Mittelalterliche Rechtstexte und mantische Praktiken [1 ed.] 9783412520519, 9783412520496

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Mittelalterliche Rechtstexte und mantische Praktiken [1 ed.]
 9783412520519, 9783412520496

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KLAUS HERBERS HANS-CHRISTIAN LEHNER (HG.)

Mittelalterliche Rechtstexte und mantische Praktiken

BEIHEFTE ZUM ARCHIV FÜR KULTURGESCHICHTE IN VERBINDUNG MIT KARL ACHAM, BERNHARD JAHN, EVA-BETTINA KREMS, FRANK-LOTHAR KROLL, TOBIAS LEUKER, HELMUT NEUHAUS, NORBERT NUSSBAUM, STEFAN REBENICH

HERAUSGEGEBEN VON

KLAUS HERBERS

BAND 94

MITTELALTERLICHE RECHTSTEXTE UND MANTISCHE PRAKTIKEN

Herausgegeben von Klaus Herbers und Hans-Christian Lehner

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Die Veröffentlichung dieses Bandes wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Gottesurteil durch Wasserprobe – Iudicium aquae, id est purgationis genus, quô criminis alicuius suspectus vel accusatus in aquam demergitur. Erlangen, Cod. Erl., folio 14r. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52051-9

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Klaus Herbers und Hans-Christian Lehner

In die Vergangenheit gerichtete Wahrsagungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Lukas Bothe

Die Collectio Hispana als Quelle für mantische Praktiken im Westgotenreich . . . 39 Cornelia Scherer

Divination and Lot-Casting in Early Medieval Canonical Collections . . . . . . . . . . 55 Roy Flechner

Mantische Bestimmungen in den frühmittelalterlichen Bußbüchern (7. bis 9. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Ludger Körntgen

Mantik und Prognostik in den päpstlichen Responsa des frühen Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Klaus Herbers

Das Dekret Burchards von Worms (1000–1025) als Quelle mantischer Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Birgit Kynast

Mantische Praktiken und Divination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Lotte Kéry

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Personen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Einleitung Frühes Recht und mantische Praktiken – ein Forschungsdesiderat Klaus Herbers und Hans-Christian Lehner

1. Mantische Praktiken – Verbot und Tradition

Kurz nach 1000 schrieb Bischof Burchard von Worms (gest. 1025) in seiner Kirchenrechtssammlung: „Wenn jemand heidnischer Gewohnheit folgt und Seher und Wahrsager in sein Haus einführen sollte, […] so soll er fünf Jahre lang Buße tun“. An späterer Stelle fuhr er fort: „Christen sollen nicht die Gepflogenheiten der Heiden befolgen, noch die Elemente verehren, sie sollen weder den Mond noch den Verlauf der Gestirne und die inhaltsleere Betrügerei durch die Sternzeichen beim Hausbau und bei der Eheschließung in Erwägung ziehen […]. Sollte dies aber jemand tun, soll er mit größtmöglicher Strenge bestraft werden, und er soll auf kanonische Weise Buße leisten“.1

Worauf basierten diese Verbote? Waren sie die logische Folge aus der Erkenntnis, dass ein christlicher Glaube für Wahrsager und Sterndeuter keinen Platz ließ? Setzte das Recht nur um, was man in gelehrten Traktaten des Mittelalters immer wieder lesen konnte? Zu Beginn des 11. Jahrhunderts verfasste Bern von Reichenau (gest. 1048) seinen Traktat De nigromantia seu divinatione daemonum contemnanda.2 Vielleicht sollte man besser sagen: Er stellte Zitate und Gedankengänge aus den Werken der Kirchenväter zusammen, denn was die christliche Heilslehre in Bezug auf die vor allem antiken prognostischen Traditionen zu sagen hatte, war vornehmlich von den Kirchenvätern erarbeitet worden. Erwähnt sei Augustinus (gest. 430) mit seinen Büchern über den Gottesstaat 1 Si quis paganorum consuetudinem sequens, divinos et sortilegos in domum suam introduxerit, quasi ut malum foras mittat, aut maleficia inveniat, quinque annos poeniteat. Non licet christianis traditiones gentilium observare, vel colere elementa, aut lunam, aut stellarum cursum, et inanem signorum fallaciam considerare pro domo facienda et ad coniugia socienda. […] Si quis autem fecerit severissime corripiatur, et canonice poeniteat. – Burchard von Worms, (Burchardus Wormaciensis ecclesiae episcopus) Decretorum libri XX, ex consiliis et orthodoxorum patrum decretis, tum etiam diversarum nationum synodis seu loci communes congesti, ergänzter Neudruck der Editio princeps Köln 1548, ed. von Gérard Fransen, Theo Kölzer, Aalen 1992, S. 133 und 135. Zu Burchard vgl. ausführlich den Beitrag von Birgit Kynast in diesem Band. 2 Vgl. Bern von Reichenau, De nigromantia seu divinatione daemonum contemnanda, ed. von Benedikt Marxreiter (= MGH Studien und Texte, Bd. 61), Wiesbaden 2016.

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Klaus Herbers und Hans-Christian Lehner

(De civitate Dei) sowie mit seiner Schrift zur Weissagung der Dämonen (De divinatione daemonum). Bern von Reichenau zitiert ihn folgendermaßen: „Der heilige Augustinus sagt: Mit der Natur der Dämonen verhält es sich so, dass sie aufgrund des Wahrnehmungsvermögens eines luftartigen Körpers dem Wahrnehmungsvermögen irdischer (Körper) mit Leichtigkeit voraus sind.“3 […] „Wenn dies so ist, muss man zunächst wissen, dass – es geht ja um die Wahrsagung der Dämonen – sie meist Dinge vorankündigen, für deren Eintreten sie dann selbst sorgen.“4 […] „Infolge dieser Fähigkeiten, mit denen die Natur ihres luftartigen Körpers ausgestattet ist, sagen die Dämonen nicht nur viel Zukünftiges voraus, sondern sie verbringen auch viele Wunder.“5 […] „Dank dieser und derartiger Befähigung verkünden Dämonen viel Zukünftiges im Voraus, wobei ihnen jedoch die Erhabenheit jener Verkündigung fern ist, die Gott durch die heiligen Engel und Propheten wirken lässt.“6 Abschließend fügt Bern hinzu: „Wenn irgendwer Ausführlicheres über die Blendwerke der Astrologen, über Horoskope, über Konstellationen, über schicksalskündende Zeichen erfahren will, lese er das fünfte Buch des heiligen Augustinus über den Gottesstaat und er wird mit Gewissheit erfahren, wie bemitleidenswert töricht diejenigen handeln, die derartigen Dingen besondere Aufmerksamkeit schenken.“7 Nach Augustinus steuerten vor allem Gregor der Große (gest. 604) und Isidor von Sevilla (gest. 636) weitere Überlegungen zur Thematik bei. Wichtige Autoren bis ins 11. Jahrhundert waren neben Bern von Reichenau der Erzbischof von Lyon, Agobard (gest. 840), der Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus (gest. 856), Erzbischof Hinkmar von Reims (gest. 882) sowie der angelsächsische Gelehrte Ælfric von Eynsham (gest. 1010).8 Einige Traktate fokussieren vor allem auf Divination und Prognostik, während andere eher Schadenszauber oder Fragen der Dämonologie im Blick hatten. Kritische Editionen solcher Traktate zeigen, dass gewisse Grundargumentationen fortgeschrieben wurden. Darüber hinaus macht eine Untersuchung der Überlieferung jedoch zugleich deutlich, dass Abhandlungen zur Nigromantik – bis heute in Handbüchern gerne zitiert – keinesfalls die oft vermutete Breitenwirkung besaßen: Meist sind sie nur in einer Handschrift überliefert.9 3 4 5 6 7 8

Bern, De nigromantia (wie Anm. 2), S. 69. Ebd., S. 73. Ebd., S. 69. Ebd., S. 75. Ebd., S. 121. Hrabanus Maurus: De magicis artibus; Ælfric von Eynsham: De Auguriis, De falsis diis; Hinkmar von Reims: De divortio Lotharii; Agobard von Lyon: De grandine et tonitruis. Vgl. ebd., S. 124 f. 9 Ebd., S. 138. Interessant ist beispielsweise, dass offensichtlich in der Zeit des Humanismus und in der frühen Neuzeit sich neues Interesse an diesen Texten regte. Für De nigromantia des Bern von Reichenau interessierte sich beispielsweise Matthias Flacius Illyricus, der zugunsten des Protestantismus im Rahmen der Magdeburger Zenturien zu Beginn des 16. Jahrhunderts historisch arbeitete, vgl. Martina Hartmann, Matthias Flacius Illyricus, die Magdeburger Centuriatoren und die Anfänge der quellenbezogenen Geschichtsforschung, in: Catalogus und Centurien.

Einleitung

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Gab es also diesen gelehrten Diskurs und die Nuancierungen der Philosophie, die wir gerade nach der neuen Rezeption griechischer Schriften über den Umweg der arabisch-islamischen Welt,10 in den Wissenschaftssystematiken11 oder in den Darlegungen von Albertus Magnus (gest. 1280) oder Thomas von Aquin (gest. 1274)12 finden, vor allem in den Studierstuben? Hatten die Traktate überhaupt Konsequenzen? Wie war ihr Verhältnis zu üblichen Praktiken? Wenn die einschlägigen Schriften oft wenig zu Praktiken aussagen dürften, bleibt die Möglichkeit, sich anderen Quellengruppen wie Rechtssammlungen, Kapitularien, Konzilsbeschlüssen etc. zuzuwenden. Die eingangs zitierte Kirchenrechtssammlung des Burchard von Worms besitzt viele Vorläufer, die von irischen Sammlungen im 7. Jahrhundert über die spanischen und gallischen Sammlungen bis zum Sendhandbuch des Regino von Prüm (gest. 915) und von dort weiter zu den zahlreichen Sammlungen der Kirchenreformzeit reichen. Sie bieten verstreute Bestimmungen zu Prognostik, Wahrsagerei und mantischen Praktiken. Allerdings schöpft das kirchliche Recht aus den Canones der Konzilien oder aus den Dekretalen der Päpste, die in ihrem Entstehungskontext gegebenenfalls weitere Einblicke eröffnen. Mantik war aber ein Problem, das nicht nur kirchliches, sondern auch weltliches Recht betraf. Die großen verschiedenen Rechtssammlungen des frühen Mittelalters – vom westgotischen bis zum langobardischen, vom fränkischen bis zum bayerischen Recht – lassen dies erkennen. Wie lag hier das Verhältnis von Sammlung und Beschluss (zum Beispiel auf Versammlungen)? Inwiefern gab es Überschneidungen der Rechtskreise? Im westgotischen Reich betrafen zum Beispiel die Beschlüsse auf Konzilien keineswegs nur das kirchliche, sondern auch in großem Maße das weltliche Recht.13 Der hier vorgelegte Band geht der Frage nach, ob und wie Rechtstexte neben philosophisch-theoretischen Abhandlungen und weiteren Quellensorten, zum Beispiel biblischen Kommentaren, astrologischen Traktaten, Hagiografie und Visionsliteratur, Historiografie, neue Perspektiven eines inzwischen auch in der Mediävistik stärker wahrInterdisziplinäre Studien zu Matthias Flacius und den Magdeburger Centurien, hg. von Arno Menzel-Reuters und Martina Hartmann (= Spätmittelalter, Humanismus und Reformation, Bd. 45), Tübingen 2008, S. 1–17. 10 Vgl. Klaus Herbers, „Homo hispanus“? Konfrontation, Transfer und Akkulturation im spanischen Mittelalter, in: Akkulturation im Mittelalter, hg. von Reinhard Härtel (= Vorträge und Forschungen, Bd. 78), Ostfildern 2014, S. 43–80, bes. S. 71–77, mit weiterer Literatur; Matthias Heiduk, Prognostication in the Medieval Western Christian World, in: Prognostication in the Medieval World. A Handbook, hg. von Matthias Heiduk, Klaus Herbers, Hans-Christian Lehner, Berlin 2021, S. 109–151. 11 Die mantischen Künste und die Epistemologie prognostischer Wissenschaften im Mittelalter, hg. von Alexander Fidora (= Beihefte zum AKG, Bd. 74), Köln u. a. 2013. 12 Mantik, Schicksal und Freiheit im Mittelalter, hg. von Loris Sturlese (= Beihefte zum AKG, Bd. 70), Köln u. a. 2011. 13 Vgl. hierzu den Beitrag von Cornelia Scherer in diesem Band.

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genommenen Themas erschließen helfen.14 Nicht zuletzt dürften hierzu die Aktivitäten des Erlanger Internationalen Kollegs für geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“, die fast zeitgleich mit der Publikation dieses Bandes in die Veröffentlichung eines Handbuchs münden,15 beigetragen haben.16 In Bezug auf das mittelalterliche Recht seien deshalb zur Einführung zunächst eine im IKGF erstellte Datenbank, einige Befunde zu den Begriffen und Akteuren, Aspekte zur vergleichenden Erschließung rechtlicher Satzungen, Praktiken sowie vor allem die hier gedruckten Beiträge, die insgesamt besonders stark auf Sammlungen des kirchlichen Rechts abheben, kurz vorgestellt. 2. Die Quellen und ihre Erschließung

Trotz aller Kritik und Verbote nahm das, was man in der Moderne gemeinhin als „Übernatürliches“ bezeichnet, in Mittelalter und Früher Neuzeit einen manifesten Platz ein. Deshalb waren diese „übernatürlichen“ Dinge auch in die Rechtsordnung eingebunden. Dementsprechend finden sich in zahlreichen Rechtstexten des früheren Mittelalters, welche Bußbestimmungen, straf- und prozessrechtliche Vorschriften enthalten, viele Bezüge zu divinatorischen und mantischen Praktiken;17 mitunter sind sie eng mit magischen Praktiken verbunden. Da die Quantität der Belege auf Anhieb schwer zu überblicken und einzuordnen ist und weil die Abhängigkeiten nur bedingt durch kritische Editionen geklärt wurden, war es sinnvoll, sich diese Quellen in einer Datenbank zu erschließen, die in den vergangenen Jahren sukzessive aufgebaut wurde und weiterentwickelt wird. Hinzu tritt der Vorteil, Quellenbelege in ihrer Entwicklung und Veränderbarkeit zu erfassen; dies schafft Voraussetzungen, um die Fluidität und Dynamik des Rechts in anschließende Interpretationen einzubeziehen.

14 Vgl. als Überblick Klaus Herbers, Prognostik und Zukunft im Mittelalter. Praktiken – Kämpfe – Diskussionen (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse, Jahrgang 2019/2), Stuttgart 2019. 15 Prognostication in the Medieval World. A Handbook, hg. von Matthias Heiduk, Klaus Herbers, Hans-Christian Lehner, Berlin 2021. 16 Vgl. die Würdigung verschiedener Studien in der Einleitung des Handbuches (wie Anm. 15) und die bei Herbers, Prognostik und Zukunft (wie Anm. 14), S. 37–66 angehängte Bibliografie. 17 Divination bezeichnet zunächst die Erforschung des göttlichen Willens, Mantik die – eher handwerkliche – Kunst der Zukunftsdeutung. Beide Begriffe sind nicht immer völlig trennscharf zu unterscheiden, auch weil sich der Begriff divinatio in den Quellen mitunter allgemein auf jegliche Form der Wahrsagerei zu beziehen scheint. Vgl. Fritz Graf, Art. Divination/Mantik, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2, Tübingen 1999, S. 883–886.

Einleitung

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Aufbau der Erlanger Datenbank „Mittelalterliche Rechtstexte“

Die Datenbank besteht aus drei großen Bereichen: Leges, Concilia und Collectiones canonicae. Die Erfassung der Belegstellen aus den Editionsbänden der Concilia-Reihe in den Monumenta Germaniae Historica (MGH) ist inzwischen abgeschlossen und in eine entsprechende „Konzilsdatenbank“ integriert. Sie wird durch über 50 Schlagwörter erschlossen, die auf über 70 Datensätze verweisen.18 An der Erweiterung der Konzilsdatenbank um Textstellen aus Quellen der Leges und Kanonessammlungen wird weiterhin gearbeitet; erste, vorläufige Forschungsergebnisse sind bereits verfügbar. Dies ist ein Vorteil gegenüber einer isolierten Suche in den MGH-Bänden oder anderen Editionen. Die bereits erstellte Konzilsdatenbank ermöglicht es den Nutzern, die Datensätze mit verschiedenen Filtern zu durchsuchen und damit die Belege zu einem bestimmten Schlagwort zusammenzustellen. So ist es etwa möglich, das Schlagwort sortilegus in den bereits vollständig erfassten Belegstellen der MGH-Concilia-Bände zu überprüfen. Nach

18 Die Datenbank wurde unter: http://www.ikgf.fau.de/publications/databases/ (letzter Aufruf: 27.8.2020) öffentlich zugänglich gemacht.

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Auswahl des entsprechenden Filters erhält der Nutzer alle Fundstellen des Schlagwortes in einer speziellen Übersicht. Mit dieser Datenbank lassen sich Rechtstexte aus den einschlägigen Editionen systematisch in Hinblick auf einschlägige Suchbegriffe zur Ausübung divinatorischer Praktiken und in Bezug auf mantische Begriffe erfassen und in vielfacher Weise kontextualisieren. 3. Begriffe, Befunde und Akteure in den Quellen des weltlichen Rechts

Vor allem seien in dieser Einleitung vorab einige Befunde zum weltlichen Recht vorgestellt, die helfen, für die Variationsbreite der Begrifflichkeiten in den Quellen zu sensibilisieren. Eine große Ergebnisdichte bieten die Leges Langobardorum. Unter diesem Überbegriff werden verschiedene Rechtsaufzeichnungen langobardischer Herrscher in Italien zusammengefasst.19 Grundlage hierfür war der Edictus Rothari, von König Rothar 643 in Pavia erlassen, womit die alten Rechtsgewohnheiten der Langobarden schriftlich fixiert und verbessert wurden. Die Hinwendung der Langobarden zum katholischen Glauben führte zu weiteren Gesetzesinitiativen, die sukzessive dem Edictus Rothari hinzugefügt wurden. Insgesamt zeigt sich trotz der teilweisen Standardisierung durch Floskeln ein breites Spektrum hinsichtlich des Umgangs mit mantischen (und magischen) Praktiken. Kirchliche Satzungen wollten dem „heidnischen“ Vorgehen ein Ende setzen, weshalb die Bischöfe jedes Jahr ihre Gemeinden besuchen sollten, um das Volk zu belehren, um heidnische Beobachtungen, Weissagungen, Amulette, Zaubereien, etc. zu brandmarken und dazugehörige Handlungen in der Folge zu unterbinden.20 Die Anwendung mantischer Praktiken wurde durchaus differenziert geahndet. So bleiben die Leges entweder vage, indem sie lediglich auf „die zustehenden Strafen“ verweisen,21 oder sie drohen konkret mit dem Entzug des Besitzes, mit einem Ausschluss aus der 19 Zum langobardischen Recht vgl. einführend Christoph H. F. Meyer, Maßstäbe frühmittelalterlicher Gesetzgeber. Raum und Zeit in den Leges Langobardorum, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs (2007), S. 141–187. 20 Decrevimus ut secundum canones unusquisque episcopus in sua parrochia sollicitudinem adhibeat, adiuvante grafione qui defensor ecclesiae est, ut populus Dei paganias non faciat; sed ut omnes spurcitias gentilitatis abiciat et respuat, sive profana sacrificia mortuorum, sive sortilegos vel divinos, sive phylacteria et auguria, sive incantationes, sive hostias immolatitias, quas stulti homines iuxta ecclesias ritu pagano faciunt sub nomine sanctorum martyrum vel confessorum Domini; qui potius quam ad misericordiam sanctos suos ad iracundiam provocant. – Karoli Magni capitularia, in: MGH LL, Bd. 1, S. 32–194, hier: S. 33. 21 Heretici, incantatores, malefici, quilibet de veritate convicti et deprehensi, ad arbitrium iudicis poena debita punientur. – Friderici II. et Heinrici constitutiones, in: MGH LL, Bd. 2/1, S. 248–311, hier: S. 268.

Einleitung

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Gesellschaft,22 dem Todesurteil23 oder Geldstrafen. Selbst für den Fall der (erwiesenen) Zahlungsunfähigkeit wurde durch das Verfahren des „Erdwerfens“ (crene cruda) eine Lösung gefunden: Der Verurteilte nahm Erde aus den Ecken seiner Wohnung und warf diese mit der linken Hand über die Schulter auf die Verwandten, die dadurch haftbar gemacht wurden. Ähnliche Differenzierungen der Strafen und Bußen bietet das kirchliche Recht, wie aus den Bußbüchern besonders deutlich hervorgeht.24 Sehr differenziert werden die Personen benannt, welche die Praktiken ausübten: mathematicus, ariolus, aruspex, vaticinatores, augur, divinus, genethliacus, herbarius, idromantius, incantator, magus, necromantius, pythonissa, sortilegus, striga, veneficus, ventriloquus. Die Bedeutungsvielfalt dieser Bezeichnungen lässt sich in modernen Übersetzungen mitunter kaum fassen. Allerdings zeigen verschiedene Schlüsseltexte, die künftig in einer Anthologie zur Verfügung stehen werden,25 dass Bedeutungsnuancen sehr differenziert ausgedrückt werden konnten. Dies gilt erst recht für die darüber hinaus existierenden latinisierten volkssprachlichen Begriffe. Dazu gehören fara (weibliche zauberkundige Person), granderba (weibliche zauberkundige Person, Hexe), herburgius (ein den Hexen treuer, sie schützender und bewachender Mann), humnisfith (welcher den alten/heidnischen Heiligtümern treu ist), stria (Hexe, ursprünglich: kluges, verschmitztes Weib) oder strioportius (ein den klugen Frauen, den Hexen Helfender; Hexendiener). Auch diese spezifisch verwendeten Bezeichnungen lassen sich in ihrem vollständigen Bedeutungsspektrum nur schwer übersetzen. Die Benennungen für magisch Handelnde sind jedoch nicht die einzigen volkssprachlichen Bezeichnungen, die in den Leges schriftlichen Niederschlag gefunden haben, sondern auch beispielsweise der Begriff mallobergo, der immer dann verwendet wird, wenn volkssprachliche Wörter oder Redewendungen folgen, eine Kennzeichnungsbzw. Einleitungsformel also, die so viel wie „vor Gericht“ oder „in der Gerichtssprache“ bedeutet. Hiervon abgeleitet begegnet der Begriff mallobergus, der sich mit Gerichtsstätte oder Gerichtsversammlung übersetzen lässt. Das hohe Gewicht der Magievorwürfe lässt sich ebenfalls anhand der Leges ablesen, denn wer eine Frau fälschlicherweise als Hexe bezichtigt, muss, wenn er dies nicht beweisen kann, eine hohe Geldstrafe zahlen. Dabei werden Hexen zusammen mit Freudenmädchen genannt.26 Dieses Beispiel verdeutlicht im Umkehrschluss, dass die Existenz 22 Vaticinatores, qui se futura scire dicunt, caesi de civitate iactentur. – Benedicti Capitularia, in: MGH LL, Bd. 2/2, S. 17–158, hier: S. 116. 23 370. De his, qui divinos vel matematicos consulere praesumunt. Qui de salute principis vel summa rei publicae mathematicos, ariolos, aruspices, vaticinatores consulit, cum eo qui responderit capite puniatur. – Ebd., S. 125. 24 Vgl. den Beitrag von Ludger Körntgen in diesem Band. 25 Verschiedene Schriften sind Teil einer am IKGF in Vorbereitung befindlichen Anthologie. 26 Si quis ‹uero› mulierem ‹ingenuam› striam clamauerit [aut meretricem] et non potuerit adprobare, mallobergo faras, ‹MMD› denarios qui faciunt ‹in triplum› solidos (C) LXXXVII et semis culpabilis iudicetur. – Pactus legis Salicae, in: MGH LL nat. Germ., Bd. 4/1, S. 230.

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von Hexen prinzipiell als beweisbar galt, die Hexe mithin Teil der als real empfundenen Welt war. Die Leges Langobardorum sind hier nicht eindeutig: Es besteht zum einen die Möglichkeit, dass eine Frau durch einen Zweikampf, der als Gottesurteil angesehen wird, vom Vorwurf der Hexerei freigesprochen wird.27 Andererseits wird jedoch betont, dass es dem christlichen Denken fremd sei zu glauben, eine Hexe könne einen Menschen „inwendig“ verspeisen.28 Die Kapitulariensammlung des Benedictus bietet ebenfalls vielfältige Hinweise.29 Ihr Verfasser ist ein angeblicher Diakon, der sich im Prolog selbst Benedictus Levita nennt.30 Dieser soll die Sammlung im Auftrag des Erzbischofs Otgar von Mainz (826–847) kompiliert haben. Als Quelle nennt Pseudo-Benedictus die Sammlung des Abtes Ansegis (gest. 833), die er jedoch, da dieser einiges übersehen oder aus anderen Gründen nicht beachtet hat, erweitert habe.31 Die Sammlung gilt als verfälscht und scheint wegen des Zusammenhangs mit den pseudoisodorischen Fälschungen eher im Westfrankenreich als in Mainz erstellt worden zu sein, wobei der Grad der Verfälschung noch diskutiert wird. Eine Analyse der Ziele kann wohl erst nach Abschluss der Neuedition, die derzeit erarbeitet wird, erfolgen.32 Vor allem die bisher noch nicht erwähnte Verwendung von Amuletten und mantischen Artefakten wird hier insgesamt drei Mal zum Thema der Kapitularien gemacht.33 27 Leges Langobardorum, Edictus Rothari, ed. von Friedrich Bluhme (= MGH LL, Bd. 4), Hannover 1888, §§ 197–198. 28 […] quod christianis mentibus nullatenus credendum est, nec possibilem ut mulier hominem vivum intrinsecus possit comedere. – Leges Langobardorum, Edictus Rothari (wie Anm. 27), § 376, S. 87. 29 Vgl. Gerhard Schmitz‚ Art. Benedictus Levita, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Lieferung 3, Berlin u. a. ²2005, Sp. 520–522; vgl. auch das Portal der MGH zur in Vorbereitung befindlichen Edition der falschen Kapitularien des Benedictus: http://www. benedictus.mgh.de/haupt.htm (letzter Aufruf: 12.5.2020) sowie das von Karl Ubl geleitete Projekt „Capitularia. Edition der fränkischen Herrschererlasse“: https://capitularia.uni-koeln. de/project/about/ (letzter Aufruf: 12.5.2020). 30 Post Benedictus ego ternos Levita libellos. – http://www.benedictus.mgh.de/edition/edition/ praeft.htm (letzter Aufruf: 13.5.2020). 31 Praecedentes quattuor libelli nonnulla gloriosissimorum Karoli atque Hludowici imperatorum continent capitula, quae eorum tempore ab Ansegiso abbate sunt collecta atque in praedictis coacta libellis, sicut in eorundem proemio continetur. Sed quia ab eo nec media, ut rati sumus, sunt forsitan inventa vel collecta, necesse erat, ut a fidelibus, ubicumque inveniri potuissent, quaererentur et ob recordationem tantorum principum vel eorundem capitulorum utilitatem coadunarentur et membranis insererentur atque a fidelibus memoriae commenderentur. – http://www.benedictus.mgh. de/edition/edition/edition.htm (letzter Aufruf: 13.5.2020) 32 Vgl. Schmitz, Art. Benedictus Levita (wie Anm. 29). 33 Weitere Nennungen in den anderen ausgewerteten Rechtstexten in den Bänden der Concilia und der Leges Barbarorum sind folgende: Concilium Germanicum A. 742, in: MGH Conc., Bd. 2/1, S. 4; Concilium in Francia habitum A. 747, in: MGH Conc., Bd. 2/1, S. 47; De divortio Lotharii regis et Teutberga, in: MGH Conc., Bd. 4/1, S. 215; Karlomanni Capitularia, in: MGH LL, Bd. 1, S. 17; Ebd., S. 19 f.

Einleitung

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4. Kirchliches Recht, Praktiken und Auswertungen

Die Beispiele aus den Rechtssammlungen der Langobarden und der karolingischen Kapitulariengesetzgebung zeigen die Virulenz des Themas in seiner ganzen Dynamik und Vielfalt. Es war aber nicht nur im weltlichen, sondern auch im kanonischen Recht präsent. Regino von Prüm, der sein Sendhandbuch 906 verfasste und Erzbischof Hatto von Mainz (891–913) widmete, schrieb in einem Fragenkatalog (Nr. 42–45 des zweiten Buches) zu Mantik und auch zu Frauen, die nachts reiten, Folgendes: „Es muss gefragt werden, ob jemand ein Magier, Wahrsager, Beschwörer oder Zeichendeuter ist“.34 Die weiteren Fragen, die dieses Buch an die Hand gibt, betreffen Baum- und Naturkulte, sowie Frauen, die Liebeszauber anwenden und nachts auf Tieren reiten, usw.35 Es folgen verschiedene Konzilsbeschlüsse (Nr. 354–371), aber auch weltliche Satzungen und der vieldiskutierte sogenannte Canon Episcopi unbekannter Herkunft (= Nr. 371) zum Hexenflug (De mulieribus, quae cum daemonibus se dicunt nocturnis horis equitare).36 Nördlich der Alpen war neben Regino von Prüm für das kirchliche Recht vor allem der schon genannte Burchard von Worms einschlägig, der gut 100 Jahre später seine Kanonessammlung verfasste. Bei ihm thematisieren das zehnte und 19. Buch ausführlich Magier, Wahrsager, Propheten und ähnliche Personen sowie die Ausübung magischer Bräuche mit Nennung der dafür angemessenen Bußen.37 Der Glaube an Zauberer und Hexen wurde unter anderem von hier – dies verraten die zahlreichen Handschrif-

34 Interrogandum, si aliquis sit magus, ariolus aut incantator divinus aut sortilegus sit? – Das Sendhandbuch des Regino von Prüm, hg. von Wilfried Hartmann (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters; Freiherr-Vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 42), Darmstadt 2004, S. 244. 35 Si aliquis vota ad arbores vel ad fontes vel ad lapides quosdam quasi ad altaria faciat, aut ibi candelam seu quodlibet munus deferat, velut ibi quoddam numen sit, quod bonum aut malum possit inferre? […] Perquirendum, si aliqua femina sit, quae per quaedam maleficia et incantationes mentes hominum se immutare posse dicat, id est, du de odio in amorem aut de amore in odium convertat, aut bona hominum aut damnet aut subripiat? Et, si aliqua est, quae se dicat cum daemonum turba in similitudine mulierum transformata certis noctibus equitare super quasdam bestias et in eorum consortio adnumeratam esse, haec talis omnimodis ex parochia eiciatur. – Ebd., S. 244. 36 Ebd. S. 420–422; vgl. u. a. Werner Tschacher, Der Flug durch die Luft zwischen Illusionstheorie und Realitätsbeweis. Studien zum sogenannten Kanon Episcopi und zum Hexenflug, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte; Kanonistische Abteilung 116.1 (1999), S. 225–276. 37 Vgl. Burchard von Worms. Decretorum libri XX (wie Anm. 1), S. 133–144 und bes. S. 193 f. Die rezeptionsgeschichtliche Erschließung von Burchards Werk wurde mittlerweile als Langzeitforschungsprojekt in das Programm der Akademien aufgenommen, vgl. http://www.adwmainz. de/nachrichten/artikel/bausteine-europaeischer-rechtskultur-und-moderner-staatswesen-zweineue-langzeitvorhaben-im-akademi.html (letzter Aufruf: 12.5.2020).

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ten – weiter verbreitet.38 Aus kulturgeschichtlicher Perspektive – so wurde immer wieder behauptet – würden in Burchards Sammlung die offenbar um 1000 wirkenden vorchristlichen Kultbräuche und Glaubensvorstellungen lebendig, so zum Beispiel die Vorstellung, dass Frauen durch die Luft fliegen oder reiten konnten.39 Gerade Kanonessammlungen wurden aber nur bedingt anlassbezogen angelegt. Rechtfertigt also die Allgegenwart der verschiedenen mantischen Aspekte in den Rechtsquellen den Schluss auf Wirklichkeiten? Reagierten die Sammlungen auf jeweils zeitgenössische Praktiken oder wurde nur älteres Traditionsgut aus rechtssystematischen Gründen in die Sammlungen integriert?40 Wurden Regelungen vielleicht immer wieder fortgeschrieben, unabhängig vom konkreten Regelungsbedarf ? Von der Beantwortung dieser Frage hängt auch ab, in welchem Maße die prognostischen Praktiken in der Lebenswelt verankert waren. Deshalb wird in diesem Band danach gefragt, in welcher Varianz und in welcher Kontinuität die Thematik in den Sammlungen erscheint. Lassen sich Familien oder Gruppen bilden? In welchem Kontext werden Fragen der Prognostik erörtert? Gibt es beispielsweise in den Rubriken Kritikpunkte? Bieten verschiedene Überlieferungen signifikante Unterschiede? Nur so wird es möglich sein, die Fluidität und Dynamik rechtlicher Vorgaben zu würdigen. Die schon genannte Datenbank bietet hier eine erste Orientierung. Die maßgeblichen Editionswerke wurden hierzu exzerpiert und mit entsprechenden Schlagwörtern bzw. Schlagwortkombinationen durchsucht. Zu diesen Schlagwörtern zählen nicht nur ariolus, aruspex oder divinatio, sondern etwa auch phitonissa oder visio.41 Bereits ein Blick auf Zahlenwerte oder Belegfrequenz regt bei einigen Schlagwörtern zum Nachdenken an und liefert Hinweise zur Beantwortung der eingangs gestellten Fragen. Dies lässt sich an „Hydromantik“ und „Pyromantik“ erläutern. So verdeutlicht die Schlagwortsuche nach den Begriffen hydromantia und pyromantia in der Datenbank einen aufschlussreichen Befund: In den Konzilien fehlen beide Begriffe, demgegenüber sind hydromantia und pyromantia in zwei Bänden der Kanonessammlungen, nämlich bei Burchard von Worms und bei Gratian, belegt. Außerdem verweist Hinkmar von Reims in De divortio Lotharii auf den hydromantius. Warum aber führen Burchard von Worms und Gratian Hydromantik und Pyromantik in ihren Kanonessammlungen auf, obwohl die Konzilien der vorhergehenden Jahrhun38 Diese und andere bei Burchard erwähnte Praktiken flossen im 13. Jahrhundert in die Predigten Bertholds von Regensburg und ins Allgemeinwissen über Zauberer und Hexen ein. Vgl. Heide Dienst, Zur Rolle von Frauen in magischen Vorstellungen und Praktiken – nach ausgewählten mittelalterlichen Quellen, in: Frauen in Spätantike und Frühmittelalter, hg. von Werner Affeldt (Sigmaringen 1990), S. 173–194, zu Burchard von Worms siehe besonders S. 182–185. 39 Siehe oben Anm. 35. 40 Dazu Dieter Harmening, Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Studien zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, Berlin 1979. 41 Zu den folgenden Bemerkungen vgl. bereits Herbers, Prognostik und Zukunft (wie Anm. 14), S. 16–22.

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derte hierzu schweigen? Geschah dies womöglich aus systematischen Gründen? Hinkmar von Reims schreibt im 9. Jahrhundert hierzu: „Hydromanten sind solche Personen, die beim Blick auf Wasser Schatten von Dämonen herbeirufen und von sich behaupten, Bilder oder Spottbilder dort zu sehen und von ihnen Dinge zu hören.“42 Eine ähnliche Erklärung findet sich bei Burchard von Worms und Gratian.43 Alle zitieren jedoch, wenn auch in abgewandelter Form, Bemerkungen des Kirchenvaters Isidor,44 basieren also explizit auf anderen Traditionen als auf Konzilsbeschlüssen. Prognostische Praktiken wie Hydromantik und Pyromantik erscheinen somit nur in den kirchlichen Rechtssammlungen, beide Phänomene wurden also eher aus systematischer Hinsicht immer wieder aufgeführt und an den entsprechenden Stellen integriert. In der Praxis scheinen demgegenüber zumindest diese Formen der Prognostik und Divination im durch die Datenbank erfassten Zeitraum vom 7. bis zum 12. Jahrhundert keine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Lassen sich so schon Differenzierungen zwischen Rechtssammlungen – zu denen man auch die Bußbücher zählen könnte – und Konzilsbeschlüssen dokumentieren, so könnte ein dritter Typus weitere Aspekte erschließen. Anlassbezogener als Kanonessammlungen scheinen päpstliche Rechtsauskünfte zu sein, die auf konkrete Anfragen antworteten. Es sind sogenannte Responsa, eine besondere Briefform der Päpste,45 die entsprechend ihren Platz in diesem Band finden.46 Als 865/866 der neu getaufte Bulgarenfürst Boris/Michael (gest. 907) Erkundigungen über Glaubensfragen an Papst Nikolaus I. (858–867) richtete, antwortete dieser in 106 Kapiteln.47 Das 77. handelte von einem von den Griechen und Bulgaren wohl 42 Idromantii sunt, qui in aquae inspectione umbras daemonum evocant et imagines vel ludificationes eorum ibi videre et ab eis aliqua audire se perhibent. – Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae, ed. von Letha Böhringer (= MGH Conc., Bd. 4/1), Hannover 1992, S. 207. 43 Hydromantici ab aqua dicti: est enim hydromantia in aquae inspectione umbras daemonum evocare et imagines ludificationes eorum videre ibique ab eis aliqua audire, ibique ab eis aliqua audire. Ubi adhibito sanguine, etiam inferos perhibentur sciscitari. – Burchard von Worms, Decretorum libri XX (wie Anm. 1), S. 137. 44 Hydromantii ab aqua dicti. Est enim hydromantia in aquae inspectione umbras daemonum evocare, et imagines vel ludificationes eorum videre, ibique ab eis aliqua audire, ubi adhibito sanguine etiam inferos perhibentus sciscitari. – Isidori Hispalensis episcopi etymologiarum sive originum libri XX, ed. von Wallace Martin Lindsay, 2 Bde., Oxford 1911, VIII, 12. 45 Vgl. Klaus Herbers, Die Päpste und die Missionierung – Strukturen und Dokumentationsformen, in: Chiese locali e chiese regionali nell’alto medioevo (Spoleto, 4–9 Aprile 2013) (= Settimane di studio della fondazione centro italiano di studi sull’alto medioevo, Bd. 61), Spoleto 2014, S. 163–188, bes. S. 176–184 sowie Klaus Herbers, Papstbriefe und Papsturkunden. Abgrenzungen und Überschneidungen im früheren Mittelalter, in: Die Urkunde. Text – Bild – Objekt, hg. von Andrea Stieldorf, Berlin 2019, S. 125–140. 46 Vgl. den Beitrag von Klaus Herbers in diesem Band. 47 Johann Friedrich Böhmer, Klaus Herbers, Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918 (926/962), Band 4: Papstregesten 800–911, Teil 2: 844–872, Lieferung 2:

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praktizierten Buchzauber mithilfe eines Holzstücks, der abgelehnt wurde.48 Ähnliche Bemerkungen und Zitate finden sich in anderen päpstlichen Responsa – so etwa ein Jahrhundert zuvor in Zusammenhang mit der bonifatianischen Missionierung.49 Kanonessammlungen, Konzilsbeschlüsse, Bußbücher und päpstliche Responsa oder Dekrete enthalten also rechtliche Bestimmungen zur Prognostik, Divination, Mantik und Wahrsagerei. Jedoch geben sie, wie die angeführten Beispiele zeigten, oftmals unterschiedliche Auskünfte über die jeweiligen Praktiken. Dies dürfte ebenso für das weltliche Recht gelten. Quellenkritik ist deshalb für die Interpretation unerlässlich, zumal wenn Interferenzen oder die jeweiligen Entwicklungen und Brüche untersucht werden sollen. 5. Die Beiträge

Fast alle der in diesem Band versammelten Beiträge wurden bei einem Workshop des IKGF in Erlangen am 17. und 18. April 2018 vorgetragen und diskutiert. Hier wurde auch die angesprochene Datenbank vorgestellt und deren Forschungsmöglichkeiten in die Diskussionen einbezogen. Insgesamt standen neben einem Beitrag zum weltlichen Recht vor allem die Sammlungen des kirchlichen Rechts im Vordergrund bis hin zu Fragen, wie sich die dortigen Bestimmungen in den hoch- und spätmittelalterlichen Dekretalensammlungen niedergeschlagen haben. Außerdem untersuchten die Experten des mittelalterlichen Kirchenrechts ihre Texte hinsichtlich Standardisierungen im Umgang mit mantischen und divinatorischen Praktiken innerhalb verschiedener Kirchenrechtssammlungen. Es wurde dabei deutlich, dass Standards oft sehr früh gesetzt und später in freilich unterschiedlicher Weise aktualisiert wurden. So ergeben sich beispielsweise aus den ersten kanonischen Sammlungen des Frühmittelalters bis zum 13. Jahrhundert Konsultationsverbote für Wahrsager. Obwohl Kompilatoren von Rechtssammlungen auch eigene Akzente setzen, erlauben die Belege nur selten Rückschlüsse auf tatsäch­ liche mantische Praktiken im Mittelalter. Nicht zuletzt deshalb wurden die überarbeiteten Beiträge der Tagung für diesen Sammelband um eine Untersuchung zu päpst­lichen Responsa ergänzt. Lukas Bothe analysiert ein Beispiel zum weltlichen Recht: Die Lex Ribuaria, ein teilweise aus älteren Gesetzestexten, insbesondere der Lex Salica,50 zusammengestelltes, in lateinischer Sprache verfasstes Gesetzbuch, das überwiegend in der Zeit König Dagoberts I. (gest. 639) bearbeitet wurde, steht im Fokus. Der Verfasser macht divina858–867 (= Regesta Imperii, Bd. I/4/2/2), Köln u. a. 2012, Nr. 822. 48 Vgl. den Beitrag von Klaus Herbers in diesem Band. Kommentare und weitere Literaturhinweise finden sich in Böhmer, Herbers, Papstregesten (wie Anm. 47), Nr. 822. 49 Klaus Herbers, Die Päpste und die Missionierung (wie Anm. 45), S. 167–173. 50 Die Lex Ribuaria wird deshalb auch als Lex Salica revisa angesehen. Vgl. Clausdieter Schott, Der Stand der Leges-Forschung, in: Frühmittelalterliche Studien 13 (1979), S. 29–55, hier: S. 38.

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torische Praktiken konkret bei der Beweisführung im Sühneprozess aus, wenn zur Erforschung des göttlichen Willens ein gerichtlicher Zweikampf als Form des Gottesurteils zur Anwendung kommen soll. Dabei steht die Tathaftung und weniger das Interesse an Motiven vielfach im Vordergrund. Diese Praktik wird daher als quasidivinatorisch begriffen. Ihr Wert bestand darin, dass auf diese Weise verbindliche Entscheidungen und damit Rechtssicherheit herbeigeführt werden konnten. Cornelia Scherer analysiert die Collectio Hispana, eine chronologisch gegliederte Sammlung synodaler Akten und Briefe, hauptsächlich von Päpsten, die im 7. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel entstanden ist. Die Intensität, mit der sich die Kompilatoren der Collectio Hispana mit dem Thema Weissagung auseinandersetzen, ist zwar gering, jedoch lassen einige Passagen Rückschlüsse auf die zeitgenössischen Bedürfnisse zu, beispielsweise durch Anpassungen der Vorlagen an den westgotischen Entstehungskontext. Bestimmungen zu mantischen Praktiken wurden wohl hauptsächlich zur Bewahrung des verfügbaren, orthodoxen Glaubenswissens sowie zur Sicherung der Königsherrschaft erlassen. Roy Flechner untersucht das Verhältnis von zwei durch eine gemeinsame Quelle, die Collectio canonum Dionysiana, miteinander verbundenen Sammlungen. Die Collectio Hibernensis, die zwischen 690 und 748 in Irland zusammengestellt wurde, akzeptiert in Buch 25 das Loswerfen weitgehend als Teil des Entscheidungsprozesses. Divination ist dagegen nicht erlaubt. Flechner analysiert, inwieweit das Werfen von Losen etwas mit Divination zu tun habe, da beide Methoden dazu dienten, Ereignisse oder Handlungen in der Zukunft mit übernatürlichen Mitteln zu antizipieren. Trotzdem wird Letzteres in der Hibernensis verurteilt, während Ersteres akzeptiert wird. Buch 25 besteht aus fünf Kapiteln, die sich mit dem Vorrecht befassen, Lose in zweifelhaften oder ungewissen Fällen abzugeben, und mit der Rechtfertigung, die Entscheidungsfindung durch Abgabe von Losen zuzulassen. Kurz nach der Hibernensis entstand die Corbie-Redaktion der Vetus Gallica. In diesem Text wird in Buch 44 das Losen genauso verboten wie die Divination. Beide Sammlungen beziehen sich auf das Konzil von Agde aus dem Jahr 506. Dort wurde das Losen verboten. Der Kompilator der Hibernensis änderte den fraglichen Abschnitt jedoch. Bei der Frage nach den Gründen für die Modifizierung weist Flechner auf eine mögliche irische Rechtspraxis hin, die das Losen erlaubt habe. Denkbar wäre ebenso eine Interpretation einschlägiger Bibelstellen zugunsten des Losens. Ludger Körntgen beleuchtet die frühmittelalterliche Bußbuchüberlieferung, deren Belege für die Auseinandersetzung mit mantischen Praktiken auf eine Tradition zurückgeführt wird, die ihren Ausgang von Synodalbestimmungen der spätantiken Reichskirche und dem von christlichen Vorstellungen geleiteten spätantiken Kaiserrecht genommen hatte und auf weiteren im einzelnen nachgewiesenen Quellen basierte. In einigen Werken finden sich kenntnisreich vorgenommene Erklärungen zu mantischen Praktiken, etwa im Paenitentiale Pseudo-Theodori. Daraus kann geschlossen werden, dass diese womöglich nicht nur aus Gründen der Vollständigkeit in die Texte aufgenommen wurden, sondern eine gewisse praktische Relevanz ursächlich gewesen sein könnte.

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Klaus Herbers untersucht die Briefform der Responsa, päpstliche Antwortschreiben auf tagesaktuelle Fragen, im Hinblick auf Hinweise zu divinatorischen Praktiken. Anhand von vier Beispielen vom 6. bis 9. Jahrhundert wird gezeigt, wie solche Inhalte in aktuellen Anfragen und Antworten erscheinen und wie diese auch bei der Übernahme in Kirchenrechtssammlungen noch in hohem Maße auf zeitgenössische Praktiken Bezug zu nehmen scheinen. Im Zentrum des Beitrags von Birgit Kynast steht der bereits mehrfach erwähnte Verfasser einer Sammlung von Konzilsbeschlüssen, Bußbüchern und anderer kanonischer Quellen, Burchard von Worms. Sein Werk aus dem frühen 11. Jahrhundert, dessen rezeptionsgeschichtliche Erschließung mittlerweile als Langzeitforschungsprojekt in das Programm der Akademien aufgenommen wurde, war einflussreich und zitiert frühere Sammlungen, stutzte jedoch die Buße auf ein realistischeres Maß zurück. Einige Bußen dürften auf einen Wormser Hintergrund verweisen, wie mit detaillierten Analysen gezeigt wird. Der Beitrag von Lotte Kéry beschäftigt sich mit der Dekretalistik, einer im 12. und 13. Jahrhndert neu entstandenen Form des kanonischen Rechts. Kéry analysiert die Diskussion über die Verwendung von Losentscheiden im Prozess der Entscheidungsfindung und bei Wahlen in den Sammlungen Bernhards von Pavia und Bernhards von Parma, für die Gratian gleichwohl von Bedeutung war. Möglicherweise gab es keine zwingenden Anlässe, um neue Bestimmungen zum Verbot divinatorischer Praktiken zu erlassen. Trotzdem wurde – vielleicht aus Gründen der Vollständigkeit – etwa das Losen thematisiert. Die Vorschriften Gratians nennen hohe Strafen für Wahrsager: sortilegi und divinatores sollen exkommuniziert werden, nach weltlichem Recht droht sogar die Todesstrafe. Erlaubt ist hingegen eine Zukunftsdeutung mit Mitteln der Astronomie. Hier wird explizit auf das Astrolabium verwiesen, wenngleich diesem eine gewisse Fehlerhaftigkeit attestiert wird. Das Orts- und Personenregister am Ende des Bandes erschließt unter anderem die Häufung von Protagonisten (etwa Caesarius von Arles, Gregor der Große, Regino von Prüm, Burchard von Worms) und für die Thematik einschlägigen Konzilien (etwa Ancyra 314, Agde 506). Dies verdeutlicht über die versammelten Beiträge hinweg, in welchem Maße Satzungen und Personen die Diskussion langfristig bestimmen konnten. Die hier präsentierten Studien bieten insgesamt einen ersten Einblick in die Befunde mittelalterlicher Rechtstexte auf Fragen nach dem Umgang mit Mantik und Divination. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass Hinweise auf tatsächliche mantische Praktiken nur vereinzelt nachweisbar sind. Wesentlich wichtiger waren wohl Intentionen und Ziele der Kompilatoren bzw. Verfasser sowie die Anlässe des Verfassens. Oftmals wurden Bestimmungen zum Teil ohne konkreten Anlass in neue Werke übernommen. Manche Erläuterungen zu den beschriebenen Praktiken lassen eine gewisse Vertrautheit mit denselben erkennen. Bemerkenswert bleibt, dass das Interesse an dem entsprechenden Material in immer wieder neuen Zusammenstellungen beständig erhalten blieb. Die Bestimmungen erscheinen dabei nicht starr, vielmehr unterlagen sie gewissen Dynami-

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ken. Künftige Untersuchungen können, auch mit Unterstützung der Erlanger Datenbank, die Befunde dieses Bandes weiter systematisieren und differenzieren. Die gegenseitigen Bezugnahmen und Binnenbezüge könnten noch präzisere Gruppierungen im Quellenmaterial mitmachen. Auch eine weitere Erforschung der vielfach offenen Überlieferungssituation könnte weitere Aufschlüsse bringen. Der Band wäre ohne die Unterstützung des IKGF an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg nicht möglich gewesen. Dieses wird seit 2009 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Motto „Freiraum für die Geisteswissenschaften“ gefördert. Besonderer Dank gilt Sophie Caesperlein und Lena Sahaikewitsch für die Unterstützung bei der formalen Bearbeitung der Beiträge sowie Kirsti Doepner und dem Böhlau Verlag für das Interesse an dieser Publikation und die gute Zusammenarbeit bei der Drucklegung.

In die Vergangenheit gerichtete Wahrsagungen? Gottesurteile als quasidivinatorische Praktiken im Prozessrecht der Lex Ribuaria Lukas Bothe

1. Zwischen Magie und Astronomie: Mantik im frühen Mittelalter

Wer sich als Laie einen Überblick über aktuelle Forschungen zu Mantik (Wahrsagung) und Divination (Erforschung des göttlichen Willens) im Mittelalter verschafft,1 wird feststellen, dass die Begriffe nicht immer sauber getrennt werden. Die Mantik wird in der Literatur fast durchgehend dem Reich der Magie zugeordnet, während Divination eher als streitbarer Teil der Religionsausübung diskutiert wird. Mantische Praktiken werden als Ausdruck einer vermeintlich paganen Kultur2 mit der christlichen Orthodoxie kontrastiert, die sie mit scharfem Schwert bekämpft habe. Diesen Eindruck kann man etwa gewinnen, wenn man den für die Karolingerzeit einschlägigen Aufsatz Hubert Mordeks und Michael Glatthaars ‚Von Wahrsagerinnen und Zauberern‘ liest, den die Autoren dezidiert als „Beitrag zur Religionspolitik Karls des Großen“ verstanden wissen wollten.3 Der Aufsatz behandelt eine Reihe von Kapitularien4 und Konzilstex-

1 Vgl. etwa Christa Agnes Tuczay, Magic and Divination, in: Handbook of Medieval Culture, Bd. 2, hg. von Albrecht Claassen, Berlin 2015, S. 937–953; Dies., Kulturgeschichte der mittelalterlichen Wahrsagerei, Berlin 2012; Johannes Fried, Mantik, Prognostik und Epistemologie, in: Archiv für Kulturgeschichte 96 (2014), S. 1–15. 2 Kritisch dazu Francis Young, The Myth of Medieval Paganism, First Things (2020/02); https://www.firstthings.com/article/2020/02/the-myth-of-medieval-paganism (letzter Aufruf: 26.05.2020). 3 Hubert Mordek, Michael Glatthaar, Von Wahrsagerinnen und Zauberern, in: Ders., Studien zur fränkischen Herrschergesetzgebung. Aufsätze über Kapitularien und Kapitulariensammlungen ausgewählt zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 2000, S. 229–260. 4 Admonitio Generalis Karls des Großen cap. 18, ed. von Hubert Mordek, Klaus Zechiel-Eckes, Matthias Glatthaar (= MGH Fontes Iuris, Bd. 16), Hannover 2012, S. 192 f. und S. 216 f.; Capitulare missorum generale 802 initio (cap. 25) sowie die Capitula de Examinandis Ecclesiasticis 802 Octob.? (cap. 15), ed. von Alfred Boretius (= MGH Capit., Bd. 1), Hannover 1883, Nr. 33, S. 91–99, hier S. 96 und Nr. 38, S. 109–111, hier S. 110; Capitulare Ecclesiasticum (a. 805/813), ed. von Hubert Mordek; Gerhard Schmitz, Neue Kapitularien und Kapitulariensammlungen, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 43 (1987), S. 410; Capitula Remedii cap. 2, ed. von Elisabeth Meyer-Marthaler, in: Die Rechtsquellen des Kantons Graubünden. Lex Romana Curiensis (= Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, XV. Abt.), Aarau 1959, S. 646.

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ten5 vornehmlich des frühen 9. Jahrhunderts, in denen aus religiösen Motiven heraus der Kampf gegen Wahrsagerinnen und Zauberer nebst Gauklern und anderen Übeltätern ausgerufen wird. Nach dem Zeugnis dieser Rechtstexte waren Grafen und Zentenare genau wie Priester dazu aufgefordert, den Kampf gegen mantische Praktiker mit der Härte des Gesetzes zu führen, sich nicht bestechen oder beeinflussen zu lassen. Bemerkenswerterweise schränken dieselben Kapitularien die Beweismittel ein, die in solchen Verfahren zur Anwendung kommen sollten. Auf die üblichen Gottesurteile sollte zugunsten von peinlicher Befragung und Kerkerhaft verzichtet werden. Im Falle der Überführung war den Delinquenten das Leben zu lassen, damit sie durch Zahlung und Leistung bestimmter Bußen geläutert und auf den rechten Weg des Glaubens zurückgeführt werden mochten. Darin und in der wiederholt eingeforderten Bezugnahme auf geschriebenes Recht6 zeigt sich, wie kompromisslos das Recht der Karolingerzeit der correctio verpflichtet war.7 Wenn Besserung und Läuterung derart in den Vordergrund gerückt werden, muss man sich fragen, worin der Regelungsbedarf bestand. Waren Zauberei und Wahrsagerei um 800 drückendere Probleme als in früheren Jahrhunderten oder hatte sich allein der Zugang des fränkischen Rechts zu diesen Phänomenen geändert? Schließlich bezog das fränkische Recht der Karolingerzeit seine Legitimität keineswegs allein aus den religionspolitischen Motiven Karls des Großen, sondern auch aus seiner historischen Herkunft.8 Zu einem guten Teil basierte das fränkische Recht auf älteren merowingischen und ultimativ sogar römischrechtlichen Traditionen.9 Schon in den wichtigsten merowingischen Quellen des fränkischen Rechts, der Lex Salica und der Lex Ribuaria, stehen Schadenszauber, Giftmischerei, Hexerei und diesbezügliche Falsch-

5 Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense 800. Inde ab Ian. 20.(cap. 15), ed. von Albert Werminghoff (= MGH Conc., Bd. 2/1), Hannover, Leipzig 1906, Nr. 24, S. 205–219, hier S. 209. 6 Admonitio Generalis cap. 62, ed. von Mordek, Zechiel-Eckes, Glatthaar (wie Anm. 4), S. 212 f.; Capitulare missorum generale 802 initio (cap. 26), Capit. 1, ed. von Boretius (wie Anm. 4), Nr. 33, S. 96. 7 Vgl. hierzu Paul Fouracre, Carolingian Justice. Rhetoric of Improvement and Contexts of Abuse, in: La Giustizia nell’alto medioevo, secoli V–VIII (Settimane 42), Spoleto 1995, S. 771–803. 8 Vgl. zu den Reformbemühungen der Karolinger um die Leges: Steffen Patzold, Die Veränderung frühmittelalterlichen Rechts im Spiegel der ‚Leges‘-Reformen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, in: Rechtsveränderungen im politischen und sozialen Kontext mittelalterlicher Rechtsvielfalt, hg. von Stefan Esders, Christine Reinle (= Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung, Bd. 5), Münster 2005, S. 63–99; sowie Karl Ubl, Die erste Leges-Reform Karls des Großen, in: Das Gesetz – The Law – La Loi, hg. von Andreas Speer, Guy Guldentops, Berlin 2014, S. 75–92. 9 Zur Rezeption römischen Rechts bei ausgewählten Tatbeständen vgl. Lukas Bothe, Mediterranean Homesick Blues. Human Trafficking in the Merovingian Leges, in: The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World. Revisiting the Sources, hg. von Stefan Esders, Yitzak Hen, Pia Lucas, Tamar Rotman, London 2019, S. 79–92.

In die Vergangenheit gerichtete Wahrsagungen?

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anschuldigungen unter Strafe.10 Von Wahrsagerinnen oder mantischen Praktiken ist dort allerdings nirgends die Rede. So gesehen besteht die Neuerung der karolingischen Rechtstexte einerseits in der Ausweitung der zu bekämpfenden Täterguppe auf „cauculatores et incantatores, […] tempestarii vel obligatores“.11 Andererseits lässt v. a. das von Mordek und Glatthaar herausgestellte Gebot der peinlichen Befragung aufhorchen.12 Dem der Wahrsagerei oder Zauberei beschuldigten Personenkreis sollte die Reinigung vom Tatvorwurf durch Gottesurteil künftig verwehrt bleiben, womöglich weil man ihnen eine Beeinflussung dieser Verfahren zutraute, wie Mordek und Glatthaar spekulieren.13 Es ist aufgrund des fehlenden Delikts der Wahrsagerei in den Leges schwer zu sagen, ob mantische Praktiken in merowingischer Zeit überhaupt strafrechtlich verfolgt wurden.14 Stattdessen lohnt es sich, die in karolingischer Zeit zugunsten der peinlichen Befragung aufgegebene Praxis der Gottesurteile selbst in Betracht zu ziehen, die in der Lex Ribuaria mehrmals begegnen und stets der Ergründung einer vermeintlichen gerichtlichen Wahrheit sowie der Herbeiführung einer verbindlichen Entscheidung dienten. Daraus ergibt sich die Frage, ob die prozessrechtlichen Verfahren der Wahrheitsfindung selbst als quasidivinatorische Praktiken begriffen werden können. Die Beantwortung dieser Frage ist sowohl für das Feld der Prognostik als auch für die rechtshistorische Forschung zur Lex Ribuaria nur bedingt fruchtbar. Aufschlussreicher ist für beide Forschungsfelder, inwiefern im fränkischen Gerichtsprozess mit seinen Eiden, Zweikämpfen und Gottesurteilen eine Tendenz zur Legitimierung eigentlich als illegitim erachteter divinatorischer Praktiken erkennbar wird, die so auch im kanonischen Recht greifbar wird.15 Zur Beantwortung dieser Frage werde ich im Folgenden zunächst einige Überlegungen der jüngeren Forschung zur Funktion divinatorischer Praktiken im christlichen Kontext des frühen Mittelalters resümieren. Anschließend werde ich anhand ausgewählter Bestimmungen der Lex Ribuaria den fränkischen Gerichtsprozess als einen Ort quasidivinatorischer Praktiken beschreiben und aufzeigen, wie sich dieses Bild mit dem Verständnis der Lex Ribuaria von ihren Regelungsintentionen her einfügt.

10 Pactus legis Salicae 19 De maleficiis, 64 De herburgium, ed. von Karl August Eckhardt, (= MGH LL nat. Germ., Bd. 4/1), Hannover 1962, S. 81 f., S. 230 f.; Lex Ribuaria 86 [De maleficio], ed. von Franz Beyerle, Rudolf Buchner (= MGH LL nat. Germ., Bd. 3/2), Hannover 1954, S. 131. 11 Admonitio Generalis cap. 62, ed. von Mordek, Ezechiel-Eckes, Glatthaar (wie Anm. 3), S. 212 f. 12 Mordek, Glatthaar, Wahrsagerinnen (wie Anm. 3), S. 42 f. 13 Ebd., S. 46. 14 Vgl. dazu Nicole Zeddies, Religio et sacrilegium. Studien zur Inkriminierung von Magie, Häresie und Heidentum (4.–7. Jh.), Frankfurt a. M. 2003 (= Europäische Hochschulschriften, Bd. 964), S. 199–280, insb. S. 260–268. 15 Vgl. den Beitrag von Roy Flechner in diesem Band.

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2. Zur Funktion divinatorischer Praktiken im frühen Mittelalter

Woher rührt die Verortung von Mantik und Divination im Reich der Magie und welche Funktion wird ihr zugebilligt? Christa Tuczay konstatiert in ihrem Forschungsüberblick bis in das Mittelalter selbst zurückreichende Pfadabhängigkeiten der Mantik- von der Magieforschung und behandelt, obwohl sie eine mangelnde Trennschärfe von Divination und Religion anmerkt, Divination als den artes magicae zugehörig, die sie mit Lynn Thorndike als experimentierende Vorwissenschaft begreift.16 Tuczay versucht damit die Dichotomie Magie/Religion bzw. Magie/Wissenschaft aufzubrechen. Valerie Flint zufolge, die Mantik und Divination ebenfalls der Magie zurechnet, basierte der vermeintliche Aufstieg der Magie im frühen Mittelalter auch auf der Bereitschaft des sich ausbreitenden Christentums, die innerhalb der missionierten Völker vorhandenen magischen Vorstellungen zu assimilieren. Obwohl sie prinzipiell am Gegensatz Magie/ Religion festhält, zeigt sie auf, wie und wo die beiden Bereiche miteinander verschmolzen. Dabei sei der Impuls zur Assimilation nicht allein vertikal aus der Vergangenheit abzuleiten, was sich insbesondere in der Umdeutung bzw. -nutzung paganer Feste und Orte manifestierte. Vielmehr habe immer horizontal, aus der Gegenwart des Missionskontexts heraus, die Notwendigkeit bestanden, sich mit vorgefundenem Wunderglauben auseinanderzusetzen. Darin sei der wesentliche Beitrag des Christentums zur Ausbreitung der Magie im frühen Mittelalter zu sehen.17 3. Pagane Ursprünge im alten Orient und in den Missionsgebieten

Wo liegen die Wurzeln von Mantik und Divination? Getreu der Maxime ex oriente lux geht Johannes Fried davon aus, dass die Verquickung mantischer Praktiken mit politischer und religiöser Machtausübung aus dem alten Orient stamme und über die Griechen und Römer Eingang in die abendländische politische Kultur gefunden habe: „Wo immer Rom und sein Nachleben zur Norm wurden, musste man sich auf Mantik und Divination, auf die Sterne und ihre Botschaften einlassen.“18 Fried verweist auf zwei berühmte Episoden am Anfang des Christentums und am Beginn der Christianisierung des römischen Reichs: Die drei Weisen aus dem Morgenland, die sich auf ihrem Weg zur Krippe in Bethlehem von einem Stern leiten ließen, hätten die Sternenkunde für Christen prinzipiell erträglich gemacht. Kaiser Konstantins angebliche Vision am Vorabend 16 Tuczay, Kulturgeschichte (wie Anm. 1), S. 1–7, insbes. S. 2 f., unter Verweis auf Lynn Thorndike, A History of Magic and Experimental Science (8 Bde.), New York 1923–1958. 17 Valerie Irene Jane Flint, The Rise of Magic in Early Medieval Europe, Princeton, New Jersey 1991. 18 Johannes Fried, Mantik, Prognostik und Epistemologie, in: Archiv für Kulturgeschichte 96 (2014), S. 1–15, hier S. 5; vgl. auch Tuczay, Kulturgeschichte (wie Anm. 1), S. 7–10.

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der Schlacht an der Milvischen Brücke (in hoc signo vinces), die wahrscheinlich ebenfalls auf eine stellare Konstellation zurückzuführen sei, habe dann ihr Übriges getan.19 Das liest sich freilich so, als seien Mantik und Divination kulturell externer Hokuspokus, der aus rein utilitaristischen Motiven Eingang in die christliche Kultur des Mittelalters gefunden habe. Dagegen sieht Flint Divination nicht nur für die griechisch-römische, sondern auch für die vorchristliche, vermeintlich germanische Religion als zentral an. Da jegliche Divination die Gefahr barg, Erinnerungen an die alte Religion zu wecken oder neue Dämonen heraufzubeschwören, sei Divination seitens der neuen Religion in Bausch und Bogen bekämpft worden.20 Weder die utilitaristische Vereinnahmung noch die pauschale Ablehnung der Divination durch das Christentum überzeugen meines Erachtens vollends. Schließlich gibt es im Christentum selbst ausreichend Raum für Mantik und Divination, vor allem wenn wir divinatio als Erforschung und Begreifen des göttlichen Willens verstehen. Allein im Alten Testament finden sich zahlreiche Prophezeiungen, und was ist das christliche Heilsversprechen selbst, wenn nicht eine besonders kühne Wahrsagung? 4. Zeichendeutung zwischen christlicher Eschatologie und literarischem Topos

Breit diskutiert wurden seitens der Forschung zuletzt apokalyptische Endzeiterwartungen.21 Das Jüngste Gericht wurde im Frühmittelalter je nach Zeitrechnung für das Jahr 800 oder das Jahr 1000 vorhergesagt, ohne dass die Zeitgenossen große Angst davor verspürt hätten, wie Matthias Becher konstatiert.22 Demnach seien zwar insbesondere dem großen Alkuin, herausragender Gelehrter am Hof Karls des Großen, seitens der modernen Forschung konkrete Ängste vor den tempora periculosa unterstellt worden, in denen er lebte. Diese Unterstellungen ließen sich jedoch kaum bekräftigen, zumal Alkuin Kritik am herrschenden Unrecht seiner Zeit geübt habe, was im Kontext des Herrscherlobs zu verstehen sei. 19 Ebd. S. 5 f. 20 Flint, Magic (wie Anm. 17), S. 88. 21 Zuletzt Apocalypse and Reform from Late Antiquity to the Middle Ages, ed. von Matthew Gabriele, James Palmer, London 2019; Michael David Barbezat, Burning Bodies: Communities, Eschatology, and the Punishment of Heresy in the Middle Ages, Ithaca NY 2018; Richard Landes, Millenarianism/Millenialism, Eschatology, Apocalypticism, Utopianism, in: Handbook of Medieval Culture, Bd. 2, S. 1093–1112; Abendländische Apokalyptik: Compendium zur Genealogie der Endzeit, ed. von Veronika Wieser et al., Berlin 2012. 22 Matthias Becher, Mantik und Prophetie in der Historiographie des frühen Mittelalters. Überlegungen zur Merowinger- und frühen Karolingerzeit, in: Mantik. Profile prognostischen Wissens in Wissenschaft und Kultur, hg. von Wolfram Hogrebe, Würzburg 2005, S. 167–187, hier S. 178.

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Dies gelte im Übrigen auch für die frühmittelalterliche Historiografie. So habe Einhard in seiner Biografie Karls des Großen zwar eine Häufung von Vorzeichen für den bevorstehenden Tod Karls des Großen erwähnt, gleichwohl aber angedeutet, dass weder Karl noch seine Zeitgenossen diesen Zeichen besondere Bedeutung beigemessen hätten. Becher schließt daraus, dass die Deutung seltener Naturereignisse im Sinne negativer Vorzeichen für die Zeitgenossen ohne konkrete Relevanz gewesen sei. Stattdessen hätten sie dem Biografen Karls des Großen allein der topischen Überhöhung seines Helden gedient.23 Während Becher die von Einhard eingestreuten Vorzeichen für einen Kunstgriff des Autors hält, stellt er Mantik und Prophetie im Werk Gregors von Tours in einen anderen Kontext: Gregor habe deutlich „zwischen Wahrsagerei, die vom Teufel inspiriert sei, und der Offenbarung der Zukunft durch Gott oder seine Boten“ unterschieden.24 Gregors Interesse für Himmelserscheinungen und Prophetien habe ihn zwar verleitet, jegliche Vorzeichen politisch zu deuten, allerdings habe er keineswegs alle geschilderten Erscheinungen mit konkreten Ereignissen verknüpft.25 5. Gregor von Tours und die bischöfliche Macht der Zeichendeutung

Valerie Flint hingegen betrachtet Gregor von Tours quasi als Kronzeugen des Aufstiegs der Magie im frühen Mittelalter und beschreibt dessen Faszination für Naturwunder und Wahrsagung im Sinne einer synkretischen Vereinnahmung mantischer und anderer magischer Praktiken durch das Christentum.26 Dem gegenüber stellt die Historikerin Nicole Zeddies in ihrer Frankfurter Dissertation die Frage nach der Relevanz von Magie und Mantik in politischen Prozessen.27 Zeddies sieht Gregors „Zehn Bücher Geschichten“, in denen es um das Wirken von Bischöfen und Königen in einer Welt gehe, die einem sich auf verschiedene Art und Weise offenbarenden Heilsplan unterliege, als „Manifest für die allein bischöfliche Macht, Zeichen zu evozieren und zu deuten.“28 Die Deutung von Zeichen und die Erfragung des göttlichen Willens gehörten demnach genauso zu den Aufgaben eines frühmittelalterlichen Bischofs wie die Armenfürsorge und die rechtliche Beratung.

23 Becher, Mantik und Prophetie (wie Anm. 22), S. 168. 24 Ebd., S. 170. 25 Ebd., S. 173. 26 Flint, Magic (wie Anm. 17), S. 282 f. 27 Zeddies, Inkriminierung (wie Anm. 14), S. 260–268. 28 Ebd., S. 260.

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6. Weltliches und kirchliches Recht im merowingischen Frankenreich

Zeddies gewinnt ihre bestechende Interpretation im Dialog mit den Bestimmungen des kirchlichen und weltlichen Rechts hinsichtlich der Inkriminierung von Mantik und Magie.29 Kirchliches und weltliches Recht seien im merowingischen Frankenreich quasi arbeitsteilig vorgegangen.30 Während die Leges zwar Schadenszauber, Giftmischerei und Hexerei sowie dahingehende Falschanschuldigungen unter Strafe stellten,31 seien auf den Konzilien des 6. Jahrhunderts allerlei antipagane Beschlüsse gefasst worden.32 Das weltliche Recht des Frankenreichs, insbesondere die Lex Salica mit ihrer komplizierten Überlieferung, sei anders als die westgotischen Gesetze kaum vom Willen des Herrschers geprägt, weshalb auch der Hochverrat und die mit ihm in römischrechtlicher Tradition gleichgestellten religionspolitischen Sakrilegien keine Rolle darin spielten. Schadens- und Bindezauber sowie Giftmischerei wurden zwar im Sinne des Erfolgsstrafrechts bestraft, aber nur wenn und weil sie Schaden anrichteten und nicht per se weil sie sakrilegisch waren.33 Zu einer Verurteilung explizit mantischer bzw. divinatorischer Praktiken sei es daher zumindest in merowingischer Zeit allein auf dem ersten Konzil von Orléans 511 gekommen, in dessen 30. Kanon die Wahrsagerei und die Praxis der sortes sanctorum34 verboten wurden. Da das Konzil von Orléans aber von Chlodwig I. selbst einberufen wurde, sieht Zeddies in dem Verbot der sortes sanctorum eine quasi „staatliche“ Reaktion auf die von Zeddies postulierte bischöfliche Macht der Zeichendeutung.35 Letztere sei aber auch nach dem Konzil von Orléans, ausweislich der Historien Gregors von Tours, im Sinne der Erforschung des göttlichen Willens vollkommen legitim gewesen.36

29 Ebd., S. 199–279. 30 Vgl. auch Tuczay, Divination (wie Anm. 1), S. 944. 31 Zeddies, Inkriminierung (wie Anm. 14), S. 219–242; besondere Aufmerksamkeit schenkt Zeddies dem Praeceptum Childeberti I. und der Lex Salica, während die Lex Ribuaria nur am Rande erwähnt wird. 32 Ebd. S. 199–219; thematisiert wird insbesondere das zweite Konzil von Tours 567, dessen 23. Kanon sich gegen Neujahrsbräuche, Totenmahle und Speiseopfer richtet; vgl. Conc. Turonense II (a. 567) c. 23 [22]: Les canons des conciles mérovingiens (VIe–VIIe siècles), vol. 2, ed. von Jean Gaudemet, Carlo de Clercq, Brigitte Basdevant-Gaudemet, Paris, 1989, S. 384. 33 Zeddies, Inkriminierung (wie Anm. 14), S. 241 f. 34 Sortes sanctorum, sogenannte Bibellose. Dazu wurde die Bibel oder speziell dafür vorgesehene Psalter willkürlich aufgeschlagen und die ersten Worte vorgelesen, die vermeintlich die Zukunft vorhersagten. Siehe auch den Beitrag von Roy Flechner in diesem Band. 35 Zeddies, Inkriminierung (wie Anm. 14), S. 268; Si clericus, monachus, saecularis divinationem vel auguria credederit observanda vel sortes, quas mentiuntur esse sanctorum, quibuscumque potaverint intimandas, cum his, qui iis credederint, ab ecclesiae conmunione pellantur. – Vgl. Conc. Aurelianense (a. 511), in: MGH Conc., Bd. 1, S. 2. 36 Zeddies, Inkriminierung (wie Anm. 14) S. 256–260.

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7. Poetische Gerechtigkeit bei Gregor von Tours

In dieser Hinsicht relevant sind allerdings nicht nur die expliziten Prophezeiungen in Gregors Werk, sondern auch die impliziten. Zeichen deutet Gregor von Tours nicht nur als handelnder Bischof, sondern im Sinne der poetischen Gerechtigkeit auch als Erzähler einer sorgfältig angelegten Heilsgeschichte.37 Als moralisierender Chronist der merowingischen Bruderkriege entwickelt Gregor von Tours eine Vorliebe für Strafwunder, die er meist auf die Missachtung von Heiligen zurückführt.38 Auch durch die Art und Weise, in der prominente Herrscher in den Historien zu Tode kommen, urteilt Gregor von Tours über seine Protagonisten.39 Bösartige Charaktere, die durch Intrigen oder gute Beziehungen zum König zunächst einer rechtmäßigen Strafe entgehen, gibt es immer wieder. Zumeist ist es Gregor jedoch eine erzählerische Genugtuung, von dem unrühmlichen Tod der betreffenden Person zu berichten.40 Obwohl Gregor Zeichen und Ereignisse stets nur ex post deutet, leitet sich daraus ein in die Zukunft gerichtetes Versprechen ab. Gregors Leser sollten darauf vertrauen, dass Gott selbst diejenigen mit einem qualvollen oder unrühmlichen Tod bestrafen würde, die zu Lebzeiten juristisch nicht für ihre Schandtaten zu belangen waren. Die Funktionen, die Mantik und Divination im frühen Mittelalter erfüllten, waren vielfältig. Neben der seitens des Christentums bekämpften Wahrsagerei, die zwar in den Leges nicht bußwürdig war, konnten divinatorische Praktiken wie die bischöfliche Zeichendeutung auch in den Dienst der christlichen Religion gestellt oder rückwirkend als literarische Stilmittel genutzt werden, die wie bei Einhard dem Herrscherlob oder wie bei Gregor der Stärkung des allgemeinen Gottvertrauens dienten. Die Zweiteilung erinnert an die ciceronische Unterscheidung zwischen künstlicher und natürlicher Wahrsagung.41 Auffällig ist jedenfalls, dass die im „Privaten“ verortete Mantik illegitim war, 37 Behandelt wird das Konzept der poetischen bzw. narrativen Gerechtigkeit in der noch in Bearbeitung befindlichen Dissertation von Pia Lucas, Mapping Divine Power – Heilige in Ost und West bei Gregor von Tours. 38 Vgl. Gregor von Tours, Decem Libri Historiarum V, 10, wo der Heilige Martin die Plünderer seines Grabes bestraft, indem einer im Streit mit den Kameraden getötet wird, was zur Entdeckung und Verhaftung der Übrigen führt. 39 Vgl. dazu Pia Lucas, Magnus et Verus Christianus: The Portrayal of Emperor Tiberius II in Gregory of Tours, in: Merovingian Kingdoms (wie Anm. 9), S. 127–139; Lucas behandelt die Darstellung des aus Gregors Sicht „guten“ Kaisers Tiberius im Kontrast zum „bösen“ Kaiser Justin II., den Gregor in seinem Narrativ bewusst als Negativfolie zu Tiberius konstruiert habe. 40 Gregor von Tours, Decem Libri Historiarum VI, 35 und VII, 31. Der in Buch VI geschilderte qualvolle Tod des Mummolus wird von Gregor in Buch VII süffisant mit dem Raub einer Fingerreliquie des Heiligen Sergius in Zusammenhang gebracht. 41 Für den gegenüber jedweder Wahrsagung skeptischen Cicero besteht die künstliche Wahrsagung „teils aus Voraussetzung, Vermutung, teils aus langjähriger Erfahrung; die natürliche besteht darin, dass die Seele das Göttliche ergreift, daher wir reines Herzens sein sollen.“ Cicero, De divinatione 2.26.

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während die als Erforschung des göttlichen Willens verstandene Divination legitimiert werden konnte, sofern sie durch autorisierte Personen, namentlich die Bischöfe und im „öffentlichen“ Interesse vollzogen wurde. 8. Divinatorische Praktiken im Sühneprozess nach der Lex Ribuaria

Ein ähnlich geartetes Gottvertrauen im „öffentlichen Raum“ begegnet schließlich auch im fränkischen Straf- bzw. Sühneprozess, wie er sich nach den Leges Salica und Ribuaria rekonstruieren lässt.42 8.1. Quellenkritisches zur Lex Ribuaria

Nach Einhards Aussage hatten die Franken zur Zeit Karls des Großen zweierlei Rechte,43 gemeint sind das salische und das ribuarische. Die Lex Salica ist zuletzt ausführlich von Karl Ubl behandelt worden, der die von ihrer Entstehung her noch immer obskure lex vor allem von ihrer späteren Rezeption als fränkisches Gesetzbuch und Vehikel fränkischer Identität her versteht.44 Was die umstrittene Datierung angeht, tendiert Ubl zu einem früheren Ursprung der Lex Salica in den 480er- Jahren. Zumindest könne man festhalten, dass die Lex Salica schon im Verlaufe des 6. Jahrhunderts inhaltlich überholt war. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass man im austrasischen Teilreich des 7. Jahrhunderts die Notwendigkeit zu einer Überarbeitung sah, welche uns in dem zweiten fränkischen Gesetzbuch, der Lex Ribuaria vorliegt. Die Entstehung der Lex Ribuaria steht höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit der Gründung eines austrasischen Unterkönigreichs für Sigibert III., den minderjährigen Sohn Dagoberts I. 633/34, die in der sogenannten Fredegarchronik eindrücklich beschrieben wird.45 Fredegar zufolge war das austrasische Kleinreich Sigiberts angesichts der militärischen Bedrohung durch das Reich des Samo ausdrücklich auf Wunsch der austrasischen Großen errichtet und mit einem eigenen Fiskus und weiteren Institutionen ausgestattet worden. Dazu passt der Charakter der Lex Ribuaria mit seiner vorausgesetzten Erreichbarkeit des Königsgerichts, den kurzen Gerichtsfristen und der

42 Vgl. dazu umfassend: Franz Beyerle, Die Beweisverteilung im gerichtlichen Sühneverfahren der Volksrechte, Heidelberg 1913 (Habil. Jena 1913), sowie Ders., Das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang: Sühne, Rache und Preisgabe in ihrer Beziehung zum Strafprozeß der Volksrechte (= Deutschrechtliche Beiträge, Bd. 10/2), Heidelberg 1915. 43 Einhard, Vita Karoli c. 29, ed. von Oswald Holder-Egger, Georg Waitz (= MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum, Bd. 25), Hannover, Leipzig 1911, S. 33. 44 Karl Ubl, Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs. Die Lex Salica im Frankenreich, Ostfildern 2016. 45 Fredegar Chronicon IV, 68, 74 f., ed. von Bruno Krusch (= MGH SS rer. Merov., Bd. 2), S. 154 f., S. 158 f.

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Bezeichnung des Geltungsgebietes als pagus Ribuarius.46 Geografisch erstreckte sich dieser pagus wahrscheinlich auf das unmittelbare Umfeld der civitas Köln sowie weitere austrasische Gebiete zwischen Maas und Ruhr.47 Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass dies ein Gebiet mit einer höchst heterogenen Bevölkerung war, das zwischen dem Geltungsgebiet der Lex Salica im Westen, Burgund im Süden und den austrasischen Besitzungen im Osten lag. Diesen Charakter spiegelt die Lex Ribuaria wider, deren Aufzeichnung einen speziellen Anlass gehabt haben muss. Bei der Kompilation der Lex Ribuaria sind nachweislich neben dem aktualisierten fränkischen Recht der Lex Salica auch burgundische und römischrechtliche Texte verwendet worden.48 Die Kompilatoren müssen also mit einer Vielzahl von Rechtskulturen und -texten vertraut gewesen sein. Ihre Auswahl dürfte daher alles andere als zufällig erfolgt sein. Stattdessen ist von einer planvollen Anordnung der Bestimmungen auszugehen, die bestimmte rechtliche und politische Regelungsanliegen widerspiegelt. Zu diesen Regelungsanliegen zählen die Organisation der austrasischen Grenzverteidigung, die Propagierung einer ribuarischen Identität sowie die Herstellung von Rechtssicherheit und die Etablierung verbindlicher Verfahren, bei denen ganz im Sinne der römischen und burgundischen Vorlagen größeres Augenmerk auf den Urkundenbeweis gelegt wurde als das noch in der Lex Salica der Fall war. In Hinblick auf ihr dem gerichtlichen Sühneprozess dienendes Kompositionensystem stellt sich die Lex Ribuaria jedoch weitgehend als eine Lex Salica revisa dar. 8.2. Das Beweisverfahren im gerichtlichen Sühneprozess nach der Lex Ribuaria

Das fränkische Gerichtsverfahren wurde eingeleitet durch die Klageerhebung der geschädigten Partei, welche die beschuldigte Partei unter Wahrung der gesetzlichen Fristen und vor Zeugen zum Gerichtstermin zu laden hatte.49 Erschien die geladene Partei zum festgesetzten Termin, wofür gegebenenfalls auch der Schutzherr des Beklagten zu haf46 Lex Ribuaria 35 (31) [De homine ingenuo repraesentando], ed. von Franz Beyerle, Rudolf Buchner (= MGH LL nat. Germ., Bd. 3/2), Hannover 1954, S. 87. 47 Vgl. dazu Eugen Ewig, Die Stellung Ribuariens in der Verfassungsgeschichte des Merowingerreichs (1969), in: Ders., Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952–1973), Bd. 1 (= Beihefte der Francia, Bd. 3/1), Zürich u. a. 1976, S. 450–471; sowie Ders., Die Civitas Ubiorum, Francia Rinensis und das Land Ribuarien, Ebd., S. 472–503. 48 Vgl. die Einleitung zur Edition der Lex Ribuaria von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 17 und 26. 49 1. Si quis legibus ad mallum fuerit et non venerit, si enum sunnis non detenuerit, quindecim solid. culpabilis iudicetur. Ille vero, qui alium manit et ipse non venerit, similiter 15 sol. culpabilis iudicetur. 2. Sin autem manitus fuerit ad secondo mallo aut ad tertio seu ad quarto vel ad quinto usque ad sexto venire distulerit, pro unoquoquem mallo, si ille, qui eum manit, cum tribus rachinburgiis in haraho coniuraverit, quod legitime manitum habuerit, 15 solid. culpabilis iudicetur. […]. – Lex Ribuaria 36 (32) [De mannire], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 87 f., Vgl. auch Pactus legis Salicae 1 De mannire, ed. von Eckhardt (wie Anm. 10), S. 18–20.

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ten hatte,50 konnte Klage erhoben werden. Daraufhin wurden sieben sogenannte Rachineburgen, ortsansässige Rechtskundige beauftragt, das Recht zu sprechen, mithin ein Urteil gemäß dem ribuarischen Gesetz zu verkünden und dafür geradezustehen.51 Dieses Urteil fiel zwingend zulasten der beklagten Partei aus und bestand in nahezu allen Fällen in einer Verurteilung zu einer bestimmten Summe Geldes, etwa dem Wergeld von 200 Solidi für einen erschlagenen Freien. Da jedoch die Leugnung des Tatvorwurfs durch den Beklagten von vornherein mitgedacht werden musste, sind in der Lex Ribuaria häufig „zweizüngige Urteile“ formuliert. Für einen Totschlag sollte der Täter mithin zu einer Zahlung von 200 Solidi verurteilt werden oder sich durch die Leistung eines Reinigungseides mit zwölf Eidhelfern vom Tatvorwurf reinigen.52 Der moderne Beobachter wird anmerken, dass hier ein gewichtiger Teil des Gerichtsprozesses übergangen worden zu sein scheint, nämlich die Beweisaufnahme. Dieser Schein trügt jedoch, denn war das Urteil ergangen, stand die Beweisfrage ebenso fest – Totschlag oder kein Totschlag – wie die Beweislast, die auf die beklagte Partei entfiel.53 Gelang der beklagten Partei ein formal korrekter Reinigungseid mit der vorgeschriebenen Anzahl an Eidhelfern,54 konnte die klagende Partei keinen Gegenbeweis führen. Der einzige Ausweg bestand dann darin, eine Beweisschelte oder -rüge zu führen. Zweifelte der Kläger die Beweisführung des Beklagten an, entstand eine Patt-Situation, in der Aussage gegen Aussage stand. Ein möglicher Ausweg war in solchen Situationen der gerichtliche Zweikampf, der als besondere Form des Gottesurteils zu gelten hat und verbindliche Entscheidungen herbeizuführen imstande war.55 Kläger und Beklagter stellten jeweils einen Kämpfer, die vor dem Königsgericht gegeneinander zu kämpfen hat50 1. Quod si homo ingenuus in obsequium alterius inculpatus fuerit, ipse qui eum post se eodem tempore retenuit, in praesentia iudices similiter sicut superius conprahaensum est, repraesentare studeat aut in rem respondere. 2. Quod si eum non repraesentaverit, talem damnum incurrat, qualem ille sustinere debuerat, qui eius obsequium est inculpatus. […]. – Lex Ribuaria 35 (31) [De homine ingenuo repraesentando], ed. von. Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 87 f. 51 Si quis causam suam prosequitur, et rachinburgii inter eos secundum legem Ribvariam dicere noluerint, tunc ille, in quem sententiam contrariam dixerint, dicat: Ego vos tangano, ut mihi legem dicatis. […]. – Lex Ribuaria 56 (55) [De rachinburgiis legem dicentibus], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 104. 52 Si quis hominem ingenuum Ribvarium interfecerit, CC solidos culpabilis iudicetur. Aut si negaverit, cum XII iuret. – Lex Ribuaria 7 [De homicidio], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 77. 53 Vgl. Andreas Deutsch, Art. Beweis, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. I, Sp. 559–566. 54 Vgl. dazu ausführlich: Stefan Esders, Der Reinigungseid mit Eidhelfern. Individuelle und kollektive Rechtsvorstellungen in der Wahrnehmung und Darstellung frühmittelalterlicher Konflikte, in: Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung. Gerichtliche und Außergerichtliche Strategien im Mittelalter, hg. von Stefan Esders, Köln 2007, S. 55–87. 55 Zu Gottesurteilen im Mittelalter vgl. Robert Bartlett, Trial by Fire and Water. The Medieval Judicial Ordeal, New York 1986, zur Herbeiführung verbindlicher Entscheidungen: Ebd., S. 158–160; vgl. auch Wolfgang Schild, Art. Gottesurteil, HRG II, Sp. 481–491.

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ten.56 Die Partei, die den überlegenen bzw. überlebenden Kämpfer gestellt hatte, ging als Sieger aus dem Rechtsstreit hervor. Es war in der Vorstellung der Zeitgenossen ausgeschlossen, dass Gott einen Schuldigen den Sieg würde davontragen lassen.57 In diesem eingeschränkten Sinn, der Erforschung des göttlichen Willens, ist die Beweisführung im Sühneprozess durchaus als divinatorische Praxis zu fassen. Neben der Beweisschelte, bei welcher der gerichtliche Zweikampf ja quasi erst als ultima ratio hinzugezogen wurde, konnten Zweikämpfe und andere Gottesurteile auch von vornherein als Beweismittel angeordnet werden, und zwar in solchen Fällen, in denen dem Beklagten aufgrund seines personenrechtlichen Standes andere Wege der Beweisführung versagt blieben. Das betrifft nach der Lex Ribuaria insbesondere den Freiheitsprozess gegen einen vermeintlich zu Unrecht freigelassenen Minderfreien. Wenn nach einer erfolgten Freilassung ein Gegner entstünde, der behauptete, der Freigelassene sei zu Unrecht freigelassen worden, sollte sich dieser mit seinem eigenen Schwert verteidigen oder durch einen Gewährsmann vertreten lassen.58 Ein ähnlich gearteter Fall betrifft zum anderen den Prozess gegen einen nicht in Ribuarien geborenen Fremden gleich welcher Herkunft, der ausweislich des bedeutsamen Titels Lex Ribuaria 35 (3–4), wenn er in Ribuarien angeklagt war, jeweils nach dem Recht seines Geburtsortes und nicht nach dem ribuarischen Recht gehört und verurteilt werden sollte.59 Der abschließende fünfte Absatz dieses Titels verfügt vor diesem Hintergrund eine naheliegende Sonderregel: „Wenn er aber in der ribuarischen Provinz keine Eidhelfer finden kann, so befleißige er durch Feuer oder Losprobe sich zu reini56 4. Quod si ipsam strudem contradicere voluerit et ad ianum suam cum spata tracta accesserit et eam in porta sive in poste posuerit, tunc iudex fideiussores ei exigat, ut se ante regem repraesentet, et ibidem cum arma sua contra contrarium suum se studeat defensare. – Lex Ribuaria 35 (31) [De homine ingenuo repraesentando], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 87 f. – Hier ist an Zweikampf anstelle des Reinigungseides gedacht. 57 Zur Rationalität von Gottesurteilen vgl. Rebecca V. Colman, Reason and Unreason in Early Medieval Law, in: Journal of Interdisciplinary History 4 (1974), S. 571–591. 58 1. Si quis libertum suum per manum propriam seu per alienam secundum legem Ribvarium ingenuum dimiserit et dinarium iactaverit, et eiusdem rei cartam acciperit, nullatenus permittimus eum in servicio inclinari; sed reliqui Ribvarii liber permaneat. 2. Sed si quis in postmodum contrarius stetetrit et dixerit, quod eum quis inlicito ordine ingenuum dimisset, ipse cum gladio suo hoc studeat defensare. Aut si auctorum habuerit, auctor cum legibus ex hoc eum educat. Aut sie legibus eum non potuerit defensare, ad partem regis ducentos solidos culpabilis iudicetur, et ad partem eius, cuius servum inlicito ordine a iugo servitutis absolvere nititur, 40 quinque solidos multetur, et de omne res quod ei condonavit, alienus existat […]. – Lex Ribuaria 60 (57) [De libertis a domino ante regem dimissis], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 107 f. 59 3. Hoc autem constituimus, ut infra pago Ribvario tam Franci, Burgundiones, Alamanni seu de quacumque natione commoratus fuerit, in iudicio interpellatus sicut lex loci contenit, ubi natus fuerit, sic respondeat; 4. Quod si damnatus fuerit, secundum legem propriam, non secundum Ribvariam damnum sustineat. – Lex Ribuaria 35 (31) [De homine ingenuo repraesentando], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 87.

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gen.“60 Diese Regelung war natürlich ein Nachteil für Ortsfremde, weil diese sich nicht auf die Unterstützung eines örtlichen Netzwerkes verlassen konnten und stattdessen auf den günstigen Ausgang eines Gottesurteils hoffen mussten. Nichtsdestoweniger diente die Regelung in den Augen der Zeitgenossen der gerichtlichen Wahrheitsfindung, wenn auch – aus schierer Notwendigkeit – auf quasi divinatorischem Wege. Zugespitzt könnte man daher sagen, dass die Besonderheit des fränkischen Sühneprozesses darin bestand, dass das „Urteil“ der fränkischen Rechtskundigen unabhängig vom Ausgang der Beweisaufnahme erging. Das liegt daran, dass das Recht der Leges ein reines Erfolgsstrafrecht war, welches in erster Linie darauf bedacht war, im Schadensfall, den durch ein Unrecht verursachten Schaden wiedergutzumachen und dadurch den verletzten Rechtsfrieden wiederherzustellen. Die Bestrafung des Täters war zweitrangig. Das heißt, die Kompilatoren der Lex Salica, der Lex Ribuaria und wahrscheinlich auch die der karolingischen Sammelhandschriften, die allein die früheren Texte überliefern, waren zuvorderst an der Verfügbarkeit eines allgemein verbindlichen Tarifs zur Wiedergutmachung entstandener Schäden interessiert. Tathergang, Tatumstände oder etwaige Motive des Täters interessierten allenfalls nachrangig, nämlich dann, wenn sie als die Buße erhöhendes Kriterium auftraten wie die Absicht verheißende Heimlichkeit beim Mord in der Lex Ribuaria.61 9. Fazit: Blickender Schein und verborgene Wahrheiten

Ohne weiter ins Detail zu gehen lässt sich festhalten: Das fränkische Recht des frühen Mittelalters war wie zuvor das römische Recht der Antike darauf angewiesen, die zu verhandelnde Rechtssache in Augenschein zu nehmen, und zwar im wörtlichen Sinn. Daran erinnert nicht zuletzt ein terminus technicus der altdeutschen Rechtssprache: „blickender Schein“ (lat. evidentia occularis), der nichts Anderes meint als das Vorweisen des corpus delicti im Gericht oder den sichtbaren Beweis.62 Nur über offenkundige Vergehen konnte ein Urteil gefällt werden. Nur der ertappte Dieb konnte hart bestraft werden. Nur wo Arzt oder Heiler die Schwere einer Wunde festgestellt hatten, konnte die entsprechende Wundbuße verlangt werden. Nur wo eine Leiche vorlag und der Totschläger bekannt war, konnte ein Wergeld zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens 60 Ibid. 5. Quod si in provintia Ribvaria iuratores invenire non potuerit, ad igneo seu ad sortem excusare studeat; Übersetzung nach Karl August Eckhardt, Die Gesetze des Karolingerreiches 714–911. I Salische und Ribuarische Franken (= Germanenrechte. Texte und Übersetzungen, Bd. 2), Weimar 1934, S. 151–153. 61 Si quis ingenuus Ribuarius ingenuum Ribvarium interfecerit et eum cum rama aut callis vel in puteo seu in aqua quacumque libet loco celare voluerit, quod dicitur mordridus, sexcentos solidos culpabilis iudicetur, aut cum 70 duobus iuret. – Lex Ribuaria 16 [De homine mordrido], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 80. 62 Friedrich Scheele, Art. Blickender Schein, HRG I, Sp. 616 f.

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gezahlt werden. In all den anderen Fällen, wo die beschuldigte Partei den Tatvorwurf leugnete oder wo es berechtigte Zweifel an der vorgebrachten Klage gab, musste man sich auf Verfahren verlassen, die wir als quasidivinatorische Praktiken auffassen können. Die angesprochenen Gottesurteile, sei es im gerichtlichen Zweikampf oder bei der Heiß- oder Kaltwasserprobe, dienten vor Gericht – pragmatisch betrachtet – der Herbeiführung einer verbindlichen Entscheidung, damit ein Urteil – schuldig oder nicht schuldig – gefällt werden konnte, das den schwelenden Konflikt in der lokalen Gesellschaft beruhigte.63 Nimmt man aber den dahinterstehenden Gedanken und das beispielsweise durch die Historien Gregors von Tours veranschaulichte totale Vertrauen auf Gott als letztverantwortlichen Garanten allen irdischen Rechts ernst,64 lässt sich jedes einzelne Gottesurteil auch als eine in die Vergangenheit gerichtete Wahrsagung begreifen.65 Gleiches gilt im Übrigen auch für den Eid. Eine der wichtigsten Erkenntnisse auf der 2016 in Berlin abgehaltenen Tagung „Making Sense of the Oath in Late Antiquity and the Earlier Middle Ages“66 besteht in der herausgearbeiteten Fähigkeit des Eides, Unsichtbares sichtbar zu machen. Das heißt, dass unabhängig von den damit verbundenen religiösen Konnotationen, der Eid in bestimmten Kontexten mitunter genau jene Funktion erfüllen konnte, die andernfalls nur der blickende Schein ermöglichte. Im ältesten fränkischen Gesetzbuch, der Lex Salica, steht hinter den einzelnen Bestimmungen häufig der Zusatz sicut adprobatum est – wenn es bewiesen wird. Die Kompilatoren der Lex Salica setzten also voraus, dass sich der Tatvorwurf irgendwie beweisen ließ. Das jüngere fränkische Gesetzbuch, die Lex Ribuaria, deutet an mehreren Stellen an, wie man sich das Beweisverfahren in solchen Fällen vorzustellen hatte. In geschäftlichen Belangen wurde dem Urkundenbeweis Vorrang eingeräumt.67 In Abwesenheit solch eindeutiger Beweise sollte der Eid zum Einsatz kommen,68 der zudem auch im Rahmen sogenannter zweizüngiger Urteile als Reinigungseid vor Gericht eine wichtige Rolle spielte.69 Dabei traten Freunde und Bekannte des Beklagten als Leumundszeugen auf, um mit ihrem Namen dessen Unschuld zu beschwören und um dem Beklagten gegenüber der Partei des Klägers sprichwörtlich den Rücken zu stärken. Wann immer 63 Vgl. Bartlett, Trial (wie Anm. 55), S. 158–160. 64 Vgl. Hans-Werner Goetz, Die Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit in der merowingischen Geschichtsschreibung: Das Beispiel Gregors von Tours, in: Leges – Gentes – Regna. Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schriftkultur bei der Ausbildung der frühmittelalterlichen Rechtskultur, hg. von Gerhard Dilcher, Eva-Marie Distler, Berlin 2006, S. 91–118. 65 Vgl. auch Flint, Magic (wie Anm. 17), S. 283–285. 66 Der dazugehörige Sammelband Making Sense of the Oath in Late Antiquity and the Earlier Middle Ages. Religious Act, Social Bond, Holy Sacrament, hg. von Stefan Esders, Gerda Heyde­ mann, Lukas Bothe, erscheint voraussichtlich 2021. 67 Lex Ribuaria 62 (59) [De venditionibus], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 114–116. 68 Lex Ribuaria 63 (60, 1) [De traditionibus et testibus adhibendis], ed. von Beyerle, Buchner (wie Anm. 10), S. 116 f. 69 Vgl. Esders, Reinigungseid (wie Anm. 54), S. 58–62.

In die Vergangenheit gerichtete Wahrsagungen?

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eine beschuldigte Person über keine ausreichenden Ressourcen oder lokalen Netzwerke verfügte, war diese Person den Unwägbarkeiten eines Gottesurteils ausgesetzt. Er oder sie musste in diesem Fall tun, was auch die Richter und die gesamte Gerichtsgemeinschaft taten: Auf Gott vertrauen, dessen Wille sich offenbaren und die gerichtliche Wahrheit bestimmen würde. In diesem Sinne lässt sich die Suche nach der gerichtlichen Wahrheit im fränkischen Gerichtsprozess als quasidivinatorische Praktik begreifen. Allerdings ist der heuristische Mehrwert dieser Erkenntnis begrenzt. Fruchtbar wird sie erst, wenn man bedenkt unter welchen Bedingungen solcherlei Verfahren legitim erschienen. Obwohl Wahrsagerei und die Praxis der Bibellose im ersten Konzil von Orléans 511 verboten worden waren, verschwanden die Bibellose nicht aus der religiösen Praxis.70 Roy Flechners Untersuchung der Collectio Canonum Hibernensis legt sogar nahe, dass andernorts Bibelstellen fingiert wurden, um eine Praxis zu legitimieren, die im Irischen Recht Bestandteil der Entscheidungsfindung war und immer dann zur Anwendung kam, wenn ein rechtlicher Disput aufgrund mangelnder Beweisverfahren ungeklärt zu bleiben drohte.71 Die hier angestellten Überlegungen zur Lex Ribuaria legen nahe, dass auch im Frankenreich des 7. Jahrhunderts aus schierer Notwendigkeit auf die Kraft solcher Verfahren vertraut wurde. Obwohl Gottesurteile knapp zweihundert Jahre später den karolingischen Reformern aus theologischer Sicht ebenso verwerflich erschienen wie Wahrsagerei, waren sie doch mindestens bis dahin legitimer Bestandteil der Rechtspraxis. Für die Kompilatoren der Lex Ribuaria lag der Nutzen von Gottesurteil und Zweikampf ganz klar in deren Fähigkeit, verbindliche Entscheidungen herbeizuführen. Das übergeordnete Ziel der Kompilatoren der Lex Ribuaria bestand nicht zuletzt darin, verbindliche Verfahren und damit Rechtssicherheit in möglichst vielen Bereichen des Rechts zu etablieren. Der Rückgriff auf quasidivinatorische Praktiken zur Herbeiführung von Entscheidungen vor Gericht war somit alles andere als Hexenwerk.

70 Vgl. Zeddies, Inkriminierung (wie Anm. 14), S. 256–260, S. 268. 71 Vgl. Flechner, Lot-Casting (wie Anm. 15), S. 62.

Die Collectio Hispana als Quelle für mantische Praktiken im Westgotenreich Cornelia Scherer

Auf dem 4. Konzil von Toledo im Jahr 633 wurden alle Geistlichen, die irgendeine Art von Wahrsager konsultiert hatten, dazu verurteilt, ihre Gemeinschaften zu verlassen und fortan ein Leben in Buße zu führen.1 Das darauffolgende 5. Konzil von Toledo (636) nahm sich des Problems erneut an und verbot unter Androhung der Exkommunikation jeglichen Versuch, die Lebensdauer des amtierenden Königs vorherzusagen.2 Das Thema fand auch Eingang in das königliche Gesetzbuch, den Liber Iudiciorum, der 654 promulgiert wurde. Unter anderem wurde in diesem Gesetzeswerk für jeden Versuch, mittels Wahrsagerei die verbleibende Lebensdauer einer Person zu erfahren, Auspeitschen angedroht. Darüber hinaus sollten der Wahrsager, der Auftraggeber sowie deren gesamter Besitz in die Verfügungsgewalt des Königs übergehen. Der Abschnitt wurde bei späteren Überarbeitungen sukzessive erweitert.3 Die Härte der Bestrafung verweist auf die Gefahr, die Bischöfe und Könige in dieser mantischen Praktik sahen – konnte doch die Vorhersage der Lebensdauer des Monarchen Anlass zu Aufständen und Umstürzen geben.4 Die erwähnten Rechtsbestimmungen sind einige Schlaglichter auf mantische Praktiken im Westgotenreich.5 Sie und andere Stellen aus den reich überlieferten ­normativen Quellen des 7. Jahrhunderts werden immer wieder herangezogen, um das Fortbeste1 La colección canónica Hispana, hg. von Gonzalo Martínez Díez und Félix Rodriguez (= Monumenta Hispaniae Sacra 1, 6 Bde., hier Bd. 5), Madrid 1966–2002, S. 165 (Rubrik), S. 218 ­(Kanon), der Text unten S. 37 Anm. 30; zum Konzil vgl. José Orlandis und Domingo Ramos-­ Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (711), Paderborn 1981, S. 144–171. 2 La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), S. 282 f., der Text unten S. 41 Anm. 147; zum Konzil vgl. Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 173–178. 3 Liber Iudiciorum, IV, 2,2 (= MGH LL nat. Germ.; Bd. 1), S. 257–259; zu den verschiedenen Versionen vgl. Céline Martin, Le Liber Iudiciorum et ses différentes versions, in: Mélanges de la Casa Vélazquez, 41 (2011), S. 17–34. Vgl. unten S. 42. 4 Vgl. Nicole Zeddies, Religio et sacrilegium. Studien zur Inkriminierung von Magie, Häresie und Heidentum (4.–7. Jahrhundert), Frankfurt a. M. 2003, S. 192. 5 Mantik umschließt hier jegliche Vorhersage der Zukunft, vgl. grundlegend Wolfram Schmitt, Art. Mantik, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, CD-Rom-Ausgabe 2000; die Fokussierung entspricht der thematischen Ausrichtung des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose“, das den Workshop veranstaltete; heidnische Praktiken, wie das Anbeten von Götzen oder die Feier der Kalenden, die sich auch in der Sammlung finden sowie magische Bräuche, wie Mord durch Zauberei oder der Gebrauch von Amuletten werden hingegen nicht diskutiert, auch wenn sie in der Collectio Hispana zu finden sind.

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hen von mantischen Praktiken und Aberglauben in der frühmittelalterlichen Hispania zu belegen6 – oft ohne den Entstehungs- und Überlieferungskontext zu beachten.7 Im folgenden Beitrag wird ein anderer Weg beschritten: Im Zentrum steht die Collectio Hispana, die wichtigste Kirchenrechtssammlung des Westgotenreichs, und die in ihr enthaltenen Erwähnungen mantischer Praktiken. Sie werden zunächst bezüglich ihres Inhalts analysiert und kontextualisiert, um dann in einem zweiten Schritt der Frage nachzugehen, ob die Bestimmungen als Spiegel einer zeitgenössischen Realität im Westgotenreich zu verstehen sind. Diese zwei aufeinander aufbauenden Schritte sind der Tatsache geschuldet, dass seit den Untersuchungen von Harmening zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters Kirchenrechtssammlungen im Verdacht stehen Bestimmungen und Denkfiguren ohne Bezug zur „Wirklichkeit“ weiter zu tradieren.8 Ob dieser Befund auch für die Collectio Hispana zutrifft, gilt es zu überprüfen, ins­besondere da vor allem Rechtsquellen über das westgotische Spanien im 7. Jahrhundert Auskunft geben. 1. Die Collectio Hispana

Die Collectio Hispana ist eine chronologisch geordnete Sammlung von Konzilstexten und (Papst-)Briefen, die während des 7. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel entstand. Sie ist in drei Versionen überliefert, die sukzessive mit Konzilsakten, vornehmlich der iberischen Synoden, angereichert wurden.9 Die älteste Rezension stammt aus der Zeit des 4. Konzils von Toledo (633) und ist nicht erhalten.10 Die Handschriften

  6 Vgl. u. a. Edward A. Thompson, The Goths in Spain, Oxford 1969, S. 308–310; Isabel Velázquez Soriano, Between Orthodox Belief and ‘Superstition’ in Visigothic Hispania, in: Magical Pratice in the Latin West, hg. von Richard L. Gordon und Francisco Marco Simón (= Religions in the Graeco-Roman World, Bd. 168), Leiden 2010, S. 601–627, hier S. 605 f.  7 Vgl. Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 19.   8 Vgl. Dieter Harmening, Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, Berlin 1979, hier S. 72 f.; Harmening geht der Frage nach, was auf Basis der kirchlichen Superstitionenliteratur, zu der für ihn unter anderem auch Predigten, Traktate, Bußbücher gehören, über die „deutsch-germanischen Religionsanschauungen“ gesagt werden kann, diese werden als „Wirklichkeit“ verstanden; vgl. auch Richard Kieckhefer, Magic in the Middle Ages, Cambridge 2000, S. 177.   9 Vgl. Paul Fournier und Gabriel Le Bras, Histoire des collections canoniques en occident depuis les fausses décrétales jusqu’au décret de Gratien, vol. 2, Paris 1931 (ND Aalen 1972), S. 68; Gonzalo Martínez Díez beschreibt die einzelnen Versionen ausführlich in seiner Studie zur C ­ ollectio Hispana, vgl. La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 206–247. 10 Maassen erschloss diese Version aus den erhaltenen Indices zweier Kopien der Hispana Gallica des 7. Jahrhunderts, vgl. Friedrich Maassen, Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts im Abendlande, Graz 1870, S. 677–683.

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überliefern zwei jüngere Redaktionen des 7. Jahrhunderts: die Juliana11 und die Vulgata.12 Letztere gilt als „definitive“ und am häufigsten überlieferte Form. Sie enthält die Akten des 17. Konzil von Toledo (694) und stammt wohl aus dieser Zeit.13 Da vor allem Konzilsakten und weitere Texte mit Bezug zur Iberischen Halbinsel fortlaufend ergänzt wurden, wird eine Entstehung der Sammlung in Spanien angenommen. Zudem weisen auch die bedeutende handschriftliche Überlieferung auf der Iberischen Halbinsel, die westgotische Schrift der Texte sowie ein Martyrologium mit Fragmenten der heiligen Jungfrauen Justa und Rufina innerhalb der Handschriften eindeutig nach Spanien.14 Auf wen die Sammlung ursprünglich zurückgeht, ist unsicher: Viele spanische Forscher, am prominentesten der Editor der Sammlung Gonzalo Martínez Díez, sprechen sich für Isidor von Sevilla als Autor der ersten Version aus15 – daher auch deren Bezeichnung als Isidoriana.16 Doch die Zuschreibung ist umstritten.17 Grundlage für diesen Beitrag ist die umfassendste Version der Sammlung, wie sie im Codex Emilianus vorliegt.18 In dieser Handschrift enthält Collectio Hispana zusätzlich die Akten von sieben westgotischen Konzilien, die nur hier überliefert sind.19 Der Briefteil umfasst in der Handschrift 105 statt sonst 103 Stücke. Diese Form liegt der einzigen kompletten Edition der Collectio Hispana zugrunde.20 Sie wurde ausge11 Die Benennung geht, wie die aller Versionen, auf Gonzalo Martínez Díez zurück, vgl. La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 219 und S. 323. 12 Vgl. La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 238. 13 Vgl. Félix Rodríguez, Observaciones y sugerencias sobre algunos manuscritos de la colección canónica Hispana, in: Burgense 16 (1975), S. 119–143, hier S. 141–143. 14 Vgl. José Madoz, La colección canónica Hispana, in: Archivos Leoneses 14 (1960), S. 89–117, hier S. 95–97; die Zuordnung ist unstrittig, vgl. Kéry, Canonical Collections of the Early Mid­ dle Ages. A Bibliographical Guide to the Manuscripts and Literature (= History of Canon Law, Bd. 1), Washington D.C. 1999, S. 61. 15 Vgl. La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 257–310, auf S. 309 f. fasst Martínez Díez seine Ergebnisse thesenhaft zusammen; vgl. auch José Madoz, La colección canónica (wie Anm. 14), Manuel de la Red, La colección ‘Hispana’. Formación e influencia de la misma. in: Studium legionense 5 (1964), S. 257–268; Michael J. Kelly, Writing History, Narrating Fullfillment: The ‘Isidore-Moment’ and the Struggle for the ‘Before Now’ in Late Antique and Early Medieval Hispania, Diss. Leeds 2014. 16 Vgl. La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 218. 17 Vgl. Kéry, Canonical Collections (wie Anm. 14), S. 61, mit Hinweisen auf die Gegenstimmen. 18 El Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo in El Escorial, d-I-1, wahrscheinlich zwischen 976 und 995 im Kloster San Millán de Cogolla in Nordspanien entstanden, vgl. Guillermo Antolín, Catálogo de los códices latinos de la Real biblioteca del Escorial, Bd. 1, Madrid 1910, S. 320–368; La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 117–120. 19 Es sind das 2. Konzil von Zaragoza (592), 3. Konzil von Zaragoza (691), 1. Konzil von Barcelona (540), Konzil von Toledo (597), 2. Konzil von Barcelona (599), Konzil von Narbonne (589), Konzil von Huesca (598) und das Konzil von Egara (614). 20 Collectio Canonum Ecclesiae Hispanae ex probatissimis ac pervetustis codicibus, hg. von Francisco A. González, 2 Bde. Madrid 1808; wiederabgedruckt in: PL 84 (1850), vgl. Cornelia Scherer, Forschen ohne historisch-kritische Textgrundlage: der Dekretalenteil der Collectio

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wählt, um alle verfügbaren Informationen zu mantischen Praktiken im Westgotenreich zu sammeln.21 2. Mantische Praktiken in der Collectio Hispana

Mantische Praktiken werden innerhalb der Collectio Hispana nur in den Konzilsakten thematisiert – im Briefteil der Sammlung spielen sie keine Rolle.22 Zum ersten Mal werden sie in den Akten des Konzils von Ancyra (314) erwähnt. Es verbietet Christen sich mit Weissagern und Sehern einzulassen: „Über diejenigen, die gemäß den Sitten der Heiden leben. Wer Wahrsagungen (auguria), Vorzeichen (auspicia), Träume oder Weissagungen (divinationes) gemäß den Sitten der Heiden beachtet, derartigen Leuten Eintritt in sein Haus gewährt um irgendwelche Zauberkunst (arte maleficia) auszuüben oder sein Haus zu reinigen, der tue fünf Jahre Buße gemäß den alten festgesetzten Regeln.“23 Hispana, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, kanonistische Abteilung 102 (2016), S. 1–22, hier S. 4 f. 21 Praktisch bedeutet das, dass sowohl die sechs bisher erschienenen Bände der historisch-kritischen Edition von Gonzalo Martínez Díez und Félix Rodriguez als auch der Wiederabdruck der einzigen vollständigen Edition der Sammlung von Franzisco Gonzales in PL 84 mit bestimmten Schlagworten durchsucht wurden; teilweise konnte ich dabei auf Vorarbeiten für die Datenbank der Rechtstexte des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose“ in Erlangen zurückgreifen, wofür ich insbesondere Stephanie Plass danke; abrufbar ist die Datenbank unter https://www.ikgf.fau.de/publications/ databases/ (letzter Aufruf: 15.7.2020); zu Aufbau und Funktionsweise der Datenbank vgl. die Einleitung der Herausgeber in diesem Band sowie Klaus Herbers, Prognostik und Zukunft im Mittelalter. Praktiken – Kämpfe – Diskussionen (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse 2019, Nr. 2), Stuttgart 2019, S. 16 f. und S. 29 f. (Anhang 1). 22 Das gilt mit einer Ausnahme auch für Praktiken, die im weitesten Sinne als „magisch“ bezeichnet werden könnten: Allein im Decretum Gelasianum, das mit Sicherheit nicht in Rom entstand, werden im 5. Kapitel Amulette erwähnt, vgl. Decretum Gelasianum, c. 5 (PL 84, Sp. 848): Phylacteria omnia, quae non angelorum ut illi confingunt sed daemonum magis nominibus conscripta sunt, apocrypha; zum Decretum Gelasianum in der Collectio Hispana, vgl. Cornelia Scherer, Wie wird ein Papstbrief zur Dekretale? Überlegungen zum Gattungsgebrauch im Mittelalter, in: Epistola 1. Écriture et genre épistolaires, hg. von Thomas Deswarte, Klaus Herbers und ­Hélène Sirantoine (= Collection de la Casa de Velázquez, Bd. 165), Madrid 2018, S. 31–45. 23 XXIIII De his qui more gentilium uiuunt. Qui auguria, auspicia siue somnia uel diuinationes quaslibet secundum morem gentilium obseruant, aut in domos suas huiusmodi homines introducunt in exquirendis aliquibus arte maleficia, aut ut domos suas lustrent, confessi quinquennio paenitentiam agant secundum antiquas regulas constitutas. – Konzil von Ancyra, c. 24: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 102. An dieser Stelle sei Eric Schlager für die Durchsicht der übersetzten Quellenstellen gedankt.

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Die gleiche Bestimmung findet sich in leicht abgewandelter Form als Kanon 71 in den Capitula Martini wieder,24 die in der Collectio Hispana als Anhang des 2. Konzils von Braga überliefert sind.25 Beide Kanones erwähnen ähnliche Praktiken und das Bußmaß ist identisch. Allerdings ist der Kanon in den Capitula Martini gekürzt, der erste Teil mit der Aufzählung verschiedener Weissager fehlt.26 Martin von Braga scheint bei seiner Übersetzung des Kanons aus dem Griechischen die Bestimmung an seine Zeit angepasst zu haben, in der ein ausdifferenziertes „Weissager-System“ wie zu Beginn des 4. Jahrhunderts nicht mehr existierte.27 Zudem fehlt in den Capitula Martini der Hinweis, das Bußmaß entspreche „den alten festgesetzten Regeln“, möglicherweise weil nicht mehr klar war, worauf sich dieser Verweis bezog. Das Konzil von Laodicea (375) verbot Klerikern Magie oder Beschwörungen auszuüben sowie Phylakterien herzustellen. Als Strafe für die Nichtbeachtung wird die Exkommunikation angedroht.28 Auch das 4. Konzil von Toledo (633) befasste sich mit Klerikern, allerdings nur mit solchen, die sich mit Magiern oder Wahrsagern aller Art einließen:29 „Wenn ein Bischof oder Presbyter oder ein Diakon, oder wer auch immer aus dem Stand der Kleriker dabei erwischt wird, wie er Magier (magos), Weissager (haruspices) oder Wahr24 Capitula Martini, c. 71: PL 84, Sp. 584/Concilios visigoticos e hispano-romanos, hg. von José Vives (= España cristiana, Bd. 1), Barcelona, Madrid 1963, S. 103. LXXI. De eo quod non liceat christianis obsecrationes diversas adtendere. Si quis paganorum consuetudinem sequens divinos et sortilegos in domo sua introduxerit, quasi ut malum foras mittant aut maleficia inveniant vel lustrationes paganorum faciant, quinque annis poenitentiam agant. – Martin von Braga, Opera omnia (wie Anm. 27), S. 140; die Zitate entstammen der besseren Edition von Vives, vgl. Cornelia Scherer, Forschen (wie Anm. 20), S. 6. 25 Zur Sammlung vgl. Martin von Braga, Opera omnia, hg. von Claude W. Barlow, New Haven 1950, S. 84–90; Kéry, Canonical Collections (wie Anm. 14), S. 8 f. 26 Vgl. auch Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 145. 27 Vgl. Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 142 f.; Jean Gaudemet, Traduttore, traditore – Les Capitula Martini, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica München (16.–19. September 1986), Teil II: Gefälschte Rechtstexte. Der bestrafte Fälscher, MGH Schriften, Bd. 33/2, Hannover 1988, S. 51–65, hier S. 64; die Vorlage für die Übersetzung Martins waren wohl die griechischen Konzilien, wie sie Johannes Scholasticus in der Synagoga L titolorum wiedergab, vgl. Jean Gaudemet, Traduttore (wie oben), S. 53 f. Die Sammlung wurde ediert von Vladimir Beneševič, Ionnis Scholastici Synagoga l titolorum cetraque eiusdem opera eiuridica, München 1937 (= Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Neue Folge, Heft 14). 28 XXXVI Non licere clericos magos uel incantatores esse aut phylacteria facere. Quoniam non oportet ministros altaris aut clericos magos et incantatores esse, aut facere quae dicuntur phylacteria, quae sunt magna obligamenta animarum. Hos autem qui talibus rebus utuntur, proici ab ecclesia iussimus. – Konzil von Laodicea, c. 36: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 166. 29 Zum Kontext vgl. Edward A. Thompson, The Goths (wie Anm. 6), S. 308; Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 178–181.

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sager (hariolos) oder entschieden Auguren (augures) oder Loswerfer (sortilegos) oder irgendwelche Personen, die öffentlich irgendeine magische Kunst praktizieren, oder jemanden von ihnen, der Ähnliches ausübt, um Rat fragt, wird er dem Ehrenamt seiner würdevollen Stellung entkleidet und soll in Klosterhaft gebracht werden. Dort leiste er immerwährende Buße, weil er sich mit dem Verbrechen des Sakrilegs beschmutzt hat.“30

Die Konsultation von Weis- und Wahrsagern wird im Gegensatz zur Ausübung von mantischen Praktiken mit einer milderen Strafe belegt. Auch die Unterstützung von Zauberern oder Beschwörern wurde geahndet: „Über diejenigen, die entweder Zauberern (auguriis) oder Beschwörern (incantationibus) oder Juden bei ihrem Aberglauben zur Hand gehen. Helfer von Auguren (auguriis) und Beschwörern (incantationibus) sind aus der Gemeinschaft der Kirche auszuschließen. Genauso Personen, die dem jüdischen Aberglauben anhängen und nach deren Feiertagen leben.“31

In der Collectio Hispana wird dieser Kanon als einer des 4. Konzil von Karthago ausgegeben.32 Die Vorlage sind aber nicht die Akten dieses Konzils, sondern die gallische Sammlung Statuta ecclesiae antiqua, die Ende des 5. Jahrhunderts entstand.33 Die Verbindung des Verbots von divinatorischen Praktiken mit dem jüdischen Glauben ist erstmals in diesem Kanon nachzuweisen34 und kommt in der Collectio Hispana nur an dieser Stelle vor. 30 XXVIIII Si episcopus quis aut presbyter siue diaconus uel quilibet ex ordine clericorum magos aut haruspices aut hariolos, aut certe augures uel sortilegos uel eos qui profitentur artem aliquam, aut aliquos eorum similia exercentes, consulere fuerit deprehensus, ab honore dignitatis suae depositus monasterii poenam excipiat ibique perpetua paenitentia deditus scelus admissum sacrilegii luat. – 4. Konzil von Toledo, c. 28: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 218: die Rubriken sind in diesem Konzil vorangestellt, vgl. ebd., S. 165; vgl. Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 174–177; zum Konzil allgemein vgl. Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 120–122. 31 LXXXVIIII De his qui auguriis uel incantationibus uel Iudaicis supprestitionibus seruiunt. Auguriis uel incantationibus seruientem a conuentu ecclesiae separandum; similiter et Iudaicis suprestitionibus uel feriis inhaerentem. – 4. Konzil von Karthago, c. 89: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 371. 32 Die Collectio Hispana übernahm diese Zuschreibung wahrscheinlich den spanischen Epitome, vgl. Charles Munier, Les Statuta ecclesiae antiqua, Édition – Études critiques, Paris 1960, S. 55; die Bezeichnung als 4. Konzil von Karthago ermöglichte es, die Kanones in das geographischchronologische Ordnungssystem der spanischen Sammlung einzupassen. 33 Statuta ecclesiae antiqua, c. 83: Munier, Les Statuta ecclesiae antiqua (wie Anm. 33), S. 93; zur Datierung, ebd., S. 229–236, und zusammenfassend Kéry, Canonical Collections (wie Anm. 14), S. 7. 34 Vgl. Harmening, Superstitio (wie Anm. 7), S. 40.

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Das Konzil Narbonne (598) nimmt neben dem bereits erwähnten Aufsuchen und Unterstützen von Sehern und Weissagern, auch diese selbst ins Visier: „Deshalb haben wir uns, um die Unterweisung im katholischen Glauben zu verstärken, dafür entschieden, Folgendes festsetzen beziehungsweise auch daran festhalten zu müssen: nämlich, dass, wenn irgendwelche Männer und Frauen als Weissager – von denen es heißt, sie seien Zauberer und Loswerfer – im Hause eines Goten, Römers, Syrers, Griechen oder Juden gesehen werden, beziehungsweise wenn es von jetzt an jemand wagen sollte, sie ihre trügerischen Weissagungen anzufragen und falls dieser davon kein öffentliches Zeugnis ablegen wollte, soll er für das, was er sich angemaßt hat, nicht nur aus der Kirche ausgeschlossen werden, sondern auch sechs Unzen Gold an den Stadtrichter (comes civitatis) abtreten müssen. Jene aber, die von so großem Unrecht erfüllt sind, und Lose werfen oder Vorhersagen machen und durch Handeln entgegen ihrer Pflichten das Volk verführen, sollen – ganz gleich, ob es sich um Freie oder um Sklaven bzw. Sklavinnen handelt – sobald sie ertappt werden, vor aller Augen und auf das Heftigste mit dem Stock geprügelt und zum Verkauf angeboten werden. Und der Erlös, den man für sie erhält, soll den Armen zukommen.“35

Hier ist die Bestrafung im Vergleich zu den bereits erwähnten Kanones höher: Zur kirchlichen kommt eine weltliche Strafe hinzu. Das könnte daran liegen, dass die Bestimmung nicht nur für Christen, sondern auch für Andersgläubige gilt. Insbesondere eine körperliche Bestrafung auch für Freie ist ungewöhnlich und kommt eher in kaiserlichen Rechtstexten, wie dem Codex Theodosianus, vor.36 Das Auspeitschen als Strafe für Divinationen findet sich auch in der Lex Romana Visigothorum König Alarichs II., die zu Beginn des 6. Jahrhunderts entstand.37 Die königlichen Gesetze über die Divination, die sich im Liber Iudiciorum finden, rekurrieren stark auf das römische Vorbild: „Divination galt im römischen Kaiserrecht als crimen lesae maiestatis, wenn Weissager über das Los des Herrschers Auskunft gaben und dementsprechend wurde Divination auch von den westgotischen Königen […] hart bestraft.“38 35 XIIII. Hoc itaque propter ampliandam fidei catholicae disciplinam elegimus finiendum vel tenendum ut si qui viri ac mulieres divinatores, quos dicunt esse caragios atque sorticularios, in quuiuscumque domo gothi, romani, syri, graeci, vel iudaei fuerint inventi aut quis ausus fuerit amodo in eorum vana carmina interrogare et non publico hoc voluerit annuntiare, pro hoc quod praesumpsit non solum ab ecclesia suspendatur, set etiam sex auri unitas comiti civitatis inferat. Illi vero qui tali iniquitate repleti sunt et sortes et divinationes faciunt et populum praevaricando seducunt, ubi inventi vel inventae fuerint seu liberi seu servi vel ancillae sint, gravissime publice fustigentur et venundentur, et pretia ipsorum pauperibus erogentur. – Konzil von Narbonne, c. 14: PL 84, Sp. 612 f./ Concilios visigoticos e hispano-romanos (wie Anm. 25), S. 149. 36 Vgl. Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 175 f. 37 Zur Datierung des Textes vgl. Detlefs Liebs, Römische Jurisprudenz in Gallien (2. bis 8. Jahrhundert), Berlin 2002, S. 168 f. 38 Vgl. Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 177 (dort auch das Zitat).

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Die in den Akten des Konzils von Narbonne erwähnten Lose beschäftigten auch das Konzil von Agde (506), wo Losen und Augurien gemeinsam behandelt wurden: „Damit es nicht den Anschein erweckt, dass weggelassen wurde, was den katholischen Glauben in höchstem Maße gefährdet, nämlich, dass ziemlich viele Kleriker oder Laien Augurien bemühen wollen und sich unter dem Decknamen einer ausgedachten Religion – die Lose bezeichnen sie als ‚Lose von Heiligen‘ – offen zur Wissenschaft von der Divination bekennen oder geloben, mittels Durchsicht irgendwelcher Schriften die Zukunft vorherzusagen: all die Kleriker beziehungsweise Laien, die dabei ertappt werden, wie sie diese befragen oder selbst solche Lehren verbreiten, sollen der Kirche fern stehen.“39

Die Bestimmung wurde auf dem 1. Konzil von Orléans im Jahr 511 sinngemäß wiederholt wie weitere Kanones des Konzils von Agde.40 Neben den bereits erwähnten divinatorischen Praktiken, wurde auch die Vorhersage der Zukunft anhand von Beobachtungen der Himmelskörper untersagt. Das 1. Konzil von Toledo verbietet unter Androhung des Anathems den Glauben an Astrologie41 und Horoskope.42 Eine ähnliche Bestimmung findet sich in den Akten des 1. Konzils von Braga (561) in einer Aufzählung mit Verdammungen des Priscillianismus.43 In beiden Fällen hatten die Anathemata die Funktion, das vorher von den Konzilsvätern beschlos39 XLII De sortilegis uel auguria obseruantibus, ut ab ecclesia separentur. Ac ne fortasse uideatur omissum quod maxime fidem catholicae religionis infestat, quod aliquanti clerici siue laici student ­auguriis et sub nomine fictae religionis, quas sanctorum sortes uocant, diuinationibus scientiam profitentur aut quarumcumque scripturam inspectione futura promittunt, hoc quicumque clericus uel laicus detectus fuerit uel consulere uel docere, ab ecclesia habeatur extraneus. – Konzil von Agde, c. 42: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 4, S. 139. 40 XXVI De religiosis et saecularibus qui diuinationes attendunt. Si quis clericus, monachus uel saecularis divinationem uel auguria obseruanda uel sortes, quas mentiuntur esse sanctorum, quibuscumque putauerint intimandas, cum his qui eis crediderint ab ecclesiae communione pellantur. – 1. Konzil von Orléans, c. 26: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 4, S. 165–166. Odette Pontal, Die Synoden im Merowingerreich (= Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen), Paderborn u. a. 1986, S. 28, erwähnt den Kanon selbst nicht, aber einige andere; ihrer Analyse liegt eine andere Überlieferung der Konzilsakten als die der Collectio Hispana zugrunde, die 31 Kanones und nicht nur 27 enthält; vgl. Concilia Galliae A. 511–A. 695, hg. von Charles de Clercq (= CCSL, Bd. 148A), S. 3–19, der Kanon zu den mantischen Praktiken ist in dieser Version c. 30, vgl. ebd., S. 12. 41 Zum Begriff vgl. Christa Agnes Tuczay, Kulturgeschichte der mittelalterlichen Wahrsagerei, Berlin, Boston 2012, S. 150. 42 XV Si quis astrologiae uel mathesiae aestimat esse credendum, anathema sit. – 1. Konzil von Toledo, Anathem 15: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 4, S. 344, vgl. Zeddies, Religo et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 82; mit mathematici wurden die Nativitätssteller in kirchlichen Zeugnissen bezeichnet, vgl. Harmening, Superstitio (wie Anm. 7), S. 185 f. 43 X. Si quis duodecim signa de sideribus quae mathematici observare solent, per singulas animi et corporis membra disposita credunt et nominibus patriarcharum ascripta dicunt, sicut Priscillianus,

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sene Glaubensbekenntnis nochmals einzuschärfen und durch die Formulierung von kurzen Aussagen einprägsamer zu machen. Zudem knüpften die Konzilsteilnehmer des 1. Konzils von Braga mit der Verdammung einer spätantiken, im 6. Jahrhundert wahrscheinlich nicht mehr relevanten, Häresie an die Zeit vor der Herrschaft der arianischen Sueben an, deren Konversion zum Katholizismus erst kurz zurücklag.44 Auch die Capitula Martini verbieten es, Gestirne zu beobachten: „Darüber, dass es Christen nicht erlaubt sein soll, weder an heidnischen Traditionen festzuhalten noch den Mond und die Gestirne in ihrem Lauf zu beobachten. Es ziemt sich für Christen nicht, heidnischen Traditionen anzuhängen und die Elemente, den Lauf des Mondes oder die Bahn der Sterne sowie leere und trügerische Zeichen zu beobachten und zu verehren, um ein Haus zu bauen, Samen zu setzen, Bäume zu pflanzen oder eine Hochzeit zu begehen. Denn es steht geschrieben: Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des Herrn Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn.“45

In den allermeisten Bestimmungen der Collectio Hispana werden divinatorische Praktiken mit dem Heidentum in Verbindung gebracht. Daher müssen sie verboten werden, um den „richtigen“ Glauben zu schützen und zu stärken. In Kapitel 72 der Capitula Martini wird dies mit einem Verweis auf den Kolosserbrief autoritativ begründet.46 Allein der Kanon des Konzils von Narbonne nimmt auch Nicht-Christen in den Fokus und verbietet auch diesen, die Zukunft vorhersehen zu wollen. Anders verhält es sich mit Bestimmungen, die sich mit Vorhersagen zur Lebensdauer des Königs beschäftigen. Über das Problem wird erstmals auf dem 5. Konzil von Toledo beraten: dixit anathema sit. – 1. Konzil von Braga, Anathema 10: PL 84, Sp. 564/Concilios visigoticos e hispano-romanos (wie Anm. 24), S. 68. 44 Vgl. Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 48 f. (1. Konzil von Toledo) und S. 79–81 (1. Konzil von Braga), sowie Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 142 f. 45 LXXII. De eo quod non liceat christianis tenere traditiones gentilium et observare lunam aut stellarum cursus. Non liceat christianis tenere traditiones gentilium et observare et colere elementa aut lunae aut stellarum cursum aut inanem signorum fallaciam pro domo facienda vel ad segetes vel arbores plantandas vel coniuga socianda, scriptum est enim: ‚Omnia quae facitis aut in verbo aut in opere omnia in nomine domini Iesu Christi facite, gratias agentes Deo.‘ – Capitula Martini, c. 72: PL 84, Sp. 584/Concilios visigoticos e hispano-romanos (wie Anm. 25), S. 103. 46 Der Text oben, Anm. 45; ein Bibelzitat (Act 1,7) findet sich auch c. 4 des 5. Konzils von Toledo; zu diesem hier gebrauchten gängigen Argumentationsmuster kanonistischer Sammlungen vgl. Jean Gaudemet, La bible dans les collections canoniques, in: Le Moyen Âge et la Bible, hg. von Pierre Riché und Guy Lobrichon (= La bible de tous temps, Bd. 4), Paris 1984, S. 327–369, hier S. 328; zur Nutzung der Bibel in westgotischen Sammlungen vgl. Cornelia Scherer, Lex est emula divinitatis. Zum Gebrauch biblischer Texte in Rechtssammlungen des Westgotenreichs, im Erscheinen.

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„Über diejenigen, denen es wohlbehagt, sich Hoffnungen auf das Königreich zu machen, während der König noch lebt. Weil es also, wie jeder weiß, sowohl für den Glauben verderblich als auch für die Menschen abergläubisch ist, unerlaubterweise Künftiges zu ersinnen, Todestage von Herrschern zu erfragen und davon ausgehend für die eigene Zukunft vorzusorgen, wo doch geschrieben steht: ‚Es steht Euch nicht zu, die Zeiten oder den Augenblick zu kennen, den der Vater in Seiner Macht festgesetzt hat‘, beschließen wir mit diesem Dekret: Wird jemand überführt, solches erforscht zu haben und hat er, während der König noch am Leben war, in der Hoffnung, künftig dessen Reich zu erben, seinen Blick auf etwas Anderes gerichtet oder dafür weitere Leute gewonnen, so werde er durch Exkommunikation von der katholischen Gemeinschaft entfernt.“47

Der Kanon steht im Kontext einer ganzen Reihe von Vorschriften des 5. Konzils von Toledo (636), die das Ziel haben den König und seine Familie zu schützen: Kanon 2 der Versammlung handelt „Über den Schutz des königlichen Lebens und seiner Nachkommen“48 und Kanon 5 „Über diejenigen, die es wagen, den Princeps zu verwünschen.“49 Auf dem 6. Konzil von Toledo (638) wird das Verbot mit explizitem Verweis auf die vorangegangene Versammlung noch einmal eingeschärft.50 Da die beiden Konzilien im Abstand von nur zwei Jahren, 636 und 638, unter König Chinthila stattfanden, ist dieser für die Hispana seltene Hinweis möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass die gleichen Personen die beiden Konzilien besuchten.51 Beide Bestimmten dienten aller Wahrscheinlichkeit nach dazu die Beschlüsse des 4. Toledanums, die das Wahlkönigtum für das Westgotenreich festgeschrieben hatten,52 zu verstetigen und zu sichern.53 47 IIII De his qui sibi regnum blandiuntur spe, rege supprestite. Ergo quia et religioni inimicum et hominibus constat esse suprestitiosum futura illicite cogitare et casus principum exquirere ac sibi in posterum prouidere, cum scriptum sit : ‘Non est uestrum nosse tempora uel momenta quae Pater in sua posuit potestate.’ , hoc decreto censemus ut quisquis inuentus fuerit talia perquisisse et uiuente principe in aliud attendisse pro futura regni spe aut alios in se pro id attraxisse, a conuentu catholicorum excommunicationis sententia repellatur. – La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 282 f.; vgl. Thompson, The Goths (wie Anm. 6), S. 308. 48 La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 278–281; im Text selbst ist allerdings nur allgemein von mala („Übeln“) die Rede, auf Zukunftsdeutung wird nicht verwiesen. 49 La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 283 f., vgl. Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 181. 50 XVII De his qui rege supprestite aut sibi aut aliis ad futurum provident regnum et de personis quae prohibentur ad regnum accedere; Text ebd., S. 325–327, hier S. 326: Iniquum est enim et ualde exsecrabile a Christianis debet haberi, futuris temporibus illicita prospicere et uitae suae ignarus uentura disponere. […]. – 6. Konzil von Toledo, c. 17: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 295 (Rubrik). 51 Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 172. 52 4. Konzil von Toledo, c. 75, vgl. dazu Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 166–171. 53 Vgl. Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 174 (5. Konzil von Toledo) und S. 186 (6. Konzil von Toledo).

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Die Bestimmungen verweisen auf die Sorge, dass die Vorhersage des nahenden Todes des amtierenden Königs zu einem Aufstand führen könnte, zu denen es im Westgotenreich immer wieder kam.54 Sie schlägt sich auch in den Bestimmungen des Liber Iudiciorum nieder. Dort werden im 6. Buch Strafen für die Befragung von Zauberern und Giftmischern festgelegt. Der erste Abschnitt des Buches entstand unter König Chindasvinth (642–653). Er bestimmt für den Fall, dass ein Freier einen Wahrsager über den Gesundheitszustand oder Tod eines anderen befragt, dass beide ausgepeitscht werden. Sie und ihr gesamter Besitz sollen in den Besitz des Königs übergehen. Sklaven, die dasselbe tun, werden gefoltert und dann verkauft.55 Drei weitere Abschnitte behandeln ähnliche Fälle. Unter König Erwig (680–687) wurde der Titel um eine weitere Bestimmung ergänzt, denn der König hatte erfahren, dass einer seiner Richter der Meinung war, er könne die Wahrheit erst erfahren, wenn er einen Wahrsager konsultiert habe. Für einen solchen Fall bestätigte Erwig das Gesetz von Chindasvinth und erhöhte die Anzahl der Peitschenhiebe auf 500.56 Dass sowohl der Liber Iudiciorum als auch die Collectio Hispana mantische Praktiken behandeln, ist wenig verwunderlich: Im Westgotenreich bestand große Nähe zwischen König, Bischöfen und Großen, die offensichtlich wurde, wenn alle drei Gruppen auf den Generalkonzilien anwesend waren und die Akten unterschrieben. Teilweise wurden Bestimmungen aus den Konzilsakten in den Liber Iudiciorum übernommen und umgekehrt.57 In Anbetracht des Umfangs der Collectio Hispana und des Liber Iudiciorum ist die Anzahl der Bestimmungen, die sich mit mantischen Praktiken auseinandersetzen, gering. Das Thema scheint im Westgotenreich nicht besonders virulent gewesen zu sein. Darauf verweisen auch die systematischen Versionen der Collectio Hispana: die Excerpta Hispana‚ Tabulae Hispana und Collectio Hispana systematica. Sie alle ordnen ihren Stoff in zehn Büchern an58 und enthalten im Gegensatz zu später entstandenen Sammlun54 Vgl. Zeddies, Religio et sacrilegium (wie Anm. 4), S. 182. 55 Si ingenuus de salute vel morte hominis vaticinatores consulat. – Liber Iudiciorum, VI,2,1 (MGH LL nat. Germ. 1, S. 257); vgl. Thompson, The Goths (wie Anm. 6), S. 308. 56 Liber Iudiciorum VI,2,2, (= MGH LL nat. Germ. 1, S. 257–259); vgl. Thompson, The Goths (wie Anm. 6), S. 309. 57 Vgl. Carlos Petit, Derecho Visigodo en el siglo VII, in: Hispania Gothorum: San Ildefonso y el reino visigodo de Toledo (Toledo 2007), S. 75–86, hier S. 77; David Paniagua, Concilios Hispánicos de época visigótica y mozárabe, in: La Hispana Visigótica y mozárabe. Dos épocas en su literatura, hg. von Aelaida Andrés Sanz, Carmen Condoñer, Salvador Iranzo Abellán, José Martín Carlos, Dems. (= Obras de refencia, Bd. 28), Salamanca 2010, S. 297–333, hier S. 297; weitere Beispiele bei Wilfried Hartmann, Das Westgotenreich: Misslingen „konsensualer“ Herrschaft?, in: Recht und Konsens im Frühen Mittelalter, hg. von Verena Epp und Christoph H. F. Meyer (= Vorträge und Forschungen, Bd. 82) Sigmaringen 2017, S. 87–115, S. 97. 58 Martínez Díez geht davon aus, dass die Excerpta zuerst entstanden, vgl. La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 2/1, S. XI; der Terminus post quem ihrer Entstehung ist das 10. Konzil von Toledo 656, vgl. ebd., S. 31; die Hispana systematica fügt im Vergleich zu den Excerpta den Capitulationes die vollständigen Texte der Bestimmungen zu und entstand zwischen 675

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gen, beispielweise dem Dekret Burchards von Worms, kein Buch, das allein magische und mantische Praktiken behandelt.59 Die meisten der oben aufgezählten Kanones sind im 5. Buch zu finden, das Bestimmungen zu Eherecht, Mord, Inzest und Aberglaube bündelt.60 Nur die Kanones aus den Konzilsakten von Laodicea und des 4. Konzils von Toledo finden sich im 1. Buch, da es sich um Bestimmungen für Kleriker handelt.61 Die Verbote, das Schicksal des Königs zu erforschen, finden sich im 7. Buch, dessen Thema die Königsherrschaft ist. Der Titel trägt die Überschrift „Darüber das Königreich nicht zu übernehmen“.62 Die systematischen Bearbeitungen der Collectio Hispana lassen deutlich die beiden Kontexte erkennen, in denen im Westgotenreich Bestimmungen zu mantischen Praktiken erlassen wurden: zur Vergewisserung des rechten Glauben und zur Sicherung der Königsherrschaft. Beide Anlässe verweisen auf Spezifika des Westgotenreichs: Aufgrund der „späten“ Konversion der Westgoten zum katholischen Glauben Ende der 580erJahre war die regelmäßige Vergewisserung der Rechtsgläubigkeit Teil der westgotischen Identität.63 Die notorische Unsicherheit der königlichen Autorität und die gewaltsamen Thronwechsel im Westgotenreich sind eine andere Konstante, die als morbus gothorum Eingang in die mittelalterliche Historiografie fand.64 und 681, vgl. ebd., Bd. 2/1, S. 266 f.; die Tabulae sind eine verkürzte Form der Excerpta, die laut Martínez Díez wie die Collectio Hispana systematica zwischen 675 und 681 entstanden sein könnten, möglicherweise aber auch später, vgl. ebd., Bd. 2/2, S 496. 59 Das 10. Buch ist mantischen und magischen Praktiken gewidmet (De incantatoribus et auguribus); Decretorum Libri XX. Ergänzter Neudruck der Editio Princeps Köln 1548, hg. von Gérard Fransen und Theodor Kölzer, Aalen 1992, S. 133–143; vgl. dazu den Beitrag von Birgit Kynast in diesem Band. 60 De observatione vanitatum; Excerpta: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 2/1, S. 177; Hispana systematica: ebd., Bd. 2/1, S. 387 f.; Tabulae Hispana, ebd., Bd. 2/2, S. 567; die Reihenfolge der Bestimmungen innerhalb des Titels weicht leicht voneinander ab. 61 Laodicea: Excerpta, lib. 1, tit. XIII, c. 40 (La colección canónica Hispana [wie Anm. 1], Bd. 2/1, S. 60); Hispana systematica: lib. 1, tit. XIII, c. 41 (ebd., S. 289); in den Tabulae Hispana fehlt der Kanon; Toledo: Excerpta, lib. 1, tit. XIII, c. 44 (ebd., S. 60); Hispana systematica: lib. 1, tit. XIII, c. 38 (ebd., S. 289); allein die Tabulae führen den Kanon des 4. Konzils von Toledo zusätzlich im 5. Buch auf: lib. I, tit. XIII (ebd., Bd. 2/2, S. 511) und lib. 5, tit. XV (ebd., S. 568). 62 De non ursurpando regno; Excerpta: La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 2/1, S. 187; Hispana systematica: ebd., Bd. 2/1, S. 404; Tabulae Hispana, ebd., Bd. 2/2, S. 574. 63 Ein Hinweis darauf sind die Glaubensbekenntnisse, die innerhalb der Akten der westgotischen Synoden überliefert werden und in Wortlaut und Inhalt an die Konzilien von Nicaea und Kon­ stantinopel anknüpfen, vgl. Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 341–343. 64 Vgl. Stefan Esders, Chindasvinth, the ‘Gothic disease’, and Monothelite crisis, in: Millenium Jahrbuch 16 (2019), S. 175–212, hier S. 176 f. mit Anm. 4, sowie Hartmann, Das Westgotenreich (wie Anm. 57), besonders S. 87 f., und Klaus Herbers, Herrschaftsnachfolge auf der Iberischen Halbinsel. Recht – Pragmatik – Symbolik, in: Die mittelalterliche Thronfolge im europäischen Vergleich, hg. von Matthias Becher (= Vorträge und Forschungen, Bd. 84), Ostfildern, 2017, S. 231–252.

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3. Bezug zur zeitgenössischen Realität

Was bedeutet das nun für die Frage nach der Ausübung mantischer Praktiken im Westgotenreich? Für eine Antwort ist zwischen den Bestimmungen zu unterscheiden, die im Westgotenreich entstanden und Kanones, die aus Vorlagen der Collectio Hispana stammen. Die griechischen Konzilien wurden wahrscheinlich in Form der Versio Isidoriana Vulgata in die Sammlung übernommen,65 die gallischen Konzilien stammen laut Martínez Díez aus einer Sammlung, die in der Gallia nach dem 1. Konzil von Orléans entstand und große Ähnlichkeit mit der Collectio Corbeiensis aufweist.66 Aus diesen Vorlagen stammen vier der Kanones, die sich in der Collectio Hispana mit mantischen Praktiken beschäftigen. Ein weiterer stammt aus den Statuta ecclesiae antiqua, die ebenfalls in der Gallia entstanden. Vier Erwähnungen mantischer Praktiken entstammen iberischen Konzilien, was einen Bezug zur Entstehungszeit der Collectio Hispana nahelegt67– auch wenn der Abfassungsanlass in keinem Text so klar genannt wird wie in der Erweiterung des Liber Iudiciorum unter Erwig. Zwei weitere stammen aus den Capitula Martini, die ebenfalls im Westgotenreich entstanden. Davon geht eine Bestimmung zwar auch auf eine spätantike Vorlage, das Konzil von Ancyra, zurück, doch Martin von Braga scheint diese bei der Übersetzung an die Bedürfnisse seiner Zeit und Umgebung angepasst zu haben.68 Auch ein anderer Text aus der Feder Martins von Braga enthält Hinweise auf einen Bezug der westgotischen Rechtsbestimmungen zur zeitgenössischen Realität: De correctione rusticorum. Die Schrift ist eine Musterpredigt, die wohl kurz nach dem 2. Konzil von Braga im Jahr 572 entstand. Der Text ist in Form eines Briefes an Polemius von Astorga überliefert, der möglicherweise um diesen gebeten hatte.69 An zwei Stellen, in Abschnitt 12 und 16 seiner Predigt, geht Martin auf Divinationen ein. Er kritisiert das Aufsuchen von Auguren und Weissagern70 und die Rückkehr zu heidnischen Praktiken, wie das „Anzünden von Kerzen auf Felsen, Bäumen, Quellen und entlang von Wegkreuzungen“ sowie die Beachtung von „Vorhersagen, Prophezeiungen und heidnischen Tagen“.71 Die beschriebenen Riten 65 Vgl. Maassen, Geschichte (wie Anm. 10), S. 12 und S. 81–83 (zu Ancyra, Neoceasarea und Gangra); La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 280. 66 Vgl. La colección canónica Hispana (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 291. 67 Vgl. Herbers, Prognostik (wie Anm. 21), S. 14. 68 Vgl. Gaudemet, Traduttore (wie Anm. 27), S. 55. 69 Martin von Braga, Opera omnia (wie Anm. 27), S. 159, Martino di Braga, Contro le superstizioni. Catechesi al populo, hg. von Mario Naldini (= Biblioteca patristica), Florenz 1991. 70 12. Non intellegitis aperte quia mentiuntur vobis daemones in istis observationibus vestris quas vane tenetis, et in auguriis quae adtenditis frequentius vos inludunt? Nam sicut dicit sapientissimus Salomon: divinationes et auguria vana sunt. – Vgl. Martino di Braga, Contro le superstizioni (wie Anm. 69), S. 56. 71 16. Ecce qualis cautio et confessio vestra apud deum tenetur! Et quomodo aliqui ex vobis, qui abrenuntiaverunt diabolo et angelis eius et operibus eius malis, modo iterum ad culturas diaboli revertuntur? Nam ad petras et ad arbores et ad fontes per trivia cereolos incendere, quid est aliud nisi

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entsprechen denen, die in der Kanonessammlung des Bischofs erwähnt werden.72 So verbietet der oben bereits erwähnte Kanon 71 der Capitula des Bischofs das Aufsuchen von Auguren. Für die Kanones 72–75, die heidnische Praktiken verdammen, ist die Vorlage unbekannt.73 Das könnte als Hinweis auf tatsächlich ausgeübte divinatorische Praktiken sein, die der Bischof von Braga auf unterschiedlichen Wegen einzudämmen gedachte – auch wenn bekannt ist, dass die Argumentation von De correctione rusticorum von Augustins De catechizandis rudibus stark beeinflusst ist und Martin von Braga wahrscheinlich die Predigten des Caesarius von Arles kannte.74 Wie die Zukunft befragt wurde, geht aus den Bestimmungen der westgotischen Konzilsakten nicht hervor, abgesehen von den Verboten, die Tierkreiszeichen zu beachten, den Lauf von Sonne und Mond zu beobachten sowie der allgemeinen Verdammung von Astrologie und Horoskopen. Auffällig ist die ausdifferenzierte Terminologie, mit der die Wahrsager und Zauberer benannt werden, besonders im Kanon des 4. Konzils von Toledo: Dort werden mit magi, haruspices, harioli und augures vier verschiedene Typen genannt. Die Auguren waren im antiken Rom vornehmlich für die Deutung des Vogelflugs zuständig, die Haruspices für die Eingeweideschau. Ob diese Unterscheidungen im Westgotenreich noch bekannt waren, ist allerdings fraglich: Zwar erwähnt Isidor in den Etymologien die von den Haruspices durchgeführte Eingeweideschau, leitete das Wort aber von hora (Stunde) her und schreibt ihnen die Aufgabe zu, die richtige Zeit für bestimmte Handlungen zu erkennen.75 Das legt nahe, die differenzierte Terminologie eher als Hinweis auf das literarische Erbe der Antike zu verstehen als auf gelebte Praxis. In dieselbe Richtung weist auch die verkürzte Übersetzung des Kanons von Ancyra durch Martin von Braga. Die in der Collectio Hispana enthaltenen Bestimmungen wurden in der Folge weiter tradiert und fanden Eingang in karolingische und schließlich hochmittelalterliche Sammlungen. Insbesondere die Werke Martins von Braga wurden – im Fall der Capitula über die Collectio Hispana vermittelt – stark rezipiert, wie die Untersuchung

cultura diaboli? Divinationes et auguria et dies idolorum observare, quid est aliud nisi cultura diaboli? – Vgl. Martino di Braga, Contro le superstizioni (wie Anm. 69), S. 66. 72 Vgl. Martin von Braga, Opera omnia (wie Anm. 27), S. 86, Martino di Braga, Contro le superstizioni (wie Anm. 69), S. 11. 73 Gaudemet, Traduttore (wie Anm. 26), S. 52. 74 Vgl. Martino di Braga, Contro le superstizioni (wie Anm. 69), S. 17 f. ; Michael D. Bailey, Magic and superstition in Europe, Lanham 2007, S. 57, und Velázquez Soriano, Between Orthodox Belief and ‘Superstition’ (wie Anm. 6), S. 611. 75 Isidor von Sevilla, Ethymologiarum sive originum libri 20, hg. von Wallis M. Lindsay, Oxford 1911; vgl. Harmening, Superstitio (wie Anm. 7), S. 175–177.

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von H ­ armening eindrücklich zeigt.76 So finden sich sieben der oben aufgezählten Beschlüsse im Dekret Burchards von Worms, die meisten davon in Buch 10.77 Die Collectio Hispana steht damit am Beginn der im Mittelalter ständig anwachsenden kanonischen Überlieferung. Die Sammlung entstand bevor patristische Traktate, Bibelstellen und anderen Quellen in Kirchenrechtssammlungen aufgenommen wurden,78 die in späteren Sammlungen zu den Themen Mantik und Divinatorik in großem Umfang zu finden sind.79 Für die Collectio Hispana ist ein bloßes Weitertradieren von Wissen aus Vorlagen noch nicht festzustellen. Und doch sind einige Bestimmungen enthalten, deren Bezug zu praktizierter Mantik im Westgotenreich fraglich ist wie die Kanones von Ancyra oder Laodicea. Ihre Aufnahme in die Sammlung hat andere Gründe: Die Bewahrung des verfügbaren, orthodoxen Glaubenswissens war für das Selbstverständnis der Westgoten und insbesondere ihrer Kirche zentral. Immer wieder wurde bewusst an die Spätantike angeknüpft, wie die Anathemata des 1. Konzils von Braga zeigen. Die Collectio Hispana beginnt – entgegen der sonst streng befolgten chronologischen Ordnung – mit den Akten des Konzils von Nicaea. Die Beschlüsse des Konzils, das Kaiser Konstantin nach seiner Konversion zum Christentum einberief, stehen somit an erster Stelle der Sammlung und damit der Autoritäten. Die Bedeutung, die dieser Versammlung beigemessen wurde, hing mit der Konversion von König Rekkared I. (586–601) und dem darauffolgenden 3. Konzil von Toledo zusammen, die ein Wendepunkt in der westgotischen Geschichte waren. Parallelen zwischen den beiden Konzilien wurden in zahlreichen Werken westgotischen Ursprungs gezogen und Rekkared als neuer Kon­ stantin gefeiert.80 Die auf das Konzil von Nicaea folgenden drei weiteren ökumenischen

76 Vgl. dazu in Bezug auf De correctione rusticorum, Harmening, Superstitio (wie Anm. 7), S. 279 f., und in Bezug auf die Capitula die Quellenkordanz, ebd., S. 322–324. 77 Vgl. das Quellenregister in Hartmut Hoffmann, Rudolf Pokorny, Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Textstufen – Frühe Verbreitung – Vorlagen (= MGH Hilfsmittel, Bd. 12), München 1991, S. 215–218 und S. 226. 78 Vgl. Sven Meeder, Biblical past and canonical present: The case of the Collectio 400 capitulorum, in: The Resources of the Past in Early Medieval Europe, hg. von Clemens Gantner, Rosamond McKitterick und Dems., S. 103–117, hier S. 103. 79 Vgl. Bailey, Magic (wie Anm. 72), S. 58. 80 Zum Beispiel von Johannes von Biclaro in seinem Chronicon: Juan de Bíclaro, Obispo de Gerona. Su vida y su obra, ed. von Julio Campos (= Consejo Superior de Investigaciones Cientificas. Escuela de Estudios Medievales, Bd. 32), Madrid 1960, S. 98; vgl. Orlandis, Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel (wie Anm. 1), S. 102 f.; Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006, S. 44 f,; die Orientierung der westgotischen Könige an Traditionen des oströmischen Kaisertums ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen, einige Beispiele ebd., S. 43, und mit Fokus auf die zeitgenössische Architektur Luís Fontes, The Circulation of Models in the Construction of Christian Identity in the Northwest Iberian Peninsula: Architecture and Hagiotoponymy in the Braga Region, in: Visigothic Symposium 3 (2018–2019), S. 130–150, bes. S. 137 f.

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Konzilien betonen die Rückbindung an das spätantike Erbe nochmals.81 Zusammen mit dem Konzil von Nicaea waren sie Grundlage und Bezugspunkt einer idealen christlichen Gesellschaft in der Hispania, deren (versuchte) Verwirklichung die iberischen Konzilsakten bezeugen.82 In dieser war natürlich kein Platz für Hellseher und Wahrsager.

81 Genauer gehe ich diesen Fragen in meinem derzeitigen Forschungsprojekt zu Formen, Nutzung und Rezeption der Collectio Hispana nach. 82 Vgl. Paul D. King, Law and Society in the Visigothic Kingdom (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Bd. 5), Cambridge 1972, S. Ix; Rachel L. Stocking: Bishops, Councils and Consensus in the Visigothic Kingdom 589–633 (= History, Languages, and Cultures of the Spanish and Portuguese Worlds), S. 15.

Divination and Lot-Casting in Early Medieval Canonical Collections The Hibernensis and the Corbie Redaction of the Vetus Gallica Roy Flechner

In this essay I will investigate canonical attitudes towards seeking guidance by supernatural means, and in particular by means of divination and lot-casting. My principal sources for this study are the Collectio Hibernensis and another major early medieval collection of canon law: the Corbie recension of the Vetus Gallica.1 The Corbie recension postdates the Hibernensis, but both can broadly be dated to the first half of the eighth century. In examining these two collections I will make frequent reference to one of their ‘formal sources’: the influential sixth-century Dionysiana.2 I shall begin by offering some background to these texts and to the relationship between them. The first in chronological order is the Dionysiana. The Dionysiana is seen today as a watershed in the Western canonical tradition.3 It constituted the first concentrated attempt to draw together both a large variety of canons from Eastern councils – 1 For editions, see, respectively, Roy flechner, The Hibernensis, 2 vols., Washington, D.C. 2019; Hubert Mordek, Kirchenrecht und Reform im Frankenreich: Die Collectio vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien: Studien und Edition (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Vol. 1), Berlin, New York 1975, pp. 343–617. 2 Dionysius Exiguus, Collectio canonum Dionysiana (recension I), ed. Adolf Strewe, Die Canonessammlung des Dionysius Exiguus in der ersten Redaktion, Berlin 1931; Dionysius Exiguus, Collectio canonum Dionysiana (recension II), ed. Gulielmus Voel and Henri Justel, Bibliotheca Juris Canonici Veteris, 2 vols., Paris 1661, 1:107–174 (councils), 183–248 (decretals); Dionysius Exiguus, Collectio decretalium Dionysiana, ed. Henri Justel, Codex Canonum Ecclesiasticorum (1628), Bibliotheca Juris Canonici I (1661), repr. PL 67:230–546. Dionysius Exiguus, Praefatio ad Stephanum Episcopum, ed. Franciscus Glorie (= CCSL, Vol. 85), Turnhout 1972, pp. 38–42. 3 The best chapter-length general surveys on canonical collections in the first millennium are Roger E. Reynolds, Law, Canon: To Gratian, in: Dictionary of the Middle Ages, ed. Joseph R. Strayer et al., 13 vols., New York 1982–1989, 6:395–413; Kenneth Pennington, The growth of church law, in: Cambridge History of Christianity II: Constantine to c. 600, ed. Augustine Casiday and Frederick W. Norris, Cambridge 2007, pp. 386–402. Repertories and book-length reference works on which I draw here are Friedrich Maassen, Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts im Abendlande bis zum Ausgange des Mittelalters, Graz 1870; Paul Fournier and Gabriel Le Bras, Histoire des collections canoniques en Occident, depuis les Fausses Décrétales jusqu’au Décret de Gratien, 2 vols., Paris 1931–1932; Lotte Kéry, Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400–1140): A Bibliographical Guide to the Manuscripts and Literature, Washington, D.C. 1999; Linda Fowler-Magerl, Clavis Canonum: Selected Canon Law Collections before 1140, Hannover 2005.

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among them the ecumenical councils of Nicaea (325), Constantinople (381), and Chalcedon (451) – and papal decretals, thereby bridging Eastern and Western teachings on ecclesiastical order and discipline and providing the church with its first substantial compendium of rules. Dionysius compiled three versions of the text, the third of which could claim papal authority, because it was commissioned by Hormisdas, bishop of Rome from 514 to 523, to whom it is dedicated. Only the preface of this third version survives today. The Hibernensis was compiled in Ireland at some point between 690 and 748.4 The text survives in two recensions, commonly called the A-Recension and B-Recension. Its transmission is exclusively in manuscripts from continental Europe, dating from the mid eighth century and later. Its compilers might have been Ruben (d. 725) of Dairinis (in the south of Ireland) and Cú Chuimne (d. 747) of Iona (in the northernmost limit of the Gaelic-speaking world), who are mentioned at the end of a ninth-century copy of the text, now in Paris, Bibliothèque nationale lat. 12021. Unlike the Dionysiana it is not a chronologically-ordered text but a systematic compilation, in which the material is arranged according to themes, which are divided into books (between 65 and 69 in different manuscripts) and chapters. The Hibernensis was in fact the pinnacle of systematic compiling in the early-medieval period. It can easily be fitted into the wider context of the development of canonical collections thanks to its well-charted European transmission. Although no copy from Ireland survives, the Hibernensis circulated widely in Continental Europe, where several derivative collections were also made. It is by far the most comprehensive of the early systematic collections, and among its contributions to the field of canon law are the introduction of a diverse selection of sources and the expansion of the remit of concerns addressed by canonical collections to include matters that are ostensibly secular. Nevertheless, the Hibernensis itself drew heavily on the Dionysiana.5 The Apostolic Canons are cited from it, seven of the eight synods from Asia Minor that the Hibernensis cites form part of the Dionysiana, four of the eight popes who issued decretals that the Hibernensis cites are quoted in the Dionysiana, and, finally, the record of early African councils, the so-called Carthaginian Council of 419, is also quoted there.6 In owing a debt to the Dionysiana the Hibernensis resembles preceding collections, like Cresconius’s Concordia canonum and the Hispana, both from the seventh century.7 It is also consistent with preceding collections in citing Gallic councils and popes. The Hibern4 The introductory remarks on the Hibernensis follow Flechner, The Hibernensis (cf. note 1), 1:52*–80*. 5 For an index of identified sources of the Hibernensis, see Flechner, The Hibernensis (cf. note 1), 2:966–1000. 6 A study of the Hibernensis’s use of the Dionysiana was first undertaken by Luned M. Davies, The Collectio canonum Hibernensis and its sources, D. Phil. dissertation, University of Oxford 1995, pp. 185–232. The analysis here is based on figures obtained from my recent edition. 7 Although the Concordia Canonum may date from the mid sixth century. On the criteria for dating, see Maassen, Geschichte der Quellen, pp. 808–810.

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ensis cites – apparently directly – from five Gallic councils: Arles, Orange, Vaison, Agde, and Orléans. The latest Gallic council in the Hibernensis, presided over by Caesarius of Arles at Marseille in 533, is not actually cited, but is echoed in a letter concerning the ejection from office of fornicating clerics, written by Caesarius as part of a correspondence between himself and Pope John II which took place following the council.8 As for popes, the Hibernensis cites from the decretals of Pseudo-Clement, Siricius, Innocent, Zosimus, Celestine, Leo the Great, Symmachus, and Gregory the Great. Of these, Siricius, Innocent, Zosimus, and Leo, are likely to have been cited via the Dionysiana. The inclusion of papal and conciliar rulings would probably have made the Hibernensis seem more familiar and less alien in the eyes of Continental readers. Therefore, in terms of its use of sources, the Hibernensis can be said to have articulated with a more universal tradition of canon law – insofar as any such thing would have been recognised by contemporaries – which influenced the Hibernensis and which the Hibernensis helped to shape by introducing new sources and especially the Bible as a direct source of canon law. Besides the Bible, councils, and popes, the Hibernensis quotes Greek and Latin Church Fathers, like Basil, Ambrose, Jerome, and Augustine; Christian historians, like Eusebius and Orosius; monastic authors, like Cassian and Benedict; gnomic literature, like the Prouerbia Grecorum; hagiography, like the Vitas Patrum and the Life of Patrick by Muirchú; works of Biblical exegesis, like Pelagius’s commentary on the Pauline Epistles, Iunilius’s Instituta regularia diuinae, and the Irish Augustine’s De mirabilibus sacrae scripturae; late antique “best-selling” Christian authors, like Caesarius of Arles and Isidore of Seville; a number of British (Vinnian, Gildas), Anglo-Saxon (Aldhelm, Theodore), and Irish (Adomnán, Cumméne, Muirchú) authors; and several other types of texts, some with known authors, others anonymous. Altogether, the Hibernensis quotes 105 texts by forty-one authors, who can be identified.9 It also quotes from twenty-nine texts that can be considered anonymous, either because the authors to which they were originally attributed are not known or because these texts were never attributed to specific authors, for example like most acta of church councils. Other innovations that the Hibernensis pioneered, like the systematic use of biblical exegesis or the use of new interpretative techniques (for example sic et non),10 were absorbed more slowly into the continental tradition, and it is therefore more difficult to argue that their wider application was a direct result of the influence of the Hibernensis. The comprehensive thematic range of the Hibernensis, considered in light of the wide variety of sources that it employs, has been interpreted variously as an attempt to create a law code for Christian society as a whole, or as a text of Christian jurisprudence designed to provide adjudicators with an all-encompassing blueprint for interpreting law, ultimately   8 Concilia Galliae, ed. Carolus de Clerq (= CCSL, Vol. 148a), Turnhout 1963, pp. 90–96.   9 On the sources of the Hibernensis, see Flechner, The Hibernensis (cf. note 1), 66*–72*. 10 Roy Flechner, The problem of originality in early medieval canon law: legislating by means of contradictions in the Collectio Hibernensis, in: Viator 43 (2012), pp. 29–47.

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based on methods of biblical exegesis.11 Indeed, theoretical questions concerning law and its application loom large in the Hibernensis. In books titled De lege, De testimonio, De ordine inquisitionis causarum, De prouincia, De iudicio, De sceleribus et uindictis, and De contrariis causis, the compilers cite various sources (e. g. the Bible, unnamed Irish councils, Isidore) concerning legal procedure as well as conceptual questions about law and authority. Among the issues being debated are by what order should authoritative sources be consulted in dispute settlement, how should judges cope with the problem of conflicting authoritative sources, and, more fundamentally, what should be considered law, who has the power to legislate, and who ought to judge. Many of these questions are given conflicting answers and are left unresolved, suggesting that their presence in the Hibernensis was intended as a snapshot of a contemporaneous debate between clerical scholars. Among the collections of the Carolingian era that drew upon the Hibernensis for some of their material is the Corbie version of the Vetus Gallica, completed c. 748.12 According to its editor, Hubert Mordek, it went through a three-stage process of development, beginning in early-seventh-century Lyon – which was then gaining a reputation as a center for canonical learning – continuing at Autun, and culminating with the Corbie redaction. Like the Hibernensis, and probably because of its influence, the Corbie Vetus Gallica also deployed a pool of sources more varied than the standard combination of conciliar acta and papal decretals.13 Its thematic scope, although not as broad as that of the Hibernensis, was nevertheless impressive, with concerns ranging from authority within the church to episcopal government, to behavioral standards expected of clerics, to liturgical matters, and pastoral care. The scope and objectives of the earliest form of the Vetus Gallica were more focused. It was first compiled as a reforming text, perhaps in response to the rising power of abbots in Gaul and the growing trend among Gallic aristocrats to be patrons of monasteries.14 The compiler is believed to have been either bishop Etherius of Lyon (d. 602) or his successor, Aridius (d. 614).15 It seems to have been concerned chiefly with defending and sustaining episcopal authority and with the mechanisms of ecclesiastical government in which bishops were prominent, as is made clear in the following example: 11 The two are not mutually exclusive. See, respectively, Thomas M. Charles-Edwards, Early Irish Law, in: A New History of Ireland I, ed. Dáibhí Ó Cróinín, Oxford 2005, pp. 331–370, at p. 353; and Flechner, The Problem of Originality (cf. note 10), p. 43. 12 Mordek, Kirchenrecht und Reform (cf. Note 1), pp. 62–94, 86–94, 287; David Ganz, Corbie in the Carolingian Renaissance, Sigmaringen 1990, pp. 20, 72. 13 On these two texts in comparison, see Rob Meens, The uses of the Old Testament in early medieval canon law: the Collectio Vetus Gallica and the Collectio Hibernensis, in: The Uses of the Past in the Early Middle Ages, ed. Yitzhak Hen and Matthew Innes, Cambridge 2000, pp. 67–77. 14 Its reforming objectives were suggested by Mordek, Kirchenrecht und Reform (cf. note 1), p. 35, while the stress on the political context is mine. 15 For authorship, see Mordek, Kirchenrecht und Reform (cf. note 1), pp. 62–82.

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“Concerning the ordination of a metropolitan [bishop], it behooves that a metropolitan be ordained by a metropolitan in the presence of all fellow-provincials, if this is possible […]. Let the same metropolitan be elected by the fellow-provincial bishops, just as the decretals of the Apostolic See hold, with the consent of the clerics and the citizens; for this is right, just as the same Apostolic See said: ‘He who has been placed above all others, ought to be elected by all’”.16

Here, the election of a metropolitan bishop is described as a process that requires both broad consensus and legitimation by high authority. Similar questions are dealt with by the Hibernensis in its first book, De episcopo: ordination, Hib 1.4–7, 1.13 (pp. 7–8, 14); eligibility, Hib 1.11, 1.12 (pp. 12, 14); and election, Hib 1.17–19 (pp. 16–17). But an emphasis on the metropolitan is conspicuously absent. Throughout the Hibernensis metropolitans are only mentioned in passing (e. g. Hib 1.5, 20.3 [pp. 7, 117]), reinforcing the contention, known from other forms of evidence, that the two collections were addressed to churches that observed models of ecclesiastical structures of different kinds: one (Vetus Gallica) that was, or aspired to be, more centralised, and another (the Hibernensis) that was more dissipated.17 Examining the Hibernensis alongside the Vetus Gallica thus affords us the opportunity to observe differences between canonical collections, differences that may impinge on matters of religious practice, institutional procedure, and ecclesiastical organisation. But given its dependence on the Hibernensis, the Vetus Gallica also allows us to compare the treatment of specific themes across dependent collections. This can afford yet another perspective for gauging differences, which may give us an insight into the thought process and priorities of the compilers of the collections. It is here that I come to the matters of divination and lot-casting, attitudes towards which I shall compare in both texts. These themes are infrequent enough in the business of early church councils and also remote enough from the core concerns of canonical collections (clerical discipline, jurisdiction, etc.) so as to permit a unique glimpse into a connection between canonical collections that addressed them, a connection that is non-generic, but specific to collections that depend on one another. In examining the attitudes shown towards these themes in the 16 De metropolitanorum uero ordinationibus id placuit, ut metropolitanus a metropolitano omnibus, si fieri potest […]. Ipse tamen metropolitanus a conprouincialibus episcopis, sicut decreta sedis apostolicae continent, cum consensu clericorum uel ciuium elegatur, quia aequum est, sicut ipsa sedis apostolica dixit: ‘Qui praeponendus est omnibus, ab omnibus elegatur’. – Vetus Gallica, V.4a, ed. Mordek, Kirchenrecht und Reform (cf. note 1), pp. 386–387. My translation, with an emendation to the Latin based on Mordek’s apparatus. The source is canon § 3 of the council of Orléans in 538. The phrase “Apostolic See” alludes to Pope Leo I. 17 The classic study is Colmán Etchingham, Church Organisation in Ireland 650–1000, Maynooth 1999. For a more concise discussion, set in a comparative framework, see Thomas Pickles, Church organisation and pastoral care, in: A Companion to the Early Middle Ages: Britain and Ireland c. 500–c. 1100, ed. Pauline Stafford, Oxford 2009, pp. 160–176.

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Hibernensis and the Corbie recension of the Vetus Gallica I would also like to consider how they relate to the more “standard” canonical treatment of divination and lot-casting, which is reflected in the Dionysiana. Only two councils cited in the Dionysiana, both from the fourth century, mention divination and superstitious practices: Ancyra, from AD 314 (canon § 23), and Laodicaea, which took place at some point during that century (canon § 36). These topics, however, receive significantly more attention in the Hibernensis and the Corbie recension of the Vetus Gallica, both of which address them by drawing on a variety of sources. Let us first examine the Hibernensis. There, the entirety of Book 63, titled De auguriis, is devoted to augury. It comprises eight chapters which are concerned with describing the essence of divination, with rejecting divination, and with prescribing punishments for those who either practice divination or consult diviners. The book draws on a variety of sources: four chapters quote from Caesarius of Arles’ sermons, two are based on canons from the councils of Ancyra and Agde (AD 506), one on Isidore’s Etymologies, and one on the Bible. The biblical quotation, from Leviticus 20:27, is especially ruthless, condemning to death by stoning those who consult diviners. But in contrast to the disapproving attitude towards divination, Book 25 of the Hibernensis, titled De sortibus (Concerning lots), broadly tolerates the casting of lots as part and parcel of the process of decision making. Ostensibly, the casting of lots has something in common with divination, in that both are ways of anticipating events or guiding actions in the future by supernatural means. Nevertheless, lot-casting is tolerated while divination is condemned. Book 25 consists of five chapters concerned with the prerogative to cast lots in doubtful or uncertain cases, and with the rationale behind the use of decision-making through lot-casting. The rationale given, that divine choice determines the outcome of lot-casting, is consistent with the manner in which the Bible is sometime interpreted as an authority that condones lots, a topic that I shall return to shortly. The sources cited in Book 25 are Augustine’s commentaries on the Psalms and on John, Jerome’s Commentary on Jonah, and a host of biblical citations: from Proverbs, I Samuel, Jonah, and the Acts of the Apostles, where verses 1:24–5 tell of the famous occasion on which lots were cast in order to choose between Joseph and Matthias to replace Judas in the apostolate. Conspicuously absent from this list of sources are church councils, because there was no church council that approved of the practice of lot-casting. Only one chapter in this book (Hib 25.3 [pp. 160–161]), titled De eo quod non semper sortibus credendum sed Deo ‘That lots should not always be believed, but God’, admonishes the readers about the dangers of deciding by lot, in particular since demons may sometimes intervene in the outcome of lot-casting. Turning to the Corbie recension of the Vetus Gallica, we observe a significant difference in attitudes. Unlike the Hibernensis, the Corbie Vetus Gallica condemns both lots and divination in its forty-fourth book titled De sortibus et auguriis. This book, consisting of ten chapters, quotes exclusively from church councils from Asia Minor, Gaul, and Spain, as well as from the late fifth-century Statuta ecclesiae antiqua § 83 (which appar-

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ently cites the Apostolic Constitutions § 7). The councils cited are Ancyra (AD 314), Laodicaea (fourth century), Arles (AD 314), Agde (AD 506), Orléans (AD 511), and Braga (AD 572). Two of these canons, Agde § 42 and Orléans § 30, condemn the casting of lots. Interestingly, the Hibernensis also cites Agde § 42 in its book on divination, but, conveniently, it omits the text which mentions lots. In fact, the Hibernensis has transformed this canon entirely, so that it reads (for Latin see below): “Concerning those given to auguries and magical consultation of scripture. The synod of Agde said: One must not pass over in silence that which has greatly infested the faith of religion, namely that so many clerics or laymen practise augury and predict the future by means of magical consultation of scripture. For as long as one persists in this offence, he is a stranger to the church.”

Below is a comparison of the canon in three versions: from the original acta of the Council of Agde, from the Hibernensis, and from the Corbie Vetus Gallica: Agde § 42 “Ac ne id fortasse uideatur omissum, quod maxime fidem catholicae religionis infestat, quod aliquanti clerici siue laici student auguriis et sub nomine fictae religionis, quas sanctorum sortes uocant, diuinationis scientiam profitentur, aut quarumcumque scripturarum inspectione futura promittunt, hoc quicumque clericus uel laicus detectus fuerit uel consulere uel docere, ab ecclesia habeatur extraneus.”18 Hib 63.4 (p. 452 ln. 1–5) “De seruientibus auguriis et inspectione scripturarum. Sinodus Agatensis ait: Non pretereundum est id, quod maxime fidem relegionis infestat, quod aliquanti clerici siue laici studeant augoris et inspectione scripturarum futura promitunt. Quandiu autem in hoc scelere permanserit, ab æclesia alienus est.” Corbie Vetus Gallica 44.3 “Quod maxime fidem catholice relegionis infestat, quod aliquanti clerici siue laice student aguriis et sub nomine ficte relegionis, quas sanctorum sortis vocant, diuinationis scientiam profitentur aut quarumcumque scripturarum inspectione futura promittunt, ut quicumque clericus uel laicus detectus fuerit uel consolere uel docere, ab ecclesia abeatur extraneus.”19

We can see here, therefore, two entirely different approaches to drawing on supernatural means: the Hibernensis condemns divination, while the Corbie recension of the

18 Conciliae Galliae a. 314–a.506, ed. Charles Munier (= CCSL, Vol. 148), Turnhout 1963, p. 210. 19 Mordek, Kirchenrecht und Reform (cf. note 1), p. 522.

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Vetus Gallica condemns both lots and divination. In order to sustain its more lenient approach the Hibernensis has manipulated the text of a conciliar canon to suit its needs. Another example of a modified canon is from the Council of Ancyra in its Dionysiana transmission. The Corbie Vetus Gallica is almost entirely faithful to the wording in the Dionysiana, whereas the Hibernensis deviates a great deal from the original, perhaps in order to distil a concise rule from it, in line with generic conventions of insular penitentials. Ancyra § 23 – Dionysiana “Qui auguria uel diuinationes secundum morem gentium subsequuntur, aut in domos suas huiusmodi homines introducunt, exquirendis aliquibus arte malifica aut ut domos suas expient, sub regula quinquenii iaceant secundum gradus paenitentiae constitutos.”20 Hib 63.5 (p. 452 ln. 6–8) “Sinodus Anchiritana: Qui diuinationes expetunt more gentilium, V annos poeneteant.” Vetus Gallica 44.4a “De his, qui diuinationcs expetunt. Qui diuinationcs expetunt aut more gentilium subsecuntur aut in domos suas huiuscemodi homines introducunt exquirendi aliquid arte malefica aut expiandi causa, sub regula quinquennii subiacent secundum gradus penitentiae definitos.”21

In asking why the Hibernensis would be consistent with other collections in rejecting divination but would take a more lenient stand towards lot-casting, two explanations come to mind. The first is an affinity with Irish vernacular law, and the second is a wish to follow biblical testimonia on lot-casting. I shall take these two in turn. Irish law permits lots to be cast in cases in which there were no witnesses, or if no side of a dispute was able to overturn the other’s claim by means of an oath. An example of the latter contingency is if both parties were of equal status and therefore one’s oath was not a-priori superior to the other’s. Lots could also be cast in the case of offences committed by domestic animals, for example, if a beast killed another when their owners were herding together, lots could be cast to ascertain which animal owner should be liable to pay compensation. Lot-casting is also known to have taken place in dividing land between heirs, but this might have been exceptional.22 The Hibernensis retains the principle of dividing land between heirs by means of lots (Hib 31.8 [p. 218]) or between parties that dispute ownership over it (Hib 31.23 [p. 229]). It also allows for both kings

20 Collectio canonum Dionysiana, ed. Strewe (cf. note 3), pp. 37–38. 21 Mordek, Kirchenrecht und Reform (cf. note 1), p. 523. 22 Fergus Kelly, A Guide to Early Irish Law (= Early Irish Law Series, Vol. 3), Dublin 1988, pp. 208–209.

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and principes of churches to be elected by lots (Hib 24.2, 36.1 [pp. 147, 255]). Such principes could be either laymen or in orders. Following a biblical rationale for lot-casting, as the Hibernensis purports to be doing, may be an attempt to justify adhering to native custom rather than an end unto itself. That the Bible was not the primary impetus is suggested by two cases in which the Hibernensis appears so eager to offer biblical support for its attitude towards lot-casting, that it fabricates biblical quotations: Hib 25.1 (p. 159 ln. 11–12) “Filius Serac dicit: Sors inter dubia mittitur, ut Deus in uisu homini distinguat.” Hib 25.2 (p. 160 ln. 4) “In Paralipiminon: In sorte non est electio, sed Dei uoluntas.”

The first may be loosely based on Augustine’s Enarrationes in Psalmos 30.2.2.13,23 which is cited directly immediately after it in Hib 25.1 (p. 159 ln. 13–14). The second is a direct quotation from Enarrationes in Psalmos 30.2.2.13.24 The Vulgate Latin text, which the compilers of the Hibernensis were using, contained nothing that contradicted rules advocating sortition, of the kind that the Hibernensis contrived. However, some Old Latin versions of Mosaic law adhered more literally to the Hebrew text and explicitly forbade lot-casting. The so-called Mosaicorum et Romanorum legum collatio, perhaps compiled in Rome in the fourth century, gives the following rendering of Deuteronomy 18:10: Non inueniatur in te qui lustret filium tuum aut filiam tuam, nec diuinus apud quem sortes tollas (“Let there not be found among you any one who purges your son or your daughter by fire, nor a diviner with whom you cast lots”).25 Lot-casting here is equated with divination and both are forbidden. Despite certain unequivocal pronouncements against the practice of sortition, such as the one in (the Hebrew version of ) Deuteronomy 18:10,26 the Bible is often perceived as approving of lot-casting. But this approval is inferred from the biblical text rather than stated explicitly by it. It is inferred from certain episodes in which lots are efficaciously 23 Sanctus Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos, ed. D. Eligius Dekkers and Iohannes Fraipont (= CCSL, Vols. 38–40), Turnhout 1956, 211 ln. 4–5. 24 Ibid., 211 ln. 13–14. 25 Mosaicorum et Romanorum Legum Collatio § 15, ed. Mommsen, in: Fontes Iuris Romani Antejustiniani, 2:587. Compare with Vulgate: Nec inueniatur in te qui lustret filium suum, aut filiam, ducens per ignem, aut qui ariolos sciscitetur, et obseruet somnia atque auguria, nec sit maleficus. On the debate concerning the date of the Collatio and its place of compilation, see Hyamson, Mosaicorum et Romanorum Legum Collatio, xliii–xlviii, and p. 127 for his English translation of the passage. 26 The subject is considered by Ann Jeffers, Magic and divination in ancient Israel, in: Religion Compass 1 (2007), pp. 628–642.

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utilised, some of which are quoted in the Hibernensis: Proverbs 16:33 (in Hib 25.2 [p.160 ln. 5]), I Samuel 10:21, Proverbs 18:18, I Chronicles 4:10, Acts 1:26, Joshua 7:24, Jonah 1:7, Psalm 21.19, Psalm 124.3, and others (in Hib 25.4 [p. 161 ln. 6–p.162 ln. 10]). The Old Testament contains several verses in which lot-casting is practised as a means of revealing the will of God (e. g. Leviticus 16:8, Numbers 26:55, Joshua 18:6, I Samuel 14:42, Proverbs 16:33). However, in the original Hebrew of the Pentateuch, the High Priests were given sole authority over the interpretation of the message received from the officially sanctioned instruments of sortition, which are called in Hebrew the urim vetumim (Exodus 28:38–40, Numbers 27:18–21). By implication (perhaps) only the priests were allowed to engage in sortition. But the Vulgate’s Latin translation omits the crucial expression urim vetumim from the pertinent verses. The expression urim vetumim is also omitted from I Samuel 14:37 and I Samuel 28:6, where (according to the Hebrew Bible) God does not reply to Saul’s searching in the urim vetumim, thereby driving Saul to consult forbidden augury (I Samuel 28:8–20) which occasions inevitable retribution in the form of his downfall. The cause for Saul’s divinely-meted punishment is thus lost on the Latin reader, who is unable to follow the original Hebrew text. It seems, therefore, that biblical restrictions on admitting lots were obscured from readers of the Vulgate. This allowed the compilers of the Hibernensis to opt for a reading which condemned divination but tolerated lot-casting. To conclude, in contrasting the Hibernensis with the Corbie Vetus Gallica we have observed two diametrically opposed views on lot-casting: one tolerating lot-casting and the other disapproving of it. The compilers of these collections used the Dionysiana differently, with the Hibernensis ostensibly modifying canons and even fabricating biblical quotations, perhaps in order to conform to the stipulations of Irish vernacular law. The appeal to a biblical or quasi-biblical legacy also offers an opportunity to assess the reception and use of the Bible by a canonical collection and to examine whether the version or translation of the Bible that was available to its compilers might ultimately have inflected the way in which they formulated canonical rules. Finally, both the Hibernensis and the Vetus Gallica pay more attention to matters of divination and lot-casting than do texts containing decisions of earlier synods that we have examined – from Africa, Asia Minor, and Gaul. This is one of the most conspicuous differences that emerge from the comparison, and it must therefore be stated. However, I hesitate to speculate as to the reason for this difference. We do not know whether the environments in which the Hibernensis and the Vetus Gallica (or the Corbie Vetus Gallica) were compiled experienced more divination and lot-casting. This seems impossible to measure, as does the extent to which churchmen involved in their compilation might have been stricter than their predecessors in Africa, Asia Minor, and Gaul.

Mantische Bestimmungen in den frühmittelalterlichen Bußbüchern (7. bis 9. Jahrhundert) Ludger Körntgen

Auch für die frühmittelalterlichen Bußbücher wird seit Dieter Harmenings Studie zur superstitio die Frage diskutiert, inwieweit entsprechende Belege in normativen schriftlichen Überlieferungen Aussagekraft für die jeweilige soziale und kulturelle Praxis besitzen.1 Für Bestimmungen zu mantischen Praktiken in den Bußbüchern stellt sich diese Frage schon aufgrund quellenkritischer Feststellungen mit besonderer Dringlichkeit. Denn die entsprechende Bußbuchüberlieferung zeigt ein klares Quellenprofil: Während eine grundlegende Quellengruppe, die ältesten Bußbücher aus dem britisch-irischen Bereich, überhaupt kein entsprechendes Material beigesteuert hat, lassen sich die insgesamt recht zahlreichen Belege für die Auseinandersetzung mit mantischen Praktiken in der frühmittelalterlichen Bußbuchüberlieferung auf eine Tradition zurückführen, die ihren Ausgang von Synodalbestimmungen der spätantiken Reichskirche und dem von christlichen Vorstellungen geleiteten spätantiken Kaiserrecht genommen hatte. Neben einem Kanon der nicht nur in dieser Hinsicht grundlegenden Synode von Ancyra (ca. 314)2 haben offensichtlich Predigten des Caesarius von Arles3, gallische Synodalbestimmungen des 6. Jahrhunderts sowie über die Lex Romana Visigothorum4 im Frankenreich verbreitete Rechtssätze des Codex Theodosianus entsprechende Bestimmungen der ältesten fränkischen Bußbücher beeinflusst. Auch in der angelsächsischen Bußbuchtradition lassen sich keine davon unabhängigen Belege für die Auseinandersetzung mit mantischen Praktiken finden: Der aus dem byzantinischen Syrien über Rom zu den Angelsachsen gelangte Erzbischof Theodor von Canterbury dürfte dafür verantwortlich sein, dass der einschlägige Synodalkanon von Ancyra in die unter seinem Namen firmierenden Sammlungen von Bußsatzungen Eingang gefunden hat. In dem unter dem 1 Dieter Harmening, Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Studien zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, Berlin 1979; vgl. zuletzt Klaus Herbers, Prognostik und Zukunft im Mittelalter. Praktiken – Kämpfe – Diskussionen (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Bd. 2), Mainz, Stuttgart 2019, S. 15 f. 2 Vgl. unten bei Anm. 15. 3 Vgl. Harmening, Superstitio (wie Anm. 1), S. 50–62 und S. 124–128; Michael Glatthaar, Bonifatius und das Sakrileg. Zur politischen Dimension eines Rechtsbegriffs (= Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 17), Frankfurt a. M. 2004, S. 613–616. 4 Zu Kontext, Bedeutung und Nachwirkung der Lex Romana Visigothorum vgl. Detlef Liebs, Lex Romana Visigothorum, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, hg. von Albrecht Cordes et al., Berlin 2016, Sp. 918–924.

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Namen des Erzbischofs Egbert von York überlieferten Paenitentiale Pseudo-Egberti, für das eine Entstehung im angelsächsischen Raum weiterhin diskutiert wird,5 finden sich neben Bestimmungen, die weitgehend den in den älteren fränkischen Bußbüchern überlieferten entsprechen, weitere, die wohl auch auf kontinentale Praktiken verweisen.6 Bezeichnenderweise weist das in Nähe zum friesischen Missionsgebiet der Angelsachsen entstandene Paenitentiale Oxoniense II, das nach Rob Meens auf den Angelsachsen Willibrord zurückgehen könnte,7 überhaupt keine entsprechende Bestimmung auf. Der quellengeschichtliche Befund ist also eindeutig und auch qualitativ geprägt: Bestimmungen zu mantischen Praktiken in den frühmittelalterlichen Bußbüchern sind offensichtlich durch die spätantike christliche Tradition inspiriert und gehen in ihrem materiellen Bestand auf diese Tradition zurück. Zugleich übernehmen sie die Perspektive, unter der schon die Synode von Ancyra solche Praktiken wahrgenommen und beurteilt hat: Als Vorzeichendeutung unter der Kontrolle paganer religiöser Spezialisten waren mantische Praktiken Teil des paganen Kultes und damit für die christliche Beurteilung ausnahmslos als Idolatrie, Götzendienst, abzulehnen und innerhalb der christlichen Gemeinschaft im Zuge der Entwicklung zur spätantiken Reichskirche dann auch kaiserrechtlich zu sanktionieren. Dementsprechend werden mantische Praktiken schon im Synodal­ kanon von Ancyra wie in den weiteren Traditionen der gallisch-fränkischen Kirche und der frühmittelalterlichen Bußbücher im Kontext umfassender Auseinandersetzungen mit paganen, besonders mit magischen Praktiken wie Wetter- und Schadenszauber, verurteilt und gelegentlich auch explizit als Sakrileg und dämonisches Werk qualifiziert.8 In die Tradition der frühmittelalterlichen Bußbücher eingegangen sind Bestimmungen zu magischen Praktiken also über den gemeinsamen Grundstock der sogenannten einfachen, zumeist nur in einer Handschrift erhaltenen fränkischen Bußbücher des 7. bis 9. Jahrhunderts.9 Dieser Grundstock umfasst insgesamt 41 Bestimmungen zu Kapitaldelikten wie Tötung, Ehebruch, Meineid und Raub, für die jeweils Fastenbußen von drei- bis zehnjähriger Dauer verhängt wurden; daneben stehen einzelne geringfügigere Verstöße wie Selbstbefriedigung oder Verunreinigung der Eucharistie, für die Bußzeiten von einem Jahr oder darunter vorgesehen waren.10 Diese Buß  5 Vgl. unten bei Anm. 48.   6 Vgl. unten bei Anm. 51.   7 Vgl. Rob Meens, Penance in Medieval Europe. 600–1200, Cambridge 2014, S. 102–105; das Paen. Oxoniense II ist ediert in Paen. minora Franciae et Italiae saeculi VIII–IX, coop. Ludger Körntgen, Ulrike Spengler-Reffgen, ed. von Raymund Kottje (= CCSL, Bd. 156), Turnhout 1994, S. 179–205.   8 Vgl. dazu Ludger Körntgen, Studien zu den Quellen der frühmittelalterlichen Bußbücher (= Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter, Bd. 7), Sigmaringen 1993, S. 227 f.; Paen. minora (wie Anm. 7), S. I–XXV; Meens, Penance (wie Anm. 7), S. 76–81.   9 Vgl. dazu Anm. 8. 10 Die Paen. simplicia sind synoptisch und jeweils einzeln mit ihrem Sondergut ediert in Paen. minora (wie Anm. 7), S. 1–56 und S. 57–115.

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satzungen basieren zu einem großen Teil auf dem Bußbuch, das dem Iren Columban zugeschrieben wurde und jedenfalls in den von ihm begründeten fränkischen Klöstern entstanden und redigiert worden war.11 Vielleicht noch im 7. Jahrhundert wurde dieser Stoff ergänzt durch Bestimmungen, die zumindest zum Teil auf Kanones altkirchlicher und gallischer Synoden zurückgingen und wohl deshalb schon in komplexeren Kompilationen vom Ende des 8. Jahrhunderts als Iudicia canonica rubriziert wurden. Drei solcher Iudicia canonica gelten mantischen Praktiken im engeren Sinn: Die Kanones 24 und 25 des Paenitentiale Burgundense und ihre Parallelen in den übrigen einfachen fränkischen Bußbüchern beziehen sich auf Vogelschau und andere Praktiken der Weissagung,12 Kanon 28 auf verschiedene Varianten der Orakelbefragung mittels Losverfahren, darunter wohl die als Sortes sanctorum bezeichnete Verwendung biblischer Bücher als Buchorakel.13 Insgesamt lassen diese Bestimmungen noch den Einfluss des Caesarius von Arles erkennen, zum Teil auch vermittelt über die Synode von Auxerre (ca. 585) oder, wie Michael Glatthaar vermutet, über eine andere, nicht mehr überlieferte Vorlage.14 Burgundense c. 24 und c. 25 sind deutlich von einer Bestimmung der Lex Romana Visigothorum beeinflusst, auf c. 25 dürfte zusätzlich noch ein Kanon der Synode von Ancyra eingewirkt haben.15 Dafür spricht jedenfalls die Bemessung einer fünfjährigen Buße, die wahrscheinlich der Regula Quinquennii des Konzils folgt; interessant ist dabei nicht zuletzt der souveräne Umgang der Redaktion der Bußbestimmungen mit der säkularrechtlichen Vorlage, deren Sanktion, die Todesstrafe, durch eine Bußleistung in kirchlicher Tradition ersetzt wurde. 11 Ludwig Bieler, The Irish Penitentials (= Scriptores Latini Hiberniae, Bd. 5), Dublin 1963, 2 1971, S. 96–107. 12 Si quis sacrilegium fecerit, id est (quos) aruspices vocant, qui auguria collegent, si per aves aut quocumque malo ingenio auguriaverit, III annos cum pane et aqua peneteat; c. 25 par.: Si quis auriolus, quos divinos vocant, aliquas divinaciones fecerit, quia et hoc demonum est, V annos peneteat, III ex his in pane et aqua. – Paen. Burgundense c. 24 par., (Paen. minora [wie Anm. 7], S. 33–40; jeweils synoptische Edition der acht einfachen fränkischen Bußbücher). 13 Si quis sortes sanctorum, quas contra racionem vocant, vel alias sortes habuerit vel qualecumque malo ingenio sortitus fuerit vel veneraverit, III annos peneteat. – Paen. Burgundense c. 28 par., (Paen. minora [wie Anm. 7], S. 41–44). 14 Vgl. die Quellennachweise in Paen. minora (wie Anm. 7), sowie Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 621 f. 15 Quicunque pro curiositate futurorum vel invocatorem daemonum vel divinos, quos hariolos appellant, vel haruspicem, qui auguria colligit, consuluerit, capite punietur. – Lex Romana Visigothorum, Theod. XIII, 2, ed. von Gustav Friedrich Haenel, Leipzig 1849, S. 186. De his qui sortilegos expetunt. Qui auguria vel divinationes secundum morem gentium subsequuntur, aut in domus suas huiusmodi homines introducunt exquirendis aliquibus arte malifica aut ut domus suas expient, sub regula quinquennii iaceant secundum gradus paenitentiae constitutos. – Konzil von Ancyra (a. 324), c. 23 (24) (Versio Dionysiana I), (Ecclesiae occidentalis monumenta iuris antiquissima, Bd. 2, ed. von Cuthbert Hamilton Turner, Oxford 1907, S. 113). Die Versio Dionysiana I ist hier exemplarisch zitiert, der knappe Wortlaut der Bußbestimmung lässt nicht erkennen, welche lateinische Version der Kanones von Ancyra möglicherweise herangezogen worden ist.

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Vielleicht war ja überhaupt nur die Kenntnis der Synodalbestimmung von Ancyra dafür verantwortlich, dass Burgundense c. 25 eine fünfjährige Buße festsetzte, während c. 24 und c. 28 jeweils eine dreijährige Buße vorsehen. Das ist unter den durchaus systematisch geordneten Bußbemessungen der Iudicia canonica am unteren Ende der Skala der für Kapitaldelikte vorgesehenen Bußen: dreijährige Fastenbußen werden ansonsten etwa für Unzucht von einfachen Klerikern (Burgundense c. 11), versehentliche Kindstötung (Burgundense c. 19), Selbstverstümmelung (Burgundense c. 21), Zinsforderungen (Burgundense c. 22), Abtreibung (Burgundense c. 35), Frauenraub (Burgundense c. 37) oder Gefangennahme oder Verschickung von Unfreien oder anderen Personen (Burgundense c. 39) verhängt; am oberen Ende findet sich die zehnjährige Exilsbuße für willentliche Tötung, aber auch eine zufällige Tötung wird mit fünfjähriger Buße noch genauso hoch gewichtet wie die wohl nach dem Vorbild des Ancyra-Kanons beurteilte Praxis der Vorzeichendeutung und damit höher als die in den anderen Bestimmungen angesprochenen mantischen Praktiken. Sechs der acht bekannten Paenitentialia simplicia überliefern alle drei der im Burgundense belegten Bestimmungen zu mantischen Praktiken; jeweils nur eine der Bestimmungen ist in den Paenitentialia Sletstatense und Sangallense Simplex belegt, also in Bußbüchern, die erst in jeweils einer spätkarolingischen Handschrift überliefert sind und vielleicht auch erst durch eine Redaktion der betreffenden Handschrift ihre Gestalt erhalten haben. Diese Einzelbeobachtung am Ensemble der Paenitentialia simplicia lässt sich allerdings nicht verallgemeinern: Die Überlieferung der mantische Praktiken betreffenden Iudicia canonica ist im Gegenteil in der Gesamtüberlieferung frühmittelalterlicher Bußbücher vom 6./7. bis zum 9./10. Jahrhundert recht stabil.16 Dazu dürfte nicht zuletzt beigetragen haben, dass die größeren Bußbuchkompilationen des 8. Jahrhunderts die entsprechenden Bestimmungen nicht nur komplett rezipiert, sondern jeweils auch in den größeren Zusammenhang nichtchristlicher Praktiken eingeordnet haben. Allen diesen umfangreicheren Kompilationen voran geht der sogenannte Excarpsus Cummeani, eine Kompilation, die neben den Iudicia canonica und anderem Material der kirchenrechtlichen Tradition noch das Paenitentiale Columbani B, das etwas jüngere irische Paenitentiale Cummeani sowie die sogenannten Iudicia Theodori ausgeschöpft hat, die auf den griechischstämmigen Erzbischof Theodor von Canterbury zurückgehen und etwa seit Beginn des 8. Jahrhunderts in verschiedenen Versionen und Zusammenstellungen überliefert wurden. Auf diese Weise entstand ein umfangreiches und quellengeschichtlich differenziertes Bußbuch, das seine systematische Anlage wohl der in Corbie tätigen Redaktion der ältesten fränkischen Kirchenrechtssammlung, der ebenfalls systematisch angelegten Collectio Vetus Gallica, verdankt.17 16 Vgl. auch die Zusammenstellung der Belege bei Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 614 f. 17 Vgl. Ludger Körntgen, Kanonisches Recht und Bußpraxis. Zu Kontext und Funktion des Paen. Excarpsus Cummeani, in: Medieval Church Law and the Origins of the Western Legal Tradition. A Tribute to Kenneth Pennington, hg. von Wolfgang P. Müller, Mary E. Sommar, Washington, D.C. 2006, S. 17–32.

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Im Excarpsus Cummeani, der zusammen mit der Redaktion der Sammlung wohl im zweiten Viertel des 8. Jahrhunderts entstanden ist, sind die Iudicia canonica mit mantischem Bezug nicht nur mit anderen Iudicia canonica zusammengestellt, die etwa Zauberei oder die Teilnahme an heidnischen Kultfeiern ahndeten, sondern bilden den Kern eines komplexeren Titels, der in sich wiederum quellengeschichtlich geordnet ist.18 Auf das Material aus den Iudicia canonica und deren Quelle, dem Paenitentiale Columbani B, folgen einschlägige Bestimmungen, die der sogenannten U-Version der Iudicia Theodori entnommen sind; in deren Zusammenhang ist dann noch der schon in der Lex Romana Visigothorum bzw. den darauf zurückgehenden Iudicia canonica nachklingende Kanon des Konzils von Ancyra19 eingeschoben. Die Rezeption dieses Kanons belegt eine sehr differenzierte redaktionelle Arbeit, denn die daraus entstandene Bußbestimmung ist auf der Grundlage von zwei verschiedenen Versionen des Konzilskanons formuliert. Der wesentliche Textbestand des Kanons ist offensichtlich aus einer in Corbie bekannten Kanonessammlung, wahrscheinlich der Collectio Pithouensis, übernommen worden;20 dabei hat man aber nicht versäumt, für Kleriker anstelle der regulären Bußmöglichkeit explizit die Absetzung zu verlangen, und zwar mit einer Formulierung, die sich in einer anderen Version der Konzilsüberlieferung findet. Die war in die sogenannte U-Version der Iudicia Theodori aufgenommen worden, und der sorgsame Redaktor des Excarpsus Cummeani hat diese Ergänzung bemerkt und offensichtlich für so wichtig gehalten, dass er sie in den ansonsten unmittelbar aus seiner Konzilsüberlieferung genommenen Kanon eingefügt hat.21 Ob Klerikern überhaupt anstelle der Absetzung eine ähnliche Bußmöglichkeit offenstehen sollte wie den Laien, war in der gallischen Kirche des frühen Mittelalters offensichtlich umstritten; die Redaktion der Vetus Gallica hat Zeugnisse für beide konträren Positionen aufgenommen, mit dem Excarpsus Cummeani aber zugleich 18 Vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 616–618. 19 Vgl. Anm. 15. 20 Vgl. Ludger Körntgen, Der Excarpsus Cummeani, ein Bußbuch aus Corbie?, in: Scientia Veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, hg. von Oliver Münch, Thomas Zotz, Ostfildern 2004, S. 70 f. 21 Qui auguria auspiciaque siue somnia uel diuinationes quaslibet secundum morem gentium obseruant aut in domibus huiusmodi homines introducunt, in exquirendis aliqua arte maleficiis aut domos suas lustrent, isti si de clero sunt, abiciantur, si uero saeculares, confessi penitentiam quinquennio agant secundum regulas antiquitus constitutas. – Excarpsus Cummeani, VII, 16, (Text: Manuskript der Neuedition; vgl. Hermann Josef Schmitz, Die Bussbücher und das kanonische Bussverfahren, 1898, Nachdruck, Graz 1958, S. 627. Die noch nicht in neuerer Edition vorliegenden Texte werden im Folgenden nach den Editionen bei Schmitz zitiert, bei wichtigen Textverbesserungen auch nach dem jeweiligen Manuskript der vom Verfasser für CCSL 156 D–F vorbereiteten Neuedition.) Der Grundbestand des Ancyra-Kanons folgt Conc. Ancyr. c. 24 in der Isidor-vulgat-Version (Ecclesiae occidentalis [wie Anm. 15], S. 112); der Einschub isti si de clero sunt aus Iudicia Theodori U I, 15,4 (Paul Wilhelm Finsterwalder, Die Canones Theodori Cantuariensis und ihre Überlieferungsformen, Weimar 1929, S. 311). Vgl. Körntgen, Excarpsus Cummeani (wie Anm. 20), S. 59–75.

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ein Bußbuch gestaltet, das ganz selbstverständlich abgestufte Bußen nicht nur für Laien, sondern auch für die verschiedenen klerikalen Weihegrade vorsieht.22 Im Hinblick auf Wahrsagerei und Zauberei hat man also offensichtlich ganz überlegt die normale Buße für Kleriker ausgeschlossen und mit der Version der Iudicia Theodori die härtere Sanktion der Absetzung vorgesehen. Daraus darf man wohl schließen, dass die Redaktion des Excarpsus Cummeani Mantik und Zauberei eine besondere Bedeutung zugemessen und die überlieferten Bestimmungen nicht bloß als Element einer literarisch vorgegebenen Tradition weitergegeben hat. Offensichtlich hat man Zauber- und Wahrsagepraktiken als spezifisch nichtchristliche Praktiken identifiziert und deshalb deren Ausübung durch Kleriker mit besonderem Nachdruck sanktioniert. Eine solche Qualifikation mantischer Praktiken als nichtchristliche Praktiken lässt sich im Excarpsus Cummeani schon durch die Subsumierung unter einen Titel fassen, der verschiedene magische Praktiken und nichtchristliche Kultpraktiken zusammenstellt.23 In den Iudicia canonica waren die entsprechenden Bestimmungen noch je für sich in nur relativer, nicht konsequent ausgestalteter sachlicher Anordnung aufgeführt worden.24 In ähnlicher Weise hat auch die U-Version der Iudicia Theodori den Ancyra-Kanon zur Wahrsagerei in einen Kontext magischer Praktiken gestellt, die vor allem der Abwehr von Unheil galten, aber auch der Teilnahme an heidnischen Kultmählern.25 Auch das unabhängig vom Excarpsus Cummeani noch im 8. Jahrhundert entstandene Paenitentiale Sangallense tripartitum hat die mantischen Bestimmungen der Iudicia canonica rezipiert. Das Bußbuch bietet das Material aus Iudicia canonica, Iudicia Theodori und Iudicia Cummeani in drei Quellenblöcken; dabei sind die mantischen Bestimmungen der Iudicia canonica unter der Rubrik De maleficis mit Bestimmungen zu Schadenszauber und anderen magischen Praktiken sowie zur Teilnahme an heidnischen Kultmählern zusammengestellt; aber auch Bestimmungen zu Brandstiftung, Grabraub, Abtreibung und Selbstverstümmelung folgen noch ohne eine erneute Rubrizierung.26 Ein systematisierender Zugriff der Redaktion zeigt sich darin, dass die Rubrik De maleficis auch im zweiten Quellenblock mit den Iudicia Theodori begegnet; subsumiert sind darunter einzelne magische Praktiken, aber auch Verstöße gegen kultische Reinheitsvorstellungen 22 Vgl. Körntgen, Kanonisches Recht und Bußpraxis (wie Anm. 17), S. 22–29. 23 DE MALEFICIS, VENEFICIS, SACRILEGIS, ARIOLIS, SORTILEGIS, DIVINIS ET VOTA REDDENTES, NISI AD ECCLESIAM ET QUOD IN CALENDIS IANUARII CERVULUS VEL VETULA DICUNT ET MATIMATICOS ET EMISSORES TEMPESTATUM. – ­Rubrik zum Excarpsus Cummeani VII, (Text: Ms. der Neuedition [wie Anm. 21]; vgl. Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 626.) 24 Vgl. die Nachweise in Anm. 12 f. 25 Excarpsus Cummeani 7, 11–15.17 aus Iucidia Theodori U II, 10,5 und U I, 15,4; 15,1–3 und 15,5. 26 Paen. Sangallense tripartitum I, 19–29 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 181); Rob Meens, Het tripartite boeteboek. Overlevering en betekenis van vroegmiddeleeuwse biechtvoorschriften (= Middeleeuwse Studies en Bronnen, Bd. 41), Hilversum 1994, S. 332–334.

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und Speiseverbote.27 Intensivierte kirchenrechtliche Interessen der frühen karolingischen Reformen dürften sich in einer umfangreicheren Kompilation niedergeschlagen haben, die in der Forschung unter dem in der Überlieferung eigentlich nur den Einsatz des Blocks mit den Bußbestimmungen markierenden Namen Capitula iudiciorum angesprochen wird.28 Der Kompilator hat das ohnehin ja weitgehend aus den gleichen Quellen geschöpfte Material des Excarpsus Cummeani und des Sangallense tripartitum in systematischer Ordnung zusammengestellt und sich um ein detailliertes Inskribieren der Quellen bemüht. Interessanterweise ist dabei immer wieder auch der Wortlaut der jeweils parallelen Bestimmungen von Excarpsus Cummeani und Sangallense tripartitum ineinander verwoben worden, wobei sich häufig eher stilistische als inhaltliche Akzentuierungen erkennen lassen.29 Im Hinblick auf die Einordnung der Bestimmungen zu mantischen Praktiken ist besonders interessant, dass die Capitula iudiciorum in zwei Rezensionen überliefert sind, die sich im Wesentlichen durch die systematische Ordnung unterscheiden. Die zweite Rezension weist eine kleinteilige Gliederung in 35 Kapitel auf, die durch eine vorangestellte Capitulatio erschlossen wird.30 Die erste Rezension bietet keine solche übergreifende Capitulatio für den gesamten Text, sondern fasst die einzelnen Kapitelrubriken zu kleineren Gruppen zusammen, die jeweils dem Text der bezeichneten Kapitel vorangestellt sind. Dabei erscheint es aufschlussreich, dass die Bestimmungen zum Mantikkomplex auch auf der Ebene der 35 Einzelrubriken nicht durch eine spezielle Rubrik bezeichnet werden, sondern durch die selbst schon mehrteilige Rubrik De maleficis, veneficis, sortilogis, ariolis vel divinis.31 Zustande gekommen ist diese Rubrik zum Kapitel 16 der Capitula iudiciorum offensichtlich durch die Zerlegung der komplexeren Kapitelrubrik zum siebten Kapitel des Excarpsus Cummeani, der sich auch die drei folgenden Kapitelrubriken der Capitula iudiciorum verdanken.32 Dieser Zusammenhang wird noch deutlicher in der älteren Rezension der Capitula, denn in dieser sind die vier Kapitelrubriken, die auf die Rubrik zum Kapitel sieben des Excarpsus zurückgehen, in der ursprünglichen Abfolge dem im Wesentlichen aus dem 27 Paen. Sangallense tripartitum, II, 34–38 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 184); Meens, Het tripartite boeteboek (wie Anm. 26), S. 340–342. Ob die Rubrik auch im Quellenblock zu den abschließend aufgeführten Iudicia Cummeani vorgesehen war, lässt sich nicht eindeutig feststellen, da die einzige überlieferte Handschrift des Bußbuches am Ende unvollständig ist. 28 Zu den Capitula iudiciorum vgl. grundlegend Letha Mahadevan, Überlieferung und Verbreitung des Bußbuchs „Capitula iudiciorum“, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 72 (1986), S. 17–75; Meens, Het tripartite boeteboek (wie Anm. 26), S. 138–176. 29 Vgl. aber grundsätzlich Meens, Het tripartite boeteboek (wie Anm. 26), S. 560–563 bzw. S. 569–572 (engl. Summary) zur Deutung und Akzentsetzung der Kompilatoren der quellengeschichtlich komplexeren Bußbücher durch Auswahl, Glossierung und Anordnung des tradierten Materials sowie durch leichte Eingriffe in den Wortlaut. 30 Diese Rezension ist ediert bei Schmitz, Bussbücher (wie Anm. 21), S. 217–251. 31 Capitula iudiciorum XVI, Rubrik (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 236). 32 Vgl. Anm. 23 bzw. die Rubriken zu Capitula iudiciorum XVII–XIX (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 237 f.).

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Excarpsus geschöpften Material der Bußbestimmungen vorangestellt, sodass sich insgesamt Textbefund und Gliederung der älteren Kompilation in den Capitula iudiciorum noch abbilden. Die kleinteiligere Gliederung der zweiten Rezension der Capitula iudiciorum bleibt demgegenüber äußerlich: Ein Versuch zur tiefergehenden Systematisierung des Stoffes nach inhaltlichen Kriterien ist darin nicht zu erkennen. Eine grundsätzliche begriffliche Unterscheidung der mantischen Praktiken ist offenbar nicht vorgenommen worden. Es bleibt vielmehr bei der Einordnung in einen Zusammenhang, der verschiedene offensichtlich als pagan bzw. nichtchristlich verstandene Praktiken umfasst. In dieser Rubrizierung, die letztlich auf den Excarpsus Cummeani zurückgeht, begegnet der theologisch besonders profilierte Begriff des Sakrilegs als Einzelrubrik; das entspricht dem Befund der Iudicia canonica, die zwei Praktiken als sacrilegium bezeichnen: zum einen die am Vogelflug oder in anderer Weise vorgenommene Vorzeichendeutung, zum anderen das nicht in der Kirche, sondern an paganen Kultorten in der Natur abgelegte bzw. eingelöste Votum. Solche Praktiken werden schon bei Caesarius von Arles gleichweise als nichtchristlich verurteilt und mit dem Sakrilegbegriff belegt;33 die Ausübung der Vogelschau war, wie schon angesprochen, in der Lex Romana Visigothorum mit der Todesstrafe belegt.34 Wohl noch in der Mitte des 8. Jahrhunderts ist ein Bußbuch entstanden, das die meisten Bestimmungen der Iudicia canonica und der Iudicia Theodori zu mantischen und anderen nichtchristlichen Praktiken unter der Rubrik De sacrilegio anführt, aber die im Excarpsus Cummeani damit verbundenen Bestimmungen zu Schadens- und Wetterzauber unter der eigenen Rubrik De maleficio davon trennt.35 Diese Kompilation ist nicht überliefert, aber noch als Vorlage des sogenannten Paenitentiale Pseudo-Romanum36 und anderer Kompilationen des späten 8. oder frühen 9. Jahrhunderts nachzuweisen.37 Besondere Nachwirkung hat vor allem das Paenitentiale PseudoRomanum erlangt, das Bischof Halitgar von Cambrai als sechstes Buch in sein Paenitentiale aufgenommen hat. Halitgars Bußbuch wollte die Kritik karolingischer Reformer an der mangelnden Fundierung der tradierten Bußbücher in der kirchlichen Autorität 33 […] ut nullus auguria observet, nullus praecantatores adhibeat, nullus caraios vel divinos inquirat, nullus paganorum sacrilego more consideret qua die in itinere egrediatur[…]. – Caesarius von Arles, Sermo 1, (Sancti Caesarii Arelatensis Sermones, ed. von Germain Morin [= CCSL, Bd. 103], Turnhout 1953, S. 8 f.). Audivimus aliquos ex vobis ad arbores vota reddere, ad fontes orare, auguria diabolica observare: […] Sunt enim, quod peius est, infelices et miseri, qui paganorum fana non solum destruere nolunt, sed etiam quae destructa fuerant aedificare nec metuunt nec erubescunt […] et eis, qui aliqua sacrilegia commiserunt, inspirare dignabitur, ut festinent agere paenitentiam […]. – Sermo 53: (ebd., S. 233, 235). 34 Vgl. Anm. 15. 35 Vgl. Paen. Ps.-Romanum = Paen. Halitgarii, l. VI, 31–44 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 296 f.). 36 Auf dessen Überlieferung der Sakrilegs-Rubrizierung als späten Beleg für das Glaubenssakrileg „zu einer Zeit, als“ die „Bedeutung“ des Sakrilegbegriffs „wieder gegenständlicher wurde“, weist nachdrücklich Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 618 f., hin (Zitat S. 618). 37 Vgl. Körntgen, Studien (wie Anm. 9), S. 218–234.

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berücksichtigen und stellte deshalb außer theologisch-paränetischem Material, das die beiden ersten Bücher ausfüllte, in den Büchern 3–5 Konzilsbestimmungen und päpstliche Dekretalen zusammen, die für die Bußpraxis relevant waren, ohne aber selbst schon konkrete Bußauflagen für die einzelnen Delikte zu bieten. Eine solche praktische Umsetzung sollte Priestern und Bischöfen überlassen bleiben; für diejenigen, die dazu nicht in der Lage waren, fügte Halitgar gewissermaßen als „Notbehelf “ das Pseudo-Romanum offensichtlich ohne eigene Eingriffe als sechstes Buch an, dem er mit der offenkundig unzutreffenden Behauptung, es stamme aus dem Archiv der römischen Kirche, eine von den Reformern akzeptierte Autorität verschaffen wollte.38 Vor allem im italischen Raum wirkte auch das noch in drei Handschriften, die zwei verschiedene Rezensionen belegen, überlieferte Paenitentiale in II libris nach, das wahrscheinlich um die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert entstanden ist.39 Diese Kompilation besteht aus zwei Büchern, die jeweils weitgehend verschiedenen Vorlagen folgen: Das erste dem auch im Paenitentiale Pseudo-Romanum zu greifenden fränkischen Bußbuch, das zweite dem Excarpsus Cummeani. Kapitel VIII des ersten Buches bietet deshalb unter der Rubrik De Sacrilegium weitgehend das auch im Pseudo-Romanum zu findende Material;40 wohl mit Rücksicht darauf hat die Redaktion des Bußbuches darauf verzichtet, in das zweite Buch das entsprechende Material des Excarpsus Cummeani aufzunehmen. Nur im Paenitentiale in II libris ist im Iudicium canonicum die Benennung von Wahrsagern als divini durch den Terminus phitones (=pythones) ergänzt, der sich in der Vulgata-Version von Deuteronomium 18,11 findet.41 Möglicherweise wollte der Redaktor an dieser Stelle nur seine Bibelfestigkeit unter Beweis stellen; dass er ausgerechnet eine Bestimmung über die Wahrsagerei dafür nutzte, mag doch darauf hindeuten, dass ihm die Auseinandersetzung mit Wahrsagepraktiken wichtig erschien. Unabhängig von anderen komplexeren Kompilationen hat auch das wohl noch vor Ende des 8. Jahrhunderts ebenfalls im Frankenreich entstandene, grundsätzlich quellengeschichtlich geordnete Paenitentiale Merseburgense a alle bisher behandelten einschlägigen Bestimmungen der Iudicia canonica rezipiert.42 Interessanterweise hat die noch in zwei Handschriften überlieferte, etwas jüngere Rezension des Bußbuches bei 38 Vgl. Körntgen, Studien (wie Anm. 9), S. 244 f. 39 Vgl. Körntgen, Studien (wie Anm. 9), S. 206–216; Paen. Italiae Saeculi XI–XII, ed. von Adrian Gaastra (= CCSL, Bd. 156 C), Turnhout 2016, S. XXXVII–XLII. 40 Paen. II libris I,8 (wie Anm. 39), S. 138 f. 41 Si quis ariolus quos diuinos aut phitones uocauit […]. – Paen. II libris I,9,3, (Paen. Italiae, S. 138). Ne incantator ne pythones consulat ne divinos et quaerat a mortuis veritatem. – vgl. Deuteronomium 18, 11. Dieser Bibelvers wird auch in einem Teil der Überlieferung der Admonitio generalis, c. 64 (Die Admonitio generalis Karl des Großen, hg. von Hubert Mordek, Klaus ZechielEckes und Michael Glatthaar [= MGH Fontes iuris, Bd. 16], Hannover 2012, S. 216), mit der Wortform phitones statt pythones zitiert, doch dürfte hier, wie schon der kritische Apparat zum Admonitio-Kapitel zeigt, eine häufige Varianz vorliegen, die keine Abhängigkeit anzeigt. 42 Vgl. Körntgen, Studien (wie Anm. 9), S. 233 f.; Paen. minora (wie Anm. 7), S. 25–27.

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fast allen dieser Bestimmungen die expliziten Qualifizierungen der Delikte als Sakrileg oder als dämonisch bzw. die Hinweise auf deren paganen Ursprung übergangen; nur die inkriminierten Kulthandlungen zu den Kalenden des Januar werden in dieser Rezension ausführlich als Hinterlassenschaft paganer Praxis identifiziert. Eine der beiden Handschriften setzt noch eine vor oder an den Kalenden des Mai praktizierte Kultfeier hinzu, die in keinem anderen Bußbuch erwähnt wird.43 Eigenständiger als die bisher berücksichtigten umfangreicheren Kompilationen des 8. und frühen 9. Jahrhunderts, die das gemeinsame Quellenmaterial, also für die Bestimmungen zu nichtchristlichen Praktiken im Wesentlichen Iudicia canonica und Iudicia Theodori, in nur geringfügig redigierten Versionen überliefern, präsentieren sich die den Angelsachsen Beda Venerabilis (gest. 735) und Egbert von York (gest. 766) zugeschriebenen Bußbücher. Auch diese Überlieferungen, die sich von den beiden kleineren, noch in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts entstandenen Paenitentialia Pseudo-Bedae bzw. Pseudo-Egberti über verschiedene Stufen der Kombination bis zum komplexen, systematisch gegliederten Paenitentiale mixtum Pseudo-Bede-Egberti aus dem letzten Drittel des 9. Jahrhunderts entwickelt haben, gehen auf den gemeinsamen Quellenstoff der Iudicia canonica, Iudicia Theodori und Iudicia Cummeani zurück, bieten die einzelnen Bestimmungen aber in jeweils mehr oder weniger deutlich von den Quellen abweichender Textgestalt. Das Paenitentiale Pseudo-Bedae ist sicher nicht angelsächsischer Herkunft, sondern dürfte in einem angelsächsisch beeinflussten deutschen Kloster, wahrscheinlich Lorsch, kompiliert worden sein.44 Das Bußbuch bietet nur eine Bestimmung zur Mantik, die aus den Iudicia Theodori U übernommen worden ist, sowie im unmittelbaren Anschluss eine Bestimmung zur Tötung durch magische Kräfte, besonders durch einen Gifttrunk.45 Durch diesen Zusammenhang mag sich erklären, dass beide Bestimmungen in die Reihe der Tötungsdelikte eingeordnet worden sind, und das wahrscheinlich nicht schon auf der ältesten Textstufe, die durch die wohl um das Jahr 800 im Rhein43 Paen. Mers. a, cc. 22, 23, 26, 27, 32 und 34 sowie die synoptisch abgedruckten Bestimmungen der jüngeren Rezension (Paen. minora [wie Anm. 7], S. 132–136). 44 Vgl. Reinhold Haggenmüller, Die Überlieferung der Beda und Egbert zugeschriebenen Bußbücher, Frankfurt a. M. 1991, S. 298; Meens, Penance (wie Anm. 7), S. 96. 45 Mulier si divinationes fecerit vel incantationes diabolicas, annum I vel III XLmas vel XL dies iuxta qualitatem culpae. Mulier si per maleficio suo aliquem perdiderit per poculum aut per artem aliquam, VII annos vel plus ut iudicaverit sacerdos. – Paen. Ps.-Bedae II,11c, (Text nach Haggenmüller, Überlieferung [wie Anm. 44], S. 306; der Text fehlt in der Edition des Bußbuches bei Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 657, entsprechend der handschriftlichen Grundlage. Dazu unten bei Anm. 54). Der erste Satz folgt Iudicia Theodori U I, 15,4, setzt aber ebenso wie Excarpsus Cummeani VII,12 die Qualifikation als diabolische Handlung zu den Anrufungen und nicht, wie alle erhaltenen Überlieferungen der Quelle, zur Wahrsagerei (incantationes vel divinationes diabolicas fecerit, Finsterwalder, Canones Theodori Cantuariensis [wie Anm. 21], S. 311), was wohl auch weniger sinnvoll war. Da sich im Übrigen eine Beeinflussung des Paen. Ps. Bedae durch den Excarpsus Cummeani nicht nachweisen lässt, mag es sich dabei um eine durch die Sache bedingte, zufällige Parallelität handeln.

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Main-Raum entstandene Handschrift Wien, ÖNB, Cod. Lat. 2223 bezeugt wird, aber als Zusatz einer nur wenig jüngeren, von den drei übrigen erhaltenen Handschriften bezeugten Textfassung.46 Das deutet darauf hin, dass schon den ersten Rezipienten des Bußbuches solche Sakrilegbestimmungen als Desiderat aufgefallen sind, dem man durch Rückgriff auf eine ansonsten nicht weiter beachtete ältere Bußbuchüberlieferung abhelfen wollte. Dabei wurden auch offensichtlich bewusst die mantischen und magischen Praktiken als für Frauen typisch identifiziert und deshalb im Anschluss an eine Bußbestimmung eingefügt, die mit der Abtreibung ein speziell mit Frauen verbundenes Tötungsdelikt zum Gegenstand hatte.47 Interessanterweise finden sich die beiden im Paenitentiale Pseudo-Bedae ergänzten Bestimmungen auch im Paenitentiale Pseudo-Egberti48, und zwar unter der Rubrik De machina mulierum, der neben Bestimmungen zur kultisch bedingten sexuellen Enthaltsamkeit spezielle bußwürdige Delikte von Frauen aus jeweils verschiedenem thematischen Kontext zugeordnet sind.49 Wahrscheinlich ist diese Kombination von divinatio, incantatio und maleficium sogar dem unter Bedas Namen firmierenden Bußbuch entnommen; dafür spricht zum einen, dass die Formulierung bei Pseudo-Beda den beiden Quellen, Iudicia canonica und Iudicia Theodori U, näher steht als die von Pseudo-Egbert gebotene. Zum anderen ist von Bedeutung, dass sich im Egbert zugeschriebenen Paenitentiale noch zwei weitere Bestimmungen zur Divinatio finden. Das deutet darauf hin, dass der Kompilator ähnliches Material aus verschiedenen Vorlagen rezipiert hat. Unmittelbar einer Überlieferung von Iudicia canonica dürfte die Bestimmung entnommen sein, die gemeinsam mit einer aus gleichem Quellenkontext stammenden Bestimmung zum Wetterzauber unter der Sammelrubrik De cupiditate ceterisque flagitiis geboten wird.50 Ein dritter Beleg für divinationes begegnet schließlich in einer komplexen, zum Teil ebenfalls auf die Iudicia canonica zurückgehenden Bestimmung, die das ganz dem Sakrilegthema gewidmete Kapitel VIII eröffnet.51 Dieses Kapitel steht sogar unter der Rubrik De auguriis vel divinationibus, enthält aber, wie ja schon für den Kontext der 46 Vgl. Haggenmüller, Überlieferung [wie Anm. 44], S. 145–147; Beschreibung der Handschrift ebd. S. 114 f. 47 Paen. Ps.-Bedae II,11A–D (Haggenmüller, Überlieferung [wie Anm. 44], S. 306). 48 Paen. Ps.-Egberti VII, 6/7 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 667). Nicht zuletzt mit Rücksicht auf die hier zu diskutierenden quellengeschichtlichen Verbindungen zur fränkischen Tradition der Bußbücher verstehe ich die Zuweisung an Egbert von York weiterhin als pseudepigrafisch; die Argumente für eine Verfasserschaft Egberts sichtet Meens, Het tripartite boeteboek (wie Anm. 26), S. 55–57 und Ders., Penance (wie Anm. 7), S. 96–100, ohne eine Entscheidung zu treffen. 49 Paen. Ps.-Egberti, VII,1–10 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 667). 50 Augurias vel divinationes, V annos peniteant. Emissores tempestatum VII annos peniteant. – Paen. Ps.-Egberti IV, 13/14, (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 664). 51 Paen. Ps.-Egberti VIII, 1 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 667). Zu Paen. Ps.-Egberti VIII, 1 und 4 vgl. Paen. Burgundense c. 24, 25, 28, 29 und 34; VIII, 2 geht auf Iudicia Theodori U I,15,2 zurück. Nur für VIII,3, das ein Abwehrritual bei Mondfinsternis beschreibt, lässt sich keine Quelle aus dem Bereich der älteren Bußbücher finden, aber eine mögliche Vorlage in Ser-

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Iudicia canonica typisch, auch eine Reihe von Bestimmungen zu anderen Praktiken, die auf pagane Kulte zurückgingen, wie die Teilnahme an Opferfesten und anderen kultischen Feiern sowie magische Praktiken. Michael Glatthaar machte nachdrücklich darauf aufmerksam, dass die erste, den verschiedenen Wahrsagepraktiken gewidmete Bestimmung, und die letzte, die der Ablegung von Gelübden und der Darbringung von Votivgaben an paganen Kultstätten wie Bäumen oder Gattern gilt, nicht nur in der Tradition der von Caesarius von Arles beeinflussten Iudicia canonica stehen, sondern weit über diese hinaus selbständig aus den einschlägigen Predigten des Caesarius schöpfen.52 Auf diesen geht, wie Glatthaar nachweisen kann, auch die Einbeziehung des Sakrilegs in die Liste der Kapitalsünden zurück, die das erste Kapitel des Bußbuches bietet. Entsprechend einer in der frühmittelalterlichen Überlieferung verbreiteten Pseudepigrafie nimmt das Bußbuch allerdings den Kirchenvater Augustinus als Urheber dieser Erweiterung der Kapitalsünden in Anspruch, berücksichtigt allerdings zugleich die in Isidors Etymologien zu findende Definition des gegenständlichen Sakrilegbegriffs, der den Diebstahl sakraler Gegenstände zum Inhalt hat.53 Der andere, idolatrische Begriffsinhalt wird in einem der beiden Zweige der handschriftlichen Überlieferung des Bußbuches als Ausübung von Vorzeichendeutung und anderen Praktiken, im anderen als Teilnahme am paganen Opferkult und Vorzeichendeutung konkretisiert.54 Man wird diese Übereinstimmung zwischen der Einfügung des Sakrilegs in der Liste der Kapitalsünden im ersten und den auf Caesarius zurückgehenden Sakrilegbestimmungen im achten Kapitel des Bußbuches nicht zuletzt als Beleg dafür werten können, dass das Paenitentiale Pseudo-Egberti insgesamt deutlich von gallisch-fränkischen Traditionen geprägt ist und sich solche Einflüsse nicht auf sekundäre, in der handschriftlichen Tradition ohnehin nicht nachweisbare Interpolationen in einen ansonsten angelsächsisch geprägten Text zurückführen lassen.55 Glatthaar deutet diese Verbindung von insularen und fränkischen Traditionen und dabei vor allem den intensiven, selbständigen und über die ursprünglichen Iudicia canonica und ihre fränkischen Rezeptionen hinausgehenden Rückgriff auf Stellungnahmen des Caesarius zum Sakrileg als Nachwirkung des im fränkischen Kontext wirkenden Angelsachsen Bonifatius, dessen besonderes Interesse an den Predigten des Caesarius belegt ist. Das Paenitenmo 13 des Caesarius von Arles, vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 628 f. mit Verweis auf eine Parallele im möglicherweise bonifatianischen Indiculus superstitionum. 52 Vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 628–632. 53 Die dabei zitierte Definition der beiden Sakrilegbegriffe verdankt sich allerdings nicht dem Kirchenvater Augustinus, sondern ist aus den Etymologien des Isidor von Sevilla (V, 26,12) geschöpft, vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 631. 54 […] et Augustinus adiecit sacrilegium, id est sacrarum rerum furtum, et hoc maximum est furtum, uel idolothitis seruientem, id est auspiciis et reliqua / qui immolant demonibus et auspiciis colunt […]. – Paen. Ps.-Egberti, (Text: Ms. der Neuedition [wie Anm. 21]; vgl. Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 663). 55 Vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 628 f.

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tiale Pseudo-Egberti könnte demzufolge im Schülerkreis des Bonifatius in einem der von diesem begründeten Klöster entstanden sein;56 auch wenn man diese These akzeptiert, lässt sich allerdings das besondere Interesse am idolatrisch definierten Sakrileg nicht, wie von Glatthaar ausgeführt, vornehmlich in der missionarischen Praxis der Angelsachsen im Frankenreich kontextualisieren. Dagegen spricht vor allem die schon demonstrierte Vielfalt kompilatorischer Bemühungen, die in der zweiten Hälfte des 8. und am Beginn des 9. Jahrhunderts im Frankenreich zu verzeichnen sind und die jeweils nicht nur die einschlägigen Bestimmungen aus Iudicia canonica und Iudicia Theodori rezipiert, sondern immer wieder auch unter entsprechenden Rubriken zusammengestellt haben.57 Auch die Paenitentialia Pseudo-Bedae und Pseudo-Egberti haben ihre besondere Wirkung, die noch von insgesamt 68 Überlieferungszeugen aus dem ganzen Karolingerreich belegt wird,58 nicht vornehmlich im Kontext des bonifatianisch-angelsächsischen Mönchtums auf dem Kontinent erfahren. Weitergewirkt haben diese Bußbücher vielmehr in der gemeinsamen und in verschiedenen Stufen redigierten Überlieferung als Paenitentialia Pseudo-Bedae-Egberti, die wie viele andere Bußbuchüberlieferungen des 8. und 9. Jahrhunderts ihren Ausgang jeweils nicht vom bonifatianisch beeinflussten deutschen, sondern vom nordostfranzösischen Raum genommen hat.59 In diesem Raum ist wohl auch eine Sonderform der fränkischen Bußbücher entstanden, die ganz auf den praktischen Kontext von Bekenntnis des Sünders und Bußerteilung durch den Priester ausgerichtet war. Im Hinblick auf diese konkrete Situation sind auf der Grundlage der älteren Bußbuchüberlieferung Listen von Fragen angelegt worden, die den zum Sündenbekenntnis kommenden Menschen durch den Priester gestellt werden sollten. Ein solches Bußbuch in Frageform ist offensichtlich aus einer unbekannten Vorlage in den Bußordo der sekundären Überlieferungsgruppe des Paenitentiale mixtum PseudoBedae-Egberti inseriert worden; das Frageschema war also wohl älter als diese jüngste Überlieferungsstufe der Paenitentiale Pseudo-Bedae-Egberti, vielleicht war es etwa in der Mitte des 9. Jahrhunderts entstanden.60 Auch dieses Bußbuch bietet einzelne der bekannten Iudicia canonica zu mantischen Praktiken im idolatrischen Kontext;61 dabei 56 Vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 626–632, mit Kritik an der von Haggenmüller, Überlieferung (wie Anm. 44), S. 194 f. sowie Ders., Frühmittelalterliche Bußbücher – Paenitentialien – und das Kloster Lorsch, in: Geschichtsblätter Kreis Bergstraße, 25 (1992), S. 1–30, hier S. 116–119, vertretenen These einer Entstehung des Paen. Ps.-Egberti in Lorsch. 57 Vgl. 23–37. 58 Vgl. Haggenmüller, Überlieferung (wie Anm. 44), S. 298. 59 Vgl. Haggenmüller, Überlieferung (wie Anm. 44), S. 297 f.; Ludger Körntgen, Bußbuch und Bußpraxis in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, in: Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900, hg. von Wilfried Hartmann (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, Bd. 69), München 2007, S. 207–211. 60 Vgl. Körntgen, Bußbuch und Bußpraxis (wie Anm. 59), S. 212 f. 61 Das Frageschema ist im Rahmen des Ordo zum Paen. mixtum ediert bei Schmitz, Bussbücher (wie Anm. 21), S. 681–683. Von den insgesamt 35 Bußfragen entsprechen die Fragen 18 und 33 jeweils weitgehend Paen. Burgundense c. 25/29 bzw. c. 34; vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie

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wird offenkundig vorausgesetzt, dass die seit der Spätantike tradierten Begriffe und beschriebenen Praktiken in pastoralen Situationen des 9. Jahrhunderts nicht nur verstehbar, sondern auch relevant waren. Mit ganz anderen Mitteln haben wohl auch die Kompilatoren des Paenitentiale Pseudo-Theodori aktuelle Relevanz für das tradierte Material zu sichern gesucht. Diese besonders umfangreiche Kompilation, die etwa im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts wiederum im nordostfranzösischen Raum entstanden sein dürfte, verdankt ihre irritierende Zuschreibung an Theodor von Canterbury, auf den ja tatsächlich verschiedene Bußbuchüberlieferungen zurückgehen, dem neuzeitlichen Missverständnis einer späten englischen Überlieferung.62 Die Kompilatoren dieses Bußbuchs haben das verfügbare Quellenmaterial nicht nur in weitgehend konkurrenzloser Vollständigkeit zusammengestellt, sondern sich offenkundig auch darum bemüht, durch Auswahl und geschickte Bearbeitung der Quellen ein umfassendes, weitgehend widerspruchsfreies und insgesamt durch Stringenz und Klarheit überzeugendes Handbuch für die Bußpraxis zu schaffen.63 Der auffallende Verzicht auf die Benennung der ohnehin nur wenigen namhaft zu machenden Autoritäten hinter den überlieferten Bußbestimmungen64 lässt sich durchaus als Versuch verstehen, die kritischen Fragen karolingischer Reformer nach der Herkunft der tradierten Bußbücher durch die Vollständigkeit und Klarheit der vorgelegten Kompilation zu unterlaufen. Umso bemerkenswerter erscheint es für die hier verfolgte Fragestellung, dass auch die von offenkundig besonderem Problembewusstsein geleiteten Kompilatoren des Paenitentiale Pseudo-Theodori das zugängliche Material zu mantischen Praktiken sorgsam zusammengestellt haben, und zwar wie ihre Vorgänger im Zusammenhang mit anderen als Sakrileg verurteilten nichtchristlichen Praktiken.65 Die Kapitelrubrik zum entsprechenden Kapitel XXI bietet allerdings keinen Oberbegriff, sondern nach dem Vorbild der älteren Kompilationen wie etwa dem Excarpsus Cummeani eine Auflistung von zentralen Begriffen aus den einzelnen Bestimmungen;66 der Sakrilegbegriff steht in dieser Auflistung wohl nur für die Bestimmung zur Zukunftsdeutung durch Vogelschau, die im entsprechenden Iudicium canonicum als sacrilegium bezeichnet ist. Anm. 3), S. 622 f. Die ebd. S. 625 vorgetragene Überlegung, dass „bonifatianischer Ureinfluß auf die Formulierung des Beichtspiegels … durchaus möglich (sei)“, lässt sich durch Glatthaars Verweis auf die Rezeption des Frageschemas im zumeist für Mainz in Anspruch genommenen Pontifikale Romano-Germanicum (vgl. ebd.) allerdings nicht erhärten. 62 Vgl. Paen. Ps.-Theodori, ed. von Carine van Rhijn (= CCSL 156 B), Turnhout 2009, S. IX–XIV. 63 Vgl. Paen. Ps.-Theodori (wie Anm. 62), S. XVII–XXXII. 64 Vgl. Paen. Ps.-Theodori (wie Anm. 62), S. XXI f. 65 Vgl. Paen. Ps.-Theodori XXI (wie Anm. 62), S. 58–63. Vgl. Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 619–621. 66 De idolatria et sacrilegio et qui angelos colunt et de maleficis, veneficis, ariolis, sortilogis, divinis et vota reddentibus et qui kalenidis ianuarii in cervulo et vitula vadit et mathematicis et emissoribus tempestatum. – Paen. Ps.-Theodori, Kapitelrubrik zu Kapitel XXI, (wie Anm. 62), S. 58; vgl. auch Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 619.

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Das Quellenmaterial für Kapitel XXI hat der Kompilator weitgehend aus dem Excarpsus Cummeani geschöpft, am Ende aber die spezifischen Bestimmungen des Paenitentiale Pseudo-Egberti ergänzt, die sich in keinem anderen Bußbuch finden. Auch für die Bestimmungen zu Idolatrie und Mantik bleibt es aber nicht beim Bestreben nach umfassender Sammlung des tradierten Materials ohne konkreten Wirklichkeitsbezug.67 Der Kompilator hat das vorliegende Material vielmehr sehr differenziert bearbeitet, offenbar um größere Klarheit und Eindeutigkeit zu erreichen.68 Als einziges Bußbuch bietet das Paenitentiale Pseudo-Theodori etwa eine Erläuterung zu den Ritualen an den Kalenden des Januar, die in den Iudicia canonica und deren Rezeptionen als in ceruulo aut vetula uadere69 beschrieben werden. Die Pseudo-Theodor-Redaktion erläutert dazu konkret, dass es sich um die Bekleidung mit Tierfellen und Tierköpfen und insgesamt um die Verwandlung in Tiergestalten handelt. Offenbar wurde vorausgesetzt, dass die kurze Angabe der wohl noch aus dem frühen 7. Jahrhundert stammenden Quelle im frühen 9. Jahrhundert nicht mehr ohne Weiteres eindeutig verstanden werden konnte. Das bedeutet allerdings nicht, dass die damit bezeichneten Rituale nicht mehr praktiziert worden wären, denn immerhin konnte die Redaktion des Bußbuches sehr konkret beschreiben, was mit der tradierten Beschreibung gemeint war. Das dürfte auch dafür sprechen, dass die alte Bestimmung der Iudicia canonica, die letztlich Verhältnisse aus der Frühzeit der fränkischen Kirche in einem noch von spätrömischer paganer Religiosität beeinflussten Umfeld spiegelt, nicht einfach nur der Vollständigkeit halber im Bußbuch des frühen 9. Jahrhunderts wiedergegeben wurde. Den Redaktoren ging es jedenfalls darum, die Bestimmung zwar weitgehend in der tradierten Gestalt wiederzugeben, aber zugleich auch ihre Verstehbarkeit zu sichern. Das lässt sich wohl auch als Beleg dafür nehmen, dass es den Kompilatoren und Redaktoren des Paenitentiale Pseudo-Theodori nicht darum gegangen war, in gleichsam akademischem Interesse die gesamte erreichbare Bußbuchtradition zu dokumentieren, sondern darum, ein für die Adressaten der Kompilation im frühen 9. Jahrhundert verständliches und für die Praxis der Buße nutzbares Handbuch zu schaffen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der schon von der Redaktion des Excarpsus Cummeani sehr sorgfältig aus den unterschiedlichen vorliegenden Traditionen redigierte grundlegende Kanon des Konzils von Ancyra im Paenitentiale Pseudo-Theodori weitgehend durch die für den karolingischen Reformkontext aktuelle Version der Dionysio-Hadriana ersetzt worden ist;70 dabei hat man 67 So das Urteil bei Harmening, Superstitio (wie Anm. 1), S. 72 und S. 318; vgl. die kritische Diskussion bei Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 437 f. 68 Zu den Arbeitsweisen und erkennbaren Intentionen des Kompilators grundsätzlich vgl. Anm. 63. 69 Si quis in Kalendis Ianuarii in ceruulo aut uitula uadit, id est in ferarum habitu se commutant et uestiuntur pellibus pecudum, adsumunt capita bestiarum, qui uero taliter in ferinas species se transformat, III annos peniteat quia hoc demonicum est – Paen. Ps.-Theodori, XXI,19, (wie Anm. 62), S. 62. Zu diesen Bestimmungen vgl. auch Glatthaar, Bonifatius (wie Anm. 3), S. 614 mit Anm. 5. 70 Vgl. Paen. Ps.-Theodori, XXI,17, (wie Anm. 62), S. 61. Zur Bevorzugung der Dionysio-Hadriana durch die Redaktion des Paen. Ps.-Theodori vgl. grundsätzlich Paen. Ps.-Theodori (wie Anm. 62), S. XXII.

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aber die schon vom Excarpsus aus der bei Theodori U tradierten Version ergänzte Bestimmung zur Absetzung von Priestern bewahrt,71 also die grundsätzlich bevorzugte Konzilsversion aus der Bußbuchtradition um eine wichtige Klarstellung ergänzt. Insgesamt fügen sich auch diese detaillierten redaktionellen Eingriffe in das Gesamtbild des Bußbuches, das sich als Versuch verstehen lässt, für die tradierte Bußpraxis ein Hilfsmittel vorzulegen, das aufgrund seiner Klarheit, systematischen Ordnung und seiner Materialfülle auch die den überkommenen Bußbüchern gegenüber kritisch eingestellten Reformer überzeugen sollte, ohne die Tradition der älteren Bußbücher und der von ihnen gestützten Praxis in Frage zu stellen.72 Noch im auf Vollständigkeit und Systematisierung ausgerichteten und von den karolingischen Reformen beeinflussten Paenitentiale Pseudo-Theodori spiegelt sich die materielle Konstanz der Bußbuchtradition zu mantischen Praktiken, die im Wesentlichen auf den gallisch-fränkischen Iudicia canonica beruht, angereichert durch wenige Iudicia Theodori und einzelne, speziellere Bestimmungen des Paenitentiale Pseudo-Egberti. Erhalten blieb damit zugleich die Prägung durch die spätantik-patristische, besonders vom Konzil von Ancyra, dem Kirchenvater Augustinus und schließlich dem südgallischen Bischof Caesarius von Arles vorgegebene Perspektive, in der mantische Praktiken als Idolatrie qualifiziert und anderen paganen Praktiken an die Seite gestellt wurden. Bemerkenswert ist auch, dass das Interesse an dem entsprechenden Material in immer wieder neuen Kompilationen und Redaktionen mehr oder weniger kontinuierlich erhalten blieb, sei es, dass einzelne Bestimmungen eher unsystematisch in wechselnden Kontexten tradiert oder komplette Kapitel zu idolatrischen Praktiken zusammengestellt wurden. Einiges spricht also dafür, dass auch die tradierten Bestimmungen zu mantischen Praktiken im umfassenderen Kontext von Idolatrie nicht einer eher theoretischen Auseinandersetzung mit dem Glaubenssakrileg, sondern dem seelsorgepraktischen Umgang mit Verhaltensweisen christlicher Bevölkerung dienen sollten, die auf der Folie der kirchenrechtlichen Tradition als idolatrische Praktiken verstanden wurden. Dass solche Praktiken auch im Kontext der karolingischen Reformen ein Thema für Seelsorge und Bußpraxis blieben, davon zeugen nicht nur die schon deutlich von frühen Reformimpulsen beeinflussten Bußbücher traditionellen Zuschnitts wie Capitula iudiciorum oder Paenitentiale Pseudo-Theodori, sondern nicht zuletzt auch die noch deutlicher vom Anspruch der Reformer geprägten Bußbücher Halitgars von Cambrai und des Hrabanus Maurus sowie das Paenitentiale Pseudo-Gregorii. Halitgar hat getreu dem Anspruch der Reformer in Buch IV, 24–27 einzelne Bestimmungen der älteren kanonischen Tradition zu nichtchristlichen Praktiken zusammengestellt und dabei an erster Stelle auch den schon im Excarpsus Cummeani und in den Iudicia Theodori aufgeführten Ancyra-Kanon zu Wahrsagerei und Vorzeichendeutung aufgeführt,73 allerdings nicht 71 Vgl. Anm. 21. 72 Vgl. Anm. 63 f. 73 Halitgar von Cambrai, Paen., IV, 24–27 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21]), S. 285.

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in der Version der älteren Bußbuchtradition, sondern geschöpft unmittelbar aus der für die karolingischen Reformen besonders wichtigen Collectio Dacheriana.74 Mit dem älteren Paenitentiale Pseudo-Romanum, das als sechstes Buch den eher dem Anspruch einer Kanonessammlung genügenden Büchern I–V angefügt wurde, hat Halitgar aber auch die wohl schon der älteren Vorlage entstammenden Bestimmungen unter der Rubrik des Sakrilegs übernommen,75 ohne etwa einen Abgleich mit den zum Teil sachlich parallelen Bestimmungen von Buch IV vorzunehmen. Die Aufnahme dieses älteren Bußbuchs belegt aber ganz besonders, dass das Werk insgesamt nicht theoretischen Interessen dienen, sondern der Seelsorgepraxis nützen sollte; nach Halitgars Vorwort war das sechste Buch nämlich dazu gedacht, auch den einfacheren Priestern, die mit der komplexen Sammlung insgesamt überfordert wären, Hilfestellungen zu bieten.76 Auch die beiden Bußbücher, die Hrabanus Maurus verfasste, sind nicht aus theoretischem Interesse, sondern als Antworten zu konkreten Fragen der Bußpraxis entstanden, die Erzbischof Otgar von Mainz (825–847) und Bischof Heribald von Auxerre (828–857) dem Abt von Fulda bzw. dem Erzbischof von Mainz gestellt hatten.77 Das jüngere Bußbuch übernimmt das komplette Kapitel I,15 aus den Iudicia Theodori U I und stellt auch einleitend Wahrsagerei und Zukunftsdeutung explizit auf eine Ebene mit magischen Praktiken;78 ergänzt wird das Theodor-Kapitel noch durch Kanon 42 des Konzils von Agde (506) in der Form, in der dieser Kanon auch schon in die wohl zumindest in Hrabans Umkreis entstandenen 60-Kapitel-Sammlung aufgenommen worden war.79 Diese Sammlung bietet noch weitere einschlägige Kapitel, die dem ent74 Zur Bedeutung der Collectio Dacheriana für Halitgars Bußbuch vgl. Raymund Kottje, Die Bußbücher Halitgars von Cambrai und des Hrabanus Maurus. Ihre Überlieferung und ihre Quellen (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Bd. 8), Berlin, New York 1980, S. 181–185; für Buch IV besonders S. 142 mit Anm. 32. 75 Vgl. Anm. 35. 76 Addidimus etiam huic operi excerptionis nostre paenitentialem romanum alterum quod de scrinio romane ecclesie adsumpsimus, attamen, a quo sit editus, ignoramus. Idcirco adnectendum prescriptis canonum sententiis decrevimus, ut si forte he prolate sententie alicui superfluum sunt visae aut penitus que desiderat ibi de singulorum criminibus nequiverit invenire, in hac saltem brevitate novissima omnium scelera forsitan inveniet explicate. – Halitgar, Paen., VI, Prolog, (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 290); vgl. Kottje, Die Bußbücher (wie Anm. 74), S. 157 f. 77 Vgl. Kottje, Die Bußbücher (wie Anm. 74), S. 9. 78 Nam de his qui magicam artem exercent et qui auguria adtendunt et diuinationes obseruant, Theodori archiepiscopi gentis anglorum constitutiones habemus[…]. – Hrabanus Maurus, Paen. ad Heribaldum, 30, Köln, Dom- und Diözesanbibliothek, Cod. 118, S. 90 (f. 45v); da alle Editionen im Wesentlichen dem späten, in manchen Details redigierten bzw. ergänzten Stuttgarter Cod. HB VI 107 (s. Xex.) folgen und gerade den Kanon 30 in irreführender Gestalt bieten (vgl. Kottje, Die Bußbücher [wie Anm. 74], S. 152 f. und S. 209), wird hier die Ende des 9. Jahrhunderts in Reims entstandene, im Digitalisat einsehbare Kölner Handschrift (dazu Kottje, Die Bußbücher [wie Anm. 74], S. 29 f.) zitiert. 79 In concilio Agantense de sortilegis vel augurium servantibus ut ab ecclesia separentur. Nedixi (!) de eo fortasse videatur omissum quod maxime fidem catholicae religionis infestat, quod aliquanti

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sprechenden Kapitel des Paenitentiale Halitgarii entnommen sind.80 Schon das ältere Paenitentiale ad Otgarium hatte die Kanones von Ancyra und Agde, ergänzt noch um ähnliche Bestimmungen des Konzils von Laodicaea (c. 36), des 4. Konzils von Toledo (a. 633, c. 29) und des 2. Konzils von Braga (a. 572, c. 59), zu einem Kapitel unter der Rubrik De his qui divinationes expetunt et incantationibus sive auguriis deserviunt zusammengestellt.81 Beide Bußbücher Hrabans und die aus seinem Umfeld stammende 60-Kapitel-Sammlung belegen also die wiederholte Auseinandersetzung mit magischen und mantischen Praktiken im Kontext von Seelsorge und Buße. Das wohl in der Mitte des 9. Jahrhunderts entstandene Paenitentiale Pseudo-­Gregorii82 bietet unter der Rubrik De auguriis vel divinationibus eine eigene Zusammenstellung des einschlägigen Materials, die eher den Iudicia Theodori sowie den entsprechenden Kanones im sechsten Buch des Paenitentiale Halitgarii, also des Paenitentiale Ps.-Romanum, und damit den älteren Bußbuchtraditionen nahesteht als dem dafür in Kerffs Edition in Anspruch genommenen Kapitel IV, 25 des streng am kanonischen Material orientierten Paenitentiale Halitgarii.83 Besonderes Profil gewinnt das Kapitel durch die einleitend gebotenen Erklärungen der zentralen Termini augures, aurioli und auspicia aus den Etymologien des Isidor von Sevilla.84 Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass zumindest der Kompilator des Paenitentiale Pseudo-Gregorii davon ausging, dass diese Termini nicht allen seinen Zeitgenossen verständlich waren. Das mag sich allerdings eher auf die lateinische Terminologie als auf die damit angesprochenen Praktiken beziehen. Halitgars Bußbuch wird noch durch eine relativ große Anzahl von Handschriften bezeugt, die aber doch insgesamt eine begrenzte, vor allem auf Nordostfrankreich und Oberitalien konzentrierte Verbreitung anzeigen, und ebenso dürften die geringer handclerici sive laici student auguriis et sub nomine ficte religionis quas sanctorum sortes divinationis scientiam profitetur aut quarumque scripturarum inspectione futura promittunt. Hoc quicumcque clericus vel laicus detectus fuerit vel consulerit vel docere ab aecclesia habeatur extraneus. – 60-Kapitelsammlung der Handschrift Wolfenbüttel, 656. Helmst., c. 44, (Kottje, Die Bußbücher [wie Anm. 74], S. 267); vgl. Conc. Agath. (a. 506), c. 42 (Conciliae Galliae a. 314–a.506, ed. von Charles Munier, [= CCSL, Bd. 148], Turnhout 1963, S. 210 f.). 80 Vgl. Anm. 73. 81 Hrabanus Maurus, Paen. ad Otgarium, c. 23 (PL 112, Sp. 1417); vgl. den Quellennachweis bei Kottje, Die Bußbücher (wie Anm. 74), S. 197 f., Anm. 121. 82 Zu Zeitstellung und Inhalt vgl. Franz Kerff, Das Paen. Ps.-Gregorii III. Ein Zeugnis karolingischer Reformbestrebungen, in: ZRG kan. 69 (1983), S. 46–63; Edition: Ders., Das Paen. Ps.-Gregorii. Eine kritische Edition, in: Aus Archiven und Bibliotheken. FS Raymund Kottje, hg. von Hubert Mordek (= Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 3), Frankfurt a. M. 1992, S. 161–188. 83 Zu Paen. Ps.-Gregorii XVI vgl. Iudicia Theodori U I,15,4 (Finsterwalder, Canones Theodori Cantuariensis [wie Anm. 21], S. 311) und Paen. Halitgarii VI,34–37 (Schmitz, Bussbücher [wie Anm. 21], S. 296). 84 Augures dicuntur, qui in uolatus auium uel uoces intendunt. Arioli sunt, qui circa aras idolorum sacrificant. Auspicia sunt, que ab itinerantibus obseruantur. – Paen. Ps.-Gregorii XVI, (Kerff, Das Paen. Ps.-Gregorii. Eine kritische Edition [wie Anm. 82], S. 177; Quellennachweis ebd.).

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schriftlich bezeugten Bußbücher Hrabans auch nur eine räumlich begrenzte Verbreitung erfahren haben.85 Noch weit geringere Rezeption können wir für das Paenitentiale Pseudo-Gregorii annehmen;86 das gleiche gilt für das Paenitentiale Martenianum, das allerdings immerhin von Hraban bei der Kompilation des jüngeren seiner Bußbücher, des Paenitentiale ad Heribaldum, benutzt worden ist.87 Auch das Paenitentiale Martenianum lässt Einflüsse der karolingischen Reformen erkennen88 und präsentiert sich als Bußbuch im Stil einer Kanonessammlung. Auch diese Kompilation hat den Stoff der älteren Traditionen zu Mantik und Idolatrie in einem sachlichen Komplex zusammengestellt89 und dabei – entgegen der Aussage des Editors – den Ancyra-Kanon offensichtlich nicht aus einer Kanonessammlung, sondern aus dem Excarpsus Cummeani übernommen.90 Offenbar konnte sich die ältere Bußbuchtradition auch in diesem Fall gegenüber den von den Reformern bevorzugten Sammlungen wie Collectio Dacheriana und Dionysio-Hadriana behaupten. Das gilt in materieller Hinsicht sogar für das jüngst erstmals analysierte und edierte spätkarolingische Paenitentiale Trecense, das zur Vorzeichendeutung zwar ausschließlich aus cc. 30 f. des karolingischen Paenitentiale ad Heribaldum Hrabans geschöpft, damit aber Stoff aus den Iudicia Theodori übernommen hat.91

85 Vgl. Kottje, Die Bußbücher (wie Anm. 74), S. 251–253. 86 Zur spärlichen handschriftlichen Überlieferung vgl. Kerff, Das Paen. Ps.-Gregorii III; Ders., Das Paen. Ps.-Gregorii (beides wie Anm. 82), S. 161 f. 87 Vgl. Kottje, Die Bußbücher (wie Anm. 74), S. 206. 88 Zu Kontext und Überlieferung vgl. Hubert Mordek, Kirchenrecht und Reform im Frankenreich. Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Bd. 1), Berlin, New York 1975, S. 199–201; Reinhold Haggenmüller, Zur Rezeption der Beda und Egbert zugeschriebenen Bußbücher, in: Aus Archiven und Bibliotheken (wie Anm. 82), S. 149–159, hier S. 152–155. 89 Paen. Martenianum, XLVIII/XLIX (Walter von Hörmann, Bußbücherstudien. IV, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 4 [1914], S. 358–483), hier S. 381–383. 90 Paen. Martenianun, XLVIII (wie Anm. 89), S. 381, wo in der Anmerkung als Vorlage die Konzilsüberlieferung der Collectio Andegavensis (= Collectio Vetus Gallica) in Anspruch genommen wird. Der fragliche Ancyra-Kanon ist aber nur als Zusatz in der Stuttgarter Handschrift HB VI 112 (vgl. X, Bodenseegebiet) überliefert und stammt offensichtlich aus dem Paenitentiale Halitgars von Cambrai (vgl. Mordek, Kirchenrecht und Reform [wie Anm. 88], S. 523 mit den Apparaten zu Collectio Vetus Gallica XLIV, 4a). 91 Paen. Trecense, cc. 18–20, Rob Meens, Lenneke van Raaij, Carine van Rhijn, Continuing Carolingian Reform in the late Ninth Century. The Paenitentiale Trecense, in: Bulletin of Medieval Canon Law, New Series 36 (2019), S. 17–53, 45.

Mantik und Prognostik in den päpstlichen Responsa des frühen Mittelalters Klaus Herbers

1. Responsa und Mantik

Mantik und Magie werden in Rechtsquellen immer wieder thematisiert, besonders im Strafrecht.1 Für das Frühmittelalter konstatieren beispielsweise Hubert Mordek und Michael Glatthaar auch aufgrund dieser Quellen, es habe sich noch in der Karolingerzeit „der alte Glaube an die Mächte der Magie unter dem Firnis der offiziellen christlichen Doktrin erstaunlich zäh gehalten“2. Inwieweit der Begriff der Superstitio3 für diese Vorstellungen und Praktiken geeignet ist, wäre ebenso zu diskutieren wie die Frage, inwieweit sich die Situation nach dem Frühmittelalter wesentlich änderte. Zur Auswertung von mantischen Praktiken und Vorstellungen in den Rechtsquellen stehen für das Frühmittelalter neben den sogenannten Volksrechten vor allem die einschlägigen Kapitularien und Konzilsbeschlüsse, Bußbücher sowie die Rechtssammlungen und Kommentare zur Verfügung.4 Eine in Erlangen erarbeitete Datenbank erlaubt es, die einschlägigen Stellen schneller zu sichten sowie vergleichend zu interpretieren, und leistet deshalb für eine Untersuchung wertvolle Hilfe.5 1 Siehe beispielhaft zu verschiedenen Epochen: Matthias Niedermayer, Die Magie in den römischen Strafrechtsfällen: von Richtern, Tätern und Dämonen, Gutenberg 2017; Francis Young, Magic as a Political Crime in Medieval and Early Modern England: A History of Sorcery and Treason (= International Library of Historical Studies), London, New York 2018; für den Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit und Verena J. Dorn-Haag, Hexerei und Magie im Strafrecht: Historische und dogmatische Aspekte, Tübingen 2016. 2 Hubert Mordek, Michael Glatthaar, Von Wahrsagerinnen und Zauberern. Ein Beitrag zur Religionspolitik Karls des Großen, in: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993), S. 33–64, hier S. 35; vgl. ferner Nicole Zeddies, Religio et sacrilegium. Studien zur Inkriminierung von Magie, Häresie und Heidentum (4.–7. Jahrhundert) (= Europäische Hochschulschriften Reihe III Geschichte und Hilfswissenschaften, Bd. 964), Frankfurt a. M. u. a. 2003. 3 Vgl. Dieter Harmening, Superstitio, Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, Berlin 1979. 4 Zur Kanonistik vgl. zum Beispiel Patrick Hersperger, Kirche, Magie und „Aberglaube“. Superstitio in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 31), Köln 2010, sowie die verschiedenen Beiträge in diesem Band. 5 Siehe https://www.ikgf.fau.de/publications/databases/ (letzter Aufruf: 11.5.2020). Zur Auswertung siehe die Einleitung der Herausgeber in diesem Band sowie Klaus Herbers, Prognos-

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Rechtssammlungen sagen aber nur bedingt etwas über einen fortbestehenden Gebrauch mantischer Praktiken aus, weil Rechtsvorschriften von Sammlung zu Sammlung weiter tradiert werden konnten. Deshalb erscheint es vielversprechend, auch anlassbezogene Rechtsauskünfte heranzuziehen, obwohl natürlich für alle Quellen des Historikers gilt, dass sie keinen direkten Zugang zur Realität ermöglichen. Jedoch erlauben zum Beispiel päpstliche Schreiben, die auf Fragen antworteten, näher an mögliche gesellschaftliche Praktiken heranzuführen. Gemeint sind sogenannte Responsa, eine besondere Briefform,6 die in der Tradition der spätantiken Schriftlichkeit7 stand und auch divinatorische Fragen8 zum Gegenstand haben konnte. Anfragen riefen Stellungnahmen hervor, die zuweilen tagespolitisch bedeutend waren und im frühen Mittelalter oft auch in Zusammenhang mit Missionierungsfragen standen. An der Schwelle zum frühen Mittelalter lässt dies schon das Register Gregors I. gut erkennen.9 Vor allem sein – freilich umstrittenes – Antwortbuch an Augustinus von Canterbury im Zusammenhang mit der Angelsachsenmission spricht eine deutliche Sprache.10 Zur Nordmission und zu einem Erzbistum Hamburg-Bremen erreichten tication and Christianity in the Early Middle Ages, in: Reading the Signs: Philology, History, Prognostication, hg. von Iwo Amelung, Joachim Kurtz, München 2018, S. 473–484; Ders., Prognostik und Zukunft im Mittelalter. Praktiken – Kämpfe – Diskussionen (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse, Jahrgang 2019/2), Stuttgart 2019, S. 16–18.   6 Vgl. Klaus Herbers, Die Päpste und die Missionierung – Strukturen und Dokumentationsformen, in: Chiese locali e chiese regionali nell’alto medioevo, Spoleto, 4–9 Aprile 2013 (= Settimane di studio della fondazione centro italiano di studi sull’alto medioevo, Bd. 61), Spoleto 2014, S. 163–188, besonders S. 176–184 und Ders., Papstbriefe und Papsturkunden. Abgrenzungen und Überschneidungen im früheren Mittelalter, in: Die Urkunde. Text – Bild – Objekt (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte 12), hg. von Andrea Stieldorf, Berlin 2019, S. 125–139 mit weiteren Literaturhinweisen.   7 Vgl. Christian Hornung, Die Sprache des Römischen Rechts in Schreiben römischer Bischöfe des 4. und 5. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 53 (2010), S. 20–80, bes. S. 32–40 (Sonderdruck).   8 Vgl. Christian Hornung, Divination in der kirchlichen Disziplin des spätantiken Westens. Überlegungen vor dem Hintergrund des Identitätsdiskurses, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 61 (2018), S. 262–275.   9 Vgl. Gregor der Große: Gregorii I papae Registrum epistolarum I–VII (= MGH Epistolae, Bd. 1), ed. von Paul Ewald und Ludo M. Hartmann, Berlin 1887–1891. ND 1992; Libri VIII– XIV (= MGH Epistolae, Bd. 1), Berlin 1892–1899. ND 1992; Registrum epistolarum, 2 vol. (= Corpus Christianorum Series Latina), ed. von Dag Norberg, Turnhout 1982, S. 140–140A. Die Wertung der Responsa im Register Gregors I. unternimmt Ernst Pitz, Papstreskripte im frühen Mittelalter. Diplomatische und rechtsgeschichtliche Studien zum Brief-Corpus Gregors des Großen (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, Bd. 14), Sigmaringen 1990, S. 203–207, der sie freilich vor allem als Untergruppe der von ihm behandelten Reskripte ansieht. Zur älteren Literatur vgl. dort S. 204 (wie Anm. 1). 10 Vgl. Gregorii Registrum, ed. von Ewald, Hartmann (wie Anm. 9), XI 56a, S. 330–343 (obwohl nicht im Register überliefert). Vgl. Paul Meyvaert, Le Libellus responsionum à Augustin de

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beispielsweise 864 Papst Nikolaus I. Anfragen, die er mit anderen strittigen Punkten in einem Brief beantwortete.11 Auch Erzbischof Ado von Vienne12 oder die Bretonen13 erhielten vergleichbare Responsa. Vor allem kirchenrechtlich strittige Fragen – so in Osnabrück während des Pontifikates Stephans V.14 – führten wiederholt zu päpstlichen Antwortschreiben. Die Situation einer Missionierung oder von noch nicht besonders stark in das sich ausbreitende Christentum integrierten Gebieten hat den Typus des schon aus der Antike bekannten Responsum offensichtlich weiter gefördert und zu dessen Verbreitung beigetragen. Allerdings werden Fragen zu mantischen Praktiken nur in einigen dieser Schreiben beantwortet. Im Folgenden werden vier besonders eindrückliche Beispiele in den Fokus gerückt: Gregor I. und vor allem sein Libellus responsionum, die päpstlichen Responsa an Bonifatius, die Antwort Leos IV. an die Bretonen sowie die Responsa ad consulta Bulgarorum Papst Nikolaus’ I. Sie ermöglichen zumindest Teilantworten auf Fragen nach den aktuellen Anlässen, nach dem Material zur Beantwortung und zur Nachwirkung.

Contorbéry, une œuvre authenthique de Saint Grégoire le Grand, in: Grégoire le Grand, hg. von Jacques Fontaine, Paris 1986, S. 543–550; vgl. auch Karl Ubl, Inzestverbot und Gesetzgebung. Die Konstruktion eines Verbrechens (300–1100) (= Millennium Studien, Bd. 20), Berlin 2008, S. 228; Margaret Deanesly, The capitular text of the Responsiones of Pope Gregory I to St. Augustine, in: The Journal of Ecclesiastical History 12(2) (1961), S. 231–234; vgl. auch Zeddies, Inkriminierung (wie Anm. 2), S. 151 f. mit Anm. 173. 11 Vgl. Johann Friedrich Böhmer, Klaus Herbers, Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918 (926/962), Bd. 4: Papstregesten 800–911, Teil 2: 844–872, Lieferung 2: 858–867 (Nikolaus I.) (= Regesta Imperii, Bd. I/4/2/2), Köln u. a. 2012, Nr. 705 und 706 mit der einschlägigen Literatur. 12 Vgl. ebd., Nr. 675, 696 und 726 mit der einschlägigen Literatur. 13 Vgl. Johann Friedrich Böhmer, Klaus Herbers, Die Regesten des Kaiserreiches unter den Karolingern 751–918 (926/962), Bd. 4: Papstregesten 800–911, Teil 2: 844–872, Lieferung 1: 844–858 (= Regesta Imperii, Bd. I/4/2/1), Köln u. a. 1999, Nr. 203 mit der einschlägigen Literatur. 14 Vgl. Klaus Herbers, Päpstliche Autorität und päpstliche Entscheidungen an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert, in: Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900 (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 69), hg. von Wilfried Hartmann, München 2007, S. 7–30, hier: S. 22–24; ND in: Klaus Herbers, Pilger, Päpste, Heilige. Ausgewählte Aufsätze zur europäischen Geschichte des Mittelalters, hg. von Gordon Blennemann et al., Tübingen 2011, S. 313–337, hier: S. 329–331.

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2. Päpstliche Responsa und Mantik vom 6. bis zum 9. Jahrhundert

2.1. Papst Gregor I. und die Angelsachsenmission

Steht für die von Gregor dem Großen geförderte Angelsachsenmission unter anderem die Registerabschrift des Papstes zur Verfügung,15 so wird über ein spezielles Antwortbüchlein für den Angelsachsenmissionar Augustinus heftig gestritten. Dieses nicht in der Registerabschrift Gregors I. enthaltene Schreiben wurde sogar als Fälschung bezeichnet. Es ist nachweislich erstmals 731 bei Beda Venerabilis aufgeführt; weitere Abschriften bietet die kanonistische Überlieferung.16 Hier sowie in einem Registerschreiben Gregors I. werden spezifische Fragen der Missionierung angesprochen, die aber eher von heidnischen Gebräuchen, von idola und anderem nur sehr allgemein sprechen. Ob der Libellus responsionum nun von Gregor direkt stammt oder nicht: Das Schreiben suggeriert jedenfalls, dass hier auf bestimmte Bedürfnisse ganz konkret geantwortet worden sei, wenn auch die bei Beda überlieferte Fassung vielleicht nicht in Rom selbst entstanden ist. 2.2. Die päpstlich bestimmte Germanenmission des Bonifatius

Bonifatius, einer der wesentlichen Personen der Germanenmission, richtete ebenso in verschiedenen Situationen seine Fragen an Rom.17 Der Missionar wird aber insgesamt durch eine auf ihn zugeschnittene Briefsammlung für unsere Fragestellung besonders interessant. Die komplizierte Überlieferung der Sammlung hat die Forschung schon länger als ein Jahrhundert beschäftigt. Alle – seit dem 9. Jahrhundert – belegten Handschriften bieten unterschiedliche Anordnungen, die verschiedene Prinzipien erkennen lassen. Die Papstbriefe stehen dabei in der ersten Handschriftenklasse (München, Cod. lat. 8112) am Anfang, sie folgen nach dem Bischofseid des Bonifatius den Pontifikaten von Gregor II., Gregor III. und Zacharias, wobei datierte und undatierte Schreiben zu verschiedenen Anordnungen geführt haben. Dazu traten Briefe an Amtsträger der päpstlichen Umgebung, die secundum ordinem aufgeführt sind. Die nur fragmentarisch überlieferte Handschriftenklasse 2 (Karlsruhe, Landesbibliothek, Rastatt 22) verdankt sich den Initiativen des Mainzer Nachfolgers des Bonifatius, Lul. Eine dritte Gruppierung (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. lat. 751) bietet zwar Erweiterungen, hat aber die päpstliche Korrespondenz vollständig weggelassen. Weitere, spätere Hand15 Vgl. Gregor: Registrum (= MGH Epistolae, Bd. 1) (wie Anm. 9). 16 Edition u. a. in Gregor: Registrum (wie Anm. 9), XI 56a, S. 331–343, vgl. zur Diskussion oben Anm. 9. 17 Vgl. Die Briefe des Heiligen Bonifatius und Lullus: S. Bonifatii et Lulli epistolae (= MGH Epistolae selectae, Bd. 1), ed. von Michael Tangl, Berlin 1916.

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schriftenklassen sind umstritten.18 Insgesamt teilt sich das Briefcorpus in eine sogenannte Collectio pontificia und eine Collectio communis, auf die eine Sammlung Luls und sogenannte Extravaganten folgten. Die Collectio pontificia trug aber allein durch die Anordnung dazu bei, den Missionierungsprozess Germaniens unter Bonifatius vor allem als päpstliches Werk ins Bild zu setzen.19 Was bedeutete dies aber inhaltlich? 738 wies Papst Gregor III. die Hessen, Thüringer und andere Völker an, sie sollten Divination, Wahrsagerei, Opfer an den Gräbern, Quellorakel und anderes meiden: „[…] lasst ab und haltet Euch fern von jedem heidnischen Götzendienst, indem Ihr nicht nur Euch selbst, Teuerste, bessert […] Wahrsager und Losdeuter, Opfer für Tote, an Hainen und Quellen, Vorzeichen Amulette, Beschwörer, Zauberer, d. h. Behexer, und gotteslästerliche Gebräuche, wie sie in Eurem Lande vorzukommen pflegen, weist zurück […].“20

Dabei bezieht er sich auf seinen Vorgänger, den Brief des Bonifatius und den in Rom anwesenden Boten. 743 erscheint der Bezug auf Anfragen im Schreiben des Papstes Zacharias expliziter, wie verschiedene Formulierungen (dixisti) verdeutlichen. Hier verwies der Papst mit Hinweis auf Passagen des Alten Testaments auf die Verbote zu auguria, phylacteria und incantationes.21 18 Vgl. Briefe des Bonifatius: Bonifatii Epistulae, ed. und übers. von Reinhold Rau, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters Bd. 4/2 (Darmstadt: 3. bibliogr. aktualis. Ausgabe 2011), S. 9–22 und die folgende Anmerkung. 19 Hierzu bereits Michael Tangl, Studien zur Neuausgabe der Bonifatius-Briefe, I. Teil, in: Neues Archiv 40 (1916), S. 639–790 mit tabellarischer Auflistung auf S. 690 f. Vgl. Herbers, Die Päpste (wie Anm. 6), S. 167–173. Zum Hintergrund vgl. insgesamt Michael Glatthaar, Bonifatius und das Sakrileg: Zur politischen Dimension eines Rechtsbegriffs (= Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 17), Frankfurt a. M. 2004. 20 Divinos autem vel sortilegos, sacrificia mortuorum seu lucorum vel fontium auguria vel filacteria et incantatores et veneficos, id est maleficos, et observationes sacrilegas, quae in vestris finibus fieri solebant, omnino respuentes atque abicientes tota mentis intentione ad Deum convertimini. – Die Briefe des heiligen Bonifatius, ed. von Tangl (wie Anm. 17), Nr. 43, S. 68–69, besonders S. 69. Deutscher Text bei Rau (wie Anm. 18), S. 125. Vgl. Philipp Jaffé, Regesta Pontificum Romanorum, Tomvs II (ab a. 604 – ad a. 844). Bearbeitet von Waldemar Könighaus und Thorsten Schlauwitz. Unter Mitarbeit von Cornelia Scherer und Markus Schütz, hg. von Klaus Herbers, Göttingen 2017, Nr. 3847. Eine ähnliche Beobachtung findet sich in einem Brief an die Bayern (wobei dieser Brief vermutlich eine frühneuzeitliche Fälschung darstellt, vgl. Germania pontificia sive Repertorium privilegiorum et litterarum a romanis pontificibus ante annum MCLXXXXVIII Germaniae ecclesiis monateriis civitatibus singulisque personis concessorum, ed. von Albert Brackmann, (Bd. 1), Berlin 1911, S. 387–388, Nr. †3). 21 De Kalendis vero Ianuariis vel ceteris auguriis filacteriis et incantationibus vel aliis diversis observationibus, que¸ gentili more observari dixisti apud beatum Petrum apostolum vel in urbe Roma, haec et nobis et omnibus christianis detestabile et pernitiosum esse iudicamus dicente Deo […] Ita et a nobis cavendum esse censemus, ut nullis auguriis vel observationibus adtendamus; quia omnia

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Leider enthalten die Schreiben, die direkt auf Anfragen nacheinander antworten (Nr. 26 und Nr. 28) keine direkten Bezüge zu mantischen Themen, sondern betreffen eher Fragen der Kirchenorganisation, der Taufe und Schwerverbrechen. Aufschlussreich sind aber die Anfragen des Bonifatius an Papst Zacharias, bei der er auch die heidnischen Neujahrsfeiern und die entsprechenden Gebräuche fragend thematisierte: „Etliche […] törichte Menschen […] glauben, wenn sie in der Nähe der Stadt Rom etwas von dem machen sehen, was wir als Sünde verbieten, es sei von den Priestern erlaubt […]. Zum Beispiel behaupten sie, mit angesehen zu haben, wie jedes Jahr in Rom unweit der Kirche des hl. Petrus, wenn das neue Jahr kommt, bei Tag und Nacht nach heidnischer Sitte auf den Plätzen getanzt wird und nach Heidenart Zurufe und gotteslästerliche Lieder ertönen […]. Sie berichten auch, dass sie es erlebt hätten, dass Frauen in heidnischer Weise Amulette und Bänder an Armen und Beinen trugen und solche öffentliche als verkäuflich andern zum Kauf anboten.“

Der Brief an den Papst bietet zugleich die Stellen aus Bibel und Kirchenvätern, nach dem Hinweis auf Gal. 4,10 f. heißt es mit Hinweis auf Pseudo-Augustinus: „Und der heilige Augustinus sagt: Denn wer den erwähnten Bösewichtern, d. h. den Wahrsagern, Zauberern, Zeichendeutern oder den Amuletten oder sonstigen Vorzeichen Glauben schenkt, mag er auch fasten …, es wird ihm nichts nützen, solange er von diesen gotteslästerlichen Dingen nicht ablässt.“22

he¸c abscisa esse a patribus sumus edocti. – Vgl. Die Briefe des heiligen Bonifatius, ed. von Tangl (wie Anm. 17), Nr. 51, S. 86–92, besonders S. 90. Vgl. Jaffé3, (wie Anm. 20), Nr. 3930. 22 Et quia carnales homines idiotę, Alamanni vel Baioarii vel Franci, si iuxta Romanam urbem aliquid facere viderint ex his peccatis, quae nos prohibemus, licitum et concessum a sacerdotibus esse putant et nobis inproperium deputant, sibi scandalum vitę accipiunt. Sicut adfirmant se vidisse annis singulis in Romana urbe et iuxta ęcclesiam sancti Petri in die vel nocte, quando Kalende Ianuarii intrant, paganorum consuetudine chorus ducere per plateas et adclamationes ritu gentilium et cantationes sacrilegas celebrare et mensas illa die vel nocte dapibus onerare et nullum de domo sua vel ignem vel ferramentum vel aliquid commodi vicino suo prestare velle. Dicunt quoque se vidisse ibi mulieres pagano ritu filacteria et ligaturas et in brachiis et cruris ligatas habere et publice ad vendendum venales ad conparandum aliis offerre. Quae omnia, eo quod ibi a carnalibus et insipientibus videntur, nobis hic inproperium et inpedimentum predicationis et doctrinę perficiunt. De talibus ait apostolus increpans: ‘Dies observatis et tempora; timeo, ne sine causa laboraverim in vobis’. Et sanctus Augustinus dixit: ‘Nam qui dictis o malis, id est carais et divinis et aruspicibus el filacteriis et aliis quibuslibet auguriis crediderit, etsi ieiunet, etsi oret, etsi iugiter ad ęcclesiam currat, etsi largas elymosinas faciat, etsi corpusculum suum in omni adflictione cruciaverit, nihil ei proderit, quamdiu sacrilegia illa non relinquerit’. Nam si istas paganias ibi paternitas vestra in Romana urbe prohibuerit, et sibi mercedem et nobis maximum profectum in doctrina aecclesiastica proficerit. – Ebd., Nr. 50, S. 84 f.; deutscher Text bei Rau (wie Anm. 18), S. 147–149.

Mantik und Prognostik in den päpstlichen Responsa des frühen Mittelalters

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Darauf antwortete Zacharias (Nr. 51): „Wegen des Neujahrsfestes und wegen der andern Wahrsagereien, Amulette, Zaubereien und verschiedenen anderen Bräuchen, von denen du behauptet hast, sie würden in heidnischer Weise beim seligen Apostel Petrus oder in der Stadt Rom gefeiert, so erklären wir das für abscheulich für uns und alle Christen und für verderblich nach dem Wort Gottes […es folgen Zitate aus Levit. 19,26 und Num 23,23]. So glauben auch wir uns vorsehen zu müssen, dass wir nicht auf Wahrsagerei und Zeichendeuterei achten, denn alles das ist, wie wir von den Vätern gelernt haben, abgetan.“23 2.2. Leo IV. und die Bretonen

Leo IV. antwortete (wohl 848) auf Anfragen der Bretonen. In einem Kapitel (7) wird Wahrsagerei verboten. Dort schreibt er: „Aber über Euer Verlangen nach Wahrsagerei oder Zauberei steht allerdings etwas in den heiligen Kanones geschrieben und so führen wir die folgenden Worte an: ‚Diejenigen, die Weissagungen erbitten und sich nach dem Brauch der Heiden richten oder die in ihren Behausungen derartige Menschen hineinführen, um irgendetwas durch Zauberkunst zu erkunden oder abzuwehren, sollen der Fünfjahresregel unterliegen‘. Daher bestimmen wir in Anlehnung daran, dass die Losverfahren, durch die Ihr alles bei Euren Gerichtsurteilen entscheidet, nichts anderes sind als das, was jene Väter als Weissagungen und Zauberei verurteilten.“24 23 Die Briefe des heiligen Bonifatius, ed. von Tangl (wie Anm. 17), S. 90 f., vollständig lautet die Passage: De Kalendis vero Ianuariis vel ceteris auguriis filacteriis et incantationibus vel aliis diversis observationibus, que gentili more observari dixisti apud beatum Petrum apostolum vel in urbe Roma, haec et nobis et omnibus christianis detestabile et pernitiosum esse iudicamus dicente Deo: ‘Non augurabimini vel certe non observabitis’; et iterum scriptura dicit: ‘Non est auguria in Israel nec observatio in domo Iacob’. Ita et a nobis cavendum esse censemus, ut nullis auguriis vel observationibus adtendamus; quia omnia hęc abscisa esse a patribus sumus edocti. Et quia per instigatione diaboli iterum pullulabant, a die, qua nos iussit divina clementia, quamquam inmeriti existamus, apostoli vicem gerere, ilico omnia haec amputavimus. Pari etenim modo volumus tuam sanctitatem populis sibi subiectis predicare atque ad viam aeternae perducere vitę. Nam et sanctae recordationis praedecessoris atque nutritoris nostri domni Gregorii papę constitutione omnia haec pie atque fideliter amputata sunt et alia diversa quam plura, quae diabolo suggerente pullulabant in Christi ovile. Cuius instar pro illius populi salute dirigere maturavimus. – Der deutsche Text bei Rau (wie Anm. 18), S. 157. 24 De expetentia autem divinationum vel maleficiorum scriptum quidem in sacris habemus canonibus, ut ipsa verba ponamus ita: Qui divinationes expetunt et more gentilium subsequuntur, aut in domos suas huiuscemodi homines introducunt exquirendi aliquid arte malefica aut expiandi causa, sub regula quinquennii iaceant. Unde ad illorum similitudinem [s]ortes, quibus vos cuncta in vestris discriminatis iudiciis, nichil aliud quam quod patres illi dampnarunt, divinationes et maleficia esse decernimus. Quam obrem volumus illas omnino dampnari et ultra inter christianos nolumus nominari, et ut abscindantur sub anathematis interdicto prohibemus. – Leo IV., ep. 16 (= MGH

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Klaus Herbers

Wie in zahlreichen ähnlichen Verlautbarungen der Kanonessammlungen oder in Konzilsbeschlüssen wird hier der 23. Kanon des Konzils von Ancyra (314) zitiert. Die Überlieferung des Schreibens ist kompliziert, denn die Fassungen der kanonistischen Tradition stimmen nicht mit denen einer inzwischen identifizierten Überlieferung des 9. Jahrhunderts überein.25 Aber der inzwischen gesicherte Beginn des Schreibens verdeutlicht, dass es sich um eine Antwort auf Fragen handelt, und sei deshalb hier angefügt: „Mit welch großem Eifer und welch großem Geschick Ihr die Euch vom Herrn anvertraute Herde weidet und mit göttlichen Speisen nährt, zeigten die uns geschickten Schriftstücke. Äußerst ausgelassen freue ich mich daher und habe mich eher im Geist als mit dem Körper unversehrt erhoben, da ich durch die Untersuchung so großer Zweifelsfalle erfreut und – wie von einer schweren Krankheit – von der Furcht vor der Nachlässigkeit, die mich hinsichtlich der Niederungen dieser Region unablässig bedruckte, befreit wurde, ja gesund und vom ganzen Heil gleichsam erfasst worden bin. Ich hatte nämlich erfahren, dass die Sorge gewisser Laien in kirchlichen Angelegenheiten sehr bedeutsam ist, und sah mich genötigt, mit wachem Geist von der Fürsorge jener ausgehend Euch nichts anderes zu antworten. Da Ihr zu göttlichen und kirchlichen Pflichten durch Berufung – meiner Meinung nach zunächst unwirksam – gekommen seid und da nun diese unsere Mitbrüder freilich durch göttliche Gnade zu uns geleitet und tatsachlich als Bischöfe solcher Kirchen anerkannt wurden, bleibe ich nun unbesorgter als zuvor. Wir haben schließlich die bei uns vorstellig gewordene gemeinsame Gesandtschaft aller ehrwürdigsten Bischöfe (zur Frage) empfangen […].“26

Der Charakter eines Responsums ist hier offensichtlich. Epistolae, Bd. 5), ed. von Adolf von Hirsch-Gereuth, S. 594. Vgl. hierzu Klaus Herbers, Leo IV. und das Papsttum in der Mitte des 9. Jahrhunderts – Möglichkeiten und Grenzen päpstlicher Herrschaft in der späten Karolingerzeit (= Päpste und Papsttum, Bd. 27), Stuttgart 1996, 2. Auflage 2017, S. 67–78 und S. 324–332 sowie Böhmer, Herbers, Papstregesten 844–858 (wie Anm. 13), Nr. 203. Die deutsche Übersetzung folgt Klaus Herbers und Veronika Unger, Papstbriefe des neunten Jahrhunderts (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 51), Darmstadt 2019, S. 71–73. 25 Vgl. hierzu Herbers, Leo IV. (wie Anm. 24), S. 67–78 und S. 324–332 sowie S. 495. 26 Quanto studio quantaque sollertia gregem vobis a Domino commissum pascitis divinisque fovetis eduliis, nobis directa scripta reserarunt. Unde non modica exultatione congratulor et tantarum ambiguitatum indagatione letifi catus a timore negligentiae, qui me illius regionis in infi mis deprimebat, quasi a gravi languore relevatus, et utpote sanus et omni salute captus, magis animo sospes surrexi quam corpore. Quia cum quorundam laicorum in ecclesiasticis cognoveram cura[m] prepollere, et studioso animo ab illorum respondere vigilantiis cogerer, nil aliud vos, qui divinis negotiis et ecclesiasticis sorte venistis, quam crederem dormitare, nunc divina gratia hi confratris nostri videlicet talem et tales ecclesiarum presules ad nos perducti et cogniti, magis securus nunc duro quam antea. Legationem denique communem omnium episcoporum reverentissimorum nobis praepositam delinquentes […]. – lateinischer Text. Herbers, Leo IV. (wie Anm. 24), S. 459; Herbers, Unger, Papstbriefe des neunten Jahrhunderts (wie Anm. 24), S. 68 f.

Mantik und Prognostik in den päpstlichen Responsa des frühen Mittelalters

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2.4. Nikolaus I. und die Bulgaren

Wie sehr man anscheinend in Rom auf solche allgemeinen Antwortschreiben eingestellt war, belegen die einzigartigen Responsa ad consulta Bulgarorum, die das kirchenrechtliche Wissen früherer Zeiten in großem Maße auf die aktuellen Bedürfnisse hin zugeschnitten haben. Hier musste auch in rechtlicher Hinsicht vieles entschieden bzw. aus der Tradition zusammengestellt werden; Anastasius Bibliothecarius war hierzu wohl wie kein anderer des frühen Mittelalters fähig.27 Als 865/866 der neu getaufte Bulgarenfürst Boris/Michael Erkundigungen über Glaubensfragen an Papst Nikolaus I. richtete, antwortete dieser in 106 Kapiteln.28 Das 77. handelte von einem von den Griechen und Bulgaren wohl praktizierten Buchzauber mithilfe eines Holzstücks, der abgelehnt wurde: „Ihr berichtet, dass einige unter den Griechen die geschlossene Bibel in Händen halten und einer von ihnen dann ein ganz kleines Holzstäbchen nimmt und es in die Bibel steckt; wenn in irgendeiner Sache mal ein Zweifel auftrete, könnten sie, wie sie versichern, auf diese Weise in Erfahrung bringen, was sie wünschen. Ihr fragt nun, ob dieses Verfahren zu übernehmen oder abzulehnen sei […].“29

Zwei Kapitel später geht es um Amulette:

27 Zum Verfassen der einzelnen Schreiben vgl. die oben in Anm. 24 angegebenen Regestennummern bei Böhmer, Herbers, Papstregesten 858–867 (wie Anm. 11). Neben zahlreichen älteren Werken vgl. synthetisierend: François Bougard, Anastase, in: Dictionnaire historique de la Papauté, hg. von Philippe Levillain, Paris 1994, S. 86 f.; Girolamo Arnaldi, Anastasio Bibliotecario, in: Enciclopedia dei papi, 3 Bde., Rom 2000, Bd. 1, S. 735–746. Zu ihm und Johannes Hymmonides bezüglich der Abfassung der Nikolausvita im Liber pontificalis vgl. François Bougard, Anastase le bibliothécaire ou Jean diacre? Qui a écrit la Vie de Nicolas Ier et pourquoi?, in: Vaticana et medievalia: études en l’honneur de Louis Duval-Arnould, hg. von Jean-Marie Martin, Bernadette Martin-Hisard, Agostino Paravicini Bagliani, Florenz 2008, S. 27–40; zu seiner Rolle als „Gegenpapst 855“ vgl. Klaus Herbers, Konkurrenz und Gegnerschaft. „Gegenpäpste“ im 8. und 9. Jahrhundert, in: Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen (= Papsttum im mittelalterlichen Europa, Bd. 1), hg. von Harald Müller und Brigitte Hotz, Wien 2012, S. 55–70, hier S. 58–61. 28 Vgl. Böhmer, Herbers, Papstregesten 858–867 (wie Anm. 11), Nr. 822. 29 Refertis, quod Graecorum quibusdam codicem accipientibus in manibus clausum unus ex eis accipiens parvissimam particulam ligni hanc intra ipsum codicem condat et, si undecumque aliqua vertitur ambiguitas, per hoc affirment scire se posse quod cupiunt. Vos vero consulitis, si sit hoc tenendum an respuendum. – Nicolai Papae epistolae (= MGH Epistolae, Bd. 6), ed. von Ernst Perels, Berlin 1925, S. 568–600, hier S. 593. Die obige deutsche Übersetzung folgt Lothar Heiser, Die Responsa ad consulta Bulgarorum des Papstes Nikolaus I (858–867). Ein Zeugnis päpstlicher Hirtensorge und ein Dokument unterschiedlicher Entwicklungen in den Kirchen von Rom und Konstantinopel (= Trierer Theologische Studien, Bd. 36), Trier 1979, S. 468.

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Klaus Herbers

„Ihr berichtet, bei euch sei es Brauch, Kranken zur Genesung ein Halsband besonderer Art umzulegen, und ihr fragt an, ob wir solches Tun für die Zukunft weiterhin gestatten. Wir gestatten das nicht nur nicht, sondern verbieten es mit allem Nachdruck. Denn diese Amulette wurden durch Teufelslist erfunden und erweisen sich als Fesseln für die Seelen der Menschen. Daher gebieten die Apostolischen Dekrete, jene, die sich ihrer bedienen, mit dem Bannfluch zu belegen und aus der Kirche auszuschließen.“30

Die Responsa Nikolaus’ I. sind vor allem in einer Briefsammlung des Codex Vaticanus 3827 überliefert, von der weitere Abschriften abhängen. Dieser in Beauvais im 9. Jahrhundert entstandene Codex enthält bis zum Folio 125 Material zu gallischen Konzilien in der Form der Collectio Sancti Amandi; dann von folio 126 bis 208 die Briefe Nikolaus’ I. in der Auseinandersetzung mit Byzanz.31 Die Responsa stehen am Ende dieser Reihe. Offensichtlich stellte man in Beauvais nicht nur Material zusammen, um die kirchliche Rechtsprechung zu optimieren, sondern auch zu den Auseinandersetzungen zwischen Ost- und Westkirche, die zum Beispiel 868 auf dem Konzil von Worms thematisiert wurden.32 Sieht man von den Registerüberlieferungen zu Gregor I. und zu Johannes VIII. ab, so wissen wir eben vor allem aus Zusammenstellungen nördlich der Alpen von päpstlichen Aktivitäten zur Missionierung. Wichtig ist dieser Befund aber auch deshalb, weil Teile der hier vorgestellten Papstbriefe, vor allem der Responsa, in die kanonistische Überlieferung eingegangen sind. Für die Briefe des Bonifatius hat Michael Tangl bereits 30 Perhibentes, quod moris sit apud vos infirmis ligaturam quandam ob sanitatem recipiendam ferre pendentem sub gutture, requiritis, si hoc agi nos de cetero iubeamus. Quod non solum agi non iubemus, verum etiam ne fiat, modis omnibus inhibemus; huiusmodi quippe ligaturae phylacteria daemonicis e sunt inventa versutiis et animarum hominum esse vincula comprobantur, ac ideo his utentes anathemate apostolica decreta perculsos ab ecclesia pelli praecipiunt. – Nicolai Papae epistolae (wie Anm. 29), S. 594 (79. Abschnitt). Die oben eingefügte deutsche Version folgt dem Vorschlag von Heiser, Responsa (wie Anm. 29), S. 469. Kommentare und weitere Literaturhinweise zu dieser und zur vorigen Anmerkung finden sich in Böhmer, Herbers, Papstregesten 858–867 (wie Anm. 11), Nr. 822. 31 Vgl. Hubert Mordek, Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta. Überlieferung und Traditionszusammenhang der fränkischen Herrschererlasse (= MGH Hilfsmittel, Bd. 15), München 1995, S. 858–863. 32 Vgl. Concilia aevi Karolini DCCCLX–DCCCLXXIV. Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 860–874 (= MGH Concilia, Bd. 4), hg. von Wilfried Hartmann, Hannover 1998, S. 292–307. Vorbereitend der Brief Nikolaus I. an Hinkmar von Reims, vgl. Böhmer, Herbers, Papstregesten 858–867 (wie Anm. 11), Nr. 857. Zum Hintergrund Wilfried Hartmann, Das Konzil von Worms 868. Überlieferung und Bedeutung (= Abh. Göttingen, phil.-hist. Klasse, Dritte Folge, Bd. 105), Göttingen 1977, S. 28–37; Klaus Herbers, Ost und West um das Jahr 800. Das Konzil von Aachen 809 in seinem historischen Kontext, in: Die filioque-Kontroverse. Historische, Ökumenische und dogmatische Perspektiven 1200 Jahre nach der Aachener Sy­ node (= Quaestiones disputatae, Bd. 245), hg. von Michael Böhnke, Assad Elias Kattan, Bernd Oberdorfer, Freiburg 2011, S. 30–70, hier S. 67 f.

Mantik und Prognostik in den päpstlichen Responsa des frühen Mittelalters

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1919 eine erste Untersuchung zur frühen kanonistischen Rezeption33 angefertigt, die zwar weiter verfeinert wurde, die aber in ihrer Grundtendenz bereits aufschlussreich ist. 3. Würdigung: Päpstliche Responsa – Entstehung und Wirkungen

Alle vier zitierten Beispiele betreffen Schreiben, die anlassbezogen aus Rom gesandt wurden. Das rechtliche Substrat dieser Schreiben und ihre Nachwirkungen waren aber unterschiedlich. Das in seiner Autorschaft nicht völlig sichere Schreiben Gregors I. ist schon in der Überlieferung so strukturiert, dass hier neben Beda die Hauptüberlieferungsträger zu verzeichnen sind, die im 8. Jahrhundert beginnen; auch Pseudo-Isidor überliefert das Schreiben.34 Ein etwas anderes Bild bietet die Bonifatius-Korrespondenz. Allgemein zeigt sich hier, dass die Kanonisten insbesondere aus der Collectio pontificia Passagen benutzten. Wichtige Zitate finden sich nicht nur in der Umgebung Hinkmars von Reims im 9. Jahrhundert, sondern weiterhin etwa gleichzeitig bei Benedictus Levita, Pseudo-Isidor, aber auch in den Sammlungen des 11. Jahrhunderts: der Collectio Britannica, der Collectio trium partium, im Dekret Burchards von Worms oder demjenigen, das Ivo von Chartres zugewiesen wird. Ergänzend aufführen lassen sich Überlieferungen bei Deusdedit. Hinzu tritt die historiografische Rezeption: Autoren wie Othloh nutzten das Material zum Beispiel im 11. Jahrhundert.35 In Bezug auf das für Fragen von Mantik und Magie wichtige Schreiben 51 des Papstes Zacharias ist bemerkenswert: Der Papst nennt weder Bibelzitat noch den Hinweis auf Pseudo-Augustinus, worauf Bonifatius in seinem Schreiben an den Papst verweist,36 sondern verdammt die Bräuche mit Hinweis auf alttestamentarische Bibelzitate. Vor allem aber verhängte das römische Konzil kurz darauf (743) im 8. Kapitel das Verbot zu Neujahrsbräuchen.37 Aber auch die Kanonessammlung des Vaticanus 1354 enthält ebenso wie die Kanonessammlung des Burchard von Worms den Satz: Zacharias papa: Si quis Calendas Januarii ritu paganorum colere vel aliquid plus facere propter novum annum aut mensas cum lampadibus et epulis in domibus suis praeparare et per vicos et plateas cantationes et choros ducere praesumpserit, anathema sit.38 33 Vgl. Michael Tangl, Studie zur Neuausgabe der Bonifatius-Briefe, II. Teil, in: Neues Archiv 41 (1919), S. 71–101. 34 Vgl. bereits die Anm. der MGH-Edition, S. 330 f. (wie Anm. 1) sowie die in Anm. 10 zitierte Literatur. 35 Vgl. ebd. S. 100 f.; Briefe des Bonifatius, ed. von Rau (wie Anm. 18), S. 354–356. Zur Rezeption allgemein vgl. Ubl, Inzestverbot und Gesetzgebung (wie Anm. 10), S. 254 f. 36 Vgl. Tangl, Studien (wie Anm. 33), S. 85 mit Anm. 1. 37 Vgl. Concilium Romanum a. 743, ed. von Albert Werminghoff (= MGH Conc., Bd. 2/1), Hannover u. a. 1906, S. 15 f. 38 Burchard von Worms, Decr. X 16, ed. von Jacques-Paul Migne, Patrologiae cursus completus. Series latina, Paris 1844–1864, Vol. 140), Paris 1880, Sp. 835 D. Deutsche Übersetzung der

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Klaus Herbers

Das Antwortschreiben Leos IV. an die Bretonen ist im 9. Jahrhundert im Kontext von Konzilsentscheidungen überliefert; es ist fraglich, ob eine lokale Synode die Antworten des Papstes aufgegriffen haben könnte. Jedenfalls setzte die kanonistische Überlieferung mit dem 11. Jahrhundert ein, in den Ivo von Chartres zugeschriebenen Sammlungen, in der Collectio Britannica, im Werk des Gratian, um die wichtigsten zu nennen.39 Allerdings wurde zumeist nur der zweite Teil des 7. Kapitels rezipiert. Auch die Responsa Nikolaus’ I. sind keinesfalls völlig neu entstanden bzw. ohne Rezeption geblieben: die Zitate aus früheren Papstbriefen, besonders von Gregor I. sowie aus dessen weiteren Werken, und die Kenntnis und Verwendung römisch-rechtlicher bzw. langobardischer Rechtstraditionen fallen auf. Man hat den Eindruck, dass nach den Anfragen in diesem Fall in der Tat in römischen Unterlagen gesucht und passende sowie weniger passende Zitate gefunden wurden. Dies heißt allerdings nicht, dass bei dem Umfang dieser Texte nicht auch noch genügend an Eigengut entstanden ist, das in nicht geringem Maße, wie die Edition von Ernst Perels bereits ausweist, in das Decretum Gratiani eingegangen ist.40 Allerdings gilt dies stärker für andere Kapitel als für die hier vorgestellten Abschnitte, für deren Rezeption bisher jedenfalls noch keine konkreten Fundorte ermittelt werden konnten. Welche Folgerungen ergeben sich daraus? 1. Im Ensemble des päpstlichen Schriftgutes wurden gerade die päpstlichen Responsa intensiv rezipiert. Dies bestätigt die gängige Lehre von den in kaiserlicher Tradition stehenden Responsa, die in besonderer Weise rechtsrelevant werden konnten, wie Stelle in Briefe des Bonifatius, ed. von Rau (wie Anm. 18), S. 156 f.: „Wer das Neujahr in heidnischer Weise zu feiern oder wegen des Jahresanfangs etwas Besonderes zu Machen oder Tische mit Lichtern und Speisen bei sich zu Hause vorzubereiten und in den Gassen und Plätzen zu singen oder zu tanzen wagt, der sei verflucht.“ 39 Vgl. die Tabelle bei Herbers, Leo (wie Anm. 25), S. 495 (hier ist unter Coll. Brit. ein Kreuz bei 7 zu setzen) sowie Böhmer, Herbers, Papstregesten 844–858 (wie Anm. 13), Nr. 203. 40 Vgl. Die Briefe Papst Nikolaus’ I., ed. von Perels, (wie Anm. 29). Es ergibt sich folgendes Bild: Responsa Nicolai (MGH Epistolae, Bd. 6), S. 568–600; Böhmer, Herbers, Papstregesten 858–867, Nr. 822 Kapitel Gratian, Decretum Kap II c. 1 C. 30 q. 3. Kap II c. 1 C. 30 q. 3. Kap II c. 1 C. 30 q. 3. Kap III c. 3 C. 30 q. 5. Kap III c. 3 C. 30 q. 5. Kap III c. 2 C. 27 q. 2. und c. 1 C. 30 q. 2 Kap XLVI c. 15 C. 23 q. 8. Kap XLVIII c. 11 C. 33 q. 4. Kap LXX c. 17 D. 28. Kap LXXI c. 5 C. 15 q. 8. Kap XCVII c. 22 C. 32 q. 5. Kap CIIII c. 24 D. 4.

Mantik und Prognostik in den päpstlichen Responsa des frühen Mittelalters

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Hornung jüngst gezeigt hat.41 Hervorzuheben ist aber im Falle der Bonifatiusrezeption, dass gerade die Spuren des 11. Jahrhunderts in den sogenannten intermediären Sammlungen Material für spätere, päpstlich orientierte Collectiones zusammenstellten. Der Weg scheint hier teilweise vorgezeichnet. 2. Responsa konnten außerdem in großem Maße die bisherigen Traditionen aufgreifen und gegebenenfalls Vorschläge der Anfragen neu bewerten. Dies belegt der Brief des Zacharias, der vielleicht sogar in direktem Zusammenhang mit dem römischen Konzil von 743 stehen könnte. 3. Die Passagen, die aus den Responsa in kirchliche Sammlungen eingingen, waren zwar nicht übermäßig zahlreich, aber trotzdem sind die Belege wichtig, denn die Rechtssätze entsprangen – wenn sie in päpstlichen Responsa standen – offensichtlich einem aktuellen Bedürfnis, waren keine nur von einer Sammlung zur anderen weitergegebene Rechtstradition und führen damit tendenziell stärker als andere Rechtstexte an die Praktiken der jeweiligen Zeit heran.

41 Vgl. Hornung, Sprache des Römischen Rechts (wie Anm. 7).

Das Dekret Burchards von Worms (1000–1025) als Quelle mantischer Praktiken1 Birgit Kynast

1. Einleitung

Gegenstand des folgenden Beitrags sind die Decretorum libri viginti, das sogenannte Dekret (= DB)2 des Bischofs Burchard von Worms. Burchard war Bischof von Worms von 1000 bis zu seinem Tod 1025; als solcher war er nicht nur geistliches Oberhaupt, sondern ganz selbstverständlich auch weltlicher Herr seiner Diözese. Vor dem Hintergrund dieser Doppelfunktion sind nicht zuletzt auch die Entstehung des Dekrets sowie auch manche seiner Inhalte zu betrachten.3 Die Kompilierung dieses umfangreichen 1 Die Vortragsform wurde nur geringfügig verändert und mit ausführlicheren Nachweisen ergänzt. 2 Die Zitation des Dekrets erfolgt nach der von mir angefertigten Transkription einer der ältesten, noch in Worms unter Bischof Burchard entstandenen Handschriften des Dekrets, nach dem ehemaligen Doppelcodex BAV Pal. lat. 585 und 586. Vgl. dazu die Ausführungen bei Hartmut Hoffmann, Rudolf Pokorny, Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Textstufen – Frühe Verbreitung – Vorlagen (= MGH Hilfsmittel, Bd. 12), München 1991, S. 29–58 unter Einbeziehung des Codex Frankfurt Barth. 50; zum Verhältnis der beiden Codices vgl. bes. S. 57, wonach trotz teilweise gemeinsamer bzw. paralleler Textentwicklung der vatikanische Doppelcodex der ältere ist. Die jeweiligen Dekretkapitel werden im Folgenden zusätzlich nach der Ausgabe Jacques-Paul Mignes (Patrologiae cursus completus. Series latina, Paris 1844–1864, Vol. 140, Paris 1880, Sp. 573–1058) zitiert unter Berücksichtigung eines abweichenden Textbefundes (‚vgl.‘ statt ‚=‘ für übereinstimmende Textbefunde). Darunter sind inhaltliche und bzw. oder sinnverändernde Abweichungen zu verstehen, die sich auf die Rubrik, die Inskription und den Kapiteltext beziehen, nicht jedoch Abweichungen in der Schreibweise, Wortstellung oder ähnliches. Die Ausgabe Mignes bietet jedoch per se keine geeignete, da nicht gesicherte Textgrundlage für Arbeiten zum Dekret; sie wird hier nur aufgrund ihrer leichteren Verfügbarkeit zusätzlich angegeben. Die Praefatio des Dekrets wird hingegen zitiert nach der Edition in der Neuausgabe der Editio princeps des Dekrets: Burchard von Worms, Decretorum Libri XX. Ergänzter Neudruck der Editio princeps Köln 1548, hg. von Gérard Fransen und Theo Kölzer, Aalen 1992, S. 45–49. Vgl. zur Einschätzung der bisher verfügbaren Ausgaben des Dekrets (eine Edition liegt nach wie vor nicht vor): Gérard Fransen, Le Décret de Burchard de Worms. Valeur du texte de l’édition. Essai de classement des manuscrits, in: ZRG KA 63 (1977), S. 1–19; Ders., Le Décret de Burchard, in: Burchard von Worms, Decretorum Libri XX. Ergänzter Neudruck der Editio princeps Köln 1548, hg. von Gérard Fransen und Theo Kölzer, Aalen 1992, S. 25–42. 3 Für weitere Informationen zur Biografie Burchards, zu Situierung, Aufbau und Inhalt des Dekrets sei an dieser Stelle verwiesen auf die Ausführungen bei Greta Austin, Shaping Church Law Around the Year 1000. The Decretum of Burchard of Worms (= Church, Faith and Culture in the Medieval West), Farnham, Surrey 2009, S. 53–74, 15–31, zum Teil mit Verweis auf die Ergebnisse bei Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2).

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Werks ist etwa in der Zeit zwischen 1012 und 1023 zu situieren; abgeschlossen war es sicher vor dem Jahr 1023.4 Es umfasst 20 Bücher zu den unterschiedlichsten Thematiken mit insgesamt knapp 1785 Kapiteln. Burchard hat seine Sammlung des tradierten Kirchenrechts auf Anregung des Wormser Dompropsts Brunicho angefertigt, wie wir der Praefatio entnehmen können.5 Diese Arbeit sei vor allem deswegen nötig gewesen, weil das kirchliche Recht in einem furchtbar ungeordneten, widersprüchlichen und daher kaum benutzbaren Zustand vorlag – eine Klage, die mit Sicherheit zumindest in Teilen topisch ist. An diesem chaotischen Zustand des Kirchenrechts läge es aber vor allem, dass die Priester den Gläubigen nicht helfen konnten, die zu ihnen kamen und um das Heilmittel der Buße nachsuchten – ad remedium paenitentiae.6 Derartige Aussagen sind uns ebenfalls bestens bekannt, vor allem aus der Karolingerzeit. Wir sind hier dennoch sehr nahe bei Burchards eigentlicher Motivation:7 Eine Buße musste passend sein, um die jeweilige Sünde auch wirklich tilgen zu können. Um zumindest den Priesternachwuchs in die Lage zu versetzen, eine korrekte Buße erteilen zu können, dafür habe Burchard nun sein Dekret kompiliert. Es sollte also auch zum Unterricht des Priesternachwuchses dienen.8 Dass diese korrekte Anwendung des Bußinstruments und damit im Zusammenhang der Charakter des Dekrets als Lehrbuch mindestens eines der wichtigsten Anliegen des Wormser Bischofs war, ist Gegenstand meiner im Jahr 2017 abgeschlossenen Dissertation.9 4 Vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 12 und 32. 5 Vgl. Birgit Kynast, Eine neue Perspektive auf das Selbstverständnis mittelalterlicher Kompilatoren? Das Konzept der Imitation und die Praefatio zum Dekret des Bischofs Burchard von Worms, in: ZKG 127, 1 (2016), S. 19–36, hier S. 21, 23 f. Vgl. speziell zur Bedeutung der Nennung Brunichos in der Praefatio, der hier stellvertretend für die Angehörigen des Wormser Bistums stehe, Bruce C. Brasington, Prologues to Canonical Collections as a Source for Jurisprudential Change to the Eve of the Investiture Contest, in: FmSt 28 (1994), S. 226–242, hier S. 236. Vgl. außerdem zur Praefatio des Dekrets und zu den darin geäußerten Intentionen und Motivationen Burchards die Ausführungen bei Austin, Shaping Church Law (wie Anm. 3), S. 76–83. 6 […] ob id maxime, quia canonum iura et iudicia poenitentium in nostra diocese sic sunt confuse atque diversa et inculta ac si ex toto neglecta et inter se ualde discrepantia et pene nullius auctoritate suffulta, ut propter dissonantiam uix a sciolis possint discerni. Vnde fit plerumque, ut confugientibus ad remedium poenitentiae tam pro librorum confusione quam etiam presbyterorum ignorantia nullatenus ualeat subueniri. (Praefatio, S. 45 [wie Anm. 2]) 7 Vgl. Kynast, Eine neue Perspektive (wie Anm. 5). 8 Quapropter quia hoc nisi a sapientibus et legis diuinę eruditis fieri nequit, rogauit me dilectio tua, ut hunc libellum breuiter collectum nunc demum pueris traderem addiscendum, ut quod nostri cooperatores in maturiore etate positi nostris diebus et antecessorum nostrorum tarditate neglexerant, modo aetate teneris et aliis discere uolentibus traderetur: siquidem ut prius fierent probi discipuli, post plebium et doctores et magistri, et ut perciperent in scolis quid quandoque dicere deberent sibi commissis. (Praefatio, S. 45 f. [wie Anm. 2]) 9 Buße und kirchliches Recht. Das Bußbuch im Dekret des Bischofs Burchard von Worms (= Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter, Bd. 11), Ostfildern 2020.

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Im Folgenden werde ich auf Ergebnisse dieser Arbeit Bezug nehmen müssen, da hier sonst allenfalls eine Blütenlese zu Burchard auf Basis der Studien Dieter Harmenings zur Superstitio geboten werden könnte, die bereits Ende der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts publiziert wurden. Harmening vertrat die These, dass die meisten mittelalterlichen Texte zu Magie, Divination usw. wenig aussagekräftig wären hinsichtlich einer zeitgenössischen Realität aufgrund ihrer nachweisbaren literarischen Abhängigkeit von meist spätantiken oder frühmittelalterlichen Texten. Ein Paradebeispiel wären etwa die Predigten des Caesarius von Arles, die nachfolgenden mittelalterlichen Autoren umfangreiches Material lieferten.10 Das gilt in Teilen auch für Burchards Dekret. Patrick Hersperger spricht in einer jüngeren Arbeit dennoch von einer, „inoffizielle[n] Kultur“, die trotz langer Vorherrschaft des christlichen Glaubens in einigen Gegenden „noch ein Bestandteil der Lebensweise der Laien wie auch der Kleriker“ gewesen sei.11 In dieser grundsätzlichen Aussage ist er auch gar nicht so weit von Harmening entfernt. Wie aber lässt sich nun speziell aus Burchards Dekret etwas über diese „inoffizielle Kultur“ erfahren? Da bietet das Dekret doch noch die eine oder andere Möglichkeit, wie bereits verschiedentlich, auch von den genannten Autoren, festgestellt wurde.12 Tatsächlich bietet das Dekret den Erstbeleg für einige recht anschauliche, teilweise sehr detaillierte Beschreibungen diverser Praktiken und Vorstellungen. Verwiesen sei nur auf die berühmte Erstnennung des Werwolfglaubens.13 Eine Zusammenschau solcher Bestim10 Vgl. Dieter Harmening, Superstitio. Überlieferungs- und theoriegeschichtliche Untersuchungen zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, Berlin 1979, S. 50–59, sowie mehrfach mit Belegen. Die These von der literarischen Abhängigkeit zahlreicher Bestimmungen zu Magie, Aberglaube und sonstigem wird im Buch mehrfach anhand der Überprüfung der Herkunft entsprechender Bestimmungen wiederholt. 11 Patrick Hersperger, Kirche, Magie und ‚Aberglaube‘. Superstitio in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 31), Köln, Weimar, Wien 2010, S. 194. 12 Vgl. Harmening, Superstitio (wie Anm. 10), S. 128–131; Hersperger, Kirche, Magie und ‚Aberglaube‘ (wie Anm. 11), S. 194. 13 Credidisti quod quidam credere solent, ut illę quę a uulgo parcę uocantur, ipsę, uel sint, uel possint hoc facere quod creduntur, id est dum aliquis homo nascitur, ut tunc ualeant illum designare ad hoc quod uelint, ut quandocumque ille homo uoluerit, in lupum transformari possit, quod uulgaris stulticia vuereuuolf uocat, aut in aliam aliquam figuram? Si credidisti quod umquam fieret, aut esse possit ut diuina imago in aliam formam, aut in aliam speciem transmutari possit ab aliquo, nisi ab omnipotenti deo, X dies in pane et aqua debes poenitere. (Frankfurt Barth. 50, fol. 258v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 971 B) Vgl. Bernadette Filotas, Pagan Survivals, Superstitions and Popular Cultures in Early Medieval Pastoral Literature (= Studies and Texts 151), Toronto 2005, S. 76 f.; Valerie I. J. Flint, The Rise of Magic in Early Medieval Europe, Princeton, New Jersey 1991, S. 372, Anm. 42; Sarah Hamilton, The Practice of Penance, 900–1050, London, Woodbridge 2001, S. 204; Cyrille Vogel, Pratiques superstitieuses au début du XIe siècle d’après le Corrector sive medicus de Burchard, évêque de Worms (965–1025), in: Etudes de civilisation médiévale (IXe-XIIe siècles). Mélanges offerts à Edmond-René Labande, Poitiers 1974, S. 751– 761, hier S. 759 für die Erstnennung bei Burchard mit französischer Übersetzung.

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mungen des Dekrets boten bereits Mathilde Hain 1956/57 und Cyrille Vogel 1974.14 Sie fanden ihre Beispiele allerdings nicht in seinem 10. Buch, welches in seiner ersten Hälfte laut Argumentum libri, folgende Themen sowie passende Bußen behandelt: De incantatoribus. De auguribus. De diuinis. De sortilegis, et de uariis illusionibus diaboli.15 Eine wahre Fundgrube bot für sie der Frageteil im 19. Buch, dem Bußbuch des Dekrets, das zahlreiche Angaben für die Buße in Theorie und Praxis enthält. In seinem fünften Kapitel, das streng genommen gar kein Kapitel ist, finden sich unter 19616 Abschnitten oder Interrogationes (so nenne ich sie im Folgenden), 47, die sich mit magischen, abergläubischen usw. Riten und Vorstellungen befassen. Sie geben, wie nahezu alle Interrogationes des Frageteils, eine passende Buße für das Ausüben oder die Zustimmung zu einer bestimmten Praktik, oder auch nur für jeweils damit verbundene Vorstellungen. 14 Vgl. Mathilde Hain, Burchard von Worms und der Volksglaube seiner Zeit, in: Hessische Blätter für Volkskunde 47/48 (1956/57), S. 39–50; Vogel, Pratiques superstitieuses (wie Anm. 13). Daneben finden sich zahlreiche weitere Arbeiten, die sich mit den entsprechenden Themenfeldern beschäftigen und dazu auch Passagen des Dekrets Burchards herangezogen haben, nicht zuletzt solche des Frageteils. Diese Passagen sind außerdem Hauptgegenstand einer Abschlussarbeit, die 2010 an der Université de Montréal eingereicht wurde sowie einer unveröffentlichten Dissertation, aus der Ergebnisse 2017 in einem Aufsatz publiziert wurden. Vgl. François Gagnon, Le Corrector sive Medicus de Burchard de Worms (1000–1025): présentation, traduction et commentaire ethno-historique, Mémoire présenté à la Faculté des études supérieures en vue de l’obtention du grade de Maître ès arts (M.A.) en histoire, Université de Montréal 2010 [OnlinePublikation] https://papyrus.bib.umontreal.ca/xmlui/bitstream/handle/1866/4915/Gagnon_ Francois_2011_memoire.pdf ?sequence=4&isAllowed=y (letzter Aufruf: 8.6.2020); Andrea Vanina Neyra, The silence of the night interrupted: Diana and her company of women according to Bishop Burchard of Worms. Considerations on the practical usefulness of the Corrector sive medicus, in: Sacri canones editandi. Studies on Medieval Canon Law in Memory of Jiří Kejř, hg. von Pavel Otmar Krafl (= Ius canonicum medii aevi, Bd. 1), Brno 2017, S. 40–63. 15 BAV Pal. lat. 586 fol. 24r; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 831 C. 16 Hermann Josef Schmitz zählte hier insgesamt 194 Einzelabschnitte, die er entsprechend in seiner Edition des Frageteils im Rahmen eines sogenannten Bußbuchs der deutschen Kirche (Poenitentiale ecclesiarum Germaniae) edierte, für das er Teile des 19. Buchs des Dekrets fälschlicherweise hielt. Vgl. Hermann Josef Schmitz, Die Bussbücher und das kanonische Bussverfahren. Nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Bd. 2, Düsseldorf 1898, ND Graz 1958, S. 402. Diese Einschätzung, wonach das 19. Buch oder die durch Schmitz edierten Teile nicht auf Burchard von Worms zurückgehen würden, ist jedoch längst überholt, wie bereits Ludger Körntgen feststellte. Vgl. Ludger Körntgen, Fortschreibung frühmittelalterlicher Bußpraxis. Burchards „Liber corrector“ und seine Quellen, in: Bischof Burchard von Worms, 1000–1025, hg. von Wilfried Hartmann (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 100), Mainz 2000, S. 199–226, hier S. 200. Meine eigene Zählung der Interrogationes basiert auf durch rubrizierte Initialen gekennzeichnete Abschnitte des Frageteils, wie sie sich im Codex BAV Pal. lat. 586 161v–182v bis Int. 141/142 und im Codex Frankfurt Barth. 50 fol. 246r–262r finden. Der Abbruch im vatikanischen Codex erklärt sich durch eine fehlende Lage: Dieser fährt in Lage LXV mit DB XIX 6 fort, Lage LXIV fehlt. Vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 36 f.

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Unter Buße ist hier in der Regel eine Fastenbuße zu verstehen, also ein meist zeitlich begrenzter Verzicht auf bestimmte Speisen und Getränke.17 Die Begriffe, die für die uns hier interessierenden Praktiken und Vorstellungen gebraucht werden, sind im Dekret sehr vielfältig. Die entsprechenden Bestimmungen sind in einen größeren Komplex eingeordnet, der landläufig mit Titeln wie „Aberglaube“, „Magie“ oder „Zauberei“ versehen werden könnte. Besonders von „Aberglaube“ möchte ich hier aber nicht sprechen: Gerade dieser Begriff wird oftmals lediglich als (ab)wertender Gegenbegriff gebraucht, ohne sonstige inhaltliche Aussage, um die es ja hier gerade gehen soll.18 Der lateinische Begriff Superstitio, der die Überschrift zu Harmenings Studien bildete, erscheint im Dekret außerdem nur gelegentlich und im Frageteil überhaupt nicht. Quellenbegriffe, die tatsächlich Verwendung finden, sind eher incantator, maleficus, sortilegus, divinatio, auguria usw., die aber ihrerseits nur bedingt konsistent verwendet werden.19 Eine gemeinsame Benennung der fraglichen Praktiken und Vorstellungen könnte am ehesten noch die Bezeichnung „nichtchristlich“ leisten.20 Besonders herausgestellt und in der Regel allen Praktiken und Vorstellungen gemeinsam ist die Abkehr von Gott und in der Folge die Hinwendung zum Teufel. Besonders einprägsam schildern das Passagen im sogenannten Canon episcopi, den Burchard aus dem Sendhandbuch Reginos (= RP), seiner wichtigsten formalen Quelle,21 übernommen hat, wo er erstmals erscheint.22 Gerade dieser Text, der letztlich unbekannter Prove17 Buße kann dabei jedoch häufig auch weitere Verhaltensweisen bzw. Verbote umschließen wie sexuelle Enthaltsamkeit, Nachtwachen, das Stehen außerhalb der Kirche oder separiert von der Gemeinde innerhalb des Gebäudes sowie das Tragen bestimmter Kleidung. Beispielhaft sind hier DB VI 1–4 (BAV Pal. lat. 585 fol. 262r–263v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 763 D–765 D), die auf Kanones der Synode von Tribur (895) beruhen. Vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 205. In der Neuedition ist die materielle Quelle dieser Kapitel ausschließlich das c. 33 der Versio Dies.-Col. (Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 875–911 [Concilia aevi Karolini DCCCLXXV–DCCCCXI], ed. von Wilfrid Hartmann, Isolde Schröder und Gerhard Schmitz [= MGH Conc. 5], Hannover 2012/2014, S. 384–386) Diese Kapitel regeln die Buße für ein besonders schwerwiegendes Vergehen, nämlich eine aus eigenem Antrieb begangene Tötung. 18 Zum breiten Bedeutungsspektrum des Begriffs sowie zu seiner Entwicklung von der heidnischen Antike bis hinein in die Werke christlicher Autoren vgl. ausführlich Harmening, Superstitio (wie Anm. 10), S. 14–42. 19 Vgl. zur Vielfalt von Quellenbegrifflichkeiten und ihren Bedeutungen am Beispiel des Terminus ‚Hexe‘ Hedwig Röckelein, Hexenessen im Frühmittelalter, in: Kannibalismus und europäische Kultur (= Forum Psychohistorie, Bd. 6), Tübingen 1996, S. 29–60, hier S. 30 f. 20 Vgl. zu diesem Begriff und seiner Verwendung in diesem Kontext auch Austin, Shaping Church Law (wie Anm. 3), S. 175 (mit Bezug auf die Formulierung im Argumentum libri zu DB X): „[…] prohibitions of various practices and beliefs which the church defined as non-Christian […].“ 21 Zur Bedeutung des Sendhandbuchs für die Kompilation des Dekrets Burchards vgl. Austin, Shaping Church Law (wie Anm. 3), S. 39–41. 22 DB X 1: BAV Pal. lat. 586 fol. 24r–25r = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 831 C–834 B. RP II 371: Wien ÖNB, Cod. lat. 694 fol. 130v–131r; Regino von Prüm, Libri duo de synodalibus causis

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nienz ist – wenn man einen Beleg vor dem Sendhandbuch annähme –, hat eine erstaunliche Karriere gemacht: So findet er sich noch im Dekret Gratians und bei Thomas von Aquin, dann allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.23 Im Canon episcopi wird die Pflicht der Priester angeführt, das Volk über den richtigen Glauben zu belehren und falschen Glauben zu bekämpfen, und zwar durch das Wort, also durch die Predigt. Ebenso handelt er, speziell vor dem Hintergrund des Nachtfluges, von der Verführung schwacher und törichter Seelen durch falsche Vorspiegelungen, wofür der Teufel verantwortlich gemacht wird: Gott allein könne die Gestalt und Erscheinungen verändern. Wer aber entsprechende Trugbilder und ähnliches für wahr halte, der habe dem Canon zufolge den wahren Glauben verloren und sich von seinem Schöpfer abgewandt; er sei nun dessen, zu dem er sich bekehrt habe, nämlich des Teufels. In Burchards Version wird der abschließende Vermerk, dass einer, der Gott verlassen habe, zweifellos ungläubig sei, noch ergänzt durch den Verweis, er sei sogar „schlechter als ein Heide“ (pagano deterior).24 Inhalte dieses Stücks enthalten Anlehnungen an die augustinische Illusionstheorie; diese wiederum gilt als zentral für Vorstellungen zu Hexen sowie zum Hexenglauben in den Jahrhunderten des frühen Mittelalters.25 Aufgrund seiner zentralen Stellung zu Beginn des 10. Buchs ist der Canon episcopi aber als programmatisch zu werten; auch im Frageteil erscheint er zweimal, in leicht abgewandelter Form.26 Die wichtigste Aussage

et disciplinis ecclesiasticis, ed. von Friedrich W. A. H. Wasserschleben, Leipzig 1840, ND Graz 1964, S. 354–356. Vgl. hierzu Anm. 29. Vgl. zum Canon episcopi ausführlich Werner Tschacher, Der Flug durch die Luft zwischen Illusionstheorie und Realitätsbeweis. Studien zum sog. Kanon Episcopi und zum Hexenflug, in: ZRG KA 85 (1999), S. 225–276. 23 Vgl. aus der umfangreichen Literatur neben Tschacher, Der Flug (wie Anm. 22), auch: Flint, The Rise of Magic (wie Anm. 13), S. 122–126; Julio Caro Baroja, Witchcraft and Catholic Theology, in: Early Modern European Witchcraft. Centres and Peripheries, hg. von Bengt Ankarloo, Gustav Henningsen, Oxford 1993, S. 19–43, hier S. 26–28; Carlo Ginzburg, Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte, Berlin 1990, S. 92 f.; Harmening, Superstitio (wie Anm. 10), S. 98 f.; Hersperger, Kirche, Magie und ‚Aberglaube‘ (wie Anm. 11), S. 192 f.; Filotas, Pagan Survivals (wie Anm. 13), S. 317; Claude Lecouteux, Fées, sorcières et loupsgarous au moyen âge, Paris 1992, S. 93–120; Ders., Das Reich der Nachtdämonen. Angst und Aberglaube im Mittelalter, Düsseldorf, Zürich 2001, S. 20–22, passim; Alfonso di Nola, Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte, München 1993, S. 298–300, 361, 367; Edward Peters, The Magician, the Witch and the Law, Philadelphia 1978, S. 15, 72–74, 101 f., 134 f., 141, 150; Jeffrey Burton Russell, Witchcraft in the Middle Ages, Ithaca, New York 1972, S. 75–82, 96, 115, 117 f., 146 f., 156 f., 175 f., 205, passim. 24 BAV Pal. lat. 586 fol. 25r = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 833 B. 25 Vgl. Baroja, Witchcraft (wie Anm. 23), S. 26 f.; Maria E. Wittmer-Butsch, Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter (= Medium aevum quotidianum, Sonderbd. 1), Krems 1990, S. 99–103; Martine Dulaey, Le rêve dans la vie et la pensée de saint Augustin, Paris 1973. 26 BAV Pal. lat. 586 fol. 175v–176v; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 963 C–964 B, hier die lediglich in Frageform umgewandelte Variante des Canon episcopi. BAV Pal. lat. 586 fol. 174r; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 962 A: Hier erscheint, erstmals belegt, die Holda, statt der Diana oder

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dieses Textes ist aber, dass all diese Dinge, magischer oder sonstiger Natur, keine Realität besitzen, da sie nicht von Gott stammen. Der Befund nach Buch 10 ist für mantische Praktiken und Divination nun eher ernüchternd. Von insgesamt 50 Abschnitten, die sich im engeren Sinne mit nichtchristlichen Praktiken und Vorstellungen beschäftigen, sind nur ca. 17 für unser Thema relevant. Einige Inhalte dieser Kapitel wurden, in Frageform, umgewandelt, im Frageteil im 19. Buch des Dekrets wieder aufgegriffen. Die relevanten Kapitel in Buch 10 enthalten, im Gegensatz zu relevanten Passagen in DB XIX 5, kaum genauere Beschreibungen: In der Regel handelt es sich um Sammelbestimmungen, die teilweise scheinbar wahllos unterschiedliche Praktiken und Vorstellungen nebeneinanderstellen und mit einer Buße versehen; in manchen Fällen hat Burchard diese allerdings selbst ergänzt oder vereinheitlicht, wie er ja überhaupt an sehr vielen Stellen in seine Texte eingegriffen hat.27 Für den überwiegenden Teil der nachfolgend präsentierten Bestimmungen aus Buch 10 ist außerdem eine literarische Abhängigkeit wahrscheinlich. Es ist jedoch nicht von vorneherein auszuschließen, dass den beschriebenen Vorstellungen und Praktiken nach wie vor eine gewisse Relevanz zukam, auch wenn wir außerhalb von normativen Texten wie Rechtssammlungen kaum zeitgenössische Belege dafür haben.28

Herodias aus der ursprünglichen Fassung des Canon in DB X 1. Vgl. Filotas, Pagan Survivals (wie Anm. 13), S. 66, 75 f., 315. 27 Das hat ihm in der älteren Forschung noch schlicht den Vorwurf der Fälschung eingebracht. Vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 159; Austin, Shaping Church Law (wie Anm. 3), S. 218–221. Zu den Texteingriffen Burchards vgl. zuletzt Dies. S. 137–143, sowie in einem weiteren Sinne zum Vorgehen Burchards im Sinne eines Kompilators Kynast, Eine neue Perspektive (wie Anm. 5), S. 31–34. 28 Ein Realitätsbezug kann etwa für den Bereich des Wettermachens bzw. des Glaubens an Wetterdämonen angenommen werden; dass entsprechende Praktiken des Wettermachens oder der Bannung von Wetterdämonen durchgeführt wurden, ist quellenmäßig für das frühe Mittelalter auch außerhalb normativer Texte belegt. Vgl. beispielsweise Monica Blöcker, Wetterzauber. Zu einem Glaubenskomplex des frühen Mittelalters, in: Francia 9 (1981), S. 117–131.

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2. Mantische Praktiken in Buch 10 des Dekrets

Als erstes29 sind hier zwei Auszüge aus Briefen Papst Gregors des Großen in Kapitel 330 und 431 zu nennen, die Burchard wohl ohne große Eingriffe aus der Collectio Anselmo dedicata entnommen hat.32 Zusammen mit dem Canon episcopi können sie als Auf29 Der Abgleich mit den Quellen der jeweiligen Dekretkapitel basiert auf eigener Einsichtnahme in die Quellentexte. Für die Abgleichungen mit Kapiteln des Sendhandbuchs wurde der Wiener Codex ÖNB Cod. lat. 694 herangezogen, der einen Typus darstellt, der Burchard vorgelegen haben dürfte. Vgl. Max Kerner, Franz Kerff, Rudolf Pokorny, Karl Georg Schon, Hubert Tills, Textidentifikation und Provenienzanalyse im Decretum Burchardi, in: Mélanges G. Fransen Bd. 2 (= Studia Gratiana, Bd. 20), Rom 1976, S. 17–63, bes. S. 44–62. Die Zitation der Kapitel des Sendhandbuchs erfolgt nach der Wiener Handschrift sowie ergänzend nach der Edition Wasserschlebens (wie Anm. 22). 30 De cultoribus idolorum [marg. Ex eodem cap. XV] Contra idolorum namque cultores, uel aruspicum atque sortilogorum, fraternitatem tuam uehementius pastorali hortamur inuigilare custodia, atque publice in populo contra huius rei uiros sermonem facere, eosque a tali labe sacrilegii, et diuini intentione iudicii, et praesentis uitę periculo adhortatione suasoria reuocare. Quos tamen si emendare se a talibus atque corrigere nolle repereris, feruenti comprehendere zelo te uolumus: et quidem, si serui sunt, uerberibus, crutiatibusque quibus ad emendationem peruenire ualeant, castigare. Si uęro sunt liberi inclusione digni, districtaque sunt in poenitentia dirigendi, ut qui salubria et a mortis periculo reuocantia audire uerba contemnunt, cruciatus saltim eos corporis ad desideratam mentis ualeat reducere sanitatem. (BAV Pal. lat. 586 fol. 25v–26r; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 833 B–833 C) 31 De eadem re [marg. Ex eodem cap. XVI] Peruenit ad nos quod quosdam incantatores atque sortilegos fueris insecutus, et omnino nobis sollicitudinem zelumque tuum gratum fuisse cognoscas. Sed moleste tulimus, quod te dubitare, ne ab eis nobis contra experientiam tuam surripi potuisset didicimus, dum quando certus esse ac scire debueris, hoc tibi apud nos ad commendationem magis proficere, non ad culpam adscribi. Et ideo studii tui sit sollicite quęrere, et quoscumque inueneris huiusmodi christi inimicos, ita districta ultione corrige, ut et nos de experientia tua melius possimus habere iudicium, et deo te nostro quod maxime studendum est ualeas commendare. (BAV Pal. lat. 586 fol. 26r; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 833 D) 32 Vgl. zu den Vorlagen der Kapitel Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 215. Der Abgleich mit Kapiteln der Collectio Anselmo dedicata erfolgte über mehrere Handschriften, da hinsichtlich der Vorlagen Burchards in der Forschung unterschiedliche Annahmen existieren. In Frage kämen folgende Codices, die teilweise jedoch nur eine lückenhafte Überlieferung enthalten: Bamberg, Staatsbibliothek Can. 5; Modena, Biblioteca Capitolare, O. II. 2; Paris, Bibliothèque nationale, lat. 15392; BAV Pal. lat. 580 und 581; Vercelli, Biblioteca Capitolare Eusebiana, XV. Die Überlieferung der Sammlung wird nach den Ausführungen Fourniers in eine cis- und eine transalpine Gruppe geteilt, ein Befund, der von Klaus Zechiel-Eckes wohlbegründet in Frage gestellt wurde. Vgl. Paul Fournier, L’origine de la collection ‚Anselmo dedicata’, in: Mélanges Paul Frédéric Girard, Bd. 1, Paris 1912, S. 475–498; Klaus Zechiel-Eckes, Quellenkritische Anmerkungen zur „Collectio Anselmo dedicata“, in: Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900, hg. von Wilfried Hartmann (= Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien, Bd. 69), München 2007, S. 49–66. Eine kritische Edition der kompletten Sammlung liegt bis heute nicht vor. Vgl. dazu Jean-Claude Besse, Histoire des textes du droit de l’Eglise au Moyen âge, de Denys à Gratien. Collectio Anselmo dedicata. Étude et texte (extraits), Paris 1960. Besse edierte nur das erste Buch: Collectionis Anselmo dedicata liber primus, in: Revue de droit canonique 9 (1959),

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forderungen an die Bischöfe respektive die Priester gelesen werden, dass sie vor allem mit geistlichem Eifer gegen sortilegi, malefici, incantatores sowie gegen nichtchristliche Kulte jeglicher Art massiv vorgehen sollen, teilweise auch mit der expliziten Aufforderung zu körperlicher Züchtigung. DB X 533 ist ein korrekt an das Konzil von Ancyra (314) inskribierter und ohne Änderungen aus dem Sendhandbuch Reginos von Prüm entnommener Text: Übernommen wurde auch eine Buße gemäß der Fünfjahresregel.34 Das Kapitel enthält das Verbot Weissagungen gemäß der Sitte der Heiden zu befolgen sowie das Verbot Weissager ins Haus zu holen, um etwas durch Magie zu erforschen oder zu sühnen. Kapitel 6,35 inhaltlich sehr nah an Kapitel 5, beschäftigt sich mit jenen, die die Sitten der Heiden beachten: De illis qui ritum paganorum observant. Explizit geht es um jemanden, der Seher oder Wahrsager für ihre Dienste in sein Haus geholt hat. Das Kapitel entstammt wiederum dem Sendhandbuch und wurde ohne Änderungen übernommen.36 Exemplarisch sei hier noch auf die nicht nur bei diesen beiden Kapiteln vorhandene Begriffsproblematik hingewiesen: Kapitel 5 spricht von divinationes und von magischer Kunst (ars malefica), Kapitel 6 nennt zugleich Seher und Weissager (divini bzw. sortilegi), unterscheidet also nicht zwischen diesen beiden. DB X 837 bezieht sich laut Rubrik (De eadem re) auf eine ähnliche Angelegenheit wie Kapitel 738 mit der Rubrik De illis qui auguriis et incantationibus subserviunt. Inhaltlich geht es in Kapitel 7 um die Ausübung von Weissagekunst und Beschwörungen sowie um S. 207–296; vernichtend dazu Gabriel Le Bras, Miettes pour une nouvelle édition de l’Histoire des collections canoniques, in: Revue historique de droit français et étranger Ser. 4, 38 (1960), S. 309–312; Ders., Revue historique de droit français et étranger Ser. 4, 41 (1963) S. 635–637. 33 De illis qui diuinationes requirunt [marg. Ex concilio Ancirano cap. XXIII] Qui diuinationes expetunt, et more gentilium subsequuntur, aut in domos suas huiuscemodi homines introducunt exquirendi aliquid arte malefica, aut expiandi causa sub regula quinquennii iaceant, secundum gradus poenitentię definitos. (BAV Pal. lat. 586 fol. 26r = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 834 A) 34 RP II 354: ÖNB Cod. lat. 694 fol. 129r; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 349. Die Fünfjahresregel meint eine gestufte Buße, nach der eine graduelle Wiederzulassung des Büßers zur Gemeinschaft der Gläubigen ermöglicht wird. Zu den Bußstufen vor dem Konzil von Nicaea (325) vgl. Joseph Grotz, Die Entwicklung des Bußstufenwesens in der vornicänischen Kirche, Freiburg 1955. Es scheint, dass sich Bußstufen vor allem in der Ostkirche etabliert haben, in der Westkirche jedoch kaum. Vgl. Rob Meens, Penance in Medieval Europe: 600–1200, Cambridge 2014, S. 25. 35 De illis qui ritum paganorum obseruant [marg. Ex concilio Braggarensi cap. VI] Si quis paganorum consuetudinem sequens, diuinos et sortilegos in domum suam introduxerit, quasi ut malum foras mittat, aut maleficia inueniat, quinque annos pęniteat. (BAV Pal. lat. 586 fol. 26r–26v = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 834 A) 36 RP II 355: ÖNB Cod. lat. 694 fol. 129r; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 349. Materielle Quelle ist laut Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 215 ein Text Martins von Braga. 37 De eadem re [marg. Ex penitentiali Romano] Qui auguriis uel diuinationibus inseruiunt, uel qui credit ut aliqui hominum sint inmissores tempestatum, uel si qua mulier diuinationes uel incantationes diabolicas fecerit, VII annos poeniteat. (BAV Pal. lat. 586 fol. 26v = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 834 B) 38 De illis qui auguriis et incantationibus subseruiunt [marg. Ex concilio Cartagin. Cap. LXXXVIIII] Auguriis uel incantationibus seruientem a conuentu ęcclesię separandum. Similiter et iudaicis super-

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das Einhalten jüdischer Glaubensvorschriften, die hier als superstitiones betitelt werden. Die Buße besteht in einer Trennung von der kirchlichen Gemeinschaft. Kapitel 8 enthält das Verbot der Praktizierung von Vogelschau und Weissagungen sowie den Glauben an die Existenz von Wettermachern und das Ausüben von Beschwörungen durch eine Frau. Beide Kapitel stammen aus dem Sendhandbuch, wobei in Kapitel 8 die variablen Bußangaben vereinheitlicht wurden, nämlich auf die höchste angegebene Variante von sieben Jahren; außerdem wurde im Dekret der Glaube an die Existenz von Wettermachern zum bußwürdigen Vergehen, eine Präzisierung, die so bei Regino nicht zu finden war.39 Die Begründung, warum hier eine so hohe Buße vorgesehen ist, sieht Valerie Flint darin, dass diejenigen, die diese Wahrsagekünste praktizieren, in das eigene Haus eingeladen werden, was als schwerwiegender gewertet werden könne als eigene Versuche diese Künste auszuüben.40 In dieser Deutung fiele der Unterschied in der Buße im Vergleich zu einem ähnlichen Vergehen in Kapitel 2441 noch heftiger aus, denn darin wird speziell für Frauen eine Buße gegeben, wenn sie unter anderem divinationes ausüben. Maximal beträgt die Buße hier ein Jahr. Solche Widersprüche finden sich bei genauerer Betrachtung tatsächlich an mehreren Stellen in Buch 10 – stärker vereinheitlicht wurde dies erst im Frageteil.42 DB X 9,43 das erneut unverändert aus Regino stammt und wie Kapitel 8 auf das Paenitentiale mixtum Pseudo-Bedae-Egberti zurückgeht, erwähnt unter anderem die sogenannten sortes sanctorum;44 exklusiv werden diese in Kapitel 2745 behandelt, erneut eine stitionibus uel feriis inhęrentem. (BAV Pal. lat. 586 fol. 26v = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 834 A–834 B) 39 RP II 363 und 364: ÖNB Cod. lat. fol. 129v; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 351 f. Die Abweichung des Kapitels zu seiner formalen Quelle hat bereits Austin, Shaping Church Law (wie Anm. 3), S. 137 in Anm. 4 konstatiert. Zu den materiellen und formalen Quellen vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 216. 40 Vgl. Flint, The Rise of Magic (wie Anm. 13), S. 121. 41 Item de mulierculis incantatricibus [marg. Ex pęnitentiali Romano] Mulier si diuinationes uel incantationes diabolicas fecerit, annum unum pęniteat, uel tres quadragesimas, uel quadraginta dies, secundum qualitatem delicti. (BAV Pal. lat. 586 fol. 29r = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 836 D) 42 Zu widersprüchlichen Bußbestimmungen hinsichtlich der genannten Kapitel vgl. Austin, Shaping Church Law (wie Anm. 3), S. 137 in Anm. 4, 139 in Anm. 15, 178 in Anm. 71. 43 De illis qui sortes obseruant [marg. Ex eodem] Auguria uel sortes quę dicuntur falsę sanctorum uel diuinationes qui eas obseruauerint uel quarumcunque scripturarum uel uotum uouerint uel persol­ uerint ad arborem uel ad lapidem uel ad quamlibet rem excepto ad ęcclesiam, omnes excommunicentur. Si ad poenitentiam uenerint, clęrici annos III, laici annum I et dimidium pęniteant. (BAV Pal. lat. 586 fol. 26v = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 834 B–834 C) 44 Vgl. zu den Quellen Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 216. Das Paenitentiale mixtum wird dort mit der älteren Forschung als Excarpsus Bedae-Egberti bezeichnet. Zum Paenitentiale mixtum Ps.-Bedae-Egberti vgl. Reinhold Haggenmüller, Die Überlieferung der Beda und Egbert zugeschriebenen Bußbücher, Frankfurt a. M. u. a. 1991. 45 De illis qui sortes sanctorum requirunt [marg. Ex concilio Agathensi Cap. III] Nec illud est praetereundum quod maxime fidem religionis infestat, quod aliqui clęrici uel laici student auguriis et

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unveränderte Übernahme aus dem Sendhandbuch, materielle Quelle ist hier das Konzil von Agde (506).46 Es ist jedoch unklar, was der Begriff sortes sanctorum meint. Nach William E. Klingshirn handele es sich dabei um die Bezeichnung für einen divinatorischen Text, während Harmening der Ansicht ist, dass es sich bei den sortes sanctorum um „kultische[s] Losen“ handele.47 Die Bezeichnung qui sortes sanctorum vocant wird in Kapitel 27 nicht näher erläutert; auch im Frageteil finden wir dazu in einer auch auf diesem Kapitel basierenden Interrogatio nichts.48 Dabei ist es aber gleichgültig, ob es ein Laie oder ein Kleriker gewesen ist, der um einen solchen Rat gebeten (consulere) oder eine derartige Sache gelehrt hat (docere): Er soll aus der Kirche ausgeschlossen werden (ab Ecclesia ejiciatur). Eine ähnliche Praktik, bei der es um die Erfahrung zukünftiger Dinge geht, begegnet unter anderem noch in Kapitel 26, dort speziell mit dem Bezug auf den Psalter oder das Evangelium.49 Dieses Kapitel gibt nun eine Buße von 40 Tagen; sie wurde von Burchard ergänzt; Reginos Kapitel, das die formale Quelle hierzu bildet, hatte sie noch nicht, sondern verbot nur generell die Ausübung der genannten Praktiken.50 Eine äußerst interessante Änderung der Buß- bzw., wie in diesem Fall auch formuliert werden muss, Strafbestimmung findet sich in Kapitel 30, erneut eine Sammelbestimmung.51 Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Buße für jemanden, der Wahrsager oder Zeichendeuter aufgesucht hat; Kleriker sollen hier wieder drei Jahre büßen, Laien zwei Jahre. Der Fall wird damit im Dekret gänzlich anders behandelt als im Sendhandbuch: Bei Regino steht hierfür die Todesstrafe (capite puniantur); eine Buße wird also nicht gegeben und es findet sich entsprechend auch keine Unterscheidung nach Klerisub nomine fictę religionis, quam sortes sanctorum uocant, diuinationis scientiam profitentur, aut quarumcunque scripturarum inspectione futura promittunt. Quicunque clęricus uel laicus in eo detectus fuerit talia consulere uel docere ab ęcclesia eiciatur. (BAV Pal. lat. 586 fol. 29v = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 837 A) 46 RP App. III 48: ÖNB Cod. lat. 694 fol. 164v; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 485. Zu den Quellen vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 216. 47 Vgl. William E. Klingshirn, Defining the Sortes Sanctorum. Gibbon, Du Cange and Early Christian Lot Divination, in: Journal of Early Christian Studies 10 (2002), S. 77–130; Harmening, Superstitio (wie Anm. 10), S. 203 f., Zitat S. 203. 48 DB XIX 5 Int. 68: Requisisti sortes in codicibus, uel in tabulis, ut plures solent, qui in psalteriis, et in euangeliis, uel in aliis huiusmodi rebus sortiri praesumant? Si fecisti, X dies pęniteas in pane et aqua. (BAV Pal. lat. 586 fol. 173v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 961 C–961 D) 49 De illis qui in tabulis aut in codicibus futura requirunt [marg. Ex penitentiali Theodori] In tabulis uel codicibus sorte futura non sunt requirenda, et ut nullus in psalterio uel in euangelio uel in aliis rebus sortiri praesumat, nec diuinationes aliquas in aliquibus rebus obseruare. Quod si fecerit XL dies pęniteat. (BAV Pal. lat. 586 fol. 29v = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 836 D–837 A) 50 RP App. III 55: ÖNB Cod. lat. 694 fol. 165r; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 487. Zu den Quellen vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 216. 51 De illis qui ad suas uanitates perficiendas dęmones inuocant [marg. Ex penitentiali bedę presbyteri] Quicunque pro curiositate futurorum uel inuocatorem demonum uel diuinos quos ariolos appellant uel aruspices qui auguria colligunt consuluerit, clęrici ab omni officio remoti III annos laici II annos peniteant. (BAV Pal. lat. 586 fol. 30r–30v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 837 C)

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kern und Laien.52 Materielle Quelle ist die Lex Romana Visigothorum bzw. der Codex Theodosianus in der Kurzfassung der Lex.53 Die Änderung der Todesstrafe in eine Buße setzt m. E. eine minimale Beschäftigung mit den Inhalten voraus, die augenscheinlich eine Anpassung notwendig machte. Dabei konnte Burchard allerdings auf die ihm vorliegende ältere Bußbuchtradition zurückgreifen, die zwar ebenfalls auf die römisch-rechtliche Quelle zurückging, die jedoch die Todesstrafe ausnahmslos durch Bußen ersetzt hatte. Die Tradition bot für die beiden in der Bestimmung angesprochenen Wahrsagepraktiken mit jeweils fünf bzw. drei Jahren Buße verschiedene Tarife; Burchard übernahm nur den niedrigeren Ansatz, ergänzt allerdings um die Unterscheidung von Klerikern und Laien sowie die Amtsenthebung der ersteren. Diese Vorgabe dürfte über den Excarpsus Cummeani und die Iudicia Theodori U auf eine Bestimmung des Konzils von Ancyra in einer selten belegten Version zurückgehen.54 Man wird nun nicht davon ausgehen können, dass in Worms im 11. Jahrhundert noch die Vogel- oder Eingeweideschau in antiker Form praktiziert wurde; dass die Etrusker beispielsweise die Eingeweideschau erfunden hätten, erfährt man aus DB X 44.55 Will man wissen, was arioli, aruspices, astrologi, sortilegi und andere eigentlich machen, bzw. woraus sie die Zukunft deuten, liest man in Kapitel 43 nach.56 Beide Kapitel sowie 41, 42, 45 bis 47 entstammen einem Traktat des Hrabanus Maurus (De consanguineorum nuptiis et de magorum praestigiis), der aber selbst eigentlich nur Augustinus abgeschrieben hat.57 Eine Eins-zuEins-Übertragung auf zeitgenössische Verhältnisse verbietet sich hier selbstverständlich. Weitere Kapitel, die sich in Buch 10 noch mit entsprechenden Praktiken und Vorstel52 RP II 361: ÖNB Cod. lat. 694 fol. 129v; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 351. Zur Änderung im Dekret vgl. Austin, Shaping Church Law (wie Anm. 3), S. 151 in Anm. 25. 53 Vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 216. 54 Vgl. Excarpsus Cummeani VII, 3 (ed. von Hermann Josef Schmitz, in: Hermann Josef Schmitz, Die Bußbücher und die Bußdisziplin der Kirche. Nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Mainz 1888, ND Graz 1958, S. 632) aus Ancyra (314) c. 23 (24) (Versio Isid.) (Ecclesiae Occidentalis Monumenta Iuris Antiquissima II, pars prior. Concilia Ancyritanum et Neo Caesariense, ed. Cuthbertus Hamilton Turner, Oxford 1907, S. 112) und Iudicia Theodori U I 15,4 (ed. von Paul W. Finsterwalder, in: Paul W. Finsterwalder, Die Canones Theodori Cantuariensis und ihre Überlieferungsformen, Weimar 1929, S. 311). Zu den komplexen Quellenabhängigkeiten vgl. Ludger Körntgen, Der Excarpsus Cummeani, ein Bußbuch aus Corbie?, in: Scientia veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, hg. von Oliver Münsch, Thomas Zotz, Ostfildern 2004, S. 59–75, hier S. 72 f. 55 BAV Pal. lat. 586 fol. 35r–38v; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 841 C–844 A. 56 BAV Pal. lat. 586 fol. 34r–35r; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 840 C–841 C. 57 DB X 41: BAV Pal. lat. 586 fol. 32v–33r; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 839 C–840 A. DB X 42: BAV Pal. lat. 586 fol. 33r–34r; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 840 A–840 C. DB X 45: BAV Pal. lat. 586 fol. 38v–40v; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 844 B–845 D. DBX 46: BAV Pal. lat. 586 fol. 40v– 43r; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 845 D–847 D. DB X 47: BAV Pal. lat. 586 fol. 43r–47v; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 847 D–851 C. Zu den Quellen der Kapitel vgl. Hoffmann, Pokorny, Dekret (wie Anm. 2), S. 217. Vgl. außerdem Kynast, Eine neue Perspektive (wie Anm. 5), S. 199 f., 202–210 zur Zuschreibung dieser Passagen an Augustinus.

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lungen der Zukunftsdeutung befassen, sind die Kapitel 11, 13, mit Einschränkungen 18 und 19, dann 22, 23 und schließlich 48;58 auf diese soll jedoch hier nicht näher eingegangen werden, denn für sie gilt im Prinzip dasselbe wie für die vorhergehenden Kapitel hinsichtlich ihres Quellenwerts. 3. Mantische Praktiken in DB XIX 5, dem Frageteil des Dekrets

Hinsichtlich seines Quellenwerts ist der Frageteil des Dekrets der interessantere Abschnitt. Dieser war für den praktischen Kontext der Buße wie auch für die Ausbildung des Klerikernachwuchses gedacht, was ich unter anderem im Rahmen meiner Dissertation nachweisen konnte. Diesen Fragenkatalog hat Burchard aufbauend auf Vorbildern wie den Frageteilen im Sendhandbuch, das insgesamt drei Frageteile zu unterschiedlichen Kontexten enthält, neu zusammengestellt bzw. wesentlich erweitert. Der Frageteil des Sendhandbuchs, der Burchard als unmittelbares Vorbild für seinen eigenen in DB XIX 5 gedient hat, gibt nur 38 Fragen bzw. Abschnitte, während Burchards weit über 100 hat.59 Für den Frageteil hat er an einigen Stellen wohl Texte neu verfasst; zumindest konnten für sie bisher keine Vorläufer eruiert werden. Das Interessante ist bei all diesen Passagen ohne Quelle, dass Burchard für sie erst Bußen eruieren musste, er konnte sich hier nicht in direkter Weise an Vorgaben der Tradition orientieren. Ein zentrales Beispiel für solche Vorgaben der Tradition ist etwa die Buße für willentliche Tötungen: Diese ist in der Regel an den sieben Jahren für willentliche Tötungen orientiert, die in einer Bestimmung der Synode von Ancyra vorgegeben waren.60 Teilweise vereinheitlichte Burchard Bußen auch auf diesem Wege, d. h. er orientierte sich dazu an autorita58 DB X 11: BAV Pal. lat. 586 fol. 27r–27v = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 835 A–835 B. DB X 13: BAV Pal. lat. 586 fol. 27v–28r = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 835 B–835 C. DB X 18: BAV Pal. lat. 586 fol. 28v; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 836 A. DB X 19: BAV Pal. lat. 586 fol. 28v = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 836 A–836 B. DB X 22: BAV Pal. lat. 586 fol. 29r = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 836 C. DB X 23: BAV Pal. lat. 586 fol. 29r = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 836 C. DB X 48: BAV Pal. lat. 586 fol. 47v–48r = PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 851 C. 59 Ein weiterer, insgesamt 89 Abschnitte enthaltender Frageteil findet sich im zweiten Teil des Sendhandbuchs in Kapitel 5: Diese 89 Abschnitte enthalten tatsächlich nur Fragen, geben also keine Buße, und gehören außerdem in den Kontext des Sendgerichts. ÖNB Cod. lat. 694 fol. 88v–92v; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 208–216. Ein weiterer Frageteil findet sich gleich zu Beginn des ersten Buchs: Dieser richtet sich ausschließlich an den Priester, der dem Bischof während der Visitation anhand der angeführten Punkte Auskunft geben soll über den Zustand seiner parrochia. ÖNB Cod. lat. 694 fol. 30v–34v; Libri Duo (wie Anm. 22), S. 19–26. 60 Vgl. zur Bedeutung von Bestimmungen dieses Konzils für das Dekret auch Birgit Kynast, Buße im Dekret des Bischofs Burchard von Worms (1000–1025), in: Proceedings of the Fifteenth International Congress of Medieval Canon Law. Paris, University Panthéon-Assas (Paris II), 17–23 July 2016 (= Monumenta Iuris Canonici, Series C: Subsidia, Città del Vaticano) [im Druck].

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tiven Texten der Tradition wie beispielsweise Konzilsbestimmungen. Er musste sich also auch mit den acht nachfolgenden Delikten, die in die Kategorie Mantik und Divination gehören, auseinandersetzen; dass er sich mit ihnen auseinandersetzte und sie überhaupt in seinen Frageteil aufgenommen hat, zeigt bereits, dass die darin beschriebenen Praktiken und Vorstellungen eine gewisse Bedeutung gehabt haben müssen. Insofern ist also auch Buch 10 des Dekrets mit seinen weitgehend den Vorlagen entnommenen Bestimmungen nicht ohne aktuellen Aussagewert für den Zeitkontext Burchards, was jedoch vor allem im Abgleich mit entsprechenden Interrogationes in DB XIX 5 deutlich wird. Fünf Interrogationes basieren nun zumindest in Teilen auf Kapiteln bzw. greifen Kapitel aus Buch 10 wieder auf, die teilweise schon angeführt wurden. DB X 5 und 6 bieten die Dekretvorlage für die erste, hier zu behandelnde Interrogatio 61: Sie richtet sich, wie alle Abschnitte des Frageteils Burchards und auch schon seiner Vorlage im Sendhandbuch, an ein direktes Gegenüber, das in der zweiten Person Singular adressiert und geschlechtlich nur in einigen Fällen näher gekennzeichnet wird. Auch Interrogatio 61 kann daher prinzipiell sowohl an einen Mann als auch an eine Frau adressiert werden. Konkret wird die Person hier gefragt, ob sie magi oder divini aufgesucht und befragt sowie diese auch in ihr Haus eingeladen habe, wo die Genannten dann ihre incantationes oder zukunftsdeutenden Praktiken ausüben sollten. Jemand, der diese Dienste in dieser Weise in Anspruch genommen hat, soll zwei Jahre an den vorgesehenen Wochentagen (per legitimas ferias) büßen, also Montag, Mittwoch und Freitag;61 die Dekretkapitel hatten für die entsprechenden Vergehen fünf Jahre vorgesehen.62 In der folgenden Interrogatio 62 wird die Beachtung verschiedener heidnischer Traditionen mit einer ebenfalls zweijährigen Buße, ebenfalls wieder an den vorgesehenen Wochentagen, belegt.63 Darunter fallen etwa die Beachtung (oder Beobachtung) und 61 Im Frageteil Burchards sind es in der Regel diese drei Wochentage, die als legitimae feriae bezeichnet werden und an denen zu fasten ist. Die älteren Vorgaben der Tradition dazu sind jedoch nicht einheitlich. Eine Vorgabe von drei Fasttagen findet sich aber beispielsweise in c. 11 des Konzils von Mainz (852), das unter Erzbischof Hrabanus Maurus stattfand und dessen Beschlüsse wesentlich durch ihn beeinflusst wurden. Es ist jedoch unklar, auf welche Tradition sich Hrabanus an diesem Punkt bezog. Vgl. Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 843–859 (Concilia aevi Karolini DCCCXLIII–DCCCLIX), ed. von Wilfried Hartmann (= MGH Conc., Bd. 3), Hannover 1984, S. 248 mit Anm. 70. 62 Consuluisti magos, et in domum tuam induxisti, exquirendi aliquid arte malefica, aut expiandi causa, uel paganorum consuetudinem sequens, diuinos qui tibi diuinarent, ut futura ab eis requireres quasi a propheta, et illos qui sortes exercent, uel qui per sortes sperant se futura praescire, uel illos qui uel auguriis, uel incantationibus inseruiunt ad te inuitasti? Si fecisti, II annos per legitimas ferias pęniteas. (BAV Pal. lat. 586 fol. 172r = PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 960 C) Zu DB X 5 und 6 vgl. Anm. 33 und 35. 63 Si obseruasti traditiones paganorum, quas quasi hęredetario iure diabolo subministrante, usque in hos dies semper patres filiis reliquerunt, id est ut elementa coleres, id est lunam, aut solem, aut stellarum cursum, nouam lunam, aut defectum lunę, ut tuis clamoribus aut auxilio splendorem eius restaurare ualeres, aut illa elementa tibi succurrere, aut tu illis posses, aut nouam lunam obersuas-

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Verehrung der Gestirne, insbesondere von Sonne und Mond, wohl um Aussagen über die Zukunft zu bekommen. Die Interrogatio betont, dass diese Dinge bis heute (usque in hos dies) gelehrt würden und schließt mit einem Zitat aus dem Kolosserbrief (3,17). Vorlage für diese Interrogatio waren DB X 13, 17 und 33. Die Buße wurde hier erneut geändert bzw. vereinheitlicht.64 Anschließend behandelt Interrogatio 6365 verschiedene Neujahrsbräuche, das heißt Handlungen, die man am ersten Januar „gemäß der Sitte der Heiden“ (ritu paganorum) vollführt, und zwar explizit nur an diesem Tag des Jahres. Es werden mehrere Beispiele angeführt, darunter den Tisch auf eine bestimmte Art und Weise zu decken und in den Straßen zu tanzen. Besonders herausragend, weil zuvor in genau dieser Form nicht belegt, ist der Brauch, sich auf das Dach zu setzen, mit einem Schwert umgürtet, um etwas über das neue Jahr zu erfahren respektive das eigene Schicksal. Ebenfalls so zuvor nicht belegt ist es, dass man sich zu diesem Zeitpunkt des Jahres an einem Kreuzweg auf eine Tierhaut setzt oder den eigenen Namen in ein Brot einritzt, das man danach backt; je nachdem, ob es aufgeht oder nicht, verheißt es für die jeweilige Person etwas Positives oder etwas Negatives im neuen Jahr.66 Abgesehen von den Tänzen wird hier also jeweils versucht, etwas über das eigene Geschick im neuen Jahr oder generell vielleicht auch über dessen Verlauf herauszufinden. Verboten und bußwürdig ist das Ausführen dieser Praktiken, vor allem aber ihnen als Zeichen Glauben zu schenken, denn dies bedeutet, dass man seinen Schöpfer verlassen, also das Vertrauen in ihn verloren habe. Die Interrogatio gibt ebenfalls eine zweijährige Buße an den vorgesehenen Wochentagen, in ähnlicher Abwandlung der Vorlagen wie Interrogatio 62. Bei Int. 63 ist es wichtig zu betonen, dass sie eine Art Aktualisierung älterer Bestimmungen vornimmt, die sich auch im Korpus des Dekrets finden: Das Verbot von Neujahrsbräuchen, also speziellen Praktiken, die man zu Beginn oder am Ende eines neuen Jahres ausführt, um beispielsti pro domo facienda, aut coniugiis sociandis? Si fecisti, II annos per legitimas ferias pęniteas quia scriptum est. Omnem quodcumque facitis in uerbo, et in opere, omnia in nomine domini nostri iesu christi facite. (BAV Pal. lat. 586 fol. 172r–172v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 960 C–960 D) 64 Zu DB X 13 vgl. Anm. 58. DB X 17: BAV Pal. lat. 586 fol. 28v; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 835 D– 836 A. DB X 33: BAV Pal. lat. 586 fol. 30v–31r; vgl. PL 140 (wie Anm. 2), Sp. 837 D– 838 A. 65 Obseruasti kalendas ianuarias, ritu paganorum, ut uel aliquid plus faceres propter nouum annum quam antea, uel post soleres facere, ita dico, ut aut mensam tuam cum lapidibus uel epulis in domo tua praeparares eo tempore, aut per uicos et per plateas cantores et choros duceres, aut supra tectum domus tuę sederes, ense tuo circumsignatus, ut ibi uideres et intellegeres, quid tibi in sequenti anno futurum esset, uel in biuio sedisti supra taurinam cutem, ut et ibi futura tibi intellegeres, uel si panes praedicta nocte coquere fecisti tuo nomine, ut si bene eleuarentur, et spissi et alti fierent, inde prosperitatem tuę uitę eo anno praeuideres, ideo quia deum creatorem tuum dereliquisti, et ad idola et ad illa uana te conuertisti, et apostata effectus es, II annos per legitimas ferias poeniteas. (BAV Pal. lat. 586 fol. 172v–173r; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 960 D–961 A) 66 Vgl. Filotas, Pagan Survivals (wie Anm. 13), S. 169, 171 f.; Harmening, Superstitio (wie Anm. 10), S. 130 f.; ferner Hain, Burchard von Worms (wie Anm. 14).

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weise den Verlauf des neuen Jahres positiv zu beeinflussen oder vorherzusehen, findet sich in zahlreichen der Bestimmungen, für die Harmening eine literarische Abhängigkeit nachweisen konnte oder angenommen hat. Burchard greift nun dieses ältere, sehr allgemeine Verbot auf und reichert es mit neuen Inhalten an, für die daher ein zeitgenössischer Realitätsbezug angenommen werden kann. Zwei weitere Interrogationes, die über Quellen im Dekret verfügen, geben nur mehr eine Buße von 10 Tagen, diese allerdings bei Wasser und Brot. Interrogatio 68 sieht es als bußwürdiges Vergehen an, wenn jemand aus Büchern oder tabulae weissagt oder die Zukunft deutet. Speziell verwiesen wird in dieser Interrogatio außerdem auf den Psalter und auf die Evangelien.67 Vorlage hierfür waren die Kapitel DB X 9, 26 und 27.68 Auch hier wurde die Buße geändert, konkret: wesentlich verkürzt. In Interrogatio 99 geht es darum, dass eine Person eine „magische Kunst“ (ars magica) betrieben oder sich als Weissager (sortilegus) betätigt hat, konkret indem sie etwas über oder während einer Arbeit getan oder gesagt hat, was keine Anrufung Gottes darstellte.69 Im Umkehrschluss, so kann man hier hinzufügen, ist die Anrufung Gottes über oder während einer Arbeit natürlich gestattet. Eine gewisse Anregung zur Formulierung dieser Interrogatio dürften die Kapitel DB X 3 und 4 geboten haben, die beide zwar keine Buße geben, aber doch mit einem Text mit hoher Autorität, nämlich einem Auszug aus einem Brief Papsts Gregors des Großen belegen, dass solche Dinge verboten und bekämpft werden müssen; Burchard zieht hier freilich eine (Fasten-)Buße einer körperlichen Bestrafung vor, wie sie in den Dekretkapiteln entsprechend der Vorlage noch gefordert wurde.70 Abschließend seien noch drei Interrogationes angeführt, die komplett ohne Vorläufer, das heißt erstmals in dieser Form im Dekret belegt sind und möglicherweise auf genuine Wormser Praktiken Bezug nehmen. Die Bußen sind hier ebenfalls relativ gering mit maximal 20 Tagen, wobei auch diese bei Wasser und Brot zu leisten sind. Laut Int. 102 gebe es Leute, die meinten, man könne Aufschluss darüber bekommen, ob eine Gefahr drohe, indem man Gerstenkörner auf eine Feuerstelle fallen lasse; diese muss allerdings noch warm sein. Wenn die Körner zu springen beginnen, drohe tatsächlich Gefahr.71 Hier lässt sich in zwei der ältesten Handschriften des Dekrets, die 67 Requisisti sortes in codicibus, uel in tabulis, ut plures solent, qui in psalteriis, et in euangeliis, uel in aliis huiusmodi rebus sortiri praesumant? Si fecisti, X dies pęniteas in pane et aqua. (BAV Pal. lat. 586 fol. 173v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 961 C–961 D) 68 Vgl. Anm. 43, 49 und 45. 69 Fecisti aliquid, uel dixisti in quocumque opere, quod inchoasti per sortilogam uel magicam artem, nisi dei nomen inuocasti? Si fecisti, X dies in pane et aqua debes pęnitere. (BAV Pal. lat. 586 fol. 177v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 965 A) 70 Vgl. Anm. 30 und 31. 71 Fecisti quod plures faciunt, scopant locum ubi facere solent ignem in domo sua, et mittunt grana ordei adhuc loco calido et si esalierint grana, periculosum erit, si autem ibi permanserint, bonum erit. Si fecisti, X dies in pane et aqua pęniteas. (BAV Pal. lat. 586 fol. 177v; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 965 C) Zu dieser Bestimmung vgl. Flint, The Rise of Magic (wie Anm. 13), S. 120 f.; ­Vogel,

Das Dekret Burchards von Worms

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noch in Worms entstanden sind, eine interessante Beobachtung machen; bei diesen beiden Handschriften handelt es sich um den ehemaligen Doppelcodex BAV Pal. lat. 585 und 586 sowie um den Frankfurter Codex Barth. 50.72 Nicht nur das Bußmaß von 10 Tagen, erneut bei Wasser und Brot, wurde hier offenbar nachträglich bearbeitet, wie an einer Rasur im Vaticancodex zu erkennen ist, sondern es wurde sowohl in diesem als auch im Frankfurter Codex außerdem eine Präzisierung vorgenommen, die offenbar die verwendete Getreidesorte betrifft, also die Gerste.73 Solche Rasuren finden sich im Frageteil sehr häufig, insbesondere bei den Bußmaßen, was deutlich die intensive Arbeit daran belegt. Die nachfolgende Interrogatio 103 gibt nun eine Buße von 20 Tagen bei Wasser und Brot: Sie behandelt den Glauben, wonach man auf dem Weg zu einem Kranken erfahren könne, ob dieser wieder genesen werde oder nicht, indem man einen Stein umdreht und nachsieht, ob sich darunter etwas Lebendiges befinde. Wenn man darunter also beispielweise einen lebenden Wurm oder ein anderes, lebendes Insekt fände, würde der Kranke wieder gesund werden, andernfalls nicht.74 Eine letzte einschlägige Bestimmung ist Interrogatio 151. Sie gibt eine Buße von nur noch fünf Tagen für einen Vorzeichenglauben: Einer guten Reise könne man sich sicher sein, wenn eine Krähe (cornicula) den Weg krächzend von links nach rechts kreuzt. Sollte man bereits auf einer Reise sein und sich sorgen, ob man noch eine Unterkunft finde, so wäre es außerdem ein gutes Zeichen, wenn ein Mäusefänger (muriceps) genannter Vogel auf dem Weg voranfliege. Allein um den Glauben geht es also hier und dieser sei verwerflich, so die Interrogatio, weil man hier einem Zeichen mehr Vertrauen schenke als Gott.75 Beim ersten Beispiel der Interrogatio ist auffällig, dass ausgerechnet eine Krähe, eher ein Unglücksvogel, mit einem positiven Vorzeichen verbunden wird. Im Pratiques superstitieuses (wie Anm. 13), S. 760 für die Erstnennung bei Burchard, mit französischer Übersetzung. 72 Vgl. Anm. 2. 73 BAV Pal. lat. 586 gibt grana ordei sowie die komplette Bußangabe auf Rasur; in Frankfurt Barth. 50 fol. 255r wurden ordei sowie die Angabe in pane et aqua superlinear ergänzt. 74 Fecisti quod quidam faciunt, dum uisitant aliquem infirmum, cum appropinquauerint domui ubi infirmus decumbit, si inuenerint aliquem lapidem iuxta iacentem, reuoluunt lapidem, et requirunt in loco ubi iacebat lapis, si ibi sit aliquid subtus quod uiuat, et si inuenerint ibi lumbricum, aut muscam, aut formicam, aut aliquid quod se moueat, tunc affirmant ęgrotum conualescere. Si autem nihil ibi inuenerint quod se moueat, dicunt eum moriturum. Si fecisti, aut credidisti, XX dies in pane et aqua poeniteas. (BAV Pal. lat. 586 fol. 177v–178r; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 965 B– 965 C) Vgl. Filotas, Pagan Survivals (wie Anm. 13), S. 199; Vogel, Pratiques supersti­tieuses (wie Anm. 13), S. 760 für die Erstnennung bei Burchard, mit französischer Übersetzung. 75 Credidisti quod quidam credere solent, dum iter aliquod faciunt, si cornicula ex sinistra eorum in dextram illis cantauerit, inde se sperant habere prosperum iter. Et dum anxii fuerint hospicii, si tunc auis illa quę muriceps uocatur, eo quod mures capiat et inde pascatur nominata, uiam per quam uadunt ante se transuolauerit, se illi augurio et omini magis committunt quam deo. Si fecisti aut ista credidisti V dies in pane et aqua debes poenitere. (Frankfurt Barth. 50 fol. 258r; vgl. PL 140 [wie Anm. 2], Sp. 970 D–971 A) Vogel, Pratiques superstitieuses (wie Anm. 13), S. 758 für die Erstnennung bei Burchard, mit französischer Übersetzung.

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Volksglauben soll aber ein Rabe als Vorhersager zukünftiger Dinge erscheinen, wie es gelegentlich in der Literatur heißt.76 4. Die Bedeutung der Mantik im Dekret

Mantische Praktiken und Vorstellungen spielen für Burchard im Rahmen des übergeordneten thematischen Komplexes nichtchristlicher Praktiken eine Rolle. Divination und Mantik werden im Dekret an zwei unterschiedlichen Orten behandelt: Einmal erscheinen sie in Buch 10, nochmals dann in Bestimmungen des Frageteils in DB XIX 5, zum Teil in Abwandlung entsprechender Vorstellungen und Praktiken, die im Korpus des Dekrets selbst behandelt wurden, dort allerdings häufig in summarischer und entsprechend wenig spezifischer Weise. Im Frageteil können acht von 47 Abschnitten, die einem übergeordneten Themenkomplex gewidmet sind, diesem Bereich zugeordnet werden. Die Auseinandersetzung damit dürfte hier insofern intensiver gewesen sein, da einerseits zwar überlieferte Bestimmungen der Tradition wieder aufgegriffen wurden, andererseits aber auch solche ergänzt wurden, für die bisher kein Vorläufer eruiert werden konnte. Insbesondere die zuletzt aufgeführten Interrogationes, also Interrogatio 102 mit den Gerstenkörnern, Interrogatio 103 zur Prognose über die Genesung eines Kranken und Interrogatio 151 mit den Vorzeichen für eine Reise lassen mit ihren sehr detaillierten, zum Teil auch noch mindestens nachbearbeiteten Beschreibungen möglicherweise Rückschlüsse auf eine zeitgenössische, speziell wahrscheinlich Wormser „Realität“ zu. Alle anderen im Frageteil enthaltenen Bestimmungen – die Wahrsager, die man ins Haus einlädt, das Weissagen aus Büchern, nicht näher benannte Dinge, die man über einer Arbeit tut oder murmelt – sind mehr oder weniger der Tradition entnommen, bei der Aufnahme ins Dekret aber auch bearbeitet worden, etwa hinsichtlich der Buße. Speziell die Interrogatio zu Neujahrsbräuchen scheint in dieser Hinsicht jedoch eine Verbindung darzustellen zwischen überlieferten Praktiken, die für die eigene Zeit kaum noch Bedeutung haben, und dem, was man in der eigenen Zeit daraus gemacht hat: Der Wunsch, Aufschluss über die eigene Zukunft zu bekommen, scheint dem Menschen inhärent. Er dürfte auch den Wormsern des frühen 11. Jahrhunderts nicht fremd gewesen sein, wenn sie am Neujahrstag oder am Altjahresabend Brot gebacken haben, sich auf eine Tierhaut gesetzt haben oder auf ein Dach geklettert sind, in der Hoffnung, ein gutes Vorzeichen für das neue Jahr oder ihre weitere Zukunft zu bekommen. In dieser Hinsicht kann das Dekret des Wormser Bischofs einen gewissen Aufschluss geben. Aber letztlich ist auch das Dekret Burchards eine Sammlung, die Normen transportiert; sie wollte nicht das 76 Vgl. Otto Böcher, Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der christlichen Taufe (= Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, Bd. 90, Folge 5, Heft 10), Stuttgart u. a. 1970, S. 89; Filotas, Pagan Survivals (wie Anm. 13), S. 241; Flint, The Rise of Magic (wie Anm. 13), S. 116–118.

Das Dekret Burchards von Worms

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Worms des 11. Jahrhunderts porträtieren. Durch die vergleichsweise niedrigen Bußen wird aber deutlich, dass in den behandelten Interrogationes zu Divination und Mantik vor allem ein geistlich-pastoraler Anspruch im Vordergrund steht: Die Priester sollen die Leute von ihrem Unglauben abbringen, der insofern gefährlich ist, als er eine geistig-geistliche Verwirrung darstellt. Das wird in den zahlreichen Passagen deutlich, welche die Dummheit oder die Torheit derjenigen betonen, die an solche Dinge glaubten oder sie ausübten; besonders klar formuliert das der ins Dekret aufgenommene Canon episcopi. Burchard fügt sich mit dieser Sichtweise jedoch bestens in eine Tradition, in der diese Disqualifikation mantischer Vorstellungen und Praktiken vor allem als geistig-defiziente Haltung immer wieder formuliert wurde.

Mantische Praktiken und Divination Der Titel De sortilegi[i]s bei Bernhard von Pavia (gest. 1213) und in der Glossa ordinaria zum Liber Extra (1234) Lotte Kéry

In den Dekretalensammlungen, denen die größte Bedeutung für die kirchliche Rechtsentwicklung von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts zugeschrieben werden kann, den Quinque compilationes antiquae und dem Liber Extra,1 findet sich nach einer ausführlicheren Darstellung dieses Themas im Decretum Gratiani (um 1140)2 nur noch sehr wenig Material zum Thema Mantik und Divination. Trotzdem sind die dort getroffenen Aussagen und Systematisierungen für eine Bewertung der kanonistischen Auseinandersetzung mit diesem Thema in seiner historischen Entwicklung von Bedeutung, zumal wenn man als Ergänzung auch das wegweisende Lehrbuch, die Summa decretalium Bernhards von Pavia (vor 1150–1213), mit heranzieht sowie als grundlegenden Kommentar die Glossa ordinaria zum Liber Extra, die von Bernhard (de Botone) von Parma (gest. 1266) verfasst wurde.3 Bernhard von Pavia kommt eine große Bedeutung für die Dekretalistik insgesamt zu, weil wir ihm die grundlegende Systematik für die nachfolgenden offiziellen und authentischen Sammlungen, die Compilationes antiquae und den Liber Extra, verdanken, die 1 Vgl. Lotte Kéry, Gottesfurcht und irdische Strafe: Der Beitrag des mittelalterlichen Kirchenrechts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Symposien und Synthesen, Bd. 10), Köln, Weimar, Wien 2006, besonders S. 361–371. Dort auch S. 8 f. zur Bedeutung dieser Quellen für die Entwicklung des kirchlichen Strafrechts insgesamt. Vgl. zu den genannten Werken auch die enzyklopädisch angelegte Untersuchung von Patrick Hersperger, Kirche, Magie und „Aberglaube“. Superstitio in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 31), Köln, Weimar, Wien 2010, S. 131–136 (zu Bernhard von Pavia und den Quinque compilationes antiquae) und S. 140–144 (zum Liber Extra und der Glossa ordinaria des Bernhard von Parma). 2 Vgl. dazu auch Anm. 13 und 14. Zur Darstellung des umfassenderen Themas „Magie und Aberglaube im Decretum Gratiani“ siehe Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 198–203, 240 f. (Superstitio), S. 257 f. (Dämonologie), S. 291 f. (Lose), S. 375–377 (Inkantationen und Phylakterien), S. 396–400 (Malefizium), S. 426–430 (Buss- und Strafpraxis). Dort auch insgesamt zur Darstellung und Diskussion des Themas „Mantik und Divination“ in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts besonders Kapitel 6.3 Lose (S. 291–360) und 6.4. Astrologie und Divination (S. 360–374). 3 Zu Bernhard (Bernardus de Botone) von Parma vgl. die Zusammenstellung bei Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 143 f.

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er mit seiner zwischen 1189 und 1191 entstandenen, in Bücher und Titel geordneten Dekretalensammlung, dem Breviarium extravagantium, begründete.4 Diese Sammlung ist in ca. 130 Handschriften aus der Zeit bis 1234 überliefert5 und wurde auch schon bald nach 1200 in Deutschland rezipiert.6 In seiner Zeit als Bischof von Faёnza, d. h. zwischen 1192 und 1198, verfasste Bernhard zudem eine ebenso gegliederte Summa titulorum, die als erste ihrer Art den Prototyp dieser Gattung bildet, d. h. der an die Buchund Titelfolge der Dekretalensammlungen angegliederten kurz gefassten Lehrbücher.7 Ihre vergleichsweise große Verbreitung mit über 20 erhaltenen Handschriften wurde darauf zurückgeführt, dass sie eine „gleichsam authentische Einführung in die Materie des Dekretalenrechts darstellte“8. Bernhard von Pavia fügte in seine wegweisende Dekretalensammlung, die von den Rechtsschulen als Compilatio prima rezipiert wurde,9 auch einen Titel De sortilegis (mit einem i) über die Losdeuter und Wahrsager ein, und zwar unmittelbar im Anschluss an das Fälschungsdelikt (De crimine falsi), als 17. Titel des 5. Buches und somit des strafrechtlichen Teils seiner Sammlung.10 Dem entspricht auch seine Definition des crimen sortilegii in seiner ebenso gegliederten Summa als eine Methode, mit der auf falsche und   4 Vgl. Lotte Kéry, Ein neues Kapitel in der Geschichte des kirchlichen Strafrechts. Die Systematisierungsbemühungen des Bernhard von Pavia (gest. 1213), in: Medieval Church Law and the Origins of the Western Legal Tradition. A Tribute to Kenneth Pennington, hg. von Wolfgang P. Müller und Mary E. Sommar, Washington, D.C. 2006, S. 229–251. Zur Datierung vgl. auch Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 131 mit den Nachweisen in Anm. 49. Seine allgemeine Aussage „[i]m Gegensatz zu Gratian nahm Bernhard von Pavia nur juristische Texte in seine Sammlung auf […]“ (S. 132) ist jedoch irreführend und anachronistisch.   5 Vgl. auch Kenneth Pennington, Decretal Collections 1190–1234, in: The History of Canon Law in the Classical Period, 1140–1234: From Gratian to the Decretals of Pope Gregory IX, hg. von Wilfried Hartmann und Kenneth Pennington (= History of Medieval Canon Law, Bd. 3), Washington, D.C. 2008, S. 293–317, hier S. 299 f. Vgl. auch seine Zusammenstellung von Handschriften und Literatur unter: https://web.archive.org/web/20131029204939/http://faculty.cua.edu/Pennington/1140a-z.htm#Bernardus%20Papiensis%20(Balbus) (letzter Aufruf: 14.5.2020), dort auch s.v. Compilatio prima sowie den Überblick bei Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 131–144.   6 Vgl. Peter Landau, Die Anfänge der Verbreitung des klassischen kanonischen Rechts in Deutschland im 12. Jahrhundert und im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, in: Chiesa, diritto e ordinamento della „Societas Christiana“ nei secoli XI e XII, Milano 1986 (= Miscellanea del Centro di Studi Medioevali, Bd. 11), S. 272–297, hier S. 286.   7 Vgl. Stephan Kuttner, Repertorium der Kanonistik (1140–1234), Città del Vaticano 1937, S. 389; Kéry, Gottesfurcht (wie Anm. 1), S. 367 mit weiteren Hinweisen.  8 Kuttner, Repertorium (wie Anm. 7), S. 389, der auf den großen Einfluss dieses Werkes hinweist und auch darauf, dass Bernhards Summa „unmittelbar wie mittelbar“ die Grundlage der Summa bildet, „die Bernardus Parmensis de Botone zu den Dekretalen Gregors IX. verfasste“.  9 Vgl. Pennington, Decretal Collections (wie Anm. 5), S. 292–317, besonders S. 298. 10 Vgl. Bernhard von Pavia, Breviarium extravagantium, in: Quinque Compilationes antiquae nec non Collectio canonum Lipsiensis instruxit Aemilius Friedberg, Leipzig 1882 (ND 1956), S. 1–65, hier S. 60.

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unerlaubte Weise die Zukunft vorausgesagt werde.11 Mit diesem Titel war das Thema Mantik und Divination in den Compilationes antiquae und daran anschließend auch im Liber Extra jedoch auch abgehandelt – und zwar als strafwürdiges Delikt. Weitere Titel dazu sind hier nicht zu finden, und auch von den fünf offiziellen Dekretalensammlungen, den Quinque compilationes antiquae, enthält außer der Compilatio prima nur noch die Compilatio quinta überhaupt diesen Titel.12 Es ist jedoch immer aufschlussreich, genauer zu untersuchen, welche Texte der Sammler fand und für geeignet hielt, unter den entsprechenden Titel eingefügt zu werden, woher er diese bezog und ob er sie in irgendeiner Form veränderte. Im Hinblick auf die Dekretalensammlungen ist jedoch zunächst generell festzustellen, dass diese, wie Bernhard schon mit seinem Titel Breviarium extravagantium anklingen lässt und wie auch die Einbeziehung einschlägiger Dekretstellen in seine Summa belegt, grundsätzlich als Ergänzung zur mehr oder weniger umfassenden Darstellung des Themas im Decretum Gratiani13 zu verstehen sind. Ebenso werden auch in der Glossa ordinaria zum Liber Extra jeweils am Anfang eines jeden Titels die einschlägigen Stellen aus dem Decretum Gratiani genannt, die die Grundlage für alles Weitere bilden sollen. Zum Thema De sortilegis wird dementsprechend auf C. 26 q. 1, 2, 3, 4 und 5 sowie auf q. 6 (i. e. 7) vom Kapitel Non licet iniquas [cap. 13] bis zum Ende der Quaestio verwiesen.14 An die schon recht umfassende Darstellung des Themas im Decretum Gratiani anschließend15 stellte Bernhard unter dem Titel De sortilegis drei Texte in sein Breviarium, darunter als einzige Dekretale ein Schreiben Papst Alexanders III. (1159–1181) an den Patriarchen von Grado mit den Anfangsworten Ex tuarum tenore, das später unter demselben Titel in den Liber Extra übernommen wurde.16 Offenbar hielt Bernhard es für geboten, den Titel De sortilegis darüber hinaus mit weiteren, bei Gratian noch nicht zu findenden vorgratianischen Texten anzureichern. Darauf deutet die Tatsache hin, dass er vor dieser Dekretale zwei Bußkanones als cap. 1 und 2 unter dem Titel De sortilegis in seine Sammlung einfügte, die sich in ihrer Aussage kaum unterscheiden und auch beide etwas zweifelhafter Herkunft sind. 11 Diximus de crimine falsi, quo quis falso utitur pro vero; nunc dicamus de crimine sortilegii, quo falso et illicite futura divinantur. – Vgl. Bernardi Papiensis, Faventini episcopi Summa Decretalium, ed. von Ernst Adolph Theodor Laspeyres, Regensburg 1860 (ND Graz 1956), S. 241. 12 Vgl. dazu unten bei Anm. 91. 13 Vgl. Decretum Gratiani, C. 26 q. 1–5, und q. 7, cap. 13–18, ed. von Aemilius Friedberg, Corpus iuris canonici, Bd. 1, Leipzig 1879 (ND Graz 1995), Sp. 1019–1041 und 1044–1046. 14 Quia sortilegia continent in se falsitatem, merito de his subjicitur. De hac materia tractatur xxvi qo. i. et q. ii. et q. iii. et q. iiii. et qo. v. et quaest. vi. [i. e. vii.] non licet iniquas [c. 13] usque ad finem quest. – Vgl. die Glossa ordinaria ad X 5.21 des Bernardus de Botone (Bernhard von Parma) zum Liber Extra, hier zitiert nach der Ausgabe: Decretales Gregorii Noni Pont. Max. cum Glossis ordinariis, Argumentis, Casibus litteralibus, et Adnotationibus tam veterum quam recentium Iurisconsultorum illustratae, Venetiis 1572, S. 1028a. Vgl. dazu auch die Auflösung in Anm. 13. 15 Vgl. unten bei Anm. 58. 16 1 Comp. 5.17.3 (= X 5.21.2), JL 13943. Vgl. unten bei Anm. 49.

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Das erste Kapitel (In tabulis) war vermutlich schon allein deswegen als Auftakt zum Titel De sortilegis und zur Einordnung der folgenden Dekretale willkommen, weil es die Erforschung der Zukunft selbst mit relativ harmlosen Mitteln verbot und zugleich auch ein grundsätzliches Verbot aussprach, sich in seinem Verhalten an Weissagungen zu orientieren: „Die Zukunft soll nicht mithilfe von Codices, Büchern und ähnlichem erforscht werden und niemand soll sich unterstehen, etwas mithilfe des Psalteriums oder des Evangeliums auszulosen oder irgendwelche Weissagungen, gleich in welchen Angelegenheiten, zu beachten. Wer dagegen verstößt, soll 40 Tage Buße leisten“.17 Die Aufnahme eines zweiten Kapitels (Requisi[s]ti sortes) mit fast identischem Inhalt deutet wohl vor allem darauf hin, dass Bernhard in der Nachlese zum Decretum Gratiani für dieses Thema auf keine allzu variantenreiche Auswahl an Texten aus vorgratianischen Sammlungen mehr zurückgreifen konnte. Der Unterschied zum ersten Kapitel besteht vor allem darin, dass in Kapitel 2 der Übeltäter direkt angesprochen wird (Requisisti […] si fecisti): „Du hast in Codices und Büchern Losdeuterei betrieben, wie es mehrere zu tun pflegen, die sich unterstehen, in Psalterien und in Evangelien oder in anderen ähnlichen Sachen, etwas durch das Los zu bestimmen (sortiri). Wenn du dies getan hast, sollst du 10 Tage büßen“.18 Die einzigen inhaltlichen Unterschiede bestehen darin, dass hier allein die aktive Form der Zukunftsdeutung angesprochen wird und das Bußmaß auf 10 Tage gegenüber 40 Tagen im ersten Kapitel verringert wird.19 Auch zwei frühere Dekretalensammlungen, die Collectio Parisiensis secunda (95-TitelSammlung)20 und die Collectio Lipsiensis,21 die zwar in Titel eingeteilt, aber noch nicht in Bücher untergliedert sind und vielleicht als Vorarbeiten Bernhards zu seinem Bre17 X 5.21 De sortilegiis, cap. 1 (= 1 Comp. 5.17.1), ed. von Aemilius Friedberg, Corpus iuris canonici, Bd. 2: Decretalium Collectiones, Leipzig 1879 (ND Graz 1959), Sp. 822: Ex poenitentiali Theodori. In tabulis vel codicibus aut aliis sorte furta (! [ futura]) non sunt requirenda, aut nullus in psalterio vel in evangelio vel in aliis rebus sortiri, nec divinationes aliquas in aliquibus rebus quis observare praesumat. Qui autem contra fecerit, quadraginta dies poeniteat. – Friedberg verzeichnet in seiner Edition der Quinque compilationes antiquae für die Texte, die auch im Liber Extra enthalten sind, nur die Inskription und das Incipit-Explicit. Die Problematik der von Friedberg mit Verweis auf die Edition des Liber Extra auf Incipit (In tabulis) und Explicit (peniteat) beschränkten Textwiedergabe in seiner Edition der Quinque compilationea antiquae und des Fehlens einer kritischen Edition tritt hier deutlich zutage. Zu unterschiedlichen Textversionen in einigen zufällig herausgegriffenen Handschriften vgl. Tab. 2. 18 1 Comp. 5.17.2, ed. von Friedberg, Quinque compilationes antiquae (wie Anm. 10), S. 60. 19 Zur frühmittelalterlichen Praxis vgl. Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 181–187. 20 Vgl. Emil Friedberg, Canones-Sammlungen zwischen Gratian und Bernhard von Pavia, Leipzig 1897 (ND Graz 1958), S. 21–45. 21 Vgl. Quinque compilationes antiquae (wie Anm. 10), S. 189–208. Die vier Kapitel, die in der Collectio Lipsiensis unter dem Titel De vana superstitione tollenda zu verschiedenen Formen des Aberglaubens aufgeführt werden, wurden weder in die Quinque compilationes antiquae noch in den Liber Extra aufgenommen. Vgl. dazu auch Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 232 mit Anm. 203.

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viarium extravagantium gelten dürfen,22 enthalten schon diese beiden fast inhaltsgleichen Kapitel – und zwar jeweils als einzige Texte zum Titel De sortilegis.23 Jedoch erst die Compilatio prima nennt als Quelle für das zweite Kapitel (Requisisti) Burchards 19. Buch (Ex B. lib. XIX.).24 Das erste dieser beiden Kapitel mit den Anfangsworten „In tabulis“ soll nach Auskunft der Inskription aus dem Paenitentiale Theodori25 stammen, geht aber in Wirklichkeit erst auf das Decretum Burchardi zurück, wo es erstmals, und zwar auch schon mit dieser Inskription als cap. 26 des 10. Buches zu finden ist.26 Der Text, den Bernhard von Pavia angeblich bietet, weist nur eine ganz leichte Veränderung gegenüber Burchards Dekret auf: „qui autem contra fecerit“ statt „quod si fecerit“ bei Burchard, eine Veränderung, die jedoch in drei willkürlich herausgegriffenen Handschriften der Compilatio prima, der Handschrift Leipzig, Universitätsbibliothek Manuskript 983,27 auf die der Editor Emil Friedberg sich angeblich in erster Linie gestützt hat, und den Handschriften Vaticani palatini 653 und 652, nicht nachzuvollziehen ist,28 sodass man in Ermangelung einer kritischen Edition der Compilatio prima nicht ausschließen kann, dass die Formulierung „qui autem contra fecerit“ möglicherweise erst auf die Redaktion des Liber Extra zurückzuführen ist.29 Für Burchards Dekret wurde dieses Kapitel jedenfalls dem dritten Appendix des Sendhandbuchs Reginos von Prüm entnommen, wo es noch ohne Herkunftsangabe zu finden ist. Als Vorlage wurde das cap. 20 des Duplex legationis edictum von 789, ein Kapitular Karls des Großen, identifiziert,30 wie in der folgenden Übersicht dargestellt. 22 Vgl. Kéry, Gottesfurcht (wie Anm. 1), S. 363–365. 23 Vgl. Collectio Parisiensis secunda, Tit. 72 (De sortilegis), cap. 1–2, vgl. Friedberg, CanonesSammlungen (wie Anm. 20), S. 43 (Incipit-Explicit, Ex penitentiali Theodori, Item) und Collectio Lipsiensis, ed. von Friedberg, Quinque compilationes antiquae (wie Anm. 10), S. 196, Tit. 28 (De sortilegis), cap. 1–2 (Item ex penitentiali Theodori und Item), mit Verweis auf cap. 1 (5.17). 24 Vgl. Quinque compilationes antiquae (wie Anm. 10), S. 60. Siehe dazu auch unten Tab. 3. 25 Vgl. dazu Ludger Körntgen, Paenitentiale Theodori, in: HRG, Bd. 4, hg. von Albrecht Cordes et al., Berlin 2018, S. 634–636. 26 Vgl. Burchard Worms, Decretorum Libri XX, ergänzter Neudruck der Editio princeps Köln 1548, ed. von Gérard Fransen und Theo Kölzer, Aalen 1992, fol. 135rb: Ex paenitentiali Theodori. 27 Die Handschrift, saec. XIII2 , enthält die Compilatio prima mit der Glosse des Vincentius Hispanus und entstammt dem Dominikanerkloster in Leipzig (liber fratrum praedicatorum in lipzk). Vgl. dazu auch Quinque compilationes antiquae (wie Anm. 10), S. XXIII: Codex Lipsiensis 983, k signatus est. – Zur Handschrift vgl. Rudolf Helssig, Catalogus codicum manuscriptorum bibliothecae Universitatis Lipsiensis (= Katalog der Handschriften der UB Leipzig, Abteilung VI: Die lateinischen und deutschen Handschriften, Bd. 3: Die juristischen Handschriften, unveränderter Nachdruck der Auflage 1905), Wiesbaden 1996, S. 123 f. 28 Vgl. dazu Tab. 3. 29 Zur Textausgabe von Friedberg vgl. oben Anm. 17. 30 Vgl. Hartmut Hoffmann, Rudolf Pokorny, Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Textstufen – Frühe Verbreitung – Vorlagen (= MGH Hilfsmittel, Bd. 12), München 1991, S. 291 und S. 216. Dort auch S. 66 zu den Wormser Glossen.

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Tabelle 1

Duplex legationis edictum (789), MGH Cap. 1, S. 6431

Reginonis App. III, ed. von Wasserschleben32, S. 487 (ohne Inskription)

Burchardi Decretum X, ed. von Fransen, Kölzer, fol. 135 rb (Ex paenitentiali Theodori) cap. 26: De illis que in tabulis aut in codicibus futura requirunt (vgl. auch Decretum Ivonis XI, 52, Migne PL161, Sp. 757B–C)

cap. 20: De tabulis vel codicibus requirendis, et ut nullus in psalterio vel in euangelio vel in aliis rebus sortire praesumat, nec divinationes aliquas observare.

cap. 55: De tabulis vel codicibus requirendis et ut nullus in psalterio vel in evangelio vel in aliis rebus sortire praesumat, nec divinationes aliquas observare.

cap. 26: In tabulis vel codicibus sorte futura non sunt requirenda, et ut nullus in Psalterio, vel in Euangelio, vel in aliis rebus sortiri praesumat, nec diuinationes aliquas in aliquibus rebus obseruare. Quod si fecerit, quadraginta dies poeniteat.

Als Bernhards Vorlage für dieses erste Kapitel kommt theoretisch auch noch das Dekret Bischof Ivos von Chartres in Frage, das den Text mit derselben Inskription enthält.33 Sehr wahrscheinlich gelangte Burchards Text jedoch unmittelbar und nicht erst über das zeitlich dazwischenliegende Decretum Ivonis in Bernhards Sammlung, da Burchards Dekret auch an anderer Stelle als Vorlage für Bernhard von Pavia nachweisbar ist und er ihn selbst als Vorlage für seine Sammlung im Vorwort zu seiner Summa nennt.34 Während bei Regino ebenso wie im Duplex legationis edictum das Wort sortire noch in der Bedeutung von „losen“ verwendet wurde, fügte Burchard offenbar zur besseren Verständlichkeit einige Worte hinzu, um deutlich zu machen, dass weder in Büchern „durch das Los die zukünftigen Dinge“ erforscht werden sollten („sorte futura non sunt requirenda“) noch Weissagungen, die „aus irgendwelchen Dingen“ („in aliquibus rebus“) gewonnen werden, beachtet werden dürfen. Außerdem nennt er als erster überhaupt ein konkretes Bußmaß (40 Tage) zur Sühne für eine Übertretung dieses Verbots. Die hier zufällig ausgewählten Handschriften der Compilatio prima bieten ein erstaunlich uneinheitliches Bild dieses kurzen Textes. Die Palatina-Hs. 653 gibt eine 31 Vgl. Capitularia regum Francorum, ed. von Alfred Boretius (= MGH LL Capitularia, Bd. 1), Hannover 1883, S. 64, cap. 20. 32 Reginonis abbatis Prumiensis Libri duo de synodalibus causis et disciplinis ecclesiasticis, rec. von F. W. Hermann Wasserschleben, Leipzig 1840, S. 487. 33 Vgl. Decretum Ivonis XI, 52, PL 161, Sp. 757B–C. Hier folgt Buch XI: De incantatoribus auf Buch X mit dem Titel: De homicidiis. 34 Vgl. dazu Kéry, Gottesfurcht (wie Anm. 1), S. 362 f. und S. 366.

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Art Kurzversion wieder, während die Hs. 652 nur wenige Abweichungen zu Burchards Text aufweist. Der Wortlaut in der Hs. Leipzig, UB Ms. 983 stimmt zwar ziemlich genau mit Burchards Text überein, bietet jedoch im Unterschied zu den beiden Palatina-Handschriften eine auffällige Abweichung: Statt „futura non sunt requirenda“ steht hier „furta non sunt requirenda“, eine Änderung, die dann auch für den Liber Extra übernommen, später jedoch in der Friedberg-Edition des Corpus iuris canonici – jedoch offenkundig nur in der Rubrik des Kapitels – wieder rückgängig gemacht wurde, wie der folgende Vergleich zeigt. Tabelle 2

Liber Extra

Bernhard von Pavia Ms. Vat. Pal. lat. 653, fol. 59ra (saec. XIII)

Ms. Vat. Pal. lat. 652, fol. 55vb (saec. XIV)

Ex penitenciali Theodori. De sortilegis

Ex penitentiali Theodori. [om. De sortilegis]

In tabulis vel codicibus sorte futura non sunt inquirenda. aut nullus in psalterio vel euangelio vel in aliis rebus sortiri praesumat.

Hs. Leipzig, UB Ms. X 5.21.1 (1 Comp. 983, fol. 55r (saec. 5.17.1), ed. von XIII2) Friedberg, Sp. 822

Ex penitentiali theo- Ex poenitentiali dori. De sortilegis Theodori. Sortilegia pro futuris In tabulis vel codi[ furtis35] inveniendis In tabulis vel codici- cibus sorte furta (!) vel divinationibus fabus sorte futura non non sunt requirenda. ciendis prohibentur, sunt inquirenda. aut nullus in psalte- et contra facientibus nullus quoque in rio vel in euangelio poena imponitur. psalterio vel in evan- uel in aliis rebus gelio vel in aliis rebus sortiri praesumat. nec In tabulis vel codisortiri praesumat. nec diuinationes aliquas cibus aut aliis sorte divinationes aliquas in aliquibus rebus furta (!) non sunt vel aliquibus rebus obseruare. quod requirenda, aut nulobservare. et si fecerit. si fecerit XL. dies lus in psalterio vel in XL diebus poeniteat. peniteat. evangelio vel in aliis rebus sortiri, nec divinationes aliquas in aliquibus rebus quis observare prae­sumat. Qui autem contra fecerit, quadraginta dies poeniteat.

Möglicherweise wurde auch schon in der Compilatio prima im ersten Kapitel des 17. Titels das Wort „futura“ durch „furta“ ersetzt, wie es dann auch im Liber Extra erscheint. Naheliegend wäre dafür eine Kontamination mit der Dekretale Alexanders III., 35 pro furtis inueniendis. – So in der glossierten Edition von 1572, S. 1028a (X 5.21.1) (vgl. oben Anm. 14).

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in der von der Auffindung von Diebesgut (furta) mithilfe der Magie die Rede ist.36 Möglicherweise wurde aber auch bewusst „futura“ durch „furta“ ersetzt. Da es jedoch keine eigene Edition derjenigen Texte gibt, die aus der Compilatio prima später in den Liber Extra aufgenommen wurden, sondern Friedberg nur auf das entsprechende Kapitel in seiner Ausgabe des Liber Extra verweist, wurde auch diese Lesart an den drei hier ausgewählten Handschriften der Compilatio prima überprüft, davon mit der Hs. Leipzig UB 983, wie schon erwähnt, eine der von Friedberg selbst benutzten Handschriften37 sowie den beiden Palatina-Handschriften aus dem 13. (Vat. Pal. lat. 653) und dem 14. Jahrhundert (Vat. Pal. lat. 652). Im Unterschied zu diesen beiden Textzeugen hat die Hs. Leipzig UB 983 tatsächlich schon „furta“ statt „futura“. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass auch schon im Breviarium extravagantium die Variante „furta“ statt „futura“ zu finden war und dies nicht erst eine Lesart des Liber Extra ist. Für das zweite Kapitel (1 Comp. 5.17.2=X 5.21.2 – Requisisti) wird erstmals in der Compilatio prima eine Quelle genannt,38 und zwar Burchards 19. Buch. Dort wird die Herkunft des Kapitels mit Ex B. lib. XIX39 bzw. in der Hs. Leipzig 983 Ex brocard. lib. XVIIII (fol. 55r), angegeben. Die Auflösung dieser Angabe durch den Herausgeber Emil Friedberg, der auf Burch. XIX, 58 verweist,40 ist missverständlich, da dieses Kapitel keinesfalls als cap. 58 im 19. Buch von Burchards Dekret (Liber Corrector) zu finden ist, sondern in einem Fragekatalog innerhalb des 19. Buches und zwar als 9. Frage zu Dekretkapitel XIX, 5 unter der Rubrik De arte magica.41 Als cap. 58 findet sich der gesuchte Text dagegen in einer Sammlung von Bußkanones, die von der Hs. Rom, Bibl. Vallicelliana, F. 8 überliefert wird und Material aus Burchards Dekret mit der um 1020 in Süd- oder Mittelitalien entstandenen Collectio 5 librorum (Ms. Vat. lat. 1339 etc.) kombiniert.42 Wasserschleben hat diese Zusammenstellung von Bußkanones in der VallicellianaHandschrift unter dem Titel Corrector Burchardi. Canones poenitentiales ediert,43 teilt 36 Vgl. dazu Anm. 35. 37 Vgl. Friedberg, Quinque compilationes antiquae (wie Anm. 10), S. XXIII (hier als Hs. k bezeichnet bzw. für die Edition des Liber Extra als Ak, vgl. Corpus iuris canonici 2 [wie Anm. 17], S. XLVII). Diese Leipziger Handschrift überliefert die Compilationes prima, secunda und tertia. 38 In der Collectio Parisiensis secunda und der Collectio Lipsiensis nur idem bzw. item. Vgl. oben Anm. 23. 39 Vgl. Bernhard von Pavia, Breviarium extravagantium (wie Anm. 10), S. 60. 40 Vgl. Bernhard von Pavia, Breviarium extravagantium (wie Anm. 10), S. 60, vgl. dazu Anm. 1. 41 Vgl. Decretum Burchardi XIX 5, De arte magica, interrogatio 9, ed. von Fransen, Kölzer (wie Anm. 26), fol. 193vb–194ra. 42 Vgl. dazu Lotte Kéry, Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400–1140). A Bibliographical Guide to the Manuscripts and Literature, in: History of Medieval Canon Law, hg. von Wilfried Hartmann und Kenneth Pennington, Washington, D.C. 1999, S. 158, dort auch S. 157–160 zur Collectio 5 librorum (Ms. Vat. lat. 1339 etc.). 43 Vgl. Die Bußordnungen der abendländischen Kirche nebst einer rechtsgeschichtlichen Einordnung, hg. von Friedrich W. H. Wasserschleben, Halle 1851, S. 644.

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jedoch mit, dass die Bezeichnung Corrector Burchardi in der Hs. Vallicelliana F. 8, die ihm als Vorlage diente, fehle.44 Für den Inhalt von cap. 58 verweist er auf cap. 26 und cap. 27 im 10. Buch des Decretum Burchardi als mögliche Vorlage,45 nicht jedoch auf die 9. Interrogatio unter der Rubrik De arte magica in Buch 19, die genau diesem Text des cap. 58 der Bußkanones in der Hs. Vallicelliana F. 8 entspricht46 und, wie bei diesen Fragen zur Gewissenserforschung üblich, in Anlehnung an ein konkretes Kapitel aus den übrigen 18 Büchern des Decretum Burchardi, und zwar im vorliegenden Fall nach dem cap. 26 des 10. Buches, formuliert wurde.47 Das heißt, die Redundanz der beiden von Bernhard von Pavia unter dem Titel De sortilegis in seine Sammlungen eingefügten vorgratianischen Kapitel ist nicht nur inhaltlicher, sondern auch formaler Art: Beide Kapitel stammen aus dem Decretum Burchardi und gehen letztlich auf ein- und dasselbe Burchard-Kapitel (X, cap. 26) zurück, das, wie Bernhard ebenfalls von Burchard übernahm, angeblich aus dem Paenitentiale Theodori stammt, während das zweite Kapitel, wie korrekt aber unvollständig angegeben wird, ursprünglich in Burchards 19. Buch zu finden war, eventuell aber auch von Bernhard von Pavia dem Bußbuch der Hs. Vallicelliana F. 8 oder einer verwandten Zusammenstellung von Canones poenitentiales entnommen wurde, die den Zusammenhang mit Burchards Dekret im Unterschied zu der genannten Handschrift noch erkennen ließ.48

44 Vgl. Wasserschleben, Bußordnungen (wie Anm. 43), S. 624 Anm. 2: „Aus dem Cod. Vallicell. F. 8, in welchem aber die Bezeichnung: Corr. Burch. fehlt.“ 45 Wasserschleben, Bußordnungen (wie Anm. 43), S. 644. Vgl. Decr. Burch. X, 26, ed. von Fransen, Kölzer (wie Anm. 26), fol. 135rb: Ex poenitentiali Theodori. De illis qui in tabulis aut in codicibus futura requirunt. In Tabulis vel codicibus […] quadraginta dies poeniteat. – Decr. Burch. X, 27‚ ebd., fol. 135va: Ex concil. Agathen. cap. 3. De illis qui sortes sanctorum requirunt. Nec illud est praetereundum […] ab Ecclesia eijciatur. – Decr. Burch. X, 27 findet sich mit leichten Textveränderungen auch im Decretum Gratiani: C. 26 q. 5 c. 6 (De his qui auguriis et divinationibus student), ed. von Friedberg (wie Anm. 13), Sp. 1028. 46 Vgl. Decretum Burchardi XIX 5, De arte magica, interrogatio 9, ed. von Fransen, Kölzer (wie Anm. 26), fol. 193vb–194ra. Vgl. oben bei Anm. 41. 47 Vgl. Ludger Körntgen, Fortschreibung frühmittelalterlicher Bußpraxis. Burchards Liber corrector und seine Quellen, in: Bischof Burchard von Worms 1000–1025, hg. von Wilfried Hartmann, Mainz 2000, S. 199–226, hier S. 220–223; vgl. auch den Beitrag von Birgit Kynast in diesem Band. 48 Vgl. dazu Wasserschleben, Bußordnungen (wie Anm. 43), S. 624, Anm. 2, wo weitere Textzeugen dieser oder ähnlicher Sammlungen verzeichnet sind.

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Tabelle 3

Decretum Burchardi XIX, 5 De arte magica, interrogatio 9, ed. von Fransen, Kölzer, fol. 193vb–194ra

Corrector Burchardi (in: Cod. Roma, Bibl. Vallic., F. 8), ed. von Wasser­schle­ben, Buß­ordnungen, S.  644

1 Comp. 5.17.2 („Ex B. lib. XIX.“), ed. von Friedberg, S. 60 (nicht in Liber Extra übernom­men!)

Requisisti sortes in codicibus, vel in tabulis, vt plures solent, qui in Psalteriis, et in Euangeliis vel in aliis huiuscemodi rebus sortiri praesumant: Si fecisti decem dies poeniteas in pane et aqua.

cap. 58: Requisisti sortes in codicibus vel in tabulis, ut plures solent, quique in psalteriis et in evangeliis vel in aliis hujusmodi rebus sortiri praesumunt? Si fecisti, X dies penit.

Requisi[s]ti sortes in codicibus uel tabulis, ut plures solent, qui in psalteriis et in euangeliis uel in aliis huiusmodi rebus sortiri presumunt, si fecisti, X dies peniteas.

Die schon für das erste Kapitel von Titel XVII herangezogenen Handschriften der Compilatio prima bieten auch für das zweite Kapitel einige Varianten, die jedoch für den Inhalt dieses Kapitels nicht weiter von Belang sind. Erwähnenswert ist lediglich, dass die beiden Palatina-Handschriften die Dauer der Buße, vielleicht in Anlehnung an das erste Kapitel, auf 40 Tage erhöhen. Tabelle 4

Vat. Pal. lat. 653, fol. 59r

Vat. Pal. lat. 652, fol. 55vb

Leipzig, UB Ms. 983, fol. 55r

1Comp. 5.17.2, ed. von Friedberg, S. 60

[E]x broc. li. XII. [sic] [R]equisivisti [!] sortes in tabulis vel codicibus ut plures solent qui in psalteriis et evangeliis vel in aliis huiusmodi rebus sortiri praesumant. Si fecisti. XL. dies peniteas.

Ex brocardo lib. XIX. Requisisti in codicibus sortes vel in tabulis, ut plures solent qui in psalterio et in evangeliis et in aliis huiusmodi rebus sortiri prasumant. Si fecisti XL. dies peniteas.

Ex brocard. l. XVIIII. Requisisti sortes in codicibus vel tabulis ut plures solent qui in psalteriis vel in aliis rebus huiusmodi sortiri praesumant. si fecisti X. dies peniteas.

Ex B. lib. XIX. Requisiti (!) sortes in codicibus uel tabulis, ut plures solent, qui in psalteriis et in euangeliis uel in aliis huiusmodi rebus sortiri presumunt, si fecisti, X. dies peniteas.

Aus diesem Textvergleich kann abgeleitet werden, dass Bernhard von Pavia, der als sehr guter Kenner des Decretum Gratiani gelten darf, offenbar auch für den Titel De sortilegis zusätzlich noch Burchards Dekret oder ein Derivat dieser Sammlung konsultierte, um weitere Texte aufzutreiben. Dabei war er jedoch offensichtlich nicht sehr erfolgreich, da er am Ende nur zwei inhaltlich fast identische Texte vorzuweisen hatte, die eine relativ harmlose Form der Losdeuterei mithilfe von Büchern verboten und dafür auch nur geringe Bußen vorsahen, aber immerhin im ersten Kapitel auch noch das umfassende

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Verbot enthielten, die Zukunft mit welchen Hilfsmitteln auch immer zu erforschen. In den Liber Extra sollte dann der weitgehend redundante zweite Text aus Burchards 19. Buch, der als Bußkanon bzw. Bußfrage (Interrogatio) formuliert war, keinen Eingang mehr finden. Die Dekretale Alexanders III., die Bernhard von Pavia als drittes Kapitel unter dem Titel De sortilegis in sein Breviarium einfügte,49 übernahm er offenkundig aus der Appendix concilii Lateranensis, einer wohl Anfang der 80er-Jahre des 12. Jahrhunderts in England entstandenen, systematischen Dekretalensammlung.50 Dort ist diese Dekretale in einem Nachtrag, der nur in der 3. Rezension dieser Sammlung enthalten ist, als cap. 6 des Titels 50 (tit. L) zu finden, der jedoch keinerlei Bezeichnung trägt und am Ende der Appendix ein Sammelsurium von 67 bzw. 68 Kapiteln, vor allem Dekretalen, enthält, die wohl aus den verlorenen Registern Alexanders III. stammen.51 Bernhard von Pavia war offenkundig der erste, der diese Dekretale unter den Titel De sortilegis einfügte. Papst Alexander III. berichtet in diesem Schreiben über einen Priester V., der mit einem Brief seines Bischofs, des Patriarchen von Grado, bei ihm erschienen sei, in dem mitgeteilt werde, dass V. aus jugendlichem Leichtsinn mit einem Infamen, d. h. jemandem, der aufgrund seines abweichenden Verhaltens und des damit verbundenen schlechten Rufs eine Minderung seiner Rechte hinnehmen musste,52 zu einem privaten Ort

49 Zu dieser Dekretale und ihrer Kommentierung in der Dekretalistik vgl. auch Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 363–368. 50 Vgl. Charles Duggan, Decretal Collections from Gratian’s Decretum to the Compilationes antiquae: The Making of the New Case Law, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234, hg. von Wilfried Hartmann und Kenneth Pennington, Washington, D.C. 2008, S. 246–292, hier S. 277–280. Vgl. auch die Analyse der Sammlung durch Friedberg, Canones-Sammlungen (wie Anm. 20), S. 63–84, der drei Rezensionen unterscheidet, von denen nur die dritte den Titel 50 enthält. Vgl. ebd. S. 70 sowie S. 66 f.: „In Tit. 50 gibt der Sammler an, dass er seine Stellen aus einem liber oder aus dem liber des registrum entnommen habe. Ob er nun in Rom das Registrum selbst benutzt habe, ob ein Excerpt aus demselben, erscheint zweifelhaft.“ Titel 50 enthält 67 bzw. 68 Canones, darunter als c. 6 die hier zu besprechende Dekretale Alexanders III. ( JL 13943). 51 Vgl. Duggan, Decretal Collections (wie Anm. 50), S. 278 und vorher schon S. 248. Die Bezeichnung geht auf die Editio princeps des Petrus Crabbe nach einer heute verlorenen Handschrift zurück, sagt jedoch nichts über die Entstehungsumstände der Sammlung aus. Diese Edition liegt dem Druck in der Konziliensammlung von Mansi zugrunde: Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio 22, ed. von Joannes Dominicus Mansi, Venetiis 1778, Sp. 248–453, hier Sp. 428 f., c. 6. 52 Zur genaueren Bedeutung und den Rechtsfolgen der verschiedenen Formen von Infamie vgl. Peter Landau, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs von Gratian bis zur Glossa ordinaria (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 5), Köln, Graz 1966. Zur strafrechtlichen Bedeutung vgl. Kéry, Gottesfurcht (wie Anm. 1), S. 43 f., S. 574–576 und öfter.

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gegangen sei, um einen unreinen Geist anzurufen.53 Da der Priester sich durch diese Handlungsweise auch selbst der Infamie aussetzte und seine Schandtat öffentlich und notorisch war, habe ihn der Patriarch von Amt und Benefizium suspendiert.54 Vor dem Papst hatte sich der beschuldigte Priester jedoch damit verteidigt, dass er nicht in der Absicht dorthin gegangen sei, einen Dämon anzurufen, sondern weil er hoffte, durch eine Nachforschung mit dem Astrolabium (inspectione astrolabii) das Diebesgut, das einer gewissen Kirche entwendet worden sei, wiederbeschaffen zu können.55 Obwohl der jugendliche Übeltäter zu seinen Gunsten vorbringen konnte, aus Eifer für eine gute Sache (ex bono zelo) und aus Naivität (simplicitate) gehandelt zu haben, hatte er sich nach Ansicht des Papstes einer äußerst schwerwiegenden Tat (gravissimum) und nicht gerade geringfügigen Sünde schuldig gemacht.56 Da es jedoch sicherer sei, Gnade vor Recht ergehen zu lassen („tutius est in dexteram quam sinistram, et in misericordiam quam in severitatem declinare“) verwies Alexander III. den Delinquenten an den Patriarchen (von Grado) zurück, der dem beschuldigten Priester innerhalb von acht Tagen nach dem Erhalt des vorliegenden Schreibens seine Kirche mit allem Zubehör, d. h. das beneficium, zurückerstatten sollte. Gleichzeitig soll er ihm jedoch zur Sühne für sein Vergehen als Buße auferlegen, sich für mindestens ein Jahr, aber nicht länger als zwei Jahre, des Altardienstes zu enthalten. Anschließend sei es dem Übeltäter freigestellt, das Priesteramt (wieder) auszuüben.57 Bernhard von Pavia hat diese Dekretale zwar in sein Breviarium extravagantium eingefügt, sie jedoch nicht für seine Darstellung zum Titel De sortilegis in seiner Summa herangezogen. Dies kann man zwar auch mit einer grundsätzlichen Zurückhaltung gegenüber dem Ius novum erklären, da Bernhard sich dort auch in anderen Fällen darauf beschränkte, Stellen aus dem Decretum Gratiani, aus vorgratianischen Kapiteln sei-

53 Ex tuarum tenore literarum accepimus, quod V. presbyter, lator praesentium, iuvenili levitate usus, cum quodam infami ad privatum locum immundum spiritum invocaturus accessit. – 1 Comp. 17.3 (= X 5.21.2), (Alexander III. – JL 13943), ed. von Friedberg, Corpus iuris canonici 2 (wie Anm. 17), Sp. 822. 54 Unde tu eum, quia propter hoc infamia laborabat, et facinus publicum et notorium erat, ab officio et beneficio ecclesiastico suspendisti. – 1 Comp. 17.3 (= X 5.21.2), (Alexander III. – JL 13943), ed. von Friedberg, Corpus iuris canonici 2 (wie Anm. 17), Sp. 822. 55 Ipse autem coram nobis viva voce proposuit, quod non ea intentione, ut vocaret daemonium, ierat, sed ut inspectione astrolabii furtum cuiusdam ecclesiae posset recuperari. – Ebd., Sp. 822 f. 56 Verum, licet hoc ex bono zelo et ex simplicitate se fecisse proponat: id tamen gravissimum fuit, et non modicam inde maculam peccati contraxit. – Ebd., Sp. 823. 57 Sed quoniam tutius est in dexteram quam sinistram, et in misericordiam quam in severitatem declinare, ipsum fraternitati tuae duximus remittendum. Mandamus, quatenus sibi infra octo dies post harum susceptionem literarum ecclesiam cum universis ablatis restituas, et talem ei pro expiatione illius delicti poeniten­tiam imponas, quod per annum et amplius, si tibi visum fuerit, ita tamen, quod biennium non excedat, eum ab altaris ministerio praecipias abstinere, et extunc liberum sit ei exercere officium sacerdotis. – Ebd.

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nes Breviariums und Texte des römischen Rechts zu allegieren. Trotzdem ist die Frage zu stellen, ob für diese Unterlassung auch inhaltliche Vorbehalte denkbar erscheinen. Auch wenn Bernhard ständig auf das Decretum Gratiani Bezug nimmt, an das er, wie er im Prooemium zur Summa ausdrücklich betont, anknüpft und dazu nach eigenen Angaben aus dem Register Gregors des Großen und von Burchard das aufgreift, was Gratian übrig gelassen hat,58 liefert Bernhard von Pavia doch seine ganz eigene, systematische Darstellung der kirchenrechtlichen Beurteilung von Divinationspraktiken und beschränkt sich nicht darauf, den Stand, wie er aus Gratians Dekret hervorgeht, zusammenzufassen. In seinem an den Aufbau der Compilatio prima angelehnten „Lehrbuch“ begründet er die Einfügung dieses Titels unmittelbar im Anschluss an das Fälschungsdelikt damit, dass durch das crimen sortilegii auf falsche und unerlaubte Weise zukünftige Ereignisse vorhergesagt würden („quo falso et illicite futura divinantur“).59 Nicht alle Formen der Weissagung stellen jedoch seiner Ansicht nach ein verdammenswertes crimen dar. In etwas gezwungener Anlehnung an ein Kapitel aus Gratians Dekret, in dem erklärt wird, dass schlechte Propheten dadurch von den guten zu unterscheiden seien, dass sie ihre Weissagung „verkaufen“, versucht Bernhard die Zukunftsdeutung (divinatio) in ihrer „eigentlich“ (proprie) negativen Bedeutung von der durchaus positiv zu verstehenden Prophetie (prophetia) zu unterscheiden.60 Damit möchte er offenkundig der Tatsache Rechnung tragen, dass sowohl im Alten als auch im Neuen Testament von Prophezeiungen berichtet wird und Propheten auch durchaus eine positive Rolle als Sendboten Gottes und Verkünder des göttlichen Willens spielen. Zu den Spielarten der verbotenen divinatio zählt Bernhard zunächst die durch teuflische Einflüsterung mögliche Vorhersage zukünftiger Ereignisse, aber auch die Befragung der vier Elemente, wie Pyromanthie, Aeromantie, Hydromantie und Geomantie, die er nur etymologisch ableitet, ohne jedoch ihre Verfahrensweisen genauer zu kennzeichnen. Die „Kunst“, aus toten Tieren die Zukunft vorherzusehen, bezeichnet er als nigromantia, die Vogelschau (auspicium) teilt er in drei Unterarten ein – die Deutung ihres Verhaltens und ihrer Gebärden (gestus), ihres Fluges (volatus) und schließlich ihres 58 Materia sunt decretales et quaedam utilia capitula, quae in corpore canonum, registro Gregorii et Brocardo reliquerat Gratianus […]. – Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 3. 59 Vgl. ebd. (wie Anm. 11), S. 241. Vgl. das Zitat oben in Anm. 11. Zur Darstellung in der Summa decretalium Bernhards von Pavia vgl. auch Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 253–255. 60 § 1. Sors est divinandi ars; divinatio autem proprie in mala significatione vel parte accipitur, prophetia vero in bona, ut C. I qu. 1 Iudices [C. 1 q. 1 c. 23]. – Ebd. In diesem sehr ausführlichen Dekretkapitel, auf das Bernhard sich hier beruft, geht es ebenfalls, wie aus der Rubrik hervorgeht, in Anlehnung an Hieronymus darum, dass schlechte Propheten im Gegensatz zu guten ihre Weissagung verkaufen und sich damit der Simonie schuldig machen (ed. von Friedberg, Anm. 13, Sp. 367 f.). Vgl. dazu auch Alger von Lüttich III, 40 in: Robert Kretzschmar, Alger von Lüttichs Traktat De misericordia et iustitia. Ein kanonistischer Konkordanzversuch aus der Zeit des Investiturstreits: Untersuchungen und Edition (= Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter, Bd. 2), Sigmaringen 1985, S. 344 f.

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Gezwitschers (garritus) oder Gesangs (cantus) – und nennt auch die entsprechenden „Wahrsager“: den avigerius, der das Verhalten (gestus) der Vögel deutet, den propetitius, der die Zukunft aus dem Flug der Vögel ableitet, und den augurius, der sie aus ihrem Gezwitscher oder Gesang ableitet.61 Jedoch kennt Bernhard auch aus dem Alten und Neuen Testament Formen der Weissagung, die zu den verbotenen zu rechnen sind. Gleich zu Beginn seiner Aufzählung erwähnt er als Beispiel für die Weissagung durch teuflische Einflüsterung den Fall der pythonissa, die den Tod Sauls vorhersagte.62 Ausschließlich biblische Nachweise nennt Bernhard auch für die Weissagung mithilfe von Losen (divinatio sortibus), ohne sie jedoch genauer zu erläutern: diejenige des Achitophelis,63 des Absalon64 (in einigen Textzeugen des „Salomon“) und schließlich die divinatio apostolorum, mit deren Erwähnung er sich wohl, wie auch Laspeyres meint, auf den Bericht der Apostelgeschichte bezieht, wonach Matthias den Aposteln (als Ersatz für den Verräter Judas Iskarioth) durch das Los zugewählt wurde.65 Obwohl diese Losentscheidung nach dem Bericht des Neuen Testaments auf göttliche Eingebung zurückzuführen ist, nennt Bernhard sie nicht als positives Beispiel, sondern stellt mithilfe eines Merkverses generell fest, dass solche Divinationspraktiken eine tödliche Bedrohung für das Seelenheil darstellen66 und erklärt 61 Sunt autem multae species divinationis; alia per spiritum diabolicum, ut pythonissa, quae praedixit de morte Saulis; alia in igne, quae dicitur pyromantia a pyr, quod est ignis, et mantice, quod est divinatio; alia in aёre, quae dicitur aёrimantia; alia in aqua, quae dicitur hydromantia ab hydor, quod est aqua; alia in terra, quae dicitur geomantia a geon, quod est terra; alia in mortuis animalibus, quae dicitur nigromantia; alia in avibus, quae dicitur auspicium, cuius tres sunt species, scil. ex gestu, ex volatu, ex garritu vel cantu; ex gestu avigerium, ex volatu propetitium, ex garritu vel cantu augurium dici solet. – Ebd. Bernhard bringt die nigromantia – die schwarze Kunst – in eingeschränkter Bedeutung mit toten Tieren in Zusammenhang und meint damit offenkundig eine Art Schau der Eingeweide bei (Opfer-)Tieren zur Bestimmung der Zukunft. 62 […] alia per spiritum diabolicum, ut pythonissa [die Hexe von Endor], quae praedixit de morte Saulis. – Vgl. Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 241, Vgl. 1 Sam 28. 63 A[c]hitophel ist der Ratgeber König Davids, der zum Verräter wurde, als er sich mit Absalom verbündete. 64 Sohn Davids und Halbbruder Salomons. Absalom versuchte seinen Vater David zu stürzen. Vgl. 2 Sam 13–18. 65 Item fit divinatio sortibus, ut Achitophelis, Absalonis, Apostolorum; vgl. Apg. 1, 26; so auch Laspeyres ebd., Anm. 25: De Matthia, Apostolis per sortem annumerato (cf. Acta Apost. c. 1 v. 26), quin Bernardus hoc loco loquutus sit, indubium certe est. – Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 242. Zur Wahrsagepraktik des Losens in der Dekretistik und Dekretalistik vgl. die Darstellung der Diskussion bei Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 291–359. 66 Si quaeris sortem, dabit hoc animae tibi mortem; / Augurium quaeris, sic sine fine peris. – Ebd., „Wenn du das Los befragst, wird dies dir den Tod der Seele geben, / wenn du die Vogelschau befragst, so wirst du auf ewig (ohne Ende) zugrunde gehen.“ (S. 242). Vgl. dazu auch Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 254.

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kategorisch, dass alle diese Formen der Weissagung (divinationes) sowohl durch Canones als auch Leges und damit auch durch menschliche Gesetze sowohl kirchlicher- als auch weltlicherseits verboten seien. Als Belege führt er nicht nur die einschlägigen Kapitel aus dem Decretum Gratiani und dem Codex Iustinianus an, sondern verweist an erster Stelle auf die ersten beiden Kapitel in seiner eigenen Sammlung, der Compilatio prima.67 Offenbar der Vollständigkeit halber und als generelle Warnung vor bisher wenig praktizierten, zum Teil abstrusen Formen der Divination, nennt er zum Schluss noch Weissagungen durch „Niesen und gewisse andere magische Praktiken“, „die“, wie Bernhard betont, „den Arabern und Spaniern besser bekannt sind als uns, die wir solchen keinesfalls Glauben schenken“.68 Aus dieser Aussage jedoch einen Angriff des „rechtgläubigen“ Kanonisten auf die ungläubigen Araber sowie Schönfärberei in Bezug auf die Christen abzuleiten, scheint mir etwas überzogen, auch wenn die Erwähnung von Arabern und Spaniern sicherlich darauf zurückzuführen ist, dass Angehörige des muslimischen (und jüdischen) Glaubens als Folge der zahlreichen Übersetzungen astronomischer wie astrologischer arabischer Werke verstärkt mit superstitiösen Praktiken in Verbindung gebracht wurden.69 Bemerkenswert ist jedoch, dass der Schreiber der Hs. Leipzig, UB 982, geschrieben im Jahr 1201 und damit ein sehr früher Textzeuge der Summa, der dem Dominikanerkloster in Leipzig gehörte,70 hier eine tiefgreifende Sinnänderung vornahm und damit eine Verkehrung ins Gegenteil, die man wohl nicht als einfachen Schreibfehler abtun kann: Den Halbsatz, dass „wir, die wir solchen keineswegs Glauben schenken“ („quam nobis, qui talibus fidem nullatenus adhibemus“), änderte er ab zu „was uns nützen wird, wenn wir solchen Glauben schenken“ („quod nobis proderit si talibus fidem adhibemus“).71 67 § 3. Omnes autem huiusmodi divinationes sacris canonibus sacrisque legibus prohibentur, ut infra eod. c. 1 et 2 [1 Comp. 5.17 c. 1 u. 2] et C. XXVI. qu. 5 fere per totum [Decr. Grat. C. 26 q. 5] et Cod. de maleficis et mathemat. ‚Nemo‘  [Cod. Iust. 9.18.5]. – Ebd. 68 § 2. […] item sternutationibus et aliis quibusdam modis magis cognitis Arabicis et Hispanis, quam nobis, qui talibus fidem nullatenus adhibemus, quia […] [es folgt der oben in Anm. 66 zitierte Merkvers]. – Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 242. Zur frühmittelalterlichen Bewertung des Niesens als Vor- oder Warnzeichen vgl. Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 173, siehe Anm. 111 mit weiteren Hinweisen. 69 Vgl. Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 254. 70 Helssig, Catalogus (wie Anm. 27), S. 122. Vgl. dazu auch Laspeyres, Bernardi Summa ­decretalium (wie Anm. 11), S. XLIV–XLV und S. 283 (dort in Anm. 42 der Schreibervermerk in der Hs. Leipzig UB 982 [Li]): Anno millenoque ducenteno quoque primo. / Sic annos Domini quanti perpende fuere, / Cum summa scripta fuit haec in fine / Mensis Octobris, quartae indictionis. – Laspeyres weist ausdrücklich darauf hin, dass er keine Anhaltspunkte dafür gefunden hat, wo dieser Codex ursprünglich entstanden ist und wie er nach Leipzig gelangte (ebd. S. XLV). 71 Cod. Li (= Leipzig 982) scriptor, aliam eamque plane contrariam de huiusmodi rebus fovens opinionem, sic Bernardum scribere fecit: ‚quod nobis proderit si talibus fidem adhibemus’. – Hs. Leipzig, UB. Ms. 982, fol. 58v (im Digitalisat nur schwer lesbar) und Laspeyres (wie Anm. 11), S. 242, Anm. 30.

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Ausdrücklich für erlaubt erklärt Bernhard von Pavia indessen „wissenschaftliche“ Methoden zur Deutung der Zukunft, wie Astronomie, Arithmetik und Geometrie, auch wenn eine gewisse Skepsis mitklingt, wenn er gesteht, dass er die Divination („fieri divinationem“) mithilfe von Arithmetik und Geometrie selbst nie miterlebt habe („non vidi“).72 Auch die Zukunftsdeutung mithilfe der Astronomie, die, wie er selbst gesehen habe, mit einem Astrolabium vorgenommen werde, könne durchaus fehlschlagen („fallit tamen“) wegen der unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern und wegen der unaufhörlichen Bewegung der Sterne. Dies ändere jedoch nichts daran, dass sie offenbar erlaubt seien („permitti tamen videtur“), wie aus dem Decretum Gratiani und dem Codex Iustinianus hervorgehe.73 Die Belege, die Bernhard dazu anführt, sind jedoch beide problematisch und deuten somit darauf hin, dass Bernhard seine Argumentation mit allen Mitteln zu stützen suchte: So wird in dem genannten Kapitel des Decretum Gratiani die Astronomie, die ebenfalls Teil des Quadriviums und damit der septem artes liberales ist, gar nicht genannt, vielmehr bezieht sich dessen Aussage nur auf Geometrie, Arithmetik und Musik, denen, „auch wenn sie nicht der Frömmigkeit entspringen“, ganz allgemein – und nicht etwa als Vorhersagemethode – wissenschaftliche Glaubwürdigkeit attestiert wird.74 In dem Kapitel aus dem Codex Iustinianus wird die ars mathematica (im Sinne von Sterndeuterei) im Unterschied zur ars geometriae (Geometrie) sogar verboten.75 Auch hier ist von der Astronomie eigentlich keine Rede, denn unter mathematica versteht man Astrologie oder Mathematik.76 Bernhard von Pavia stellt also den zahlreichen verbotenen Divinationspraktiken („divinationes prohibitae“), die auf Glauben beruhen („talibus fidem nullatenus adhibemus“), mit denen auf falsche und unerlaubte Weise die Zukunft vorhergesagt wird („quo falso et illicite futura divinantur“) und die deshalb durch Strafen zu ahnden sind („qua poena sint sortilegi puniendi“), den „wissenschaftlichen“ Methoden der Zukunftsdeutung gegenüber, die zwar erlaubt sind, aber auch eine hohe Fehlerquote aufweisen und damit eine große Unsicherheit in sich bergen. Entgegen seinen Angaben hat er jedoch keine wirklich tragfähigen Belege dafür vorzuweisen, dass sie tatsächlich erlaubt sind. 72 § 4. Permittitur autem illa, quae fit per astronomiam, arithmeticam et geometriam; ceterum per arithmeticam et geometriam non vidi fieri divinationem […]. – Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 242. 73 […] per astronomiam vidi in astrolabio; fallit tamen propter varia terrarum climata et incessantem motum astrorum; permitti tamen videtur, ut Di. XXXVII. Si quis grammaticam (c. 10) [Dist. 37 c. 10] et Cod. de malefic. et mathem. L. 2 [Cod. Iust. 9.18.2]. – Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 242. 74 § 1. Geometria autem et aritmetica et musica habent in sua scientia ueritatem, sed non est scientia illa pietatis […]. – Decretum Gratiani Dist. 37, c. 10, ed. von Friedberg (wie Anm. 13), Sp. 138. 75 Artem geometriae discere atque exerceri publice intersit. ars autem mathematica damnabilis interdicta est. – C. 9.18.2, rec. von Paulus Krueger, Corpus iuris civilis (= Codex Iustinianus, Bd. 2), Berlin 1877, S. 379. 76 Dazu auch Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 243, Anm. 16.

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Ohne sich auf die von ihm selbst in die Compilatio prima eingefügten Bußbuchkapitel mit ihren niedrigen Bußsätzen zu beziehen, leitet Bernhard aus entsprechenden Vorschriften des Decretum Gratiani hohe Strafen für Wahrsager ab: sortilegi und divinatores sollen exkommuniziert werden und dürfen nicht als Ankläger (in Prozessen) zugelassen werden. Nach weltlichem Recht sollen sie sogar mit dem Tode bestraft werden, wie aus dem Codex Iustinianus hervorgeht.77 In der Glossa ordinaria zum Liber Extra werden unter Bezug auf das Decretum Gratiani zwar zunächst auch schwere kirchliche Strafen wie Exkommunikation und Absetzung vorgesehen: Laien werden der kirchlichen Gemeinschaft beraubt, Kleriker „können“ Amt und Benefizium verlieren. Gleichzeitig wird jedoch aus den in den Liber Extra aufgenommenen Dekretalen Alexanders III. und Honorius’ III. (1216–1227) (X 5.21.2 und 3) das „Contra-Argument“ abgeleitet, dass man in bestimmten Fällen auch auf eine Bestrafung verzichten kann,78 sodass der Eindruck entsteht, dass das neue Dekretalenrecht mit solchen „Verirrungen“ wesentlich gelassener umgeht. In einer abschließenden Bemerkung weist Bernhard schließlich noch vorsichtig unter Berufung auf Gratian darauf hin, dass „anscheinend“ auch die Beachtung bestimmter (Unglücks- oder Glücks-)Tage (dies Aegyptiaci) zu den Sortilegien gehöre und deshalb verboten sei.79 Die Frage, ob Bernhard von Pavia die Aussage der offenkundig erstmals von ihm selbst zum Thema Sortilegien in die Compilatio prima eingefügten Dekretale Alexanders III. womöglich aus inhaltlichen Gründen nicht in seine Summa miteinbezog, lässt sich natürlich nicht mit letzter Sicherheit entscheiden. Es fällt jedoch auf, dass er die Astronomie mithilfe des Astrolabiums ausdrücklich als eine erlaubte, wenn auch nicht unbedingt zuverlässige Form der Zukunftsbestimmung bezeichnet, an der er selbst schon teilgenommen habe.80 Auch der beschuldigte Kleriker berief sich nach Darstellung der Dekretale darauf, den Wahrsager nicht aufgesucht zu haben, um Dämonen anzurufen, sondern um mithilfe eines Astrolabiums die Güter, die seiner Kirche gestohlen worden 77 § 5. Poena vero huiusmodi sortilegorum et divinatorum est, ut excommunicentur, ut C. XXVI. qu. 5 [C. 26 q. 5] fere per totum, nec ad accusationem admittantur, ut C. II qu. 8 Quisquis [C. 2 q. 8 c. 3]. Secundum leges autem capite puniuntur, ut Cod. de malef. et mathem. Nemo [Cod. Iust. 9.18.5]. – Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 242. 78 Si laicus fuerit, communione ecclesiae priuetur, si vero clericus, officio et beneficio potest priuari. xxvi qu. v. non oportet [C. 26 q. 5 c. 4] et duobus. c. seq. [c. 5 und c. 6] Et arg. contra. infra c. proxi. [X  5.21.2] arg. contra infra eo. c. ulti. [X 5.21.3] ubi non puniuntur. – Glossa ordinaria ad X 5.21.1, s.v. ‚quadraginta dies’ (wie Anm. 14), S. 1028b. Vgl. dazu auch unten bei Anm. 91. 79 § 6. Illud in summa notandum, quod observationes dierum ad huiusmodi sortilegia spectare videntur, et ideo prohibentur, ut C. XXVI. qu. 7 c. antepenult. et penult. [C. 26 q. 7 c. 16 und 17]. – Bernardi Summa decretalium, ed. von Laspeyres (wie Anm. 11), S. 242. Zur Bewertung der Beachtung der „Ägyptischen Tage“ durch die Dekretistik vgl. auch, Hersperger, Superstitio (wie Anm. 1), S. 368–370. 80 Vgl. oben bei Anm. 73.

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waren, wiederzufinden.81 Obwohl der Papst dieses Verhalten nicht als böswillig, sondern nur als naiv beurteilte und deshalb Gnade vor Recht ergehen lassen wollte, betonte er doch auch, dass der Kleriker sich grundsätzlich eine schwere Verfehlung zuschulden kommen ließ und er deshalb ausdrücklich nur gnadenweise eine nicht so harte Strafe, sondern lediglich eine vorübergehende Suspendierung vom Altardienst von höchstens ein bis zwei Jahren verfügte.82 Für ihre Aufnahme in den Liber Extra wurde diese Dekretale nicht nur auf den Kern der Fallbeschreibung gekürzt, sondern es wurden vor allem jene Textpassagen weggelassen, die eine gewisse Milde und Nachsicht des Papstes im Einzelfall gegenüber einer grundsätzlich eigentlich strengeren Auffassung erkennen lassen: So etwa die Empfehlung an den Patriarchen, Erbarmen statt Strenge walten zu lassen und dem Priester das Benefizium in vollem Umfang innerhalb von acht Tagen nach Erhalt des päpstlichen Schreibens zurückzugeben. Es bleibt dann nur noch die Anweisung übrig, dem Übeltäter eine Buße aufzuerlegen.83 Für eine sehr am Einzelfall orientierte Beurteilung mit eher seelsorgerischer als punitiver Zielsetzung spricht jedoch der Umstand, dass der Zeitraum für die Suspendierung vom Altardienst (mindestens ein Jahr und höchstens zwei Jahre) in der für den Liber Extra gekürzten Version nun allein in das Ermessen des Vorgesetzten gestellt sein soll („si tibi visum fuerit“).84 Dem damit entstehenden Eindruck eines eher lässlichen Vergehens, auf das lediglich mit einer zeitlich begrenzten Suspendierung als Buße zu reagieren sei, wird in der (nachträglich hinzugefügten) Rubrik zu diesem Kapitel im Liber Extra entgegengehalten, dass die übliche Summierung dieser Dekretale, wonach ein Priester, der durch die Nachforschung mit einem Astrolabium Diebesgut suchte, auf Zeit vom Altardienst suspendiert werde, in Wahrheit nicht zutreffe, da dies auch härter bestraft werden könne.85 Damit wird in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall eine Entscheidung im Sinne der misericordia und nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes und damit nach dem rigor iuris getroffen worden war. Auch Bernhard von Parma fühlte sich veranlasst, in der Glossa ordinaria zum Liber Extra besonders hervorzuheben, dass der Papst als untere Grenze für die Buße (poenitentia) die Dauer eines Jahres festgelegt habe, die jedoch keinesfalls 81 Vgl. oben bei Anm. 55. 82 Verum, licet hoc ex bono zelo et ex simplicitate se fecisse proponat: id tamen gravissimum fuit, et non modicam inde maculam peccati contraxit. – X 5.21.2 (= 1 Comp. 5.17.3), ed. von Friedberg (wie Anm. 17), Sp. 823. 83 Mandamus, quatenus [sibi infra octo dies post harum susceptionem literarum ecclesiam cum universis ablatis restituas, et] talem ei pro expiatione illius delicti poenitentiam imponas […]. – X 5.21.2 (= 1 Comp. 5.17.3), ed. von Friedberg (wie Anm. 17), Sp. 823. 84 […] quod per annum et amplius, si tibi visum fuerit, [ita tamen, quod biennium non excedat,] eum ab altaris ministerio praecipias abstinere, et extunc liberum sit ei exercere officium sacerdotis. – Ebd. 85 Presbyter, qui per inspectionem astrolabii furta requirit, ad tempus suspenditur ab altaris ministerio, ita communiter summatur; sed in veritate haec summatio non est indistincte vera, quia acrius potest puniri. – Ebd., Sp. 822.

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unterschritten werden dürfe. Nur was darüber hinausgehe, bleibe dem Ermessen des Bischofs überlassen.86 Wie oben schon angedeutet, hat man möglicherweise den in der Dekretale Alexanders III. geschilderten Fall auch zum Anlass genommen, in der Version des Liber Extra sowohl in der Rubrik als auch im Text des ersten Kapitels (X 5.21.1 – In tabulis) das Wort „futura“ nachträglich durch „furta“ zu ersetzen, sodass hier ganz konkret von Sortilegien die Rede war, die vorgenommen wurden, um Diebesgut (furta) aufzufinden („pro furtis inveniendis“).87 Nach den Angaben von Friedberg, in dessen Edition in der Rubrik zu diesem ersten Kapitel (X 5.21.1) „futuris inveniendis“ zu lesen ist, steht in einigen von ihm konsultierten Handschriften der Compilatio prima im Text dieses ersten Kapitels ebenfalls „futura“ und nicht „furta“,88 so wie dies auch bei Burchard von Worms (X, 26) und in den oben genannten Palatina-Handschriften der Compilatio prima der Fall ist.89 In dem hier benutzten glossierten Exemplar des Liber Extra (Venedig 1572) heißt es hingegen in der Rubrik zum ersten Kapitel: „Sortilegia pro furtis (!) inueniendis, uel divinationibus faciendis prohibentur […]“ und auch im Text ist – ebenso wie in der Compilatio prima – Hs. Leipzig 983 von furta und nicht von futura die Rede.90 Es fällt schwer, diese Abweichung als reinen Fehler in der Überlieferung oder als bloße Kontamination zu bewerten, da somit auch schon mindestens ein Textzeuge der Compilatio prima sie aufweist. Vielleicht sollte damit auch schon jeder pseudowissenschaftlichen Kriminaltechnik, die sich an die Losdeuterei zur Bestimmung der Zukunft anlehnte, ein Riegel vorgeschoben werden. Leider bietet die Glossa ordinaria zu dieser Frage keine weiteren Aufschlüsse. Vielmehr konzentrieren sich die Kommentare des Glossators in erster Linie auf die Erläuterung und Einordnung der beiden folgenden Dekretalen. Offenkundig führte jedoch das Fehlen einschlägiger Dekretalen dazu, dass der Titel De sortilegis in die auf Bernhards Breviarium folgenden Compilationes secunda, tertia und quarta, erst gar nicht aufgenommen wurde. Erst in der von Tancred (von Bologna), dem führenden Juristen seiner Zeit, im Auftrag Papst Honorius’ III. um 1226 direkt aus dem päpstlichen Regis-

86 […] sed minorem poenitentiam anno, non posset imponere, ex quo Papa sibi annum praefixit, sed supra est ad arbitrium episcopi. Bern. – Glossa ordinaria ad X 5.12.2 s.v.) Visum (wie Anm. 14), S. 1028b. 87 Sortilegia pro furtis inveniendis vel divinationibus faciendis prohibentur, et contra facientibus poena imponitur. – Vgl. die Rubrik zu X 5.21.1 in der glossierten Ausgabe des Liber Extra (Anm. 14), S. 1028a. So auch im Text dieses Kapitels: In tabulis vel codicibus aut aliis sorte furta [!] non sunt requirenda, […]. 88 Vgl. X 5.21.1, ed. von Friedberg (wie Anm. 17), Sp. 822 mit Anm. 5: futura Aabcl. Damit sind die Handschriften der Compilatio prima, München 3879 (Aa), Freiburg 361 (Ab), München 6352 (Ac), und die Edition von Agustín (Al) gemeint. 89 Vgl. dazu oben Tab. 2. 90 Vgl. oben Anm. Tab. 2, Anm. 35.

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ter zusammengestellten Compilatio quinta91 erscheint unter dem jetzt als De sortilegiis (mit zwei i) bezeichneten Titel eine einzige päpstliche Dekretale. Dabei handelt es sich um ein Schreiben Honorius’ III. an das Kapitel von Lucca, das später auch Eingang in den Liber Extra fand.92 In dieser Dekretale geht es um die Modalitäten einer Bischofswahl. Das Domkapitel von Lucca hatte sich darauf geeinigt, eines seiner Mitglieder durch das Los zu bestimmen, das dann, auf diese Weise mit der Autorität des gesamten Kapitels ausgestattet, wiederum drei von ihnen auswählen sollte, die stellvertretend für alle (vice omnium) die Wahl vorzunehmen hatten. Von diesen dreien hatten sich zwei auf den dritten, einen Magister R., als zukünftigen Bischof geeinigt, was ihnen ausdrücklich aufgrund der von allen Mitgliedern des Domkapitels übertragenen Gewalt erlaubt sein sollte.93 Als nun die Prokuratoren des Domkapitels vor dem Papst erschienen, um sich die Wahl bestätigen zu lassen, erklärte dieser ihre Vorgehensweise „eines vielfachen Tadels für würdig“, weil bei der Wahl das Los eine Rolle gespielt habe, auch wenn man – wie Honorius zugibt – durchaus an Bekanntes angeknüpft habe („licet nota non careat“).94 Der Papst erteilte der Wahl des Magisters R., bisher Kanoniker der Kirche von Lucca, zwar seine Bestätigung, betonte jedoch, dass dies lediglich gnadenweise (ad gratiam) geschehen könne, und zwar aufgrund der herausragenden Sitten und Bildung des neu91 Zu Tancred vgl. Pennington, The Decretalists 1190–1234, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period 1140–1234 (wie Anm. 5), S. 237–239 und zur am 2. Mai 1226 abgeschlossenen Compilatio quinta vgl. Pennington, Decretal Collections (wie Anm. 5), S. 316 f. Die Redaktion der Compilatio quinta wird als ein Wendepunkt in der Geschichte der kanonistischen Sammlungen betrachtet, weil diese von nun an nicht mehr das Ergebnis privater Initiativen sein würden, sondern mit wenigen Ausnahmen auf päpstliche Anordnung zurückgingen: „With Compilatio quinta the papacy took control of its law. For the next century decretal collections were ‘official’ compilations, ordered by the papacy, and sent to the law schools. The age of the ‘private’ decretal collection had passed.“ (Ders., A Short History of Canon Law, http:// legalhistorysources.com/Canon%20Law/PenningtonShortHistoryCanonLaw.pdf, S. 29 [letzter Aufruf: 8.6.2020]). 92 Vgl. X 5.21.3 (= 5 Comp. 5.9. c. un., Po. 7843), ed. von Friedberg, Corpus iuris canonici, Bd. 2 (Anm. 17), Sp. 823. Vgl. dazu auch Patrick Hersperger, Die Dekretale ‚Ecclesia vestra nuper‘ von Honorius III. in der Rezeption verschiedener Werke der klassischen Kanonistik, in: Päpste, Pilger, Pönitenarie, Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, hg. von Andreas Meyer, Tübingen 2004, S. 31–48, besonders S. 40–46 (Die Verwendung des Loses [sors] bei kirchlichen Wahlen). 93 Ecclesia vestra nuper episcopo destituta, sicut comperimus, vos, convenientes in unum, ut de futuri tractaretis electione pontificis, circa modum electionis diversos incipientes habere tractatus, unum tandem elegistis ex vobis per sortem, qui tres auctoritate vestra elegit, per quos vice omnium Lucanensi provideretur ecclesiae de pastore; quorum duo tertium, magistrum R. scilicet, elegerunt, quod expresse licebat eisdem secundum traditam a vobis omnibus potestatem. – Ebd. 94 Procuratoribus igitur vestris super his in nostra praesentia constitutis, nos, tali examinato processu, licet nota non careat, quin immo multa repehensione sit dignum, quod sors in talibus intervenit, […]. – Ebd.

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gewählten Bischofs und wegen der Zuneigung, die er als Papst der Kirche von Lucca entgegenbringe.95 Gleichzeitig nahm Honorius III. diesen Fall jedoch zum Anlass, den Einsatz einer Losentscheidung bei Wahlen grundsätzlich durch ein Verbot auf ewig zu verdammen.96 In der Rubrik zu diesem Kapitel im Liber Extra wird zudem betont, dass nicht nur die eigentliche Wahl nicht durch Losentscheid getroffen werden dürfe, sondern auch die Auswahl derjenigen, die eine solche Wahl per compromissum vorzunehmen hätten.97 Nach dem Bericht der Dekretale wurde der Losentscheid jedoch allein für eine Entscheidung eingesetzt, die noch eine weitere Stufe zurückführt: Nur derjenige, der die drei compromissarii auswählte, war durch das Los bestimmt worden.98 Auch hier haben wir es also wieder mit einer Einzelfallentscheidung zu tun, in der Gnade vor Recht ergehen soll, prinzipiell jedoch ein klares und unwiderrufliches Verbot ausgesprochen wird. Auch die Glossa ordinaria zum Titel De sortilegiis im Liber Extra steht insgesamt ganz unter dem Eindruck dieses vom Papst ausgesprochenen Losverbots bei kirchlichen Wahlen, während sie auf verbotene Formen der Zukunftsdeutung kaum eingeht. Dies zeigt sich bereits an der Glosse zum ersten Kapitel (X 5.21.1 In tabulis), wo dieses Verbot ohne jeden inhaltlichen Bezug schon gleich beim ersten Auftauchen des Lemmas sorte ausgesprochen wird: Eine Wahl darf nicht durch das Los vorgenommen werden.99 Begründet wird das Verbot damit, dass das Los zwar nicht von sich aus schlecht sei, aber wegen der Beharrlichkeit (assiduitas) (häufigen Wiederholung), die man dabei an den Tag lege, die Gefahr mit sich bringe, dass man – ähnlich wie beim Eid – in die Idolatrie abgleite.100 Trotzdem wird unter Berufung auf Gratian101 zugestanden, dass im Zweifelsfall der Rückgriff auf das Los eher erlaubt sei als zur Befragung von Dämonen Zuflucht zu  95 […] propter praerogativam tamen morum et literaturam magistri R. canonici vestri, in quem vota ecclesiae vestrae praeficiendum episcopum concurrerunt, et affectionem, quam ad eandem habemus ecclesiam, electionem celebratam de ipso ad gratiam confirmationis admittimus, […]. – Ebd.  96 […] sortis usum in electionibus perpetua prohibitione damnantes. – Ebd., vgl. dazu jetzt auch Wolfgang Eric Wagner, Der ausgeloste Bischof. Zu Situation und Funktion des Losverfahrens bei der Besetzung hoher Kirchenämter im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 305 (2018), S. 307–333.  97 Non solum electio per sortes fieri non debet, sed etiam electiones compromissariorum per sortes assumi non debent. – Ebd.  98 Vgl. oben Anm. 93.  99 Sic electio per sortem non est facienda. – Glossa ordinaria ad X 5.21.1 [sic], s.v. ‚sorte’ (Anm. 14), S. 1028a. Zum Beweis wird hier auf die Dekretale Honorius’ III. unter demselben Titel verwiesen: infra eo. c. ulti [X 5.21.3]. 100 Quia licet sors in sui natura non sit mala, tamen prohibetur ne propter assiduitatem, labantur in idolatriam: sicut est in iuramento. – Ebd. 101 Vgl. Decretum Gratiani, C. 22 q. 1 c. 8 (Considera) mit der Schlussfolgerung, dass es im Zweifelsfall besser sei, auf Gott einen Eid abzulegen als auf Dämonen (ed. von Friedberg, Anm. 13, Sp. 863).

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nehmen.102 Die Aussage des ersten Kapitels, dass es verboten sei, mithilfe von Losen die Zukunft vorherzusagen, wird sogar relativiert: Trotzdem dürften in manchen Fällen auch Entscheidungen durch das Los getroffen werden,103 ohne jedoch, wie es hier naheliegend gewesen wäre, das divinatorische oder wahrsagerische Los von einer Losentscheidung als Notlösung in wichtigen Angelegenheiten etwa bei einer schwierigen Wahl oder Gerichtsentscheidung begrifflich genauer zu trennen. Näher ausgeführt wird dies dann jedoch in der letzten Glosse zur Dekretale Honorius’ III. unter dem Lemma In electionibus, die Bernhard von Parma der Sigle Abb. am Ende der Glosse zufolge von dem etwa gleichzeitigen Dekretalisten Abbas antiquus (Bernard de Montmirat, geb. um 1230, gest. 1296) übernommen hat.104 Hier heißt es zunächst einschränkend, dass die Verwendung des Loses in vielen Fällen sogar erlaubt sei.105 Genannt wird jedoch nur ein Fall: Zur Aufhebung von Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten in Gerichtsverfahren;106 im gleichen Atemzug wird jedoch noch einmal kategorisch festgestellt, dass das Losverfahren auf keinen Fall bei Wahlen zum Einsatz kommen dürfe, nicht einmal, um dadurch einen Streit zu beenden.107 Eine überzeugende Begründung für das unbedingte Losverbot bei (kirchlichen) Wahlen führt der Glossator nicht an. Er versucht lediglich die Gegenargumente zu entkräften. Die Wahl des Apostels Matthias durch das Los könne nicht als Vorbild dienen, da dieser Losentscheid in Wirklichkeit auf göttliche Eingebung zurückzuführen sei.108 Auch ist das Los an sich zwar nichts Schlechtes, kann jedoch zum Götzen102 Ibi potius permittuntur sortes, quam ad daemonia consulenda concurrant. – Glossa ordinaria ad X 5.21.1 [sic], s.v. ‚sorte‘ (Anm. 14), S. 1028a. Entsprechend ist hier von einer „comparativa permissio“ die Rede. 103 Quandoque tamen permittitur per sortem aliquid fieri, ut dicitur infra eodem cap. ultim. [X 5.21.3]. – Ebd., S. 1028a–b. 104 Vgl. Glossa ordinaria ad X 5.21.3 s.v. ‚In electionibus‘ (Anm. 14), S. 1029a–b. Zum Abbas Antiquus (Bernard de Montmirat) vgl. auch Frank Soetermeer, Bernard de Montmirat (abbas antiquus), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 22, Nordhausen 2003, Sp. 111– 115. Seinen Dekretalenkommentar soll Bernard de Montmirat in den Jahren 1262/1263 abgeschlossen haben. 105 Praeterea, in multis casibus usum sortis admittimus. – Glossa ordinaria ad X 5.21.3, s.v. ‚In electionibus‘ (Anm. 14) S. 1029a. 106 Propter dissensiones uero et lites dirimendas sors admittitur circa iudicia. – Ebd., S. 1029b. 107 Sed in electionibus licet ibi sit discordia non licet, per iura praedicta. – Ebd. 108 Sed quare prohibetur usus talis in electionibus? nonne Mathias sorte electus fuit. xxi. distin. cleros, in prin. et sors non est aliquid mali. […] Dicas quod licet Mathias et Ionas sorte electi fuissent, non tamen eorum exemplo eligendus est. […] quia illud factum fuit diuina inspiratione. sic uigesimaquarta q. v. dixit […]. – Ebd., S. 1029a. In C. 24 existiert keine quaestio 5, sodass vielleicht C. 26 q. 5 gemeint ist, die jedoch die für Sortilegien zu verhängenden Strafen behandelt. Ein Kapitel mit dem Anfangswort ‚dixit‘ ist hier auch nicht zu finden. Offenbar bezieht Bernhard sich hier auf die Aussage Gratians: Futura enim prescire solius Dei est, qui in sui contemplatione etiam angelos illa prescire facit. (ed. von Friedberg, Corpus iuris canonici 1 [wie Anm. 13], Sp. 1027). Die Auflösung bei Hersperger mit C. 14 q. 5 c. 12 ist abwegig, da es in diesem

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dienst führen und ist deshalb verboten.109 Nicht genauer ausgeführt wird zudem, dass im vorliegenden Fall auch noch zusätzlich die Vorschrift des (4. Lateran-)Konzils (für Wahlen) nicht eingehalten worden sei.110 Dabei bezieht man sich wohl darauf, dass das Kapitel in Lucca ein Verfahren gewählt hatte, das nicht mit dem in diesem Konzilsdekret beschriebenen modus operandi übereinstimmte, der nur drei Vorgehensweisen für eine kirchliche Wahl vorsah, die forma scrutinii, compromissi oder auch inspirationis111, und speziell auch die Stellung von Prokuratoren für die Wahl nur unter ganz bestimmten Bedingungen zugelassen sein sollte – ohne dass jedoch Honorius III. dies in seiner Dekretale angesprochen hätte. Schon in seinem Kommentar zu der im ersten Kapitel vorgesehenen 40-tägigen Buße (quadraginta dies), hatte Bernhard von Parma unter Verweis auf Gratian festgestellt, dass ein Laie zur Strafe der kirchlichen Gemeinschaft beraubt werde und ein Kleriker Amt und Benefizium verlieren „könne“.112 Dagegen spreche jedoch („et argumentum contra“), dass die Mitglieder des Domkapitels von Lucca, die bei der Wahl ihres neuen Bischofs gegen das Losverbot verstoßen haben, „überhaupt nicht bestraft werden“.113 Sogar die von ihnen durchgeführte Wahl werde „de gratia“ bestätigt, obwohl sie „de iure“ hätte kassiert werden müssen.114 Kapitel des Decretum Gratiani um Diebstahl geht und keinerlei inhaltliche Verbindung zum Inhalt der Glosse herstellbar ist (Hersperger, Dekretale, [wie Anm. 92], S. 45). Zur Nachwahl des Matthias (Apg. 1, 26) vgl. oben Anm. 65. Bei der ebenfalls erwähnten Wahl des Jonas wurde bei einem schweren Sturm auf hoher See das Los geworfen, um herauszufinden, „um wessentwillen dieses Unheil“ über die Seeleute gekommen war. Das Los fiel auf Jonas, der „vor dem Herrn auf der Flucht war“, und erst nachdem dieser ins Meer geworfen worden war, beruhigte sich die See. Vgl. Jonas 1,7. 109 Quod autem dicitur, sors non est aliquid mali, uerum est considerata in se, sed ex causa prohibetur, ut dixi supra eod. c. i. et praeterea hic non fuit seruata forma concilii. – Glossa ordinaria ad X 5.21.3, s.v. ‚In electionibus‘ (Anm. 14), S. 1029a–b. 110 Et praeterea hic non fuit seruata forma concilii. supra de elec. quia propter [X 1.6.42]. Ebd., S. 1029b. 111 Quia propter diversas electionum formas, quas quidem invenire conantur, et multa impedimenta proveniunt, et magna pericula imminent ecclesiis viduatis, statuimus, […]. – X 1.6 (De electione et electi potestate) c. 42 (= 4 Lat. 1215, c. 24), ed. von Friedberg, Corpus iuris canonici 2 (Anm. 17), Sp. 88 f., hier Sp. 88. Zu den drei ausschließlich möglichen Formen der Wahl vgl. die Rubrik zu diesem Kapitel (Sp. 88): Per aliquam de tribus formis hic contentis, scilicet scrutinii, compromissi et inspirationis, procedi debet ad electionem in ecclesiis cathedralibus […]. Vgl. dazu auch Hersperger, Superstitio (Anm. 1), S. 346–351. 112 Glossa ordinaria ad X 5.21.1, s.v. ‚quadraginta dies‘ (Anm. 14), S. 1028b; vgl. das Zitat in Anm. 78. 113 Et arg. contra Infra c. proxi. arg. contra. infra eo. c. ulti. ubi non puniuntur [X 5.21.3]. – Ebd. Hier wird sowohl auf die Glosse zur Dekretale Alexanders III. („c. proxi.“) verwiesen, wo Bernhard (‚Bern.‘) zu ‚simplicitate‘ (S. 1028b) betont, dass der Täter, der aus Naivität gehandelt habe, zu verschonen sei: […] quia per simplicitatem hoc fecit, dignus fuit misericordia, nam simplicitati parcendum est, supra de rer. permu. c. cum uniuersorum, ubi de hoc. Bern. – sowie auf die Dekretale Honorius’ III. [X 5.21.3], wo von einer Strafe keine Rede ist. 114 Hoc ideo dicit: quia de iure debuit cassari, sed ipsum de gratia confirmauit. – Glossa ordinaria ad X 5.21.3, s.v. ‚Ad gratiam‘ (Anm. 14), S. 1029a.

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Lotte Kéry

Ähnliches gilt auch für die Dekretale Alexanders III. Zum Lemma liberum erklärt der Glossator, dass die Möglichkeit, den Beschuldigten nach seiner Buße wieder zum Altardienst zuzulassen, als Dispens zu verstehen sei, denn de iure communi hätte er eigentlich nie wieder den Altardienst verrichten dürfen. Der Bischof (in diesem Fall der Patriarch von Grado) sei völlig zu Recht gegen den beschuldigten Kleriker vorgegangen. Allein wegen dessen Naivität und Eifer für die gute Sache habe der Papst befohlen, ihn wieder einzusetzen.115 Der Glossator leitet aus diesem Fall sogar die Befugnis des Bischofs ab, aus eigener Autorität eine Dispens zu erteilen und dem Priester die weitere Beförderung zu ermöglichen.116 In einer zweiten Glossenschicht (ohne Sigle – Johannes Andreae?) wurde daraus dann sogar ein bischöfliches Dispensrecht für das crimen sortilegii: „Epis­ copus cum sortilegiis dispensare potest.“117 Fazit

Auch wenn hier nur wenige führende kanonistische Werke des späten 12. und des 13. Jahrhunderts berücksichtigt werden konnten, zeigt doch der Mangel an einschlägigen Dekretalen als auch die Art und Weise ihrer Kommentierung, dass in einer Zeit, in der man sich ganz massiv mit Andersgläubigen und Ketzern auseinanderzusetzen hatte, sowohl die konkreten Anlässe als auch die Bereitschaft fehlten, hier neue Bestimmungen zum Verbot divinatorischer Praktiken zu erlassen. Trotzdem fühlte Bernhard von Pavia sich offenbar verpflichtet, im Rahmen seiner umfassenden Beschäftigung mit dem kirchlichen Rechtsstoff der Vollständigkeit halber auch einen Titel De sortilegis [!] in sein Breviarium aufzunehmen und Weissagungen als verbotene Handlungen zur Zukunftsdeutung genauer zu definieren, die dafür vorgesehenen Strafen zu nennen und sie dementsprechend auch im strafrechtlichen Teil zwischen Fälschungsdelikt und Kollusion unterzubringen, ihnen aber der Vollständigkeit halber auch erlaubte Formen der Zukunftsdeutung gegenüberzustellen. Als maßgebliches Unterscheidungskriterium gilt ihm dabei die „Wissenschaftlichkeit“ der Methoden zur Zukunftsdeutung, die er im Unterschied zu den zum Teil sogar aus der Bibel bekannten und vor allem auf „Glauben“ beruhenden Divinationspraktiken ohne Belege als erlaubt darstellt. Entsprechend verwirft er die Zukunftsdeutung mithilfe des Astrolabiums nur deshalb, weil sie wenig erfolgversprechend sei.

115 Hoc intellige dictum ex dispensatione: nam de iure communi, debuit remanere priuatus, et episcopus de iure contra illum processit […]. sed quia bono zelo per simplicitatem deliquit, Papa mandat ipsum restitui, […]. – Glossa ordinaria ad X 5.21.2, s.v. ‚liberum‘ (Anm. 14), S. 1028b. 116 et episcopus authoritate sua cum isto potuit si uoluisset dispensare, cum in casu isto, ei hoc non sit prohibitum, et dispenset etiam in maioribus. […] Bern. – Ebd. 117 Ebd. (am Rand).

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Wie seine Textzusammenstellung unter dem Titel De sortilegis in seiner Dekretalensammlung zeigt, hätte er jedoch durchaus eine passende Dekretale Alexanders III. vorzuweisen gehabt, die selbst den an sich ehrenwerten Versuch mithilfe eines Astrolabiums Diebesgut, das einer Kirche entwendet worden sei, aufzuspüren als schwerwiegendes Vergehen kennzeichnete und nicht ohne eine zeitlich befristete Buße hinnehmen wollte. Bernhard berücksichtigte diese Dekretale jedoch nicht für die Darstellung in seiner Summa. Anscheinend wirkte sie sich jedoch auf den Text des Liber Extra aus, wo offenbar unter ihrem Einfluss auch in der Rubrik und dem Text des ersten Kapitels (X 5.21.1) nicht mehr von Zukunftsdeutung („futuris inveniendis“ oder „futura requirenda“) die Rede ist, sondern von dem Verbot, mithilfe von Sortilegien Diebesgut wiederzufinden („furtis inveniendis“ oder „furta requirenda“). Die zweite Dekretale (Honorius’ III.), die unter den Titel De sortilegiis in den Liber Extra aufgenommen wurde, hat mit Wahrsagerei und Zukunftsdeutung im Grunde gar nichts zu tun und wurde wohl nur unter diesen Titel gestellt, weil man noch nicht, wie wenig später Thomas von Aquin, genauer zwischen sors divisoria, divinatoria und consultatoria unterschied.118 So verwundert es auch nicht, dass die sich an diese Dekretale anschließende kanonistische Diskussion, etwa in der Glossa ordinaria, kaum Aufschlüsse über die Beurteilung der Wahrsagerei in der Kanonistik bietet.

118 Vgl. dazu Hersperger, Superstitio (Anm. 1), S. 185.

Abkürzungsverzeichnis

a. a. O. am angegebenen Ort Abh. Abhandlung Abt. Abteilung AD Anno Domini Add. Additional (manuscript) AKG Archiv für Kulturgeschichte Anm. Anmerkung Art. Artikel BAV Biblioteca Apostolica Vaticana Pal. Lat Palatini Latini Bd./Bde. Band/Bände bes. besonders Bibl. Vallic. Biblioteca Vallicelliana c./cc. Kapitel/capitulum/capituli Can. Canon/Canones Capit. capitulum CCSL Corpus Christianorum, Series Latina cf. confer Cod. Codex Cod. Iust. Codex Iustiniani Li. Lipsiae Coll. Brit. Collectio Britannica Comp. Compilatio prima Conc. concilium Agath. Agathensi Ancyr. Ancyra d. deceased DB Decretorum libri viginti Decr. Decretum Grat. Gratiani Dies./Ders. Dieselbe/Derselbe Diss. Dissertation e. g. exempli gratia Ebd. ebenda ed. von ediert von

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Abkürzungsverzeichnis

fol.  folio FS Festschrift gest. gestorben Habil. Habilitation HB Heidelberg hg. von herausgegeben von Hib. Hibernensis HRG Handbuch für Rechtsgeschichte Hs. Handschrift i. e. id est ibid. ibidem IKGF Internationales Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung Int. Initiale JL Jaffé/Loewenfeld lat. Latin/lateinisch lib. Liber ln. Linea Marg. Marginale MGH Monumenta Germanica Historicae Capit. Capitularia Conc. Concilia LL Leges (in Folio) LL nat. Germ. Leges nationum Germanicarum SS rer. Merov. Scriptores rerum Merovingicarum Ep. Epistula Ms. Manuscriptum ND Neudruck o. oben ÖNB. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Lat Codices Latini Paen. Paenitentiale par. Paragraph phil.-hist. Philsophisch-historisch PL Jacques-Paul Migne, Patrologiae cursus completus. Series latina, Paris 1844–1864 Po. Position Ps. Pseudo q. quaestio r. recto rec. recensio repr. Reprint

Abkürzungsverzeichnis

RP Regino von Prüm App. Apparat Suppl. Supplementum s.v. sub voce saec. seaculum seq. sequentes Sp. Spalte Tab. Tabelle tit. Titula UB Universitätsbibliothek v. verso Vat. Pal. lat. Biblioteca Apostolica Vaticana Palatini Latini Vgl. Vergleiche vol./vols. Volume/s X Decretales Gregorii IX. (Liber Extra) ZKG Zeitschrift für Kirchengeschichte ZRG Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte KA Kanonistische Abteilung

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Personen- und Ortsregister

Ælfric von Eynsham (gest. um 1010), Gelehrter 8 Absalon, bibl. Figur 132 Achitophelis, bibl. Figur 132 Ado von Vienne (gest. 875), Erzbischof 87 Agde Konzil von Agde (506) 46, 57, 60, 61, 81, 109 Agobard von Lyon (gest. 840), Erz­ bischof 8 Alarich II. (gest. 507), König der Westgoten 45 Albertus Magnus (gest. 1280), Gelehrter 9 Alcuin (gest. 804), Gelehrter 27 Alexander III. (gest. 1181), Papst 121, 125, 129, 130, 135, 137, 142, 143 Ambrosius von Mailand (gest. 397), Kirchenvater 57 Anastasius Bibliothecarius (gest. um 878), Bibliothekar 93 Ancyra Konzil von Ancyra (314) 42, 51, 52, 60, 61, 62, 65, 66, 67, 69, 70, 79, 80, 92, 107, 110, 111 Ansegis (gest. um 833), Abt 14 Aridius von Lyon (gest. 614), Bischof 58 Arles Konzil von Arles (314) 57, 61 Augustinus von Canterbury (gest. 604), Erzbischof 86, 88 Augustinus von Hippo (gest. 430), Kirchenvater 7, 8, 57, 60, 63, 76, 80, 110 Pseudo-Augustinus 90, 95

Autun 58 Auxerre Synode von Auxerre (um 585) 67 Barcelona 1. Konzil von Barcelona (540) 41 2. Konzil von Barcelona (599) 41 Basilius von Caesarea (gest. 379), Kirchen­vater 57 Beauvais 94 Beda Venerabilis (gest. 735), Gelehrter 74, 75, 88, 95 Benedictus Levita, Kapitularienfälscher 14, 95 Benedikt von Nursia (gest. 547), Ordensgründer 57 Bernhard von Montmirat (gest. 1296), Abt 140 Bernhard von Parma (gest. 1133), Kanonist 20, 119, 136, 140, 141 Bernhard von Pavia (gest. 1213), Bischof 20, 119, 120, 127, 129, 130, 142 Bern von Reichenau (gest. 1048), Abt 7, 8 Bonifatius (gest. um 754), Missionar 77, 88, 89, 90, 94, 95 Boris/Michael (gest. 907), Bulgarenfürst 17, 93 Braga 1. Konzil von Braga (561–563) 46, 53 2. Konzil von Braga (572) 51, 61, 82 Brunicho (gest. 11. Jh.), Dompropst 100 Burchard von Worms (gest. 1025), Bischof 7, 9, 15, 16, 17, 20, 50, 95, 99, 116, 117, 123, 126, 127, 131, 137

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Caesarius von Arles (gest. 542), Erz­ bischof 57, 65, 67, 72, 76, 80, 101 Chalcedon Konzil von Chalcedon (451) 56 Chindasvinth, König der Westgoten (653) 49 Chlodwig I. (gest. 511), König der Franken 29 Cicero, Staatsmann und Philosoph (gest. um 43 v. Chr.) 30 Coelestin I. (gest. 432), Papst 57 Corbie 58, 68, 69 Cú Chuimne (gest. 748), Mönch 56 Dagobert I. (gest. 639), König der Franken 18, 31 Deusdedit (gest. um 1099), Kardinal 95 Dionysius Exiguus (gest. 540), Mönch 56 Egara Konzil von Egara (614) 41 Egbert von York (gest. 766), Erzbischof 66, 74, 75 Einhard (gest. 840), Biograf Karls des Großen 28, 31 Erwig (gest. 687), König der Westgoten 49, 51 Etherius von Lyon (gest. 602), Bischof 58 Eusebius (gest. 339 oder 340), Historiograf 57 Pseudo-Fredegar 31 Gratian (gest. vor 1160), Kirchenrechtler 16, 17, 20, 96, 104, 121, 131, 135, 139, 141 Gregor I. der Große (gest. 604), Papst 8, 57, 86, 88, 94, 95, 96, 106, 114, 131 Gregor II. (gest. 731), Papst 88 Gregor III. (gest. 741), Papst 88, 89

Personen- und Ortsregister

Gregor von Tours (gest. um 594), Bischof 28, 29, 30, 36 Halitgar von Cambrai (gest. um 830/831), Bischof 72, 80, 82 Hatto von Mainz (gest. 913), Erzbischof 15 Heribald von Auxerre (gest. um 875), Bischof 81 Hieronymus (gest. 420), Kirchenvater 57, 60 Hinkmar von Reims (gest. 882), Erz­ bischof 8, 16, 17, 95 Honorius III. (gest. 1227), Papst 135, 137, 138, 139, 140, 141, 143 Hormisdas (gest. 523), Papst 56 Hrabanus Maurus (gest. 856), Erzbischof 8, 80, 81, 82, 110, 112 Huesca Konzil von Huesca (598) 41 Illyricus, Matthias Flacius (gest. 1575), Humanist 8 Innocenz I. (gest. 417), Papst 57 Isidor von Sevilla (gest. 636), Kirchenvater 8, 17, 41, 57, 60, 82 Pseudo-Isidor 95 Ivo von Chartres (gest. 1115 oder 1116), Bischof 95, 96, 124 Johannes Cassianus (gest. um 435), Abt 57 Johannes II. (gest. 535), Papst 57 Johannes VIII. (gest. 882), Papst 94 Judas Iskarioth, bibl. Verräter 132 Karl der Große (gest. 814), Kaiser 24, 28, 123 Karthago 4. Konzil von Karthago (254) 44 Köln 32

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Personen- und Ortsregister

Konstantinopel Konzil von Konstantinopel (381) 50, 56 Konstantin (gest. 337), römischer Kaiser 53 Laodicaea Konzil von Laodicaea (364) 60, 61, 82 Leipzig 133 Leo I. der Große (gest. 461), Papst 57, 59 Leo IV. (gest. 588), Papst 91, 96 Lul (gest. 786), Erzbischof von Mainz 88 Lyon 58 Marseille 57 Martin von Braga (gest. um 580), Erz­ bischof 43, 51, 52, 107 Matthias, Apostel 132, 140 Narbonne Konzil von Narbonne (589) 41, 45 Nicaea Konzil von Nicaea (325) 50, 53, 56, 107 Nikolaus I. (gest. 867), Papst 17, 87, 93, 94, 96 Orange Konzil von Orange (529) 57 Orléans 1. Konzil von Orléans (511) 29, 46, 51, 57, 61 3. Konzil von Orléans (538) 59 Orosius (gest. um 418), Historiograf 57 Osnabrück 87 Otgar von Mainz (gest. 847), Erzbischof 14, 81 Othloh von St. Emmeram (gest. um 1070), Mönch 95

Pavia 12 Polemius von Astorga (gest. 585), Bischof 51 Regino von Prüm (gest. 915), Abt 9, 15, 103, 107, 108, 109, 123, 124 Rekkared I. (gest. 601), König der Westgoten 53 R., Magister 138 Rom 42, 65, 88, 89 Rothar (gest. 652), König der Langobarden 12 Rubin von Dairinis (gest. 725), Mönch 56 Samo (gest. um 658/659), Herrscher eines slawischen Reiches 31 Sigibert III. (gest. 656), König von Austrasien 31 Siricius (gest. 399), Papst 57 Stephan V. (gest. 891), Papst 87 Symmachus (gest. 514), Papst 57 Tancred von Bologna (gest. um 1234/1236), Jurist 137 Theodor von Canterbury (gest. 690), Erzbischof 65, 68, 78 Thomas von Aquin (gest. 1274), Gelehrter 9, 104, 143 Toledo 1. Konzil von Toledo (400) 46 3. Konzil von Toledo (589) 53 4. Konzil von Toledo (633) 39, 40, 43, 48, 50, 52, 82 5. Konzil von Toledo (636) 39, 47 6. Konzil von Toledo (638) 48 17. Konzil von Toledo (694) 41 Tribur Synode von Tribur (895) 103

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Vaison Konzil von Vaison (529) 57 V., Priester 129 Willibrord (gest. 739), Missionar 66 Worms 110, 116, 117 Konzil von Worms (868) 94 Zacharias (gest. 752), Papst 88, 89, 90, 91, 95, 97 Zaragoza 2. Konzil von Zaragoza (592) 41 3. Konzil von Zaragoza (691) 41 Zosimus (gest. 418), Papst 57

Personen- und Ortsregister