genaue Definition folgen, wer dazu gehörte, und die Staatsbürgerschaft bildete ein zentrales Element des Ein- und Ausschluss-Mechanismus. In der Verfassung wurden »keine Steuern zahlende Indianer«, also alle als Native Americans identifizierbaren Männer, kategorisch ausgeschlossen. Der Staatsbürger gehörte zur (in aller Regel: auserwählten) Nation und war dadurch mit besonderer Dignität qualifiziert. Entsprechend präsentierte sich der Andere als eine »Gestalt des Mangels«.126 Mischungen wurden als Defekt empfunden. Die Frage der afroamerikanischen Staatsbürgerschaft entwickelte sich zu einem scheinbar unlösbaren Problem.127 Manche Unionisten hatten ein Ende der Sklaverei befürwortet, um die Afroamerikaner ein für alle Mal aus der »Nation« entfernen zu können.128 Der moderne nationale Zentralstaat provozierte die Gegenkräfte, weil er innerhalb seiner Grenzen die Spannungen zu überwinden trachtete. Polenhasser und Antisemiten, Junkerpolemik und Erbfeindrhetorik in Preußen, Lynchjustiz, Verbitterung gegen die »Nigger«-Freunde, Verachtung der Iren in den USA , und auf beiden Seiten des Atlantiks: Katholiken-

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Maier, Consigning, S. 819. Habermas, Mission, S. 634; vgl. Mergel, Klasse und Konfession. Daniels, Asian Americans, S. 20f.; Calavita, Paradoxes of Race, S. 4 u. 11f. Chakrabarty, Europa provinzialisieren, S. 287. Zitiert nach: Keyssar, Right to Vote, S. 79. Keyssar, Right to Vote, S. 98.

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hatz, Großstadtangst, Überfremdungspanik. Die Durchsetzung des universal suffrage ist daher ein wichtiger Begleiter des Konfliktes zwischen regionalen Kräften und zentraler Staatsmacht und ein Indikator für die jeweilige Stärke des Staates.

Kontingenzreduktion Der Anspruch auf das Gewaltmonopol des nationalen Zentralstaates stand aber auch in Spannung zu den Partizipationsrechten der freien Bürger. Der Staat bedurfte der Bürger bei der Stimmabgabe als Legitimationsspender, doch die Masse der Bürger war nicht berechenbar. Wahlen versprachen daher einerseits Rationalität, andererseits bargen sie ein hohes Risiko, keineswegs nur für Machthaber und im Sorgenhaushalt der Konservativen, sondern auch für die Mehrheit der Bevölkerung, deren Leben sich – anders als in heutigen Wohlstandsgesellschaften – je nach Wahlausgang dramatisch verändern konnte. Ebenso stand das Ideal einer rationalen Herrschaft mit stabilem Beamtenapparat in einem gewissen Gegensatz zur Risikohaftigkeit der periodisch wiederkehrenden Wahlen. Um diese Spannungen zu lösen oder doch abzumildern, bildeten sich die Praktiken der Manipulation und Korruption von Wahlen heraus – und zwar überall dort, wo ein modernes Wahlrecht galt.129 Korruption und Manipulation waren »nicht archaisch, sondern genuin modern« (Thomas Mergel). Sie müssen vor dem Hintergrund des Gefühls von »umfassender Unsicherheit« gesehen werden, das die Menschen bedrängte.130 Dass Manipulationen von den verschiedensten Gruppen ausgeübt wurden, zeigt zudem, wie wichtig Wahlen geworden waren. Wahlbeeinflussungen durch die Exekutive galten dabei geradezu als selbstverständlich. In den USA , wo der Staat in gewisser Weise in der Hand der regierenden Partei lag, praktizierte diese die Manipulation. Insgesamt kann die Dialektik von Zentralismus und Partikularismus, von Inklusion und Exklusion, von Rationalisierung und risikoeindämmendem Überwachungsbedürfnis als eine typische Entwicklung der Moderne interpretiert werden. Wahlmanipulationen und Korruption zeugen von dem Bemühen, mit diesen neuen Problemen umzugehen. In den folgenden Kapiteln soll es darum gehen, wie und in wel-

129 Für Frankreich: Barral, Troisième République, sowie die Arbeiten von Crook und Dunn; für Belgien: Nohlen/Opiela, Belgien, S. 83f. 130 Mergel, Betrug, Krawall, Stimmenkauf, S. 1.

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chem Ausmaß die einzelnen Akteure die Wahlen beeinflussten. Dabei geht es auch um die Frage, ob die preußischen Wahlen im Vergleich zu den amerikanischen als besonders unfrei bezeichnet werden können.

Wahlmanipulationen der preußischen Obrigkeit Thomas Nipperdeys Einschätzung, die Wahlen in Preußen seien trotz staatlicher Manipulationsversuche alles in allem relativ frei gewesen, steht die Auffassung vieler Historiker gegenüber, Wahlen in Preußen und teilweise auch im Deutschen Reich hätten mit freier Partizipation wenig zu tun gehabt.131 Die These von den weitgehend obrigkeitlich arrangierten Wahlen ist insofern bemerkenswert, als diese Historiker meistens zugleich davon ausgehen, dass das Parlament in Preußen und im Deutschen Reich eine geringe Bedeutung gehabt habe. Wie aber ließe sich dann das Engagement der Regierung für die Wahlen erklären? Die gründliche Forschung über Wahlmanipulationen und -beeinflussungen für Preußen und das Deutsche Reich über die Zeit ab den Jahren 1867 zeigt jedenfalls ein beträchtliches Ausmaß an »Wahlmache«, wie Zeitgenossen die obrigkeitlichen Manipulationen nannten.132 Doch für die Jahre bis 1867 liegen nur kleinere und unsystematische Untersuchungen vor.133 Um die Frage zu klären, ob staatliche Manipulationen die Wahlen zu einem Akklamationsinstrument herabgestuft haben, ist es hilfreich, auch die preußischen Wahlen in den 1850er Jahren in den Blick zu nehmen – und vor allem die Wahlpraxis im internationalen Zeithorizont zu verstehen.

Herrschaftsdilemmata in den frühen Jahren des Dreiklassenwahlrechts Bereits bei den Stadtwahlen wurde deutlich, dass Wahlen in Preußen als eine Sache der Obrigkeit angesehen wurden. Doch die Wahlen auf kommunaler Ebene, die bei den Bürgern auf so wenig Begeisterung stießen, blieben in der ersten Jahrhunderthälfte für den Gesamtstaat von eher geringer Bedeutung. Das änderte sich 1848. Als General Wrangel das revolutionäre Berlin besetzte, gehörte die Sicherstellung von Wahlen zu seinen 131 Beispielhaft Ziblatt, Shaping Democratic Practice; die Arbeiten von James Retallack; vgl. zu einem Forschungsüberblick Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 29f. 132 Kühne, Dreiklassenwahlrecht; Arsenschek, Wahlfreiheit; Anderson, Lehrjahre. 133 Grünthal, Parlamentarismus; Fischer, Konservatismus von unten.

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Aufgaben. Er wollte Versammlungen im Vorfeld der Stimmabgabe am liebsten von »politischen Debatten« freihalten und installierte »Aufsicht führende Beamte«.134 Wahlversammlungen bedurften außerdem einer Genehmigung.135 Das Polizeipräsidium forderte nach der Wahl die Meldung der Gewählten und die Angabe von deren »Gesinnung«.136 Aufgeschreckt von den Wahlergebnissen 1848 verschickte Innenminister Manteuffel zur Vorbereitung der Wahlen 1849 das bereits zitierte Schreiben: Einerseits müssten die Behörden aktiv die »constitutionell-monarchische Regierungsform« unterstützen, andererseits müssten sie darüber wachen, dass die »Freiheit der Meinungs-Äußerung« keine »ungesetzliche Beschränkung erleide«. Das Dilemma zwischen modernem Staat mit Gewaltmonopol und der Risikohaftigkeit der Wahlen drückte sich in Manteuffels abschließendem Statement aus: »Nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der bleibenden Beruhigung des Landes, zur Wiederherstellung seiner tief erschütterten Wohlfahrt, im Interesse der höchsten Güter des Volks, welche der Erörterung der zu bildenden Kammern werden unterworfen werden, hat die Regierung mit ihren constitutionellen Organen darüber zu wachen, daß in den bevorstehenden Wahlen der durch die schweren Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit hoffentlich geläuterte Volkswille seinen ungetrübten Ausdruck finde.«137 Wahlen stellten die Preußen offenbar vor die Aufgabe, aus dem Kreis ein Quadrat zu machen. Im Jahr 1855 forderte Friedrich Wilhelm IV., bei den Wahlen einen größeren Einfluss auf Beamte zu nehmen.138 Kurze Zeit später, unmittelbar vor den Wahlen von 1855, erließ der ultrakonservative Innenminister Ferdinand von Westphalen einen detaillierten Erlass an die Landräte, die auf dem Land für die Durchsetzung der Regierungsmacht zu sorgen hatten und fortan bei den Wahlen eine entscheidende Rolle spielen würden.

134 »Berlin«, Vossische Zeitung, 31. 12. 1848, A Rep. 001–02, Nr. 2457, LAB . 135 Schreiben an Königl. Polizei-Präsidium (Abs. unleserl.), Berlin, 2. 2. 1859, u. weitere Schreiben, die um eine Versammlungs-Erlaubnis ersuchen, A Pr.Br.Rep. 030, Nr. 15335, LAB . 136 An den Polizei-Präsidenten, o. A., ca. 1849, u. weitere Akten in A Pr.Br. Rep. 030, Nr. 14005, LAB . 137 Circular-Verfügung von Manteuffel, 28. 12. 1848, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 138 Auszug, Sitzung der Minister, Bellevue, 9. 6. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK .

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Die Anweisungen des Ministers zeugen davon, welches Gewicht die Regierung dem Parlament beimaß. So mahnte Westphalen die Landräte, »die hohe Bedeutung der diesmaligen Wahlen« nicht zu unterschätzen und zur »Herbeiführung einer entscheidenden conservativen Majorität« beizutragen.139 Wie zuvor und wie auch später wurde immer betont, dass alles mit rechten Dingen zugehen müsse und zugleich »vertraulich« zu bleiben habe – ein Hinweis darauf, dass sich die Zuständigen der prekären Rechtslage bewusst waren. Westphalens Ratschläge und Anweisungen befassten sich mit jedem Detail: Sorgfältige Auswahl der Wahlvorsteher und des Wahllokals, Aktivierung der Lehrer und Geistlichen, die angemessene Hervorhebung obrigkeitlicher »Wohltaten«, Besprechungen mit den gewählten Wahlmännern für die zweite Wahl, schließlich eine nachgereichte Begründung, falls es zu einem »ungünstigen« Wahlergebnis kam. Besonderes Augenmerk sei auf die Auswahl der Kandidaten zu legen, und als letztes Mittel, wenn sich kein »Conservativer« fände, sollten sich die Landräte selbst aufstellen lassen, »insofern Sie annehmen dürfen, daß die Stimmen der Majorität Ihnen zufallen«.140 Obwohl Landratskandidaturen nur die Ultima Ratio sein sollten,141 mussten die Konservativen bezeichnenderweise häufig darauf zurückgreifen: Bei den Wahlen im Oktober 1855 zogen 72 Landräte ins Parlament, das daraufhin als die »Landratskammer« verspottet wurde.142 In einer fünfzigseitigen Denkschrift, in der Westphalen nach den Wahlen die staatlichen Beeinflussungen zusammenfasste, nannte er als weitere wichtige Maßnahmen »zweckmäßige Bildung der Wahlbezirke« und »Verhütung einer vorzeitigen Agitation« (der oppositionellen Kräfte).143 An anderer Stelle berichtete er außerdem vom Abdruck regierungsfreundlicher Artikel in wohlgesonnenen Zeitungen.144

139 Zirkular an die Landräte, 7. 9. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 140 Rundschreiben, Sept. 1855 von Innenminister Westphalen, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 141 Grünthal, Parlamentarismus, S. 327, Fußnote 58. 142 Reichensperger, Wahlen, S. 7f.; Fischer, Konservatismus von unten, S. 127. 143 Promemoria, beiliegend dem Brief Westphalen an Manteuffel, 5. 12. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 144 Westphalen an Minister-Präsidenten Manteuffel, 21. 9. 55, anliegend »Lieben Landsleute«, Neues Preußisches Sonntagsblatt, 23. 9. 1855, u. Promemoria, beiliegend dem Brief Westphalen an Manteuffel, 5. 12. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK .

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Die Maßnahmen riefen jedoch in der Öffentlichkeit großen Unmut hervor und stießen von Anfang an auf entschiedene Gegenwehr.145 In Anklam beispielsweise hatte sich der Landrat von Oertzen 1855 in einem Rundschreiben gegen den liberalen Kandidaten, Graf Schwerin, ausgesprochen. Dieser machte daraufhin die gouvernementalen Machenschaften publik. »Von den Liberalen der Hauptstadt, wie in Breslau«, berichtete Westphalen, »wurde demzufolge beschlossen, seine Wahl nicht bloß als Demonstration überhaupt, sondern vorzüglich auch gegen die angebliche offizielle Beherrschung der Wahlen durchzusetzen.« Die Aktion wurde ein toller Erfolg: Gleich in drei Wahlbezirken wählten die Berliner Graf Schwerin zum Abgeordneten, denn eine Vielfachwahl galt als Akt der besonderen Würdigung.146 Der König war verärgert und ließ den Berliner Stadtverordneten nach der Wahl sein »Allerhöchstes Bedauern über die hiesigen Wahlen« mitteilen.147 Das beirrte offenbar niemanden. Einen ähnlichen Aufruhr verursachte die Anweisung des Berliner Polizeioberst Patzke an seine Polizisten, die regierungsfreundlichen Kandidaten zu unterstützen. Schutzleute in Uniform verteilten an den Haustüren Stimmzettel mit den Namen der konservativen Kandidaten.148 Das parteiliche Verhalten der Polizei sorgte für so viel Protest, dass der Innenminister selbst die Sache in die Hand nehmen und die Aktion für illegal erklären musste.149 Der katholische Politiker Peter Reichensperger schrieb 1858 von den »peinlichen Erfahrungen«, die man bei den Wahlen 1855 gemacht habe, als »vielfach die Mittel des amtlichen Einflusses aufgeboten wurden, um die Wahl von Regierungs-Kandidaten durchzusetzen«.150

145 Sitzung Staatsmin., Verhandelt, Berlin 8. 12. 1858, u. Promemoria, beiliegend dem Brief Westphalen an Manteuffel, 5. 12. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, Bl. 46, GStA PK . 146 Westphalen an Minister-Präsidenten Manteuffel, 21. 9. 55, anliegend »Lieben Landsleute«, Neues Preußisches Sonntagsblatt, 23. 9. 1855, u. Promemoria, beiliegend dem Brief Westphalen an Manteuffel, 5. 12. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 147 Promemoria, beiliegend dem Brief Westphalen an Manteuffel, 5. 12. 1855, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, Bl. 46, GStA PK . 148 Minister des Innern, Witzleben, an Königl. Polizeipräsidium, 30. 12. 1855, A Pr.Br.Rep. 030, Nr. 8548, LAB . 149 Vgl. Unterlagen in A Pr.Br.Rep. 030, Nr. 8548, LBA ; Grünthal, Parlamentarismus, S. 442. 150 Reichensperger, Wahlen, S. 7f.

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Als der Prinz von Preußen, der spätere König Wilhelm I., im Oktober 1858 die Regierungsgeschäfte übernahm, setzte er das alte Staatsministerium um Manteuffel und Westphalen ab und installierte ein neues um seinen Freund Karl Anton, den Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Karl Anton war eine Ausnahmeerscheinung, ein bemerkenswert liberaler Kopf. Er stand der Wochenblattpartei um August von Bethmann Hollweg nahe. Gemeinsam mit dem liberalen Grafen Schwerin, der in den letzten Wahlen noch für die Wahlfreiheit gekämpft hatte, gestaltete er im Staatsministerium die Neue Ära mit. Der Liberale Rudolf von Auerswald, ein Jugendfreund des Königs, galt als der informelle Chef dieser reformfreudigen Regierung. Und ein weiterer Freund des neuen Regenten war dabei: Alexander von Schleinitz, der ebenfalls zur Wochenblattpartei gehörte. Zu den ersten Amtshandlungen Wilhelms I. gehörte es, sich über die Wahlbeeinflussungen von 1855 zu informieren und anzuordnen, die manipulative Einteilung der Wahlbezirke für ungültig zu erklären.151 Die neuen liberalen Staatsminister erklärten, es sei zwar rechtmäßig, bei Wahlen »durch alle erlaubten Mittel dafür zu wirken suchen, die gouvernementalen Kräfte bei Zeiten zu sammeln«, jedoch solle alles vermieden werden, »was irgendein als unberechtigte Einwirkung, als Mißbrauch ihres Ansehens erscheinen kann, zumal jede Einschüchterung, Drohung, moralischen Zwang und dergleichen«.152 Die Verantwortlichen bedauerten den Druck, der 1855 »in den Beamtenkreisen selbst eine sehr verbreitete Mißstimmung« hervorgerufen habe.153 Vor den Wahlen 1858 beschloss das Staatsministerium unter Anwesenheit des Prinzregenten, nicht nur von Wahlmanipulationen Abstand zu nehmen, sondern in den Fällen, in denen Beamte in unangemessener Weise Einfluss auf die Wahlen nähmen, »unverzüglich eine ernste Mahnung und Zurechtweisung an solche Beamte zu erlassen und dieselbe an sämmtliche Regierungspräsidenten nachrichtlich mitzutheilen«.154 Im Oktober 1861 unterstrich Graf Schwerin als Innenminister in einem Wahlerlass: »Für ihre Person ist den Beamten 151 Sitzung Staatsmin., Verhandelt, Berlin 8. 12. 1858, dazu die Schreiben und Informationen vom August und September 1858 in der Akte, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 152 Sitzung Staatsmin., Verhandelt, Berlin 8. 12. 1858, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 153 Ebenda. 154 Sitzung Staatsmin., Auszug, Geschehen auf dem Kgl. Schlosse zu Berlin, 10. 11. 1858, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK .

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bei der Ausübung des eigenen Wahlrechts unverschränkt, wie Jedermann, ihrer Überzeugung zu folgen.« Allerdings fügte er hinzu: »Stimmt dieselbe nicht mit den Grundsätzen der Staats-Regierung überein, so muß von ihnen gefordert werden, daß sie diejenige Zurückhaltung sich auferlegen, welche es ihnen gestattet, bei den Wahlen ihrer Amtspflicht nachzukommen.«155 Doch als der König mit seinen liberalen Ministern aneinandergeriet und als sich der Verfassungskonflikt mit dem Abgeordnetenhaus abzuzeichnen begann, stellten sich dem Monarchen die Wahlen in einem anderen Licht dar als noch 1858. Für ihn sollten sie nun zur Unterstützung der Regierungspolitik dienen, gar zur Abwehr der Liberalen, die ihm im Parlament so hartnäckig Paroli boten. Nun drängte er darauf, die Wahlen zu beeinflussen – und zwar mit einer Vehemenz, wie sie in Preußen bisher unbekannt war. Die folgende Auseinandersetzung um Wahlbeeinflussung ist ein Stück preußischer Geschichte, das bisher kaum Beachtung gefunden hat. Seit 1861 forderte Wilhelm I. seine Staatsminister auf, für ihn ein Statement zu den am 6. Dezember anstehenden Wahlen zu verfassen, aus der das Volk seinen Willen genau erfahren und entsprechend wählen sollte. Die Minister – mit Ausnahme des Kriegsministers – hielten dagegen, der König solle durch seine Reformpolitik überzeugen, nicht durch Wahlanweisungen.156 Der König wiederholte seine Anweisung – das Staatsministerium blieb bei seiner Ablehnung.157 Auch als der König befahl, ihm zu seiner Krönungsfeier am 18. Oktober 1861 eine Wahlerklärung zu formulieren, die er verlesen wolle, lehnten die Minister, wie oben beschrieben, ab.158 Daraufhin verfasste der König einen Brief an seine Staatsminister. Gekränkt und emotional, mit vielen Unterstreichungen beschrieb er, wie das Staatsministerium ihm ein ums andere Mal verweigert habe, dem Volk seinen Willen über die Wahlen mitzuteilen: »Ich ließ zum 3tenmal meine Ansicht fallen, hielt die Thronrede, die natürlich nichts von Wahlen enthalten durfte […]. Ein solches Verschleppen der wichtigen Frage, während unsere Gegner eine Energie und Thätigkeit für die Wahlen entwickeln, die uns 155 Innenminister Graf Schwerin, Oktober 1861, zitiert in: Zweiter Bericht, No. 103, Haus der Abgeordneten, 19. 1. 1864, 6, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 156 Staatsmin. an Königl. Majestät, 18. 6. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GS tA PK ; vgl. zu diesen Vorgängen auch I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248, GStA PK . 157 Staatsmin. an Majestät, Berlin, 10. 10. 1861 u. 22. 10. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 158 Vgl. Kap. 3.4.

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zum Vorbilde dienen sollten!! – kann ich nicht länger ruhig hinnehmen. Es muß gehandelt werden!«159 Dabei war es dem Monarchen wichtig, dass er ganz mit dem liberalen Innenminister Graf Schwerin einverstanden sei, »daß alle ungesetzliche Beeinflussung der Wahlen durch die Regierungs-Organe zu unterbleiben haben; dagegen fehlt aber die Weisung, welche Mittel unsere Organe anwenden dürfen und müssen, um im Sinne der Regierung auf die Wahlen einzuwirken«.160 Die Frage lag Wilhelm sehr am Herzen. Vom folgenden Tag liegt ein Briefentwurf vor, in dem er erneut diese Positionen darlegt und erklärt, wie wichtig es sei, die »ganze Thätigkeit und Aufmerksamkeit den Wahlen zuzuwenden, und alle Behörden mit den entsprechenden Instructionen zu versehen […], damit sie ohne die Freiheit der Wahlen zu beeinträchtigen, überall sich angelegen sein lassen, die Wähler in angemessener Weise über Meine Intentionen aufzuklären«.161 Die Staatsminister aber blieben bei ihrer Ablehnung. Sie erklärten Wilhelm, dass eine parteiliche Stellungnahme des Königs zu den Wahlen diesen delegitimieren würde, falls er die Wahlen verlöre.162 Am 3. November 1861 kam es auf der Sitzung des Staatsministeriums einen knappen Monat vor den Wahlen zum Showdown. Unter Anwesenheit des Kronprinzen wurden nochmal die Wünsche Wilhelms I. vorgetragen. Daraufhin erklärte Karl Anton: »Es scheine ihm nach wie vor in hohem Grade mißlich und bedenklich, die jetzt vorliegenden Befehle Sr. Majestät des Königs zur Ausführung zu bringen.« Graf Schwerin sekundierte: »Er fühle sich, um des Gewissens willen, außer Stande, die von des Königs Majestät befohlenen Ordre zu kontrastigniren.«163 Zwei Tage später traf sich das Staatsministerium mit dem König selbst. Die liberalen Regierungsmitglieder rieten dem König erneut von einer Proklamation zu den Wahlen ab.164 Der König gab nach, die Wahlen fanden ohne königliche Wahlbeeinflussung statt. Der Wahlausgang war ein Schlag für den König und alle Konservativen: Die Linksliberalen erhielten 104 Mandate (zuvor Wilhelm I. an Staatsmin., 25. 10. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . Ebenda. Entwurf, o. A., 26. 10. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . Staatsmin. an des Königs Majestät, 29. 10. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 163 Abschrift, Sitzung Staatsmin., 3. 11. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 164 Abschrift, Conseilsitzung, Berlin, 5. 11. 1861, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 159 160 161 162

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waren es 19 gewesen), die Liberalen 48, die Konservativen hingegen lediglich 14 und die »Konstitutionellen« 91. Der König kommentierte: »Durch Unterlassung eines gesetzlichen energischen Einflusses auf die Wahlen im vorigen Herbste, wie ich dies vergeblich vom Staatsministerium verlangt hatte, sind dieselben so ausgefallen wie ich es vorher gesagt.«165 Im Frühjahr 1862 löste Wilhelm das liberale Abgeordnetenhaus auf. Die nächsten Wahlen sollten am 6. Mai stattfinden. Am 12. März 1862 lehnte das Staatsministerium erneut den Wunsch des Königs ab, eine »Proclamation« mit seinen Wahlempfehlungen zu erlassen. Angesichts des Verfassungskonflikts baten die liberalen Minister jedoch um ihre Entlassung, die der König auch vollzog. Kurze Zeit später, am 18. März, erklärte Wilhelm I.: »Auf die Wahlen zu wirken, ist von heute an die Hauptaufgabe des Ministeriums. Alle gesetzlichen und loyalen Mittel müssen in Anwendung gebracht werden, um eine Kammer im Sinne dieses Programms zu erzielen, und sehe Ich den Vorschlägen dieserhalb unverzüglich entgegen.« Er fügte aber noch hinzu: »Einschüchterung und Drohungen dürfen dabei aber niemals zur Anwendung Seitens der Behörden eintreten.«166

Bismarck und die Wahlmache Nun brach eine neue Zeit an. Generalstabsmäßig, wie es Manteuffel 1849 angedeutet und Westphalen 1855 ansatzweise durchgesetzt hatte, wurde – angeheizt durch den Verfassungskonflikt – mit Anweisungen der Minister über die Oberpräsidenten in den Provinzen, die Landräte und die Beamten in Schulen und Büros Druck ausgeübt. Mit einer »Modification« der Wahlregulierung wurde nun erlaubt, dass Kandidaten auch als Wahlvorsteher fungieren durften.167 Der neue Innenminister Gustav von Jagow machte am 22. März 1862 den Auftakt, indem er an die Oberpräsidenten schrieb, es gelte, »durch die Organe entschieden darauf hinzuwirken, daß den Wählern die leitenden Grundsätze und die Absichten der Regierung […] überall zum klaren Verständniß gebracht werden«. Und auch hier fehlte nicht der Hinweis: »Es versteht sich von selbst, daß es der königlichen StaatsRegierung fern liegt, die gesetzliche Wahlfreiheit irgendwie beschränken 165 Schreiben Wilhelms I., 11. 3. 1862, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 166 Wilhelm I., 17. 3. 1862, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK ; vgl. auch Schreiben Wilhelm I. an Staatsmin., 19. 2. 1862 [richtig: 19. 3. 1862], VI . HA Nl Krieger, R., 26, GStA PK . 167 Extract, Sitzung Staatsmin., Punkt 3, 31. 3. 1862, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK .

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zu wollen.«168 Die effektiven, zugleich jedoch legalen Mittel zur Wahlbeeinflussung, so der Innenminister, müssten die zuständigen Behörden selbst ersinnen. Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Beamten: Man dürfe wohl erwarten, dass sie die Staatsregierung bei den Wahlen unterstützen, zumindest aber dürften sie – eingedenk »des Sr. Majestät dem Könige geleisteten Eides der Treue« – keine Agitation gegen die Regierung betreiben. Von den Ministern über die Oberpräsidenten gelangten die Anweisungen auf dem Dienstweg bis in die unteren Chargen. Häufig geschah dies in Form von Gesprächen, zuweilen aber auch mit schriftlichen Anweisungen. Bald lernten die Beamten jedoch, dass sie bei Schriftstücken Vorsicht walten lassen mussten, weil diese in Wahlanfechtungen als Beweismittel dienten.169 Doch allen Bemühungen zum Trotz blieben die Liberalen bei den Wahlen erfolgreich. Dann nahm Otto von Bismarck das Heft in die Hand. Er beschloss, die Beamten noch schärfer ins Visier zu nehmen.170 Dabei ist es aus rechtlicher Perspektive bemerkenswert, dass sich die obrigkeitlichen Manipulationen weitgehend auf Beamte konzentrierten und – anders als etwa in Frankreich – nicht die ganze Bevölkerung einbezogen.171 Bei den Staatsdienern fühlte sich die Regierung befugt, Wahlanweisungen zu geben. Doch auch dieser Eingriff musste juristisch abgesichert werden. Bismarck scheute sich nicht, den Monarchen dafür offiziell zur Partei im Wahlkampf zu erklären. Am 7. April 1863 erließ der König ein von Bismarck gegengezeichnetes Schreiben: »Ich habe mich der Wahrnehmung nicht verschließen können, daß viele mittelbare und unmittelbare Staatsbeamte sich der Opposition gegen Meine Regierung angeschlossen haben und statt letztere thatkräftig zu unterstützen, ihr sogar Schwierigkeiten bereiten«; das »Wohl des Vaterlandes« erfordere es, dem »mit allen Mitteln welche die Lage der Gesetzgebung zuläßt« ein Ende zu bereiten.172 Aufgrund der Stellungnahme des Königs, dem die Beamten einen Eid geschworen hatten, 168 Minister des Innern v. Jagow an die Herren Ober-Präsidenten Berlin, 22. 3. 1862, Rep. 76 Seminare, 10311, GStA PK ; vgl. dazu auch die Unterlagen in I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 169 An den Herrn Seminar-Director Spiegel, 31. 3. 1862, I. HA Rep. 76 Seminare, 10311, GStA PK . 170 Auszug, Conseilsitzung, 16. 6. 1863, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 171 Vgl. zu den Beamten als Wähler: Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 209–214. 172 Schreiben, Wilhelm I., gegengez. Bismarck, 7. 4. 1863, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK .

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mussten sie ihm im Wahlkampf treu sein, teilten die Minister nun mit.173 Beispielhaft war das Schreiben Eulenburgs. Darin heißt es: »Wer als Beamter geschworen hat, ›dem Könige, seinem Allergnädigsten Herrn, unterthänig, treu und gehorsam zu sein‹, ist dieses Eides weder als Wähler noch als Gewählter entbunden […], so sind Alle zum Gehorsam, diejenigen aber, welche des Königs Gnade aus besonderem Vertrauen in Stellen von politischer Bedeutung berufen hat [also Funktionsträger wie Regierungspräsidenten oder Landräte, H. R.], noch außerdem zu thatkräftiger Unterstützung der Königlichen Staats-Regierung verpflichtet.«174 Eine Wahlkommission notierte dazu später, »mit der Hineinziehung des Sr. Majestät dem Könige geleisteten Eides der Treue war der erste Schritt auf der abschüssigen Bahn zur Verkümmerung der den Beamten zustehenden Wahlfreiheit gethan«.175 Die höheren Beamten gaben die Anweisungen an die ihnen unterstellten Beamten weiter.176 Der Oberpräsident von Westfalen beispielsweise knüpfte sich nach dem Mahnschreiben des Ministers die Regierungspräsidenten und Provinzialsteuerdirektoren in »persönlicher Besprechung« vor, um sie anzuweisen, die ihnen unterstellten Forst- und Steuerbeamten für die Wahlen auf Linie zu bringen.177 Wie immer bildeten auch in diesem Fall die Landräte eine wichtige Schaltstelle des Herrschaftsapparats.178 Allein die Auswahl der Wahlvorsteher und des Wahllokals, die durch sie vorgenommen wurde, besaß große Bedeutung. Wenn der Landrat beispielsweise 1867 dafür sorgte, dass die Wahlvorsteher überwiegend Gutspächter, Pastoren, Schulzen und Barone waren und die Wahlen in den Herrenhäusern stattfanden, dann konnte er zuversichtlich mit einem konservativen Wahlergebnis rechnen.179 173 2. Bericht, Nr. 103, pr. AH , 19. 1. 1864, 2–11, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 174 Minister des Innern, Graf zu Eulenburg, Berlin, 24. 9. 1863; vgl. Zweiter Bericht, Nr. 103, Haus der Abgeordneten, 19. 1. 1864, Bl. 2–7, beide Akten in I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 175 2. Bericht, Nr. 103, Abgeordnetenhaus, 19. 1. 1864, 6, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 176 Etwa Regierungs-Vice-Präsident. v. Götz., Breslau, 26. 9. 1863, I. HA Rep. 76 Seminare, 10311, GStA PK . 177 Oberpräsident von Westfalen an Finanzminister Bodelschwingh, Münster, 13. 10. 1863, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GStA PK . 178 Vgl. etwa Regierungs-Vice-Präsident, Breslau, 26. 9. 1863, I. HA Rep. 76 Seminare, 10311, GStA PK . 179 HGW, Rep. 66, Nr. 9, Bl. 32, LAG ; vgl. Mares, Open Secrets, S. 77f.

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In diese Zeit des Verfassungskonflikts fällt auch das Schreiben des Königs an die Gemeinde Steingrund mit einer klaren Wahlempfehlung für die Konservativen. Nun war der König Partei und führte den Wahlkampf der Konservativen an. Ganz ähnlich wie der Wunsch des Königs, bei seiner Thronrede auch die Wahlen zu thematisieren, verwies die Involvierung des Monarchen allerdings auf einer abstrakteren Ebene auf die Akzeptanz der Wahlen bei Konservativen. Doch viele hielten dieses Eingreifen juristisch für problematisch, und das Parlament kämpfte dagegen an. Insgesamt blieb die Lage uneindeutig. Auch die neuen Mitglieder des Staatsministeriums sprachen sich gegen einen Erlass zur »Verschärfung der BeamtenDisciplin« aus.180 Und der einflussreiche Rudolf Virchow erklärte im Abgeordnetenhaus zum Thema Wahlbeeinflussung, es gebe nichts, das »die Achtung vor den Königlichen Beamten tiefer heruntersetzt, als wenn diese Männer genöthigt werden, sich selbst zu prostituiren«.181 Was aber bedeutete die Wahlbeeinflussung konkret für die Beamten? Das soll an dem Fall des Forstinspektors von Reck aus der Provinz Sachsen verdeutlich werden, der in seinem Amt für die Hofjagden in Letzlingen bei Magdeburg mit verantwortlich war. Als der Oberpräsident der Provinz, Hartmann von Witzleben, die höheren Beamten 1863 in persönlichen Gesprächen ermahnte, bei den Wahlen für die Regierung zu wirken, widersprach Reck als Einziger und erklärte, »daß er nach seiner inneren Überzeugung es nicht über sich gewinnen könne, auch nicht bei den bevorstehenden Wahlen, die politischen Tendenzen der gegenwärtigen Staats-Regierung aktiv und positiv zu unterstützen«.182 Oberpräsident Witzleben hielt ihm zugute, dass er nicht für die Opposition aktiv war und nicht an der Wahl teilnahm; schließlich sei dem Forstinspektor klar, so der Oberpräsident, »daß er die Folgen der Stellung, die er in politischen Dingen eingenommen, tragen müsse«. Diese Frage wurde in den folgenden Jahrzehnten von Regierung und Öffentlichkeit intensiv diskutiert: Durfte ein Beamter bereits für die Nichtwahl des regierungsnahen Kandidaten bestraft werden oder nur für oppositionelle Agitation? Zunächst wurde der Forstinspektor von den Letzlinger Hofjagden suspendiert. Die Entehrung, die mit einer solchen Sanktion 180 Auszug, Conseilsitzung, 16. 6. 1863, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 181 Sten. Ber. pr. AH , 26. 11. 1863, S. 176. 182 Oberpräsident der Provinz Sachsen, Witzleben, an Staats- und Finanzminister Bodelschwingh, Magdeburg, 28. 10. 1863, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GS tA PK .

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einherging, sollte nicht unterschätzt werden. Doch sein Vorgesetzter Witzleben forderte zusätzlich eine Versetzung, die allerdings keine formelle Degradierung bedeutete. Witzleben wies außerdem darauf hin, dass der Inspektor ohne Vermögen sei, fünf Kinder habe, darunter ein kränklicher Knabe, und seine Frau ein weiteres Kind erwarte. Daher solle man mit der Versetzung bis März oder April 1864 warten.183 Ob und wann es zu der Versetzung kam, ist unklar. Es lässt sich aus dieser Geschichte schließen, dass ein widerständiges Verhalten die Ausnahme blieb, zumal sogar der König informiert wurde. Man kann daraus aber auch schlussfolgern, dass Abstrafungen eher selten vorkamen. Und gewiss gingen nicht alle Oberpräsidenten und hohen Beamten so penibel vor wie der konservative von Witzleben.184

Überwachung der Beamten Um effektiv auf die Beamten zugreifen zu können, musste die Regierung sie beobachten. Die Überwachung durch die Obrigkeit gehörte in Preußen von jeher zur Wahlkultur. In den Informationsberichten aus den Provinzen etwa erfuhr die Regierung über den Wahlverlauf auf unterer Ebene. Das Prinzip war dabei, dass die unteren Verwaltungseinheiten Informationen von den Kreisen und Kommunen lieferten und höhere Instanzen wie die Provinzialregierungen die Informationen zusammenfassten und nach Berlin meldeten. Die Überwachung konzentrierte sich dabei zunächst auf die Wahlversammlungen der Parteien oder auch der Wahlmänner, in denen diese üblicherweise im Vorfeld ihre Wahlentscheidungen besprachen. Die Berichte nannten neben dem Ort und der genauen Uhrzeit die Anzahl der Anwesenden und gaben recht ausführlich die Redebeiträge wieder.185 Doch diese Überwachung zielte nicht darauf ab, Männer für eine der Obrigkeit nicht genehme Wahl abzustrafen. Dafür sollte Bismarck angesichts des schwelenden Verfassungskonflikts sorgen. In seinen Akten findet sich vom November 1864 ein viele

183 Oberpräsident der Provinz Sachsen, Witzleben, an Staats- und Finanzminister Bodelschwingh, Magdeburg, 28. 10. 1863, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GStA PK . 184 Vgl. etwa die Abwieglung eines Falles, Präsident der Seehandlung an Finanzminister Bodelschwingh, Berlin, 6. 11. 1863, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GStA PK . 185 An den Königl. Polizei-Präsidenten von Berlin, Herrn Freiherrn v. Zedlitz, Berlin, 7. 2. 1859, u. weitere Überwachungsberichte über die Versammlungen der Wahlmänner, A Pr.Br.Rep. 030, Nr. 15335, LAB .

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Seiten umfassender »Vorschlag zu Ermittlungen in Betreff der Wahlen«, in dem unter anderem gefordert wird, jeden Urwähler und seine Wahlentscheidung durch die Landratsämter zu registrieren. Die Denkschrift, die offenbar auf die Initiative Bismarcks zurückging, schlug außerdem vor, auch bei der Wahl der Abgeordneten jeden Wahlmann und sein Votum durch die Bezirksregierungen zu erfassen. Mit dem Wissen um die politische Gesinnung des Wahlmanns solle dann zurückverfolgt werden, welche Urwähler diesen Wahlmann gewählt hätten. Damit nicht genug. »Für jeden Wahlkreis ist eine alphabetisch geordnete Liste der sämmtlichen Wahlmänner nach dem anliegenden Schema A anzufertigen und durch Umdruck zu vervielfältigen«, hieß es. »Von diesen Listen werden 3 Exemplare (für jeden Wahlkreis) dem Ministerium des Innern (mit den weiter unten bemerkten anderen Listen) überreicht und erhält jedes Landrathsamt (in mehreren Exemplaren) diejenigen welche die Wahlmänner des landräthlichen Kreises enthalten.«186 Sowohl bei den Urwahlen als auch bei den Abgeordnetenwahlen sollten alle relevanten Personen wie Ortsvorstände, Beamte oder Pensionäre eigens erfasst werden, »welche oppositionell, zweifelhaft oder gar nicht gestimmt haben«. Durch diese »Bearbeitung«, hieß es in der Denkschrift, würde »sehr leicht eine den ganzen Staat umfassende Organisation zur Leitung der künftigen Wahlen« ermöglicht.187 Bereits nach sechs Tagen erhielt Bismarck von seinem Mitarbeiter Eulenburg die Antwort: Alle Materialien, die für die Umsetzung der Vorschläge notwendig seien, lägen vor. »Es würde daher darauf ankommen, dies umfangreiche Material in Bewegung zu setzen, zu beleben und practisch nutzbar zu machen.«188 Doch die lückenlose Überwachung blieb eine Utopie. Die konkrete Nennung eines Mannes und seiner Wahlentscheidung in den Informationsberichten bezog sich auch künftig in der Breite allenfalls auf Beamte. Doch die Überwachungen verdichteten sich, und 1865 sprach Bismarck von einem »Mobilmachungsplan für die Wahlorganisation«. Erstaunlich ist jedoch, dass trotz der konservativen gouvernementalen Stärke in Preußen

186 Denkschrift »Vorschlag«, Berlin, 20. 11. 1864, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, Bl. 12, GStA PK ; vgl. Biefang, Modernität wider Willen, S. 251. 187 Denkschrift »Vorschlag«, Berlin, 20. 11. 1864, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., No. 190, Bd. 2, Bl. 14, GStA PK . 188 Brief an Bismarck, Berlin, 26. 11. 1864, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., No. 190, Bd. 2, Bl. 10, GStA PK ; weitere Unterlagen dazu in der Akte.

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direkte Wahlfälschungen nicht einmal in Erwägung gezogen wurden. Die Mittel zur »Erzielung von conservativen Majoritäten« blieben »persönliche Einwirkung und Information«, wobei insbesondere die bisherigen Nichtwähler mobilisiert werden sollten.189 Der Fall des Agenten der Königlichen Bank im ostpreußischen Wehlau, eines gewissen Mehlhausen, zeigt, wie sich Bismarcks Aggressivität steigerte. Der Agent ist eines der krassesten überlieferten Beispiele für die Abstrafung von Beamten. Als »Agent« war Mehlhausen offenbar kein Beamter, aber doch ein Staatsangestellter. Anders als der Forstinspektor blieb Mehlhausen in seiner Ablehnung nicht passiv, sondern engagierte sich in der Fortschrittspartei, ja er trat sogar als Kandidat gegen den Oberpräsidenten Franz August Eichmann an. Zwar gewann der Oberpräsident die Wahl, doch der zuständige Landrat verlangte die Entlassung des Bankagenten. Handelsminister Heinrich Friedrich von Itzenplitz informierte Bismarck und forderte bei der Bank die Entlassung Mehlhausens sowie eines weiteren politisch aktiven Bankagenten namens Richter.190 Dagegen allerdings hegten die Beamten vor Ort Bedenken, denn Mehlhausen und Richter hatten Verträge, die einen sofortigen Abschied nicht zuließen. Interessanterweise rieten die Zuständigen darüber hinaus von der Entlassung ab, weil die Landtagswahlen bevorstünden und die Demission in der »Oppositions-Partei nur eine gehässige Aufregung verursacht haben würde«.191 Bismarck fand sich damit nicht ab und bestand auf der Entlassung. Im neuen Jahr hakte er immer wieder nach. Erst als man ihm im August 1868 die Namen der beiden Männer nannte, die Mehlhausen und Richter auf ihren Stellen in der königlichen Bank nachfolgten, hielt er die Sache für erledigt.192 Als entscheidender Unterschied galt auch hier, ob ein Beamter oder Staatsdiener sich aktiv engagierte oder lediglich eine passive Haltung einnahm.

189 Bismarck an Eulenburg. Vertraul., Berlin, 24. 5. 1865, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., No. 190, Bd. 2, Bl. 30f., GStA PK ; vgl. zu den zunehmenden Überwachungen: Unterlagen in I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GStA PK ; Wahlen zum Norddeutschen Reichstag, u.a. Berichte über Versammlungen, A Pr.Br.Rep. 030, Nr. 15534, 15535, Nr. 15538 + Nr. 15539, LAB . 190 Korrespondenz Itzenplitz und Bismarck, 10. 10. 1867 bis 18. 12. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128. GStA PK . 191 Itzenplitz an Bismarck, Berlin, 18. 12. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128. GStA PK . 192 Korrespondenz wegen Mehlhausen und Richter, 9. 1. bis 18. 8. 1868, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128. GStA PK .

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Erneut jedoch ist der Hinweis wichtig, dass der Bismarck’sche Überwachungs- und Manipulationseifer erstaunlich ineffektiv blieb. Alles in allem ist es ratsam, den Kontrolleifer der preußischen Bürokratie nicht überzubewerten und ihr liberales Potenzial nicht zu unterschätzen. In den 1860er Jahren fuhren die Liberalen einen Wahlsieg nach dem anderen ein. Niemand solle glauben, erklärte Bismarck im Abgeordnetenhaus über die obrigkeitliche Wahlbeeinflussung, »daß die Königliche Regierung durch ein Übermaß von treuem Eifer […] verwöhnt« sei.193 Damit hatte er nicht unrecht. So bemühten sich beispielsweise keineswegs alle führenden Beamten um die Überwachung und Abmahnung von renitenten Staatsdienern. 1863 etwa mahnte Bismarck Alexander von Schleinitz, der Minister des Königlichen Hauses war und damit für die Beamten am Hof zuständig, ihm vertraulich mitzuteilen, wer bei der letzten Wahl nicht konservativ gewählt habe.194 Schleinitz antwortete spöttisch, ihm stünden leider die Mittel für diese Kontrolle nicht zur Verfügung.195 Direkte Anschwärzungen finden sich überhaupt nur vereinzelt in den Akten, und unter den wenigen Denunziationen gab es einige, deren persönliche Interessen allzu offensichtlich waren; teilweise widerstanden die Zuständigen ausdrücklich dem Ansinnen, die Angeschwärzten abzustrafen.196 Selbst die zentralen Figuren der Durchherrschung, die Landräte, entzogen sich immer wieder den staatlichen Einflussversuchen. Auf die Order, Lehrer zu melden, die nicht regierungstreu gewählt hätten, antwortete beispielsweise der Landrat von Bromberg, er habe »bezüglich der Abstimmung der Lehrer bei der Urwahl am 29. Oktober v. J. keine Notizen gemacht«.197

193 Zitiert in Erster Bericht der XII . Kommission zur Untersuchung der Thatsachen bezüglich der bei den letzten Wahlen der Abgeordneten vorgekommenen gesetzwidrigen Beeinflussungen der Wähler, 14. 1. 1864, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 194 Bismarck an Schleinitz, 17. 10. 1863, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 195 Schleinitz an Bismarck, 18. 10. 1863, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK ; Bismarck gab tatsächlich nach, Bismarck an Schleinitz, 29. 10. 1863, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK . 196 Brief von Maurach, Gumbinnen, 18. 6. 1869, u. Brief an Eulenburg, wohl von Bismarck, Berlin, 25. 6. 1869 u. Bernhard an Bismarck, o. D., Eingang: 12. 2. 1867, u. Schleinitz an Bismarck, 18. 10. 1863, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 111, GStA PK ; zu den egoistischen Motiven der Denunziation vgl. etwa den Vorgang um die Spinnerei in Erdmannsdorf, November u. Dezember 1863, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GStA PK . 197 Landrat des Bromberger Landkreises an Regierung, Abteilung für Kirchen- und Schulsachen, 21. 1. 1886, XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885–1919, GStA PK .

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In weiten Landstrichen Preußens dominierten die Liberalen die Wahlen. Berlin war für viele weit weg.198 Einen Forstinspektor, der für die Hofjagden zuständig und direkt dem Oberpräsidenten unterstellt war, konnte man leicht zu fassen kriegen, aber ein Landrat in Ostpreußen, der von dem liberalen Rittergutsbesitzer vor Ort abhängig war, ließ sich eher nicht auf die Ansprüche der Berliner Zentralregierung ein. Und was sollte etwa der Oberpräsident der Rheinprovinz, in der überwiegend liberale Abgeordnete gewählt wurden, über seine Wahlvorbereitungen nach Berlin melden? »So viel ich bis jetzt in Erfahrung gebracht habe«, schrieb er über seinen Aufruf, für regierungsfreundliche Wahlen zu sorgen, »glaube ich nicht bezweifeln zu dürfen, daß diese Mahnung von jenen Beamten pflichtmäßig beachtet worden, namentlich ist mir von Keinem ein derselben widersprechendes Verhalten bekannt geworden.«199 Zudem setzte auch die Wahlprüfung des Parlaments selbstbewusst den Manipulationen Grenzen. Als etwa der Domainen-Rentmeister Romminger die Ortsvorstände in seinem Regierungsbezirk mahnte, sie hätten bei den anstehenden Wahlen die »Verpflichtung«, dass in ihren »Gemeinden nur solchen Urwählern eine Stimme gegeben werde, von denen die Überzeugung vorhanden, daß sie es mit unserem allverehrten Könige und dem Staate treu meinen«, stufte der Untersuchungsausschuss des Preußischen Abgeordnetenhauses das als illegal ein.200 Die versuchte Einflussnahme erwies sich auch deshalb als fraglich, weil sie – sogar nach Einschätzung der staatlichen Stellen selbst201 – Gegenkräfte provozierte.

Wahlmache seit den 1870er Jahren Die kommenden Jahrzehnte sollen nur kurz überflogen werden, weil sie besser erforscht sind und im Detail analytisch wenig Neues zu dem Phänomen der staatlichen Wahlmanipulation beitragen können. In den 1870er Jahren ging die Wahlbeeinflussung zurück. Die Provinzial-Korrespondenz, das Sprachrohr der Staatsmacht, erklärte im Oktober 1873, »die Regierung erachte sich und die Beamten bei den im Laufe des Monats erfolgenden

198 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 56; vgl. auch Anderson, Lehrjahre, S. 485. 199 Oberpräsident der Rheinprovinz Pommer Esche an Staats- und Finanzminister Bodelschwingh, Koblenz, 4. 11. 1863, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GStA PK . 200 II . Gesetzwidrige Maßregeln der unteren Behörden, in: Zweiter Bericht, No. 103, Haus der Abgeordneten, 19. 1. 1864, 15, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 11, GStA PK . 201 Vgl. etwa Unterlagen zur Wahlprüfung in HA 1 Rep. 169 C 80, Nr. 18, Bd. 2, GStA PK .

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Landtagswahlen verpflichtet, jedem Eingriff in die freieste Wahlbewegung fernzubleiben«.202 Mit den Mehrheitsverhältnissen im Reichstag kam Bismarck gut zurecht. In der liberalen Ära zwischen 1867 und 1877 regierte er mit den Nationalliberalen, unterstützt von den Freikonservativen. Die Regierung ließ ihre »Wahlhilfe« den Nationalliberalen zukommen, anfänglich sogar den Arbeitern, wenn damit die Regierungsgegner wie das Zentrum oder die Demokraten geschlagen werden konnten.203 Bismarck und seine Mannen konnten nicht ahnen, was mit der in den 1860er Jahren gegründeten Arbeiterpartei auf sie zukam. Bald schon gehörten die Klagen der Sozialisten gegen staatliche Schikanen beim Wahlkampf zu den häufigsten Wahlanfechtungen im Parlament. Und oft gaben die Untersuchungsausschüsse ihnen Recht. Die Arbeiterbewegung begriff das Reichstagswahlrecht als ihre Waffe und betrieb einen grimmigen und scharfen Wahlkampf.204 Insgesamt aber führte die Zusammenarbeit zwischen Bismarck und den Liberalen zur Beruhigung der politischen Arena und wirkte sich auch auf die Landtagswahlen aus, in denen sich die Konservativen zum Teil demonstrativ aus den Wahlen zurückzogen und damit die überwältigenden Siege der Liberalen bei den preußischen Abgeordnetenwahlen ermöglichten.205 1878/79 vollzog Bismarck erneut eine Wende, diesmal in die konservative Richtung. Der größte Coup der neuen Regierungsmannschaft waren neben den Schutzzöllen (1879) gewiss die Sozialistengesetze, um die Macht der Arbeiterpartei zu marginalisieren; ein Plan, der nicht nur an der Energie der Partei, sondern letztlich auch an den rechtsstaatlichen Prinzipien Preußens und des Reiches scheiterte. Denn immerhin: Preußen war ein Rechtsstaat, »einer der ersten in Europa«, wie Sebastian Haffner bemerkte.206 Der Kampf bei den Wahlen galt aber nicht nur den Sozialisten. Die Eingriffe Robert von Puttkamers, von 1881 bis 1888 Innenminister Preußens, bedeuteten eine neue Qualität des staatlich gelenkten Wahlkampfes.207 202 Zitiert nach: Arons, Ergebnisse, S. 714. 203 Abs. unbekannt, wohl Bismarck, an Oberpräsident Stolberg in Hannover, Berlin, 10. 5. 1869, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK ; Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 184; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 59f. 204 Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 462–509. 205 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 60. 206 Haffner, Preußen ohne Legende, S. 498. 207 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 185–195; vgl. zu den Legenden über Puttkamer: Nipperdey, Machtstaat, S. 134.

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Puttkamer, der von seinen Gegnern wegen seiner Manipulationen als »Wahlminister« verspottet wurde, registrierte erneut bei den Landtagswahlen die Voten der Beamten – eine Praxis, die sich bis ins neue Jahrhundert hineinzog.208 Für diesen Zweck ließen die Landräte den Ober- und Regierungspräsidenten Tabellen über das Wahlverhalten der Beamten zukommen. Von Interesse waren insbesondere die Wahlentscheidungen der Minderheiten unter den Beamten, der Katholiken etwa oder der polnischen Lehrer.209 Bei den Reichstagswahlen von 1881 in Danzig, die ein »fast sensationelles Interesse« hervorriefen, wie es damals hieß,210 zeigte sich die Aggressivität der Staatsmacht, aber auch ihre relative Wirkungslosigkeit. Puttkamer glaubte, durch die Niederlage des renommierten Linksliberalen Heinrich Rickert in Danzig die linken Kräfte entscheidend schwächen zu können. Für wahlentscheidend hielt er die Stimmabgabe der rund 1500 Arbeiter in der Danziger Werft, und so organisierte er dort eine straffe Wahlpropaganda. Doch der Schlag ging nach hinten los, und Rickert siegte souverän bereits im ersten Wahlgang. Daraufhin leitete Bismarck persönlich eine Disziplinaruntersuchung gegen drei Werftingenieure ein, die in Zivil und nicht am Arbeitsplatz Stimmzettel für die »Opposition« unter den Arbeitern verteilt hatten. Er sorgte für die Suspendierung der Ingenieure unter Gehaltseinbußen, da sie nicht die »Unabhängigkeit der Wähler« geachtet hätten. Doch es kam zu einer parlamentarischen Untersuchung, der Reichstag verwarf Bismarcks Urteil und erklärte die Danziger Wahlen für rechtens.211 Auch der berüchtigte Beamtenerlass von 1882 erwies sich zumindest teilweise als Niederlage: In dem von Bismarck redigierten Schreiben verlangte der Monarch, dass sich die Beamten »im Hinblick auf ihren Eid der Treue von jeder Agitation gegen Meine Regierung auch bei den Wahlen fernhalten« – ohne den Zusatz zu vergessen: »Mir liegt es fern, die Freiheit der Wahlen zu beeinträchtigen.«212 Als die Liberalen dagegen protestierten, 208 »Nachweisung über die Abstimmung der Lehrer im Kreise Filehne bei der Abgeordnetenwahl im Jahre 1888«, XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885–1919, GStA PK . 209 Vgl. Überwachungsunterlagen in XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885–1919, GStA PK . 210 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 188. 211 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 190f.; Auszug aus Protokoll Besprechung Staatsmin., 8. 12. 1881, 6. 2. 82, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . 212 Abschrift, Kabinettsordre, gez. Wilhelm, ggz. Bismarck, Berlin, 4. 1. 1882, XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885–1919, GStA PK .

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erklärte Bismarck im Reichstag, dass der Beamte für die Agitation in die Pflicht genommen werden würde, nicht aber für seine Stimmabgabe. Das war eine entscheidende Verbesserung gegenüber den 1860er Jahren.213 Allerdings entsprach das ohnehin der Praxis der Minister. Justizminister Heinrich von Friedberg hatte 1882 unter Zustimmung seiner Kollegen in einer Sitzung erklärt, »wie Jemand wähle, oder ob er sich der Wahl enthalte, ignoriere er. Gegen agitatorisches Verhalten lasse er disciplinarische Prüfung eintreten.«214 Doch nicht immer lief es für die Oppositionellen so glimpflich ab. So inspizierte vor den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus im Herbst 1882 der Regierungspräsident von Gumbinnen, Otto Steinmann, die Strafanstalt seines Bezirkes im äußersten Nordosten Preußens. Dabei kam er ins Gespräch mit dem Strafanstaltsinspektor, einem gewissen Max von Hartung, der jüngst um seine Versetzung gebeten hatte. Steinmann erklärte sich bereit, die Versetzung zu befördern, allerdings erst nach den Wahlen. Außerdem erkundigte sich der Regierungspräsident nach der politischen Haltung des Anstaltsarztes Dr. Paulini, worauf Hartung antwortete, der habe das letzte Mal liberal gewählt, zeige aber keine dezidiert politische Gesinnung. Steinmann gab sich verwundert über die »staatsfeindliche politische Richtung« des Arztes, da dieser sich doch für eine andere Stelle bewerbe, und überlegte laut, wie wertvoll es für eine Beamtenlaufbahn sein könne, Mitglied im konservativen Verein zu sein. Hartung suchte nach dem Gespräch Dr. Paulini auf und drängte ihn zu einer Vereinsmitgliedschaft. Der Arzt war außer sich und meinte, er könne doch nicht gegen seine Gesinnung einem Verein beitreten, berichtete ein Gumbinner Amtsgerichtsrat später einem Untersuchungsausschuss. Der Gerichtsrat riet ihm aber dringend: »Doktor, Sie müssen dem konservativen Verein beitreten, sonst verlieren Sie Ihr Brod.« Auch der Ehefrau Paulini kam zu Ohren, wenn ihr Mann »nicht konservativ werde, so sei es möglich, daß [er] den Dienst auf der Anstalt verlieren könnte!« Wenig später traten sowohl Dr. Paulini als auch Strafanstaltsinspektor Hartung dem konservativen

213 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 193. 214 Protokoll Staatsmin., 12. 11. 1882, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; vgl. Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 193, Fußnote 112.

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Verein bei.215 Auch wenn dieser Fall ebenfalls parlamentarisch geprüft wurde, so gibt er doch einen Einblick in die Wahlen der 1880er Jahre, in die peinlichen Bedrohungen, die Selbstherrlichkeit mancher beamteter Provinzfürsten und in die Ängste, die der autoritäre Staat bei seinen Beamten hervorrief. 1888 setzte sich Friedrich III . ähnlich wie sein Vater, als dieser an die Macht gekommen war, gleich zu Beginn seiner Amtszeit für die Wahlfreiheit ein. Er wies Puttkamer scharf zurecht und verlangte, seine »Regierung von jedem Verdacht« gegenüber »solchen Mißbräuchen zu reinigen«.216 Trotz des frühen Todes Friedrichs III . hielt sich die gouvernementale Wahlagitation während der 1890er Jahre in engen Grenzen. Um 1900 aber versuchte die Regierung die Beamtenwahlpolitik zu reaktivieren.217 Zwar ließ man den Monarchen weiterhin aus dem Spiel. Doch die Regierung sprach sich mit den Landräten über geeignete Kandidaten ab, sie ließ sich für die Reichstagswahlen einen Überblick liefern, wie viele konform gewählt hatten (»deutsch«) und wie viele (nicht wer! – also ohne namentliche Nennung) abweichend, das heißt »polnisch« oder »sozialdemokratisch«.218 1911 erklärte Reichskanzler Bethmann Hollweg, es sei bei den bevorstehenden Neuwahlen »die patriotische Pflicht aller staatstreuen Bürger«, zur Wahl zu gehen, »insbesondere wird dies von den wahlberechtigten Beamten zu erwarten sein«. Daher sollten sich Beamte vergewissern, ob sie in die Wählerlisten eingetragen seien, und es sei empfehlenswert, ihnen für den Wahlgang Zeit einzuräumen.219 In einer Zusammenfassung der bisherigen Handhabung des Beamtenwahlrechts im gleichen Jahr, zeigt sich die Span-

215 Aufgrund verschiedener Zeugenaussagen lässt sich dieser Hergang gut rekonstruieren, Abgeordnetenhaus, Dritter Bericht der Kommission für Wahlprüfungen, 5. Gumbinnen, Haus der Abgeordneten, No. 175, 25. 3. 1883, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 18, Bd. 3, GStA PK . 216 Zitiert nach Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 196. 217 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 197–209; vgl. Minister der geistl. Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten an Sämmtliche nachgeordnete Behörden, Berlin, 17. 10. 1898, XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885–1919, GStA PK ; XVI . HA Rep. 30, Nr. 588, 1881, 1885, 1935, GStA PK . 218 »Vergleichende Zusammenstellung«, 1907, XVI . HA .Rep.30, Nr. 589, GStA PK ; weitere Überwachungsakten in I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK ; Minister des Innern an Herrn Oberpräsidenten in Stettin, Berlin, 22. 4. 1908, Geheim! Eigenhändig!, Rep. 60, Nr. 40, Bl. 29, LAG . 219 Reichskanzler Bethmann Hollweg an sämtliche Bundesregierungen, Durchführung der Wahlen zum deutschen Reichstag, Berlin, 8. 12. 1911, 16 Bü 253, HStASt .

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nung zwischen dem Anspruch des Staates auf die Beamten einerseits und auf Rechtsstaatlichkeit andererseits: So hieß es zunächst, »politische Beamte« (etwa Regierungspräsidenten oder Landräte im Gegensatz zu unpolitischen Beamten wie Postbeamten) dürften weder bei den Reichstagswahlen noch bei den Landtagswahlen der sozialdemokratischen, der dänischen oder der polnischen Partei ihre Stimme geben und müssten für ein solches Verhalten bestraft werden. Abschließend heißt es allerdings: »Bei geheimer Wahl sind Nachforschungen über die Art, wie ein Beamter gestimmt hat, mit dem Prinzip des geheimen Wahlrechts unvereinbar und daher als unzulässig anzusehen.«220 Das Bild bleibt ambivalent. Die Bestrafung aber für Agitation oder unerwünschte Stimmabgabe bei den Landtagswahlen blieb auch nach dem Sturz des »Wahlministers« Puttkamer 1888 bestehen.221 Für die offenen preußischen Wahlen finden sich Listen über das Abstimmungsverhalten der Beamten bis zum Ersten Weltkrieg.222 Hinzu kam die Wahlkreisgeometrie, bei der die Obrigkeit die Wahlkreisgrenzen so festlegte, dass unliebsame Wähler minorisiert wurden.223 Immer in Sorge, das Recht nicht offensichtlich zu beugen, griff die Regierung vor allem auf dieses passive Manipulationsinstrument zurück. Trotz heftiger Proteste wurden über 50 Jahre hinweg die Wahlkreise nicht der Bevölkerungsentwicklung angepasst, was insbesondere die sozialdemokratischen Wähler in den Städten benachteiligte.224 Auf dem Land blieb der direkte Druck besonders intensiv. »Die Katze läßt das Mausen nicht und die Junker ebenso wenig die Wahlfälschung«, spottete eine Zeitung 1903 nach Einführung der neuen Maßregeln zur Geheimhaltung der Reichstagswahlen.225 Es gab Berichte über die nun vorgeschriebenen Wahlkabinen, die mit einem zu niedrigen Sichtschutz ausgestattet wurden; manche Wähler sahen sich genötigt, ihre Stimmzettel

220 Übersicht »Wahlrecht der Beamten«, o. D., 1911, I. HA Rep. 90 A, Nr. 307, GStA PK . 221 Anderson meint, nach 1888 habe diese manipulative Praxis aufgehört (Anderson, Lehrjahre, S. 487); vgl. auch die Ausführungen in »Wahlgeheimniß und Wahlfreiheit«, Hamburgischer Correspondent, 11. 5. 1898 222 Staatsmin., Berlin, 9. 1. 1904/11, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 223 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 69 u. 215, vgl. auch 215–226; vgl. Antrag. V. Lyskowski, No 64, Haus der Abgeordneten. Session 1861, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 10, GStA PK . 224 Fenske, Strukturprobleme, S. 17f., 64 u. 77–79; Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 263–273. 225 »Wie konservative Wahlen gemacht werden«, Berliner Zeitung, 23. 6. 1903.

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Abb. 23 Die offene Abstimmung beim Dreiklassenwahlrecht ermöglichte es den Behörden, die Voten der Beamten genau zu registrieren. »Verzeichnis über die Abstimmung der Lehrer bei den Urwahlen am 12. 11. 1903 im Kreise Znin« GStA PK , XVI HA Rep. 30 Nr. 2964

öffentlich in die ebenfalls neu vorgeschriebenen Kuverts zu stecken; ein Rittmeister traktierte seine Arbeiter mit Bier, Zigarren und Entlassungsdrohungen (was die Wähler dann übrigens doch nicht davon abhielt, liberal und sozialdemokratisch zu stimmen); mancher Dorflehrer traute sich nicht, bei den Landtagswahlen liberal zu wählen.226 Allerdings waren manche der Vorwürfe Polemik, und tatsächliche Manipulationen strafte das Parlament häufig ab. Trotz aller fortbestehenden Missstände wurden amtliche Wahlmanipulationen um 1900 schwieriger, weniger direkt, teilweise undurchführbar; Beamte ließen sich nur noch zögerlich einspannen, die Regeln zum Schutz der Wahlfreiheit wurden konkreter und zeigten klare Effekte.227 Ein Oberpräsident erklärte 1899, er sei ja guten Willens, die Volksschullehrer 226 »Wie konservative Wahlen gemacht werden«, Berliner Zeitung, 23. 6. 1903; Protest gegen die Wahlen der Abgeordneten im Wahlkreise Memel-Heydekrug, Memel, 21. 6. 1913, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 4, Bd. 17, Bl. 1–28, GStA PK . 227 Mares, Open Secrets, S. 150.

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von einer oppositionellen Wahl abzuhalten, er könne aber »nicht verhehlen, daß einem durchschlagenden Erfolge auf diesem Gebiete sehr wesentliche Schwierigkeiten entgegenstehen«.228 Der Innenminister selbst hatte 1908 in einem vertraulichen Schreiben mitgeteilt, er lege Wert darauf, dass alles dafür getan werde, »begründete Beschwerden« wegen Manipulation der Beamten zu vermeiden; eine »ganz besondere Zurückhaltung werden sich selbstverständlich diejenigen politischen Beamten aufzuerlegen haben, welche bei den Wahlen selbst kandidieren«.229 Der Fall des Gymnasiallehrers Dirschau zeigt, wie schwierig Abstrafungen waren. Durch seine Stimmenthaltung verhalf der Lehrer einem »Polen« zum Sieg (ein dramatisches Ereignis in Zeiten der wachsenden nationalen Konflikte) und wurde deswegen versetzt. Im Staatsministerium, wo der Vorfall intensiv besprochen wurde, erklärte der Kultusminister, er habe nur mit großen Schwierigkeiten den Beamten versetzen und einen Ersatz finden können. Aus dem Protokoll wird zudem deutlich, wie sich die Minister vor den Angriffen im Abgeordnetenhaus fürchteten und eigens eine Rechtfertigungsstrategie entwarfen.230 Als in Posen der Eisenbahndirektionspräsident in einem amtlichen Blatt den Beamten per Verfügung androhte, sie würden für ihr Verhalten bei der Landtagswahl zur Verantwortung gezogen, verurteilte 1904 auch das Staatsministerium diese Maßnahme.231 Von systematischer Bestrafung zeugen diese Quellen nicht. Auch das preußische Kuriosum der Personalunion von Wahlkommissar und Kandidat (häufig in Person des Landrats) wurde abgeschafft.232 Angesichts der erstarkten Zivilgesellschaft und einer weltweiten Tendenz zur Rationalisierung und Standardisierung der Wahlen, erwiesen sich die Versuche der Einflussnahme als weniger gefährlich. Gerade auch gegen die Sozialdemokratie konnte die Regierung mit ihren Wahlmanipulationen immer weniger ausrichten. Dass Beamte linksliberal oder sozialistisch

228 Abschrift Oberpräsident der Provinz Posen Wilamowitz an Minister des Innern, Posen, 5. 2. 1899, Betrifft die Landtagswahlen des vorigen Jahres. Geheim!, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248, Bl. 240, GStA PK . 229 Brief Minister des Innern Moltke an Polizeipräsidenten in Berlin. Eigenhändig. Geheim!, o. D., 1908, A Pr.Br.Rep.030, Nr. 13166, Bl. 110, LAB ; vgl. Anderson, Lehrjahre, S. 245. 230 Auszug, Sitzung Staatsmin., Berlin, 5. 11. 1897, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 231 Abschrift, Sitzung Staatsmin., Berlin, 8. 6. 1904, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 232 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 80 u. 143; Kühne, Demokratisierung, S. 300.

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wählten, wurde trotz aller Gegenwehr zunehmend von den oberen Rängen hingenommen.233 In den Jahren direkt vor dem Weltkrieg nahm sogar in den mehrsprachigen Provinzen, wo Wahlen vielfach als Instrument ethnischer Identifizierung und Exklusion dienten, das Ausmaß der staatlichen Beeinflussungen ab.234

Gegenkräfte: Gesetzestreue, Ineffizienz, Öffentlichkeit Wie lässt sich die gouvernementale Wahlmache in Preußen insgesamt einschätzen? Bei allen Unterschieden, die sich über die Jahrzehnte ergaben, sind drei Punkte von Bedeutung: Erstens hielten sich die Sanktionen gegen die Beamten, anders als in der Forschung zuweilen insinuiert wird,235 in überschaubaren Grenzen. Es gab sie, aber sie bildeten eher die Ausnahme: Die Behörden veranlassten Gehaltseinbußen oder Versetzungen in abgelegene Dörfer (was freilich schlimm genug war, zumal ein Beamter in der Regel mit Kind und Kegel umziehen musste).236 Ein Beamter in Posen, der einen polnischen Kandidaten gewählt oder der Wahl ferngeblieben war, hatte auch mit dem Entzug der »Ostmarkenzulage« zu rechnen, mit der Staatsdiener für ihren Einsatz im Osten quasi entschädigt wurden. Eines der schwerwiegendsten Sanktionsmittel war zudem die Nichtbeförderung der Beamten.237 Doch gab es beispielsweise kaum Entlassungen. Zu der oben beschriebenen Amtsenthebung des Bankagenten war es wohl deshalb gekommen, weil er eben kein Beamter war. Auch die Entlassung Carl Adolph Friedrich von Ledebour-Wicheln, Ehrenamtmann von Oestinghausen im Kreise Soest, 1877 während der Zeit des Kulturkampfes war ein Sonderfall. Die als Ehrenamtmänner titulierten Bürgermeister fungierten zwar als Beamte, aber

233 Abschrift Oberpräsident der Provinz Posen an Innenminister, Posen, 5. 2. 1899, Betrifft die Landtagswahlen des vorigen Jahres. I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248, Bl. 240, GStA PK ; vgl. Anderson, Lehrjahre, S. 486. 234 Vgl. etwa Oberpräsident der Provinz Posen an Regierungspräsidenten, 14. 4. 1908, XVI . HA Rep. 30, Nr. 580, 1908, Bd. 1, GStA PK ; Oberpräsident der Provinz Posen an Regierungspräsidenten, 22. 3. 1913, XVI . HA Rep. 30, Nr. 581, 1913–1918, GStA PK . 235 Thomas Kühne behauptet, Beamte hätten selbst für ihr Votum entlassen werden können, beruft sich dabei aber nicht auf Quellen, sondern auf Forschungsliteratur (Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 62f.). 236 Vgl. etwa die Unterlagen in I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA . 237 Schreiben von Oberpräsident, Provinz Posen, 1. 3. 1906, XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885 –1919, GStA PK .

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sie waren häufig angesehene Männer (etwa Gutsbesitzer), die den Posten ehrenamtlich bekleideten.238 Ledebour-Wicheln war eine der zentralen Figuren der Zentrumspartei in Westfalen und sorgte im Staatsministerium mit seinen regierungskritischen Statements für helle Empörung. Als der Katholik mit der Dienstentlassung bestraft wurde, handelte es sich um den Verlust eines Ehrenamtes und nicht der bürgerlichen Existenz.239 Ähnlich gestaltete sich die Entlassung des katholischen Gymnasiallehrers Johann Evangelist Maier, die ebenfalls während des Kulturkampfes stattfand. Maier hatte einen Wahlaufruf verbreitet. Auch bei ihm ging es nicht um die Existenz, und bezeichnenderweise wurde er im Jahre seiner Entlassung in den Reichstag gewählt.240 Die Entlassung des Schulzen Moses Lewi in Löblau in Westpreußen hingegen wurde 1864 für ungesetzlich erklärt, da er das Recht auf freie Wahl habe.241 Ebenso wurde die Entscheidung der Regierung in Danzig, einen Lehrer wegen seiner Agitation für die Fortschrittspartei zu entlassen, kassiert.242 Schließlich liegt das Plädoyer eines Unterstaatssekretärs vor, der 1904 dafür plädierte, Beamte ohne Festanstellung zu entlassen, die einen polnischen Kandidaten wählten.243 Doch damit entfachte er einen Sturm der Entrüstung. Justizminister Karl Heinrich Schönstedt beschwor umgehend »die Freiheit der Wahlen«.244 Die anderen Minister stimmten zu, ließen teilweise jedoch erkennen, dass nicht eine Maßregelung der Beamten, sondern ihre ungeschickte Umsetzung das Problem sei. Von einer Entlassung war nicht mehr die Rede.245 Abstrafungen für Beamte gab es in aller Regel wegen der Agitation für eine opposi-

238 Über die Ämter in den zwei westlichen Provinzen Preußens heißt es bei Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und Verwaltung, S. 121: »Amtmänner […] werden […] vom Oberpräsidenten […] ernannt. Hierbei soll […] auf ehrenamtliche Bestellung besonders Bedacht genommen werden«. 239 Urteil, königlicher Disciplinarhof, 29. 9. 1877 u. weitere Akten in A Pr.Br.Rep.030, Nr. 11437, Bl. 28, LAB . 240 »Maier«, in: Hirth, Deutscher Parlaments-Almanach, S. 193. 241 Zweiter Bericht, No. 103, Haus der Abgeordneten, 19. 1. 1864, S. 28. 242 Auszug Prot. Staatsmin., Eulenburg, Berlin 22. 7. 1894, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK ; vgl. dazu auch »Politische Thätigkeit der Beamten«, Vossische Zeitung, 30. 8. 1894. 243 Bischoffshausen an Minister für Handel und Gewerbe, Abschrift des Minister des Innern, geheim, Berlin, 24. 4. 1904, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 244 Justizminister Schönstedt an Minister des Innern, Berlin, 3. 5. 1904, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 245 Unterlagen vom April bis Juni 1904, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK .

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tionelle Partei. Die freie Stimmabgabe selbst galt zunehmend als geschützt. Dazu gehörte auch, dass das Wahlgeheimnis bei den Reichstagswahlen insgesamt respektiert wurde. Überwachungsberichte von Reichstagswahlen nennen – soweit die Akten erkennen lassen – die Namen der Beamten, die unerwünschte Agitation betreiben, aber nicht die Wahlentscheidungen von Individuen.246 Zweitens schließlich war die Kommunikation im öffentlichen Raum allmählich zu rege, die Opposition zunehmend selbstbewusst und wurden die Zeitungen immer kritischer, um schwerwiegende Wahlmanipulationen durchführen zu können. Zur kritischen Öffentlichkeit gehörte auch die Wahlprüfung der Parlamente, die schon früh den plumpen Manipulationsversuchen Grenzen setzten.247 Bei den dreizehn Reichstagswahlen prüfte das Parlament insgesamt 974 Fälle, was 19 Prozent aller Mandate entsprach, und kassierte in beinahe jedem zehnten Fall das Mandat.248 Drittens offenbarte sich immer wieder eine mangelnde Durchdringungskraft der Bürokratie: Hier hatten die Sozialisten ein Mandat gewonnen, dort die Beamten sich unbotmäßig verhalten, und da war die Abstimmung aus dem Ruder gelaufen.249 1898 stellte das Staatsministerium fest, dass Landräte einen Wahlaufruf des regierungskritischen Bundes der Landwirte unterschrieben hatten.250 Und wenn schon die ordnungsgemäße Versetzung eines Gymnasiallehrers von der Bürokratie kaum zu leisten war, wie oben deutlich wurde, was sollte das Staatsministerium tun, als sich bei den (offenen) Landtagswahlen 1904 amtlichen Berichten zufolge allein in der Provinz Posen Tausende deutschsprachige Beamte nicht an den Wahlen beteiligt und über Hunderte von ihnen den oppositionellen Kandidaten gewählt hatten?251 Hinzu kam, dass etwa seit der Jahrhundert-

246 Vgl. etwa Abschrift, Landrathsamt Meisenheim an Regierungspräsidium Koblenz, 3. 4. 1882, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; vgl. Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 2, S. 16. 247 Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 33; Arsenschek, Wahlfreiheit; Anderson, Lehrjahre. 248 Arsenschek, Wahlfreiheit, 150f. 249 Vgl. etwa Oberpräsident der Provinz Hannover, an Vizepräsidenten des Staatsministeriums, 16. 9. 1878, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; Der konservative Wahlverein des 1. Reichstagswahlkreises [unleserl.] an Bismarck, 28. 11. 1886, u. weitere Unterlagen in I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 250 Abschrift Sitzung Staatsmin., Berlin, 29. 1. 1898, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3. 251 Prot. Staatsmin., Berlin, 9. 1. 1904/11, vgl. auch Prot. Staatsmin., Berlin, 5. 11. 1897/8, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK .

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wende die Abstrafungen von Beamten zuvor im Staatsministerium geprüft werden mussten.252 Auch dieses komplizierte Verfahren spricht für eine eher geringe Zahl an Disziplinarverfahren. Nicht zuletzt Gesetzestreue und Ordnungsliebe der Behörden hegten – bei aller Autoritätsgläubigkeit – die Manipulationen ein, sodass die Wahlen weit davon entfernt waren, als reines Akklamationsinstrument zu dienen.253 Auch in internen Sitzungen, in denen die Behörden keine Rücksicht auf die Opposition nehmen mussten, wurde stets betont, dass sich alle Beteiligten bei den Wahlen an Recht und Gesetz zu halten hätten. Es waren immer wieder die braven Beamten, die den Bemühungen der Minister Grenzen setzten, die darauf hinwiesen, dass die Fristen eingehalten werden mussten und beispielsweise die Wählerlisten lang genug auszuliegen hatten.254 Die Wahlen waren also nie »gemacht«, nie vollständig manipuliert, und aller gouvernementalen Übergriffigkeit zum Trotz kamen Minister und Bürokratie nicht auf die Idee, Wahlergebnisse zu fälschen. Wahlmanipulationen bezogen sich auf die Bemühungen, den Wähler zu einer bestimmten Entscheidung zu drängen, nicht aber, das Votum grundsätzlich zu verändern. Ein beträchtlicher Teil der obrigkeitlichen Einflussnahme bestand schlicht in der Organisation von »Regierungskandidaten« – was keineswegs überall gelang. Und wenn sich ein brauchbarer Kandidat fand, hieß das noch lange nicht, dass er gewählt wurde.255 Teil der Gesetzeskonformität war die Konzentration der Überwachung auf die Staatsdiener. Die Wahlfreiheit der Beamten aber war tatsächlich eine Sache, die sich juristisch erst noch erweisen und in der Praxis erlernt werden musste – nicht nur in Preußen.256 – Freilich sollte bei aller gebotenen Relativierung nicht übersehen werden, dass bereits ein einziger Fall eines degradierten oder versetzten Beamten ein enormes Abschreckungspotenzial besaß. Es reichte, wenn die Berichte davon die Runde machten. Zudem gab es manchen Provinzfürsten und Landrat, der unterhalb der Regierungsebene Übersicht »Wahlrecht der Beamten«, o. D., 1911, I. HA Rep. 90 A, Nr. 307, GStA PK . Anderson, Lehrjahre, S. 484. Fairbairn, Authority, S. 827. Vgl. zur gelassenen zeitgenössischen Einschätzung der Aufstellung von Regierungskandidaten: »Deutschland, Berlin, 18. Januar«, Stettiner Zeitung, 19. 1. 1867, Rep. 66 (Grfswld), Nr. 9, Bl. 34, LAG . 256 Vgl. beispielshaft die Gutachten über das Wahlrecht der Beamten, 1911, I. HA Rep. 90 A, Nr. 307, GStA PK ; Rejewski, Pflicht zur politischen Treue. 252 253 254 255

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Abb. 24 Die Zeitgenossen, nicht zuletzt die Sozialisten, hielten die Reichstagswahlen für wirkmächtig. Simplicissimus, 1. 1. 1912: »Des Thrones und des Himmels Stützen / Erleben eine schwere Zeit. / Ein Schirm kann sie nicht beide schützen, / Wenn es die roten Zettel schneit« © VG Bild-Kunst, Bonn 2017; Künstler: Th. Th. Heine

eigenmächtig unerwünschtes Wahlverhalten ahndete und Andersdenkende schikanierte.257 Gouvernementale Wahlmanipulationen bildeten den Versuch, die Dilemmata moderner Regierungspraxis aufzulösen: den Anspruch auf das Gewaltmonopol des nationalen Zentralstaats, der in Spannung stand zu den Partizipationsrechten der freien Bürger, sowie den Konflikt zwischen rationaler Herrschaft einerseits und Risikohaftigkeit der Wahlen andererseits. Viele Wähler selbst beurteilten das Wahlrecht (anders als noch in der ersten Jahrhunderthälfte) als ein hohes Gut und sahen in den Wahlen (anders als manche Historiker) keineswegs primär ein abgekartetes Spiel der Regierung. Im Jahr 1884 – während der Sozialistengesetze – erklärten 257 Vgl. etwa den Fall des Pastors Hoffmann, gegen den die Behörden gemeinsam mit dem Konsistorium vorgingen, und des Oberaufsehers Otte, Unterlagen 1878–1880 u. weitere Disziplinierungsmaßnahmen gegen Beamte in I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK ; Prot. Staatsmin., 9. 1. 1904/11, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Protokolle des Preußischen Staatsministeriums; Unterlagen über Beamtenversetzungen in I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . In diesem Sinne erklärten sich auch die Minister in einer (internen) Sitzung, Prot. Staatsmin., 12. 11. 1882, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK .

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die Sozialisten in einem Wahlaufruf: »Die Wahl ist frei, sonst wäre es keine Wahl. […] So wie Ihr den Reichstag wählet, wird der Reichstag sein.«258 Hier spricht nicht ein geknechtetes Volk, sondern ein selbstbewusster Player im spannungsreichen Spiel der Partizipationskräfte.

Bürgerliche Aneignung der Wahlen und nicht staatliche Manipulationen In den Überwachungsakten des Staates findet sich eine Übersetzung aus einer polnischen Zeitung über die Reichstagswahlen vom 12. Januar 1912 im Kreis Bromberg in Ostpreußen: »Der Pächter von Beerenberg, Herr Schuckert, erlaubte seinen Leuten nicht, zur Wahl zu gehen, aber alle gingen nach dem Mittagessen gegen seinen Willen zur Wahl und gaben ihre Stimme ab […]. Auch Herr Schulz aus Nekla erlaubte seinen Leuten nicht, vor fünf Uhr abends das Feld zu verlassen, damit seine Leute nur zur Wahl zu spät kommen sollten. Er schickte sogar drei Ackerknechte nach Bromberg […], und als trotzdem einer der Ackerknechte im letzten Augenblick den Wahlraum betrat, begrüßte ihn Herr Schulz mit den Worten: ›Was! Kerl! Schon bist du da, wenn es was anderes gäbe, dann würdest du noch lange nicht zurück sein, aber gerade weil heut Wahlen sind.‹ […] Auffallend war auch die 4 bis 5 Zoll breite Wahlurne, auch war sie offen, sodaß die vom Vorsitzenden hineingeworfenen Umschläge sich mit Leichtigkeit einer auf einander legten. […] Und so war es möglich, die Namen aller Wähler vom Anfang bis zum Ende der Wahl numerirt, mit Leichtigkeit zu kontrollieren.«259 Das klingt wie ein Lehrstück über die heimtückische Komplexität von Macht. Die Brotherren schikanierten ihre Leute und wollten sie von der Stimmabgabe abhalten. Die Landarbeiter aber machten sich einen Sport daraus, trotzdem im Wahllokal aufzutauchen. Wahlen waren für sie offenbar wichtig. Deutsche Herren kontrollierten den Wahlakt und die Auszählung und wurden dafür von der polnischen Zeitung angeprangert. Zugleich nutzte die Presse die Geschichte für propolnische Werbung, für die Ermächtigung der polnischen Männer, die nicht klein 258 Aufruf, 28. 10. 1884, zitiert nach: Bebel, Sozialdemokratie, S. 218. 259 Zeitungsausschnitt auf Vordruck aufgeklebt, »Missbräuche bei den Wahlen«, Dziennik Bydgoski (Bromberg), Nr. 11, 16. 1. 1912, XVI . HA Rep. 30, Nr. 611, 1912–1919, GStA PK .

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beigaben, sondern die Wahlen mitbestimmten; der Obrigkeit diente eine Übersetzung des Berichts offensichtlich als abschreckendes Beispiel. Die deutschen Herren gewannen die Wahl – aber sie hatten so eklatant manipuliert, dass ihr Verhalten eine Untersuchung im Reichstag nach sich zog.260

Junker-Klischees und heterogenes Landleben In dieser Zeitungspolemik zeigt sich, wie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Wahlen mit der Verschärfung des Nationalismus an Attraktivität gewannen und zur Fundamentalpolitisierung der Gesellschaft beitrugen. Gewiss ging es darum, wer mit der Wahl das Mandat errang, aber es wurde immer wichtiger, wer mithilfe der Wahlen und der Wahlanfechtungen außerdem die öffentliche Stimmung für sich entscheiden konnte. Wahlen waren zu einem umkämpften Feld geworden, wobei die Regierung und ihr bürokratischer Apparat sowohl beim Kampf um das Mandat als auch beim Kampf um die Öffentlichkeit nur eine Partei unter vielen bildete. Der Staat war mächtig, doch die anderen wurden immer stärker: die Kirchen, Fabrikanten, Bankiers, agrarische Kräfte, ethnische Minderheiten oder Sozialisten. Die Akten zeigen nicht nur das System gouvernementaler Wahlmanipulation, sondern sie dokumentieren auch Widerständigkeiten und Abweichungen. Insgesamt gestaltete sich die Wahlbeeinflussung durch private Autoritäten für das normale Volk wesentlich intensiver als durch die Staatsorgane.261 Denn die gouvernementalen Wahlmanipulationen in Preußen konzentrierten sich hauptsächlich auf die Beamten, die lokalen Gewalten hatten hingegen auch die ganz gewöhnlichen Bürger im Visier. Dabei bestätigen die Wahlen gerade für Ostelbien das heterogene Bild, das der Historiker Patrick Wagner für diese Regionen zeichnet und das oft wenig mit dem Klischee der Junkerherrschaft zu tun hatte.262 Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf diese unterschiedlichen Akteursgruppen jenseits der Staatsmacht mit ihren unterschiedlichen Interessen zu werfen.

260 Vertraulich! Der Landrat dem Herrn Regierungs-Präsidenten hier, Bromberg, 5. 2. 1812, Zurückgereicht, XVI . HA Rep. 30, Nr. 611, 1912–1919, GStA PK . 261 »Wahlrecht und Wahlfähigkeit«, in: Staatslexikon (Görres-Gesellschaft), Sp. 1092, der Artikel zitiert ausführlich aus den Dokumenten der Wahlprüfungskommission. 262 Wagner, Bauern, Junker und Beamte, S. 569.

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Abb. 25 »Es ist eine liberale Stimme abgegeben worden. Der Schulmeister kriegt von heute ab keine Kartoffeln mehr«. Karikatur auf die Großgrundbesitzer in Ostelbien, die in keiner Wahlgeschichte fehlt. Simplicissimus, Januar 1912 bpk / Herrmann Buresch

Es gab freilich einige zivilgesellschaftliche Akteure, die bei den Wahlen eng mit der Regierung zusammenarbeiteten: Oft waren das konservative oder nationalliberale Gruppierungen, häufig auch evangelische Geistliche. Dabei wird zugleich deutlich, wie prekär das Rechtsstaatsverständnis mancher Preußen war. Der Patriotische Verein in Königsberg bemerkte 1866 in einem Brief an Bismarck, »daß selbst der formelle Rechtsbruch nicht zu scheuen wäre«, wenn es um Wahlen gehe.263 Allerdings muss die Aktivierung der konservativen Bürger wohl auch als Teil des wachsenden bürgerlichen und zivilgesellschaftlichen Selbstbewusstseins interpretiert werden. Konservative investierten viel Zeit und Energie in die Wahlen, ließen auf eigene Kosten Pamphlete und Stimmzettel drucken und verteilen, kontrollierten den Wahlverlauf und das Verhalten der Wahlhelfer.264 »Als

263 Patriotischer Verein an Bismarck, Königsberg, 10. 2. 1866, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . 264 Selbst aus den staatlichen Unterlagen wird dies ersichtlich, weil die Bürger gerne bei Bismarck auf ihre Aktivitäten hinwiesen (Brief an Bismarck, Abs. unbekannt, Karlsbad, 23. 6. 1865 u. Brief Dr. Stübing an Bismarck, Berlin, 25. 11. 1865, I. HA Rep. 90 A

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treuer Unterthan unseres geliebten Königs & begeisterter Verehrer der von Euer Exzellenz betretenen politischen Bahnen«, schrieb 1867 ein Hauptmann a.D. aus Schlesien kurz vor den ersten Reichstagswahlen, »bin ich redlich bemüht mit meinen Schwachen Kräften die Bewohner hiesiger Gegend mehr und mehr für die Regierung zu gewinnen, damit sie das directe Wahlrecht nicht zum Nachtheil des Vaterlandes gebrauchen.«265 1886, inmitten der Puttkamer’schen Wahlagitationen, informierte ein konservativer Verein die Regierung, dass seine bei den Landtagswahlen geführten Kontrolllisten eine erschreckend hohe Anzahl an freisinnigen und nicht wählenden Beamten zutage gebracht hätten.266 Wie lebendig dieser Denunziantenkonservatismus von unten war, zeigte sich in den erbitterten Auseinandersetzungen, wenn sich die Bürger gegenseitig anprangerten und öffentlich diffamierten.267 Dabei variierten die Koalitionen und Feindschaften, auch oben und unten war nicht immer klar auszumachen. Im Fall des Grafen Schwerin von 1855 stellte sich der angestammte Adel gegen den konservativen Landrat. Ebenso kämpften in Hannover viele Landbesitzer aufseiten der preußenkritischen Welfen.268 Bei den Reichstagswahlen 1898 gewann im Wahlkreis Greifswald-Grimmen die Fortschrittspartei gegen den konservativen Kandidaten. Daraufhin legten die Konservativen Wahlbeschwerde beim Reichstag ein, die jedoch abgelehnt wurde. Einer der Protestler, der Ritter-

265 266 267

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Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, Bl. 35, GStA PK ); vgl. auch Brief Landsberg an Bismarck, 26. 1. 1867; Polizei-Lieutnant Seyfried an Bismarck, 7. 2. 1867; [Kaum lesbar:] J. von Wiells [?] geb. v. Saffts [?] an Gräfin/Ministerin [Johanna von Bismarck], 16. 2. 1867, u. Brief von Lockmetz [unleserl.], Berlin, 11. 2. 1867, und weitere Unterlagen in der Akte I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Von Baumer, Hauptmann a. D. und Gutsbesitzer, an Bismarck, Cunersdorf bei Hirschberg i. Schlesien, 11. 2. 67, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK . Der konservative Wahlverein des 1. Reichstagswahlkreises [unleserl.] an Bismarck, 28. 11. 1886, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . »Mit den Polen«, Schweriner Lokal-Anzeiger, 10. 12. 1861, I. HA Rep. 169 C80, Nr. 4, Bd. 5, GStA PK ; Dr. Otto, Königl. Kreis-Schul-Inspektion an Königl. Regierung, Abteilung für Kirchen- und Schulsachen zu Bromberg, 14. 12. 1885, XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885 –1919, GStA PK ; »Schwarzenau, 20. November«, Gnesener General-Anzeiger, 1. 12. 1904, XVI . HA Rep. 30, Nr. 700, 1901–1911, GStA PK ; Bromberger Tageblatt, 13. 11. 1904, XVI . HA Rep. 30, Nr. 700, 1901–1911, GStA PK ; Magistrat der Kreisstadt Hohensalza, 20. 6. 1813, XVI . HA Rep. 30, Nr. 581, 1913–1918, GStA PK ; »Wongrowitz, 16. Januar«, Zeitungsausschnitt auf Vordruck aufgeklebt, Zeitungsname unleserl., 17. 1. 1912, XVI . HA Rep. 30, Nr. 611, 1912–1919, GStA PK . Anderson, Lehrjahre, S. 228.

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gutsbesitzer Reimer, kündigte nun einem Schneidermeister, der zur Fortschrittspartei gehörte, die Heunutzungsrechte, und der konservative Landrat des Kreises, Herr von Maltzahn, rächte sich am freisinnigen Inhaber des Gasthauses in Grimmen mit einem Boykott – woraufhin die Liberalen dort in einer Solidaritätsaktion den Kaisergeburtstag feierten.269 Der polnisch-katholische Adel in Westpreußen beeinflusste seine Landarbeiter. Und nicht anders verhielt es sich mit Fabrikbesitzern, Handwerksmeistern und sonstigen Arbeitgebern: Sie konnten mit dem Staat gemeinsame Sache machen oder die regierungsnahe Partei bekämpfen. Interessant ist dabei der Hinweis der neuesten Forschung, die aufzeigt, dass die durch Landbesitz verursachte Ungleichheit bei Wahlmanipulationen recht wenig Einfluss hatte, nicht zuletzt, weil auf dem Land oft nur wenige Menschen wohnten.270 Dass die abhängigen Bauern, Arbeiter und Angestellten häufig wählen mussten, wie es die diversen Autoritäten verlangten, war im 19. Jahrhundert auch in den USA eher selbstverständlich als skandalös.271 Das änderte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Wahlbeeinflussungen durch Krupp und andere Fabrikbesitzer beispielsweise erregten zunehmend die öffentliche Aufmerksamkeit. Mit väterlichen Ansprachen und Drohungen, aber auch Entlassungen und Gehaltskürzungen versuchten Fabrikanten zuweilen, die Wähler zu dirigieren, was sich allerdings bei den Reichstagswahlen aufgrund der geheimen Stimmabgabe zunehmend schwieriger gestaltete.272 Immer wieder wurden Knechte und Arbeiter von ihrem Arbeitgeber in einen Wagen gesetzt, zum Wahllokal gefahren und erhielten dort – falls es sich um die geheimen Reichstagswahlen handelte – den genehmen Stimmzettel des Brotherrn. Dann stellte man die Wähler vor die Wahl, den vom Arbeitgeber gewünschten Stimmzettel abzugeben oder die Arbeit zu verlieren.273 Grundbesitzer und verantwortliche Pächter strichen Weiderechte und Zusatzverdienste, kündigten Kredite, vertrieben Leute von ihren Gütern, entließen Arbeiter – wobei solche Maßnahmen 269 Kölnische Volkszeitung, 15. 2. 1902, R 8034, II , Nr. 5079, RLB , BA ; »Landrath und Agitator«, Berliner Tagblatt, 12. 8. 1902. 270 Mares, Open Secrets, S. 152. 271 Anderson, Lehrjahre, S. 228f.; Godkin, Republican Party; vgl. Kap. 3; Konserv. Wahlverein des 1. Reichstagswahlkreises [unleserl.] an Bismarck, 28. 11. 1886, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK . 272 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 254–263; Anderson, Lehrjahre, S. 199–195. 273 Sten. Ber. RT 25. 1. 1882, S. 958f.

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schnell zu Wahlanfechtung und Mandatsverlust führen konnte.274 Auf ganz legalem Wege aber konnten Arbeitgeber und andere Autoritäten allein dadurch Druck ausüben, dass sie im Wahlvorstand saßen oder die Stimmabgabe in ihrem Privathaus stattfand.275

Wahlmanipulationen der liberalen Bürger Die Manipulationen des Stadtbürgertums übertrafen die Einflussnahme der Landräte bei Weitem.276 Die wohlhabende Klientel der Liberalen verlangte von ihren Angestellten und Arbeitern, ihre Parteien zu wählen, wie etwa die in Stettin gegründete Deutsche Fortschrittspartei, zu der sich viele Männer aus den östlichen Provinzen zählten. So wählten die Stettiner während der 1860er Jahre nicht den regierungsnahen Kandidaten, sondern den von der liberalen städtischen Presse unterstützten Freihandelsaktivisten John Prince-Smith.277 Die Nationalliberalen seien »ja überhaupt die Hauptwahlkünstler«, erklärte der Publizist Julius Bachem, im Vergleich zu ihnen seien die Landräte in den östlichen Provinzen reine »Waisenknaben«.278 Der renommierte Reichstagsabgeordnete Carl Gustav Thilo führte 1878 im Reichstag aus, »daß eine gewisse Beeinflussung, so weit sie eben nicht von Beamten im Mißbrauch ihres Amtes oder von Geistlichen im Mißbrauch der Kanzel geschehen, an sich naturgemäß und gerade ein Korrelat für das freie und geheime Wahlrecht sei«.279 Insbesondere die Kommunalwahlen, deren Regulierungen und Zensus von den Bürgern selbst festgelegt wurde, lagen weithin fest in liberaler Hand. 1898 teilte in der Stadt Charlottenburg der Magistrat jedem Wahlkreis einen weiteren Wahlmann zu, sodass die freisinnigen (städtischen) Wahlmänner nicht mehr durch die ländlichen überstimmt werden konnten. In zahlreichen rheinischen Städten gelang es den liberalen Eliten über lange Zeit hinweg, mit solch wenig freiheitlichen Methoden eine Zentrumsmajorität zu verhindern.280

Anderson, Lehrjahre, S. 214f. Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 255 u. 334. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 97. Der konservative Wahlverein des 1. Reichstagswahlkreises [unleserl.] an Bismarck, 28. 11. 1886, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK ; Mellies, Stereotyp, S. 35. 278 Zitiert nach Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 97. 279 Sten. Ber. RT, 7. 10. 1878, S. 103. 280 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 98f. 274 275 276 277

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Das städtische liberale Bürgertum dominierte mit seinen Wahlkämpfen auch jahrelang das Land. Das Gefühl der »natürlichen« Hegemonie drückte sich in einer liberalen Zeitung 1867 so aus: »Man sollte doch unter einem liberalen Ministerium einmal den Antrag stellen, daß die Städte als Vormünder für die Bauern aufträten […], da diese über mehr als ihren Acker doch nicht denken.«281 Ähnlich sah die Situation in Ostpreußen aus. Das ostpreußische ländliche Kreditwesen lag wegen der von Hermann Schulze-Delitzsch gegründeten Vorschuss- und Kreditvereine in der Hand der Linksliberalen. Da Kredite für die notorisch verschuldeten Gutsbesitzer extrem wichtig waren, wiesen sie die Landräte an, die Wahlen im Sinne der Liberalen zu lenken.282 Nicht zufällig zeigte der freisinnige Schulze-Delitzsch, wie oben erwähnt, für den »großen und berechtigten Einfluß« der Arbeitgeber viel Verständnis.283 Manipulation konnte auch über positive Anreize funktionieren, wozu sich Alkohol oder Geld besonders eignete. Wir werden weiter unten für die USA sehen, dass dieses Umwerben des Wählers durchaus eine demokratische Komponente hatte. Denn der Arbeiter oder Bauer besaß als Wähler Macht – und dafür erhielt er eine Gegenleistung. Der Vorwärts hielt viele Geschichten vom Alkoholausschank parat, mit dem die Gegner die Wähler traktierten. Besonders beliebt war die Pointe, auf Kosten der Herren zu saufen und sie danach – dank des geheimen Reichstagswahlrechts – um ihre Stimmen zu prellen.284

Kirchliche Einflussnahme Gemeinsam aber entrüsteten sich alle über die Einflussnahme des Katholizismus, mit Ausnahme der »Polen«, die meistens zusammen mit dem Zentrum den Wahlkampf bestritten. Tatsächlich besaß die katholische Kirche neben dem Staatsapparat als einzige Partei eine umfassende Bürokratie zur Organisation von Wahlmanipulationen.285 Bereits 1849 berichteten evangelische Wähler aus Posen von den Wahlen im Frühjahr 1849 nach Berlin, das Wahlgeschäft hätte eigentlich »um 8 Uhr früh in der katholiZitiert nach Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 55; vgl. dazu auch ebd. S. 54–58. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 56–58. Zitiert nach: Below, Wahlrecht, S. 75, vgl. Kap. 3. »Die Wähler haben alles versoffen!« u. »Stimmviehtreiber«, Vorwärts, 20. 6. 1903, sowie weitere Artikel in R 8034/II 5086, Reichstagswahlen, BA ; diese Geschichte erzählt auch die Karikatur »Die Wahlbeeinflussung III «, Der Wahre Jacob, Nr. 70, März 1889. 285 Margret Anderson hat das umfassend untersucht (Lehrjahre, S. 103–198). 281 282 283 284

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schen Kirche beginnen« sollen, doch die »sich pünktlich eingestellten Wahlmänner fanden den Wahl-Kommissarius nicht, wohl aber den Geistlichen feierliche Messe haltend«. In einer »hinreißenden Rede« habe der Geistliche alle Wahlmänner aufgefordert, »nur so zu stimmen, wie bereits am Tage vorher beim Gottesdienst in derselben Kirche beschlossen«.286 Ein preußischer Minister stellte über die Urwahlen 1852 alarmiert fest, dass »die Betheiligung der Geistlichkeit überall sehr stark gewesen, die Geistlichen von der Kanzel zur Theilnahme an den Wahlen ermuntert haben, und sehr viele Geistliche als Wahlmänner aus der Wahl hervorgegangen sind«.287 Die Beschwerden gegen den Einfluss katholischer Priester bei den Reichstagswahlen übertrafen die gegen Arbeitgeber um das Zehnfache und toppten bei Weitem die Klagen gegen staatliche Wahlmanipulationen.288 Kanzelaufrufe und geistliche Ermahnungen wurden ein fester Bestandteil der Wahlkultur. Priester verweigerten bei elektoralem Ungehorsam die Sakramente oder verwiesen auf das drohende Jenseits. Andererseits darf die Politisierungskraft der Zentrumspolitik und die Überzeugungskraft, mit der Katholiken ihren Kandidaten wählten, nicht unterschätzt werden. Die erfolgreiche Politisierung und zunehmende Demokratisierung weiter Schichten in Deutschland sieht Margaret Anderson nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die Geistlichkeit Wahlrecht und Wahlpraxis in die kirchliche Lebenswelt integrierte.289

Sozialistische Einflussnahme Mit dem Aufstieg der sozialistischen Parteiorganisation erhielten aber auch die Schwächsten eine Lobby: die Lohnarbeiter. 1890, kurz nach der Aufhebung der Sozialistengesetze, erklärte August Bebel: »Wäre uns unter dem Gesetz auch die Reichstagstribüne verschlossen und die Ausübung des Stimmrechtes unmöglich gemacht gewesen, wir hätten kein Mittel besessen, auch nur annähernd festzustellen, in welcher Art und Gestalt die Partei sich entwickelt hatte und fortgeschritten war, wir hätten nicht ent286 An Ein hohes königliches Ministerium des Innern zu Berlin von [6 Unterschriften], Bleichen (Posen), 10. 2. 1849, I. HA Rep. 169 C Abgeordnetenhaus Abschnitt 80, Nr. 4, Bd. 1, 76–79RS , GStA PK . 287 Votum des Ministers des Innern, v. Westphalen, zu dem Gesetz-Entwurfe der Bildung des Hauses der Abgeordneten der Zweiten Kammer betreffend, Berlin, 31. 1. 1855, 4, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, BA . 288 Anderson, Lehrjahre, S. 105f. 289 Anderson, Practicing Democracy, S. 69 et passim; s.a. Anderson, Windthorst.

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fernt unsere Agitation so ausgiebig, wie geschehen, entfalten können.«290 Dass die Sozialdemokraten nicht in der Boykottecke schmollten, sondern die Wahlen als ihre Waffe akzeptierten, war für die Wahlgeschichte in Preußen wohl ähnlich bedeutsam wie das Engagement der Katholiken. Spätestens um die Jahrhundertwende begannen Sozialisten damit, selbst Wahlmanipulationen zu betreiben. Dazu gehörte die wiederholte Stimmabgabe durch eine Person.291 Während in den USA das repeating ein unübersehbares Ausmaß angenommen hatte, blieb diese Fälschungstaktik in Preußen und Deutschland jedoch in einem bescheidenen Rahmen. Sozialdemokraten sorgten zuweilen dafür, dass ganze Brigaden von Arbeitern in umstrittenen Wahlkreisen von auswärts herbeigeholt wurden, bei Genossen unterkamen, gemeldet wurden und entsprechend wählen durften. Sie fälschten Wählerlisten mit Namen von Verstorbenen, für die dann Genossen abstimmten.292 In Deutschland bekamen Händler und Handwerker in Arbeitervierteln außerdem vor den Wahlen häufig Besuch von Sozialdemokraten, die ihnen erklärten, sie würden künftig boykottiert, wenn sie nicht bei den Wahlen die Sozialdemokraten unterstützten. »Begründet wurde die Bitte mit Sätzen, wie: ›Meine Frau kauft doch bei Ihnen!‹ oder: ›Die Arbeiter lassen sich doch bei Ihnen rasieren‹«, informierte eine Zeitung. »In den Arbeitervierteln sind daher fast alle Geschäftsleute mit offenen Läden der Wahl ferngeblieben«, hieß es über die preußischen Landtagswahlen.293 Sozialdemokratische Frauen wurden generalstabsmäßig organisiert, weil sie den Kontakt zu den Händlern hatten. Besonders häufig traf das Embargo die Gastwirte.294

290 Protokoll über die Verhandlung des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 1890, zitiert nach Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 53; vgl. auch Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 478f. 291 »Eine Wahlfälschung«, Berliner Zeitung, 30. 10. 1884; »Eine Wahlfälschung eigener Art«, Berliner Zeitung, 3. 11. 1884, A Pr.Br.Rep.030, Nr. 14099, Wahlfälschungen und Wahlunregelmäßigkeiten, Polizeipräsidium Berlin, Bl. 8, LAB . 292 Freiherr v. d. Bottlenberg-Schirp an Ministerium des Innern, o. D., wohl Juni 1903, u. die Pressesammlung in A Pr.Br.Rep.030, Nr. 14099, LAB ; Reichskanzler an Königlich Württembergisches Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, 10. 12. 1912, 16 Bü 253, HStASgt ; vgl. auch Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 287–293. 293 »Deutsches Reich«, Tägliche Rundschau, 14. 11. 1903; vgl. Gewerbetreibende, »über welche wegen Nichtwählens im Sinne der Sozialdemokratie der Boykott verhängt wurde« u.ä. Akten in A Pr.Br. Rep. 030, Nr. 14105, LAB ; Unterlagen in A Pr.Br.Rep.030, Nr. 14099, LAB ; Buchstein, Stimmabgabe, S. 363–367. 294 »An die organisierten Genossen Groß-Berlins«, Vorwärts, 11. 4. 1908.

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Der Sozialist und Wahlanalyst Leo Arons erklärte 1909, die allgemeine Ablehnung der öffentlichen Abstimmung in Preußen sei dem Umstand zu verdanken, »daß die sozialdemokratischen Arbeiter auch ihrerseits den Willen bekundet haben ihren wirtschaftlichen Einfluß zur Geltung zu bringen«.295 Innerhalb der Partei bauten Sozialisten ebenfalls Druck auf. Wer nicht zur Wahl ging, konnte aus der Partei ausgeschlossen werden.296 Niemand wende die Strafe der sozialen Ächtung so konsequent an wie die Sozialdemokraten, erklärte der Wahlrechtshistoriker Georg von Below 1909. »Die soziale Ächtung aber trifft härter und schmerzlicher als die Entlassung aus dem Dienstverhältnis oder die Entziehung der Kundschaft.«297 Nachdem sie ihren Boykott bei den Landtagswahlen aufgegeben hatten, griffen die Sozialdemokraten zur Technik der Wahlbehinderung bei den öffentlichen Abstimmungen in Preußen: Es sollten zwar möglichst viele sozialdemokratische Wahlmänner gewählt werden, schrieb der Wahlstratege Arons, aber zugleich während des Wahlaktes »die unerhörte Belästigung der Wähler durch das Wahlverfahren möglichst drastisch beleuchtet werden«. So viele Genossen wie möglich sollten also im Wahllokal auftauchen, damit sich die Wahlhandlung in die Länge zöge; die Wähler der zweiten und ersten Abteilung wüssten dann nicht, wann sie an der Reihe seien, und viele würden entnervt nach Hause gehen; »andere werden die lange Dauer von vornherein als Entschuldigung für ihr Nichterscheinen benutzen – ist doch die öffentliche Stimmenabgabe für den kleinen Gewerbetreibenden oder Kaufmann zwischen Kunden verschiedener Parteirichtung noch peinlicher, als für den Arbeiter.«298 Da der Wähler das Recht hatte, den von ihm gewählten Kandidaten selbst in die Liste einzutragen, und weil eine absolute Mehrheit erforderlich war, konnte der Wahlakt extrem in die Länge gezogen werden.299 Die Sozialisten übten die Obstruktionstechniken bereits 1890 in den Berliner Stadtwahlen. In einem Wahllokal tauchten unerwartet Dutzende 295 Arons, Terrorismus, S. 613. 296 Ausschnitt aus dem Mitteilungsblatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine, Berlin, Nor 4, 11. 4. 06, mitgeteilt von Lieutnant Wachmeister, Abteilung VII . Execution, 5. Kommissariat, Berlin, 12. 4. 1906, A Pr.Br. Rep. 030, Nr. 14105, Bl. 85, LAB . 297 Below, Wahlrecht, S. 155. 298 Arons, Beteiligung, S. 762. 299 Arons, Beteiligung; Delbrück, Wahl-Ergebnis; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 161f.

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von drängelnden Arbeitern auf. Der Wahlvorstand beschloss daraufhin, nur noch Wähler einzulassen, die sich ausweisen konnten (was später für illegal erklärt wurde). Dennoch gelangten weitere Arbeiter ins Wahllokal: »Am Wahltage Nachmittags um ¾ 6 Uhr war das Gedränge in der Turnhalle ein derartiges, daß es überhaupt unmöglich war, den Wahltisch zu erreichen«, berichtete später ein Zeuge, als die Rechtmäßigkeit der Wahl überprüft wurde, die »Arbeiter, auch die, welche schon gewählt hatten, standen in dichten Reihen vor dem Wahltisch und ließen Neuwähler nicht heran«.300 Arons erklärte außerdem, dass ein Arbeiter den vollen Lohn für den Arbeitsausfall bei den Wahlen beanspruchen könne: »Es würde auf Regierung und Bourgeoisie nicht ohne tiefen Eindruck bleiben, wenn sie einer möglichst ausgedehnten Arbeitsruhe als Folge gesetzlichen Verhaltens der Arbeiter gegenüberständen.« Zudem sollten die Arbeiter darauf bestehen, dass sie, wie im Gesetz vorgeschrieben, alle im Wahllokal Platz fänden. Das würde viele Wahlgänge als gesetzeswidrig bloßstellen.301 Im November 1903 kamen in Berlin 70 Arbeiter der Gasindustrie gleichzeitig zur Stimmabgabe, verursachten damit erhebliche Probleme bei der Gasversorgung – und wurden gefeuert. Später musste der Magistrat die Entlassungen zurücknehmen.302 Alles in allem aber waren die Manipulationen der Sozialisten wesentlich geringer als die ihrer Gegner, wie die Politikwissenschaftlerin Isabela Mares in ihren quantitativen Untersuchungen zeigen konnte. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie besonders stark von den Reformen um die Jahrhundertwende profitierten, die für Geheimhaltung sorgten und den Wähler vor äußeren Einflüssen schützten.303

Bauern, Witwen und andere Akteure Durch die wachsende Politisierung und Liberalisierung der Gesellschaft mischten sich immer mehr Gruppen und Einzelakteure in die Wahlen ein. In den 1890er Jahren gründeten Kleinbauern und Grundbesitzer mit dem Bund der Landwirte eine Lobby, die bald außerordentlich einflussreich werden sollte. Der protektionistische und antisemitische Bund belegte 300 Auszug aus Sten. Ber. Stadtverordnetenversammlung, 23. 1. 1890, A Rep. 001–02–01, Nr. 232, LAB . 301 Arons, Beteiligung, S. 763f.; vgl. auch Arons,Terrorismus. 302 Arons, Ergebnisse, S. 712. 303 Mares, Open Secrets, S. 114, 150 u. 231.

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ganze Städte mit Boykott, wenn diese nationalliberal wählten oder auch nur einen liberalen Verein gründeten.304 Immer wieder entzogen sich Bürger dem Druck von oben und dem Druck von der Seite, indem sie gar nicht zur Wahl gingen.305 Zwar verzichteten bei den preußischen Landtagswahlen Wähler der dritten Abteilung häufig auf ihr Wahlrecht, doch sie boten auch dem Staat oder den Lobbyisten die Stirn. Witwe Ranhut beispielsweise wohnte zur Miete in einem staatlichen Gebäude. Als man ihr 1863 erklärte, sie müsse ausziehen, wenn ihr Sohn liberal wähle, packte sie ihre Koffer, weil sie, wie sie vor dem Untersuchungsausschuss erklärte, nicht bereit sei, »die staatsbürgerlichen Rechte meines Sohnes auf solche Weise beschränken und beeinflussen zu lassen«.306 Auch Beamte nahmen sich immer wieder das Recht, für regierungskritische Parteien einzutreten. »Was glauben Sie denn, wir werden für Bismarck stimmen?«, wurden 1882 die Zollbeamten zitiert, die dafür gesorgt hatten, dass aus Kiel ein Fortschrittskandidat ins Parlament einzog.307 Die reiche Forschungsliteratur über den Wahlkampf bestätigt diese Befunde: Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte engagierten sich immer stärker und ließen die gouvernementalen Aktionen zuweilen weit hinter sich.308 Wichtig war dabei erneut die Wahlprüfung in den Parlamenten. Die Prüfungskommissionen agierten trotz des Gegenwindes aus der Verwaltung souverän und mit großem Selbstbewusstsein. Auch die Parlamentssitzungen entwickelten sich zu einer wichtigen Bühne in der Bekämpfung der Wahlmanipulationen. Wie aus den Unterlagen der Minister hervorgeht, fürchteten sich die Regierungsverantwortlichen geradezu vor den Angriffen, denen sie im Parlament wegen ihrer Wahlmanipulationen ausgesetzt waren.309 304 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 83. 305 Der konservative Wahlverein des 1. Reichstagswahlkreises [unleserl.] an Bismarck, 28. 11. 1886, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK ; »Politische Übersicht. Die Wahl in Wongrowitz«, Posener Zeitung, 25. 9. 1803, XVI . HA Rep. 30, 575, Bd. 1, Wahlen für das Abgeordnetenhaus 1903, GStA PK . 306 Zweiter Bericht, No. 103, Haus der Abgeordneten, 19. 1. 1864, S. 91. 307 Mitglied des konservativen Vereins [Name unleserl.] an Bismarck, Abschrift Reichskanzlei, Kiel, 28. 10. 1882, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 547, GStA PK ; vgl. Schreiben an Staatsminister v. Mühler, 26. 8. 1871, I. HA Rep. 90 A Staatsmin., Nr. 190, Bd. 2, GStA PK . 308 Vgl. etwa Gall, Regierung, Parlament und Öffentlichkeit; Grießmer, Massenverbände; Bendikat, Wahlkämpfe. 309 Vgl. etwa Protok. Staatsmin., Berlin, 8. 6. 1904, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GStA PK ; Oberpräsident der Provinz Posen an Regierungspräsidenten, 14. 4. 1908, XVI . HA

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Öffentliche Empörung über Wahlmanipulationen Doch erst der boomende Zeitungsmarkt schuf die Plattform für erregte öffentliche Diskussionen. Konservative und nationalliberale Blätter empörten sich über den sozialdemokratischen »Wahl-Terror«.310 Noch stärker interessierte sich die Presse für gouvernementale, konservative und kirchliche Wahlmanipulationen. In Kattowitz in Oberschlesien entwickelten sich die Reichstagswahlen 1903 für die Zentrumspartei aufgrund der Medienberichte zu einem Desaster: Der Fürstbischof von Breslau bedrohte Katholiken mit dem Entzug der »Segnungen und Gnaden«, falls sie nicht die Zentrumspartei wählten. Und als dann doch der polnische Nationaldemokrat Albert Korfanty über den Zentrumskandidaten siegte, machte die Kirche aus ihrem Zorn gegenüber den Wählern keinen Hehl. Das ließ sich die Gesellschaft nicht mehr bieten. »Kattowitz« wurde zum Synonym für Wahlmanipulation.311 Die Polemik über den Priester, der seine Schäfchen zur Wahlurne zwingt, über »Puttkamerun« und das »Junker-Dorado«, über den Landrat, der die Wahlen dirigierte, und Fabrikanten, die ihre Arbeiter bei sozialistischer Stimmabgabe feuerten, wurde zu einem eigenen Genre. Der Spott wirkte ähnlich wie in den USA die prominenten Karikaturen des deutsch-amerikanischen Zeichners Thomas Nasts gegen die Korruption der Politmafia Tammany Hall und des Anführers Boss Tweed. Hier wie da war die Satire Teil einer kritischen Öffentlichkeit und trug zur Disziplinierung bei.312 Die treffsicheren Grafiken aber prägten insbesondere in Deutschland die (ältere) Geschichtsschreibung über Wahlen wesentlich stärker als andere Quellen. Die Bürger wussten sich der rechtsstaatlichen Instrumente zu bedienen. Dabei konkurrierte ihr Engagement häufig mit dem obrigkeitsstaatRep. 30, Nr. 580, 1908, GStA PK ; Oberpräsident der Provinz Posen an Regierungspräsidenten, 22. 3. 1913, XVI . HA Rep. 30, Nr. 581, 1913–1918, GStA PK ; Sten. Ber. RT, 25. 1. 1882, 934–948; Prot. Staatsmin., Berlin, 8. 6. 1904, I. HA Rep. 90 A, 306, Bd. 3, GS tA PK ; Innenminister Moltke an Polizeipräsidenten in Berlin, o. D., 1908, A Pr.Br.Rep.030, Nr. 13166, Bl. 110, LAB . 310 Pressesammlung in A Pr.Br.Rep.030, Nr. 14099, LAB , u. in 1897–1898, R8034 II , Nr. 5075, BA . 311 Vgl. etwa Bericht der 12. Kommission über den Gesetzentwurf zur Änderung der Vorschriften über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten, Drucksache Nr. 110, Haus der Abgeordneten, 1910, 7. 3. 1910, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 9, Bd. 6, GStA PK ; Anderson, Lehrjahre, S. 180f. 312 Anderson, Lehrjahre, S. 485; zur Angleichung des angelsächsischen und kontinentalen Journalismus um 1900: Bösch, Mediengeschichte, S. 115.

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lichen Verständnis von Wahlen: Die Staatsmacht wollte Wahlen für sich reklamieren, um sie als Legitimationsspenderin zu nutzen. Viele Bürger aber sahen zunehmend in den Wahlen ein Instrument, um ihre Interessen zum Ausdruck zu bringen. »Der Stimmzettel ist das Werkzeug, mit dem Ihr den Staat nach Eurem Gefallen, zu Eurem Nutz und Frommen zurecht zimmern könnt«, notierten Sozialdemokraten 1884 in einem Wahlaufruf.313 Wobei hier noch anzumerken ist, dass ein Akteur eine erstaunlich geringe Rolle bei preußischen Wahlen spielte: das Militär. Das sah in den USA anders aus.

»Das Dynamit des Gesetzes«. Staatliche Bemühungen um das universal suffrage In den Vereinigten Staaten blieb nach dem Bürgerkrieg die große Mehrheit der Afroamerikaner in New York nach wie vor von den Wahlen ausgeschlossen, weil für sie – anders als für die Weißen – ein Zensus von 250 Dollar galt. Nur fünf Staaten räumten den Afroamerikanern ein gleiches Wahlrecht ein. »Weder Wahlrecht noch Gleichheit für Neger! Die Regierung des weißen Mannes für den weißen Mann! Weiße Männer sollen Amerika regieren!«, hieß es auf den Bannern in den New Yorker politischen Versammlungen.314 1863 hatten während des Bürgerkriegs in der Stadt die Draft Riots stattgefunden, ein Pogrom gegen die African Americans als Protest gegen die Zwangsrekrutierungen der Unionsarmee. Vier Tage lang zogen weiße New Yorker mordend durch die Stadt, jagten afroamerikanische Männer und erhängten sie an den Bäumen. Am Ende wurden 119 Leichen gezählt.315 Allen voran bekämpfte Tammany Hall das Wahlrecht der Afroamerikaner. Als im November 1869 zugleich mit den Wahlen eine Volksbefragung darüber stattfand, ob Afroamerikaner das Wahlrecht erhalten sollten, fragte der Daily Eagle polemisch: »Sind Sie willens, durch ihre Stimmabgabe zu erklären, ganz genau so viel wert zu sein wie ein Neger, weder mehr noch weniger?«316 Die Antwort war eindeutig: Über 70 Prozent in New York City und über 60 Prozent im Bundesstaat 313 314 315 316

Aufruf, 28. 10. 1884, zitiert nach: Bebel, Sozialdemokratie, S. 218. Burrows/Wallace, Gotham, S. 926; zu den fünf Staaten: Foner, Reconstruction, S. 222. Burrows/Wallace, Gotham, S. 888–895. Burrows/Wallace, Gotham, S. 926.

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New York sprachen sich gegen das Wahlrecht der Afroamerikaner aus.317 Die Wahlen wurden ein überwältigender Sieg der Democratic Party, die nun beide Häuser im Staat New York kontrollierte. 1868 war bereits der demokratische Kandidat und Tammany-Protegé John Hoffman, einstiger Bürgermeister von New York, zum Gouverneur des Staates gewählt worden.318 Der führende demokratische Politiker, Peter B. Sweeny, der eine der zentralen Figuren im New Yorker Korruptionssumpf war, hatte die Ablehnung des afroamerikanischen Wahlrechts als »das Ende des Neger-Aufruhrs« gefeiert. Nun, erklärte er, müsse der Kampf gegen die Zentralregierung und gegen ihre Kontrolle des Wahlrechts gefochten werde.319

Das Jahr 1870: Wahlrecht der Afroamerikaner auch in New York Bei den Richterwahlen im Mai 1870 allerdings mussten die Rassisten eine Niederlage einstecken. Dank des 15. Verfassungszusatzes vom Februar 1870, der das Wahlrecht der Afroamerikaner garantieren sollte, verschwanden diese am Wahltag erstmals in der Geschichte New Yorks nicht von den Straßen. Tausende von afroamerikanischen New Yorkern hatten sich registrieren lassen. Doch Tammany Hall gab sich alle Mühe, sie am Wählen zu hindern. In einem Wahlbezirk trafen sich die registrierten Afroamerikaner am Wahltag früh am Morgen bei ihrer Kirche, um sich bei der Stimmabgabe gemeinsam gegen die Gewalttätigkeit der Weißen schützen zu können. Als sie im Wahllokal ankamen, hatten jedoch TammanyMänner bereits in ihrem Namen gewählt.320 Ähnliches geschah in anderen Bezirken. Einige Afroamerikaner, die auf ihrer Stimmabgabe bestanden, wurden kurzerhand verhaftet.321 Bei den general elections im November 1870 wollten die Zuständigen in Washington das nicht mehr dulden. Sie sicherten die Verfassungszusätze mit Enforcement Acts, die sie 1870 erließen und 1871 durch einen weiteren 317 Quigley, Acts of Enforcement, S. 271. 318 Tindall/Shi, America, S. 927. 319 Interview mit Peter B. Sweeny, New York Herald, 26. 11. 1869, zitiert nach: Quigley, Acts of Enforcement, S. 272. 320 »Elections in Brooklyn – Colored Men Attacked by White Ruffians« u. »Saving the voters the trouble of voting«, The Sun, 18. 5. 1870; Quigley, Acts of Enforcement, S. 275f. 321 »How the Colored Voters Were Treated« u. weitere Artikel, The Sun, 18. 5. 1870; zur politischen Orientierung der Sun: Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 269.

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ergänzten. Die acts boten die rechtliche Grundlage, die Bundesgesetze notfalls mit Gewalt durchzusetzen und – drei Jahre nach South Carolina – auch in New York City für das Wahlrecht der Afroamerikaner zu sorgen. Tatsächlich war die Sicherung des black suffrage wie im Süden nur unter dem Einsatz militärischer Gewalt möglich. Die Democrats und Tammany waren empört und führten Klage über die Fremdherrschaft aus Washington, doch die Gesetze blieben gültig.322 So trat während der Wahlen im November 1870 die nationale Zentralgewalt in Washington, die mit der Republikanischen Partei auch parteipolitisch identifizierbar war, gegen die staatlich-lokale Gewalt an, die den Democrats anhing. Unter den Vertretern der Zentralgewalt waren Politiker und Militärs, die sich sei Jahren für die Rechte der Afroamerikaner engagiert hatten. Zu ihnen gehörte Amos T. Akerman, US Attorney General, der im Sommer 1870 vom Präsidenten ernannt worden war. Er sollte die Bundesgesetze zur Geltung bringen und wurde dafür 1870 mit einem eigenen Verwaltungsapparat ausgestattet: dem Justizministerium, das zugleich die Generalbundesanwaltschaft war. Bezeichnenderweise hatten die Amerikaner eine solche Institution zuvor nicht für notwendig erachtet.323 Dem neuen Ministerium stand eine Phalanx an neuen Posten zur Verfügung, die in den Staaten die Wahlen beaufsichtigen sollten. Noah Davis, ein US Attorney, gehörte zu ihnen. Er war seit Juli 1870 in New York für die Durchsetzung der nationalen Gesetze zuständig.324 George H. Sharpe, ein US Marshal in New York City, kümmerte sich nicht nur um die Wahlen im November 1870, sondern führte auch die Volkszählung durch, mit deren Hilfe städtische Eliten – allen voran der Union League Club – und die Republikanische Partei die Wahlfälschungen von 1868 beweisen wollten: die Manipulationen durch den Mafiaboss William Tweed und seine Tammany Hall, die nach Überzeugung der Republikaner zum Sieg des demokratischen Gouverneurs beigetragen hatten.325 Sharpe schrieb Anfang Oktober an Justizminister Akerman, die Stadt brauche für die gesetzmäßige Durchführung der Wahlen rund 5000 US Deputy Marshals, eine Art von Bundespolizei. »Man wird bei den Wahlen

322 323 324 325

Zitiert nach Quigley, Acts of Enforcement, S. 288. Goldman, Free Ballot, S. 25–31; vgl. zu Akerman: Goldman, Free Ballot, S. 31f. Im Southern District of New York. Ihm zur Seite stand der US Attorney Noah Davis im Southern District of New York.

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eine Reihe bewaffneter Männer antreffen«, warnte Sharpe.326 Die kampfbereiten Demokraten würden womöglich Bürger von der Stimmabgabe abhalten. Also brauche man für die Durchsetzung der Bundesgesetze massiven Schutz für die föderalen Wahlaufseher.327 Ein anderer Offizier forderte Artillerie an, weil er befürchtete, die New Yorker könnten am Wahltag die Stadt mit umgekippten Pferdewagen blockieren, um die Bundestruppen am Aufmarsch zu hindern.328 Die Demokraten hingegen warnten vor einer föderalen Invasion, die New Yorks Freiheit gefährde, und forderten die Bürger auf, sich nicht von der Wahl abschrecken zu lassen.329 Die Frage war, ob sich der Zentralstaat und mit ihm das allgemeine Wahlrecht durchsetzen konnte.330 Auf nationaler Seite standen schließlich 800 Wahlaufseher und 1200 Deputy Marshals; im Schutz der Dunkelheit waren außerdem am Tag vor der Wahl rund 1200 US -Soldaten in die Stadt gezogen.331 Der befehlshabende General McDowell hatte sich an zentraler Stelle in der Mitte Manhattans ein Quartier mit telegrafischer Verbindung eingerichtet.332 Auf der anderen Seite hatte der Polizeichef von New York, der Tammany-Mann James Kelso, 1800 special policemen eingeschworen. Die Zahlenangaben schwanken, doch insgesamt überwachten rund 2500 Polizisten und 6000 Deputy Marshals die Wahlen.333 Um gleichwohl einen Ausbruch der Ge326 U.S. Marshal’s Office, Southern District of New York, to Hon. A. T. Akerman, 10. 10. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869-Nov 26, 1870, NARA ; vgl. auch die Telegramme in der Akte für die Absprache des Truppeneinsatzes. 327 Headquarter Dept. of East, NYC , to George H. Sharper Esq. U.S. Marshal Southern District, 3. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869-Nov 26, 1870, NARA . 328 Headquarter Dept. of East, NYC , to George H. Sharper Esq. U.S. Marshal Southern District, 3. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869-Nov 26, 1870, NARA ; vgl. auch die Einschätzung in »Advice for Repeaters – Gratis«, New York Tribune, 11. 10. 1870. 329 »Advice for Repeaters – Gratis«, New York Tribune, 11. 10. 1870. 330 Vgl. dazu die Karikatur »XV th Amendment: ›Shoo fly, don’t Bodder me!‹«, Harper’s Weekly, 12. 3. 1870. 331 »Several Considerable Detachments«, New York Tribune, 8. 11. 1870; vgl. auch »The Bad Faith of Gov. Hoffman«, New York Tribune, 8. 11. 1870; Headquarter Dept. of East, NYC , to George H. Sharper Esq. U.S. Marshal Southern District, 3. 11. 1870 u. weitere Unterlagen in RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869–Nov 26, 1870, NARA . 332 »The New York Election«, Evening Star (Washington D.C.), 8. 11. 1870. 333 Quigley, Acts of Enforcement, S. 289.

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walt zu verhindern, trafen sich die Gegner und suchten nach einer friedlichen Lösung.334 Tatsächlich gelang ihnen das in letzter Minute. In einem gemeinsamen Abkommen am Tag vor der Wahl hielten sie einige Grundsätze fest, die einen bemerkenswerten Einblick in die Wahlpraktiken geben: Kein Wahlberechtigter durfte durch Verhaftung von der Stimmabgabe abgehalten werden; die föderalen Wahlaufseher waren befugt, den Wahlprozess inklusive der Auszählung zu beobachten, und auch sie durften nicht vor dem Ende der Wahl inhaftiert werden. Außerdem mussten die Staatstruppen des Gouverneurs abgezogen werden.335 Da in New York die Stimmzettel im Wahllokal und nicht von außen an einem Wahlfenster abgegeben wurden, bestand die Zentralregierung darauf, dass ihre Vertreter innerhalb der Lokale standen, während die New Yorker Polizei davor als Wache positioniert wurde – ein klarer Vorteil für die Bundesgewalt, denn im Lokal entschied sich die Stimmabgabe.336 Am Wahltag, dem 8. November 1870, wimmelten die Straßen New Yorks von Uniformen und Männern mit hoheitlichen Abzeichen. Viele Bürger waren bis an die Zähne bewaffnet. Die nationalen Truppen warteten in großen Pferdewagen abseits, um jederzeit eingreifen zu können.337 Zur Einschränkung des Alkoholkonsums waren strenge Regelungen erlassen worden.338 Die repeater, die »Mehrfachwähler«, hasteten von Wahllokal zu Wahllokal, und die städtischen Polizisten zogen lärmend und Knüppel

334 Headquarter Dept. of East, NYC , to George H. Sharper Esq. U.S. Marshal Southern District, 3. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869–Nov 26, 1870, NARA . 335 Telegramm an A. T. Akerman, Washington, ohne Abs., NY, 7. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of NY (U.S. Marshal) Sept 22, 1869–Nov 26, 1870, NARA ; Office of the District Attorney of the US for the Southern District of NY, to A. T. Akerman, Attorney General, Washington DC , 3. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869–Nov 26, 1870, NARA . 336 »Incidents of the Day«, The Sun, 9. 11. 1870; Headquarter Dept. of East, NYC , to George H. Sharper Esq. U.S. Marshal Southern District, 3. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869–Nov 26, 1870, NARA ; Quigley, Acts of Enforcement, S. 286. 337 »Incidents of the Day«, The Sun, 9. 11. 1870; Headquarter Dept. of East, NYC , to George H. Sharper Esq. U.S. Marshal Southern District, 3. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of NY (U.S. Marshal) Sept 22, 1869–Nov 26, 1870, NARA ; Quigley, Acts of Enforcement, S. 286. 338 »Incidents of the Day«, The Sun, 9. 11. 1870.

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schwingend durch die Straßen.339 Wie immer fehlte es auch bei diesen Wahlen nicht an demokratischer Rhetorik: Alle Seiten priesen die Stimmabgabe als höchstes Gut der Bürger, als heiliges und höchstes Vorrecht.340 Für die Republikaner verband sich das mit dem Recht der Afroamerikaner. »Am populärsten war der frischgebackene Bürger – der Farbige«, schrieb die New York Evening Post, »eine ungewöhnlich große Zahl von Negern war auf den Straßen; und in ein oder zwei Wahlbezirken teilten sie die Stimmzettel aus.«341 Doch die Mehrheit der New Yorker empfanden die wählenden Afroamerikaner, von denen einige sogar als Marshals im Wahllokal Aufsicht führten, als Schlag ins Gesicht.342 Sie wollten die Wahlen vielmehr als Demonstration gegen die »Invasion New Yorks durch den Föderalstaat« (Journal of Commerce) gestalten, gegen »die Hand des Unterdrückers […] an unserer Gurgel« (William Tweed).343 Die dröhnenden Männer, die durch die Straßen marschierten, fühlten sich als Verteidiger der Freiheit und des einfachen Mannes, und sie sahen sich unter der Losung state rights in der revolutionären Tradition der freien, unabhängigen Einzelstaaten. Dennoch blieb die Gewalt weitgehend aus. »Es gab nicht so viele eingeschlagene Köpfe und blutige Gesichter, wie es bei früheren Wahlen in dieser Stadt bekanntlich der Fall war.«344 Ein New Yorker hielt in seinem Tagebuch fest: »Die Wahl scheint friedlich abgelaufen zu sein, und das dank der Bajonette der föderalen Regierung, die an verschiedenen Stellen in und um die Stadt bequem und außer Sichtweite gelagert waren.«345 Eine zumeist republikanisch gesinnte Minderheit unter der städtischen Elite, die sich auch gegen die Wahlfälschungen einsetzte, unterstützte die föderale Intervention. Nach den Wahlen vom November 1870 erklärte sie zufrieden, der Rück-

339 »The Tammany Ticket Elected«, New York Tribune, 9. 11. 1870. 340 »The Election To-Day«, The Sun, 8. 11. 1870. 341 »The Election«, New York Evening Post, 8. 11. 1870, zitiert nach: Quigley, Acts of Enforcement, S. 289. 342 »The Colored United States Marshals of the Eighth Ward« u. »Swearing in More Deputies«, The Sun, 2. 11. 1870; Quigley, Acts of Enforcement, S. 283. 343 Zitiert nach Quigley, Acts of Enforcement, S. 288. 344 »Incidents of the Day«, The Sun, 9. 11. 1870; vgl. auch »The Election«, The Sun, 9. 11. 1870; »The New York Election«, Evening Star (Washington D.C.), 8. 11. 1870; vgl. zu diesen Wahlen in New York auch: Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 328–345. 345 The Diary of George Templeton Strong, 8. 11. 1870, zitiert in: Quigley, Acts of Enforcement, S. 289.

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gang der Stimmen um 26359 für den wiedergewählten Tammany-Gouverneur zeige deutlich, wie effektiv die Maßnahmen gegen Wahlfälschung gewesen seien.346

Überwachung der US -Wahlen durch Bundestruppen und Staatsdiener Im Süden wuchs der Widerstand gegen die Emanzipation der Afroamerikaner und damit die nationalen Truppen und die zentralstaatliche Gewalt. Seit den 1870er Jahren eigneten sich die weißen Demokraten Schritt um Schritt die Macht wieder an und drängten die Afroamerikaner und mit ihnen die Republikanische Partei aus der Politik. Durch die wirtschaftliche Depression von 1873 und 1874 geriet die föderale Gewalt zusätzlich in Misskredit. Doch der Kampf zwischen Zentralmacht und Einzelstaaten, der in diesem Fall um das Wahlrecht der Afroamerikaner ausgefochten wurde, war noch nicht entschieden. Überall in den Vereinigten Staaten setzten sich Männer der nationalen Staatsgewalt, meistens Republikaner, für die Reinheit der Wahlen – die purity of election (wie sie es nannten) – und für das Stimmrecht der Afroamerikaner ein, egal ob in Delaware, New Jersey oder West Virginia. Einer ihrer Schwerpunkte lag in New York City, wohin seit 1870 ein Viertel aller föderalen Mittel für die Sicherung der Wahlen floss.347 Erstaunlicherweise dauerten diese Bemühungen 20 Jahre länger als die eigentliche Reconstruction: Bis in die 1890er Jahre beaufsichtigten Tausende von Amtspersonen aus Washington die Wahlen in den USA .348 Die Zäsur für die erneute Entrechtung der Afroamerikaner lag also nicht im Jahr 1877, dem Ende der Radical Reconstruction und dem Abzug der nationalen

346 »Election in this City«, Evening Post, 9. 11. 1879. 347 Vgl. Unterlagen in RG 60, Entry 72, Dept. of Justice Central Files, Year Files, Folded, 9050–1888, Box 383, NARA ; RG 60, Entry A1 9: Letter Received, Delaware, 1852/70, Con. 78, NARA ; H. J. Caldwell, Lewisburg, West Virginia, an Justizministerium, US Atty General, 23. 1. 1871, u. weitere Unterlagen in RG 60, PI -194E-56, West Virginia, 1871–1874, Box 1039, NARA ; US District Attorney’s Office, Newark, an A. T. Akerman, Attorney General, 11. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9, Letters Received: 1809–1870, 1819–1870: New Jersey, Cont. 112, Fold. New Jersey, US Attorney, Dec 14, 1844–Dec 7, 1870, Election Frauds, Riot in Camden. NJ Investigation of, NARA ; Telegramm von Anthony Higgins, US Atty, an US Grant President, Relative to troops to preserve order on Election day, 8. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letter Received, Delaware, 1852/70, Con. 78, NARA ; Reg 60, M996–1, Letters Received by the Dept. of Justice from Georgia, 1871–1884, NARA . 348 Quigley, Acts of Enforcement, S. 274.

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Truppen aus den Südstaaten, sondern erst in den 1890er Jahren.349 Wie die neuere Forschung festgestellt hat, spielte bei diesem Konflikt um die Wahlen der Ku-Klux-Klan eine erstaunlich geringe Rolle, und er taucht in den Wahlakten eher selten auf.350 Der Kampf zwischen zentralstaatlicher und einzelstaatlicher Hoheit während der Wahlen ist ein wenig beachteter Aspekt des amerikanischen Nationsbildungsprozesses.351 Bundestruppen und US -Aufseher einerseits sowie auf der anderen Seite kommunale Polizeikräfte und bewaffnete Kräfte des Gouverneurs prägten nun das Bild bei den Wahlen. An jenem Wahltag im November 1870, als in New York die Gewalt nur mühsam gezähmt werden konnte, kam es in Baton Rouge im Bundesstaat Louisiana zu Ausschreitungen mit vier Toten und 20 Verwundeten. Ein Mob von 300 Männern versuchte nach der Wahl, das Gerichtshaus zu stürmen und die Wahlurnen zu zerstören. Die nationalen Truppen, die auch hier bereitstanden, lieferten sich Gefechte mit den Aufrührern. Die Charleston Daily News berichtete mit viel Sympathie für die Aufwiegler und zitierte eine einheimische Zeitung: »Die Stadt ist in der Hand föderaler Truppen, die weiße Bürger aufgrund der eidesstattlichen Aussagen aufständischer Neger verhaften.«352 Auch in anderen Staaten versuchten Bundestruppen, das Wahlrecht zu sichern. In Baltimore etwa setzte die Zentralregierung 1876 über 1000 US Deputy Marshals ein. Wie so häufig war auch hier gezielt Angst von den Gegnern der Afroamerikaner geschürt worden, die im Vorfeld behauptet hatten, es würden nicht genügend nationale Kräfte da sein, um die Wähler zu schützen.353 Erneut waren die amerikanischen Wahlen geprägt von Gewalt, aber nicht mehr von Spielgeist und Saufgelagen, sondern von der Verbitterung der Weißen und der nackten Angst der Afroamerikaner. Über ein Gerichtsverfahren in dieser Zeit schrieb der zuständige US -Jurist:

349 Brandwein, Rethinking, S. 2. 350 Bensel, Ku Klux Klan; als Ausnahme vgl. »The Indictment of A Number«, Zeitungsausschnitt o. A., 1889, RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA . 351 Vgl. Brandwein, Rethinking; Vallely, Two Reconstructions; Goldman, Free Ballot. 352 »Terrible Riot at Baton Rouge«, Charleston Daily News, 10. 11. 1870; vgl. »The Baton Rouge Outrage«, New Orleans Republican, 10. 11. 1870. 353 H. H. Coyle, R. L Simpson an Dept. of Justice, 31. 10. 1876, mit beiliegendem Zeitungsausschnitt, o. A., sowie Zeitungsausschnitt »The Bee«, 30. 10. 1871, RG 60, Entry 56, Source Chron. Files, Maryland, 1877, M1352, NARA ; RG 60, Entry 56, Source Chron. Files, Maryland, 1877, M1352, NARA ; vgl. zur Gewalt auch A. W. Steve, Supervisor of Elections, an Attorney General in Washington, Savannah, Georgia, 21. 10. 1872.

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»Der Prozess […] wurde von Anfang an mit großer Feindseligkeit geführt. In der Tat legten die Anwälte größere Feindseligkeit an den Tag, als ich es jemals in einem anderen Fall erlebt habe. Die Frage rassischer Vorurteile wurde zu einem hervorstechenden Merkmal dieses Prozesses.«354 Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Leistungen jener Juristen und ihrer Mitarbeiter zu werfen, die von Washington aus die Wahlen überwachten und mit militärischer Gewalt, aber auch in mühsamer Schreibarbeit versuchten, den Bundesgesetzen Geltung zu verschaffen und den Afroamerikanern faire Wahlen zu ermöglichen. In seitenlangen Berichten und Briefen an das Justizministerium in Washington beschrieben sie alle denkbaren Variationen von Rechtsbeugungen bei Wahlen, fügten Zeitungsausschnitte bei und gaben ihre Einschätzung ab.355 Bei den Wahlen in der Kleinstadt Biddeford in Maine zeigt sich beispielhaft die Mischung aus Gewalt und Juristerei. In den Wahllokalen erhielten US Deputy Sheriffs den Befehl, alle Nichtbürger zu verhaften, die zu wählen versuchten. Denn die lokalen Behörden, die in der Hand der Demokratischen Partei lagen, hatten vor der Wahl rund 600 Männer eingebürgert; die US -Behörden erklärten die Naturalisation für illegal, weil das US -Gericht in der nahe liegenden Kreisstadt Portland für Einbürgerungen zuständig sei. Als nun die US Sheriffs am Wahlmorgen mit den Verhaftungen begannen, ernannten die Stadtbehörden kurzerhand so viele Special Policemen, dass sie den US Sheriffs um ein Vielfaches überlegen waren und diese einfach wegsperrten.356 Die Republikaner brachten den Fall vor das Oberste Gericht des Staates Maine (dessen Gouverneur ein Republikaner war), das ihnen recht gab und anordnete, die Namen der umstrittenen Wähler aus den Registra354 Murray an Miller, Attorney General in Washington, Huntingdon (Tenn.), 19. 2. 1890, RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA . 355 Vgl. beispielsweise die Unterlagen in RG 60, Entry 56, M947–7 u. 8, Letters Received by Dept. of Justice from South Carolina, NARA ; RG 60, Entry 56, M1250–2, Letters Received by the Dept. of Justice from Virginia, 1871–1884; RG 60, Entry 54, 7202, Year 1888, Box 376; RG 60, Entry 54, 4728 Year 1889, Box 417, NARA ; S165015, Petitions, ND No. 3993, SCDAH ; RG 60, Entry 54, 4728, 1889, Box 417, NARA ; RG 60, Entry 56, General Records of Dept. of Justice, Letters Received from Mississippi, 1871–1884, NARA ; RG 60, Entry 56, Letters Received by Dept. of Justice from Louisiana, 1871–1884, NARA ; RG 60, Entry 56, M940–4, Letters Received by Dept. of Justice from Louisiana, 1871–84, NARA ; RG 60, Entry 56, Letters Received by the Dept. of Justice from Mississippi, 1871–1884, NARA . 356 W. J. Lunt an Prescott, Chairman Rep. City Cou. Biddeford, Maine, 21. 8. 1890, RG 60, Entry 72, 8616–1890, Box 510, D. J. Central (Year) Files, folded, NARA .

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turlisten zu streichen. Die Stadtväter aber dachten nicht daran, der Anweisung nachzukommen.357 Bei der Registratur im Jahr 1882 in South Carolina, einem weiteren typischen Fall, mussten sich in den Wahlkreisen mit einer mehrheitlich afroamerikanischen Wählerschaft die Männer in zwei Reihen aufstellen, eine für weiße, eine für African Americans. Zuerst wurden die Weißen erfasst. Die Registratur der Afroamerikaner wurde so lange hinausgezögert, bis viele aufgaben und schließlich auch die gesetzlich vorgeschriebene Zeit für die Registratur abgelaufen war. Dadurch konnte ein Großteil der Afroamerikaner nicht an den Wahlen teilnehmen.358 Ein US -Staatsanwalt in Tennessee berichtete aus dem County Fayette, wo 1889 mehrere Wahlurnen von den Democrats ausgetauscht worden waren, wodurch viele Hundert Stimmen für die Republikaner verloren gegangen waren; dem Juristen gelang es tatsächlich, einige Hundert dieser Wähler aufzutreiben, die vor Gericht bezeugen konnten, dass sie republikanisch gewählt hatten.359 Die Suche nach Zeugen gehörte zu den größten Problemen der Staatsbediensteten. Denn die Zeugen mussten einerseits für die entfallenen Arbeitstage bezahlt werden. Andererseits sprangen sie immer wieder ab, weil sie eingeschüchtert wurden.360 Die US Attorneys, US Marshals und ihre Angestellten wurden von den lokalen Zeitungen verhöhnt und vielfach zu den Carpetbaggers gerechnet, Leuten aus dem Norden, die mit ihren Taschen (carpet bags) in den Süden kamen und dort – wie der gängige Vorwurf hieß – aus dem Nachkriegselend Kapital schlugen. Die regionalen Behörden behinderten ihre Arbeit. Oft wurden sie als unrechtmäßige Vollstrecker einer fernen

357 W. J. Lunt an Prescott, Chairman Rep. City Cou. Biddeford, Maine, 21. 8. 1890, vgl. auch Unterlagen des Justizministeriums in RG 60, Entry 72, 8616–1890, Box 510, D. J. Central (Year) Files, folded, NARA . 358 Joel W. Bowman an Dept. of Justice, 2. 11. 1882, RG 60, M947–8, Letters Received by the Dept. of Justice from SC , NARA . 359 US Attorney, Western Dist. Tenn., an W. H. H. Miller, Attorney-General, Washington D.C., Memphis Tenn., 20. 1. 1890, RG 60, Entry 54, 4728 Year 1889, Box 417, NARA . 360 M. W. Wickersham, US Attorney, South Alabama, to Miller, Attorney General in Washington, 18. 2. 1890, vgl. auch Wickershams Brief nach Washington vom 27. 1. 1890, RG 60, E 72, 1629–1890, Box 463, Dept. of Justice, Central (Year) Files, NARA ; vgl. auch Newark, 27. 12. 1890, RG 60, Entry 72, 9321–1890, Box 516, D. J. Central Files (Year), folded, NARA .

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Tyrannei erlebt, »die der Freiheit der Wahlen den Garaus machten«.361 »Der Kampf der demokratischen Presse gegen mich hetzt den Pöbel auf und wird seine Auswirkungen auf die Zeugen, die Geschworenen etc. haben«, beschrieb ein US Marshal in einem Brief nach Washington die Angriffe, »und dazu kommt das aufgebauschte Feindbild einer vermeintlichen Negerherrschaft, der föderalen Intervention und der republikanischen Korruption der Gerichte […].«362 Über Florida hieß es in einem Schreiben des Justizministers an den Präsidenten: US Marshals »wurden mit Gewalt bedroht und aus besagten Counties durch Mobs und Personengruppen vertrieben, die in offener Feindschaft gegen die obengenannten [US -]Gerichte, die Beamten und die Gesetze der Vereinigten Staaten agieren«.363 Im Oktober 1876 stärkte Justizminister Alphonso Taft in einem Rundschreiben den Staatsdienern aus Washington den Rücken und bestätigte ihr Recht, die Wahlfreiheit für jeden Wahlberechtigten zu sichern.364 Auch dieser Streit wurde in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt mit Karikaturen ausgefochten. Es ist schwer auszumachen, worum es diesen Männern letztlich ging. Bei vielen spielte gewiss das Ideal der Freiheit und Gleichheit aller Bürger eine zentrale Rolle, und sie sahen ihren Einsatz als Dienst an den Afroamerikanern. Doch sollten – wie immer bei amerikanischen Wahlen – die materiellen Anreize nicht unterschätzt werden. Die Wahlaufseher galten vie-

361 »Judge Taft’s Circular«, Virginia Citizen, 14. 10. 1876. 362 United States Attorney Hawkins, Memphis, 30. 9. 1889, RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA ; vgl. auch E. B. Seller, US Attorney, Indiana, to Dept. of Justice, Garland, Attorney General, 21. 11. 1888 + John W. Clure, Special Asst. US Attorney, East Arkansas, to Dept. of Justice, 9. 2. 1890, RG 60, E72, D. J. Central Files Year Files, Folded, 9050–1888, Box 383, NARA ; vgl. auch Zeitungsausschnitt »United States Circuit Court – Judge R. W. Hughes«, Schriftstück, o. A. 1879, RG 60, Entry 56, M1250–2, Letters Received by the Dept. Of Justice from Virginia, 1871–1884. 363 Attorney General an Präsident, 9. Part One, commencing on page 1177, 21. 12. 1889, RG 60, Entry 54, 7202 year 1888, Box 276, NARA ; RG 60, Entry 56, Letters Received by Dept. of Justice from Louisiana, 1871–1884, NARA ; vgl. auch L. C. Northrop an Charles Devens, Attorney General in Washington, Charleston, 12. 2. 1879, RG 60, Entry 56, M947–4, Letters Received by Dept. of Justice from SC , NARA ; R. M. Williams, U.S .Marshal, an Dept. of Justice in Washington, Columbia (SC ), 20. 11. 1875, RG 60, Entry 56, M947–4, Letters Received by Dept. of Justice from SC , NARA ; vgl. etwa auch US Attorney an Attorney General in Washington, Washington, 3. 12. 1889, RG 60, Entry 54, 7202, year 1888, Box 376, NARA . 364 Zitiert nach: Brandwein, Rethinking, S. 130; vgl. Goldman, Free Ballot, S. 110f.

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len Amerikanern nicht nur als Handlanger des föderalen Despotismus, der die Wahlfreiheit der Bürger verletzte, sondern auch als Teil eines Systems der Postenschacherei.365 Tatsächlich bedeuteten die Enforcement Acts einen Anstieg staatlicher Stellen, wodurch das spoils systems weiter anwuchs, in dem die Regierenden ihre treuen Anhänger mit Staatsämtern bedachten. Durch die neue Machtfülle der Zentralgewalt standen bei jeder Wahl horrende Summen der Staats- und Parteimaschinen auf dem Spiel. Die Stellen der Deputy Marshals etwa wurden vom lokalen US Marshal ernannt, waren also regelrechte Pfründe derjenigen Partei, die den Präsidenten stellte; und das war bis zum Ersten Weltkrieg, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Republikanische Partei.366 Eine verlorene Wahl bedeutete also für den Marshal den Verlust seiner Arbeit, was die staatliche Wahlmanipulation gewiss befeuerte. In den USA traten auch die unteren Chargen, die US Deputy Marshals, für die eine Ernennung zu diesem Posten am Wahltag einen Zusatzverdienst versprach, teilweise offen als republikanische Agitatoren auf und unterstützten die eigenen Leute beim Wahlbetrug.367 Bei den direkt von Washington angestellten Staatsdienern lagen die Dinge womöglich anders. Diese Männer sahen sich selbst als Idealisten. In ihren Briefen schilderten sie ihren wochenlangen Dienst in fremden, feindseligen Gefilden, um die Prozesse zu betreiben, abseits ihrer Heimat und weit weg von ihren Familien.368 Wahlen verbanden sie semantisch mit Recht, Moral, Nation und Freiheit, und bei der Stimmabgabe ging es für sie um »persönliche Integrität«, »nationale Freiheit«, »politische Ehre« und »individuelle Rechte«.369 Gewiss waren ihre Motive mannigfaltig und widersprüchlich. Doch es spricht einiges dafür, dass viele Republikaner mit

365 Vgl. zu den Gehältern Unterlagen in RG 60, Entry 56, General Records of Dept. of Justice, Letters Received from Mississippi, 1871–1884, NARA ; vgl. dazu Goldman, Free Ballot, S. 35f. 366 Scott/Lawson, Political Economy, S. 119. 367 Argersinger, New Perspectives, S. 685f. 368 Vgl. etwa L. C. Northrop an Charles Devens, Attorney General in Washington, Charleston, 14. 10. 1878 u. 12. 2. 1879, RG 60, Entry 56, M947–4, Letters Received by Dept. of Justice from SC , NARA ; Paikard [unleserl.] an Akerman, Attorney General in Washington, New Orleans, 19. 11. 1870, RG 60 Entry A 1–9, Box 96, Letters Received, 1809–1870, NARA . 369 »The Sermon on Fraud«, New York Tribune, 8. 11. 1870; vgl. auch Perman, Struggle, S. 46.

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ihren Bemühungen um das Wahlrecht der Afroamerikaner nicht nur an ihren Posten und an afroamerikanische Wähler als Stimmvieh für die Partei dachten. Eric Foner hat darauf verwiesen, dass die Republikaner wie im Staat New York für ihre Ideale Stimm- und Machtverluste in Kauf nahmen. Denn dort war die black community recht klein, und der Verlust der Macht 1868 hing auch damit zusammen, dass sie sich für das umstrittene Wahlrecht der Afroamerikaner eingesetzt hatten.370 Die Motivation der Republikaner lässt sich insgesamt als eine Mischung aus Idealismus, Postengeschacher und Parteipolitik beschreiben.371 Wobei Idealismus in der Politik nicht selten auch eine Machtfrage ist. Das Engagement für den Zentralstaat, um das Recht der Afroamerikaner durchzusetzen, war gewiss eine andere Sache als der preußische Einsatz der Beamten für ihre Regierung. Doch beim Blick auf die Praktiken drängen sich neben den Unterschieden auch die Ähnlichkeiten auf und schärfen die Analyse: Die Amerikaner mussten bei einem unerwünschten Wahlausgang um ihren Job fürchten, die Deutschen um ihre Beförderung bangen oder eine Zwangsversetzung in Kauf nehmen; in den USA lief alles wesentlich informeller ab, weil Staatsmacht und Partei enger verbunden waren als in Deutschland; zudem genossen die Deutschen als Beamte mehr Schutz. Ein wesentlicher Unterschied ist schließlich die Stärke der preußischen und die Schwäche der amerikanischen Staatsmacht. Allerdings verringerte sich dieser Unterschied allmählich: Der Zentralstaat wurde auch für die USA immer wichtiger, und in Preußen ließen das Parlament und eine kritische Öffentlichkeit ein forsches Durchregieren von oben nach unten nicht mehr problemlos zu. Verstörend wirkt der selbstverständliche Rassismus in den USA , der auch die republikanischen Staatsdiener prägte.372 Wenn sie etwa die besondere Glaubwürdigkeit eines Zeugen unterstreichen wollten, verwiesen sie auf seine weiße Hautfarbe.373 Wenn tatsächlich afroamerikanische Zeugen verhört wurden, hielten die Juristen es häufig für nötig, ihre Glaubwürdigkeit nachzuweisen: »Zwanzig farbige Männer, die lesen und schreiben

370 371 372 373

Foner, Reconstruction, S. 470. Quigley, Second Founding, S. 71. Brandwein, Rethinking, S. 3; Litwack, Free Negro, S. 268. S. W. Hawkins, U.S. Marshal, Memphis, 18. 6. 1889; vgl. auch United States Attorney Hawkins, Memphis, 30. 9. 1889, beide Akten in RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA .

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konnten und in jeder Hinsicht respektabel waren, wurden verhört«, schrieb der US Attorney aus Alabama.374 Dennoch galt ihr Bemühen eben auch den Afroamerikanern, und immer wieder wird ihr Sendungsbewusstsein deutlich. 1889 erklärte ein US Marshal über die Wahlen in Memphis: »Wenn diese Männer, die gegen die Wahlgesetze verstoßen haben, nicht bestraft werden, dann sind die Wahlen in diesen Bezirken offensichtlich nicht nur eine Farce, sondern man sollte in der Zukunft besser ganz auf sie verzichten, um nicht der Missachtung der Gesetze und der Rechte der Bürger weiter Vorschub zu leisten.«375 1890 starteten die Republikaner mit der Lodge Bill eine neue Initiative: Sie sollte die Durchführung föderaler Untersuchungen von Wahlmanipulationen erleichtern, um das Recht der Afroamerikaner zu sichern. Das Gesetz ging durch das Repräsentantenhaus, nicht jedoch durch den Senat und war damit abgelehnt.376

Wer waren die afroamerikanischen Neuwähler? Wer aber waren eigentlich die afroamerikanischen Männer, die – von den Weißen nigger oder wohlwollender darkies genannt – am Ende des Jahrhunderts Wahlen als Akt der Emanzipation auffassten, die so erbittert für ihr Wahlrecht gekämpft hatten – die sich so sehr mit diesem Bürgerrecht identifizierten und dafür sogar immer wieder ihr Leben einsetzten? »Die Politik kam in unsere Mitte; unsere missionarischen und religiösen Aktivitäten ließen eine Weile lang nach«, beschrieb ein afroamerikanischer Pfarrer die hohe Bedeutung der Politik.377 »Die Neger wieder völlig verrückt auf Politik«, notierte ein Plantagenverwalter 1873. »Jeder zehnte Neger ist ein Kandidat für irgendeinen Posten.«378 In den ersten Jahren nach dem Bürgerkrieg feierten die Republikaner im Norden den neuen »schwarzen« Bürger. Harper’s Weekly publizierte auf der Titelseite das wohl berühmteste Bild der afroamerikanischen Wähler. Das Wochenmagazin kommentierte: »Umsicht, und vor allem Bescheidenheit« – das habe die afroamerikanischen Neu-Wähler ausgezeichnet (Abb. 26). 374 Wickersham, US Attorney, South Alabama, to Attorney General, 20. 6. 1890, RG 60, E 72, 1629–1890, Box 463, D. J. Central (Year) Files, NARA . 375 United States Attorney Hawkins, Memphis, 30. 9. 1889, RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA ; ganz ähnlich argumentierend S. W. Hawkins, U.S. Marshal, Memphis, 18. 6. 1889, RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA . 376 Perman, Struggle, S. 39–43. 377 Zitiert nach Foner, Reconstruction, S. 282. 378 Zitiert nach Foner, Reconstruction, S. 291.

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Abb. 26 »The First Vote«. Bekenntnis des Nordens zum Wahlrecht der Afroamerikaner. Ganz wie die Weißen: als Handwerker, Geschäftsmänner, Soldaten – »one man one vote«. Auch das war ein Wunschtraum. Seit den 1870ern versuchten die Demokraten wieder, die Stimmabgabe der Afroamerikaner zu vereiteln. Doch das Bild wurde Bestandteil des Narrativs vom freien, gleichen Amerika. Provided Courtesy HarpWeek

Generell präsentierte die republikanische Ikonografie die afroamerikanischen Wähler als zurückhaltende, freundliche, geradezu demütige und häufig arm gekleidete Männer. Ebenso diszipliniert und bescheiden wirkten auf den Porträts die afroamerikanischen Abgeordneten, ein aufregendes Novum für die Gesellschaft (Abb. 27 u. 28). Die Republikaner liebten das Narrativ des gleichen, freien, disziplinierten Bürgers – das in die ganze Welt strahlen sollte. 1886 schenkten die Franzosen den Amerikanern die Freiheitsstatue mit der Aufschrift: »Gebt mir eure Müden, eure Armen / Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren«. Als dann die Jim Crow Laws um die Jahrhundertwende das Leben der Afroamerikaner in ein Apartheitsregime zwängten, mit getrennter Arbeit (die schlechten Jobs für Afroamerikaner), getrennten Decks an Bord der Dampfschiffe, getrennten Stränden, Bädern und selbstverständlich getrennten Bildungseinrichtungen, ein Regime, mit Hausverbot für Afroamerikaner in vielen Theatern, Restaurants und Krankenhäusern – als all das den Status der Afroamerikaner als Bürger zweiter Klasse festschrieb, störten sich die Idealisten im Norden kaum daran. Die sexuellen Fantasien der weißen Männer trugen zu den noch strengeren informellen Codes bei: Ein

»Das »DasDynamit Dynamitdes desGesetzes«. Gesetzes«.Staatliche StaatlicheBemühungen Bemühungenum umdas dasuniversal universal suffrage suffrage

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Abb. 27 und 28 Gewählte Volksvertreter Robert Smalls (links, 1839–1915) und William Beverly Nash (rechts, 1822–1888): der Afroamerikaner als der neue Bürger. Doch trotz aller Bemühungen der weißen Republikaner galten Afroamerikaner weiterhin als minderwertige Männer. Hunderte von ihnen wurden in den kommenden Jahrzehnten gelyncht, viele von ihnen zuvor kastriert. links: Courtesy of the Library of Congress, LC-DIG -cwpbh-03683 rechts: Jean Blackwell Hutson Research and Reference Division, Schomburg Center for Research in Black Culture, The New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations

falsch verstandener Blick gegenüber einer weißen Frau konnte einem afroamerikanischen Mann zum Verhängnis werden. Zwischen 1880 und 1920 wurden über 3200 afroamerikanische Männer im amerikanischen Süden rituell gelyncht, und die Mörder wurden nicht verurteilt.379 Ein Mann wie der weiße Theologe, Reformer und Pädagoge Edgar Gardner Murphy war der neue, gefragte Mann. Wissenschaftlich ausgewiesen, auf Reformen und auf Segregation bedacht, erklärte er die neue Südstaatenlogik: »Gute Zäune machen gute Nachbarn«.380 Es ist erstaunlich, dass sich afroamerikanische Wähler bis zuletzt nicht vom Wählen abhalten ließen und dem Hohn, der Gewalt, der Niedertracht, den Machenschaften trotzten. Da war etwa Mary Putnam, eine

379 Hochgeschwender, Bürgerkrieg, S. 122f.; McGerr, Fierce Discontent, S. 184–190. 380 Zitiert nach McGerr, Fierce Discontent, S. 188.

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afroamerikanische New Yorkerin, die in aller Öffentlichkeit einen Wahlrichter tadelte, der afr0amerikanische Männer am Wählen hinderte, wofür sie umgehend verhaftet und eingesperrt wurde.381 Der Historiker J. Morgan Kousser schätzt, dass bei den Präsidentschaftswahlen 1880 die Mehrheit der afroamerikanischen Männer wählen ging, außer in Mississippi wegen der dort überbordenden Gewalt und in Georgia, das bereits eine Wahlsteuer (poll tax) eingeführt hatte.382 Noch 1888 wollten Afroamerikaner in einem Wahllokal sicherstellen, dass ihre Stimmen gezählt würden. Der Verteiler des republikanischen Stimmzettels schrieb jeden namentlich auf, der von ihm einen Zettel entgegennahm. Ihre Wahlscheine überreichten die afroamerikanischen Wähler im Wahllokal dem Wahlaufseher mit demonstrativer Geste, sodass jeder ihre Wahl nachvollziehen und bezeugen konnte. Ein weiterer Republikaner stand dabei und schrieb erneut jeden Mann auf, der für die Republikaner gestimmt hatte.383 Nach der Jahrhundertwende erzählten afroamerikanische Männer einem Besucher aus Großbritannien, sie würden am meisten unter den ungerechten Wahlgesetzen leiden. Bei der letzten Wahl sei einigen von ihnen die Stimmabgabe gelungen. Doch obwohl sie für die Republikanische Partei votiert hätten, sei beim offiziellen Wahlergebnis keine republikanische Stimme gezählt worden.384 Die wenigen Zeugnisse der Afroamerikaner wurden zumeist erst im Rückblick erfasst. Sie sprachen vom »Verlust des Wahlrechts als dem Verlust der Freiheit« und erinnerten sich der Jahre der Reconstruction als einer heroischen Zeit.385 Die Afroamerikaner, für die der Wahlakt ein so hohes Gut bedeutete – sie waren am Ende des Jahrhunderts zum Großteil wieder ausgeschlossen. »Es steht fest, dass die Reconstruction gescheitert ist«, erklärt Eric Foner das Bemühen der republikanischen Zentralregierung, mit Militärgewalt das Recht durchzusetzen; für die Afroamerikaner sei dieses Scheitern eine Katastrophe gewesen.386 Auch hier zeigt sich, dass Demokratie im Sinne von Partizipationsrechten nie nur eine Sache von unten ist. Ohne eine

381 »A Valiant Colored Damsel«, The Sun, 18. 5. 1870. 382 McCormick, Public Life, S. 112. 383 Murray an Miller, Attorney General in Washington, Huntingdon (Tenn.), 19. 2. 1890, RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA . 384 Powers, Black Charlestonians, S. 264. 385 Zitiert nach Foner, Reconstruction, S. 291, vgl. auch S. 610–612. 386 Foner, Reconstruction, S. 604.

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starke Staatsmacht konnte sich wie in den USA das Gesetz nicht durchsetzen, um die Partizipationsrechte zur Geltung zu bringen. So erlitten die Afroamerikaner die Pathologien der neuen Zeit. Sie wurden Opfer der gewaltigen Ideologie des Rassismus, sie mussten ihr Leben fremden Standards unterwerfen. Der Sozialdarwinismus bot den in Gleichheitsrhetorik schwelgenden Amerikanern eine Erklärung, warum es manchen Menschen so viel schlechter ging als anderen. »Die Versuchung, die Evolutionstheorie auf die soziale (menschliche) Welt anzuwenden, erwies sich als unwiderstehlich«, schreiben die US -Historiker George Brown Tindall und David Emory Shi.387 Manche Südstaaten zogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Grenzen scharf und mit wissenschaftlichem Siegel: Die OneDrop-Rule erklärte jeden für »schwarz«, der innerhalb der letzten fünf Generationen auch nur einen afroamerikanischen Vorfahren hatte.388 Rasse war für die Zeitgenossen kein äußerliches Merkmal, sondern wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeit und wissenschaftlich verbriefter Hinweis auf die Gesinnung.

Wahlen als Gesinnungstest Ins Zentrum des Wahlaktes trat immer mehr die Gesinnung – für was auch immer: für die Union, für die Gleichheit, für die weiße Vorherrschaft in den USA oder in Preußen für monarchische Treue, für die Sozialdemokratie oder den Fortschritt. Wie dachte eigentlich der Wähler? Wer war er? Fragen der Zugehörigkeit wurden im Nationalstaat dringlicher. In Petitionen forderten US -Bürger die Abschaffung der letzten Reste eines Ausländerwahlrechts.389 In einer Zeit zunehmender Innerlichkeit reichte das äußerliche Verhalten des Bürgers nicht mehr aus. Es kam auch auf seine Gesinnung an. Dabei wird erneut die Disziplinierungsfunktion der Wahlen deutlich, weil sie Abweichler dingfest machten. Zwar wurden die Spielräume für Individuen immer größer, doch zugleich tolerierte die nationale Mehrheitsgesellschaft gewisse Grenzüberschreitungen nicht mehr. Die letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts waren nicht nur die Zeit des Kampfes

387 Tindall/Shi, America, S. 638. 388 Geulen, Rassismus, S. 78. 389 Petitionen von 1892–1895, RG 46, Sen 53A-J18.

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um das Wahlrecht der Afroamerikaner, es war auch die Zeit des Kulturkampfes in Deutschland, der Sozialistengesetze und der Unterdrückung anderssprechender Minderheiten in Preußen.

Identifizierung von Abweichlern Dank der Wahlen in Preußen gelang es den Behörden und den konservativnationalistischen Kräften immer wieder, Personen dingfest zu machen, die bisher unverdächtig geblieben waren. Der Stadtkämmerer Roman Pajzderski aus der Provinz Posen etwa war den Behörden »in politischer Hinsicht bisher nicht agitatorisch« aufgefallen.390 Die Wahlen aber entlarvten ihn, und zwar wegen seiner Nichtteilnahme.391 Gerade in den gemischtsprachigen Gebieten Preußens, wo man versuchte, eine Germanisierung durchzusetzen, achteten die Beamten und nationalgesinnte Mitbürger darauf, ob die Deutschsprachigen auch »deutsch« wählten.392 Zu den umtriebigen Gesinnungsforschern gehörten in Preußen neben der Obrigkeit die Arbeitgeber. Bei den geheimen Reichstagswahlen war dies nicht einfach. Manche Unternehmer versuchten, ihre Arbeiter über ein Versprechen zu disziplinieren, wie der Breslauer Porzellanmanufakturbesitzer Egmont Tiesch. Als er 1888 wegen Wahlmanipulation vor den Untersuchungsausschuss des Reichstags zitiert wurde, erklärte er freimütig, er habe per Aushang in seiner Fabrik bekannt gegeben, dass Sozialdemokraten sofort entlassen werden würden, und seine Arbeiter hätten ihm »hoch und theuer« versichert, keine Sozialdemokraten zu sein.393 Noch berühmter und berüchtigter als die Gesinnungsforschung der Arbeitgeber freilich war die bereits erwähnte Gewissensforschung des katholischen Klerus. In den USA war all das direkter: Männer bekannten sich lautstark zu ihren Parteien, prügelten sich und erhielten im Gegenzug Alkohol und, wenn sie zum harten Kern gehörten und die Sache zu ihrem eigenen Geschäft gemacht hatten, Geld oder einen Posten. Spätestens seit dem Bür-

390 Landrat, Kreis Wirsitz, an Regierungspräsidenten in Bromberg, 29. 11. 1904, XVI . HA Rep. 30, Nr. 700, 1901–1911, GStA PK . 391 Bromberger Tageblatt, 13. 11. 1904, XVI . HA Rep. 30, Nr. 700, 1901–1911, GStA PK . 392 Vgl. etwa Königliche Kreis-Schul-Inspektion an Königliche Regierung, Abteilung für Kirchen- und Schulsachen zu Bromberg, 14. 12. 1885, u. weitere Akten in XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 18. 12. 1885–21. 8. 1919, GStA . 393 Zitiert nach Anderson, Lehrjahre, S. 253.

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gerkrieg bekamen auch amerikanische Wahlen den Charakter eines ernsthaften Glaubensbekenntnisses. Während des Krieges verlangten die Wahlvorsteher der Unionisten einen Treueschwur von einem Mann, bevor er wählen durfte. Oft tauchten Unionstruppen bei den Wahlen auf und sorgten für ein regierungsfreundliches Wahlergebnis.394 Der Wahlaufseher L. G. Witt berichtete, dass ihm einige Offiziere der Unionsarmee für einen Wahlgang während des Bürgerkriegs eine Liste mit siebzig Namen von Männern gegeben hätten, die nicht wählen dürften; würden sie es dennoch tun, seien sie tote Männer, und er, Witt selbst, müsse auch mit seinem Tod rechnen.395 Die andere Partei zu wählen, das war keine Frage der Prügelei und der Trinkfestigkeit mehr, sondern eine hochemotionale Affäre. Die Anderen waren zu Verrätern geworden. Da es auf die innere Haltung ankam, wurde nicht nur bei den Unionstruppen häufig der Schwur eingesetzt. Bei religiösen Gruppierungen wie den Mormonen erzielte der Eid eine besonders starke Wirkung, weil sie nicht gegen ihr Gewissen schwören konnten. Registraturlisten zeugen davon, wie sich Wahlen zum Gesinnungstest entwickelten. Neben den Namen des Wählers wurde seine Haltung verzeichnet: »loyal«, »neutral«, »sieht sich als loyal«, »hat auf beide Seiten Eide geschworen« etc.396 Als die Unionstruppen 1867 in South Carolina einmarschierten, führten sie eine Registratur durch, mit deren Hilfe sie Rebellen (wie die Konföderierten genannt wurden) von der Wahl ausschlossen. Die Listen (die in dreifacher Ausführung der Verwaltung vorgelegt werden mussten) geben neben dem Namen den Grund für eine mögliche Ablehnung und vermerken, ob jemand für die Wahl akzeptiert oder abgelehnt sei. Bei Thomas Crymes notierten die republikanischen Registrateure, er sei freiwillig an der »Rebellion« beteiligt gewesen, und bei W. H. Clement notierten sie, dieser habe den Rebellen Pferde gegeben. Als weiterer Ausschlussgrund galt: »War vor dem Krieg und während des Kriegs Angestellter des Zivilgerichts« oder »Mitglied der Legislative vor dem Krieg«.397 Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass vom Ausschluss tatsächlich nur »wenige Tausend [weiße] Männer« betroffen waren, wie die Forschung vermutet, zumal insgesamt nur 10 Prozent der Gesamtbevölkerung wahlberech394 395 396 397

Bensel, Ballot Box, S. 217–225 u. 282–285. Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 174f. Bensel, Ballot Box, S. 223. Voter registrations reported to the military government, 1867–68, S213102, SCDAH .

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Abb. 29 »Voter registrations reported to the military government«. Seit dem Bürgerkrieg interessierte sich die Obrigkeit für die Gesinnung des Wählers. Hier geht es um die Gesinnung der weißen Südstaatler, die als Anhänger der Demokratischen Partei von der republikanischen Regierung teilweise ausgeschlossen wurden. Image provided by the Carolina Department of Archives and History

tigt waren. Zudem gingen die Weißen zwar oft aus Protest nicht wählen, aber sie wollten sich durchaus registrieren lassen, um damit ihre Wahlabstinenz hervorzuheben.398 Die Registraturunterlagen zeigen, dass sich die Ausschlussgründe willkürlich auslegen ließen.

Wahlen bei den Mormonen in Utah Ausdruck der wachsenden Innerlichkeit und des Bedürfnisses nach Gewissensforschung war auch der Konflikt des Nationalstaates mit den Mormonen um deren polygame Lebensweise. Dieser Vorgang, der zugleich eine eindrucksvolle Geschichte nationaler Disziplinierung erzählt, war nicht denkbar ohne die wachsende Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die trotz aller Gegenkräfte einen effizienten Rechtsstaat und föderale Reformen einforderten. Frauen, die in diesen Strömungen eine entscheidende Rolle einnahmen, verstärkten den Chor derer, die nach Recht und Ordnung rie398 Foner, Reconstruction, S. 272–278 und 323f.; Keyssar, Right to Vote, S. 104; vgl. auch Bensel, Ballot Box, S. xiv f.

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fen, womit sie auch ganz entscheidend zu disziplinierteren Männlichkeitskonzepten beitrugen. 1874 etwa wurde die Woman’s Christian Temperance Union gegründet. Etliche der engagierten Frauen zogen seit den 1860er Jahren mit einem brisanten Thema durch die USA : Mit scharfen Worten und pikanten Details prangerten sie die vermeintliche Versklavung durch die Institution der Polygamie und die sexuellen Übergriffe von Kirchenführern der Mormonen an.399 1879 verkündigte Präsident Rutherford B. Hayes in einer Rede vor dem Kongress das Ziel, der Polygamie in Utah ein Ende zu setzen.400 Schon früher hatte die Obrigkeit die sexuelle Orientierung und gesellschaftliche Isolation der Glaubensgemeinschaft als problematisch erachtet. 1862 hatte Washington den Morrill Anti-Bigamy-Act erlassen, der jedoch keine praktischen Konsequenzen hatte. Als weitere Maßnahme installierten die Gegner der Polygamie im Territorium Utah (das noch kein Staat war) das Frauenwahlrecht, in der Hoffnung, mit den Stimmen der unterdrückten Gattinnen die führende Position der Kirche untergraben zu können. Der Kirchenführer Brigham Young erkannte die Chance und unterstützte den Vorschlag, da er fest mit der Loyalität der Frauen rechnete. So setzte die Regierung in Utah bereits 1869/70, wenige Monate nach Wyoming, das Frauenwahlrecht durch.401 Die Rechnung des Mormonen Young ging auf, und das Frauenwahlrecht zeigte bei der Bekämpfung der Kirche ebenso wenig Wirkung wie das Gesetz von 1862, zumal die Wahlen hier ebenso wenig geheim waren wie in anderen US -Bundesstaaten. Doch nach dem Bürgerkrieg wollte sich die amerikanische Mehrheitsgesellschaft nicht mehr mit diesen Abweichungen abfinden. Der Lebensstil der Mormonen galt als »eines der widerwärtigsten Makel, die auf dem guten Namen unseres großartigen Landes lasten«, und als »chronische Rebellion gegen das Gesetz und die Autorität dieser großartigen Nation«, wie es im Schreiben eines Bürgers an den US -Präsidenten hieß.402 Die Polygamie war also womöglich nicht nur ein vorgeschobener Grund, um politische Ziele durchzusetzen, wie einige Historiker vermuten.403 Sexuelle Abweichungen empfanden die Menschen im letzten Drittel des Jahrhunderts 399 Gordon, Polygamy, S. 815–819 400 Hayes’ Third Annual Message, 1. 12. 1879, in: http://www.presidency.ucsb.edu/ws/ ?pid=29520 [20. 11. 2015]. 401 Gordon, Polygamy, S. 285f.; Dinkin, Before Equal Suffrage, S. 107. 402 Brief, ohne Absender, an US -Präsident Garfield, Manhattan (Kansas), 18. 3. 1881, RG 48, E 348, NARA . 403 Powell, Mormon Disfranchisement, S. 300f.; Groberg, Mormon Disfranchisements.

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als zutiefst verstörend, Homosexualität wurde nun gesetzlich gebannt.404 Nicht zuletzt durch die öffentlichkeitswirksame Bekämpfung entwickelte sich die Mehrehe zu einer brisanten Staatsangelegenheit. Hinzu kam, dass die Polygamie nur der markanteste Ausdruck der mormonischen Nonkonformität und Abschottung war: Wohl aus schierer Fremdenfeindlichkeit hatten 1857 Mitglieder der Glaubensgemeinschaft in einem regelrechten Massaker durchziehende Siedler ermordet.405 Die Gläubigen wollten unter sich sein, wo alles der theokratischen Herrschaft diente, auch die Ökonomie und die Politik.406 In einer Denkschrift gegen die Mormonen bezogen sich die Andersgläubigen in Utah 1882 auf Werte, die sich immer mehr als nationale Identität herauskristallisierten: Die Kirche der Mormonen »zerstört die Freiheit des Bürgers, indem sie sich das Recht anmaßt, sein politisches Handeln zu diktieren und seine Stimmabgabe zu kontrollieren.« Und so forderten die Autoren, »die Nation selbst auf, ihre Autorität über Utah wiederherzustellen«.407 Auch die kämpferischen Frauen der Reformbewegung erklärten, die Nation müsse gegen die Polygamie mit dem »Dynamit des Gesetzes« vorgehen.408 Der Abscheu vor den Mormonen war – anders als das Wahlrecht der Afroamerikaner – ein Thema, das die Nation vereinte und in ihrer Gesamtheit mobilisierte. Bezeichnenderweise aber wurde ein Umstand kaum ins Feld geführt: die von den Mormonen manipulierten Wahlen in Utah. Die Wahlpraktiken in den USA waren noch immer so wild, unreguliert und vielfältig, dass sich die oben beschriebenen Wahlfälschungen bei den Mormonen (Kap. 2.3) nicht für eine Empörungskampagne eigneten. Lediglich die nicht mormonischen Bürger Utahs beschwerten sich. Sie berichteten, dass nahezu alle Nichtmormonen durch die mafiösen Strukturen ihres Wahlrechts beraubt würden, während die zahlreichen, zum Teil ausländischen

404 Burrows/Wallace, Gotham, S. 797. 405 Es handelt sich dabei um das Mountain Meadows massacre. 406 Office of the Utah Commission, Chairman Alex. Ramsey und Henry M. Teller, An Secretary of the Interior, Washington, D. C., Salt Lake City, 17. 11. 1882, RG 48, E 348, NARA ; vgl. Memorial of the Non-Mormon People of Utah (Central Committee of the Liberal Party of Utah Territory), Utah, 28. 11. 1882, RG 48, E 348, NARA . 407 Memorial of the Non-Mormon People of Utah (Central Committee of the Liberal Party of Utah Territory), Utah, 28. 11. 1882, RG 48, E 348, NARA . 408 So Kate Fields, zitiert nach: Gordon, Polygamy, S. 816.

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Ehefrauen im Namen des »Citizen Lord« wählen durften.409 Zeugen beschrieben den Wahlakt als einen Ritus der Unterwerfung, der nichts mit freien Wahlen zu tun hatte und häufig zu Wahlergebnissen von über 95 Prozent führte.410 Auch hier dienten Wahlen also dazu, loyale Gesinnung zu zeigen und Eliten zu bestätigen. 1882 erließ der Kongress erneut ein Gesetz gegen die Polygamie der Mormonen, den Edmunds Act.411 Diesmal sollte das Recht durchgesetzt und die Mormonen auf Linie gebracht werden. Wie aber konnte die Staatsmacht ihr Ziel erreichen bei einem solch delikaten Thema, das in den Intimbereich der Bürger eindrang? Für die Regierung war die Antwort klar: Mithilfe der Wahlen sollten die Polygamisten exkludiert werden. Washington konnte dabei zwei Elemente moderner Wahlen nutzen. Erstens ermöglichten Wahlen den Zugriff auf das Individuum, weil das Individuum in Kommunikation mit dem Staat tritt. Zweitens sind Wahlen der Zugang zur Macht, und wer von der Wahl ausgeschlossen wird, verliert Macht. Zur Durchsetzung des Edmunds Act ernannte der US -Präsident fünf Staatsangestellte aus Washington als Mitglieder der »Registrierungs- und Wahlbehörde«, die dann allgemein Utah Commission genannt wurde. Obwohl der Kampf gegen die Polygamie vor allem eine Angelegenheit der Republikaner war, die darauf hofften, dass das Territorium republikanisch dominiert als Staat etabliert werden konnte, wurde doch Wert darauf gelegt, dass die Mitglieder der Kommission ausgewogen aus beiden Parteien kamen.412 1882 reiste die Kommission nach Utah und sorgte zunächst dafür, dass sämtliche gewählten Vertreter im Utah Territory abgesetzt wurden und Neuwahlen stattfanden. Im Zentrum der Disziplinierungsmaßnahmen für eine Neuordnung stand dann wie so häufig in den USA die Wahlregistra-

409 Bürger aus Utah 28. 2. 1878, RG 60, E 56, Box 1020, Letters Received, Source Cron. Files, 1871–84, Utah, NARA ; vgl. auch Memorial of the Non-Mormon People of Utah (Central Committee of the Liberal Party of Utah Territory), Utah, 28. 11. 1882, R 48, E348, NARA ; vgl. auch die Unterlagen in RG 60, E 56, Box 1020, Letters Received, Source Cron. Files, 1871–84, Utah, NARA . 410 Bensel, Ballot Box, S. 212–216; Gordon, Polygamy, S. 828, Gordon hält den Begriff »Theodemocracy« für passend (S. 827); doch mit Demokratie hatte diese Regierungsform wenig zu tun. 411 Firmage, Free Exercise, S. 287–313; Phipps, Marriage and Redemption. 412 Helen McCann White, The Alexander Ramsey Papers and Records, Minnesota Historical Society. St. Paul 1974, http://www2.mnhs.org/library/findaids/m0203.pdf [21. 11. 2014]; »The Commission Appointed«, The Worthington Advance, 29. 6. 1882.

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tur, die – streng überwacht von der Utah Commission – verhindern sollte, dass ein Polygamist das aktive oder das passive Wahlrecht erhielt.413 Zunächst ging die Kommission davon aus, dass etwa 10000 Wähler von der Wahl ausgeschlossen würden, dafür jedoch zahlreiche Nichtmormonen ihre Stimme abgeben könnten.414 Die Kommissionsmitglieder nutzten den Schwur, um die Rechtmäßigkeit des Wählers bei der Registratur festzustellen. Der Wähler oder die Wählerin musste darin versichern, keine Polygamie oder Bigamie zu praktizieren oder ungesetzlichen Beischlaf zu betreiben.415 Der weite Begriff des ungesetzlichen Beischlafs (»unlawful cohibition«) wurde deswegen angeordnet, weil einige der führenden Kirchenmänner sich für berechtigt hielten, Sex mit Ehefrauen anderer Männer zu haben.416 So gelang es den Männern aus Washington 1882, sogar 15000 Polygamisten von den Wahlen auszuschließen, was bei einer Gesamtbevölkerung von 144000 eine beträchtliche Anzahl war.417 Doch das Niederringen der Mormonen blieb ein zähes Unterfangen. Noch immer gab es eine Mehrheit von wahlberechtigten Kirchenmitgliedern, die den Mormonen-Kandidaten wählten.418 Außerdem wehrten sich die Mormonen in Utah – ebenso wie ihre Glaubensgenossen in Idaho und Nevada – mit Eingaben nach Washington und mit juristischen Klagen.419 413 Office of the Utah Commission, Chairman Alex. Ramsey und Henry M. Teller, An Secretary of the Interior, Washington, D. C., Salt Lake City, 17. 11. 1882, RG 48, E 348, NARA ; vgl. auch Utah Commission, wohl an Regierung in Washington, Salt Lake City, 26. 9. 1882, R 48, E 348, NARA . 414 Report of the Utah Commission, Salt Lake City, 31. 8. 1882, R 48, E 348, NARA . 415 Utah Commission, Chairman Alex. Ramsey und Henry M. Teller, An Secretary of the Interior, Washington, D. C., Salt Lake City, 17. 11. 1882, u. Rules and Regulation for the revision of the registration lists and the conduct of the election, 7. 11. 1882, NARA R 48, E 348, NARA . 416 Ehemalige Frauen der LDS -Kirche hatten in der Anti-Polygamie-Kampagne davon berichtet; die Kirche hat mittlerweile die Praxis eingeräumt: Kirchenführer hätten bereits verheiratete Frauen geehelicht (»It’s Official: Mormon Founder Had Up to 40 Wives«, NY T, 10. 11. 2014). 417 Alex. Ramsey [Chairman Utah Commission], Utah Commission, 24. 8. 1883, R 48 E348, NARA ; vgl. auch Ramsey und Henry M. Teller, Office of the Utah Commission, Salt Lake City, 17. 11. 1882, R 48, E 348, NARA . 418 Memorial of the Non-Mormon People of Utah (Central Committee of the Liberal Party of Utah Territory), Utah, 28. 11. 1882, R 48, E 348, NARA . 419 In Idaho und Nevada, wo es einige Landkreise mit einer mormonischen Mehrheit gab, mussten die Wähler unter Eid versichern, keiner Organisation anzugehören, die Polygamie unterstütze (Powell, Mormon Disfranchisement; Powell, »Not Fit to Enjoy the Voting Franchise«).

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Auf die republikanische Rhetorik setzend erklärten sie, sie repräsentierten die Mehrheit und damit das Volk. »Überall zeigt die Erfahrung«, hieß es in einem Appell an die Regierung in Washington, »dass die Vertreter einer imperialen Regierung, die in eine abgelegene Provinz entsandt werden, um die örtlichen Angelegenheiten zu regeln, durchweg die Einheimischen ausplündern und unterdrücken.«420 Der Edmunds-Tucker Act von 1887 sollte dann der Polygamie den letzten Stoß versetzen. Das Gesetz griff in die Organisations- und Besitzrechte der Kirche ein, stärkte die Macht der Kommission und widerrief das Frauenwahlrecht, was von einer breiten Öffentlichkeit in den USA begrüßt wurde.421 Rund 1300 Männer wurden aufgrund der neuen Gesetze zu Gefängnisstrafen verurteilt. Den Mormonen wurde nun klar, dass sie entweder auf die Polygamie verzichten und die Macht behalten konnten oder fremdbestimmt werden würden. 1889 dann berichtete die Utah-Kommission nach Washington: »Niemand, der in Mehrehe lebt, hat die Erlaubnis erhalten, bei irgendeiner Wahl abzustimmen oder für irgendein Amt gewählt zu werden.«422 1890 distanzierte sich die Kirche offiziell von der Polygamie. 1896 löste sich die Kommission auf, und Utah wurde ein Staat der USA . Der Fall der Mormonen ist ein weiteres Beispiel für das Problem moderner Herrschaft, auf der einen Seite die Zentralgewalt durchzusetzen, auf der anderen Seite aber Demokratie zu ermöglichen. Hier wird erneut deutlich, wie beliebig sich der Begriff »Demokratie« interpretieren ließ, wie wenig Mehrheiten unter Umständen zählten – und wie vielgestaltig sich das Wahlrecht für Disziplinierungszwecke nutzen ließ.

420 An Appeal For Justice. An Eminent Jurist on Utah Affairs. Judge Black’s Address to the Government, 25. 10. 1882, R 48, E 348, NARA ; vgl. zu den Klagen weitere Unterlagen in der Akte, außerdem: Powell, Mormon Disfranchisement, S. 304; Powell, »Not Fit to Enjoy the Voting Franchise«. 421 Gordon, Polygamy, S. 830f. 422 An Deputy of the Interior, Washington, D. C., Subject: The Utah Commission, Salt Lake City, 24. 8. 1889, R 48, E 348, NARA .

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Korruption und Mord bei amerikanischen Wahlen Um die Wahlmanipulationen in Preußen besser einschätzen zu können, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Korruptions- und Fälschungspraxis in den Vereinigten Staaten. Die Möglichkeiten gouvernementaler Wahlmanipulationen in den USA waren zwar beschränkt, aber keineswegs harmlos, wie das Beispiel der Mormonen zeigt oder wie die Eingriffe der Republikanischen Partei verdeutlichen, die als Regierungspartei immer wieder massiv in das Wahlgeschehen eingriff. Doch im Vergleich zu den Korruptionen und Fälschungen auf lokaler Ebene, die vor allem durch Mafia-Organisationen wie Tammany betrieben wurden (und ebenfalls häufig an Parteien gekoppelt waren), erweist sich die deutsche gouvernementale Manipulation als eher bescheiden. Schätzungsweise ein Fünftel der abgegebenen Stimmen in New York (aber auch in anderen Großstädten wie Chicago oder Pittsburgh) waren in den Jahren vor dem Weltkrieg gefälscht, manche Wissenschaftler halten 50 Prozent für wahrscheinlicher.423 Die Skandalisierung der Korruption hatte schon vor dem Bürgerkrieg eingesetzt, und nun, nach dem Krieg, kämpften immer mehr Reformer für faire Wahlen und setzten dafür zahlreiche Gesetze und Regulierungen durch. Im Wahllokal musste demnach von beiden Parteien je ein Vertreter anwesend sein. Ihnen zur Seite standen die Polizisten, die auf ihr Geheiß hin Wahlbetrüger verhaften sollten. Die neuen Urnen sollten Fälschungen verhindern: Sie bestanden aus durchsichtigem Glas. Das alles half jedoch nichts, wenn die Männer sich bei der Korruption einig waren oder in einem unbeobachteten Augenblick nach der Wahl die Urnen austauschten oder gar »entführten«.424 »Gestohlene Urnen, im Fluss schwimmende Urnen, gefälschte Auszählungsergebnisse, Wähler, die unter dem Namen anderer Wahlberechtigter mehrfach wählen

423 Llanque, Tammany Hall. 424 G. W. Murray, Z. D. Green Attorney to the County Boar of Canvassers for the Election of Federal Officers, In the matter of Congressional Election of the 7th South Carolina District am 8. 11. 1892, SCDAH ; S. W. Hawkins, US Mar., Memphis, Tenn., 18. 6. 1889, RG 60, Entry 54, 4728/ Year 1889, Box 417, NARA ; US Attorney, Western Dist. Tenn., an W. H. H. Miller, Attorney-General, Washington D.C., Memphis Tenn., 20. 1. 1890, u. Zeitungsausschnitt aus Memphis Commercial, 27. 5. 1891, RG 60, Entry 54, 4728, year 1889, Box 417, NARA .

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gingen – das waren unübersehbare Missstände bei Wahlen in New York City«, klagte eine Zeitung.425 1892 hieß es in einer Wahlbeschwerde in South Carolina: »Die folgenden unbestreitbaren Fakten haben mich zu dem Schluss kommen lassen, dass die Urnen für die Kongresswahlen in die Hände von Kleptomanen gefallen sind.«426 Von den New Yorker Wahlen zum Richteramt berichtete die Sun: »Das System des repeating und des ballot-box stuffing wurde in größerem Ausmaß als je zuvor angewendet.«427 Das repeating wiederum, das wiederholte Wählen, und das box stuffing (das Auffüllen der Wahlurnen vor der Wahl mit den erwünschten Stimmzetteln) gehörten zu den amerikanischen Massenwahlen im 19. Jahrhundert wie Prügeleien und Alkohol und hatten eine ebenso lange Tradition.428 »Jeder, der wollte, konnte wählen, und konnte so oft wählen, wie er wollte – vorausgesetzt, dass er ein Nichtsnutz oder ein Rowdy war«, beschrieb ein Auswärtiger die Wahlen in New York in den 1850er Jahren.429 Ein Untersuchungsausschuss berichtete von den Wahlen 1868 in New York, wie sich am Tag der Registratur gekaufte Männer im Hauptquartier von Tammany trafen, mit Namen und Nummern ausgestattet wurden und unter einem Anführer in kleinen Gruppen 425 »We Want No Tammany Election Thefts Here«, Zeitungsausschnitt, o. A., 28. 9. 1916, Presidential Elections 147, NARA ; vgl. zu gestohlenen und entführten Urnen Telegramm B. W. Walker, U.S. Marshal, Mid Alabama, to Attorney Gen, 9. 11. 1892, RG 60, Entry 72, 1629–1890, Box 463, D. J. Central (Year) Files, NARA ; Brief an Attorney General W. H. H. Miller, Washington, von United States Attorney, Huntington (Tenn.), 25. 8. 1890, u. weitere Unterlagen von 1890, RG 60, E 54, 4728, Year 1889, Box 417, NARA . 426 G. W. Murray, Z. D. Green, Attorney, to the County Board of Canvassers for the Election of Federal Officers of the County aforesaid, 8. 11. 1892, S 155013–1, Minutes of the State Board of Canvassers, Election Commission, SCDAH . 427 »Hired Repeaters Crowding out Thousands of Voters«, The Sun, 18. 5. 1870. 428 The Memorial of Benjamin J. Taylor u.a., ca. 1850, S165015, Petitions, ND No. 3993, SCDAH ; Protokolle zur Zeugenvernehmung, Dept. of Justice, Western Tenn., 22. 11. 1889, RG 60, Entry 54, 4728, 1889, Box 417, NARA ; Briefe in RG 60, Entry 56, General Records of Dept. of Justice, Letters Received from Mississippi, 1871–1884, NARA ; Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 181; Berichte an Attorney General Charles Devens von Mackey, Charleston, 8. 1. 1879, GR 60, Entry 56, Letters Received by the Dept. of Justice from South Carolina, 1871–1884; U.S. Marshal D John M. Dunn an William, Atty. Gen., Wilmington, 19. 1. 1874, RG 60, E 56, Box 649, Letters Received, Source Chron. Files, 187, NARA . 429 14. 10. 1851, zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 113; vgl. zur enforcement von fairen Wahlen: Bellinger, Compilation, S. 170; »How Justice Hogan Was Spiked«, The Sun, 18. 5. 1870.

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ausströmten, um sich vielfach registrieren zu lassen, und am Wahltag – unter starkem Alkoholeinfluss – entsprechend oft zu wählen.430 In den 1880er Jahren warf ein Politiker den Demokraten im Süden vor, dass sie die Wahlen vollständig kontrollieren, und »den größten Teil des Tages damit verbrachten, alle Hunde, Schweine und Maulesel auf ihren Plantagen namentlich zu wählen«.431 Andererseits halfen manche der US Deputy Marshals in ihrem Amt republikanischen Wählern, ihre Stimmen mehrfach abzugeben.432 Kein Wunder, dass die Mehrfachwähler seit dem Bürgerkrieg zu den beliebten Figuren in politischen Satiren gehörten und zum schlechten Image von Parteien und Parlament beitrugen.433 Oft steigerten Parteien ihre Stimmenanzahl nicht durch zusätzliche Zettel, sondern durch die »Produktion« von Wählern. Bereits 1838 hatten die New Yorker Whigs die pipe-laying-Methode erfunden, in der Arbeiter aus Pennsylvania zum »Rohrverlegen« nach New York gebracht wurden, um für die Whigs ihre Stimme abzugeben.434 Diese Praktiken intensivierten sich in den kommenden Jahrzehnten. Außerdem wurden öffentliche Bauaufträge immer entscheidender, weil diejenigen, die über die Arbeiter bestimmten, sie als Stimmvieh nutzen konnten.435 In dem kleinen Südstaatenstädtchen Plaquemine am Mississippi tauchte am Wahltag plötzlich ein Dampfschiff mit 150 fremden Personen auf. Unter den Anweisungen eines demokratischen Parteimanns marschierten sie im Gänsemarsch zum Wahllokal. Dort erklärte der Anführer, diese Männer hätten in ihrem Heimatort nicht wählen dürfen und sollten das nun ganz rechtmäßig nachholen. Zeugen berichteten später, die Wähler seien Ausländer gewesen, darunter, wie sich heraus stellte, exilierte Verbrecher aus Württemberg.436 430 House Rep. on election frauds in NY, 40–44, 1868, zitiert nach Harris, Registration of Voters, S. 319. 431 Zitiert in: Barnes, Southern Independents, S. 233. 432 Argersinger, New Perspectives, S. 686. 433 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 226. 434 Summers, Plundering Generation, S. 57; vgl. zur Tradition der Fälschungen auch Campbell, Deliver the Vote, S. xvi; Proceedings of the Board of Aldermen, 18. 11. 1844, NYCMA ; Fredman, Australian Ballot, ix; Giles-Flagg contested election, 1855–1856, Tilden papers, Box 47, Fold. 1–5, NYPL . 435 Summers, Plundering Generation, S. 57. 436 Report of the Special Committee appointed by the House of Representatives, Louisiana, u. Zeugenaussage von Philemon, o. D., 1845, RG 46, SEN 28A-D7, Box 20, Fold. 10, u. weitere Unterlagen aus den 1840er Jahren in dieser und in folgender Akte: RG 46, SEN 28A-D7, Box 20, Fold. 10, NARA .

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Die Einbürgerung von Fremden kurz vor den Wahlen erwies sich als eine der beliebtesten Manipulationstechniken der Parteien.437 In New York richteten die Parteien in Downtown vier Wochen vor der Wahl Einbürgerungsbüros ein, in denen sie Migranten zur Annahme der Staatsbürgerschaft drängten und ihnen die dafür anfallenden Gebühren von zwei Dollar bezahlten.438 Die Offenheit gegenüber Migranten ist bemerkenswert und kennzeichnete die Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Selbst der einfachste Einwanderer aus Osteuropa, selbst ein hungriger Ire oder verarmter Jude, der kein Englisch sprach und eben erst den Boden der neuen Welt betreten hatte, war willkommen und umworben. Doch seit der Jahrhundertmitte vermehrten sich die Klagen, dass dadurch unzählige Männer im Schnellverfahren das Bürgerrecht erhielten, denen es eigentlich gar nicht zustünde.439 Durch den massiven Anstieg der weißen Wählerschaft gerieten zudem die Afroamerikaner ins Hintertreffen. Wo sie eventuell eine republikanische Mehrheit gehabt hätten, konnten ihre Stimmen durch gezielte Einbürgerung marginalisiert werden.440 Im Wahljahr 1868 wurden über 41000 Menschen in New York eingebürgert, davon allein im Monat vor der Wahl knapp 19000. TammanyRichter McCunn verlieh an einem einzigen Tag mehr als 2100 Männern die Staatsbürgerschaft.441 In der Zeit nach dem Bürgerkrieg war ein geschätztes Drittel der demokratischen Wähler in New York im Ausland geboren worden.442 Typisch war der Fall einiger Dutzend Italiener und Polen, die 437 Winthrop Hardon, Attorney and Counselor at Law, New York, an Albert S. Bard, Esq., 25 Board Street, New York, 9. 11. 1805, Bard Papers, 1896–1959, Honest Ballot Assn. Ballot Reform, 1899–1912, Box 62, Fold. 3, NYPL ; »Ballot Fraud Charges Stir Convention«, American, 3. 6. 1915; Bensel, Ballot Box, S. 156–166. 438 Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 90; Quigley, Acts of Enforcement, S. 276. 439 Memorial, McLean, 23. 12. 1823, u. weitere Unterlagen in der Akte, NYC Common Council Papers, Box 90, Fold. 1863, Elections 1824, NYCMA ; Unterlagen in RG 46, 28A-D7, Box 17, Committee on the Judiciary, NARA ; Select Committee of the House of Representatives, Lafayette, Louisiana, 1844, in: Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 92; Petitionen, 1892–1895, RG 46, Sen 53A-J18; Quigley, Acts of Enforcement, S. 279; generell die Darstellungen in Davenport, Election and Naturalization Fraud. 440 Vgl. etwa W. J. Lunt an Prescott, Chairman Rep. City Cou. Biddeford, Maine, 21. 8. 1890, RG 60, Entry 72, 8616–1890, Box 510, D. J. Central (Year) Files, folded, NARA . 441 Fredman, Australian Ballot, S. 25; Burrows/Wallace, Gotham, S. 514 u. 927; Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 135. 442 Burrows/Wallace, Gotham, S. 514.

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zum Großteil nur Italienisch oder Jiddisch sprachen und 1890 kurz nach ihrer Einwanderung in einem Schwung eingebürgert wurden. Wahrscheinlich wunderten sie sich, als man sie wenig später drängte, an einer Wahl teilzunehmen und ihnen dafür einen Stimmzettel in die Hand drückte. Und sie werden doppelt erstaunt gewesen sein, als sie sich nach den Wahlen mit einem Dolmetscher vor Gericht in einem Wahlfälschungsprozess wiederfanden.443

Verhaftungen als Wahlmanipulation Gerne griffen Parteien auch zum umgekehrten Mittel. Sie produzierten nicht Wähler, sondern verhinderten gegnerische Stimmen. Das ließ sich für diejenige Partei besonders gut bewerkstelligen, die gerade an der Macht war und – davon war bereits die Rede – missliebige Personen einfach verhaften konnte.444 Verhaftungen gehörten so selbstverständlich zu den Wahlen, dass sie in dem erwähnten Abkommen zwischen den nationalen Truppen und den lokalen New Yorker Kräften bei den Wahlen 1870 explizit vor der Wahl verboten wurden, egal, was einer verbrochen hatte.445 Generell aber durften Staatsdiener, die zur Durchsetzung der nationalen Wahlgesetze ihr Amt ausübten, Wahlbetrüger gefangen setzen. Schließlich sollten Verhaftungen dazu dienen, Wahlbetrüger aus dem Verkehr zu ziehen.446 Die Tammany-Leute in New York erklärten die Festnahmen zu einem Teil der zentralstaatlichen Schikanen aus Washington – falls sie nicht selbst Verhaftungen vornahmen.447 Festnahmen wurden nach dem Bürgerkrieg auch ausgiebig zur Ausgrenzung der Afroamerikaner genutzt. Während der Registratur und 443 Emigrant Inspector Th. F. Lee an US Dist. Atty. H. S. White in Jersey City, Newark, 27. 12. 1890, u. weitere Unterlagen in der Akte, RG 60, Entry 72, 9321–1890, Box 516, D. J. Central Files (Year), folded, NARA . 444 Vgl. etwa E. B. Seller, US Attorney, Indiana, to Dept. of Justice, Garland, Attorney General, 21. 11. 1888, RG 60, E72, D. J. Central Files Year Files, Folded, 9050–1888, Box 383, NARA ; Wickershams Brief nach Washington vom 27. 1. 1890, RG 60, E 72, 1629–1890, Box 463, Dept. of Justice, Central (Year) Files, NARA . 445 Telegramm an A. T. Akerman, Washington, ohne Abs., New York, 7. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letters Received, 1809–70, Cont. Nr. 121, Fold.: Southern District of New York (U.S. Marshal) Sept 22, 1869–Nov 26, 1870, NARA ; The State vs. Fargus, 1815 (Bellinger, Compilation, S. 295). 446 Eintrag vom 1. 11. 1844, William Smith, Diary, 1842 Feb. bis 1851 Feb., NYHS . 447 Scott/Lawson, Political Economy, S. 119; Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 46–49.

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während der Wahlen verhafteten die weißen Behörden afroamerikanische Wähler aufgrund aller möglichen Delikte.448 Gefangene konnten unter Umständen auch dazu gezwungen werden, als Mehrfachwähler für die erwünschte Partei zu agieren.449

Manipulationen über die Registratur und die Auszählung Weniger umständlich, aber ebenso effektiv war die Verhinderung der Registratur. Mit dem Abzug der nationalen Truppen 1877 übernahmen in South Carolina die Funktionäre der Demokratischen Partei weitgehend die Registratur und den Wahlakt. Dabei stellten sie Listen von Weißen und Afroamerikanern auf. Die African Americans wurden – anders als die weißen Wähler – mit kritischen Kommentaren versehen, etwa der Anmerkung, wessen Stimmabgabe möglichst verhindert werden sollte (Abb. 30). 1910 schrieb ein reformerischer Journalist, dass sich im Süden kaum noch ein Afroamerikaner zur Wahlregistratur traue.450 Oder man manipulierte einfach die Auszählung. Da sie häufig in der Nacht und unter Alkoholeinfluss stattfand, ließ sich die Stimmenzahl relativ einfach nach Gutdünken verändern. Ein Abgeordneter berichtete 1890 dem Justizminister über die Wahlfälschungen in Montgomery in Alabama: »In diesem Wahlbezirk gaben nur etwa vierzig Personen ihre Stimme ab. Bei der Auszählung wurde eine Liste aufgestellt, nach der 268 Personen abgestimmt hätten.«451 Einschüchterung im Wahllokal Entscheidend war in jedem Fall, dass im Wahllokal Männer bereitstanden, die für Einschüchterung sorgten und auch bei einer geheimen Abstimmung die Wähler unter Druck setzten. In Preußen, wo die Arbeiter eher bedroht als mit Wohltaten gelockt wurden, war diese Präsenz womöglich noch wichtiger. In den USA gab es zwar auch Arbeitgeber, die Wähler mit Entlassungen einschüchterten, doch findet sich dieses Phänomen wesent-

448 City of Charleston Records: Records of the Commissioners of Elections 1877–1879, CCPL ; vgl. auch Buchstein, Geheime Abstimmung, S. 62. 449 Vgl. z.B. Case of Ker Boyce, (Bellinger, Compilation, S. 393). 450 »Negro Suffrage in a Democracy« von Ray Stannard Baker, Atlantic Monthly 106 (1910), S. 616. 451 Duffier, MC , House Rep., to Dept. of Justice, Attorney General Miller, 13. 6. 1890, NARA .

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Abb. 30 Informelle Registraturlisten für die Wahlen in South Carolina. Bald wurden die Wahlen ganz offiziell von der Demokratischen Partei allein beherrscht; List of Voter, Voters’ profile, Darlington County, ca. 1876 Image provided by the South Carolina Department of Archives and History

lich seltener, zumindest hat es in den Quellen kaum Spuren hinterlassen. Die Partei als Verwalterin der Pfründe wiederum spielte für die Disziplinierung eine direktere und ungleich wichtigere Rolle als in Preußen.452 Alkohol war neben Geld das beliebteste Mittel, Bürgern die Stimme abzukaufen. »Whiskey gab es umsonst wie Wasser«, schrieb ein Provinzblatt 1859 über den Wahltag.453 Auch die vielfältigen Möglichkeiten der Wahlkorruption ließen sich im Rausch viel leichter bewerkstelligen. Als Thomas M. Dansby aus Arkansas wegen Wahlbetrugs vor Gericht gestellt

452 Burrows/Wallace, Gotham, S. 574. 453 Zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 72.

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wurde, war vor allem eines klar und wurde von dem Angeklagten auch gar nicht bestritten: dass er am Wahltag wie ein Irrer gesoffen hatte. Das Gericht konnte ihm aber auch nachweisen, dass er afroamerikanische Wähler mit einem Messer bedroht hatte. Als Wahlhelfer hatte er außerdem seinen Kollegen erklärt, ihre Kehlen durchzuschneiden, wenn sie republikanische Stimmzettel bereitstellen würden. Immerhin wurde er schwer bestraft. Der Gesetzgeber fühlte sich von jeher bemüßigt, den Ausschank am Wahltag zu verbieten, was die Wähler jedoch wenig kümmerte.454 Physische Gewalt spielte, wie oben bereits erwähnt, weiterhin eine enorme Rolle. »Farbige Wähler wurden von den Urnen ferngehalten«, hieß es 1870 in einem typischen Telegramm eines Staatsdieners, der im Süden nach dem Rechten sehen sollte, »Demokraten haben die Wahlurnen in Besitz genommen.«455 Als in Louisiana 1872 der Wahlausgang unklar blieb und sich die Afroamerikaner vor dem Gerichtshaus in Colfax versammelten, um die Übernahme durch die Demokraten zu verhindern, kam es zu einem Massaker, in dem etwa 100 Afroamerikaner und drei Weiße starben.456 In South Carolina hielt sich die Democratic Party mit den Rothemden, den Red Shirts, eine militärische Organisation. Sie überzog das politische Leben mit Gewalt und prägte wesentlich die Gouverneurswahlen von 1876, bei der beide Parteien den Wahlsieg für sich beanspruchten. Der republikanische Kandidat Daniel Henry Chamberlain hielt seinen Machtanspruch zunächst mit Bundestruppen aufrecht.457 Doch Gewalt blieb nicht auf den Süden beschränkt. In einem Untersuchungsbericht über die Wahlen vom November 1870 in Camden in New Jersey hieß es, dass die afroamerikanischen Männer, als sie zur Stimmabgabe anstanden, von einem Mob mit Prügeln und Pistolen angegriffen und vertrieben wurden. Am Ende des Tages hätten Rowdys und Wahlbetrüger das Wahllokal mit wohlwollender Zustimmung der Stadthonoratioren unter ihre Kontrolle ge-

454 Vgl. dafür und im Folgenden die Zeitungsausschnitte in Unterlagen US Attorney Water, Arkansas an Dept. of Justice, 2. 4. 1889, RG 60, Entry 72, Dept. of Justice Central Files, Year Files, Folded, 9050–1888, Box 383, NARA ; »Fined Heavily for Disturbing Elections«, New York Tribune, 20. 4. 1889. 455 Telegramm von US -Attorney Anthony Higgins an US -Präsident Grant, Relative to troops to preserve order on Election day, 8. 11. 1870, RG 60, Entry A1 9: Letter Received, Delaware, 1852/70, Con. 78, NARA ; vgl. generell zur Gewalt bei Wahlen Andrews, History of the United States, S. 24. 456 Goldman, Free Ballot. 457 Rable, Violence, S. 132; Edgar, South Carolina.

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Abb. 31 »Going Through the Form of Universal Suffrage. Boss Tweed: ›You have the liberty of voting for any one you please; but we have the liberty of counting in any one we please‹«, 1871. Wahlmanipulation geriet zunehmend in die Kritik: Die Polizei in der Hand der Politmafia. Provided Courtesy HarpWeek

bracht. Abschließend zertrümmerten sie die Wahlurne und zerstörten die Wahlzettel.458 In Philadelphia seien Gewalt und Betrug so verbreitet, dass die Wahlen eigentlich immer mit Ausschreitungen einhergingen, wie 1881 ein US Marshal erklärte. In einigen Wahlbezirken käme es regelmäßig bei den Wahlen zu Mord und Totschlag.459 Am Registratur- und Wahltag stieg generell für Afroamerikaner das Risiko, ermordet zu werden,460 und immer wieder berichteten die US -Juristen, dass die Angst die Afroamerika458 US District Attorney’s Office, Newark, an Akerman, Attorney General, 11. 11. 1870, RG 60, Entry # A1 9, Letters Received: 1809–1870, 1819–1870: NJ , Cont. 112, Fold. NJ , US Attorney, Dec 14, 1844–Dec 7, 1870, Election Frauds, Riot in Camden. NJ Investigation of, NARA ; vgl. Anderson, Practicing Democracy, S. 27. 459 Zitiert nach Argersinger, New Perspectives, S. 684. 460 Vgl. den Bericht Joel W. Bowman an Dept. of Justice, 2. 11. 1882, RG 60, M947–8, Letters Received by the Dept. of Justice from SC , NARA ; Telegramm von New Orleans (Abs. unleserl.) an Washington, 8. 1. 1877 u. weitere Unterlagen in RG 60, Gen. Records of Dept. of Justice, Letters Received by Dep. of Justice from Louisiana, NARA ; US Attorney Gusby [unleserl.], an US Attorney General Akerman, New Orleans, 09. 11. 1870, u. weitere Akten in RG 60, Entry A1–9, Box 96, Letters Received, 1809–1870, NARA .

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Abb. 32 In Deutschland Manipulation durch Druck, ohne direkte Fälschungen. Kommentar im Wahren Jacob zu den deutschen Reichstagswahlen, März 1889 CC- BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Der Wahre Jacob, 70.1889, S. 552.

ner überhaupt vom Wählen abhalte.461 In Deutschland verlor in all den Jahrzehnten bei den Wahlen insgesamt nur eine Handvoll Menschen ihr Leben.462

Grauzonen der Legalität Die meisten Manipulationstechniken bewegten sich in der Grauzone der Legalität. Selbst bei Mord wurden die Weißen vor Gericht immer wieder freigesprochen. Neben dem Ausschank von Alkohol gehörten auch die Bedrohungen der Arbeiter und Afroamerikaner und die manipulierte Wahl461 Vgl. etwa Report of Snyder, Special Assistant and Attorney District of South Carolina, April 1883, No 21, RG 60, Entry 56, M947–7, Letters Received by Dept. of Justice from South Carolina, NARA ; Joel W. Bowman an Dept. of Justice, 2. 11. 1882, RG 60, M947–8, Letters Received by the Dept. of Justice from SC , NARA . 462 Anderson, Lehrjahre, S. 58, vgl. auch S. 57.

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Abb. 33 Aufschrift auf den Wahlurnen. Mit bis zu acht verschiedenen Urnen sah sich der Wähler konfrontiert. Wenn er die Aufschrift nicht entziffern konnte und den falschen Stimmzettel einwarf, war die Stimme ungültig. Schlecht für Analphabeten, die häufig ehemalige Sklaven waren. Image provided by the South Carolina Department of Archives and History

kreiseinteilung, das »Gerrymandering«, zu den halb legalen Manipulationsmitteln. Als besonders raffinierte Form der legalen Manipulation eignete sich die moderne Technik der geheimen Stimmabgabe. Sie entwickelte sich gegen Ende des Jahrhunderts und diente eigentlich dazu, den freien Willen der Wähler zu schützen. Doch gerade in den Südstaaten nutzten die Democrats die geheime Wahl, um die Afroamerikaner auszutricksen. So galt in Alabama das Gesetz, dass die Stimmzettel alle gleich aussehen mussten. Damit konnten die zahlreichen afroamerikanischen Analphabeten nach Belieben betrogen werden. Häufig drückte man ihnen Stimmzettel der Demokraten in die Hand, die als Wahlscheine der Republikaner ausgegeben wurden.463 Der Jurist, der für Washington in Süd-Alabama die Wahlen überwachte, hielt 1890 diese betrügerische Vertauschung (die es übrigens auch bei den Wahlen zum Reichstag gab) in Alabama für die gravierendste Manipulation.464 Überhaupt gestalteten die Democrats im Süden die Wahlen häufig als ein Verwirrspiel, in dem sich die Afroamerikaner nicht mehr zurechtfinden konnten. Sie richteten den Wahlakt so kompliziert und zeitaufwändig ein, dass unmöglich alle Wähler ihre Stimme abgeben konnten.465 Dazu gehörte auch das Multi-Box Law oder Eight Box Law, eine Erfindung, die be463 Wickersham, US Attorney, South Alabama, to Dept. of Justice, 2. 8. 1890, RG 60, Entry 72, 1629–1890, Box 463, D. J. Central (Year) Files, NARA . 464 Vgl. beispielsweise auch den Fall zu den Wahlen in South Carolina am 8. 11. 1892, S 155013–1, Minutes of the State Board of Canvassers, Election Commission, SCDAH ; Anderson, Practicing Democracy, S. 49. 465 Joel W. Bowman an Dept. of Justice, 2. 11. 1882, RG 60, M947–8, Letters Received by the Dept. of Justice from SC , NARA .

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reits vor dem Bürgerkrieg zum Einsatz kam, womöglich schon damals zur Abwehr leseunkundiger Unterschichten: Die Demokraten stellten im Wahllokal für die verschiedenen zu wählenden Ämter je eine Urne auf, die entsprechend beschriftet wurde; geriet ein Stimmzettel in die falsche Urne, galt er als ungültig. Auch im Norden kam diese Methode zum Einsatz. Doch die afroamerikanischen Männer fanden sich immer seltener dazu bereit, die Demütigung des Wahlaktes auf sich zu nehmen.466 In einem typischen Fall in South Carolina verlegten die Demokraten ein Wahllokal vom Gerichtgebäude, in dem sonst die Wahlen stattfanden, in den zweiten Stock eines anderen Gebäudes. Die Ortsänderung wurde nirgendwo angekündigt. Falls die Wähler das Wahllokal dennoch fanden, mussten sie ein enges Treppenhaus hinaufsteigen, was angesichts der immer drohenden Gewalt ein Grund war, den Weg zu meiden.467 In einem anderen symptomatischen Fall waren die Wahlurnen so kompliziert arrangiert und das ganze Setting ebenfalls so intim, dass sich viele Wähler fürchteten, das Wahllokal überhaupt zu betreten. Um von einer Wahlurne zur nächsten zu gelangen, mussten die Wähler durch einen engen Hinterhof und zuletzt auf einem Pfad zwischen Mauer und Zaun das Gelände verlassen. Die Weißen im Süden versuchten zunehmend, ohne die spektakulären Gewaltakte die weiße Vorherrschaft zu sichern. Ein Jurist, den das Justizministerium in Washington nach South Carolina entsandt hatte, berichtete von den Demokraten aus Charleston: »Ihrer Auffassung nach ist es viel einfacher und sieht besser aus, die Neger mit speziellen Maßnahmen von der Registrierung und damit von der Ausübung ihres Wahlrechts abzuhalten, als sie am Wahltag einschüchtern und manchmal sogar töten zu müssen; auch das alte System des ballot box stuffing ist in gewissem Maße unerträglich geworden.«468 1890 dann informierte ein US Attorney: »In den ersten Tagen der Reconstruction wurde die Wahl durch Gewalt und Drohungen ›gestaltet‹, heute wird dasselbe Ziel durch Fälschungen bei der 466 Proceedings, Board of Aldermen, State Laws, Affecting Interests in the City and County of NY, Passed, NY 1872, 14. 5. 1872 Chap. 675, § 3, NYCMA ; Helsley, Vox Populi, S. 233, 236 u. 251. 467 Untersuchungsbericht, Aussage von Samuel Lee, 1879, vermutlich über die Novemberwahlen von 1878, RG 60, Entry 56, M947–4, Letters Received by Dept. of Justice from SC , NARA . 468 Joel W. Bowman, Examiner, an Dept. of Justice, 25. 10. 1882, 13, RG 60, M947–8, Letters Received, Dept. of Justice from SC , NARA .

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Auszählung und der Meldung der Ergebnisse erreicht.«469 In den 1890er Jahren schrieben die Weißen im Süden schließlich die Exklusion der Afroamerikaner gesetzlich fest. Das gelang unter anderem durch die white primaries, die »weißen Vorwahlen«: Da die Südstaaten ohnehin von den Demokraten dominiert wurden, entschieden die einzig stattfindenden Vorwahlen – nämlich die der Demokraten – über den Sieger. Die Partei aber konnte die Regeln bei diesen Vorwahlen weitgehend selbst bestimmen und die Afroamerikaner ausschließen. In den Staatsakten zeigt sich, dass die Primaries ganz ungeniert die eigentlichen Wahlen ersetzten.470

Demokratischer Rahmen für die Beugung der Wahlfreiheit Wie häufig in den USA liefen die exklusorischen Maßnahmen in einem demokratischen Rahmen ab: Mit den Mitte der 1890er Jahre eingeführten staatsweiten Vorwahlen stand South Carolina an der Spitze dieser wichtigen Neuerung, die dem Wahlvolk ja grundsätzlich mehr Einfluss verschaffen sollte.471 Der rassistische Gouverneur South Carolinas, Benjamin Tillman, sorgte 1895 außerdem mit einer neuen Staatsverfassung für den gesetzmäßigen und garantierten Ausschluss der Afroamerikaner: Jeder wahlwillige Bürger musste seine Lese- und Schreibkenntnisse dem Wahlvorstand präsentieren.472 Da die Demokraten als regierende Partei den bürokratischen Apparat monopolisierten, stand es in ihrem Belieben, weiße Analphabeten zuzulassen und jeden Afroamerikaner abzulehnen, unabhängig von seiner Bildung. Auch die anderen Staaten ersonnen in diesen Jahren juristische Vorrichtungen, um möglichst viele afroamerikanische Bürger von der Wahl auszuschließen.473 Mittlerweile waren sogar die Republikaner, die sich früher für die Gleichheitsrechte der Afroamerikaner eingesetzt hatten, der Sache müde geworden.474 Die Mehrheit der Bevölkerung hatte ein Ende der Sklaverei gewünscht, doch ein Stimmrecht der Afroamerikaner wollte nur eine Minderheit. Das Intellektuellenblatt The Nation, das bei seiner Gründung 1865 zunächst ein wortmächtiges Sprachrohr der Gleichberechtigung gewesen 469 Wickersham, US Attorney, South Alabama, to Attorney General, 25. 6. 1890, RG 60, E 72, 1629–1890, Box 463, D. J. Central (Year) Files, NARA . 470 Unterlagen in L13013, Democratic Primaries, Box 1, SCDAH . 471 Tindall/Shi, America, S. 715f. 472 Andrews, History, S. 29. 473 Andrews, History, S. 17–32. 474 Vgl. etwa Buice, Southern Democrats, S. 105.

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war, bot zunehmend Argumentationshilfen für republikanische Intellektuelle, um mit der Entrechtung der Afroamerikaner zurechtzukommen. Bereits 1877 hieß es in dem Wochenmagazin, »der Neger wird aus dem Bereich der Nordstaatenpolitik verschwinden. Die Nation wird – als Nation – fortan nichts mehr mit ihm zu tun haben.«475 85 Prozent der Afroamerikaner lebten weiterhin im Süden. Die progressiven Nordstaatler ordneten deren Probleme als eine regionale Angelegenheit ein – überhaupt, es seien ja nur 7 Millionen Menschen von insgesamt 50 Millionen Einwohnern im gesamten Land. Der Gründer der Nation, Edwin L. Godkin, der diese Wendung beispielhaft vollzogen hatte, begründete 1889 die Legitimität der Entrechtung mit dem Schutz der demokratischen Institutionen. Denn die Militärherrschaft der Bundestruppen über die Einzelstaaten hätte auf die Dauer die Volksherrschaft der öffentlichen Verachtung ausgesetzt und den Respekt vor jeder Verfassungsmäßigkeit geschwächt.476 Er zählte weitere Argumente auf: »Negerregierung« hätte die Staatsfinanzen im Süden zugrunde gerichtet, »Neger« seien leider noch zu ungebildet (ja, gab Godkin zu, da sollten sich die Republikaner doch für bessere Bildungspolitik einsetzen), es gebe schließlich auch afroamerikanische Democrats im Süden (ein immer wiederkehrendes Argument, das jedoch nur auf wenige Ausnahmen zutraf), und überhaupt habe man genug von den föderalen Eingriffen in die Hoheit der Staaten: »Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass irgendein Staat im Norden willens sei, wegen der Neger im Süden die Wahlen zu seiner Legislative unter der Aufsicht föderaler Beamter ablaufen zu lassen.«477 Der Vorwurf, Afroamerikaner seien besonders korrupt und unfähig zur Regierung, war eines der wichtigsten Argumente zur Gewissensberuhigung im Norden. Tatsächlich gab es massive Probleme der Staatsfinanzen in den republikanisch regierten Südstaaten (die freilich von weißen Männern aus dem Norden dominiert wurden). Doch Korruption und Chaos bei den Staatsfinanzen waren keine exklusiven Probleme des Südens, und die Kriegsfolgen ausgerechnet auf die ethnische Minderheit der Afroamerikaner zuzurechnen, gehörte zu den Absurditäten des blühenden Rassismus. Obwohl die Afroamerikaner selbst zu den ersten Opfern 475 The Nation, XXV, 27. 9. 1877, S. 187, zitiert nach: De Santis, The Republican Party, S. 72. 476 Godkin, Republican Party, S. 256f. 477 Godkin, Republican Party, S. 252; über die Afroamerikaner, die demokratisch wählten vgl. Foner, Reconstruction, S. 291.

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Abb. 34 »Of Course He Wants to Vote the Democratic Ticket«. Die Afroamerikaner wählten in der Regel nur unter Zwang die Demokraten. Provided Courtesy HarpWeek

der Wahlkorruption gehörten und selbst dort, wo sie in Parlamenten saßen, nur eine kleine Minderheit bildeten, brachten die Zeitgenossen – insbesondere die Vertreter der weißen Vorherrschaft, der white supremacy im Süden478 – zunehmend black rule mit Korruptionsskandalen in Verbindung. In Bestsellern beschrieben Autoren den Süden als einzigen Korruptionssumpf. James S. Pike etwa, ein entschiedener Gegner der Sklaverei, reiste nach South Carolina und berichtete in Artikeln in der New Yorker Tribune von einem Süden, der von »einer Masse schwarzer Barbarei« kontrolliert werde. »An Stelle dieser alten aristokratischen Gesellschaft steht nun die unkultivierte Form der dümmsten Demokratie, die die Menschheit je gesehen hat«; das sei nicht nur ein Problem South Carolinas, sondern ganz grundsätzlich ein »Problem der gesamten Nation. Denn es geht um die Vorherrschaft und die Gegnerschaft der Rassen.«479 Pike fasste seine »Augenzeugenberichte« in dem Buch »The Prostrate State« (»Der auf Knien lie478 Reports of the Joint Investigating Commission on Public Frauds, 10 Vls., S16504, 1877–78, SCDAH . 479 Pike, Prostrate State, S. 12 u. 67f.

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gende Staat«) zusammen: Keiner im Süden wolle die Sklaverei zurück, beschwichtigte er, die Südstaatler seien sogar dankbar für den Krieg, der die Sklaverei hinweggefegt hätte; aber die Demütigungen und Schäden der »Negerherrschaft« seien mit nichts zu rechtfertigen. Diese Botschaft stieß nicht zuletzt bei republikanischen Intellektuellen auf fruchtbaren Boden, weil für sie das Eingeständnis schwer gewesen wäre, dass der Krieg und die Jahrzehnte danach umsonst gewesen sein sollten. Sie wollten Recht und Ordnung durchsetzen und endlich dieses unbehagliche Problem der afroamerikanischen Mitbürger hinter sich lassen.480 Als der afroamerikanische Kongressabgeordnete aus South Carolina, Robert Smalls, einen weißen Kollegen Pikes Buch lesen sah, fragte Smalls, ob der Leser sich denn auch über die Korruption in New York informiere.481 Die reformerischen, zumeist republikanischen Intellektuellen ignorierten freilich die Korruption im Norden nicht. Auch dafür bot Pike eine Antwort, die zwar jeder Erfahrung widersprach, jedoch wie Balsam für das schlechte Gewissen der weißen Republikaner wirkte: Die außergewöhnliche Bestechlichkeit im Norden könne sofort durch einen Appell an die Intelligenz und die Tugend der Wählerschaft beendet werden; im Süden jedoch handele es sich um einen moralischen Morast, der keinerlei Grund mehr bieten könne.482 Für die intellektuellen Eliten waren diese Denkfiguren auch deshalb so attraktiv, weil sie unbedingt an der Erzählung eines exzeptionalistischen Amerikas und an ihrem Glauben festhalten wollten, in einer Republik mit egalitären Idealen zu leben. »Wir sprechen nicht davon, die Bürgerrechte zurückzuweisen«, schrieb Pike, »[w]ir prangern Regierungen voller Ignoranz und Laster an und fordern Abhilfe.«483 Warum nahm Korruption im ausgehenden Jahrhundert einen so breiten Raum in der politischen Praxis und den politischen Diskussionen ein? Eric Foner zeigt auf, dass einer der Gründe in den sich ausdehnenden obrigkeitlichen Zuständigkeiten und sozialen Leistungen der Parteien lag. Sie ermöglichten in einem viel größeren Umfang als vor dem Bürgerkrieg mafiöse Strukturen. Tausende von Menschen fanden im politischen Betrieb ihr Auskommen. Staatliche Verwaltung und Parteiorganisationen, die oft kaum voneinander zu trennen waren, traten als der größte Arbeitgeber auf 480 481 482 483

Ebenda, S. 68; vgl. zur Rezeption des Buches Foner, Reconstruction, S. 525f. Foner, Reconstruction, S. 526. Pike, Prostrate State, S. 64f. Ebenda, S. 64.

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und gehörten zu den teuersten Institutionen überhaupt.484 Es war nun also wesentlich attraktiver, Wahlen zu gewinnen. Außerdem konnten politische Eliten mit einer viel größeren Machtfülle Korruption betreiben. Politik wurde zum umstrittenen, hochkompetitiven Massenmarkt, und Korruption wurde ebenso wie ihre Aufdeckung zu einer wichtigen Waffe. Die »Zeit der großen Korruptionsskandale«, wie Jens Ivo Engels die Jahrzehnte ab den 1870er Jahren nennt, lässt sich daher nicht nur in den USA beobachten, sondern auch in vielen anderen Ländern, in denen staatliche und parteipolitische Institutionen immer mehr Macht ausübten und immer mehr zu verteilen hatten.485 Es ist für das Verständnis von Korruption wichtig, wem sie von Nutzen war. Während bis zum 18. Jahrhundert Korruption eher in der Oberschicht und von Aufsteigern praktiziert wurde (Simonie, Stimmenkauf in Wahlmonarchien, Einfluss der Mätressen, Günstlinge am Hofe etc.)486 und die niederen Schichten gemeinhin die Kosten der Korruption zu tragen hatten, wurde das Volk über die Massenpartizipation und Massenpolitik zu einem wichtigen Player und Nutznießer der Korruption. »Man kann eine Organisation nicht ohne Vetternwirtschaft zusammenhalten. Die Leute gehen nicht umsonst in die Politik. Sie wollen etwas davon haben«, wurde George W. Plunkitt zitiert, einer der berüchtigten Bosse von Tammany Hall.487 Tatsächlich gab es für viele Menschen gute Gründe, sich für die Stimmabgabe und andere politische Aktivitäten (etwa die Rekrutierung und Organisation von Wählern) bezahlen zu lassen, zumal sie oft nur wenig Ahnung von den politischen Themen und Ideen hatten. Gerade für Neueinwanderer und andere Gruppen, die in sozial prekären Verhältnissen lebten, war es attraktiv, die Stimme für einen Dollar zu verkaufen.488 Korruption ist schillernd, sie umwarb den einfachen Mann, lockte ihn, hielt seine Stimme für kaufenswert.489 Oft waren die Angebote mit ideellen Vorstellungen bestückt, mit dem Glauben, die eigene Partei oder Rasse müsse im Namen des Guten siegen und dafür sei jedes Mittel recht. Doch handelte es sich bei der Skandalisierung der Korruption nicht schlicht um Diskurse einer partizipationsfeindlichen Mittel- und Ober484 485 486 487 488 489

Foner, Reconstruction, S. 486. Engels, Geschichte der Korruption, S. 291–350; Nohlen/Opiela, Belgien, S. 83f. Vgl. Engels, Geschichte der Korruption, S. 39. Riordon, Reciprocity. »Many Colored Voters Took $ 5«, The Sun, 18. 5. 1870. Bensel, Ballot Box, S. xiv u. S. 85.

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schicht, die Demokratie beschränken und die Herrschaft an sich reißen wollte, um ein taktisches Konstrukt also? Gewiss spielt die diskursive Ebene eine wichtige Rolle.490 Doch die Quellen zeugen von beidem: von taktisch eingesetzten Manipulations- und Reformdiskursen, aber auch ganz konkret von der Praxis der Korruption.491 Ohne Zweifel würden zentrale Dimensionen von Korruption verloren gehen – wie der Nutzen für den einfachen Bürger oder die Exklusion von unerwünschten Gruppen –, wenn man die sozialen und konkret materiellen Aspekte der Korruption ignorieren würde. Allerdings stellt sich bei den Quellen über Wahlfälschungen grundsätzlich die Frage, ob sie lediglich die Spitze eines Eisberges sind oder ob sie – ganz im Gegenteil – Ausnahmen dokumentieren und zeigen, wie ernst man Wahlmanipulationen nachging, sie bestrafte und damit eindämmen konnte. Jedenfalls dokumentieren die Quellen seit den 1830er Jahren ein steigendes Problembewusstsein für Wahlfälschungen,492 und es ist offensichtlich, dass dieses Problembewusstsein nicht ganz losgelöst von der Praxis war. Konkret: Wahlmanipulationen erweisen sich als ein Begleitphänomen der anwachsenden Wählerscharen und des wachsenden Staatsapparats, bei dem es immer mehr zu verteilen gab. Die Einschätzungen der Zeitgenossen sprechen außerdem dafür, dass die dokumentierten Fälle von Wahlmanipulation nicht auf eklatante Ausnahmegeschichten verweisen, denen geordnete Wahlen gegenüberstanden.493 Bei dem vergleichenden Blick zwischen den USA und Preußen stellt sich freilich die Frage, warum in der Forschung über amerikanische Wahlfälschungen so schnell mit der Konstrukthaftigkeit von Korruption argumentiert wird, während dies im Falle Preußen kaum einem Wissenschaftler in den Sinn käme. Die Sun titelte nach heftigen Wahlfälschungen im Jahr 1870: »Schlimmer als in einer Monarchie«.494 Es waren jedoch die USA , die mit ihrem schwachen Obrigkeitsstaat keine faire Wahlen ermöglichen

490 Vgl. den Überblick über die Forschungsthese: Keyssar, Right to Vote, S. 159f.; vgl. zur Trennung von Praktiken und Debatten der Korruption: Engels, Geschichte der Korruption, S. 16–18. 491 Wie Paul Kleppner auf die Idee kommt, es gebe bemerkenswert wenig dokumentierte Fälle, muss Wahlforschern ein Rätsel bleiben, vgl. zu der Diskussion: Keyssar, Right to Vote, S. 159f. 492 Vgl. dazu die Proceedings of the Board of Aldermen. 493 Wahlforscher, die empirisch und direkt mit den Akten arbeiten, bestätigen die Allgegenwart der Manipulationen (Bensel, Ballot Box, S. 294f.). 494 »Worse Than in A Monarchy«, The Sun, 18. 5. 1870.

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konnten. Den weißen Männern gelang es schließlich durch Protest und Gegenwehr von unten, ihre afroamerikanischen Mitbürger weitgehend von den Wahlen auszuschließen. Die prekäre Autorität des Staates lag auch an der Stärke der Parteien. Gewiss, auch in Preußen und Deutschland machte die Regierung etwa mit den Liberalen oder den Konservativen gemeinsame Sache. Doch in den USA erreichte die Identifikation mit den herrschenden Parteien eine ganz andere Dimension. An die Macht gekommen stellte die Partei nicht nur die Zentralmacht, sie war die Zentralmacht, während in Preußen die damals viel gerühmte und nach 1945 viel gerügte Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament in jedem Fall eine Distanz zu den Parteien schuf. »Es kann nicht genug betont werden, wie wichtig der Klientelismus für die Parteien des 19. Jahrhunderts war«, schrieb der Historiker Michael Schudson.495 In den USA konnte daher beispielsweise die regierende Partei eine informelle Wahlsteuer auf die Gehälter der Staatsdiener erheben.496 Dergleichen wäre in Preußen selbst für die staatstreuesten Beamten einfach undenkbar gewesen. Wahlen in den USA waren also wohl kaum weniger »gemacht« und weniger unfrei als in Preußen. In beiden Staaten versuchte die Zentralmacht (die freilich in den USA anders als in Preußen gewählt war) über Wahlen ihre Position zu stärken und ihre Prinzipien durchzusetzen. Und auf beiden Seiten ermöglichte das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht trotz aller Defizite auch den Arbeitern und Bauern einen beträchtlichen Einfluss auf das politische Geschehen, und sei es über Korruption.497 – Interessanterweise maßen manche Intellektuelle auf beiden Seiten des Atlantiks der Korruption eine ganz bestimmte positive Funktion zu: als notwendige Beschränkung des allgemeinen Wahlrechts durch die Reichen und Mächtigen.

495 Schudson, Good Citizen, 154f. 496 Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 258; »Money in City Elections«, Pamphlet, 21. 3. 1887, NYHS . 497 Vgl. »Limited Sovereignty in the United States«, Atlantic Monthly 43 (1879), S. 189.

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Neue Bedenken gegen die Demokratie Im letzten Drittel des Jahrhunderts durften so viele Menschen wählen wie noch nie zuvor, und der Prozentsatz derer, die ihr Recht wahrnahmen, erreichte Spitzenwerte. Mehr als 20 Prozent der Gesamtbevölkerung in Preußen war wahlberechtigt. In den USA lag die Zahl wegen des jüngeren Wahlalters höher, bei etwa 23 Prozent. Die Wahlbeteiligung bei den Reichstagswahlen stieg seit den 1880er Jahren auf über 70 Prozent – und ließ die niedrige Partizipationsrate bei den Klassenwahlen auf Landes- und Kommunalebene immer fragwürdiger erscheinen. Bei den US -Präsidentschaftswahlen lag die Teilnahme im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zwischen 70 und 80 Prozent. Allerdings spricht vieles für die Schätzungen einiger US -Historiker, dass 5 bis 10 Prozent der gezählten Stimmen auf das Konto der manipulativen Stimmenvermehrung gehen (die von der wohl wesentlich größeren Anzahl der insgesamt gefälschten Stimmen zu trennen sind).498 Viel gelesene Romane und populäre gedruckte Grafiken thematisierten in den USA immer häufiger politische Themen.499 Der Bürgerkrieg hatte außerdem die Eliten wieder politisiert. Solange die Afroamerikaner ihr Wahlrecht hatten, gingen in den USA alle Schichten und Klassen und Rassen wählen.500 Das war auch in Preußen der Fall. Mit dem allgemeinen und gleichen Männerwahlrecht für den Reichstag und der ausgedehnten Presselandschaft hatte auch hier die Fundamentalpolitisierung eingesetzt. Die Frauen drängten ebenfalls immer mehr auf ihre Rechte. An der Spitze der Bewegung standen die Amerikanerinnen. Es gab wahrscheinlich Hunderte von Fällen in den USA , in denen Bürgerinnen am Wahlfenster oder im Wahllokal auftauchten und versuchten, ihre Stimme abzugeben. Wie Afroamerikaner gingen auch sie häufig gemeinsam zum Wahllokal, weil sie so stärker, aber auch sichtbarer waren.501

498 DeBats, Hide and Seek, S. 555; Argersinger, New Perspectives, S. 673; Converse, Change; Brewin, Celebrating Democracy, S. 107f.; Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 261. 499 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 188–208. 500 McCormick, Public Life, S. 110; Langewiesche, »Staat« und »Kommune«, S. 630. 501 DuBois, Taking Law, S. 74.

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Alte Abscheu vor Politik und Parteienbetrieb Doch ist das nur die eine Seite. Zur politischen Landschaft und zu den politischen Diskursen in den USA gehörte weiterhin die Abscheu gegen Politik und gegen den Parteienbetrieb, wozu in den Augen vieler Zeitgenossen die Republikanische Partei mit ihrem Interventionismus wesentlich beigetragen hatte.502 Wahlschlepperei und erzwungenes Wählen blieben auch nach dem Bürgerkrieg gängige Praxis. Die Parteien warben mit Aufrufen, in denen sie die Stimmabgabe zur Pflicht der weißen Rasse erklärten. »Die Seele jedes weißen Mannes in diesem Land sollte vor Empörung brennen, und jeder Demokrat, der seine Frau, seine Tochter, seine Mutter und seine Schwester liebt, muss sich dem Banner seiner Rasse anschließen«, hieß es im Wahlaufruf einer Provinzzeitung in den Südstaaten 1882.503 Nach wie vor ließen sich viele Amerikaner nur auf die Wahl ein, um von den Parteileuten in Ruhe gelassen zu werden.504 Eine republikanische Zeitung warnte gar den Leser, er sollte in den ersten zwei Stunden zur Wahl gehen, oder »die Aufmerksamkeit des Wahlkomitees wird sich notwendigermaßen auf dein Versäumnis richten«.505 Da zahlreiche Wähler nicht bereit waren, die Zeit für die Registratur aufzubringen oder die immer häufiger geforderte Wahlgebühr für die Stimmabgabe (poll tax), zu bezahlen, sorgten Parteiarbeiter für eine erleichterte Registratur und entrichteten die Wahlgebühr – und auch hier eröffnete sich ein weites Feld für Wahlbetrügereien.506 In abgeschwächter Form fand sich das Phänomen auch in Preußen, dass Parteileute die Bürger zur Wahl drängten: allen voran die Sozialdemokraten in den Städten, aber auch die konservativen Beamten in den gemischtsprachigen Gebieten, die Druck auf die deutschsprachigen Wähler ausübten, die von sich aus oftmals wenig Interesse an den Wahlen zeigten.507 Die berühmte Wochenzeitschrift Harper’s Weekly verdankte ihren Erfolg nicht zuletzt den Karikaturen von Thomas Nast, die den Wahlakt als Groteske darstellten und die Korruption des Tweed-Rings in New York 502 Skowronek, Building a New American State, S. 3. 503 Augusta Daily Chronicle and Constitutionalist, 27. 9. 1882, zitiert nach: Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 228. 504 Zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 262. 505 Zitiert nach Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 228. 506 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 261. 507 Vgl. etwa Königliche Kreis-Schul-Inspektion an Königliche Regierung, Abteilung für Kirchen- und Schulsachen zu Bromberg, 14. 12. 1885, u. weitere Akten in XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 18. 12. 1885–21. 8. 1919, GStA .

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oder die Scheinheiligkeit der Politiker bloßlegten. Zwar trugen reformerische Kampagnen zu Veränderungen bei. So wurde in New York der berüchtigte William Tweed, Chef der Tammany Hall, 1872 verurteilt und hinter Gittern gebracht. Kommissionen untersuchten Wahlfälschungen, Juristen schlugen neue Regelungen vor, und Parlamente erließen Gesetze zum Schutz der Wahlfreiheit.508 Doch zur Irritation der Bildungs- und Reformeliten gingen die Manipulationen weiter, ja sie wurden offenbar immer schlimmer. Die Präsidentschaftswahl von 1876 brachte wie die Gouverneurswahl in South Carolina im gleichen Jahr zunächst keinen eindeutigen Sieger hervor. Klar war nur, dass bei der Stimmabgabe und bei der Auszählung krasse Fälschungen stattgefunden hatten. Auch blieb Politik zutiefst von Gewalt geprägt. Wenn es zu Wahluntersuchungen kam, offenbarte sich zudem eine Demokratie der Unwissenden und Desinteressierten – das darf eine Analyse trotz aller Politisierung der Bürger nicht übersehen. Als im Staat New York nach den Fälschungen von 1868 verstärkt Manipulationen untersucht wurden, antworteten knapp 20 Prozent von 1110 Zeugen auf die Frage, ob sie wüssten, wen sie gewählt hätten, dass sie das nicht angeben könnten, oder gar, dass sie keine Ahnung hätten. Die Frage, ob man den Wahlzettel gelesen habe, konnten 30 Prozent nicht bejahen.509 Viele erklärten auf die Frage genervt, sie seien schließlich keine Politiker.510 All das hatte es schon vorher gegeben. Allerdings spricht vieles dafür, wie wir gesehen haben, dass das Ausmaß der Agitation, der Korruption und Manipulation aufgrund der wachsenden Bedeutung des Staates, der Stärke der Parteien und der viel höheren Anzahl an Wählern wesentlich zugenommen hatte. Doch auch der Wille, die Dinge zu skandalisieren, war gewachsen. Während Wahlmanipulationen vor dem Bürgerkrieg eher als unvermeidliche Nebenwirkungen gesehen und etwa in der Darstellung »The County Election« als ironisches Idyll dargestellt wurden (Abb. 13), entwickelten sich die Manipulationen in der Nachkriegszeit zum Eklat. Die gewachsene Bedeutung der Regierung, der gestiegene Einfluss der Wähler rief zugleich die Reformer auf den Plan, die nach einer informierten, aufgeklärteren, reiferen Partizipation verlangten.511 »In den letzten Jahren haben 508 509 510 511

Buchstein, Stimmabgabe, S. 489–502; Quigley, Second Founding, S. 138–174. Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 265. Ebenda, S. 257–269 McGerr, Decline.

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Abb. 35 »Bin ich vielleicht ein Politiker?«, antworteten Wähler entrüstet, wenn sie in Wahluntersuchungen gefragt wurden, welche Namen auf dem Stimmzettel standen, Stimmzettel, South Carolina, 1876 Image provided by the South Carolina Department of Archives and History

der Betrug und die Manipulationen an der Wahlurne ein beträchtliches, ungeheuerliches Ausmaß angenommen«, hieß es in einem Report der Stadt New York von 1869.512 »Es ist eines der Rätsel unseres Regierungssystems«, schrieb die New York Times 1871, »dass die Metropole des Landes sich gar so lange willfährig darein ergeben hat, dass das Wahlrecht durch Betrug und Gewalt in ein Instrument verwandelt wurde, mit dem man die kostspieligste und niederträchtigste aller irdischen Tyranneien im Regierungssystem hat verankern können.«513

512 Zitiert nach: House of Representatives, Report, S. iii. 513 »The Complaints Against the New Registry Law Its Justice and Necessity«, NY T, 13. 9. 1865.

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Antidemokratische Ansichten amerikanischer Intellektueller In den Jahren nach dem Bürgerkrieg beließen es Intellektuelle und Geldeliten aber nicht bei den üblichen Verbesserungsvorschlägen. Sie sprachen von einem »demokratischen Exzess«.514 Die unterschwellige Abneigung gegen das allgemeine Wahlrecht kochte hoch. Das lag gewiss an der explosiven Lage im Land, als die Südstaaten mit Bundestruppen besetzt waren, als der Eisenbahnstreik von 1877 in verschiedenen Bundesstaaten zu Plünderung, Brandschatzung und staatlicher Gegengewalt führte, als die sozialen Probleme der befreiten Afroamerikaner drängten und Wahlen nicht nur im Süden häufig in Gewaltexzessen endeten. Ein Konsens schien kaum herstellbar. Überall war die Rede von mexicanization des Landes, einem endlosen, schwelenden Bürgerkrieg.515 Die Ursache des Unfriedens lag für viele in der rapiden Erweiterung des Wahlrechts. »Das allgemeine Wahlrecht kann, einfach gesagt, nur auf die Herrschaft der Ignoranz und des Lasters hinauslaufen«, erklärte 1869 Charles Francis Adams, Jr., Sprössling einer Bostoner Patrizierfamilie, »es bedeutet ein europäisches und insbesonders keltisches Proletariat an der Atlantikküste, ein afrikanisches Proletariat an der Golfküste und ein chinesisches Proletariat am Pazifik.«516 Die Atlantic Monthly – eines der vielen Blätter der Bildungseliten, die offen ihre antidemokratische Gesinnung aussprachen – schrieb 1879: »Vor dreißig oder vierzig Jahren galt es als die wüsteste Häresie, daran zu zweifeln, dass eine auf dem allgemeinen Wahlrecht fußende Regierung die klügste und beste sei, die man sich denken könne. […] Dem ist jetzt aber nicht so.«517 Gewiss, der Autor irrte sich insofern, als das universal suffrage von Anfang an mit Misstrauen bedacht und immer wieder abgelehnt worden war. Doch während der rund zwanzig Jahre nach dem Bürgerkrieg erlebte die Absage an Massenpartizipation in den USA eine Hochzeit. Überall fragten Amerikaner nach einem »Heilmittel« gegen das Massenwahlrecht.518 Die Diskussionen endeten oft bei der Bildungsfrage. »So haben wir unten eine große 514 515 516 517 518

Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 257. Downs, Mexicanization, S. 387. Zitiert nach McGerr, Decline, S. 46; vgl. rückblickend Porter, Negro Suffrage, S. 199. »Limited Sovereignty in the United States«, Atlantic Monthly 43 (1879), S. 186. »The Indifference of the Public«, Vancouver Independent, 30. 8. 1877; »Is Universal Suffrage A Curse or A blessing?«, Pioneer of Assumption, 30. 6. 1870; »Property Representation Needful«, New York Tribune, 26. 5. 1875; vgl. Keyssar, Right to Vote, S. 119–146; vgl. auch die Ergebnisse der Tilden commission von 1877, Quigley, Second Founding, S. 145f.

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Masse gefährlicher Unwissenheit und oben ein wachsendes Misstrauen gegen das System, das dieser Unwissenheit politische Macht verleiht.«519 Die Delegitimierung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, des universal suffrage, lag aber auch daran, dass die Legitimation von Demokratie und Wahlen wesentlich über ihre geschlechtliche und rassistische Aufladung funktionierte. Nun, da Afroamerikaner ebenso wählen durften, verlor das republikanische weiße Männerpathos an Überzeugungskraft. Ebenso wie Frauen wirkten Afroamerikaner für die Mehrheitsgesellschaft delegitimierend. Daher konnte in Karikaturen die Abbildung von Afroamerikanern und Frauen immer zur Verächtlichmachung dienen. In den Südstaaten warf man dem Norden Bigotterie vor, wenn er im Süden das allgemeine Wahlrecht erzwang, zuhause aber auf die Probleme der Massenpartizipation hinwies.520 Doch auch wenn ein beträchtlicher Teil der Bürger im Norden zu den Rechten der Afroamerikaner lieber schwieg, so stimmten doch viele den Südstaatlern im Hinblick auf das Wahlrecht der Afroamerikaner zu, wie beispielsweise die New York Tribune. Mit einem Satz wischte die Zeitung das universal suffrage beiseite: »Das allgemeine Wahlrecht ist, wie alle anderen Werkzeuge der Regierung, ein Hilfsmittel zur Sicherung des Gemeinwohls, und dem Gemeinwohl ist damit nicht gedient, dass es zu einem Mittel der Zerstörung gemacht wird.«521 So bequem machte es sich das Intellektuellenblatt aus Boston, die Atlantic Monthly, nicht: »Das allgemeine Wahlrecht ist eine unumstößliche Tatsache«, notierte sie, registrierte jedoch ein »Gefühl von Misstrauen und Furcht […] unter den intelligentesten Klassen«.522 Bis in die 1880er Jahre sprachen Intellektuelle ihre Vorbehalte gegen das Wahlrecht ganz offen aus. »In den Köpfen der wenigen Menschen, die die Tendenzen unserer jüngeren Geschichte nachdenklich betrachten, wächst eine Überzeugung heran«, führte der Wissenschaftler und Publizist Alexander Winchell aus. »Es ist unser allgemeines Wahlrecht […], das als Auslöser unserer bedrohlichsten politischen Krankheiten fungiert«, schrieb er in der renommierten North American Review. »Der unwissende, unkultivierte oder zügellose Wähler gibt allzu bereitwillig den gesellschaftlichen Überredungskünsten

519 »Limited Sovereignty in the United States«, Atlantic Monthly 43 (1879), S. 186. 520 »Wendell Philipps and his Lecture«, Memphis Daily Appeal, 11. 4. 1877. 521 »Self-Government for Great Cities«, New York Tribune, 7. 4. 1877; vgl. auch »Southern Society«, New York Tribune, 7. 4. 1877. 522 »Limited Sovereignty in the United States«, Atlantic Monthly 43 (1879), S. 189 u. 185.

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eines Mannes seiner eigenen Klasse nach«; kurz, das universal suffrage liefere die Staatsführung an die übelsten und dümmsten Elemente der Bevölkerung aus; schließlich, so der Professor, müsse es doch um das »survival of the fittest« gehen.523 Der Diplomat und Publizist William L. Scruggs bezeichnete das allgemeine und gleiche Wahlrecht als »Idee eines unqualifizierten oder Penner-Wahlrechts, das dem Kommunismus gleicht, mit dem es eng verwandt ist«.524 Die Idee eines qualified suffrage erschien mehr und mehr US -Staaten plausibel.525 Einige von ihnen installierten die bereits erwähnte Wahlgebühr, andere verbanden das Wahlrecht mit Steuer- oder Besitzqualifikationen oder planten ihre Einführung.526 In den 1870er Jahren formierte sich in New York City sogar eine Bürgerinitiative mit einigen der vermögendsten und einflussreichsten Männern der Stadt, die einen Verfassungszusatz zur Abschaffung des universal suffrage für alle finanziellen Belange forderte und mehr Rechte für die Besitzenden einklagte.527 Die Obersten Gerichte erklärten immer wieder die Verfassungsmäßigkeit von Steuer- oder Besitzqualifikationen für das Wahlrecht.528 All das trug zur faktischen Annullierung des black suffrage bei. Doch Wahlen hin, Wahlen her: Amerikas Talent für das Neue, sein Erfindungsreichtum und seine Kreativität blühten in der Nachkriegszeit auf: »Das war die entscheidende Geschichte des Jahrzehnts nach dem Bürgerkrieg, und nicht die fortdauernde Auseinandersetzung zwischen Afroamerikanern und Weißen im Süden, so herzzerreißend sie auch gewesen sein mag«, notiert der Historiker David Goldfield.529 Die Industrieproduktion wuchs von 1870 bis 1900 um 500 Prozent. 1900 lebte bereits ein Drittel der Amerikaner in Städten, nur zehn Jahre später schon die Hälfte.530 Die Zeit von etwa 1870 bis zur Jahrhundertwende wird das Gilded Age genannt: 523 Winchell, Experiment of Universal Suffrage, S. 119, 127 u. 133. 524 Scruggs, Restriction of the Suffrage, S. 493; die Verteidiger des universal suffrage warnten vor diesen Angriffen (»Suffrage and Centralization«, Indiana State Sentinel, 31. 7. 1878); vgl. »Universal Suffrage No. 2«, Louisiana, 13. 7. 1880. 525 »Qualified Suffrage«, Elevator, 23. 3. 1866; Winchell, Experiment of Universal Suffrage; Scruggs, Restriction of the Suffrage. 526 Keyssar, Right to Vote, S. 132; Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 258. 527 »A Peculiar Meeting to Support a Dangerous Scheme«, The Sun, 22. 10. 1877; Beckert, Democracy and its Discontents, S. 116f., 136–138 u. 146f. 528 Keyssar, Right to Vote, S. 133. 529 Goldfield, America Aflame, S. 15. 530 Kimmel, Manhood, S. 81f.

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Es war kein Goldenes Zeitalter, sondern eines, das mit einer dünnen Goldschicht überzogen trügerisch und verheißungsvoll zugleich schimmerte. Unter dem Gold der boomenden Wirtschaft schwelten schwere Wirtschaftskrisen, Armut, dramatische Streiks. Doch der Bürgerkrieg hatte die Besitz- und Bildungseliten wieder politisiert, und ihr wachsender Wohlstand gab ihnen die Möglichkeit, sich großen Reformprojekten zu widmen. Sie beschäftigten sich auch intensiv mit Wahlen.

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Rationalisierung Aus Empörung über das Dreiklassenwahlrecht versammelten sich am 27. Februar 1910 rund 8000 Bürgerinnen und Bürger im Berliner Zirkus Busch, einem schicken Rundbau im eklektizistischen Stil der 1890er Jahre. Während sich das Reichstagswahlrecht weiter entwickelte, bestand das Klassenwahlrecht in Preußen trotz aller Reformversprechen und Reformversuche fort. Die Redner und Initiatoren ließen sich dem liberalen Spektrum zuordnen, dennoch unterstrich die Presse, dass es keine Parteiveranstaltung gewesen sei: »Diese große Kundgebung war von Nichtpolitikern, von Männern aus dem Gelehrten- und dem Bürgerstand, gewünscht und patronisiert«, schrieb das Berliner Tageblatt.1 Weitere Tausende Menschen fanden keinen Platz und mussten vor dem Zirkus stehen bleiben. Als die Versammlung beendet wurde, vereinten sich die Herausströmenden mit den Wartenden und marschierten spontan zum Berliner Schloss, wo sie das Reichstagswahlrecht bejubelten und Buhrufe auf das ungleiche preußische Wahlrecht ausstießen. Das Dreiklassenwahlrecht war zum Skandal geworden.2 Um die Jahrhundertwende begann in der Geschichte der Wahlen ein neuer Abschnitt, und darüber handelt dieses letzte Kapitel: Massenpartizipation hatte an Akzeptanz gewonnen, und allgemeine Wahlen galten als Standard einer »zivilisierten Nation«. In breiten Schichten herrschte der Anspruch, dass das Wahlrecht prinzipiell allen Männern zukommen sollte. Selbst die Schlussfolgerung, dass es damit auch den Frauen zustand, gewann an Plausibilität. In Neuseeland erhielten Frauen 1893 das Wahlrecht, und unter der aufmerksamen Beobachtung der interessierten Welt fanden die ersten Wahlen auf Staatsebene mit Frauenwahlrecht statt. Mit einer höheren Wahlbeteiligung als die Männer widersprachen die Neusee1 2

»Die Wahlrechtskundgebung im Zirkus Busch«, Berliner Tageblatt, Nr. 106, 28. 2. 1910. Ebenda; vgl. Kaisenberg, Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis, S. 161.

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länderinnen landläufigen Vorurteilen gegen das Frauenwahlrecht.3 Damit war die größte Wahlrechtserweiterung aller Zeiten eingeläutet, die ein Element des bedeutendsten Emanzipationsprozesses in der Geschichte überhaupt werden sollte. Politische Partizipation war für die Bevölkerung zu einer selbstverständlichen Praxis geworden.4 Das galt sowohl für die USA als auch für Preußen. Wobei es in diesen Jahrzehnten meistens genauer ist, von Deutschland zu sprechen, denn nicht nur die Öffentlichkeit war eine gesamtdeutsche geworden, auch die Institutionen ließen sich vielfach kaum noch auseinanderhalten. Preußen hatte gegenüber dem Reich an Macht und an Einfluss verloren, was nicht zuletzt am Reichstag lag, der einen enormen Bedeutungsgewinn erfahren hatte.5 Die Forschung hat diesen partizipativen und liberalisierenden Zug der Zeit vielfach übersehen, ja sogar behauptet, Demokratie habe um 1900 allen Glanz verloren.6 Für Deutschland lässt sich dieses Missverständnis mit der dunklen Tönung erklären, mit der häufig nach wie vor alle demokratischen Entwicklungen in Deutschland vor 1933 interpretiert werden. In der US -Forschung entstand diese These, wie wir sehen werden, infolge einer Neuinterpretation des Progressive Movement als Projekt der Unterdrückung. Keine Frage: Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg waren voller Widersprüche. Doch alles in allem standen die Zeichen auf Volkssouveränität, Demokratie, allgemeine und gleiche Wahlen – wie auch immer man die Massenpartizipation in den unterschiedlichen Gesellschaften bezeichnete. Die Menschen in diesem bürgerlichen »Zeitalter der Vernunft« (Stefan Zweig) waren beseelt von einem dynamischen Fortschrittsglauben. Dem Optimismus entsprach der Alarmismus. In der Hitze der Zeit gediehen düstere Prognosen; die Sorgen ob der internationalen und sozialen Spannungen schwelten, Ängste vor Überfremdung prägten die Debatten.7 Doch die Entwicklungen schienen alle Bedenken Lügen zu strafen. In Europa und Nordamerika galt die soziale Frage als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und schien mit innovativen Reformprojekten lösbar.8 Gerade 3 4 5 6 7 8

Crook, L’Avènement, S. 59f. Nonn, 19. und 20. Jahrhundert, S. 203; Steinbach, Zähmung, Bd. 1, S. 18; Gilg, Erneuerung. Ullrich, Nervöse Großmacht, S. 162; Stürmer, Das ruhelose Reich, S. 113. Beckert, Democracy and its Discontents; Llanque, Demokratisches Denken, S. 12. Ullrich, Nervöse Großmacht; Conrad, Globalisierung, S. 131–135; Möller, Jahr 1900. Schüler, Frauenbewegung, S. 351; Rodgers, Atlantiküberquerungen; Maier, Twentieth Century, S. 174.

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auch in Deutschland herrschte hoffnungsvolle Zukunftslaune. Es gab kaum noch Deutsche, die auswanderten, stattdessen wurde das boomende Reich durch den Zuzug von Arbeitskräften zum Einwanderungsland. In einer »Bilanz des Jahrhunderts« stellte die Berliner Illustrirte Zeitung 1898/1899 fest, dass die große Mehrheit der Leserschaft die Gründung des Deutschen Reiches für das größte historische Ereignis halte und die Gegenwart für die glücklichste Zeit überhaupt.9 Der Welthandel blühte, die Ungleichheit erlangte ein seither nicht wieder erreichtes Ausmaß. Dabei stiegen die Reallöhne auch der untersten Schichten an. Die Häuser schossen in die Höhe, 1913 war Europa beinahe doppelt so reich wie noch 1850. Die Gebildeten registrierten die Globalisierung genau und sahen sie als Chance.10 Moderne Malerei wurde zum europäischen Ereignis, in dem auch Preußen seine Weltoffenheit demonstrierte, und die Berliner Nationalgalerie kaufte unter dem Gezeter konservativer Zeitgenossen zahlreiche Werke von Edouard Manet, Claude Monet oder Auguste Renoir, bis es das bedeutendste Museum für moderne französische Kunst wurde. An den Universitäten, die sich transatlantisch vernetzten, verdrängten wissenschaftsspezifische Leistungskriterien fachfremde Qualifikationen der Konfession, der regionalen oder der familiären Herkunft. Die Medizin schien die schlimmsten Menschheitsleiden in den Griff zu bekommen. Das Individuum und seine Psyche wurden zu einem faszinierenden Forschungs- und Diskussionsfeld, und Freud elektrisierte die Menschen mit seinen Lehren. Viele Zeitgenossen – auch diese Seite gehört dazu – ließen sich von sozialdarwinistischen Utopien inspirieren und hofften auf die Potenzen der Eugenik und der Rassenlehre.11 Der Kolonialismus rückte die Kontinente näher aneinander heran und peitschte zugleich den Rassismus hoch. Für das Deutsche Reich hielt sich die Bedeutung der Kolonien zwar in Grenzen, dennoch gehörte es kaum weniger zu den Mächten der Globalisierung als Großbritannien oder die USA .12 Die Welt synchronisierte sich. Die rasant expandierenden Städte errichteten 9

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Conrad, Globalisierung, S. 48; zur »Bilanz des Jahrhunderts«: Kocka, 19. Jahrhundert, S. 26; vgl. auch die optimistischen Ausführungen der führenden Persönlichkeiten des Kaiserreichs in dem halb offiziellen Band zur Jahrhundertwende: Das Goldene Buch des Deutschen Volkes an der Jahrhundertwende. Conrad, Globalisierung, S. 35f., 44 u. 51. Demandt, »Schule des Sehens«, S. 14–16; Wesenberg, Impressionismus – Expressionismus; vgl. Conrad, Globalisierung, S. 48f. Conrad, Globalisierung, S. 46–49.

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auf ihren öffentlichen Plätzen prunkvolle Uhren, die Zeit und Raum rationalisierten und das Gefühl der Eile verstärkten. In Deutschland breitete sich rasch das Telefon aus, bis zum Weltkrieg gab es 1,3 Millionen Telefonanschlüsse. In der Zeit des Kaiserreichs stiegen die Briefsendungen von 412 Millionen im Jahr auf 6,8 Milliarden; der Briefverkehr mit dem Ausland wuchs in ähnlicher Größenordnung. Über Kabel und in Tausender- und Millionenauflage informierten Massenmedien die Menschen.13 In Deutschland zeigte sich die Medienlandschaft besonders bunt, kontrovers, angriffslustig, skandalfreudig.14

Nüchterne Bestandsaufnahme: die rationale Herrschaft der Massen Die Männer übten selbstbewusst ihr Wahlrecht aus. Das große Versprechen der Moderne, die partizipative Selbstbestimmung, schien eingelöst.15 Max Weber, der zu den Skeptikern moderner Zeiten gehörte, räumte der Bürokratie einen zentralen Stellenwert in der modernen und rationalen Herrschaftsform ein: »Der Typus des rationalen legalen Verwaltungsstabs ist universaler Anwendung fähig und er ist das im Alltag Wichtige. Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung.«16 In etwas einfacheren Worten versuchte Woodrow Wilson das auch seinen widerspenstigen Landsleuten zu verdeutlichen.17 Für rationale Herrschaft aber ist die Legitimierung durch rationale Verfahren notwendig. Und hier kommt die Massenpartizipation ins Spiel, wobei in den Jahren während des Weltkrieges das demokratische Moment in Webers Denken entschiedener wird. Die Wahlen seien das »wichtigste (wenn auch nicht einzige) Merkmal des modernen Parlaments«, erklärte Weber, erst damit »entsteht die moderne rationale Form der staatlichen Willensbildung«.18

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Müller, Das demokratische Zeitalter, S. 21; Conrad, Globalisierung, S. 40; Nipperdey, Arbeitswelt, S. 618–630; Tindall/Shi, America, S. 685–741; Paletschek, »Weltgeltung«?; McCrossen, Marking Modern Times; vgl. zu den düsteren Prognosen etwa Gneist, Nationale Rechtsidee, S. 257; Bösch, Mediengeschichte, S. 109f.; Fisch, Europa, S. 20. Kohlrausch, Monarch im Skandal; Osterhammel, Verwandlung, S. 1028. So Koselleck, Parsons u.a., vgl. den Überblick in Rosa, Weltbeziehungen, S. 362. Weber, Typen der Herrschaft, S. 126; vgl. Parsons, Evolutionäre Universalien, S. 63. Wilson, Democracy and Efficiency. Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 368; vgl. zu Webers Demokratiebegriff Rosanvallon, Gute Regierung, S. 111–116.

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Weber und seine liberalen Zeitgenossen analysierten Demokratisierung weniger als ein moralisches Dogma denn als eine unvermeidliche Konsequenz der Nationalstaatsbildung, des Bevölkerungswachstums, der höheren Bildung: Demokratisierung sei in einem modernen Staat schlicht unausweichlich.19 Sie sahen, dass sich überall in den nordatlantischen Staaten der Prozess der Demokratisierung beschleunigte, von Dänemark über Österreich und Großbritannien bis Kanada. Allenthalben reformierten Regierungen das Wahlrecht, und meistens (nicht immer) erweiterten sie es.20 »Das allgemeine Stimmrecht ist im siegreichen Vordringen begriffen«, resümierte Georg Meyer, Jurist und nationalliberales Mitglied im Reichstag in seinem gelehrten internationalen Wahlrechtsvergleich.21 Andere Intellektuelle bestärkte diese Unaufhaltsamkeit in ihrem apokalyptischen Argwohn. »Die Massen haben nur Kraft zur Zerstörung«, schrieb der Franzose Gustave Le Bon 1895 in seiner berühmten »Psychologie der Massen«, die 1908 ins Deutsche übersetzt wurde.22 Die Reformer aber überzeugte der elitäre Diskurs gegen die »Massen« nicht, denn sie nahmen wahr, dass die Vielen längst Macht besaßen und partizipierten – ganz egal, wie die Eliten darüber dachten. Sie argumentierten realpolitisch und nahmen die Relevanz der Mehrheit als eine soziologische Gegebenheit: »Die Masse regiert, nicht, weil sie weise ist, sondern weil sie Macht ist«, erklärte Hans Delbrück.23 Eine der grundlegenden Entwicklungen der Geschichte sei die »fortschreitende Befreiung der Massen«, so Otto Hintze, ohne die Massen lasse sich kein Staat mehr machen.24 Massenpartizipation ist nach dieser Logik fest mit rationaler Legitimation verknüpft.25 Selbst der

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Troeltsch, Ansturm, S. 94; Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 349; vgl. zum Demokratisierungsprozess Lässig, »Terror der Straße«, S. 227. Müller, Nach dem Ersten Weltkrieg, S. 40; Nevers, Reformism; Mattmüller, Durchsetzung, S. 230; Ware, Anti-Partisan, S. 9; Bourke/DeBats, Charles Sumner; Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 207. Meyer, Wahlrecht, S. 419. Von einer »Disenchantment with democracy«, wie sie der Historiker Sven Beckert für die USA diagnostiziert, lässt sich wenig finden, und tatsächlich beruft sich Beckert zum Großteil nicht auf Quellen um 1900, sondern aus den Jahren nach dem Bürgerkrieg (Beckert, Democracy and its Discontents, S. 155). Le Bon, Psychologie, S. 4f.; vgl. auch Ortega y Gasset, Aufstand der Massen, S. 5; vgl. zum elitären Diskurs über »Masse«, Middendorf, »Masse«. Delbrück, Regierung und Volkswille, S. 131; Gilg, Erneuerung. Vgl. zu der Argumentation Llanque, Demokratisches Denken, S. 95; Delbrück, Stimmrecht, S. 381; vgl. auch Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 349. Vgl. Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 251f.

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dezidierte Monarchist Treitschke musste »ein historisches Gesetz der Demokratisierung der Staatsformen« innerhalb der modernen Monarchien erkennen, wie er 1898 erklärte.26 Ernüchtert durch die anhaltende Wahlkorruption vollzog sich in den USA um 1900 eine ganz ähnliche Wende zum demokratischen Realismus. Tammany symbolisierte nunmehr in der politischen Theorie, so Marcus Llanque, den »Wandel der Demokratie unter den Bedingungen der Moderne«.27 Politikwissenschaftler wie Herbert Croly oder Walter Lippmann analysierten Organisationen wie Tammany Hall als Folgen der Massenpolitik, die sich nur beseitigen ließen, wenn ein effizienter Staat die Aufgaben dieser Organisationen übernahm, der Bevölkerung soziale Hilfe bot und vor allem für bessere Bildung sorgte.28 Die neuen Intellektuellen distanzierten sich teilweise ausdrücklich von den früheren antidemokratischen Tendenzen. Sie mahnten stattdessen zu Nüchternheit und Realismus. In der Philosophie entwickelte sich der Pragmatismus, der ebenfalls eine plurale und liberale Grundierung der Gesellschaft beförderte.29 Zunehmend engagierten sich Reformer in der Politik. Und wie häufig in jener Zeit überschritten die Diskurse den Atlantik. Max Weber, der »skeptische Demokrat« (so Pierre Rosanvallon), hielt Vereinigungen wie Tammany schlicht für »Kinder der Demokratie«. Sie offenbarten, dass der »idyllische Zustand« der Herrschaft von Honoratioren mittlerweile von »modernen Formen der Parteiorganisation« abgelöst worden sei.30

Das Korsett der Rationalität In der Zeit um 1900 kam es reformerischen Kräften darauf an, die emanzipativen Ideale der Partizipation ins Korsett der Rationalität zu zwängen. Dazu gehörten die Bürokratisierung der Wahlen und die Normierung des Wahlaktes.31 In den USA mussten Reformer zunächst für den Aufbau einer effizienten Bürokratie kämpfen. Woodrow Wilson erklärte als einer der 26 27 28 29 30 31

Zitiert nach Meier u.a., Demokratie, S. 893; ganz ähnlich auch der Jenaer Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken (Eucken, Grundbegriffe, S. 313f.). Llanque, Tammany Hall. Ebenda. James, Pluralistic Universe; vgl. Höffe, Kritik der Freiheit, S. 125 u. S. 182–185. Weber, Politik als Beruf, S. 202f., s. Llanque, Tammany Hall; Rosanvallon, Gute Regierung, S. 113. Vgl. für Luxemburg: Dormal, Ort der Wahl; Frankreich: Déloye/Ihl, L’Acte de vote, S. 54f.

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Ersten, noch in seiner Zeit als Professor für Rechtswissenschaft und Nationalökonomie, man müsse Demokratie mit Effizienz paaren. Das war in den USA ein origineller Gedanke. »Wir haben es abgelehnt, bei uns eine professionelle Beamtenschaft aufzubauen, weil wir dies für undemokratisch hielten«, erklärte Wilson.32 Mit ihm forderten nun auch zahlreiche andere einflussreiche Intellektuelle einen stärkeren, effizienteren Staat und die konsequente Installierung eines professionellen Staatsdienstes im Kampf gegen die Korruption.33 1883 kam es mit dem Pendleton Act tatsächlich zu einer bemerkenswerten Neuerung: Zumindest ein Teil der Posten auf Bundesebene sollte nicht mehr nach dem Parteibuch oder nach treuer Wahlagitation vergeben werden, sondern nach standardisierten Anforderungen an professionelle Fähigkeiten. Deutschland hatte in diesem Punkt einiges voraus – dank seines gut ausgebildeten Beamtentums, »das seinen Organismus über das gesamte Volk ausbreitet«, so die treffende Charakterisierung Hans Delbrücks.34 Max Weber, immer in Sorge um die despotischen Potenziale der Bürokratie, wusste ein Lied davon zu singen und spottete über die deutsche »Metaphysik des Beamtentums«.35 Der Ausbau des bürokratischen Staates einerseits und Massenpartizipation andererseits galt den Reformern nicht als Widerspruch, sondern als notwendige Ergänzung.36 Die unabhängige Bürokratie war für die Wahlen deshalb so wichtig, weil nur sie die Geheimhaltung ermöglichen konnte, und Geheimhaltung war entscheidend, weil durch sie die Wahlen zu einem rationalen Mittel der Entscheidungsfindung wurden.37 Die Sicherung des Wahlgeheimnisses hieß, den Einfluss systemfremder Kräfte zu hemmen. Die Reformer sowohl in den USA als auch in Deutschland wollten nicht länger die Vermengung der unterschiedlichen Funktionssysteme, sie wollten dem Einfluss 32 33 34 35 36 37

Wilson, Democracy and Efficiency; vgl. auch Wilson, Administration, S. 198 et passim; zu den amerikakritischen deutschen Gelehrten: Kaube, Max Weber, S. 193f. Croly, Promise, S. 333–343; Croly, Progressive Democracy, S. 8f.; Skowronek, Building, S. 50 u. 177–211. Delbrück, Stimmrecht, S. 141; vgl. Maier, Twentieth Century, S. 819–821. Kaube, Max Weber, S. 242f. u. 316; DiMaggio/Powell, Iron Cage. Kleppner, Defining Citizenship, S. 226. Fisch, Europa, S. 280; Buchstein, Geheime Abstimmung, S. 476f.; Fredman, Australian Ballot, S. 64–80; vgl. auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 528 u. 540. Tatsächlich zeigt eine quantitative Studie über die Einführung geheimer Wahlen von Adam Przeworski, dass die Geheimhaltung primär mit dem Ziel einherging, den Wähler zu schützen (Przeworski, Suffrage and Voting Secrecy).

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von Religion, von Geburtsprivilegien, von Geld und Wirtschaft auf die Politik ein Ende setzen: daher ihr Plädoyer für das geheime Wahlrecht und ihr Kampf gegen die politisierten Geistlichen, gegen die manipulierenden Fabrikanten und gegen Junker in Preußen sowie gegen Parteibosse und das spoils system in den USA ; daher auch der Kampf gegen das preußische Dreiklassenwahlrecht, das modernen Prinzipien von Gleichheit und Rationalität widersprach. »Jede Wahlstimme erscheint als das Ergebnis eines freien, eigensten Entschlusses«, kommentierte der Jurist Gustav Radbruch, »die Losgelöstheit des Wählers von allen soziologischen Bindungen stellt sich sinnbildlich in der Wahlzelle dar.«38 Gewiss gab es auch andere Motive für die Geheimhaltung, etwa die Diskriminierung der Sozialisten in Deutschland oder – in den USA – den Wunsch nach dem Ausschluss der Afroamerikaner und Unterschichten, die als Analphabeten oft Probleme mit der geheimen Wahltechnik hatten.39 Doch die internationale Dynamik zeigt, dass der Grund außerhalb nationaler Einzelinteressen lag. Die Geheimhaltung setzte sich synchron in zahlreichen Ländern durch: neben 35 US -Staaten und -Territorien in den 1890er Jahren beispielsweise auch in Italien 1895, Österreich 1907, Ungarn und Frankreich 1913. Deutschland führte 1903 zum Schutz der (de jure bereits 1867/71 verbrieften) Geheimhaltung die Wahlkabine ein sowie den neutralen Umschlag, in den der Stimmzettel gesteckt werden musste, sodass dieser nicht mehr identifizierbar war – wobei der Umschlag als Äquivalent zum amtlichen, überparteilichen Stimmzettel diente, wie er in anderen Staaten genutzt wurde. Das Deutsche Reich folgte damit Baden und Württemberg, die mit dieser Technik seit einigen Jahren gute Erfahrungen gemacht hatten. Seit 1892 hatte der Reichstag in jeder Legislaturperiode einen Antrag des liberalen Abgeordneten Heinrich Rickert zur geheimen Wahl mit Wahlkabine und Wahlumschlag angenommen, insgesamt vier Mal. Erst 1903 aber stimmte auch der Bundesrat der sogenannten »Lex Rickert« zu, was der Zusammenarbeit der Reichsregierung mit dem Zentrum in Fragen des Zolltarifs einerseits und andererseits dem Einfluss eines der bemerkenswertesten Beamten jener Zeit, Arthur von Posadowsky,40 zu verdanken war, des Staatssekretärs im Reichsamt des Innern.41

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Zitiert nach Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 383. Keyssar, Right to Vote, S. 143–145. Mit vollem Namen Arthur von Posadowsky-Wehner.

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Die Technik der Geheimhaltung – mit Urne, Kabine und mit Umschlag bzw. neutralem Stimmzettel – wurde im angelsächsischen Raum häufig als Australian Ballot bezeichnet, weil sie im kolonialen Australien 1856 erstmals angewendet worden war.42 So unterschiedlich sich die Reformansätze auf die vielfältigen Herausforderungen und Probleme auch gestalteten, theoretisch lassen sie sich mit Luhmann als funktionale Spezifizierung umreißen.

Reformbewegungen in den USA und Europa Wer waren diese Reformer? In den USA gehörten sie zur Bewegung der progressives. Nach ihnen benennt man in der amerikanischen Geschichte die Zeitspanne von den 1890ern bis zu den 1920ern Progressive Era. Diese Bewegung war, wie die neuere Forschung zeigt, extrem heterogen, sowohl was die Akteure als auch was ihre Ziele betraf.43 Doch sie alle beschäftigten sich mit ähnlichen sozialen und politischen Problemen, und ihre Interpretation davon glich sich in vielerlei Hinsicht: Sie sahen sich selbst in der Verantwortung, die Probleme anzugehen und – die Welt zu verbessern.44 Das gilt ganz ähnlich für die europäische Reformbewegung in dieser Zeit. Nicht nur weil sich der Reformeifer weltweit finden lässt, sondern auch weil die Reformerinnen und Reformer vielfach über Ländergrenzen hinweg Kontakt hielten und sich austauschten, lässt sich von einer internationalen Reformära um 1900 reden. Die amerikanischen Reformer gehörten wie in Deutschland häufig zum gebildeten Bürgertum, oft waren es Juristen, die ihre Ausbildung an den besten Universitäten genossen hatten und ihre Kompetenz nutzten, um Reformgesetze auf den Weg zu bringen.45 In Flugblättern, Streitschrif41

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45

Notiz Posadowsky-Wehner, Berlin, 25. 11. 02, C. B. 1305, Abschrift, BA R 43/1788, BA ; das war zwar »Produkt eines politischen Tauschgeschäfts«, wie Arsenschek hervorhebt, doch damit widerlegt er Anderson nicht, die die Neuerung als Ausdruck der Demokratisierung sieht (Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 357f.). Crook/Crook, Reforming Voting Practices. Cocks u.a., Introduction, S. vii; Piott, Daily Life, S. 133. Connolly, Triumph of Ethnic Progressivism, S. 11; s. auch ebd. S. 8–14 u. 77–78; Nugent, Progressivism, S. 1 u. 3; vgl. auch die Definition der Progressive Movements von McGerr, Fierce Discontent, S. xiv–xvi. Vgl. W. M. Ivins, »On the Electoral System of the State of New York. A Paper presented at the 29th Annual Meeting of the New York Bar Association«, 17. 1. 1906, Bard Papers, Box 73, NYPL ; »The Worthless Ballot Law«, NY T, 29. 5. 1908; Woodruff, Election Methods and Reforms; Harris, Registration of Voters.

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ten und voluminösen Büchern setzten sie sich mit den herrschenden Missständen, mehr aber noch mit Reformvorschlägen auseinander. Journale wie Nation, Atlantic Monthly oder Harper’s Weekly, in denen sie ihre Ideen darlegten, konstituierten einen förderalen intellektuellen Kommunikationsraum. Die Reformer initiierten aber auch Massenveranstaltungen und Zeitungsaufrufe, um für ihre Ideen zu werben.46 Sie befürworteten, wie es der Historiker James J. Connolly ausdrückte, »einen Aufruf zu gemeinsamem Handeln gegen egoistische und korrumpierende Interessen«.47 Die Gruppe der Wahlreformer, die bisher kaum untersucht wurde,48 bemühte sich, Demokratie rationaler und disziplinierter zu gestalten. Sie sprach von »Reinheit« (purity) der Wahlen, eine Metapher, die sich in nahezu allen Reformdiskursen um die Wahlen wiederfand.49 Für sie gilt in besonderer Weise, was Shelton Stromquist über die progressives gesagt hat, dass sie eine »Neuerfindung ›des Volkes‹« anvisierten.50 Zwar standen die bürgerlichen Reformer oft prominent im Vordergund, und häufig hatten sie führende Positionen inne. Doch auch nicht bürgerliche Schichten gestalteten maßgeblich die neue Zeit. So müssen zu den Reformorientierten auch die noch als Sklavin geborene Emma Ray oder Arbeiterinnen wie die Sozialistin Adelheid Popp gerechnet werden, die sich beide für soziale Reformen einsetzten – die eine in Wien, die andere in Seattle. Tatsächlich spielten in der Reformbewegung Frauen aus allen Schichten eine herausragende Rolle, durch die sie eine bisher nicht gekannte Autorität im öffentlichen Leben errangen.51 46 47

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Skowronek, Building a New American State, S. 44; Ivins, Machine Politics; Davenport, Election and Natuarlization Fraud; Davenport, Election Frauds. Connolly, Triumph of Ethnic Progressivism, S. 11f., s. auch S. 8–14 u. 77–78; vgl. zur Definition auch Nugent, Progressivism, S. 1 u. 3; Cocks u.a., Introduction, S. vii. Man kann wohl auch mit Michael McGerr von den Reformern als einer Mittelklasse sprechen, die sich ihr »middle-class paradise« herbeisehnte (McGerr, Fierce Discontent, S. xv). Einiges findet sich in Stromquist, Reinventing, S. 67–70; Bass, The Politics of Ballot Reform. Die Metapher tauchte im Zusammenhang mit Wahlen schon in der ersten Jahrhunderthälfte auf, etwa: To the Honorable the Common Council of the City of New York, o. D., NYC Common Council Papers, Box 115, Fold. 2143, Elections 1828, SCDAH ; Memorial of Sundry citizens of Prince George Minyan, Dec. 15. 1830, S165015, Item 44, 1830, SCDAH ; Petition L. G. W. Dill, 1843, South Carolina Department of Archives and History, S165015, Item 123, 1843, SCDAH . Stromquist, Reinventing, S. viii. McGerr, Fierce Discontent, S. 79 u. 86.

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Die international häufig gut vernetzten Reformerinnen und Reformer bekämpften in den USA , in Kanada und den europäischen Ländern Prostitution und unhygienische Wohnverhältnisse ebenso wie Alkohol oder schlechte Schulbildung – und sie machten all das bemerkenswerterweise zu einer Aufgabe der öffentlichen Hand. Sie initiierten den Denkmalschutz und setzten sich für die Gründung von Nationalparks ein. Reformer hatten nicht weniger als die ganze Gesellschaft im Blick.53 Amerikanische Reformer wirkten in aller Regel gleich in mehreren der Weltverbesserungsvereine mit, die in jener Zeit wie Pilze aus dem Boden schossen. In New York spielten die Citizens Union oder der City Reform Club eine besonders wichtige Rolle. In der Electoral Laws Improvement Association oder der Association to Prevent Corrupt Practices at Election arbeiteten Männer wie William Mills Ivins, ein renommierter Reformer und republikanischer Politiker, oder Seth Low (republikanischer Bürgermeister New Yorks und Präsident der Columbia Universität).54 Vereine für eine Wahlreform beschäftigten sich mit Fragen der Wahlpraxis, so das Corrupt Practices Committee, die Municipal Voters’ League oder die Honest Ballot Association.55 Während amerikanische Reformer selten zu den bestallten Staatsdienern gehörten, waren in Preußen diejenigen, die sich Gedanken über Wahlreformen machten, häufig Beamte und demonstrierten die Innovationsfreude der preußischen Bürokratie. Tatsächlich gehörte die Beamtenlaufbahn in Deutschland zu den attraktivsten Karrieren und vermochte die besten Köpfe sowohl aus dem Adel als auch aus dem Bürgertum anzuziehen. Die scharfe Trennung zwischen dem (zivilgesellschaftlichen) Bürgertum einerseits und der Bürokratie andererseits, die in der Forschung zuweilen gezogen wird, ergibt also wenig Sinn, weil die gegenseitige Iden52

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Committee on Press and Literature of the Citizens’ Union, Campaign Book; Schüler, Frauenbewegung, S. 351; Rodgers, Atlantiküberquerungen; Maier, Twentieth Century, S. 174; Cocks u.a.: Introduction, S. xxix; White, Government of American Cities; Conrad, Globalgeschichte, S. 157; Crook, L’Avènement, inbes. S. 57–59. Schüler, Frauenbewegung, S. 351; Rodgers, Atlantiküberquerungen; Maier, Twentieth Century, S. 174; Cocks u.a.: Introduction, xxix; White, Government of American Cities; Conrad, Globalgeschichte, S. 157; Bard Papers, 1896–1959, bes. Box 18, 62–64 and 69, NYPL . In New York gibt es einen Alberd-S.-Bard-Preis für Denkmalschutz. Bard Papers, 1896–1959, Box 18, Fold. 8: Elect. 1906–1939, NYPL , insbesondere »Statement on The Election Laws Improvement Association«, 9. 2. 1906; Bard Papers, 1896–1959, Box 18, Fold. 8: Elect. 1906–1939, NYPL . Bard Papers, 1896–1959, files in Boxes 18, 62–64 and 69.

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tifikation stark und Übergänge fließend waren.56 Im Amt entwickelten sich die Männer oft »von feudalen und borussischen Normalkonservativen zu modernen und reichsorientierten Reformkonservativen«, so Nipperdey über die Modernisierungsambitionen der Staatsdiener.57 Zu den interessantesten Beispielen gehört der oben erwähnte promovierte Staatssekretär des Innern, Arthur von Posadowsky, der die Wahlreformen 1903 vorangetrieben hatte. Natürlich gab es auch außerhalb der Bürokratie reformerischen Eifer: Journalisten oder angesehene Bürger wie Max Weber, Hugo Preuß oder Theodor Wolff, aber auch Frauenrechtlerinnen wie Gertrud Bäumer oder Helene Lange oder der sozialistische Intellektuelle Leo Arons gehörten zu den Reformkräften.58 In einer Neubewertung des Progressive Movements in den USA haben seit einigen Jahrzehnten Historiker wie Howard W. Allen und Kay Warren Allen oder Paul Kleppner die Behauptung aufgestellt, die Missstände bei den Wahlen seien primär ein Konstrukt der progressives gewesen, denen es in Wirklichkeit darum gegangen sei, Afroamerikaner, Einwanderer und Arme von den Wahlen auszuschließen.59 Zentraler Bestandteil der Argumentation ist die Abnahme der Wahlbeteiligung in den USA , die 1896 noch bei 79 Prozent lag, nach dem Ersten Weltkrieg aber auf unter 50 Prozent absank.60 Doch auch wenn es wichtig ist, die Ressentiments des Bürgertums mitzubedenken, so ist es gleichwohl nicht überzeugend, Korruption schlicht in Abrede zu stellen. Kleppners Aussage etwa, dass der Nachweis für Korruption »bemerkenswert dünn« sei und im Wesentlichen auf der Studie des Reformers Joseph P. Harris beruhe, ist ebenso erstaunlich wie Allens und Allens Behauptung, die Evidenz für Wahlfälschungen sei »äußerst schwach«.61 Denn nicht nur die Zeitgenossen waren sich lange vor Harris’ Studien mit überwältigender Mehrheit einig, dass Korruption 56 57 58 59

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Kocka, 19. Jahrhundert, S. 145. Nipperdey, Machtstaat, S. 293 u. 138. Nipperdey, Machtstaat, S. 293; Schaser, Helene Lange und Gertrud Bäumer; Richter, Transnational Reform. Burnham, Critical Elections; Allen/Allen, Vote Fraud, v.a. S. 167–171; Kleppner, Who Voted?, S. 28–82; Kleppner, Defining Citizenship, S. 43–54; Lane, Voter Registration; Piven u.a., Keeping Down; Hayduk, Gatekeepers; Perman, Struggle for Mastery, S. 15. Vgl. zu dieser Frage auch überzeugend: Lessoff/Connolly, From Political Insult to Political Theory. Fredman, Australian Ballot. Kleppner, Continuity and Change, S. 168; Allen/Allen, Vote Fraud, v. a., S. 167; Harris, Registration of Voters.

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ein drängendes Problem sei. Auch empirisch arbeitende Historiker, die eine Vielzahl an Quellen nutzen, wie Altschuler und Blumin, zeigen das immense Ausmaß an Fälschungen. Die Quellen um 1900 – egal ob Briefe, Zeitungen oder Wahlunterlagen aller Art – offenbaren eine Flut an Manipulation, Korruption, Fälschung.62 Die Abnahme der Wahlbeteiligung bei den amerikanischen Wahlen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war außerdem ein grundlegendes und langfristiges Phänomen, das nicht allein mit dem Progressive Movement erklärt werden kann, wie der Historiker Mark L. Kornbluh darlegt. Andere Faktoren spielten eine wichtigere Rolle: Sport, neuartige Vergnügungsparks wie der 1903 eröffnete Luna Park auf Coney Island oder die wachsende Theater- und Musicalszene gehörten zu den vielen Angeboten im Leben amerikanischer Bürger, die Politik in den Hintergrund treten ließen.63 Auch die Tatsache, dass es zwei getrennte Ein-Parteien-Systeme gab, die aufgrund des Mehrheitswahlsystems die meisten Wahlkreise unter sich aufgeteilt hatten, anstatt darum in einem bundesweiten Zwei-ParteienSystem zu konkurrieren, gestaltete die Wahlen weniger kompetitiv und spannend. Zudem verloren die Parteien auch ihre sozialfürsorglichen Funktionen. Die komplexer werdende Gesellschaft mit den sich ausweitenden staatlichen Verpflichtungen wie dem Bildungs- und Wohlfahrtssystem oder der Infrastruktur für Verkehr und Kommunikation – all das bedurfte einer effektiven Bürokratie und nicht einer halb offiziellen Parteiorganisation in der Hand klientelistischer Parteifunktionäre. Die staatlichen Ausgaben pro Kopf waren von 17 Dollar im Jahr 1800 auf 107 Dollar um 1900 gestiegen.64 Die Partei-Maschinen hatten nur im Geben-undNehmen funktioniert, und ohne Gegenleistungen gab es für viele Männer keinen Grund mehr, die mühsame Wahlschlepperei oder auch nur den Wahlakt zu leisten.65 Dennoch lassen sich elitäre Charakterzüge gerade unter den Wahlreformern nicht abstreiten. Sie waren für Demokratie, aber sie wollten sie, wie wir oben gesehen haben, als nüchtern-bürgerliches System, nicht als korruptes Volksvergnügen. Theoretisch klang das in den Worten der zeit-

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Vgl. etwa Altschuler/Blumin, Rude Republic; Bensel, Ballot Box; Campbell, Deliver the Vote, S. xvi et passim. Tindall/Shi, America, S. 639–635. Holcombe, From Liberty to Democracy, S. 139. Kornbluh, Why America Stopped Voting, S. 2.

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genössischen Politikwissenschaftler so: »Es ist ein Irrtum, die ganze Nation mit den Wahlberechtigten gleichzusetzen. Auch wenn die Regierung ihre Autorität von der Nation herleitet, bezieht sie diese nicht allein aus den Stimmen, die bei einer Wahl abgegeben werden.«66 Reformer als Antidemokraten abzuqualifizieren wäre ein unangemessenes Urteil. Wir werden auf diesen Konflikt und Widerspruch noch zu sprechen kommen. Die deutschen Reformer und die American progressives glaubten daran, dass sich die Massen – zu deren Herrschaft es keine Alternative gab – bilden ließen. Und die Entwicklungen gaben ihnen recht: Die Bildungsrate nahm weiter zu. Die Geburtenrate sank derweil dramatisch. Frauen konnten aus den Familienbanden treten, sich unabhängig machen, weiterbilden oder selbständig arbeiten. Reformer glaubten daran, die Welt verbessern zu können. Dabei verdeutlichten die US -amerikanischen progressives ihr grundsätzliches Einverständnis mit demokratischen Idealen.67 »Werft die Bosse raus und holt das Volk herein«, lautete die Überschrift auf einem Flugblatt – geradezu eine Kurzfassung des reformerischen Credos.68 Wahlreformer sahen sich selbst als »überzeugte Anhänger der wahren Demokratie«,69 die dazu aufforderten, »den unabhängigen Geist des amerikanischen Wählers unter Beweis zu stellen und einer wahren Demokratie entschiedenen Zuspruch zu verleihen«.70 Reformer betonten, »das Volk, das einer Regierung unterstehen soll, hat das Recht, in dieser Regierung eine Stimme zu haben«.71 – »Unsere Regierungsform bedeutet, dass das Volk der Souverän ist und dass die Macht vom Volk auf den Amtsinhaber 66 67

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Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 13. Johnston, New York after the Revolution, S. 310f.; Tindall/Shi, America, S. 741; Speech of Jonathan Bourne, Popular v. Delegated Government, 1. 5. 1910, Bard Papers, 1896–1959, Box 69, Fold. 15, NYPL ; Flugblatt, »To the Senate and Assembly of the State of New York«, ca. 1908, Illustration of Principle, Bard Papers, Box 64, Fold. 2, NYPL ; Levy, Elector’s Hand Book, S. 3. Flugblatt, »Put the bosses out and put the people in. An open letter sent by Arthur S. Leland to Charles H. Young, President of the Republican Club or the City of New York, On Direct Mandatory Nominations«, 11. 2. 1909, George Bliss Agnew Papers, 1868–1941, Box 6, Fold. 3, NYPL . Brief an Harrington Putnam of the Brooklyn Democratic Club, Brooklyn, 31. 10. 1901, Brooklyn Daily Eagle, 1. 11. 1901, Richard R. Bowker Papers, Box 93, Writings, NYPL . »Miscellaneous«, o. A., ca. 1912, Richard R. Bowker Papers, NYPL ; ähnlich Flugblatt, »To the Senate and Assembly of the State of New York«, ca. 1908, Illustration of Principle, Bard Papers, Box 64, Fold. 2, NYPL Flugblatt, »The Theory of Our Government«, ca. 1895, David B. Hill Papers, 1886–1910, NYPL .

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ausstrahlt, und nicht umgekehrt«, hieß es in einer anderen charakteristischen Formulierung.72 Viele Reformer sorgten sich auch um die abnehmende Zahl an Wählern.73 Manche sahen sich in der Tradition der ersten Reformer, die in den Jahren nach dem Bürgerkrieg Pionierarbeit für die Enforcement Acts geleistet hatten, mit denen die republikanische Regierung um 1870 das gleiche Wahlrecht für Afroamerikaner hatte sichern wollen. Auch das – neben den elitären und rassistischen Einschlägen – gehörte zur ambivalenten Tradition der Wahlreform.74 Die grundsätzliche Ablehnung der Demokratie jedenfalls hatte keine Gültigkeit mehr. Zeitgenössische Beobachter verorteten die Demokratiemüdigkeit in die Vergangenheit der Nachkriegsjahre: »Das Schauspiel, das die Südstaaten während dieser Jahre abgaben, ließ nüchterne Männer daran zweifeln, ob die Demokratie nicht doch gescheitert sei und ob wahre Demokratie wirklich das allgemeine Wahlrecht einschließen müsse.«75 Nun aber rüttelte kaum noch jemand am Massenwahlrecht. Das Ideal der rationalen Regierung hing also sowohl in den USA als auch in Deutschland mit dem Konzept der Massenpartizipation zusammen. Von diesem säkularen Prozess der Demokratisierung, der sich in der nordatlantischen Welt vollzog, handelt dieses Kapitel. In den folgenden Ausführungen soll dabei ein genauer Blick auf den Wahlakt geworfen werden: wie er mit der diskursiven Erzwingung von Reformen, mit Bildung und Erziehung, mit der Ordnung der Körper und der Ordnung der Zeit und schließlich mit den Dingen im Wahllokal diszipliniert, standardisiert und rationalisiert wurde, sodass er – der Wahlakt – dem zeitgemäßen Ideal von der Herrschaft der rationalen Massengesellschaft entsprach.

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Flugblatt, »Put the bosses out and put the people in. An open letter sent by Arthur S. Leland to Charles H. Young, President of the Republican Club of the City of New York«, 11. 2. 1909, George Bliss Agnew Papers, 1868–1941, Box 6, Fold. 3, NYPL ; vgl. Flugblatt, »WANTED A FAIR ELECTION LAW «, Reform Club, 233 Fifth Avenue, New York, 7. 2. 1899, Bard Papers, Box 62, Fold. 3, 1899–1912, NYPL . Petition, »To the Legislature of the State of New York«, 1897, George Bliss Agnew Papers, 1868–1941, Box 6, Fold. 4, NYPL ; »Editorial. The Missing Voters«, NY T, 21. 4. 1926. Vgl. das Titelblatt von Davenport, Election and Naturalization Fraud; Quigley, Acts of Enforcement, S. 276–278. Porter, Negro Suffrage, S. 199.

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Reformdiskurse, Skandalisierung und Fortschrittsoptimismus In Preußen kam es mit dem Dreiklassenwahlrecht allenthalben zu Genierlichkeiten. Technik und Anordnung waren aus der Zeit gefallen. Mancher Fabrikbesitzer setzte sich einfach zur besseren Kontrolle mit an den Tisch des Wahlvorstandes, ohne diesem Gremium anzugehören.76 In zahlreichen Wahlbeschwerden offenbart sich das Unbehagen der Wähler, das sie bei dem altertümlichen Prozedere befiel: das demütigende Warten vor dem Tisch des Wahlvorstandes, dieses Vor-den-Tisch-Treten, um sein Votum zu Protokoll zu geben, vielfach unter den Augen der Autoritäten. Häufig kam es aber auch zum umgekehrten Fall, der Zeitgenossen wohl noch bedenklicher schien: das Chaos der vielen Männer im stickigen Raum, das einen geordneten Wahlablauf verhinderte; das eigentlich verbotene, lautstarke Agitieren; die Stimmabgabe nicht vor dem Tisch, sondern gesetzeswidrig aus dem Gedränge; Konfusion, Dämmerlicht, Körperkontakt.77 »Durch die Überfüllung beider Wahllokale wurde es den Wahlvorständen aber unmöglich, irgend welche Ordnung hierbei aufrecht zu erhalten«, hieß es 1889 in einer Wahlbeschwerde.78 In Marienburg bei Danzig postierte sich der Wahlvorstand im Schützenhaus mit seinem Tisch auf der Theaterbühne, während die Wähler unten stehen mussten, was zu zahlreichen Regelwidrigkeiten führte.79 Ein Zeuge berichtete von tumultartigen Wahlen in einer Turnhalle, bei denen die Sozialisten die Oberhand hatten und verhinderten, dass andere an den Wahltisch herantreten und ihre

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Bericht der Wahlprüfungs-Kommission, 18. 3. 1885, No 275, Berichterstatter Liebknecht, 4, I. HA Rep 169 C 80, Nr. 18, Bd. 4, GStA PK . Sten. Ber. pr. AH , 23. 3. 1860, S. 623; Sten. Ber. pr. AH , 9. 12. 1863, S. 357–359; No 36. Anlage, No 334, Berichterstatter: Abgeordneter Sachse. Haus der Abgeordneten, 19. 6. 1880; C. Berichterstatter: Abgeordneter Parisius, I Danzig, Verhandlungen über die durch die Wahlprüfungs-Kommission geprüften Abgeordnetenwahlen, No 168, Haus der Abgeordneten, 22. 2. 1877. I. HA Rep. 169 C 80, 18, Bd. 1, GStA PK ; Wahlprotest dreier Bürger, Berlin, 4. 12. 1889, u. weitere Unterlagen in A Rep. 001–02–01, Nr. 232, 1889–1891, Bl. 7–12, LAB . Wahlprotest dreier Bürger, Berlin, 4. 12. 1889, A Rep. 001–02–01, Nr. 232, 1889–1891, Bl. 7–12, LAB . C. Berichterstatter: Abgeordneter Parisius, I Danzig, Wahlprüfungs-Kommission, No 168, Haus der Abgeordneten, 22. 2. 1877. I. HA Rep. 169 C 80, 18, Bd. 1, GStA PK ; Wahlprotest dreier Bürger, Berlin, 4. 12. 1889, u. weitere Unterlagen in A Rep. 001–02–01, Nr. 232, 1889–1891, Bl. 7–12, LAB .

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Stimme abgeben konnten.80 Als 1913 eine Erhebung die Wahlvorsteher zu ihren Reformwünschen befragte, ähnelten sich die Kommentare hinsichtlich »des ganzen unsinnigen Wahlsystems« in Preußen: Man brauche ein »vernünftigeres, gerechteres Wahlgesetz«, an »dem öffentlichen und indirekten Wahlverfahren sind so große Mängel, dass kaum auf dieser Basis Reformen einzuführen sind«, allein eine »Abschaffung« sei angemessen etc.81

Gegen das Dreiklassenwahlrecht Der Protest gegen das Klassenwahlrecht wuchs. 1908 hatten Regierungsmitglieder Wilhelm II . gedrängt, in einer Thronrede zur Eröffnung des preußischen Landtages die Wahlreform zu einer »der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart« zu erklären: Das Wahlrecht müsse »eine organische Fortentwickelung erfahren, welche der wirtschaftlichen Entwickelung, der Ausbreitung der Bildung und des politischen Verständnisses sowie der Erstarkung staatlichen Verantwortlichkeitsgefühls entspricht«.82 Das war mehr als ein Lippenbekenntnis, um die Liberalen zu besänftigen.83 Denn nun war selbst der Monarch in das Reformvorhaben involviert, und damit musste auch dem letzten Konservativen klar sein, in welche Richtung der Weg ging. Künftig würden sich alle Freunde der Reform auf das Versprechen des Königs beziehen – so etwa die Industriellen, Wissenschaftler, Künstler und Intellektuellen, die 1909 zu Hunderten den Aufruf »Für die Preußische Wahlreform« unterschrieben.84 Zu den Erstunterzeichnern, die nicht nur aus Preußen, sondern aus dem ganzen Reich kamen (darauf hatten die Initiatoren Wert gelegt), gehörten Max und Alfred Weber, Franz von Liszt, Georg Simmel, Friedrich Meinecke, Edgar Jaffé, Ferdinand Toennies, Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Engelbert Humperdinck, Max Slevogt oder Lovis Corinth. Der Aufruf stieß in der deutschen Öffentlichkeit auf breite Resonanz. Unter einem Separatdruck standen später weitere 80 81

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Sitzung Stadtverordneten-Versammlung, 23. 1. 1890, Bl. 53–60, A Rep. 001–02–01, Nr. 232, 1889–1891, LAB . VIII : Änderungen des bestehenden Landtagswahlrechts werden in folgender Weise gewünscht. Zusammenstellung der Wünsche der Wahlvorsteher, Berlin, o. D., 1913, A Rep. 001–03, Nr. 56, Magistrat zu Berlin, 1848–1919, LAB . Sten. Ber. pr. AH , 20. 10. 1908, Sp. 3. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 524–526. Berliner Tageblatt, Nr. 620, 7. 12. 1909. Wesentlicher Initiator des Aufrufs war Theodor Wolff; für diesen Hinweis danke ich Bernd Sösemann.

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tausend Unterschriften angesehener Bürger.85 Auch diese Männer beriefen sich auf das Volk: »Der entscheidende Augenblick ist gekommen, wo es sich zeigen muß, ob der Wille des Volkes stark genug ist, Preußen, den führenden Bundesstaat, auf die Bahn des politischen Fortschritts zu drängen«, hieß es in dem Aufruf. »Ein Volk von 60 Millionen, das in Handel und Industrie, in Gewerbe und Technik, in Wissenschaft und Kunst rastlos der Vollkommenheit zustrebt«, dürfe sich nicht von einer »kleinen Oberschicht« die Richtlinie vorgeben lassen.86 Zeitungen und politische Versammlungen griffen das Thema wieder und wieder auf. Unter den Hauptagitatoren gegen das Dreiklassenwahlrecht fand sich auch der Theologe und liberale Politiker Friedrich Naumann. In Großveranstaltungen forderte er ein Ende des Klassenwahlrechts.87 Auf einer Massenveranstaltung mit 2500 Besuchern in der Brauerei Friedrichshain in Berlin griff er die Regierungsmitglieder an, die immer wieder ihre Hochschätzung des Reichstagswahlrechts beteuerten, zugleich jedoch am Dreiklassenwahlrecht festhielten.88 Auch Studierende machten in Vortragsveranstaltungen auf den Reformbedarf des preußischen Wahlrechts aufmerksam.89 Das bürgerliche Engagement für das allgemeine und gleiche Wahlrecht ist kaum bekannt. Dabei gehörten in Preußen von jeher führende Intellektuelle zu den Befürwortern eines demokratischen Partizipationsrechts. Rudolf Virchow etwa – kein Außenseiter, sondern eine hochangesehene Persönlichkeit – setzte sich in seinen vierzig Jahren als preußischer Landtagsabgeordneter und in seinen 13 Jahren im Reichstag beständig für das allgemeine und gleiche Stimmrecht ein.90 Überhaupt entwickelte sich der Reichstag zu einem der Hauptkritiker des preußischen Klassenwahl85 86 87

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»Für die Preußische Wahlreform«, Berliner Tageblatt, Nr. 620, 7. 12. 1909; Editorischer Bericht zu »Für die Preußische Wahlreform«, Max-Weber-Gesamtausgabe, S. 453–457. Berliner Tageblatt, Nr. 620, 7. 12. 1909. 8. Hauptmannschaft, Berlin, 23. 2. 1910, Anmerkungen zu Artikel »Eine freisinnige Wahlrechtskundgebung«, Welt am Montag, 21. 2. 1910, A Pr.Br.Rep.030, Nr. 14305, Wahlrechtskampf in Preußen, 1910–1911, Polizeipräsidium, LAB ; »Gegen die volksfeindliche Wahlrechtsvorlage«, Berliner Tageblatt, Nr. 93, 21. 2. 1910. »Gegen die volksfeindliche Wahlrechtsvorlage«, Berliner Tageblatt, Nr. 93, 21. 2. 1910. Wipf, Studentische Politik, S. 131. Vgl. etwa Sten. Ber. pr. AH , 26. 11. 1873, 112 u. 5. 12. 1883, 199–201; Antrag, Haus der Abgeordneten, von Dr. Stern, Dr. Bender, Dr. Virchow u. anderen, 29. 11. 1883, u. Antrag, Haus der Abgeordneten, von Uhlendorff, unterstützt von Richter, Rickert, Virchow u.a., 22. 1. 1886, I. HA Rep. 169 C 80, 2, Bd. 3, Wahlangelegenheiten (1849–1918), GStA PK ; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 406.

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rechts.91 Der Reichstagsabgeordnete und einstige Staatsdiener Hellmut von Gerlach, ein Freund Friedrich Naumanns, erklärte 1908 in einer Streitschrift, dass beim Dreiklassenwahlrecht »jeder Wahlakt für die Überzahl der Wähler zu einem Akte der Vergewaltigung wird«.92 Die Bildungs- und Besitzbürger bildeten um 1900 eine selbstbewusste und potente Gesellschaftsschicht – Deutschland war kein ständischer Staat mehr, wie kurioserweise immer wieder behauptet wird. »Es ist kaum je bestritten worden, daß in Deutschland die sogenannten Mittelstände eine hervorragende kulturelle Stellung einnehmen, wie wohl in keinem anderen Lande«, erläuterte gar der Jurist und rechtsliberale Politiker Rudolf von Gneist die (gewiss nationalistisch eingefärbte) Sicht der Zeitgenossen.93 Doch während der bürgerliche Protest gegen das Klassenwahlrecht kaum bekannt ist, sind die Aktionen der Sozialdemokraten gut erforscht.94 Mit beeindruckenden Massendemonstrationen, die die Protestaktionen der Bürgerlichen um ein Vielfaches übertrafen, zogen sie durch die Straßen, und über viele Jahre versuchten »die Arbeiter den Chikanen ihrer Arbeitgeber« durch organisierten Wahlboykott zu entgehen.95 Simone Lässig bezeichnet die zahlreichen Aktionen der Sozialisten gegen das Klassenwahlrecht als »Anschubkraft« für Reformen.96 Es spricht vieles dafür, dass 91

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Von den vielen Beispielen sei genannt: Redebeitrag Stern, Sten. Ber. Pr. AH , 5. 12. 1883, 137, I. HA Rep. 169 C 80, 2, Bd. 3, GStA PK ; das bürgerliche Engagement passt nicht in die Sonderwegerzählung der antidemokratischen deutschen Eliten, auch wenn die Forschung längst eine positivere Bewertung des deutschen Bürgertums vorgenommen hat, vgl. Kocka, 19. Jahrhundert, S. 145f. Gerlach, Geschichte, S. 34. Gneist, Nationale Rechtsidee, S. 221. Von Paul Löbe wird sogar behauptet, er sei wegen eines Aufrufs gegen das Dreiklassenwahlrecht verhaftet worden – angesichts der massiven Aktionen gegen den preußischen Wahlmodus in allen Gesellschaftsschichten ist das wenig glaubhaft. Informationstext über Paul Löbe zu seinem Aktenbestand im Archiv der Sozialen Demokratie: http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/nachlass/nachlass_l/loebepa.htm [16. 2. 2017]; nach der freundlichen Auskunft des Archivs der Sozialen Demokratie vom 9. 11. 2015 gibt es zu dem Vorgang keine Akten, weil alle Unterlagen Löbes vor 1944 durch eine Bombe vernichtet wurden, evtl. gebe es Hinweise in der Literatur. Redebeitrag Fuchs, Sten. Ber. pr. AH , 5. 12. 1883, 192 + Redebeitrag Uhlendorf, 27. 1. 1886, 131, I. HA Rep. 169 C 80, 2, Bd. 3, GStA PK ; vgl. Czitrich-Stahl, Arthur Stadthagen, S. 492–494, 531–533 et passim; vgl. zu den Straßenprotesten auch Lindenberger, Straßenpolitik. Lässig, Der »Terror der Straße«, S. 234; vgl. Arons, Ergebnisse, S. 719 et passim; vgl. zu den Aktionen der Sozialdemokraten Notiz, o. A., Berlin 2. 3. 1910, u. weitere Anweisungen der Regierung in A Pr.Br.Rep.030, Nr. 15995, Sozialdemokratische Wahl-

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eine ernsthafte Reform des Dreiklassenwahlrechts unmittelbar bevorstand und der Erste Weltkrieg diese verzögert hat. Doch es gab machtvolle Gegenkräfte. In den Kommunen Preußens sicherte das Klassenwahlrecht den liberalen Eliten die Macht, wobei die Liberalen geflissentlich darauf hinwiesen, dass Kommunalpolitik schließlich ein anderes Wahlrecht erfordere als Staatspolitik. Dabei konnten die Bürger selbst die Höhe des Bürgerrechtsgeldes festlegen, das die Voraussetzung für das Wahlrecht bildete. Einige Großstädte wie Berlin, Breslau oder Köln verzichteten seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ganz auf einen solchen Betrag. Doch viele lokale Bürgerschaften insbesondere in Klein- und Mittelstädten legten die finanzielle Latte für das Wahlrecht sehr hoch und drosselten damit die Zahl der Wahlberechtigten.97 In den USA gab es ähnliche Bemühungen. Als Konsequenz der Korruptionsskandale führten bis zum Weltkrieg zehn US -Staaten Wahlrechtsqualifikation ein, die kommunale Kompetenzen auf Steuerzahler oder Vermögende reduzierten.98 Sachsen installierte 1896 ein Klassenwahlrecht, um die starke Sozialdemokratie zurückzudrängen, ebenso Hamburg. Insbesondere den regierungsnahen Eliten erschien das Dreiklassenwahlrecht als Schutzwall gegen die Sozialdemokratie.99 Diese sorgte mit ihrer Janusköpfigkeit für Angst und Schrecken, und es wäre ahistorisch, die Panik der Mehrheit als Hirngespinst abzutun. Die Reformkräfte in der Partei gewannen zwar an Einfluss. Angesichts der steigenden Reallöhne (von 1871 bis 1913 stiegen sie um 90 Prozent) schien vielen Sozialistinnen und Sozialisten das Reformengagement einleuchtender als die Revolution.100 Doch die Arbeiterpartei beharrte zumindest semantisch auf gewalttätigem Pathos, und die Zeitgenossen vermochten kaum zu erkennen, inwiefern es sich um rhetorische Übungen oder um eine ernsthafte Bedrohung handelte.101 1910 etwa konnten die Deutschen in der einflussreichen

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rechtsdemonstrationen (Spezialia), 1910–1912, Polizeipräsidium Berlin, LAB ; Artikel in R 8034 II , Nr. 5852ff.; vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 550. Budde, Blütezeit des Bürgertums, S. 44. Keyssar, Right to Vote, S. Table A.10.; Croly, Promise, S. 338f.; Llanque, Tammany Hall; vgl. zur positiven Einschätzung eines Zensus auf Kommunalebene Pohl, Kommunen. Vgl. die Zeitungsausschnitte vom Herbst 1897 in R 8034, II , 5075, Bl. 1–12, BA ; Pohl, Kommunen. Ullrich, Nervöse Großmacht, S. 140f. u. 338; Herbert, Geschichte Deutschlands, S. 38. Meinecke, Reform, S. 177, vgl. auch 162 u. 152; Delbrück, Regierung und Volkswille, S. 81f.

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sozialistischen Leipziger Zeitung lesen, den Sozialdemokraten gelte das Reichstagswahlrecht »nur als Waffe«, sie seien durchaus zum »gewaltsamen Umsturz« bereit.102 Die meisten Deutschen sahen sich als Patrioten, die sich wie die Zeitgenossen anderer Länder nationalistischen Gefühlen hingaben und die, wie wir oben sahen, die Reichsgründung für das Jahrhundertereignis hielten.103 Sie wollten keinen Umsturz, keine Revolution, kein Blutbad, wie es Funktionäre der Sozialisten immer wieder beschworen. Die Angst vor der wachsenden Sozialdemokratie wurde zum Hauptargument gegen eine Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts.104 Georg von Below formulierte besorgt im Hinblick auf das allgemeine und gleiche Wahlrecht: »Und zwar könnte die Tyrannis dann sowohl in der Gestalt hervortreten, daß aus dem Sozialismus heraus ein Diktator ersteht, als auch in der, daß die anarchischen Zustände einer sozialistischen Regierung eine Diktatur der Gegenpartei veranlassen.«105

Angst vor der Arbeiterbewegung Auch wenn die Ausgrenzung und Verteufelung der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung in Deutschland eine besondere Schärfe annahm (nicht zuletzt aufgrund des Sozialistengesetzes von 1878), so waren sie doch in anderen Ländern keineswegs unbekannt. In Belgien beispielsweise drehten sich Fragen des Wahlrechts stets auch darum, inwiefern dieses den Sozialismus eindämme.106 Und obwohl die Arbeiterbewegung in den USA weniger bedeutend war, rief sie auch dort Aversionen und Ängste hervor.107 Ereignisse in den USA wie der Eisenbahnstreik von 1877 mit über 100 To102 »Das allgemeine gleiche Wahlrecht«, Leipziger Volkszeitung, Nr. 41, 19. 2. 1910, R 8034II , 5852, BA . 103 Kocka, 19. Jahrhundert, S. 26; zum Nationalismus als weltweiter Massenbewegung: Conrad, Globalisierung, S. 316. 104 »Ist das jetzige Reichstagswahlgesetz für alle Zeiten unabänderlich, Tag, 22. 4. 1913; »Das Reichstagswahlrecht in Preußen«, Süddeutsche Nationalliberale Correspondenz, 27. 5. 1913. 105 Below, Wahlrecht, S. 31; vgl. auch das konservative Statement in »Des Staates erste Pflicht«, Deutsche Tageszeitung, 2. 4. 1910, R 8034II , Nr. 5852, Bl. 21, BA ; der Artikel rief allerdings heftige Gegenwehr hervor (»Tages-Rundschau«, Frankfurter Zeitung, Nr. 92, 4. 4. 1910); weitere Artikel pro und contra Reichstagswahlrecht in R 8034II , Nr. 5852, BA . 106 Nohlen/Opiela, Belgien; vgl. zu den Parallelen im europäischen Sozialismus: Osterhammel, Verwandlung, S. 864f. 107 Croly, Promise, S. 128.

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ten, die Haymarket Affair von 1886, an deren Ende vier Arbeiterführer gehängt wurden, die Niederschlagung des Pullman-Streiks 1894 (wie Dutzender anderer Streiks) durch Bundestruppen mit Toten und Verletzten oder die Attacken auf Streikende durch paramilitärische Polizeidienste – die Zahl der Opfer und die Gewalttätigkeit wären in Deutschland undenkbar gewesen. Zum zeitgenössischen Kontext gehört auch, dass weder in Europa noch in Nordamerika eine Arbeiterpartei vor dem Ersten Weltkrieg die Macht übernahm. Die deutsche Geschichte erweist sich also auch in diesem Punkt als recht durchschnittlich. Dennoch gilt natürlich: Bei allen antidemokratischen Gegenkräften, die durch die Arbeiterbewegung provoziert wurden, bleibt ihre Bedeutung für die Politisierung und Demokratisierung der Massen zentral, insbesondere im Deutschen Reich.108 Trotz der Bedenken gegen ein universal suffrage gerade in Deutschland sollte nicht übersehen werden, dass sich um 1900 auch die preußischen Konservativen nicht als Gegner eines allgemeinen Massenwahlrechts verstanden. Wie wir gesehen haben, waren sie längst in den Fortschritts- und Reformdiskursen, aber auch in den Praktiken der Massenpartizipation verfangen. Als der ostelbische Junker, Elard von Oldenburg-Januschau, erklärte: »Der König von Preußen und der Deutsche Kaiser muss jeden Moment imstande sein, zu einem Leutnant zu sagen: Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag« – da schüttelten die anderen Konservativen verständnislos den Kopf. Als Inbegriff preußischer Gesinnung kann das in der Historiografie so gern zitierte Wort sicherlich nicht gelten.109 Da es ihren Gegnern immer wieder gelang, konservative Wahlergebnisse wegen Wahlmanipulationen durch den Reichstag für ungültig erklären zu lassen, achteten die Konservativen zunehmend darauf, dass die Wahlen ordnungsgemäß abliefen.110 Freiherr von Zedlitz, Lieblingsfeind aller liberalen und sozialdemokratischen Wahlreformer, kommentierte die sozialistische Beteiligung bei den Landtagswahlen, es sei »vom politischen Standpunkt sicher kein Fehler« und werde die Gemüter beruhigen, wenn 108 Tindall/Shi, America, S. 606–615; Osterhammel, Verwandlung, S. 865 u. 889. 109 Sten. Ber. RT, 29. 1. 1910, 898; Ritter, Lesebuch, S. 90; vgl. etwa die Interpretation in Winkler, Der lange Weg nach Westen, S. 310. 110 Rathschläge für die conservative Wahl-Agitation in Stadt und Land vom Vorstand des Preußischen Volks-Vereins, 27. 9. 1863, VI . HA Nl Zitelmann, K., Nr. 93, Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Herbst 1863, Bl. 2, GStA PK ; Anlage an Brief von Regierungspräsident zu Bromberg an Landräthe des Bezirks, Bromberg, 24. 11. 1902, XVI HA Rep. 30, Nr. 595, GStA PK .

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Berlin künftig »einige sozialdemokratische Abgeordnete schickt«.111 Die Äußerungen vieler Konservativer ähnelten den oben genannten Zitaten amerikanischer Reformer, die mit ihren neuen Wahlregulierungen unerwünschte Bevölkerungsgruppen nicht grundsätzlich ausschließen, jedoch bei den Wahlen entschieden marginalisieren wollten. »Das allgemeine Stimmrecht [hat] zweifellos den großen Nachteil, daß bei demselben die intelligente Minderheit leicht durch die große Masse erdrückt wird«, schrieb der Wahlrechtshistoriker Georg Meyer.112 Das Dreiklassenwahlrecht verteidigten die Konservativen meistens nur noch als Bollwerk gegen die Sozialdemokratie und oft mit dem Eingeständnis, dass es in der Tat nicht perfekt und reformbedürftig sei. Die wenigen Verteidigungen klangen halbherzig: Es sei besser als sein Ruf, hieß es etwa, und die französischen oder belgischen Wahlregulierungen seien doch noch ungleicher.113 Der Verweis auf ein eingeschränktes Wahlrecht im Ausland war typisch für die konservative Argumentation.114 Tatsächlich war Preußen nicht das einzige Industrieland, in dem die Wähler kein gleiches Stimmrecht besaßen. Schweden, Luxemburg, Norwegen oder Spanien besaßen ein Zensuswahlrecht. Etliche US -Staaten führten, wie oben beschrieben, auf kommunaler, aber teilweise auch auf Staatsebene einen Eigentums- oder Steuerzensus ein, 13 Staaten installierten bis zum Weltkrieg eine poll tax, und viele führten Bildungstests für die Registratur ein.115

Vertane Chance: das Pluralwahlrecht Für Diskussionen sorgte bis in den Ersten Weltkrieg hinein das Pluralwahlrecht, das – je nach Präferenz – Gebildeten, Wohlhabenden, Älteren oder Familienvätern eine oder mehrere Stimmen verschaffen sollte. Dieser auch von John Stuart Mill favorisierte Wahlmodus genoss weltweit Anerkennung. In Preußen fand er unter liberalen ebenso wie unter konservativen Eliten Befürworter, darunter wichtige Reformerkräfte wie Hans Delbrück,

111 112 113

114 115

Zedlitz in »Der Tag«, zitiert nach Arons, Ergebnisse, S. 719; vgl. ähnlich »Wahlrecht und Wahlfähigkeit«, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, S. 1095. Meyer, Wahlrecht, S. 422. Gneist, Nationale Rechtsidee, S. 264f.; Below, Wahlrecht, S. 103, 145–151; Auszug Denkschrift des Innenministers, »Die nächsten Aufgaben«, 1. 8. 1891, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3230, GStA PK . »Moderne Wahlreformen«, Tag, Nr. 8, 10. 1. 1913. Keyssar, Right to Vote, S. Table A.10.

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Friedrich Thimme oder Otto Hintze.116 Das Pluralwahlrecht versöhnte den auf Gleichheit zielenden Zeitgeist mit den konservativen Sorgen, denn es unterstützte nicht wie das Klassenwahlrecht in (für die damalige Zeit) anstößiger Weise die Ungleichheit, und es zielte vor allem nicht allein auf Reichtum ab.117 Es bot eine moderne Wahltechnik mit meritokratischer Grundierung und schien daher Gleichheit zu gewähren, ohne Gleichheit zu erleiden. Das Pluralwahlrecht galt in Großbritannien, und auch Belgien ersetzte damit 1893 sein Zensuswahlrecht, was den Sozialisten einen furiosen Sieg ermöglichte. Hätte es für Preußen der erlösende Kompromiss sein können? Es ist nicht unwahrscheinlich, dass eine Mehrheit der Konservativen mit diesem Wahlrecht einverstanden gewesen wäre.118 Doch die linken Kräfte lehnten den Kompromiss ab, weil sie auch für Preußen nicht hinter dem fortschrittlichen Reichstagswahlrecht zurückbleiben wollten.119 Eine Reform des Dreiklassenwahlrechts blieb also nicht einfach deswegen aus, weil die Konservativen jede Veränderung grundsätzlich sabotierten (so viel Macht besaßen sie gar nicht) oder gar weil Preußen hoffnungslos rückständig war.120 Die Haltung der Konservativen war dabei durchaus schizophren. Denn während sie der Einführung eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Preußen widersprachen, wiesen sie regelmäßig lautstark die tak-

116 Mahaim, Proportional Representation; Nerincx, Compulsory Voting, S. 87–90; Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. II , S. 312f.; Below, Wahlrecht, S. 103, 161 u. 167; Meyer, Wahlrecht, S. 444–446; Llanque, Demokratisches Denken, S. 148 u. 151f.; Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 350; in den Akten finden sich viele Befürworter, vgl. etwa Major d. D. Philipsen reicht Druckschrift ein, 25. 4. 1918: »Das gleiche Stufenwahlrecht« u. weitere Akten in HA 1, Rep 169 C 80, Nr. 25, GStA PK ; »The Electoral System in Britain«, Desert Evening News, 9. 7. 1892; vgl. auch die zögerliche Zustimmung zu diesem Kompromiss Meinecke, Reform, S. 171. 117 Mattmüller, Durchsetzung, S. 230. 118 Gesetzesentwurf zur Abänderung der Vorschriften über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten, 4. 2. 1910, § 8, 5; Below, Wahlrecht, S. 161. Über das Scheitern des Reformvorschlages: Llanque, Demokratisches Denken, S. 164–167; vgl. »The People will win in Belgium«, NY T, 19. 4. 1893; »Belgium is Quiet again«, NY T, 20. 4. 1893; »Plural Voting in England«, NY T, 15. 4. 1894; »Lords throw out Government’s One-Man-OneVote-Measure«, NY T, 11. 12. 1906; »Many anomalties will be removed«, The Times-dispatch, 15. 7. 1912. 119 Ausführung Mitantragsteller Traeger, Protokoll der 12. Kommission über die Verhandlungen betreffend die Wahlrechtsvorlage, 1. Sitzung, 15. 2. 1910, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 2e, GStA PK . 120 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 549f.

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tischen Anschuldigungen ihrer Gegner zurück, sie wollten das Reichstagswahlrecht abschaffen.121 Diese ostentative Empörung wiederum signalisiert, wie unantastbar dieses Wahlrecht geworden war. Die liberale Frankfurter Zeitung erklärte 1903, das Reichstagswahlrecht habe »bereits solch tiefe Wurzeln in unserem Volke und Verfassungsleben geschlagen«, dass es nicht mehr beseitigt werden könne.122 Ganz ähnlich sahen das die Intellektuellen wie Leo Arons, Friedrich Meinecke oder Hans Delbrück.123 Konservative in der Defensive* 1893

1898

1903

1907

1912

Konservative

25,2

19,9

18,9

21,1

14,3

Nationalliberale

13,1

11,6

12,8

13,6

11,3

Linksliberale

12,1

12,4

9,1

12,4

10,6

Zentrum

24,2

26,7

25,2

26,4

22,8

Sozialdemokraten

11,1

14,1

20,4

10,8

27,7

Sonstige

14,0

16,3

13,6

15,7

13,3

*Mandatsverteilung, Reichstagswahlen 1871–1912 in Prozent Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, S. 505

121 Vgl. etwa »Wahlrecht und Volksbildung«, National-Zeitung, 16. 8. 1904; Artikel mit Zitaten aus der konservativen Presse, »Die reaktionären Umtriebe«, Vorwärts, Nr. 182, 5. 8. 1904, R 8034II , Nr. 5851, Bl. 2, BA ; Dokumente in R 8034II , Nr. 5851, BA , z.B. Professor H. G. Ziegler (Jena), »Das allgemeine gleiche Wahlrecht und die gebildeten Stände«, Februar 1906, Bl. 18; Flugschrift, 8. 8. 1910, u. weitere Dokumente in der Akte, A Rep. 044–03, Nr. 439, Bl. 3, LAB ; »Das Centrum und das Reichtags-Wahlrecht«, Kölnische Volkszeitung, 21. 1. 1898; Anderson, Lehrjahre, S. 494 u. 506. 122 »Frankfurt, 4. August«, Frankfurter Zeitung, Nr. 214, 4. 8. 1903; vgl. ganz ähnlich Robert Schmölder: »Das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht«, Tag, Nr. 176, 6. 4. 1906; Ganz ähnliche Positionen werden zitiert in »Die sächsischen Konservativen und das Reichstagswahlrecht«, Berliner Tagblatt, 16. 11. 1897, RLB R8034, II , 5075, Bl. 37, BA . 123 Vgl. etwa die drei Statements: Arons, Das preußische Wahlrecht, S. 1061; Meinecke, Reform, S. 150; Delbrück, Wahlrecht, S. 1; »Die sächsischen Konservativen und das Reichstagswahlrecht«, Berliner Tagblatt, 16. 11. 1897, RLB R8034, II , 5075, Bl. 37, BA .

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Die Konservativen konnten ihre Machtposition im preußischen Parlament zwar aufgrund des Klassenwahlrechts halten. Bei den Reichstagswahlen aber gelang es ihnen nur mithilfe des aggressiven Bundes der Landwirte, wenigstens einen Teil ihrer Wählerschaft zu mobilisieren. 1912 erhielten sie noch 14 Prozent, gegenüber 25 Prozent im Jahr 1893. Und selbst der reaktionäre Bund wollte das allgemeine Wahlrecht nicht missen.124 Der Zeitgeist zielte auf das universal suffrage. Das 1896 eingeführte sächsische Klassenwahlrecht wurde von Anfang an erzürnt bekämpft, vom »frivolen Übermuth der oberen Klassen« sprachen linksliberale und selbst nationale Kreise.125 Nach wenigen Jahren galt es als gescheitert und wurde 1909 wieder abgeschafft. In vielen anderen deutschen Staaten aber wurde das Wahlrecht ausgeweitet, dem Reichstagswahlrecht ganz oder teilweise angepasst.126 Die Konservativen fühlten sich ohnmächtig gegen diese Tendenzen. Doch sooft sie meinten, »die Unzufriedenheit der gebildeten Kreise mit dem allgemeinen gleichen Wahlrecht« erkennen zu können, so oft endeten sie in der Einsicht: »Es ist wie ein schicksalsstarkes Naturgesetz, daß Volksrechte wohl gegeben, aber nicht genommen werden können.«127 Der nationalliberale Bülow erklärte verärgert: »Über Gott, den Kaiser, den Papst, über Religion und alles sonst auf der Erde darf man reden, nur nicht über das Wahlrecht.«128 Freilich durfte man auch darüber reden, jedoch nur in reformerischer Absicht. Wie in der ganzen westlichen Welt waren um 1900 auch in Preußen Wahlreformen an der Tagesordnung. Bei »jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit«, spottete die Berliner Börsenzeitung, ziehe durch das preußische Parlament ein großes Thema: »Wahlreform! Und nochmals Wahlreform«.129 Konservative forderten den Ausbau der »Ansässigkeitsklausel«, Liberale und Katholiken verlangten eine strengere Geheimhal-

124 »Die Bündler und das Reichstagswahlrecht«, R 80348 II , Nr. 5851, Bl. 18, BA ; Retallack, Notables; vgl. zur Lage der Konservativen: Ullmann, Politik im deutschen Kaiserreich, S. 27f. Vgl. zur breiten Akzeptanz des Reichstagswahlrechts auch Biefang, Modernität, S. 254f.; Alexander, Freikonservative Partei, S. 376. 125 Vgl. die Beschreibung einer Versammlung des Nationalsozialen Vereins: »Das allgemeine Wahlrecht als Grundlage der inneren und äußeren Politik«, Deutsche Wacht, 30. 9. 1897. 126 Llanque, Demokratisches Denken, S. 73. 127 »Wahlrecht und Volksbildung, National-Zeitung, 16. 8. 1904. 128 Zitiert in Artikel »Zum Wahlrecht«, R 8034 II , Nr. 5852, Bl. 67, BA . 129 »Aus dem Abgeordnetenhause«, Berliner Börsenzeitung, Nr. 181, 19. 3. 1913.

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tung, andere wollten die Wahlpflicht, und eine wachsende Zahl an gebildeten Bürgerinnen und Bürgern forderte ebenso wie die Sozialdemokratie die Einführung des Frauenwahlrechts.130 Alle Seiten nahmen an den Diskussionen teil. Und meistens beriefen sie sich auf das Ideal des »wahren Volkswillens«. Daher waren auch Reformen des Reichstagswahlrechts, wie die von 1903 zur besseren Geheimhaltung, möglich. »Daß man dann in Preußen nicht allein zurückbleiben kann«, erklärte die Frankfurter Zeitung, »erscheint angesichts der unleugbaren Demokratisierung der allgemeinen Anschauungen gewiss, mag ein so wünschenswerthes Ereignis auch auf sich warten lassen.«131

Funktionen der Reformdiskurse Reformdiskurse sind Ausdruck des Neuen, mehr noch, sie sind ein genuiner Ausdruck der Moderne. Deren wichtiges Kennzeichen ist Selbstreflexion und die daraus folgende Korrektur. Da Wahlen als moderne Institution nicht traditional begründet werden konnten, standen sie zur Disposition, und ihre Verbesserung war grundsätzlich wünschenswert.132 Dabei können die Reformüberlegungen Auskunft über die jeweiligen Bedeutungen und Funktionen von Wahlen geben. Nach der Unabhängigkeit wünschten die US -Amerikaner beispielsweise nicht schlicht eine »demokratische« Verbesserung, wie zuweilen in der Forschung insinuiert wird.133 Vielmehr ging es um die Delegitimierung der alten Herrschaft, indem man vorgeblich die »englische Krankheit« der Korruption bekämpfte, ohne doch tatsächlich die Manipulationen einzudämmen. Amerikanische Eliten wollten damals die Wahlen »amerikanisieren« und als Demonstration der freien und gleichen Bürger aufführen. Entscheidend für Reformen ist es also, die vorherigen Praktiken zu depotenzieren; deren Überwindung demonstriert die Legitimation des neuen Regimes. Die vehementen Forderungen nach Wahlreformen in den westlichen Ländern um 1900 und die hochgedrehte Lautstärke der Klagen 130 Vgl. die Zeitungsartikel von 1913 und 1914 in der Sammlung R 8034 II , Nr. 5853, BA ; »Wahlpflicht«, Hamburger Nachrichten, 14. 1. 1898; »Das Centrum und das ReichtagsWahlrecht«, Kölner Volkszeitung, 21. 1. 1898; »Die Conservativen und das ReichstagsWahlrecht«, Mecklenburgische Nachrichten, 29. 1. 1898. 131 »Frankfurt, 13. November«, Frankfurter Zeitung, 13. 11. 1897. 132 Vgl. über die »Selbstreflexivität moderner Institution« und ihre Bereitschaft zur Reform: Pollack/Rosta, Religion in der Moderne, S. 44–47. 133 Dinkin, Voting in Revolutionary America, S. 90.

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über Wahlbetrug verwiesen ebenfalls auf ein neues Regime: die Fundamentalpolitisierung, die Akzeptanz für Massenpartizipation – in einer funktional differenzierten Gesellschaft. Dieses neue Regime ließ das Dreiklassenwahlrecht in Preußen und die Korruptionspraxis in den USA alt aussehen.134 Und da die Fundamentalpolitisierung und die modernen Massenmedien das Interesse der Bevölkerung an politischen Skandalen und Korruption weckten, nahmen die Menschen intensiv Anteil an der Empörung. Neben dem Fortschrittsoptimismus flackerte immer wieder ein »Notstandsgefühl« auf.135 Angesichts der Skandalisierungen und allgegenwärtigen Reformforderungen fingen selbst eingefleischte Parteileute an, sich um Fairness und redliche Verfahren zu bemühen; alle mussten die Reformdiskurse bedienen.136 Die Anprangerung der politischen Korruption in den USA wurde geradezu populär und vermengte sich in der breiten Bevölkerung mit dem alten, tief sitzenden Misstrauen gegen Parteien. Von daher erklärt es sich auch, dass die Reformer mit ihren Programmen bei den Wahlen häufig eine Mehrheit erhielten.137 Die Reformen und ihre Aushandlungen zeigen, wie sich der diskursive Aspekt der Korruption mit dem konkret-praktischen vermengte.138 So versuchte das etablierte Bürgertum in den USA , sich mit Wehklagen über Korruption die Wahlen wieder anzueignen. Das funktionierte deshalb so gut, weil Korruption in der neuen Zeit als etwas Verwerflicheres galt als je zuvor.139 Allerdings hatte die Korruption seit der Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich auch zugenommen, unter anderem weil die Anzahl der Wähler gestiegen war, weil die Parteiorganisationen angewachsen waren und weil es auf staatlicher Ebene wesentlich größere Summen zu verteilen gab als zuvor. Ein faktischer (und nicht nur von Eliten reklamierter) Reformbedarf

134 Bösch, »Kornwalzer«, S. 343; Bösch, Mediengeschichte, S. 109; Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 29. 135 Bösch, Öffentliche Geheimnisse; Kohlrausch, Monarch im Skandal; Wiebe, The Search for Order, S. 45. 136 McCormick, Public Life, S. 108 u. 121f.; Steffes, School, Society, and State, S. 2–5; Connolly, Elusive Unity, S. 165–88; Keogan, Sense of Place; Cocks u.a., Introduction, S. xxxi; Piott, Daily Life, S. 133; vgl. die positive Interpretation der Reformer von Ruswick, Almost Worthy. 137 Croly, Promise, S. 141. 138 Vgl. zur Trennung von Praktiken und Debatten: Engels, Geschichte der Korruption, S. 16–18. 139 Biefang, Macht, S. 122.

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hatte sich aufgetan. Ähnlich sah es beim Dreiklassenwahlrecht aus, das mittlerweile als Skandal erschien. Skandale aber thematisierten scheinbar unhaltbare Zustände und verstärkten so den Reformmotor.140

Sorge um den undisziplinierten Mann Der Kampf gegen Alkohol bei den Wahlen verdeutlicht die Vielschichtigkeit der Skandal- und Reformdiskurse, die die internationale Reformära prägten. Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg versuchten die einzelnen Staaten verstärkt, mit Anordnungen und Gesetzen die Trunkenheit während der Wahlen einzudämmen.141 In South Carolina mussten Kandidaten schwören, sich an die neuen Regeln für den Wahlkampf zu halten, die ausdrücklich Alkoholkonsum verboten.142 Zu den Vorwürfen gegenüber den Regierungen in der Zeit der Reconstruction gehörte, Abgeordnete hätten sich in den Parlamenten systematisch mit den teuersten Weinen und Spirituosen versorgt.143 Die Anti-Alkoholdiskurse erwiesen sich dabei im Süden als Stigmatisierungsstrategie gegenüber den Afroamerikanern, aber auch im Norden galten sie in der Regel als Mahnungen an die Unterschichten und Einwanderer. Rum, Romanism, and Rebellion (»Rum, Rom und Rebellion«) lautete die Alliteration im Norden nach dem Bürgerkrieg gegen das Andere.144 Der Publizist Alexander Winchell forderte in der North American Review, Alkoholiker ebenso wie Kriminelle grundsätzlich vom Wahlrecht auszuschließen.145 Frances Willard, Präsidentin der Women’s Christian Temperance Union, setzte sich für die Neuordnung des Lebens in den Unterschichten ein; »Tue alles!«, hieß ihr Motto, mit dem sie darauf verwies, dass alles mit allem zusammenhänge: Alkohol, Arbeitslosigkeit, zu lange Arbeitszeiten, Kinderarbeit, Prostitution.146 In Deutschland wurde wie in ganz Europa der Kampf gegen Alkohol weniger energisch geführt, fand aber doch auch statt. Die Presse tadelte die Parteien, weil sie mit Freibier 140 Engels, Geschichte der Korruption, S. 17f. 141 Proclamation by Governor Robert K. Scott, South Carolina, 19. 8. 1870, S 155013–1, Minutes of the State Board of Canvassers, Election Commission, SCDAH ; vgl. Allen/Allen, Vote Fraud, S. 173f. 142 Candidates’ pledge and expense reports, 1906–1908, L 02014, SCDAH . 143 Supplies, Bd. 1, 10–12, Reports of the Joint Investigating Commission on Public Frauds, 10 Vls., S16504, 1877–78, SCDAH . 144 Goldfield, America Aflame, S. 15; vgl. auch Welskopp, Ernüchterung, S. 33–50. 145 Winchell, Experiment of Universal Suffrage, S. 133. 146 Schüler, Frauenbewegung, S. 236f.; Tindall/Shi, America, S. 718f.; vgl. Vernon, Politics, S. 218.

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ihre Wähler lockten, und der besoffene Mann während des Wahltags galt als Zerr- und Spottbild des »mündigen Bürgers«. Die Forderung, am Wahltag den Ausschank einzuschränken, war überall zu hören.147 Der Fokus dieser Reformen lag nicht zuletzt auf dem undisziplinierten Mann: Er sei ungebildet, verantwortungslos gegenüber seiner Familie, die Frau diene lediglich zur Befriedigung seiner Gelüste und den Staatsgeschäften begegne er mit Gleichgültigkeit. Dabei überkreuzen sich in vielfältigen Schattierungen Fragen des Geschlechts, der Rasse, der Klasse und der Religion. Dies- und jenseits des Atlantiks wurde der hinterhältige, illoyale Jesuit und der manipulierbare, hörige Katholik in Karikaturen und Polemiken zum Gegenbild des rationalen, Steuern zahlenden, seinem Gewissen gehorchenden Bürgers.148 Der Protestantismus passte besser in das Disziplinierungsprojekt. Doch unterstützte die christliche Religion insgesamt (wie so häufig seit der Aufklärung) die Zähmung und Modernekompatibilität der Männer, gerade auch der Arbeiter.149 Evangelisten reklamierten Religion als Sache der Männer. Sie dürfe nicht länger den Frauen überlassen bleiben, erklärte der prominente Sportler und Evangelist Billy Sunday den Tausenden von Männern in seinen Versammlungen, denen er zugleich die Verderblichkeit des Alkohols vor Augen führte.150 Der ideale Mann des neuen Jahrhunderts war nüchtern, er war weiß und protestantisch. Tatsächlich hatte sich der wilde Selfmademan überlebt. Die Statistikbehörde stellte 1890 offiziell die Erschließung des Kontinents und damit ein Ende der frontier fest.151 Der neue Mann musste in der Industriegesellschaft damit leben, ein Gehalt zu beziehen und in abhängigen Positionen zu arbeiten.152 Ute Frevert sieht auch für Deutschland um 1900 eine »schleichende ›Feminisierung‹ der Gesellschaft, die sich im öffentlichen Leben, aber auch in der Welt von Technik und Industrie immer deutlicher abzuzeichnen begann«.153 Das hieß in den damaligen Kategorien 147 »Die Wähler haben alles versoffen!«, Vorwärts, 20. 6. 1903; »Wie konservative Wahlen gemacht werden«, Berliner Zeitung, 23. 6. 1903; Zeitungsartikel von 1898, R8034, II , 5075, Bl. 108; »Für die Zittauer Frauen«, Kladderadatsch, 10. 5. 1903; vgl. »Wahlvorbereitungen der Alkoholgegner«, Kladderadatsch, 24. 5. 1903, S. 82. 148 McGerr, Fierce Discontent, S. 86; Simon, Devaluation of the Vote, S. 235; Kimmel, Manhood, S. 91f.; Clark, Kulturkampf, S. 39. 149 McLeod, Religion, S. 79–82. 150 Welskopp, Ernüchterung, S. 403–404; Kimmel, Manhood, S. 175–188. 151 Martschukat, Ordnung, S. 187. 152 Kimmel, Manhood, S. 84. 153 Frevert, Ehrenmänner, S. 215.

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nicht zuletzt, dass die Akzeptanz physischer Gewalt abnahm. Deren Bekämpfung war ein zentraler Punkt im Progressive Movement: Reformerinnen und Reformer kämpften gegen häusliche Gewalt, gegen Gewalt in Filmen, gegen Duelle, für friedliche Wahlen, für mehr »Weiblichkeit«, für die Disziplinierung des Körpers.154 Doch hielt die Zeit mit ihrer verstärkten Individualisierung eine Vielfalt an Geschlechterkonzepten bereit. Theodore Roosevelt, der sich für sein Fitnessprogramm rühmte (körperliche Ertüchtigung durch Disziplin), und Billy Sundays Typ des frommen Sportsmanns waren unterschichtenkompatibel. Zugleich entdeckten viele amerikanische Männer ihre Kinder, und es kam zu einer regelrechten »Vaterschaftsbewegung«.155 Deutsche Frauen, die durch Amerika reisten, bewunderten nicht nur die Amerikanerinnen für ihre Unabhängigkeit und ihre Bildung, sondern auch die amerikanischen Männer für ihre Mitarbeit im Haushalt.156 Europa gestaltete sich als Tummelplatz für Alternativen, für esoterische Figuren und gespenstergläubige Propheten, Zarathustra verehrend.157 Doch obwohl Abweichungen in der modernen Gesellschaft geduldet und teilweise sogar gepriesen wurden, blieben die unterschiedlichen Konzepte in aller Regel innerhalb des kontrollierten Verhaltenskodex von Ordnung, Geringschätzung physischer Gewalt, Sauberkeit – Disziplin. Die Disziplinierung der Männlichkeit war kein randständiges Phänomen. Vor allem trug sie trotz ihrer zuweilen rassistischen und elitären Züge wesentlich zur Gleichberechtigung der Frau bei, einer der revolutionärsten Neuerungen im 20. Jahrhundert.158 Die oben erwähnte Reformerin Frances Willard war eine der prominentesten Befürworterinnen des Frauenwahlrechts. Frauen, so lautete das Argument, seien die besseren Bürger, weil sie disziplinierter, sach- und gemeinwohlorientierter seien und nicht dem Alkohol ergeben.159 Die Erfolge der Frauenbewegung waren nicht nur in den USA , sondern auch in anderen westlichen Staaten nicht mehr zu übersehen.160

154 155 156 157 158 159 160

Frevert, Ehrenmänner, S. 238; Martschukat, Sport. Kimmel, Manhood, S. 159f. u. 183. Schüler, Frauenbewegung, S. 257f.; Kimmel, Manhood, S. 85f. Vgl. dazu Kaube, Max Weber, S. 302. Vgl. dazu Paletschek/Pietrow-Ennker, Women’s Emancipation Movement. Schüler, Frauenbewegung, S. 236f.; Tindall/Shi, America, S. 718f. Frevert, Ehrenmänner, S. 231.

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Gegen das große Geld Reformdiskurse und Skandalisierung richteten sich nicht nur gegen »Undiszipliniertheit« und gegen die unteren Schichten. Auch das »große Geld« oder die »Geldaristokratie« (monied aristocracy) gerieten in den Ruch des Skandalösen. Zwar gab es einige Milliardäre unter den Reformern wie Andrew Carnegie, J. P. Morgan oder Cornelius Vanderbilt161 – doch die Zeiten, in denen sich Finanzgrößen in medienwirksamer Öffentlichkeit versammelt hatten, um das universal suffrage abzuschaffen, waren definitiv vorbei. Nun veröffentlichte Andrew Carnegie mit »Triumphant Democracy« ein mit Statistiken und humanistischem Bildungsgut gesättigtes Loblied auf die Republik, in dem er das universal suffrage (auch für die Afroamerikaner) als Grundlage für Amerikas Erfolg beschrieb.162 Und dennoch galten die Superreichen eher als suspekte Gestalten. »Es stellt sich sogar ernstlich die Frage, ob das Millionärstum einem Staat wirklich nützt«, sinnierte ein Reformer.163 In Preußen wurde die Klage über die »Geldsäcke« zum Angriff auf das Dreiklassenwahlrecht. Von jeher hatten gerade Konservative die Orientierung des Dreiklassenwahlrechts allein auf finanzielle Aspekte gerügt. An diesem Punkt stimmten sie mit immer mehr Liberalen überein, mit den linken Kräften ohnehin. So reichte um die Jahrhundertwende die Kritik am »plutokratischen Charakter« des Wahlrechts von links außen bis hinein in konservative Kreise. Selbst der konservative Hamburgischer Correspondent nannte 1897 das Wahlrecht »plutokratisch«, forderte (gemäßigte) Reformen und erklärte: »Die jetzige Wahlordnung ist in der That nur ein Nothbehelf.«164 Die demokratische Eigendynamik der gleichen Wahlen, auf die Margaret Anderson immer wieder verweist, zeigt sich auch an dem neuen Rechtfertigungsdruck der Geldeliten. Krupps Einfluss bei den Reichstags161 162 163 164

Recchiuti, Civic Engagement, S. 99f. Carnegie, Triumphant Democracy, S. 29, 221f., 326 et passim. Winchell, Experiment of Universal Suffrage, S. 132f.; Martschukat, Ordnung, S. 177. »Die Reform des preußischen Landtagswahlrechts«, Hamburgischer Correspondent, 12. 10. 1897; vgl. auch Staatsministeriumssitzung, 6. 5. 1897, Punkt 9; Traktat »Arbeiterschaft und Kriegsentscheidung« (gedruckt vom Christlichen Gewerkschaftsverlag, Cöln 1917), 9; GStA PK I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 27; Delbrück, Stimmrecht, S. 380; vgl. auch Meyer, Wahlrecht, S. 438–444; vgl. auch »Das preußische Dreiklassenwahlrecht«, Kreuzzeitung, 22. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, Bl. 25; vgl. auch Redebeitrag Moltke, Sten. Ber. pr. AH , 10. 2. 1910, S. 1422f.; Begründung für Entwurf eines Gesetzes, Präsident d. Staatsmin., 4. 2. 1910, Abgeordnetenhaus, Drucksache Nr. 110, 12–15, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 9, Bd. 6, GStA PK .

Reformdiskurse, Skandalisierung und Fortschrittsoptimismus

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wahlen beispielsweise sorgte immer wieder für Protest, Spekulationen und Verdächtigungen. Als bei den Wahlen 1903, die nach den neuen Regeln zum Schutz der Geheimhaltung durchgeführt wurden, im Stadt- und Landkreis Essen die Sozialdemokratie 18500 Stimmen mehr und die nationalen Parteien 3500 Stimmen weniger erhielten, fühlte sich Krupp genötigt, eine Broschüre für seine Arbeiter herauszugeben, in der er darauf hinwies, dass die Wahlergebnisse allein mit der Zunahme an Wählern und der wachsenden Agitation der Sozialdemokraten zusammenhingen.165 Die Broschüre beteuerte, dass die Wahlen selbstverständlich geheim seien und dies auch zuvor gewesen wären – mittlerweile ein unverzichtbares Bekenntnis aller Seiten. Gegen das große Geld setzten die Reformer das Ideal des sparsamen Bürgers. So galten in Preußen die Kosten der Wahlreformen stets als wesentlicher Gesichtspunkt, ob es nun um die Einführung von Kuverts und Wahlkabinen ging oder um die Transportkosten für die Wahlutensilien.166 Die Beamten achteten zudem auf die Eindämmung der Mietkosten für das Wahllokal – was nach grimmigen Auseinandersetzungen schließlich auch den Reformern in New York gelang. In den USA verwiesen Reformer auf die horrenden Kosten der Wahlkorruption. In New York rechneten sie vor, dass allein der Wahltag 700000 Dollar koste, die auf 45000 Wahlhelfer verteilt würden; davon seien lediglich 8000 Männer von der Stadt angestellt; 37000 hingegen würden von den politischen Organisationen und Mafiabossen bezahlt.167 Eine weitere Million Dollar erwüchsen der Stadt aus den Gehältern von Posten, die nach den Wahlen an die Parteigänger vergeben würden. Insge165 Broschüre, »Die Kruppsche Arbeiterschaft und die Reichstagswahl in Essen«, 1903, u. Korrespondenz vom 1. 11. 1903 mit der Regierung, I. HA Rep. 151, HB 543, Bl. 142–147. 166 Berliner Paketfahrt-Gesellschaft Starke & Co an Magistrat von Berlin, 20. 3. 1911, A Rep. 001–03, Nr. 139, Bd. 1, 1903–1913, Bl. 160, LAB ; Kostenanschlag, Zahn an Stadtrat Bohm, Berlin, 26. 5. 1903, A Rep. 001–03, Nr. 139, Bd. 1, 1903–1913, Bl. 34, LAB ; Hermann Krüger, Formular-Magazin, Betrifft Wahlurnen zur Reichstags-Wahl, o. D. Eingangsstempel: 13. 11. 1911, u. weitere Unterlagen in XVI . HA Rep. 30, 610, 1911–1912, GStA PK ; Unterlagen in A Rep 001, Nr. 64 u. Nr. 83, Bl. 40f. et passim, LAB ; Unterlagen zu den Kosten, A Rep. 001–03, Nr. 83, Neuwahl der Mitglieder zum Reichstag 1907, Bd. 3 (Neuwahl 1912), 1907, LAB . Zu den Kosten der Urnen: »Neue Modelle«, Berliner Tagblatt, 7. 11. 1908; Freiherr zu Hodenburg, M.d.R. an Ausschuss des Bundesrats, 29. 4. 1903, R1501/14474, BA . 167 Pamphlet, »Money in city elections: its effects, and the remedies«, 21. 3. 1887, NYHS ; vgl. auch die Rechnung in Society for Political Education, Electoral Reform, S. 11–13.

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Abb. 36 »Das Dreiklassenwahlrecht. Warum gilt ein Reicher bei den preußischen Wahlen mehr als hundert Unbemittelte? Aus schwerwiegenden Gründen«. Lustige Blätter, November 1893. akg-images

samt seien ein Fünftel der Stadtbewohner involviert. Das Hauptargument zielte darauf, dass bei diesen Ausgaben eine Kandidatur nur für Superreiche infrage kam – ein Problem, das auch in Preußen nicht unbekannt war, auch wenn es sich dort um wesentlich bescheidenere Summen handelte.168 Die Korruptionsbekämpfung nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg richtete sich daher auch auf eine gesetzliche Deckelung der Wahlkosten.169 Als die Reformer in New York einen jährlichen Bericht des Board of Election durchsetzten, mussten darin detailliert die Ausgaben für die Wahlen aufgelistet werden. Denn zur Eindämmung der Korruption gehörte in den USA wie in Deutschland, dass die öffentliche Hand die Kosten für sämtliche Wahlutensilien wie Stimmzettel, Kabine oder die Mietkosten des Lokals übernahm.170 Der Wahlakt wurde Ausdruck der Rationalität – business like, wie es ein Wahlforscher 1888 auf den Punkt brachte.171 Das zumindest war das Ziel der Reformer.

168 Lomas, Agitator, S. 48–58; Delbrück, Regierung und Volkswille, S. 133. 169 Candidate for the office of Alderman, Hard, Anderson, SC , 1906, vgl. Office Boleman, Anderson, SC , 13. 9. 1906, u. weitere Unterlagen in L 04017, SCDAH ; Candidates’ pledge and expense reports, 1906–1908, L 02014, SCDAH ; ähnliche Unterlagen in L 28048 / L 28058, SCDAH . 170 Annual Reports, Board of Election, 1918 u. Folgejahre. 171 Goadby, Ballot, S. 665.

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Abb. 37 »The ›Brains‹ That Achieved the Tammany Victory«. Tammany-Boss als korrupter Geldsack. Sind Millionäre für einen Staat nicht schädlich?, fragten sich die Reformer. Provided Courtesy HarpWeek

Die Bildung der Bürger Ein Mann, der im neuen Jahrhundert wählen ging, musste ein Minimum an Informationen eingeholt haben, und er musste mit den nüchternen, schriftlastigen Wahlunterlagen zurechtkommen. »Das gesteigerte Culturleben der Gegenwart verlangt von einem jeden den Besitz eines gewissen Maßes von Kenntnissen und Fähigkeiten, ohne welche er […] die ihm obliegende staatliche Aufgabe [nicht] erfüllen kann«, hieß es 1892 im Staatslexikon.172 Eine amerikanische Zeitung beschrieb die idealen Wähler als diejenigen, »die sich selbst Gedanken machen, die die Zeitungen bedächtig lesen und die […] früh am Morgen zur Wahl gehen«.173 Auch wenn Bestechungen oder Autoritäten die Wahlentscheidung weiterhin beeinflussten, so sorgte doch zunehmend das materielle Setting im Wahllokal dafür, dass der Wähler stärker auf sich gestellt war und von keinem Parteimann mehr Anweisungen erhalten konnte.

Stimmzettelfragen Für amerikanische Reformer besaß das Massachusetts Ballot, benannt nach dem reformerischen Stimmzettel in Massachusetts, das ideale Anforderungsprofil an einen autonomen Bürger. Massachusetts Ballot bedeutete die Gewährleistung der Geheimhaltung. Als eine Form des Australian Bal172 »Gleichheit«, Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Bd. 2, 1892, Sp. 1467. 173 Zitiert in Brewin, Celebrating Democracy, S. 137, vgl. auch S. 135–153.

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lot wurde der Stimmzettel durch die Behörden finanziert, gedruckt und verteilt, womit entscheidende Einflussmöglichkeiten der Parteien wegfielen. Und das war eines der Hauptziele der Reformer: die Macht der Parteien zu brechen. Beim Massachusetts Ballot fiel daher auch das Parteien-Emblem weg, das nach Ansicht vieler Reformer den Wähler zur unbedachten Stimmabgabe verführte. Wähler sollten nicht einfach eine Partei wählen, sondern sich Gedanken über den einzelnen Kandidaten machen. Außerdem sollten dadurch unabhängige Kandidaten eine Chance bekommen.174 In den USA war das entscheidend, weil bei den Wahlen meistens gleich mehrere Posten vergeben wurden; Präsidentschaftswahlen konnten beispielsweise mit der Wahl des Gouverneurs, des Schulinspektors oder des Sheriffs verknüpft sein. Doch das reformerische Australian oder Massachusetts Ballot wurde dadurch extrem umfangreich und kompliziert. Teilweise überschritten Stimmzettel eine Länge von 70 cm und maßen einen halben Quadratmeter. Gewiss, ein Bürger sollte sich in den Augen der Reformer informieren. Doch zu viel war zu viel. Also gründeten Wahlaktivisten eine Short Ballot Association, die gegen die langen und komplizierten Stimmzettel vorging.175 In Deutschland sorgten die reformerischen Beamten nicht zuletzt mit dem Wahlumschlag, in den der Stimmzettel gesteckt werden musste, für einen Wahlablauf, der den Wähler dem unmittelbaren Zugriff der Parteien und anderer Gruppierungen entzog. Das Bemühen der Reformer brachte den Wahlakt in gewisser Weise auf den Punkt: als eine Performanz der Bürgerlichkeit.176 Doch das Gelingen dieser Performanz war nicht ohne Erziehung und Bildung des Bürgers möglich. So unterschiedlich die Bildungskonzepte in Deutschland und den USA waren,177 so sind sie doch im 19. Jahrhundert eng mit der Bemühung um »Volkbildung« verbunden.178 Bildung, so Jürgen Kocka, konstituierte neben dem Kapitalismus die

174 Vgl. die Überlegungen in Bard Papers, Box 69, NYPL ; »Hearst Fight Tomorrow«, Evening Post, 13. 11. 1905; »Hearst Men Gather Proofs«, NY T, 12. 11. 1905; William M. Ivins, »On the Electoral System«, 17. 1. 1906, Bard Papers, Box 73, NYPL ; »Ballot Reform Meeting«, Evening Post, 13. 11. 1905. 175 Vgl. etwa die Unterlagen in Box 63, Fold. 9, u. Box 69, Fold. 6, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; Karikatur, New York, 1912, Short Ballot Org., SER , NYPL . 176 Vgl. Langewiesche, Republik, S. 540; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 60. 177 »Schon der deutsche Begriff ›Bildung‹ ist notorisch unübersetzbar«, so Jürgen Osterhammel, Verwandlung, S. 1096. 178 Zimmermann, Reformkontinuitäten, S. 227

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zweite entscheidende Kraft der Moderne.179 Und beide, Wirtschaftskraft und Bildung, sind für die Entwicklung von Demokratie unverzichtbar. Kausalitäten sind schwer auszumachen, aber moderne Wahlen gehen seit Beginn des 19. Jahrhunderts einher mit einem Erziehungs- und Disziplinierungsprogramm, und sie breiten sich gemeinsam mit der Lesefähigkeit aus.180 Das zeigt sich gerade auch bei der Sozialdemokratie, die mit ihrer politischen Massenarbeit, mit Schulungskursen und Fortbildungsvereinen nicht nur die Politisierung der Arbeiter beförderte, sondern auch zum allgemeinen Bildungsanstieg und einer gewissen Verbürgerlichung der Arbeiterklasse beitrug. Auch wegen dieser Entwicklungen konnten die Anhänger der Sozialdemokratie den Wahlakt zunehmend als ihr Instrument betrachteten.

Disziplinierung und Autonomie durch Bildung Wahlen werden nicht zuletzt von Eliten als ein Erziehungsinstrument genutzt. Bei Stein und Hardenberg stand, wie wir gesehen haben, der belehrende und aufklärerische Charakter der politischen Partizipation im Vordergrund.181 Auch Humboldt plädierte wie andere Zeitgenossen für eine Verfassung mit Repräsentationsorganen, weil er auf ihren erzieherischen Effekt hoffte, auf die Weckung der Selbstdisziplin.182 Doch Selbstdisziplin bedeutet eben auch mehr Autonomie. Humboldt betonte, dass der Staat »die Bürger in Stand setzen muß, sich selbst zu erziehen«.183 Die deutschen Reformer um 1900 bezogen sich daher immer wieder auf die preußischen Reformer des frühen 19. Jahrhunderts: Hier bot sich ihnen eine reiche partizipative und emanzipative Tradition.184 Erziehung und Demokratie waren von Anfang an untrennbar verbunden. Koselleck hat darauf verwiesen, dass »Demokratie« zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Erziehungsbegriff geworden war: Nach und nach

179 Kocka, 19. Jahrhundert, S. 133; Nipperdey, Bürgerwelt, S. 60. 180 Geddes, Democratization, S. 2; vgl. auch Briquet, Clientelism and Politicization, S. 1. 181 Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 34 u. 89f.; Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 46. 182 Stamm-Kuhlmann, Staatsverständnis, S. 646, vgl. auch S. 627f.; Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus, S. 131; Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 17. 183 Zitiert nach Stamm-Kuhlmann, Staatsverständnis, S. 648. 184 Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 343; Meinecke, Reform, S. 180; Llanque, Demokratisches Denken, S. 144–149.

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würden die Staaten lernen, Demokratien zu sein.185 Zeitgleich mit den ersten Verfassungen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand sukzessive ein modernes Bildungssystem. Die preußischen Schulreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts dokumentierten den Wechsel von der ständischen Gesellschaftsidee zum Ideal einer Gesellschaft der verantwortlichen Individuen. Jeder hatte ein Recht auf Bildung, mehr noch: Jeder hatte die Pflicht, Lesen und Schreiben zu lernen.186 Es kam zu einer regelrechten »Leserevolution«. Konnten zu Beginn des Jahrhunderts drei Viertel der Preußen nicht lesen, waren es 1848 nur noch 20 Prozent (in Frankreich etwa 40, in Russland 95 Prozent).187 Zusammen mit den neuenglischen US Staaten und Schottland lag Preußen damit weltweit an der Spitze.188 1875 waren von den preußischen Rekruten nur noch knapp 2,5 Prozent Analphabeten, 1897 weniger als 0,1 Prozent.189 Bildung spielte in allen westlichen Ländern eine wesentliche Rolle, doch in Deutschland wurde ihr geradezu ein sakraler Charakter zugeschrieben, was den originär deutschen »Bildungsbürger« erzeugte. Dieser wiederum verband sich eng mit dem vom Bürgertum geprägten Beamtenstand. Gestützt von diesem Beamtentum brachte der deutsche Staat bis 1900 ein international geschätztes Wissenschafts- und Universitätssystem hervor.190 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Bildung egalisierend wirkte. Standardisierte Prüfungen wie das Abitur oder das Staatsexamen befreiten Universitätsbildung und Beamtenlaufbahn von Privilegien. Das galt allerdings nur mit Einschränkungen, denn für Juden, für polnischstämmige Personen, teilweise auch für Katholiken oder später für Sozialisten – für Frauen und sozial Benachteiligte ohnehin – blieb der Zugang zur höheren Bildung und Beamtenlaufbahn teils verschlossen, teils erschwert. Dennoch legten diese Reformen den Grundstein für eine meritokratische und rational orientierte Gesellschaft.

185 Kosellecks Ausführungen in Meier u.a., Demokratie, S. 853. 186 Vismann, Akten, S. 227; vgl. Zimmermann, Reformkontinuitäten, S. 227. 187 Rapport, Revolution, S. 35; vgl. Kuhlemann, Modernisierung; Baumgart, Schulpolitik. 188 Wehler, Reformära, S. 478. 189 Fisch, Europa, S. 94. 190 Osterhammel, Verwandlung, S. 1096.

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Erziehung als Voraussetzung des Wahlrechts oder Erziehung durch das Wahlrecht 1846 hieß es im Staats-Lexikon über das Wahlrecht: »Im Geiste der Demokratie ist also die persönliche Befähigung zur Ausübung der politischen Rechte zugleich der einzige Maßstab für die Begränzung derselben.«191 Die wenigen Stimmen, die 1867 gegen das allgemeine und gleiche Reichstagswahlrecht laut wurden, hegten die Befürchtung, dass das Reichstagswahlrecht zu früh käme, bevor die angemessene staatsbürgerliche Erziehung stattgefunden habe.192 Das Stimmrecht galt dabei nicht als angeborenes Menschenrecht, sondern als eine Fähigkeit, zu der ein Mensch erzogen werden müsse. Diese Denktradition besaß im 19. Jahrhundert weithin Überzeugungskraft und ließ das Dreiklassenwahlrecht sinnvoll erscheinen. Selbst Sozialdemokraten bedienten sich des Arguments: So erklärte Wilhelm Hasselmann auf dem Gothaer Vereinigungskongress von 1875, »das Weib« dürfe erst im sozialistischen Staat das Wahlrecht erhalten, denn aktuell sei es aufgrund seiner schlechten »Erziehung« noch zu rückständig.193 Konservative tendierten erwartungsgemäß ebenfalls zu dieser Auffassung. 1904 kommentierte die National-Zeitung das Reichstagswahlrecht: »Nicht vom Herumpfuschen an diesem Recht ist das politische Heil zu erwarten, sondern von der Erziehung der Massen zu seiner verständigen Benutzung, von der staatsbürgerlichen Bildung der breiten Schichten.«194 Es gab aber auch die gegenteilige Auffassung: Die Demokraten in der Mitte des Jahrhunderts hegten die Überzeugung, dass mit der Wahlpraxis erst »die politische Vernunft […] in das Volk hinein« komme.195 »Je ausgedehnter das Wahlrecht ist, desto mehr ist es nothwendig, politische Bildung in der Masse des Volkes zu verbreiten, desto mehr ist es nothwendig, in Jedem die Liebe zum Gemeinwesen zu wecken und groß zu ziehen. Nun sind aber gerade, wie alle Erfahrungen lehren, die directen Wahlen die mächtigsten politischen Erziehungsmittel des Volkes«, erklärte ein Abgeordneter in der Paulskirche, insbesondere das direkte Wahlverfahren kette »die Herzen der Bürger immer mehr an den Staat und vermindert die 191 Schulz, Demokratie, S. 705; vgl. zu dieser Denktradition auch die Ausführungen von Abromeit, Wozu braucht man Demokratie?, S. 80. 192 Below, Wahlrecht, S. 33. 193 Zitiert nach Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 484. 194 »Wahlrecht und Volksbildung«, National-Zeitung, Nr. 483, 16. 8. 1904. 195 Redebeitrag Carl Vogt 1849, Paulskirche, zitiert nach: Vogel u.a., Wahlen in Deutschland, S. 337.

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selbstsüchtige Gleichgültigkeit gegen das Gesammtwohl« – eine altbekannte Begründung für die Wahlen aufgreifend.196 Diese Argumentation nutzten dann die Befürworter des Reichstagswahlrechts. Windthorst erklärte in den 1870er Jahren: Das »Irrige, Verwerfliche vieler Anschauungen« könne den Massen nur dann deutlich gemacht werden, wenn sie lernten, »innerhalb der Regeln, innerhalb der Gesetze« zu agieren.197 Auch viele Frauenrechtlerinnen – darunter die Sozialistinnen – sahen das so: Das Wahlrecht könne keine »Belohnung« sein, »weil man zur Freiheit nicht erziehen kann, sondern durch die Freiheit erzogen wird«, wie Minna Cauer es 1895 ausdrückte.198 Oft ließen sich die beiden Ideen – einerseits Erziehung bevor das Wahlrecht kommt, andererseits Erziehung durch das Wahlrecht – nicht klar auseinanderhalten. Beiden gemein war die grundlegende Überzeugung, dass das Volk gebildet sein solle, dass Bildung und Partizipationsfähigkeit zusammengehörten. Erneut zeigt sich dabei die elitäre Instrumentalisierung des Wahlrechts: Denn es waren in der Regel Bildungseliten, die wussten, wie das Erziehungsprogramm auszusehen habe. – Zur Bildungselite zählte auch ein Großteil der Frauenrechtlerinnen, die sich für das Wahlrecht einsetzte. In ihren zahlreichen autobiografischen Schriften um 1900 nehmen der Bildungshunger und die schiere Freude am Lesen und Studieren eine zentrale Stelle ein. Sie erkannten die Faszination, aber auch die Macht von Bildlung. Auch in den anderen Ländern wie den USA , Großbritannien oder Frankreich begleiteten Erziehungskonzepte fortschrittlicher Eliten den Aufbruch der Massenpartizipation.199 John Stuart Mill wies darauf hin, dass erst nach einer allgemeinen Schulpflicht das allgemeine Wahlrecht eingerichtet werden könne.200 Stärker als in Preußen wurde in den USA , dem Land der Selfmademen, das Wahlrecht als ein angeborenes Recht beschrieben, das gleichwohl erlernt werden müsse.201 »Wir müssen erziehen!

196 Redebeitrag Bruno Hildebrand, Sten. Ber., Frankfurter Nationalversammlung, 1. 3. 1849, S. 5512. 197 Sten. Ber. pr. AH , 26. 11. 1873, S. 97. 198 Die Frauenbewegung. Revue für die Interessen der Frauen 1 (1895), S. 19; vgl. DuBois, Outgrowing, S. 845; ebenso die Haltung der Sozialistinnen: Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 200f. u. 212f. 199 Constant, Freiheit, S. 395; Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 272; Beecher, Plea for the West, S. 48–51; Mill, Repräsentativregierung; vgl. Crick, Democracy, S. 10f. 200 Mill, Repräsentativregierung; vgl. Crick, Democracy, S. 10f. 201 Beecher, Universal Suffrage, S. 6.

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Wir müssen erziehen!«, mahnte in den USA der frühe Reformer Lyman Beecher 1835.202 »Wir müssen den Vätern – genauso wie den Müttern – vermitteln, dass ihre Söhne lesen lernen müssen, bevor sie das Kleid des freien amerikanischen Bürgers tragen können«, formulierte 1844 ein amerikanischer Abgeordneter,203 und Lincoln erklärte, »der Geist unserer Institutionen zielt auf die Bildung der Menschen«.204 Das Verbot für Sklaven, Lesen und Schreiben zu lernen, hing mit der Überzeugung zusammen, dass Bildung und Staatsbürgerschaft verbunden seien. In Frederick Douglass’ bewegender autobiografischer Erzählung berichtet er ausführlich von seinen erfolgreichen Bemühungen, Lesen und Schreiben zu lernen. Sein Kampf um Bildung ist in der Erzählung – ganz ähnlich wie bei den Frauenrechtlerinnen – die Keimzelle seiner Befreiung.205 Abolitionisten begründeten das Stimmrecht der Afroamerikaner mit seiner bildenden Wirkung: »Es gibt keine bessere Vorbereitung der Menschen auf ein intelligentes Wahlverhalten als die Ausübung des Wahlrechts«, führte 1865 Henry Ward Beecher aus.206 Auf der Verfassungsgebenden Versammlung in South Carolina von 1868 argumentierte William Beverly Nash, ein afroamerikanischer Delegierter (vgl. Abb. 28): »Ich glaube, liebe Freunde und Mitbürger, dass wir nicht auf dieses Wahlrecht vorbereitet sind. Aber wir sind lernfähig. Gib einem Mann Werkzeuge in die Hand und lasse sie ihn benutzen.«207 Der Erziehungseffekt von Wahlen ließ es nach dieser Argumentation wünschenswert erscheinen, das Stimmrecht gerade denen zu verleihen, die besonders der Disziplinierung bedurften: »Vor dieser Zeit waren diese Männer – wie alle anderen auch – laut, unordentlich, würdelos«, schrieb ein Reformer über die Afroamerikaner, »aber in dem Augenblick, in dem ihnen die Verantwortung zufällt, für andere zu denken, werden sie nüchtern.«208 Zusammenfassend begründete Henry Ward Beecher das allgemeine Wahlrecht damit: »Dieses Land ist eine großartige Akademie der bürgerlichen Regierung und der Menschenrechte.«209 202 203 204 205 206 207 208 209

Beecher, Plea for the West, S. 13. Zitiert nach Keyssar, Right to Vote, S. 66; vgl. auch Grant, North over South, S. 119. Keyssar, Right to Vote, S. 87, vgl. auch 96f. Douglass, Narrative, S. 36–38. Beecher, Universal Suffrage, S. 7. Zitiert nach Du Bois, Black Reconstruction, S. 348. Beecher, Universal Suffrage, S. 7f. Beecher, Universal Suffrage, S. 8.

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Doch auch in den USA gab es die andere Auffassung: dass das Wahlrecht nicht jedem erteilt werden könne, sondern dass ein Mann dafür Voraussetzungen erbringen müsse. Um die Jahrhundertwende gewann diese Überzeugung in den USA an Boden. 1918 erklärten die beiden YaleProfessoren und Wahlforscher Charles Seymour und Donald Paige Frary, »die Theorie, wonach jeder Mann ein natürliches Wahlrecht besitze, wird von den Gelehrten der politischen Wissenschaften nicht länger geteilt«.210 Die meisten amerikanischen Frauenrechtlerinnen beurteilten das Wahlrecht ähnlich und traten daher zugleich wie die Feministinnen in Deutschland für eine bessere Bildung ein. Die Argumentation ermöglichte manchen Frauenrechtlerinnen im Süden, sich als die besseren citizens ins Spiel zu bringen, ja, als Garanten der weißen Vorherrschaft, der white supremacy. Wie sei es möglich, fragten sie, dass ein ungebildeter schwarzer Mann wählen dürfe, aber nicht eine gebildete weiße Frau? Die Sozialreformerin Rebecca Latimer Felton aus Georgia, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzte, warf Politikern vor, Afroamerikaner zu sexuellen Übergriffen gegenüber weißen Frauen zu ermutigen, indem sie um die afroamerikanischen Wählerstimmen buhlten.211 Die Variante der Kämpferinnen im Norden lautete: Warum besitzt ein irischstämmiger Trunkenbold das Stimmrecht, nicht jedoch eine gebildete Bürgerin?212

Die Bildung der Massen Die Schule gehörte ins Zentrum internationaler Reformdiskurse. Allenthalben sprachen Professoren und Politiker von der »Erziehung der Massen«. Für die USA sehen Historiker in dieser Zeit geradezu eine »Erziehungskampagne«,213 Woodrow Wilson sprach von einer »bewundernswer-

210 Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 13; ganz ähnlich argumentierte Godkin: »There is no natural right in the government«, Godkin an Ch. E. Norton, 28. 2. 1865, s. auch Godkins Brief an Norton, 13. 4. 1865, Godkin, The Gilded Age Letters, S. 21f. u. 27. 211 Berg, Eine wilde und unordentliche Demokratie. 212 Frevert, »Unser Staat«, 92; Johnson, Kate Gordon, insbes. S. 367–370, 374 u. 388; Bland, Fighting the Odds, S. 35 u. 40. 213 Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 218; vgl. für Deutschland »Autorität und Freiheit« von F. S. Neumann, Deutsche Welt. Wochenschrift der Deutschen Zeitung, 9. 9. 1900, R 8034II , Nr. 5850, Bl. 34; »Wahlrecht und Volksbildung«, National-Zeitung, Nr. 483, 16. 8. 1904; »Demokratisches Wahlrecht und politische Erziehung«, Frankfurter Zeitung, 21. 2. 1910; Wölk, Wählerverhalten und Schulbildung, S. 570f.

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Abb. 38 Jährliche Ausgaben für Kriegsgerät und Bildung. Der Industrielle Andrew Carnegie nennt die Wertschätzung der Bildung als einen der Gründe für Amerikas Vorrangstellung. Andrew Carnegie, Triumphant Democracy or Fifty Years’ March of the Republic, London 1886, S. 96

ten Bewegung für allgemeine politische Bildung«.214 War in Deutschland Bildung seit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt durch die Beamtenklasse eng mit dem Staat verwoben, erhoben nun auch in den USA Reformer Bildung zur Staatsangelegenheit, indem sie eine Bildungsoffensive forderten und mit einem besseren, einheitlicheren, standardisierten Schulsystem auch auf den Weg brachten. Das amerikanische Schulsystem gehörte in jener Zeit zu den besten der Welt. Und dass, obwohl die Afroamerikaner bis weit ins 20. Jahrhundert diskriminiert wurden und die weißen Unterschichten im Süden vor dem Bürgerkrieg keinen angemessenen Zugang zur Bildung erhielten. Am Ende des Jahrhunderts lag die Alphabetisierungsrate in den USA mit 80 Prozent für ein Einwanderungsland ausgesprochen hoch.215 Der reformerische Industrielle Andrew Carnegie unterstrich in seinem international beachteten Buch »Triumphant Democracy« den Zusammenhang von Bildung und Demokratie und präsentierte eine Tabelle, in der die Ausgaben für Bildung im Vergleich zu den Rüstungsausgaben für die USA und für die europäischen Ländern dargestellt wurden. Nur die USA gäben mehr für Bildung aus als für Kriegsgerät. 214 Wilson, Administration, S. 215; vgl. auch Croly, Promise, S. 400. 215 Tindall/Shi, America, S. 564.

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Carnegie erklärte die »Erziehung der Allgemeinheit« (universal education) zur Grundlage der amerikanischen Republik: »Die Lektion, die jede Nation von Amerika lernt, ist folgende: ›Bemüht Euch zuerst um die Erziehung des Volkes, dann werden alle anderen Segnungen auf Euch kommen‹«; hier bekundete sich abermals der neue Mann: »Die Erziehung des Volkes ist die wirklich grundlegende Arbeit für ernsthafte Menschen, die ihrem Land den größten Dienst erweisen wollen.«216 Wer in den Reformern dieser Jahre lediglich unterschichtenfeindliche Eliten oder spießbürgerliche Idealisten sieht, verkennt diesen Aspekt der zeitgenössischen politischen Theorie. Falls US -Reformer im Norden auf das ungelöste Problem der afroamerikanischen Exklusion vom politischen Leben stießen, erklärten viele von ihnen, dass es darum gehen müsse: »[den Schwarzen] in Sachen Intelligenz auf das Niveau des weißen Mannes zu bringen«.217

Bildungstests In Preußen wurde das Dreiklassenwahlrecht um 1900 auch deshalb zum Skandal, weil es Reichtum über Bildung stellte und »das ganze Gros der akademisch Gebildeten in die unterste Wahlabtheilung gedrängt« werde, wie es in einer Zeitung hieß.218 Das Pluralwahlrecht hingegen gewann an Attraktivität, weil es Bildung als Qualitätsmerkmal berücksichtigte. Max Weber, anders als viele seiner Kollegen ein Gegner dieses Wahlrechts, spottete über die Akademiker, deren Stimmrecht besondere Geltung erlangen solle, »eine politisch im Durchschnitt geringer qualifizierte Schicht gibt es in Deutschland überhaupt nicht«.219 Weber brachte dagegen ein Argument ins Feld, dessen sich sonst die Sozialisten bedienten: Gerade weil Bildung neben Eigentum das stärkste Element der Ungleichheit in einer modernen Gesellschaft darstelle, müsse es im parlamentarischen Wahlrecht einen Ausgleich für die Ungebildeten und Besitzlosen geben.220 Tatsächlich fin216 Carnegie, Triumphant Democracy, S. 104. 217 Godkin, Republican Party, S. 257; vgl. Baker, Negro Suffrage. 218 »Die Reform des preußischen Landtagswahlrechts«, Hamburgischer Correspondent, 12. 10. 1897, R8034, II , 5075, 17f., BA ; Delbrück, Stimmrecht, S. 379; Artikel in der National-Zeitung, 7. 10. 1897, R8034, II , 5075, Bl. 11; »Die Reform des preußischen Landtagswahlrechts«, Hamburger Correspondent, 12. 10. 1897. 219 Weber, Das preußische Wahlrecht, S. 229. 220 Weber, Wahlrecht und Demokratie, S. 370; »Vom gleichen Wahlrecht«, Hamburger Courier, 1. 8. 1908, RLB R8034, II 5850, Bl. 91; vgl. zur Diskussion um eine Bildungsqualifikation Below, Wahlrecht, S. 161–163.

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det sich in den deutschen Wahlgesetzen kaum eine konkrete Bildungsqualifikation, wie etwa ein Lese- oder Schreibtest.221 Es lag daran, dass im Grunde jeder Wähler lesen und schreiben konnte (die wenigen Analphabeten waren meistens Frauen). Die Bevorzugung eines Hochschulabschlusses wäre jedoch angesichts der anderen Eliten, wie den Unternehmern, Gewerkschaftsfunktionären oder dem Adel, nicht konsensfähig gewesen. Rudolf Gneist erklärte, »gerade der hohe, gleichmäßigere Bildungsstand der deutschen Nation« habe diese »vor den Versuchen« eines solchen Bildungstests bewahrt.222 In den USA jedoch fielen trotz der hohen Alphabetisierungsrate Überlegungen für eine Bildungsqualifikation auf fruchtbaren Boden. Der Zusammenhang von Alphabetisierung und Partizipation schien vielen Amerikanern unmittelbar einleuchtend. Selbst die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP ) bekämpfte nicht die Lese- und Schreibtests, sondern forderte ihre gerechte Anwendung auch auf die weißen Wähler.223 Connecticut und Massachusetts hatten bereits Mitte der 1850er Jahre einen Bildungstest als Wahlvoraussetzung eingeführt. Um die Jahrhundertwende installierten zahlreiche weitere Staaten diese Qualifikation, sodass bis in die 1920er Jahre rund 19 Staaten eine Bildungsqualifikation verlangten.224 New York City installierte 1921 den Lese- und Schreibtest, eine Einschränkung, die bis in die 1960er Jahre galt.225 Die New Yorker Reformer hatten dafür lange gekämpft. Entsprechende Gesetzesvorlagen waren bereits 1846, 1867/68, 1894 und 1915 vorgelegt worden.226 Für massi221 Etwa für die Wahlmänner bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus im Feb. 1849, Beschwerde [mit sieben Unterschriften], Kreis Pleschen, Großherzogtum Posen, 21. 2. 1849, Punkt 6, I. HA Rep. 169 C Abgeordnetenhaus Abschnitt 80, Nr. 4, Bd. 1, Bl. 97–98, GStA PK ; für das passive Wahlrecht gibt es den Hinweis im Zitat bei Pahlmann, Anfänge, S. 91; vgl. auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 400. 222 Zitiert nach »Das neue Buch Gneist’s«, National-Zeitung, 9. 5. 1894. 223 Berg, Ticket to Freedom, S. 39f. 224 Morrison, Regents Literacy Test, S. 145; Keyssar, Right to Vote, S. 142. Keyssar erklärt, 13 Staaten hätten Analphabeten vom Wählen ausgeschlossen, wobei er beispielsweise diejenigen Staaten nicht mitzählt, die wie South Carolina einen Besitzzensus als Alternative zur Lesefähigkeit anboten (Keyssar, Right to Vote, S. 145); Seymour u. Frary zählen 1918 17 US -Staaten mit »literacy test« (Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 235). 225 Unterlagen in Bard Papers, 1896–1959, Box 72, Fold. 3–5, NYPL ; Keyssar, Voting, S. 856–858. Der US -Kongress verbot Bildungstests zunächst nur temporär und schaffte sie erst 1975 endgültig ab (Congressional Quarterly, Presidential Elections, S. 79). 226 Keyssar, Right to Vote, S. 143.

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ven Druck auf die Staatsregierungen hatte die Literacy Test Conference gesorgt. Die verschiedenen Unterstützer dieser Aktion geben ein lebendiges Bild der Reform-Community: die Honest Ballot Association, der City Club, die Citizens Union, die New York State Association, klassische Reformprojekte wie das Henry Street Settlement oder das Council on Immigrant Education, kirchliche Gruppen, darunter die Catholic Charities, die Federation of Churches und die West Side Y. M . C . A ., aber auch Vertreterinnen der Frauenbewegung wie der Women’s City Club, New York State League of Women Voters oder das International Institute for Young Women, schließlich aber typischerweise auch eine wissenschaftliche Vertretung mit dem Columbia University Bill Drafting Bureau.227 Das Ergebnis der Reformbemühungen war der bald hoch gerühmte »New York State Regents Literacy Test«. Die sorgfältigen und minutiösen Überlegungen von Wissenschaftlern, Bürokraten und ehrenamtlichen Reformerinnen und Reformern und deren jahrelange Arbeit für die Erstellung dieser Prüfung sind erneut ein Hinweis auf ihre Motivlage. Die Prüfung sollte zwar die Fähigkeit zur Staatsbürgerschaft dokumentieren, doch zugleich niemanden überfordern. So sorgten die Schöpfer des Tests beispielsweise dafür, dass die Wörter in den Passagen, die ein Prüfling lesen und verstehen musste, nicht einen gewissen Grundwortschatz überstiegen.228 Die Reformer räumten ein, der literacy test diene zwei Zielen: »erstens, neuen Wählern, die das Englische nicht zu lesen und zu schreiben gelernt haben, das Wahlrecht zu entziehen; und zweitens, das durchschnittliche Bildungsniveau der neuen Wählerschaft anzuheben«.229 Der Historiker Michael McGerr spricht zu Recht von »Segregation« als zentraler Praxis der Reformbewegung.230 Die Bildungsqualifikation, die es außerhalb der USA fast nur in kleineren Ländern wie Italien, Portugal oder Ungarn gab,231 hat viel mit dem für das Wahlrecht entscheidenden Heterogenitätsfaktor zu tun: Je größer die Heterogenität, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein universal suffrage eingeführt wird oder funktioniert. Die Bildungsqualifikation in den USA ist jedenfalls nicht von dem Umstand zu trennen, dass das Land aufgrund 227 228 229 230 231

Morrison, Regents Literacy Test, S. 146f. Morrison, Regents Literacy Test, S. 147f., vgl. auch S. 150. Morrison, Regents Literacy Test, S. 148f. McGerr, Fierce Discontent, S. xv u. 182. Meyer, Wahlrecht, S. 218 u. 427; Mücke, Wahlen und Gewalt; vgl. auch Nohlen, Wahlrecht, S. 49.

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der Zuwanderung und der Sklaverei in bestimmten Zeiten einen rasanten Anstieg an leseunkundigen Bürgern hatte, was zu einem schroffen Gegensatz zu den einheimischen weißen Bürgern führte. So fand die Einführung von Lese- und Schreibtests in den 1850er Jahren und um die Jahrhundertwende jeweils in Zeiten mit wachsenden Zuwanderungszahlen und steigender Xenophobie statt. Um 1900 beispielsweise waren in New York City von den 3,4 Millionen Einwohner 2,7 Millionen Einwanderer oder deren Kinder – ein weites Betätigungsfeld für Reformer.232 Die Bildungstests bedienten aber auch das Verlangen, den erbitterten Streit um das Wahlrecht der Afroamerikaner beizulegen. In den Nachkriegsjahren hatten sich die Positionen zu einer kompromisslosen Auseinandersetzung zugespitzt. Auf der einen Seite fanden sich die Republikaner, die mit Waffengewalt und außerordentlichem Personaleinsatz das allgemeine und gleiche Wahlrecht durchsetzten. Auf der anderen Seite standen die Südstaatler, die mit Manipulationen dieses Wahlrecht aushebelten. In den Nachkriegsjahren hatten außerdem Intellektuelle und Finanzeliten aus dem Norden die Debatte befeuert, indem sie grundsätzlich das universal suffrage ablehnten. Dieser Auseinandersetzungen waren die Bürger müde; immer wieder betonen zeitgenössische Stellungnahmen, dass niemand mehr diese Kämpfe austragen mochte. Die Bildungsqualifikation war Teil eines Kompromisses, der einerseits die Einschränkung des Elektorats durch eine scheinbar objektive »Definition« bürokratisierte und der andererseits allen den unverzichtbaren Glauben an die Demokratie USA belassen konnte.

Dialektik zwischen Gleichheitsgrundsatz und bürgerlichem Habitus der Demokratie Die Unterschiede zwischen den Reformen im Süden und im Norden zeigen einmal mehr, wie komplex und vielfältig die Reformbewegung war. Denn während es im Norden eher darum ging, die Parteienherrschaft zu beenden, versuchten die Südstaatler, die Vorherrschaft der Demokratischen Partei zu zementieren. Auch die Demobilisierung von Wählern im Süden, die umfassendste und langandauerndste in der ganzen Geschichte der USA , lässt sich kaum mit der im Norden vergleichen. Die Mehrheit der Reformer im Norden befand sich wahrscheinlich nicht nur semantisch, sondern auch intellektuell in einer Zwickmühle: zwischen demokratischem Credo und dem Bedürfnis, Demokratie in ihrer bürgerlichen Form 232 Zitiert nach Recchiuti, Civic Engagement, S. 99.

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zu konservieren. Da sie eine meritokratische Herrschaft wollten, schien ihnen eine temporäre Exklusion unvermeidlich. Die Gleichheitsideale wollten sie aber gewiss nicht aufgeben.233 Dass die USA (trotz aller amendments aus den Nachkriegsjahren) mit den Wahlrechtsqualifikationen den Grundsatz der Allgemeinheit aufgaben, ist ein in der Forschung weniger beachteter Aspekt234 – wohl auch deshalb, weil der Anspruch auf das universal suffrage von den Zeitgenossen weiterhin lautstark beschworen wurde. Das war gleichwohl nicht einfach ein Lippenbekenntnis – es war das Selbstverständnis der Amerikaner.235 Demokratie war Amerika, Demokratie konstituierte die Identität. Einem Wähler zu sagen, »dass er nicht wählen darf, bevor er nicht lesen gelernt hat, ist nicht dasselbe, wie ihm zu sagen, dass er nicht wählen darf«, erklärten amerikanische Reformer.236

Registraturpraktiken Für die progressives war zur Aufrechterhaltung ihres demokratischen Selbstverständnisses eine rationale, bürokratische, »objektive« Exklusionspraxis wichtig. Dafür bot sich auch die Registratur an, die Massenwahlen von Anfang an begleitete, jedoch in der Progressive Era einen Boom erlebte und eine wesentliche Voraussetzung für die Bildungstests bildete. Registratur sorgte zunächst für die Definition und Erfassung des Individuums, die beide für die Rationalisierung der Herrschaft unverzichtbar erschienen. Bisher liegen zu diesem Thema überwiegend Studien vor, die sich auf die aktuelle politische Situation in den USA beziehen und sich dem Ziel verschrieben haben, die Registratur als Mittel der Unterdrückung – insbesondere von Afroamerikanern in den USA – zu brandmarken.237 Häufig sind diese Untersuchungen historisch uninformiert und unbefriedigend. Die detailliertesten Studien zur Registratur finden sich in der Progressive Era und zeigen das Bemühen, die Registratur zu verwissenschaftlichen.238 In diesen Texten geht es jedoch ganz ähnlich wie in den Studien zur aktuellen 233 Baker, Negro Suffrage, S. 615. 234 Oh, Immigrants’ Language, S. 149. 235 Beispielhaft dafür sind die argumentativen Volten in: Wilson, Democracy and Efficiency. 236 Zitiert nach Perman, Struggle, S. 30. 237 Z.B. Piven u.a., Keeping Down; Hayduk, Gatekeepers; Lane, Voter Registration; Perman, Struggle, inbes. S. 15. 238 Davenport, Election and Naturalization Fraud; Dana, Australian Ballot System; Harris, Registration of Voters; vgl. auch Richter, Disziplinierung und Nationsbildung.

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Lage weniger um eine Registraturgeschichte als vielmehr darum, politische Ziele zu begründen. Der Reformer Joseph P. Harris, Wahlforscher und Erfinder einer der ersten Wahlmaschinen, fasste in seinem 1929 erschienenen Werk »Die Registratur der Wähler in den Vereinigten Staaten« die der Registratur zugrunde liegende Werteordnung zusammen: Die ganze Idee einer »Regierung durch das Volk« beruhe letztlich auf »einer sorgfältigen Bestimmung jener Elemente der allgemeinen Bevölkerung […], die das Wahlrecht genießen sollen«.239 In Preußen war die Registratur von Anfang an bürokratischer, mehr von oben gelenkt. Die Wähler mussten nicht selbst für die Registratur sorgen. Vielmehr erstellten die Behörden mithilfe der generellen Meldepflicht240 die Wählerregister. Dadurch musste de jure jeder Wahlberechtigte in der Wählerliste auftauchen. Wie entscheidend die bürokratische Effizienz für die Wahlen war, zeigt sich hier in eklatanter Weise. Während in New York nach jeder Wahl im Gilded Age die Klage laut wurde, Tausende seien zu Unrecht registriert worden, löste der Protest gegen einen einzelnen Registraturfehler in Berlin einen umfangreichen Aktenvorgang aus.241 In den USA , dem Einwanderungsland ohne Meldepflicht, wirkte die Wählerregistratur stärker exkludierend, weil sich jeder Wähler selbst melden musste. Dass es überhaupt eine Wählerregistratur gab, erschien vielen Amerikanern gar nicht zwingend, ja, es regte sich von Anfang an Widerstand dagegen.242 Doch immer dann, wenn das Wahlrecht expandierte, kam die Registratur wieder auf die Tagesordnung.243 Die ersten Wählerregistraturen wurden entsprechend in den 1820er Jahren mit der beginnenden Ausweitung des Elektorats eingeführt.244 Wichtig für die Technik der 239 Harris, Registration of Voters, S. 1; vgl. zu Harris: »Joseph P. Harris Dies«, Los Angeles Times, 17. 2. 1985. 240 Jessen, Polizei im Industrierevier, S. 112. 241 Brömel an Magistrat, 26. 3. 1907, mit Notizen der Ämter, Bl. 110, A Rep. 001–03, Nr. 83, Bd. 3. 242 Mr. Bolton presented the following Resolution, Minutes of the Common Council of the City of New York, 14. 1. 1828, u. weitere Eingaben am 29. 6. 1829 u. 8. 2. 1830, NYCMA . 243 Vgl. dazu Richter, Discipline and Elections. 244 Gienapp täuscht sich, wenn er für die erste Hälfte des 19. Jh. historisch dem wenig informierten Harris folgt (Harris, Registration of Voters) u. behauptet, dass die Registratur vor 1861 kaum eine Rolle gespielt habe (Gienapp, Political Culture, S. 14–97); vgl. auch Buchstein, Stimmabgabe, S. 489–530; Keyssar, Right to Vote, S. 65.

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Registratur war es auch, wie viele Tage die fertiggestellten Listen auslagen, ob also genügend Zeit blieb, die Listen zu überprüfen und – wie es sowohl in den USA als auch in Preußen und Deutschland üblich war – abzuschreiben und dann mit den Anhängern der eigenen Partei abzugleichen.245 Während für das Deutsche Reich eine Zweiwochenfrist für die Auslegung der Listen galt, blieben dafür in Preußen nur drei Tage.246 Ein beliebtes Manipulationsmittel der preußischen Behörden war es, den »regierungsfeindlichen« Parteien die Wählerlisten möglichst vorzuenthalten.247 Dadurch gewannen die Listen an Bedeutung: Sahen 1905 in Berlin 21314 Personen die Gemeindewählerlisten ein, waren es 1913 bereits 82116 – ein weiterer Hinweis auf das gestiegene Interesse an Wahlen.248 In den USA , wo die Listen teilweise noch kürzer auslagen,249 zeigten die rechtlichen Regelungen wie so oft wenig Wirkung. Häufig blieben es die Männer rings ums Wahllokal – Wähler, Passanten und Parteileute –, die entschieden, wer dazugehörte und wer nicht. Als die Registratur an Bedeutung gewann, wurde sie zu

245 Proteste der liberalen und der litauischen Wahlvereine von Memel und Heydekrug an Wahlkommissar des Wahl-Kreises Memel, 30. 5. 1913, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 4, Bd. 17, GStA PK ; Großherzoglich Oldenburgisches Staatsmin. an Bismarck, 8. 8. 1867, R1401/1433, 26 RS , BA . 246 Das galt sowohl für die Urwählerlisten (aller Wahlberechtigten eines Urwahlbezirkes unter Angabe ihrer Steuerleistung) als auch für die »Abtheilungslisten« (der Auflistung der Wahlberechtigten nach ihrer Steuerklasse). Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes, 31. 5. 1869, § 8; Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer, 30. 5. 1849, §§ 15f. 247 Verhandlungen, Wahlprüfungs-Kommission, No. 51, 12. 11. 1877, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 18, Bd. 1, GStA PK ; vgl. auch zahlreiche Beschwerden über die Nichteinhaltung der Frist für die Preußischen Landtagswahlen in Wahlangelegenheiten (1849–1918), ebd., Bd. 1–5; Allgemeiner Dt. Arbeiter Verein, Rückers, an Staatsminister Bismarck, Feb. 1867, I. HA Rep. 90 A, Nr. 128, GStA PK ; Proteste der Wahlvereine an Wahlkommissar des Wahl-Kreises Memel, 30. 5. 13, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 4, Bd. 17, 14, GStA PK ; Sten. Ber. RT, 18. 4. 1877, 584; Wahlprüfungskommission, No 283, Haus der Abgeordneten. 13. Legislaturperiode. II . Session 1877–78, I. HA Rep. 169 C 80, 18, Bd. 1, GStA PK ; vgl. Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 274–279. 248 »Die Gemeindewählerliste«, Vorwärts, 2. 9. 1913. 249 US Attorney, Isaac W. Dyer, Maine, 23. 8. 1890, RG 60, Entry 72, 8616–1890, Box 510, D. J. Centra (Year) File, 3, NARA ; An Act to Regulate the Election of Mayor and Aldermen of the City of Charleston, 23. 12. 78, Records of the Commissioners of Elections for the City of Charleston, Box 1/7, Charleston Archive; Board of Elections, to Mayor Gaynor, 8. 2. 1910, darin zitiert Brief von Ann L. Muller vom 3. 2. 1910, Office of the Mayor, Gaynor, William J. Administration, Box 21, Fold. 190, Board of Elections 1910, NYCMA .

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einem der wichtigsten Einfallstore für Wahlmanipulationen.250 Im Gegenzug durchdachten die Reformer mit ungeheurer Akribie die Registraturgesetze, setzten in den Parlamenten neue Regelungen durch und sorgten für deren Einhaltung. 1921 gab es in New York City schließlich eine Registratur, die 31 Informationen vom Wähler einforderte, darunter Augenfarbe, aktueller und vorheriger Wohnort oder Geburtsort der Gattin oder des Gatten.251 Auf die wachsame Bürgergesellschaft setzend bauten die Reformer in New York ein System von »Beobachtern« (watchers) oder »Prüfern« (challengers) aus, Männern, die an Registratur- und Wahltagen die Berechtigung der Wähler prüften.252 Auch Frauen arbeiteten als »Beobachter«, noch bevor sie das Wahlrecht erhielten. Die Honest Ballot Association versprach jedem eine Belohnung von 1000 Dollar, der Beweise für eine illegale Registratur erbringen konnte.253 Ein neues Mannsbild bestimmte die Wahlen: Ein Heer an Männern mit frisch gestärkten, weißen Krägen, dazwischen einige wohlanständige Frauen, zog am Wahltag los und kontrollierte die Mitbürger mit Stift in der Hand und vorgedrucktem Formular: dem »Problembericht« für suspekte Wähler mitsamt der Rubrik »vorgeschlagene Abhilfe«.254 Die Rassisten im Süden erklärten schlicht: »Befreit Euch von den analphabetischen und bestechlichen Wählern und stellt die Herrschaft der Weißen über Louisiana sicher.«255 In South Carolina sorgte die von Gouverneur Benjamin Tillman 1895 auf den Weg gebrachte Verfassung vor allem über den Bildungstest für den gesetzmäßigen Ausschluss der Afroamerikaner, nachdem die Weißen ihre Vorherrschaft im Wahllokal bereits seit dem Abzug der föderalen Truppen 1877 mit Manipulationen und Tricksereien durchgesetzt hatten. Auch die anderen Südstaaten schlossen in die250 »The Fight for a Clean Ballot«, von Edward Ridley Finch, Independent LXVIII /1020 (1910), S. 1020–1029; Quigley, Acts of Enforcement, S. 276. 251 Registration Book, 1921, NYCMA . 252 Instructions for Election Day For Democratic Inspectors of Election, Poll Clerks and Watchers. Albany 1904, Bard Papers, NYPL ; Finch, E. R., »The Fight for a Clean Ballot«, Independent LXVIII /1020 (1910). 253 »$ 1000 In Rewards For Evidence Of Illegal Registration«, Box 68, Fold. 10, ca. 1914, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; Report of the Honest Ballot Association, NYC , 1. 1. 1914–31. 12. 15, Box 67, Fold. 14, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; Amended Registry Law: Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 78. 254 1910; Box 65, Fold. 9, Bard Papers, NYPL . 255 Times-Democrat, 7. 2. 1898, zitiert nach: Fredman: Australian Ballot, S. 79.

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sen Jahren mit neuen Verfassungen und Bildungsqualifikationen die Afroamerikaner aus. Doch der Bildungstest bei der Registratur hätte nach dem Geschmack der Democrats im Süden zu viele Weiße ausgeschlossen. Daher durfte in South Carolina ein Reicher, der mindestens 300 Dollar besaß, auch ohne Lesefähigkeit wählen, wie die Verfassung festhielt.256 Da aber von den 25 Prozent weißen Analphabeten in South Carolina (Stand 1880) die meisten unvermögend waren, schufen die Verfassungsväter in den Südstaaten weitere Schlupflöcher, etwa die »Großvaterklausel« (grandfather clause), die jenen Männern das Wählen erlaubte, deren Großväter bereits das Stimmrecht besessen hatten. Beliebt war auch die »Verständnisklausel« (understanding clause), bei der Analphabeten sich registrieren konnten, wenn sie den Wahlhelfern glaubhaft machen konnten, einen Paragrafen der Verfassung »verstanden« zu haben.257 Diese Regulierung erwies sich bis in die 1960er Jahre als besonders effektiv für den Ausschluss afroamerikanischer Wähler.258 In Preußen und im Deutschen Reich blieb die Registratur von recht nachgeordneter Bedeutung, weil sie Hand in Hand mit dem Melderegister lief. Sie erwies sich zwar nicht als immun gegen Manipulationen, aber doch als wenig anfällig. Allerdings gab es auch hier Überlegungen, inwiefern sich die Registratur zur besseren Disziplinierung nutzen ließ. Ähnlich wie in den USA erdachte man sich Methoden, um die Identifikation der Wähler rationaler zu gestalten: Wähler sollten sich etwa mit »Legitimationskarten« ausweisen, die ihnen im Vorfeld zugeschickt worden waren.259 In einer Beratung hoher Beamter 1910 hatte der Geheime Regierungsrat aus dem Justizamt, Dr. Lucas, zu dieser Karte geraten, weil dadurch die bürgerlichen Wähler darauf aufmerksam würden, wenn sie nicht in den Wählerlisten stünden und entsprechend keine Karte zugeschickt bekämen; denn diese Bürger kümmerten »sich erfahrungsgemäß am wenigsten

256 South Carolina Constitution, 1865, Art. II ., Sect. III . (d). 257 Berg, Ticket to Freedom, S. 39; Woodward, Origins, S. 332; Keyssar, Right to Vote, S. 112. 258 »A Dream Undone. Inside the 50-year campaign to roll back the Voting Rights Act«, von Jim Rutenberg, NY T, 29. 7. 2015; Godkin, Republican Party, S. 249. 259 Zusammenstellung der Wünsche der Wahlvorsteher, o. D. (Berlin, 1913), A Rep. 001–03, Nr. 56, Bestimmungen und Gesetze für Wahlen zum Abgeordnetenhause, Magistrat zu Berlin, 1848–1919, LAB . Diese Methode der Identifizierung hatte es bereits zu Beginn des Jahrhunderts bei den Preußischen Stadtwahlen gegeben, Aushang von Oberbürgermeister etc., Berlin, 30. 6. 1823, A Rep. 001–02, Nr. 2585, LAB .

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um die Wählerlisten«.260 Und wie in den USA schlugen Reformkräfte auch in Deutschland eine permanente Registratur vor, bei der die Wähler nicht vor jeder Wahl neu registriert werden sollten. Der preußische Innenminister Loebell erläuterte 1915, dass durch die permanente Wahlregistratur »der seßhaften und besitzenden Bevölkerungsklasse ein größerer Einfluß auf die Wahlen eingeräumt werde«.261 Die effiziente Berliner Verwaltung fand schließlich ein System, das die permanente Registratur von Bürgern mit einer für jede Wahl neu zu errichtenden Wählerliste kombinierte. Dieses Register notierte sogar die Gründe, warum bestimmte Bürger nicht in die Wählerliste eingetragen wurden.262

Die Ordnung der Dinge im Wahllokal Ein Blick auf die Wahllokale in den USA gibt ein Bild davon, welche Männer jeweils den Ort und damit das Wahlgeschehen beherrschten: von der Regierungsmacht in den Händen einer Elite zu Beginn des Jahrhunderts, über die schwache Staatsherrschaft – herausgefordert durch das Mannsvolk vor Ort – in der Jahrhundertmitte, bis hin zur Autoritätsrückgewinnung durch die oberen und gebildeten Schichten in Verbindung mit einem erstarkten Staat an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.

Die Herrschaft im Wahllokal Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fanden Wahlen üblicherweise in staatlichen Gebäuden statt, im Rathaus etwa, im Landesparlament oder im Gericht, oft auch in Kirchen. Die Glocken der staatlichen und kirchlichen

260 Aufzeichnung über die am 27. 6. 1910 stattgehabte kommissarische Beratung, betr. Abänderungen des Wahlreglements, I. HA Rep. 90 A, Nr. 112, 1903–1915, PK GStA ; vgl. auch »Unerhörte sozialdemokratische Betrügereien bei den Reichstagswahlen«, Die Post, 26. 6. 1903, R 8034/II 5086, Reichstagswahlen, RS , Bl. 30, BA . 261 Votum Innenminister Loebell an Reichskanzler, 26. 6. 1915, GStA , I. HA Rep. 90 A, Nr. 3238, Bd. 1, 82; vgl. das Plädoyer für permanente Wahllisten: »Was wir Deutschen bei den englischen Wahlen lernen können«, von Dr. Arendt, Tag, 7. 12. 1910; zu den USA Bard an H. W. Dodds, Secretary, national Municipal League, Dec. 17, 1926, Bard Papers, NYPL ; New York, June, 1838, Bard Papers, 1896–1959, Box 62, Fold. 14, NYPL . 262 Unterlagen in A Rep. 001–03, Nr. 163, Bd. 1, 1896–1922, LAB ; A Rep. 001–03, Nr. 51 + Nr. 52, 1880–1901, LAB ; A Rep. 001–02–01, Nr. 232, 1889–1891, LAB ; Registratur in A Rep. 001–03, Nr. 156, LAB .

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Gebäude riefen wie in Preußen die Herren zum Wahllokal.263 Mit der Erweiterung des Wahlrechts aber brauchten die Gemeinden zusätzliche Lokale.264 »Anstelle der bisherigen siebzehn Wahllokale gibt es jetzt um die achtzig, und die Elemente von Aufruhr und Chaos werden durch diese Aufteilung geschwächt«, notierte ein New Yorker 1840.265 Auf dem Land, wo in der Jahrhundertmitte die meisten Menschen lebten, wurden Wahllokale zwar weiterhin in Rathäusern, Gerichtsgebäuden und Kirchen eingerichtet, oft aber auch in Scheunen, Schulen, bei Händlern, in Privat- und Feuerwehrhäusern. Entscheidend war die Möglichkeit, die Wahlkommission abzusichern und mit einer Wand oder sonstigen Vorrichtungen vom Wahlvolk zu trennen. Sowohl auf dem Land als auch in der Stadt fanden die Wahlen häufig in Kneipen statt, einem wichtigen Treffpunkt für Immigranten. Rund 90 Prozent der Wahllokale in New Yorker Immigrantenvierteln befanden sich in Wirtshäusern.266 Staatliche Autoritäten hatten hier wenig zu melden. Die frisch eingewanderten Männer konnten die Wahlen ganz als ihre Angelegenheit betrachten. Im explosiven sechsten Wahlbezirk mit dem berüchtigten Viertel Five Points registrierte die Stadtverwaltung schon in den 1830er Jahren Wahlunregelmäßigkeiten.267 Die Wahlinspektoren regten daher 1833 an, »dass man ihnen die Erlaubnis erteilen möge, einen Teil des Rathauses als Wahllokal zu nutzen«. Sie wollten zwischen den Säulen im Eingang des noblen Bauwerks die Wahlstation aufbauen, in der Hoffnung, damit gewalttätige Wähler fernzuhalten – geschützt durch die Würde des Gebäudes.268 Das war ein früher Versuch, die Wahlen obrigkeitlich einzuhegen. Dergleichen blieb jedoch die Ausnahme. In der Mitte des Jahrhunderts wurden Wahllokale Teil des korrupten Systems. Die lukrative Raummiete von 40 bis teilweise knapp 60 Dollar pro Wahllokal (heute etwa 1200 bis 1800 Dollar), die seit etwa 1830 für das Vgl. Bellinger, Compilation, S. 121 u. 127; Brewin, Celebrating Democracy, S. 110. Brewin, Celebrating Democracy, S. 110. Eintrag vom 4. 11. 1840, Hone, Diary (Bd. 2), S. 49f. Resolution for new Election, 24. 9. 1827, NYC Common Council, Elections 1827, Box 109, Fold. 2064, NYCMA ; Bensel, Ballot Box, S. 9. 267 Unterlagen in NYC Common Council Papers, Box 135, Fold. 2366, Elections 1831, NYCMA ; Proceedings of the Board of Aldermen, 14. 5. 1833, 20. 5. 1833, 27. 5. 1833, 7. 6. 1833, 24. 6. 1833 etc., NYCMA . 268 Proceedings of the Board of Aldermen, 26. 5. 1833, 6. 10. 1834 u. 21. 10. 1834, NYCMA ; Document No. 1, Board of Aldermen, 14. 5. 1833, u. die folgenden Dokumente über eine Wahlprüfung, NYCMA . 263 264 265 266

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Abb. 39 Wählen in der Kneipe. »Voting Place, No. 488, Pearl Street, Sixth Ward, New York City« Provided Courtesy HarpWeek

Abhalten einer Wahl mit vorhergehender Registratur bezahlt wurde, kam meistens Parteianhängern zugute.269 Das Problem der überteuerten Mieten lag über Jahrzehnte offen zutage. 1834 erklärte der New Yorker Stadtrat, die Gastwirtschaften, in denen gewöhnlich die Wahlen stattfänden, profitierten durch den Ausschank ohnehin von den Wahlen, weswegen die Stadt künftig nur noch Miete dann bezahlen würde, wenn es sich nicht um eine Kneipe handelte – und auch dann niemals mehr als 40 Dollar.270 Doch nichts änderte sich.271 Wieder einmal wurden die Reformen erst Jahrzehnte später zur Geltung gebracht: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Miete auf rund 30 Dollar für Manhattan und 15 Dollar für Queens gesenkt.272 Die Abhaltung der Wahlen in öffentlichen Gebäuden forcierte die 269 Proceedings of the Board of Aldermen, 9. 12. 1833, 17. 3. 1834, 28. 4. 1834, 28. 4. 1834, 16. 2. 1835, 8. 2. 1836, 25. 7. 1836, u. weitere zahlreiche »Election Bills for room hires« in den Proceedings, 1830er Jahre, NYCMA . 270 Proceedings of the Board of Aldermen, 16. 2. 1835, NYCMA . 271 Proceedings of the Board of Aldermen, 25. 7. 1836, NYCMA . 272 Estimated Expenditures of the Board of Elections of the City of New York for 1912. For Primary Elections, March 26, and September 10, 1912 u. For General Election – November, 1912, Office of the Mayor, Gaynor, William J. Administration, Fold. 192, Board of Elections 1912, NYCMA .

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Verwaltung schließlich auch mit dem Argument, dass die Stadt damit eine beträchtliche Summe Geldes einsparen könne.273 1865 erließ die Stadt New York ein Gesetz, das den Behörden vorschrieb, die Wahllokale zu bestimmen und für ausreichend Beleuchtung zu sorgen.274 Die republikanischen Wahlprüfer, die in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg überall in den USA das Wahlrecht der Afroamerikaner und Stimmgewinne für Republikaner durchsetzen wollten, plädierten ebenfalls dafür, die Auswahl der Wahllokale nicht mehr dem Belieben der Bevölkerung (oder vielmehr: der Politmafia) zu überlassen und sie mindestens sechs Monate im Vorfeld festzulegen und öffentlich bekannt zu geben. Denn an eben diesen Stellen gelang es den Weißen immer wieder, Afroamerikaner zu betrügen und vom Wählen auszuschließen.275 Doch in den 1880er Jahren fanden in New York die meisten Wahlen immer noch in Saloons statt, wo die Handlanger der Politmaschinen – so der gewiss nicht ganz falsche Verdacht der progressives – leichtes Spiel hatten.276 Saloon war für Reformer ohnehin der Inbegriff gesellschaftlichen Verfalls und unvernünftigen Verhaltens.277 Neben Schänken dienten oft auch kleine Geschäfte als Wahllokal, häufig im Souterrain. So beschwerten sich Wahlaufseher in Manhattan, sie hätten in einem Laden für Pferdegeschirr die Wahl beaufsichtigen und in dem zugemüllten, stinkenden Raum auf alten Kisten sitzen müssen.278 Nur nach und nach gelang es Reformern, den Raum der Wahlen zu ändern. Sie setzten die Inspektion durch die Behörden durch, die prüften, ob das Wahllokal gefegt, beheizt und gut beleuchtet war.279

273 President Dooling, Election Board of the City of New York, to Miss Lillian D. Wald, 265 Henry Street, New York City, 8. 10. 1810, Office of the Mayor, Gaynor, William J. Administration, Box 21, Fold. 190, Board of Elections 1910, NYCMA ; »Report Election Reforms«, NY T, 18. 6. 1916. 274 Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 71. 275 Unterlagen The United States vs. Clark Brewer, S. 5, u. weitere Unterlagen zu dem Fall, RG 60, E 54, 4728, Year 1889, Box 417, NARA . 276 Tindall/Shi, America, S. 630. 277 Vgl. Welskopp, Ernüchterung, 34. 278 4 Inspectors of Elections to Board of Election, o. D., ca. Nov. 1910, Office of the Mayor, Gaynor, William J. Administration, Box 21, Fold. 190, Board of Elections 1910, NYCMA ; vgl. auch die Auflistung der Wahllokale in »Election Notice«, New York Tribune, 5. 11. 1912. 279 Police Department of the City of New York, 300 Mulberry Street, 29. 10. 1906, General Order No. 84, Box 66, Fold. 1, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; Secretary, Board of

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1916 fand nach intensiver Lobbyarbeit der Reformer in New York zum ersten Mal die Stimmabgabe ausschließlich in öffentlichen Gebäuden statt. Die Evening Post berichtete begeistert: »Die Atmosphäre und die Umgebung des Schulhauses haben auf jeden Fall eine sehr heilsame Wirkung auf die Menschen, die sich dort in die Wählerverzeichnisse eintragen lassen und ihre Stimme abgeben.«280 Der Präsident des Board of Elections sprach von einem »vollkommenen Erfolg«, die Nutzung der öffentlichen Gebäude sei »eine der heilsamsten Entwicklungen der Wahlpraktiken«.281 Die Reformer, die sich den politischen Raum zurückerobern wollten, erkannten die Bedeutung der Techniken und der Dinge für die Disziplinierung des Wählers.282 Dabei wird deutlich, in welchem Ausmaß Dinge zu Akteuren werden können.283 Demokratie ist nicht nur eine Frage von Ideen und Werten, sondern auch eng verwoben mit Praktiken, Materialität und mit den Körpern.

Hygiene, Licht, Ordnung Die Reformdiskurse bezogen sich ganz im Geiste der Zeit auch auf Hygiene und Sauberkeit. Die Beleuchtung nahm eine wichtige Stellung ein, was insofern interessant ist, als die Geschichte der Ausleuchtung des offenen Raumes eng mit der Geschichte der Überwachung und Disziplinierung der Bürger zusammenhängt.284 Kerzen in Wahllokalen schienen den Reformern nicht länger ausreichend zu sein und sollten durch moderne

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elections, to Mr. Quinn, Brooklyn, NY, 6. 10. 1914, NYC Office of the Mayor, Mitchel, John P. Administration, Box 25, Fold. 263, Board of Election 1914, NYCMA ; »Wallstein (Commissioner of Accounts) praises board of elections«, NY T, 5. 6. 1915; vgl. zur Situation in Deutschland Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 333–335. Evening Post, 17. 1. 1916; vgl. zur Organisation Edwin Hatfield Anderson records. Central Administration. Director’s Office, NYPL . President Boyle, Board of Elections, to Hon. William Williams, Commissioner, Dep of Water supply, Gas & Electricity, Municipal Building, Manhattan, NYC , 11. 4. 1916, NYC Office of the Mayor Mitchel, John P. Administration, Box 25, Fold. 265, Board of Election 1916, NYCMA . Voorhis, Board of Elections, to McClellan, 20. 10. 1904, Office of the Mayor, McClellan, George B. Administration, Box 27, Fold. 28, Board of Elections 1904, NYCMA ; Board of Elections an Mayor Gaynor, 8. 2. 1910, darin Brief von Ann L. Muller, 3. 2. 1910, u. weitere Unterlagen in der Akte von 1910, Office of the Mayor, Gaynor, William J. Administration, Box 21, Fold. 190, NYCMA ; vgl. dazu auch Dormal, Ort der Wahl. Latour, Wir sind nie modern gewesen, S. 11, 14 et passim; vgl. Reckwitz, Unscharfe Grenzen, S. 133 u. 147–149; Hahn, Materielle Kultur, S. 9. Kammerer, Bilder der Überwachung.

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Gasbeleuchtung ersetzt werden.285 Ein Verwaltungsschreiben beschrieb ein neu errichtetes Schulgebäude als den optimalen Wahlort: »sehr modern«, »hygienisch makellos«, »ein Gebäude auf dem neuesten Stand der Technik, das von zehn Beleuchtungsanlagen mit vierzig Glühlampen von jeweils 60 Kerzenstärken erhellt wird. Diese modernen Schulen mit ihren Beleuchtungseinrichtungen sind ideal als Wahllokale geeignet und unterscheiden sich ganz deutlich – gerade in Hinsicht auf die Beleuchtung und die sanitären Anlagen – von den Wahllokalen, die man in Geschäftsräumen einrichtet.«286 Ein anderer Reformer notierte: »Die Verwendung öffentlicher Gebäude mit ihren großen Räumen voller Licht und Luft und ihrer Atmosphäre der Ehrbarkeit trägt dazu bei, das Rowdytum zurückzudrängen.«287 Als 1917 die Frauen in New York das Wahlrecht erhielten, mussten aus Platzmangel zwar transportable Wahllokale eingerichtet werden, doch die öffentlichen Gebäude galten nunmehr als besonders hilfreich, weil man dem weiblichen Geschlecht nur respektable Wahllokale zumuten wollte.288 Die Zeitgenossinnen nahmen dergleichen Überlegungen ernst. In dem Frauenrechtstreffen in Seneca Falls 1848, das einen Erinnerungsboom erlebte, hatte eine der Resolutionen von den Männern ausdrücklich bessere Manieren gefordert, wie sie auch den Frauen abverlangt würden.289 Das konnten die Männer im Wahllokal einüben.

Preußische Disziplin Als Folge der Reformen lag ein Großteil des Wahlverlaufs in den USA nicht länger in der Hand der Parteien. Für jedes Wahllokal gab es einen zuständigen Polizisten. Er brachte morgens die Stimmzettel und alle weiteren notwendigen Utensilien ins Wahllokal, ließ sich die Abgabe mit einer Quittung bestätigen, kontrollierte die Ausstattung des Raumes und brachte Quittung und Bericht zur Zentrale des Wahlkreises.290 Das sahen zumin285 Davenport, Election and Naturalization Fraud, S. 71. 286 President Boyle, Board of Elections, to S. L. Martin, Executive Secretary, Mayor’s Office, NYC , 12. 10. 1917, NYC Office of the Mayor Mitchel, John P. Administration, Box 25, Fol. 266, Board of Election 1917, NYCMA . 287 Harris, Election Administration, S. 380. 288 Dafür mussten allerdings wegen der Vergrößerung des Elektorats zusätzliche transportable Wahllokale eingerichtet werden (Annual Report of the Board of Elections of the City of New York, 1918, 28, NYPL ). 289 Resolutions, 19. 7. 1848, in: Stanton, First Convention (Seneca Falls), S. 5. 290 Police Department of the City of New York, 300 Mulberry Street, 29. 10. 1906, General Order No. 84, Box 66, Fold. 1, Bard Papers, 1896–1959, NYPL .

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dest die Gesetze vor. In den Wahlkabinen mussten eine Kurzfassung der Wahlinstruktionen und Stifte mit schwarzer Farbe liegen (»gespitzt und mit einem Faden am Pult befestigt«), 30 Meter vor dem Wahllokal sollten in beide Richtungen Hinweisschilder aufgestellt werden. Schließlich hatten die Wahlordner Balustraden zu errichten, die den Wähler durchs Wahllokal führten und unbotmäßiges Umherlaufen verhinderten.291 »Wenn ein Wähler von den Wahlhelfern einen amtlichen Stimmzettel erhalten hat, wie oben vorgesehen, dann gilt sein Wahlakt als begonnen, und wenn er nach Erhalt eines solchen amtlichen Stimmzettels den von der Balustrade umschlossenen Raum verlassen sollte, bevor er seinen Stimmzettel in die Wahlurne geworfen hat, wie oben vorgesehen, so darf er nicht noch einmal in den von der Balustrade umschlossenen Raum eintreten.«292 Das Wahllokal präsentierte im Kleinen das reformerische Ideal vom richtigen Leben: eine hygienische, standardisierte, lichte, korruptionsfreie, wissenschaftlich legitimierte Welt der selbstbestimmten Bürgerschaft. Anders als der Saloon oder die kleinen Geschäfte gehörten die öffentlichen Gebäude nicht in das Ambiente des einfachen Volkes; es wird manch einen armen Neueinwanderer eine ebensolche Überwindung gekostet haben, das pompöse Gerichtsgebäude zu betreten, wie einen wohlhabenden Wallstreetmann eine dreckige Spelunke. 1886 beschwerte sich ein Präsidentschaftskandidat aus New York darüber, dass die Polizisten in den Wahlversammlungen als »Zensoren« aufträten.293 Man kann fast sagen, die Reformer bemühten sich um preußische Verhältnisse in den USA . In Preußen hatte die Bürokratie die Zügel von jeher fest in der Hand. Während sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Wahlpraxis in den USA und den preußischen Städten stark geähnelt hatte, änderte sich das zur Jahrhundertmitte, als in Amerika die unteren Schichten die Wahlen übernahmen. Das amerikanische Ausmaß an Betrug und Gewalt blieb in Preußen undenkbar. Auch die Mieten wurden hier in schöner Ordnungsgemäßheit geregelt: In Berlin lag der Mietpreis für ein Wahllokal mit sechs Mark vergleichsweise niedrig (und entspräche heute etwa 60 Euro), auch wenn man bedenkt, dass das Wahllokal in Preußen nur für einen Tag ge291 Police Department of the City of New York, 300 Mulberry Street, 29. 10. 1906, General Order No. 84, Box 66, Fold. 1, Bard Papers, 1896–1959, NYPL . 292 Levy, Elector’s Hand Book, S. 50. 293 Henry George, Acceptance Speech, 1886, zitiert nach Lomas, Agitator, S. 48–55.

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Abb. 40 In der Welt der Reformer wird Uncle Sam zum strammen Polizisten und Ordnungshüter. Die rechte Tür der Korruption ist verschlossen, und alles Geld des Reichen (rechts mit Zylinder) hilft nichts mehr. Stattdessen gibt es ordentliche Wahlen mit ordentlichen Bürgern (links). U.S. Senate Collection

braucht wurde.294 Als besonders hilfreich erwies sich die effiziente Bürokratie. Der von der Verwaltung bestimmte Wahlvorstand oder auch »die Behörde« selbst (was auf dem Land de facto der Landrat war) hielt nach Wahllokalen Ausschau und legte sie fest. »[Wir laden] die sämmtlichen stimmberechtigten Urwähler hiermit ein, Behufs der Wahl der Wahlmänner für die zweite Kammer am 22. Januar cr. Morgens 9 Uhr präcise, in dem für eine jede Wahl-Abtheilung bestimmten, in dem nachfolgenden Tableau näher bezeichneten Wahl-Locale zu erscheinen«, hieß es beispielsweise 1849 im Aushang des Berliner Magistrats, und weiter: »Wir sind unsererseits bemüht gewesen, nach Möglichkeit geeignete und heizbare Localitäten zum Zwecke der Wahlen zu ermitteln und zu benutzen. In sofern bei einigen derselben noch Etwas zu wünschen übrig bleiben möchte, glauben

294 Wahl-Unterlagen, z.B. Aktennotiz, 23. 3. 1907, in A Rep. 001–03, Nr. 83, Neuwahl der Mitglieder zum Reichstag 1907, Bd. 3 (Neuwahl 1912), 1907, zur Umrechnung der Mark: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Statistiken/kaufkraft vergleiche_historischer_geldbetraege.html?view=render%5BD ruckversion%5D [15. 5. 2014].

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wir auf die Nachsicht der betreffenden Wahlversammlungen rechnen und mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß mehr auf die so wichtige Vollziehung des Wahlacts, als auf die Bequemlichkeit und Einrichtung des Wahl-Locals gesehen werden wird.«295 Die Inspektion des Wahllokals durch die Behörden war seit Langem Routine in Preußen.296 Dennoch keimten auch hier Reformbemühungen auf. Bürger, Beamte und Politiker forderten die noch stärkere Nutzung von öffentlichen Gebäuden, sie wünschten gut ausgeleuchtete Räume oder eine bessere Übersichtlichkeit, wo die verschiedenen Wahllokale lagen.297 Die Bürokratie bemühte sich, Kneipen als Wahllokale zu meiden. Zugleich sollten auch in Kirchen und Synagogen weniger Wahlen stattfinden,298 auch wenn sich das nicht immer verhindern ließ.299 Auch hier wird die funktionale Differenzierung deutlich: Hatten in Preußen zu Beginn des Jahrhunderts politische Wahlen ausschließlich in Gotteshäusern im Rahmen eines »Gottesdienstes« stattgefunden, so sollte diese Vermengung möglichst vermieden werden. Der »Kanzelparagraph« von 1871, der politische Botschaften von der Kanzel verbot und sich insbesondere gegen die katholische Kirche richtete, kann als Teil dieses Bemühens verstanden werden. In eine ähnliche Richtung zielten die Aktivitäten, Privat-

295 Der Magistrat, Öffentliche Bekanntmachung, Wahl-Angelegenheit, 18. 1. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2457, LAB . 296 Vgl. zur Inspektion der Wahllokale in Preußen Erklärung (Vordruck), 21. 12. 1906, A Rep. 044–03, Nr. 453, Magistrat der Stadt, Reichstagswahl 1907, LAB ; Brief (Name unleserl.) an Magistrat, Berlin, 24. 3. 1907, A Rep. 001–03, Nr. 83, Neuwahl der Mitglieder zum Reichstag 1907, Bd. 3, Bl. 113, LAB . 297 Zusammenstellung der Wünsche der Wahlvorsteher, Berlin, o. D., 1913, A Rep. 001–03, Nr. 56, Magistrat zu Berlin, 1848–1919, LAB ; Protokoll, dritte Sitzung der Wahlrechtskommission, 22. 2. 1910, 2. Teil, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 2e, GStA PK ; C. Loeser, Bankgeschäft, an Magistrat, Berlin, 17. 1. 1907, A Rep. 001–03, Nr. 83, Bd. 3, 1907, Bl. 117, LAB . 298 Minister des Innern an Regierungspräsidenten, Berlin, 12. 12. 1903, Rep. 66 (Grfswld), Nr. 2, Landratsamt Greifswald, 1888–1918, LAG . 299 Vgl. etwa Übersicht über die Abgrenzung der ländlichen Urwahlbezirke des Kreises Gnesen, 25. 4. 1904, XVI . HA Rep. 30, 575, Bd. 2, Wahlen für das Abgeordnetenhaus 1903, GStA PK ; Landrat des Kreise Inowrazlaw an Regierungspräsidenten in Bromberg, 9. 10. 1903, XVI . HA Rep. 30, 575, Bd. 1, GStA PK ; »Bekanntmachung«, Zeitungsausschnitt, o. A., offenbar für Bromberg, XVI . HA Rep. 30, Nr. 580, 1908, Wahlen für das Abgeordnetenhaus 26. III . 1908, Bd. 1, GStA PK .

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räume möglichst nicht mehr für die Stimmabgabe zu nutzen.300 Die Bürokratie in Preußen hatte allerdings ihre Schattenseite, wenn sie aufgrund ihrer Stärke Regelungen durchbrach. In einer Wahlbeschwerde aus dem Bezirk Königsberg hieß es 1913 beispielsweise, dass »die Schulen die durchaus zu Wahllokalen geeignet sind, deren Lehrer aber liberal sind, durch die höchst ungeeigneten Wohnungen der Ortsvorsteher ersetzt [wurden] – eine Maßnahme, die sich aber nicht überall aufrecht erhalten ließ – und darum nachträglich zum Teil wieder rückgängig gemacht werden mußte«.301

Die reformierte Wahlurne und das Kreuz auf dem Wahlschein Als großes Reformprojekt diente auch die Wahlurne. Sie erwies sich bei den Massenwahlen als eines der anfälligsten Glieder im Wahlprozedere. Die Wähler in Amerika und im Deutschen Reich nutzten so ziemlich jedes Gefäß als Urne: Suppenschüsseln, Zigarrenkisten, Hutkisten oder Seifenschachteln.302 Für eine effektive Geheimhaltung jedoch musste die Urne standardisiert werden. Im Deutschen Reich wurde über Jahre gestritten und auf höchster Beamtenebene über das »Urnenelend« beraten.303 War der Spalt zu breit, bot er die Möglichkeit, mehr als einen Umschlag einzuwerfen; war er zu eng, konnte das ein gleichmäßiges Aufeinanderfallen der Umschläge begünstigen, wodurch das Votum nachvollzogen werden konnte, wenn man die Reihenfolge der Wähler notierte. Deswegen musste die Urne auch im Innern groß genug sein. Um dergleichden knifflige Fragen zu beraten, trafen sich am 27. Juni 1910 fünf hochrangige Beamte aus den preußischen und den Reichsbehörden. Die Herren beugten ihre Köpfe über ein Urnenmodell, das der Regierungsrat aus dem Reichsamt des Innern mitgebracht hatte, und stellten Versuche an, um »eine genügende Mi-

300 Paragraph 9, zitiert nach »Giltige und ungiltige Reichstagswahlen«, Leipziger Neueste Nachrichten, 9. 5. 1898, R 8034 II , 5076, Bl. 40, BA ; Zusammenstellung der Wünsche der Wahlvorsteher, Berlin, o. D., 1913, A Rep. 001–03, Nr. 56, Magistrat zu Berlin, 1848–1919, LAB . 301 Protest gegen die Wahlen der Abgeordneten Ökonomierat Frentzel-Beyme und Pfarrer Dr. Gaigalat, Memel, 21. 6. 1913, I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 4, Bd. 17, Bl. 16, GStA PK . 302 In the Court for the Correction of Errors. Mayor, City of NY, vs. The People of the state of NY, 15. 6. 1842, NYHS ; »Der Schutz des Wahlgeheimnisses«, Frankfurter Zeitung, 24. 3. 1907; Ihl, L’Urne électorale. 303 Offener Brief von Prof. R. Siegfried, an Herrn Reichskanzler, Bülow, Königsberg, 18. 12. 1906, XVI . HA Rep. 30, Nr. 600, 1903–1907, GStA PK .

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Abb. 41 In Berlin wurden bereits bei den Reichstagswahlen 1912 die standardisierten, großen Urnen genutzt, die zur Leerung umgekippt wurden und damit ein Durcheinanderfallen der Umschläge garantierten. Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (3) Nr. 0075771

schung der Wahlkuverts« zu garantieren.304 1913 dann wurde reichsweit die neue Urne festgelegt: mindestens 90 Zentimeter in der Höhe und 35 in der Tiefe; der Einwurfspalt höchstens zwei Zentimeter breit. Beim Leeren musste die Urne umgekippt werden, damit die Umschläge durcheinander fielen.305 Die Wahlfälscher in den USA zeigten sich auch im Hinblick auf die Wahlurne wesentlich kreativer als die Preußen. Schon in den 1820er Jahren gab es in South Carolina die Vorsichtsmaßregeln, Urnen mit einem Siegel zu versehen, und in New York mussten sie bereits in den 1830er Jahren mit einem Schloss verriegelt werden.306 Das half allerdings wenig. Urnen wurden entführt, versteckt, ausgetauscht und vor allem, wie wir gesehen haben, mit einem doppelten Boden und gefälschten Wahlzetteln versehen. Die Reformadministrationen entwickelten daher in den Jahren nach dem Bürgerkrieg fälschungssichere Modelle aus durchsichtigem Glas, um zu verhindern, dass der Wähler mehr als einen Wahlschein hineinwarf, und 304 Aufzeichnung über die am 27. 6. 1910 stattgehabte kommissarische Beratung, betreff Abänderungen des Wahlreglements, I. HA Rep. 90 A, Nr. 112, 1903–1915; vgl. Brief an Reichsamt des Innern, Berlin, 1. 8. 1910, I. HA Rep. 90 A, Nr. 112, 1903–1915. 305 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 366; »Der Schutz des Wahlgeheimnisses«, Frankfurter Zeitung, 24. 3. 1907. 306 Resolution of the Legislature, Dec. 1820, Bellinger, Compilation, S. 341f.; Henry Middleton an hon. Resident and the numbers of the Senate of SC , S165015, Item 45, 1830, SCDAH ; Sundry citizens of Laurens Dist. an the Hon. the speaker and members of the House of Repres., 25. 10. 1838, S165015, Item 134, 1838, SCDAH ; Untersuchungsbericht, City and County of New York, James H. Hoffman Junior an Elector, 9. 5. 1831, u. weitere Unterlagen in NYC Common Council Papers, Box 135, Fold. 2366, Elections 1831, NYCMA .

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Abb. 42 Neues Modell: Transparente Wahlurne aus Glas, 1870 Provided Courtesy HarpWeek [Ausschnitt]

um zu garantieren, dass die Urnen nicht vorab mit Stimmzetteln gefüllt wurden; viele Urnen waren rund, damit die Zettel beim Einwerfen durcheinander fielen.307 Um dem stuffing (dem Auffüllen der Wahlurne mit Stimmzetteln vor der Wahl) ein für alle mal ein Ende zu setzen, wurden wie in New York vielfach Stimmzettel eingeführt, die einen Abreißzettel (stub) hatten, um die Gegenkontrolle machen zu können; diese Zettel waren durchnummeriert und ließen sich mithilfe des Registrierbuchs, in dem die Namen aller Wählenden eingetragen wurden, direkt mit dem Wähler identifizieren. Da der Zettel vom eigentlichen Wahlschein abgetrennt wurde, blieb das Votum geheim.308 In den Wahllokalen fanden sich in New York deswegen meistens mindestens drei Urnen: eine für die Wahlscheine, eine für die stubs und eine für die ungültigen Wahlscheine (die ebenfalls ein Brandherd für Wahlfälschungen waren, weswegen sie ähnlich sorgfältig gesammelt und gezählt werden mussten wie die Stimmzettel selbst).309 Von den Stimmzettelreformen für die Standardisierung und Anonymisierung war bereits die Rede. Zu dem Thema liegen umfangreiche Forschungen vor.310 In den USA galt die Stimmzetteltechnik nach dem Bürger307 Voorhis, President of Board of Elections to McClellan, 9. 9. 1904, Office of the Mayor, McClellan, George B. Administration, Box 27, Fold. 28, NYCMA ; vgl. Bernheim, Ballot in New York, S. 131. 308 Levy, Elector’s Hand Book, S. 50. 309 Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. 1, S. 255; Levy, Elector’s Hand Book, S. 38f. 310 Vgl. dazu die Arbeiten von M. Crook, außerdem Buchstein, Geheime Abstimmung, S. 457–523; die neuesten Studien mit einem aktuellen Forschungsüberblick sind Mares, Open Secrets, sowie Richter, Transnational Reform.

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krieg als maßgebliches Verfahren und wurde 1871 im Zuge der Reconstruction-Reformen für die Wahlen auf föderaler Ebene festgeschrieben.311 Der Stimmzettel sollte die Geheimhaltung und Fairness der Wahlen garantieren. Daher lässt sich seine Regulierung in den USA nicht von dem Engagement für das Wahlrecht der Afroamerikaner trennen, auch wenn gerade im Süden Stimmzettel oft genutzt wurden, um Afroamerikaner zu betrügen. Ein Problem für US -amerikanische Reformer war die Frage, wie der Wähler den Stimmzettel kennzeichnen sollte, denn auch hier hatte sich ein weites Feld der Manipulation eröffnet, indem gekaufte Wähler mit auffälligen Markierungen auf dem Wahlzettel ihr Votum nachvollziehbar machten. Der New Yorker Rechtsanwalt Albert S. Bard und seine reformerischen Kollegen beschäftigten sich daher ausführlich mit der Frage, ob ein Kreuz die beste Variante sei oder einfach ein Strich oder gar ein Kreis.312 Mit diesen Überlegungen hatten sie tatsächlich Erfolg, und ein Reformgesetz verlangte schließlich für die Markierung zwei sich kreuzende Striche. In einem über zweijährigen Prozess entschied ein Gericht, dass Stimmzettel aufgrund eines falschen Kreuzes als ungültig gewertet werden müssten.313 All diese Details muten merkwürdig an, und doch trugen sie zur Disziplinierung des Wahlprozesses bei: zur Zurückdrängung der Parteien, zur Privatisierung und Verbürgerlichung der Wahlentscheidung und zur funktionalen Spezifizierung des Politischen.

»Moment der Unfreiheit«: die Wahlkabine Besonderes Augenmerk legten die Reformer auf die Wahlkabine. Sie war erstmals 1856 in der britischen Kolonie Victoria in Australien genutzt worden und galt als Teil des Australian Ballot.314 Um die Jahrhundertwende wurde sie in vielen westlichen Staaten eingeführt. In Deutschland hieß es 1903 im Gesetz zur Geheimhaltung der Wahlen: »An einem Nebentische sind derartige Vorrichtungen anzubringen, daß der Wähler, ohne daß er

311 Vgl. Buchstein, Stimmabgabe, S. 429. 312 »The Election Laws Improvement Association«, Analysis of Ballot Bill, No. 5, 9. 2. 1906 u. Meeting of Executive Committee of the Electoral Laws Improvement Assn., 12. 1. 1906, Box 18, Fold. 8: Elections 1906–1939, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; Society for Political Education, Electoral Reform, S. 27 u. 32–33. Vgl. zur Bedeutung der Technik: Garrigou, La Construction sociale du vote, S. 10f. 313 Editorial »The Worthless Ballot Law«, NY T, 29. 5. 1908. 314 McKenna, Building »A Closet of Prayer«.

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Abb. 43 Details der Ordnung. Reflexionen über das Kreuzchen auf dem Stimmzettel. Judge Lambert, der als Richter sensationellen Wahlanfechtungen vorgesessen hatte, galt als allgemein anerkannter Fachmann für die Marker auf dem Stimmzettel Detail aus John G. Saxe, Judge Lambert’s Rulings on the Marking of Ballots, New York 1909

von irgend einer anderen Person gesehen werden kann, hier seinen Stimmzettel in den Umschlag zu legen vermag.«315 Auch für die Wahlkabine schrieben die deutschen und amerikanischen Bürokraten Höhe, Breite und Ausstattung penibel vor, um die Effektivität sicher zu stellen.316 Oft genug hatten Parteibosse in den USA und die Landräte in Preußen die Wahlkabinen so konstruiert, dass sie freie Sicht auf den Stimmzettel ließen.317 Den Konservativen in Deutschland erschienen die »Isolierzellen« als besonderes Ärgernis. Sie erblickten im Zwang, die »Dunkelkammer« betreten zu müssen, ein »Moment der Unfreiheit«318 und hielten sie überhaupt für eine Verletzung der »Manneswürde«.319 »Was ist das für eine Zumuthung an ehrenhafte Männer!«, schrieb Treitschke über die neue Pflicht zur Wahlkabinennutzung. Die Wahlkabine entfachte ein beträchtliches Maß an Fantasie: Man fragte sich, was wohl geschähe, wenn ein Wähler nicht

315 Antrag Rickert, 1902, R 43, Nr. 1788, Bl. 13, BA . 316 Police Department of the City of New York, 300 Mulberry Street, 29. 10. 1906, General Order No. 84, Box 66, Fold. 1, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; State of Maine, Australian Ballot, S. 13. 317 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 361; State of Maine, Australian Ballot, S. 13. 318 Kreuzzeitung zitiert nach »Zur Sicherung des Wahlgeheimnisses«, Freisinnige Zeitung, 24. 3. 1903; vgl. auch die entsprechenden Artikel in der Kreuzzeitung, 27. 2. 1901. 319 »Des Wählers Freund und Feind«, Reichsbote, 11. 2. 1899; vgl. Biefang, Zeremoniell, S. 249f.

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mehr aus dem »Isolierraum« käme, dort gar mit einer Dame verschwände oder seine Notdurft verrichten würde.320 Die Wahlkabine kann als Inbegriff moderner Herrschaft gesehen werden. Thomas Mergel bezeichnet sie als »Ort der Moderne«.321 Sie markiert den isolierten Bürger, reduziert auf seine private, rationale, verantwortungsbewusste Entscheidung. Zugleich veranschaulicht die Wahlkabine als Ausdruck der Massenwahlen wie wenig andere Symbole die Idee der Aufklärung: die Würdigung des Individuums – und das auch in der Massengesellschaft. Der moderne Mensch kehrt im Augenblick der Entscheidung allen anderen sozialen Zusammenhängen den Rücken zu, ist nur seinem Gewissen verpflichtet und trifft einsam seine Entscheidung über die Staatsgeschäfte. Die Ordnung der Dinge organisierte den Raum; der Wähler musste einen genau festgelegten Weg ablaufen (Abb. 49 bis 51). Auch diese Regulierung trug zur Segregation bei, wenngleich das Wahllokal dem Gesetz nach wegen des Transparenzgebotes für jeden zugänglich sein musste. Eine deutsche Wahlprüfungskommission hielt 1898 in ihrem Bericht fest: »Die Öffentlichkeit gestattet Jedermann den Zutritt zum Wahllocal und die Anwesenheit während der ganzen Dauer der Wahl, einschließlich der Ermittelung des Wahlergebnisses. Sie findet ihre Schranke in dem Raummangel des Wahllocals […], sowie im ungebührlichen Benehmen des Anwesenden.«322 Da es beim Wahlsetting vorrangig darum ging, die Wähler zu isolieren und ihnen Raum für eine sachliche Entscheidung zu geben, verboten moderne Reglements weltweit im Wahllokal die Agitation.323 So-

320 »Der Herr Professor im Wahl-Closet«, Kladderadatsch, 3. 5. 1903; »Die Wahlzelle«, Jugend, Nr. 24, 1903; vgl. zum Spott bei der Einführung der Wahlkabine: Anderson, Lehrjahre, S. 86–89; Karikatur »Wahlvorbereitungen. Vorschläge für Wahlzellen«, Kladderadatsch, 10. 5. 1903. 321 Mergel, Wahlkabine, S.; Garrigou, La Construction sociale du vote; Bertrand u.a., Introduction. 322 Paragraph 9, zitiert nach »Giltige und ungiltige Reichstagswahlen«, Leipziger Neueste Nachrichten, 9. 5. 1898, R 8034 II , 5076, Bl. 40, BA . 323 Bundesgesetzblatt No. 17, Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes für den Reichstag, 18. 5. 1870, R 101, Nr. 3342, BA ; Police Department of the City of New York, 29. 10. 1906, General Order No. 84, Box 66, Fold. 1, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; selbst das Dreiklassenwahlrecht verbot »Diskussionen« im Wahllokal, ebenso das russische Wahlreglement (Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten der Zweiten Kammer, 30. 5. 1849, § 22; u. Bönker, Jenseits der Metropolen, S. 89f.).

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Abb. 44 »Moment der Unfreiheit« (Kreuzzeitung) oder moderne Herrschaft: die Würdigung des Individuums und seine Massenabfertigung Landesarchiv Berlin, A Rep. 001–03, Nr. 64, Bl. 42

wohl den deutschen als auch den amerikanischen Gesetzgebern erschien es in der Regel vorteilhafter, die Stimmzettel oder Wahlumschläge wie gehabt durch ein Mitglied der Wahlkommission in die Urne werfen zu lassen (wobei der Hinweis nicht fehlte, dass der Wahlvorsteher den Stimmzettel bzw. Umschlag nicht öffnen dürfe).324 Zwar gab es einzelne Staaten in Deutschland und den USA , die bei den Landtagswahlen den Bürger selbst den Wahlzettel einwerfen ließen.325 Aber insgesamt fürchteten die Gesetzgeber dadurch ein Einfallstor für Wahlbetrug.326 In dieser Zeit wurden Wahlgesetze zu umfangreichen Werken und umfassten bis zu mehreren Hundert Seiten. Nichts blieb dem Zufall überlassen.327 Alles am normierten Wahlakt strahlte das Ideal der Ruhe aus, der Ordnungsgemäßheit, der Sachlichkeit. Der Schriftsteller Augustus Trinius hat die Wahlszenerie in seinem humorigen »Berliner Skizzenbuch« beschrieben: »Seltsame Feierlichkeit lagert über dem Raum und auf den trefflichen Gesichtern der Vertrauensmänner.« Der Wahlvorstand sitzt in der Mitte; vor ihm steht die Wahlurne: »Er ist sich dieser Auszeichnung wohl bewusst.« Würdevoll nimmt er den Stimmzettel in Empfang und prüft, »ob

324 Instructions for Election Day, Albany 1904, 5, Bard Papers, Box 66, Fold. 5, NYPL . 325 Verfügung über das Landtagswahlgesetz in Württemberg, 28. 1. 1899, E 30 Bü 316, Gesetz betr. Änderungen des Landtagswahlgesetzes, 26. 3. 1876/16. 6. 1882, HStASt ; State of Maine, Australian Ballot, S. 15. 326 Abschrift, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky, Geheim!, Berlin, 25. 11. 1902, R 43, Nr. 1788, Bl. 10, BA ; Instructions for Election Day, Albany 1904, 4, Bard Papers, Box 66, Fold. 5, NYPL . 327 O’Brien, Election.

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Abb. 45 Performanz der Bürgerlichkeit. Der lesekundige, sachorientierte Mann fällt in dem wohlausgeleuchteten, sauberen Wahllokal ohne Alkohol und sonstigen Einfluss sein Urteil als Staatsbürger. Reichstagswahlen 1912, Berlin Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (3) Nr. 0075771

auch alles in Ordnung sich befindet«.328 Die Langeweile sei kaum zu ertragen, nur mittags werde es in dem Berliner Wahllokal lebendiger: »Der Saal vermag kaum die Arbeiterwogen zu fassen. Aufgeregte, hämische, muthblitzende, verächtlich ausblickende, bleiche und hungrige Gesichter drängen sich um die Urne. Zettel auf Zettel verschwindet, und immer neue Schaaren rücken ins Feld.«329 Die Disziplinierung sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sozialisten die Einführung der Wahlkabine und des Wahlumschlags 1903 als ihren eigenen Sieg feierten – völlig zu Recht, denn sie hatten das lange gefordert, und tatsächlich kam die Reform der Sozialdemokratie zugute. Die Verrechtlichung und Disziplinierung diente den sozial Benachteiligten, aber auch den physisch Schwächeren.330 328 Trinius, Berliner Skizzenbuch, S. 57f. 329 Trinius, Berliner Skizzenbuch, S. 63. 330 Vgl. etwa die Karikatur »Das große Malöhr im Juni 1903«, Flugblatt des Simplicissimus, 6. 6. 1904, Heft 54; Mares, Open Secrets, S. 150 u. 231.

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Wahlmaschinen für den optimalen Ablauf Um den Wahlakt perfekt zu machen, warb in den USA und besonders in New York seit den 1880er Jahren ein Teil der Reformer für Wahlmaschinen.331 »Sie erlauben schnelles Abstimmen, man kann sie nicht verprügeln, und sie vereinfachen die Wahlen ganz enorm«, hieß es 1904.332 Diese Automaten hatten wie so viele Wahlreformen in der Zeit der Reconstruction, in den späten 1860er Jahren, ihren Anfang genommen.333 Sie kamen aber erst 1892 im Staat New York zum Einsatz.334 In Deutschland und Preußen erwog niemand ernsthaft ihre Einführung. Auch in den USA blieben sie umstritten, und unter den progressives war man sich über die Apparate uneins. Die einen lobten ihre Objektivität, die anderen misstrauten ihnen als besonders anfällig für Manipulationen.335 Wichtig war den Reformern, dass der Wahlapparat sich in Übereinstimmung mit den Vorteilen des Australian Ballot bringen ließ. Doch war seine rechtliche Grundlage angesichts des Bundesgesetzes fraglich, das für die Wahlen mittlerweile Stimmzettel vorschrieb.336 Neben mechanischen Defekten und einer zu komplizierten Handhabung verteuerten und verlangsamten sie den Wahlakt, obwohl sie gerade mit dem Argument der Kostensenkung und Beschleunigung lanciert wurden. Vier Wahlkabinen, die durchschnittlich in einem Wahllokal standen, waren letztlich schneller und effizienter als eine Wahlmaschine,

331 »Hear Asks Congress to Buy Voting Machines«, The Sun, 14. 1. 1883; einen Überblick über die Geschichte der Wahlmaschinen im Staat New York in: »Bill to Club the City into it in Twenty Days«, The Sun, 31. 3. 1903. 332 A. E. Richmond, City Editor Buffalo Commercial, to U. S. Standard Voting Machine Co., Rochester (NY ), 26. 11. 1904, Bard Papers, 1896–1959, NYPL . 333 Sie waren 1869 als in Großbritannien Patent registriert worden (Crook/Crook, Ballot Papers, S. 22). 334 »Bill to Club the City into it in Twenty Days«, The Sun, 31. 3. 1903; Crook/Crook, Ballot Papers, S. 23. 335 Unterlagen in Honest Ballot Assn. Ballot Reform, 1899–1912, Box 62, Fold. 3, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; President Dooling to B. K. Daniels, 29. 9. 1910, Office of the Mayor, Gaynor, William J. Administration, Box 21, Fold. 190, Board of Elections 1910, NYCMA ; »Lots of Voting Machines«, The Sun, 22. 3. 1903; Harris, Election Administration, S. 247–282; Report of Committee on Ballot Reform, Citizens Union, Dez. 1905, Bard Papers, 1896–1959, Honest Ballot Assn. Ballot Reform, 1905–1906, Box 62, Fold. 4, NYPL . 336 Honest Ballot Assn. Ballot Reform, 1899–1912, Bard Papers, Box 62, Fold. 3, 1896–1959, NYPL .

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die pro Wahllokal aufgestellt wurde.337 Ein weiterer Aspekt wurde erstaunlicherweise kaum diskutiert: Wahlmaschinen mussten auf viele Bevölkerungsschichten abschreckend wirken. Zeitgenossen hielten hingegen die einfache Handhabung der Maschinen für einen ihrer Vorteile. So beschwerte sich die New York Times 1908 über das zu komplexe Wahlgesetz nach dem Massachusetts Ballot: »Das Wahlgesetz von Massachusetts wäre hier auf jeden Fall sehr viel weniger geeignet, auch wenn es dort gut funktioniert, wo eine bestimmte Bildungsvoraussetzung als Bedingung für die Ausübung des Wahlrechts gilt. Es drängt sich mit unwiderstehlicher Kraft der Schluss auf, dass wir in New York State die Wahlmaschine – und nicht das Wahlgesetz von Massachusetts – brauchen.«338

Beschleunigte Zeiten »Eilt sehr!«,339 stand einleitend über zahlreichen Verwaltungsschreiben, wenn es um Wahlen ging, und zwar unabhängig davon, welchen Zeitraum die Fristen umfassten und wie überraschend oder von langer Hand geplant die kommenden Wahlen herannahten. Beamte wurden zur »thunlichsten Beschleunigung« und »ungesäumten« Umsetzung aller bürokratischen Vorgänge bei den Wahlen gedrängt.340 Selbst die Wahlstatistik musste »umgehend« nach den Wahlen erstellt und weitergeleitet werden. Die Landesregierungen hatten »dem Kaiserlichen Statistischen Amte sofort, nachdem die Wahlen stattgefunden, eine Gesamtübersicht« zugehen zu las337 Lincoln, Constitutional History of New York, Bd. 3, S. 108–113; Board of Elections Annual Report for the Year 1915. Points worth noting, NYC Office of the Mayor Mitchel, John P. Administration, Box 25, Fold. 264, Board of Election 1915, NYCMA ; O’Brien, Election, S. 138–148. 338 »The Worthless Ballot Law«, NY T, 29. 5. 1908. 339 Reichskanzler Bethmann Hollweg an sämtliche Bundesregierungen, Durchführung der Wahlen zum deutschen Reichstag, Berlin, 8. 12. 1911, 16 Bü 253, HStASt . 340 Ministerium des Innern an Regierung zu Bromberg, 1. 10. 1881, I. A. 7377, XVI . HA Rep. 30, Nr. 588, 1881, 1885, 1935, GStA PK ; Ministerium des Innern an die königl Regierung zu Bromberg, 24. 5. 1886, XVI . HA Rep. 30, Nr. 589, GStA PK ; Vordruck Wahlprotokoll, o. D., ca. 1889, XVI . HA Rep. 30, Nr. 589, 1886–1889, GStA PK ; Innenminister an Oberpräsidenten von Berlin, Berlin, 27. 10. 1911, in XVI . HA Rep. 610, GStA PK ; Oberpräsident an Landrath von Wedell zu Greifswald, Stettin, 26. 3. 1867, Rep. 66 (Grfswld), Nr. 11, Bl. 2, LAG .

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sen.341 Offenbarte sich hier einfach der Geist der Zeit, jenes Jahrhunderts, das sich als Epoche der Geschwindigkeitsrevolution bezeichnen lässt? Die revolutionären Erhebungen hatten um 1800 im Westen zu einem »Aufsprengen« der Zeiterfahrung geführt, so Koselleck, die Menschen empfanden ein neues, eklatantes Auseinanderreißen von Zukunft und Vergangenheit. Alle politischen Richtungen standen im beschleunigten Strom, die Progressiven und Fortschrittlichen wollten dabeisein, die Konservativen bremsten.342 Um die Jahrhundertwende aber erreichte die Beschleunigung ein nervös gesteigertes Tempo. »Es giebt in dieser Bewegung kein Rückwärts«, kommentierte der konservativ-liberale Gneist 1894.343 Marx diagnostizierte die Eile als Symptom des bürgerlichen Zeitalters: »Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung der gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeois-Epoche vor allen früheren aus.«344 Die Eisenbahn gehörte mittlerweile zum Erfahrungsraum fast jeden Europäers, das Fahrrad beschleunigte den Alltag der Menschenmassen, während das von Carl Benz entwickelte Automobil die Reichen und den modischen Kaiser in Erregung versetzte. Überhaupt, der reizbare Kaiser, vom Volk geliebt, von vielen Intellektuellen belacht und von seinen klugen Regierungsmitgliedern möglichst umschifft – Wilhelm II . war auch in Sachen Tempo der »zur Karikatur übertriebene Repräsentant seines Volkes«, wie es Walther Rathenau formulierte.345 »Das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts treten wir an im Zeichen der jungen Generation, die, mit ihrem stürmischen Kaiser, unerwartet früh ans Ruder gekommen, mit vollen Segeln in das wild bewegte Zeitenmeer hinaustreibt. Wohin?«, fragte sich 1890 Baronin Spitzemberg.346 Und Georg Simmel diagnostizierte 1900: »Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, die neueste, geht ein Gefühl von Span-

341 Reichskanzler an Württemb. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, 21. 3. 1903, 16 Bü 253, HStASt ; vgl. Reichskanzler an Bundesregierungen, Berlin 13. 12. 1881, R 1501/114724, Reichsamt des Innern, BA . 342 Koselleck, Kritik und Krise, S. 7; Koselleck, Vergangene Zukunft; Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 117 u. 126. 343 Gneist, Nationale Rechtsidee, S. 230. 344 Marx/Engels, Manifest, S. 10. 345 Zitiert nach Radkau, Zeitalter der Nervosität, S. 281; Demandt, »Schule des Sehens«, S. 15; vgl. zur Monarchie: Riotte, Neue Ansätze. 346 Zitiert nach Ullrich, Nervöse Großmacht, S. 143. Ganz ähnlich empfand Max Weber die »Eisenbahnzug«-artige Geschwindigkeit der Politik, Kaube, Max Weber, S. 17.

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nung, Erwartung, ungelöstem Drängen.«347 Die allgegenwärtigen Neuerungsdiskurse, die Frauen-, Jugend-, Erziehungs- oder Lebensreformbewegung, speisten sich auch aus dem allgemeinen Gefühl des Pressierens.348

Stabile Flexibilität durch periodische Wahlen Die Mahnungen zur Eile in den Wahlunterlagen lassen sich daher als eine Demonstration von Modernität lesen. Doch die Unrast verweist auf mehr: Die ansteigende Geschwindigkeit veränderte im 19. Jahrhundert grundlegend die Herrschaft. Wie Hartmut Rosa gezeigt hat, trug die Beschleunigung zur Erfüllung eines der zentralen Versprechen der Moderne bei: der partizipativen Selbstbestimmung. Die Hektik attackierte die Trägheit sozialer Schichten, klientelistischer Strukturen und Traditionen. Der beschleunigte Kapitalismus riss soziale Schranken nieder und ermöglichte unverhoffte Karrieren und unerwartete Abstürze.349 Die Beschleunigung betraf auch die Wahlpraxis. Moderne Wahlen boten die Möglichkeiten eines raschen, wiederholbaren, legitimierten und sicheren Wechsels der Regierungen. Diese stabile Flexibilität gewann in der sich immer schneller verändernden Welt an Bedeutung. Sie ermöglichte den Regierungen, auf die wandelbaren und gesteigerten Ansprüche der Bevölkerung effizienter einzugehen und zugleich dem Anspruch auf Partizipation gerecht zu werden. Wahlen bedeuteten zwar ein Risiko, doch sobald sie institutionalisiert waren, galt die Gefahr weniger dem Staat an sich als vielmehr den Regierenden, die insbesondere in parlamentarischen Regierungssystemen ständiger Kontrolle ausgesetzt waren. Konservative lehnten daher zunächst die Periodizität der Wahlen als einen Dauerangriff auf Autoritäten ab. Doch die Periodizität erwies sich als unverzichtbares Element moderner Wahlen (und war in der Vormoderne nicht anzutreffen), weil ohne ihre Garantie Macht nicht wirksam eingeschränkt wurde.350 Sie ist ein wesentlicher Faktor der beschleunigenden Kraft von Wahlen: Kaum an der Macht, ist das Ende schon wieder absehbar. Periodizität begrenzt und flexibilisiert Herrschaft.351 Zitiert nach Kaube, Max Weber, S. 16f. Ullmann, Kaiserreich, S. 30; Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 57. Vgl. Rosa, Weltbeziehungen, S. 362f.; vgl. auch Buchstein/Jörke, Unbehagen, S. 473. Votum des Ministers des Innern zu dem Gesetz-Entwurfe der Bildung des Hauses der Abgeordneten der Zweiten Kammer, Berlin, 31. 1. 1855, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3226, BA ; Körber, Landtage, S. 341f. 351 Vgl. Wortmeldung von Richthofen, Prot. 1. Sitzung Wahlrechtskommission. 2. Teil, nach Pause: 15. 2. 1910, pr. AH , I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 2e, GStA PK . 347 348 349 350

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Kostenfaktor Zeit beim Wahlakt Auch der Wahlakt wurde zunehmend durch Tempo geprägt und gedrängt. Wahlen mussten schneller ablaufen. Massenwahlen hätten sich kaum durchgesetzt, wenn der Kostenfaktor Zeit zu hoch gewesen wäre. Die Durchsetzung der repräsentativen Regierungsform jedenfalls verdankt sich wohl nicht zuletzt der Kürze und rationalen Praktikabilität des Verfahrens.352 Die jahrzehntelange Entwicklung der Wahltechniken hatte für die möglichst kostengünstige und möglichst rationale Form der Wahlentscheidung eine gewisse Perfektion entwickelt. Auf der inhaltlichen Ebene wurden Parteien und Medien immer wichtiger, um komplexe politische Inhalte didaktisch zu reduzieren. Hundert Jahre zuvor, um 1800, waren Wahlen sowohl in den USA als auch in Preußen ein langatmiges Verfahren einer Face-to-face-Gesellschaft gewesen, bei dem die Betroffenen Zeit mitbringen mussten: oft für die Aushandlung der Kandidaten, aber auch für eine umständliche Stimmabgabe, etwa bei den Versammlungen mit Ballotage in den preußischen Kirchen. Allein dieser Umstand schloss um 1800 bestimmte Gruppierungen aus und erklärt für die USA einen Teil der Wahlabstinenz. Denn während sich 100 Jahre später die Männer der oberen Schichten häufig durch Zeitmangel gestresst fühlten und die unteren Schichten aufgrund der Arbeitszeitbeschränkungen immer mehr Freizeit genießen konnten, gestaltete sich dies um 1800 umgekehrt, weil jeder Zeitaufwand jenseits des unmittelbaren Broterwerbs als Luxus gegolten hatte.353 Aber wir haben auch gesehen, wie schon in der ersten Jahrhunderthälfte das Wahlgeschäft immer wieder am Zeitfaktor gemessen wurde: Bürger beschwerten sich in Preußen, wenn Gesang und Predigt im »WahlGottesdienst« zu lange dauerten. Und überall begegnet man in den Akten Klagen über zu lange Wege zum Wahllokal. Benjamin Constants Analyse von 1819 erweist sich als treffsicher: Herrschaft könne nicht länger mit anhaltenden Diskussionen aller einhergehen wie in der Antike, da nunmehr »jeder einzelne mit seinen Plänen, Unternehmungen sowie dem Genuß dessen, was er errungen hat, oder der Vorfreude auf Erhofftes beschäftigt ist und nur möglichst kurze Zeit […] von alledem abgelenkt werden möchte«.354 Die Zeit-Kosten mussten gering gehalten werden, wollte man 352 Vgl. Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 252; vgl. Luhmann, Politische Soziologie. 353 Vgl. dazu die Ausführungen von Schulz, Demokratie, S. 707f. 354 Constant, Freiheit der Alten, S. 374.

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möglichst viele Männer an den Wahlen beteiligen. In den USA geriet das alte viva-voce-System unter Beschuss, weil es »zu schwerfällig und aufwendig« sei für die wachsende Wählerzahl, wie 1858 ein Abgeordneter erklärte.355 Denn sobald die Massen lesen und schreiben konnten, bot der Stimmzettel die schnellere Alternative zur mündlichen Wahl. Das Tempo war daher für die Durchsetzung der Stimmzettel wohl viel bedeutsamer als die Geheimhaltung, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ohnehin nur beschränkt Beachtung fand.356 Auch die Wahlreformer um 1900 hatten neben den finanziellen Kosten stets den Zeitfaktor im Blick. Da sie eine schärfere Kontrolle des Wahlverfahrens forderten, stellte sich das Problem von zeitintensiver Überprüfung einerseits und dem Willen zur Zeitersparnis andererseits. So hielten einige Reformer in den USA die Registratur mit Unterschrift, die dann bei der Wahl mit der Unterschrift des Wähler abgeglichen werden sollte, für zu zeitintensiv.357 Auch die Wahlkabine sorgte im Vorfeld aus diesen Gründen für Bedenken. In New York begegneten die Behörden diesem Einwand mit der Vorschrift, dass für je 50 Wahlberechtigte mindestens eine Kabine bereitstehen müsse und dass ein Wähler nicht länger als fünf Minuten (in einer anderen Wahlordnung zweieinhalb Minuten) in der Wahlkabine bleiben dürfe, damit er den Wahlbetrieb insgesamt nicht beeinträchtige.358

Mehr Demokratie, weniger Wahlen? Ein weiteres Dilemma ergab sich aus der Forderung der Reformer nach mehr Demokratie, da mehr Wahlen mehr Zeit erforderten. So gehörten die progressives zu den Vorkämpfern für Referenden und Primaries, und sie trugen wesentlich zum siebzehnten Verfassungszusatz von 1913 bei, der die Wahl der Senatoren durch das Volk für alle Staaten verpflichtend festschrieb.359 Zugleich plädierten sie dafür, die Anzahl der gewählten Ämter 355 Zitiert nach: Bensel, Ballot Box, S. 56. 356 Karl Liebknecht hielt den Zeitfaktor für wichtiger als den der Geheimhaltung (»Sozialdemokratie und Landtagswahlen«, Freisinnige Zeitung, 10. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, Bl. 13, BA ). 357 Harris, Election Administration, S. 222. 358 Police Department of the City of New York, 300 Mulberry Street, 29. 10. 1906, General Order No. 84, Box 66, Fold. 1, Bard Papers, 1896–1959, NYPL : Levy, Elector’s Hand Book, S. 6; Woodward, Origins, S. 56. 359 Board of Elections Reports in Favor of Their Use in Primaries, Evening Post, 17. 1. 1916, Bard Papers, 1896–1959, NYPL ; Petition »Call for National Conference on Primary

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und damit auch die Wahlen zu reduzieren. Mit der Beschränkung der Wahlämter wollten sie Politik von anderen Teilbereichen klarer trennen, indem beispielsweise dem Richteramt mehr Unabhängigkeit eingeräumt wurde. »Es ist eine Binsenweisheit, dass häufige Wahlen und eine große Zahl von Wahlämtern im Interesse der schlechtesten politischen Klassen stehen. Der fleißige und daher beste Teil der Gemeinschaft hat dafür keine Zeit übrig und sollte nicht genötigt werden, für jährlich sich wiederholende Wahlen Zeit aufzubringen«, erklärte ein Reformer.360 In Preußen erschien die geheime Wahl mit Stimmzettel seit 1867 für den Reichstag geradezu als Wohltat, weil sie den einzelnen Bürger nur wenige Minuten Zeit kostete und damit viel schneller ablief als die stundenlangen Dreiklassenwahlen.361 Um die Jahrhundertwende erklärte Karl Liebknecht sogar: »Die Öffentlichkeit der Abstimmung als Abschreckungsmittel schlagen wir dabei nicht so hoch an als den Verlust der Zeit, zum mindesten eines halben Arbeitstages.«362 Der hohe Zeitaufwand für den Wahlakt in Preußen trug wesentlich zum Image des Dreiklassenwahlrechts als unzeitgemäße, lächerliche Institution bei. »Über diesen Wahlen ruht etwas Dämpfendes, gleich einem Schleier« schrieb ein Beobachter 1898, die »Anteilnahme der Bevölkerung an diesen Wahlen [wird] immer geringer.«363 Die verschiedenen Reformen des Klassenwahlrechts versuchten immerhin dem Problem gerecht zu werden und ermöglichten neben der »Terminswahl«, bei der sich wie gehabt alle Wähler einer Klasse zu einem Zeitpunkt versammelten, die »Fristwahl«, bei der die Wähler innerhalb eines Tag nach Belieben kommen und ihre Stimme zu Protokoll geben konnten. Gerade in Städten wurde dieses Verfahren bei den Wahlen zum preußischen Parlament häufig aufgegriffen.364

360 361 362 363

364

Election Reform« von Abram S. Hewitt und anderen, National Civic Federation records, 1894–1949, Box 158, Fold. 3: National Conference on Practical Reform of Primary Elections, NYPL . »Limited Sovereignty«, Atlantic Monthly 1879, S. 190; Croly, Promise, S. 341; Harris, Election Administration, S. 202. »Polizei- und Tages-Chronik«, Berliner Gerichts-Zeitung, 16. 2. 1867. Zitiert in »Sozialdemokratie und Landtagswahlen«, Freisinnige Zeitung, 10. 10. 1897. »Zu den Landtagswahlen in Preußen«, von Max Aram, Die Welt. Zentralorgan der Zionistischen Bewegung, 30. 9. 1898, S. 2; http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/ periodical/pageview/3363237 [25. 9. 2014]. Freisinnige Zeitung, 10. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, 13, BA ; vgl. Königl Landrath Scharnweger an Orts-Vorstände des Kreises, Berlin, 30. 5. 1873, A Rep. 048–05–01, Nr. 101, Bl. 1, LAB .

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Ergebnisermittlung als Demonstration moderner Zeiten Große Aufmerksamkeit sowohl der Verwaltung als auch der Bevölkerung galt der schnellen Stimmenauszählung. In Preußen halfen dabei die geordneten Verwaltungsstrukturen, und die Wahlprotokolle mahnten die Vorsitzenden, »SOFORT NACH ABGEHALTENER WAHL« das Wahlresultat weiterzuleiten.365 Sobald dieses vorlag, wurde es der nächsthöheren Stelle gemeldet. Dennoch zog sich die Auszählung in den ersten Jahrzehnten der Massenwahlen etliche Tage hin. Im Juli 1849 hatte der Magistrat von Berlin drei Tage nach den Wahlen von den 626 Wahlbezirken 155 ermittelt.366 Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 1848 dauerte die Auszählung eine Woche.367 Doch mit der Telegrafie begann auch hier eine neue Zeit. Da die Wahlergebnisse kaum noch in ausgeschriebenen Wörtern übermittelt wurden, sondern sich in Zahlen fassen ließen, erwiesen sie sich als die ideale Nachricht für den boomenden Zeitungsmarkt. Der stellte seine Meldungen wegen des neuen Mediums der Telegrafie auf den Telegrammstil um – news statt views, wie die Kommunikationswissenschaft den Wandel beschreibt.368 In den USA boten private Unternehmen, wozu die Bürokratie nicht in der Lage war: Associated Press teilte an alle Wahlhelfer Formulare zum Eintragen der Ergebnisse aus. Die ausgefüllten Formulare sollten die Wahlaufseher nach der Auszählung unverzüglich weiterleiten. Um die Wahlergebnisse so schnell wie möglich bekannt geben zu können, stellten die Telegrafiefirmen ihre Technik Associated Press in der Wahlnacht zur Verfügung.369 Und tatsächlich, am Morgen nach den Wahlen standen die Wahlergebnisse in den Zeitungen.370 1904 lagen einem Zeitungsherausgeber aus Buffalo (New York) 45 Minuten nach Wahlschluss alle Wahlresultate der Stadt vor, und 62 Minuten nach Schließung der Wahllokale brachte er eine Sonderausgabe seiner Zeitung mit sämtlichen Wahlergebnissen auf den Markt.371 Dank des Radios

365 366 367 368 369 370 371

Vordruck Wahlprotokoll, o. D., ca. 1889, XVI . HA Rep. 30, Nr. 589, GStA PK . Vossische Zeitung, 20. 7. 1849, A Rep. 001–02, Nr. 2462, LAB . Howe, What Hath God Wrought, S. 833. Bösch, Mediengeschichte, S. 132f. »The Election Returns«, The Sun, 7. 11. 1859. »The New York Election Returns«, The Sun, 9. 11. 1859. A. E. Richmond, City Editor Buffalo Commercial, to U. S. Standard Voting Machine Co., Rochester (NY ), 26. 11. 1904, Bard Papers, 1896–1959, NYPL .

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konnten die Bürgerinnen und Bürger die Ergebnisse bald noch schneller erfahren. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den USA die Ergebnisermittlung in der Zeit nach dem Bürgerkrieg noch über Jahrzehnte alles andere als effizient war. Immer wieder kam es in New York bei nächtlichen Auszählungen zu Schlägereien, Fälschungen, Korruption und Bedrohungen (»Werft die verdammte Urne weg, es bringt nichts, sie auszuzählen!«, riefen Schläger, als sie kurz nach Mitternacht eine Auszählung stürmten).372 1905 waren die Straßen in Manhattan am Tag nach der Wahl zum Bürgermeisteramt rund um das Wahlbüro von Kutschen blockiert, in denen die 6000 Wahlurnen auf richterliche Anordnung zum erneuten Auszählen angefahren kamen.373 Bei den Auszählungen hatte der Sieger, George B. McClellan, nur eine knappe Mehrheit über den Gegenkandidaten, den Medienmogul William Randolph Hearst, erhalten. Die New York Tribune schrieb von einer »beinahe allseits geteilten Ansicht, dass Tammany die knappe Mehrheit für McClellan durch Betrug, Einschüchterung und Bestechung erreicht habe«.374 Doch obwohl die Reformer dieses Chaos zum Anlass nahmen, ihre intensiven Reformbemühungen um die Auszählungen noch zu verstärken, sah die Lage bei den nächsten Bürgermeisterwahlen nicht viel besser aus.375 Die schön gelisteten Zahlen in den Zeitungen müssen daher auch als eine Art Selbstversicherung der Bürgergesellschaft interpretiert werden, mit der sie versuchte, Fakten zu schaffen und allen Fälschungen zum Trotz die Legitimität und ihren Glauben an die Demokratie aufrechtzuerhalten.376 In Preußen und im Deutschen Reich ge-

372 Affidavit, City and County of New York, 17. 11. 1871, u. weitere Unterlagen in: Oakey A. Hall, 1869–72, Board of Elections, Affidavits re: Election Fraud, Box 1217, Roll 15, Fold. 15, 1871, NYCMA . 373 »Court Ignored«, Evening Post, 9. 11. 1905; »Ballot Boxes Shunted«, New York Tribune, 9. 11. 1905; vgl. »Hearst Gains Grow in Ballot Recount«, NY T, 29. 5. 1908: Unterlagen in Bard Papers, 1896–1959, NYPL . 374 »Fight to Finish Begins. Enormous Forces Will Battle Against Tammany«, New York Tribune, 9. 11. 1905. 375 »Why Ivins Accepted«, New York Tribune, 9. 11. 1905, S. 1; Report of O’Connor on Canvasses by the Aldermen (County Board of Canvassers) in NY City to Mr. Albert S. Bard, 31. 1. 1906, Honest Ballot Assn. Ballot Reform, 1899–1912, Box 62, Fold. 3, Bard Papers, 1896–1959, NYPL . 376 Unterlagen Wahlen, Nov. 1879 in NY, Cooper, Board of Election, Box 1276, Fold. 42, 1879, NYCMA .

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Abb. 46 Schnelle Ergebnisermittlung als Demonstration der Moderne. Noch am Wahlabend konnten alle Schichten, vereint in politischer Neugier, mit Ergebnissen rechnen. »Am Abend des Wahltages vor einer Druckerei«, 1881 Berlin, Illustrirte Zeitung. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 2« Ac 7169–77.1881

hörten die Auszählungen nicht zu den Schwachstellen der Wahlen, und es gibt kaum Hinweise auf ihre Manipulation.377 Doch auch in Deutschland zählte das Tempo. Einigen fortschrittlichen Kommunen gelang es in den 1860er Jahren, die Wahlergebnisse für den eigenen Wahlkreis gleichen Tags bekannt zu geben.378 Seit den 1880er Jahren war dann auch in Preußen die telegrafische Übermittlung bei den Wahlen nicht mehr wegzudenken.379 Hatte 1867 bei den Reichstagswahlen für den Norddeutschen Bund die Ermittlung des Ergebnisses noch vier Tage

377 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 367; das bringt auch die Karikatur »Das große Malöhr im Juni 1903« zum Ausdruck, in der sich der stimmenzählende Bürger vor Wut über das Wahlergebnis die Haare rauft (Flugblatt, Simplicissimus, Heft 54). 378 Das berichtete das Extra-Blatt, Bonner Zeitung, 7. 12. 1861, I. HA Rep. 169 C – 80, Nr. 4, Bd. 5, GStA PK . 379 Reichs-Postamt. 2. Abtheilung No. 113, Missner an Ober-Postdirektoren, Berlin, 13. 9. 1881, R/1501, Nr. 114641, Wahlangelegenheiten im Allg., 1978, Bl. 97, BA ; Landrath des Kreises Czarnikau an Regierung, Abtheilung des Innern, 1. 11. 1881, XVI . HA Rep. 30, Nr. 588, 1881, 1885, 1935, GStA PK ; Oberpräsident der Provinz Posen an RegierungsPräsidenten in Bromberg, 14. 4. 1908, XVI . HA Rep. 30, Nr. 580, Bd. 1, GStA PK .

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Abb. 47 Berlin in der Wahlnacht: Verkündung der Wahlresultate vor dem Geschäftshaus des Verlages Ullstein & Co in der Kochstraße Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 2« Ad 600–16.1907

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gedauert, so war sie an der Wende zum 20. Jahrhundert wie in den USA nur noch eine Frage von Stunden: »Dreimal zählte man die Stimmzettel durch, merzte, was ungültig war, aus und trug dann das Wahlergebniß in fliegender Eile zu der Centralsammelstelle«, beschrieb ein Zeitgenosse die Reichstagswahlen, »von wo zwei Stunden später die Extrablätter durch ganz Berlin die Siege und Niederlagen der aufgestellten Kandidaten der erwartungsvoll gespannten Bevölkerung verkündeten.«380 Dieser Tempowechsel, weg von der Hektik des Wahlaktes, hin zum gemeinsamen Warten vor den Zeitungsdruckereien, auf Plätzen oder vor einem Hörfunkwagen, transformierte die Wahlen im Idealfall vom erbitterten Kampf zu einem spannungsvollen Gemeinschaftserlebnis (Abb. 46 und 47).

Rassismus Kurz vor einer Nachwahl für den Landtag wurde im westpreußischen Schwetz 1896 ein Gendarm aus dem Hinterhalt beschossen. Wenig später attackierten einige mit Heugabeln ausgerüstete Polen einen deutschnationalen Lehrer, der jedoch die Angreifer mit Luftschüssen aus seiner Pistole vertreiben konnte. Wie viele seiner Berufsgenossen in den gemischtsprachigen Gebieten im Osten Preußens ging er nur bewaffnet aus dem Haus. Ein Kollege, der als rigider Verfechter der Germanisierungspolitik galt, wurde 1897 auf der Heimfahrt von einer Wahl von polnischsprachigen Arbeitern ermordet.381 Solche Vorkommnisse waren in Preußen zwar die Ausnahme, doch sie verweisen auf die wachsenden ethnischen Spannungen in dieser Zeit – unter der freilich in aller Regel die Minderheiten zu leiden hatten. Rassismus war in Preußen auch zuvor schon immer wieder Thema gewesen, aber um 1900 erhielt er neue Brisanz und offenbarte sich während der Wahlen vor allem in Form von Überwachung und Kontrolle.382 Denn die Behörden erwarteten in den gemischtsprachigen Gebieten nicht nur von den Beamten eine »nationale« Stimmabgabe. Auch von den sogenannten Ansiedlern, die dort von der Regierung Boden erhalten hatten, um die 380 Trinius, Berliner Skizzenbuch, S. 64. 381 Nonn, Zwischenfall in Konitz, S. 415. 382 Unterlagen in XVI . HA Rep. 30, Nr. 700, 1901–1911 u. XVI . HA Rep. 30, Nr. 2964, 1885–1919, GStA PK .

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»Germanisierung« voranzutreiben, wollte die Obrigkeit eine genehme Wahlentscheidung. »Trotz wiederholter Aufforderung seitens des Lehrers und Gemeindevorstehers«, berichtete die Zeitung über den Ansiedler Hermann Kurzweg in Posen nach den Reichstagswahlen 1912, sei dieser Ansiedler nicht zur Wahl erschienen, »um seiner nationalen Pflicht zu genügen. Selbst durch einen letzten Versuch des Schulzen in der siebenten Stunde des Wahlnachmittags ließ sich K. aus der Ofenecke nicht hervorlocken.«383

Purifizierungsstrategien und whiteness Der aufklärerische Anspruch auf universalistische Partizipationsrechte, aber auch die Globalisierung und Vernetzung der Welt verstärkten den Mechanismus von Inklusion und Exklusion. Als wissenschaftliche Lehre wurde der Rassismus Teil des Moderneprojekts und trug zur weltweiten Verbreitung von Rassenbewusstsein bei.384 Rassismus rationalisierte die Animositäten und aggressiven Gefühlslagen und bot damit scheinbar eine Rechtfertigung für Exklusionen und Ungleichheit. In Ausstellungen präsentierten Wissenschaftler in Europa und den USA nicht weiße Personen dem weißen Publikum als exotische Sonderlichkeit, etwa den jungen »Ota Benga«, der 1904 aus dem Kongo entführt worden war und im New Yorker Zoo zusammen mit Affen in einem Käfig zur Schau gestellt wurde.385 Dabei war Rassismus kein klar identifizierbares Phänomen am Rande der Gesellschaft, sondern durchtränkte um die Jahrhundertwende das Gedankengut der Menschen in mehr oder weniger ausgeprägter Form.386 Er war das selbstverständliche »Hintergrundrauschen im 19. Jahrhundert«, so Ute Daniel. Rassismus trug schließlich zum Alarmismus der Zeit bei: Die »Rassen« sorgten sich um ihren Bestand und – dies besonders im Falle der »weißen Rasse« – um ihre Suprematie zu Hause und in den Kolonien.387 »Rassenfragen« schienen vielen Zeitgenossen per se unlösbar zu sein, was 383 »Wongrowitz, 16. Januar«, Zeitungsausschnitt auf Vordruck aufgeklebt, Zeitungsname unleserl., 17. 1. 1912, XVI . HA Rep. 30, Nr. 611, 1912–1919, GStA PK . 384 Geulen, Rassismus, S. 63; Bayly, Geburt der modernen Welt, S. 236f.; Osterhammel, Kolonialismus, S. 113f.; vgl. zu den unterschiedlichen Ausprägungen des Rassismus in Deutschland und den USA : Geulen, Wahlverwandte, S. 272 et passim. 385 Vgl. »The Man Who Was Caged in a Zoo«, Guardian, 3. 6. 2015; »Bushman Shares a Cage With Bronx Park Apes«, NY T, 9. 9. 1906. 386 Foner, Reconstruction, S. 608f.; Osterhammel, Kolonialismus, S. 113. 387 Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 1214f.

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sich selbst in einem liberalen Staat wie Großbritannien (in der Irlandfrage) und sogar in einem multinationalen Staat wie Österreich-Ungarn (im tschechisch-böhmischen Konflikt) zeigte.388 In vielen Kolonien wurden in weit größerem Ausmaß als in den Südstaaten der USA ethnische Hierarchien gelebt, und die Ungleichheit dort trug zweifellos zur wachsenden Gleichheit der »Weißen« zu Hause bei. In der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, führten deutsche Militärs gegen die Hereros einen grausamen Krieg, dem Zehntausende Menschen zum Opfer fielen.389 Russland betrieb in seinen westlichen Regionen eine intensive Russifizierung, verbot unter anderem Ukrainisch und Polnisch als Amtssprachen und ersetzte 1887 im Baltikum die deutsche Unterrichtsprache durch die russische, sodass etwa in Dorpat die deutschen Lehrkräfte, die bis dahin 90 Prozent gestellt hatten, die Universität verlassen mussten.390 In Deutschland radikalisierte sich zeitgleich die Polenpolitik. Die polnische Sprache wurde unterdrückt, und in einer brutalen Aktion wies die Regierung 1885 32000 Polen und Juden ohne Staatsbürgerschaft aus. Max Weber konnte sich der Zustimmung seiner Universitätskollegen sicher sein, als er die Polen als minderwertige Rasse bezeichnete.391 Wesentlich stärker als die relativ unbedeutenden deutschen Kolonien nährten die östlichen Grenzgebiete ein deutsches Nationalgefühl durch die Abgrenzung zum Anderen.392 In den USA verlängerte die Regierung 1902 den diskriminierenden Chinese Exclusion Act ein weiteres Mal, diesmal auf unbestimmte Zeit. Die Lynchjustiz erlebte in den 1880er und 1890er Jahren ihren Höhepunkt, als der Mob jährlich 100 bis 200 Menschen ermordete. Die meisten Opfer waren Afroamerikaner.393 Häufig ging es auch um Wahlen, wie bei dem Massaker in Wilmington, North Carolina, als die gewählten Volksvertreter vertrieben wurden und zahlreiche Afroamerikaner ums Leben kamen. Durch eine manipulierte Wahl ließen sich die Aufwiegler anschließend legitimieren.394 Die Diskriminierung der Afroamerikaner und das strikte Apart388 Anderson, Lehrjahre, S. 517 f; Nipperdey, Machtstaat, S. 272–281; Geulen, Rassismus, S. 80. 389 Kreienbaum, Koloniale Konzentrationslager. 390 Gasimov, Wort und Schrift. 391 Kaube, Max Weber, S. 212–214; vgl. dazu Geulen, Rassismus, S. 62. 392 Conrad, Globalisierung, S. 130–144. 393 Berg, Lynchjustiz. 394 Cecelski/Tyson, Democracy Betrayed.

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heidsystem unter den Jim Crow Laws gehörten zum Common Sense. In den Südstaaten wollten die meisten Weißen die Rassentrennung, die sie in Schulen, in Theatern, in öffentlichen Verkehrmitteln, in ihren Park, die sie überall erlebten, logischerweise auch im Herzen der Republik exekutieren: beim Wahlakt. Der renommierte US -Historiker Elisha Benjamin Andrews notierte 1912 über den Ausschluss der Afroamerikaner von den Südstaatenwahlen: »Es war für die Weißen nicht schwierig, sie in Schach zu halten, so wie sie es schon seit Jahren getan hatten – durch Bestechung und Drohungen, und nötigenfalls mit der Peitsche und der Schrotflinte.«395 Im Norden prägte Rassismus ebenfalls die Alltags- und die Wissenschaftsdiskurse, und er drang in vielen Schattierungen in die Reformbemühungen um den disziplinierten Bürger ein.396 Vorstellungen von »Reinheit« (purity) vermengten sich mit Wahldiskursen und rassistischem Gedankengut, und Ideen von whiteness wurden im Zusammenhang mit Hygiene, Alkohol und Korruptionsbekämpfung verhandelt. Andreas Reckwitz spricht von den »Purifizierungsstrategien der Moderne«.397

Demokratischer Rassismus Im Süden der USA erwiesen sich die von den Reformern als besonders demokratisch gepriesenen Vorwahlen als vorzügliches Exklusionsinstrument. Die Democrats ersetzten den eigentlichen Wahlgang mit diesen primaries.398 Denn bei den Vorwahlen konnten sie die Registratur nach eigenem Ermessen durchführen und die Wählerschaft selbst definieren. Und da die Democrats im Süden mittlerweile konkurrenzlos herrschten, bestimmten diese white primaries den einzigen Kandidaten und damit den Sieger.399 Faszinierend und verhängnisvoll ist die Ähnlichkeit der Vorwahlen mit freien Wahlen. Von jeher waren die weißen Südstaatler stolz auf ihre republikanischen Traditionen.

395 Andrews, History of the United States, S. 24. 396 McGerr, Fierce Discontent, S. 86; Simon, Devaluation, S. 235; Kimmel, Manhood, S. 91f. 397 Reckwitz, Moderne, S. 240; Martschukat, Sport, S. 261; vgl. zur Verbindung von Nation, Sauberkeit und »Whiteness«: Planert, Vater Staat, S. 24. 398 Woodward, Origins, S. 52–60 u. 372f.; vgl. etwa Returns in L13013, Box 1, SCDAH . 399 Unterlagen in L28048-L28058, 1856–1922, SCDAH ; »Rules for Governing the Membership of Democratic Clubs, the Qualification of Voters«, L 13013, Box 1, Democratic Primaries, SCDAH .

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Paradoxerweise wuchsen aber in diesen Jahren auch die Sensibilisierung und ein wachsendes Engagement für Menschenrechte. Der Vernichtungsfeldzug gegen die Hereros etwa stieß in der deutschen Öffentlichkeit mehrheitlich auf Entsetzen. Der ausgestellte Junge »Ota Benga« in New York verstörte die neugierigen Bürger mehr, als er sie faszinierte, und der Protest gegen diesen »Affront gegen die Menschlichkeit« führte nach 20 Tagen zu seiner Beendigung.400 Und während es einerseits dem Progressive Movement nahestehende Wissenschaftler waren, die diese Ausstellung rechtfertigten, gab es andererseits unter den progressives Bürgerinnen und Bürger, die sich für das Wahlrecht der Afroamerikaner und ein Ende der Lynchjustiz einsetzten.401 Schließlich nahmen die Fälle von Lynchjustiz nach ihrem Höhepunkt in den 1880er und 1890er Jahren seit der Jahrhundertwende ebenfalls drastisch ab.402

Universalisierung partizipativer Techniken und Erster Weltkrieg Lassen sich die white primaries mit einem Phänomen vergleichen, das für moderne Wahlen von Anfang an eine Option bildete, nämlich den von einer kleinen Elite determinierten Wahlen oder »bonapartistischen Wahlen«, wie die Zeitgenossen in Europa es nannten? Das gab es zu Napoleons I. Zeiten, in noch reinerer Form unter Napoleon III . Die Nationalsozialisten griffen darauf zurück, ebenso Stalin mit der neuen Sowjetverfassung von 1937, die dann auch das Wahlprozedere der Staaten unter sowjetischer Hegemonie bestimmen würde.403 Die Obrigkeit konnte bei solchen Wahlen an verschiedenen Stellen ihr Ergebnis fixieren: etwa indem sie Kandidaten vorgab oder das Wahlverfahren nur scheinbar geheim hielt. Bezeichnenderweise hatte die westliche Wahltechnik mit Stimmzettel, Urne und Wahlkabine eine solche Eigendynamik entwickelt, dass im 20. Jahrhundert selbst Diktatoren wie Hitler oder Stalin sich zu ihrer Anwendung

400 »The Man Who Was Caged in a Zoo«, Guardian, 3. 6. 2015; Kreienbaum, Koloniale Konzentrationslager. 401 »Negro Suffrage«, Johnson, Negro Problem, S. 199–244; Baker, Following the Negro Color Line, 302f.; W. G. Sumner in: Cutler, Lynch-Law. 402 Pinker, Violence, S. 384. 403 Jessen/Richter (Hg.), Voting for Hitler and Stalin.

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genötigt sahen, wobei sie die merkwürdigsten Verrenkungen anstellen mussten, um die Sicherheitsmechnismen der Wahltechnik zugleich zu umgehen.

Dekonstruktionen der Wahlpraxis Moderne Wahlpraktiken konnten in vielfältiger Weise die Pathologien der Moderne unterstützen. In den USA sorgte die effizientere Organisation für effizientere Exklusion und Segregation, indem »undisziplinierte« Personen wie Betrunkene oder Analphabeten nicht zu den Wahlen durften. Die preußischen Behörden wiederum konnten abweichendes Wahlverhalten mit den modernen Techniken der Bürokratie besser noch als früher erfassen.404 Gerade die Techniken der geheimen Wahlen mit einheitlichen Stimmzetteln, Urnen und Wahlkabinen bieten eine modernitätskritische Interpretation. Kleppner und andere US -Historiker sehen in ihnen primär ein Instrument zur Unterdrückung der unteren Schichten. Französische Forscher wiederum reden heute in Bezug auf die modernen Wahltechniken von Fetischismus, von einer »Ideologie« westlicher Wahlverfahren, die alle alternativen Partizipationsformen auslösche.405 Die Dekonstruktion der Wahlpraxis steht in einer langen konservativen Tradition, die sich etwa im Spott der Konservativen im Kaiserreich über die »Klosettbegeisterung« ausdrückte, die ausgerechnet in der Wahlkabine ein Heilmittel für die Probleme der Gegenwart zu sehen meine; die National-Zeitung mokierte sich über den Glauben an die Wahrheitsfindung via »Mehrheit aller 25jährigen Männer (warum nur dieser?)«, wobei »allerdings schließlich ein paar spanische Wände, hinter denen der Wähler völlig ungesehen seinen Stimmzettel zurechtmachen kann, zur sicheren Garantie trefflichster Erledigung aller staatlichen Aufgaben« hinzukomme.406 Diese Traditionslinie muss in die Analyse einbezogen werden, weil sie den aufklärungskritischen Charakter verdeutlicht, der sich in der Fundamentalkritik gegen das Wahlrecht äußert. Viele Liberale und Linke diagnostizierten um 1900 besorgt einen Ansturm von intellektueller Seite gegen das

404 Verzeichniß der Abstimmungen der an der Urwahl am 29. 10. 1885 betheiligten katholischen Elementarlehrer des Kreises Wongrowitz, HA XVI . Rep 30, Nr. 2964, GStA PK ; vgl. Nachweisung der dt. u. poln. Wahlmänner, 1888, 1893 u. 1898, Bromberg, 24. 11. 1898, an Herrn Oberpräsident, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3248. 405 Garrigou, La Construction sociale du vote; Bertrand u.a., Introduction, S. 3. 406 Sten. Ber. RT, 21. 4. 1903, 8918; »Das neue Buch Gneist’s«, National-Zeitung, 9. 5. 1894.

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Prinzip allgemeiner und gleicher Wahlen.407 Die Sorge war nicht aus der Luft gegriffen. Nicht zuletzt wegen der Angst vor einer sozialistischen Revolution misstrauten etliche Bürger dem Reichstagswahlrecht. Der nationalliberale Gelehrte und Politiker Georg Meyer bestätigte zwar, dass keiner ernsthaft an die Abschaffung des Reichstagswahlrechts denke, doch es gebe in manchen Teilen des »gebildeten Publikums« eine Abneigung dagegen; in der Presse trete diese Antihaltung »nur mit einer gewissen Zurückhaltung hervor; desto lauter macht sie sich im Privatgespräch geltend«.408 Die Zurückhaltung lag auch an dem bereits erwähnten Effekt, dass jede Andeutung, das Reichstagswahlrecht anzutasten, eine öffentliche Empörungswelle hervorrief.409 Ist das nicht doch ein Beleg für eine antiegalitäre, autoritäre Grundstimmung vor dem Ersten Weltkrieg? Für die progressiven Intellektuellen jedenfalls war der Ausgangspunkt das Selbstverständliche, das Vorhandene, nämlich der liberale Staat mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht. Wie hätten sie sonst die Attacken der Konservativen als ein akutes Modephänomen beschreiben können? In Deutschland konnte im Grunde jeder leben und schreiben und denken und wählen, wie und was er wollte. Es wäre gewiss einseitig, die intellektuelle Kritik im Nachhinein als objektive Diagnose zu übernehmen. Insbesondere der missmutige Max Weber hat mit seinen überspitzten Interpretationen des Reiches, in dem er als freier Geist nie auf obrigkeitliche Restriktion gestoßen war, zum späteren Bild eines reaktionären »Obrigkeitsstaates« beigetragen.410 Wohl nicht zuletzt wegen der zahlreichen rhetorischen Anklagen der Intellektuellen, aber auch wegen des schwadronierenden Kaisers in seinen Prunkuniformen kam es Jahrzehnte später zu dem historischen Urteil, das Wilhelminische Reich sei »neoabsolutistisch« gewesen: eines der irrigsten Attribute, die dem Deutschen Reich zugeschrieben wurden. Mit den Wahlen hatte der Monarch trotz der steigenden Bedeutung des Reichstages ohnehin nichts mehr zu tun. Anders als bei Wilhelm I. in den 1860er Jahren, war es für Wilhelm II . um die Jahrhundertwende undenkbar geworden, ernsthaft in 407 Vortrag Sohm beim Nationalsozialen Verein, »Das allgemeine Wahlrecht als Grundlage der inneren und äußeren Politik«, Deutsche Wacht, 30. 9. 1897; Weber, »Bedrohung«, S. 79; Kaube, Max Weber, S. 369. 408 Meyer, Wahlrecht, S. 449; ganz ähnlich R 8034II , 5853, Bl. 1f., BA . 409 Vgl. die Pressesammlung der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, R 8034 II , 5853, BA . 410 Vgl. dazu das Interview mit Stephan Malinowski: Ullrich/Staas, »Vom zweiten zum ›Dritten Reich‹«, ZEIT-Geschichte über das Deutsche Kaiserreich, Nr. 4 (2010), S. 98.

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den Wahlkampf einzugreifen.411 1894 war der neue Reichstag unter dem Segen des Kaisers (der insgeheim schmollte, weil die Kuppel höher war als die des Schlosses) eingeweiht worden. Das Parlamentsgebäude prunkte im Herzen Berlins.412 Im halb offiziösen »Goldenen Buch des Deutschen Volkes an der Jahrhundertwende«, einem viele Kilo schweren Prachtband, in dem die führenden »Geistesvertreter« Deutschlands sich und das Reich zur Jahrhundertwende feierten, findet sich gleich nach dem Konterfei des Kaisers und der Landesfürsten ein Bild des Reichstags.

Konservative Ängste Die Klagen der Gegenpartei entsprechen in ihrer Lautstärke durchaus denen der Liberalen und Linken. Denn die Konservativen lamentierten über die »fortschreitende Demokratisierung im Reich, die nicht zu leugnen ist«,413 sie protestierten gegen diese »ganz falsche Auffassung« von Legitimation und darüber, dass »heute viel demokratischer Sport getrieben« werde,414 sie beschwerten sich über die nicht enden wollenden »freisinnigen Klagen« gegen das preußische Wahlrecht,415 über den »Zustand der Unverantwortlichkeit«, weil alle Welt für das Reichstagswahlrecht eintrete.416 »Wenn man aber bedenkt, daß die preußische Regierung und der Bundesrat sich haben bewegen lassen, jenes allgemeine, gleiche Wahlrecht für Elsaß-Lothringen einzuführen, so muß immer mit der Gefahr gerechnet werden, daß auch das preußische Wahlrecht im demokratischen Sinne abgeschwächt wird in einer Zeit, wo fast in allen Ländern die Demokratie in den Verfassungsfragen fortschreitende Erfolge erringt.«417 Nach einer Debatte im Reichstag notierten die Hamburger Nachrichten: »Die Sitzung gestaltete sich zu einer einmütigen Huldigung des einzigen allmächtigen und 411 In den Wahlunterlagen findet sich allenfalls eine persönliche Information über den Ausgang (Bethmann Hollweg an Wilhelm II ., 26. 1. 1907, I. HA Rep. 151, HB , Nr. 543, Bl. 150, BA ). 412 Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 199, 355 u. 359–366. 413 Redebeitrag Malkewitz, Sten. Ber. pr. AH 12. 2. 1910, Sp. 1571. 414 »Das preußische Dreiklassenwahlrecht«, Kreuzzeitung, 22. 10. 1897, RLB R8034, II , 5075, Bl. 25; Below, Wahlrecht, S. 151. 415 »Angriffe gegen das Dreiklassenwahlrecht«, Post, 6. 10. 97a. 416 »Das Reichstagswahlrecht in Preußen«, Süddeutsche Nationalliberale Correspondenz, 27. 5. 1913. 417 »Welche Wirkungen würde die Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen haben?, von Wolfgang Eisenhart, Hallesche Zeitung, Nr. 457, 24. 9. 1911, RLB R8034 II , 5852, Bl. 90.

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unfehlbaren Souveräns, den es heute in Deutschland gibt, des Reichstagswahlrechts.«418 An anderer Stelle schrieb ein konservatives Blatt vom »Götzendienst, der mit dem gleichen Wahlrecht getrieben wird«.419 In gewisser Weise hatten beide recht, denn die Zeit vor dem Weltkrieg gestaltete sich widersprüchlich. Doch bei allen Vielstimmigkeiten und allen Ambivalenzen lässt sich eine breite Zustimmung zur Massenpartizipation heraushören. Es ist von Bedeutung und in der Geschichtsschreibung zuweilen übergangen worden, dass es im Kaiserreich jene reformerische, zumeist bürgerliche, aufgeklärt moderne Elite mit beträchtlichem Einfluss gab: Neben den bürokratischen Reformkräften und den protestierenden Professoren, wie Hugo Preuß, Georg Simmel oder Max Weber, verschafften sich zahlreiche Frauenrechtlerinnen, Privatgelehrte, Journalisten, gemäßigte Sozialisten oder aufgeklärte Fabrikanten im ganzen Land mit Vorträgen, Massenprotestationen, Zeitungskampagnen und in Publikationen Gehör zugunsten einer Wahlrechtsreform.420 Sie kommunizierten und diskutierten – wiederum ganz ähnlich wie die progressives in den USA – deutschlandweit in Zeitungen und Journalen, zu denen das Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik und die Preußischen Jahrbücher ebenso zählten wie die Frankfurter Zeitung. Das preußische Wahlrecht galt, insbesondere bei den Liberalen und Gelehrten aus dem Südwesten, als Frage von nationalem Ausmaß, ja als »Einigungsfrage«.421

418 »Das heilige Reichstagswahlrecht«, Hamburger Nachrichten, 22. 2. 1910, R 8032II , Nr. 5852, Bl. 15, BA . 419 »Deutschland. Eine Bewegung gegen das gleiche Wahlrecht«, Kreuzzeitung, 28. 11. 1895, R 8034II , Nr. 5078, Bl. 4, BA ; G, Nationale Rechtsidee, S. 216. 420 Vortrag von Sohm beim Nationalsozialen Verein, »Das allgemeine Wahlrecht als Grundlage der inneren und äußeren Politik«, Deutsche Wacht, 30. 9. 1897; vgl. Hugo Preuß, »Stadt und Staat«, Vortrag in der Gehe-Stiftung (1909), in: Preuß, Staat, Recht und Freiheit, S. 73–102; Aufruf »Für die Preußische Wahlreform«, Berliner Tageblatt, 7. 12. 1909; Tönnies, »Preußische Reformen«; Weber, Wahlrecht und Demokratie; Weber, Das preußische Wahlrecht; Bund deutscher Gelehrter und Künstler: Die deutsche Freiheit; Otto Hintze, »Die Demokratisierung der preußischen Verfassung«, Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung 2 (1917), S. 452–459; vgl. Llanque, Demokratisches Denken, S. 119. 421 »Grasmücke und Kuckuck«, R 8034 II , 5851, Bl. 80–82.

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Kultur und Zivilisation der Massenpartizipation Die Selbstverständlichkeit, mit der Massenpartizipation in der nordatlantischen Welt gedacht und praktiziert wurde, ist bemerkenswert. Alle »zivilisierten« Länder gründeten ihre Legitimation irgendwie auf der Volksherrschaft, so die weitverbreitete Argumentations- und Gefühlslage. »Bei den Regierungsformen geht die Tendenz in der gesamten zivilisierten Welt dahin, immer mehr Macht in die Hände des Volkes zu legen«, hieß es in der Atlantic Monthly.422 Immer wieder verbanden US -amerikanische und deutsche Publizisten und Politiker Wahlen mit »Zivilisation«, »Kultur«, immer wieder auch mit »Fortschritt« – wobei häufig auf die Bedeutung der richtigen Wahltechnik hingewiesen wurde.423 Die in der Geschichtsschreibung durch Oswald Spengler und durch Thomas Manns Essay »Betrachtungen eines Unpolitischen« vorherrschende Annahme, es habe in Deutschland eine alles beherrschende Unterscheidung gegeben zwischen »Zivilisation«, die für den demokratischen undeutschen Westen stehe, und »Kultur«, die für Deutschland gelte, wird den Komplexitäten und Widersprüchen der zeitgenössischen Diskurse nicht gerecht.424 In den Diskussionen um das richtige Wahlrecht galt der Hinweis auf die Rechtslage in anderen »zivilisierten« oder »Kulturstaaten« als gutes Argument.425 In enzyklopädisch angelegten Werken verglichen die Gelehrten im internationalen Rahmen »das parlamentarische Wahlrecht« (Georg Meyer, 1901) oder einfach »das Wahlrecht« (Oskar Poensgen, 1908), untersuchten »die Grundlagen des amerikanischen und deutschen Verfassungsrechts« (Erich Kaufmann, 1908), »das Verfassungsleben der heutigen Kulturstaaten« (Otto Hintze,

422 Baker, Negro Suffrage, S. 613f.; vgl. auch Seymour/Frary, How the World Votes, Bd. II , S. 315. 423 Godkin, Republican Party, S. 253; »We Want No Tammany Election Thefts Here«, Zeitungsausschnitt, o. A., 28. 9. 1916, Presidential Elections 147, NARA ; »Fortschritt und Wahlrecht«, Hallesche Zeitung, 30. 9. 1911; »Zum Schutze der Wahlfreiheit«, Freisinnige Zeitung, 6. 5. 1898, R8034 II , 5075, Bl. 100, BA . 424 Kurzke, Thomas Mann, S. 32; vgl. dazu auch die Einschätzung des Essays von Schuster, Kultur und Zivilisation. 425 »Das Wahlrecht in anderen europäischen Kulturstaaten«, Deutsche Tageszeitung, 4. 9. 93, R8034II , 5851, BA ; »Demokratie«, Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 1892, S. 122 u. 127; Siegfried, Schriftsteller, an Reichsamt des Inneren, Königsberg, 29. 9. 1899, R 1501, Nr. 114470, GSTA PK ; Diskussion im Preußischen Abgeordnetenhaus, Sten. Ber. pr. AH , 5. 12. 1883, Sp. 191ff., u. 5. 12. 1917, Sp. 6606; Akten in I. HA Rep. 169 C 80, Nr. 2e, GSTA PK ; vgl. Hirschman, Denken gegen die Zukunft, S. 120.

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1914) oder »Wahlen weltweit« (Charles Seymour und Donald P. Frary, 1918).426 Deutschland sah sich dabei selbstredend als Teil dieser zivilisierten Welt.427

Wettkampf um die Demokratie Ohne Exklusion und Exklusivitätsdiskurse ging jedoch auch diese gelehrte Diskussion nicht ab. Russland diente den Europäern in der Regel als Negativfolie.428 In den USA , wo man sich als Speerspitze der Zivilisation sah, wiegten sich die Eliten seit je in dem Glauben, der Welt als strahlendes Vorbild für Demokratie zu dienen. »Das Scheitern des allgemeinen Wahlrechts hier bedeutet die Zerstörung der republikanischen Regierungsform in der ganzen Welt«, schrieb der Reformer Davenport 1894 in der üblichen Selbstüberschätzung und Verkennung der weltweiten Lage. »Sein Erfolg hier läutet das Totenglöcklein imperialistischer und autokratischer Regierungen rings um den Erdball.«429 Die Deutschen sahen weiterhin meist abschätzig auf die rohen Wahlsitten in der Neuen Welt. »Daß wir uns unter dem zwar oft strengen, aber korrekten und parlamentarisch wohlkontrollierten Beamten-Regiment freier fühlen als unter einem korrupten DemagogenRegiment, wie es die gewählten Obrigkeiten so oft zeitigen, versteht der Amerikaner nicht«, meinte Hans Delbrück.430 Den internationalen Wettkampf um die Siegeskrone demokratischer oder republikanischer Ideale, der sich im Ersten Weltkrieg radikalisieren sollte, griffen die Kritiker des Dreiklassenwahlrechts gerne auf. »Preußen soll sich nicht dem Entwicklungsgesetz der ganzen Kulturwelt entgegenstellen. Der Drang der Zeit geht auf eine stärkere Beteiligung des Volkes am politischen Leben, auf eine Verbreiterung der Grundlage des Wahlrechts. Man kann Preußen auf die Dauer nicht versagen, was alle Kulturstaaten besitzen«, hieß es 1910 im Abgeordnetenhaus.431 Und einige Jahre später erklärte ein Abgeordneter: 426 Originaltitel: How the World Votes. 427 Evans, Society and Politics, S. 23. 428 Müller, Nach dem Ersten Weltkrieg, S. 31; Müller, Das demokratische Zeitalter, S. 22. 429 Davenport, Election and Natuarlization Fraud, S. 5; Wilson, Democracy and Efficiency. 430 Delbrück, Monarchie und Parlamentarismus; vgl. auch Kaube, Max Weber, S. 192 f. 431 Sten. Ber. pr. AH , 12. 2. 1910, Sp. 1564; vgl. auch Below, Wahlrecht, S. 81; vgl. zu den deutschen Wahlreformen: Lässig, Wahlrechtsreformen.

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»Durch die Völker geht der Zug der Demokratisierung. Er kann an Preußen nicht vorübergehen.«432 Die Akzeptanz von Massenwahlen ging aber weit über diese Intellektuellenreflexionen hinaus. Gerade auch auf parteipolitischer Ebene zeigte sich die Tendenz für das moderne Wahlrecht: Sowohl die Liberalen, als auch die Zentrumspartei und die Sozialdemokraten ohnehin traten für das Reichstagswahlrecht ein. Der Bielefelder Sozialreformer Heinz Potthoff sprach von einer »überwältigenden Mehrheit des Volkes«.433 Die Zustimmung zu allgemeinen und gleichen Wahlen, zu Massenpartizipation und demokratischen Spielregeln gehörte in vielfältiger Form zur deutschen Gesellschaft. Die Zeitungen und die insgesamt eher konservativen Illustrierten berichteten vom Wahlgang hoher Persönlichkeiten, und seit den Reichstagswahlen von 1884 gehörten Darstellungen von Bismarck und anderen Vertretern der Obrigkeit bei der Stimmabgabe zu den beliebten Abbildungen.434 Die Wahlkämpfe wurden immer bunter, der politische Massenmarkt immer attraktiver, Autos und Heißluftballone warben für die verschiedenen Parteien.435 Vielen galt das Wahlrecht als Ehrensache, etwas, worauf sie stolz waren. »Wir glauben nicht, daß es je zuvor auf Erden etwas gegeben hat, was mit den in allen civilisirten Ländern existierenden Wahlapparaten auch nur von ferne verglichen werden könnte, weder an Umfang und Massenhaftigkeit, noch an Raffinement und technischer Vollendung«, hieß es 1897 in einem liberalen Blatt.436 Über den integrativen und egalisierenden Effekt der Wahlen schrieb die Illustrirte Zeitung: »Das Wahlgeschäft hat mit dieser Stunde [10 Uhr morgens] im ganzen Reich begonnen: im höchsten Gebirgsdorfe wie an den Strauchdörfern der Nordseeküste. Ein ganzes Volk, das zur Wahl schreitet, in der die Stimme des letzten Koppelknechtes 432 Redebeitrag Pachnicke, Sten. Ber. pr. AH , 5. 12. 1917, Sp. 6606. 433 »Die Sicherung der Linksmehrheit«, von Potthoff, Berliner Tageblatt, 30. 9. 1913, R 8034 II , 5853, Bl. 7, BA . 434 Biefang, Zeremoniell, S. 241; vgl. »Bismarck als Wähler«, Wöchentliche Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg, 25. 2. 1890, Beilage zur Nr. 16; Daheim, Nr. 7, 15. 11. 1884, Erste Beilage. 435 Biefang, Zeremoniell, S. 244. 436 »Bremen«, Weser Zeitung, 17. 10. 1897; vgl. z.B. auch »Die Macht der Stimme«, Tag, Nr. 39, 15. 2. 1913; »Zum Schutze der Wahlfreiheit«, Freisinnige Zeitung, 6. 5. 1898, R8034 II , 5075, Bl. 100, BA ; den Stolz der Deutschen auf ihr Wahlrecht betont auch Anderson, Practicing Democracy; vgl. über die Demokratisierung in Deutschland Bösch, »Kornwalzer«, S. 339, 360 u. 378

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Abb. 48 »Bismarck als Wähler« Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 4« Ac 7250–21.1885

genau ebensoviel gilt, wie die Stimme des Reichskanzlers.«437 1912 bei den letzten Reichstagswahlen vor dem Weltkrieg gaben 85 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Jeder dritte Wähler votierte für die Sozialdemokratie, die mit 35 Prozent die leuchtende Gewinnerin war (danach kam das Zentrum mit 16,5 Prozent, die Konservativen errangen nur 8,5 Prozent).438 Die Facetten des Konsenses für ein modernes Wahlrecht waren vielfältig. Im Deutschen Reich wollten viele nicht einfach die »französische« Demokratie übernehmen und lehnten insbesondere den Parlamentarismus ab; denn Parlamentarismus bedeutete für die Zeitgenossen nicht ein Mehr an Volksherrschaft – wie für viele Historiker heute –, sondern primär »Parteienherrschaft«. »Unsere Gesellschaft ist demokratisiert – allgemeine 437 Berliner Illustrirte Zeitung, Nr. 36, 26. 6. 1898, S. 5. 438 Vogel/Schultze, Deutschland, S. 225.

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Schulpflicht und allgemeine Wehrpflicht haben viel dazu gethan – daher entspricht ihr auch ein demokratisches Wahlrecht«, erklärte der Rechtshistoriker Rudolf Sohm, einer der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches, dennoch stellte er fest: »Wir lehnen eine parlamentarische Regierung ab, weil parlamentarisches Regiment Parteiregiment bedeutet.« Doch selbst mit ihrer Kritik am Parlament und – damit zusammenhängend – an den Parteien argumentierten die Deutschen ebenfalls nur, wie es international im Trend lag. Pierre Rosanvallon spricht vom »diffuse[n] Antiparlamentarismus der Epoche«.439 Typisch deutsch war aber, dass das demokratische allgemeine und gleiche Wahlrecht als ergänzendes Gegenstück zum deutschen Kaisertum interpretiert wurde. »Die Kraft unseres Staates ruht in der Monarchie, im Königthum«, erklärte Rudolf Sohm, das »allgemein gleiche Wahlrecht vollzieht das Bündniß mit der Krone, mit dem Volkskönigthum«.440 Ähnlich formulierte diesen Gedanken ein freisinniger Abgeordneter: »Die Monarchie steht um so kräftiger da, je mehr sie sich auf den kräftigsten Teil der Bevölkerung stützt.«441 Selbst reformerische und teilweise auch demokratische Denker wie Friedrich Meinecke oder Max Weber hielten durchaus zur Monarchie. »Die breiten Schichten des deutschen Bürgertums sind, aus guten Gründen, Anhänger der Monarchie als Institution«, notierte Weber, obwohl »die Monarchie in ihrem konkreten Träger einmal den Erwartungen nicht entspricht« – einer der vielen Seitenhiebe Webers gegen Wilhelm II .442 Als der erste schwarze Soziologe, der US -Amerikaner W. E. B. Du Bois, nach Deutschland kam, wunderte er sich über den demokratischen Charakter der deutschen Monarchie und über die Loyalität der Arbeiter, die er als Pendant der Afroamerikaner in seiner Heimat sah.443 Zu den Facetten einer breiten Zustimmung zu demokratischen Praktiken gehörte tatsächlich die politisierte Arbeiterkultur. Auch wenn der Marxismus in populären Spielarten weiterhin die Revolution predigte, so 439 Rosanvallon, Gute Regierung, S. 110. 440 Vortrag von Sohm auf einer Versammlung des Nationalsozialen Vereins, »Das allgemeine Wahlrecht als Grundlage der inneren und äußeren Politik«, Deutsche Wacht, 30. 9. 1897. 441 Redebeitrag Pachnicke, Sten. Ber. pr. AH , 5. 12. 1917, Sp. 6612; vgl. ähnlich auch Meinecke, Reform, S. 177. 442 Weber, »Bedrohung«, S. 80; vgl. Meinecke, Reform, S. 161f.; Gilg, Erneuerung, S. 188f. 443 Kaube, Max Weber, S. 210f.

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trug die Sozialdemokratie doch wesentlich zur Massenpolitisierung des konstitutionellen Staates bei – ähnlich wie die katholische Kirche oder die polnische Nationalbewegung. Das gleiche Wahlrecht habe in »gewaltigem Umfang« die »Interessen des Ultramontanismus, des Partikularismus und des Polentums gefördert«, stellte der Historiker Georg von Below 1909 fest – und benannte damit einen der wichtigen Gründe für die Verankerung demokratischen Denkens:444 Das Wahlrecht war für einen Großteil der Menschen, egal ob in Pommern oder Berlin, Bestandteil ihres Alltags, ihres Milieus und ihres Kampfes für ihre Interessen geworden. Mitglied einer Partei zu sein, sich beim Bier über Politik zu unterhalten, an Demonstrationen teilzunehmen – all das beförderte die staatsbürgerliche Selbstsicherheit auch der unteren Klassen und die Selbstverständlichkeit, mit der einfache Männer ihr Wahlrecht ausübten. Wie viele Menschen durften wählen und wie viele beteiligten sich an der Wahl? Anteil der Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung bei den letzten nationalen Wahlen vor dem Weltkrieg

Wahlbeteiligung bei den letzten nationalen Wahlen vor dem Weltkrieg

Deutschland

22 %

85 %

USA

28 %

60 %

Frankreich

29 %

80 %

Großbritannien

16 %

69 %

Italien

23 %

60 %

Transatlantische Techniken der Demokratie Technik und Materialität der Wahlen schließlich offenbarten besonders deutlich den Zug der Zeit. Sie stellen die alte Forschungsfrage, inwiefern Preußen und das Reich eine Demokratisierung oder Parlamentarisierung erfahren habe, in ein neues Licht.445 Die Forcierung der geheimen Wahl mit Kabine, Urne und einheitlichem Wahlzettel oder Wahlumschlag war ein

444 Below, Wahlrecht, S. 32. 445 Vgl. den Forschungsüberblick in Ullmann, Politik im deutschen Kaiserreich, S. 89 f.

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Abb. 49 Geheime Abstimmung in Berlin, Wahllokal Stargarder Str. 60, 1907. Das erste Viereck auf dem Weg bezeichnet »Umschlagverteiler«, dann folgen zwei Wahlkabinen (»Nebentische«) und der Tisch mit Wahlvorstand und Urne (»Vorstandstisch«). Landesarchiv Berlin, A Rep. 001–03, Nr. 83

transatlantisches Phänomen. Und auch wenn sich, wie wir oben sahen, mit der Technik der Geheimhaltung widersprüchliche Motive verbanden, so muss dabei doch stets im Blick bleiben, dass die Geheimhaltung für die Zeitgenossen vor allem eine emanzipative Bedeutung barg.446 Die Wahltechniken aber sind deshalb so erklärungskräftig, weil sie das Partizipationsverständnis der Menschen um 1900 zeigen: Es sollte nun tatsächlich darum gehen, den Willen des einzelnen Staatsbürgers zu ergründen. So glichen sich die Wahlpraktiken entsprechend dieser Funktion an. Die Uniformierung ging über Wahlkabine, Urne und genormtem Wahlzettel hinaus. Für eine effektive Disziplinierung galt es, den ganzen Wahlakt zu standardisieren. So mussten sich die Wahlvorstände im Vorfeld klar werden, wie sie die Wähler durch das Wahllokal zu dirigieren hatten. Wenn sich die Männer beim Abstimmen verliefen, wurde das ganze

446 »Bebel in Breslau«, Vorwärts, 6. 11. 1903; Redebeitrag Haußmann, Sten. Ber. RT, 21. 4. 1903, 8919; Redebeitrag Pachnicke, Sten. Ber. RT, 21. 4. 1903, 8919; Bourke/DeBats, Identifiable Voting, S. 273.

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Abb. 50 Geheime Abstimmung, Dänemark, 1901. Die Technik des geheimen Wählens führte überall zu ähnlichen Standards. Für den Hinweis danke ich Anders Dalsager, Universität Odense. Copyright: The Danish National Archive/ Rigsarkivet on Flickr

Wahlprozedere möglicherweise in Konfusion gestürzt, und es drohten Verfälschungen. In den USA nutzten die Behörden zur Regulierung des Pfades innerhalb des Wahllokals hölzerne Absperrungen (Abb. 51).

Der disziplinierte Bürger Wenig vermag die Disziplinierung des Mannes so treffend zu veranschaulichen wie der standardisierte Urnengang des Wählers. In den zeitgenössischen Darstellungen zeigt sich der Stolz, mit dem die Männer diesen disziplinierten Akt der individuellen Willensbekundung und der staatsbürgerlichen Pflichterfüllung vollzogen. Selbst in dem eher konservativmonarchischen Familienblatt Über Land und Meer wurde die Wahl mit unverkennbarem Ehrgefühl als ein Akt der Gleichheit dargestellt. Der Arbeiter gibt aufrecht sein Votum ab, der Bürger mit Zylinder wartet, bis er an der Reihe ist.447 Die deutschen Bürger nehmen den Hut beim Wählen ab: ein Respekterweis vor dem Wahlakt. Auch die reformerisch amerikanischen Darstellungen strömen Hochachtung und Sachlichkeit aus. »Amerikanischer Bürger zu sein, wird von Jahr zu Jahr zu einer ernsthafteren Angelegenheit, es wird eine größere Ehre, eine größere Pflicht«, schrieb 1910 ein reformerischer Journalist.448 Das Zeitregime zielte ebenfalls auf Standardisierung. Der gemeinsame Wahltag synchronisierte ebenso wie die Wahlperioden auf Länder- und auf föderaler Ebene das nationale Leben. In den USA betraf das erste föde447 Vgl. die Interpretation des Bildes bei Biefang, Macht, S. 121. 448 »Negro Suffrage in a Democracy« von Ray Stannard Baker, Atlantic Monthly 106 (1910), S. 614.

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Abb. 51 Standardisiert und diszipliniert – ein reformerisch arrangiertes Wahllokal für New York mit Balustraden, Wahlkabinen und nicht alkoholisierten Bürgern. Society for Political Education: Electoral Reform with the Massachusetts Ballot Reform Act and New York (Saxton) Bill, Economic Tracts No. XXIV. New York 1889, S. 3.

Abb. 52 »An der Wahlurne« – Stolze, gleichgestellte, disziplinierte Staatsbürger Aus der Illustrierten »Über Land und Meer«, 1883, Bayerische Staatsbibliothek, 2 Per. 13m-47

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rale Wahlgesetz überhaupt die zeitliche Vereinheitlichung: Alle Staaten mussten seit 1845 am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November ihre Präsidentschaftswahlen abhalten. Seit 1871 gab es auch ein einheitliches Datum für Wahlen zum Repräsentantenhaus. Seitdem fanden Wahlen nur noch an einem Tag statt. Diese Regelungen dienten auch dazu, den Mehrfachwählern, die teilweise wählend von Bundesstaat zu Bundesstaat gezogen waren, Einhalt zu gebieten und die wilden Männersitten mit Alkoholgelagen einzudämmen. Ebenso wurden die Wahlen in den anderen nordatlantischen Staaten zunehmend an einem statt an mehreren Tagen abgehalten. Standardisierung erwies sich als eine mühsame kollektive Lernerfahrung. Um die Jahrhundertwende schrieben kundige Bürger oder emsige Parteimitglieder in den USA und in Deutschland zahlreiche Handbücher, die den Wähler über den korrekten Ablauf der Wahlen informierten. Konservativen Parteigängern in Deutschland ging es vorrangig um Informationen, wie Wahlanfechtungen vermieden werden konnten, Sozialisten hingegen wollten sicherstellen, dass die Stimmen ihrer Wähler korrekt abgegeben und gezählt wurden.449 Die Handbücher verweisen allerdings auch darauf, dass es ein Fehler wäre, das Wunschbild der Reformer mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Der Reformprozess war langwierig und widersprüchlich. Das bis heute vorherrschende Ideal des allseitig informierten Bürgers, der seine wohlbegründete Sachentscheidung fällt, blieb mehr Wunsch als Wirklichkeit. Nach wie vor interessierten sich die meisten Wähler nicht für die Details, und in den USA kannten sie oft noch nicht mal die Namen der Kandidaten. Freie Massenwahlen, das wurde gerade in dieser Zeit deutlich, funktionieren nur, wenn der Aufwand minimal bleibt.450 Korruption und Wahlmani-

449 Levy, Elector’s Hand Book; Broschüre, »Instructions for Election Day«, Albany, 1904, Bard Papers, Box 66, NYPL ; Robert Leinert »Die preußischen Landtagswahlen. Ein Führer durch das Dreiklassenwahlrecht«, Berlin 1913, A Pr.Br.Rep.030, Nr. 16000, LAB ; vgl. »Was hat sich der Wähler für die Wahl am 16. Juni zu merken?«, Vorwärts, 14. 6. 1898; Anderson, Lehrjahre, S. 202f., 212 u. 443; Bensel, Ballot Box, S. 8; Rathschläge für die conservative Wahl-Agitation in Stadt und Land vom Vorstand des Preußischen Volks-Vereins, 27. 9. 1863, VI . HA Nl Zitelmann, K., Nr. 93, Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Herbst 1863, Bl. 2, GStA PK ; vgl. Anlage an Brief von Regierungspräsident zu Bromberg an Landräthe des Bezirks, Bromberg, 24. 11. 1902, XVI HA Rep. 30, Nr. 595, GStA PK . 450 Das wurde in Wahlprüfungen deutlich (Altschuler/Blumin, Rude Republic, S. 265–270).

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Abb. 53 Standardisierte Männlichkeit in Berlin, 1903, mit Wahlkabine, Wahlumschlägen, ordentlichen Räumlichkeiten, sauberer Kleidung, elektrischer Beleuchtung Otto-Ernst Schüddekopf. Herrliche Kaiserzeit: Deutschland 1871–1914. Berlin [u. a.]: Ullstein, 1973, S. 104.

pulation blieben bis in die 1940er Jahre Begleiter amerikanischer Wahlen. Noch heute finden in den USA Wahlbeeinflussungen statt, die wenig mit dem Ideal von fairen Wahlen zu tun haben.451 Und auch in Preußen gab es noch bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Klagen über Manipulationsversuche – von den unfreien Wahlen der kommenden Diktaturen ganz zu schweigen.452 Alles andere als eine schrittweise Veränderung wäre allerdings erstaunlich gewesen. Aus der Vielfalt der Quellen ergibt sich ein Gesamtbild

451 Berg, Eine wilde und unordentliche Demokratie. 452 Beschwerden und Berichte in XVI . HA Rep. 30, Nr. 602, 1907–1908, GStA PK . Die Verwaltung ging dieser Klage allerdings sofort nach, Beschwerde Arthur Becker, Bartmannshagen, Abschrift »Eine unerhörte Herausforderung. Herr Arthur Becker, Bartmannshagen, schreibt uns«, Volks-Boten, Stettin, 7. 1. 1919, Rep. 654, Nr. 1670, LAG ; vgl. Arsenschek, Wahlfreiheit, S. 361–370.

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Abb. 54 Die elektrische Beleuchtung und der saubere Fußboden tauchen ebenfalls im Regelwerk der neuen Wahlordnungen auf. Alte Leute konnten wieder an der Wahl teilnehmen, bald kamen die Frauen dazu. Afroamerikaner aber waren wieder verschwunden. E. Benjamin Andrews, History of the United States, Bd. 5, New York 1912, S. 22.

davon, wie die diskursive Erzwingung von Neuerungen, wie der Erziehungseifer der Reformerinnen und Reformer, wie die Dinge im Wahllokal und die Ordnung der Zeit den Wahlakt disziplinierten, standardisierten und rationalisierten und wie sich in diesen Diskursen und Dingen das zeitgemäße Idealbild von der Herrschaft der rationalen Bürgergesellschaft manifestierte. Dieses Idealbild entfaltete eine Kraft und forcierte die funktionale Differenzierung, die für die moderne, rationale, demokratische Herrschaft konstitutiv ist – bei allen Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten, von der die Wirklichkeit stets geprägt ist.

Möglichkeiten der Frauenemanzipation Die Disziplinierung des Wahlakts trug schließlich zu einer der wichtigsten Neuerungen des 20. Jahrhunderts und des Modernisierungsprozesses bei: der Gleichberechtigung der Frau. Und auch hier zeigt sich kein eindeutiger, linearer Prozess. Das neue Ideal des sachorientierten, nüchternen, gebilde-

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ten Mannes wurde häufig in Kontrast zur »Frau« gestellt, um sie damit zu disqualifizieren. Wurden Frauen in den USA zuvor von den Wahlen stillschweigend ausgeschlossen, weil sie weder der Prügelei noch der Zecherei gewachsen waren, so galt um die Jahrhundertwende manchem ihre vermeintliche intellektuelle Unterlegenheit als Ausschlusskriterium; »der erwachsene Neger, […] das Kind, die Frau und der senile Weiße« erschienen vielen Zeitgenossen nicht als satisfaktionsfähig.453 In »ästhetischen DamenTees«, so ein preußischer Gelehrter, könne man vielleicht freisinnige Ideen diskutieren, mit einer »ernsten politischen Diskussion« habe das freilich nichts zu tun.454 Dennoch kann die Zähmung von Männlichkeit für die Geschichte der Wahlen nicht hoch genug veranschlagt werden. Die Disziplinierung des Wahlaktes, die Loslösung der Politik aus patriarchalischen, klientelistischen Zusammenhängen und die Idee der rationalen Stimmabgabe trugen wesentlich zu der sich allmählich durchsetzenden Überzeugung bei, dass Frauen ebenso wie Männer wählen konnten.455 Dazu gehört auch der Schutz des Körpers, der für die Emanzipation der physisch schwächeren Frau fundamental war. Denn die Gewalt bei den Wahlen nahm nach der Jahrhundertwende selbst in den USA gravierend ab456 – wie überhaupt die Abnahme von Gewalt zu den langfristigen Trends der Zeit gehörte, die einer egalitären Partizipation in die Hand spielte.457 Die Wahlkabine muss daher auch als Verdinglichung dieses Emanzipationsprozesses interpretiert werden. Die Isolation war ein Schutz für die Schwächeren. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die vorgeschriebene Isolation der Gattin von ihrem Mann beim Wahlakt ein wichtiges Moment für die freie Stimmabgabe der Frau.458 Historikerinnen und Historiker haben immer wieder auf den Einfluss der Frau im früheren Wahlprozess hingewiesen: Frauen hätten die Stimmzettel verteilt, den Wählern den Kaffee gekocht 453 Kimmel, Manhood, S. 92. 454 Below, Wahlrecht, S. 106; vgl. ähnlich Gierke 1897, zitiert nach Kaube, Max Weber, S. 65. 455 Den ideologiekritischen Historikern fällt es schwer, die Befürwortung des Frauenwahlrechts mit dem sonst so düster gezeichneten Bild der Reformer in Einklang zu bringen (Kleppner, Continuity and Change, S. 171). 456 Berg, Eine wilde und unordentliche Demokratie; vgl. klug und eindringlich, aber empirisch nicht überzeugend die Kritik am Konzept der physischen Schwäche von Frauen: Gilson, Vulnerability and Victimization. 457 Eisner, Violent Crime. 458 Gatzka, Des Wahlvolks großer Auftritt; vgl. auch Déloye/Ihl, L’Act de vote, S. 53–55.

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oder die Männer zur Stimmabgabe getrieben. In funktional nicht differenzierten Gesellschaften, so lässt sich das interpretieren, ergeben sich typischerweise informelle Einflussmöglichkeiten. Jedoch: In funktional differenzierten Gesellschaften ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass schwächere Gruppierungen eine formale und damit sichere Akteursrolle einnehmen. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war die Zeit, in der die Frauen erstmals laut vernehmbar wurden und in der die Anliegen der Frauenbewegung erstmals auf einen breiten öffentlichen Resonanzraum stießen. Es war eine Hoch-Zeit der Frauenbewegung, ihre internationale Vernetzung gestaltete sich immer dichter. Helene Stöcker erinnerte sich, die Zeit »wie in einem ständigen geistigen Rausch« verbracht zu haben, weil sich »so Vieles an Starkem, Neuem und Hoffnung Erweckendem geregt, das wir jüngeren Menschen – und wir weiblichen zumal, die das alles so zum ersten Mal als legitimes Recht genießen durften – lebten.« Sie notierte: »Wir durften in jenen Jahren an einen ständigen Aufstieg zu höheren Stufen glauben.«459 Frauen nahmen an der allgemeinen Politisierung teil.460 In Berlin fand 1896 der Internationale Frauenkongress mit 17000 Delegierten aus 14 Ländern statt.461 Seit der Jahrhundertwende zeigten sich Frauen in Deutschland zu großen Demonstrationen, die sie in der Öffentlichkeit als Akteurinnen präsentierten – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Emanzipation. 1909 schrieb August Bebel zur 50. Auflage von »Die Frau und der Sozialismus« über den Kampf um die Gleichstellung der Frauen: »Es dürfte kaum eine zweite Bewegung geben, die in so kurzer Zeit so günstige Resultate erzielte […]. Wir leben bereits mitten in der sozialen Revolution.«462 In allen nordatlantischen Staaten formierten sich Vereine für das Frauenstimmrecht, die in vielfältigen Aktionen und oft mit dem Wohlwollen ihrer Zeitgenossen, das Wahlrecht einforderten. In Deutschland gründeten 1902 Bürgerinnen den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht. 1908 wurde das Verbot aufgehoben, das in Preußen Frauen die Teilnahme an politischen Versammlungen untersagte, und reichsweit wurden Frauen 459 460 461 462

Stöcker, Lebenserinnerungen, S. 57 u. 76. Schaser, Frauenbewegung, S. 5. Stöcker, Lebenserinnerungen, S. 59. Bebel, Frau und der Sozialismus, S. 36.

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in dieser Hinsicht den Männern gleichgestellt.463 Neuseeland gewährte als erster Staat 1893 den Frauen das Stimmrecht. Bei den Reichstagswahlen 1912 verteilten Frauen in vielen städtischen Wahllokalen Flugblätter für das Frauenwahlrecht.464 Tausende Frauen demonstrierten 1913 in Washington und 1915 in New York für ihr Stimmrecht. 1916 zog die Reformerin und Republikanerin Jeannette Rankin als erste Frau in den Kongress ein. Bis 1917 besaßen Frauen in 13 US -Staaten volles Wahlrecht, in sechs weiteren Staaten durften sie bei den Präsidentschaftswahlen mitwählen.465 Die Gegenwehr blieb gleichwohl heftig. 1918 stimmte zwar das Repräsentantenhaus für ein bundesweites Wahlrecht, doch der Senat lehnte es ab. Erst 1920 konnte es mit dem 19. Amendment durchgesetzt werden.466 In Deutschland erhielten die Frauen 1919 das Wahlrecht.467

Universale Anwendung Die Standardisierung des Wahlaktes ist Teil der ersten Globalisierungswelle in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die Rationalisierung bot die Grundlage für Maßstäbe, die »universaler Anwendung fähig« waren, wie es Max Weber nannte. Sie war das ganze 19. Jahrhundert über am Wirken: »Die gesellschaftlichen Bedingungen der christlichen Völker gleichen sich heute mehr als irgendwann und irgendwo auf der Welt«, notierte Tocqueville schon in der Mitte des Jahrhunderts.468 Christopher A. Bayly sprach für die Zeit um 1900 von einer »global uniformity«, die durch die Kolonisation weit über den Westen hinaus die Welt ergriff.469 Die Akteure rückten immer näher aneinander heran. Es war die Zeit der internationalen Konferenzen zur Weltverbesserung: der Forcierung des hegemonialen Westens, zur Beförderung des Weltfriedens oder des Frauenwahlrechts, zur Bekämpfung der Armut und des Analphabetismus, zur Missionierung der Heiden oder – wie in der Zweiten Internationalen 1889 – der nicht sozialis463 Rosenbusch, Frauenwahlrecht. 464 »Germany«, in: Ius Suffragii – International Woman Suffrage News, 1. 8. 1913, S. 7; vgl. zu den Sonderwegerzählungen im Hinblick auf die deutschen Frauenbewegungen: Bock, Das politische Denken des Suffragismus, insbes. S. 170–276. 465 Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 209. 466 Bader-Zaar, Women’s Suffrage, S. 211. 467 Wobei die Bedeutung des Krieges nicht überschätzt werden darf (Bader-Zaar, Citizenship). 468 Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 8. 469 Osterhammel, Kolonialismus, S. 100; Bayly, Geburt der modernen Welt; vgl. Markoff, From Centre to Periphery.

Universalisierung partizipativer Techniken und Erster Weltkrieg

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tischen Welt. Angehörige von Mittelschichten erkannten sich überall auf der Welt daran, dass sie »modern« sein wollten, es gab etwas, das sie verband.470 Zu dieser Modernität zählten die Menschen die Volksherrschaft. Alle »großen Nationen« hätten ihre eigenen demokratischen Formen entwickelt, erklärte der Philosoph und Anthropologe Max Scheler 1916.471 Volkssouveränität, Demokratie, Republik, allgemeine und gleiche Wahlen – wie auch immer man die Massenpartizipation in den unterschiedlichen Gesellschaften bezeichnete: Sie war nicht unumstritten, aber doch international zu einem Standard geworden.472

470 Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 1094. 471 Zitiert nach Hirschman, Denken gegen die Zukunft, S. 120. 472 Sternberger, Die neue Politie, S. 2.

Fazit

Universalisierung partizipativer Techniken und Erster Weltkrieg

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Verläuft die Geschichte moderner Wahlen also von den unterdrückten preußischen Landarbeitern zu freien Reichstagswählern und von den prügelnden Saufbolden zu zivilisierten Bürgern, die in der Lage sind, eine rationale Wahlentscheidung zu fällen? Die Geschichte der Moderne – ein Weg zum frohen Ende? Die Feststellung, dass die Geschichte der Wahlen nicht als lineare Erfolgsgeschichte verlief, ist eine Banalität; denn nirgendwo in der Geschichte gibt es gradlinige Entwicklungen oder auch nur einen Mangel an Ambivalenzen. Und dennoch lassen sich Muster und Prozesse erkennen. So kann anhand der drei Ausgangshypothesen dieser Studie die komplexe Wahlgeschichte in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert zusammenfassend verdeutlicht werden: Erstens wurde das Wahlrecht eher von oben erteilt als von unten erkämpft. Das lag nicht zuletzt daran, dass moderne Wahlen – also Wahlen mit dem Anspruch auf Allgemeinheit – häufig für die Regierenden einen größeren Nutzen hatten als für die Regierten. Zweitens breitete sich die Massenpartizipation nicht unbedingt aufgrund einer normativen Dynamik aus, sondern wurde häufig durch sozialstrukturelle Bedingungen oder veränderte Praktiken vorangetrieben. Drittens führten die republikanische Rhetorik und die Freiheitsschwüre in den USA nicht zu einer komplett anderen Entwicklung als in Preußen, wo die Menschen mit der Monarchie insgesamt recht zufrieden waren und den König hochleben ließen. Anhand dieser drei Thesen will ich abschließend die wichtigsten Antworten der Studie im Hinblick auf die Ausgangsfrage bündeln: Wie kann der Siegeszug politischer Massenwahlen erklärt werden? Dabei werden zugleich die Grenzen meiner Hypothesen deutlich.

Fazit

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Beförderung des Wahlrechts durch die Herrschenden Insbesondere in ihrer Initiationsphase im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erwiesen sich moderne Wahlen als ein Elitenprojekt. In Preußen trieben die gebildeten Reformer die Wahlrechtserweiterung voran. In ihren Schriften erklärten sie den Zusammenhang zwischen Einbindung der Individuen durch die Mitbestimmung und ihrer Nutzbarmachung. Partizipationsrechte sollten den Sinn und die Verantwortung für den Staat wecken – ein Gedanke, der sich ebenso bei Thomas Jefferson findet. Konkret hieß das, der Staat brauchte willige Steuerzahler und Soldaten, aber auch Menschen, die sich ganz allgemein verantwortlich fühlten, die sich engagierten und die nicht zuletzt die Wirtschaft voranbrachten. Moderne Staaten waren zu groß und zu komplex, um allein von einer kleinen Führungsschicht gelenkt zu werden, sie bedurften der Mitarbeit von unten. Es war in diesen ersten Jahrzehnten nicht die Angst vor einer revolutionsbereiten Unterschicht, die mit dem Wahlrecht besänftigt werden sollte. Im Gegenteil. Die preußischen Bürger, die das Wahlrecht erhielten, waren davon wenig angetan, obwohl es ihnen in der Städteordnung weitgehende Befugnisse einräumte. Preußen führte daher eine Wahlpflicht ein, und die Wahlverweigerer wurden mit Sanktionen bedroht. Auch die Ausweitung des Wahlrechts in den USA , die in den 1820er Jahren langsam einsetzte und um 1840 einen ersten Höhepunkt erreichte, verdankte sich nicht den unteren Schichten. Vielmehr drängten die sich herausbildenden Parteien auf eine Wahlrechtserweiterung, weil sie sich davon mehr Wähler erhofften. In der Folgezeit sank die Wahlbeteiligung in Amerika parallel mit der Erweiterung des Wahlrechts, weil viele der neu Wahlberechtigten kein Interesse an der Stimmabgabe hatten. Doch nicht nur die niedrigen Partizipationsraten – in Preußen in der ersten Jahrhunderthälfte oft um die 50 Prozent oder darunter, in den USA 30 bis 60 Prozent – verweisen auf die Apathie der Bürger.1 Das Wahlrecht wurde von der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht eingefordert. Um die Geschichte des Wahlrechts besser verstehen zu können, ist es aufschlussreich, die Wahlberechtigten ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung zu setzen. Demnach konnte im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in den USA ebenso wie in Preußen nur eine kleine Gruppe wählen: Bei aller gebotenen Vorsicht mit diesen Zahlen waren es nur wenige Prozent der 1

Falter/Schoen, Wahlforschung, S. 55; Keyssar, Right to Vote, S. 40.

Beförderung des Wahlrechts durch die Herrschenden

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Gesamtbevölkerung sowohl in Preußen als auch in den USA . Denn neben den Frauen, Kindern und Jugendlichen blieb selbstverständlich die große Mehrheit der Nichtbesitzenden ausgeschlossen. Üblicherweise blieben auch Landbewohner vielfach von politischen Rechten ausgeschlossen. Das ländliche Leben verlief abgeschottet, die Menschen dort konnten nur selten lesen, der Zeitungsmarkt musste sich erst noch entwickeln, und Bauern hatten kaum die Mittel für eine Reise zum Wahllokal in der nächst größeren Stadt. Insofern lassen sich auch die nationalen Wahlen in den USA mit den Städtewahlen in Preußen vergleichen, denn das aufkeimende staatsbürgerliche Leben fand in den Städten statt. Es wäre aufschlussreich, vergleichende Studien über die Selbstverwaltung von amerikanischen und europäischen Städten durchzuführen, aber auch über den Anbruch politischen Lebens im ländlichen Raum. Gewiss ließen sich dabei weitere Parallelen aufzeigen. Dennoch erhoben die Wahlgesetze und -regulierungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits den Anspruch auf Allgemeinheit, womit sie der hier zugrunde liegenden Definition moderner Wahlen entsprechen: Prinzipiell alle Bürger oder alle Freemen durften wählen. Wurde bei vormodernen Wahlen festgelegt, welche konkreten Subjekte eine Stimme hatten (der Universitätsrektor, der Chef jenes Adelshauses oder der Rittergutsbesitzer), nannten moderne Wahlregulierungen nur wenige formalisierte und abstrakte Kennzeichen für die Gruppe der Wahlberechtigten (wie Alter, Rasse oder Eigentum) und bestimmten im Umkehrschluss diejenigen, die nicht wählen durften (etwa Armenhilfeempfänger, psychisch Kranke oder Verurteilte). Der Übergang von vormodernen zu modernen Wahlen verlief jedoch nicht ohne Kontinuitäten und bildete zahlreiche Hybride heraus. Im frühen 19. Jahrhundert bestätigten Wahlen noch oft den Amtsinhaber, und sowohl in Preußen als auch in den USA konnten Wahlämter über Generationen in einer Familie verbleiben. Das entsprach der Logik dieser Face-toface-Gesellschaften, in denen die angesehenen, wohlhabenden Männer das Sagen hatten. In beiden Ländern waren die Wahlen anfangs ein langwieriges Prozedere von staatstragender Umständlichkeit, für das letztlich nur ein einigermaßen wohlhabender Mann die Zeit aufbringen konnte. Wie so oft reproduzierte die Wahlpraxis die Evidenz von Inklusion und Exklusion: Allein das feierliche Zeremoniell des Wahlgangs unter den würdigen Herren hätte es niemandem in den Sinn kommen lassen, die unteren Schichten daran teilnehmen zu lassen.

Fazit

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In den USA hielten die Eliten die Wahlen für selbstverständlicher. Sie mussten daher in der frühen Republik nicht wie in Preußen mit einer Wahlpflicht bedacht und mit bedrohlichen Wahlaufrufen zur Stimmabgabe ermahnt werden. Da sie zudem an Wahlen zu nationalen Institutionen teilnahmen, war die staatliche Identität stärker: Amerikaner wählten die Abgeordneten für die Parlamente der Einzelstaaten und für den Kongress in Washington, zuweilen auch die Wahlmänner für das Präsidentenamt, falls diese nicht von den Regierungen der Einzelstaaten bestimmt wurden. Hinzu kam das Selbstverständnis, in einer Republik zu leben. Allerdings war die republikanische Rhetorik noch nicht die Sprache des Volkes, sondern das gelehrte Pathos gebildeter Eliten. In beiden Ländern sorgten Wahlen nicht zuletzt mit der Registratur für die Formation des Bewohners zu einem Subjekt der Regierungspraxis: für seine immer genauere Definition, zu der unabdingbar ein fester Wohnort gehörte, für seine Identifizierung als Staatsangehöriger, für die Festlegung von Zugehörigkeit. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen die übersichtlichen Landkarten mit Wahlergebnissen in Mode (Abb. 8), die das gouvernementale Interesse an den Wahlen versinnbildlichen: Das nationale Territorium wurde als durchherrschtes Gebiet präsentiert, das sich exakt nach der Gesinnung der Bevölkerung kategorisieren ließ. Auch die Verbindung der Wahlen mit der neuen Lehre der Statistik und die enge Kopplung des Wahlrechts an die Wehrpflicht verdeutlichen den Nutzen der Wahlen für die Regierenden. All das trug zur Staatskonsolidierung bei. Waren Wahlen zu Beginn des Jahrhunderts eine Antwort auf die anstehenden Probleme moderner Staatsbildung, so boten sie in der zweiten Jahrhunderthälfte für den fortschreitenden Prozess der Nationsbildung ein meisterhaftes Instrument. Mit Wahlen konnte die Staatsmacht den neuen Anforderungen nach nationaler Gemeinschaft und Gleichheit gerecht werden. So fällt die Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts in jene Zeit, in der die Massen von der Idee des Nationalismus ergriffen wurden: in die 1860er und 1870er Jahre. Aufgrund der gouvernementalen Nützlichkeit der Wahlen ist es wenig erstaunlich, dass sowohl in den USA als auch in Deutschland die Zentralmacht den Anstoß für die Einführung des universal suffrage für Männer gab. In den USA wollte die republikanische Regierung in Washington in den Jahren nach dem Bürgerkrieg mit Verfassungszusätzen und militärischer Gewalt das Wahlrecht der Afroamerikaner sicherstellen. In Deutschland erkannte

Beförderung des Wahlrechts durch die Herrschenden

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Bismarck zur gleichen Zeit die Chancen eines »allgemeinen Wahlrechts«, wie man das universal suffrage für Männer nannte, und forcierte seine Einführung auf Reichsebene. Beide Initiativen waren getragen von einflussreichen, bürgerlichen Eliten, den Liberalen in Preußen und den Abolitionisten in den USA . Mit der Einbindung der Bürger in die Nation konnte der Staat sie für seine wachsenden nationalen Aufgaben und seine vielfältigen neuen, komplexen Strukturen besser nutzen. Regierungen, aber auch die Bürger selbst feierten Wahlen zunehmend als Performanz der nationalen Einheit. Doch die globale Ausbreitung der Wahlen lässt sich nicht nur mit ihrer staatsbildenden und stabilisierenden Nützlichkeit erklären. Seit der Jahrhundertmitte, vor allem aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, entwickelten Wahlen ein emanzipatives Potenzial. Mehr und mehr Bevölkerungsgruppen konnten Wahlen für ihre Interessen einsetzen, auch wenn es nur selten wie bei den Afroamerikanern zu einer tiefen, alle Schichten umfassenden Begeisterung für das Stimmrecht kam. Die Forderungen der Frauenrechtlerinnen entwickelten sich von einer skurrilen Minderheitenposition in der Jahrhundertmitte zu einer ernst zu nehmenden Kraft um 1900. Für die Preußen wie für die anderen Deutschen gewann das Reichstagswahlrecht an Bedeutung, und die Wahlbeteiligung stieg bis zum ersten Weltkrieg auf über 80 Prozent an. Die Sozialisten, die zu den großen Profiteuren des liberalen Wahlrechts gehörten, wussten, welche Interessen sie mithilfe eines guten Wahlergebnisses durchsetzen konnten. Aber auch die anderen Wähler in Deutschland lasen immer häufiger die Zeitung und verstanden genug von Politik, um etwa ihren Katholizismus mit der Wahl der Zentrumspartei zu verteidigen oder als monarchisch gesinnte Bürger die Konservativen zu unterstützen. In den USA erreichte die Wahlbeteiligung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Der Schock amerikanischer Mittel- und Oberschichten war nicht gering, als die unteren Klassen, angeregt durch die Parteien, an der Urne auftauchten. Das hatten sie mit ihrer republikanischen Rhetorik nicht beabsichtigt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wehrten sich viele der Wohlhabenden und Gebildeteren gegen das universal suffrage. In den Jahren nach dem Bürgerkrieg bis in die Zeit um 1880 wuchs sich das zu einer offenen Ablehnung des allgemeinen Wahlrechts aus und führte zu einer Entfremdung der oberen Schichten gegenüber der Politik. In der Folge dienten Wahlen immer mehr der Exklusion. So entwickelte die inzwischen profes-

Fazit

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sionalisierte amerikanische Bürokratie um 1900 eine ausufernde Registraturpraxis, um die Nichtwahlberechtigten besser identifizieren und ausschließen zu können. Bis in die 1920er Jahre führten 19 Einzelstaaten einen Alphabetisierungstest für Wähler ein. Da seit den 1890er Jahren auch die Afroamerikaner erneut von den Wahlen ausgeschlossen wurden, gaben die USA das Prinzip der Allgemeinheit der Wahlen gerade in jener Zeit stillschweigend auf, in der sich in den anderen westlichen Ländern bei einer Mehrheit in der Bevölkerung ein Konsens für das universal suffrage herausgebildet hatte – und in der paradoxerweise die amerikanische Gesellschaft immer wieder ihr Bekenntnis zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht wiederholte und in der Frauen bereits in 13 US -Bundesstaaten wählen durften. Wahlen mit einer Massenbeteiligung bedeuteten ein unübersehbares Risiko, bei dem es nicht mehr lediglich darum ging, alte Familien in ihren Ämtern zu bestätigen. Die Niederlage der einen über die andere Partei konnte in den USA einen Bürgerkrieg entfachen. Und viele Preußen rechneten bei einem Sieg der Sozialisten mit der Apokalypse und dem Untergang ihrer Welt, während die Liberalen bei einem Triumph der Konservativen das Ende moderner Zeiten und kapitalistischer Blüten befürchteten. Tatsächlich stand im 19. Jahrhundert bei Wahlen viel mehr auf dem Spiel als in den heutigen Wohlstandsgesellschaften. Die Entwicklung der Massenwahlen ging folglich überall mit Eindämmungsversuchen einher: Mit klareren Regeln und mit Überwachung, aber auch mit Korruption und Drohungen versuchten die konkurrierenden Kräfte in der Gesellschaft, Wahlen zu kontrollieren. Das Dreiklassenwahlrecht wurde mithilfe von statistischen Schätzungen ausgearbeitet, um die Wahlen berechenbarer zu machen. Verglichen mit dem allgemeinen Männerwahlrecht in den USA lässt sich das preußische Klassenwahlrecht womöglich als Erfolg bezeichnen. Denn das amerikanische universal suffrage, das nach dem Bürgerkrieg um 1870 mit Militärgewalt durchgesetzt werden musste und dennoch in der Praxix nicht bestehen blieb, überforderte ganz offensichtlich die heterogene amerikanische Gesellschaft. Das Dreiklassenwahlrecht hingegen folgte dem Sicherheitsbedürfnis der Zeit, bot den Eliten eine gewisse Beruhigung und kam dem konservativen Verlangen nach Hierarchie entgegen. All das war in den extrem ungleichen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts von Bedeutung. So konnte das Klassenwahlrecht eine Brücke von einer traditionsorientierten Gesellschaft hin zu einer modernen Massen- und Partizipationsgesellschaft bilden und die Menschen an das Ver-

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fahren der Massenwahlen gewöhnen. Wie ein trojanisches Pferd hielt mit dem Klassenwahlrecht der Zeitgeist Einzug ins Zentrum der preußischen Macht. Niemand erkannte das deutlicher als die Konservativen, die in den ersten Jahren erbittert gegen das Dreiklassenwahlrecht ankämpften.

Ideale, Praktiken und Strukturen Die Idee der Gleichheit gab es schon lange vor der Moderne – im Christentum beispielsweise oder bei den neuzeitlichen Staatstheoretikern wie Hobbes und Locke. Doch erst in der Moderne wurde die Idee umgesetzt und konkretisiert, etwa durch die Menschenrechte oder in Form eines allgemeinen Wahlrechts, das aus der Gleichheit aller die Autonomie aller und damit ein Mitspracherecht aller Menschen ableitet. Dass die Durchsetzung der Gleichheitsideale im 19. Jahrhundert mit einem beispiellosen Wirtschaftswachstum zusammenfiel, war indes kein Zufall. Bis heute zeigt sich immer wieder der Zusammenhang von Demokratie und materiellem Wohlstand: So gibt es zwar Länder mit hohem Wohlstand, die keine Demokratien sind; doch jede funktionierende Demokratie hat eine funktionierende Marktwirtschaft, die für den relativen Wohlstand aller sorgt. Die Idee, alle Bewohner eines Territoriums als gleiche und gleichberechtigte Bürger aufzufassen, hing tatsächlich stark mit dem steigenden Wohlstand der Bevölkerung zusammen. Denn als Besitzende wurden sie für den Staat interessant, der immer mehr Geld für seine wachsenden Aufgaben benötigte. Daher konzentrierte sich das gleiche Wahlrecht in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zunächst auf die Steuerzahler und Vermögenden. Der anwachsende Wohlstand war also nicht deswegen demokratiefördernd, weil er die Menschen gleicher machte. Das ist schon deswegen nicht der Fall, weil die Ungleichheit bis zum Ersten Weltkrieg ein bisher nicht mehr erreichtes Ausmaß annahm, und doch war es das Jahrhundert der Massendemokratisierung. Meine These vom Wohlstandssockel und Basalrespekt hält dagegen, dass die verbesserten ökonomischen Bedingungen eine wesentliche Voraussetzung für Demokratie sind. Denn sie ermöglichen ein Minimum an materiellem Vermögen, das die vielen Menschen aus unwürdigen Verhältnissen holte, ihnen eine Existenz jenseits des täglichen Kampfs um das Überleben ermöglichte und Zugang zu kulturellen Ressourcen wie Bildung, Informationen, politischer Muße oder Verkehrsinfrastruktur bot, sie zu Steuerzahlern – und letztlich zu

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staatsrelevanten politischen Bürgern transformierte. Zugespitzt gesagt: Menschen, die in abgelegenen, kaum erreichbaren Regionen wohnten, wo die Kindersterblichkeit erbärmlich hoch lag, die in Dreck und ohne Kenntnis ihrer Umwelt lebten, deren Körper nicht nur der Natur, sondern in Form der Leibeigenschaft oder Sklaverei auch der Willkür anderer unterworfen waren – diese Menschen konnten kaum als gleiche und autonome Personen gedacht werden. Wohl auch deshalb blieb das Wahlrecht von Menschen, die als Sklaven gearbeitet hatten, für viele weiße Amerikaner ein unfassbarer Skandal. Ähnlich wie bei der Kategorisierung der Frau lässt sich auch hier mit Bourdieu von einer »somatischen Evidenz« der konstruierten Minderwertigkeit sprechen.2 So lässt sich zumindest teilweise die Demokratieaversion in Pommern und South Carolina erklären: Diese unflexiblen Gesellschaften der Großgrundbesitzer blockierten einen angemessenen Wohlstandsanstieg in den unteren Schichten und verhinderten damit lange Zeit die Wahlrechtserweiterung. Anders als in den Nordstaaten Amerikas, den südwestdeutschen Staaten oder dem preußischen Rheinland musste daher in diesen zerklüfteten Gesellschaften das moderne Wahlrecht von oben, gegen die lokalen Eliten oktroyiert werden. In Preußen war die Zentralmacht stark genug, um nach und nach die Massenpartizipation zu erzwingen: 1808 die preußische Städteordnung mit einem schon recht niedrigen Zensus, 1848 das allgemeine Männerwahlrecht, 1867/69 dann das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht für den Reichstag. Die Zentralmacht in Washington hingegen hatte weit weniger Interventionsmöglichkeiten als Berlin, was trotz der verfassungsmäßigen Gewährung des Wahlrechts nach dem Bürgerkrieg letztlich zur erneuten Entrechtung der afroamerikanischen Bevölkerung führte. Auch der Blick auf die Praxis relativiert die Bedeutung von Ideen. Die Expansion des Wahlrechts in den USA in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgte keiner politischen Strategie. Sie ergab sich nicht zuletzt daraus, dass weiße Männer, die bei den Wahlen auftauchten, kaum noch abgewiesen werden konnten. Die neuen amerikanischen Kommunen mit ihren fluktuierenden Einwohnerschaften besaßen vielfach keinen bürokratischen Apparat, der Alter, Staatsbürgerschaft, Aufenthalt oder Eigentum nachweisen konnte. Gerade im Westen, wo es außer den self-made men vor Ort wenig gab und ohnehin die Selbstjustiz herrschte, hätte die Ableh2

Bourdieu, Herrschaft, S. 162.

Ideale, Praktiken und Strukturen

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nung eines weißen Mannes noch weniger Sinn ergeben. Und warum sollte auch gerade die ferne Staatsmacht die Spielregeln für Wahlen vorgeben? »Free elections«, ein Slogan, den die Amerikaner landauf, landab immer lauter riefen und als hehres Prinzip beschworen, bedeutete für viele: Wahlen nach den Regeln der Männer vor Ort. Die Entscheidung, wer wählen durfte, wurde oft direkt im Wahllokal mit Gewalt herbeigeführt. Die physisch stärkere Partei ging daher häufig als Siegerin hervor. Immer wieder kam es auch zu dem bemerkenswerten Phänomen der erzwungenen Abstimmung: Arme Teufel, häufig alte oder kranke Männer, aber auch Fremde oder Gefängnisinsassen, wurden von Parteigängern zur Stimmabgabe gepresst und oft von Wahllokal zu Wahllokal geschleppt. In der Regel aber bemühten sich die Parteimänner, die Bürger ohne physische Gewalt zum Wählen zu bewegen. Auch deswegen wurde Alkohol so wichtig. Freibier entwickelte sich überall zu einem Begleiter des allgemeinen Männerwahlrechts. Insgesamt war die partizipative Kultur im 19. Jahrhundert auf verstörende Weise mit Männlichkeit und Gewalt durchsetzt. Gesetze hinkten in den USA der Praxis vermutlich vielmals hinterher, indem sie nachträglich die Eigentumsanforderungen abschafften oder gar in manchen westlichen Territorien das Ausländerwahlrecht zuließen. In einigen der etablierten Staaten mit einer funktionierenden Bürokratie wie in Rhode Island oder den Südstaaten wurde entsprechend die Wahlrechtserweiterung noch lange Zeit verhindert. Die Regierungen dort bestanden darauf, dass sie die nützlichen, vermögenden Bürger mit Partizipationsrechten einbinden wollten, nicht aber die Abenteurer, Einwanderer und wilden Habenichtse. Waren es zu Beginn des Jahrhunderts die würdigen, wohlhabenden oft auch älteren Herren, die das Wahlgeschehen dominierten, so nahmen in den USA zunehmend die kräftigen, jungen weißen Männer das Heft in die Hand. Sie frönten den mehrtägigen Wahlen und prügelten sich, soffen und feierten ihre Potenz als Staatsbürger. In Preußen lag das Wahlalter nicht nur um drei Jahre höher (auf der Reichsebene sogar um vier Jahre), das hegemoniale Männerbild entsprach auch weniger als in den USA dem wilden, bärtigen Kerl. Das änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts. Während die Abstimmung bei den preußischen Klassenwahlen ohne Reiz blieb und die Wahlbeteiligung nur selten 30 Prozent überschritt, füllten sich die Wahllokale bei den gleichen und allgemeinen Reichstagswahlen mit Leben. Die gut organisierten Arbeiter, die ohnehin zu den jüngeren Wählern gehörten, drängten sich in den Mittagspausen und am Feierabend um die Urnen.

Fazit

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Insgesamt galt sowohl für die USA als auch für Preußen: Der freie Mann, der als Bürger und als Herr der Straße zum Wahllokal lief, der dem Alkohol zusprach, sich prügelte, im Tabaksqualm Politik diskutierte, der vor der Wahlkommission laut seinen Namen nannte, der seine Stimme abgab, dieser Mann vollführte eine Performanz der Selbstbestimmung und der Herrschaft. Der Wahlakt kann daher auch als eine rituelle Zeremonie zur Rechtfertigung und ständigen Reproduktion männlicher Herrschaft interpretiert werden.3 Die Konnotation mit Männlichkeit kam der Attraktivität des Staates zugute, auf den sich die Wahlen bezogen. Die männliche Durchdringung des Wahlaktes bestärkte seine Legitimationskraft. Sowohl die Amerikaner als auch die Preußen feierten ihre Herrschaftsform – die Demokratie ebenso wie die Monarchie – als besonders männlich und überlegen.4 Der ganze Wahlverlauf bestätigte die Unsinnigkeit weiblicher Präsenz – oder vielmehr: Hier konnte kaum jemand auf die Idee verfallen, Frauen in das Geschehen einzubeziehen. So diente die Praxis – die ebenso für Stabilität wie für Veränderungen sorgen kann – im Wahllokal mitsamt der Materialität des Settings und mit den Körpern der Akteure als beständige Erinnerung und Bestätigung der männlichen Herrschaft.5 Als Frauen in den USA damit begannen, bei den Wahlen aufzutauchen, funktionierte das nicht. Die evidente Männlichkeit war zu stark. Es bedurfte abstrakter, vom Recht vorgegebener Regulierungen, um die Gesetze der Körper und des Habitus zu brechen. Dennoch dürfen Ideen in der Demokratiegeschichte nicht unterschätzt werden. Die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts wären ohne die Ideale der Aufklärung nicht denkbar gewesen. Die intellektuellen Eliten von Hardenberg bis Jefferson lebten und dachten mit aufklärerischem Gedankengut. In ihren Schriften und mit ihrem politischen Einfluss gaben diese Männer den Anstoß für Neuerungen, auch wenn es oft Jahre dauerte, bis sich die Ideen in der Breite der Bevölkerung entfalteten. Auf dem Boden aufklärerischer Ideale entwickelte sich auch die Vorstellung von der Nation, eine der attraktivsten Ideen des 19. Jahrhunderts. 3 4

5

Bourdieu spricht von »Spielen« der Männer (Bourdieu, Herrschaft, S. 189). Bourdieu beschreibt die Ur-Illusion, die den Mann zum Manne macht: Sinn für Ehre, Männlichkeit, manliness, das Eigentliche, die »unumstrittene Basis aller Pflichten gegen sich selbst«, in der Sprache der von Bourdieu analysierten Kabylen ist es die »Kabylität« (Bourdieu, Herrschaft, S. 189). Bourdieu, Herrschaft, S. 162–167.

Analogien und Unterschiede zwischen Preußen und den USA

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Sie sorgte wesentlich für die Konkretisierung von Gleichheit. Damit diente sie nicht nur den Staatenlenkern als Disziplinierungsmittel für das Individuum, indem sie Menschen zu Staatsbürgern mit zahlreichen Verpflichtungen machte (bis hin zur Pflicht, für den Staat freudig in den Tod zu ziehen). Umgekehrt öffnete die Idee der Nation auch den Weg für die Umsetzung der Autonomie aller Menschen. Dabei wurde die Egalisierungskraft der Nationsidee deutlich: Ein Deutscher war ein Deutscher, egal ob er von niedriger oder hoher Geburt war, Geld oder einen akademischen Abschluss besaß. Nationsbildung und Massenwahlen gingen folglich fast immer Hand in Hand. Die moderne, egalitäre Identitätsstiftung durch die Nation, die »alle«, das »Volk« oder auch »die ganze Nation« integrierte, schuf eine unüberbietbare Legitimation für den Staat. Wahlen dienten dabei als Scharnier: Sie verbanden performativ die gleichen Individuen als Staatsbürger mit dem Staatsapparat, und sie konstruierten die Verantwortung des Subjektes für das Staatsgeschehen. Diese legitimierende Kraft war in den USA besonders wichtig. Denn bei den Wahlen ging es nicht zuletzt darum, im Chaos des jungen Staates die Fiktion von legitimer, demokratischer Herrschaft aufrechtzuerhalten. Dass Wahlen auch eine Antwort auf die Anforderungen der Gleichheitsideale sind, zeigt ihre enge Verbindung mit dem Protestantismus, die auch Tocqueville registriert hatte.6 Die evangelischen Kirchen gehörten zu den ersten Institutionen, die in ihren Gemeinderäten moderne Wahlen praktizierten. Es wäre eine interessante Forschungsfrage, warum die Entwicklung des allgemeinen weißen Männerwahlrechts etwa in den USA mit der Expansion des evangelikalen Protestantismus einherging.7

Analogien und Unterschiede zwischen Preußen und den USA Wie synchron die Entwicklungen des Wahlrechts in Preußen und den USA verliefen, lässt sich anhand weniger Daten veranschaulichen: In beiden Ländern waren Wahlen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Angelegenheit von Honoratioren, die nur wenige Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten. Der entscheidende Durchbruch zu einem umfassenden Wahlrecht für weiße Bürger kam in den USA um 1840, wenige Jahre bevor in 6 7

Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 8, s.a. S. 14. Goldfield, America Aflame, S. 5.

Fazit

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Preußen 1848 das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht installiert wurde.8 In den USA besaßen dann etwa 15 Prozent, in Preußen knapp 20 Prozent der Gesamtbevölkerung das Stimmrecht. Auch wenn Preußen das egalitäre Stimmrecht 1849 durch das restriktivere Dreiklassenwahlrecht ersetzte, so blieb prinzipiell das Stimmrecht für alle Männer erhalten. Um 1870 kam es zu einem erneuten Durchbruch: In den USA erhielten die Afroamerikaner das Stimmrecht, in Preußen wurde neben dem geltenden Dreiklassenwahlrecht auf Länderebene 1867 das allgemeine und gleiche Wahlrecht auf Reichsebene eingeführt. Sowohl in den USA als auch in ganz Deutschland besaßen daraufhin über 20 Prozent der Gesamtbevölkerung das Wahlrecht. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stieg die Wahlberechtigung in Deutschland auf 22 Prozent an, in den USA nicht zuletzt aufgrund des niedrigeren Wahlalters auf 28 Prozent. Die Unfreiheit der Wahlen, die für Preußen wegen der Manipulationen immer wieder betont wird, erweist sich durch die Analyse der Wahlpraxis als ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, das die amerikanischen Wahlen in viel stärkerem Ausmaß prägte. In den USA , wo die Zentralmacht weniger zu sagen hatte als in Preußen und dem Deutschen Reich, lenkten vor allem die Parteien die Wahlmanipulationen. Hinzu kam in den Vereinigten Staaten eine von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen betriebene systematische Korruptions- und Gewaltkultur, die so in Preußen nicht denkbar war: mit ausuferndem Stimmenkauf und dem Einsatz von physischer Gewalt. Als die föderale Gewalt in den Vereinigten Staaten stärker und wichtiger wurde, griff auch sie in das Wahlgeschehen ein: Die von den Republicans geführten Zentralregierungen nach dem Bürgerkrieg betrieben Manipulationen, um ihrer Partei und ihren Gleichheitsidealen zum Sieg zu verhelfen. In den Südstaaten wiederum lenkten in der Zeit nach der Reconstruction die von den Democrats dominierten Regimes mit allen nur denkbaren Mitteln die Wahlen zu ihren Gunsten. Um die Wende zum 20. Jahrhundert materialisierte sich die Parallelität in Deutschland und den USA in einer einheitlichen Wahltechnik. Trotz al8

Zu den Zahlen vgl. Kap. 1, wobei die Einbeziehung weiterer westlicher Länder die synchronen Linien verstärkt: So begann sich das Wahlrecht in den USA in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wesentlich früher als in Preußen auszubreiten, doch etwas später als in Baden, wo 1818 rund 17 Prozent das Wahlrecht besaßen, oder in Württemberg, wo es 1819 etwa 14 Prozent waren. Vgl. Becht, Wahlen, S. 18; Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 84; Brandt, Konstitutionalisierungswelle, S. 831; Hettling, Reform, S. 124.

Analogien und Unterschiede zwischen Preußen und den USA

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len andauernden Beharrungstendenzen in Preußen und trotz einer offenen Feindschaft der amerikanischen Eliten gegen das universal suffrage während der Jahre nach dem Bürgerkrieg sowie einer anhaltenden Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen, bildete sich in beiden Gesellschaften ein relativ breiter Konsens für Massenpartizipation heraus. Diese Zustimmung ging einher mit der Verankerung jener Werte – man könnte auch sagen: Mythen –, die bis heute mit der Institution der Wahlen verbunden werden, mit Freiheit, Gleichheit, Rationalität. In beiden Ländern sorgten gebildete Eliten, die in Deutschland anders als in den USA eng mit der Bürokratie verbunden waren, für Wahltechniken, die diese Mythen unterstützten: Der von der Agitation abgeschlossene Wahlraum, die zusätzliche Isolation in der Wahlkabine, der neutralisierte Stimmzettel, die genau vorgeschriebene Choreografie für den Wähler innerhalb des Wahlraums erschwerten jeden Einfluss von außen und erhöhten damit die Autonomie des Wählers. Die Geheimhaltung sollte Korruption und Manipulationen ausschließen. Weder Kirchen noch Parteien noch die Dorfgemeinschaft sollten den Wählerwillen beugen – was sich theoretisch als funktionale Spezifizierung fassen lässt. Insbesondere in den USA wurde dabei deutlich, wie wichtig für die Gleichheit und die Rationalität der Wahlen der Schutz des Körpers war – nicht zuletzt für die Gleichberechtigung der Frauen. Zur Rationalisierung gehörte auch ein strenges Zeitregime. Zeit wurde in der Moderne immer kostbarer. Die Wahlreformer sorgten zum Teil mit Minutenangaben dafür, dass der Wahlakt mit neuen Techniken in kürzester Zeit absolviert werden konnte. Wahrscheinlich ist ein Grund für die Langlebigkeit des Wahlverfahrens, dass es ungemein praktikabel und niedrigschwellig ist und von den Bürgerinnen und Bürgern nur wenige Minuten abverlangt. – Die neuen Wahltechniken ließen den Wahlakt als eine Performanz der Bürgerlichkeit deutlich werden. Das Gelingen dieser Performanz hing von Disziplin und von Nüchternheit ab, von Erziehung und Bildung – denn wie anders sollte der Bürger eine vernunftgesteuerte, sachorientierte Entscheidung treffen können? Im Rahmen des säkularen und transatlantischen Rationalisierungsprozesses etablierten sich Wahlen als bürokratisierter und standardisierter Akt zu einem unverzichtbaren Legitimationsmittel für jede Herrschaft, die sich zur Gemeinschaft der »zivilisierten Nationen« rechnen wollte. Von nun an bekannte sich jedes Herrschaftsregime im Westen und immer mehr auch in anderen Ländern zur »Volksherrschaft«. »Zivilität« und

Fazit

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»Kultur« – in Deutschland oft synonym gebraucht – wurden auch mit modernen Wahlen und modernen Wahltechniken in Zusammenhang gebracht. Wahlen entwickelten sich um 1900 zu einem Teil des »globalen Prozesses der Verwestlichung« .9 Wie stark Idee und Praxis der Wahlen von den Antinomien der Moderne durchdrungen waren – von Freiheit und Zwang, von Gleichheit und Purifizierung, von Inklusion und Exklusion –, wird auch an der Rationalisierung der Wahlentscheidung deutlich: Sie lässt sich als »Purifizierungsstrategie der Moderne« verstehen: »Rationalität ist hier als ein Ensemble von Praktiken zu dechiffrieren, die eine kulturell spezifische Form des als rational Anerkannten hervorbringen und demonstrieren, sowie von Diskursen, die diese rhetorisch unterfüttern«, so Andreas Reckwitz.10 Die Integrationsmacht der Wahlperformanz forcierte immer wieder Exklusionen. In Preußen kam gerade am Wahltag die prekäre Stellung der »Anderen« – wie der Katholiken oder der Polen – ans Licht. Und in den USA sorgte beispielsweise die zunehmend bessere Organisation der Wahlen für eine effizientere Exklusion und Segregation von Analphabeten oder Fremden. Doch wie plausibel sind die Parallelen zwischen den USA und Deutschland im 19. Jahrhundert? Ist die Argumentation nicht verkürzt, wenn der Fokus auf den Wahlen liegt und nicht auf den Institutionen, die zur Wahl stehen? Aber auch die großen und grundsätzlichen Unterschiede im Parlaments- und Regierungssystem vermögen die Parallelitäten nicht aufzuheben. Deutschland war nicht die Pickelhaubenfratze, die deutsche Karikaturisten im Kaiserreich gerne davon zeichneten, sondern im europäischen Vergleich ein recht durchschnittlicher konstitutioneller Staat, und der Reichstag erwies sich keineswegs als schwaches Parlament. Auf der anderen Seite bot das amerikanische Partizipationssystem nicht nur liberale, sondern auch reaktionäre Elemente: sei es durch den Ausschluss immer neuer Gruppen, wie der Afroamerikaner oder der Analphabeten bis weit ins 20. Jahrhundert, sei es durch die Indirektheit der Wahlen nicht nur bei der Kür des Präsidenten, sondern in manchen Staaten auch bei der Wahl der Senatoren. Die Bedeutung des Reichstags zeigte sich schließlich nicht zuletzt anhand der steigenden Wahlbeteiligung, die vor dem Ersten Welt9 10

Osterhammel, Kolonialismus, S. 100; Bayly sprach von »global uniformity« (Bayly, Geburt der modernen Welt); vgl. Markoff, From Centre to Periphery and Back Again. Reckwitz, Moderne, S. 240.

Analogien und Unterschiede zwischen Preußen und den USA

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krieg bei über 80 Prozent lag, während sie in den USA im gleichen Zeitraum auf unter 60 Prozent absank. Zudem gelang es dem amerikanischen Parlament nicht, das von ihm beschlossene Stimmrecht für die Afroamerikaner zur Geltung zu bringen. Die Analogien zwischen Preußen und den USA sollten jedoch nicht über die grundlegenden Unterschiede hinwegtäuschen. Alle amerikanischen Staatsgeschäfte waren schließlich durchdrungen von Demokratie, fast jedes Amt wurde gewählt. Das politische Leben war beseelt von demokratischer Rhetorik. Die Amerikaner fühlten sich als Demokraten, auch wenn sie die physische Gewalt nicht kontrollieren konnten und Minderheiten am Spiel nicht teilnehmen ließen, sie priesen das universal suffrage, auch wenn sie es de facto außer Kraft setzten. Die meisten Preußen empfanden sich als Monarchisten, auch wenn sie wählten; sie fühlten sich selbstverständlich in aller Regel der Verfassung und den Gesetzen verpflichtet, die ihnen die Gleichheit jedes Preußen vorschrieben. Es stellt sich bei diesem Unterschied also die alte Frage, welche Bedeutung dem Rechtsstaat bei Demokratisierungsprozessen zukommt. Auch in den Details der Wahlkultur zeigen sich Gegensätze: Dazu gehört die ganz unterschiedliche Rolle der Staatsmacht. Die preußische Zentralgewalt band die Wahlen viel enger an den Staat. Der starke Staat begleitete die Wahlen mit Überwachungsberichten, intensiven Wahlvorbereitungen und Manipulationen, jedoch so gut wie niemals mit direkten Fälschungen. Hingegen folgte aus der relativen Schwäche des amerikanischen Staates die spektakuläre Rolle der Gewalt und eine ausufernde Korruptions- und Fälschungspraxis. Da vielfach die Parteien als die wichtigsten Akteure im amerikanischen Staatsleben die Korruption zu verantworten hatten, befeuerten sie die heftigen antiparlamentarischen und Anti-Parteien-Diskurse, die in den USA ohnehin eine lange Tradition hatten. Für die beiden Vergleichsländer spielt – wie immer – die Historiografie eine wesentliche Rolle bei der Identitätskonstruktion. Die Geschichtsschreibung hält neben der preußisch-deutschen Autoritätsversessenheit eine geradezu globale Erzählung von der amerikanischen Demokratie im 19. Jahrhundert bereit.11 Dieses dichotomische Narrativ verdankt sich auch dem Ersten Weltkrieg, als Präsident Woodrow Wilson mit seiner Rede vom 2. April 1917 über den Kriegseintritt der USA den Konflikt zu einem Kampf um Demokratie erklärt hatte. Mit dem im 19. Jahrhundert wurzeln11

Vgl. die treffende Kritik dazu von John Dunn, Breaking Democracy’s Spell.

Fazit

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den amerikanischen Analyseinstrument einer manichäischen Weltordnung zwischen freier Welt und tyrannischer Welt wurde Deutschland als monarchische Despotie in Gegensatz zu den »demokratischen Regierungen« der Alliierten gestellt. »Wir werden für die Dinge kämpfen, die unserem Herzen immer am nächsten standen – für die Demokratie«, konstatierte Wilson.12 Die Einschätzung Deutschlands als nicht zugehörig zur »zivilisierten«, freien Welt stieß in Deutschland auf Unverständnis, teilweise auch auf Empörung.13 Marcus Llanque hat diese Diskussionen und das demokratische Denken während des Weltkrieges detailliert aufgezeigt.14 Vieles spricht dafür, dass solche Demokratiediskurse für Deutschland typischer waren als Thomas Manns 1918 erschienenen »Betrachtungen eines Unpolitischen«; der langatmige Essay aber muss immer wieder als Zeuge der deutschen Seelenlage vor 1945 herhalten, als Nachweis für eine romantische Rückwendung zu deutscher Demokratiefeindschaft. Doch die Mehrheit der Deutschen sah nach dem Ersten Weltkrieg ihre Zukunft in einem Staat mit demokratischen Grundregeln – auch wenn viele das gerne wie in England mit einer Monarchie kombiniert hätten. Eine Monarchie ohne demokratische Komponenten gehörte für die meisten Deutschen jedoch ebenso wenig zur Vision eines gelungenen Staates wie eine bolschewistische Räterepublik. So befürwortete auch die Arbeiterbewegung, die vor dem Weltkrieg über viele Jahre eine erfolgreiche parlamentarische Arbeit geleistet hatte, Neuwahlen für eine Verfassungsgebende Nationalversammlung. Die Deutschen hatten – mit Margaret Anderson gesprochen – Demokratie über Jahrzehnte in der Praxis des Wählens erlernt.15 Am 19. Januar 1919 wählten sie erstmals nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht ihr nationales Parlament. Knapp zwei Jahre später, am 2. November 1920, fand auch in den USA erstmals bundesweit die Stimmabgabe unter Einbe12

13

14 15

United States Declaration of War aganist Germany, 6. 4. 1917, von Woodrow Wilson, in: Presidency Project (Quellen der US -Präsidentschaften), http://www.presidency.ucsb.edu/ws/?pid=65366 [23. 10. 2014]. Hans Delbrück, »Monarchie und Parlamentarismus im Kriege«, Preußische Jahrbücher, 25. 3. 1916; ganz ähnlich auch Ferdinand Tönnies, s. Llanque, Demokratisches Denken, S. 119 u. 121; vgl. auch »Friedrich der Große und die Vereinigten Staaten«, Berliner Volks-Zeitung, 3. 4. 1917. Llanque, Demokratisches Denken. Zu dieser früher schon vertretenen Einschätzung kommt die einschlägige jüngere Forschung: Müller, Das demokratische Zeitalter, S. 55f.; Biefang, Zeremoniell, S. 253; Mares, Open Secrets, S. 231.

Analogien und Unterschiede zwischen Preußen und den USA

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ziehung der Frauen statt. – Gewiss, die anhaltende Attraktivität und Zählebigkeit der dichotomischen Geschichtserzählung erklärt sich inbesondere aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ist das Dichotomienarrativ seither nicht geradezu eine Beschwörung – die Hoffnung, das schier Unfassbare in einer Geschichte des deformierten Volkes bannen zu können? Doch gerade, wenn wir die Suche nach Erklärungen für die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus ernsthaft betreiben wollen, dürfen wir uns nicht vorschnell den alten Klischees hingeben. Erstaunlich ist, dass Wahlen trotz ihres Missbrauchs in Diktaturen bis heute nicht ihre Attraktivität eingebüßt haben. Das ist ihnen wie anderen stabilen und erfolgreichen Institutionen wohl deswegen gelungen, weil sie immer wieder neue Funktionen an sich zogen. Ihre zentrale Aufgabe aber bleibt, dass sie die große Legitimationsfiktion der Moderne verdinglichen und symbolisieren kann: die Demokratie. Das heißt, Wahlen bieten ein relativ zuverlässiges Verfahren, um das Dilemma moderner Herrschaft zu plausibilisieren: auf der einen Seite Herrschaft und Dominanz zu legitimieren, auf der anderen Seite das im 20. Jahrhundert zu den self-evident truths der westlichen Welt gehörende Gebot der Autonomie des Individuums und der Gleichheit aller Menschen zu berücksichtigen.16 Das ist viel. Und es ist unnötig, die Bedeutung von Wahlen zu überhöhen. Wahlen waren meistens ein dröger Akt, bei dem das Volk immer wieder mit Kampagnen angetrieben werden musste – im 19. Jahrhundert sogar mit Gewalt, mit Korruption, mit Manipulation. Eine niedrige Wahlbeteiligung, mit der die Obrigkeit so oft ihre Not hatte, ist in der Wahlgeschichte keine Ausnahme. Häufig waren es die bürgerlichen Eliten, die sich um die Wahlen sorgten und hofften, darin ihre aufklärerischen Ideale von Gleichheit, Autonomie und Rationalität verwirklicht zu finden. Die Wahlpraxis zeigt auch: Das Projekt Demokratie, dessen Ansprüche sich nie ganz einlösen lassen, eignet sich nur bedingt für Pathos. Missverstehen die Untergangsgesänge auf die Demokratie, die Postdemokraten und andere Vertreter einer reinen Lehre anstimmen, nicht schlicht den (notwendig) fiktionalen Charakter von Demokratie?

16

Vgl. Hegewisch, Mehr Demut wagen, S. 171.

573

Anhang

Abkürzungen

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Abkürzungen American Historical Review Charleston County Public Library Dept. Department FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung HStASt Hauptstaatsarchiv Stuttgart ICW International Council of Women NYCMA New York City Municipal Archives NAACP National Association for the Advancement of Colored People NY New York NYC New York City NYT New York Times RLB Reichslandbund RT Reichstag SC South Carolina SCAHD South Carolina Archives & History Department Staatsmin. Staatsministerium Sten. Ber. Stenographische Berichte StO Städteordnung Konst. Norddt. RT Konstituierender Norddeutscher Reichstag preußisches Abgeordnetenhaus (ab 1855) pr. AH preußische Zweite Kammer (1849–1855) pr. ZK AHR CCPL

Quellen

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Quellen Ungedruckte Quellen Bundesarchiv (BA ) DB 8, Bundeszentralbehörde, 1830–1844: 3, Bd. 2; 4, Bd. 3, 7 DB 50, Vorbereitende Versammlung für ein Deutsches Parlament und Fünfzigerausschuss, 1848: 3, 4, 14, 21, 24–27 DB 51, Deutsche Nationalversammlung, 1836–1851: 49–59, 329, 380, 454 R 101, Reichstag des Deutschen Reiches, 1867–1938: 3342 R 1401 Reichskanzleramt: 4, 100, 1027, 1432–1434, 1538 R 1501 Reichsamt des Innern bis 1879: Reichskanzleramt: 114450, 114463f., 114467, 114470–114475, 114509, 114641, 114647, 114693, 114702, 114724, 116602 Reichslandbund R 8034, II (Presse): 4005, 5072–5082, 5086, 5849–5853, 6566, 7988 R 43 Alte Reichskanzlei: 685f., 1068, 1073, 1788–1793, 1804, 1886, 1888 NS 26, Hauptarchiv der NSDAP : 793 National Archives and Records Administration (NARA ) RG 48 Department of the Interior: E 324; E 338; E 348; E 357; E 362; E 647; E 318; E 713, boxes 62–69; E 713, Boxes 81f.; E 748, Box 17; E 748, Box 92; E 748, Box 224f.; E 748, Box 292; E 748, Box 323; E 749; RG 59 State Department: E 100, E 103–105, E 115, E 112-A1, E 159. RG 60: E A1–9, Cont. 77, Letters Received 1809–70; E A1 9, Letter Received, Delaware, 1852/70, Cont. 78; E A1 9, Cont. 96, Letters Received, 1809–1870; E A1 9, Cont. 121; E A1 9, Cont. 122; Entry A1 9, Cont. 140, 1863/1870, West Virginia; E 2, Opinion Books; E 6, Letters Received; E 7, Letter Received; E 9, Letters Received; E 48, Register Requests Opinion; E 54, A 1, Source Chronological Files; E 54, 1871/1884; E 54, 7202/1888, Box 376; E 54, 4728/1889, Box 417; E 55; Letters Received; E 56, Source Chron. Files, Alabama 1872; E 56, Box 751, Letters Received, Source Chronological Files, 1871–84; E 56, Box 923, Letters Received, Source Chron. Files, 1871–84, E New York; E 56, Letters Received by the DJ from Dakota, 1871–84; E 56, Box 966, Letters Received, Source Chron. Files, 1871–84; E 56, Source Chron. Files, E. Virginia, 1876; E 56, Letters Rec by DJ , Georgia, 1871–84; E 56, Letters Received by DJ from Mississippi, 1871–84; E 56, Letters Received by DJ from Lousiana, 1871–84; E 56, Source Chron. Files, Maryland, 1877; E 59, A1; E 72, Years Files; E 56, Virginia, Letters Received by DJ , 1871–84; E 114, Classified subjects files, 72–35; E 114, 72–16–1, File 72–18; E 114, 72–41–4 / 72–43–15; Connecticut, 1876–78, Source Chron. Files, PI -194E-56, Box 640; West Virginia, 1874–76, Source Chron. Files, PI -194E-56, Box 1040; PI -194E-56, Source Chronological Files, 1871–84, Box 600; PI -194E-56, West Virginia, 1871–1874, Box 1039; West Virginia, 1874–76, Source Chron. Files, PI -1xE-56, Box 1040; West Virginia, 1877–78, Source Chron. Files, PI -194E-56, Box 1041; Western Wisconsin, 1874–1877, PI -194E-56, Box 1058. Group 46 (Records of the Senate): Sen 16A-J1; Sen 16A-J2; Sen 22A-J1; Sen 22A-J2; Sen 24A-J1; Sen 24A-J2; Sen 24A-H3; Sen 26A-J1; Sen 26A-J2; 28A-D7; Sen 28A-J1; Sen 28A-J2; 65A-F18; Sen 30A-K1; Sen 30A-K2; Sen 31A-K1; Sen 38A-K1; 39A-H4; 53A-J18.1; 54A-J19.3

Quellen

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RG 128: Senate Commitee, 18th Congress; Senate Coms, 20th Congr.; Senate Com. 22th

Congr.; Senate Com. 24th Congr.; Senate Com. 28th Congr.; Senate Com. 39th Congr. House, 24th; House, 22nd, House 26th; House 28th; House 39th Congr.

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK ) I. HA Rep. 76, Seminare: 1915, 2417, 10311, 10318 I. HA Rep. 81, Hamburg: 255, 274, 277, 286, I. HA , Rep. 89, Geheimes Zivilcabinet, Jüngere Periode, Nr. 210–14, Reichstag 1866–1918: 186f., 210f., 215, 231, 245, 362, 859, 13094, 13858, 14200, 16005–16007, 16048, 16049.37, 16078.29–31, 16080.31, 16081.32, 16082.33, 16083.34, 21690, 14198, 14294f., 3201 I. HA Rep. 90, Staatsministerium, 1714–1945: XLVII .2.20, VIII .1.d., 1. IV – XII I. HA Rep. 90 A Staatsministerium Jüngere Registratur: 17, 111, 112, 116, 128, 133, 135, 190, 307, 2566, 3192, 3225–3231, 3238–3242–3249, 3253, 3328, 3906, 4466f. I. HA Rep. 151, II , Wahlen zum Abgeordnetenhaus und Reichstag: 31, 1894, 11528 I. HA Rep. 151, III , Städte-Ordnung: 11528 I. HA Rep. 151, HB , Wahlen zum Landtag und zum Reichstag, Bd. 1: 543–545, 547f., 589 I. HA Rep. 169 B, 1847–1848: 1b B 4.1–2, 1b 23, 1b C 1, 1b C 15a, 3.3, 3.5, 3.6, 4.21, I. HA Rep. 169 C 4: 11, 12A I. HA Rep. 169 C 76, Abgeordnetenhaus. Verfassungs-Sachen: 1a-c, 16, 22.2, 30.1 I. HA Rep. 169 C 80, Abgeordnetenhaus. Wahlangelegenheiten (1849–1918): 1, 2.1–5, 2a, 2c.1–2, 2e, 4.1–12, 4.17, 4a.1, 4b.1, 6f., 9.1–7, 10f., 11a, 13, 16, 18.1–5, 18a.2–5, 18c.1, 18d, 19.1, 21, 22.1–3, 24.1, 25, 27f., 32 VI . HA Nl Boetticher, K., 31 VI . HA FA Camphausen: 181, 567 VI . HA NL Forckenbeck, M: 15, 17, 25 VI . HA Nl Gneist, R.: 29, 32 VI . HA Nl Grimme, A.: 3195 VI . HA Nl Kapp, W.: 810 VI . HA Nl Kapp, W.: 39 VI . HA Nl Krieger, R.: 20, 26, 36, 42, 84, 121 VI . HA Nl Meinecke, F.: 81 VI . HA Nl Merckel, W. v.: 13 VI . HA Nl Prümers, R.: 57 VI . HA Nl Zitelmann, K.: 93, 95 XVI . HA , Rep. 30: 554, 556, 564, 569, 575, 575.2, 580–583, 588–590, 595f., 600, 602, 606f., 609–612, 615, 690, 700, 1189, 2964, 2972f. Landesarchiv Berlin A Pr.Br.Rep.030, Polizeipräsidium Berlin: 8548, 9755, 10375, 11437, 13010, 13112, 13166, 13627, 14005, 14058, 14077, 14098f., 14105, 14305, 14331, 15063, 15082f., 15101, 15335, 15338, 15513, 15531, 15534f., 15538–15540, 15542, 15550, 15546f., 15559f., 15988f., 15994f. A Pr. Br. Rep. 030–05 A Rep. 00–02/1: 185.4 A Rep. 000–02–01, Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin: 3–5, 29, 47, 49, 55, 68, 147, 232, 1239f., 1292, 1304

Quellen

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A Rep. 001–02:, 2571–2573, 2576, 2585, 2529–2534, 2601, 2605 A Rep. 001–02, Magistrat der Stadt Berlin, Generalbüro: 2453–2464, 2588f., 3843f., A Rep. 001–03, Magistrat der Stadt Berlin, Hauptwahlamt: 5, 43, 51–59, 64, 76f., 83–87, 123, 135, 139, 155–157, 159f., 163, 167, 173–175, 198f., 243, 247, 259, 337, A Rep. 029: 507 A Rep. 038–01: 158 A Rep. 048–04–03: 11 A Pr.Br.Rep.031: 148 A Rep. 004: 166 A Rep. 042–05–01: 23, 324, 341, 343, 345–347, 368 A Rep. 042–05–03: 27, 31f., 417 A Rep. 044–03: 439, 453 A Rep. 046–05–03: 38f., 54, 101–106 A Rep. 048–05–01, Nr. 108/1 A Rep. 060–07, Nr. 20 A Rep. 060–53: 7, 11 A Rep. 090, Nr. 342 A Rep. 200–01, Nr. 825 A Rep. 226: 88, 120 A Rep. 044–03, Nr. 376 B Rep. 235–20 – HLA : 380, 394 B Rep. 235–01, 52–239: 1–6 (alte Signatur) C Rep. 902–02–05: 65 E Rep. 061–19: 9–14 F Rep. 240, Nr. B 0408 F Rep. 260–01: A 0374 F Rep. 270: 7769 F Rep. 290 (03): 0075771, II 6160, II 8807, II 8763, II 6166, II 6167, II 6228, II 5857 F Rep. 310 – Sammlung 1848: 658c, 668c, 1218a, 1422b, 1528b, 1696c, 2786 PK , 2832 PK Landesarchiv Greifswald (LAG ) Rep. 65c, Regierung Stralsund: 1, 10–12, 16f., 59f., 63f., 130, 318, 390f., 401, 412f., 417f., 446, 482, 569f., 573f., 577, 586, 625, 628, 865–867, 952, 1630, 1632f., 1636, 1639, 1645–1647, 1650f., 1658–1660, 1667, 1669f., 1869, 1872, 1890, 1892, 2270, 2278 Rep. 66 (Grfswld), Greifswald: 2, 5–13, 25f., 31, 54, 59, 101, 334 Rep. 66 (Grfswld) a, Kreisausschuss: 4, 264 Rep. 60, Oberpräsident von Pommern: 30, 34, 38–40, 54, 76–79, 395–397, 481, 543, 666, 3196, 3197 Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStASt ) E: Kabinett, Geheimer Rat, Ministerien, 1806–1945: 4 Bü 2, 4 Bü 4, 7 Bü 97, 9 Bü 57, 9 Bü 58, 14 Bü 537, 14 Bü 538, 31 Bü 157, 31 Bü 158, 31 Bü 235, 31 Bü 236, 33 Bü 266, 50/60 Bü 125, 150 Bü 442, 151 Bü 159, E 30 Württembergische Gesetze und Verordnungen: Bü 27, Bü 40, Bü 49, Bü 50, Bü 52, Bü 308, Bü 309, Bü 310, Bü 311, Bü 312, Bü 313, Bü 314, Bü 315, Bü 316, Bü 317, Bü 318, Bü 320, Bü 480

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Zeitungen, Zeitschriften und andere Periodika Deutschsprachig Allgemeine Zeitung Augsburger Allgemeine Zeitung Badische Landes-Zeitung Bautzener Nachrichten Berliner Aktionär Berliner Börsen-Courier Berliner Börsenzeitung Berliner Fremdenblatt Berliner Gerichts-Zeitung Berliner Illustrirte Zeitung Berliner Intelligenz-Blatt Berliner Correspondenz Berliner Neueste Nachrichten Berliner Politisches Wochenblatt Berliner Tageblatt Berliner Volks-Zeitung Berliner Zeitung Bonner Zeitung Breslauer Morgenzeitung Breslauer Zeitung Bromberger Tageblatt

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Cösliner Zeitung Daheim Danziger Zeitung Demminer Wochenblatt Deutsche Allgemeine Zeitung Deutsche Heeres-Zeitung Deutsche Landeszeitung Deutsche Nachrichten Deutsche Reform Deutsche Tageszeitung Deutsche Wacht Deutsche Zeitung Dresdner Journal Dresdner Nachrichten Dresdner Tageszeitung Eisenacher Zeitung Elberfelder Zeitung Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung Evangelische Kirchenzeitung Frankfurter Zeitung Fränkischer Courier [Die] Frauenbewegung. Revue für die Interessen der Frauen Freisinnige Zeitung [Die] Gartenlaube Generalanzeiger für Thüringen, Franken und Voigtland Germania Gnesener General-Anzeiger Görlitzer Anzeiger Görlitzer Fama Greifenhagener Kreisblatt Greifswalder Volksblatt Hallesche Zeitung Hamburgischer Correspondent Hamburger Courier Hamburger Fremdenblatt Hamburger Nachrichten Hannoverischer Courier Hartungsche Zeitung Hildesheimer Zeitung Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland Illustrirte Zeitung Jugend Kasseler Journal Kladderadatsch Kleines Journal Kölner Volkszeitung Kölnische Volkszeitung

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Kölnische Zeitung Königlich privilegirte Berlinische Zeitung Königsberger Allgemeine Zeitung Königsberger Nachrichten [Die] Kreuzzeitung (eigentl. Neue Preußische Zeitung) Leipziger Illustrierte Zeitung Leipziger Neueste Nachrichten Leipziger Volkszeitung Lustige Blätter Locomotive Magdeburger Zeitung Mecklenburgische Nachrichten Münsterberger Stadt- und Wochenblatt National-Zeitung Neue Oder-Zeitung, demokratisches Blatt Neue Preußische Zeitung Neue Rheinische Zeitung Neues Preußisches Sonntagsblatt Norddeutsche Allgemeine Zeitung Osthavelländisches Kreisblatt Ostseezeitung Pfälzische Presse [Die] Post Preußisches Sonntagsblatt Preußisches Wochenblatt Reichsanzeiger [Der] Reichsbote Rheinische Zeitung Rheinischer Merkur Rhein-Ruhr-Zeitung Sächsische Arbeiterzeitung Schlesische Zeitung Schweriner Lokal-Anzeiger Simplicissismus Sozialistische Monatshefte Spenersche Zeitung (Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen) Staats-Anzeiger für Württemberg Sternzeitung Stettiner Freie Zeitung Stettiner Zeitung Süddeutsche Nationalliberale Correspondenz [Der] Tag Tägliche Rundschau Teltower Kreisblatt Voigtländischer Anzeiger [Das] Volk Vorwärts

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Vossische Zeitung [=Königlich privilegirte Berlinische Zeitung] [Der] Wahre Jacob [Die] Welt Weser Zeitung Wöchentliche Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg [Die] Zeit Zeitung des Cösliner Regierungs-Bezirks Englischsprachig Albany Evening Journal [The] American [The] Anderson Intelligencer [The] Atlantic Monthly [The] Charleston Daily News Chicago Daily Times [The] Camden Journal [The] Daily Phoenix Democratic Review [=The Unites States Magazine and Democratic Review] Desert Evening News Elevator Evening Post [The] Evening Star Frank Leslie’s Illustrated Newspaper Freedom’s Journal [The] Guardian Harper’s Weekly [The] Illustrated London News [The] Independent [The] Indiana State Sentinel Ius Suffragii – International Woman Suffrage News Los Angeles Times Memphis Daily Appeal [The] Nation New Orleans Republic [The] New York Age New York Daily Tribune New York Evening Post [The] New York Times New York Tribune Nile’s Register North American Review [The] Orangeburg News Pioneer of Assumption Puck Punch Southern Sentinel Sunday Mercury

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Register

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Register Adel 28, 42, 44–45, 52, 58, 61, 64– 65, 69, 72–73, 76, 99, 103 –104, 106, 108, 162, 223, 254, 269 –270, 276, 287, 313, 349, 371, 380, 382–383, 391, 454, 457, 468, 491 Afroamerikaner und -amerikanerinnen 9, 18, 33, 67 – 68, 73 –75, 77, 79, 96, 114, 123, 167 –168, 184, 187, 189 –192, 199 –200, 209 –210, 214, 219, 245, 253, 266 –267, 284, 301, 303, 311, 323 –329, 345–346, 348 –349, 392–394, 397 –402, 404–409, 414, 423, 425–426, 428, 430–431, 433, 436 –437, 441–442, 454, 456, 458, 461, 475, 478, 487 –490, 493 –494, 497 –498, 502, 511, 529 – 531, 540, 547, 558 – 560, 562, 566, 568 – 569 Akerman, Amos T. 394 Alkohol 139, 167, 176 –180, 193, 196, 213, 229, 231, 250, 299, 372, 385, 396, 410, 413, 419 –420, 423 –424, 427, 457, 475–477, 515, 530, 545, 563 – 564 Alter, Lebensalter (siehe auch Wahlrechtsqualifikation) 91, 113, 126 –135, 217, 220, 475, 563 Antike 13 –15, 520 Antisemitismus (siehe auch Rassismus) 18, 41, 80, 346, 349, 389, 484, 529 Arbeiter und Arbeiterinnen 11, 122, 125, 128 –129, 133, 144–146, 156, 158, 160–161, 186, 191, 210, 218, 224, 227, 230–231, 245, 261, 297, 314–315, 333 –336, 338 –339, 343 –344, 349, 367 –368, 372, 383 –385, 387 –389, 391, 410, 420, 423, 427, 436, 456, 465–468, 476, 479, 483, 515, 527, 540, 543, 563, 570 Arendt, Otto 275 Armut 26, 40, 46, 62, 73, 75, 91, 98, 143, 149, 157 –158, 173 –174, 205, 210, 341, 343, 345, 444, 550, 557 – Hunger 76, 143, 156 –158, 343 – Kindersterblichkeit 62, 343, 345, 562 Arndt, Ernst Moritz 20, 61, 70, 220 Arons, Leo 316, 388 –389, 458, 471 Auerswald, Alfred von 238

Auerswald, Rudolf von 238, 355 Aufklärung 9, 13, 19 –21, 57, 60, 65– 67, 71, 74, 111, 265, 476, 513, 564 Ausländer 73, 108, 122, 189, 409, 420–421 B Baker, Ray Stannard 283 Bard, Albert S. 511, 580 Bäumer, Gertrud 458 Baumgarten, Hermann 246 Beamtentum (siehe auch Lehrer) 44, 61, 113, 129, 240, 312, 318, 352, 355, 357 –363, 366, 368 –377, 380, 390, 404, 436, 438, 453, 457, 479, 482, 484, 489, 507 – 508, 517, 537 Bebel, August 133, 219, 316, 345, 386, 549 Beecher, Henry Ward 204, 303, 487 Beecher, Lyman 487 Beecher Stowe, Harriet 210 Belgien 113, 330, 343, 467, 469 –470 Below, Georg von 122, 388, 467, 541 Berichtswesen 152, 232, 247, 299, 352, 362–363, 376, 400, 569 Bethmann Hollweg, August von 282, 355 Bethmann Hollweg, Theobald von 305, 307, 370 Bevölkerungswachstum 98, 112, 117, 123, 451 Bildung (siehe auch Wahlrechtsqualifikation) 12, 56, 69, 84, 100, 102, 113, 144, 150, 155, 185, 208, 342, 345, 451, 457, 460, 478, 481–484, 486 –488, 521, 557, 561 Bingham, George C. 179, 181 Bismarck, Johanna von 160 Bismarck, Otto von 160, 162, 230, 232–233, 253, 260, 262, 280, 282, 291, 294, 298, 331–338, 340–341, 358 –359, 362–365, 367 –369, 381, 390, 538 – 539, 559 Blackstone, William 109 Blanckenburg, Moritz von 340 Bodelschwingh, Carl von 259 Bonin, Wilhelm von 161 Börne, Ludwig 220

Register

646

Breslau 158, 230, 354, 391, 410, 466 Bristed, Charles Astor 173, 221–222 Büchner, Georg 220 Bülow-Cummerow, Ernst von 105, 154 Bürgerkrieg, Amerikanischer 12, 32, 167, 202, 206, 208, 214, 266, 301–303, 329 –330, 347, 392, 411–412, 437, 444, 560, 562 Bürgertum 12, 27, 34, 39, 42, 48, 52, 56, 58, 85, 99, 142–143, 154, 248, 254, 271–272, 331, 342, 385, 455, 458, 465, 482, 484, 518, 535 Bürokratie 43, 58, 63, 85, 111, 114, 117, 119, 126, 186, 189, 192, 240, 281, 309, 352, 356, 365, 376 –377, 385, 394, 400, 450, 452–453, 457, 459, 495, 505– 507, 523, 532, 560, 563, 567 Butler, Pierce 87 C Camphausen, Ludolf 146 –147, 238, 256 Carnegie, Andrew 478, 489 –490 Cauer, Minna 486 Charleston, SC 72, 74, 82, 86, 182, 226, 324–328, 399, 429, 580 Chevalier, Michel 129, 199, 202, 208, 224 Chinesische Minderheit in den USA 184, 189, 266, 349, 441, 529 Clausewitz, Carl von 70 Columbia, SC 86, 182, 200, 329 Condorcet, Nicolas de 211 Constant, Benjamin 275, 520 Corinth, Lovis 463

– antidemokratisch 237, 258–260, 263–264, 267, 283, 285, 315, 329 – Demokratie als germanische Tradition 62 – dunkles Europa, demokratisches Amerika 203, 223, 570 – Konsens für Massenwahlrecht 12, 33, 241–242, 253, 307, 334, 445, 447 –448, 450–453, 461, 468, 472–474, 478, 533 – 540, 543, 551, 560– 561, 567 – 568 – Republikanische Rhetorik in den USA 11, 71, 73, 85, 87, 90, 165–166, 168, 189, 218, 267, 316, 397, 461, 493 –494, 530, 537, 558, 569 Dickinson, John 87 Dieterici, Karl Friedrich Wilhelm 115 Differenzierungsprozess 12, 25, 34, 454–456, 474, 507, 522, 549 Dohm, Hedwig 345 Douglass, Frederick 487 Dreiklassenwahlrecht in Preußen (siehe auch Wahlrechtsqualifikation) 11–12, 18, 22, 101, 108, 110, 115, 118, 132, 134, 154, 186, 213 –214, 237, 242–247, 249 –253, 256, 258 –259, 262, 266 –267, 274, 276, 282, 288, 295–296, 299, 307, 309, 311–314, 316, 318, 333 –334, 351, 372, 447, 454, 462–467, 469 –470, 472, 474–475, 478, 480, 485, 490, 522, 537, 560– 561, 566 Droysen, Johann Gustav 337 Du Bois, W. E. B. 303, 540 Duden, Gottfried 208 Duncker, Franz 340

Dänemark 30, 55, 134, 143, 237, 302, 371, 451, 543 Danzig 368, 375, 462 Davenport, John I. 115 Delbrück, Hans 65, 305, 451, 453, 469, 471, 537 Demokratie als Fiktion 20–21, 34–35, 64, 93, 205–206, 293, 565, 571 Demokratiediskurs 202–203, 206, 223, 282, 298, 306 –307, 309, 324, 334, 378, 460–461, 464, 469, 483 –486, 488 –489, 493, 495

Eisenbahn 143 –144, 149, 230–231, 348, 373, 518 Eliten 10–11, 13, 18 –19, 24, 27, 31–32, 34, 37, 40, 42, 44–45, 56 – 58, 60, 62, 64– 65, 68, 71–73, 76 –77, 80–81, 85, 89, 93– 94, 98, 102–103, 105, 111, 113, 123, 141–142, 146, 171–172, 183, 185–186, 200, 204–205, 212, 214, 222–224, 233, 245, 248, 254, 262–264, 266, 275, 281–283, 285–287, 294, 304–306, 308, 318, 335, 384, 394, 415, 437, 439, 444, 451, 459, 464–466, 469, 473–474, 483, 486, 490–491, 499,

Register

531, 535, 537, 556, 558 – 560, 562, 564, 567, 571 Emerson, Ralph Waldo 60, 218, 264 Engel, Ernst 113 Engels, Friedrich 99, 332, 335, 339 Ernst, Helwing 154 Erster Weltkrieg 12, 28, 30, 33, 102, 108, 135, 282, 290, 303, 305, 308, 319, 448, 458, 468 –469, 531, 533, 537, 546, 549 – 550, 561, 566, 569 – 570 Erweckungsbewegung 162 Exzeptionalismusthese für die USA 30–31, 78 F Fälschung (siehe Manipulation und Fälschung von Wahlen) Familie 18, 34, 72, 76, 98, 106, 110, 128 –129, 152, 189, 261, 449, 460, 469, 476, 557, 560 Fauchet, Clemens 20 Feuerbach, Ludwig 220 Franklin, Benjamin 306 –307 Frankreich 9, 19, 21, 30, 40, 47, 55, 57, 62, 64– 65, 74, 95, 101, 105, 121, 128, 144–146, 153, 159, 161, 185, 223, 225–226, 230, 243, 245, 253, 262, 266, 285, 302, 330, 332, 339, 343, 359, 449, 454, 469, 484, 486, 539, 541 Frau, Exklusion der 17, 33, 79, 114, 135, 208 –212, 215–217, 219, 223 –227, 304, 442, 548, 564 Frauenemanzipation (siehe auch Gleichheitsforderung) 27, 160, 211–212, 225–227, 344–345, 414, 437, 447, 456, 458, 477, 486, 488, 492, 535, 547– 550, 559 Frauenwahlrecht 12, 79, 84, 96, 135, 209 –213, 216, 219, 308, 344–345, 413, 417, 447, 473, 477, 485, 488, 549 – 550, 560, 571 Freiligrath, Ferdinand 220 Frensdorff, Ferdinand 297 Freud, Sigmund 449 Friedberg, Heinrich von 369 Friedrich III . 370 Friedrich, Caspar David 117 Friedrich Wilhelm III . 56, 58, 69, 81, 108, 142

647

Friedrich Wilhelm IV. 98, 140, 143, 145–146, 149, 152, 154, 163, 185, 237 –239, 241, 248, 251, 260, 280, 293, 295–298, 352, 354 G Garrison, William Lloyd 204 Gawthorpe, Mary 96 Geistlichkeit 386 Gerlach, Hellmut von 465 Gerlach, Leopold von 98, 242, 260, 262, 280, 332 Gerlach, Ludwig von 278, 295, 332, 334 Gervinus, Georg Gottfried 62 Geschlecht (siehe auch Frauenemanzipation) 14, 17, 25–26, 68, 208 –213, 218 –219, 221, 225–227, 413 –414, 477, 548 – Männlichkeit 16 –17, 25–26, 33, 68, 128 –131, 134, 139, 141, 168, 175–176, 178, 193 –197, 206, 208, 212–221, 223 –225, 227, 278, 298, 301–302, 304, 475–477, 490, 497, 512, 543, 545– 546, 548, 563 – 564 Gewalt 26, 31, 33, 59, 61, 71, 96, 130–131, 141, 143, 146 –147, 150, 157 –158, 163, 172–174, 176, 179 –180, 193 –208, 214–216, 219 –220, 224–225, 227 –229, 237, 253, 263 –265, 268, 271, 281, 308, 326, 340, 394, 396 –400, 402, 407, 425–426, 429, 439 –441, 465–468, 477, 500, 505, 548, 558, 560, 563, 566, 569, 571 – Duell 34, 214, 220, 477 – Lynching 200, 407, 529, 531 – Waffengebrauch bei Wahlen 19, 158, 173 –174, 194–195, 198, 201, 214, 395–396, 425, 493 Gladstone, William Ewart 330, 334 Gleichheitsforderung (siehe auch Frauenemanzipation) 9, 12–16, 19, 21, 25–26, 33 –34, 43, 45–46, 48, 51, 57, 59 – 61, 68, 71, 73, 100, 103, 105, 108 –109, 112, 116, 141–142, 152–153, 156, 163, 165, 168, 173, 185, 210–211, 239, 241, 252, 255, 258 –261, 265–266, 300, 304, 330, 344, 346, 402, 409, 430, 448, 477, 484, 490, 493 –494, 538, 543, 547, 559, 561, 567

Register

Globalisierung 15, 33, 279, 316, 343, 449, 451, 455, 510, 513, 528, 531, 541– 542, 544– 545, 549 – 550, 559, 567 – 568 Glücksspiel 176, 178 –180 Gneist, Rudolf von 277, 465, 491, 518 Godkin, Edwin L. 285, 431 Goethe, Johann Wolfgang von 65 Görres, Joseph 62 Gouges, Olympe de 211 Grabow, Wilhelm 312 Greely, Horace 200 Greifswald 43, 247, 344, 382 Grimké, Sarah Moore 226 Grimm, Jacob 342 Grimm, Wilhelm 342 Großbritannien 9, 29 –30, 58, 64, 71, 76, 81, 95– 96, 106, 109, 113, 132, 135, 140, 145, 185, 189, 193, 204, 237, 269 –270, 275–276, 279, 284, 330, 334, 343, 408, 449, 451, 470, 473, 486, 511, 529, 541, 570 Gruner, Justus 56 H Hamilton, Alexander 75, 271 Hansemann, David 61, 101, 146 Hanstein, Gottfried August 48 Hardenberg, Karl August Fürst von 14, 43 –44, 57, 59, 61– 63, 67, 70, 97, 100, 104, 110, 483, 564 Harris, Joseph P. 458, 495 Harrison, William Henry 193 Hartleben, Theodor 61 Hasselmann, Wilhelm 485 Hauptmann, Gerhart 463 Hearst, William Randolph 524 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 52, 58, 152–153 Heine, Heinrich 70, 220 Held, Friedrich 164 Hinckeldey, Carl Ludwig von 239 Hintze, Otto 451, 470, 536 Hippel, Gottlieb von 211 Hobbes, Thomas 14, 261, 561 Hobsbawm, Eric 64 Hoffman, John 393 Hone, Philip 264 Humboldt, Wilhelm von 61, 67

648

Humperdinck, Engelbert 463 Hygiene 342–343, 457, 503, 530 I Identifizierung des Wählers 49, 192, 216, 496 –498, 510, 558, 560 Individualisierung 9, 13, 15, 20, 34, 60, 62, 64, 73, 108 –109, 111–112, 116 –117, 252, 271, 301, 483 –484, 514, 561, 565, 567, 571 Industrialisierung 12, 94– 95, 117, 120, 131, 143, 158, 254, 335, 343 –344 Irische Minderheit in den USA 174, 186, 189, 191, 195, 222, 349 Irving, Washington 223 Italien 30, 132, 244, 330, 454, 492, 541 Ivins, William Mills 457 J Jackson, Andrew 33, 92, 171, 173, 181, 194, 214, 222, 263, 290, 302 Jacksonian Democracy 33, 80, 89, 92, 171, 184 Jaffé, Edgar 463 Jahn, Friedrich Ludwig 129 Jefferson, Thomas 14, 73, 81, 85, 87, 107, 268, 556, 564 Jellinek, Georg 346 Johnson, Andrew 328 Johnson, Samuel 73 Judentum (siehe Religion) K Kant, Immanuel 61, 66, 211 Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen 355, 357 Katholizismus (siehe Religion) Kattowitz 391 King, Martin Luther 9 Kirche (siehe Religion) Köln 261, 316, 466 Kolonialismus 16 Königsberg 64, 98, 108, 289, 381, 508 Konservatismus 12–13, 33, 44, 65, 81, 92, 98, 104–105, 108, 111, 116, 121–122, 124, 133, 154, 156, 161, 163, 182, 185, 212, 231, 238, 241–244, 250, 253 –263, 274–275, 277 –278, 280–284, 286, 288 –289, 291–292, 294–298, 300–301, 304–307, 309, 314–315, 318, 332–333, 337, 339 –342,

Register

344, 350, 352–353, 357, 360–363, 365, 367, 369 –370, 381–383, 436, 458, 463, 468 –472, 478, 485, 512, 518 – 519, 532– 534, 538 – 539, 545, 560– 561 Korfanty, Albert 391 Körper 25–27, 95– 97, 143, 167, 197, 216 –217, 225, 461–462, 477, 548, 562, 564, 567 Kossuth, Lajos 166 L Lancizolle, Carl Wilhelm von 44, 108, 257 Landfermann, Dietrich Wilhelm 242 Ländliche Bevölkerung 12, 67, 69 –70, 76 –77, 97, 100, 106, 110, 153, 156, 185, 204, 244, 247, 274, 324 – Wahlen auf dem Land 82, 105, 107, 118, 149, 153, 155–156, 159 –162, 165, 185, 189, 226, 244, 254, 260, 281, 286, 289, 319, 339, 348, 352, 366, 369 –372, 383, 385, 389, 436, 500, 506, 557 Lange, Helene 458 Lasker, Eduard 340 Lassalle, Ferdinand 314–315, 333 Lehrer (siehe auch Beamtentum) 153, 163, 240, 338, 353, 365, 372–373, 375–376, 508, 527 – 528 Leipzig 288 –289, 301 Lenné, Peter Joseph 248 Levin, Rahel 60 Liberalismus 28, 98, 241, 305, 314, 332–333, 340–341, 356, 365–367, 384–385, 390, 447, 451, 464, 478, 532, 535, 538, 560 Liebknecht, Karl 521– 522 Liebknecht, Wilhelm 315 Lincoln, Abraham 20, 191, 200, 328, 334, 487 Liszt, Franz von 463 Locke, John 14, 95, 561 Loewe, Friedrich Wilhelm 337 Low, Seth 457 M Manet, Edouard 449 Manipulation und Fälschung von Wahlen 9, 31, 34, 90, 171–172, 174, 202, 291, 377, 380, 387, 399 –401, 405, 407 –408,

649

414–415, 422–428, 430, 509 – 510, 514, 516, 545 – Korruption 9, 34, 82, 89 – 91, 109, 124–125, 139, 145, 160, 167, 171–173, 177 –179, 182–183, 199, 201, 205, 221–223, 229, 231, 233, 240, 262, 271, 279, 283, 350, 391, 393 –394, 397, 402, 418, 420–422, 424, 432–439, 452–454, 457 –459, 466, 473 –474, 479 –481, 506, 524, 530, 560, 566 – 567, 569, 571 – private 285–287, 379 –386, 389, 393, 401, 410, 462 – staatliche 122, 125, 233, 240–241, 281, 291–293, 338, 351–379, 391, 403 –404, 410, 424, 430, 436, 481 Mann, Thomas 536, 570 Mannheim, Karl 254, 262 Männlichkeit (siehe Geschlecht) Manteuffel, Otto Theodor von 240, 249, 281, 298, 352, 355, 358 Marwitz, Friedrich August Ludwig von der 43 –44 Marx, Karl 99, 129, 156 –157, 220, 270, 295, 314, 332, 339, 518 Materialität 23, 25–27, 32, 167, 461, 481, 513, 541, 547 McClellan, George B. 126, 503, 510, 524, 580 Medien (siehe Presse) Mehrheitsprinzip 9, 14, 49, 60, 116, 265, 296 Mehring, Franz 162 Meinecke, Friedrich 306, 308 –309, 463, 471, 540 Menschenrechte 13, 15, 25, 27, 46, 61, 70, 96 – 97, 101, 143, 265, 485, 531 Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 220 Mexiko 201, 266, 302 Meyer, Georg 230, 277, 305, 451, 469, 533, 536 Migration 73, 76 –77, 86, 120–121, 157, 167, 172–174, 186, 189, 191, 196, 201, 205, 208, 214, 220, 222, 267 –268, 349, 421, 434, 449, 458, 475, 492–493, 495, 500, 505, 529, 563 Militär (siehe auch Wehrpflicht) 27, 34,

Register

57 – 58, 64, 82, 91, 98, 106, 144, 150–151, 174, 197, 213 –214, 231, 238 –240, 301–304, 306 –308, 327, 336, 339 –340, 392, 394–395, 397 –398, 400, 408, 411, 425, 431, 468, 529, 556, 560 Mill, John Stuart 70, 212, 226, 253, 261, 277, 297, 469, 486 Moltke, Helmuth von 290, 340 Monarchie 20, 34, 57, 61, 69 –71, 76, 81, 152, 185, 223, 238, 240, 242, 246, 252, 254–255, 261–262, 267, 270, 287 –288, 291, 293, 296, 300, 308, 332, 340–341, 344, 348, 352, 356, 359, 361, 368, 382, 409, 435, 452, 463, 540, 555, 559, 564, 569 – 570 Monet, Claude 449 Morgan, J. P. 478 Mormonen 168, 201, 266, 284, 411–418 Mozart, Wolfgang Amadeus 60 N Napoleon I. Bonaparte 56, 66, 203, 285 Napoleon III . 55, 262, 332, 531 Nash, William Beverly 407, 487 Nast, Thomas 391, 438 Nation 14, 46, 59, 62, 64– 65, 69, 142, 251, 265, 330, 346, 348, 451, 565 – Nationsbildung, -konstruktion 10, 12, 17, 21, 25, 33 –34, 43 –44, 48, 59, 63, 68, 77, 114, 117, 129, 142, 153 –155, 302, 342, 347 –348, 399, 558 – 559, 565 Nationalismus 13, 59, 141–143, 152, 155, 158, 211, 255, 265, 290, 301, 305–306, 336, 341, 346 –347, 403, 529 Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 118, 127, 142, 144, 148, 150, 153 –156, 162–164, 241–242, 273, 277, 331, 333, 337, 485 Native Americans 18, 33, 79, 91, 120, 171, 184, 187, 189 –190, 192, 198, 200, 202, 204, 245, 266, 348 –349 Naumann, Friedrich 464–465 Niederlande 71, 113 Noah, Mordecai 75 O O’Sullivan, John L. 203, 217 Oberhaus im Zweikammersystem 269 –270

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Öffentlichkeit 13, 100–101, 215, 233, 242, 276, 278, 307, 331, 345, 354, 361, 368, 374, 376, 380, 383, 404, 448, 456, 463, 474, 478, 513 Ökonomie (siehe auch Soziale Frage und Wahlrechtsqualifikation) 10, 12, 20, 24, 27, 33, 46, 57, 71, 77, 95, 98 – 99, 157, 179, 201, 209, 225, 244–245, 252, 265, 313, 334–335, 343 –345, 414, 483, 519, 561 – Eigentum 39, 46, 63, 69 –70, 74, 86, 88, 94– 99, 101–103, 109 –110, 143, 182, 256, 490, 557, 562 – Wohlstandsanstieg 12, 25, 46, 77 –78, 88, 94, 97 – 98, 100, 102, 105, 208, 255, 343, 444, 449, 466, 561 Oldenburg-Januschau, Elard von 468 Osterbotschaft von 1917 305 Österreich 55, 58, 145, 151, 166, 230, 302, 330, 333, 451, 454, 456, 529 Otto-Peters, Louise 212, 345 P Partei 17, 34, 88 – 90, 92– 93, 131, 134, 159, 166 –168, 171–176, 180–181, 187, 189, 192–195, 201, 204, 206, 214, 219, 228, 231, 233, 247 –248, 257, 262, 267, 279 –280, 282, 294, 299, 304, 316 –318, 324–325, 330, 337, 340, 343, 345, 350, 359, 361–362, 364, 367, 371, 376, 380, 383 –386, 388, 390, 394, 398, 400, 403 –404, 408, 410, 415, 418, 420–425, 430, 433 –434, 436, 438 –439, 452, 454, 459, 466, 474–475, 479, 481–482, 493, 496, 501, 504, 511, 520, 538 – 541, 556, 559 – 560, 563, 566 – 567, 569, 631 Periodizität der Wahlen 229 –230, 233, 253, 313, 348, 350, 519 Perry, Benjamin F. 328 –329 Petition 73, 86, 88, 90, 145–146, 154, 165, 230, 255, 258, 302, 409 Philadelphia 73 Pike, James S. 432–433 Pinckney, Charles 72 Pinckney, Charles Cotesworth 72 Plantagenbesitzer, Großgrundbesitzer 69, 72–73, 76, 82, 87, 104–106, 110, 156 –157, 163, 205, 241, 269, 283, 285, 324, 328 –330, 389, 405, 420

Register

Pluralwahlrecht 261, 469 –470, 490 Polen 311, 541 Politikverdrossenheit 42, 53, 89, 175, 181–182, 204, 438, 474, 571 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig 62 Poll tax, Wahlgebühr 205, 408, 438, 469 Polnische Minderheit in Preußen 31, 143, 186, 193, 210, 225, 229, 266, 285, 311–312, 341, 346, 348 –349, 368, 370–371, 373 –375, 379 –380, 383, 385, 391, 484, 527, 529, 541, 568 Pommern 11–12, 41, 43, 73 Popp, Adelheid 456 Posadowsky-Wehner, Arthur von 454, 458 Prag 60, 145 Präsidentschaftswahl, amerikanische 18, 73, 78, 80, 89, 92, 139, 165, 181, 184, 248, 271, 408, 437, 439, 482, 523, 545, 550 Presse 12, 42, 78, 143 –144, 159, 379, 384, 437, 450, 456, 523, 535, 543 – Zeitung 28, 31–32, 42, 47, 60, 63, 67, 100–101, 133, 144–146, 149, 152–153, 155–156, 181–182, 197, 220, 228, 232, 237 –239, 245, 250, 256 –257, 267, 281, 291–292, 294, 299, 302, 325–326, 328 –329, 336 –337, 339, 341–342, 353, 371, 376, 379 –380, 385, 387, 391, 399 –401, 419, 438, 442, 449, 456, 459, 464, 471, 481, 485, 523 – 524, 527 – 528, 535, 538, 557, 559 Pressefreiheit 159 Preuß, Hugo 458, 535 Progressive Era (siehe Reformen) Prostitution 225, 457, 475 Provinziallandtag 69, 110, 244, 282 Prutz, Robert 144 Puttkamer, Robert Viktor von 277, 292, 367 –368, 370–371, 382, 391 R Radbruch, Gustav 454 Ranke, Leopold von 71 Rankin, Jeannette 550 Rassismus (siehe auch Antisemitismus) 13, 16, 26, 68, 73 –75, 77, 91, 106, 120, 143, 189 –192, 200, 202, 217 –219, 265, 284, 303, 323 –324, 328, 330, 349, 392–393,

651

398 –399, 404, 406 –407, 409, 423, 426 –427, 430–433, 438, 442, 449, 461, 477, 488, 497, 527 – 530, 562 Rathenau, Walther 518 Rationalisierung 13, 25, 45, 81, 112, 124, 134–135, 209, 255–256, 258, 268, 279, 300, 342, 350, 373, 447, 449 –452, 456, 461, 480, 484, 494, 498, 513, 516, 548, 550, 567 – 568 Ray, Emma 456 Rechtsstaat 198, 269, 346, 367, 371, 381, 391, 412, 569 Reconstruction 106, 214, 326, 328, 345–347, 393 –399, 403, 408, 429, 461, 475, 511, 516, 558, 566 Reformen 32, 34, 45, 58, 68, 70, 202 – preußische 46, 57 – 67, 69, 96, 98 –100, 104, 108, 111, 113 – Reformära um 1900, internationale 19, 125, 444, 447 –448, 451, 454–461, 462, 469, 472–473, 516, 477 –479, 483, 486, 488 –490, 492–494, 497, 508 – 511, 516, 531, 535, 547, 559 Reichensperger, Peter 272, 295, 354 Religion 12, 25–26, 34, 46 – 51, 60, 75, 185, 188, 193, 202, 208, 210, 220–221, 225–226, 242, 255, 257, 260, 262, 279, 284, 300, 324–325, 334, 380, 385, 393, 413 –414, 417, 449, 472, 476, 507, 561 – Erweckungsbewegung 60, 202, 565 – Geistlichkeit 46, 48, 148, 153, 155, 222, 233, 280, 285, 300, 324, 338, 353, 381, 384, 386, 391, 405, 407, 410, 454 – Judentum 18, 41, 45–46, 50, 60, 80, 249, 266, 300, 422, 484, 507, 529 – Katholizismus 44, 173, 189, 209, 266, 272, 285, 295, 300, 346, 349 –350, 354, 368, 375, 383, 385–387, 391, 410, 472, 475–476, 484, 507, 541, 559, 568 – Kirchen allg. 40, 62, 384–385 – Protestantismus 62, 202, 381, 476, 565 Renaissance 14 Renoir, Auguste 449 Revolution 11, 19, 30, 32, 54– 55, 58 – 59, 62, 68, 70–71, 77, 95, 101, 139, 142, 156 –157, 173, 185, 197, 199, 211, 219 –221, 225, 230, 237, 245–246, 252, 254, 257, 259, 262,

Register

266 –267, 312–313, 315–316, 325, 339 –340, 466, 533, 540, 549, 606, 621, 627 – 1848/49 54, 62, 92, 98 – 99, 104, 106, 120, 128, 139, 141–155, 157, 160–164, 166, 184–185, 197 –198, 214, 220, 231, 237 –239, 245, 252, 257, 263, 273, 295, 298, 302, 309, 311–313, 332, 562 – Französische 57, 70, 101 Ribbeck, Konrad Gottlieb 47 Rickert, Heinrich 368, 454 Riga 59 Risikohaftigkeit von Wahlen 241–243, 255–256, 261–262, 267, 273, 278, 296, 315, 350, 352, 378, 519, 560 Rodbertus, Johann Karl 146 Roosevelt, Theodore 477 Rotteck, Carl von 66, 100–101, 103, 270, 274, 287 Rousseau, Jean-Jaques 14, 268 Runge, Heinrich 41, 340 Russland 166, 253, 484, 529, 537 S Sack, Johann August 40, 46 –47, 108 Scheler, Max 551 Schinkel, Karl Friedrich 60 Schlegel, Friedrich 62 Schleiermacher, Friedrich 48 Schleinitz, Alexander von 355, 365 Schmitt, Carl 306 Schönstedt, Karl Heinrich 375 Schulze-Delitzsch, Hermann 285, 385 Schurz, Carl 221 Schweden 41, 58, 61, 70, 244, 469 Schwerin-Putzar, Maximilian von 354–355, 357, 382 Schwur 30, 117, 131, 134, 176, 188, 359, 411, 416, 475 Seneca Falls, Kongress in 211, 215, 504 Servan, Joseph Michel Antoine 65 Sherman, William Tecumseh 303 Sickles, Daniel E. 87, 327 Sieyès, Emmanuel Joseph 101 Simmel, Georg 463, 518, 535 Sklaverei 11, 67, 72–75, 79, 87, 95, 100, 173, 189 –190, 192, 198 –200, 202–204, 207, 264, 311, 328 –329, 349, 430, 432–433, 487, 493, 562

652

– Leibeigenschaft 25, 61, 70, 75, 95– 97, 562 Slevogt, Max 463 Smalls, Robert 407, 433 Smith, Adam 46, 98 Sohm, Rudolf 540 Sozialdemokratie 11, 122, 133, 160–161, 219, 241, 251, 270, 289, 297, 314–317, 333, 335, 339 –340, 345, 348, 367, 371, 373, 376, 378 –380, 386 –389, 392, 409 –410, 438, 454, 456, 462, 465–470, 473, 479, 483 –485, 490, 515, 533, 535, 538 – 539, 541, 545, 549, 559 – 560 Soziale Frage (siehe auch Ökonomie) 144, 146, 153, 156 –158, 173, 185, 201, 230, 246 –247, 324, 341, 449, 476 Staatsbildung 10, 58, 99, 104, 108, 111–113, 116, 119 –120, 124, 126, 142, 152–153, 208, 229, 303 –304, 330, 342, 346, 348, 350, 417, 451, 453, 459, 483, 485, 513, 519, 556 – 558, 565 Staatsbürgerschaft 14–16, 25–26, 46, 59 – 62, 65, 67 – 68, 70, 74, 77, 113, 118, 125–126, 131, 133, 189, 191, 257, 266, 302, 330, 346, 349, 421, 487, 492, 529, 558, 562– 563, 565 Städteordnung, preußische 39 –46, 48 –49, 52– 56, 59 – 60, 63, 69, 79, 85, 96, 106, 108, 118, 244, 276, 556, 562 Stanton, Elizabeth Cady 345 Statistik 94, 111–116, 124, 134, 155, 184, 242, 476, 517, 558, 560 Stein, Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum 66 – 67, 98, 483 Steuern (siehe auch Wahlrecht) 18 –19, 26, 46, 52, 56 – 58, 65, 69, 93 – 94, 99 –102, 104, 106 –111, 128, 153, 160, 208, 210, 231, 243, 256, 306 –307, 327, 330, 349, 443, 466, 469, 476, 556, 561 Stimmzettel 83 –84, 86, 149 –151, 161, 166 –168, 170, 174–175, 179, 196, 215–216, 230, 271, 273, 275, 278, 285, 303, 339, 354, 368, 371, 381, 383, 396 –397, 419, 422, 425, 428 –429, 439 –440, 454, 457, 480–482, 504, 508 – 510, 512, 514, 516, 521– 522, 527, 531– 532, 548, 567 Stöcker, Helene 549

Register

Stralsund 41, 120, 157 Streik 144, 156, 200, 339, 441, 444, 467 Sunday, Billy 476 –477 Sweeny, Peter B. 393 Sybel, Heinrich von 274, 301, 331 T Tammany Hall 75, 89, 92, 172, 174, 177 –179, 221, 223, 391–395, 397 –398, 418 –419, 421–422, 426, 434, 438 –439, 452, 481, 524 Thadden, Gerhard von 340 Thadden-Trieglaff, Adolf von 162 Thilo, Carl Gustav 384 Thimme, Friedrich 470 Thoreau, Henry David 178, 203, 264, 311 Tillman, Benjamin 430, 497 Tocqueville, Alexis de 62, 66, 92, 98, 103, 130, 186, 207 –208, 218, 253, 272, 550, 565 Toennies, Ferdinand 463 Treitschke, Heinrich von 52– 53, 212, 224, 257, 277, 452, 512 U Unabhängigkeitserklärung, amerikanische 71 Universalitätsanspruch (siehe auch Wahlrechtserweiterung) 13, 19, 25–27, 74, 116, 450, 528 Universität 44–45, 67, 75, 247, 289 –290, 342, 449, 457, 484, 529 Urbanisierung 11, 28, 121, 132, 158, 171, 173, 244, 443, 449 V Vanderbilt, Cornelius 478 Varnhagen von Ense, Karl August 66, 70–71 Vereinigter Landtag 143 Vereinswesen 142, 146, 148, 150, 156, 200, 212, 219, 221, 238, 264, 280, 286, 314, 333, 337 –338, 344–345, 369, 381–382, 390, 394, 457, 492, 549 Vererbung von Wahlämtern 18, 72 Verfassung 30, 55, 64– 67, 69 –72, 74–75, 77, 87, 90, 106, 110, 120, 142, 146, 154, 165, 172, 184–185, 188 –189, 191, 238 –240, 242, 252, 256, 259 –260, 281, 293 –295,

653

298, 301, 305–306, 310–312, 314, 326, 328 –330, 341, 345, 349, 483 –484, 497, 568 – 569, 609 Vincke, Georg von 312 Virchow, Rudolf 148, 305, 342, 361, 464 Vogt, Carl 140 W Wagener, Hermann 256, 260, 304 Wahlberechtigung, Anteil an Gesamtbevölkerung 39, 78, 80, 85, 92, 139, 148, 184, 245, 252, 326, 411, 416, 437, 541, 556 – 557, 565– 566 Wahlbeschwerden, Wahlanfechtung 31 Wahlbeteiligung 52, 54– 55, 78, 80–81, 87 –89, 91– 92, 107, 139, 149, 153, 161, 164, 166 –167, 182, 184, 233, 245–246, 251–252, 310–314, 316 –318, 325, 332, 338, 437, 447, 458 –459, 461, 539, 541, 556, 559, 563, 568, 571 Wahlenthaltung, Nichtwähler (siehe auch Wahlpraxis, Desinteresse) 41–42, 50– 51, 54– 55, 81, 115, 131, 161, 251–252, 254–255, 297, 303, 309 –310, 312–313, 318 –319, 364, 412, 520 – Wahlboykott 229, 251–252, 309 –315, 317 –318, 326, 336, 339, 383, 387 –388, 390, 465 Wahlergebnis – Ermittlung 91, 117 –118, 150, 178, 188, 194, 228, 271, 326, 379, 396, 418, 423, 430, 439, 513, 523 – 525 – Veröffentlichung 228, 290, 341, 523, 525 Wählerregistratur 45, 48, 86, 116, 125–126, 173, 192, 338, 370, 377, 387, 393, 401, 411, 416, 419, 422–423, 426, 438, 469, 494–499, 501, 521, 530, 558, 577 Wahlfälschung (siehe Manipulation und Fälschung von Wahlen) Wahlfenster 167, 169, 194–195, 209, 396, 437 Wahlfunktion 21, 24, 141, 152, 159, 161, 184, 279, 294–295, 304, 340, 342, 346, 348, 352, 392, 473, 556, 558 – Akklamation 351, 377 – Disziplinierung 10, 13, 40, 43, 51, 56, 63 – 68, 82, 94, 111, 117, 206, 279,

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409 –410, 412–413, 415–417, 485, 511, 544 – Erziehung 56, 154, 483, 485–486 – Exklusion 117, 121, 190–191, 209, 310, 429, 493, 530, 532, 559 – Integration 56, 63, 66, 68, 81, 96, 118, 140–142, 149, 153 –155, 228, 230, 279, 290, 299, 304, 307, 310, 334, 336, 347, 464, 559, 568 – Kommunikation 59, 160, 175, 177, 228 –234, 243, 291, 376, 415, 459 – Legitimierung 59, 68, 94, 185, 251, 293, 392, 567 – Unterwerfungsgestus 27, 287 –291, 317, 336, 415 Wahlgeschichte, Neue 23 Wahlkommission 48 –49, 82, 84, 150, 168, 176, 187, 193 –194, 216, 228, 353, 360, 381, 425, 462, 479, 500, 506, 514, 523, 542, 564 Wahlkreiseinteilung 28, 124–125, 145, 244, 371, 428 Wahllokal 26, 33, 49, 82, 130–131, 153, 161, 165–167, 169, 174, 177, 182, 186, 189, 195, 205–207, 213, 216, 222, 224, 228, 248 –249, 263, 323, 325–326, 353, 360, 379, 383, 388, 393, 396, 408, 418, 420, 423, 425, 429, 437, 461–462, 479 –481, 496 –497, 499 – 500, 502, 504– 505, 513, 515– 516, 520, 542, 547, 557, 563 – 564 – Ausstattung 248 –249, 502– 506, 513 – 515 – Kirche 40, 46 –48, 51– 52, 82, 193, 248, 325, 507 – Privathaus 83, 166, 384 – Schule 249, 503, 508 – Synagoge 46, 249, 300, 507 – Wirtshaus, Kneipe, Saloon 166, 177, 249, 500– 502, 505, 507 Wahlpflicht 39, 54– 55, 85, 139, 299, 318, 473, 556, 558 Wahlpraxis – Akt der Stimmabgabe 24, 26, 33, 45–46, 48 – 51, 149, 151, 161, 167 –171, 174, 186 –187, 193 –194, 196, 204–205, 213 –214, 216, 222, 227 –228, 245–247, 250, 262, 273, 275–277, 279, 284, 310, 317,

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325, 339, 379, 388 –389, 415, 423, 428 –429, 438, 452, 461–463, 480, 482, 505, 511, 513 – 516, 520, 522, 527, 530, 538, 542– 543, 547 – 548, 564, 567 – Ballotage 48 –49, 51, 150–151, 520 – Desinteresse an Wahlen 34, 39, 41–42, 44, 49, 52– 55, 85, 88 –89, 92– 93, 161, 164, 175, 179, 181–182, 222, 249, 438 –439, 545, 556, 571 – Kosten des Wählens 41, 51– 52, 479 –480, 500– 502, 505, 516, 521 – Technik des Wählens 9, 12, 18 –19, 33 –34, 49, 56, 78, 82, 84, 89, 150–151, 169 –170, 175, 271, 279, 333, 373, 388, 428, 454–455, 462, 470, 495, 503, 510, 519 – 520, 531– 532, 536, 541– 543, 566 – 568 – Uhrzeit des Wählens (siehe auch Zeit) 47, 222, 239, 362, 379, 385, 389, 438, 506, 538 – Urne 48, 89, 150–151, 167 –168, 183, 194–195, 205, 339, 379, 391, 399, 401, 418 –419, 425–426, 428 –429, 440, 455, 505, 508 – 510, 514, 524, 531– 532, 541– 542 – Wahlkabine 26, 34, 371, 454, 479, 505, 511– 513, 515– 516, 521, 531– 532, 542, 544, 546, 548, 567 – Wahlversammlung 249 – Weg zum Wahllokal 165, 249 – Wochentag der Wahlen 47, 153, 164 Wahlprüfung 85, 89 – 90, 150, 152, 173, 193, 355, 366, 370, 376, 380, 382, 390, 400–403, 405, 425, 439, 462, 468, 524, 545 Wahlrecht, indirektes 80, 147 –148, 155, 243, 247 –248, 271–274, 313, 463, 568 Wahlrechtserweiterung 33, 56, 87, 91, 93 – 94, 102, 139, 141, 180, 186, 205, 252–253, 255, 263, 265, 267 –268, 276, 284–285, 301–303, 307 –308, 314, 323 –324, 326, 333 –334, 342, 448, 472, 485, 549, 555– 556, 559, 562– 563 Wahlrechtsqualifikation 45, 105–106, 109 –111, 244–245, 466, 494 – Besitzqualifikation 256 – Bildung (siehe auch Bildung allg.) 18,

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62, 83, 88, 205, 244, 430, 469, 485–488, 490–494, 497 –498, 560 – Grundbesitzqualifikation 77, 102–108, 110, 167, 171, 306, 562 – Wahlalter 79, 301, 330, 532, 557, 563 – Wohnort des Wählers 45, 114, 117 –119, 121–123, 125–126, 134, 185, 187, 216, 330, 497, 558 – Zensuswahlrecht (siehe auch Dreiklassenwahlrecht in Preußen) 18, 39, 62, 73, 75, 77 –79, 86 –87, 92, 101–102, 105, 107 –110, 115, 123, 183, 243 –244, 256 –257, 463, 466, 469 –470, 472 Waitz, Georg 154 Weber, Alfred 463 Weber, Max 12, 16, 27, 115, 258, 265, 270, 306, 308 –309, 450, 452–453, 458, 463, 490, 529, 533, 535, 540, 550 Wedekind, Frank 463 Wehrpflicht (siehe auch Militär) 64– 65, 69, 126, 153, 301–306, 540, 558 Welcker, Carl 100, 152, 287, 305 Westphalen, Ferdinand von 253, 259, 298, 352–355, 358 Whitman, Walt 203, 217 –218

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Wilhelm I. 233, 291, 293, 296, 336, 340–341, 354–362, 368, 533 Wilhelm II . 229, 246, 288 –289, 305, 348, 370, 463, 472, 518, 533 –534, 540 Willard, Frances 475, 477 Willis, Nathaniel Parker 221 Wilson, Woodrow 347, 450, 452–453, 488, 569 – 570 Winchell, Alexander 475 Windthorst, Ludwig 277, 334, 486 Wissenschaft 12 Wolff, Theodor 458 Wollstonecraft, Mary 211 Wrangel, Friedrich von 239, 351 Z Zeit 347, 362, 450 – Beschleunigung 275, 348, 450, 516 – 525, 527 – Dauer des Wahlaktes 47, 49 – 50, 164–165, 250, 317, 339, 388, 516, 520– 523, 545, 567 Zentrumspartei (siehe auch Religion) 334, 367, 375, 384, 386, 391, 454, 538 – 539, 559 Zweig, Stefan 448

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Dank Mein herzlicher Dank gilt Thomas Stamm-Kuhlmann und Hubertus Buchstein, die mich an der Universität Greifswald bei meinen Forschungen inspiriert und immer unterstützt haben. Wie die beiden hat auch Thomas Kühne mich beraten und nicht die Mühen des Habilitationsgutachtens gescheut. Viele weitere Kolleginnen und Kollegen haben mir geholfen und meine Forschung an entscheidenden Stellen kritisiert. Zu ihnen gehören Margaret Anderson, Frank Möller, Dirk Jörke, der mir leider selten zustimmt, Michael Czolkoß, Thomas Stockinger, Tim B. Müller, Birte Förster, Jeppe Nevers, Andreas Biefang, Ute Daniel, Thomas Mergel, Karl-Heinrich Pohl, Jim Retallack und Niels Hegewisch. Frank Bösch hat mit freundlichen Nachfragen nach dem Fortgang meiner Habilitation und mit zielsicheren Erwägungen oft maßgebliche Veränderungen bewirkt. In den Kolloquien von Paul Nolte, Gabriele Lingelbach, Michael Hochgeschwender, Jörn Leonhard, Birgit Aschmann, Andreas Fahrmeir, Christoph Cornelißen, Hubertus Buchstein, in den Kolloquien des Departments Geschichte der Süddänischen Universität, des Historischen Instituts der TU Darmstadt, der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien und im Kolloquium für Sozialgeschichte der Universität Bielefeld konnte ich meine Thesen diskutieren und schärfen. Außerdem danke ich für Auskünfte, Anregungen und Horizonterweiterungen Hanna Acke, Richard Bensel, Manfred Berg, Hannah Bethke, Eva Blome, Jean-Louis Briquet, Kurt Düwell, Claudia Gatzka, Stefan Grüner, Karen Hagemann, Levke Harders, Karin Hausen, Michael Hein, Theo Jung, Zoé Kergomard, Esther-Beate Körber, Detlef Lehnert, Jenny Linek, Jens Niederhut, Katharina Pohl, Peter Pohl, Benjamin Schröder, Bernd Sösemann, Peter Steinbach und Thomas Welskopp. Da ein funktionierender Kapitalismus dann irgendwie doch mehr Überfluss als Knappheit hervorbringt, wurde ich die glückliche Empfängerin verschiedener Fellowships, Stipendien und finanzieller Unterstützungen, die meine Forschungen in Europa und den USA ermöglicht haben. Besonders danke ich dem Deutschen Historischen Institut in Washington, der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Bielefeld Graduate School in History and Sociology. Sabine Lammers von der Hamburger Edition bewundere ich für ihr kluges Lektorat. Überhaupt bin ich beeindruckt von der Sorgfalt, mit der das Verlagshaus Hamburger Edition die Publikation betreute, was nicht zuletzt der Umsicht und Kompetenz der Verlagsleiterin Birgit Otte geschuldet ist, aber auch der Korrektur von Elsbeth Müller. Großer Dank gilt meinem Mann, für den meine historiografische Euphorie nicht immer leicht zu ertragen war. Gleichwohl hat er mit mir in unzähligen Stunden über meinen Text, über Demokratie, Prozessbegriffe, Wahlurnen und Stimmzettel, Geschlechterforschung, Ikonografie oder den Sinn von Meistererzählungen diskutiert. Hamburg, 1. Juni 2017

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Zur Autorin Hedwig Richter, PD Dr. phil., Historikerin. Seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe »Demokratie und Staatlichkeit« am Hamburger Institut für Sozialforschung. Zuvor war sie u.a. an der Universität Greifswald, am Deutschen Historischen Institut in Washington und an der Universität Bielefeld tätig. Sie schreibt für die Süddeutsche Zeitung und für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.