Mobile Arbeitsplätze als kreative Räume: Coworking Spaces, Cafés und andere urbane Arbeitsorte [1. Aufl.] 9783839424278

Welche Bedeutung haben urbane Räume und Orte für mobile Kreativarbeit am Laptop? Désirée Benders soziologische Studie an

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Mobile Arbeitsplätze als kreative Räume: Coworking Spaces, Cafés und andere urbane Arbeitsorte [1. Aufl.]
 9783839424278

Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Theoretische Perspektiven und Begriffsklärungen
1.2 Die Daten und ihre Befremdung
1.3 Methodik und Sample
1.4 Coworking Spaces: Arbeiten als konzertiertes Erlebnis?
2 Ambivalente Orte: (Arbeitsraumkonstruktionen am) Heimarbeitsplatz und ICE als Kontraste zum Coworking Space
2.1 Der Heimarbeitsplatz als problematischer Ausgangspunkt für KreativarbeiterInnen?
2.2 Der Heimarbeitsplatz als Chance? Instabile Strategien des Arbeitsortswechsels
2.3 Segen und Fluch zugleich: Der Heimarbeitsplatz als Ort (un)gewollter Störungen
2.4 Undoing being a digital worker on the road: Der ICE als Kontrast zum Coworking Space
2.5 Der ICE als idealer Arbeitsort für Kreative: Landschaft und Menschen als Inspirationsspender
2.6 Mehr zum Ortskosmos kreativ-digital arbeitender Freelancer
3 Leistungen der Arbeitsraumkonstitution im Starbucks-Café
3.1 David Kadels Arbeitsraum im Café: Transkriptsequenzen
3.1.1 Das Coworking Space im Starbucks
3.1.2 Konsum: „Der Starbucks lässt dich 8 Stunden in Ruh!“
3.1.3 Starbucks oder Lumen? Arbeitsanforderungen, Materialitäten und Atmosphäre im Kontrast
3.1.4 Klärung eines konfrontativen (?) Verhältnisses: Container-Räume vs. ein relationales Raumkonzept
3.1.5 Ein Schnelldurchlauf eines typischen Arbeitstages im Starbucks: „und dann hebt das Ding ab!“
3.2 Die Partizipanden des Netzwerkes kreativen Arbeitens im Starbucks-Arbeitsraum
3.2.1 Affektivität
3.2.2 Kopräsente Andere
3.2.3 (Il)legitime Praktiken: Grenzarbeit des Starbucks als Caféraum
3.3 Zwischenfazit
3.4 Der Arbeitsraum der Ethnographin oder: CafébesucherInnen als situative Außenseiter?
3.5 Ein schleichender Übergang: Von ,doing working‘ zu ,undoing working‘ oder: Das Ende einer Arbeitsraumkonstitution
3.6 Die Kultur einer Szene: Coworking Spaces und Cafés im Kontrast
3.7 Der Weg zum Arbeitsort: Ein Gang ins Ungewisse? Städtische Orte
4 Fazit: Kreativitäts- und Raumdispositiv
5 Bibliographie

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Désirée Bender Mobile Arbeitsplätze als kreative Räume

Materialitäten Hg. von Gabriele Klein, Martina Löw und Michael Meuser | Band 20

Ich widme dieses Buch Frida Yoko Fee.

Désirée Bender (Dipl.-Päd., Dipl.-Soz.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Biografie- und Diskursforschung sowie Wissens-, Kultur- und Raumsoziologie, Transnationalitätsforschung, Soziale Unterstützungs- und Bewältigungsforschung.

Désirée Bender

Mobile Arbeitsplätze als kreative Räume Coworking Spaces, Cafés und andere urbane Arbeitsorte

Die Entstehung dieses Buches wurde insbesondere durch Sabrina Hofmann und Michael Liegl mithilfe spannender und gewinnbringender Diskussionen unterstützt, vielen Dank dafür! Im Falle Sabrina Hofmanns bedanke ich mich zusätzlich ganz herzlich für die Raum- und Kaffeeversorgung, ihr unschätzbares konsequentes Mutmachen und ihre Freundschaft. Mein Dank gilt auch Albrecht von Schnurbein, der maßgeblich zur graphischen Umsetzung von Erkenntnissen beitrug. Vielen Dank auch an Birgit Ulber und Dana Esch für ihre lektorische Unterstützung sowie dem Deutschen Akademikerinnenbund für die Bezuschussung. Mein herzlichster Dank geht an Jutta und Gisbert Freber, auf die ich in jeder Hinsicht zählen kann, sowie an Barbara Bender für ihre unschätzbare und kontinuierliche Hilfe im Alltag! Zuletzt gilt mein größter Dank Dennis Bender, dessen Unterstützung schlicht unermesslich ist.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Chili Gallei / www.chiligallei.com Lektorat & Satz: Désirée Bender Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-8376-2427-4

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1

Einleitung | 7

1.1 1.2 1.3 1.4

Theoretische Perspektiven und Begriffsklärungen | 14 Die Daten und ihre Befremdung | 16 Methodik und Sample | 21 Coworking Spaces: Arbeiten als konzertiertes Erlebnis? | 25

2

Ambivalente Orte: (Arbeitsraumkonstruktionen am) Heimarbeitsplatz und ICE als Kontraste zum Coworking Space | 33

2.1

Der Heimarbeitsplatz als problematischer Ausgangspunkt für KreativarbeiterInnen? | 34 Der Heimarbeitsplatz als Chance? Instabile Strategien des Arbeitsortswechsels | 49 Segen und Fluch zugleich: Der Heimarbeitsplatz als Ort (un)gewollter Störungen | 56 Undoing being a digital worker on the road: Der ICE als Kontrast zum Coworking Space | 65 Der ICE als idealer Arbeitsort für Kreative: Landschaft und Menschen als Inspirationsspender | 73 Mehr zum Ortskosmos kreativ-digital arbeitender Freelancer | 78

2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

3

Leistungen der Arbeitsraumkonstitution im Starbucks-Café | 83

3.1

David Kadels Arbeitsraum im Café: Transkriptsequenzen | 84

3.1.1 Das Coworking Space im Starbucks | 90 3.1.2 Konsum: „Der Starbucks lässt dich 8 Stunden in Ruh!“ | 93 3.1.3 Starbucks oder Lumen? Arbeitsanforderungen, Materialitäten und Atmosphäre im Kontrast | 95 3.1.4 Klärung eines konfrontativen (?) Verhältnisses: Container-Räume vs. ein relationales Raumkonzept | 99 3.1.5 Ein Schnelldurchlauf eines typischen Arbeitstages im Starbucks: „und dann hebt das Ding ab!“ | 103 3.2 Die Partizipanden des Netzwerkes kreativen Arbeitens im Starbucks-Arbeitsraum | 107 3.2.1 Affektivität | 122 3.2.2 Kopräsente Andere | 129 3.2.3 (Il)legitime Praktiken: Grenzarbeit des Starbucks als Caféraum | 133 3.3 Zwischenfazit | 137 3.4 Der Arbeitsraum der Ethnographin oder: CafébesucherInnen als situative Außenseiter? | 140 3.5 Ein schleichender Übergang: Von ,doing working‘ zu ,undoing working‘ oder: Das Ende einer Arbeitsraumkonstitution | 144 3.6 Die Kultur einer Szene: Coworking Spaces und Cafés im Kontrast | 153 3.7 Der Weg zum Arbeitsort: Ein Gang ins Ungewisse? Städtische Orte | 156

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Fazit: Kreativitäts- und Raumdispositiv | 165

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Bibliographie | 173

1 Einleitung

Seit einigen Jahren lässt sich ein Phänomen an unterschiedlichen öffentlichen Orten1 immer häufiger beobachten. Ob im Café, im Zug, im Park oder am Bahnhof: Merkwürdige Anordnungen zwischen Menschen und technischen Geräten wie z.B. Laptops, iMacs oder Smartphones scheinen neben Zeitungen oder Bücher lesende Personen, neben laufende, stehende und sitzende Menschen getreten zu sein. Was passiert dort eigentlich? Was machen sie da, die Geräte und die Menschen? Und warum tun sie es dort? Wer tut hier eigentlich was mit wem? Viele soziologisch interessante Fragen werden aufgeworfen, wenn man sich diesen meist in Städten und oft an öffentlichen Orten agierenden Akteuren zuwendet. Obgleich die Akteure jeweils sehr Unterschiedliches tun, tun sie es auf ähnliche Weise2. Im Rahmen dieser Studie wird jene Gruppe untersucht, die 1 | Mit dem Begriff des Ortes ist einerseits eine physische, erfahrbare und geometrisch erfassbare Stelle gemeint, an der AkteurInnen lokalisiert sind. Ausgehend von diesem Ort, an diesem Ort und unter Wirkweisen des Ortes, die er nur in und durch soziale Zuschreibungen und Praktiken erhält, sind Raumkonstruktionen möglich, die aus Spacing- und Syntheseleistungen bestehen, was später ausführlich behandelt wird (vgl. Löw 2001). Andererseits bezeichnet der „distinktive Ort eine Variable, die Individuen bewusst auswählen, weil dort passende Inszenierungsmöglichkeiten für Gruppenbildungsprozesse herstellbar sind“ (Lange 2007, S. 36). 2 | Hiermit ist gemeint, dass zwar nicht ersichtlich ist, was genau jemand am Laptop tut, aber wie er es tut und etwa mit ihm umgeht, in einer relativen Ähnlichkeit vonstatten geht. Der Laptop prädisponiert den mensch-

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ALS KREATIVE

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arbeitet. Spezifischer werden ,kreativ‘ arbeitende Freelancer und ihre Arbeitspraktiken fokussiert und die Beantwortung der Frage verfolgt, an und in welchen Orten und Räumen mit welchen Objekten wie gearbeitet wird. Entsprechend ist auch von Interesse, warum kreativ Arbeitende an diesem oder jenem Ort arbeiten und wie sie dies hier oder dort jeweils tun. Indem die Untersuchung von kreativ arbeitenden Freelancern am Laptop im Zentrum steht, geraten ihre Ortssuchen und ihr Interesse an ästhetisierten Räumen in den Blick. Mit den oben genannten Fragen greift die Arbeit die Ausführungen Liegls auf, der den häufig als „digitale Nomaden“ (vgl. z.B. Friebe/Lobo 2006, S. 15 ff.) bezeichneten Freelancern – entgegen des oft beschworenen Phantasmas der Ortlosigkeit – in Anlehnung an Foucault eine „Sorge um den Raum“ diagnostiziert. Trotz historisch technologischer Neuerungen und damit einhergehender neuer kreativer Arbeitsweisen sind digitale Nomaden zwar nicht an einen spezifischen Ort gebunden, doch sei eben deswegen „die Frage des Orts nicht gleichgültig“ (Liegl 2011a, S. 183) geworden. Entsprechend weisen auch die im Rahmen der vorliegenden empirischen Arbeit entstandenen Analysen darauf hin, dass spezifische Orts- und Raumsorgen insbesondere kreativ Arbeitende umzutreiben scheint, die zum Arbeiten eigentlich „nur“ ihren Laptop benötigen. Dass die von Liegl als „Suche nach authentischen Orten“ (ebd.) bezeichnete vor allem auch als eine Suche zu verstehen ist, die innerhalb (kreativer) Arbeitsprozesse selbst hervorgebracht, in sie eingebunden und durch sie erst notwendig wird und dass sie zudem eine Suche in sich selbst darstellt, darüber wird diese Arbeit u.a. Aufschluss geben. Dies geschieht, indem der Zusammenhang zwischen den Anforderungen kreativer Arbeit, den Ortswahlen und Raumkonstitutionen kreativ Arbeitender besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dabei finden die Arbeitspraktiken, wie auch die zu ihnen gehörigen und sie tragenden Raumkonstitutionen der kreativ arbeitenden Freelancer, besondere Berücksichtigung. Es wird gezeigt, dass nicht lichen Körper, die Finger, die Augen, den Kopf – und den gesamten Körper dazu, sich auf eine spezifische Weise zu (ver)halten.

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zu unterschätzende Leistungen der Ortswahlen und der (Arbeits-) Raumkonstitution durch die Akteure vonnöten sind, um ihr kreatives Arbeiten überhaupt erst zu ermöglichen. Es wird demnach untersucht, wie (und womit) Räume zu Arbeitsräumen werden, wie sie wieder aufgelöst werden, wie sie Überlappungen eingehen mit anderen, virtuellen Räumen und welche Leistungen hierzu von welchen Partizipanden bzw. Akteuren jeweils zu erbringen sind. So werden verschiedene Wirkungszusammenhänge der Arbeitsraumkonstitution untersucht, dabei den Akteuren gefolgt und folgende Fragen in den Blick genommen: Wo führt „es“ sie hin? Und: Was führt sie eigentlich? Erste Hinweise auf diese Fragen lieferte Heubel, der 2002 eine Arbeit vorlegte, in der er sich um eine Analyse des „Dispositiv[s]3 der Kreativität“ verdient machte. Auch Reckwitz schält zentrale Schalt3 | Foucault fasst das Dispositiv als ein „entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze“ (Foucault 1978, S. 119 f.) umfasst. Weit mehr als bei Diskursen geht es ihm hier auch um Ungesagtes und Materielles, wie z.B. um architektonische Institutionen. Das Dispositiv ist als das Netz zu betrachten, das zwischen den im obigen Zitat als beispielhaft benannten Elementen gespannt ist. Zusammengehalten wird das Gebilde von Machtstrategien und Wissenstypen. Auch wenn das Dispositiv viele so heterogene Elemente verbindet, sollte es nicht als statisch missverstanden werden: Die Verbindungen und auch die Funktionen der Elemente des Dispositivs können wechseln und sind in permanenter Veränderung begriffen (vgl. Ruoff 2007, S. 101). Das Dispositiv weist in Foucaultscher Perspektive – ebenso wie auch Diskurse – eine Ordnung auf. Diese ist aber als flüchtige zu verstehen (vgl. Schmidt o. J., o. S.), d. h., sie ist nicht als starr und zeitüberdauernd zu betrachten, sondern als etwas, das kontinuierlich wiederhergestellt, aber auch verschoben wird.

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stellen und Arrangements des Kreativitätsdispositivs heraus. Letzt genanntes entfaltete sich seit den 1980er Jahren und dringt seither in immer neue gesellschaftliche Sphären ein. Er versteht Kreativität dabei als einen Fluchtpunkt einer weit „gestreuten kulturellen Problematisierungsweise“ (Reckwitz 2012, S. 51) markierend, „die sich aus verschiedensten sozialen Formaten zusammensetzt“ (ebd.). Dabei umfasst sie plurale Alltagstechniken kreativer Arbeitsprozesse „bis zur privaten Gestaltung eines Bekleidungsstils ebenso wie Diskurse der Kreativität, und zwar Wahrheitsdiskurse der Psychologie sowie Narrative und Imaginationen, die Bilder des idealen Kreativen präsentieren“ (ebd.). Zugleich umfasst dieses Dispositiv „typische Artefaktzusammenhänge von digitalen Datenströmen bis zu gentrifizierten Stadtvierteln ebenso wie entsprechende Subjektivierungsformen eines Kreativarbeiters oder globalen Städtetouristen“ (ebd.). Das Kreativätsdispositv schafft eine ,subjektive‘ Faszination und Sensibilisierung für das Neue, den ,perfekten Körper‘ des Kreativsubjekts, der angereichert mit Accessoires auch „für das ständige In-Bewegung-Sein“ sorgt und es ,braucht‘ (Reckwitz 2012, S. 52). Reckwitz kritisiert an Foucaults Dispositivkonzept, dass er die soziale Affektivität und den emotionalen Charakter von Subjektanrufungen außer Acht gelassen habe und in den Blick genommen werden müsse, was die Subjekte dazu motiviere, sich sozialen Formen zu fügen. Das generativ wirkende Kreativitätsdispositiv offeriert auch auratisch aufgeladene, begehrenswerte Subjektpositionen, mit denen Individuen sich identifizieren können, wenn ihre Körper die ,richtigen‘ Praktiken tragen. Die vorliegende Arbeit greift dieses Desiderat auf und macht sich auf die Suche nach Elementen des transversalen Dispositivs, das Segmente unterschiedlichster Felder einbezieht, sie miteinander in Beziehung setzt und sich als das zwischen ihnen geknüpfte Netz arrangiert. Die Betrachtung der Alltagstechniken der KreativarbeiterInnen gibt Aufschluss über einzelne Verflechtungen des komplexen Kreativitätsdispositivs, das Städte, Orte, Räume, Körper, Laptops, Techniken der Selbstzuwendungen, Subjektformen und Arbeitsweisen sowie Anrufungen des arbeitenden Selbst umfasst und sie

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in ein spezifisches Arrangement bringt. Dieses legt Zeugnis ab von einem vor allem in urbanen Räumen stattfindenden Prozess der Alltagsästhetisierung von Körpern, Subjekten, Städten, Orten, diversen Objekten und Arbeitsräumen. Entsprechend sind die Leitfragen, die der Strukturierung der vorliegenden Untersuchung dienen, die folgenden: Wie und wann konstituieren Akteure ihre (Arbeits-)Räume an welchen Orten und welche Subjektformen4 werden in diesen Prozessen hervorgebracht? Welche Leistungen müssen hierfür von Objekten, Körpern5 und anderen Materialitäten erbracht werden? Welche Praktiken werden 4 | Michel Foucault stellte umfassende Studien zu machtvollen Subjektivierungen vor. Vor allem in seinem Aufsatz „Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Subjekts“ verdeutlicht er, dass es eine spezifische Machtform ist, die Individuen in Kategorien einteilt, ihnen Individualitäten aufprägt und sie an Identitäten fesselt. Die Machtform, die Foucault für die zu seinen Lebzeiten dominierende hält, ist jene, „die aus Individuen Subjekte macht“ (Foucault 2004, S. 246, Hervorh. n. i. Orig.). Unter einem Subjekt versteht Foucault auf der einen Seite, dass man durch Abhängigkeit und Kontrolle jemandem unterworfen und auf der anderen Seite „durch Bewußtsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet“ (Foucault 2004 S. 246 f.) ist. Subjekte sind demnach kontingente Erscheinungen, die nur durch die Existenz einer bestimmten Machtform sowie mithilfe spezifischer Machttechniken auftreten, indem sie jemandem unterworfen sind, sich aber zugleich auch selbst unterwerfen. Individuen können diesem Verständnis zufolge nur sprechen und sinnhaft handeln, wenn und weil sie sich innerhalb eines diskursiven Kosmos bewegen, der intelligibles Sprechen und Handeln ermöglicht. 5 | Wie Hirschauer kritisierte, tendiere die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) dazu, dass eine Konzentration auf überwiegend technische Artefakte eine Vernachlässigung eines anderen kulturellen Objektes mit sich gebracht habe, nämlich des Körpers (vgl. Hirschauer 2004, S. 74). Wenn Latour/ Callons Akteur-Netzwerk-Theorie im Rahmen der Studie berücksichtigt wird, dann nicht aus sozialtheoretischer Motivation heraus, sondern vielmehr aufgrund des analytischen Zugewinns als heuristisches Werkzeug.

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durch personale Träger vollzogen, wie wird kreatives Arbeiten praktisch produziert und wer und was partizipiert an der Hervorbringung wie? Welche ortsverbindenden Praktiken können beobachtet werden, die stadtsoziologisch von Interesse sind und innerhalb der Arbeitspraktiken relevant werden? Der Beantwortung dieser und weiterer Fragen widmet sich diese Arbeit. Hierzu gliedert sich die Arbeit wie folgt: Zunächst werden die theoretischen Perspektiven kurz beleuchtet, die im Rahmen der Studie bedeutsam sind sowie zentrale Begrifflichkeiten geklärt (Kapitel 1.1), um unter 1.2 eine Reflexion methodologischer Hintergründe und des Umgangs mit den im Forschungsprozess gewonnenen Daten zu leisten. Im darauf folgenden Kapitel 1.3 wird das für die Untersuchung zusammengesetzte Sample näher betrachtet und das methodische Vorgehen erläutert. Kapitel 1.4 beschäftigt sich mit Coworking Spaces, einer bedeutsamen Institutionalisierungsform des (durch das Dispositiv) produzierten Begehrens nach authentischen, auratisch aufgeladenen, kreativfördernden, ästhetisierten Orten bzw. Räumen. Diese wurden (teils) speziell für die Zielgruppe der KreativarbeiterInnen und deren antizipierte Bedürfnisse eingerichtet und geben eine Antwort auf die Suche nach geeigneten Arbeitsorten für digital arbeitende Freelancer. Im Verlauf der Arbeit dienen Coworking Spaces als Arbeitsrauminstallationen für Kreative häufig als Kontrastfolie6, vor der Spezifika derselben und anderer ausgewählter Arbeitsorte eruiert werden. So werden im Kapitel 2 der Hirschauers Kritik folgend, erschien auch im Rahmen dieser Analyse der Körper als bedeutsames Objekt, das entsprechend einbezogen wurde. 6 | Bekennende Coworker, also Coworking Space BesucherInnen, werden deshalb häufig als Kontrastgruppe herangezogen, da sie sich für – im Vergleich zu z.B. in Cafés Arbeitenden – hochgradig institutionalisierte, diskursiv stark präformierte Coworking Räume entscheiden und damit anders ,Raum machen‘ als dies z.B. bei CafébesucherInnen der Fall ist. Später werden die verschiedenen Raumkonstitutionen näher erörtert. Coworker schließen sich einer homogeneren Gruppe an als die sich als stärker Individualisierten darstellenden CaféarbeiterInnen.

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Heimarbeitsplatz und danach der Arbeitsort Zug (ICE) besichtigt und Arbeitspraktiken der KreativarbeiterInnen erschlossen. In Kapitel 3 wird eine umfassende Analyse von Arbeitsraumkonstitutionen im Café (Starbucks in Wiesbaden) vorgestellt. An diese schließt sich die Betrachtung weiterer zentraler Aspekte an, die durch teilnehmende Beobachtungen im Starbucks in Wiesbaden auffielen. Neben der Betrachtung von soziologischen Konzepten des Lebensstils und der Szene7 werden Differenzmarkierungen und Distinktionen als für die KreativarbeiterInnen an von ihnen ausgewählten, öffentlichen Arbeitsorten bedeutsame Prozesse destilliert. Hier wird auch untersucht, wie Arbeitsräume wieder in sich zusammenfallen können und wie dies für soziologische BeobachterInnen ersichtlich werden kann. Die Betrachtung von ,Membership-Praktiken‘ im StarbucksCafé dienen der Einleitung von empirischen und theoretischen Kontrastierungen zwischen den Praktiken der KreativarbeiterInnen im Café und im Coworking Space. So wird Aufschluss darüber gewonnen, welche Anforderungen Kreativsubjekte zu erfüllen haben, die in klassischen Arbeitsorganisationen häufig anderweitig übernommen werden. Auch werden hinter den jeweiligen Kapiteln, in denen einzelne Arbeitsorte wie der Heimarbeitsplatz, der ICE und das Starbucks-Café besucht werden, jeweils empirische und theoretische Kontrastierungen in verschiedenen Formaten aufgeführt (s. Kapitel 2.1, 2.4, 3.7). Ein Fazit, das die zentralen Aspekte der Analyse noch einmal bündelt und in Bezug auf das Kreativitätsdispositv theoretisiert, in dem aber auch neue Anschlussstellen herausgeschält werden, schließt die Arbeit ab. 7 | Wie Lange anmerkt, gewinnen „[S]soziologische Kategorien wie Stil, Szene, Trend und Moden [...] als Mittel der sozialen Distinktion an Alltagsrelevanz“ (Lange 2007, S. 27). So wird das „lange Zeit existierende klassen- oder schichtenspezifische Modell [...] folglich durch das Lebensstilund Szene-Modell ersetzt.“ (Ebd.) Dass dabei „Zugehörigkeitskategorien mit ihren entsprechenden Symbolwelten und Bindungsformen“ nicht als „frei wählbar verstanden“ (ebd.) werden, verdeutlichen Funke und Schroer (vgl. Funke/Schroer 1998).

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1.1 THEORE TISCHE P ERSPEK TIVEN UND B EGRIFFSKL ÄRUNGEN Bei den schon viel genannten Praktiken geht es im Unterschied zum europäischen Handlungsbegriff „um einen gewissermaßen ,tiefergelegten‘ Begriff. Dementsprechend wird darunter keine mit Intentionen verknüpfte Aktivität verstanden und ebenso wenig ein kommunikatives Attributionsphänomen, sondern eine elementare Praxis vor der symbolischen Kondensierung von ,Handlungen‘“ (Hirschauer 2004, S. 73). Während eine Handlung nach einem Sinnstiftungszentrum verlangt, läuft eine Praxis immer schon, „die Frage ist nur, was sie am Laufen hält und wie ,man‘ oder ,Leute‘ sie praktizieren“ (ebd.). Die ,Praktik‘ ist als die „kleinste Einheit des Sozialen in einem routinisierten nexus of doings and sayings (Schatzki) zu suchen“ [ist,] das durch ein implizites Verstehen zusammengehalten wird.“ (Reckwitz 2008, S. 113, Hervorh. i. Orig.). So besteht eine Praktik aus spezifischen routinisierten Aktivitäten und Bewegungen des Körpers: „Diese Körperlichkeit des Handelns und der Praktik umfasst die beiden Aspekte der Inkorporiertheit von Wissen und der Performativität des Handelns“ (Reckwitz 2008, S. 114). Die Praxistheorie betrachtet Wissen vornehmlich in seiner körperlich-leiblichen Mobilisierbarkeit, ohne dass damit eine Explizierungsfähigkeit oder auch Explikationsbedürftigkeit einherginge. Nicht nur ist die Praktik als soziale immer „eine kollektiv vorkommende Aktivität, sondern auch eine potenziell intersubjektiv als legitimes Exemplar der Praktik X verstehbare Praktik – und diese soziale Verständlichkeit richtet sich auf die körperliche performance“ (Reckwitz 2008, S. 114, Hervorh. i. Orig.). So benötigt eine praxeologische Analyse, die im Allgemeinen den soziologischen Standpunkt von ,Warum‘ auf ,Wie-Fragen‘ umstellt, ein Herunterbrechen einer scheinbaren, leicht reifizierbaren Totalität einer „ganzen Lebensform“ (Reckwitz 2008, S. 119) auf präzise bestimmbare Alltagspraktiken. Wenn im zweiten Schritt dann nach hochspezifischen und vielmehr außergewöhnlichen Wissensformen gefragt wird, und wie diese einzelne Praktiken ermöglichen, klingt das bei Reckwitz so: „Was sind die know-how-Formen, die Formen

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impliziten Verstehens, die kulturell geformten Motivationen, die die Praktiken des Arbeitens [...], des Selbst ermöglichen?“ (ebd.). Für den vorliegenden Kontext übersetzt heißt die zentrale Frage dann: Was wird tatsächlich geleistet, um ,kreativ‘ am Laptop zu arbeiten, wie geht das praktisch vor sich, was können die Akteure, welche Techniken werden eingesetzt, welches kulturelle Wissen offenbart sich hier? Eine solche praxistheoretische Perspektiveinnahme einnehmend und erweiternd, wird die in den großen Erzählungen der Moderne und auch in weiten Teilen der Sozialwissenschaften vielbeschworene Differenz bzw. Dichotomie zwischen ,autonomen Menschen‘ und ,technischem Zwang‘ hier grundlegend in ihrer Sinnhaftigkeit für soziologische Forschung in Zweifel gezogen (vgl. Rammert 2006, S. 164 ff.). Stattdessen wird für das Untersuchungsfeld der Kreativarbeitenden angestrebt, die Spezifik von Praktiken spätmodernen soziotechnischen Arbeitens auszumachen und dabei gerade die Kollektivität und Verteiltheit des Handelns auf vielfältige Materialitäten, Objekte, Technologien, Artefakte und personale AkteurInnen aufzuzeigen. Entsprechend werden Materialitäten sowie Objekte und Technologien nicht als „instrumentelle Hilfsmittel“ (Reckwitz 2003, S. 284), sondern als spezifische Praktiken erst ermöglichend und begrenzend verstanden: „Sie werden gehandhabt und drängen sich auf, sie sind Gegenstand der Verwendung und Benutzung und zugleich beeinflussen sie die Form, die soziale Praktiken überhaupt haben können“ (Reckwitz 2010, S. 193). Wenn in einem solchen Zusammenhang von Akteuren die Rede ist, dann sind damit nicht nur menschliche gemeint, sondern es wird Bruno Latours/Michel Callons Begriffsverständnis gefolgt, die für eine symmetrische Anthropologie zwischen dinglichen – vor allem technischen – und menschlichen Akteuren plädierten. Die Vorstellung, dass auch Dinge innerhalb von Netzwerken zum Handeln gebracht und zu Akteuren werden können, indem sie wiederum das Handeln anderer am Netzwerk beteiligter Akteure beeinflussen, wird stellenweise als gezielt eingesetzte analytische Heuristik dienen. Die Beschäftigung mit den Daten stieß mich geradezu

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auf eine solche Betrachtung, die zum Vollzug eines „radikalen methodologischen Perspektivenwechsel[s] in der Soziologie verlangt“ (Belliger/Krieger 2006, S. 15). Hirschauer kritisierte, dass Latour/ Callons „Leitunterscheidung eben akteurzentriert“ (Hirschauer 2004, S. 74) bliebe. Eine praxistheoretische Perspektive einnehmend, plädiert Hirschauer dafür, „jede Reifikation von Akteuren zu vermeiden“ (ebd.) und stattdessen Artefakte als „Partizipanden sozialer Prozesse“ (ebd.) zu begreifen, worunter er all jene Entitäten versteht, „die auf eine für sie spezifische Weise in den Vollzug von Praktiken involviert sind“ (Hirschauer 2004, S. 75). An diese Kritik und den Vorschlag Hirschauers anschließend, wird der Begriff des Akteurs für technische, dingliche Objekte und andere Materialitäten im Rahmen der Arbeit dann nicht verwendet, wenn keine kontributorische Perspektive auf sie eingenommen werden soll, sondern vielmehr eine „partizipatorische“ (Hirschauer 2004, S. 74, Hervorh. i. Orig.).

1.2 D IE D ATEN

UND IHRE

B EFREMDUNG

Die für diese Arbeit von Sabrina Hofmann8 und mir erhobenen und generierten Daten bestanden vornehmlich aus Transkripten, die aus 8 | Sabrina Hofmann, die zu Coworking Spaces forschte, generierte Daten aus teilnehmenden Beobachtungen und leitfadenorientierten Interviews, die hier neben von mir erhobenen Daten zum Untersuchungsgegenstand werden. Gemeinsam mit zwei weiteren Personen eröffnete sie im August 2012 ein Coworking Space in Wiesbaden und ist bereits seit einigen Jahren als digital-kreativ Arbeitende für eine Agentur tätig (vgl. Heimathafen 2013). In dieser Funktion wurde sie von mir um Selbstbeobachtungen gebeten. Außerdem führte ich Interviews mit ihr, so dass ihr im Rahmen meiner Arbeit eine Doppelfunktion als Forscherin und befragte Feldinterne zukommt. Während – außer David Kadel – die anderen befragten KreativarbeiterInnen nur mit ihren Vornamen aufgeführt werden, wodurch auch eine Feldspezifik illustriert werden soll – die KreativarbeiterInnen in Coworking

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teilnehmenden Beobachtungen in Coworking Spaces „betahaus“ und „wostel“ in Berlin und im Starbucks-Café in Wiesbaden angefertigt wurden. Des Weiteren wurden zehn qualitative, offene Interviews mit Coworking Space NutzerInnen geführt sowie zwei weitere mit am Laptop kreativ arbeitenden Freelancern, die oft im Starbucks arbeiten. Außerdem wurden gezielt Selbstbeobachtungen der beiden Ethnographinnen unternommen und diese verschriftlicht. Die ethnographische Feldforschung sowie Selbstbeobachtungen und qualitative Interviews lieferten Informationen9 über die Tücken und Vorteile des Heimarbeitsplatzes, des Cafés, des Coworking Spaces, des Großraumbüros und des mobilen Arbeitsplatzes par excellence, dem Zug, in dem „doing working on the road“ auf längeren ICE-Fahrten von kreativ arbeitenden Freelancern vollzogen wird.

Spaces und auch in Cafés duzen sich in der Regel und sprechen sich mit ihren Vornamen an – wird Sabrina Hofmann mit Vor- und Nachnamen genannt, um ihrer Doppellrolle gerecht zu werden. 9 | Außerdem werden in diskursiven Inszenierungen wünschenswerter Formen des selbst organisierten Arbeitens am flexiblen Arbeitsplatz so genannte „Jellys“ genannt. Indem die große Nähe zwischen Jellys und Coworking Spaces hervorgehoben wird und diese in denselben Rahmen einer „Bewegung“ gestellt werden, zeigt sich hier nicht nur eine weitere Option eines Arbeitsortes für kreativ arbeitende Freelancer, sondern auch ein diskursives Einbinden dieser Orte als Katalysatoren einer sozialen Bewegung einer hochspezifischen Arbeitsform, die stets in die Semantiken der „Arbeitsform der Zukunft“ (Erb 2010) oder „neue Art der Arbeit“ (Mohl/ Fahle/Welter o. J. b) eingespeist und zu generalisieren versucht wird. So wird im „deskmag“, einem Coworking-Magazin, von einer „weltweiten Bewegung“ geschrieben. Und weiter: „Zur europäischen Jellyweek fanden Anfang diesen Jahres gleichzeitig Jellies in knapp 40 Städten statt. Anfang nächsten Jahres startet die Worldwide Jellyweek als globale Veranstaltung [...]“ (Becker 2011). Hier zeigt sich auch eine Verknüpfungsweise zwischen den verschiedenen Städten, in denen zeitlich dieselben Veranstaltungen stattfinden.

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Wenn die KreativarbeiterInnen in Interviews um die Erläuterung ihrer Motive zur Wahl ihrer Arbeitsorte gebeten wurden, sei hier dazu kurz angemerkt, dass diese Daten sich von jenen der durch teilnehmende Beobachtungen der Ethnographin entstandenen qualitativ unterscheiden. Durch die Befragung wurden „know how-Wissen“, „interpretatives Wissen“ (Reckwitz 2006, S. 41) in Form einer „,Hermeneutik des Selbst‘“ und motivational-affektive Schemata reflexiv verfügbar gemacht, in Sprache überführt und intersubjektiv sinnhaft zu verstehen gegeben. Dass es sich hierbei um einen Übersetzungsprozess handelt, der eine Modifikation ausgeführter Praktiken im Vollzug und in situ in retrospektive Erzählungen über sich selbst indiziert, sollte berücksichtigt werden. Zugleich ist die Erzählung der Interviewten wiederum als spezifische Praktik der Hermeneutik des Selbst zu verstehen, die bestimmten Regeln folgt und kulturelles Wissen über wünschenswerte, normalisierte, erwartbare und sinnhafte Interpretationen und Deutungen des Selbst innerhalb des kulturellen Feldes repräsentiert. Unter Rückbezug auf Daten, die im World Wide Web auf Coworking Space Homepages zu finden sind, wird auch das Verhältnis zwischen kulturellen Hermeneutiken des Selbst sowie solchen des Erzählens von sich Selbst und diskursiven Repräsentationen berücksichtigt. (Auch feldinterne) Diskurse über etwa die „digitalen Nomaden“ (vgl. z.B. Heinrich 2011), „the creative class“ (vgl. hierzu einschlägig Florida 2004) oder „die digitale Bohème“ (vgl. hierzu Friebe/Lobo 2008) liefern „,Subjektrepräsentationen‘“ (Reckwitz 2006, S. 43) verschiedenster Form, in denen „sich kulturelle Codes, die regeln, was wie darstellbar ist“ (ebd.), manifestieren und „Subjektmodelle und Anti-Modelle zur Darstellung bringen“ (ebd.). Sie sind deshalb im vorliegenden Kontext relevant, weil sie eine große Ähnlichkeit zu den Erzählungen der Motive der Wahl der Arbeitsorte der Subjekte aufweisen. Damit verweisen sie auf dieselben kulturellen Praktiken bzw. Codes der Repräsentation, die im sich formierenden Feld der kreativ arbeitenden Freelancer verfügbar sind und die Aufschluss geben über die Wirkungsweisen, Verästelungen und die Verfasstheit des Kreativitätsdispositivs.

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Kreativ arbeitende Freelancer sind dazu aufgerufen und bringen sich selbst dazu, sich durch Selbstbeobachtungen und Führungen des arbeitenden Selbst10 so instand zu setzen, dass kreatives Tätigwerden ermöglicht wird. Hierbei kommen spezifische Selbsttechniken zum Einsatz, von denen KreativarbeiterInnen gerne berichteten. Im Verlauf der Untersuchung wurde immer deutlicher, dass es sich sowohl bei den Ortssuchen kreativ arbeitender Freelancer als auch bei ihren Bemühungen zur Arbeitsraumkonstitution um hoch selbstreflexive, affektive Praktiken handelt, die teils psychologisierende Formen annehmen und kreative Arbeitsprozesse erst ermöglichen oder ihrer Prozessierung beihelfen. Zudem können im Vollzug der kreativen Arbeitspraktiken Subjektivationsmomente und Subjektivationseffekte entstehen, von denen die Freelancer im Sinne ihrer Selbstwahrnehmungen und Selbstbeschreibungen als Kreative profitieren. Dies bedeutet, dass ihre Erzählungen und/oder Selbstbeobachtungen der Auswahl eines spezifischen Ortes zum Arbeiten und der Arbeitsraumkonstitution an diesem Ort wiederum als Selbstinszenierungen als Kreative rekonstruierbar wurden. Auch dienen an mancherlei Stelle diskursive Spuren als aufschlussreich,

10 | Jürgens betont, dass Reproduktionshandeln in Arbeitsbereichen bereits „eigenlogisch auf den Erhalt nicht nur von Arbeits-, sondern auch von Lebenskraft zielt“ (Jürgens 2006, S. 272). Da im Rahmen der Arbeit das Interesse den Arbeitspraktiken und Arbeitsraumkonstitutionen der digitalen KreativarbeiterInnen gilt, werden diejenigen Praktiken von AkteurInnen in den Vordergrund gestellt, die von ihnen selbst als Arbeitspraktiken/Arbeitsweisen wahrgenommen, codiert, artikuliert und im Vollzug als solche zu verstehen gegeben werden. Dennoch wird im folgenden Kapitel auf das in der Industrie-, Arbeits- und Organisationssoziologie viel diskutierte Thema der so genannten ,Entgrenzung von Arbeit und Leben‘ Bezug genommen, da dies insbesondere am Heimarbeitsplatz auch für die betrachteten AkteurInnen eine große Rolle in ihrem Alltags- und Selbstverständnis spielt, das sich wiederum auf Subjektivierungen auswirkt bzw. sie widerspiegelt.

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die wiederum in Bezug gesetzt werden können zu Subjektformen der KreativarbeiterInnen. Im Folgenden sei noch kurz zwei Quellen von Missverständnissen vorgebeugt: Wenn beispielsweise Motive von KreativarbeiterInnen erfragt wurden (vgl. Kapitel 2 dieser Arbeit), so wurde dies immer vor den zuvor erläuterten theoretischen und methodologischen Einsichten getan und Subjekte nicht als emphatisch oder als Orte der Sinnstiftung begriffen, sondern immer erst durch und in spezifischen Praktiken als solche auftretend und erscheinend verstanden. So legt auch die Motiv- bzw. Motivationserhebung, die dem Interesse für den Grund und die Explizierbarkeit des Aufsuchens geeigneter Arbeitsorte von Kreativen geschuldet ist, Zeugnis ab von kulturellen Formen der Selbstzuwendung, die ein spezifisches Verständnis von Kreativität offenbart: Die Kreativ- und WissensarbeiterInnen lassen sich auf der Selbstsuche nach kreativem Potential von bereits ästhetisierten Orten bzw. Orten, die diskursiv Neues und ästhetische Geheimnisse zu offenbaren versprechen, leiten. Zudem werden aber auch Suchen in sich selbst eingeleitet. Hier wird dem Ethos gefolgt, das Kreative müsse erst hervorgelockt werden, zeige sich nicht überall und jederzeit, an manchen Orten jedoch eher als an anderen. Es sollte bereits deutlich geworden sein, dass „Kreativität“ hier nicht essentialisiert wird, sondern soziale Ästhetisierungsprozesse und die Entdeckung von Kreativität in einer spezifischen Form, die Vorstellung von Kreativität als Essenz gerade zum Objekt der Untersuchung gemacht wird; übrigens ein Objekt, das sich kaum materiell erschließen lässt, sondern sich als flüchtig und eben nicht als greifbar erwies, da es semiotisch, diskursiv, materiell, in Objekten, die in Praktiken eingebunden werden, jeweils verschieden zum Auftreten gebracht wird. Die Herstellungsweisen dessen, was mit Kreativität jeweils gemeint wird, worauf Akteure rekurrieren, worauf Diskurse zie len, in Verbindung mit der Frage nach dem Verhältnis zu digitalem Arbeiten am Laptop sind es, denen gefolgt wird und die zu erschließen versucht werden.

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1.3 M E THODIK

UND

S AMPLE

Die hier vorgestellte Forschungsarbeit bringt das „weitestgehend Vertraute [...] auf Distanz zum Beobachter“, es wird „methodisch ,befremdet‘“ (Amann/Hirschauer 1997, S. 12, Hervorh. i. O.) und das Wissen, das uns zu kompetenten AlltagsteilnehmerInnen macht, wird gezielt ausgeklammert. Es handelt sich hierbei um ein weniger strukturiertes methodisches Vorgehen als dies für andere soziologische Schulen typisch ist. Vielmehr wird erkenntnistheoretisch abgelehnt, sich von vornherein für eine Methodik zu entscheiden und dieser treu zu bleiben. Dagegen wird „das eigene methodische Vorgehen abhängig [...] von dem spezifischen Gegenstandsbereich der Untersuchung“ (Bergmann 1994, S. 9) gemacht, eine der Ethnomethodologie entstammende Devise, die in ähnlicher Weise auch von der Grounded Theory postuliert wird. Anschließend an Husserls Phänomenologie „strebt die Ethnomethodologie danach, von ihrem Untersuchungsgegenstand her zu denken und sich den Blick auf ihre Objekte nicht verstellen zu lassen von methodischen Vorgaben“ (ebd.). Eine gegenstandsadäquate Methodisierung wurde im Rahmen dieser Arbeit erreicht, indem das Handeln anleitende und sinnhaft gestaltende Alltagswissen der Forscherin über längere Strecken des Forschungsprozesses ausgeklammert, dann jedoch wieder gezielt eingesetzt wurde, um mithilfe von Kontrastierungen verschiedener Art das Spezifische des jeweiligen Phänomens zu erschließen. Hierzu wurden die verschiedenen Daten erst intensiv gesichtet, und versucht, die für das Feld und die kreativ Arbeitenden selbst bedeutsamen Themen heraus zu kristallisieren und die Datenmenge entlang einzelner dieser zu strukturieren. Geleitet von diesen vom Feld angebotenen Themen und den eigenen Forschungsinteressen wurden sodann mit dem Versuch der Bewahrung einer größtmöglichen Flexibilität im Umgang mit den Daten, um diesen selbst gerecht zu werden, verschiedene interessierende Fragen an das Material gerichtet. Diese machten einerseits wieder neue Forschungen bzw. Feldbesuche notwendig und warfen weitere Fragen auf, andere jedoch beantworteten auch zuvor entwickelte Fragen und zeichne-

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ten immer klarere Konturen der spezifischen Kultur, die im Rahmen der Arbeit untersucht werden sollte. Innerhalb dieses zirkulären Forschungsprozesses wurde nach maximalen Kontrasten gesucht, die Erkenntnisse miteinander verglichen und schließlich auf ein höheres Abstraktionsniveau gebracht (vgl. z.B. Strauss/Corbin 1996). Die im Anschluss vorgenommenen Theoretisierungen wurden an die jeweiligen Themen angeschlossen und werden hier vorgestellt, während die einzelnen Schritte, die den vorigen Forschungsprozess prägten, freilich nicht mehr im Einzelnen, sondern ergebnisorientiert dargestellt werden. Ähnlich wie das Netzwerk des Arbeitens von David Kadel, dessen Interview für diese Forschungsarbeit umfassend analysiert wurde, wurden verschiedene Schaubilder erstellt, die die Zusammenhänge und Dynamiken zwischen den Partizipanden aufzeigten, durch die Prozesse wie kreatives Arbeiten oder die Suche nach geeigneten Orten und Räumen erst ermöglicht werden. Das Interview mit David Kadel stellte sich als angemessen und entsprechend dicht dar, um beispielhaft aufzuzeigen, wie komplex das Netzwerk aus spezifischen und unspezifischen Objekten und anderen Materialitäten, Affekten wie Emotionen und Stimmungen und Menschen ist und wie es geknüpft werden muss, um Prozesse wie Kreativarbeiten anstoßen und ermöglichen zu können. Zugleich ist es als Beispiel des analytischen Vorgehens im Rahmen der Studie zu verstehen. Die Auswahlkriterien der InterviewpartnerInnen wurden ebenso offen gestaltet wie der Forschungsprozess selbst. So bestimmten die teilnehmenden Beobachtungen bzw. deren Erkenntnisse in den Berliner Coworking Spaces die Auswahl der InterviewpartnerInnen in zentraler Weise mit. Es wurden einerseits Personen befragt, die in den jeweiligen Coworking Spaces schon mehrfach gesehen wurden sowie andererseits Arbeitende, die nur einmal dort angetroffen wurden. Ein zentrales Kriterium der Auswahl der InterviewpartnerInnen war die Befragung von am Laptop arbeitenden Personen in den aufgesuchten Coworking Spaces. Auch wenn alle befragten Personen in Coworking Spaces zum Befragungszeitpunkt mit ihren dort ausgeübten Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt bestreiten konn-

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ten, kann dies nicht als repräsentativ für die gesamte Population der Kreativszene verstanden werden. Im Gegenteil weisen die Daten darauf hin, dass häufig erst die finanzielle Durststrecke, die häufig zu Beginn einer Selbständigkeit auftritt, überwunden werden muss, bevor andere, „hippere“ kreativitätsfördernde Arbeitsorte aufgesucht werden können. Insbesondere Coworking Spaces sind hier häufig zu teuer und stellen bisweilen für KreativarbeiterInnen auch einen gewissen Luxus dar, den sie sich oft erst nach einer am Ende meist unangenehm gewordenen Phase der Heimarbeit leisten (können). Bezüglich der Arbeitsinhalte stießen die Untersuchungen auf eine große Diversität: In den Coworking Spaces waren verschiedene Start-ups, aber auch wissenschaftlich (studentische) Arbeitende, GrafikdesignerInnen, eine Geografin und MitarbeiterInnen von Werbeagenturen zugegen. Was sie – neben der Tatsache, dass sie ein Coworking Space aufsuchten, das sich als „workspace for Creatives“ vermietend inszeniert – einte, war eine Flexibilität in Bezug auf Arbeitsort sowie oft auch die Arbeitszeiten. Die verschiedensten Tätigkeiten werden von Personen in Coworking Spaces und Cafés sowie an anderen Arbeitsorten ausgeübt. Die Gruppe eint zudem die Tatsache der Unverzichtbarkeit eines technischen Objektes wie vornehmlich dem Laptop, der zum Arbeiten oft auch ohne Unterlass benötigt wird. Häufig beschreiben und verstehen sich die Personen selbst – und werden auch diskursiv häufig so bezeichnet – als Kreativ- oder WissensarbeiterInnen. Letzteren wiederum wird als ein Charakteristikum ihrer Arbeit häufig wiederum Kreativität zugeschrieben (vgl. etwa Lasofsky-Blahut/Kofranek/Pernicka 2007, S. 33). Damit stellt die betrachtete Population einen Bestandteil der breiteren Kreativszene dar, zu der zu einem großen Teil auch kreativ arbeitende Personen gehören, die nicht am Laptop oder ohne jedwede technische Unterstützung arbeiten. Wenn von „kreativ Arbeitenden“ oder „Kreativen“ allgemein gesprochen wird, so ist damit zweierlei gemeint: Entweder solche Personen, die sich selbst als Kreative benennen, beschreiben oder betrachten oder/und solche, die sich als Kreative zu erkennen geben oder diskursiv als Kreative entziffert werden. Welche (auch Körper-)

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Darstellung und Einkleidung des Körpers dazu führt, als Kreative/r entziffert zu werden, ist nicht eindeutig fassbar, sondern vielmehr als relativ diffuses Geflecht zu sehen, das in der ,richtigen‘ Mischung dazu führen kann, von anderen Mitwissenden richtig verstanden, entziffert zu werden. So kann beispielsweise die Kleiderwahl die Ortswahl mitbestimmen oder auch in zentraler Weise umgekehrt: die Ortswahl bestimmt häufig die Kleiderwahl, die als Ressource zur Selbstinszenierung an bestimmten Orten gesehen werden kann und maßgeblich zur erwünschten Entzifferung und Subjektivierung als ,Kreativer‘ beiträgt. Dies gilt gleichermaßen für am Laptop11 Arbeitende wie auch für solche, die diesen nicht benötigen. In gewisser Weise trägt auch die Ortswahl selbst dazu bei, als „Kreativer“ aufzutreten und erkannt zu werden: So wirbt beispielsweise das Betahaus in Berlin in seinen Räumlichkeiten mit dem Slogan: „we rent out workspace for creatives“ und spricht auf der Homepage eine konkrete Zielgruppe an: „betahaus is a coworking space for creative minds and we rent out workspace!“ (betahaus 2013), wodurch damit seinen NutzerInnen die Möglichkeit geboten wird, sich selbst als kreativ Arbeitende zu erfahren, zu verstehen und als solche erkannt zu werden. Ähnlich scheint es auch in den Cafés zu sein: die hier beobachteten Personen wurden zwar nicht alle befragt, doch verstanden sich die Befragten entweder als Kreativ- oder als WissensarbeiterInnen und unterschieden sich von den Praktiken, die von den nicht zu ihren Arbeitsinhalten befragten Personen beobachtet werden konnten, in keiner Weise. Schon die Orte scheinen dazu beizutragen, sich als Digitaler Nomade zu inszenieren und zu subjektivieren. Neben den Kreativ- und WissensarbeiterInnen am Laptop wurden MitarbeiterInnen von Coworking Spaces sowie zwei Personen befragt, die sich zum Zeitpunkt des Interviews in der Planung zur Eröffnung eines eigenen Coworking Spaces in Wiesbaden befanden 11 | Der Laptop selbst ist wiederum als Distinktionsmittel zu verstehen: ein Macbook kann besser in eine membership Praktik oder auch eine Selbstinszenierung als Kreativer oder digitaler Nomade eingebunden werden als z.B. ein schwarzer Toshiba.

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und dieses mittlerweile auch mit relativ großer Öffentlichkeitswirksamkeit (wie z.B. Fernsehbeiträge und Zeitungsartikel) realisierten (vgl. Heimathafen 2013). Auf diese Weise wurden verschiedene Perspektiven unterschiedlicher FeldteilnehmerInnen einbezogen. Des Weiteren wurde sich hierbei an einer größtmöglichen Vielfalt orientiert und keine Präferenz vorgenommen, die sich an den klassischen sozialen Ordnungskategorien (wie etwa Geschlecht oder Alter) orientiert hätte. Sowohl bei den Interviews als auch bezüglich der teilnehmenden Beobachtungen wurden jeweils solche Daten ausgewählt, die sich im Verlauf des Forschungsprozesses als die reichhaltigsten darstellten. Eine Orientierung anhand der Suche nach „dichten Beschreibungen“ (Geertz 1973; 1983) war in diesem Zusammenhang leitend. Hierbei wurden die beiden Datensorten der Beobachtungsprotokolle, die aus teilnehmenden Beobachtungen entstanden sind sowie die Wort für Wort transkribierten, offenen Interviews als sich thematisch und perspektivisch (vgl. Kapitel 1. 2) ergänzend verstanden, um „das Eintauchen in die Welt der Untersuchungsteilnehmenden“ (Krüger/Meyer 2007, o. S.) (nach)vollziehen zu können. Kapitel 1. 2 gab bereits Aufschluss darüber, dass der Anerkennung der Unterschiede der verschiedenen Datensorten ausgiebig Rechnung getragen wurde, sie aber durch einen erkenntnistheoretischen Zugang gerahmt werden, der sowohl praxistheoretische als auch netzwerktheoretische Elemente miteinander vereint.

1.4 C OWORKING S PACES : A RBEITEN ALS KONZERTIERTES E RLEBNIS ? Bei Coworking Spaces handelt es sich um historisch neue12 örtlich und räumlich institutionalisierte Formen des Arbeitens nebeneinander, ohne dass in der Regel miteinander gearbeitet wird. Angestellte 12 | Das Phänomen Coworking entwickelte sich vor einigen Jahren in den USA und stellt auch im Verlauf seiner weiteren Verbreitung vornehmlich ein metropolitanes Geschehen dar (vgl. Lange/Wellmann 2009, S. 146).

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oder Selbständige, die einen Arbeitsplatz innehaben, ohne über einen vorgegebenen oder festen Platz zum Arbeiten zu verfügen und damit grundsätzlich einen hohen Mobilitätsgrad aufweisen (können), können in Coworking Spaces arbeitend13 sesshaft werden, indem sie sich an „fix desks“ einmieten und dafür einen durch die Betreiber von Coworking Spaces festgelegten Geldbetrag zahlen. Doch ist auch das Mieten von „flex desks“ möglich, was verdeutlicht, dass das kurzfristige, spontane Erscheinen und Arbeiten in den Arbeitsräumen von Coworking Spaces für die NutzerInnen ebenso wie das feste Einmieten in die formalen Nutzungsbedingungen der Organisationen eingelassen und in diesen angelegt ist. Dass es sich bei den NutzerInnen von Coworking Spaces stets um Arbeitende mit und am Laptop handelt, stellt ein zentrales Merkmal sowohl der NutzerInnen als auch der Coworking Spaces dar. Die Erwartung, dass jemand, der im Coworking Space arbeitet, auf jeden Fall am und mit Laptop arbeitet, stellt ein zentrales Charakteristikum des Feldes dar. Die Möglichkeit, jemand könnte sich einen Arbeitsplatz im Coworking Space mieten, um dort mit seiner Nähmaschine14 (statt mit 13 | Doch können Coworking Spaces nicht nur vonseiten der Praktiken der arbeitenden NutzerInnen fokussiert werden. Zugleich generieren Coworking Spaces als institutionalisierte Arbeitsräume (für Jedermann, der dafür zahlt) auch den Sinn der Arbeit für ihre NutzerInnen. Dies bedeutet, dass die Möglichkeit besteht, eine Tätigkeit als Arbeit zu deklarieren, indem eine Tätigkeit im Coworking Space ausgeführt wird und damit zu ,Arbeit‘ wird. 14 | Wenige Tage, nachdem dies geschrieben wurde, konnte auf der Startpage der Homepage des betahauses ein Link zum „Nadelwald-Blog“ gefunden werden, der als „co-sewing space“ bezeichnet wird und für den das betahaus mit „from coworking to co-sewing“ wirbt (Mohl/Fahle/Welter o. J.). Dies verdeutlicht, dass auch kreatives Arbeiten an der Nähmaschine in ähnlicher Form stattfindet und nebeneinander zu nähen ebenso wie nebeneinander am Laptop zu arbeiten neuerdings in institutionalisierter Form auftritt. Zugleich wird aber auch evident, dass die oben formulierte Annahme zutrifft: Wären Coworking Spaces auf nähende NutzerInnen aus-

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Laptop) zu arbeiten, liegt fernab des im Feld möglich Erscheinendem, obwohl das „betahaus“ sich selbst performativ als „workspace for creatives“ inszeniert und Nähen oft als kreative Arbeit betrachtet wird. Es wird deutlich, dass „Creatives“, also Kreative, sich nicht unbedingt nur über ihre kreative Arbeit definieren. Die Praktiken, die von der Institution Coworking Space in Bezug auf ihre NutzerInnen intendiert werden, verorten sich „nicht nur digital [...], sondern ebenso an konkreten Arbeitsräumen“ (Lange/Wellmann 2009, S. 146). Neben der Tatsache, dass Coworking Spaces eine Institutionalisierungsform darstellen, deren GründerInnen es – raumsoziologisch gesprochen – gerade auf die Gleichzeitigkeit der Existenz mehrerer digitaler Räume in einem ästhetisierten Containerraum anlegen, der eigens für eben diesen Zweck eingerichtet wird, werden Coworking Spaces auch als gezielt geschaffene Plattform zum Austausch der NutzerInnen untereinander verwendet. Neue Strukturen sozialer Beziehungen entwickeln sich in diesem Zuge. Simultan partizipieren Coworking Spaces auch an transnationalen Netzwerken bzw. sind darauf an- und ausgelegt, transnational und transurban zu agieren, indem sie (vornehmlich digitale) transnationale Räume konstituieren und aktivieren und dadurch netzwerk- bzw. szenespezifisches Wissen über größere geographische Distanzen hinweg, meist von urbanen Räumen in andere urbane Räume transferieren und dabei auch ähnliche Raumphänomene in anderen Kontexten schaffen und besetzen. Trotz ihrer „unterschiedlichen Ausprägungsformen“ (ebd.) lässt sich – wie Liegl notiert – eine Installation eines ästhetischen Raumdispositivs nachvollziehen, das sich „in diversen Variationen gerichtet, so würde sich keine differente Institution speziell für sie herausbilden. Die Institutionalisierung eines Co-sewing Spaces steht vielmehr als symptomatisch für eine andere Form von Arbeit, die unter Kopräsenz Anderer von NutzerInnen jeweils separat voneinander ausgeführt wird, sich jedoch vom Arbeiten mit Laptop unterscheidet. So differieren die Cosewing Spaces auch in ihrer Ausstattung von den Coworking Spaces und werben mit einem umfangreichem, in den Räumen vorhandenen, Nähmaschinenpark (vgl. Wendt 2011: http://nadelwald.me/co-sewing).

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fortpflanzt [...] in New York, [...] in Berlin, [...] in Barcelona“ (Liegl 2011a, S. 188) usw.. Zugleich geht es auch um die mögliche Aktivierung von Unterstützung vor Ort, so dass „voneinander unabhängige und projektweise arbeitende Programmierer, Schriftsteller oder Designer“ (Lange/Wellmann 2007, S. 147) durch „branchenbezogene[n] Hilfeleistungen“ (ebd.) voneinander profitieren und Synergieeffekte entstehen können. Coworking Spaces können als generativ wirkende Institutionen begriffen werden, die Anschlüsse hervorbringen, indem sie sich mit immer anderen Akteuren vernetzen und auch für individuelles Networking vielfältige Flächen und Angebote für eine spezifische, distinguierte Szene bieten. Ein Wille zur Verbreitung der Wertevorstellungen, die hier zelebriert werden, ist zugleich auffällig. So wird auf der betahaus-Webpage beispielsweise damit geworben, dass das Buch „Das Beta-Prinzip. Coworking und die Zukunft der Arbeit“ nicht nur über „den Entstehungsprozess des betahaus“ (Fahle 2012, o. S.) informiert, sondern auch dessen „Grundprinzipien: Community, Open Space, Locality and Access“ (ebd.) und zudem „der Rest unserer Religion“ (ebd.) erläutert würde. Im Coworking Space, in der die Coworking Space „Religion“ der „Arbeit der Zukunft“ gefeiert wird, soll Arbeiten zum Genuss, zum gemeinsamen Erlebnis vor Publikum werden, das den kreativen Prozess, der in ästhetischen Räumen und in entspannter, genussvoller Atmosphäre erfahren werden darf, ideal fördert. Nicht nur einer digitalen Elite wird hier Raum gegeben, sondern das Coworking Space wird als „Laboratorium“ verstanden, „in dem der Versuch unternommen wird, gesellschaftliche Praxis auf der Höhe der Zeit neu zu erfinden“ (Fahle 2012, o. S.). Rund um Coworking Spaces kumulieren solche Diskurse, die mit ausgeprägtem Missionierungswillen15 eine neu 15 | Vgl. hierzu etwa die weitere Ankündigung des Buches „Das BetaPrinzip“: „Es geht uns jedoch nicht nur darum, der Welt zu erzählen, wer wir sind und was wir tun. Deshalb sind das dritte und vierte Kapitel des Buches als ein Leitfaden konzipiert, den coworking-Teams zu Rate ziehen können, die gerade irgendwo auf der Welt ihr eigenes betahaus aufbauen“ (Fahle 2012, o. S.).

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praktizierte Verflechtung von Lokalität, Raum, Ästhetik, Technologie, Kreativität und spätmodernen Arbeitstechniken explizit machen und sie zu regieren versuchen. Coworking Spaces inszenieren sich diskursiv als Gegenentwürfe nicht nur zu bürgerlichen Arbeitsformen, sondern auch zu alternativen, von KreativarbeiterInnen bereits getesteten Arbeitsorten wie z.B. dem Heimarbeitsplatz und repräsentieren damit einen räumlichen Rückkehrschluss: Das bürgerliche, (männliche) Angestelltensubjekt verbrachte seinen Arbeitstag zu von den Arbeitsorganisationen reglementierten Zeiten in einer Arbeitsorganisation außer Haus und legitimierte sich „über eine scheinbar neutrale Instanz: die der technischen ,Effizienz‘“ (Reckwitz 2006, S. 338). Damit wurde eine kulturelle Codeinnovation in der „Form eines Sinntransfers eines neuartigen Codes des ,Technischen‘ und ,Effizienten‘ aus dem Feld des Ingenieurwesens auf das Feld der Organisation“16 (ebd.) geschaffen. Arbeitsort und Heim waren strikt voneinander getrennte funktionale Orte. Die Entwicklungen, die Erwerbsarbeit am Heimarbeitsplatz ermöglichen, zählen bereits in die post-bürgerliche Kultur und stellen erste Erosionsformen des bürgerlichen Modells dar, in dem die Trennung des Lebens- und Arbeitsbereiches u.a. durch eine differenzierte Verräumlichung gewährleistet wurde. Die Entstehung der Möglichkeit von Heimarbeit als Erwerbsarbeit lässt sich als neue Vermischung von Arbeit und Leben17 begreifen, die „nicht nur Optionen für eine selbstgestaltete, bedarfsorientierte Vereinbarkeit mit sich“ (Jürgens 2010, S. 502) bringt, sondern auch zur Schmälerung der „Schutzfunktion, die sich – im Kontext kollektiver Regulierung – mit der Trennung der Lebensbereiche verband“ (ebd.), beiträgt. 16 | Im Rahmen der modernen Organisation, die „sich am Ende der bürgerlichen Moderne ausbildet“ (Reckwitz 2006, S. 336), entstehen auch neue Arbeitspraktiken. 17 | Freilich handelt es sich bei dieser Unterscheidung wiederum um eine kulturelle, die jedoch an dieser Stelle eingesetzt werden soll, um analytisch zu verdeutlichen, welche Folgen durch die Möglichkeit der Entstehung der erwerbstätigen Heimarbeit zu verzeichnen sind.

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Coworking Spaces sind in dieser Perspektive bereits als eine Reaktion auf die post-bürgerliche Kultur18 zu betrachten, indem sie den am Heimarbeitsplatz Gescheiterten nun eine Organisationsform von Arbeit anbieten, die sich bezüglich der dort getragenen selbststrukturierenden Arbeitspraktiken beispielsweise in Bezug auf Zeitregime auf den ersten Blick formal wieder denen des bürgerlichen Angestelltensubjektes annähern19. Nicht zuletzt wird hierdurch auch eine neue Form von Öffentlichkeit und Privatheit konstituiert: In der Öffentlichkeit zu arbeiten, zugleich jedoch nicht alle Inhalte der Arbeit selbst jederzeit preis geben zu wollen, stellt eine Ambivalenz dar, die in Coworking Spaces häufig relevant wird (vgl. hierzu auch Hofmann 2012). Dass Laptop-Bildschirme, je nach Platzierung der anderen Coworking Space NutzerInnen, manchmal ungewollt (oft aber auch intendiert und erwünscht) Informationen visualisieren, kann für Arbeitende situativ zu einem Problem (oder zu einem Inszenierungskatalysator als Kreative) werden. Neue Aushandlungen der Bedeutung von Privatheit und Öffentlichkeit in diesem Spannungsfeld gezielt in den Blick zu nehmen, wäre wünschenswert. Die aktuell zu beobachtenden Arbeitspraktiken von selbständigen Kreativen gehen eine neue Form der Verschränkung technischer Errungenschaften und digitaler kreativer Arbeitspraktiken ein. Gemeinsam mit körperorientierten Praktiken und individualästhetischem Konsum sowie Selbstästhetisierungen, die sich mit neuen Rauminteressen und Raumkonstitutionsansprüchen 18 | Die Ermöglichung mobiler, flexibler Arbeit wurde nicht zuletzt auch durch mobile Technologien wie Mobiltelefone und Laptops geschaffen. So bringt der Einsatz von Laptops auch einen Zwang zur Selbstsuche eines Platzes zum Arbeiten mit sich, die von den Arbeitenden selbst auszuführen ist. 19 | Vgl. hierzu die Arbeit Hofmanns, die über die Selbstregulierungen und Arbeitstechniken von Coworking Space NutzerInnen in Berlin Aufschluss gab und unter anderem darauf verwies, dass die physische Kopräsenz Anderer von in Coworking Spaces Arbeitenden als Selbsttechnik eingesetzt wird, die sie selbst zum Arbeiten zu animieren vermag.

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verflechten, bringen sie spezifische Chancen- und Risikolagen und neue materielle, sowie relationale Räume hervor. Coworking Spaces bieten eine Fläche für eine spezifische Lebensstilkultur, die sich in experimentellem Spiel mit Raum-, Zeichen-, Technik- und KörperRepräsentationen unter ihresgleichen fortentwickeln kann, dabei sowohl in physisch-materiell erfahrbaren Räumen unter physischer Kopräsenz Anderer als auch in digitalen Räumen unter physischer Absenz Kopräsenter kreatives Potential ins Spiel bringen kann und sich damit als innovative Wertegemeinschaften unter Einsatz neuester technologischer Ausrüstung verstehen. Coworking Spaces bündeln vormals verstreute Arbeitspraktiken und stellen eine Antwort dar auf problematisch gewordene Konstellationen in einem Spannungsfeld zwischen an Effizienz orientierten kreativen Arbeitsansprüchen in Verbindung mit dem Begehren vielversprechender, ästhetisierter Räume. Sie verweisen diskursiv darauf, dass – mit zunehmender Dauer des Tragens der kreativen Arbeitspraktiken andernorts – die Herstellung von Arbeitsräumen immer müßiger wurde (vgl. hierzu v.a. Kapitel 2). Coworking Spaces versprechen den NutzerInnen diskursiv ein Arbeiten unter ihresgleichen, ästhetische Räume, die die Kreativität der Subjekte hervorlocken sollen sowie die Verfügbarkeit auf soziale face-to-face-Interaktionen. Zugleich geben sie sich als flexibles Angebot zu verstehen, das allen in der Szene vorhandenen Bedürfnissen gerecht werden kann und eine Mystifizierung von ,Arbeit in Freiheit‘ mitverkauft. Der Grund dafür, dass hier kreative Arbeitspraktiken im Vordergrund stehen ist einerseits, dass in der Untersuchung deutlich wurde, dass kreativ Arbeitende durch die Anforderungen an ihre Tätigkeiten besonderen Herausforderungen, Problemen und Spannungen ausgesetzt sind, denen entgegen zu steuern versucht wird, auch und gerade indem spezielle Orts- und Raumsuchen eingeleitet werden, die oftmals im Coworking Space enden oder hier eine Zwischenstation einlegen. Andererseits – und dies stellt eine zentrale Beobachtung der Untersuchung dar – handelt es sich bei Kreativität um eines der dominanten Themen im Feld. Sowohl in Selbstbeschreibungsdiskursen von Coworking Space Initiatoren, den Cowor-

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king Space Web-Auftritten, den MitarbeiterInnen oder den Selbstinszenierungen der NutzerInnen von Coworking Spaces: Kreativität und „doing being creative“ tritt in verschiedener Form auf; z.B. als räumliche Manifestation (wie etwa die „open design city“ im „betahaus“) und in ästhetisierten Aspekten der materiellen Räume sowie jener sich an Coworking Spaces befindenden eingekleideten Körper. Performativ werden diese Komponenten kreativ oder/und es werden ihnen kreative Wirkweisen oder eine kreative Essenz zugeschrieben, wodurch wiederum spezifische Wirkungen entfaltet werden können.

2 Ambivalente Orte: (Arbeitsraumkonstruktionen am) Heimarbeitsplatz und ICE als Kontraste zum Coworking Space

Die Wahlen der Arbeitsorte kreativ arbeitender Freelancer sind alles andere als willkürlich: sie sind hochgradig spezifisch und stellen einen Ausschnitt aus größeren Praxisformationen dar (vgl. hierzu auch Reckwitz 2006, S. 44). So kann in diesem Kapitel gezeigt werden, wie zu Hause (bzw. am Heimarbeitsplatz) und im ICE, welche Raumkonstitutionen möglich werden und welche von ihnen performativ zu den idealen Arbeitsräumen werden, die Kreativität ermöglichen und in diesem Prozess Subjekte emergieren lassen. Hierbei werden zwar menschliche Akteure in den Fokus gerückt, jedoch wird immer die Raumkonstitution auch unter Einbindung der jeweiligen Rolle betrachtet, die Objekten und anderen Materialitäten darin zukommt. Vor diesem Hintergrund wird in Kapitel 2 der Heimarbeitsplatz in seinem spannungsreichen Verhältnis ungewollter und gezielt eingesetzter Störungen analysiert, die den kreativen Arbeitsprozess in förderlicher oder negativer Weise beeinflussen. Hier werden sowohl spezifische Vor- wie auch Nachteile dieses Ortes virulent, die insbesondere für den Arbeitsprozess kreativ arbeitender Freelancer von großer Bedeutung sind. Aufbauend auf Daten, die durch Interviews entstanden, die mit Coworking Space NutzerInnen in Berlin geführt wurden, wird der Heimarbeitsplatz mit Coworking Spaces kontras-

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tiert. So wird innerhalb der Erzählungen der Kreativarbeitenden verdeutlicht, dass auch in und durch ihr Erzählen vom intendierten Ortswechsel (vom Heimarbeitsplatz ins Coworking Space) sie von spezifischen Effekten für Subjektivierungen profitieren können. Anschließend gerät der ICE als Arbeitsort in den Untersuchungsfokus und es werden in diesem Zusammenhang sowohl performative „doing working creative“- als auch „undoing being a digital worker“Praktiken analysiert. Indem auch der ICE als Arbeitsort mit dem Coworking Space kontrastiert wird, wird betrachtet, wie die Räume jeweils performativ gestaltet werden und wie die diskursiv geprägten, teils ästhetisierten Raumbeschreibungen wiederum zu kreativen Selbstinszenierungen eingesetzt werden.

2.1 D ER H EIMARBEITSPL AT Z ALS PROBLEMATISCHER A USGANGSPUNK T FÜR K RE ATIVARBEITER I NNEN ? Der erste Arbeitsort, der in seinen Möglichkeiten besichtigt werden soll, ist der Heimarbeitsplatz. Er wird deshalb als erstes untersucht weil er von mehreren Coworkern auch als der Ort genannt wird, an dem sie jahrelang arbeiteten und ihn dann wechseln „mussten“. So spricht der Coworker Thomas auf die Frage, wie er ins Coworking Space kam, davon, dass nach fünf Jahren „mal was Neues her muss[te]“ und der Kreativarbeiter David Kadel resümiert seine Arbeitszeit zu Hause retrospektiv folgendermaßen: „Ich hab die ersten zwei Jahre in Wiesbaden zu Hause gesessen (.) damals hatte man noch so Trümmer von Computer (lacht) die ganz langsam warn und nur 18-Gigabite-Festplatte so ’n 2000 Laser (lacht) und hab dann zwei Jahre auf die Tapete geglotzt ähm und dachte dann irgendwann, das kann’s doch nich sein, das ist doch nicht mein Weg allein hier in der Einsamkeit veröden, null kreativ, äh (.) null Inspiration keine Ideen“ (lacht). 1 1 | Die Transkriptionsregeln, die für die Interviews eingesetzt wurden, waren Folgende:

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Während Thomas primär den Wechsel des Arbeitsortes als etwas Neues bezeichnet, das nach einer bestimmten Zeit des zu Hause Arbeitens dringend benötigt wurde, womit er auf einen abnehmenden Grenznutzen des Heimarbeitsplatzes verweist2, argumentiert David Kadel mit der Abwesenheit von Kreativität, Inspiration und Ideen zu Hause. Als seien Ideen an Orten installiert, so ,gibt‘ es zu Hause anscheinend keine. Die prinzipielle Abgelöstheit des Kreativsubjektes von Ideen, die an diesem oder jenem Ort eher zu ihm kommen als an anderen, ist eine inhärente Annahme, die hier deutlich wird. Die (große und schwere) Materialität des Computers als zentrales Objekt, mit dem David Kadel seine Arbeit ausführte und über die er [...]: Auslassung einer Erzählsequenz, weil sie für die folgende Darstellung nicht von Bedeutung ist oder an anderer Stelle vorgestellt wird, (.): bis zu 1-sekündiger Pause, (2): Zahl in Klammern zeigt die Länge der Pause an (mind. 2), #Frage der Interviewerin#:, kursiv: Betontes Wort oder Wortteil, Satz oder Satzteil, in Klammern angegebene Informationen: nonverbale Kommunikation. Zudem wurden keine Bereinigungen bei der Übertragung in die Schriftsprache vorgenommen, sondern die wörtliche Rede möglichst originalgetreu transkribiert. Die Namen aller befragten und beobachteten Personen wurden für die Arbeit anonymisiert; nur Sabrina Hofmann und David Kadel bilden Ausnahmen. Dieselben Daten werden in der Arbeit teils an verschiedenen Stellen aufgeführt, doch geschieht dies nur, wenn an den jeweiligen Stellen etwas Unterschiedliches daran aufgezeigt wird und ein Erkenntnisgewinn hieraus zu erzielen ist. 2 | Zudem entscheidet Thomas sich zum Verlassen des Heimarbeitsplatzes mit folgender Begründung: „Dass ich mal aus dem Schlafzimmer rauskomme. Und um dem Ganzen mehr Professionalität zu verleihen. Ich hab keinen großen Kundenverkehr, meine Kunden sind in Bonn, die kommen nicht her oder so.“ Die Professionalisierung, die sich Thomas durch den Wechsel seines Arbeitsplatzes von zu Hause ins Coworking Space verspricht, ist demnach nicht eine, die er seinen Kunden, sondern sich selbst gegenüber benötigt und erwünscht.

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sich retrospektiv in Anbetracht des nunmehr von statten gegangenen technischen Fortschrittes nur noch lustig machen kann, werden als Inszenierung seiner Selbst als Früheinsteiger bzw. Vorreiter in technischem Arbeiten mit Computer eingesetzt und rechtfertigen zugleich die von ihm erzählte Tatsache, dass er in der Vergangenheit zwei Jahre lang zu Hause arbeitete: Ein solch großer Computer hat(te) schließlich einen dauerhaften Aufenthaltsort und mit ihm David Kadel: er bzw. sein Körper waren immobil, weil der Computer es war. Die Formulierung „zwei Jahre auf die Tapete geglotzt“ dient seiner Darstellung der Stilisierung dieser Arbeit als langweilig, einsam, kreativ-, ideen- und inspirationslos und wirft letztlich die Frage auf, ob er in dieser Zeit überhaupt arbeitete. Mit der Schilderung, zwei Jahre zu Hause zu sitzen (statt zu Hause zu arbeiten) und dabei nicht über Ideen, Inspirationen und Kreativität verfügen zu können, vermittelt David Kadel den Eindruck „zu veröden“; also auszutrocknen wie eine unbewässerte Pflanze. Bevor später untersucht wird, wie David Kadel sich selbst in einer Weise führt, die ihn wieder kreativ und inspirativ tätig werden lässt, sei für die Erfahrung dieser zwei Jahre am Heimarbeitsplatz angemerkt, dass sie in einer Art selbstführender ,rite de passage‘ enden: die Entscheidung, es könne nicht sein Weg sein, alleine zu veröden, beendete diese ,Arbeitsform‘, erzählt er. Die Praktik des kreativen selbständigen Arbeitens am Heimarbeitsplatz schlägt nicht nur fehl, sondern wirft zudem also ein Unbehagen mit der damit einhergehenden Subjektform auf: die misslungene Selbstführung des Arbeitens zu Hause, das kein Arbeiten mehr war, führt also zu generelleren Fragen des Selbstentwurfes. Es handelt sich hier für David Kadel nicht um eine erstrebenswerte und wünschenswerte Subjektform des Arbeitens. Zum einen weil sie keine „,Identitätsverlockungen‘“3 (Reckwitz 2006, S. 3 | Wäre die zu Hause kreativ arbeitende Subjektform für David Kadel erstrebenswert, könnte sie nicht so offensichtlich und ohne narrative Legitimationsstrategien abgewertet werden und der Ort des Arbeitens performativ zu einer Frage der Selbstfindung des Arbeitens à la: „das ist doch nicht mein Weg“ gemacht werden. Diese Randnotiz könnte als aufschluss-

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46) bereit hält und zum anderen weil die Subjektmodellierung des zu Hause arbeitenden Kreativen schlichtweg nicht funktioniert: ohne Inspiration, Ideen und Kreativität kann David Kadel nicht (mehr?) arbeiten. Martina, die regelmäßig im betahaus tätig ist und auch dort interviewt wurde, begründet die Wahl des Coworking Spaces als Arbeitsort folgendermaßen: „ich hatte keine Lust mehr auf homeoffice. Ich arbeite halt halbtags und (.) das (.) ging halt mir irgendwie total auf den Keks und (.) deshalb hab ich meine Firma gefragt und die finanzieren mir auch den Arbeitsplatz hier. Weil sonst hätte ich halt einen Arbeitsplatz in Leverkusen im Büro und jetzt habe ich hier meinen Arbeitsplatz. Und (.) ich arbeite halt halbtags und komme also fünf Tage die Woche à vier Stunden und komm dann so auch auf meine zwanzig Stunden. [...] Also so wie die Kita-Zeiten. [...] #Hat das deine Arbeit irgendwie verändert, dass du ins Betahaus kommst?# Ja, klar, das ist für mich total hilfreich weil da wussten ja alle, also da wohnen auch noch ganz viele nette Menschen noch in dem Haus und mit denen hab ich ja auch viel Kontakt und ich bin Anlaufadresse für Postbote gewesen und es klingelt halt, die Wäsche bleibt liegen (.) ich mach ma eben die Waschmaschine an, die Spülmaschine piepst und dann räum ich die aus (.) also des is – is halt schon, ich hab halt schon ’n Job, bei dem ich mich echt stark konzentriern muss und (.) des war zu Hause irgendwann wurde immer unmöglicher, dadurch dass die des eigentlich alle wussten, dass ich zu Hause arbeite und Freunde ham auch privat angerufen und so und ich mein, (.) unsre private Telefonnummer war auch meine Arbeitsnummer und des war alles nich auseinander zu dividieren, und dann hab ich halt gesagt so (.) des is halt extrem unproduktiv für mich und deswegen (.) im Prinzip von den Arbeitszeiten is es eigentlich vergleichbar gewesen, nur ähm (2) hier schreib ich schon auch mehr Arbeitszeit auf weil ich wirklich effektiv am Rechner sitze und da hab ich dann auch ehrlicherweise (.) ma ne halbe reich für eine aktuell dominierende kulturelle Form des Kreativsubjekts gelesen werden: offenbar ist es semantisch nicht die Einsamkeit, die kreatives Arbeiten ermöglicht, zumindest verweist die Empirie hier darauf, dass dies nach einiger Zeit nicht mehr der Fall ist.

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Stunde, dreiviertel Stunde ma letzten Endes wirklich nich aufschreiben können weil ich da wirklich andere Sachen gemacht hab und bei uns wird des wirklich projektgenau abgerechnet und des war für mich, um auf meine wöchentlichen Stunden zu kommen, dann relativ fatal irgendwann ne? Hm (lacht) (2) also ich arbeite halt manchmal zu Hause wenn (2) ä::h (.) wenn irgendwie wir nur ’n halbn, wenn wir irgendwie noch ’n Termin haben mein Freund und ich während Lotta in der Kita is so dass ich halt noch so ’n bisschen Fahrtzeiten minimiere, aber ich bin recht regelmäßich hier, ja.“

Auch in dieser Erzählsequenz diente der Heimarbeitsplatz – semantisch als „homeoffice“ professionalisiert – als der problematische Ausgangspunkt, der das Arbeiten erschwerte. Da Martina eine kleine Tochter hat und offenbar in ihrer Anwesenheit nicht arbeiten kann, ist sie an die Zeiten deren Abwesenheit von zu Hause gebunden und kann ihre Arbeitszeit nicht beliebig über den Tag verteilen. Diese Bedingung führt gemeinsam mit der projekt- und zeitgenauen Abrechnung ihrer Arbeit(szeit) noch nicht zu einem Problem. Vielmehr sind es zusätzlich das Wissen Anderer um ihren Aufenthalt sowie ihre telefonische Erreichbarkeit zu Hause und die Tatsache, dass Andere auch versuchen, sie anzurufen und damit ihren Arbeitsprozess stören sowie außerdem die Hausarbeiten, die sie davon abhalten, zu arbeiten. Es sind hier die Objekte der Spül- und der Waschmaschine, der Klingel und des Telefons, die sie gleichermaßen dazu bringen, nicht zu arbeiten und sich stattdessen ihnen zu widmen. Die Separierung der verschiedenen Tätigkeiten – der Erwerbs- und der Hausarbeit – fällt ihr immer schwerer und wird deshalb problematisch, weil sie die Erledigung der anstehenden konzentrationsfordernden Erwerbsarbeit aufgrund der Rückkehr ihrer Tochter im Tagesverlauf nicht weiter nach hinten schieben kann. Die Formulierung Martinas „des war zu Hause irgendwann wurde immer unmöglicher“ verweist auf einen stattgefundenen Prozess, in dem sich zu Hause befindende Objekte und ihre Rufe nach Beschäftigung mit ihnen immer intensiver aufdrängten und Martina ihren Aufforderungen immer weniger entrinnen konnte. Dass Nachbarn ihre Pakete an sie schicken ließen und sie anriefen, deutet zudem darauf hin, dass ihr Aufent-

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halt zu Hause nicht als allgemein anerkannte Arbeitszeit betrachtet wurde, in der jemand nicht zu stören ist. Ein Problem des Heimarbeitsplatzes ist, dass er häufig nicht als professioneller, regulärer Arbeitsort anerkannt wird4 und deshalb die AkteurInnen spezifische Legitimierungsstrategien einsetzen müssen, die ihr Handeln als Arbeitshandeln zu erkennen geben, was zusätzlicher Anstrengungen bedarf. In dieser Dimension hat das Coworking Space exakt das, was dem Heimarbeitsplatz fehlt: Der Ort alleine gibt bereits den Sinn der Arbeit an die RaumnutzerInnen ab. Und auch alle Anderen wissen, dass dort gearbeitet wird, weil man extra dorthin geht, um zu arbeiten. Es zeigt sich hier vielleicht eine historische Altlast der Anerkennung außerhäuslicher Arbeit als Erwerbsarbeit und der Aberkennung innerhäuslicher Arbeit als Arbeit. Im Coworking Space stört man jemanden bei der Arbeit, zu Hause ist dies jedoch nicht der Fall, wie bei Martina deutlich wird. Dass das eigene Handeln nicht von Anderen als Arbeitshandeln anerkannt wird, hat zur Folge, dass Arbeiten tatsächlich unmöglich wird und etwas anderes getan wird. Während David Kadel Kreativität, Inspiration, soziale Kontakte, Interaktionen und vielleicht auch Ablenkung und Störung fehlen, fühlt sich Martina von ablenkenden und störenden Objekten und Menschen immer stärker eingenommen und von der Arbeit abgehalten. Die ökonomische Anforderung von Coworking Spaces, dass ein Arbeitsplatz dort entgeltlich gemietet werden muss, übernehmen ihre Arbeitgeber. Damit wird der für Martina einzige Nachteil des Coworking Spaces im Vergleich zum kostenlosen Heimarbeitsplatz an ihren Arbeitgeber delegiert und von diesem übernommen. Wie sie weiter erzählt, 4 | Ein kurzer Blick in juristische Diskurse stellt sich als aufschlussreich dar, um eine sozusagen rechtliche Aberkennung der Heimarbeit in Form einer Deligitimation von HeimarbeiterInnen als ArbeitnehmerInnen zu verdeutlichen: HeimarbeiterInnen werden „in der Regel nicht als Arbeitnehmer sondern als arbeitnehmerähnliche Personen eingeordnet“ (Nökel 2001, S. 89), was sie gemäß § 12 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz zu schutzbedürftigen und wirtschaftlich abhängigen Personen macht. HeimarbeiterInnen wird demnach rechtlich nicht der Status von ArbeitnehmerInnen zuerkannt.

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wird sie im Coworking Space nicht gestört und erfährt hier die erhofften Bedingungen, die sie zum konzentrierten Arbeiten benötigt. Jeff, der für einige Monate in Berlin lebt und dann in die USA zurückkehren möchte, antwortet auf die Frage, warum er im Coworking Space arbeite, folgendermaßen: „it’s really isolated to work at home, it’s boring – I just need to get out of the house. If I sit at home all day, I won’t work, I just start doing – whatever, go back to sleep or something. Also you make friends here, it’s nice, cause if you work at home, it’s an isolated feeling I guess. If you work at an office, you make friends at the office, so this fills the gap.“

Ähnlich wie David Kadel nennt er die Isolation und das Gefühl des Isoliertseins als Probleme des Arbeitens am Heimarbeitsplatz. Als Vorteil im Coworking Space, das eben dieses Gefühl und Problem beseitigt, nennt er, hier Freunde finden zu können und vergleicht dies mit einem Büro, in dem man ansonsten Freunde fände. Zudem thematisiert er ein Problem, das ihn als ein sich selbst führendes Arbeitssubjekt betrifft: zu Hause ist für ihn kein Ort, an dem er im Allgemeinen arbeitet, sondern schläft „or something“ macht; also irgend etwas, das eben nicht Arbeiten ist. Demzufolge tauchen hier bei Jeff zwei Vergleiche auf, anhand derer er erläutert, warum er das Coworking Space als Arbeitsort erwählt: der Heimarbeitsplatz, an dem er nicht arbeiten kann, und das Bild eines Büros, das entsprechend der Praktiken des bürgerlichen Angestelltensubjekts täglich aufgesucht wird. Während er die isolierte Praktik des Heimarbeitens für sich als unmögliche markiert, zieht er das gemeinsam mit Kollegen aufgesuchte Büro als positiven Vergleich heran. Die erwartbare Kopräsenz Anderer (als Freunde) im Coworking Space ist es, die die Einsamkeit zu Hause aufhebt. Obwohl Alternativen zum Coworking Space verfügbar sind, die ebenso der Erwartung kopräsenter Anderer gerecht werden, kommen sie für ihn nicht in Frage5. Es ist also 5 | Er nennt an anderer Stelle selbst das Café als mögliche Alternative, das er bereits auch nutzte, lehnt dieses doch mittlerweile ab, da es dort

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gerade die Hoffnung, von potentiellen Freunden vom Arbeiten abgehalten zu werden, während Martina vor Bekannten, die zu Hause Kontakt zu ihr aufnehmen, flüchtet. Auch Jonas, der aus Schweden kommt und seit einigen Monaten in Deutschland lebt, nennt den Heimarbeitsplatz als Kontrast zum Coworking Space oder weiteren Alternativen: „I’ve noticed it really helps to get out of the house to work – uhm, to have a full work day, like leave in the morning, come back in the evening.“ Die Praktik des ,Aus-dem-Haus-Gehens‘ erscheint also nicht nur bei Jeff, sondern auch bei Jonas als bedeutsam, um sich selbst dazu zu bringen, zu arbeiten. Es handelt sich hier demnach um eine Selbsttechnik, die aufgrund der Beobachtung des zu Hause nicht oder wenig arbeitenden Selbst eingeleitet wird, um es wieder zum Arbeiten zu bringen. Hier nicht konkret explizierte und dennoch als zentral eingeschätzte Kriterien der Evaluation der eigenen Arbeitsleistung als erfolgreich, sind eine Effizienzorientierung und Selbstverantwortungsübernahme für die eigene Arbeitsleistung. In dieser intendiert eingesetzten Praktik könnte der Glaube daran, dass sie zum Ziel einer Selbstinstandsetzung führt, eine bedeutsame Rolle spielen. Mehr noch als Jeff vergleicht Jonas die durch Coworking Spaces geschaffene Möglichkeit, den typischen Tagesablauf des bürgerlichen AngestelltenSubjekts – das in strukturierten Arbeitsorganisationen tätig war und jeden Wochentag von morgens bis abends zu immer gleichen Uhrzeiten arbeitet – fortzupflanzen. Der vormals durch formale Regelungen von Arbeitszeiten durch den Arbeitgeber strukturierte Tag, der in Arbeit und Freizeit differenziert war, fehlt in den Rahmenbedingungen vieler (kreativ arbeitender) Freelancer. An seine Stelle tritt das postmoderne Subjekt selbst, das sich seinen Tag strukturieren muss. Die hierzu eingesetzte Technik bei Jonas ist das Aufsuchen eines bestimmten Ortes, der – offenbar in Orientierung am Modell des bürgerlichen Arbeitssubjektes – für einen bestimmten Zeitraum (von morgens bis abends) aufgesucht und anschließend wieder zu laut sei und man Tische zusammen stellen müsse. Im Coworking Space sei dies bequemer.

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verlassen wird. Mit ihm wird auch die Arbeitstätigkeit beendet und die ,Frei-Zeit‘ eingeläutet. Dass der Wunsch zur Strukturierung des Arbeitstages mit einer Hoffnung auf einen Ort verbunden ist und damit dem Subjektmodell des bürgerlichen Angestelltensubjektes entlehnt ist, verweist in anderer Form als bei Martina und dennoch in seiner Funktion ähnlich, auf eine Separierung von Arbeits- und Wohnverhältnis bzw. von Arbeits- und Privatsubjekt. Einen aufschlussreichen Hinweis auf die Problematiken, die durch den Heimarbeitsplatz evoziert werden, gibt auch Thomas, der erzählt, dass er vorher in seinem „Büro zu Hause“ gearbeitet habe, dort allerdings nach einiger Zeit „wahnsinnig geworden“ sei: „Ich mag meine Wohnung (.) aber nicht den ganzen Tag. Außerdem ist es so was (er zeigt mit den Händen Anführungszeichen in der Luft) ,subtiles‘ sag ich mal, also naja, (.) Kontrolle kann man nicht gerade sagen, aber man wird schon vermisst, wenn man mal nicht kommt.“

Hier wird – wie schon bei Jeff – ebenso auf die Anwesenheit kopräsenter Anderer im Coworking Space abgehoben, jedoch werden diese nicht als potentielle Freunde, sondern als soziale Kontrolle im Sinne eines Publikums arrangiert. Für Thomas fungieren kopräsente Andere im Coworking Space als informelle Kontrollinstanzen, die ihn und seine Arbeitspraktik des – in der Regel – täglichen Aufsuchens des Coworking Spaces kennen und ihn in diesem Zuge vermissen, wenn er einmal nicht erscheint. Es handelt sich hierbei auch um eine basale Vergemeinschaftungspraxis: Es werden gezielt Orte (zum Arbeiten) aufgesucht, um signifikante Andere regelmäßig an diesem Ort (arbeitend) anzutreffen. Ein intendierter auf Dauerhaftigkeit angelegter Wechsel des Arbeitsortes ist hier als Selbsttechnik des Arbeitens zu verstehen, die Arbeiten (wieder) möglich macht. Außerdem scheint es bei Thomas auch um einen Orts- bzw. Raumwechsel zu gehen: Thomas und seine Wohnung gehen in dauerhaftem Zusammensein ein problematisches Verhältnis ein. Ein Daueraufenthalt in der eigenen Wohnung wird für Thomas unangenehm;

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er muss sie offenbar verlassen bzw. hinter sich lassen, um sie beim Wiederkommen zu mögen. Lisa, die als Barista im betahaus arbeitet, beantwortet die Frage danach, was sie annehme, mit welchen Motiven „die Leute ins betahaus kommen“ folgendermaßen: „Die Motive (3) nich mehr allein zu Hause zu sitzen. Im Endeffekt sitzen sie hier auch alleine, aber es ist eine andere Atmosphäre, du hast die Möglichkeit mit anderen Leuten zu reden, obwohl des viele hier unten im Café z.B. gar nich so wahrnehmen. [...] und dann gibt’s wieder die Leute, die oben sind, die anmieten (.) auch tagesweise, die sind gar nich da wegen dem Sozialen hab ich so des Gefühl manchmal, sondern einfach nur weil sie (2) weil sie ohne viel Geld zu investieren einfach (.) alles alles da haben, die Sachen nutzen können also ohne sich ’n neuen Drucker kaufen zu müssen und dann hm.“

Die Barista spricht als die Coworker dauerbeobachtende Expertin für sie und nennt – ebenso wie die zuvor betrachteten Interviewsequenzen der Coworker schon verdeutlichten – den Aspekt der Vermeidung des physischen ,alleine Arbeitens‘ am Heimarbeitsplatz sowie die Option auf face-to-face und nicht (nur) digital vermittelte Interaktionen, die das Coworking Space bietet. Das von der Barista aufgezeigte Paradox, dass Coworker im Coworking Space ebenso „alleine“ säßen wie zu Hause, löst sie mit dem Argument einer besonderen Atmosphäre im Coworking Space auf, die sich von der zu Hause unterscheide. Ein neues Motiv, das die Barista nennt, ist als ökonomisches zu verstehen: Die Infrastruktur im Coworking Space biete NutzerInnen die Möglichkeit der Vermeidung, sich selbst teure Arbeitsgeräte anschaffen zu müssen. Neuerlich wird hier nun auf Objekte rekurriert. Während Martina von verschiedenen Artefakten zu Hause zur Hausarbeit aufgerufen wird und ihnen nicht entkommen kann, bietet die Anwesenheit spezifischer anderer Artefakte wie z.B. Drucker im Coworking Space eine Rekrutierung der Anwesenden als Arbeitende. In Coworking Spaces wird einerseits durch das Fehlen von solchen Objekten, die nicht vordergründig zum Arbeiten

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bedeutsam sind und andererseits durch die (vorwurfsvolle?) Anwesenheit und ein spezifisches Arrangement von Arbeitsobjekten6 eine materielle Anrufung der NutzerInnen als Arbeitende vollführt7. Umgekehrtes gilt für den Heimarbeitsplatz, was ihn u.a. für die effizienzorientiert Arbeitenden8 unattraktiv macht. Die Ethnographin Sabrina Hofmann berichtet von ähnlichen Problemen am Heimarbeitsplatz wie dies bereits Martina tat. Die beiden tragen offenbar dieselbe Praktik, die einerseits über Handlungsmuster der Hausarbeit Aufschluss gibt und nach dem Motto „ich tue, was erledigt werden muss, wenn es mir ins Auge fällt“ und andererseits auf eine der erwerbliche Arbeitsprozessierung widerstrebende Vermischung mit der Hausarbeit aufklärt. Bei Sabrina zeigt sich allerdings ein weiterer Aspekt: „Ich arbeite oft im Wohnzimmer, das hat aber einige Nachteile. Vor allem der Haushalt: Kochen, Wäsche, Einkaufen oder auch nur ,schnell mal was wegräumen‘. Wenn ich eigentlich arbeiten muss, erledige ich auch viele Sachen, die sonst eher liegen bleiben [...]“

Hausarbeit wird von ihr eher dann getan, wenn sie eigentlich ihrer kreativen (Erwerbs-)Arbeit nachgehen muss, diese aber am Heimarbeitsplatz nicht (mehr?) gelingen mag. Es zeigt sich hier demnach eine der Hausarbeit dienliche Konsequenz, die aus der scheiternden Kreativarbeit resultiert. Ein weiteres Problem entwertet für sie den Heimarbeitsplatz: 6 | Als Arbeitsobjekte werden hier sowohl Tische und Stühle und freilich auch ihre Anordnung im Container-Raum als auch Steckdosen und weitere technische Geräte wie z.B. Drucker verstanden. 7 | Auch nimmt man in der Regel keine Objekte, die mit Freizeit und nicht mit Arbeit verbunden sind, mit zum Arbeitsort. 8 | Hier sollte unbedingt berücksichtigt werden, dass nicht nur das Kreativitätsdispositiv eine Effizienzorientierung der Kreativarbeitenden ermöglicht bzw. schafft, sondern diese auch darin gründet, dass es sich bei der auszuführenden Arbeit meist um Erwerbsarbeit handelt.

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„Aber oft kann ich auch nichts für die Ablenkung: es kommen Leute vorbei, die Mitbewohner wollen zusammen essen, es ist Kaffeezeit usw. Aber auch das Internet hält mich oft auf: in meiner Freizeit lese ich einige Blogs, und da ich im Internet recherchiere bzw. Blogeinträge schreibe, bin ich schnell mal abgewandert. Das passiert nicht so viel, wenn Andere um mich herum sind. Ich möchte nicht zugeben, dass ich mich ablenken lasse, und arbeite darum konzentrierter, wenn Andere dabei sind. Wenn ich in meinem Wohnzimmer arbeite, laufe ich schnell Gefahr abgelenkt zu werden. Ich geh in die Küche und hole mir einen Kaffee, dann sehe ich, die Spülmaschine ist voll und eins führt zum anderen. Auch im Internet gibt es ständig Blogs, die ich lesen könnte, E-Mails, flickr. [...] “

Ähnlich wie Martina wird hier von Ablenkungen gesprochen, die als Störung des Arbeitsprozesses den Heimarbeitsplatz unattraktiv werden lässt. Doch wird nun ein weiterer zentraler Teilhaber an diesem sozialen Prozess genannt, der spezielle Probleme zu evozieren weiß: Das Internet. Dieses ist besonders verhängnisvoll, da es als zentraler Partizipand des Arbeitsprozesses immer anwesend ist. Es zeigt sich hier eine problematische Verflechtung von Freizeitaktivitäten (Blog lesen) im Internet und der kreativen Arbeit (Recherchieren) im Internet. So sieht sich die surfende Internetnutzerin mit der Frage konfrontiert: „Arbeite ich gerade oder arbeite ich gerade nicht?“ (Bolte 2011, S. 13), eine Frage, die aufgeworfen wird durch die vielfältigen Angebote und Nutzungsmöglichkeiten des Internet, in dem so vieles möglich ist und die sich manchmal erst retrospektiv durch eine Selbstbefragung beantworten lässt. Die Problematik wird intensiviert durch den privat konnotierten Wohnzimmerraum und seine materielle Ausstattung als – im weitesten Sinne – Privatraum, in dem die Akteurin vor und nach ihrer kreativen Tätigkeitsverrichtung entweder Hausarbeit nachgeht und damit bzw. der Hausarbeitsausführung vorangehend einen Tätigkeitsraum der Hausarbeit aufspannt oder Freizeitaktivitäten verfolgt und dazu verschiedene

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Freizeiträume9 konstituiert. Das Internet beherbergt die Möglichkeit der Freizeitbeschäftigung ,Blog lesen‘, die direkt neben der Erwerbsarbeit ,Recherchieren‘ im Internet platziert ist. Selbiges gilt für das Wohnzimmer, in dem einmal gearbeitet und einmal die Freizeit verbracht wird. Zeitliche Sequenzen, denen unterschiedliche Praktiken und Raumkonstitutionen zugeschrieben werden, sind hierbei von zentraler Bedeutung. Die sonst durch Selbstregulierungen mühsam erzielten Raumkonstitutionen durch das Setzen spezifischer Arbeitszeiten, denen kleine ,rite de passage‘-Rituale10 vorangehen, durch die aus dem Wohnzimmer ein Arbeitsraum gemacht wird, können gleichermaßen durch das Internet wie auch durch die Anwesenheit von Objekten, die nicht Arbeitsobjekte sind, unterminiert werden. So kann die vorwurfsvolle Anwesenheit und das Sehen von oder Denken an schmutzige(r) Wäsche zu Hause den gerade konstituierten Arbeitsraum schnell auflösen und dazu führen, dass wieder ein Tätigkeitsraum der Hausarbeit aufgespannt wird. Dieser wird dann oft über einen längeren Zeitraum hinweg aufrechterhalten, wie Sabrina Hofmann verdeutlicht: „eins führt zum anderen“. Ist der Arbeitsraum erst einmal durch z.B. schmutzige Wäsche zerrissen und 9 | Diese Bezeichnung mag etwas grobschlächtig wirken. Es ist anzunehmen, dass verschiedene Räume konstituiert werden, je nachdem welcher Tätigkeit nachgegangen wird und welche Synthese- und Spacingleistungen hierzu vonnöten sind. Der Begriff des Freizeitraumes bezeichnet unzählige verschiedene Raumleistungen. Da diese jedoch nicht untersucht wurden, kann hierüber nichts Näheres ausgesagt werden. 10 | Kleine Zeremonien der Arbeitsplatzkonstitution oder andere Rituale spielen hier eine bedeutsame Rolle und werden später ausführlich thematisiert. ,Rite de passage‘–Rituale sind von besonderer Bedeutung, wenn die Akteure große Bemühungen zur Raumkonstitution aufwenden müssen. Eine Markierung der Beendigung von Freizeitaktivität oder Hausarbeit ist zu Hause von besonderer Bedeutung, damit die Konstitution eines Arbeitsraumes gelingen kann. So ist z.B. die Einrichtung des Arbeitsplatzes in Form gezielt eingesetzter Reduktionen von Störquellen (wie z.B. das Ausschalten des Mobiltelefons) zu nennen.

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ein Tätigkeitsraum der Hausarbeit schon konstituiert, so wird auch schnell die volle Spülmaschine zum Partizipanden. Aufgrund dieser Problematiken entscheidet sich Sabrina Hofmann nach einiger Zeit dafür, ihren Arbeitsort zu wechseln und beobachtete sich selbst bei der Wahl ihres Arbeitsortes. Es folgt eine Sequenz aus einem Protokoll, das auf ausführlichen und detaillierten Selbstbeobachtungen beruht: „Vor einigen Wochen habe ich beschlossen, für meinen Job als Bloggerin ausschließlich im Starbucks zu arbeiten. Zu Hause frustriert mich die Art der Arbeit zu sehr, es ist langweilig, es ist nicht wirklich ein Thema, das mich interessiert, ich würde viel lieber andere Dinge machen und die Flexibilität meiner Beiträge auf dem Blog (wir organisieren uns selbst und legen selbst fest, wer was wann schreibt, so dass man Beiträge schnell ,auf morgen‘ verschieben kann) ist für mich zugleich Segen und Fluch. Inzwischen immer öfter Fluch, weil die Motivation oft sehr gering ist und mich das Thema nicht [...] herausfordert, das bedeutet, dass ich nicht über Entwicklungen in der Autoindustrie schreiben mag, weil mir dafür Insiderwissen fehlt [...]. Zu Hause habe ich die Arbeit dann oft auf morgen verschoben, wenn ich aber erst mal in den Starbucks gefahren bin, kann ich erst dann guten Gewissens nach Hause fahren, wenn ich die Arbeit, die ich mir vorgenommen habe, auch erledigt habe.“

Die Selbstbeobachtung verdeutlicht, dass Sabrina Hofmann ihren Arbeitsort tätigkeitsorientiert wählt, indem sie der Ausführung der Tätigkeit spezifische Bedingungen unterlegt, die zu Hause nicht gegeben sind. Als Autorin im Auftrag einer Werbeagentur schreibt sie über ein Thema, das sie langweilt, statt sie zu interessieren, weshalb sie die Arbeit als frustrierend bezeichnet. Ihr eigentlicher Anspruch an die von ihr auszuführende Arbeit ist also, dass sie sie interessiert: hier wird Arbeit als Sinnstiftungsquelle verstanden, wobei es sich um ein spätmodernes Verständnis bzw. eine Empfindsamkeit handelt. Die Flexibilität in Bezug auf den Zeitpunkt der Absolvierung ihrer Arbeit, die ihr durch die Agentur gewährleistet wird, erscheint ihr als problematisch, da sich die unerwünschte Arbeit zu Hause leicht ver-

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schieben lässt. Die Freiheit, selbst entscheiden zu können, wird unattraktiv und zu einem zu bewältigenden Problem für die Akteurin. Die Wahl des Arbeitsortes findet hier also unter Berücksichtigung der Gewährleistung der höchsten Motivation statt. Außerdem wird durch Erhöhung des Aufwandes (oder der Kosten: die Ethnographin bringt sich selbst dazu, als ,rational choice-Akteurin‘ zu agieren) dafür Sorge getragen, dass die Arbeit absolviert wird. Bei ,der Arbeit‘ handelt es sich stets um ein Pensum, das sich die Akteurin selbst gesetzt hat und das sie sich in kleinschrittige Arbeitsteile zerlegt, die sie mit spezifischen Zeiten verbindet, zu denen einzelne Schritte getan sein sollen. Demnach verweist die Benennung der Situation als „Fluch“, selbst entscheiden zu können, wann was gearbeitet wird, darauf, dass hier die Strategie der veränderten Arbeitsortswahl als Waffe im Kampf gegen das eigene Selbst eingesetzt wird: Um zu gewährleisten, dass die ungeliebte Tätigkeit auch absolviert wird, sucht sie gezielt einen anderen Ort auf, der – in Hingabe an diesen Ort – das Seinige tut, damit das Ziel der Absolvierung des Arbeitspensums erreicht wird. Bietet dieser ,andere Ort‘ Starbucks Möglichkeiten, der stärksten Waffe des gegnerischen Selbst – dem Wunsch, etwas Anderes zu tun als zu arbeiten (O-Ton: „ich würde viel lieber andere Dinge machen“) – gewappnet zu sein? In Sabrina Hofmanns Erzählung ist es – vor dem Hintergrund des Verständnisses kreativer Arbeit als Ort der Sinnstiftung für das Subjekt – die als unliebsam empfundene Tätigkeit einerseits und der – durch Wegfall eines restriktiven Chefs, der Arbeitszeiten reguliert – als „Fluch“ wahrgenommene Zwang zur Selbstregulierung ihrer Arbeitszeit und ihres Arbeitspensums andererseits. Diese Aspekte führen dazu, dass es schwierig oder gar unmöglich wird, zu Hause zu arbeiten. Hierdurch wird die Maßnahme des Wechsels des Arbeitsortes als Technik der Selbstführung des auf sich selbst zurückgeworfenen Arbeitssubjekts eingeleitet. Der Heimarbeitsplatz wirft den betrachteten Protokollsequenzen zufolge sehr unterschiedliche Probleme auf, wird hier aber von den KreativarbeiterInnen durchweg problematisiert. Der Arbeitsort zu Hause erweist sich meist als unpassend zu den Notwendigkeiten, die zur Ausführung der konkreten Tätigkeit genannt werden. Auch

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scheint zu Hause zu arbeiten keinen ästhetischen Eigenwert zu haben, keine positiven Subjektrepräsentationen für Kreative bereit zu stellen und auch nicht performativ so codiert werden zu können, dass die im Coworking Space befragten kreativ am Laptop Arbeitenden diese zu wünschenswerten Selbstinszenierungen nutzen könnten. Nein, im Gegenteil: die hier betrachtete Personengruppe grenzt sich gezielt vom Komplex von Arbeitspraktiken zu Hause ab. Das Aufsuchen des Coworking Spaces deutet zudem darauf hin, dass es sich bei der Ablehnung des Heimarbeitsplatzes um mehr handelt. Die Wahl eines Coworking Spaces als Arbeitsort scheint einen diskursiv gerahmten Arbeitsstil zu mobilisieren, der als Schlüssel zur performativen Herstellung eines Lebensstils verstanden werden kann: Wo man arbeitet, ist eine Frage des Stils innerhalb eines bestimmten Milieus sowie eine Frage dessen, was man arbeitet. Denn es gilt: was, wie und wo man arbeitet, legt Zeugnis davon ab, ,wer‘ man ist. Hierbei handelt es sich um einen Zusammenhang, der noch näher beleuchtet werden wird.

2.2 D ER H EIMARBEITSPL AT Z ALS C HANCE ? I NSTABILE S TR ATEGIEN DES A RBEITSORTSWECHSELS Es wurde bereits bei einigen betrachteten Beispielen deutlich, dass der Heimarbeitsplatz noch gelegentlich als Arbeitsort gewählt wird. Der folgende Protokollausschnitt von Sabrina Hofmann zeigt jedoch, dass es sich auch bei der Strategie des Wechsels des Arbeitsortes um eine instabile Selbsttechnik des Arbeitens handelt. Hier geht es nun nicht mehr um dauerhafte Wechsel der Arbeitsorte, wie dies bei den zuvor betrachteten Beispielen der Fall war11, sondern um

11 | Denn: alle zuvor betrachteten KreativarbeiterInnen suchten das Coworking Space relativ häufig bzw. regelmäßig auf und werteten den Heimarbeitsplatz in ihren Narrationen allgemein ab.

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situativ eingeleitete Wechsel, die als Reaktionen nicht funktionaler Arbeitsprozesse erfolgen: „Trotzdem ist es leider schon oft vorgekommen, dass ich im Starbucks saß und es nicht gut voran ging. [...] Wenn ich nicht gut voran komme, passiert es schon oft, dass ich meine Sachen packe und nach Hause gehe.“

Dass die Führung des arbeitenden Selbst schwierig ist, auch nicht gänzlich durch einen Wechsel des Arbeitsortes durch das Verlassen des Heimarbeitsplatzes zu erreichen und dadurch v.a. nicht dauerhaft gewährleistet ist, verdeutlicht die Formulierung des ersten Satzes des zitierten Protokollausschnittes. Er zeigt, dass es sich für die Akteurin vor Beginn einer jeden Arbeitssequenz um ein schier unvorhersehbares Unterfangen handelt, ob sie ihr Arbeitspensum erreichen wird oder nicht, ganz so als könne sie dies nicht selbst bestimmen. Hierbei handelt es sich um ein ernst zu nehmendes empirisches Datum: Es wird deutlich, dass spezifische Partizipanden am Arbeitsprozess beteiligt sein müssen, um die Absolvierung der Arbeit zu gewährleisten. Die Prozessierung von kreativer Arbeit ist für die Akteurin tatsächlich nicht alleine zu bewerkstelligen. Die Erläuterung Sabrina Hofmanns, dass sie neuerlich ihren Arbeitsort wechsele, wenn sie merke, dass sie „nicht gut voran kommt“, zeigt, dass sie keine Innen- und Außenschau bezüglich der Suche nach neuen Möglichkeiten zum Gelingen der Tätigkeit an dem aktuellen Aufenthaltsort, in dem bereits konstituierten Raum betreibt. Stattdessen reagiert sie auf die für sie diffuse und scheinbar unerklärliche Situation und Feststellung, dass kein am eigenen Maßstab gemessenes effizientes Arbeiten mehr möglich ist und wechselt deshalb neuerlich den Arbeitsort. Ein neuer Ort verspricht neue Möglichkeiten in Bezug auf die Arbeitsraumkonstitution und den Arbeitsprozess selbst. Dieselbe Technik des arbeitenden Selbst wird demnach an unterschiedlichen Arbeitsorten eingesetzt. Die Akteurin betreibt eine Hermeneutik des arbeitenden oder faulenzenden Selbst und orientiert sich dabei offenbar ausschließlich an der Frage: „Wo kann ich am besten arbeiten?“ Dass hierbei aber nicht nur das Wo, sondern

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auch das ,Wann‘ und das ,Woran‘ eine Rolle spielen, verdeutlicht der folgende Protokollausschnitt, der sich direkt an den zuvor zitierten anschließt. „Weil ich weiß, dass ich keine halbherzigen Sachen veröffentlichen will und einen Anspruch an die Qualität der Beiträge habe, kommt es vor, dass ich mir denke ,ich weiß, im Moment ist es noch schlecht‘, aber wenn ich mit einem neuen Blick dran gehe (nachdem ich meinen Kopf ausgelüftet und nach Hause geradelt bin, auf andere Gedanken gekommen bin, bzw. mal einen Moment nicht drüber nachgedacht habe), ist mein Blick wieder frisch und Sätze, bei denen ich mich vorher drum herum gedruckst habe, kann ich klarer formulieren. In dem Fall ist es also doch von zu Hause aus möglich zu arbeiten und den Artikel noch fertig und online zu stellen. Wenn ich aber mittendrin war und es dann plötzlich nicht gut voran geht, dann klappt es zu Hause meistens auch nicht. Es ist auch einfach gefährlich, die Arbeit im Starbucks niederzulegen, eben weil ich zu Hause auch einfach Abendessen machen und den Abschluss vom Artikel auf den nächsten Tag verschieben könnte. Das mache ich deshalb nur, wenn die Arbeit fast fertig ist und eine letzte Überarbeitung oder Perfektionierung ansteht. Die kann ich dann auch besser zu Hause machen.“

Dass die Akteurin ihren Körper von zu Hause in den Starbucks und von diesem wieder nach Hause führt, begründet sie mit einer Innenschau, in der sie ihr arbeitendes Selbst und dessen Bedürfnisse genau unter die Lupe nimmt und ihre die Selbstführung anleitende Selbstreflexion im Protokoll beschreibt12. Die Wiederholung der Strategie des Arbeitsortswechsels kann als Konsequenz der Problematik der unübersehbaren diffusen Faktoren und situativ je verschieden 12 | Auch die Innenschau wird als Technik des Selbst gesehen, das kulturellen Codes unterliegt und ein spezifisches Selbst (re)produziert, das sich als für sich selbst verantwortlich betrachtet. Zudem kann diese Form der Beschäftigung mit dem Selbst auch als Selbstfürsorge betrachtet werden, ein Konzept, das sich in der Psychologie reger Prominenz erfreut und insbesondere im Rahmen von Psychotherapie von Bedeutung ist.

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wirksam werdenden Bedingungen betrachtet werden, die ihr das Arbeiten hier und dort gelegentlich erschweren. Doch auch das ,Wie‘ des Vollzugs des Arbeitsortswechsels ist von Bedeutung: der Weg vom Café nach Hause ist von zentraler Bedeutung dafür, dass der abgeschlossene Prozess des Arbeitsortswechsels, also das neuerliche Ankommen zu Hause, auch seinen Zweck erfüllt. Der Arbeitsortswechsel wird vollzogen, indem auf dem Fahrrad der „Kopf ausgelüftet“ wird. Das vornehmlich körperpraktisch vollzogene Fahrradfahren stellt neuerlich eine Selbsttechnik des Arbeitens dar: mithilfe dieser Technik bringt sich die Fahrende gezielt auf „andere Gedanken“ oder hat „mal einen Moment nicht drüber nachgedacht“, wobei „drüber“ eine Bezugnahme auf die gerade ausgeführte und im Folgenden wieder auszuführende Arbeit darstellt. Das Fahrradfahren evoziert hier einen kognitiven Prozess, der dem im Folgenden neu einzuleitenden Arbeitsprozess dienlich werden soll. Ebenso ist es von großer Bedeutung, an welcher Stelle im Arbeitsprozess die Problematik der Einflüsse oder des Handelns anderer am Prozess teilhabender Partizipanden13 auftritt. Der Arbeitsortswechsel hat insbesondere seinen Zweck erzielt, die Arbeit zu Hause fortsetzen zu können, wenn das Arbeitspensum fast erfüllt ist. Die letzte Überarbeitungsphase des schon geschriebenen Textes und ihn online zu stellen, sind Tätigkeiten, die nach dem Vollzug des Arbeitsortswechsels durch die Technik des Fahrradfahrens nach Hause noch gelingen können. Mehr noch: Sie gelingen zu Hause sogar besser. Indem nämlich der Körper mehr tut, kann ,der Kopf‘ einmal weniger tun und wird entlastet. Die Akteurin setzt hier demnach den Weg von einem Arbeitsort zum anderen als Unterbrechung ihres Arbeitsprozesses an einer spezifischen Stelle gezielt als Selbsttechnik des Arbeitens ein und bringt sich mit einer Körperpraktik 13 | Auch wenn hier noch wenig deutlich wird, um welche Partizipanden es sich an anderen Orten als am Heimarbeitsplatz und im Coworking Space handeln könnte, widmet sich Kapitel 3 der feinanalytischen Aufarbeitung von Arbeitsraumkonstitutionen mit dem Fokus auf Untersuchungen im Starbucks-Café.

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dazu, ihr Arbeitspensum trotz ungeahnter und unvorhergesehener Widrigkeiten noch zu erreichen. Entfalten die noch unbekannten Partizipanden jedoch bereits früher im Arbeitsprozess ihre Macht, ist auch die Technik des Arbeitsortswechsel chancenlos: sie kommt schlichtweg zu spät und kann keine arbeitsfördernden Möglichkeiten (mehr) evozieren. Die kreativ Arbeitende scheitert also auch im Caféraum gelegentlich in ihrem Arbeitsvorhaben und setzt in diesen Fällen den Weg zwischen Café und Heimarbeitsplatz als Strategie zur Arbeitsbefähigung des Selbst ein. Es scheint hier so, als wäre der funktionslos gewordene Heimarbeitsplatz durch das Café ausgetauscht worden. Dieses wiederum wird gelegentlich wieder durch den Heimarbeitsplatz ersetzt, wenn das Café nicht mehr seinen Zweck erfüllt, die Akteurin zum Arbeiten zu animieren. Auch David Kadel arbeitet heute noch gelegentlich zu Hause, obwohl er im zuvor analysierten Transkriptausschnitt die Nachteile des Heimarbeitsplatzes ausführlich erläutert hatte. Auf die Frage der Interviewerin: „is es bei dir auch so, dass du manchmal für verschiedene Jobs oder verschiedene Arten zu arbeiten dann mal zu Hause bist oder im Café bist oder?“antwortet er: „Also manchmal is es auch wetterabhängich, es is manchmal so, dass ich nich zum Starbucks geh, weil ich denke, oh draußen schüttet’s! hast ’n Laptop auf’m Fahrrad und Schnee und Eis und dann mach ich mir ’ne Kerze an, die richtige Musik läuft, ’n bisschen Billy Joel, da kann ich (.) sehr gut von zu Hause aus arbeiten. Also was zu essen, bisschen Tee, bisschen Wohlfühllicht ja, wie bei euch, ne, (er deutet auf die neben uns auf dem Tisch stehenden Teelichter) ja, des is es eigentlich schon.“

Auch hier wird der Weg zum Arbeitsort relevant, diesmal jedoch als Mittel zur situativen Wahl des Arbeitsortes: David Kadel entscheidet gelegentlich, bei zu viel Regen zu Hause zu bleiben. Die von ihm genannten Gründe für diese Entscheidung können als kleines Akteur-Netzwerk verstanden werden, das hier am Werke ist. David Kadels Weg zu seinem Arbeitsort Starbucks-Café wird mit einem

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Körper-Fahrrad-Hybrid14 vollzogen: David Kadels Körper auf (und mit) seinem Fahrrad müssen von zu Hause ins Café befördert werden, damit der kreative Arbeitsprozess seinen Lauf nehmen kann. Der Hybrid ist eng mit dem Wetterzustand vernetzt. Einen weiteren wichtigen Partizipanden stellt der Laptop dar, durch den der Arbeitsprozess im Café erst ermöglicht wird. Wenn die beiden mächtigen Partizipanden Wetter und Laptop nun situativ auf eine Weise miteinander vernetzt werden, dass der erst genannte den Laptop (als Wertgegenstand) bedroht und damit der Körper-Fahrrad-Hybrid herausgefordert und sein übliches Handeln verunmöglicht wird, arbeitet David Kadel als Beschützer des Laptops an der Mobilisierung anderer Objekte, die als Partizipanden mit ihren Affordanzen bei ihm zu Hause in Kraft treten. Dabei handelt es sich allerdings ebenso um ein Netzwerk, das in spezifischer Weise geknüpft werden muss und nur dann seine kreative Arbeitskraftaktivierung entfaltet, wenn jeder am Arbeitsvollzug David Kadels beteiligte Partizipand auch entsprechend der Arbeitsbedürfnisse und Wünsche des launischen kreativen Arbeitssubjekts handelt15 und zudem den Notwendigkeiten der Arbeitsraumkonstitution Rechnung trägt. Im Folgenden offenbart David Kadel weitere positive Aspekte des Arbeitens zu Hause, indem er auf die Frage der Interviewerin: 14 | An dieser Stelle des Protokollausschnittes wird noch nicht deutlich, dass es sich um einen Körper-Fahrrad-Hybrid handelt. In einem späteren Teil des Buchs wird jedoch anhand eines Zitates evident, dass nicht klar ist, wer hier wie handelt und wer wen wie bestimmt (vgl. Kapitel 3.7). So stellt sich bei dem Körper-Fahrrad-Hybrid im Beispiel David Kadels die Frage, wer hier eigentlich wen fährt und wer bestimmt, wohin gefahren wird. 15 | Die Brüchigkeit dieses Netzwerkes wird später näher beleuchtet und sei hier nur am Rande notiert. Der vorliegende Transkriptausschnitt gibt keinerlei Aufschluss darüber, wie komplex das zu Hause zu knüpfende Netzwerk verfasst ist und welche Maßnahmen David Kadel situativ einleiten muss, um die Akteure zu rearrangieren und sie zum Handeln zu veranlassen; was die widerständigen Akteure nicht immer tun.

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„kannst du das vielleicht noch mal vergleichen mit den zwei Jahren vorher, in denen du zu Hause gearbeitet hast? Wenn du da ma so überlegst, was war da, was dich zu Hause gestört hat und was ist weggefallen, was vielleicht gut war, keine Ahnung?“ antwortet: „also weggefallen is die totale Konzentrationsphase von zu Hause, is viel schwieriger (.) wenn du wenn du wirklich so an so Sätzen feilst und an Ideen und denkst: oh jetz kein Geräusch, Kinderschreien und so was (.) Leute kommen rein, die du kennst, und du denkst: oh, jetzt kommt der auch noch und ich muss mit dem quatschen, irgendwie hab ich gar keinen Nerv. Was ich sonst eigentlich total gerne mach, aber manchmal passt’s dir einfach gar nich. [...] äh, des is natürlich zu Hause super, dass du einfach – klar, is ja logisch, du hast die totale Ruhe und (.) und manchmal, wenn wenn es Projekte bei mir auch fordern, dann bleib ich auch zu Hause und äh denke ok, heute musst du dir mal die acht Stunden hier durchziehn und (.) belohn mich dann damit, dass ich dann nachmittags irgendwie ma ma rausgeh, weil so ’n ganzer Tag is natürlich irgendwie, is nich ganz so mein Ding, is ’n bisschen öde, aber manchmal geht’s nich anders und dann musst du’s auch.“

Die Konzentration sei zu Hause potentiell besser, da er dort die „totale Ruhe“ habe und „kein Geräusch, Kinderschreien“ aufträte. Mit dieser Aussage hebt er auf das potentielle ,soundscape‘ im Starbucks ab. Des Weiteren erläutert er, ähnlich wie Sabrina Hofmann, dass die Aufgabe der Erfüllung spezifischer Tätigkeiten die Wahl seines Arbeitsortes (mit)bestimmt. Zwar konkretisiert er nicht, wann „es Projekte [...] fordern“, „die acht Stunden“ zu Hause „durch[zu]ziehn“, doch offenbart er im Folgenden, dass eine solche Entscheidung einen Ausgleich in Form einer Selbstbelohnung evoziert: wenn er zu Hause arbeiten muss, belohnt er sich mit der Erlaubnis, das Haus zu verlassen. Dies geschieht allerdings erst zu einem bestimmten (späteren) Zeitpunkt des Tages und damit auch nach Absolvierung eines selbst gesetzten Arbeitspensums, „nachmittags“. Einen ganzen Tag bzw. „acht Stunden [...] ’n bisschen öde“ arbeitend zu Hause zu verbringen, akzeptiert David Kadel also auch nicht als Ausnahme von

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der Regel, ansonsten außer Hause zu arbeiten. Es ist hier wiederum die Aufenthaltsdauer bzw. die Arbeitszeit, die nach einer gewissen Zeit problematisch wird: sie weist einen Grenznutzen auf. Neuerlich zeigt sich hier die Form des alleine zu Hause Arbeitens als nicht wünschenswerte Arbeitsweise, die zu vermeiden versucht und nach einigen Stunden gezielt unterbrochen wird. Zugleich inszeniert sich David Kadel hier erneut als spezifisches Kreativsubjekt, das in der Einsamkeit verödet und offenbar keine längere Zeit alleine zu Hause arbeiten kann, es sei „nich so ganz“ sein „Ding“. Kreativ arbeiten am Heimarbeitsplatz wirft (nicht nur) für David Kadel keinen begehrenswerten Schein auf die Subjektform des Kreativarbeiters. Die Ablehnung des Heimarbeitsplatzes bei den KreativarbeiterInnen kann auch als Stilisierung des Selbst verstanden werden. Der Heimarbeitsplatz wird von den KreativarbeiterInnen gezielt und einstimmig abgelehnt, ein empirisches Datum, das darüber Aufschluss gibt, dass Orte mittlerweile als Zeichen fungieren können, die über die Zugehörigkeit eines Subjekts zu den Kreativen bzw. allgemeiner zu den ,digitalen Nomaden‘ mitentscheiden können.

2.3 S EGEN UND F LUCH ZUGLEICH : D ER H EIMARBEITSPL AT Z ALS O RT (UN) GE WOLLTER S TÖRUNGEN Eine Selbstbeobachtung der Ethnographin Bender soll im Weiteren darüber informieren, welche Möglichkeiten der Heimarbeitsplatz in Bezug auf erwünschte und der Absolvierung der Arbeit dienliche Störungen bietet: „Ich habe früher immer zu Hause gearbeitet, und das hat meistens ganz gut geklappt: ich habe mir eine Kanne Tee gekocht, meinen Laptop hochgefahren, E-Mails gelesen und die Mail-Programme die ganze Zeit aufgerufen gelassen, meinen Kolleginnen geantwortet und die Texte bearbeitet, die sie mir zugeschickt haben, und in der Zwischenzeit an meinen eigenen Projekten am Laptop gearbeitet. Zwischendurch habe ich mal die

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Waschmaschine angestellt und sie später ausgeräumt und mich gar nicht schlecht gefühlt weil ich eine Pause gemacht habe weil ich diese ja auch mit Arbeit – nur eben einer anderen – ausgefüllt habe. Manchmal habe ich auch nach einigen Stunden und einem Erfolgsgefühl, dass ich mich dem Tagesziel meines Arbeitspensums nähere, ein Bad genommen, um eine Pause zu machen, oder in der Badewanne weiter gelesen, weil ich gerade nicht mehr schreiben musste und nicht mehr am Schreibtisch sitzen konnte. Das waren alles Abwechslungen und kleine Unterbrechungen, die mir geholfen haben, um mich danach wieder aufs Schreiben zu konzentrieren. [...]“

Hier erscheint der Heimarbeitsplatz in verschiedenen Aspekten als dem Erzielen des selbst gesetzten Arbeitspensums und dem Arbeitsprozess dienlich. Indem in der eigenen Wohnung Materialitäten und Objekte vorhanden sind, über die andere Orte nicht verfügen16, wird der Arbeitstag zu Hause mithilfe des Einsatzes verschiedener Techniken und situativen Führungen des arbeitenden Selbst als erfolgreich erfahren. Zu Hause zu arbeiten bietet Möglichkeiten der Erholung und Belohnung für (beinahe) absolvierte täglich neu gesetzte Arbeitsziele wie z.B. ein Bad zu nehmen. Zugleich verbietet der Aufenthalt in der Badewanne spezifische Arbeitsformen wie z.B. das Arbeiten am Laptop und zwingt damit eine Unterbrechung von dieser Arbeitsweise auf. Auch können andere Arbeiten, wie z.B. Wäsche waschen, gezielt an Stellen im Arbeitsprozess eingesetzt werden, an denen eine Pause von jener konzentrationserfordernden Tätigkeit des Schreibens oder Lesens nötig ist. Durch die gewählte 16 | Solche Objekte sind z.B. die Badewanne, die eine eigene Handlungsmächtigkeit in Bezug auf Bemühungen der Raumkonstitution zu entfalten weiß: Indem die Badewanne Erholung und eine Pause verspricht, dienen ihre Existenz und Anwesenheit am Arbeitsort der Konstitution eines Erholungs- oder Ruheraumes. Dass zugleich der Arbeitsprozess in modifizierter Form, nämlich mithilfe anderer Materialitäten – wie dem Buch – fortgesetzt werden kann, repräsentiert spezifische Verheißungen des Heimarbeitsplatzes: er kann zugleich Erholungs- und Arbeitsraum sein.

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Tätigkeit in der Pause kann letztere zugleich vor dem arbeitenden Selbst gerechtfertigt und eine totale Ökonomisierung des Subjektes erreicht werden, indem noch die Pausen mit Arbeit (anderer Art) gefüllt werden. In Orientierung an Effizienz- und Produktivitätskriterien ist der Heimarbeitsplatz hier besonders wertvoll für die Akteurin. Die Verfolgung der selbst gesetzten Aufgaben erlaubt keine Unterbrechungen, so dass nur unter (Selbst-)druck der relativ sturen Verfolgung des selbst gesetzten Arbeitspensums zu Hause erfolgreich gearbeitet werden kann. Gezielt eingesetzte Pausen sind wiederum als Techniken des arbeitenden Selbst zu verstehen. Sie erfüllen zwei Funktionen: einerseits dienen sie der Selbstbelohnung und damit der Aufrechterhaltung der Motivation zur Verfolgung der gesetzten Arbeitsziele und stellen andererseits eine Unterbrechung dar, die dem Arbeitsprozess in seiner Fortsetzung auf andere Weise dienlich ist: Ähnlich wie dies bei Sabrina Hofmann der Fall ist, die von ihrem „ausgelüfteten Kopf“ berichtet, den sie durch die Arbeitspause erzielt, die sie mit einem ortswechselnden Fahrradfahren ausfüllt, wird hier beispielsweise die Waschmaschine ausgeräumt und dadurch gezielt eine Unterbrechung von der konzentrationserfordernden Tätigkeit erzielt. Es handelt sich hier um einen Kontrast zu Martina, die sich durch die Haushaltsgeräte der Wasch- oder Spülmaschine ungewollt unterbrochen sah, ihnen aber in ihrem Aufruf folgte, sie zu bedienen. Ein zentraler Unterschied zwischen beiden Fällen besteht darin, dass Martina die Arbeitspausen, die durch die Aufrufe der Reinigungsgeräte, klingelnde Postboten oder Telefone entstehen, als unangenehme und unerwünschte Störung ihrer Arbeit versteht. Dagegen setzen Bender und Sabrina Hofmann die Pausen gezielt zur positiven Unterbrechung ihrer Arbeit ein, indem die Pausen in einem spezifischen Moment des Arbeitsprozesses dafür Sorge tragen, dass die Prozessierung der Arbeit von den Akteurinnen weiter getragen werden kann. Es sind hier demnach nicht nur die Orte, die spezifische Probleme und Verheißungen versprechen, sondern auch die AkteurInnen selbst und die Routinen ihrer Arbeitsraumkonstruktionen, die eine Rolle dabei spielen, ob die Arbeit zu Hause als Erfolg oder Misserfolg erlebt wird. Nötige Arbeitsunterbrechungen

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stehen auf jener der Arbeit dienlichen Seite. Störungen, die für die AkteurInnen zu unvorhersehbaren Zeitpunkten auftreten, stehen auf der anderen Seite: die Arbeit wird unmöglich. Die folgende Selbstbeobachtung verdeutlicht dies und ergänzt damit, was bereits bei Martina deutlich wurde: „Seitdem ich aber Mutter bin, wurde es schwerer, zu Hause zu arbeiten. Am Anfang konnte ich noch die Schlafzeiten meiner Tochter nutzen, da sie relativ lang und regelmäßig waren, später wurden sie aber immer kürzer und in ihrer Dauer unvorhersehbar.“

Die Unwissenheit, ob es möglich sein wird, für eine gewisse Dauer konzentriert zu arbeiten, löst ein solches Unbehagen des arbeitenden und des Mutter-Selbst aus, dass bei Anwesenheit der Tochter gar nicht mehr gearbeitet wird. Das arbeitende Selbst darf somit nicht mehr auftreten, sondern nur erscheinen, wenn es das Regime auch wieder vollständig seinen Vorstellungen entsprechend übernehmen kann. Die zuvor entwickelten und eingesetzten Selbsttechnologien des Arbeitens, die vor allem durch die selbst gewählten Zeitpunkte der Pausen und die in ihnen ausgeübten Tätigkeiten, der Arbeitsprozessierung dienlich waren, werden hier unterminiert durch das Moment der Zufälligkeit: Seitdem Arbeitsunterbrechungen nicht gezielt durch die Akteurin selbst eingesetzt werden können, sondern für sie in unvorhersehbaren Momenten entstehen, wird für sie der früher so wertvolle Heimarbeitsplatz entwertet. Auch Experimente der Entwicklung neuer Selbsttechnologien schlagen fehl. Es fehlt schlichtweg die Möglichkeit der Beeinflussung eines für den Arbeitsprozess der Akteurin unverzichtbaren Vorgangs: die Selbststrukturierung der Arbeitszeit und der Pausen, die der Arbeitsprozessierung (und der Selbstfürsorge?) dienen. Daraus werden Konsequenzen gezogen: „Seitdem das so ist und ich nicht mehr erfolgreich zu Hause arbeiten kann, habe ich mich auch dazu entschlossen, kategorisch damit aufzuhören.“ Die Akteurin wird für sich selbst als Trägerin der Arbeitsprozessierung zu Hause nicht mehr tragbar und kündigt sich den Heim-

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arbeitsplatz selbst auf. Auch Sabrina Hofmann sprach in ihrem Protokoll bereits von Frustrationen, die sie durch eine bestimmte Tätigkeit an einem spezifischen Ort erlebt. Bei Bender erscheint nun die Frustration in dem Scheitern des Arbeitsvorhabens durch situativ unbeeinflussbare Faktoren, die früher entwickelte und lange Zeit zielführende Selbsttechnologien des Arbeitens unterminieren. Wie wird nun darauf reagiert, dass der Heimarbeitsplatz durch verschiedene Veränderungen entwertet wurde? Auch Bender setzt einen Ortswechsel als Strategie ein, um sich wieder zum Arbeiten zu befähigen: Zur gemeinsamen Arbeit an den Themen Coworking und kreativen Arbeitsweisen beginnen Bender und Sabrina Hofmann in einem Raum nebeneinander und gelegentlich miteinander, also im sprachlichen oder textualen Dialog oder durch das Hin- und Herschicken von Texten zu arbeiten. Dabei wechselt Bender dauerhaft ihren Arbeitsort: statt dem Heimarbeitsplatz fungiert das improvisierte Coworking Space als geeigneter Ort zur neuen Herstellung von Konzentration: „Wenn ich jetzt zu Sabrina gehe und nicht zu Hause bin, werde ich gar nicht gestört. Meine gesamte Literatur liegt nun in unserem neuen Arbeitsraum auf dem Schreibtisch, Ordner, Blöcke, alles.“

Nicht gezielt eingesetzte Unterbrechungen sind woanders zu erwarten, nicht hier. Die Akteurin erfährt das Verlassen des früher so erfolgreichen Heimarbeitsplatzes als dem Arbeitserfolg dienlich. Zugleich wird auch hier implizit eine für die Akteurin neue Differenzierung in Wohn- und Arbeitsraum deutlich: die Arbeitsutensilien sind nicht mehr zu Hause platziert, sondern ausgelagert an einen externen Arbeitsort. „Ich bin mittlerweile froh, nicht mehr zu Hause zu arbeiten. Wenn manchmal doch ein wenig Zeit entsteht, in der ich arbeiten könnte, kann ich es nun gar nicht mehr richtig, wenn ich es nicht vorher geplant habe, weil all meine Literatur nicht mehr zu Hause ist! Das ist auch eine Chance. Ich erlebe seitdem zu Hause viel mehr als zu Hause, ich lebe dort und arbeite

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nicht mehr. Früher habe ich oft über diese oder jene Arbeit nachgedacht, Ideen gesammelt, bin aufgestanden und hab sie manchmal nachts aufgeschrieben und dann am nächsten Tag eingearbeitet. Natürlich passiert das immer noch; ich denke zwischendurch an das, woran ich aktuell arbeite, weil ein großer Teil meiner Tätigkeit ja Denkarbeit ist. Aber ich habe mir jetzt verboten, exzessiv über die Arbeit nachzudenken. Das ist eine große Erleichterung: Wenn ich jetzt anfange, über inhaltliche Probleme meiner Texte nachzudenken, sage ich mir oft ,Stopp, mach das später mit Sabrina, wenn du bei ihr bist, das bringt sowieso mehr‘. Sich das selbst zu sagen hilft ja [...] und das klappt dann auch meistens, dass ich das abstellen kann [...]“

In diesem Protokollausschnitt wird deutlich, dass die Separierung von Wohn- und Arbeitsraum als doppelt positiv erfahren wird. Einerseits ist es der Arbeit dienlich, dass nicht mehr zu Hause gearbeitet wird, andererseits wird wieder so etwas wie die Erfahrung von FreiZeit zu Hause ermöglicht: „Ich erlebe seitdem zu Hause viel mehr als zu Hause“. Auch werden durch die Entscheidung der Auslagerung des Arbeitsplatzes, durch die Abwesenheit der Materialitäten des Schreibtisches, der Bücher und Ordner, neue Selbsttechnologien ermöglicht, die Zuwendungen zu sich selbst im Sinne von mit der Arbeit zusammenhängenden Innenschauen indizieren. Das Nachdenken über die Arbeit kann dieser zwar dienlich sein, kann jedoch zugleich auch als Indikator der Entgrenzung der Arbeit verstanden werden, die als unangenehm empfunden wird und so weit geht, dass sie sogar die Art und Weise der Beschäftigung mit dem arbeitenden Selbst beeinflusst. Die Akteurin zumindest leitet in Anbetracht des positiven Erlebens der Separierung von Wohn- und Arbeitsraum Selbsttechnologien in Form von ,cognitive devices‘ ein, die auch und gerade in Anbetracht von Materialitäten besondere Wirkung entfalten können: Indem sie ihre materiellen Arbeitswerkzeuge verlagert und Verabredungen mit ihrer Freundin zum Arbeiten trifft, platziert sie auch Immaterielles in den neuen Arbeitsraum und sortiert von nun an Gedanken zur Arbeit und solche, die nichts mit Arbeit zu tun haben. Auf diese Weise wirken der Arbeitsortswechsel und die

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damit einhergehenden Platzierungen materieller Arbeitsobjekte auf die Akteurin in ihrem Selbsterleben und Selbstwahrnehmen sowie ihren Raumnutzungspraktiken und Interaktionen mit ihren Familienmitgliedern ein und ermöglichen neue Technologien des Selbst (in Form der Gedankendifferenzierung und -steuerung.) Diese separieren das Selbst in ein arbeitendes und ein Freizeit-Selbst, indem das arbeitende Selbst in einen neuen Arbeitsraum versetzt wird und ihm sein kognitives Auftreten (das Nachdenken über die Arbeit) zu Hause verboten wird. Indem das arbeitende Selbst beschnitten bzw. begrenzt wird, da seine Abwesenheit zu Hause herbeigeführt wird, kann sich das Freizeit-Selbst neu entfalten. Die veränderten Arbeitspraktiken der Akteurin haben hier demnach Folgen für ihre Subjektivierungsformen. Aus einem hybriden Arbeits- und Freizeitsubjekt wird mithilfe materieller Umplatzierungen und in Zuwendung zum eigenen Selbst durch gezielte Differenzierungen von Kognitionen und ,cognitive devices‘, die ebenso umplatziert werden wie die materiellen Arbeitsutensilien, eine Differenzierung in ein Arbeits- und ein Familien/Freizeitsubjekt geschaffen. Es wird hier deutlich, wie bedeutsam und folgenreich die Arbeitsortswahl für die Produktion spezifischer Selbstführungen und diese wiederum für Subjektivierungsprozesse sein kann. Schließt man diese Befunde an Studien der Arbeits-, Industrieund Betriebssoziologie an, so lassen sich verschiedene Anknüpfungspunkte ausmachen. Für viele KreativarbeiterInnen konnte die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben17 als bedeutsam rekon17 | Insbesondere in Bezug auf die Frage danach, wie viel Zeit für die Familie bleibt und in welchem Verhältnis Familien und Erwerbsarbeit aktuell durch die Entgrenzung der Erwerbsarbeitszeiten zu verorten sind, scheint momentan Klärungsbedarf vorzuherrschen (vgl. DGS; gemeinsame Sektionsversanstaltung der Sektion Familiensoziologie und der Sektion Arbeits- und Industriesoziologie). Die vorliegenden Untersuchungen zum Heimarbeitsplatz liefern Daten von Problemkonstellationen, die durch neue Verflechtungen von Erwerbs- und Hausarbeit insbesondere am Heimarbeitsplatz entstehen.

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struiert werden. Viele im Kontext der o.g. Bindestrichsoziologien entstandenen Studien fokussieren auf diesen Aspekt, wenn sie so genannte ,neue Arbeitsformen‘ untersuchen. So fanden Pongratz/Voß einen „Abbau charakteristischer Grenzziehungen zwischen Arbeit und Privatleben [...] besonders ausgeprägt z.B. bei Telearbeitern oder Selbständigen“ (Pongratz/Voß 1998), wozu die Gruppe digital-kreativ Arbeitender – unter Ausblendung anderer bedeutsamer Kriterien ihrer Konstituierung – gezählt werden kann. Bolte zitiert in seinem Aufsatz „Zeitkünstler- Ein neues Leitbild?“ Soboczynski, mit dessen Hilfe die Entgrenzung vormals zweier getrennter Bereiche auf den Punkt gebracht wird und der zudem – passend für die untersuchten digital Arbeitenden – auf virtuelle Kommunikation abstellt: „Ich habe zwei Mailadressen, eine berufliche und eine private. An die private Adresse schickt man mir gerne berufliche Mails. Wenn ich nicht mehr im Büro bin, denken die Kollegen, dass ich über die private Adresse erreichbar sei. Die berufliche nutzen meine Freunde, weil sie wissen, dass ich tagsüber gut in der Redaktion erreichbar bin. Ich checke immer beide.“ (Soboczynski 2008, zit. n. Bolte 2011, S. 13).

Bolte18 verweist darauf, dass in der Arbeits- und Industriesoziologie mit wenigen Ausnahmen (zu nennen sind etwa Jurczyk/Voß 2000; Voß 1998; Pongratz/Voß 2003; 2004) weitgehend auf eine Beachtung und Beschreibung alltäglicher Zeitorganisation verzichtet wurde (vgl. Bolte 2011, S. 14). Die in den vorigen Kapiteln mitgelaufenen und betrachteten Techniken der zeitlichen Organisation des Alltags, die die Freelancer in einer Art Selbst-Ökonomisierung entwickeln und die mit dem Fokus auf die Strukturierung der Arbeitsprozesse und ihrer Verortung und Verräumlichung vorgestellt wurden, kön18 | Auch Jurczyk/Voß postulieren in einem Artikel mit dem Titel „Entgrenzte Arbeitszeit – Reflexive Alltagszeit. Die Zeiten des Arbeitskraftunternehmers“, dass der Typus des Arbeitskraftunternehmers eine „Erosion der Alltagszeit“ erfährt und mit einem aktiven „Zeithandeln“ reagiert (Jurczyk/Voß 2000, Hervorh. i. Orig.).

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nen auch als Untersuchung von selbständigen TelearbeiterInnen aufgefasst werden, die am Heimarbeitsplatz kreativ tätig sind. Damit sowie mit der Beschreibung der alltäglichen Arbeitsorganisation schließen die vorigen Kapitel an das von Bolte angedeutete Forschungsdesiderat an. Für die Arbeitssoziologie anschlussfähig wäre es, spezifische Arbeitserfordernisse – wie beispielsweise solche, die durch das Erfordernis des kreativen Tätigwerdens evoziert werden – in Bezug zu setzen zu jenen Machtkonstellationen, denen häufig spezifische Berufsgruppen unterworfen sind. Diese formieren Subjekte so, dass ihr vermeintlich selbst gewählter Arbeitsort zu einem zentralen Bestandteil der Ermöglichung ihrer Arbeitsprozesse und damit verbundener Subjektivationen werden kann. So sollten die jeweiligen Arbeitsorte nicht als von außen aufgezwungene Orte aufgefasst werden, sondern es sollte vielmehr zu einer Frage empirischer Untersuchung werden, welche Rolle Arbeitsorte im Arbeitsprozess innehaben und ob/wie sie sich auf Subjektivationen auswirken können. Letztlich kann auf diese Weise auch die Frage verfolgt werden, in welches Dispositiv, in welche Machtkonstellation kreative Freelancer oder andere Berufsgruppen verwoben sind. Aufgrund der Analyse von Coworking Spaces kann diesbezüglich zumindest vorab die Hypothese formuliert werden, dass kreativ arbeitende Freelancer ihre Selbstbeschreibungen aus vielfältigen Diskursformationen beziehen, die sowohl in face-to-face-Interaktionen mit anderen Milieuangehörigen hergestellt und aktualisiert als auch durch vornehmlich Online-Diskurse produziert werden. Diese machen explizit, dass die Fragen des Ortes und Raumes solche sind, die kreativ Arbeitende umtreiben. Geeignete Orts- und Raumsuchen erscheinen wiederum selbst als durchwoben von Dispositiven: Es ist eben nicht egal, wo sie – die Kreativen – arbeiten, jedoch suchen sie sich die Orte auch nicht ganz von selbst aus. Eine solche subjektessentialistische Vorstellung wäre soziologisch nicht haltbar. Die Ortssuchen sind vielmehr als Bestandteile von Praxisformationen zu verorten. Auch sind es Raum- bzw. Kreativitätsdispositive, die sich vermehren, sich in sich immer verändernden Kopien verbreiten und in geographisch teils weit voneinander entfernten Städten

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so ähnliche Diskursformationen und Räume installieren, dass sich milieuspezifische Ähnlichkeiten entwickeln. Es wurde in diesen Kapiteln auch verdeutlicht, dass der Heimarbeitsplatz über längere Zeiträume hinweg ein erfolgreicher Arbeitsort sein kann, dass er jedoch häufig durch einen abnehmenden Grenznutzen entwertet wird. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Entwertung wiederum nicht dauerhaft bestehen bleiben muss, sondern der Heimarbeitsplatz in der Selbsttechnologie des Wechsels mit anderen Arbeitsorten neue Attraktivität gewinnen kann und des Weiteren Synergieeffekte für die Hausarbeit aus der Kreativarbeit zu Hause hervorgehen können. Selbst eingeleitete Störungen als Produktivitätsmotor des kreativen Arbeitens stehen als Segen des Heimarbeitsplatzes mit seinen spezifischen Materialitäten auf der einen Seite eines Kontinuums dessen, was der Heimarbeitsplatz für den kreativen Arbeitsprozess leisten kann. Auf der anderen Seite scheint der Fluch ungewollter Störungen zu im Arbeitsprozess ungeeigneten Zeitpunkten zu Hause hoch zu sein.

2.4 U NDOING

BEING A DIGITAL WORKER ON THE ROAD : D ER ICE ALS K ONTR AST ZUM C OWORKING S PACE

Sabrina Hofmann beginnt ihre ethnographischen Beobachtungen bereits auf dem Weg nach Berlin, wo sie Coworking Spaces aufsuchen möchte. Im ICE sitzend, beginnt sie die Untersuchung der phänomenologisch orientierten Frage „How does it feel, to be a digital native?“ mithilfe einer Selbstbeobachtung, die folgendermaßen protokolliert wurde: „Ich sitze im ICE nach Berlin und habe gerade meinen Laptop herausgeholt. Weder auf meinem Nachbarsitz noch gegenüber sitzen Fahrgäste, aber ansonsten ist der Zug fast voll. Es reisen viele ältere Menschen, in meinem Alter habe ich kaum jemanden gesehen. Während ich meine Notizen mache, fällt mir auf, dass mit dem Laptop und dem Arbeiten an die-

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sem Ort ein seltsames Gefühl einhergeht. Das liegt vor allem an dem Bild von mir selbst, das ich gerade abgebe. Ich fühle mich ein wenig als wäre ich eine toughe Business-Frau, die ihr nächstes wichtiges Meeting vorbereitet. Da ich heute einen Rock und hohe Stiefel trage statt wie sonst auch gerne Jeans und Turnschuhe, fühle ich mich noch mehr so als würde ich diesen Eindruck von mir vermitteln. Eine ältere Dame, ca. 50, beobachtet mich aus dem Augenwinkel. Es ist mir unangenehm [...].“

Diese Beobachtung stellte die erste dar, in der die Ethnographin Hofmann sich selbst zum Untersuchungsgegenstand, zum Forschungsinstrument machte. Dieses Protokoll nun nach umfassenden Analysen und einer langen Phase des ,Vertrautwerdens mit dem Feld‘ erneut untersuchend, überrascht beinahe, wie detailgenau Sabrina Hofmann den Ursprung ihres Unwohlseins damals bereits sprachlich zu fassen wusste: „[...] fällt mir auf, dass mit dem Laptop und dem Arbeiten an diesem Ort ein seltsames Gefühl einhergeht.“ Noch bevor Sabrina Hofmann sich als Mitglied der Szene der ,digitalen Nomaden‘, der KreativarbeiterInnen, die sie in Coworking Spaces anzutreffen gedenkt, fühlen konnte, noch bevor sie das nötige kulturelle Wissen zum kompetenten szenenspezifische Handeln in Coworking Spaces erwerben konnte, zeigt sie die in Coworking Spaces grundlegend richtige Praktik an einem anderen Ort: Sie setzt sich, holt ihren Laptop heraus, platziert ihn auf dem Tisch und beginnt zu arbeiten. Bereits in Sabrina Hofmanns Arbeit wurde verdeutlicht, dass das Arbeiten ohne Laptop in Coworking Spaces nie beobachtet werden konnte. Hier nun sind es gerade der Laptop und die Tätigkeit Arbeiten am (oder mit) Laptop im ICE, die ein „seltsames Gefühl“ evozieren. Damit sind es exakt die Aspekte, die Sabrina Hofmann schon während des Protokollschreibens wahrnimmt: Der Ort, das Objekt Laptop und die typisierte Tätigkeit an diesem lassen in ihrem gleichzeitigen Auftreten ein unangenehmes Gefühl bei der Akteurin auftreten. In Coworking Spaces wären es im Gegenteil die Abwesenheit des Laptops und die dadurch produzierte Unmöglichkeit des legitimen Arbeitens an dem Ort Coworking Space, die ein Unwohlsein auslösten. Damit handelt es sich bei der Fahrt im ICE und

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dem Coworking Space in der performativen Wirkung der Materialität der Orte und ihrer Inszenierungspotentiale um zwei Extremfälle, die einem kontrastiven Vergleich dienlich sein können. Das Unwohlsein Sabrina Hofmanns resultiert aus einer doppelten Distinktion19 ihrer Selbst und dem Ort, an dem sie und die kopräsenten Anderen sich befinden: Zum einen durch den Laptop, zum anderen durch ihre Arbeitstätigkeit daran und intensiviert durch die Kleidung, die sie trägt, unterscheidet Sabrina Hofmann sich in für sie unangenehmer Weise von den kopräsenten Anderen. Auch ihr Alter unterscheidet sich von dem der anderen Fahrgäste und stellt somit ein weiteres distinguierendes Merkmal dar, das ihr auffällt. Diese mehrfachen Distinktionen der Akteurin von anderen Anwesenden bleiben deshalb nicht von ihr unbemerkt, weil sie sich selbst als situativ unangenehm auffallend empfindet. Wie kann die Angst, die Darstellung einer „toughe[n] Business-Frau“ abzugeben, erklärt werden? Wie die Teilnehmerin und zugleich Beobachterin selbst feststellt, sind es spezifische Objekte, die sie in die von ihr als misslich empfundene Lage versetzen: der Rock zusammen mit den hohen Stiefeln, der Laptop zusammen mit der Tätigkeit des Schreibens könnten an diesem Ort im ICE den Eindruck bei Kopräsenten erwecken, dass Sabrina Hofmann „ihr nächstes wichtiges Meeting vorbereite[t]“. Es wird hier offenbar, dass die zentralen Themen des Transkriptausschnittes Membership-Fragen sind. Sabrina Hofmann gibt aus ihrer eigenen 19 | Bourdieu prägte den Begriff der Distinktion maßgeblich. Zur begrifflichen Erläuterung muss sein Habituskonzept einbezogen werden: Der Habitus ist bei Bourdieu zugleich einheitsstiftendes Erzeugungsprinzip aller Praxisformen (vgl. Bourdieu 1982, S. 283) und durch gesellschaftliche Erfahrungen bedingt (vgl. ebd., S. 60). So bilden sich unterschiedliche Habitus je nach Standort des Individuums in der sozialstrukturellen Ordnung heraus: was als natürlicher Unterschied erscheint, ist „in Wirklichkeit nur eine Differenz [...], ein Abstand, ein Unterscheidungsmerkmal, kurz, ein relationales Merkmal.“ (Bourdieu 1998, S. 18). Distinktionen sind nur möglich und sinnhaft, da und sofern sie in diesem relationalen Raum stattfinden.

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Sicht keine kompetente Membership-Darstellung für diesen Ort und für diese Situation ab, in der laut Protokoll offenbar nur kopräsente ältere Reisende ohne Laptops anwesend sind. Das Problem Sabrina Hofmanns resultiert also aus einer Membership-Darstellung, die in der Situation anwesende Objekte ohne ihren Willen ausführen und gegen die sie nun zu steuern versucht, um eine Darstellung abzugeben, die sie nicht zu einem Mitglied einer Gruppe macht, zu der sie nicht als zugehörig gezählt werden will. „Ich beobachte an mir selbst einige Strategien, die ich einsetze, um dem Bild der Business-Frau entgegen zu wirken: Ich schaue lange zum Fenster hinaus, ich versuche, mein ,Denkergesicht‘ abzulegen und freundlich zu gucken; d.h., ich entspanne meine Augenbrauen und die ganze Augenpartie, die ich beim konzentrierten Schreiben zusammengekniffen habe, um den Laptop besser zu sehen, und versuche, offen und fröhlich zu wirken, anstatt konzentriert und verschlossen. Ich habe ein leichtes, halbes Lächeln auf dem Gesicht. [...]“

Hier nun wird deutlich, wie und welche Gegenmaßnahmen dem Körper als weiterem Partizipanden in der Situation aufgegeben werden, um die anderen Partizipanden in ihrem für Sabrina Hofmann folgenreichen Zusammenwirken zu unterminieren. Lange zum Fenster hinauszusehen und damit die Arbeit am Laptop zu unterbrechen, das „Denkergesicht“ abzulegen und freundlich auszusehen, was als kontrastive Mimik zum konzentrierten, verschlossenen Gesichtsausdruck fungieren soll: All diese Anstrengungen scheinen der Akteurin vonnöten zu sein, um dem antizipierten Bild ihrer Selbst entgegenzuwirken, das andere Fahrgäste durch das Zusammenwirken von Kleidung, Laptop und Tätigkeit erhalten könnten. Sie unterstellt dabei den anderen Fahrgästen, dass sie über das Wissen verfügen, ihre Körperdarstellung und ihre Kleidung als Zeichen20 zu erkennen, die sie als einen bestimmten Jemand, z.B. als 20 | Die Differenzen, die die Akteurin zwischen sich und den anderen TeilnehmerInnen der Situation als bedeutsam erachtet, sind nur deshalb

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„toughe Businessfrau“ erscheinen lassen. Die von Sabrina Hofmann beschriebene Situation verdeutlicht, wie sie als kompetente Trägerin digitaler Arbeitspraktiken durch in der Situation anwesende (eigene) Objekte an einem Ort, an dem diese bei den kopräsenten Anderen zugleich abwesend sind, dazu gebracht wird, sich ihre ansonsten inkorporierten Praktiken explizit verfügbar und beschreibbar zu machen. Indem sie hier ihr praktisches Verstehen der Situation und ihrer ungewollten Distinktion inklusive Gegensteuerungsmaßnahmen expliziert, macht sie verkörpertes Wissen explizit und verdeutlicht damit auch die Wirkweisen der in der Situation an diesem Ort anwesenden Objekte. Die Bedeutsamkeit des Ortes wird ihr noch während des Protokollschreibens reflexiv zugänglich: „Ich frage mich, ob all diese Gedanken und Empfindungen eigentlich ausschließlich am Umfeld liegen. Wäre es mir im hippen Café in Kreuzberg unangenehm, als ,immer online-macbook userin‘ gesehen zu werden? Vermutlich wäre es mir unangenehm, nicht als solche angesehen zu werden.“

Indem sie die aktuelle Situation21 im ICE vergleicht mit einem Ort, der ihr als Kontrastfall erscheint, nämlich dem „hippen Café in sozial relevante, weil ihrerseits Wissen darüber vorhanden ist, das dazu befähigt, im Alltag wahrgenommene ,Unterschiede‘ zwischen Personen als Zeichen zu verstehen, die erst einen Unterschied machen: „Der Unterschied wird erst dann zum Zeichen und zum Zeichen des Distinguierten [...], wenn man ein Wahrnehmungs- und Gliederungsprinzip auf ihn anwendet, das, da es das Ergebnis der Inkorporierung der Struktur der objektiven Unterschiede ist [...] bei allen Akteuren vorhanden ist [...] (Bourdieu 1998, S. 23). Da es sich im vorliegenden Fall um szenespezifisches Wissen handelt, verfügen hier jedoch vielleicht nicht alle Akteure über das Wahrnehmungs- und Gliederungsprinzip, das sich in Sabrina Hofmanns Antizipationen über ihr eigenes Erscheinen in der betrachteten Situation zeigt. Gleichwohl unterstellt sie es allen SituationsteilnehmerInnen. 21 | Freilich sind die Beobachtungen und Erfahrungen Sabrina Hofmanns einer spezifischen Situation (im ICE) zuzuschreiben. Zu einem anderen

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Kreuzberg“, offenbart sich in der Beschreibung selbst ein weiteres Distinktionsmerkmal, das über die Antizipation der Anwesenheit einer spezifischen Szene an einem spezifischen Ort (Kreuzberg) Aufschluss gibt: Während Sabrina Hofmann zuvor nur von „Laptop“ schrieb und davon, nicht „cool und businessmäßig“ wirken zu wollen, spricht sie in der zuletzt zitierten Protokollsequenz nun von sich als „immer online-macbook userin“. Durch den durch die Ethnographin im Protokoll herbeigeführten imaginierten Ortswechsel vom ICE zum hippen Café in Kreuzberg wurde demzufolge aus dem Laptop ein „macbook“. Diese unterschiedliche Bezeichnung eines der zentralen Objekte eines kreativ arbeitenden Freelancers sollte nicht als zufällig betrachtet werden. Vielmehr offenbart sich hier ein kulturelles Wissen, das die Ethnographin selbst als Teilnehmerin einer spezifischen Szene22 auftreten lässt: Sie weiß um das kulturelle Wissen der anderen Anwesenden „im hippen Café in Kreuzberg“, sie weiß, dass diese von ihr nicht denken würden, sie sei eine „toughe Business-Frau“, nur weil sie am Laptop mit Rock und Stiefeln arbeitet. Sie weiß demnach um die relative Homogenität der im Coworking Space (oder im „hippen Café“ in Kreuzberg) zu erwartenden Anwesenden. Sie weiß, dass das, was in der beschriebenen Situation im ICE unter den Augen einer spezifischen Altersgruppe ohne Laptop als andere Membership-Darstellung gilt als im „hippen Café in Zeitpunkt mit anderen Anwesenden nähme das Arbeiten im Zug phänomenologisch (auch für Sabrina Hofmann) sicherlich eine andere Form an. Zur Bedeutung der lokalen konzertierten Sinnproduktion der SituationsteilnehmerInnen vgl. Garfinkel 2006. Das ,sense-making‘ durch Anzeigeund Deutungsakte zwischen den TeilnehmerInnen divergiert demzufolge je nach Situation, wie die Ethnomethodologie Garfinkels betont. 22 | Es geht hier darum, dass die Akteurin selbst ihre Praktiken, in die die Objekte eingebunden sind bzw. deren Wirkmächtigkeit sie durch andere Strategien zu unterlaufen versucht und dabei weitgehend scheitert, als ,Membership-Praktiken‘ begreift: Fragen von erwünschter und unerwünschter Zugehörigkeit sind es, die Gegensteuerungen Hofmanns veranlassen.

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Kreuzberg“. In diesem ist die Wissens-Homogenität der Anwesenden größer als dies im ICE der Fall ist. Während im ICE der Laptop in der Situation mit den älteren Menschen ohne Laptop als ungewolltes Distinktionsmittel wirksam wird, entfaltet der Laptop semantisch im hippen Café keine Macht: Dort war der Laptop gestern, heute ist es (wenn überhaupt) noch das Macbook, das dort noch als geeignetes Distinktionsmittel fungieren könnte. Im ICE allerdings, an einem – in dieser Situation als Allgemeinplatz zu fassendem Ort –, ist es ,noch‘ (oder schon?) der Laptop, der Sabrina Hofmann in unangenehmer Weise von den anderen Anwesenden distinguiert und sie eben nicht zu einer ,hippen Macbook-Userin‘ werden lässt, sondern ein von Sabrina Hofmann ungewünschtes Subjektmodell der „toughen Business-Frau“ auf den Plan ruft. Dieses kulturelle Wissen offenbarende Schreiben Sabrina Hofmanns repräsentiert zugleich das Wissen einer Szene23 und gibt Aufschluss über Antworten auf die Fragen: Wie distinguiert man sich ,richtig‘, wie arbeitet man ,richtig‘, wo leistet man eine kompetente Darstellung als kreativ Arbeitende und womit tut man es? Der Ort selbst beeinflusst maßgeblich, was, wo, wie und womit getan werden sollte, was ,passt‘. Zugleich weiß sie aber auch Antworten auf die Frage: Wo wissen welche Leute was? Dass diese Szenenvertraute sich selbst in ihren sensiblen Wahrnehmungen von Raumverhältnissen zum Untersuchungsgegenstand macht, stellt sich für die Untersuchung als äußerst fruchtbar dar. Der Kontrast zwischen den beiden Orten wird von der Ethnographin selbst herangezogen, um ihrem Unbehagen im ICE auf die Spur zu kommen. Innerhalb des Protokolls, in dem der Laptop im ICE zum Macbook im hippen Café in Kreuzberg wird, prallen verschiedene, auch verräumlichte Symbolwelten aufeinander: Was die Wissenden im von Sabrina Hofmann metaphorisch eingesetzten 23 | Der Begriff der Szene wird in seiner Fruchtbarkeit für die Beschreibung und Analyse einiger Beobachtungen später noch erläutert. Hier sei jedoch bereits erwähnt, dass Szenen ein „Identifikationsangebot außerhalb der alltäglichen Routinen“ (Lange 2007, S. 103) darstellen und nicht über das Konzept der Lebenslagen erschlossen werden können.

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Begriff des „hippen Cafés in Kreuzberg“ miteinander eint, ist nicht nur das gezielte Aufsuchen derselben Orte und der Einsatz relativ homogener Arbeitspraktiken mit denselben Arbeitstechnologien (im Allgemeinen Laptops). Dass es Sabrina Hofmann im ,hippen Kreuzberger Café‘ unangenehm wäre, nicht als „immer online MacbookUserin“ angesehen zu werden, verweist auch darauf, dass es sich hier um spezifische Selbststilisierungsräume handelt, bei denen der ICE nicht mithalten kann. Für Sabrina Hofmann wird der ICE damit zum inakzeptablen Arbeitsraum, weil er zum einen eben kein vorab als solcher definierter Arbeitsraum ist. Dies stellt zum anderen die Bedingung der Möglichkeit dafür dar, dass Sabrina Hofmann sich durch ihre Arbeitspraktik mit Laptop als zu stark von den anderen distinguiert fühlt und sich mehr auf die Darstellung des „undoing being a digital worker on the road“ konzentriert als auf ihre Arbeit: Das Arbeiten selbst wird aufgrund des Unwohlseins und der hohen Anforderung an die Darstellungsleistung verunmöglicht. Ein Kontrast zu dieser Analyse stellt folgendes Zitat von Schneider dar, der den Zug als „Büro der Zukunft“ fasst: „Das Büro der Zukunft hat eine peinliche Eigenschaft: Morgens um sieben macht es den Eindruck, als hätte darin noch nie ein Mensch gearbeitet. Keine Aktenberge wachsen gegen die Decke, kein Gummibaum serbelt dem Licht entgegen, weder Frau noch Hund warten gerahmt am vorderen Pultrand darauf, dass der Ernährer die Arbeit aufnimmt. [...] Später am Morgen setzt ein seltsames Treiben ein: Die Mitarbeiter nehmen kleine Rollkoffer aus ihrem Garderobenfach und bahnen sich damit den Weg durch das Büro. Die einen steuern zielstrebig auf einen bestimmten Schreibtisch zu, andere bleiben kurz stehen und spähen in alle Richtungen, bevor ihr Rollkoffer wieder Fahrt aufnimmt und sie einen Arbeitsplatz finden – einen Arbeitsplatz wohlverstanden, nicht ihren Arbeitsplatz“ (Schneider 2000, S. 26).

Dass es sich beim Zug um das „Büro der Zukunft“ handelt, ist zu bezweifeln. Worauf die überspitzt anmutende These von Schneider allerdings aufmerksam macht, ist, dass das Arbeiten im Zug einer

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anderen Logik folgt, eine andere Organisationsform darstellt als dies etwa am Heimarbeitsplatz oder am klassischen Arbeitsplatz in der Arbeitsorganisation der Fall ist. Anders als beim Heimarbeitsplatz handelt es sich beim Zug um einen sozialen Ort, der bei physischer Anwesenheit Anderer, Goffman zufolge, die Erwartbarkeit von „soziale[r] Interaktion im engeren Sinne“ (Goffman 1994, S. 55) beinhaltet. Anders als in der klassischen Arbeitsorganisation, ist im Zug nicht zu erwarten, dass die anderen Anwesenden auch arbeiten: sie sind zuallererst Reisende, die unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen. Die situative Divergenz, ob Arbeiten in der Situation vor anderen SituationsteilnehmerInnen als passend eingestuft wird oder nicht, ist im Zug besonders groß, wie im Folgenden weiter verdeutlicht wird.

2.5 D ER ICE ALS IDE ALER A RBEITSORT FÜR K RE ATIVE : L ANDSCHAF T UND M ENSCHEN ALS I NSPIR ATIONSSPENDER David Kadel, der sich in den Interviews als „mal hier, mal dort“ arbeitender Kreativer inszeniert, erzählt von langfristigen Arbeitserfahrungen im ICE: „[...] fünf Jahre in irgendwelchen ICEs (.) gesessen und nach Hamburg hoch (.) ähm gefahren, ganz bewusst nicht geflogen, denn wenn du fliegst, kannst du eigentlich nicht arbeiten, des is ne einzige Hektik; hier anstehen, da anstehen, eng ja und zack schon wieder gelandet und eigentlich kam’s auf dieselbe Zeit raus, aber im ICE haste halt vier Stunden nur Zeit zum Arbeiten, ne? Des war z.B. fünf Jahre für mich ’n super Platz. (.) mh genau.“

Als Kontrast bzw. alternativer Arbeitsort zum ICE fungiert in dieser Erzählung nicht das hippe Café, sondern das Flugzeug, und damit ein weiteres Transportmittel. Dem Vergleich zugrunde liegt offenbar eine bei David Kadel in der Vergangenheit vorhandene physische

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Mobilitätsnotwendigkeit über eine längere Strecke. Indem David Kadel die beiden Alternativen vergleicht, tritt er als ökonomisch kalkulierender Akteur auf: Während keine Zeitersparnis durch Flüge erzielt werden kann, kann er die Fahrtzeit im ICE – im Gegensatz zum Flugzeug – zum Arbeiten nutzen. Fünf Jahre lang war dies für David Kadel „’n super Platz“. Es ist unklar, ob er mit der Nennung der abgeschlossenen Dauer der Wahl dieses Arbeitsortes auf einen Grenznutzen desselben verweist oder es nach dieser Zeit für ihn nicht mehr nötig war, diese Strecke zu reisen. Sicher ist nur, dass David Kadel sich nicht ausschließlich zum Arbeiten im ICE aufhält, sondern diesen Arbeitsort nur dann wählt, wenn sein Körper von einem zum anderen Ort transportiert werden muss. Dieser Aspekt erinnert an die These der „Entgrenzung von Arbeit und Leben“, die von Poppitz im Rahmen ihrer Untersuchung der Tätigkeiten von Zug Fahrenden folgendermaßen zusammengefasst wird: „Sie bedeutet u.a. flexible Planung zur Verfügung stehender Zeit, Auflösung räumlicher Anhaltspunkte, technische Ausweitung des Arbeitsplatzes mittels fortschreitender technologischer Ausstattungen, regelmäßige fachliche Weiterqualifikation und Anpassung an neue Arbeitszusammenhänge und Arbeitsaufgaben, wechselnde Projektarbeit und neue Kolleginnen und Vorgesetzte, kontinuierliche biografische Umorientierungen durch Arbeitsplatz- und Arbeitsortwechsel sowie Aufweichung tarifvertraglicher und arbeitsrechtlicher Regelungen“ (Poppitz, S. 81; vgl. Voß 1998).

Es handelt sich um eine Ökonomisierung des arbeitenden Selbst, wenn die Bahnfahrt auf dem Weg zur Arbeit bereits zum Arbeiten genutzt wird. Die möglichst effiziente und effektive Zeitplanung wird durch sich selbst regulierende Subjekte kalkuliert und das arbeitende Selbst auch schon auf dem Weg zur Arbeit aktiviert. Bahn fahren wird von David Kadel als gezielt gewählte Fortbewegungsmöglichkeit in Form einer Technik des Arbeitens und der Regulierung des arbeitenden Selbst eingesetzt.

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Im Folgenden werden weitere Gründe dafür deutlich, warum der Arbeitsort für David Kadel geeignet ist: „Hast deinen Strom da (.) hast Platz, hast ’n Tisch, hast Kopfhörer, wenn dich Leute neben dir nerven, kannst abschalten und die Landschaft ist immer inspirierend find ich (.) vor allem wenn man, also ihr fragt jetzt jemand wie arbeitest du gerne, der abhängich is von Inspiration weil ich verschiedene Berufe hab, die Kreativität fordern äh fördern, einfordern besser gesagt.“

Mit Strom, Platz, Tisch und Kopfhörern nennt David Kadel die zentralen Objekte, die er zum Arbeiten benötigt. Die Bedeutsamkeit der Verfügung über Kopfhörer und deren situativen Einsatz verdeutlicht er, indem er sie als Abgrenzung und Mittel zum „abschalten“, „wenn dich Leute neben dir nerven“ verwendet. Nicht nur Sabrina Hofmann, sondern auch David Kadel lässt sich demzufolge im ICE durch die Anwesenheit Kopräsenter stören: Erstere zog die Anwesenheit Anderer unmittelbar in ihren Arbeitsprozess ein und verstand ihr eigenes Handeln als Darstellung ihres Körpers, das – wie sie annimmt – von Anderen als spezifisches Subjekt entziffert wird und so zu Gegensteuerungen veranlasst wurde. Hierdurch wurde ihr Arbeitsvollzug temporär verunmöglicht. Hingegen sorgt David Kadel mithilfe der Kopfhörer dafür, sich von den Geräuschen anderer Fahrgäste abzuschotten. Während es also bei Sabrina Hofmann vornehmlich die Blicke Anderer sind, die sie beim Arbeiten stören und zu Gegensteuerungen veranlassen, sind es bei David Kadel die Stimmen und anderweitigen Laute anderer Fahrgäste, die ihn zu Gegensteuerungsmaßnahmen disponieren. Die Wahrnehmung Kopräsenter mit verschiedenen Sinnen ist es, die in unterschiedlicher Weise stören kann. Dass David Kadel die Kopfhörer als zentrale Objekte seiner Arbeit im ICE nennt, verweist darauf, dass er bereits vorab die Möglichkeit in Betracht zieht, sich mithilfe von Kopfhörern vom ,soundscape‘ im ICE abzusondern. Während er sich in seine eigene Lautwelt flüchten und in dieser weiter arbeiten kann, gibt es für Sabrina Hofmann keine Fluchtmöglichkeit vor den Blicken. Ei-

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nen Platzwechsel zieht sie gar nicht erst in Erwägung. Erst als ihre Beobachterin endlich einer eigenen Tätigkeit nachgeht, kann sie weiter arbeiten24. Im Gegensatz zum Coworking Space exponiert sich hier niemand, im Gegenteil. Des Weiteren sorgt David Kadel jedoch auch in seiner Beschreibung vom ICE als geeignetem Arbeitsort dafür, sich selbst als Kreativsubjekt zu inszenieren, indem er dessen Bedürfnisse beschreibt und sie auf die spezifische Tätigkeit bezieht. „also ich mach auch Kabarett seit vielen Jahren, und wenn ich Auftritte mach und mir ’n Programm überleg, dann brauch ich natürlich (.) ’ne Inspiration. Und des krieg ich unter Menschen, also wenn ich auf die Bühne geh und parodiere und karikiere Geschichten, Anekdoten. Am besten, die hab ich erlebt im Zug [...]“

Wenn David Kadel in dieser Sequenz von seinen Arbeitsinhalten und den Anforderungen an die Ausführung seiner Arbeit berichtet, benennt er es als „natürlich“, dass er „’ne Inspiration“ braucht. Inspiration zum Parodieren und Karikieren erhält er demnach „am besten“, indem er sie „erlebt im Zug“. Er nutzt demnach den Ort und die kopräsenten Menschen, um Ideen für „Geschichten, Anekdoten“ zu erhalten, die er – wahrscheinlich nach kreativen Abwandlungen – später auf der Bühne performen kann. Es wird hier deutlich, dass die kopräsenten Anderen unermessliche Auswirkungen auf das Gelingen von David Kadels Arbeitsvorhaben haben können. Sie stellen die Bedingung des Gelingens seines Arbeitsvorhabens dar: Er brauche „natürlich (.) ’ne Inspiration“, ohne diese, so der Um24 | Hierzu schreibt Sabrina Hofmann in ihrem Protokoll: „Die Frau, die mich vorsichtig beobachtet hat, liest inzwischen“. Es sollte auch berücksichtigt werden, dass Sabrina Hofmann eine Situation schildert, die sie beschreibt, noch während sie sich in ihr befindet. Hingegen schildert David Kadel in wenigen Sätzen eine fünfjährige Erfahrung, was evtl. auch dazu führt, dass er retrospektive Generalisierungen vornimmt. Dies bedeutet nicht, dass er als Situationsteilnehmer nicht ähnliche Erfahrungen wie Sabrina Hofmann machte.

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kehrschluss, kann er die Tätigkeit des Anekdoten(er)findens nicht oder mehr schlecht als recht ausführen. Während Sabrina Hofmann die Anderen als Publikum arrangiert, das ihren Arbeitsprozess (hier negativ) beeinflusst, tritt David Kadel selbst als Beobachter auf, der sich zum Publikum der anderen Anwesenden macht. Er begibt sich an einen Ort, an dem die Ausführung einer spezifischen Tätigkeit erst ermöglicht wird. Dieser Zusammenhang wirkt sich zugleich auf seine Arbeitspraktiken aus: „Also, wenn ich damals Stoff fürs Karikieren gesucht hab, dann hab ich das echt eigentlich immer äh ja, im ICE gemacht.“ David Kadel vertagt demnach eine spezifische Tätigkeit auf einen bestimmten Ort und im Fall des ICEs eben auch auf spezifische Zeiten, an denen ein Körperaufenthalt im Zug gegeben sein muss. Ort und Tätigkeit gehen hier eine arbeitsfördernde Verflechtung miteinander ein, die auch retrospektiv noch durch den Akteur als wirkmächtig evaluiert wird. Während zu Hause zu arbeiten für David Kadel unmöglich wurde, weil er das mächtige und für ihn nur in Grenzen beeinflussbare Zusammenwirken von Ort und Arbeitshandeln dringend benötigt, bietet der ICE in seinem Abwechslungsreichtum genau dies: Die Kreativität erfordernde Tätigkeit fällt im ICE auf fruchtbaren Boden, um kreative Ideen zu züchten. Für David Kadel scheint hier alles zusammenzupassen: die Tätigkeitsanforderungen und was der Ort ihnen zu leisten vermag, machen den ICE für fünf Jahre zu einem „super Platz“. Arbeitet hier der Ort für David Kadel? Zudem fällt neben der bereits genannten zeitökonomischen Orientierung auch die Verfügbarkeit von Selbstbeschreibungsformaten kreativ digital arbeitender Freelancer auf, die zeigen, dass die Praktik des Bahnfahrens und Arbeitens sowie das Erzählen davon positive Identifikationsmomente für kreativ Arbeitende als Kreative hat. Der Glaube daran, an dem Ort besonders gut kreativ arbeiten zu können, ermöglicht bzw. katalysiert das kreative Tätigwerden an diesem Ort tatsächlich. Die Betrachtung des Zugfahrens als inspirationsspendende Maßnahme, davon auf bestimmte Weise zu sprechen und daran zu glauben, dass Zugfahren und die Landschaft an sich vorbei ziehen zu sehen kreativitäts- und damit arbeitsfördernd ist, wirkt

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im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung25. Die Ortswahl erscheint dann als ein Element diskursiver Formationen, die Subjektpositionen konstruieren und diese mit spezifischen Orten verbinden, die Subjektivierungsformate für kreativ digital arbeitende Freelancer generieren.

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ZUM O RTSKOSMOS KRE ATIV - DIGITAL ARBEITENDER F REEL ANCER

Ein weiterer beliebter Arbeitsort für digital-kreativ Arbeitende ist das Starbucks Café (hier: in Wiesbaden). Sabrina Hofmann berichtet: „Ich arbeite sehr gerne hier, weil ich das Gefühl habe, dass es mir einen guten Rahmen für die Arbeit gibt. Wenn ich dort meinen Laptop aufklappe, fange ich auch an zu arbeiten und die Anwesenheit der Anderen motiviert und inspiriert mich. Dadurch erlaube ich mir weniger, mich ablenken zu lassen, sondern konzentriere mich. Meistens arbeite ich dort allein [...] und das mag ich eigentlich ganz gern so. Manchmal ist der Job langweilig, darum bin ich sehr gerne in einem Umfeld wie Starbucks, wo ständig Leute kommen und gehen, man Musik, leise Gespräche und das Geräusch der milchschäumenden Kaffeemaschine hört. Ich hab das Gefühl, dass mir diese Reize dabei helfen, den ,unterfordernden‘ Job zu machen.“

Dagegen erzählt David Kadel: „dann gab’s zum Glück diesen Starbucks, der wurde damals auch rauchfrei, also ich hasse es, immer so nach Rauch zu stinken, und ähm da 25 | Merton erklärt self-fulfilling-prophecies folgendermaßen: „The selffulfilling prophecy is, in the beginning, a false definition of the situation evoking a new behaviour which makes the original false conception come ‘true’. This specious validity of the self-fulfilling prophecy perpetuates a reign of error. For the prophet will cite the actual course of events as proof that he was right from the very beginning.“ (Merton 1968, S. 477).

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bin ich dann, 2004 hat der glaube ich aufgemacht, und dann war des immer so mein Ort. So und Starbucks is natürlich klar, das (.) Mekka des Coworkings! (.) find ich (.) weil du ja auch neue Leute kennenlernst, im Gegensatz wenn du jetzt in so ’n Großraumbüro gehst (.) is ja dann doch immer die gleichen (.) fünf sechs Nasen und im Starbucks is es ja so ’n (.) Überraschungsei, du weißt ja nie, wer z.B. neben dir sitzt und dich entweder (.) belästigt (lacht) oder abhält von der Arbeit oder sich irgendwie einklinkt. Und ich hab da zwei Freunde gefunden im Lauf der Jahre, die ähm die mit denen wir quasi so ’ne kleine Gruppe warn und (.) die eine ist Magdalena, die hat dann da jeden Tag auch gesessen und ihren Kram gemacht, gezeichnet, [...] und der andere is Joachim und bei ihm des war so wirklich unser Coworking Space, weil ich ihm (.) für seine Sendungen immer geholfen hab, und er so meine Sachen so ’n bisschen reflektiert hat (.) und so hat man sich halt gegenseitich angesteckt. Und des is halt lustig, dass so was durch ’n Zufall irgendwie entsteht ne?“

Es wird hier neuerlich deutlich, dass aus sehr verschiedenen Gründen Orte für digitale KreativarbeiterInnen wichtig werden: Während Sabrina Hofmann sich im Starbucks Café Arbeiten vor einem Publikum ermöglicht, das sie zum Arbeiten benötigt, arbeitet David Kadel in einer Gruppe, sozusagen ,unter Gleichen‘. Bedeutsam ist hierbei, dass in beiden Fällen die Gründe für die Wahl der Arbeitsorte immer auch mit der Anforderung der spezifischen Tätigkeit einhergehen: so sind es die kreativen Tätigkeiten selbst, die es erforderlich machen, auf Orts- und Raumsuche zu gehen26 . In den folgenden Kapiteln wird näher untersucht werden, wie genau im Starbucks gearbeitet wird und welche Raumkonstitutionen hierzu vonnöten sind. Ein relationales Raumverständnis, wie es maßgeblich von Martina Löw geprägt wurde, ist hier weiterführend. Statt Räume im Sinne 26 | So bringen spezifische Orte die KreativarbeiterInnen erst dazu, sich selbst zum Arbeiten zu animieren. Die Orte sind es, die – im Erleben der KreativarbeiterInnen – etwas hervorbringen, das dann schnell fixiert werden muss: So z.B. die Inspiration, die für David Kadel aus den ICE-Fahrten hervorgeht.

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von Containern zu verstehen, wird – hier der Konzeption von Löw folgend – davon ausgegangen, dass Räume Konstruktionsleistungen von Menschen erfordern und im Handeln entstehen. Diese Perspektive bedeutet, dass keine Differenzierung zwischen physischen oder materiellen und sozialen Räumen vorgenommen werden sollte. Vielmehr ist die niemals als rein zu verstehende Materialität in platzierten Objekten zu sehen, die wiederum zu Räumen verknüpft werden. Räume, die sowohl als Voraussetzung als auch als Ergebnis des Handlungsverlaufs verstanden werden, „basieren auf zwei sich in der Regel gegenseitig bedingenden Prozessen“ (Löw/Sturm 2005, S. 44): Während einerseits die Syntheseleistungen aktive Verknüpfungen von Elementen durch Menschen „über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse“ (Löw 2001, S. 159) bezeichnen, wird andererseits unter Spacing das mit der Entstehung der Räume einhergehende Platzieren verstanden. Spacing wird also vollzogen, indem soziale Güter und Menschen oder auch primär symbolische Markierungen platziert werden, die „Ensembles von Gütern und Menschen als solche kenntlich [zu] machen“; hier nennen Löw/ Sturm das Beispiel von Ortsein- oder Ausgangsschildern. Das alltägliche Handeln der Raumkonstitution zeichnet sich durch „eine Gleichzeitigkeit der Syntheseleistungen und des Spacing“ (ebd.) aus. „Spacing, verstanden als das Plazieren, Errichten oder Bauen ist ohne Syntheseleistung nicht möglich“ (Löw 2001, S. 159). Mit dem beschriebenen soziologischen Instrumentarium von Löw/Sturm erscheint der Wiesbadener Starbucks als Ergebnis von Synthese- und Spacingleistungen: Er stellt einen örtlich platzierten, symbolisch und semiotisch als „Starbucks“ markierten und von außen und innen von personalen kulturellen Wissensträgern als Café identifizierbaren und (unter bestimmten Bedingungen wie z.B. Öffnungszeiten) durch sie betretbaren Ort dar. Der Ort Starbucks entstand durch Platzierungen, ohne mit diesen allerdings identisch zu sein, „da Orte über einen gewissen Zeitabschnitt hinweg auch ohne das Plazierte bzw. nur durch die symbolische Wirkung der Plazierung erhalten bleiben“ (Löw 2001, S. 198). Das Verhältnis zwischen Ort und Raum fasst Löw folgendermaßen: „Die Kon-

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stitution von Raum bringt damit systematisch Orte hervor, so wie Orte die Entstehung von Raum erst möglich machen“ (ebd.). Das „fixierte Gebilde“ (ebd.), als das der Starbucks bezeichnet werden könnte, und der als Ort verstanden werden kann, der geographisch markiert ist, steht im vorliegenden Interesse jedoch nicht im Fokus. Im Folgenden sollen nicht die vorangegangenen und mittlerweile schwer rekonstruierbaren Spacing- und Syntheseleistungen, die den Starbucks zu einem örtlichen und „einzigartigen Platz“ (Löw 2001, S. 199) machten, sondern die dort getragenen (Arbeits)praktiken in den Fokus geraten. Diese bringen ihn immer wieder neu als Caféund als Arbeitsraum hervor.

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3 Leistungen der Arbeitsraumkonstitution im Starbucks-Café

Um dem oben erläuterten Vorhaben gerecht zu werden, werden Beschreibungen und Analysen von Arbeitsraumkonstitutionen David Kadels im Starbucks-Café vorgestellt. Auf diese Weise wird auch das verflochtene Verhältnis zwischen den vom Dispositiv durchwirkten Tätigkeitsanforderungen kreativen Arbeitens und den Raumkonstitutionen in den Blick genommen. Die Daten, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegen, stammen aus einem umfassenden qualitativen, erzählgenerierenden und somit offenen Interview, das mit David Kadel geführt wurde, der über seine jahrelange Erfahrung des Arbeitens im Starbucks en detail Aufschluss gab. Indem nur dieses Interview zum Untersuchungsgegenstand wird, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich bei (Arbeits-)Raumkonstitutionen um komplexe, individuelle1 Leistungen handelt, deren feinanalytische, gewinnbringende Betrachtung bei nur einem Akteur bereits 1 | Auch wenn Raumkonstitutionen individuelle Leistungen darstellen und von AkteurIn zu AkteurIn sehr verschieden ausgestaltet sein können, so sollte hier dennoch nicht vergessen werden, dass Praktiken oder Handlungen der Raumkonstitution ebenso Bestandteil des Kreativitätsdispositivs sind bzw. es in sie eingreift. Da Praktiken außerdem immer kollektive sind, zeigt sich in den im Folgenden aufgeführten Analysen, um welche Formen von Arbeitsraumkonstitutionen und Arbeitshandeln es für digitale KreativarbeiterInnen in Cafés geht, was sie umtreibt, was ihre Probleme sind, was für diese Arbeitsform bedeutsam ist.

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sehr umfassend ist. So werden im ersten Teil des Kapitels (bis einschließlich 3.3) die dichten Daten des qualitativen Interviews Grundlage der betriebenen Analyse, wobei sich hier eine Einbindung einer akteur-netzwerktheoretischen Perspektive als aufschlussreich zeigt. Das gemeinsam mit Sabrina Hofmann geführte Interview mit David Kadel gibt auch über seine Selbstinszenierungspraktiken ihr gegenüber als bekennende und bekannte kreativ Arbeitende Aufschluss und informiert so über erwünschte Subjektformen von KreativarbeiterInnen. Dies kann als spezifischer, für die Forschung gewinnbringender Effekt der gewählten InteraktionspartnerInnen des Interviews gelten. Zudem wurden teilnehmende Beobachtungen im Starbucks-Café vorgenommen, die an die Darstellungen der Arbeitsraumkonstitutionen David Kadels anschließen (3.4 bis 3.5). Anhand der Frage, wie man an einem Ort wie dem StarbucksCafé mit dem für digitale KreativarbeiterInnen kostbarsten Besitz und Gut (dem Laptop) umgeht, werden Kontrastierungen vorgenommen, durch die zentrale Differenzen zwischen der klassischen Arbeitsorganisation, dem Café und dem Coworking Space herausgestellt werden (3.5 und 3.6). In Kapitel 3.7 werden ortsverbindende urbane Praktiken und die facettenreiche Bedeutung städtischer Orte näher in den Blick genommen und hierbei auch diskursive Praktiken der Einbindung städtischer Orte in die Bewerbung von Coworking Spaces eingebunden.

3.1 D AVID K ADELS A RBEITSR AUM TR ANSKRIP TSEQUENZEN

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Im Folgenden werden all jene Sequenzen aus der Transkription des Interviews mit David Kadel abgebildet, in denen er über sein kreatives Arbeiten im Starbucks-Café und darüber, wie ,er dieses sieht‘ bzw. was es ,für ihn ist‘, erzählt. Daran schließen sich im nächsten Kapitel eine Beschreibung und Analyse des fluiden Netzwerkes an, das David Kadel mit anderen Akteuren zur Arbeitsraumkonstitution

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und Rekonstruktion knüpfen muss, um sein kreatives Arbeiten im Starbucks zu gewährleisten. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

„vor allem wenn man, also ihr fragt jetzt jemand wie arbeitest du gerne, der abhängich is von Inspiration weil ich verschiedene Berufe hab, die Kreativität fordern äh fördern einfordern besser gesagt. Also ich mach auch Kabarett seit vielen Jahren und wenn ich Auftritte mach und mir ’n Programm überleg dann brauch ich natürlich (.) ’ne Inspiration. Und des krieg ich unter Menschen, also wenn ich auf die Bühne geh und parodiere und karikiere und Geschichten, Anekdoten erlebt, am besten die hab ich erlebt im Zug, im Starbucks, wo ich jeden Tag sitze seit Jahren also jeden Tag gefühlte, gefühlte jeden Tag. Und ähm das ist meine Arbeit ich brauch Menschen um mich herum. [...] so und Starbucks is natürlich klar, das (.) Mekka des Coworkings! (.) find ich (.) weil du ja auch neue Leute kennenlernst im Gegensatz wenn du jetzt in so ’nen Großraumbüro gehst (.) is ja dann doch immer die gleichen (.) fünf sechs Nasen und im Starbucks is es ja so ’n (.) Überraschungsei, du weißt ja nie, wer z.B. neben dir sitzt und dich entweder (.) belästigt (lacht) oder abhält von der Arbeit oder sich irgendwie einklinkt. Und ich hab da zwei Freunde gefunden im Lauf der Jahre, die ähm die mit denen wir quasi so ’ne kleine Gruppe warn und (.) die eine ist Magdalena, die hat dann da jeden Tag auch gesessen und ihren Kram gemacht, gezeichnet, Hunde hat die gemalt, Hunde portraitiert und der andere is Joachim und bei ihm des war so wirklich unser Coworking Space weil ich ihm (.) für seine Sendungen immer geholfen hab und er so meine Sachen so ’n bisschen reflektiert hat (.) so und so hat man sich halt gegenseitich angesteckt. Und des is halt lustig, dass so was durch ’n Zufall irgendwie entsteht, ne? genau. I: wart ihr dann verabredet zum Arbeiten oder wie war das? M: ja es war wirklich so, dass morgens um 9 ’ne SMS kam: ,Bin schon da‘ und du so ok, ich muss jetz hinmachen und des war tatsächlich so wie ein Büro, also für mich is es nach wie vor mein Büro (.) Es gibt auch Leute, die mich da besuchen weil sie wissen ah der sitzt da bestimmt, die Chance is recht groß und wenn ich da – also ich mach viel im Coachingbereich, also wenn ich ’nen Klienten hab, dann geh

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ich entweder mit ihm zu mir nach Hause, (.) und arbeite da ’n paar Stunden oder wir treffen uns da im Starbucks wenn des jetzt so ’n lockeren Rahmen erlaubt, des Gespräch (.) und also (.) des ist quasi mein Büro. I: kannst du mal beschreiben wie so der typische Tag für dich im Starbucks aussah, wenn’s des überhaupt gibt, wie du da oder wie ihr da gearbeitet habt? M: hm also typischer Tag is du fängst an sama so um 9, wenn ich ganz heiß aufs arbeiten bin, dann um 8, um 8 macht der Starbucks auf, vorgestern stand ich da, an der Scheibe gekratzt (lacht) lasst mich rein! ich bin’s! und die so: ach, der! I: die kennen dich doch eh alle oder? M: ja klar! die kennen mich alle, ja ja klar. ’Ne zeitlang als ’ne gute Belegschaft da war, die hat auch gewechselt natürlich im Lauf der Jahre, die hat uns dann immer schon unsere Getränke hingestellt – wortlos. Meistens sogar ohne Bezahlung! Also wir warn wirklich so Inventar irgendwie. (lacht) Ja auf jeden Fall, des erste was du machst, du holst dir was zum Futtern (.) checkst die Mails, des machen irgendwie alle, was muss ich beantworten, abarbeiten (.) ähm und dann (.) Texte schreiben, also ich muss sehr viel schreiben (2) für Zeitschriften, für Zeitungen, fürs Fernsehen, für (.) meine eigenen Projekte, Bücher also Queerbeet. Also ich muss immer schreiben irgendwie und des Kreative kommt meistens irgendwie erst so nachdem diese- das muss ich hier abarbeiten Liste to do nach 2 Stunden irgendwie fängste an, so 10 Uhr, 11 Uhr, genau, dann irgendwann kommt natürlich der Hunger, holste dir was vom Bäcker (.) brauch jemand was? Heute Mc Donald’s, ja? okay, gehste, kommst mit ’ner Tüte wieder, das is auch cool bei Starbucks. (....) Ja, die kennen ja gar nichts ja. Ja und dann je länger du auch da sitzt, desto mehr wird des dann auch des Miteinander, dass du merkst, ok, jetz sind alle durch mit ihrem Kram und jetzt kann man fast schon so in die Richtung Brainstorming auch gehn. (.) Also z.B. als es ganz intensiv wurde mit ’n paar Coachinggeschichten, die ich im Sport mache 2009, da hab ich mit dem Joachim z.B. wirklich so ganz viel gebrainstormt und ich hatte so den Bundestrainer von den Leichtathleten als Kunden und der hatte so achtzich Athleten unter

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sich und (.) ähm die ganze Nationalmannschaft die ham wir dann so eben zusammen entwickelt, wie kannst du allen gerecht werden und was wünscht der sich von so ’nem Coaching und wie könnte des strukturiert sein und dann fängste halt an, dich auszubreiten so deine Zettel so zwei, drei Tische (lacht) frech! (lacht) ja, genau. I: wart ihr dann da die einzigen immer, die des gemacht haben und –? M: nee. hm also was mir halt auffällt, is, dass wirklich viele mit ihrem Laptop alleine da sitzen und für sich arbeiten. (2) und es gibt aber immer schon – also vor allem sind ’s Studenten, die da so zu zweit kommen, zu dritt und die da ihre kleine Workinggruppe machen, sich auch ausbreiten, siehst dann immer den ganzen Kram, Pschyrembel und was dann so alles so auf ’n Tischen liegt. I: du hast ja gesagt beim Lumen geht ’s um die Atmosphäre aber wie ist es im Starbucks mit der Atmosphäre? M: es is halt lockerer. (....) I: kannst du’s vielleicht ’n bisschen beschreiben wie du also auch so des Gefühl, des du hast, auch wenn’s ein bisschen schwer ist, oder was dir des dann genau bringt? Was du daran magst? M: also der Unterschied is bei mir tatsächlich (.) äh zwei Dinge, das eine im Starbucks bist du komplett wie im Büro, äh es gibt eigentlich fast keinen Unterschied zu ’nem Büro. (.) denk ich immer im Starbucks, des einzige was fehlt, is ’n Fax und ’n Kopiergerät, aber sonst wär’s tatsächlich ’n Büro weil es lässt dich ja (.) weil der Starbucks lässt dich ja 8 Stunden in Ruh, da kommt ja keiner und sagt: kann’s noch was sein? Möchten Sie zahlen, bitte? Weißte so wie im Lumen. Des is ja auch die Philosophie vom Starbucks, weißte: make it your second living-room or make it your second place to be, ja? also die wollen des ja, was mich auch oft Leute fragen und sich wundern, weißte, holst so ’n Brötchen raus und was weiß ich und hast deinen iPod und man sieht also ja, der bleibt jetzt nicht (.) zehn Minuten nur (.) und dann sagen: äh was issten du da deinen eigenen Kuchen und des is okay für die! So im Lumen is halt so, dass du weißt, die wollen halt, dass du äh irgendwann auch wieder gehst und dann is des nich so ’ne Wohlfühlgeschichte, find ich (.) sondern eher so was Seriöses, du hast da so ’n höherklassigen Gast, der will natürlich auch so ’n

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bisschen Luxus und der Sessel hat auch so bisschen (verstellt die Stimme:) ha, das ist ja was Schönes und – ja, das is so der Unterschied. (....) Im Starbucks des is mein Wohlfühlding dann, wenn ich denk des is oh so ’n Schmuddelwetter und irgendwie hab ich nich so ’n guten Tag, da, es sind eigentlich keine Leute da, also des passiert auch schon, dass du dann da allein sitzt und es is fast wie zu Hause I: ganz alleine oder keine, die arbeiten, oder? D: keine, die du kennst (.) keine, die neben dir sitzen und fast alleine. also es gibt z.B. so Tage zum Beispiel im Sommer, (.) sitzen alle draußen, da sitz ich ganz alleine dann drin, ich bin immer drin, ja, des heißt, also wenn ich wirklich arbeiten will, weil mein Laptop mit dem Sonnenlicht, da seh ich nichts mehr. Und ich hab auch kein Strom, also zumindest nach ’ner Zeit (lacht) und dann ist mein Coworker sozusagen Facebook. Das heißt, dann denk ich, ach dem wollt ’s de eh schreiben, mit dem chatten, boing! Geht schon wieder ’n Fenster auf ja? Dann geht’s in mein (.) die digitale Coworking-Network-Welt, das is dann so mein Wohlfühl-Ding, dass ich denk, ach mit der Ina wollt ich eh grad irgendwie chatten, irgend ’n Scheiß erzählen, ne? so. I: aber nich über die Arbeit, sondern dann einfach – M: unwichtiger Kram. Des is dann quasi Billy Joel in dem in der digitalen Welt. Also irgendwas, das mir gut tut, dass du so ’n bisschen Leben gespürt hast, nich nur Papier gespürt hast. Mhm (2) aber Starbucks is eigentlich (.) das wo du auch weißt, hier kommen bewusst Leute hin wie Katharina und Magdalena und wo die Chance groß is, dass dann auch jemand zufällich da is. Also zum Verabreden schon. Verabreden ohne verabredet zu sein! Mmh I: wie is das dann, wenn du Leute triffst und gerade arbeiten willst? Oder manchmal trifft man ja auch interessante Leute und will mit denen redenM: ja also das is eigentlich so ’ne Einstellungssache, mittlerweile is es so, dass ich mir sach, ach komm (.) deswegen gehste doch hierhin. Jetz mach dich ma locker, lass ma deinen blöden Text da liegen und dann hat’s halt noch Zeit und dann (.) das is wirklich so ’ne Einstellungssache, dass ich mir sag, okay. Jetz: (.) Pause. Stecker raus. Jetzt kommt Claus und der Dieter vom Tennis und (.) lass uns

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über Tennis quatschen zehn Minuten und dann gehn die wieder, die wissen ja auch, ich muss noch arbeiten. Also, es is okay, des is ’ne Einstellungssache, des hab ich gemerkt, ja. (.) mmh (.) ja. I: macht des ’n Unterschied, ob im Starbucks andere da sind, die auch arbeiten oder nur Leute da sind, die nur Kaffee trinken? M: des is ’ne gute Frage, mit dem Arbeiten des is natürlich so ’n bisschen wie in der Bibliothek, des hab ich übrigens auch letztens wieder neu entdeckt die (.) also ich wohn – schräg gegenüber is die FH und da sitz ich auch öfters mal in der Bibliothek oben und da is es ja auch so wie deine Frage eben ja. Man steckt sich gegenseitich gern ma an, wenn alle arbeiten, dann is doch – dann sind alle in einem Boot und wenn du der einzige bist und alle machen nur Party um dich herum, dann im Starbucks, dann is des natürlich ’n bisschen (.) nich ganz so inspirierend zu arbeiten. (2) ja, aber so des genieß ich total, da sitzt Magdalena, da sitzt Theo, ja? Menschen, die irgendwie so ’n Kopf geneigt und du denkst okay (flüsternd:) arbeiten, arbeiten. I: du hast ja auch gesagt, du breitest dich da so aus, oder ihr, über die Tische? M: genau, is schon fast ’n Ritual, also es is tatsächlich so. Was brauch ich jetz zum arbeiten. Handy. Jederzeit erreichbar, is dein Büro, ja? Getränk. So ähm Musik. Weil des, was da läuft im Starbucks heute, geht ja gar nich. (.) Eigene Musik. Kopfhörer, also Laptop is klar, Unterlagen (.) ähm heute hab ich z.B. so ’n Block Visitenkarten eingesteckt, die will ich alle anschreiben (.) Briefpapier dabei, also es kommt drauf an, was du grad zu tun hast und dann (.) was zum Essen, guckst auf die Uhr, ah wichtig, elf Uhr, noch nichts gegessen. Alles was du denkst, das brauch ich jetz, was brauch ich noch? mh, ah Kopfhörer, damit ich (.) wenn ich telefoniere, dass ich nich so laut schreie und die Leute nerv, ne? Nehm ich mir Kopfhörer ab und zu mit, ne, und dann geht’s los. Fühlst dich wie so ’n Pilot, ne? Des is dein Cockpit, (.) und alle Instrumente sind da, Ding steht, ok, können wir? (.) und (ahmt Fluggeräusche nach) und dann hebt des Ding ab, ja, genau. Und dann macht’s auch echt Spaß, find ich. Also ich (.) ich hasse diesen Spruch: Erst die Arbeit und dann das Vergnügen, des sind so (.) weil des is Quatsch, des ham unsere Großeltern ir-

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gendwann mal erlogen, es stimmt überhaupt nicht, ich find, Arbeit kann auch Vergnügen sein, wenn halt die richtigen Dinge stimmen. Wenn nich, is dann ah (stöhnt gequält) des muss ich noch machen, ah (stöhnt). Des hat wie gesagt auch mit Einstellung zu tun, (.) dass du dann denkst, oh ich hab Stress und dann fragen die Leute, ,was ist los?‘ ,Oh, ich muss das noch machen‘ ,ja, aber du willst das doch machen, is doch dein Beruf, haste dir ausgesucht‘ ,ja, aber‘ ,nich aber! ja, mach’s doch, versuch’s dir gut einzurichten‘. ,Ja stimmt vielleicht, hm‘. Da merk ich halt, es kann nich erst Arbeit und dann Vergnügen, sondern ich will jetz auch schon Spaß haben bei der Arbeit. Klar gibt’s auch so trockene Rotzdinger, die man (.) ja kannste mir bitte bis heut Nachmittag des und des schreiben und des passt mir grad gar nich! (.) Aber ich sag mir dann immer, ich hab mir diesen Beruf ausgesucht, (.) es würden wahrscheinlich drei Milliarden Leute mit mir tauschen, jetz so ’n ganz peppigen Pressetext formulieren zu dürfen für irgend so ’n geilen Prospekt von dreihunderttausend Auflagen und dann denk ich, ja geil, das is ’n Privileg, also mach’s mit Freude und des is, ich schreib öfters ähm für den Kurier so immer mal wieder ’ne Kolumne und da is mir ma aufgefallen, dass viele neben mir, wenn sie von ihrer Arbeit sprechen, auch ganz viel von Stress und Druck und (.) ,oh des muss ich noch machen‘ und ich wunder mich oft darüber weil des Bewusstsein von vielen gar nich da ist, dass sie sich des ausgesucht haben (....)“

Es folgt eine Beschreibung und thematische Bündelung einiger zentraler Stellen des oben aufgeführten Transkriptausschnittes des Interviews mit David Kadel, bevor das Netzwerk des Arbeitens, das sich im Zuge der Arbeitsraumkonstitution im Starbucks knüpft, skizzenhaft rekonstruiert wird.

3.1.1 Das Coworking Space im Starbucks Das erste bedeutsame, von David Kadel selbst eingeführte Thema, kann unter dem Prinzip „Ich brauch Menschen um mich herum“

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(Z. 10) zusammengefasst werden. Diese benötigt David Kadel eigener Aussage zufolge für die Ausführung der kreativen Arbeit, da sie ihm als Inspirationsspender dienen. Das Zitat „im Starbucks, wo ich jeden Tag sitze seit Jahren also jeden Tag gefühlte gefühlte jeden Tag“ (Z. 9) verdeutlicht, dass es sich für David Kadel bei dem täglich im Starbucks arbeitenden Kreativen um eine begehrenswerte Subjektform handelt: Er sitzt dort eben nicht jeden Tag; dass er aber sagt, es fühle sich so an, dient seiner Selbstinszenierung als ,eingefleischter im-Starbucks-Arbeitender‘ (ähnlich auch Z. 43). David Kadel, der sich als geselliges (Arbeits-)Subjekt zu verstehen gibt, begibt sich seiner Selbstdarstellung zufolge also in das Café, um – wie er im Folgenden erläutert – ,coworking‘ zu betreiben. Die Aussage von ihm, „so und Starbucks is natürlich klar, das (.) Mekka des Coworkings!“ ist seiner, dem Interview vorangegangenen und an die InterviewerInnen gerichteten Frage nach ihrem Interviewinteresse und deren Antwort, dass sie sich u.a. für Coworking Spaces interessieren, geschuldet. In Z. 12-17 grenzt David Kadel das Großraumbüro von den vielfältigeren Möglichkeiten ab, die der Starbucks seiner Ansicht nach zu bieten hat, indem er diesen als „Überraschungsei“ (Z. 15) kennzeichnet. In der Darstellung seiner selbst und seiner kreativen Tätigkeit scheint die unvorhersehbare Situation, die der Starbucks täglich neu bietet, und der möglicherweise entstehenden Kontakte zu anderen (vorwiegend arbeitenden) Menschen, ein Gewinn zu sein: „du weißt ja nie, wer z.B. neben dir sitzt und dich entweder (.) belästigt (lacht) oder abhält von der Arbeit oder sich irgendwie einklinkt“ (Z. 15-17). Im Folgenden wird auch David Kadels Verständnis eines Coworking Spaces evident, wenn er von einer kleinen Gruppe spricht, die er mit einigen Anderen im Café etablierte und die sich täglich dort zum Arbeiten traf. Wenn er seine gemeinsame Arbeit mit einem Freund konkretisiert: „weil ich ihm (.) für seine Sendungen immer geholfen hab und er so meine Sachen so ’n bisschen reflektiert hat (.) so und so hat man sich halt gegenseitich angesteckt“ (Z. 22-24), verdeutlicht David Kadel, dass er das Arbeiten in Coworking Spaces offenbar als ein Zusammenarbeiten an Einzelprojekten versteht. Das seiner Aussage nach „Mekka des Coworkings“

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(Z. 11) – der Starbucks – wurde durch das häufige Zusammenhandeln der TeilnehmerInnen der kleinen Gruppe im Sinne von gemeinsam am selben Ort arbeiten und zusammen arbeiten zu einem idealen Arbeitsraum für David Kadel. Wie „unser Coworking Space“ (Z. 22) am Ort Starbucks durch gemeinsame Raumkonstruktionen etabliert wurde, beschreibt er kurz. Sein Coworking Space und das seiner im Café arbeitenden Freunde wurde offenbar zu einer Institution. Das im Zusammenhandeln zwischen ihm und den Freunden ,institutionalisierte‘ Coworking Space im Café wird von David Kadel „als ein Element“ (Löw 2001, S. 157) innerhalb eines größeren räumlichen Zusammenhangs wahrgenommen, ähnlich wie Löw dies für einen Stadtteil innerhalb einer Stadt beschrieb. David Kadel und seine ,Mit-Arbeiter‘ im Starbucks errichteten durch mehrfach ausgeführte Spacing-Leistungen einen gemeinsamen Arbeitsraum2, der durch Syntheseleistungen die am Arbeitsnetzwerk beteiligten Akteure zu (Arbeits-)Räumen zusammenfasst. Aktualisiert werden die regelmäßig ausgeführten Syntheseleistungen und damit einhergehenden Erwartungen – die auf einen gewissen Grad an Habitualisierung, wenn nicht schon Institutionalisierung verweisen – z.B. durch eine solche SMS, von der David Kadel erzählt, in der er über die Anwesenheit eines Coworking Space Kollegen im Café durch „Bin schon da“ (Z. 27 f.) informiert wurde. Dass er darauf mit „ok, ich muss jetz hinmachen“ (Z. 28) reagiert, verdeutlicht, dass der häufig gemeinsam etablierte Arbeitsraum im Starbucks nicht nur erinnert wird, sondern auch die physische Abwesenheit David Kadels überdauert, indem die Arbeitsraumkonstitutionsleistung auch durch einen der Gruppenan2 | Diese kurze Skizzierung ist als notwendig grobschlächtig zu betrachten, da vielmehr anzunehmen ist, dass verschiedene Arbeitsräume hergestellt werden, in denen sich die Arbeitenden aufhalten, diese sich jedoch auch überlappen und zugunsten eines gemeinsamen Raumes verflüchtigen können. Im späteren Verlauf der Arbeit werden solche Prozesse dann betrachtet, auch virtuelle Raumkonstruktionen untersucht und ihr Verhältnis zu Raumkonstitutionen ausgelotet, die physisch anwesende Menschen einbinden.

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gehörigen im Café eingeleitet werden kann. Die Information, dass eine Einleitung der Arbeitsraumkonstitution bereits stattgefunden hat, wird von David Kadel in eine Anwesenheitspflicht seinerseits bzw. einen Handlungsaufruf, seinen Körper auch möglichst schnell an diesen Ort zu verfrachten, übersetzt und leitet sein Handeln an, das Café aufzusuchen. Der dortige Arbeitsraum, der durch regelmäßige Spacing- und Syntheseleistungen durch David Kadel errichtet wird, ist „tatsächlich so wie ein Büro“ (Z. 28 f.). Als Parallelen zum Büro nennt er im Folgenden die Tatsache, dass eine große Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit seiner physischen Person zu einer spezifischen Zeit an diesem Ort zu erwarten ist: „Es gibt auch Leute, die mich da besuchen weil sie wissen, ah der sitzt da bestimmt, die Chance is recht groß“ (Z. 29-31). Außerdem sei das Café der Ort, an den David Kadel – neben der Alternative seiner Wohnung – Klienten mitnehme bzw. dorthin bestelle, um mit ihnen Gespräche zu führen; eine Erläuterung, die David Kadel neuerlich mit „des ist quasi mein Büro“ resümiert. Wenn er seinen ,typischen Tag im Starbucks‘ beschreibt, wird in Tendenzen auch deutlich, wann zuvorderst eigene Arbeitsraumkonstitutionsleistungen erbracht werden und wann die Räume der anderen physisch kopräsenten bekannten Arbeitenden zu einem gemeinsamen Arbeitsraum verschmelzen, doch hierzu später mehr.

3.1.2 Konsum: „Der Starbucks lässt dich 8 Stunden in Ruh!“ In Coworking Spaces ist das Thema Konsum von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Überall gibt es materiell verankerte Hinweise darauf, dass konsumierende Coworking-Space-NutzerInnen erwartet werden: die Teeküche, der Kiosk, das Café schreien mit ihrem Angebot geradezu nach ihnen, den Verzehrenden. Ähnlich ist es im Starbucks, bei dem es sich, wenn man die Spacing- und Syntheseleistungen der PlanerInnen, BetreiberInnen und MitarbeiterInnen – sowie nicht zuletzt der CafébesucherInnen mit ihren Ca-

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fénutzungspraktiken – und auch Materialitäten und Objekte wie die Theke, Kaffeemaschine, die Tafel hinter der Theke und das Getränke- und Essensangebot betrachtet, um ein Café handelt. Auch David Kadel konsumiert an diesem Ort und verdeutlicht im Interview bei der Beschreibung seines typischen Tagesablaufes zudem, dass es sich hierbei um einen zentralen, die Arbeitsraumkonstitution einleitenden Aspekt mit rite-de-passage-Charakter handelt: „Ja auf jeden Fall, des erste was du machst, du holst dir was zum Futtern (.)“ (Z. 49 f.). Doch auch einige Zeit später, „so 10 Uhr, 11 Uhr, genau“ (Z. 56 f.), „kommt natürlich der Hunger“ (Z. 57) und der Mensch David Kadel, der hier als für sein eigenes Wohl Verantwortung übernehmendes, sich selbst reproduzierendes Subjekt erscheint, muss auf dieses körperliche Bedürfnis reagieren: „holste dir was vom Bäcker“ (Z. 58). Wenn David Kadel dann die physisch kopräsenten Anderen fragt, ob sie etwas bräuchten, dann etwas besorgt und beschreibt: „kommst mit ’ner Tüte wieder, das is auch cool bei Starbucks“ (Z. 59 f.) wird spätestens evident, dass der Starbucks bzw. der Raum von David Kadel und seiner Gruppe kein Café im klassischen Sinne ist. Dies wird verständlich, wenn man die von David Kadel beschriebene Situation mit einem anderen Café, vergleicht. Besorgt wird das von ihm selbst, da er Starbucks und Lumen3 miteinander kontrastiert: „weil der Starbucks lässt dich ja 8 Stunden in Ruh, da kommt ja keiner und der sagt: kann’s noch was sein? Möchten Sie zahlen, bitte? Weißte so wie im Lumen“ (Z. 90-92). Mit dem Kontrast zwischen Lumen und Starbucks in Bezug auf den Aspekt der Dauerhaftigkeit des Aufenthaltes und der Legitimierungspraktiken dauerhaften Aufhaltens verdeutlicht David Kadel, dass im ,klassischen Café‘ wie z.B. dem Lumen ein eher kurzfristiger Aufenthalt erwartet und dieser durch ausschließlichen Konsum der an diesem Ort angebotenen Konsumobjekte legitimiert wird. Ab wann genau ein längerer, legitimer Caféaufenthalt zu einem zu lan3 | Bei diesem handelt es sich um ein anderes Café in Wiesbaden, das für David Kadel eine für spezifische Gelegenheiten erwählte Alternative zum Arbeitsraum im Starbucks bietet.

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gen Aufenthalt wird, der die Frage „Möchten Sie zahlen?“ nahelegt, wäre untersuchenswert. Bedeutungsvoll an dieser Stelle ist jedoch, dass es einen zu langen illegitimen Aufenthalt im Starbucks-Café während seiner Öffnungszeiten (in David Kadels Raum im Starbucks) schlichtweg nicht gibt: „der Starbucks lässt dich 8 Stunden in Ruh“ (Z. 90 f.). Dieses Zitat verdeutlicht par excellence, dass David Kadel sich seinem Verständnis nach zwar im Café aufhält, sich jedoch in seinem Büro, seinem Arbeitsraum befindet, in dem er vom „Starbucks“ in Ruhe gelassen wird. „Der Starbucks“ erscheint in diesem Zitat für David Kadel als ein Akteur, der ihn acht Stunden in Ruhe lässt und damit nichts tut, was er in seinem ,Coworking Space Arbeitsraum‘ als störend empfindet. Spitzt man David Kadels Zitat zu, so lässt sich an dieser Stelle die Frage formulieren, ob er sich überhaupt noch im Café befindet, wenn „der Starbucks“ ihn den ganzen langen Tag, in dem er sich in seinem Arbeitsraum aufhält, in Ruhe lässt. Zudem muss, wie bereits oben beschrieben, der Aufenthalt im Starbucks-Café nicht durch Konsum aus dem Thekenangebot legitimiert werden. Es deutet sich hier ein für die Raumsoziologie aufschlussreicher und anschlussfähiger Aspekt an, da der Akteur selbst hier ein Raumverständnis offenbart, das jenseits eines ,Containerraumverständnisses‘ liegt, das dem Alltagswissen ansonsten meist unterliegt.

3.1.3 Starbucks oder Lumen? Arbeitsanforderungen, Materialitäten und Atmosphäre im Kontrast Die eben herausgestellte Abwesenheit eines Konsumzwanges bzw. einer Konsumerwartung im Starbucks unterscheidet diesen in zentralen Aspekten von legitimen Nutzungspraktiken, die anderen Cafés eingeschrieben sind. Das Transkriptzitat von Zeile 99 bis 105 verdeutlicht, dass es David Kadel zufolge noch weitere Differenzen zwischen Lumen und Starbucks gibt. Ersteres kann auch mit anderen Materialitäten mit differenten Affordanzen aufwarten als jene im Starbucks-Café. Diese werden dann relevant und rekonstruierbar, wenn ihre Wirkung performativ wird, ohne dass die Forschenden ih-

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nen vorab eine Bedeutung zuschreiben müssten, die dann im Forschungsprozess reifiziert würde. Dies wird z.B. im Interview mit David Kadel an der folgenden Stelle deutlich: „der Sessel hat auch so ’n bisschen (verstellt die Stimme:) ha, das ist ja was Schönes [...]“. David Kadel erwählt also den Ort des Treffens in dem Wissen um die Spacingleistungen, die im Lumen erbracht wurden und die sich vom Starbucks unterscheiden. Zu den Spacingleistungen im Lumen ,passen‘ andere Klienten als jene, die zum Starbucks ,passen‘, so dass David Kadel eine Unterscheidung vornimmt: Für seine Praktiken der Ortswahl, die entsprechend der Antizipation der an dem jeweiligen Tag auszuführenden Arbeit stattfinden, differenziert David Kadel in Starbucks: „Wohlfühlgeschichte“ (Z.101) und Lumen: „was Seriöses“ (Z. 101). Es ist bezeichnend, dass das Lumen nur dann als geeigneter Arbeitsort gewählt wird, wenn die Arbeit nicht zwischen den Akteuren Laptop und David Kadel, sondern zwischen den Akteuren „höherklassige[r] Gast“ (Z. 102) und David Kadel prozessiert wird. An anderer Stelle des Interviews erläutert David Kadel näher, wann er für einen Arbeitstermin entscheidet, ins Lumen und nicht in den Starbucks zu gehen: „Manchmal geh ich auch ins Lumen, wenn mir mein Gast oder mein Coachee, äh wenn es mir dann doch zu peinlich is – Starbucks – dann denk ich ok heut hab ich irgendwie so ’n Hot Shot, mit dem muss ich ma ins Lumen gehn, ok. Es geht eigentlich so um die Atmosphäre also dass – wir gehn natürlich dann in so ’ne Ecke, wo nich so viele Leute sitzen und ham da 2, 3 Stunden irgendwie ’n Coaching-Gespräch oder manchmal sind dann irgendwie noch TV-Konzepte oder alles mögliche wofür man Konzepte sucht, entstanden oder auch Events weil ich viel eben auch moderiere auf (.) ganz verschiedenen Events (.) und des is so der Besprechungsort, wo ich so ganz oft sitze im Lumen (räuspert sich), genau.“4 4 | Transkriptsequenzen werden dann ohne Zeilennummerierungen aufgeführt, wenn sie aus anderen Protokollen, Transkripten oder anderen Stellen des Interviews mit David Kadel stammen als jenem unter 3.1 an einem Stück aufgeführten Transkript.

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Die oben benannten differenten Materialitäten wie z.B. der Sessel sorgen mit anderen Partizipanden (Artefakte wie Menschen) dafür, dass eine andere „Atmosphäre“ im Lumen herrscht als im Starbucks. Diese nennt David Kadel an anderer Stelle als bedeutsamsten Aspekt für die Entscheidung, mit spezifischen Gästen oder „Coachees“ ins Lumen und nicht in den Starbucks zu gehen. Es sind demnach u.a. spezifische Objekte bzw. in Löws Perspektive Güter, die die Räume derart bestimmen, dass sie „nur aus dem geschaffen werden können, was zur Synthese oder zum Spacing bereitsteht oder herbeigeschafft wird“ (Löw 2001, S. 191) bzw. werden kann. Das heißt, dass David Kadel – wie wir später sehen werden – zwar mithilfe des Einbezugs zahlreicher Partizipanden und ihrer Affordanzen verschiedene Raumkonstitutionen vornehmen kann, jedoch hierbei in seinen Spacing- und Synthesepotentialen begrenzt ist. In David Kadels Möglichkeiten der Arbeitsraumkonstitution gilt jedoch das für das Gelingen seines Arbeitsprozess entscheidende Prinzip: dort, wo die auch materiellen Bedingungen zur Produktion von Synthese- und Spacingleistungen des Starbucks nicht geeignet sind, zeichnet sich das Lumen durch Passgenauigkeit aus und umgekehrt5 . Dass dabei das repetitive Handeln der (Arbeits)raumkonstitution an den jeweiligen Orten (vgl. hierzu auch Löw 2001, S. 165 f.) auf das Gelingen derselben förderlich wirkt und dies sowohl für das Lumen als auch für den Starbucks gilt, sollte berücksichtigt werden: Es erleichtert die jeweiligen Leistungen der Raumkonstitution sowie der Spacing- und Syntheseleistungen im Einzelnen. Durch das repetitive Handeln und – Löw zufolge – die „symbolische Komponente einer Handlungssituation“ (Löw 2001, S. 193) wird eine Verdichtung institutioneller „(An)Ordnungen zu Raumbildern“ (ebd.) ermöglicht, die weiteres Handeln anleiten (können), was sich je nach Arbeitsanforderung in David Kadels Ortswahlen zeigt.

5 | Freilich gilt selbiges auch für David Kadels Heimarbeitsplatz, den er ja gelegentlich gezielt als Arbeitsort für das Gelingen seines Arbeitsprozesses – auch je nach Aufgabe – einsetzt.

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Freilich sollte auch bedacht werden, dass es situativ große Unterschiede geben kann, die die förderliche Wirkung des repetitiven Handelns der Raumkonstitution erschweren oder vereinfachen. Störungspotenziale und Katalysatoren der Raumkonstitutionen werden später ausführlich beleuchtet. Dass David Kadel im Allgemeinen zwischen verschiedenen Arbeits- und Interaktionsanordnungen – wie z.B. am Laptop zu arbeiten und sich mit einem Kunden zu treffen – unterscheidet, und die Kunden weiterhin nach höherklassigen und anderweitigen Kunden unterscheidet, erleichtert nicht nur seine Raumkonstitutionen an den jeweiligen Orten. Vielmehr ging dieser Entscheidung bereits eine in Praktiken des Ortserfahrens6 stattfindende Prüfung der Verfügung der Orte über symbolische und materielle Faktoren (vgl. hierzu Löw 2001, S. 191) voraus. Jene Praktiken des Ortserfahrens können die jeweilige Handlungssituation maßgeblich beeinflussen, wenn sie performativ und damit situativ relevant werden. Bevor die thematische Beschreibung der Interviewsequenz fortgesetzt wird, soll diese zugunsten einer theoretischen Reflexion unterbrochen werden, die sich für die Analyse als bedeutsam darstellt. 6 | Mit Praktiken des Ortserfahrens sind sinnliche Erfahrungen von Menschen gemeint, die sich je nach Ort und dessen symbolischen und materiellen Faktoren sowie je nach Situation und wahrnehmendem Individuum unterscheiden können. Insbesondere leibliche Erfahrungen spielen in der Wahrnehmung von bspw. Atmosphären eine Rolle und können das Wohlfühlen an oder Ablehnen von Orten beeinflussen. Hierbei sollte von phänomenologisch Forschenden davon ausgegangen werden, dass jegliche sinnliche Erfahrungen eine Rolle spielen können und in repetitivem Alltagshandeln, das an spezifischen Orten ausgeführt wird und in Raumkonstitutionen mündet bzw. diesem zugrunde liegt, aktualisiert wird. Durch das repetitive Handeln und – Löw zufolge – die „symbolische Komponente einer Handlungssituation“ (Löw 2001, S. 193) wird eine Verdichtung institutioneller „(An)Ordnungen zu Raumbildern“ (ebd.) ermöglicht, die weiteres Handeln anleiten (kann), was sich je nach Arbeitsanforderung in David Kadels Ortswahlen zeigt.

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3.1.4 Klärung eines konfrontativen (?) Verhältnisses: Container-Räume vs. ein relationales Raumkonzept Die bisherigen Erörterungen zu Räumen sollen im vorliegenden Kapitel für eine kritische Diskussion theoretischer Raumkonzeptionen fruchtbar gemacht werden. Es wurde herausgestellt, dass sich die Materialitäten in Lumen und Starbucks voneinander unterscheiden, was durch den Akteur selbst relevant gemacht wurde. Ausgehend von Löws relationalem Raumverständnis wurde dies mit in der Vergangenheit stattgefundenen diversen Spacingleistungen an den verschiedenen Orten begründet. Dass in David Kadels Verständnis verschiedene Akteure und Arbeits- und Interaktionsanordnungen (Laptop und Klienten, wobei letztere wiederum in zwei Gruppen differenziert werden) zu den unterschiedlichen vergangenen Spacingleistungen in Lumen und Starbucks ,passen‘, wurde ebenfalls erläutert. Letztlich wurde neuerlich auf Löw rekurriert, die Orten ein Verfügen über symbolische und materielle Faktoren bescheinigt. An dieser Stelle soll eine Erweiterung von Löws theoretischen Ausarbeitungen durch das Konzept der Performativität7 angeschlossen 7 | Der Begriff der Performanz wurde ausgehend von der Sprechakttheorie des Sprachphilosophen John L. Austins in verschiedenen Disziplinen derart verschieden und verbreitet aufgenommen, dass eine differenzierte Erläuterung hier nicht angestrebt werden kann. Für den vorliegenden Zusammenhang erscheint eine Anknüpfung an Judith Butlers Konzept der Performativität sinnvoll. Vorerst sollte jedoch die Unterscheidung zwischen den Begriffen Performanz und Performativität betrachtet werden, da diese sich am Subjekt entscheidet: „Während Performanz verstanden als Aufführung oder Vollzug einer Handlung ein handelndes Subjekt vorauszusetzen scheint (das ist auch die Position der Sprechakttheorie), bestreitet der Terminus Performativität gerade die Vorstellung eines autonomen, intentional agierenden Subjekts. Die Performativität einer Äußerung unterstreicht deren Kraft, das Äußerungssubjekt und die Handlung, die sie bezeichnet, in und durch diesen Äußerungsakt allererst hervorzubringen.“

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werden. Dieses klang bereits am Ende des letzten Kapitels an, wo von der Performativität, der von Löw als materiell und symbolisch beschriebenen Faktoren, in Situationen die Rede war. Gegenwärtig finden in der Forschung der Soziologie bzw. in den Sozial- und Kulturwissenschaften allgemein verbreitete Zuwendungen zu Materialitäten statt. Die Einbindung von Materialitäten in Forschungsbereiche, in denen vormals vordergründig Menschen in den Fokus der Untersuchungen gestellt wurden, erscheint in den Augen Bruno Latours, der eine symmetrische Anthropologie von Menschen und dinglichen Objekten postuliert, als zumindest wünschenswert; mehr noch: als dringend notwendig. Auch in der vorliegenden Arbeit verwiesen die Daten stets auf die Bedeutsamkeit von Objekten, die Handlungsabläufe anregen, unterminieren oder erst ermöglichen. Dies berücksichtigend, erscheint eine Bezeichnung von ,materiellen Faktoren‘ als zu undifferenziert. Löws Argumentation betrachtend, wird schnell augenfällig, dass auch sie die Bedeutsamkeit von Materialitäten in ihrer Tragweite für die Raumkonstitution stark betont. Wenn sie schreibt: „So ist eine Treppe nicht einfach eine Treppe, sondern sie entfaltet durch ihr Material und durch die symbolische Besetzung dieses Materials unterschiedliche Wirkungen, ob die Treppe aus Marmor oder aus Holz ist“ (Löw 2001, S. 193), wirkt Löw näher bei Latour stehend als auf den ersten Blick angenommen, wenn dieser dafür plädiert, den für die Moderne typischen Differenzierungstypus in Subjekt und Objekt aufzugeben und Hybriden bzw. Quasi-Objekten den Status zu geben, der ihnen zusteht (vgl. Latour 2008, S. 70). Zwar ist die radikale Sozialtheorie Latours von (Posselt 2003, o. S., Hervorh. i. Orig.). So wird hier der Vorstellung Butlers gefolgt, dass das Subjekt sich erst in Akten konstituiert, die hervorbringen, was sie zeigen (vgl. Tervooren 2001, S. 158). Diese Sichtweise wird auch für die Konstitution von Räumen, in denen Subjekte sich performen, indem sie Räume schaffen, und für Aufführungen des Subjektes in den Interviews mitgetragen. So spricht sich das Subjekt selbst in den Erzählungen von sich bzw. redet sich herbei, was als Praktiken des Selbst gefasst werden kann (vgl. hierzu ausführlich Bender 2010, S. 307 ff.; Bender/Eck 2013).

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der Löws grundverschieden8 , doch kann die Aussage Löws, dass je nach Material die Treppe unterschiedliche Wirkungen hervorruft, auch mit dem Begriff der Handlungsprogramme von Latour zusammengebracht werden. Mit Handlungsprogrammen bezeichnet Latour den aktiven „Charakter technischer Artefakte“ (Latour 2002, S. 375), die antizipieren, „was andere Akteure, menschliche oder nichtmenschliche, damit tun können“ (ebd.). Nicht nur für technische Artefakte, sondern auch für andere Materialitäten kann dies Geltung beanspruchen: sie können andere zu spezifischem Handeln bringen oder zwingen. Sie bieten Affordanzen, machen ein Angebot, bringen und zwingen AkteurInnen zu spezifischen Handlungsweisen. In Bezug auf Räume schlussfolgert Löw an den zuvor zitierten Satz anschließend: „Folglich konstituieren sich Räume unterschiedlich, ob eine Marmor- oder eine Holztreppe in die Raumbildung einbezogen ist. Das heißt, soziale Güter werden unterschiedlich zu Räumen synthetisiert je nachdem, welches Material die Treppe aufweist (manchmal ist die Treppe zum Beispiel der Blickfang, manchmal ist sie völlig nebensächlich).“ (Löw 2001, S. 193). Wir halten fest: Für Löws relationales Raumverständnis ist es von Bedeutung, was – also in ihrer Sprache welches materielle Gut – in die Raumkonstitution mit einbezogen wird. Die Frage ist nur, woran empirisch Forschende erkennen können, ob und was, z.B. welche materiellen Objekte, in die Raumbildung einbezogen werden und welche nicht. Wenn also Materialitäten, die im Verständnis von Löws Raumsoziologie durch vorgängige Spacing- und Syntheseleistungen an jenem Ort platziert wurden, zur Raumkonstitution beitragen, fragt sich, ob nicht an diesem Ort durch vorgängige Spacing- und Syntheseleistungen gezielt9 8 | Beispielsweise geht Löw von Subjekten aus, die zur Arbeitsraumkonstitution notwendig sind. 9 | Dies ist durchaus nicht immer der Fall, gilt aber insbesondere für (die MacherInnen von) Coworking Spaces, die explizit machen, dass eine Aushandlung von Zeit und Raum als Aufgabe der kreativ Arbeitenden selbst betrachtet wird und die sich zielgerichtet daran machen, Containerräume für eben jene Gruppe zu schaffen. Weder die Raumauswahl noch der

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ein spezifischer Containerraum geschaffen wurde. Dieser wiederum kann, je nach symbolischer Besetzung des gewählten Materials und der sich in diesem Raum befindenden Objekte, unterschiedliche, aber spezifische Wirkungen entfalten, wenn sie situativ in Performances bzw. Raumkonstitutionen eingebunden werden. Damit kann die oben formulierte Frage eindeutig als empirische verstanden werden, die konkreter Untersuchungen bedarf: Da Raumkonstitutionen situativ sind, so muss auch der einzelnen Situation in ihrer Komplexität Rechnung getragen werden, wenn diese Frage verfolgt wird. Die spezifischen Affordanzen von Materialitäten, aber auch von Menschen10, so die hier vorgeschlagene Heuristik, werden also jeweils situativ in Prozesse der Raumkonstitution und somit in Spacing- und Syntheseleistungen einbezogen und können sich in die bereits gebildeten Räume hinein- und aufdrängen11 oder die Raumkonstruktion strukturieren. Indem sie also durch die Akteure performativ werden und damit sicht- bzw. anderweitig erfahrbar, werden sie für die ForscherInnen rekonstruierbar. Es stellt sich dabei als sinnvoll dar, teilnehmenden Beobachtungen und leitfadengenerierten oder offenen Interviews einen ergänzenden Status im Forschungsprozess einzuräumen, da jedes ,Instrument‘ unterschiedliche Datensorten erzeugt, die für die Rekonstruktion und Analyse von Raumkonstruktionen unverzichtbar sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Forschenden den verschiedenen Materialitäten, ohne die Raumkonstitutionen nicht Standort der Coworking Spaces oder ihre Einrichtung sind zufällig entstanden, sondern folgt implizitem Wissen einer Szene, das nicht zuletzt durch das Kreativitätsdispositiv produziert wird und durch die sich fortpflanzenden Raumäquivalente der sich immer stärker verbreitenden Coworking Spaces aktualisiert und evident wird. 10 | Dabei kann es sich um solche handeln, die im Container-Raum vorhanden sind. Gleichsam können aber auch physisch abwesende Objekte oder Personen die Raumkonstitution strukturieren, hierzu mehr unter 3.2. 11 | So z.B. eine Veränderung des ,Soundscapes‘, die bereits etablierte Räume zerreißen kann.

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in derselben Qualität möglich wären, Rechnung tragen wollen. Dabei sollten die Performativitäten der Akteure als zentral gelten, da hierüber Aufschluss über Räume gewonnen werden kann sowie darüber, was in die Konstruktionen mit eingebunden wird und welche Rolle den jeweiligen Entitäten zukommt. So können z.B. auch Containerräume performativ werden und damit eine Rolle in den Praktiken der Arbeitsraumkonstitution spielen. Wenn die Akteure den Containerräumen eine Bedeutung beimessen, die für sie einen Unterschied macht, dann sollte dies auch für die Forschenden von Bedeutung sein (vgl. Liegl 2011b). Wenn Löw „im Sinne der Komplexitätsreduktion“ (Löw 2001, S. 194) dafür wirbt, „soziale Güter im Sinne von primär materiellen Gütern hauptsächlich unter dem Aspekt (zu behandeln) [behandelt], wie der Mensch diese setzt oder verknüpft“ (ebd.), sollte dies ergänzt werden um die Bedeutsamkeit der spezifischen Handlungsprogramme oder Affordanzen, die von Objekten und anderen Materialitäten ausgehen. Auch geht die Art und Weise des Setzens mit spezifischen Verknüpfungspotentialen einher, die den Materialitäten selbst innewohnen. Es wird hier dafür plädiert, diesen Rechnung zu tragen, denn: auch diese können Menschen zu spezifischem Handeln anregen, indem sie etwas anbieten und das (Raum-)Handeln des Menschen kanalisieren können.

3.1.5 Ein Schnelldurchlauf eines typischen Arbeitstages im Starbucks: „und dann hebt das Ding ab!“ David Kadel verdeutlicht bei der Beschreibung eines typischen Tages im Starbucks-Café, dass er einen relativ festen Zeitpunkt hat, zu dem er mit der Arbeit dort beginnt, nämlich um acht oder neun Uhr morgens. Die Wahl des zeitlichen Startpunktes seiner Arbeit macht er seiner Darstellung zufolge von situativ-individuellen Launen abhängig und kommt nur dann um acht Uhr, wenn er „ganz heiß aufs Arbeiten“ (Z. 40 f.) ist. Bezüglich des Arbeitsablaufes scheint er ebenso einen relativ festen Rhythmus zu haben. Er checkt und beantwortet

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zuerst E-Mails und schreibt dann Texte, was eine seiner Hauptaufgaben darstellt und von ihm nicht zu kreativer Arbeit gezählt wird, da er sagt: „und des Kreative kommt meistens irgendwie erst so nachdem dieses das muss ich hier abarbeiten Liste to do so nach zwei Stunden irgendwie fängste an, so 10 Uhr, 11 Uhr, genau“ (Z. 54-57). Nachdem er seinen Hunger gestillt hat, der auch „dann irgendwann kommt“ (Z. 57) und somit die körperliche Bedürfnisstillung in seinen Arbeitstag (auch zeitlich) eingebettet ist, verändert sich seine Arbeit qualitativ. Er spricht davon, dass „je länger du auch da sitzt desto mehr [...] des MITeinander“ (Z. 60 f.) entstehe. Seine Evaluation dieser veränderten Interaktionsanordnung, die mit einer Vermehrung von Interaktionen unter Kopräsenten einherzugehen scheint und im Verlauf der Zeit scheinbar schleichend entsteht, ist die Folgende: „ok, jetz sind alle durch mit ihrem Kram“ (Z. 62). Der Arbeitsablauf des Plans ,zuerst E-Mails abarbeiten und dann noch ein paar Sachen erledigen‘ scheint David Kadels Darstellungen zufolge auch von den Anderen so ausgeführt zu werden, so dass nach Abschluss dieser Arbeitsphase eine neue, gemeinsame eingeleitet werden kann. Er beschreibt dies als in „Richtung Brainstorming“ (Z. 63) gehend und erzählt von Coachingaktivitäten, die er vorbereiten und strukturieren müsse „und dann fängste halt an, dich auszubreiten so deine Zettel so zwei drei Tische (lacht) frech! (lacht)“ (Z. 71 f.). Hier erzählt David Kadel von Praktiken der Raumaneignung, die erneut über reguläre legitime Praktiken der Nutzung eines Cafés als BesucherIn hinausgehen. Sein Lachen und die Kommentierung dieser Praktik als „frech“ lassen David Kadel wieder als eingefleischten StarbucksNutzer auftreten, der weiß, was man bzw. er sich hier ,leisten‘ kann und dass Andere, Neulinge, dies als ,frech‘ evaluieren würden. Die Sequenz, die sich an den erzählgenerierenden Kommentar der Interviewerin unter Rückbezug auf die eben zitierte Stelle anschließt, verdeutlicht, dass David Kadel dieses ,Ausbreiten‘ schon als „fast ’n Ritual“ begreift: „also es is tatsächlich so“. Er erläutert anschließend, welche bedeutsamen Objekte anwesend sein müssen, um seine Arbeitsraumkonstitution und sein kreatives Arbeiten im Starbucks zu ermöglichen. Mit der Frage „Was brauch ich jetz zum arbeiten?“

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bringt David Kadel sich selbst dazu, eine Situation zu modellieren, in der die Arbeitsraumkonstitution und das Arbeiten in diesem Raum möglich werden. Viele Objekte, die sein Arbeiten beeinflussen, werden hier genannt: Handy, Getränk, eigene Musik, Musik im Starbucks, Kopfhörer, Laptop („is klar“, Z. 159), Unterlagen (z.B. Visitenkarten, Briefpapier), Essen, Uhr, „die Leute“ (physisch Kopräsente) und wenn alles da ist, also am erwählten Ort vorhanden – und wie wir später sehen werden, auf eine bestimmte Weise, an einer spezifischen Stelle vorhanden – dann und erst dann, kann die Arbeitsraumkonstitution eingeleitet und das Arbeiten begonnen werden. David Kadel vergleicht dies treffend mit dem Start eines Flugzeugs: „Fühlst dich wie so ’n Pilot, ne? Des is dein Cockpit, (.) und alle Instrumente sind da, Ding steht, ok, können wir? (.) und (ahmt Fluggeräusche nach) und dann hebt des Ding ab, ja, genau. Und dann macht’s auch echt Spaß, find ich“ (Z. 167-170). Der Flugzeugstart wird von David Kadel vom Cockpit aus beschrieben, indem er die Perspektive derer einnimmt, die das Flugzeug steuern, und das sind der Pilot, am ,Ort Cockpit‘ und alle anwesenden, funktionierenden Instrumente. Eben wie ein Pilot ein Flugzeug nicht ohne dasselbe und ohne die komplexen (zuverlässig funktionierenden) Gerätschaften steuern kann, kann auch David Kadel ohne seinen Laptop – dessen Anwesenheit „klar“ sei (Z. 159) – gar nichts tun. Der Laptop David Kadels ist das Flugzeug des Piloten: ohne Laptop keine Arbeitsraumkonstitution und kein Arbeiten, ohne Flugzeug ist kein Abheben möglich. Doch auch die vielfältigen Gerätschaften im Cockpit bzw. um den Laptop herum sind zwingend notwendig. David Kadels Arbeitsnetzwerk wird in einem späteren Kapitel ausführlich untersucht. Hier sei noch erwähnt, dass David Kadel sich in der Performance seiner Rede zu einem macht, der die Arbeit als Vergnügen betrachtet, „wenn halt die richtigen Dinge stimmen“ (Z. 174). Er bringt sich also u.a. mithilfe der genannten Objekte in die Situation, die Arbeit als Vergnügen zu empfinden. Arbeit als Ort der Sinnstiftung des Subjektes zu begreifen und sich von Arbeit in der angestrebten Form eine Befreiung zu versprechen, stellen kulturelle Hintergrundannahmen dar, die durch das Dispositiv produziert und u.a. auch

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durch Coworking Spaces regiert, letztlich jedoch wieder an die KreativarbeiterInnen delegiert werden. In Abwesenheit der richtigen, für ihn notwendigen Objekte wird die Arbeit zur Qual, die keinen Spaß mehr macht: „Wenn nich is dann ah (stöhnt gequält) des muss ich noch machen ah“ (Z. 175 f.). Im Folgenden nennt er eine besondere „Einstellung“, die dazu nötig sei, ein positives Erleben bzw. Spaß zu haben „bei der Arbeit“ (Z. 182). Doch wird auch deutlich, dass nicht nur die Abwesenheit der richtigen Objekte oder der falsche Ort das Vergnügen an der Arbeit zerstören können: „klar gibt’s auch so trockene Rotzdinger“. David Kadel spricht hier von Arbeitsaufträgen, deren Inhalte ihn nicht reizen und interessieren, nicht herausfordern, ihm keine Kreativität abverlangen. Arbeit diene der Selbstverwirklichung und man solle dankbar für sie sein, da man sie sich selbst ausgesucht habe, diese Vorstellung wird von David Kadel in diesem Absatz präsentiert. Ein nicht gestresstes Arbeitssubjekt, das Freude an der selbst gewählten Tätigkeit hat, stellt eine für ihn begehrenswerte und bedeutsame Subjektform dar, die er in körperlichen Performances im Starbucks, aber auch hier im Interview aufführt. Wenn David Kadel indirekt einen Dialog mit ,Arbeits-Peers‘ wiedergibt, inszeniert er sich selbst als Coach für diese Arbeitsform bzw. Einstellung zur Arbeit. Er empfiehlt ihnen: „versuch’s dir gut einzurichten“. Dass er auch selbst dieser Strategie folgt, wurde hier bereits angedeutet. Wovon David Kadels ,Einrichten‘ im Starbucks jedoch abhängt und zu welchem Ziel12, dies wird im Folgenden erörtert.

12 | Teile des Datensatzes, der in Kapitel 3.1 vorgestellt wird, wurden in den vorangegangenen Unterkapiteln noch nicht ausführlich oder gar nicht thematisiert. Diese werden für die im Folgenden angestellte Analyse verwendet, da sie als Grundlage der skizzenhaften Rekonstruktion von David Kadels Arbeitsnetzwerkes dienen.

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3.2 D IE PARTIZIPANDEN DES N E T Z WERKES KRE ATIVEN A RBEITENS IM S TARBUCKS -A RBEITSR AUM Die folgenden Leitfragen dienten der Untersuchung der Daten, die durch das Interview und durch Beobachtungen von David Kadels Arbeitspraktiken im Starbucks generiert wurden. Was erzählt David Kadel, was im Starbucks geschieht, wenn er dorthin geht, um zu arbeiten? Welche Personen, welche Objekte, Artefakte, Materialitäten, aber auch Unsichtbares tauchen in seinen Schilderungen auf? Wie hängen all diese zusammen: wer tut was wie mit wem (wozu)? Abbildung 1 zeigt alle an David Kadels Arbeitsraumkonstitution und zur Prozessierung der Arbeit bedeutsamen und beteiligten Partizipanden und deren Zusammenhänge auf. Im Folgenden werden die im Schaubild zur Illustration dargestellten Partizipanden und ihre Verbindungen, durch die das Handeln anderer Akteure ermöglicht, verändert oder gestört wird, beschrieben. Das Kästchen unterhalb des Schaubildes beinhaltet die zentralen Fragen, auf die die Netzwerkbildung eine Antwort gibt und die gleichsam das Handeln David Kadels strukturieren. Es könnten verschiedene Ansatzpunkte den Einstieg in die Beschreibung und Erklärung des Netzes bilden, das so vielfältige Objekte einbindet, doch spricht vieles dafür, mit dem Laptop zu beginnen. Nicht nur weil David Kadel seine Anwesenheit mit „is klar“ (Z. 159) nebenbei einführte und damit auf seine unhinterfragte Bedeutsamkeit aufmerksam machte. An verschiedenen Stellen verdeutlicht er, dass der Laptop ein so mächtiger Partizipand seiner Arbeitsraumkonstruktion und Arbeitsprozessierung ist, dass er in vielerlei Hinsicht der, z.B. bezüglich der Wahl des Arbeitsortes, bestimmende und somit der mächtigste Partizipand im Arbeitsnetzwerk David Kadels ist. Zum einen ist die Anwesenheit des Laptops unverzichtbar, um David Kadels Arbeiten zu ermöglichen, da er – wenn er nicht mit Klienten spricht – stets am Laptop arbeitet. Zum anderen wirkt der Laptop mächtig auf die Wahl des Arbeitsortes ein, da er ein Objekt mit

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Menschen · Anwesende „Coworker“ konstituieren Arbeitsatmosphäre (durch Objekt Laptop + Körper + doing being busy Praktik) £ Tätigkeit · Anwesende Teamworker (größere Bekanntheit erleichtern Arbeitsraumkonstitution) zum Brainstorming / zur Zusammenarbeit £ Tätigkeit · Bekannte zum Austausch von Privatem oder Arbeitsproblemen (1. Selbstinitiiert £ Problemlösung £ Tätigkeit, 2. Fremdinitiiert £ pos./neg. Störung) · Andere Bekannte (1. Pos. Störung £ Pause £ Tätigkeit, 2. Neg. Störung £ Kopfhörer £ Tätigkeit) · Starbucks Mitarbeiter zum Austausch/ Pause £ Tätigkeit · Datenlieferanten für Kabarett £ Tätigkeit · Bei Abwesenheit, Kompensation durch Chatten (s. Internet) £ Tätigkeit

Steckdose / Strom · Verfügbarkeit und Platzierung im Containerraum wirken maßgeblich bei der Wahl des Arbeitsortes und -platzes mit

Tische / Stühle · Großflächige Nutzung (Routinisiertes Ausbreiten mit persönlichen Gegenständen: Handy, Essen, Laptop, Kopfhörer, Unterlagen): · Zeigt langfristig angelegte Aufenthaltsdauer an diesem Platz an · Als Bestandteil des Rituals der Arbeitsplatzkonstitution · Existenz des Arbeitsplatzes anzeigen (sich selbst und Anderen) Unterlagen „Zettel“, „Papiere“, „Visitenkarten“ · Als to-do-Liste £ verweisen darauf, was getan werden muss £ spezifische Tätigkeit wird mit ihnen ausgeübt · Müssen mitgenommen werden · Helfen bei der Arbeitsraumkonstitution · Nicht immer Pratizipand, nicht immer vorhanden

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Musik „eigene“, „die Richtige“ · „Inspiration“ · Ermöglicht Arbeiten · „Wohlfühlen“ · Atmosphäre · Billy Joel (=Chatten, s. Internet) ermöglicht Arbeiten zu Hause

Kopfhörer · Einleitung Arbeitsraumkonstitution („Cockpit“) · Zeigt „Abwesenheit“ im Café-Raum an · Telefonieren (an den Raum angepasst) · Abkoppeln vom Soundscape des Cafés

Gefühle Atmosphäre · Wohlfühlen · Dienlich ist Arbeitsatmosphäre

Internet · Eröffnet Raum mit physisch Abwesenden · Facebook: zum Chatten (=Billy Joel, s. Musik) mit Coworkern als Kompensation bei fehlenden , physisch Anwesenden · Recherche für die Arbeit · Emails: 1. als Arbeitseinstieg (Arbeit), 2. Kontakt zu Freunden (Privat), 3. Versenden/ Empfangen von Arbeitsdokumenten (Arbeit) · WLAN: Vorhandensein bestimmt Ortswahl maßgeblich mit Laptop Sensibles Artefakt · Unverzichtbar zum Arbeiten · Zeigt Arbeitsplatz an · Mächtigster Akteur der Arbeitsraumkonstitution · Laptop und sein Bedürfnis nach ihm umgebende, relative Dunkelheit £ bestimmen Wahl des Arbeitsortes maßgeblich mit · Laptop und sein Bedürfnis nach Strom £ bestimmen Wahl des Arbeitsortes maßgeblich mit

Handy · Kontakt zu Kunden/Auftraggebern · Sorgt für Büro-Atmosphäre · Bestandteil der Konstitution des Arbeitsplatzes, durch Anwesenheit auf dem Tisch (mit Laptop) wird dieser zum „Büro“ · Hilft bei der Arbeitsraumkonstitution durch Einrichtung des Arbeitsplatzes

· Spezifische Gefühle (dem Arbeiten dienlich) müssen hergestellt werden · Auf sie muss man reagieren (z.B. mit Musik, Ortswahl, Menschen, Kopfhörern, etc.) · Divergieren von Tag zu Tag, unvorhersehbar · Herstellung des Zustandes: WOHLFÜHLEN des Subjektes David Kadel · „Wohlfühlcharakter ist ganz entscheidend“ · Prinzip: ‚Man muss Gefühle nutzen‘ · Beeinflussen was die „richtige“ Musik ist (s. Musik)

Wetter · Sonnenstrahlung hoch Tageszeit „Licht“, „Temperatur“, „Uhrzeit“ · Wohlfühllicht · Wohlfühltemperatur Essen / Trinken „Verpflegung“ · Zeigt langfristige Nutzung des Arbeitsplatzes an · Verweist auf konsumierendes, sich reproduzierendes Subjekt · Wird mitgebracht oder im Verlauf des Arbeitstages besorgt · Ist Teil der Arbeitsraumkonstitution £ Verpflegung muss vorhanden sein

– Was braucht der Laptop? – Was braucht das ‚Kreativsubjekt‘ David Kadel zur Herstellung des Arbeitsraumes? £ Wohlfühlen £ flüchtiger, zu produzierender Zustand. Hierzu sind viele Akteure notwendig – Was braucht das Subjekt David Kadel zur Prozessierung der Arbeit? £ weitere Akteure

Abbildung 1: David Kadels Netzwerk des Arbeitens

Bedürfnissen ist: er braucht regelmäßig Strom. Somit wirkt er nicht nur darauf ein, an welchem Ort potentiell gearbeitet werden kann und an welchem nicht, sondern er bestimmt sogar die Platzierung von sich selbst (dem Laptop), David Kadels Körper und den anderen am Netzwerk beteiligten Akteuren, die in griffbereiter Nähe für den Körper vorhanden sein müssen, im Container-Raum. Doch dies ist nicht

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alles: bei seinem Laptop handelt es sich um einen empfindsamen und anspruchsvollen Akteur, wie folgendes Zitat aus dem Interview mit David Kadel (Z. 111-115) zeigt: „z.B. so Tage im Sommer, (.) sitzen alle draußen, da sitz ich ganz alleine dann drin, ich bin immer drin, ja, es heißt, also wenn ich wirklich arbeiten will, weil mein Laptop mit dem Sonnenlicht, da seh ich nichts mehr. Und ich hab auch kein Strom, also zumindest nach ’ner Zeit (lacht)“.

Nicht nur hält sich der Laptop, wenn er längere Zeit ,in action‘ sein soll, am liebsten nahe einer Stromquelle auf. Auch verträgt er die Sonne nicht gut bzw. stört sich am Sonnenlicht, was sich daran zeigt, dass David Kadel am Arbeiten gehindert wird, wenn er seinen Laptop ins Sonnenlicht bringt. Seine generelle Aussage „da seh ich nichts mehr“ (Z. 114) verdeutlicht, dass die Tatsache, dass David Kadel dann nichts mehr auf dem Bildschirm seines Laptops erkennen kann, eine so basale Störung eines oder des zentralen Partizipanden seines Arbeitsnetzwerkes darstellt, dass David Kadel schlichtweg „nichts mehr“ sieht13. Die Unsichtbarkeit des Abbildes auf dem Bildschirm würde demnach in eine Blindheit David Kadels münden, was er jedoch vermeidet, indem er dem Wunsch seines Laptops nach Vermeidung von Sonnenlicht folgt und „ganz alleine dann drin“ (Z. 112) bleibt. Damit nimmt David Kadel – wie später noch herausgestellt wird – eine von ihm ungeliebte Situation in Kauf und muss weitere Partizipanden mobilisieren, damit er sich in Anbetracht seines einsamen Körpers im Starbucks-Containerraum dort nicht so alleine fühlt, dass er nicht mehr arbeiten kann. Wir werden sehen, dass David Kadels Körper, der physische Nähe (am besten arbeitender) 13 | Hier muss zugleich die Sensitivität der Wahrnehmung von David Kadel selbst hervorgehoben werden. Denn nicht nur verändert sich die Bildschirmoberfläche durch die Einstrahlung des Sonnenlichtes, sondern es ist auch David Kadels Augen unmöglich, dann etwas zu erkennen. Hieraus erst resultiert das Problem für David Kadel, also aus der Interaktion des Objektes und des Menschen.

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kopräsenter anderer Körper bedarf, als arbeitsschaffende Ressource weniger bedeutsam ist als der Laptop mit all seinen potentiellen Handlungsprogrammen bzw. Affordanzen. Dieser kann nämlich mithilfe weiterer Mittler dafür sorgen, dass ein Bedürfnis von David Kadels Körper zugunsten einer virtuellen Raumkonstitution übersetzt werden kann in ,Facebook‘. David Kadels Körper, der anderer Körper bedarf, und Facebook, wo virtuelle Kontakte zu anderen sich bei Facebook aufhaltenden Bekannten hergestellt werden können, erfüllen dieselben Funktionen im Netzwerk und sind somit austauschbar. Anhand des folgenden Transkriptausschnittes (Z. 114-120), der direkt an den zuletzt hier betrachteten anschließt, wird näher beschrieben, wie über die Mittler Internet und Facebook neue physisch abwesende „Coworker“ erschlossen werden können. „Und ich hab auch kein Strom 14, also zumindest nach ’ner Zeit (lacht) und dann ist mein Coworker sozusagen Facebook. Das heißt, dann denk ich, ach dem wollt’s de eh schreiben, mit dem chatten, boing! Geht schon wieder ’n Fenster auf ja? Dann geht’s in mein (.) die digitale Coworking 14 | Hier identifiziert sich David Kadel sprachlich mit seinem Laptop: Nicht er, sondern sein Laptop braucht eigentlich Strom, doch hier klingt es so, als sei er derjenige Akteur, der zum Arbeiten eine Stromquelle benötige. An anderer Stelle spricht er davon, dass er manchmal einfach „den Stecker raus“ ziehe, und bezieht dies wiederum auf seine eigene Person und nicht auf den Laptop. Solche Formulierungen sind einerseits unserem Alltagsverständnis geschuldet, das Latour in seinen Werken als ein Übersehen an Hybriden kritisierte, indem durch Subjekt/Objekt-Differenzierungen stets die Menschen es sind, denen die Handlungsmächtigkeit zugesprochen wird. Dies a priori zu denken, spielt wiederum im sprachlichen Differenz- und Bezeichnungssystem eine Rolle, das durch Interviews mobilisiert wird und das mithilfe des Phänomens der Deixis und die Sprechaufforderung der Interviewerinnen dazu führt, dass die Person bzw. das Subjekt David Kadel spricht und nur über diesen Umweg die Handlungen der am Netzwerk beteiligten Artefakte bzw. vielmehr Quasi-Objekte erschlossen werden können.

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Network-Welt, das is dann so mein Wohlfühl-Ding, dass ich denk, ach mit der Ina wollt ich eh grad irgendwie chatten, irgend ’n Scheiß erzählen, ne?“ (Z. 114-120).

Facebook ist ein Mittler, der ermöglicht, dass David Kadels Arbeiten weiter funktioniert, obwohl die notwendigerweise benötigten physisch kopräsenten anderen Arbeitspraktiken tragenden Körper abwesend sind. David Kadel taucht ein in die „digitale Coworking Network-Welt“ (Z. 118). Er eröffnet eine neue Dimension innerhalb seines bereits etablierten Arbeitsraumes an Ort und Stelle, indem er für die Aufrechterhaltung seines Arbeitsraumes sorgt. Dies tut er durch die – auf den ersten Blick paradox anmutende – Strategie, kurz nicht zu arbeiten, um mit anderen physisch Abwesenden am Laptop Arbeitenden zu chatten. Diese sich an einem anderen Ort aufhaltenden Coworker(-Körper) etablieren innerhalb ihrer jeweils schon konstituierten (Arbeits-15)Räume durch die Mittler Internet und Facebook mit David Kadel eine Überlappung ihrer Räume in einem temporär, und nur für die Dauer der Ausführung des (gemeinsamen) Tragens der Praktik des Chattens, neu entstehenden digitalen Raum. Hiermit soll nicht behauptet werden, dass nicht bereits vorher die Arbeitsraumkonstitution der Beteiligten als digitale zu verstehen ist, jedoch wird durch ihr Zusammenhandeln des Chattens eine neue Qualität ihrer jeweiligen Räume geschaffen, indem sie eine Überlappung eingehen, die aufflammen oder erlischen kann, je nachdem ob der Raum durch den Vorgang des Chattens gemeinsam genutzt wird oder nicht. Die Überlappung der Räume ist so lange vorhanden wie die Fenster, die aufpoppen (vgl. Z. 117 f.), geöffnet bleiben: Werden sie geschlossen, erlischt der digitale Chatroom der Coworker. Sie bleiben bestehen, solange sie geöffnet sind und eine Kurznachricht empfangen oder versandt wird. In diesen Momenten und in denen 15 | Da David Kadel den Begriff des Coworkers verwendet, ist anzunehmen, dass er mit anderen am Laptop arbeitenden Personen chattet. Diese wiederum mussten zur Ermöglichung ihrer Arbeit vorab – wie David Kadel auch – einen Arbeitsraum konstituieren.

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des Tippens ist der digitale Chatroom, der bereits konstituiert ist und durch die Mittler Internet und Facebook hergestellt wird, ,in action‘; er wird ausagiert und ihm ist nicht zu entrinnen. Wenn ein Fenster allerdings geschlossen wird, so ist damit wiederum etwas gesagt, getan, die virtuelle Raumkonstitution und Interaktion unterbrochen, zerstört oder abgeschlossen. Wie dieser Chatroom jeweils erfahren wird, kann sich stark unterscheiden. Für David Kadel kann jedoch festgehalten werden, dass sich diese strategisch eingesetzte Raumüberlappung des digitalen Raums mit Coworkern innerhalb seines Arbeitsraumes abspielt und seiner Aufrechterhaltung dienlich ist. Dabei könnte es freilich durchaus der Fall sein, dass seine InteraktionspartnerInnen im Netz sich durch die Raumüberlappung in ihrer Arbeitspraktik gestört fühlen und sie weniger begrüßen. Auch der Laptop ist als Mittler dieser Interaktion und digitalen Raumkonstitution zu verstehen: Er begrenzt und bestimmt die durch den Körper ausgeführte Praktik des Tippens und damit die virtuelle Interaktion(sform), durch die die Raumkonstitution eingeleitet und aufrechterhalten wird: das Chatten. Doch auch die Fenster, die sich öffnen, entfalten eine gewisse Handlungsmacht, wie David Kadel beschreibt: „boing! Geht schon wieder ’n Fenster auf, ja?“ Unkontrollierbar für David Kadel, der über den Mittler Facebook für das Eintreten in seine „digitale Coworking NetworkWelt“ sorgte, bestimmen nun die Fenster, mit wem er als nächstes in Interaktion tritt. Denn auch wenn David Kadel das Fenster, das sich öffnete, wodurch jemand einen Chat mit ihm beginnt, wieder schließt, ohne durch das Tippen auf dem Laptop auf die Nachricht zu antworten, so stellt auch dies eine Interaktion dar. In dieser wird das Angebot des Chattens, das durch das aufpoppende Fenster bei Facebook vermittelt wurde, verneint, und kann durchaus Gefühle bei den vor dem Laptop sitzenden Subjekten auslösen. Betrachten wir hierzu im Folgenden eine Erzählung einer sich häufig auf Facebook aufhaltenden Studierenden, die zu Routinen und Alltagsproblemen der Vereinbarkeit von Arbeiten am Laptop und Chatten befragt wurde:

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„Wenn ich dann mit meiner besten Freundin chatte, die in Wien wohnt, dann schreiben mir manchmal Typen, mit denen ich bei Facebook befreundet bin. Das nervt total. Ich hatte die Freundschaftsanfrage damals nur aus Freundlichkeit angenommen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen und nun kann ich gar nicht mehr in Ruhe mit meiner Freundin bei Facebook chatten! Ich hab echt das Gefühl, dass äh ja, ich glaub echt, dass manche fast den ganzen Tag [...] also bei Facebook sind und gucken: ,Wer geht grad online? Ach cool, die könnt ich auch mal wieder anchatten‘. Haben die Leute denn nix zu tun, frag ich mich manchmal? (lacht). Also ich chatte jedenfalls nur mit bestimmten Leuten und wenn andere mich anschreiben, wenn ich bei Facebook online bin, dann mach ich das Fenster einfach zu. Da bin ich schmerzfrei. Aber das hat trotzdem genervt. Ich hab mich dann immer als offline anzeigen lassen, aber trotzdem hat es mich irgendwie dann noch gestört bei Facebook. Man kriegt da einfach zu viel mit von den Anderen. (2) Jetzt chatten meine Freundin und ich auch lieber bei Skype, damit wir unter uns bleiben können und uns keiner stört.“

Die Aussage der Studierenden, „Da bin ich schmerzfrei“, zeigt, dass sie schon davon ausgeht, evtl. jemanden vor den Kopf zu stoßen, wenn sie auf Chatanfragen nicht eingeht. Es zeigt sich hier auch, dass ungewünschte Chatanfragen „nerven“ können, d.h., dass sie die intendierte Raumkonstitution – hier mit der Freundin – irritieren und stören können. Letztlich schien die Störung so groß zu sein, dass auf einen anderen Mittler der virtuellen Raumkonstitution ausgewichen wurde und Skype als Mittler der Konstitution eines virtuellen Privatchatrooms herangezogen wurde. Zurück zu David Kadels Arbeitsnetzwerk. Die Mächtigkeit des Laptops im Starbucks ist anhand einer weiteren Beobachtung zu rekonstruieren: Der Laptop zeigt in seiner Materialität anderen physisch Kopräsenten, arbeitenden und nicht arbeitenden Personen an, dass David Kadel arbeitet. Dies tut der Laptop freilich nicht alleine, sondern indem er David Kadel spezifische Performances als arbeitend erst ermöglicht und anbietet, so z.B. die Möglichkeit, konzentriert, z.B. angestrengt und mit zusammengekniffenen Augen ohne

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Unterlass oder für längere Zeit auf den Bildschirm des Laptops zu starren oder/und auf seiner Tastatur zu tippen, was auf Anhieb als ,doing being busy‘-Praktik erkennbar wird. Außerdem ist der Laptop in einer gewissen Weise mächtiger als David Kadel selbst bzw. sein im Starbucks platzierter Körper. Darauf macht ein Gedankenexperiment aufmerksam, in dem die Frage gestellt wird, ob eher David Kadels Körper ohne Laptop oder der Laptop ohne David Kadels Körper dafür Sorge trägt, den Tisch, auf dem der Laptop platziert ist, als besetzten Arbeitsplatz anzuzeigen. Wenn David Kadel ohne Laptop an einem Tisch sitzt, benötigt er als Alternative zum Laptop andere Objekte (wie z.B. Unterlagen, Stifte, einen Block oder Sonstiges16), mit denen eine Performance von sich selbst als arbeitend ermöglicht wird; sonst wird er nicht als Arbeitender erkannt. Diese Objekte bieten David Kadels Körper und seinem Selbst jedoch nicht dieselben Möglichkeiten für Performances des Arbeitens an wie der Laptop. Sie indizieren damit auch nicht dieselben Potentiale für Subjektivierungen und Selbstinszenierungen; so bietet der Laptop Anknüpfungspunkt für Performances, die es David Kadel ermöglichen, vor anderen Wissenden als ,digitaler Nomade‘ entziffert zu werden, was ohne Laptop unmöglich wäre oder besonderer Anstrengungen bedürfte. Der Laptop unterscheidet sich damit qualitativ von anderen Materialitäten, die in Anwesenheit 16 | Solche Objekte werden nicht immer zu Partizipanden seines Arbeitsnetzwerkes. Sie können als ,to-do-list‘ verstanden werden, indem sie in ihrer Anwesenheit in David Kadels Arbeitsraum im Starbucks darauf verweisen, was heute getan werden muss. Sie bieten jeweils verschiedene Handlungsprogramme an: Mit den Visitenkarten tut David Kadel etwas anderes bzw. sie mit ihm als Briefpapier. Die genannten Objekte dienen der Arbeitsraumkonstitution und zeichnen sich – wie auch David Kadels Laptop – dadurch aus, dass sie von ihm mitgenommen werden müssen: sie befinden sich nicht im Containerraum, sondern werden gezielt zur Ausführung einer bestimmten Tätigkeit mitgenommen. Sie sind einerseits mobil und andererseits nicht immer nötig, also auch viel weniger mächtig als der Laptop.

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im Containerraum an David Kadels Platz Arbeits-Performances ermöglichen können. Auch wenn der Laptop ohne David Kadels Körper davor zugeklappt auf einem Tisch im Starbucks steht, wirkt er als Arbeitsplatz anzeigender Akteur17. Der Laptop könnte auch als Quasi-Objekt bezeichnet werden, da er ebenso wie David Kadel, der nach einer bestimmten Arbeitszeit etwas zu essen und zu trinken benötigt, Bedürfnisse hat. Beide sind nicht arbeitsfähig, wenn ihre jeweiligen Bedürfnisse nicht gestillt werden. Vor allem aber sind beide nicht ohne den jeweils Anderen arbeitsfähig, so dass es schier ununterscheidbar wird, wer hier eigentlich arbeitet und wer eigentlich der mächtigere Akteur im Arbeitsnetzwerk ist: David Kadel oder der Laptop? Der ,Hybrid‘-Kadel-Laptop ist der mächtigste Akteur, ohne den ,gar nichts geht‘. David Kadel ist es meist, der die anderen Netzwerkpartizipanden einbindet und damit zum Handeln bringt. Praktiken des synchronen, zeitgleichen Zusammenhandelns von Kadel-Laptop sind es, die Anderen und David Kadel selbst anzeigen, dass hier und jetzt (digital) gearbeitet wird. Der Laptop bedarf keines Sonnenlichts, um zu arbeiten, und David Kadel benötigt andere (physisch kopräsente oder im Chat verfügbare) ,Coworker‘, um zu arbeiten. Hierdurch kann eine von dem Kreativarbeiter zu lösende Aufgabe entstehen: Wenn eine bestimmte Jahreszeit (Sommer) mit einem bestimmten Wetter (Sonne und Sonnenstrahlen) und einer bestimmten Uhrzeit einhergeht, halten sich die meisten Starbucks-BesucherInnen auf den auf der Straße stehenden Stühlen auf. Obwohl David Kadel andere Körper um sich herum benötigt, um arbeiten zu können, verbietet es ihm aber sein Laptop, es den Anderen gleich zu tun und sich an die Tische draußen zu setzen. Was tut er? Er folgt den Bedürfnissen des Laptops und sucht sich eine Alternative zur eigenen Bedürfnisstillung. Es zeigt sich in dieser Situation, dass der Laptop stärker ist als David Kadel, 17 | Es sollte hier nicht angenommen werden, dass der Laptop alleine arbeiten bzw. einen Arbeitsplatz anzeigen kann, da der Laptop auch anders genutzt werden kann. Es sind immer der Laptop und eine spezifische Praktik, die anzeigen, dass gearbeitet oder etwas anderes getan wird.

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wenn es um die Frage geht, wo sich beide platzieren. Das Netzwerk, das sich vom Laptop zu Strom und Steckdose zur Tages-, Uhr- und Jahreszeit knüpft, wird vornehmlich durch den Akteur Laptop hergestellt. David Kadel, der in Abhängigkeit vom Laptop agiert, nutzt diesen sowie das Internet und Facebook in Situationen körperlicher Einsamkeit im Container-Raum als Mittler und mobilisiert damit einen neuen Akteur, um seine Arbeit fortsetzen zu können. Eine weitere Netzwerkverbindung sollte berücksichtigt werden. Sie liegt in der Bedingung der Möglichkeit begraben, dass David Kadel überhaupt dazu in der Lage ist, über den materiellen Mittler Laptop sowie die immateriellen Mittler Internet und Facebook einen virtuellen Coworking-Raum zu erschließen: Das W-LAN, das am Ort bzw. im Containerraum Starbucks gegeben ist, ist ein weiterer bedeutsamer Partizipand des Arbeitsnetzwerkes. Ohne W-LAN könnte dieser Ort kein Arbeitsort für David Kadel sein. Es wirkt demnach gemeinsam mit dem Laptop mächtig auf die Wahl des Arbeitsortes ein, die auf den ersten Blick alleine durch David Kadel getroffen wird. Die Netzwerkperspektive verdeutlicht, dass nicht (nur) David Kadel den Ort wählt, sondern der Ort in seinen Möglichkeiten (WLAN) den Laptop wählt, der den Mittler für das Internet darstellt, das wiederum unerlässlich für das digitale Arbeiten David Kadels ist. So dient es nicht nur dazu, virtuelle Coworker zu erschließen, sondern das Internet ist auch in die Selbsttechnik des Arbeitens eingebunden. Den Arbeitsablauf klar strukturierend, beginnt David Kadels arbeitendes Selbst damit, E-Mails zu checken und zu beantworten, Arbeitsdokumente bzw. Aufträge zu empfangen und zu versenden und auch schriftlichen, privaten Kontakt zu Freunden zu gewährleisten. Auch nutzt David Kadel das Internet gelegentlich, um für seine Arbeit zu recherchieren. Der Laptop agiert als Akteur, als Mittler, als materielles Objekt, als digitales Artefakt und, wie bereits in Kapitel 2.4 verdeutlicht, als Distinktionsmittel. Eine Verbindung zwischen dem Laptop, dem Mittler Steckdose/ Strom und den Unterlagen, die nicht immer vorhanden sind, ist zur weiteren Erschließung des Netzwerkes zu beschreiben: Ein zentrales Objekt, das im Containerraum Starbucks bereits von David Kadel

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vorgefunden wird und von dauerhafter Bedeutung für seinen Körper ist, solange dieser sich im Containerraum aufhält, sind mindestens je ein Stuhl und ein Tisch. Wie David Kadel verdeutlicht, trägt er gelegentlich mit Coworkern eine Praktik, die eher als untypisch für die Nutzung des Starbucks erachtet werden kann (vgl. Z. 48 f.). David Kadel bezeichnet sie selbst als ,ausbreiten‘, wie bereits in Kapitel 3.1.5 thematisiert wurde (vgl. Z. 171). David Kadel weiß also, wie er mit den sich im Containerraum befindlichen Objekten, mit Tischen und Stühlen, umgehen kann: Wenn nötig, verändert er ihre ursprüngliche Position im Raum so, dass er sie ideal als Arbeitsunterlage nutzen kann, denn das ist es, was sie ihm anbieten: Flächen zur Platzierung der Arbeitsmaterialien inklusive seines Körpers. Die Bedeutsamkeit von Tisch und Stuhl in David Kadels Arbeitsnetzwerk sollte nicht unterschätzt werden: ohne sie hätte er an verschiedenen Stellen der Konstitution seines Arbeitsraumes ein Problem. Auch wirkt ihre Anwesenheit – ähnlich wie W-LAN und Steckdose/ Strom – maßgeblich auf die Ortswahl ein. David Kadel evaluiert die Praktik des Ausbreitens über die Tische für seinen Arbeitsablauf folgendermaßen: „is schon fast ’n Ritual, also es is tatsächlich so“ (Z. 156). Ohne die Anwesenheit von Tischen und Stühlen im Starbucks-Containerraum wäre auch David Kadels relativ routiniert ablaufende Arbeitsraumkonstitution gestört, da das Platzieren von mitgebrachten Arbeitsmaterialitäten auf dem Tisch und seinem Körper auf einem Stuhl die Arbeitsraumkonstitution einleitende, in stetiger ritualisierter Wiederholung ausgeführte Praktik ermöglicht. Als mitgebrachte Arbeitsmaterialitäten können gelten: Essen, Trinken, Laptop, Handy, Kopfhörer, Unterlagen etc. Sie sind als regelmäßig anwesende Objekte seines Arbeitsnetzwerkes zu begreifen, die alle nach einem Tisch rufen, während David Kadels Körper eine Sitzgelegenheit benötigt. Wie bereits erwähnt wurde, dienen all diese Objekte auch der Praktik des sich selbst und Anderen Anzeigens, dass hier gearbeitet wird und diese örtliche ,Hier und jetzt‘-Platzierung, die im Containerraum für kopräsente Andere sichtbar (und meist hörbar) ist, wird durch bereit stehende Tische und Stühle ermöglicht. So zeigen die auf dem Tisch platzierten Objekte, die zu Partizipanden der

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Arbeitsraumkonstitution und zur Prozessierung des Arbeitens und damit auch der Aufrechterhaltung des Arbeitsraumes werden und ihnen dienen, die Existenz eines Arbeitsplatzes an, der jeden Tag an einem anderen Tisch sein kann. Ein weiterer wichtiger Partizipand des Arbeitsnetzwerkes, der allerdings kaum Verbindungen mit anderen Partizipanden eingeht, ist das Handy. Auch dieses ist ein Objekt, das sich in persönlichem Besitz von David Kadel befindet und von diesem mitgebracht wird, um der Arbeitsraumkonstitution und der Ermöglichung der Arbeit zu dienen. So sorgt es für ,Büro-Atmosphäre‘ und wirkt gemeinsam mit dem Laptop auf dem Tisch zur Konstituierung des Arbeitsraumes, den David Kadel ,sein Büro‘ nennt. Wenn David Kadel das Ritual des Einrichtens seines Arbeitsplatzes beschreibt, alle Partizipanden nennt, die mobilisiert werden müssen, damit „des Ding“ (Z. 169) abheben kann, dann zählt er als erstes sein Handy auf, wenn er sich selbst die Frage beantwortet: „Was brauch ich jetz zum arbeiten.“ (Z. 156 f.) Die Bedeutsamkeit des Partizipanden Handy im Arbeitsnetzwerk nennt David Kadel selbst: Es ermöglicht ihm, „jederzeit erreichbar“ (ebd.) zu sein. Zur Erläuterung sagt er: „is dein Büro, ja?“ (Z. 157). Auch an anderer Stelle betont David Kadel, dass der Starbucks sein Büro ist (vgl. Z. 88 ff.). Nur wenige technische Artefakte (wie Fax und Kopiergerät) fehlen David Kadels Aussage nach im Containerraum Starbucks, um „tatsächlich ’n Büro“ zu sein, um auch von Anderen als solches entziffert zu werden. Aber auch ohne Fax und Kopiergerät ist es David Kadel, eingebunden in sein Arbeitsnetzwerk, möglich, seinen Arbeitsraum und damit sein Büro selbst herzustellen. Neben weiteren materiellen Partizipanden seines Arbeitsnetzwerkes sind jedoch noch weitere zentrale Beteiligte am Arbeitsprozess zu nennen, die trotz ihrer Unsichtbarkeit mithilfe des Interviews erschlossen wurden. Auch zur Arbeitsraumkonstitution benötigt David Kadel noch mehr als die bisher beschriebenen Entitäten. Die im Folgenden beschriebenen Netzwerkverbindungen gründen in erster Linie darauf, dass er sein Selbst zum Arbeiten animieren muss und das kreative Selbst erst mithilfe von Anstrengungen

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komplexer Praktiken der Arbeitsraumkonstitution erscheinen kann. Zugleich wirkt David Kadels Anspruch handlungsleitend, dass sich sein (arbeitendes) Selbst auch wohlfühlen muss, während gearbeitet wird (vgl. Z. 180 ff.). Er zeigt sich hier als Vertreter einer neuen Arbeitskultur, die Arbeit nicht mehr als Pflichterfüllung, sondern vielmehr als selbst gewählte, autonome und entgrenzte Arbeit, als Mittel der Sinnfindung (des kreativ arbeitenden Selbst?) betrachtet. Diese affektiv aufgeladene Lebensstilkultur spielt sich zwischen einer Fremdorientierung und einer „Selbst- und Innenorientierung des Erlebens“ (Reckwitz 2006, S. 557) ab und oszilliert zwischen beiden. Pollmann et al. schreiben in einem Online-Magazin zum Thema ,selbstbestimmte Arbeit‘ ähnlich David Kadels Aussage: „Eine Tätigkeit, die Sinn macht, persönlich und gesellschaftlich; in der man sich nicht nur wiederfindet, sondern auch entwickelt. Arbeitsergebnisse, mit denen man sich sehen lassen kann und will.“ (Pollmann/Wollenberg/Huster/Siller o. J., o. S.). Doch gehört David Kadel außerdem einer Gruppe an, die nicht nur die Arbeitsergebnisse, sondern auch den Prozess des Arbeitens selbst und sich selbst bezüglich des Arbeitsprozesses als experimentierfreudig zur Schau stellt; dabei wird das Exponieren aber auch selbst gebraucht, um überhaupt arbeiten zu können. Es handelt sich hier „um die Form eines sich stilisierenden Subjekts, das sich seiner sozialen Umwelt als Ausdruck einer individuellen, das heißt gegenüber anderen differenten Expressivität präsentiert“ (Reckwitz 2006, S. 556). Das sich selbst kreierende, genussfähige Subjekt findet „zugleich in der Besonderheit seines Stils soziale Anerkennung“ (Reckwitz 2006, S. 593); hier seines Arbeitsstils. Zugleich wurde bereits herausgestellt, dass dies nicht alles ist: Digital an öffentlichen Orten zu arbeiten, erfüllt weitaus mehr Zwecke als den des zur ,Schau Stellens‘ und der hieraus sich ergebenden Anerkennung des Individuums als Kreativsubjekts. So wird der Arbeitsstil zum Lebensstil oder umgekehrt: ein spezifischer Lebensstil benötigt einen speziellen Arbeitsstil. Dass es sich bei der Diskussion um Arbeit als Sinnquelle bzw. selbständigem Arbeiten um eine ideologische Unterlegung eines Freelancer-Da- und So-Seins

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handelt, repräsentiert der weit gestreute Diskurs um die „digitale Bohème“. Die Soziologin Manske notiert zu dem Buch von Friebe/ Lobo „Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème. Leben jenseits der Festanstellung“, dass es der „selbst ernannten ,Digitalen Bohème‘“ als ein „Selbstportrait“ bzw. „,Manifest‘“ diene. Und weiter: „Doch verkünden die Autoren nicht einfach das Motto ,Wir arbeiten gerne!‘. Als selbst erklärte ,linke Neoliberale‘ wissen sie, was für sich und andere gut ist. So identifizieren sie erstens Probleme (das System Festanstellung in seiner gegenwärtigen Form), definieren zweitens Aufgaben (den Schritt aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit hinein in ein intelligentes Leben), bieten drittens ein Lösungsmodell an (ein Leben als „Digitale Bohème“), um viertens zu zeigen, welcher Preis winkt: ,We make Money not Art‘.“ (Manske o. J.).

Die Selbstreflexivität der Arbeitsform, der eigenen Arbeitsweise und ihrer politischen Relevanz sind zwar Kennzeichen der sich selbst als digitale Bohème begreifenden Gruppe. Allerdings attestiert Manske dieser auch, dass sie „auf Diskursebene eine Verschleierung von Herrschaftsprozessen“ (Manske o. J.; o. S.) betreibe und uns zeige, „wie eine kreative Kultur der Handlungsmacht in Zeiten der Unsicherheit aussieht und aus welchen Quellen sie schöpfen kann“ (ebd.). Aus welchen Quellen kreativ Arbeitende schöpfen können, um ihre häufig als prekär bezeichneten Arbeitsverhältnisse positiv zu deuten und mithilfe welcher kreativer Praktiken ein solches Selbstmanagement ermöglicht wird, wird im Folgenden verdeutlicht. Doch vorerst betrachten wir noch wenige Zitate von David Kadel zu diesem Thema, welches er selbst in das Interview einführte: „seit 12 Jahren arbeite ich jetzt so, es gibt nichts Schöneres, man ist vogelfrei, kannst machen was de willst und ich muss echt sagen, ich würd’s nie wieder tauschen [...] ein eigener Chef sein hat schon ’ne Menge Vorteile. Ich war ja früher auch Angestellter, aber je älter man wird, desto mehr sacht man sich auch, des hab ich auch nich nötig, dass ich diesen Penner da jeden Tag da meine Konzepte da durchstreichen lasse, nur weil

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er ’n Spießer is und keine Ahnung von Kreativität hat oder ’nen Stock im Arsch – Tschuldigung, ich sach es so ich hab das jahrelang erlebt.“

David Kadel, der hier seine Arbeitsform als eine für ihn wünschenswerte Subjektform und den einzig akzeptablen formalen Arbeitszusammenhang verdeutlicht, reiht sich in einen größeren diskursiven Zusammenhang ein, der nicht nur im Feld selbst (v.a. erschließbar über Internetforen, Homepages oder Online-Magazine) hervorgebracht wird, sondern auch in der Soziologie unter dem Stichwort des Arbeitskraftunternehmers beschrieben wurde (vgl. Bröckling 2007). Manske notiert: „Die Figur des Unternehmers seiner Selbst trägt zur Legitimierung des neuen Geistes des Kapitalismus bei, indem dieser sich und andere von seinen Vorteilen zu überzeugen sucht und sich normativ-subjektiv auf der Gewinnerseite aktueller Umbrüche verortet.“

Damit macht sie einerseits darauf aufmerksam, was auch im Rahmen dieser Untersuchung bei allen beobachteten und interviewten Akteuren im Feld rekonstruiert wurde: Dass es sich bei der digitalkreativen Arbeit als Freelancer um eine wünschenswerte und innerhalb der Logik der Szene prestigeträchtige Subjektform handelt, die sich meist als technologische, räumliche Vorreiterin einer neuen Bedeutsamkeit von Arbeit inszeniert. Worauf David Kadel aufmerksam macht, ist, dass hierzu auch gehört, seine Arbeit und sich selbst bei der Arbeit zu mögen. Diese Subjektform konstituiert und rekonstituiert sich demnach in der Prozessierung des Arbeitens und in der Arbeitsraumkonstitution an öffentlichen Orten selbst, bedarf aber aufwändiger Praktiken und Strategien der Selbstzuwendung und funktioniert, im O-Ton David Kadels, nur, „wenn halt die richtigen Dinge stimmen“. Auch dann erst wird kreatives Arbeiten möglich.

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3.2.1 Affektivität Dass die ,richtigen Dinge richtig handeln müssen‘, wurde bereits in Bezug auf einige Objekte verdeutlicht. Im Folgenden betrachten wir jene Objekte, die David Kadel in Selbstzuwendung in die Lage versetzen, eine Haltung, einen inneren Zustand zu finden, in dem er kreativ tätig werden kann. Dabei spielen Musik und Kopfhörer eine bedeutsame Rolle, die David Kadel bei der Beschreibung eines typischen Arbeitstages als bedeutsame nennt: „So ähm Musik. Weil des was da läuft im Starbucks heute, geht ja gar nich. (.) Eigene Musik. Kopfhörer [...]“ (Z. 158 f.). Bei David Kadel gibt es „eigene“ und „richtige“ bzw. falsche Musik, die als Bespielung des Starbucks-Containerraums und der Umsetzung seines Vorhabens, dort zu arbeiten, ,gar nich‘ (vgl. Z. 159) geht. Das Erleben dessen, was ,passende‘ Musik ist, divergiert situativ und dient verschiedener Funktionen, die von großer Bedeutung für die Arbeitsraumkonstitution sind, indem sie in enger Verbindung mit Gefühlen und Atmosphären stehen. Musik kann in einem Netzwerk aus einer Kerze, Tee, etwas zu essen und einem besonderen Licht auch dazu führen, dass David Kadel sich in einen Zustand versetzen kann, in dem er auch von zu Hause aus arbeiten kann: „und dann mach ich mir ’ne Kerze an, die richtige Musik, läuft ’n bisschen Billy Joel, da kann ich (.) sehr gut von zu Hause aus arbeiten. Also was zu essen, bisschen Tee, bisschen Wohlfühllicht“. Es ist nicht irgendeine Musik, die hier thematisiert wird, sondern ein spezifischer Sänger, Billy Joel, der von David Kadel dann zum Singen gebracht wird, wenn er kreativ arbeiten muss. Offenbar funktioniert die Wirkung des singenden Joels nur mithilfe weiterer Partizipanden, die sich je nach Ort unterscheiden: Während David Kadel im Starbucks keine Kerze anzünden muss, um arbeiten zu können, ist dies für die Konstituierung des Arbeitsraumes – gemeinsam mit dem Gesang Billy Joels – zu Hause unerlässlich. Doch noch einmal taucht Billy Joel auf: David Kadel vergleicht ihn mit dem Chatten auf Facebook, das im Starbucks in die Wege geleitet wird, wenn keine physisch kopräsenten Coworker verfügbar sind: „Des is dann quasi Billy Joel in dem in dem in der kleinen Welt. Also irgend-

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was, das mir gut tut, dass du so ’n bisschen Leben gespürt hast, nich nur Papier gespürt hast. Mhm“. Die Frage, wie nun Billy Joel mit einer Kerze und Tee zusammenhängt und was die Praktik des Chattens im Starbucks mit Billy Joel zu Hause gemeinsam haben, lässt sich mithilfe einer Betrachtung von David Kadels Arbeitsnetzwerkes beschreiben und erklären: David Kadel benötigt je nach Ort verschiedene Entitäten, mit deren Hilfe er gemeinsam seinen Arbeitsraum konstituiert. Billy Joel fungiert offenbar als Mittler, der zu Hause in einem Netzwerk aus Tee, Kerze und Essen eine Saite in David Kadel anschlägt, die ihn in ein subjektives Wohlbefinden versetzt. Er beschreibt dies als „wohlfühlen“ und es handelt sich bei diesem Zustand um jenen, den er als oberstes Ziel und Voraussetzung zur Arbeitsraumkonstitution an verschiedenen Orten mithilfe der Zusammenarbeit verschiedener Partzipanden herstellen muss. Wir sind damit am inneren Kern des Netzwerkes angekommen: David Kadels Emotionen werden im Schaubild als weiterer Partizipand des Netzwerkes dargestellt. David Kadel weiß nie vorher, wie es ihm geht, zugleich ist aber gerade dies von besonderer Bedeutung, da er je situativ neue weitere Akteure mobilisieren muss, die den stets auf andere Weise herzustellenden Zustand des Wohlfühlens mit betreiben können. Dieser ist sowohl für die Arbeitsraumkonstitution als auch für die Prozessierung der Arbeit zentral. Egal von welchem Arbeitsort David Kadel erzählt, überall taucht die Bedeutsamkeit der Herstellung des Zustandes „wohlfühlen“ auf: „dieser Wohlfühlcharakter ist ganz äh entscheidend, diese Komponente. Menschen (.) äh Tageslicht, Tageszeit, z.B. gibt’s es gibt ja so ’ne Zeit, z.B. es gibt ja so Tage im Winter [...] eigentlich, da war’s nachmittags um 2 Uhr schon dunkel und du denkst ey, what’s going on so? Also ich brauch irgendwie Licht, sonst schlaf ich noch ein! Also es sind so Komponenten zum Wohlfühlen und wenn das alles so stimmt, ne? man is da so ’n bisschen (.) fast schon Autist (lacht) und dann dann legste los.“

In Bezug auf das Lumen sagt er in Abgrenzung zum Starbucks, wo für ihn ein Wohlfühlen mithilfe seines Arbeitsnetzwerkes prinzipiell

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möglich ist: „so im Lumen is halt so, dass du weißt, die wollen halt, dass du äh irgendwann auch wieder gehst und dann is des nich so ’ne Wohlfühlgeschichte, find ich“ (Z. 99-101). Am Heimarbeitsplatz wird eine Arbeitsraumkonstitution mithilfe von „Wohlfühllicht“ ermöglicht: „Musik, läuft ’n bisschen Billy Joel, da kann ich (.) sehr gut von zu Hause aus arbeiten. Also was zu essen, bisschen Tee, bisschen Wohlfühllicht ja, wie bei euch, ne, ja des is es eigentlich schon. Im Starbucks des is mein Wohlfühlding dann wenn ich denk des is oh so ’n Schmuddelwetter und irgendwie hab ich nich so ’n guten Tag und es sind eigentlich keine Leute da, also des passiert auch schon, dass du dann da allein sitzt und es is fast wie zu Hause“

Die Praktik des Chattens bei Facebook und die Erschließung digitaler Coworker benennt er im Folgenden als sein „Wohlfühl-Ding“. Wenn David Kadel dann neuerlich vom Starbucks erzählt, generalisiert er die Bedeutsamkeit der Gefühle und bezieht sie auf die kreative Tätigkeit, die erst durch die Herstellung eines Wohlfühl-Zustandes ermöglicht wird: „Sonne is auch inspirierend im wahrsten Sinne des Wortes ja? Entfachen, inspiral. und im Starbucks kommt dann die Sonne in die Ecke, also es is wirklich so (.) nach Gefühl ganz oft. Wo hast du des beste Gefühl, was dich zum Arbeiten animiert? [...] ich sprech jetz da für für die ganze Branche, die in kreativen Berufen arbeitet. [...] Aber ich such ja immer nach was IN mir, was so raus kommen soll auf Papier oder wo auch immer und ähm (.) da is dieses (.) dieser Wohlfühlcharakter ganz äh entscheidend.“

Einerseits wird demnach deutlich, dass Gefühle etwas Vorgängiges sind: Manchmal hat David Kadel „nich so ’n guten Tag“. Darauf muss reagiert, Partizipanden müssen mobilisiert werden. Doch auch wenn er keinen schlechten Tag hat, muss in besonderer Weise mit der Gefühlswelt verfahren werden. Auch dann müssen spezifische Gefühle erst gezielt hergestellt werden, die David Kadel als „wohl-

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fühlen“ beschreibt, die wiederum die Voraussetzung dafür darstellen, seinen Arbeitsraum zu konstituieren. Die von Tag zu Tag variierenden und in ihrem Auftreten relativ unkontrollierbaren Gefühle müssen als Partizipand des Netzwerkes betrachtet werden, da ein virtuoser Umgang mithilfe der Aktivierung weiterer Partizipanden zentral ist. Dem Arbeiten dienlichen Gefühlen des Wohlbefindens wird mit Musik, einer spezifischen Ortswahl, Menschen und Kopfhörern begegnet. Der Gefühlszustand bestimmt auch die Wahl der Musik, denn was heute die richtige Musik ist, kann morgen schon die falsche sein; wobei Billy Joel mithilfe weiterer Partizipanden für David Kadel eine relativ beständige Übersetzungsaufgabe der bestehenden Gefühle in ,Wohlfühlen, das dem Arbeiten dienlich ist und die Voraussetzung für die Arbeitsraumkonstitution darstellt‘, zu leisten scheint. Musik wiederum dient der Inspiration, die die kreative Tätigkeit erst ermöglicht und sorgt zudem für eine spezifische Atmosphäre, in der Wohlfühlen möglich ist. Welche Subjektform zeigt sich hier in David Kadels Praktiken der Ortswahl, die mit Praktiken der Arbeitsraumkonstitution und der Bedeutsamkeit von Affektivität eng verbunden sind? Das Kreativsubjekt strebt „nach Entfaltung seines Begehrens nach libidinösen Momenten und Zuständen (und) hantiert [das Subjekt] mit kontingenten Bedeutungen von Gegenständen“ (Reckwitz 2006, S. 593). Dies wird auch getan, indem Objekte ins Café teils mitgenommen werden, teils da sind, andere Partizipanden aber erst produziert werden müssen und je situativ neu reagiert werden muss: Es werden jeweils neue Bedeutungen generiert, Objekten eingeschrieben, diese aber auch wieder neu (und anders) ins Spiel gebracht, wie bereits anhand der äquivalenten Funktion von ,Facebook-Chats‘ und ,Billy Joel‘ an verschiedenen Arbeitsorten gezeigt wurde. Die beschriebenen Arbeitspraktiken des spätmodernen Kreativsubjekts gewinnen in der Selbsthermeneutik „ihren Sinn dadurch, dass sie sich in den Zirkel von Begehren/Spiel mit Repräsentationen/ästhetisches Erleben einfügen“ (ebd.). Das Kreativitätsdispositiv ist hier am Werke, denn die sozialen Praktiken und Diskurse erlegen dem Kreativsubjekt auf, „sich als solches im weiteren Sinne ästhetisches zu formen, ein Modell, dem im Gegen-

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zug das passionate attachment des Subjekts gilt“ (ebd., Hervorh. i. Orig.). Das durch das Dispositiv angeregte Kreativsubjekt vollzieht mit seinen Affekten und ästhetisierten Orten einen zirkulären Prozess, in dem sowohl das affektive Kreativsubjekt als auch ästhetisierte Orte reproduziert und aktualisiert werden: 1. Affekte bestimmten die Ortswahl mit. 2. Orte und Affekte bestimmen, welche Partizipanden mobilisiert werden müssen. 3. Orte beeinflussen situativ die Affekte (zurück zu 1.). Ähnlich der vorliegenden Analyse untersuchten Gomart/Hennion, „the tactics and techniques which make possible the emergence of a subject as it enters a ‘dispositif’.“ (Gomart/Hennion 1999, S. 220) und betrachteten dort nicht nur das Subjekt als durch Objekte, Techniken usw. erst hervorgebracht, sondern untersuchten unter anderem, wie „by the activity of drugs or the pull of music [...] human activity is made ‘possible’, ‘potentialized’, ‘conditioned’ (Gomart/ Hennion 1999, S. 227). Sie definieren ,passion‘ als „abandonment of forces to objects and the suspension of the self“ (ebd., Hervorh. i. Orig.). Das Arbeiten des Kreativsubjektes, das in seinen Bemühungen der Raumkonstitutionen und Hermeneutiken des Selbst sowie durch Einbezugnahme verschiedener Partizipanden erst emergiert, folgt sich verändernden Begehrensstrukturen und produziert ein komplexes Arbeitsnetzwerk. Mithilfe dessen wird versucht, den Idealzustand des ,flows‘18 zu erreichen. Dieser beinhaltet eine vollständige Hingabe des Subjekts an die etablierte Raumkonstruktion, an die 18 | Vgl. hierzu Csikszentmihalyi 1992 oder Goffman, der unter dem Begriff der „Geistesabwesenheit“ ein „Zeichen für Entfernung von allen öffentlichen konkreten Angelegenheiten innerhalb der Situation.“ (Goffman 1971, S. 74) versteht, entlarvte dieses als unhöflich. Wenn jedoch ein Flowzustand bzw. eine Geistesabwesenheit einer Person, die am Laptop arbeitet, nach außen angezeigt wird, wäre es hingegen unhöflich, sie in diesem in der Szene erwünschten Zustand zu stören.

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existierenden Objekte wie vornehmlich den Laptop. Das Kreativsubjekt, das durch vielfältige Praktiken hervorgebracht wird, trägt die Kreativarbeit und verschwindet im Idealzustand des Kreativarbeitens, da es sich voll und ganz seiner kreativen Tätigkeit hingibt. Indem dieser Zustand aber von außen von anderen digitalen Nomaden oder Szenevertrauten als solcher in seiner hohen Wertigkeit entziffert werden kann, wird es gleichzeitig in genau diesem Moment zum (erfolgreich tätigen) Kreativsubjekt durch Zuschreibungen Anderer. Über diesen Umweg bringt der Ort das Kreativsubjekt hervor, während dieses zwischen Innenschau und ,Außenorientierung‘ sowie dem Aufgehen (und somit kognitivem Verschwinden) im kreativen Arbeitszustand oszilliert. Betrachten wir weiter das Netzwerk: Kopfhörer und Musik hängen im Starbucks eng zusammen. Die Kopfhörer dienen der Ermöglichung der Einleitung der Arbeitsraumkonstitution, da David Kadel sie als Bestandteil der Instrumentarien seines Cockpits beschreibt. Die Kopfhörer auf seinem Kopf dienen seiner Abkopplung vom Containerraum und der Konstitution des Arbeitsraumes in zentraler Weise weil er in Fällen, in denen die Musik im Starbucks ,gar nicht geht‘ erst durch sie und ihre Arbeit in die Lage versetzt wird, sich mithilfe der auditiven Wahrnehmung der über die Kopfhörer in seine Ohren transferierten Musik, seiner Arbeitsraumkonstitution zu widmen. Weiterhin nutzt er die Kopfhörer in Verbindung mit dem Wissen physisch kopräsenter bekannter Anderer, um seine eigene Abwesenheit im Café-Containerraum trotz physischer Anwesenheit anzuzeigen, so dass er von ihnen in seinem Arbeitsprozess nicht gestört wird. Diese Praktik bezieht gleichermaßen auch eine visuelle Fixierung des Laptopbildschirms und meist kontinuierliches Tippen auf der Tastatur mit ein. Die Kopfhörer in David Kadels Ohren und seine auditive Abkopplung vom Starbucks als Caféraum machen seinen Arbeitsraum sichtbar, oder wie Sabrina Hofmann beschrieb: „Wenn ich David Kadel im Café treffe, ist es echt manchmal so, dass ich ihm nicht mal ,hallo‘ sagen kann. Er ist dann einfach unansprechbar mit seinen Kopfhörern und seinem Kopf, den er über den Laptop beugt.“

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David Kadel kann sich mithilfe des Laptops und der Kopfhörer sowie der von Sabrina Hofmann beschriebenen Praktik in die Lage versetzen, sich legitim – ohne gegen soziale Höflichkeitsnormen zu verstoßen – unansprechbar zu machen. Sabrina Hofmann betonte, dass sie es nicht als unhöflich empfindet, wenn er so mit ihr umgehe, sondern es vielmehr einen gewissen unausgesprochenen Konsens darüber gebe, dass jemand nicht zu stören sei, wenn er sich so offensichtlich in einem ,Flow‘ befände. Die Praktik, durch die das Anzeigen von Abwesenheit trotz physischer Anwesenheit erzeugt wird, wird deshalb von Sabrina Hofmann nicht auf ihre eigene Person bezogen, weil beide über das geteilte Wissen verfügen, dass die Herstellung von ,Flowzuständen‘ im Arbeitsprozess ein hohes Gut darstellt, das nicht gemindert werden darf. David Kadel ist so wenig da, dass er nicht angesprochen werden kann. Er ist hier in seinem Arbeitsraum präsent, für die BesucherInnen des Caféraumes zwar physisch sichtbar, jedoch nicht anwesend. Ähnlich wie durch das Anzeigen eines ,Flowzustandes‘ wird mit dieser Strategie, die gezielt eingeleitet wird, eine physische Anwesenheit mithilfe spezifischer Technologien als abwesend angezeigt. Bemerkenswert ist, dass diese von Mitwissenden, kompetenten digitalen Nomaden nicht als unhöflich aufgefasst wird. Des Weiteren dienen die Kopfhörer jedoch auch der Ausführung einer Praktik, die quasi eine umgekehrte Funktion verfolgt und eben nicht auf sich selbst gerichtet ist: Die Kopfhörer ermöglichen ebenfalls, die anderen physisch Kopräsenten nicht zu stören (vgl. Z. 165 f.). David Kadel verwendet die Kopfhörer auch, um zu telefonieren, was ihm in seinem Arbeitsraum, der im Containerraum Starbucks lokalisiert ist, als adäquate Praktik erscheint. Da er jedoch auch weiß bzw. implizit antizipiert, dass die anderen Anwesenden entweder in ihren eigenen Arbeitsräumen arbeiten oder sich in einem Caféraum befinden, in dem sie nicht von David Kadels geschäftlichen Gesprächen gestört werden möchten, macht er mithilfe der Tätigkeit der Kopfhörer, die ihm ein besseres Hören seines Telefonpartners und leiseres Sprechen im Starbucks ermöglicht, seine

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Telefonpraktik dem Starbucks als Caféraum und als Beherbergender weiterer Arbeitsräume adäquat. Weiterhin dienen die Kopfhörer dem Anzeigen, dass hier in geplanter Weise und wahrscheinlich häufiger und/oder länger (geschäftlich und nicht privat) telefoniert wird. Auf diese Weise inszeniert sich David Kadel als ,im Starbucks arbeitend‘ und verdeutlicht durch seine Büro adäquate Praktik, dass er kein Cafébesucher ist.

3.2.2 Kopräsente Andere Dieses Thema führt uns zu einem weiteren wichtigen Punkt, nämlich der Tatsache, dass David Kadel weiß, dass Andere physisch kopräsent sind. Dies sind sie auch dann, wenn er sich in seinem Büro und seinem Arbeitsraum befindet. Sie sind es auch dann, wenn er aufwändige ,doing being busy‘-Praktiken betreibt und sich damit unansprechbar macht. Dass er um die Anwesenheit Anderer im Containerraum Starbucks weiß, wird anhand verschiedener Aussagen deutlich, in denen er von seinen Raum(nutzungs)praktiken im Starbucks spricht und verdeutlicht, dass sie sich von jenen der CafébesucherInnen unterscheiden. Dass er die sich in seinem Umfeld im Containerraum befindenden Körper auch sehen und wahrnehmen, evtl. fühlen und riechen kann, wenn er seine Aufmerksamkeit und seine Augen auf sie richtet, zeigt, dass die physische Anwesenheit der Körper ein unumgängliches, ihm aufgezwungenes Faktum darstellt. Dieses kann jedoch je nach Intensität der Bemühungen um Raumkonstitutionen mehr oder weniger oder auch keine Rolle spielen, d.h., dass physisch kopräsente Körper im Containerraum bedeutsam für die Arbeitsraumkonstitution sein können oder auch nicht. Sie können weiterhin die Prozessierung der (kreativen) Arbeit fördern oder hemmen. Im Folgenden wird dies verdeutlicht: Wenn David Kadel von seinen Tennisbekanntschaften erzählt, die gelegentlich den Starbucks aufsuchen, und mit dem sich dort aufhaltenden David Kadel sprechen wollen, gibt dieser sich die Selbstinstruktion:

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„Jetz: (.) Pause. Stecker raus. Jetzt kommt Claus und der Philip vom Tennis und (.) lass uns über Tennis quatschen zehn Minuten und dann gehn die wieder, die wissen ja auch, ich muss noch arbeiten“ (Z. 136-139). Die beiden Bekannten werden also zuerst als negative Störung der Arbeit und evtl. auch als Störung der Bemühungen der Aufrechterhaltung des Arbeitsraumes empfunden; dann jedoch relativiert David Kadel für sich selbst das Problem, die Arbeit zu unterbrechen, mit dem Argument, dass die Dauer der Unterbrechung auf nur wenige Minuten begrenzt sein wird. An anderer Stelle wird jedoch auch deutlich, dass dieses Selbstmanagement in Form einer Selbstberuhigung nicht immer funktioniert. Dies geschieht offenbar dann, wenn die nicht gewollten Unterbrechungen zu viele werden: „Leute kommen rein, die du kennst und du denkst: oh, jetzt kommt der auch noch und ich muss mit dem quatschen irgendwie hab ich gar keinen Nerv. Was ich sonst eigentlich total gerne mach, aber manchmal passt’s dir einfach gar nich. Und dann kommt schon der dritte in zwei Stunden und du denkst: he (lacht) steck ich ’n Kopfhörer rein und der merkt, ich bin grad (lachend) irgendwie nich da.“

In diesem Falle macht David Kadel sich mithilfe der Kopfhörer, aber auch weiterer Techniken, die in körperlichen Praktiken ausgeführt und bereits beschrieben wurden, gezielt im Containerraum abwesend: „ich bin grad (lachend) irgendwie nich da“. Er täuscht hier demnach einen ,Flowzustand‘ vor. Dass auch Menschen zu Partizipanden des Arbeitsnetzwerkes werden, wurde bereits mehrfach erwähnt. Dies geschieht z.B., indem sie sich förderlich auf die Arbeitsraumkonstitution oder/und die Prozessierung seiner kreativen Tätigkeit auswirken können. So z.B. dienen andere sprechende, miteinander interagierende Personen (nicht deren Körper) David Kadel zur Ermöglichung der kreativen Tätigkeit bzw. zur Inspiration im Starbucks (vgl. Z. 6-10), wie bereits unter 2.5 für seine Zugfahrten schon beschrieben wurde. David Kadel begibt sich gezielt an Orte, an denen ein relativ hohes Interaktionspotential mit Anderen gegeben ist. Orte können Gele-

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genheiten und Zufälle produzieren. Es geht dabei um Orte, an denen er selbst zum Publikum von Anderen werden kann. Es geht also um die Produktion von Gelegenheiten durch das Aufsuchen spezifischer Orte, wobei nie klar ist, ob die erhofften und im Vorhinein immer diffusen und nicht vorhersehbaren Gelegenheiten auch wirklich auftreten werden. Was im Übrigen eine Gelegenheit oder einen Zufall darstellt, um eine kreative Idee auf den Plan zu rufen, divergiert situativ, d.h., dass in einer Situation etwas kreativitätsfördernd wirken und in einer anderen Situation schlichtweg gar nichts auslösen kann. Diese unsichere Situation wird durch Versuche der Habitualisierung von Arbeitsraumkonstitutionen an Orten („im Starbucks, wo ich jeden Tag sitze“ [Z. 8 f.]), an denen bereits erfolgreich gearbeitet werden konnte, zu kontrollieren versucht. Durch häufige Wiederholungsversuche, in denen die Ritualisierungen mithilfe menschlicher, aber auch materieller Objekte ausgeführt werden, werden die Ansprüche an die Arbeitsraumkonstitutionsleistungen gering zu halten versucht. Hierbei spielen auch die Erfahrung und das Wissen, dass die Arbeitsraumkonstitution an diesem Ort schon mehrfach erfolgreich war, eine Rolle. Ebenso ist der Glaube daran, dass ,es wieder klappt‘ nicht zu unterschätzen. Eine Art Mystifizierung von Orten ist hierbei bedeutsam und kann katalysierend auf die Arbeitsraumkonstruktion und die Prozessierung der Arbeit wirken. Das Café bietet trotz regelmäßigen Besuchs von David Kadel das Potential, unvorhersehbare, zugleich jedoch bestimmte, erhoffte Gelegenheiten zu produzieren. Entsprechend dieser Notwendigkeiten zur Herstellung von Unvorhersehbarkeiten, die kreative Ideen erwarten lassen, kommt für David Kadel ein Großraumbüro nicht infrage. Insbesondere die Unerwartbarkeit, wem man im Starbucks-Café begegnen wird, scheint reizvoll zu sein: „Deswegen hab ich immer ham mir Leute gesagt, willst du nich bei mir im Großraumbüro da mitmachen da (.) zahl ich denn weiß ich was, hundert Euro im Monat, aber genau des will ich eben nich, sondern ich will auch DA eigentlich so meine Freiheit ham, dass ich dann nich denke, ach jetz haste da mit dem irgendwie – bist genervt und du kommst jetz hier nicht weg weil

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du hast ja da Geld rein und du musst da jetzt da hin, das ist eigentlich fast schon wie ’ne Festanstellung weißte, du hast dann die Nasen, die du dir nich mehr aussuchen kannst.“

Schon vor dem Aufsuchen des Großraumbüros zu wissen, wer ihm dort begegnen wird, wäre für David Kadel entsprechend einschränkend. Er wolle seine „Freiheit ham“ und diese sei in einem Großraumbüro nicht gewährleistet. Kadel mobilisiert hier demnach einerseits ein Narrativ, eine Art Selbstbeschreibungsformat Kreativer und gibt sich damit selbst als Angehöriger der ,digitalen Bohème‘ zu erkennen. Andererseits handelt es sich hierbei aber auch um einen ernst zu nehmenden ,cognitive device‘: indem David Kadel den Ort Starbucks in Begleitung verschiedener Objekte aufsucht, werden in Aktivierung dieser und anderer Menschen, die zu Partizipanden seines Arbeitsnetzwerkes werden, spezifische Arbeitsraumkonstitutionspotentiale in Gang gesetzt, die dazu führen können19, dass kreatives Arbeiten möglich wird. Weitere an der Arbeitsprozessierung teilhabende menschliche Akteure sind physisch kopräsente Coworker, die im Verlauf des Arbeitsprozesses zu Teamworkern werden. Die Coworking-Praktiken, die besser als ,Teamworking‘ bezeichnet sind, wurden bereits im Kapitel 3.1.1 beschrieben (vgl. Z. 60-72). Es gibt demnach in David Kadels Büro und Arbeitsraum im Starbucks nicht nur Coworker, sondern auch Teamworker. Die Praktiken des Co- und des Teamworkens unterscheiden sich, indem erst genanntes Arbeiten nebeneinander, zweit genanntes miteinander vollzogen wird. Hierin zeigt sich ein zentrales Charakteristikum des Kreativitätsdispositivs: das Kreativsubjekt „inkorporiert notwendig jene Teamfähigkeit, die es nicht nur für kollektive Projektarbeit geeignet macht, sondern ihm selbst auch 19 | Damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass es auch tatsächlich zur Ermöglichung kreativen Arbeitens kommt, muss David Kadel Vorkehrungen treffen, viele Akteure mobilisieren, materielle Objekte mitnehmen und bereithalten, so dass sie situativ eingesetzt und zu Aktionen veranlasst werden können, die sein Arbeitsprozess benötigt.

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das Team als notwendige, affektiv besetzte Kreativitätsgemeinschaft erscheinen lässt, ohne die es nicht kreativ sein könnte.“ (Reckwitz 2006, S. 524 f.). Weiterhin gab das Interview mit David Kadel darüber Aufschluss, dass noch weitere Personen zu Partizipanden seines Arbeitsnetzwerkes werden können: „’ne Zeitlang als ’ne gute Belegschaft da war, die hat auch gewechselt natürlich im Lauf der Jahre, die hat uns dann immer schon unsere Getränke hingestellt – wortlos. meistens sogar ohne Bezahlung! Also wir warn wirklich so Inventar irgendwie“ (lacht).

Diese Erzählpassage dient David Kadel zur Inszenierung seines Selbst in Form einer Membership Praktik, in der er sich selbst als im Starbucks erwünscht darstellt und damit verdeutlicht, dass er eine Besiedelungsform praktiziert, die von den StarbucksmitarbeiterInnen anerkannt und sogar mit kostenlosen Getränken ,belohnt‘ wird. Auf diese Weise kommt die Praktik der MitarbeiterInnen, ihm durch das wortlose Bereitstellen des richtigen Getränkes zu zeigen, dass er Teil des Cafés ist („wirklich so Inventar irgendwie“), einer Legitimierung bzw. Absicherung der Praktik des täglichen Arbeitens im Starbucks gleich.

3.2.3 (I l )legitime Praktiken: Grenzarbeit des Starbucks als Caféraum Dass es durchaus ,grenzüberschreitende‘ Praktiken gibt, in denen zwischen legitimen und illegitimen Praktiken im Starbucks unterschieden wird, zeigt das folgende Gedächtnisprotokoll von Sabrina Hofmann: „Ich gehe mit meinem leeren Plastikbecher an die Theke. Ein Freund von mir arbeitet gerade, mit ihm noch ein blondes Mädchen. Sie sind beide ungefähr so alt wie ich und ,locker drauf‘. Links aus der Tür kommt ein

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Starbucks-Mitarbeiter mit längeren Haaren. Ich gehe also auf die Theke zu und sage zu den beiden (der Langhaarige steht eher abseits und an der Tür, nicht hinter der Theke): ,hey, kann ich noch mal Wasser haben?‘ Da sie beide gerade mit dem Rücken zu mir an verschiedenen Sachen arbeiten, die sie auch nicht gut unterbrechen können (spülen), füge ich hinzu ,oder ich kann’s mir eigentlich auch selbst nehmen‘ ich mache eine Pause und sage halb im Scherz ,also, wenn ich hier hinter die „heilige Theke“ überhaupt darf‘. Die beiden lachen und sagen ,ja klar, mach einfach‘, woraufhin sich der Langhaarige bewegt, zögert und dann doch sagt ,hm, naja.‘ Inzwischen hat sich mein Bekannter umgedreht, kommt zwei Schritte in meine Richtung, nimmt den Becher aus meiner Hand und füllt ihn auf. Ich plappere irgendwas ,ja, man weiß ja nicht so genau, die Theke trennt ja so davor und dahinter, andererseits kommt man von hier auch an den Wasserhahn dran und so...‘ Der Langhaarige sagt: ,ja, nee, das soll schon getrennt sein‘. Die Situation war irgendwie unangenehm, weil die drei Baristas so unterschiedlich reagiert haben. Ich nehme mein Wasser, sage ,Danke‘ und gehe zurück zu meinem Platz.“ 20

Es gibt demnach nicht nur Praktiken, sondern auch Lokalitäten im Starbucks, die durch materielle Objekte – wie hier die Theke – eine Vorder- und Hinterbühne hervorbringen, auch wenn letztere fast vollkommen einsehbar für die Vorderbühnenschauspieler ist (vgl. Goffman 2003). Obwohl also die Beschreibung der Praktiken David Kadels im Starbucks den Eindruck erwecken könnte, dort sei schier alles möglich, verweist dieser Protokollausschnitt darauf, dass es Situationen gibt, in denen 1. CafébesucherInnen es nicht (mehr) eindeutig finden, wie der Starbucks bespielt werden darf und wie nicht; 20 | Die Theke ist für BesucherInnen nicht zugänglich und was dahinter passiert, kann kaum eingesehen werden, auch wenn Geräusche der Kaffeemaschine zu hören sind sowie die MitarbeiterInnen in ihrem Arbeitshandeln weitgehend ersichtlich sind. Der Wasserhahn ist über der Theke angebracht und als einziges Objekt sicht- und erreichbar für BesucherInnen. So hätte Sabrina Hofmann nicht hinter die Theke gehen müssen, um sich Wasser zu nehmen.

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2. auch unter den Starbucks-MitarbeiterInnen Uneinigkeit hinsichtlich der Befugnisse der Starbucks-BesucherInnen besteht und 3. diese Unsicherheiten offenbar ,repairs‘ auf beiden Seiten bedürfen, also (sprachliches oder nichtsprachliches) Handeln evozieren, das der Bewältigung der Unsicherheit und der fehlenden Eindeutigkeit dient. D.h. 4.: Materialisierte Elemente (Theke), die durch Praktiken reproduziert und verstärkt werden und der Absicherung des Raums als Caféraum dienen, existieren und finden ebenso statt wie bereits beschriebene subversive Praktiken, die den Raum als Caféraum infrage stellen. Zu letzt genanntem Punkt sei hier weiter ausgeführt, dass schon Sabrina Hofmanns Vorschlag und der daran anschließende ironisierende ,turn‘21 (vgl. hierzu Sacks/Schegloff/Jefferson 1974): „oder ich kann’s mir eigentlich auch selbst nehmen“ [...] „also, wenn ich hier hinter die ‚heilige Theke‘ überhaupt darf“ durch die sprachliche Relevanzmachung des von ihr im Folgenden eingeleiteten körperlichen Betretens der ,Hinterbühne‘ darauf verweist, dass es sich hierbei offenbar um ein Unterfangen handelt, das der Markierung bzw. der Bewältigung bedarf. Als ihr der Becher aus der Hand genommen wird, erfolgt von Sabrina Hofmann im folgenden ,turn‘ ein Versuch eines ,repairs‘ (vgl. etwa Egbert 2009): „ja, man weiß ja nicht so genau, die Theke trennt ja so davor und dahinter, andererseits kommt man von hier auch an den Wasserhahn dran und so...“. Indem sie die materielle Differenzierung von ,vor und hinter der Theke‘ durch die Platzierung des Wasserhahns relevant macht, deligiert sie die Verantwortung für ihre Unsicherheit bezüglich der Nutzungsbefugnis des Wasserhahns an den Containerraum und seine materielle Ausstattung. Wir sehen hier ein Beispiel dafür, dass die Theke als Differenzmarkierer zwischen zwei Orten, an denen verschiedene Personen bzw. situationale Rollenträger unter21 | Die Konversationsanalyse untersucht praktische Regeln von Alltagsgesprächen mit dem Fokus auf der Frage nach dem ,Wie‘ des lokalen Gesprächsvollzugs. Vor allem von Sacks, Schegloff und Jefferson entwickelt, werden vor allem Redezüge (,turns‘) und ihr Aufeinanderfolgen untersucht (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974).

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schiedliche Praktiken zeigen sollen und sie gleichsam in Café-MitarbeiterInnen und Café-BesucherInnen bzw. -KundInnen differenziert, nicht ausreichend ist. Die Platzierung des Wasserhahns und das Wissen Sabrina Hofmanns, dass Wasser kostenlos nachgefüllt werden kann, verwischt die in vielen anderen Cafés unhinterfragte Gewissheit, dass nur Bedienstete dazu befugt sind, hinter der Theke zu hantieren und etwa Getränke aufzufüllen. Stattdessen wird die Theke hier situativ machtvoll umkämpft und ausgehandelt, was hier und jetzt möglich ist und was nicht. Wenn nun die Antwort auf die Frage näher verfolgt werden soll, wie es sein kann, dass der Starbucks offenbar nicht nur als Caféraum, sondern ebenso als Arbeitsraum bespielt und wahrgenommen werden kann und er in mancherlei Hinsicht ähnlich wie ein Privatraum genutzt werden kann, stellt sich David Kadels Perspektive neuerlich als aufschlussreich dar: „Des is ja auch die Philosophie vom Starbucks, weißte make it your second living-room or make it your second place to be, ja? also die wollen des ja“. David Kadel ordnet seine eigenen Raumbespielungs- bzw. Nutzungspraktiken des Starbucks demnach einem Diskurs-Device unter, den er als „vom Starbucks“ selbst initiiert einordnet und als für alle Filialen Geltung beanspruchend versteht. Auf diese Weise legitimiert David Kadel seine Praktiken der Starbucks-ContainerraumNutzung, indem er die Setzung der legitimen Raumbespielungspraktiken an „den Starbucks“ selbst zurückspielt. Dieser wiederum postuliert David Kadels Aussage zufolge, dass er individuell durch seine BesucherInnen gestaltet werden soll. So werden die BesucherInnen dazu aufgefordert, den Starbucks zu ihrem zweiten Wohnzimmer oder „second place to be“ zu machen. Es wird hier Wissen eines Starbucks-Diskurses transparent, das Kadel als „Philosophie vom Starbucks“ beschreibt: Das Café soll demnach wie ein zweites Wohnzimmer genutzt werden, in dem man sich wohl fühlen soll. Der Device, den David Kadel hier zitiert, leitet demnach StarbucksBesucherInnen explizit dazu an, kreative und eigensinnige Praktiken in den Starbucks-Containerräumen zu tragen, denn Wohnzimmer werden von ihm als individualisierte und private Räume inszeniert

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bzw. verstanden. Sie dienen in seinem Zitat als Kontrastentwurf für klassische Cafés, in denen ein temporärer Aufenthalt disziplinierter Körper, die beispielsweise lediglich einen Stuhl und einen Tisch okkupieren, bedient werden oder an der Theke etwas bestellen und sich aushändigen lassen, die entweder alleine oder mit kopräsenten Anderen ein Café besuchen und von diesem angebotene Güter konsumieren. David Kadel zitiert also quasi ,den Starbucks selbst‘ und verleiht damit seinen kreativen Containerraumbespielungspraktiken und der Nutzung des Cafés als Ort, um seinen Arbeitsraum zu konstituieren, Legitimität.

3.3 Z WISCHENFA ZIT Was David Kadel mithilfe des Arbeitsnetzwerkes, in dem der Ort und die Ortswahl selbst als Partizipanden erscheinen, erreicht, sind Arbeitsraumkonstitutionen, die situativ unterschiedliche Leistungserfordernisse (bzw. das Mobilisieren von Partizipanden) evozieren, durch die kreatives Arbeiten erst ermöglicht wird. Zugleich müssen viele Vorkehrungen und Reaktionen auf Aktionen eingeleitet werden, die der Störungsbewältigung des Arbeitsprozesses dienen. Kreativität als Modus, der für den spätmodernen Akteur in einem Verflechtungszusammenhang von Innenschau und Beobachtung seiner Umgebung aufscheinen kann, ist ein relativ unüberschaubarer (auch innerer) Zustand, der das Entstehen von kreativer Tätigkeit ermöglichen, es aber nie sicher herbeiführen kann. Offenbar mobilisieren bestimmte Orte und ihre performative Ästhetisierung auch die Annahme, dass ihnen hervorlockende Potentiale für die kreative Tätigkeit innewohnen. Dass sie zugleich auch einen ästhetischen Eigenwert auf ihre NutzerInnen abwerfen können, indem sie ihren Selbstinszenierungen als Kreative beisteuern, spielt gleichfalls eine bedeutsame Rolle; auch in Bezug auf die Realisierung der o.g. Annahme: diese bringt sich selbst hervor, indem das Kreativsubjekt, das an diesem und durch diesen Ort hervorgebracht wird, hier tatsächlich kreativ tätig werden kann. Der Ort selbst wird auch zum mächtigen

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Partizipanden im Arbeitsnetzwerk, da er erst die Voraussetzung dafür schafft, dass ein Arbeitsraum überhaupt konstituiert werden und kreativ gearbeitet werden kann. Der Ort reicht allerdings nicht aus, sondern es müssen vielfältige Objekte selbst mitgebracht und im Caféraum mit ihnen agiert werden können. Dass anderen körperlich Kopräsenten das Arbeiten am Laptop sichtbar ist, gleichzeitig für sie aber opak bleibt, was man da eigentlich tut, bietet CaféarbeiterInnen einen psychophysischen Zustand, der zugleich expressiv und in intensiver Innenschau betrieben und hergestellt wird. Zur Herstellung dieses erwünschten Zustandes sind andere Kopräsente jedoch zwingend notwendig. Ihr diverses Treiben um die sich in ihren Arbeitsräumen Befindlichen herum kann situativ in deren kreativen Arbeitsprozess eingebaut werden, ihn stören, ihn katalysieren und verunmöglichen. Die Frage: ,wie geht es mir jetzt gerade?‘ ist eine, die in Anbetracht der Bedeutsamkeit der Herstellung von Affektivität, die in ihrem Ziel als Wohlbefinden codiert wird, während des kreativen Arbeitsprozesses stets in Selbstzuwendung mitgeführt wird. Das Café stellt Bedingungen, die immer Neues versprechen, obgleich geübten KreativarbeiterInnen von vornherein klar ist, was sie mitnehmen müssen und über welche Selbsttechniken sie verfügen müssen, um dort eine Arbeitsraumkonstitution zu schaffen. Arbeiten im Starbucks ist gerade deshalb erfolgreich weil es sich zwischen dem Versuch der Herstellung der Möglichkeit, situativ auf alle den Arbeitsprozess bzw. die Arbeitsraumkonstitution vorhersehbaren Störungen und katalysierenden Ereignisse reagieren zu können und hierüber die Kontrolle zu haben, abspielt, und gleichzeitig Unvorhersehbarkeiten erwünscht sind. Dass nie klar ist, was wann geschehen wird, bietet libidinöse Erfahrungen für das Kreativsubjekt, das sich an diesem Ort (re)produzieren kann. Das Café bietet Raum zur Raumkonstitution, die das öffentliche Hantieren mit mitgebrachten und bereitgestellten Objekten ermöglicht und diese in Spacing- und Syntheseleistungen zu Partizipanden der Arbeitsraumkonstitution werden lässt, die je verschieden als Beschützer des bereits konstituierten Arbeitsraumes oder zu dessen Herstellung dienen können. Wie David Kadel verdeutlichte, funktioniert dies we-

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der zu Hause – ohne ihn umgebende physisch Kopräsente – noch in einem Großraumbüro, wo die Vorhersehbarkeit spezifischer physisch Kopräsenter gegeben ist und der Zufall und die Unberechenbarkeit dahingehend fehlen. Was ein Großraumbüro im Vergleich zum Café uninteressant macht, ist, dass ersteres keine Suche nach Wahrnehmungsmomenten, „Handlungsakten und Ichrealisierungen, welche die ästhetische Orientierung für das spätmoderne Subjekt[s] selbst in ein Objekt des Begehrens verwandelt“ (Reckwitz 2006, S. 506), ermöglicht. Im Starbucks kann David Kadel sich selbst als beweglich erkennen, die begehrenswerte „Veränderungs- und Verwandlungsbereitschaft“ (Reckwitz 2006, S. 506 f.) in sich selbst erkennen. Dass dies auch auf den Raum zurückwirkt, ist eine nahe liegende Annahme: Indem nämlich der Starbucks als Ort (bzw. der ContainerCaféraum) durch David Kadel relevant gemacht wird, wird der Raum, der in seiner Sicht durch Starbucks-Diskurse schon vorgängig performativ wurde (,make it your second place to be‘), in den Praktiken David Kadels neu als Experimentalraum konstituiert und wird damit mehr, zu einem ,second place to be‘. Es sind also nicht nur der Ort und der Containerraum in seiner Materialität, die performativ in die Raumkonstruktionen mit einbezogen werden können, sondern auch die Rahmung derselben (der Starbucks als Café) sowie das (auch diskursive) Wissen der SituationsteilnehmerInnen, die die Arbeitsraumkonstitution ermöglichen und beschränken. Indem David Kadel nämlich den Starbucks als einen Ort betrachtet, der als zweites Wohnzimmer genutzt werden kann, trägt er hier Praktiken, die von anderen CafébesucherInnen – seinen eigenen Aussagen zufolge – vielleicht als unangemessen aufgefasst würden. Doch weiß er, dass es sich hier um einen Caféraum handelt und zeigt dies in seinen Praktiken in seinem Arbeitsraum, die er auf Andere im Caféraum empfindlich abstimmt. Indem dies herausgestellt wird, muss betont werden, dass den physisch anwesenden Körpern und ihrer Materialität im Containerraum ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden muss. Letztlich sind es auch die Körper und ihre Distanz oder Nähe zueinander sowie das Wissen um (il)legitime Praktiken an diesem Ort, die die Möglichkeiten der

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Arbeitsraumkonstitution präformieren und mitstrukturieren. Das Abstimmen der Praktiken im Arbeitsraum auf die Praktiken im Caféraum und die antizipierten Erwartungen der CafébesucherInnen evozieren Verschränkungen der Soziologik des Starbucks-Caféraums und den Erfordernissen der Arbeitsraumkonstitution für das kreative Arbeiten. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorstellung von Containerräumen abzulösen ist; vielmehr können sie in ihrer bereits diskursiv präformierten Materialität wirksam werden, sofern sie performativ werden, also in Arbeitspraktiken eingebunden und damit relevant gemacht werden. Damit bedingen sowohl Diskurse als auch Materialitäten Möglichkeiten der Arbeitsraumkonstitution und strukturieren sie zugleich auf besondere Weise. Nicht immer sind Containerräume in ihrer Existenz relevant; sie sind es nur, wenn sie performativ in die jeweiligen Raumkonstitutionen eingebunden werden (s. hierzu auch Kapitel 3.5).

3.4 D ER A RBEITSR AUM DER E THNOGR APHIN ODER : C AFÉBESUCHER I NNEN ALS SITUATIVE A USSENSEITER ? Im Folgenden wird anhand verschiedener Themen weiter untersucht, wie Arbeit und Arbeiten im Starbucks organisiert werden, was Arbeiten im Starbucks bedeutet und welche Differenzmarkierungen hier vorgenommen werden (müssen?). Eine teilnehmende Beobachtung und deren Protokollierung gibt darüber Aufschluss, um welche Gruppierung es sich handelt, die hier tätig wird, und wie sie sich zu verstehen gibt. „Nachdem ich meinen Kaffee bekommen habe, gehe ich die Treppe hoch. Dort sitzen einige Leute an kleinen Tischen, unterhalten sich und trinken Kaffee. Auf zwei Sesseln, die vor einem der kleinen Tische stehen, steht ein Laptop, um den herum sich drei Jugendliche gruppiert haben. Sie schauen auf den Bildschirm, lachen und unterhalten sich. Ich sehe mich schnell um: es gibt nur einen frei verfügbaren Tisch, den ich auch gleich

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Abbildung 2: Starbucks, 1. Obergeschoss

okkupiere, indem ich meinen Kaffee darauf stelle und mich setze. Ich hole meinen Laptop hervor und stelle ihn auf den Tisch, klappe ihn auf, öffne ein Worddokument und beginne sofort, dieses Protokoll zu verfassen. Ich sitze jetzt zwischen den Jugendlichen und einem anderen Mann, der an einem kleinen Laptop arbeitet. Er beobachtet mich zwischendurch von der Seite und ändert seine Körperhaltung als ich mich setze (er schlägt seine Beine in meine Richtung übereinander). Ich würde ihn grüßen, wenn er mich einmal direkt ansehen würde, doch das tut er nicht. Immer wenn ich zu ihm sehe, guckt er schnell weg, so dass wir keinen Blickkontakt haben und ohne Blickkontakt zu grüßen, käme mir komisch vor. Ich habe aber nur überlegt, ihn zu grüßen, nicht die Jugendlichen neben mir oder den anderen Typen quer gegenüber von mir, der auch mit einem Kaffee auf dem Tisch und Kopfhörern im Ohr vor seinem Laptop sitzt. Als ich an den unten stehenden Tischen vorbei auf dem Weg zur Treppe nach oben war, sah ich ein Mädchen, das mit einem Laptop auf ihrem Schoß in einem Sessel saß. Sie sah nur auf den Laptop und z.B. nicht zu mir hoch als ich kam. Ähnlich verhält sich auch der Typ gegenüber von mir, der Mann neben mir wirkt ganz anders, irgendwie ungeübter an diesem Arbeitsplatz: das kommt mir

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so vor weil er oft hochguckt, also immer wenn jemand vorbei läuft (z.B. zur Toilette, die links von ihm liegt) oder auch zwischendurch. Es wirkt so, als ließe er sich ablenken und der andere Typ würde irgendwie konzentrierter ,sein Ding durchziehen‘, sich auf seine Arbeit konzentrieren und alles andere (die Musik) oder auch die anderen anwesenden Menschen einfach ausblenden. Ich konnte bisher kein einziges Mal beobachten, dass er hochgesehen hätte. Mir direkt gegenüber sitzen eine Frau und ein Mann mit großen Kaffeebechern vor sich und unterhalten sich. Eben haben sie ihre Unterhaltung eingestellt und den Blick über uns Andere schweifen lassen. Die Frau grinste und sah den Mann an. Dann ahmte sie unser Tippen kurz über dem Tisch nach und lachte ein wenig, als sie ,tipp tipp tipp‘ sagte. Der Mann lacht jetzt auch und dann wenden sie sich wieder einander zu und setzen ihre Unterhaltung fort. Der Typ mir gegenüber und der Mann neben mir reden nicht, der Typ gegenüber drückt auf den Tasten seines Handys herum, vielleicht schreibt er eine SMS.“22

Die Arbeitsraumkonstitutionsbemühungen der Ethnographin waren hier eher gering, gingen schnell und problemlos vonstatten. Die Ethnographin ist so sehr mit der Protokollierung beschäftigt, dass sie in die Beschreibung der um sie herum stattfindenden Geschehnisse verwickelt ist und weniger Aufwand als David Kadel für seine Arbeitsraumkonstruktion betreiben muss. Der Arbeitsraum, in dem die Ethnographin sich aufhält, geht eine seltsame Verschmelzung mit der Beobachtung der Geschehnisse um sie herum und dem konzentrierten Notieren derselben einher. Ihr Arbeitsraum ist der Containerraum, ist zugleich jedoch auch die Abwesenheit in ihm, da eine Distanzierung von ihm stattfinden muss: Es wird nicht prak22 | Abbildung 2 zeigt den Raum und die Anordnung der Tische, die im Protokollausschnitt beschrieben wurden. Der links vorne stehende Tisch war derjenige, an dem die Ethnographin saß. Der dahinter stehende, an dem auf dem Bild ein Arbeitender mit einem Laptop zu sehen ist, war der des ihr am nächsten sitzenden Mannes. Der hintere, direkt an der Glasscheibe stehende war der Tisch, an dem sich „der Typ“ in der Situation der Protokollverfassung eingerichtet hatte.

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tisch in ihm agiert, sondern vielmehr die gesamte Aufmerksamkeit auf ihn bzw. auf die Handlungen und Praktiken der anderen Anwesenden in ihren Räumen und im Containerraum gerichtet, die zugleich schnellstmöglich in Schriftsprache transferiert und festgehalten werden müssen. Wo ist der Arbeitsraum der Ethnographin? Und wo arbeitet sie? Das Oszillieren zwischen der Wahrnehmung der Geschehnisse und dem gleichzeitigen Übersetzen der Geschehnisse in die Sprache des Laptops transferiert sie in einen seltsamen Zwischenraum, der sie an- und abwesend zugleich macht. Hingegen ist „der Typ“ eindeutig abwesend, unansprechbar, zwar physisch anwesend, aber in seinem eigenen Arbeitsraum mit seinem Laptop verschwunden. Sein auf den ersten Blick unsichtbarer Arbeitsraum wurde in der Beobachtung tatsächlich sichtbar: Die Ethnographin ist sogar unsicher, ob er ihr Erscheinen im Containerraum überhaupt wahrgenommen hat. Den Starbucks mit dem Ziel betretend, hier zu beobachten, war der Ethnographin von Beginn an klar, dass sie im 1. Obergeschoss arbeiten wird. Während im Erdgeschoss viele Cafégäste anwesend waren, herrscht hier oben – nachdem die Treppe erklommen wurde – weitestgehend eine Arbeitsatmosphäre. Neben der Ethnographin arbeiten zwei weitere Personen an ihren Laptops und auch die Jugendlichen sind mit einem Laptop beschäftigt und sprechen nur sehr leise miteinander. Die quantitativ Unterrepräsentierten in der Situation, die sich gegenüber sitzenden Personen mit vor sich stehenden Kaffeebechern, unterhalten sich miteinander und zeichnen sich im Vergleich mit den Anderen dadurch aus, dass sie keinen Laptop auf ihrem Tisch stehen haben. Ihre Unterhaltung wird jedoch unterbrochen, indem auch die Frau zur Beobachterin wird und eben die Tatsache ironisiert, dass alle Anderen auf ihren Laptops tippen. Während die Frau das Tippen auf den Laptops, das zumindest von drei weiteren Anwesenden permanent erklingt, sowohl mit ihren Fingern als auch durch die Nachahmung des ertönenden Geräusches der Tastatur, ohne Laptop kopiert, wäre eine ironisierende Darstellung umgekehrt von den Arbeitenden nicht vorstellbar. Es gibt schlichtweg keine Situationskomik daran zu finden, dass zwei Men-

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schen sich an einem Tisch gegenüber sitzen und sich miteinander unterhalten. Warum? Zum einen ist die Praktik des Mannes und der Frau deswegen zu passend, um in irgendeiner Weise in ironischer Form aufgegriffen werden zu können, weil es sich bei dem Containerraum, in dem die SituationsteilnehmerInnen agieren, um einen Caféraum handelt. Dennoch bedeutet dies nicht, dass die Rahmung des Starbucks als Caféraum dafür ausreichend ist23, dass hier nicht auch gearbeitet wird. Die differenten Praktiken der Beschäftigung mit dem Laptop und des ,Sich-Unterhaltens‘ werden von der Frau relevant und in der Konversation zwischen ihr und dem Mann explizit gemacht, indem die Differenz markiert wird. Der Mann lacht über ihre Performance: die Komik ihrer Situation liegt darin, dass sie situative Außenseiter sind, obwohl sie diejenigen sind, die sich der Rahmung entsprechend verhalten. Doch ist dies wirklich der Fall? Wie zuvor in der Analyse von David Kadels Dauerniederlassung zum Zweck des Arbeitens im Starbucks verdeutlicht wurde, verhält auch er sich angemessen. Es könnte auch das quantitative Ungleichgewicht jener sein, die am Laptop sitzen und tippen und solcher, die dies nicht tun, das situativ dazu führt, dass die Frau die Differenz zwischen den verschiedenen Praktiken markiert und sich gemeinsam mit ihrem Mitstreiter über sie mokiert.

3.5 E IN SCHLEICHENDER Ü BERGANG : VON , DOING WORKING ‘ ZU , UNDOING WORKING ‘ ODER : D AS E NDE EINER A RBEITSR AUMKONSTITUTION In diesem Abschnitt wird der Austritt aus einer Arbeitssituation fokussiert, um damit zu untersuchen, wie Arbeitsräume verschwinden 23 | Die Rahmung des Starbucks als Caféraum ist so wirksam, dass sie auch in Abwesenheit einer Theke und in Abwesenheit von Personal Geltung beanspruchen kann. Beides war in der Situation nicht vorhanden, sondern der Raum lediglich mit Tischen und Stühlen ausgestattet.

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können. Betrachten wir hierzu den im Protokoll als „Typ“ benannten Arbeitenden, der seine erfolgreiche Arbeitsraumkonstitution im Folgenden zusammenfallen lässt: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

„Ein Mädchen mit einem Kaffee kommt hoch und steuert direkt auf den Typen zu. Sie sagt ,hallo‘ und er sieht erst jetzt hoch, da sie vor ihm steht, und ruft: ,Ach, hi!‘ Sie setzt sich zu ihm, er fragt: ,Na, wie is es?‘ Sie unterhalten sich kurz, aber leiser als zuvor, weswegen ich nichts mehr verstehe. Dann beginnt der Typ, der direkt nach oder während der Begrüßung des Mädchens die Kopfhörer aus seinen Ohren zog, wieder auf seinen Laptop zu schauen und ein wenig zu tippen. Zwischendurch guckt er das Mädchen an, das ihm etwas erzählt, und dann wieder zum Laptop. Wenn er mit ihr redet, sieht er sie an, wenn sie redet, sieht er manchmal wieder auf den Laptop. Eben hat er an seinem Kaffee getrunken. Bevor sie kam, konnte ich das nicht beobachten, er schien sich für gar nichts außer seinem Laptop zu interessieren. Jetzt unterhalten sie sich weiter, er beugt sich zurück, arbeitet gerade nicht mehr und lacht. Sie trinkt Kaffee. Nun wischt er über die Oberseite seines Laptopbildschirms und klappt ihn aus dieser Bewegung heraus zu. Er konzentriert sich mit seinem Blick jetzt auf das Mädchen und sie unterhalten sich weiter: ,War ’n viele von Euch da?‘ ,Nein, manche hams auch nicht geschafft, der Sven war nich mehr erreichbar‘, sagt das Mädchen. Es ist eindeutig, dass die beiden sich kennen. Das war schon klar, als sie sich begrüßten. Irgendetwas ist an die Scheibe neben ihnen gespritzt, die den Raum von der daneben hinauf führenden Treppe trennt, das Mädchen holt ein Taschentuch aus ihrer Tasche, lacht, gibt es ihm, er wischt die Scheibe ab und dann über den Tisch, auf der Seite des Tisches, an der das Mädchen sitzt. Beide sitzen lässig da: Das Mädchen hält einen Fuß auf einem Stab des Stuhls, der zwischen den beiden steht. Er hält ein Bein auf sein Knie, sein Hemd ist hochgekrempelt, vorne geöffnet. Sie lachen. [...] Jetzt steht das Mädchen auf, der Typ nimmt seine Kopfhörer und wickelt sie kurz in der Hand herum, legt sie auf den Tisch, das Mädchen zieht seine Jacke an. Nun sieht der Typ zum ersten Mal zu mir bzw. merke ich erstmals, dass er meine Anwesenheit wahrnimmt. Er zeigt

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auf seine Stirn und sagt zu dem Mädchen gewandt: ,ich hab immer noch Sonnenbrand‘, sie unterhalten sich kurz darüber und sie steht vor ihm am Tisch, trägt schon die Jacke und hat ihre Tasche über ihre Schulter gehängt. Sie sagt: ,Bis gleich‘, er sagt: ,Bis gleich‘, und sie geht. Er sieht auf seinen Laptop, nimmt sein Handy und tippt wieder auf dem Handy herum. Dann legt er es weg, sieht wieder auf den Laptop, öffnet ihn und beginnt wieder auf der Tastatur seines Laptops zu tippen. Er wirkt wieder so absorbiert wie schon vor der Ankunft des Mädchens. [...] Das Mädchen kommt nach einiger Zeit mit einem neuen Kaffee wieder. Der Typ hat seine Kopfhörer nur in einem Ohr drin. Jetzt setzt sie sich auf den Stuhl neben ihm. Er sieht nicht auf als sie kommt, sondern nur auf den Laptop, den er nun ein wenig in ihre Richtung dreht. Beide sehen darauf und sie trinkt dann an ihrem Kaffee. Er nimmt sein Handy und hält es vor den Laptop. Dann macht es Klick und er legt das Handy wieder hin. Vielleicht hat er ein Foto von seinem Bildschirm gemacht? Jetzt zieht er die Kopfhörer ganz raus und legt sie auf den Tisch. Beide sehen auf den Laptop, er macht irgendetwas mit seiner Mouse. Zwischendurch wird sein Gesicht von dem Laptoplicht aufgehellt, dann wird es wieder dunkler. Er haut mehrfach auf die Taste und lacht dann und sagt: ,es funktioniert!‘. Er lacht weiter. Das neben ihm sitzende Mädchen lächelt und sieht auf den Laptop.“

Gleich zweimal bringen das Mädchen und sein zielstrebiges Zusteuern auf den an dem Tisch in der Ecke sitzenden Typ diesen dazu, seine Arbeit auf je unterschiedliche Weise zu beenden, indem er seinen Arbeitsraum ausschleichen lässt. Die Absorbiertheit des Typen in seinem Arbeitsraum wird hier – wie schon im vorigen Transkriptausschnitt – neuerlich virulent als er das Mädchen erst in dem Moment wahrnimmt, da es direkt vor ihm steht und ihn begrüßt. Anhand des „Ach“ und seines überraschten Gesichtsaudruckes wird dies intensiviert. Das schrittweise Zurückfahren seiner Arbeitsraumkonstitution leitet der Typ im ersten Schritt, sehr schnell nach dem Eintreffen des Mädchens an seinem Tisch, mit dem Herausnehmen der Kopfhörer aus seinen Ohren ein. Der Laptop allerdings bleibt als Situationsteilnehmer aktiv bestehen und entsprechend schenkt

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der Typ ihm gleichermaßen wie dem Mädchen Aufmerksamkeit, indem er ihn ansieht und auf ihm tippt (vgl. Z. 7-10). Allerdings tippt er in moderaterem Maße als zuvor, als er noch mit dem Laptop alleine in seinem Arbeitsraum war und nur das Handy manchmal mit einbezog. Auch wird durch die Konversation und deren ,turntaking-Regeln‘ (vgl. Fußnote 21) sowie der Tatsache, wessen ,turn‘ gerade am Zuge ist, die Interaktion des Typen mit seinem Laptop strukturiert: So tippt er nur dann, wenn das Mädchen spricht, und nicht, wenn er selbst das Rederecht innehat, indem er es ausagiert. Auch trinkt er nun an seinem Getränk aus seiner Kaffeetasse, was er in seinem Arbeitsraum nicht tat: evtl. war die Tasse in seinem Arbeitsraum nicht anwesend. Der Typ scheint sich in dieser Phase in einer Art Zwischenraum zu befinden: Weder hat er seinen Arbeitsraum verlassen und kann vom Laptop ablassen noch kann er sich ihm wieder ganz zuwenden und das mit ihm sprechende Mädchen in seiner physischen Anwesenheit am Tisch ausblenden. Dass er dem Laptop und dem Mädchen aber in diesem Zwischenraum gleichermaßen Aufmerksamkeit schenkt, nimmt ein jähes Ende, indem er sich zurück beugt, gerade nicht mehr arbeitet und lacht (Z. 13 ff.). Er zieht sich hier immer weiter aus dem Arbeitsraum und von seinem Laptop zurück, indem er ihn a) nicht mehr ansieht, b) nicht mehr auf der Tastatur des Laptops tippt und c) sich physisch von ihm distanziert, indem er sich in seinen Stuhl zurücklehnt und damit auch seine Hände von dem Laptop entfernt (vgl. Z. 13). Die physische Distanzierung von seinem Laptop, das Zurückziehen aus dem Arbeitsraum, wurde eingeleitet, indem das Mädchen die physische Präsenz des Typen im Containerraum Café relevant machte, und ihn durch ihr Setzen an den Tisch und das Sprechen mit ihm dazu bringt, ihr gemäß sozialer Höflichkeitsformen nun auch Aufmerksamkeit zuzuwenden und entsprechend typische Cafépraktiken zum Zuge kommen zu lassen. So lehnt er sich im Stuhl zurück, trinkt an seinem Café, lacht mit dem Mädchen zusammen und unterhält sich mit ihr. Wäre der Laptop nicht zugegen und würde die Ethnographin erst jetzt die Situation beobachten, so wären es zwei CafébesucherInnen, die sich hier unterhalten (vgl. Z. 16-27).

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Der Zusammenfall seines Arbeitsraums wird von dem Typ mit einer beachtenswerten Geste vollzogen: „Nun wischt er über die Oberseite seines Laptops und klappt ihn aus dieser Bewegung heraus zu.“ (Z. 14-16). Bereits schon aus dem Arbeitsraum zurückgezogen, gibt es nun vielleicht keine Möglichkeit mehr, den Laptop in einer ausdrucksvollen Geste zuzuklappen. Hätte er dies direkt bei der Ankunft des Mädchens an seinem Tisch getan, hätte er markiert, dass sie es ist, die ihn aus seinem Arbeitsraum hervor- und von seinem Laptop weglockte. Stattdessen zog er sich schrittweise aus seinem Arbeitsraum in einen Zwischenraum zurück, in dem Laptop und Mädchen sowie seine Kaffeetasse gleichermaßen anwesend waren. Sein gewählter unauffälliger Rückzug aus dem Arbeitsraum folgt einer Logik: Das Wischen über den Laptop bringt seine Hände diesem wieder näher; er berührt ihn und –, da er schon einmal dabei ist‘ – schließt er ihn auch gleich. Der Laptop verschwindet aus der Situation; es gibt nur noch ihn und das Mädchen, die sich unterhalten und miteinander lachen: Sie arbeiten nicht, sondern trinken zusammen Kaffee. Der Containerraum ist ihr gemeinsamer Raum, in dem sie ihre Körper lässig platzieren und damit auch ihr Territorium markieren, es ist ihr Raum: Die Scheibe, die die Treppe von dem Raum im ersten Stock des Starbucks voneinander trennt, wird versehentlich bespritzt und wieder sauber gemacht. Der Caféraum wird damit wahrgenommen und für ihn wird Verantwortung übernommen; so oder so ähnlich sehen die typischen Praktiken aus, die von CafébesucherInnen getragen werden. Der Arbeitsraum des Typen ist verschwunden. Als das Mädchen ihn samt Jacke und Tasche wieder verlässt, wird nur durch den Abschied „bis gleich“ deutlich, dass sie wiederkommen wird (vgl. Z. 35). Der Typ nähert sich dem Betreten seines Arbeitsraumes: Er sieht seinen Laptop an, betritt den Arbeitsraum dann aber doch über ein anderes technisches Artefakt, sein Handy, auf dem er herumtippt. Schon hier macht er sich abwesend im Caféraum (vgl. Z. 36 f.). Nachdem er damit fertig ist, widmet er sich wieder seinem Laptop: sieht ihn erst an, klappt ihn dann auf – es wirkt wie eine Begrüßung des Laptops – und dann lässt er sich wie-

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der voll und ganz auf ihn ein. Er tippt und sieht nicht mehr auf, trinkt weder an dem Kaffe noch blickt er über den Rand des Laptops. Innerhalb kürzester Zeit ist er wieder in seinem Arbeitsraum verschwunden (vgl. Z. 39 f.). Als das Mädchen mit einem Kaffee in der Hand zurückkommt, verläuft ihr Interaktions- und Konversationseintritt anders als bei der ersten beobachteten Begegnung. Der Typ nimmt diesmal seine Kopfhörer, jetzt nur in einem Ohr, nicht heraus, er sieht nicht auf als sie kommt, sie begrüßt ihn nicht im Stehen, sondern setzt sich gleich, sie wählt nicht den Stuhl gegenüber, sondern direkt neben ihm, er beendet nicht kurz sein Tippen auf dem Laptop, sie sieht ihn nicht an, nachdem sie sich gesetzt hat, sondern den Laptop, der Laptopbildschirm bleibt nicht wie zuvor für sie unsichtbar, sondern er wendet ihn ihr zu. Die beiden interagieren jetzt nicht mehr direkt miteinander, sondern über den Laptop. Wenn sie überhaupt miteinander sprechen, dann wenden sie weiterhin beide ihre Blicke dem Laptop-Bildschirm zu, nicht einander. Wenn der Differenzierung von Latour in Menschen und Nicht-Menschen bzw. Agenten gefolgt wird, kann angemerkt werden, dass hier die technologischen Agenten das Ruder übernehmen: Das Handy macht (sich) ein Bild vom Laptop, der den Mittelpunkt der Situation darstellt, indem er die Aufmerksamkeit von dem Mädchen, dem Typen (und sogar von seinem Handy) bekommt (vgl. Z. 45-47). Diese Situation könnte auch als Arbeitssituation entziffert werden, doch wird sie zu kurz beobachtet, als dass weitere Praktiken, die als Arbeitspraktiken Markierung finden könnten, auffallen. Da der für die Ethnographin opak bleibende Laptop das Ruder übernommen hat und der Typ und das Mädchen nur noch auf seinen Bildschirm spähen, will die Ethnographin die Toilette aufsuchen, ist jedoch unschlüssig, was sie derweil mit ihrem Laptop tun soll. „Nun habe ich ein Problem. Ich muss auf Toilette. Was soll ich machen? Es erscheint mir als unmöglich, meinen Laptop in meine Tasche zu räumen und die Tasche mitzunehmen, weil: lasse ich dann meine Flasche und meine Jacke hier? Oder nehme ich die auch mit auf Toilette? Ich glaube,

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das fänden die Anderen komisch und noch dazu wäre es für mich selbst nicht sonderlich praktikabel, alles auf der Toilette dabei zu haben. Ich glaube, ich frage den Typen neben mir und lasse einfach alles hier stehen. Oh, gerade wollte ich es machen, aber dann habe ich noch einmal einen Seitenblick auf ihn geworfen und mir wurde plötzlich mein geplantes: ,Könntest du mal bitte kurz aufpassen?‘ 24 infrage gestellt: Muss ich ihn vielleicht siezen? Neben mir auf den Sesseln sitzen wieder Jugendliche. Die zu fragen erscheint mir aber noch komischer, weil der neben mir näher neben mir sitzt und auch am Laptop arbeitet. Ich glaube, er fände es auch komisch, wenn ich nicht ihn, sondern die später hinzugekommenen Jugendlichen fragen würde.“

Anhand des Problems der Ethnographin, wie sie mit ihrem Eigentum verfahren soll, zeigen sich interessante Aspekte in Bezug auf das Café, in dem einzelne Arbeitende und CafébesucherInnen eigene Räume errichtet haben. Was ist dieser Raum für einer, in dem man sich fragen muss, ob Andere sich vor den Kopf gestoßen fühlen könnten, wenn man entweder all seine Sachen mit auf Toilette nimmt oder jemand anders fragt als den, der offenbar ,zu fragen ist‘. Aber wieso geht die Ethnographin davon aus, dass der Mann neben ihr derjenige ist, den sie fragen sollte? Hier offenbart sich ein kulturelles Milieuwissen: Als Eingeweihte-in-Bibliotheken-Arbeitende würde sich das Problem dort nicht stellen. Ohne Probleme kann die Nachbarin in der Bibliothek darum gebeten werden, einen Blick auf den Laptop zu werfen und die Verantwortung für die kurze Dauer der physischen Abwesenheit zum Aufsuchen der Toilette übernehmen. Es wäre fast unkonventionell, nicht zu fragen und den Laptop 24 | Die Frage fällt nicht zufällig in dieser Formulierung aus. Vielmehr ist sie als Standardfrage zu betrachten, die arbeitenden Raumnomaden bekannt ist. Die Übertragung der Verantwortlichkeit für den Laptop von der Besitzerin auf eine andere unbekannte, physisch anwesende Person darf nur von kurzer Dauer sein. So ist in der kurz ausfallenden Frage, die den Anderen nur ebenso kurz stört, in der Regel die Markierung des Wunsches einer kurzfristigen Verantwortungsübertragung enthalten.

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sich selbst zu überlassen. Doch wie ist das im Starbucks? Die Ethnographin zieht eher nicht in Erwägung, die Jugendlichen neben sich auf den Sesseln zu fragen; zum einen weil sie später hinzu kamen und zum anderen weil sie zu mehreren anwesend sind. Der Mann neben ihr hält sich physisch näher zu ihr auf und ist in derselben Situation wie sie: Er sitzt alleine vor seinem Laptop. Es kann als eine triviale Vergemeinschaftung verstanden werden, die der Ethnographin in dem Moment, da sie sich fragen muss, wen sie als Verantwortlichen für ihren Laptop auserkort, deutlich wird. Der neben ihr sitzende Mann ist aufgrund seiner physisch-räumlichen Distanz und wegen seiner Tätigkeit und der Anwesenheit seines Laptops sowie der Tatsache, ohne menschliche Begleitung zu sein, prädestiniert zum Fragen. Dass der Laptop jemandem anvertraut werden muss, wenn die Ethnographin ihn als Platzhalter alleine auf dem Tisch stehen lässt, liegt darin begründet, dass es sich bei dem Containerraum, in dem die Körper und Laptops platziert sind, um ein Café handelt. In der Praktik des Fragens zeigt sich der Raum damit „nur“ als Caféraum. Kontrastiert man die Situation des Zwangs, den Arbeitsplatz für einen Moment verlassen zu müssen mit den Gegebenheiten in einer klassischen Arbeitsorganisation, wo jede MitarbeiterIn ihren angestammten Platz innehat, so wird deutlich, dass es der Ort, der Caféraum und die Tatsache, dass hier nicht nur Arbeitende sind und dass sie sich nicht kennen die beutsamsten Faktoren sind, die dazu führen, dass jemand gefragt werden muss und dass als Auswahlkriterien, wen man fragt, Fragen der Proximität und der Beschäftigung mit demselben technologischen Konstrukt relevant werden. Des Weiteren fällt anhand des Protokolls der Ethnographin auf, dass das Fragen einen solch starken Vergemeinschaftungscharakter trägt bzw. herstellt, dass in der Frage das „du“ als Anredeform bereits feststeht. Den Laptop kann man nur einem „du“, nicht einem „Sie“ anvertrauen: so wie das Duzen eine vertraute Form der Anrede im Deutschen ist, scheint es eine vertrauensbekundende Maßnahme zu sein, jemandem seinen Laptop für kurze Zeit zu überlassen. Doch könnte das Handeln der Ethnographin nicht nur dem kulturellen

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Prinzip bzw. der Konvention: ,Wertgegenstände vertraut man nur einer vertrauten/bekannten Person an‘ folgen, sondern auch Wissen darüber offenbaren, von welchen Personen angenommen wird, dass sie digital in einem Café arbeiten. Arbeiten am Laptop an diesem Ort wird von einer spezifischen Population vollzogen und es wird hier zu Recht nicht Jedermann erwartet. Solche, die im Café am Laptop sitzen, sind evtl. Milieuangehörige, die demnach sowieso eher geduzt werden. So herrschen auch in anderen Kontexten wie z.B. bei Angehörigen und BesucherInnen freier Kirchen oder in Coworking Spaces Konventionen des Duzens. Bereits die Tatsache, dass man sich an spezifischen Orten befindet, die zum selben Zweck aufgesucht werden, inkludiert die BesucherInnen in eine Gruppe und exkludiert alle Anderen, die an einem anderen Ort und bei NichtBekanntschaft als Erwachsene entziffert und somit gesiezt werden. Ähnlich wie im Coworking Space scheint es sich hier um eine Szene25 zu handeln, die im Café und andernorts, jedoch nicht überall arbeitet und deren Vergemeinschaftung in Exklusion Anderer, nicht im Caféraum Arbeitender, zutage tritt26.

25 | Während der Milieubegriff meist an einen „vordefinierten containerartigen Sozialraum[s]“ (Lange 2007, S. 101) gebunden ist, bezeichnet der Begriff der Szene ein „flüchtigeres, wandlungsbereiteres und kurzfristigeres Gesellungsgebilde“ (ebd., S. 103). 26 | Wenn hier von Gruppen gesprochen wird, dann ist immer gemeint, dass diese situativ durch ihre physische Anwesenheit und Tätigkeit am Laptop als eine solche erkannt werden kann, ohne dass sie dabei zusammen handeln muss. Vergemeinschaftend ist die Praktik des zur gleichen Zeit am selben Ort Arbeitens nur dann, wenn sie performativ wird; so etwa im Beispiel der Ethnographin, die ihren Laptop dem ,Du‘ neben sich anvertraut.

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3.6 D IE K ULTUR EINER S ZENE : C OWORKING S PACES UND C AFÉS

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In einem Coworking Space (betahaus) in Berlin konnte hingegen nicht beobachtet werden, dass Coworking Space NutzerInnen sich beim Verlassen ihres Arbeitsplatzes absicherten, dass andere Anwesende auf ihren Laptop aufpassen. Die bisherigen Forschungen verweisen eher darauf, dass es als Misstrauensbekundung allen Anderen gegenüber wahrgenommen würde, wenn einer einzigen Person der Wertgegenstand Laptop anvertraut würde. Da im Coworking Space alle einen Laptop dabei haben und meist viele Stunden dort bleiben, kommt es hier häufig vor, dass Laptops – fast immer geschlossen – alleine auf Tischen stehen. Doch ist es hier auch aufgrund einer weiteren Tatsache eher nicht vorstellbar, dass eine Absicherung des Laptops bei Abwesenheit des Eigentümers durch eine andere, unbekannte Person vollzogen werden muss: Coworking Spaces machen sich diskursiv zu einem Schauplatz, an dem eine – meist kreative – Szene tätig werden darf, die häufig von den NutzerInnen selbst als Gemeinschaft beschrieben wird, innerhalb derer offenbar ein bestimmtes Maß an Vertrauen auch bei fehlender Bekanntschaft Einzelner vorherrscht. So wirbt das betahaus an der betahaus Café-Wand im Erdgeschoss der Arbeitsräume mit dem Slogan: „we rent out workspace for creatives“ und rekurriert damit auf eine spezifische Szene als Adressaten. Die Macher der Coworking Spaces zählen zugleich auch zu jenen, die als Macher oder Bündelnde einer spezifischen Population begriffen werden können. Zugleich wird Mitgliedschaft in Coworking Spaces formal käuflich erworben und informell durch ,Membership-Praktiken‘ sowie durch ,doing working-Praktiken‘ und entsprechend eingekleidete und in Form gebrachte Körper dargestellt (vgl. zu leiborientierten Körperpraktiken von Kreativsubjekten Reckwitz 2006, S. 591). Auch wenn KreativarbeiterInnen sich in Coworking Spaces zusammenfinden, um zu arbeiten und die Macher von Coworking Spaces durchaus als „funktionale Organisationselite“ (Lange 2007, S. 105) begriffen werden können, indem sie sich einerseits diskursiv

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zu solchen machen, andererseits jedoch auch tatsächlich Coworking Space-Räume installieren, die sowohl diskursiv als auch physisch Containerräume etablieren, die in idealer Weise kreativitätsfördernde Arbeit garantieren (wollen) und das ästhetische Grundgerüst sowie eine Infrastruktur für digital Arbeitende stellen, so wird damit einem genuin „voluntaristischen Selbstorganisationspotenzial von Szenen“ (Lange 2007, S. 105) nicht widersprochen. Ein solches kann auch in Cafés stattfinden: Aufschluss darüber konnte beispielsweise durch die Arbeitsorganisationsweise von David Kadel und seinem Coworking-Team im Starbucks gewonnen werden. Über eine gewisse Dauer hinweg, konnte sich durch das individuelle Aufsuchen einer spezifischen Population, die sich durch regelmäßiges Antreffen im Starbucks und der dort von allen ausgeübten gleichen Tätigkeit (digital-kreatives Arbeiten) schließlich eine Art Arbeitsgruppe etablieren, die Synergieeffekte für die einzelnen Individuen erbringen konnte. Hierbei handelt es sich um einen nicht ökonomischen, demokratischen Gruppeninstitutionalisierungsprozess, der Mitglieder einer Szene ein Selbstorganisationspotenzial zu bescheinigen weiß. „Kollektive Projektarbeit“ (Reckwitz 2006, S. 524) stellt eines der zentralen Ziele der Kreativsubjekte dar, die sich zu dieser befähigen, indem sie jene notwendige „Teamfähigkeit“ (ebd.) inkorporieren. Das „Team als notwendige, affektiv besetzte Kreativitätsgemeinschaft“ (ebd., S. 525) ist für das Kreativsubjekt so zentral, dass es ohne sie „nicht kreativ sein könnte“ (ebd.). Die These, dass die entsprechenden Orts- bzw. Café-Aufsuchenden bereits Szenenangehörige waren, lässt sich darüber begründen, dass Szenenmitglieder sich darin zu erkennen geben, „eine eigene Kultur“ (vgl. Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 22) zu entwickeln, sich durch ein „Interesse am jeweiligen Szene-Thema“ (ebd.) auszeichnen, also ,kreativ arbeiten zu wollen/müssen und sich zu Kreativsubjekten machen zu wollen‘ „und (umfasst) darüber hinaus auch typische Einstellungen, Werte, Verhaltensweisen und Praktiken.“ (Lange 2007, S. 105). Außerdem lässt sich eine Szene „als eine Form der Vergemeinschaftung von Akteuren charakterisieren, die bestimmte materiale und mentale Formen der kollektiven Selbst-Stilisierung

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teilen, um diese Teilhabe wissen und diese Gemeinsamkeiten kommunikativ stabilisieren, modifizieren oder transformieren“ (ebd.). Während im Café, das anders als Coworking Spaces als Arbeitsort- und Raum errichtet wurde, Selbstorganisationspotenziale vornehmlich dazu führen, dass die Szenenangehörigen ihre Szenenkultur nicht (nur) in individualisierter Form, sondern in gezielt eingesetzten Interaktionen miteinander ausagieren, passen sich die NutzerInnen von Coworking Spaces immer schon in eine etablierte Raum-/Zeit-/Kosten- und Platzierungsstruktur ein, die von Symboloperateuren („den Machern“) in Ausrichtung an szenentypischen orts- und raumästhetischen Codes und in ökonomischer Orientierung bereits insititutionalisiert und verräumlicht sowie diskursiv abgesteckt wurden. So stellen Coworking Spaces im Vergleich zu Cafés, in denen gearbeitet wird, relativ homogene Gebilde dar, die zudem auf eine spezifische Population und Kultur hin gezielt entworfen wurden, während in Cafés, in denen Arbeitsräume konstituiert werden, aus Sicht der CafénutzerInnen die dort platzierten Körper-Laptop-Konfigurationen je nach Situation als sehr verschieden begriffen werden können. Sie können als normal, als subversiv, als seltsam oder als störend verstanden werden. Es handelt sich eben doch auf den ersten Blick um ein Café und nicht um einen Arbeitsraum, so dass CafébesucherInnen (unangenehm) überrascht werden können, wenn plötzlich um sie herum nur noch Arbeitende platziert sind. Hingegen sollen die NutzerInnen von Coworking Spaces in den speziell dafür etablierten Containerräumen arbeiten, so dass dies auch die Haupttätigkeit der Anwesenden in den Arbeitsräumen darstellt, was gerade für die Raumatmosphäre einen großen Unterschied macht. Oder anders: Hierher kommt niemand, um „nur“ Café zu trinken. Dass in Coworking Spaces auch die anderen Anwesenden (kreativ) tätig sind, kann die kreativen Arbeitsprozesse Einzelner auf besondere Weise katalysieren. Vor allem das geringe oder hohe Distinktionspotential, das die Orte mit ihren Angeboten selbst evozieren, fällt im Vergleich zwischen Café und Coworking Space auf: Während sich das Café durch ein großes Distinktionspotential auszeichnet, indem mithilfe portab-

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ler Laptops und das Bereitstellen von Wifi, Laptop-Körper-Konfigurationen angezogen werden, gleichzeitig der Caféraum aber auch von CafébesucherInnen aufgesucht wird, können die Coworking Space Macher ihre Erwartungen an NutzerInnen und deren Tätigkeit an diesem Ort schon in dem kurzen Slogan unterbringen: „We rent out workspace for creatives“ (betahaus).

3.7 D ER W EG ZUM A RBEITSORT : E IN G ANG INS U NGE WISSE ? S TÄDTISCHE O RTE Welche ortsverbindenden Praktiken etablieren kreativ Arbeitende, die mit Orts- und Raumsorgen so beschäftigt sind? Und welche szenespezifischen Dispositive städtischer Orte deuten sich hierin an? Freilich haben die hier vorliegenden Betrachtungen auch einen stadtsoziologischen Aspekt. Die im Rahmen der Arbeit untersuchte Szene, die mal hier, mal dort, doch nicht an jedem Ort arbeitet, und zum Arbeiten immer neue, meist bereits diskursiv präformierte Orte aufsucht, evoziert hierdurch auch neuartige Praktiken in der Stadt. Dies geschieht, indem das Kreativitätsdispositiv die KreativarbeiterInnen durch bereits beschriebene Prozesse an distinktive spezifische Orte führt. Sie verfügen über ein kognitives Stadtbild, das geeignete Arbeitsorte für sie bewahrt. Wie trifft eigentlich David Kadel die Entscheidung, wo er wann arbeitet? Er erzählt von seinen psychophysischen Strategien, in denen er gleichermaßen in sich hinein horcht und den Blick nach außen richtet: „das ist eigentlich wirklich Freiheit pur! – Buchhabel? Starbucks? #machst du’s auch so?# also ja quasi, wenn ich auf’m Fahrrad sitz und losfahr, denk ich manchmal: hm, soll ich jetz links abbiegen oder rechts, ne? Wo zieht’s mich heut hin? #und dann?# ja! also es gibt schon so Tage, da seh ich mich vor’m Starbucks mim Fahrrad und steig noch nich ma ab und guck rein und merk: Ne! keiner da! des is nich mein Ding heut. Und dann dreh ich um und fahr zum (.) zum nach links, da gibt ’s so ’n Muffinladen, da sitz ich z.B. im Sommer ganz gern ähm bis halt mein Laptop dann leer is, also

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da arbeite ich dann draußen und bieg dann da rüber um des (.) und des hat dann z.B. mit der Sonne zu tun in dem Fall, weil des (.) Sonne is auch inspirierend im wahrsten Sinne des Wortes, ja? entfachen, inspiral. Und im Starbucks kommt dann die Sonne in die Ecke, also es is wirklich so (.) nach Gefühl ganz oft. Wo hast du des beste Gefühl, was dich zum arbeiten animiert? könnte man wissenschaftlich so ausdrücken. (.) ja, (.) weil ich einfach glaube dass (.) und wie gesacht, ich sprech jetz da für für die ganze Branche, die in kreativen Berufen arbeitet. Wenn ich jetz jemand wäre, der müsst den ganzen Tag irgendwelche Büroklammern oder Kram wo er gar nich denken muss, dann is eigentlich vielleicht dir grad wurscht, ob da grad Sonne is oder Leute sind, es muss eh getan werden. Aber ich ich such ja immer nach was in mir, was so raus kommen soll auf Papier oder wo auch immer und ähm (.) da is dieses (.) dieser Wohlfühlcharakter ganz äh entscheidend, diese Komponente. Menschen (.) äh Tageslicht, Tageszeit, z.B. gibt’s es gibt ja so ’ne Zeit, z.B. es gibt ja so Tage im Winter, oder jetz vor ’n paar Wochen eigentlich, da war’s nachmittags um 2 Uhr schon dunkel und du denkst ey, what’s going on so? also ich brauch irgendwie Licht, sonst schlaf ich noch ein! Also es sind so Komponenten zum Wohlfühlen und wenn das alles so stimmt, ne? man is da so ’n bisschen (.) fast schon Autist (lacht) und dann legste los.“

Abbildung 3 zeigt, wie David Kadel seine verschiedenen Arbeitsorte kognitiv miteinander verbindet. Auf dem Weg dorthin gibt es nichts, was für ihn von Bedeutung wäre: es sind die Orte selbst, die ihn anziehen. Es ist bemerkenswert, dass er jeden Weg, so kurz er auch ist, mit dem Fahrrad fährt. Hierbei handelt es sich um eine Routine. Die Bezeichnungen, die er den Orten anfügte, wollte er selbst einzeichnen, um die Orte in der Präferenzordnung, die sie für ihn haben, auch auf der kognitiven Karte zu ordnen. Vor dem Hintergrund der Subjekttechniken des Arbeitens und der Betrachtung, wie das Selbst zum Arbeiten animiert wird, wurde ein Teil dieser Sequenz bereits betrachtet. Hier wird außerdem deutlich, dass David Kadel entsprechend seiner Selbstbeschreibung manchmal bis zum letzten Moment nicht weiß, wohin er abbiegt: links oder rechts? Mit dieser Entscheidung einher geht im folgenden Ver-

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Abbildung 3: Kognitive Karte von David Kadel

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lauf, wo er sich zum Arbeiten niederlässt. „Wo zieht’s mich heute hin?“ stellt eine Form der Selbstbefragung dar, ein ,in sich Hineinhorchen‘. Es handelt sich hier um eine Praktik der Selbstzuwendung, die auch der Verfasstheit bzw. der Vorstellung von Kreativität entspricht: „ich such ja immer nach was in mir, was so raus kommen soll“: Eine innere Essenz muss durch spezifische Techniken nach draußen befördert werden, so hier die Konzeptualisierung von Kreativität. Orte dienen der Hervorlockung von kreativem Potential: die Stadt und ihre materielle Verfasstheit, ihre leibliche Erfahrbarkeit sowie ihre diskursive Aufbereitung stellen hierbei zentrale Mittel dar, derer David Kadel sich in seinen Techniken der Herstellung der Möglichkeit, kreativ zu arbeiten, bedient. Während zuvor im Starbucks die Sonne als für den Laptop zu störend angesehen wurde, kann die Sonne im „Muffinladen“ nun inspirierend sein: der Ort (und die Stimmung) sind es, die die Sonne im Starbucks als unliebsam erscheinen lässt, während sie andernorts als inspirierend gewertet wird. Es ist nicht nur David Kadel, der betont, er spreche damit „für die ganze Branche“. In gewisser Weise spricht er hier auch einen Diskurs. Dass es sich gerade bei Äußerungen, die sich auf städtische Orte und Räume richten, um solche handelt, die einer Diskursordnung folgen, wird schnell ersichtlich: Coworking Spaces werden nicht überall errichtet. Wo sie sich allerdings befinden, ist von großer Bedeutung. Z.B. geben Webpages von Coworking Spaces ausdrucksvoll Aufschluss darüber: So stammen die folgenden Ausschnitte jeweils von der „Home“-Page der Webpages, sind also direkt sichtbar, wenn die URL der entsprechenden Coworking Spaces im Internet aufgesucht wird. Alle im Internet besuchten Berliner Coworking Spaces verweisen auf die Bedeutsamkeit städtischer Orte, aber auch auf die Bedeutsamkeit von Adressen und ihrer Bedeutsamkeit im Diskurs: „We are a coworking space located in Berlin-Kreuzberg providing desks, wi-fi and a friendly atmosphere for independent workers.“ (co.up). Eine nähere Erläuterung dessen, worum es sich bei „co.up“ handelt, folgt nach einem Klick auf den unter dem oben stehenden Zitat platzierten Link „more“:

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„co.up is a coworking space. That means you just grab any free seat (desk, couch, bar …), plug in your laptop, and you are good to go. Nobody owns a desk, and you can sit down at a different spot every day if you want to.“ (co.up). „Studio 70 – Coworking Space in Berlin-Neukölln. Das Studio 70 ist als Ort für Arbeit und Veranstaltungen ein Coworking Space in Berlin-Neukölln. Gelegen genau zwischen Reuter- und Graefekiez.“ (studio 70) „betahaus Berlin“ (betahaus) „Wostel. What’s happening? 48 Stunden Neukölln im Wostel! (wostel)

Neben den stets direkt den Homepages entnehmbaren geographischen, städtischen Verortungen der Coworking Spaces in Berlin27, wird auch direkt dafür geworben, dass KreativarbeiterInnen sich ,professionelle Adressen‘28 kaufen können, so z.B. das Angebot von „mobilesuit“: „Berlin, Prenzlauer Berg, geöffnet werktags 9-19 Uhr – auf Wunsch 24/7 Prenzlauer Berg ist Nährboden für das junge, moderne Berlin und hat sich mittlerweile zur begehrten Büro-Adresse gemausert. Hier steht der eigene Schreibtisch mitten im kreativen Herzen der Stadt. Vollwertige Geschäftsadressen und komplette Virtual Offices in bester Lage: Willkommen bei 27 | Das betahaus bildet hier eine Ausnahme, da es nur mit „betahaus Berlin“ und nicht mit seiner Lage in Berlin wirbt. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies der Tatsache geschuldet ist, dass das betahaus vor den anderen oben aufgeführten Coworking Spaces gegründet wurde und die Ortsspezifik, die Angabe der örtlichen Platzierung der Coworking Spaces in Berlin mit quantitativer Zunahme der Coworking Spaces ebenso zunahm wie an Bedeutsamkeit gewann. 28 | Die Funktionen dieser Adressen sind vielfältig: Indem man eine Adresse kauft, professionalisiert man sich vor sich selbst, zugleich vor seinen Kunden und allen Mitwissenden, Szenenangehörigen. Kreativitätsund Popularitätseffekte für die Orte und das Quartier sind gleichsam zu erwarten bzw. werden reproduziert. Die Kurzform: ,hippe Orte, hippe IchAG‘ deutet dies an.

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mobilesuite. Neben dem Coworking bietet mobilesuite auch repräsentative Geschäftsadressen in Berlin. Entweder als Zusatz zum eigenen Büro oder flexiblen Arbeitsplatz vor Ort oder ohne – ganz nach Wunsch. Schon ab 69/Monat. Die eigene Geschäftadresse ist dabei eine vollwertige. ,Vollwertig‘ bedeutet, dass sie ohne Nennung von ,mobilesuite Coworking‘ oder ,c/o‘ auskommt, sondern ganz eindeutig als eigene Anschrift erkennbar ist. Derzeit bieten wir Geschäftsadressen in unserem Standort Berlin, Prenzlauer Berg, an. Die entsprechende Anschrift lautet dann: Meine Firma Pappelallee 78/79 10437 Berlin Und wenn es nicht klappt mit dem Abholen der eigenen Post, leiten wir alles auch gerne gesammelt weiter. Täglich, wöchentlich oder monatlich. Genau so bequem geht auch das Einrichten der eigenen Geschäftsadresse – und zwar jederzeit online über unsere Buchungsstrecke. Als sinnvolle Verbindung aus vollwertiger Geschäftsadresse und dem bewährten mobilesuite Telefonservice lässt sich sogar ein komplettes Virtual Office aus einer Hand einrichten. Die Geschäftsadresse lässt sich dann sogar als alleiniger Firmensitz nutzen. Ganz einfach“ (mobile.suit 2012).

Ähnlich wirbt auch creative media lab mit seiner Adresse am Alexanderplatz nach Angabe des eigenen Namens: „Die Co-working Adresse direkt am Alexanderplatz.“ (creative media lab o. J.) Darunter werden „allgemeine Informationen“ in Stichpunkten aufgeführt: „Zentrale Lage mit weltbekannter Adresse; Von der 14. Etage Blick über ganz Berlin; Exzellente Verkehrsanbindung; Arbeiten in kreativer Atmosphäre und spannendem Netzwerk; Individuelle Arbeitsplatzlösungen vom virtuellen Büro, flexible Einzelschreibtische bis großzügige Büroräume; Repräsentative Ausstattung; Vielseitiger Service“ (ebd.).

Das Angebot von mobile suit und creative media lab, nun auch ein „komplettes Virtual Office“ (mobile.suit) buchen zu können, scheint eine neue Entwicklung von Coworking Spaces zu sein, ein Angebot, das vor einigen Monaten noch nicht existierte, ebenso wie es ein

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solch großes Angebot an Coworking Spaces erst neuerdings in Berlin gibt. Es zeigt sich hier demnach noch ein ganz anderer Aspekt der Bedeutsamkeit von Orten, indem verdeutlicht wird, dass das Aufsuchen ausgewählter städtischer Orte nicht nur in den Alltagspraktiken bedeutsam ist, sondern diskursiv auch der Professionalisierung29 der KreativarbeiterInnen dienen soll. Ökonomisch ausgerichtete Coworking Spaces werben mit Adressen, die von Freelancern als eigene Geschäftsadresse angegeben werden und für diese gewinnträchtig sein soll. Diese Werbestrategie kann nur insofern sinnvoll sein, da bereits spezifische Orte als kreativ und hip gelabelt und Materialitäten ästhetisiert sind. Dies gilt offenbar auch für bestimmte Adressen oder Quartiere, die als kreative, hippe, angesagte, neue und aufstrebende diskursiv30 eingefasst wurden. Gleichsam wurden diese Attribute auch in die sich dort befindlichen Materialitäten inskribiert. Sucht man über „Google maps“ mithilfe der Schlagwörter „coworking space Berlin“, so wird auf der daraufhin erscheinenden Karte schnell augenfällig, dass viele verschiedene Coworking Spaces innerhalb einiger weniger Quartiere platziert sind. So finden sich von zwölf Coworking Spaces zwei am Prenzlauer Berg, drei in Friedrichshain und der Rest zwischen Friedrichshain-Kreuzberg und 29 | Bereits im Heimarbeitskapitel wurde darauf hingewiesen, dass der Heimarbeitsplatz einer Entwertungsgefahr und Aberkennung als Arbeitsplatz ausgeliefert ist. So entschied auch Thomas sich zu einer Professionalisierung, die ausschließlich eine Professionalisierung vor sich selbst darstellt und die er durch die dauerhafte Verlagerung seines Arbeitsplatzes von zu Hause ins Coworking Space erzielte (vgl. Fußnote 2 des Kapitels 2.1). 30 | Dass hier überwiegend die diskursive Präformierung von Orten betont wird, soll nicht darüber hinweg täuschen, dass hierbei auch spezifische Materialitäten und ihre Affordanz eine bedeutsame Rolle in diesem Prozess spielen und auch die Alltagspraktiken der AkteurInnen es sind, die Orts-Diskurse, in denen wiederum Materialitäten der Orte entsprechend eines Szenewissens symbolisch bzw. kulturell codiert werden, reproduzieren und tragen.

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Neukölln (vgl. Google Maps, Angaben vom 16. 1. 2012). Es wird hier auf einen Blick durch einen Übersetzungsvorgang, der Coworking Spaces in eine Karte inskribiert, sichtbar, dass – wie Frey schreibt – zahlreiche Gemeinsamkeiten, Homogenitäten und Charakteristika von Orten (in Berlin) existieren, „die jeweils über die Szenen und Milieus aufrechterhalten werden“ (Frey o. J.), aber auch erst hergestellt werden und sich in städtischen Quartieren verankern. „Wie Stadtnomaden schwirren die Kreativen in der Stadt umher, suchen und finden neue Orte, die temporär bespielt werden. Die Aneignungsstrategien dieser Orte lassen sich als einen ,konkreten Urbanismus‘ (vgl. Frey 2003) bezeichnen. Die Bindungskraft von bestimmten Orten nimmt ab, zu anderen Orten entstehen flexible, nicht starre Beziehungsmuster. Aus einigen temporär genutzten Orten werden im Laufe der Zeit beständige Nutzungen“ (Frey o. J.).

Coworking Spaces stellen örtlich-räumlich-materielle Institutionalisierungen von Platzierungsbestrebungen kreativ digital arbeitender Freelancer dar. Dass diese sich überwiegend innerhalb eines Quartiers in Berlin gruppieren, platzieren, niederlassen, verdeutlicht zum einen, dass es sich um eine Szene handelt, die sich auch physischmateriell in einer gewissen Nähe zueinander aufhält. Zum anderen führen die örtlich-räumlichen Fixierungen und Institutionalisierungen von Coworking Spaces im Quartier dazu, dass dieses selbst an Kreativitätsverlockungen gewinnt, die sich sowohl – im und durch den Glauben daran – förderlich auf den kreativen Arbeitsprozess auswirken kann31, jedoch zudem auch Identitätsverlockungen bereit 31 | Reckwitz analysiert in seinem jüngst erschienen Buch „Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung“ einen Artikel des Magazins „Life“ aus den 1960er und 1970er Jahren, als sich der Prozess von kreativen Städten bereits andeutete. Neben städtischen Orten werden hier außerdem die Containerräume in den Vordergrund gestellt und eine Kreative äußert sich folgendermaßen: „,Wenn du in winzigen Wohnungen lebst und arbeitest, bleiben auch deine Ideen winzig‘“

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hält. Es spiegelt einen Lebensstil der Szene wider, entweder entsprechend institutionalisierte verräumlichte passende Orte im ,richtigen Quartier‘ aufzusuchen, um dort zu arbeiten, oder sich selbst auf die Suche nach ästhetisierten oder ästhetisierbaren Orten und Räumen zu machen, an denen Arbeitsraumkonstitutionen und kreative Arbeitsprozesse möglich werden. Diese halten zugleich aufgrund symbolischer Verdichtungen sinnlich-affektiver urbaner Atmosphären Subjektivierungen für Kreative als Kreative bereit und evozieren Möglichkeiten und Bedingungen für Praktiken der Selbstinszenierung als Kreative.

(Reckwitz 2012, S. 270). Auch hier wird demnach neben dem Quartier und Ort des Lofts auch die Größe des Raums, in dem gearbeitet (und gelebt) wird, in Bezug zu Entfaltungsmöglichkeiten von Kreativität gesetzt.

4 Fazit: Kreativitäts- und Raumdispositiv

Die KreativarbeiterInnen wählen städtische Orte für Arbeitsraumkonstitutionen, die in den von ihnen getragenen Praktiken ästhetisiert, als kreative codiert und in Materialitäten sowie die Orte selbst eingeschrieben werden. Diese Inskriptionen sind dermaßen mächtig, dass sie sich sogar in Form von der ,richtigen Adresse‘ auf die sich dort Niederlassenden und ihren Erfolg und Anerkennung als Kreative (auch unter anderen Kreativen) auswirkt. Das spezifische kulturelle Wissen, das digital-kreativ arbeitende Freelancer dazu anleitet, spezifische Orte aufzusuchen und sie als Arbeitsorte zu erwählen, wird in einem Geflecht aus Ästhetik, materiellen Anordnungen und diskursiven Überformungen sowie Symbolen, die diskursiv konstruiert und in interaktiven ,claims‘ relevant gemacht werden, hergestellt. Dieses Wissen zeugt von orts- und raumästhetischen Dispositiven, die als Bestandteil des Kreativitätsdispositivs betrachtet werden können. Denn letzteres ist es, das die Kontingenz dessen, was unter Kreativität verstanden wird, aufhebt und mit Bedeutung versieht. Orte und Räume werden, wie die Studie mehrfach zeigte, erst in und durch die Orientierung an einem spezifischen Verständnis von Kreativität und dessen, was Kreativität benötigt, um überhaupt aufzutreten, bedeutsam. Das Kreativitätsdispositiv ist es, das Kreativität als begehrenswertes Ziel und Zustand formiert, indem Kreativität kulturell attraktiv gemacht wird. Zugleich werden durch dieses Dispositiv Subjekt- und Selbstformen möglich, die auch in Orientierung an Körperformungen, digitalen Raumkons-

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titutionspraktiken und Selbststilisierungen unter Einbezugnahme von Orten, die Genuss versprechen, kreative Arbeit als experimentelles Spiel konzipieren. Wenn dieses ,richtig‘ gespielt wird, werden zugleich auch Selbstempfindungen des Subjektes ermöglicht. Die „körperlich-mental-affektive[n]“ (Reckwitz 2006, S. 556) Zustände, die durch gelungene Arbeitsraumkonstitutionen an den ,richtigen‘ Orten hervorgebracht werden, ihnen aber auch vorausgehen, und in denen „,optimal experience[s]‘“ (ebd.) möglich werden, generieren die Möglichkeit „des inneren Erlebens libidinös besetzter Situationen“ (ebd.). In diesen wird nicht nur der stets herbeizuführende ,flow‘ kreativer Arbeit erzielt, sondern es emergiert in diesem Prozess auch das Kreativsubjekt. In seiner Flüchtigkeit erscheint es nur an Orten, denen der Lebensstilkultur entsprechende Ästhetisierungen eingeschrieben sind, wodurch es schon seine Begehrensstruktur aufzeigt. Wiederum können die Orte den Arbeitsprozess katalysieren, indem das Kreativsubjekt dort bzw. durch sie zum Auftritt gebracht wird. Es ist ein wenig so, als würden die Orte den Kreativsubjekten gut zureden: ,Komm schon hervor, dann werde ich Dich belohnen‘. Die Belohnung des Kreativsubjektes ist 1. die Möglichkeit zur Produktion eines geeigneten Arbeitsraumes, 2. die Prozessierung kreativer Arbeit, mit der es selbst zufrieden sein kann und 3. ein Wohlgefühl an diesem Ort, in diesem Raum. Diese Prozesse sind untrennbar miteinander verknüpft. Zufrieden ist das Kreativsubjekt dann, wenn seinen Affekten situativ stets die höchste Bedeutung eingeräumt wird und es zugleich kreativ tätig werden kann. Wenn die Experimentierfreude des hervorgelockten Kreativsubjektes sein kreatives Potential materialisieren, also in kreative Arbeit umsetzen kann und es sich zugleich als Kreativsubjekt und digitaler Vorreiter stilisieren kann, offenbart es damit auch seine „semiotische Kompetenz“ (Reckwitz 2006, S. 587), die im Kreativitätsdispositiv spezifisch codiert ist und auch darin besteht, Orte als für die kreative Arbeitsraumkonstitution geeignete zu erkennen und auszuprobieren. Die Bedeutungskonstrukte, die mit Arbeitsraumkonstruktionen und kreativem Arbeiten verknüpft sind, werden durch das Dispositiv ermöglicht und in Praktiken produziert: Das Netz des Dispositivs

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„erfährt seinen Sinn, wenn die Akteure ihren Körper und die Bereitschaft zur Erfahrbarkeit dieser Situation mit in das temporäre Kräftefeld integrieren. Orte [...] spielen dabei in der Konstituierung von Vergemeinschaftungsformen eine zentrale Rolle.“ (Lange/Steets 2002, S. 36). Es kommen auch deshalb nicht alle Orte für Arbeitsraumkonstruktionen infrage, weil sie nicht für alle KreativarbeiterInnen infrage kommen. Dieser zirkuläre Schluss verweist neuerlich auf das Kreativitätsdispositiv, das eben nicht alle Orte entsprechend ästhetisierbar macht. Da Vergemeinschaftung einen zentralen Aspekt der Entstehung spätmoderner digital-kreativer Arbeit ausmacht und diese nicht überall zu erzielen ist, wird die Ortssorge Einzelner wiederum von der Anderer (Kreativer) abhängig gemacht. Es zeigt sich hier u.a. ein Grund dafür, warum die Coworking Spaces in Berlin – flächenräumlich betrachtet – relativ nahe beieinander sind. Die für Coworking Spaces erwählten Orte unterscheiden sich freilich je nach Stadt, dabei weisen sie jedoch auch einige Ähnlichkeiten auf. So notiert Liegl, dass es sich um ein „hübsches Paradox [handele], wenn sich Orte mit offener Architektur als Raumdispositiv weltweit vervielständigen.“ (Liegl 2011a, S. 188). Die Suchen nach neuen, oft als authentisch bezeichneten Orten finden überwiegend in urbanen Räumen statt, die auf Ähnlichkeiten bzw. Fortsetzungen ähnlicher Raumformate verweisen. So erzählt Sabrina Hofmann, die aktuell an der Eröffnung eines Coworking Spaces in Wiesbaden beteiligt ist: „Und jetzt fahren wir nächste Woche nach Berlin, um uns inspirieren zu lassen, vor allem für die Inneneinrichtung. Die Räume haben wir ja schon, aber da kann man auch noch einiges mehr draus machen.“

Berliner Coworking Spaces fungieren hier als Raum- und Inneneinrichtungsvorbild und sollen auch Ideen für neue, ästhetische Konsumgüter liefern, auf die die Hoffnung projiziert wird, weitere Distinktionsprozesse anzustoßen, indem sie im besten Falle von Szenevertrauten als besonders hip entziffert werden. Dies könnte – so die implizite Erwartung der Coworking Space Etablierenden – sich wiederum positiv auf das sich gerade etablierende Coworking

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Space in Wiesbaden auswirken, indem spezifische, wiederum ,besonders hippe‘ BesucherInnen und ihre Körper angezogen werden, die weitere Gestaltungsaspekte mit einbringen. Wiesbaden und Berlin verflechten sich hier über Coworking Spaces in ihren Raumkonstellationen, Reglementierungen der Macher für die Coworking Space NutzerInnen und in den gewählten Materialitäten. Die Avantgarde mobiler Technologien ist anspruchsvoll, die Sorgen der Coworking Space Macher um den Raum, den sie herrichten, berechtigt. Doch bei all ihrer Sorge und Suche nach Orten und Räumen, die den launischen Kreativsubjekten entsprechen, so treibt sie doch eine Sehnsucht nach dauerhaften Niederlassungsformen um. Besiedelungspraktiken wie die von David Kadel bestehen neben solchen Praktiken, die von KreativarbeiterInnen getragen werden, die täglich und zu immer gleichen Zeiten dasselbe Coworking Space aufsuchen und hierbei weniger Abwechslung und Unvorhersehbarkeiten erwarten können als dies beispielsweise bei David Kadel der Fall ist. Strukturierungen des arbeitenden Selbst, Formen der Selbst- und Arbeitszeit-Organisation sowie Formen der Selbstregulierung stellen Zwänge dar, die von den KreativarbeiterInnen bewältigt werden müssen. Das zentrale Paradox, das stetig austariert werden muss, ist das zwischen Effizienzorientierung kreativer Arbeit als Erwerbsarbeit und kreativer Arbeit als sinnstiftendes Moment einer spezifischen Lebensstilkultur, die den Rahmen dafür bietet, was denk- und machbar ist, was falsch und was richtig ist. Glaubt man Voß/Pongratz, so handelt es sich bei den Selbstführungen und subjektivierenden Wirkungen, die im vorliegenden Untersuchungskontext als durch die Selbstorganisation von Arbeit entstanden rekonstruiert wurden, um umfassendere Entwicklungen, die auch für klassische Arbeitsorganisationen zutreffen. Ein in der Arbeits-, Industrie- und Betriebssoziologie populärer Ansatz zur Beschreibung aktueller Entwicklungen von Arbeitsformen wird von Pongratz/Voß vorgestellt, die den Begriff des ,Arbeitskraftunternehmers‘ entwickelten, um damit auf einen die Spätmoderne prägenden Arbeitstypus zu zielen. Sie gehen von der These aus, dass sich Arbeitskraft entgrenzt, woraus ein „neuer gesellschaftlicher Leittypus

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für Arbeitskraft entstehen kann“ (Pongratz/Voß 1998, o. S.). Den Typus ,Arbeitskraftunternehmer‘ charakterisieren sie durch eine „verstärkte Selbst-Kontrolle“ (ebd.), die sich in „allen Dimensionen von Arbeit“ (ebd.) zeige: „bei der Flexibilisierung von Arbeitszeiten, in der Lösung räumlicher Bindungen der Arbeit, in der Ausdünnung von Vorgaben für die soziale Kooperation, in der Individualisierung und Dynamisierung von Qualifikation, in Erwartungen an eine verstärkte Eigenmotivation und sogar in Erwartungen an eine selbstregulierte technische Unterstützung der Arbeit“ (ebd.).

Dabei beziehen sie ihre Beobachtungen auf Arbeitsorganisationen, wenn sie von Betrieben schreiben, die neuerdings bezüglich ihres Verhältnisses zu ihren Arbeitskräften nach der Devise agierten: „,Wie sie die Arbeit machen ist gleich – Hauptsache das Ergebnis stimmt!‘“ (ebd.). Die Folge für die in Betrieben tätigen Arbeitskräfte ist, dass statt unmittelbarer Kontrolle durch Vorgesetzte nun Selbst-Kontrolle tritt. Eine neue „Qualität der Ökonomisierung von Arbeitskraft“ (ebd.) sei die Folge. Arbeitskraft und ihr Einsatz werde entsprechend „effizienzorientiert entwickelt“ (ebd.). Die Autoren prognostizieren, dass die Konsequenz der beschriebenen Prozesse eine neue Lebensweise sein könne, die „möglicherweise immer mehr eine aktiv zweckgerichtete, alle individuellen Ressourcen gezielt nutzende systematische Durchgestaltung des gesamten Lebenszusammenhangs werden, die in neuer Qualität systematisch auf den Erwerb ausgerichtet wird“ (Pongratz/Voß 1998, o. S.).

Die hier angestellten Analysen gaben Aufschluss darüber, dass dies für die KreativarbeiterInnen nicht der Fall ist. Sie handeln nicht ausschließlich effizienzorientiert, sondern auch und gerade in Orientierung an eigenen Affekten. Dies weist sie als besonders achtsam mit sich umgehende Akteure aus, die sich eben nicht von der Devise ,Egal wie – Hauptsache, das Ergebnis stimmt!‘ einnehmen lassen. Der Zielzustand kreativen Arbeitens existiert. Er indiziert zugleich

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eine Effizienz- und eine Affektorientierung und hält zudem noch wünschenswerte Subjektivierungsmöglichkeiten bereit. Die von den im Arbeitsprozess emergierenden Subjekten auszuführenden Aufgaben erfüllen sie teils schon durch ihre Orts- und Raumsorgen, die sie in ihren Suchen zum Ausdruck bringen und die darin kulminieren, dass sie sich niederlassen und an ausgewählten Orten auch erfolgreich kreativ tätig werden. Die Kreativsubjekte dirigieren demnach ihre Bewältigungsaufgaben, die ihnen durch das Dispositiv aufgegeben werden, in das sie eingeflochten sind, weiter an Orte und Städte, Quartiere und Räume, die sie in kreativer Weise selbst konstruieren müssen. Ein stillschweigendes Bündnis zwischen Orten und Subjekten wird eingegangen, indem beide voneinander in Bezug auf Ästhetisierungs- und Kreativitätseffekte profitieren. Die Beschreibung und Analyse der kulturellen Praktiken, die das spätmoderne idiosynkratische Feld der von mobiler Technologie abhängigen Kreativarbeit prägen, leistet einen Beitrag zum Verständnis aktueller und zukünftiger Arbeits- und auch Lebensformen. Die hier betrachtete Population zeigt, wie eng Arbeits- und Lebensweise miteinander verknüpft sind, indem der Wunsch nach einem erfüllten Leben, insbesondere durch den Wunsch nach geliebter und Freude bringender Arbeit, aufgeht. Die Wünsche nach Loslösung aus Hierarchien und nach Selbständigkeit sind oft prägend auf dem Weg, den Kreativ- und WissensarbeiterInnen einschlagen. Begleitet und geprägt wird dieser Prozess durch die Freiheit, den Ort des Arbeitens selbst erwählen zu können. Dass dies spezifische Bereicherungen mit sich bringt, stellt eine Beobachtung dar, die auch für viele Unternehmen von Interesse ist. Die aktuellen Entwicklungen der Veränderung dessen, was Selbständigkeit bedeutet, wie Arbeit gestaltet werden kann, in welchen netzwerkförmigen Strukturen sie und das, was als Kreativität begriffen wird, entstehen kann, werden seit längerem mit Spannung von Unternehmen beobachtet, die sich im Rahmen ihrer Unternehmensführung hiervon Inspiration versprechen. KreativarbeiterInnen am Laptop können damit als die Vorhut einer Entwicklung betrachtet werden, die erst – wie aktuell – in spezifischen Settings und in bestimmten Nischen entsteht und sich

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dann unter Umständen immer weiter ver- und ausbreiten wird. Es wäre wünschenswert, zukünftig zu untersuchen, welche Bedeutung andere technische Geräte wie z.B. Smartphones oder auch Tablet PCs in neuen, durch einen hohen Mobilitätsgrad ausgezeichneten Arbeitspraktiken spielen. Welche Rolle hierbei physische und nicht physisch sichtbare, jedoch erfahrbare Räume spielen, wurde im Rahmen der Studie thematisiert, verdient jedoch intensivere Betrachtung. Insbesondere der Überlagerung verschiedener Räume, der gleichzeitigen Anwesenheit von AkteurInnen in virtuellen und ,Container-Räumen‘ sowie der Rolle, die dies für soziale Interaktionen im Rahmen privater sozialer Beziehungen, aber auch innerhalb von Arbeitskontexten spielt, sollte intensivere Betrachtung geschenkt werden. Dass dies nicht nur für die Szene der Kreativen bzw. der Kreativ- und WissensarbeiterInnen von Bedeutung ist, verdeutlicht z.B. der folgende Satz, der sich auf die Zielgruppe ,MitarbeiterInnen von Unternehmen‘ bezieht und der stark an typische Postulate von Coworking Space Macher erinnert: „Es geht um Freiräume, wo freies Denken und Spinnen erlaubt und gefördert wird. Neben der Kultur spielen die Räume eine wichtige Rolle. Dabei geht es aber nicht um architektonische Verschönerungen, sondern um Räume, die die Zusammenarbeit und Kreativität fördern. Und diese Frei-Räume können aber nur funktionieren, wenn auch die organisationalen Rahmenbedingungen stimmen.“ (O. A. Innovationsmanagement 2011). Es geht hier darum, dafür zu sorgen, besonders talentierte MitarbeiterInnen in den Unternehmen zu halten. Betont wird die „Relevanz von Räumen, organisational, technologisch und architektonisch, um Wissensarbeit, Kreativität und Wohlfühlen zu fördern. Nur so könnten Unternehmen in Zukunft Talente ,in ihren Räumen‘ halten“ (ebd.). Die vorliegende Studie gab Aufschluss über die Bedeutung und die Verbindung von Raum, Kreativität und Affekten im Rahmen des Feldes der Kreativ- und WissenarbeiterInnen. Untersuchungen, die sich auf neue Entwicklungen im Rahmen von Arbeitsorganisationen richten und in den Blick nehmen, welche Rolle in diesem Kontext

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den Kategorien Raum, Kreativität und Affekten, wie insbesondere Emotionen und Stimmungen, zukommt, könnten dazu dienen, die hier gestellte gesellschaftliche Diagnose in Bezug auf aktuelle Arbeitsformen auf weitere institutionale Bereiche auszuweiten. Nicht zuletzt machten das hier untersuchte Feld und die FeldteilnehmerInnen darauf aufmerksam, dass soziologische Forschung sich eben nicht ausschließlich auf Daten richten kann, die ,von außen‘ beobachtbar sind, sondern vielmehr diese beobachtbaren Praktiken auch gelegentlich – und im untersuchten Feld in zentraler Weise – durch emotional empfindsame AkteurInnen verkörpert werden. Dass die Bedeutsamkeit einer solchen Empfindsamkeit in Bezug auf Arbeit und Raum nun auch von Arbeitsorganisationen in Bezug auf ihre MitarbeiterInnen als relevant betrachtet wird und ihre PersonalmanagerInnen sich diesem Thema mehr und mehr zuwenden, könnte ein Hinweis auf ein Symptom darstellen, das die Prognose einer Veränderung der zentralen Wissensformationen in Bezug auf das in unserer Gesellschaft zentrale Thema der Arbeit zulässt. Dies gibt Grund zu der Annahme, dass das Kreativitätsdispositiv in seinen umfassenden Wirkweisen weiter und wohl zunehmend um sich greift. Wenn nun auch Unternehmen sich der Orientierung an der Bedeutsamkeit von Räumen, Affekten und Kreativität bzw. sie fördernden Mitteln anschließen, dann kann die hier vorgelegte Studie auch Hintergründe aufdecken, die als richtungsweisend für Umstrukturierungen von Arbeitsorganisationen, von Unternehmen, verstanden werden können. In diesem Sinne gibt die Untersuchung der Arbeits- und damit Orts- und Raumpraktiken der untersuchten Population Aufschluss über zukünftige Entwicklungen und Neuerungen der Organisation von Arbeit in unserer Gesellschaft, in der Raum und Kreativität ein neues Verhältnis miteinander eingehen. Ob eine Tendenz zu einer Affektualisierung von Arbeit oder eine gezielte Förderung der Wahrnehmung der Empfindsamkeit von arbeitenden AkteurInnen nur für die Szene der Kreativ- und WissensarbeiterInnen zu diagnostizieren ist oder zukünftig für breitere gesellschaftliche Sphären Geltung beanspruchen wird, ist eine Frage, die von anschließenden Forschungen beantwortet werden könnte.

5 Bibliographie

Amann, K./Hirschauer, S. (1997): Die Befremdung der eigenen Kultur. Ein Programm, in: Hirschauer, S./Amann, K. (Hrsg.): Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnografischen Herausforderung soziologischer Empirie. Frankfurt a. M., S. 7-52. Baudelaire, C. (o. J.): Aphorismen-Archiv, WWW-Dokument, verfügbar unter: http://aphorismen-archiv.de/index_z.php?id=1106, abgerufen am: 21.06.2012. Becker, J. (2011): Die weltweite Jellyweek 2012, in: Deskmag (WWWDokument), verfügbar unter: http://www.deskmag.com/de/ worldwide-jellyweek-2012-de, abgerufen am: 10.02.2012. Belliger, A./Krieger, D. (2006): Einführung in die Akteur-NetzwerkTheorie, in: dies. (Hrsg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld, S. 13-50. Bender, D. (2010): Die machtvolle Subjektkonstitution in biographischen Interviews. Methodische Reflexionen und eine kritische Auseinandersetzung mit theoretischen Voraussetzungen des biographisch-narrativen Interviews nach Fritz Schütze, in: ZQF Zeitschrift für Qualitative Forschung. Leverkusen, 2010 (2), S. 295-320. Bender, D./Eck, S. (2013): Eine Gouvernementalitätsperspektive. Der Beitrag einer dispositivanalytischen Interviewforschung zur Explorierung transnationalen Wissens, in: Bender, D./Duscha, A./ Huber, L./Klein-Zimmer, K. (Hrsg.): Transnationales Wissen und Soziale Arbeit. Weinheim, S. 61-79.

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ALS KREATIVE

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Materialitäten Thomas Alkemeyer, Kristina Brümmer, Rea Kodalle, Thomas Pille (Hg.) Ordnung in Bewegung Choreographien des Sozialen. Körper in Sport, Tanz, Arbeit und Bildung 2009, 202 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1142-7

Fritz Böhle, Margit Weihrich (Hg.) Die Körperlichkeit sozialen Handelns Soziale Ordnung jenseits von Normen und Institutionen 2010, 382 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1309-4

Malte Friedrich Urbane Klänge Popmusik und Imagination der Stadt 2010, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1385-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Materialitäten Christina Hilger Vernetzte Räume Plädoyer für den Spatial Turn in der Architektur 2010, 212 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1499-2

Gabriele Klein, Michael Meuser (Hg.) Ernste Spiele Zur politischen Soziologie des Fußballs 2008, 276 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-977-0

Mona Motakef Körper Gabe Ambivalente Ökonomien der Organspende 2011, 268 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1631-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Materialitäten Arne Dekker Online-Sex Körperliche Subjektivierungsformen in virtuellen Räumen 2012, 322 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1854-9

Lars Frers Einhüllende Materialitäten Eine Phänomenologie des Wahrnehmens und Handelns an Bahnhöfen und Fährterminals 2007, 302 Seiten, kart., zahlr. Abb., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-806-3

Jürgen Funke-Wieneke, Gabriele Klein (Hg.) Bewegungsraum und Stadtkultur Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven 2008, 276 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1021-5

Andrea Glauser Verordnete Entgrenzung Kulturpolitik, Artist-inResidence- Programme und die Praxis der Kunst 2009, 304 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1244-8

Tatiana Golova Räume kollektiver Identität Raumproduktion in der »linken Szene« in Berlin 2011, 396 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1622-4

Robert Gugutzer (Hg.) body turn Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports 2006, 370 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-470-6

Andrea Hungerbühler »Könige der Alpen« Zur Kultur des Bergführerberufs Februar 2013, 446 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2240-9

Cedric Janowicz Zur Sozialen Ökologie urbaner Räume Afrikanische Städte im Spannungsfeld von demographischer Entwicklung und Nahrungsversorgung 2008, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 42,80 €, ISBN 978-3-89942-974-9

Bastian Lange Die Räume der Kreativszenen Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin 2007, 332 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-679-3

Lars Meier Das Einpassen in den Ort Der Alltag deutscher Finanzmanager in London und Singapur 2009, 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1129-8

Evelyn Lu Yen Roloff Die SARS-Krise in Hongkong Zur Regierung von Sicherheit in der Global City 2007, 166 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-612-0

Imke Schmincke Gefährliche Körper an gefährlichen Orten Eine Studie zum Verhältnis von Körper, Raum und Marginalisierung 2009, 270 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1115-1

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de