Mitteilungen der Deutschen Landesgruppe der Internationalen kriminalistischen Vereinigung: 19. Hamburg, 11–13 Juni 1924 [Reprint 2022 ed.] 9783112669563, 9783112669556

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Mitteilungen der Deutschen Landesgruppe der Internationalen kriminalistischen Vereinigung: 19. Hamburg, 11–13 Juni 1924 [Reprint 2022 ed.]
 9783112669563, 9783112669556

Table of contents :
Erster Verhandlungstag: 12. Juni 1924
Einleitung
1. Gregenstand der Tagesordnung : Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit
1. Verhandlungsgegenstand: Die „Grundsätze über den Vollzug der Freiheitsstrafen" vom 7. Juni 1923
2. Berichterstatter: Dr. K. Finkelnburg, Präsident des Strafvollzugsamts Berlin
Aussprache über den 1. Verhandlungsgegenstand
Zweiter Verhandlungstag: 13. J u n i 1924
Einleitung
2. Verhandlungsgegenstand : Die Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924 und ihre Auswirkung bei den Gerichten
2. Berichterstatter: Oberstaatsanwalt Brümmer, Hamburg
3. Berichterstatter: Landgerichtsdirektor Dr. Mahn, Leipzig
4. Berichterstatter
Aussprache über die Referate Lang, Brümmer, Mahn, v. Schimmack
Verzeichnis der Teilnehmer an der 19. Versammlung der Deutschen Landesgruppe der I.K.V. zu Hamburg vom 11.—13. Juni 1924

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Mitteilungen

der Deutschen Landesgruppe der

Internationalen kriminalistischen Vereinigung 19. Versammlung zu Hamburg vom 11. bis 13. Jnni 1924

Im Auftrage des Vorstandes herausgegeben von

Privatdozent Dr. Richard Honig, Güttingen

Berlin and Leipzig 1924

W a l t e r de G r u y t e r & Co. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Kar) J. Trübner — Veit & Comp.

Erster Verhandlungstag: 12. Juni 1924. Der erste Vorsitzende, Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer (Leipzig), eröffnet im Namen der deutschen Landesgruppe der I. K. V. die Tagung. Er schlägt vor, die Herren Oberlandesgerichtspräsident Dr. M i t t e l s t e i n (Hamburg) und Ministerialdirektor Dr. Bumke (Reichsjustizministerium) als stellvertretende 1. und 2. Vorsitzende zu wählen, damit sie ihn und den Schriftführer Herrn Geh. Justizrat Prof. Dr. H e i m b e r g e r (Bonn) bei der Verhandluiigsleitung unterstützen. Die Wahl wird einstimmig angenommen. Hierauf heißt Senator Dr. Nöldeke (Hamburg) die Versammlung namens des Hamburgischen Senats und als Vorstand der Hamburgischen Justizverwaltung herzlich willkommen. Nicht zum ersten Mal tage die I. K. V. in Hamburg. Schon 1905 habe die allgemeine, die große I. K. V. in Hamburg — zum ersten Mal auf deutschem Boden — ihre Tagung abgehalten, eine glänzende Tagung, nicht nur durch den Inhalt der Verhandlungen, sondern auch durch den Verlauf der äußeren Veranstaltungen, zahlreich besucht von Teilnehmern aus aller Herren Länder. Seither habe der Weltbrand das internationale Band, welches eine Voraussetzung für die gedeihliche Förderung der Arbeiten der I. K. V. bildet, zerrissen. Mühsam werden die Eäden wieder angeknüpft auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Hamburg hofft, daß die gegenwärtige Tagung in seinen Mauern die Wiederaufnahme dieser wissenschaftlichen Beziehungen fördern werde. Denn wohl kein Ort in Deutschland eignet sich so gut hierfür wie Hamburg infolge seiner vielfachen Beziehungen zu andern Völkern. Gerade die Interessensolidarität der Völker auf dem Gebiet, welches die I. K. V. sich zum Arbeitsgebiet erwählt hat, demjenigen der Erforschung der Ursachen des Verbrechens und der Mittel zu seiner Bekämpfung, sollte darauf hinwirken, daß die Mauern, die seit einem Jahrzehnt l

2 auf diesem Gebiet zwischen den Völkern aufgerichtet worden sind, wieder in Wegfall kommen. Erfreulicherweise sind auch aus dem Ausland hier Vertreter der kriminalistischen Wissenschaft und Praxis erschienen, nicht nur aus dem befreundeten Oesterreich, welches wir in dieser Beziehung nicht als Ausland ansehen, sondern auch aus dem benachbarten Holland und den nordischen Ländern. Diese ausländischen Vertreter seien besonders herzlich begrüßt. Möge es der Vereinigung baldmöglichst gelingen, auf ihrem Arbeitsgebiet den Zustand wiederherzustellen, wie er erfreulicherweise bis 1914 bestanden hat. Ein reichhaltiges Arbeitsgebiet liegt der diesjährigen Verhandlung vor. Aus allen Teilen des Strafrechts sind Fragen zur Beratung gestellt, aus dem formellen und dem materiellen Strafrecht und aus dem Gebiete des Strafvollzugs. Seit der letzten Tagung in Göttingen, der ich als Vertreter des Hamburger Senats beizuwohnen die Ehre hatte, sind wesentliche Neuerungen auf dem Gebiet des Strafrechts geschaffen worden. Wir haben inzwischen die neuen Grundsätze über den Strafvollzug und wir haben eine Verordnung über die Neuordnung der Strafgerichte erhalten. Über die Art des Zustandekommens dieser Neuerungen ist viel gescholten worden. Man hat verlangt, daß endlich das seit mehr denn einem halben Jahrhundert verheißene S t r a f v o l l z u g s g e s e t z erlassen werden möge. Man hat ferner getadelt, daß bei N e u o r d n u n g der S t r a f g e r i c h t e der Reichstag ausgeschaltet worden ist. Ich kann diesen Vorwurf nicht als berechtigt anerkennen. Wer wie ich seit Jahrzehnten eifrig die Arbeiten der Gesetzgebung auf dem Gebiete des Strafrechts und namentlich des Strafverfahrens verfolgt hat, muß sagen, daß auf einem andern Wege in absehbarer Zeit eine Reform nicht zu erlangen war. Denn der Reichstag hat auf diesem Gebiete versagt, immer wieder von neuem versagt, und nur mit einer gewissen Besorgnis sehe ich dem Moment entgegen, in dem das neue Strafgesetzbuch, das wir alle ersehnen, dem Reichstag vorgelegt werden wird. Ich halte es für ausgeschlossen, daß der Reichstag auf diesem Gebiet diejenige Entsagung üben wird,

3 die er in vorbildlicher Weise bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches an den Tag gelegt hat. Und doch sind gerade auf dem Gebiete des Strafrechts Rechtsanschauungen und politische Fragen von derart starkem Einfluß, daß der Reichstag nicht in der Lage sein wird, ein solches Gesetz so zu erledigen wie es wünschenswert ist. Deshalb halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß man schließlich, um ein brauchbares Strafgesetzbuch zu schaffen, wieder den Weg beschreiten wird, den man in der letzten Zeit gegangen ist. Damit sollen freilich nicht alle Bestimmungen der „Neuordnung der Strafgerichte" gebilligt sein, im Gegenteil, Hamburg hat eine Reihe von Anregungen gegeben, die nicht berücksichtigt worden sind. Auch kann ich die Bedenken nicht verhehlen, die gegen diese Art der Gesetzgebung, wenn man das Verfahren so nennen will, grundsätzlich erhoben werden müssen; namentlich die sachverständige Kritik kann bei dieser Gelegenheit leicht zu kurz kommen. Um so notwendiger ist es, daß Mängel, die sich in der Praxis dieser Neuerungen herausstellen, möglichst bald abgestellt werden. Aufgabe der diesjährigen Verhandlungen ist, diese Mängel an den Tag zu bringen. Die Vereinigung besitzt den Vorzug, daß sie sich fernhält von starren Prinzipien und grauen Theorien. Sie schöpft mit voller Hand am frischen Born des Lebens und lauscht dem Pulsschlag unserer mächtig dahinbrausenden Zeit. Gerade deshalb aber haben ihre Verhandlungen und Beschlüsse eine unmittelbar fruchtbringende Wirkung. Mögen sie uns allen und unserm deutschen Vaterlande zum Segen gereichen! Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer (Leipzig) dankt Herrn Senator Dr. N ö l d e k e für die liebenswürdigen Begrüßungsworte, ferner den Mitgliedern der I. K. V. für ihr zahlreiches Erscheinen und den vom Ausland zu uns gekommenen Teilnehmern, nicht zuletzt auch den Vertretern der Reichsregierung; und der, deutschen Landesregierungen für ihre Bereitwilligkeit, an den Beratungen teilzunehmen. Besonderer Dank gebührt Herrn Ministerialdirektor Dr. Bumke, der schon gewissermaßen zum eisernen Bestände unserer Tagungen gehört und ohne den wir uns die Tal*

4 gangen der I. K. Y. kaum mehr denken können. Ferner auch dem preußischen Herrn Justizminister, der auch diesmal wieder, wie vor 2 Jahren in Göttingen, eine ganze Reihe von Herren delegiert hat, hervorragende Richter, Staatsanwälte und Ministerialbeamte, die an unseren Verhandlungen teilnehmen. Das gleiche gilt für Sachsen. Herr Minister Dr. B ü n g e r hat uns nicht nur dadurch sein Interesse bekundet, daß er eine Reihe von Herren veranlaßte, den Verhandlungen beizuwohnen, er ist auch selbst gekommen, wofür wir ihm besonders danken. Aber nicht nur Preußen und Sachsen haben das lebhafteste Interesse gezeigt ; wir haben die Ehre und das Vergnügen, die Chefs oder Mitarbeiter der Justizverwaltungen einer stattlichen Reihe anderer Staaten bei uns zu begrüßen. Das feste Zusammenhalten unter uns ist jetzt um so nötiger, als in der letzten Zeit Dinge vorgekommen, die wohl nur einem kleinen Kreise bekannt sind. Man hat es in Paris vor einigen Monaten für nötig gehalten, feierlichst zu erklären, die alte I. K. V. sei tot. Man hat ihr auch eine ganz hübsche Leichenrede gehalten in der „Revue Internationale Pénitentiaire" : sie habe ganz Gutes geleistet, nun aber sei sie erledigt. Es sei ein dringendes Bedürfnis, eine neue I. K. V. zu gründen, und zwar sollten alle Nationen teilnehmen können: „pour les nations tout loyales et pacifiées". Das klingt allerdings höchst bedenklich. Man sieht, wohin der Hase läuft, Deutschland soll offenbar als nicht genügend loyal und pazifiziert betrachtet werden und ausscheiden. — Ich bin keineswegs chauvinistisch, im Gegenteil sogar sehr dafür, daß unsere I. K. V. die Hand, die ihr vom Ausland geboten wird, ergreift. Andererseits aber glaube ich, daß wir wahrhaftig kein Bedürfnis hegen, den Fremden irgendwie nachzulaufen. Wenn uns die neue I. K. V. nicht haben will, so können wir sehr gut darauf verzichten. Ohne besonderen Stolz zu entwickeln, können wir sagen : unsere deutsche Strafrechtswissenschaft steht auf einer Höhe, die es uns gestattet, ruhig zu warten, bis die Fremden an uns herankommen. Wollen sie uns nicht haben, so mögen sie uns einstweilen ruhig beiseite lassen. Um so mehr haben wir das Bedürfnis, zu zeigen, daß die alte

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I . K . V . tatsächlich noch lebt, und zu versuchen, mit den Landesgruppen außerhalb Deutschlands Fühlung zu bekommen, und gerade deshalb ist es mir ein besonderes Vergnügen und eine besondere Ehre, unter uns verschiedene Herren aus dem Auslande zu begrüßen. Wenn ich hier unserer verehrten und lieben österreichischen Graste gedenke, so bilden sie gewissermaßen die Überleitung zum Auslande. Sie sind nicht als Ausländer zu betrachten, denn sie sind von unserem Fleisch und Blut, und sie sind es gerade, die das lebhafteste Interesse für die I. K . V. bezeugen. Also herzlichsten Dank den Herren aus Oesterreich! Ich freue mich weiter besonders, daß wir aus den Niederlanden zwei verehrte Vertreter begrüßen dürfen, Herrn Prof. Simon v a n d e r A a und Herrn Rechtsanwalt Dr. T r a p m a n . Bedauerlich ist, daß mein verehrter Freund, Herr Gerichtspräsident v a n S l o o t e n , der in Gröttingen gewesen ist, zu einem internationalen Kongreß in Paris delegiert ist und nicht in der L a g e ist, zu erscheinen. E r ist einer von denjenigen, die am lebhaftesten für unsere Interessen, insbesondere auch in Holland eingetreten sind. Soviel ich höre, soll auch der Präsident der schwedischen Landesgruppe, Landgerichtspräsident P e t t e r s s o n , angemeldet sein. E s wäre höchst erfreulich, wenn unserer Arbeit auch aus den skandinavischen Ländern Interesse gezeigt würde. Ich schließe in der Hoffnung, daß auch von der alten I. K. V. das Wort gilt: „Wen man tot gesagt hat, der lebt am längsten". Mögen wir um so länger leben und um so kräftiger wieder emporblühen! Ministerialdirektor Dr. Bumke (Berlin) dankt namens der Reichsjustizverwaltung der I. K . V. für die Aufforderung, den Verhandlungen beizuwohnen und überbringt die besten Wünsche für den Verlauf der Tagung. Die Beziehungen der Reichsjustizverwaltung zur I. K . V. sind wohl fast so alt wie die I. K . V. selbst. Sie waren zu Anfang beherrscht von einer gewissen Kühle, von einer gewissen Besorgnis der Reichsjustiz Verwaltung gegenüber dem Stürmen und Drängen und Gären, das sich in der I. K . V. zeigte. Aber im Laufe der 35 Jahre, die seither verstrichen sind, haben sich die Beziehungen zwischen uns und der

6 I. K. V. immer enger gestaltet; sie sind in den letzten Jahren herzlich geworden, und ich habe den dringenden Wunsch, daß sie so herzlich bleiben mögen. Ich weiß, daß die Reichsjustizverwaltung und die Reichsgesetzgebung der I. K. V. außerordentlich viel zu danken hat. Wenn man betrachtet, was in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet der Strafgesetzgebung geschehen ist, so wird die I. K. V. mit Stolz sagen können, daß dies Früchte ihrer Arbeit sind. Ich erinnere an das Jugendgerichtsgesetz, eines von den Kapiteln, die die I. K. V. fast seit ihrem Bestehen immer wieder beschäftigt haben; ich erinnere an das Geldstrafengesetz, den Sieg des Kampfes gegen die kurzzeitigen Freiheitsstrafen. Auch in den Grundsätzen über den Strafvollzug lebt der Geist der I. K. V. Sie kann mit dem, was sie in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt hat, zufrieden sein, zufrieden allerdings nur in dem Sinne, der der I. K. Y. von vornherein eigen gewesen ist, daß sie das Erreichte immer nur als die Vorstufe des Nächsten betrachtet. Wir, die wir der I.K.Y, soviel zu danken haben, haben es besonders begrüßt, daß die deutsche Landesgruppe so schnell und so kraftvoll ihre Arbeit wieder aufgenommen hat. Nicht allzulange nach dem Kriege war eine erste Zusammenkunft der deutschen Landesgruppe veranstaltet worden. Nur Wenige unter den Anwesenden werden an dieser Zusammenkunft teilgenommen haben. Man mußte sich fast hinschleichen in die Universität Berlin, in das kriminalistische Seminar, wenn ich nicht irre mit einem Stichwort. Die Universität war besetzt von einem Freikorps, die Straßen waren unsicher, und es war fast ein Wagnis, dort zu erscheinen. Das war die erste Zusammenkunft nach dem Kriege. Dann kam die Gießener Tagung, die schon ganz anders aussah, die Jenaer Tagung, die Göttinger Tagung, und wenn wir heute die Versammlung ansehen, so kann man wohl sagen, daß aus der Wurzel des Baumes, der zusammengebrochen schien, ein neuer Schoß entstanden ist, der sich schnell, gesund und kraftvoll entwickelt. Unser

7 Wunsch geht dahin, daß diese Entwicklung zum Heile des Rechts sich weiter vollziehen möge. Wenn wir an Ihren Tagungen gern teilnehmen, so besonders deshalb, weil die Dinge, die wir zu treiben haben, heute in erster Reihe im Lichte der Parteipolitik betrachtet zu werden pflegen. Schlecht ist manches, was wir tun, schon deshalb, weil es dieser oder jener mit seinem Namen gedeckt h a t ; mangelhaft ist es, weil es den Dogmen einer Partei nicht entspricht. Darum begrüßen wir es auch, daß Sie die Verordnung vom 4. Januar und die Grundsätze über den Strafvollzug auf Ihre Tagesordnung gesetzt haben. W i r wissen, daß in Ihrem Kreise die Parteipolitik zu schweigen hat und daß hier die Betrachtung einsetzt im Lichte einer ruhigen wissenschaftlichen Beobachtung und der Praxis, welch letztere aus eigensten Anschauungen sieht, wie sich das, was in Berlin erdacht ist, auswirkt. W i r begrüßen aber die Teilnahme an Ihren Verhandlungen noch unter einem andern Gesichtspunkt. Es liegt über den Gedanken, die die I. K. V. immer verfolgt hat, insofern eine gewisse Tragik, als in dem Zeitpunkt, in dem sie den Sieg zu erringen schienen, sich äußere Hindernisse entgegenstellten, die es erschweren, diese Gedanken durchzuführen. Diese Hindernisse liegen einmal darin, daß der Kampf gegen das Verbrechen wohl in allen deutschen Ländern auf Schwierigkeiten ungeahnter Größe gestoßen ist; sie liegen ferner in unsern Finanzen. Es ist schmerzlich zu wissen, daß auf dem Gebiete der Strafjustiz unendlich viel gebessert werden müßte, und gleichzeitig zu wissen, daß das jetzt nicht geschehen kann, daß es zurückgestellt werden muß auf vielleicht ferne Zeiten, in denen es uns wieder besser geht; schmerzlich ist es, überall dort, wo man vorwärts will, das „Zurück" des Finanzministers zu hören, unerbittlich und nach Lage der Verhältnisse unüberwindlich. Nicht wenig Zähigheit, Standhaftigkeit und Mut gehört dazu, um unter solchen Verhältnissen nicht ganz die Fahne sinken zu lassen. Von dieser Tagung erhoffe ich, daß wir hier neuen Mut und neue K r a f t schöpfen, eben aus der Berührung mit der Wissenschaft und mit der Praxis. Gleichzeitig

8 aber hoffen und wünschen wir, daß Ihre Tagung das Verständnis für das, was Sie und auch wir wollen, in breitere Kreise trägt und vertieft, und daß uns so die Wege geebnet werden, die zur Zeit mit tausend Hindernissen verbaut sind. "Wir bedürfen dessen namentlich, wenn wir zu dem kommen wollen, was uns als größtes Ziel vorschwebt, zu einer umfassenden Reform des deutschen Strafrechts; einer Reform, die uns die erste Stelle in der Gesetzgebung der Länder sichert. Dazu brauchen wir ein allgemeines Verständnis, eine breite Grundlage, die zu schaffen im wesentlichen auch die Aufgabe der heutigen Verhandlungen ist. In diesem Sinne wünsche ich den Verhandlungen den besten Erfolg. Staatssekretär Fritze (Berlin): Die hier anwesenden Herren Justizminister und Vertreter der Freistaaten Sachsen, Thüringen, Hessen, Oldenburg und Mecklenburg - Schwerin haben mich der Ehre gewürdigt, zugleich mit dem Danke des zu seinem Bedauern leider am persönlichen Erscheinen verhinderten Herrn Preußischen Justizministers auch den Dank ihrer Länder für die Einladung zu der heutigen Tagung und für die freundlichen Begrüßungsworte des verehrten Herrn Präsidenten zum Ausdruck zu bringen. Ich darf vielleicht schon jetzt in Anknüpfung an die Worte des Herrn Vertreters eines Hohen Senats den herzlichen Dank hinzufügen für die über alles Erwarten großartige Gastfreiheit, die uns hier in Hamburg gewährt wird. Mit Recht hat Herr Senator Nöldeke hervorgehoben, daß Hamburg allein schon eine gewaltige Anziehungskraft hat. Aber wir sind hierher gekommen ja nicht nur, um die Schönheiten von Hamburg zu genießen, sondern auch zu ernster Arbeit. Und gerade wir Vertreter der Länder haben — aus der Praxis des täglichen Lebens heraus — das besondere Bedürfnis, einmal eine Stande ruhiger Sammlung auf dem Boden freier Wissenschaft und im Ausblick auf die Gedanken anderer uns stammes- und geistesverwandter Nationen zu erleben, selbst wenn die Not der Zeit es nicht gestattet, alle die fruchtbaren Gedanken, die hier zutage gefördert werden, unmittelbar in die Tat umzusetzen. Die Not der Zeit, viel-

9 leicht auch, die Unrast der Zeit hat es verhindert, eine Hoffnung in Erfüllung gehen zu lassen, der wir uns vor 2 Jahren in Göttingen noch glaubten hingeben zu dürfen, daß wir nämlich unmittelbar vor dem Zustandekommen eines mit unseren deutsch - österreichischen Stammesbrüdern gemeinsamen Strafgesetzbuches standen. Und doch hat die Verzögerung das Gute gehabt, daß das künftige Strafgesetzbuch noch wird Nutzen ziehen können aus dem, was heute hier über das wichtige Problem des Bewußtseins der Rechts Widrigkeit gesagt werden wird. Die beiden andern Verhandlungsgegenstände führen uns unmittelbar in die Praxis hinein, die in dieser Beziehung zur Zeit vor einem vorläufigen Abschluß steht. Die S t r a f v o l l z u g s g r u n d s ä t z e sind j a ihrer Natur nach nur der Vorläufer eines Strafvollzugsgesetzes, das endlich kommen muß und kommen wird. Und auch bei der Verordnung über die S t r a f r e c h t s p f l e g e möchte ich nur von einem vorläufigen Abschluß sprechen. Die Verordnung ist von der Reichsregierung mit kühnem Griff geschaffen. Wenn man die Kritiken verfolgt, die der in erster Reihe dafür verantwortliche Reichsjustizminister über sich hat ergehen lassen müssen, so kommt man in die Versuchung, sie in das Wort aus dem Prolog zum Wallenstein zusammenzufassen: „Denn seine Macht ists, die sein Herz verführt; sein Lager nur erkläret sein Verbrechen". Aber man soll, wie mit Recht Herr Ministerialdirektor Dr. B u m k e vorhin betont hat, nicht vergessen, daß jedenfalls ein hohes Maß von Mut und Verantwortungsfreudigkeit dazu gehörte, diesen Schritt zu tun. Und schon dies bedeutet in unserer heutigen Zeit von vornherein ein erhebliches Plus. Vielleicht ist gerade deshalb hier, wo der alte Wagemut der Hansa ein reiches Betätigungsfeld von jeher gefunden hat, mehr Verständnis für diese Art des Vorgehens zu gewinnen als anderswo. Die Länder stehen der Verordnung nach ihrer Entstehungsgeschichte unbefangener gegenüber als sonst einem Gesetz. Sie sind gehört, nicht überall erhört! Unbefangen wollen wir hier würdigen, was die Praxis bisher schon für Erfahrungen gesammelt hat. Gewiß werden die Ergebnisse, von denen wir hier

10 hören werden, verschieden sein. In e i n e m aber dürfte alle sachliche Kritik einig sein: daß die Verordnung außerordentlich hohe Anforderungen an den Strafrichter stellt. Wenn es gestattet ist, an den Titel eines Buches zu erinnern, das ein geistvoller Richter seinerzeit im Anschluß an die bekannte Herrenhausrede des Frankfurter Oberbürgermeisters Adickes über den Vergleich zwischen englischer und deutscher Justiz geschrieben hat, so möchte ich sagen, es ist eine Strafprozeßordnung nicht für Bürokraten, sondern für Lords. Ob damit der richtige Maßstab gefunden ist, mit dem man heute an unsere deutschen Strafgerichte herantreten darf, darüber werden wir uns morgen noch unterhalten. Aber das Eine möchte ich doch aus einer langen Praxis heraus hier behaupten, und ich hoffe, dabei nicht auf Widerspruch zu stoßen: um eine gewisse Steigerang der Anforderungen an unsere Organe der Strafjustiz kommen wir unter keinen Umständen herum. Die Zeit, wo man es für möglich hielt, einen verdienten Richter, der f ü r die Zivilkammer nicht mehr recht taugte, in die Fünf-MännerStrafkammer zu setzen, sind vorüber und müssen vorüber sein. Immer mehr ist die Überzeugung Allgemeingut geworden, daß f ü r die Strafrechtspflege der beste Richter gerade gut genug ist, der beste Richter nicht nur an Wissen, sondern auch an persönlichem Gehalt. Wir sind auf dem richtigen Wege, wenn wir danach streben, immer mehr Licht und L u f t in unsere Gerichtssäle und in unsere Strafanstalten zu lassen. Wir brauchen Licht und Luft, um weiter gedeihen zu können. Wir können dies aber auch vertragen. Wir haben nichts zu verbergen in unseren Gerichten, und gleichfalls nichts in unseren Strafanstalten. Gewiß, — es sind alles menschliche Einrichtungen, und keine menschliche Einrichtung ist vollkommen. Es gibt zu bessern und wir wollen bessern. Zugleich aber sollen wir mit vollem Vertrauen herangehen, sollen allen in unserer Strafrechtspflege tätigen Organen ein gewisses Mehr an Aufgaben und Verantwortung zumuten. Auch hier wird sich das Dichterwort bewähren: „Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken". Möge diese Tagung auf dem

11 Wege zur Erreichung dieser größeren Zwecke und Ziele ein Wegweiser und ein Meilenstein sein! Oberlandsgerichtspräsident Dr. Mittelstein (Hamburg) dankt im Namen der Hanseatischen Juristenschaft der deutschen Landesgruppe der I. K. V. dafür, daß sie Hamburg zum Sitz ihrer Tagung erwählt hat, zumal Hamburg keine besondere Stätte für Kriminalistik sei, diese vielmehr durch andere, gleichfalls nicht geringe Aufgaben bei Seite gedrängt werde. In dem Bewußtsein aber, daß Handel und Verkehr den Schutz des Strafrichters brauchen, fasse man auch in Hamburg strenger zu, mehr vielleicht, als dies in der ganzen Richtung der Gegenwart liegt. — Zur Durchführung der vielen Neuerungen, die hier zur Besprechung gelangen sollen, ist vor allem eines notwendig, der starke Mann, der starke Richter. Der Ruf nach einem solchen geht überall, ja man spricht — wie soeben — von Lords. Man vergißt aber, wie diese erzogen werden, und man vergißt, daß sie nicht abgebaut werden. Soviel ich weiß, ist im ganzen High-Court in England kaum ein Richter, der nicht an die 70 heran oder darüber ist, und man ist dort der Meinung, daß diese Männer noch trefflich ihres Amtes walten können. W i r dürfen nicht alles auf die Paragraphen der Gesetze abstellen, sondern diese persönliche Seite der Sache ist immer noch die wichtigere. Wenn in dieser Beziehung neben guten Gesetzen unsere Justizverwaltung auch dafür sorgen wollte, daß Männer geschaffen werden, die diese Gesetze handhaben können, dann werden wir die vorzüglichste Rechtspflege haben, die wir mit Stolz der ganzen Welt zeigen können. Ministerialrat Dr. Kadeöka (Wien) überbringt im Auftrage des Herrn österreichischen Vizekanzlers der deutschen Landesgruppe der I. K. V. die Grüße der österreichischen Regierung. Nicht zum ersten Mal geschehe es, daß die österreichische Regierung zu einer reichsdeutschen rechtswissenschaftlichen Tagung einen Vertreter entsendet. Es hat in den letzten Jahren kaum e i n e solche Tagung stattgefunden, bei der sie nicht vertreten gewesen wäre. Das ist nicht bloß eine Huldigung für die deutsche Rechtswissenschaft,

12 das hat nicht nur in der Hochschätzung seinen Grund, die wir Oesterreicher den Leistungen der deutschen Rechtswissenschaft entgegenbringen und in der Erkenntnis, daß die Früchte ihrer Arbeit mittelbar auch Oesterreich zugute kommen. Das Interesse Oesterreichs an den deutschen Gesetzgebungsproblemen hat vielmehr noch einen tieferen und zwingenderen Grund. Als bald nach dem Umsturz sowohl in Deutschland wie in Oesterreich Bestrebungen einsetzten, die auf eine allmähliche Vereinigung des in beiden Ländern geltenden Rechts abzielten, die darauf gerichtet waren, jede Gresetzesreform zu einer wechselseitigen Angleichung der erlassenen Vorschriften zu benutzen, hat die österreichische Regierung diese Bestrebungen von Anfang an ermuntert und gefördert, nicht aus politischen(Gründen, nicht mit irgendwelchen Hintergedanken, sondern einzig um des idealen Kulturgutes der Rechtseinheit willen, jener Rechtseinheit, wie sie auf andern Gebieten, insbesondere auf dem Gebiet des Handels- und Wechselrechts trotz aller staatlichen Selbständigkeit mehr als ein halbes Jahrhundert bestanden hat und zum Teil heute noch besteht. Von denselben Absichten wie die österreichische Regierung ist der österreichische Nationalrat und die gesamte österreichische Juristenschaft erfüllt. Der Nationalrat hat sich in mehreren Entschließungen ausdrücklich und wiederholt zu dem Gedanken der Rechtsangleichung bekannt, und er hat im vorigen Jahre ein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb beschlossen, das sich unter Verwerfung mehrerer älterer österreichischer Vorlagen, bewußt und vielfach wörtlich an das deutsche Vorbild anschließt. Wie aber die österreichische Juristenwelt über die Angleichung denkt, das mögen Sie aus dem Umstand ersehen, daß die erste größere Tagung der österreichischen kriminalistischen Vereinigung und ihre erste und bisher einzige Publikation nach dem Kriege nicht einem österreichischen, sondern einem deutschen Gesetzentwurf gewidmet war. Ich brauche diesen Gesetzentwurf nicht erst zu nennen, denn Sie alle wissen, daß unser nächstes und vorläufig höchstes Ziel auf dem Wege der Rechtsangleichung ein gemeinsames Strafgesetz ist, also ein Gesetz, an dem durch Ratschläge, Anregungen

13 und kritische Erörterungen mitzuwirken niemand berufener sein kann als die deutsche Landesgruppe der I.K. V. Sie begreifen daher das rege Interesse, das jede Ihrer Tagungen bei uns erweckt. Sie verstehen die Beharrlichkeit, mit der wir an Ihren Tagungen teilnehmen und daraus Nutzen zu ziehem bemüht sind. Aber es ist nicht bloß wissenschaftliches Interesse, nicht Lerneifer allein, was uns immer wieder zu Ihnen führt. Es ist noch ein anderes Gefühl, das uns dabei beseelt, ein Gefühl, wie man es hat, wenn man in das Haus eines lieben alten Freundes kommt. Wir streben nicht bloß dem Lichte zu, das von Ihren Beratungen ausgeht; was uns noch mehr anzieht, das ist die Wärme, die Herzlichkeit, mit der Sie uns jedesmal aufnehmen und empfangen. Ich danke dem Herrn Senator N ö l d e k e und dem Herrn Oberreichsanwalt E b e r m a y e r für die freundlichen Begrüßungsworte, die sie uns gewidmet haben. Ich bitte Sie, überzeugt zu sein, daß wir Ihre freundschaftlichen Empfindungen von ganzem Herzen erwidern; und wenn wir uns auch — schon wegen der geringeren Zahl der Arbeitskräfte — mit Ihnen auf dem Gebiet wissenschaftlicher Forschung nicht überall messen können: uns auch an Herzlichkeit der Sympathien zu übertreffen, die wir für die Verbindung der beiden Länder hegen, dazu werden Sie niemals imstande sein. Ich schließe mit dem Wunsche, daß ihre Beratungen und Beschlüsse uns dem großen Ziele der Rechtseinheit näher bringen, daß unseren beiden Ländern bald ein auf geläuterten Anschauungen beruhendes und technisch vollkommenes, gemeinsames Strafgesetz beschert werden möge. Generalstaatsanwalt Dr. Höpler (Wien) begrüßt die Versammlung namens der österreichischen Landesgruppe der I. K. V. und ihres Obmannes, Prof. Dr. G l e i s p a c h , der im letzten Augenblick verhindert wurde, nach Hamburg zu kommen. Er betont die Innigkeit der Beziehungen zwischen der deutschen und österreichischen Landesgruppe der I. K. V. Sie beruht auf gemeinsamer Kultur, auf gemeinsamem Blut; sie ist noch dadurch vertieft worden, daß es der österreichischen Landesgruppe vergönnt gewesen, an einem Werk mitzuar-

14 beiten, das wenigstens auf einem kleinen Gebiete in absehbarer Zeit die Grenzpfähle zwischen hüben und drüben niederzureißen bestimmt ist, am gemeinsamen deutschen Strafgesetz. Mit größter Freude sind wir daher der Einladung nach Hamburg gefolgt, und ich glaube meiner Überzeugung dahin Ausdruck geben zu können, daß kleine Konkurrenzunternehmungen, die uns Prügel vor die Füße werfen wollen, das bleiben werden, was sie verdienen: Eintagsfliegen. Die deutsche Kultur und die deutsche Wissenschaft läßt sich nicht durch politischen Chauvinismus wie mit dem Radiergummi aus der Welt schaffen. Erst im Herbst vorigen Jahres hatten wir Wiener das besondere Vergnügen und die stolze Freude, in unseren Mauern einen internationalen Polizeikongreß begrüßen zu können, in dem auch außereuropäische Staaten vertreten waren, und ich kann Sie versichern, daß damals einstimmig der einzig gesunde Gedanke zum Durchbruch kam, daß über jede Grenzsperre, mag sie physisch, mag sie materiell, mag sie geistig sein, nur eine Gruppe von Menschen sich freut: die Verbrecher. Daher können wir ruhig an unserem Ziel weiter arbeiten, der Gedanke L i s z t ' s wird auch hier siegen. Es wird in absehbarer Zeit die Stunde kommen, in der jeder loyale Mitarbeiter an der Kultur in der I. K. V. willkommen sein wird, in der es eines Bewährungsnachweises, einer Sittenkommission nicht bedürfen und die ganze Welt dem einen Ziel zustreben wird, der Verbrechensbekämpfung; insbesondere der Bekämpfung jenes Verbrechers, der uns jetzt überall am meisten zu tun gibt, des internationalen Verbrechers. Möge Ihre Tagung uns diesem gemeinsamen Ziele näher bringen! Rechtsanwalt Dr. T r a p m a n (Leyden) dankt dem 1. Vorsitzenden für die Begrüßung der anwesenden ausländischen Kriminalisten. Nicht nur egoistische Gründe, nicht nur die Freude an den ausgezeichneten Reden und der Bekanntschaft mit so vielen hervorragenden Vertretern der heutigen Strafrechtswissenschaft veranlassen uns Niederländer, zu den Tagungen IhrerLandesgruppe zu hommen. Unsere niederländische Strafrechtswissenschaft hat wie die jedes andern Volkes große Ver-

15 pflichtungen gegenüber dem Lande der „Vergleichenden Darstellung". Diesen Verpflichtungen kommen wir am besten nach, wenn wir mithelfen an der Wiederherstellung der internationalen Zusammenarbeit, einer Aufgabe, die wohl schwer, aber doch nicht unerfüllbar ist. Erblicken Sie deshalb in unserem Herkommen den starken Willen zur Schaffung einer internationalen Sphäre, der, den Weg zu ebnen, wir als Vertreter des Vaterlandes eines van Hamel als starke Pflicht empfinden. Landgerichtspräsident Pettersson(Södertäljen, Schweden) dankt im Namen der schwedischen Landesgruppe der I. K. V. für die Einladung zu dieser Tagung. Die Fragen, die hier erörtert werden sollen, seien auch in Schweden hochaktuell. Deshalb knüpfe man dort große Erwartungen an die Ergebnisse dieser Tagung. Im Namen der schwedischen Landesgruppe spreche er die Hoffnung aus, daß die Tagung erfolgreich und für alle ein Zeichen neuen Lebens der alten Vereinigung sein werde. Oberregierungsrat v o n W r o c h e m (Hamburg) begrüßt die Versammlung im Namen des Chefs der Hamburgischen Hochschulbehörde, der die I. K. V. insofern als Vorbild dient, als auch die junge hamburgische Universität, in deren Räumen die Tagung stattfindet, ihre Fäden nicht nur über Deutschland sondern weit hinaus spannen soll. Geheimer Justizrat Prof. Dr. Liepmann (Hamburg) überbringt der Versammlung die Grüße des Rektors der Universität, und vor allem der Hamburger rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät. Wir freuen uns, daß Sie hierhergekommen sind und wir hoffen, daß Sie sich hier als Menschen wohl fühlen werden and wünschen, daß Ihre wissenschaftlichen Verhandlungen von jenem Geiste getragen sein mögen, den man als einen Geist Hamburgs bezeichnen kann, von dem Geist des Hamburger Kaufmanns, der mit unerschütterlicher Energie vorwärts strebt und vorwärts arbeitet, und für den Schwierigkeiten nur dazu da sind, um überwunden zu werden.

1. G r e g e n s t a n d der T a g e s o r d n u n g :

Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. Von Geh. Justizrat Prof. Dr. R. v. Hippel, Gröttingen. Hochansehnliche Versammlung! Wenn ich heute hier die Ehre habe über das Thema „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit" zu sprechen, so führt mich dabei nicht das Bedürfnis nach theoretischer Auseinandersetzung. Dafür wäre diese Stelle der I. K. Y. nicht der entscheidende Ort. Das Bedürfnis der Erörterung liegt darin, daß es sich um hervorragend wichtige praktische Fragen der Gesetzgebung handelt, bei denen wir es mit Menschenschicksalen zu tun haben. Ein Teil dieser Fragen ist nach meiner Meinung durchaus spruchreif, so, daß er sofortiger gesetzlicher Regelung in einer einfachen Form fähig ist. Darüber hinaus erhebt sich das Problem, ob für die Zukunft über das, was wir heute, wie ich glaube, als gesichert ansehen können, noch hinausgegangen werden kann oder ob sich das nicht empfiehlt; auch das ist eine gesetzgeberisch sehr wichtige Frage. Der T a t b e s t a n d , um den es sich handelt, ist folgender: der Täter hat seine Tat f ü r e r l a u b t g e h a l t e n , weil er über das Recht oder über dessen Anwendbarkeit irrte, also kurz gesagt i n f o l g e R e c h t s i r r t u m s . Überlegt man, welche Fälle darunter gehören, so scheinen es mir folgende zu sein: Die eine große Gruppe: der Täter kennt das Gesetz, aber entweder er denkt gar nicht an die Möglichkeit, daß es auf diesen Fall anwendbar sein könnte, oder er überlegt es sich zwar, kommt aber zu dem Ergebnis, es ist nicht anwendbar, oder er nimmt eine besondere Befugnis zum Handeln an, etwa aus Notwehr oder sonstigen Gründen. Die andere Gruppe von Fällen ist die: der Täter kennt das betreifende gesetzliche Verbot nicht, sein natürliches Empfinden wird ihm auch nicht zum Warner, weil

17 es sich um Dinge handelt, die ethisch nicht von Bedeutung sind, und so handelt er eben in der Annahme, das darf man tun. Das ganze Problem ist heute die schwierigste Streitfrage, die wir in den allgemeinen Lehren vom Verbrechen überhaupt besitzen. Grund: das Gesetz schweigt. In der Theorie lebhaftester Streit von einem bis zum andern Extrem mit einer ganzen Reihe von Zwischenmeinungen. Beim Reichsgericht eine Judikatur, die zwar sehr konstant, aber ebenso durchaus unbefriedigend ist. Innerer Grund der Schwierigkeiten ist, glaube ich, der: Auf der einen Seite scheint es vom Schuldstandpunkt zunächst sehr einfach, selbstverständlich und einleuchtend zu sagen: Wenn irgendwas zum Vorsatz gehört, dann natürlich das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. Auf der andern Seite erhebt sich die Frage: Kann die Staatssicherheit dabei bestehen, wenn man sich das praktisch durchgeführt denkt? Aus der Kollision dieser beiden Gesichtspunkte heraus erklärt sich die Schwierigkeit des Problems und seiner gesetzgeberischen Behandlung. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Sache, bei der man sagen könnte: Darüber mag sich die Theorie unterhalten, das ist praktisch nicht so wichtig. Es ist ganz eminent wichtig. Schon bei schweren, ethisch erheblichen Delikten kommen derartige Fälle gar nicht so ganz selten vor. Es gibt genug D e l i k t s t a t b e s t ä n d e , über die wir Juristen uns hoffnungslos herumzanken. Denken Sie nur an den Begriff der Urkunde bei der Urkundenfälschung, wo wir es Laien wahrhaftig nicht übelnehmen können, wenn sie sich irren. Auch, wenn es sich um B e f u g n i s s e handelt, wissen wir, wie bei Juristen in Grenzfällen Meinungsverschiedenheiten bestehen können. Denken Sie etwa an die „ Gegenwärtigkeit" beim Begriff der „Notwehr", denken Sie an den Maßstab der „erforderlichen Verteidigung", an Waffenrecht usw., an völkerrechtliche Fragen, wie die Kriegsverbrecherprozesse. Erst recht treten die Fälle massenhaft auf auf dem Gebiete der ethisch indifferenten Handlungen, vor allen Dingen jetzt im Kriegs-, Steuer- und

18 Wirtschaftsrecht. Lehrreich als Einblick in die Bedeutung der Frage ist auch ein Blick in die Statistik. Im Jahre 1903 zählte Herr Kollege Kohlrausch schon gegen 100 Urteile des Reichsgerichts über Rechtsirrtum, d. h. 2—8 °/o sämtlicher Reichsgerichtsurteile überhaupt. Ich habe flüchtig die Register durchgesehen von damals bis zum Bande 55, dabei fand ich ungefähr 110 weitere Urteile, zu denen dann noch etwa 35 hinzukommen würden auf Grund der Bundesratsverordnung vom Jahre 1917. Das wären also ungefähr 250 Reichsgerichtsurteile über Rechtsirrtum bis 1922. Dazu kämen die Reichsgerichtsurteile, die anderweitig veröffentlicht sind, sowie die nichtveröffentlichten. Und schließlich muß man sich klar machen: Dies ist allein die Rechtsprechung des R e i c h s g e r i c h t s , und kann sich gleichzeitig klar machen: Wenn hier eine gesunde Grundlage in der Judikatur des Reichsgerichts selbst vorhanden wäre, wäre ein solcher Rechtszustand überhaupt unmöglich, daß das Reichsgericht in 250 Fällen über dieselbe Frage entscheiden muß. Für die Bundesratsverordnung vom Jahre 1917, wonach es bei schuldlosem Rechtsirrtum, also nur einer Gruppe unserer Fälle, zur Einstellung des Verfahrens kommt, ist in der Juristen-Zeitung seinerzeit eine Statistik bis zum 1. Oktober 1917 publiziert, also ungefähr für 8 Monate. Danach sind in dieser Zeit auf Grund dieser Verordnung, also wegen schuldlosen Rechtsirrtums, eingestellt 1765 Fälle. Als m e i n e A u f g a b e betrachte ich es, gegenüber dieser Sachlage kurz zu kennzeichnen: wie sieht die h e u t i g e L a g e aus, dann: wie ist bisher der G a n g d e r R e f o r m gewesen, und schließlich: was h a t d a n a c h zu g e s c h e h e n ? D i e h e u t i g e L a g e . Ausgangspunkt: gesetzliche Entscheidung fehlt. Denn im § 59 des Strafgesetzbuches ist nur vom Irrtum über Tatbestandsmerkmale des einzelnen Delikts die Rede. Das ergibt die Entstehungsgeschichte des § 59 zweifelsfrei. Es ist allerdings bestritten worden von beiden Seiten her. Man hat gesagt: wenn irgend etwas ein Tatbestandsmerkmal des Delikts ist, dann ist es die Rechtswidrigkeit; also steht im § 59, daß zum Vorsatz das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehört. Und man hat auf

19 der andern Seite gesagt: wenn irgend etwas sicher ist, dann ist es das, daß der § 59 es mit Vorgängen der Außenwelt zu tun hat, argumento e contrario: dann gehört zum Vorsatz nicht das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. Die eine wie die andere Beweisführung ist nur charakteristisch dafür, daß man verzweifelt nach gesetzlichen Hilfsmitteln sucht, wo leider keine vorhanden sind. Das ist die Gesetzeslage. Anerkannt sind heute folgende Punkte: Es ist ganz gleichgültig, ob der Täter die S t r a f d r o h u n g kannte, wenn er nur wußte, daß seine Tat widerrechtlich, daß sie verboten war. Also eine Kenntnis der R e c h t s f o l g e n der Tat ist zweifellos gleichgültig. Es handelt sich um den Irrtum über den T a t b e s t a n d , nicht über die Rechtsfolgen. Fast ausnahmslos anerkannt in Theorie und Praxis ist weiter die Entscheidung der Fälle, in denen der Täter i r r t ü m l i c h e i n e a n d e r e S a c h l a g e a n n a h m , also z . B . bei der Notwehr einen rechtswidrigen Angriff annahm, während ein solcher in Wahrheit gar nicht vorlag. Bei solcher Putativnotwehr ist Vorsatz ausgeschlossen, es kann sich fragen, ob Fahrlässigkeit vorlag. Auch diese Gruppe von Fällen darf ich ausscheiden. Eine weitere Spezialgruppe sind die Fälle, in denen das Wort „ r e c h t s w i d r i g " ausdrücklich im D e l i k t s t a t b e s t a n d steht, z . B . bei der Freiheitsberaubung, Sachbeschädigug usw. Die herrschende Auffassung, auch des Reichsgerichts, geht dahin, daß in diesen Fällen zum Vorsatz das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehört. Es ist eine Spezialfrage, die ich ebenfalls ausscheide. Mir persönlich ist diese Entscheidung zweifelhaft. Ich glaube, daß innerhalb dieser Fälle differenziert werden muß, aber darauf gehe ich nicht ein. Was uns übrig bleibt, ist die E n t s c h e i d u n g d e r H a u p t f r a g e , wenn wir von den obigen Spezialgruppen absehen: W i e i s t g r u n d s ä t z l i c h zu v e r f a h r e n , w e n n d e r T ä t e r i n f o l g e I r r t u m s ü b e r das R e c h t o d e r seine A w e n d b a r k e i t s e i n e T a t f ü r e r l a u b t g e h a l t e n h a t ? Wir sahen: In der W i s s e n s c h a f t lebhaftester S t r e i t , beim R e i c h s g e r i c h t eine konstante Judikatur, die aber auf einer unglücklichen Grundlage be2*

20 raht, auf der bekannten Unterscheidung von s t r a f r e c h t l i c h e m und n i c h t - s t r a f r e c h t l i c h e m Rechtsirrtum, auf der Behauptung, nicht - strafrechtlicher Rechtirrtum, also außerstrafrechtlicher, entschuldigt, Strafrechtsirrtum ist gleichgültig, das Strafgesetz muß man kennen. Demgegenüber ist zunächst festzustellen: Im Auslande ist diese Unterscheidung des Reichsgerichts ebenso unbekannt wie in der deutschen Vergangenheit; unbekannt war sie auch in den ersten Jahren der Tätigkeit des Reichsgerichts selbst. Sie ist dann allmählich aufgetaucht. Eine ernsthafte wissenschaftliche Begründung hat sie bisher in keinem Urteil des Reichsgerichts erfahren. Kritisch muß man, glaube ich, sagen: Der Standpunkt des Reichsgerichts, das übrigens hier in der Wissenschaft so einsam und verlassen dasteht, wie in keiner andern wichtigen Frage, ist nicht geeignet, uns für die Gegenwart und Zukunft etwas zu nützen; denn er ist in der G r u n d l a g e u n r i c h t i g , i n d e r D u r c h f ü h r u n g v o l l k o m m e n u n s i c h e r und w i l l kürlich. Zunächst in der G r u n d l a g e u n r i c h t i g . Und das ist ja das Entscheidende. Das Reichsgericht hat sehr richtig das Streben nach einem mittleren Standpunkt, hat sehr richtig das Gefühl, daß es dabei auf das K e n n e n m ü s s e n des Gesetzes ankommt. Ein Fehlschluß ist es aber, wenn es weiter annimmt: Das Kennenmüssen ist beim Strafgesetz vorhanden und bei anderen Gesetzen nicht vorhanden. Ein Fehlschluß ist es aus folgendem Grund. Ob die Bestimmung systematisch in dem einen oder andern Gesetz steht, das kann unmöglich dafür entscheidend sein, ob wir dem Täter den Vorwurf machen können: „Das hättest du kennen müssen!" Ich darf nur daran erinnern, daß der Notstand z. B. heute sowohl im Strafgesetzbuch wie im Bürgerlichen Gesetzbuch steht, daß wir bei der Notwehr ja auch etwa schon in der Lage wären, streiten zu können, ob das ein strafrechtlicher oder außerstrafrechtlicher Irrtum ist, seitdem das Bürgerliche Gesetzbuch die Definition des Strafgesetzbuchs abgeschrieben hat. Also: Wo die Vorschrift steht, das kann unmöglich entscheidend sein. Und ebenso wenig

21 kann die R e c h t s f o l g e entscheidend sein, ob ein Tatbestand lex imperfecta ist, so daß an seine Übertretung gar keine Rechtsfolgen geknüpft sind, ob als Rechtsfolge nur Schadensersatz verwertet wird, ob die Strafe, ob andere Unrechtsfolgen verwertet werden. Das alles ist ganz gleichgültig für die Frage, wie verständlich oder nicht verständlich dieser T a t b e s t a n d ist. Denn darum handelt es sich eben bei dein K e n n e n m ü s s e n d i e s e s T a t b e s t a n d e s . Und damit komme ich zu dem g r u n d s ä t z l i c h e n t s c h e i d e n d e n Punkt. Erklärt man mit dem Reichsgericht, es kommt darauf an, ob der Täter das G-esetz kennen mußte oder nicht kennen mußte, dann kann die Folgerung nur lauten: D a s e n t s c h e i d e t s i c h n a c h d e r L a g e des E i n z e l f a l l e s , kann sich aber niemals danach entscheiden, ob eine Vorschrift systematisch dem einen oder andern Rechtsgebiet angehört. Es ist ohne weiteres möglich, daß man sich über das S t r a f g e s e t z in e n t s c h u l d b a r s t e r Weise im Irrtum befindet. Wie oft streiten wir Juristen uns über die Strafgesetze und ihren Inhalt. Und es ist ebenso ohne weiteres möglich, daß man sich über die eine oder andere Vorschrift des b ü r g e r l i c h e n oder s o n s t i g e n Rechts in f r i v o l s t e r Weise im Rechtsirrtum befindet. Die reichsgerichtliche Unterscheidung würde also schon wegen der unrichtigen Grundlage nicht tragfähig sein, auch wenn sie den Vorzug größter E i n f a c h h e i t u n d S i c h e r h e i t hätte. E s i s t a b e r das G r e g e n t e i l d e r F a l l . Die Gesamttendenz des Reichsgerichts, glaube ich, kann man wohl dahin kennzeichnen: S t r a f r e c h t s i r r t u m , der gleichgültig sein soll, wird dann angenommen, wenn man die Sache, vielleicht sehr mit Recht, für s t r a f w ü r d i g hält, auch wenn man bei kritischer Betrachtung sagen muß: das ist kein Strafrechtsirrtum , was hier vorliegt. Die Methode, die das Reichsgericht in letzteren Fällen anwendet, ist dann die, daß es sagt: Ja, das steht zwar nicht im Strafgesetz, sondern an einer andern Stelle, aber das Strafgesetz n i m m t d a r a u f B e z u g , und so liegt doch ein Irrtum über das Strafgesetz vor. Kritisch wäre dazu zu bemerken: Wenn man diesen Gedanken durchdenkt, dann gibt es überhaupt

22 nur Strafrechtsirrtum. Denn entweder das Strafrecht regelt selbst einen Rechtsbegriff oder es nimmt dabei auf andere Rechtsgebiete Bezug; eine andere Möglichkeit besteht nicht. Das Reichsgericht bejaht bald eine solche Bezugnahme und verneint sie bald, vielleicht aus sehr richtigem instinktivem Gefühl heraus. In Wahrheit aber ist das nicht mehr eine Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum. Ich darf e i n i g e B e i s p i e l e hierzu geben: Das Reichsgericht hat beim Jagddelikt, als jemand den Dachs für ein nicht jagdbares Tier hielt, gesagt: das ist Irrtum über Jagdrecht, also über Zivilrecht. Dagegen hat das Reichsgericht bei Irrtum über handelsrechtliche Begriffe, z. B. über die Eigenschaft als Kaufmann, Strafrechtsirrtum angenommen, während es sich um Irrtum über Handelsrecht, also Zivilrecht, handelt. In einem Fall hat jemand eine sogenannte große Fahrt auf See gemacht und dazu nur zwei Maschinisten mitgenommen, weil er es für eine sogenannte kleine Fahrt hielt, also Irrtum über eine Vorschrift des Seerechts. Das Reichsgericht nimmt Strafrechtsirrtum an. — Eine Frau hat der Erblasserin auf deren Wunsch für sie das Testament niedergeschrieben, was nicht zulässig ist; sie muß es selbst schreiben. Frage: Urkundenfälschung? Sie hat geglaubt, damit täte sie nichts Unrechtes, sondern erfülle nur den Willen der Erblasserin. Ein offenbarer Irrtum über Zivilrecht. Das Reichsgericht sieht es aber zugleich als Strafrechtsirrtum an, und hält es daher nicht für entschuldbar. Ein anderer Fall: Verkauf von markenfreiem Auslandszucker. Das Reichsgericht unterscheidet: Wenn der Täter nicht gewußt hat, woher der Zucker war: Tatirrtum, entschuldigt. Wenn er geglaubt hat, Auslandszucker falle überhaupt nicht unter die Strafbestimmungen, dann Strafrechtsirrtum. Wenn er aber geglaubt hat, es liege eine Ausnahmebestimmung für Auslandszucker vor, dann Zivilrechtsirrtum. Man muß sich schon Mühe geben, eine solche Entscheidung richtig zu reproduzieren. Man hat den Eindruck, als habe man es mit Geheimwissenschaft zu tun. Das gilt auch bei Fällen, wo das Reichsgericht B e z u g n a h m e auf a n d e r e G e s e t z e annimmt. Ein Beispiel: Bei

23 der großen Gruppe der Blankettgesetze nimmt das Reichsgericht an, daß kein Strafrechtsirrtum vorliege, sondern Inrtum über einen selbständigen Tatbestand, während man hier doch sagen muß: Wenn irgendwo das Strafgesetz auf ein anderes Bezug nimmt, dann bei den Blankettgesetzen. Und wenn man näher ansieht, was da herauskommt, z. B. auf dem Gebiete des Kriegszustandsrechts, so wird beim früheren Belagerungszustandsgesetz und bei den Vorschriften der militärischen Befehlshaber angenommen, das sei ein außerstrafrechtlicher Irrtum. Bei den Verordnungen des Reichspräsidenten auf Grund des Artikels 48 heißt es dagegen jetzt: das ist Strafrechtsirrtum, denn da macht der Reichspräsident selbst die Strafdrohung. Nun stellen Sie sich, bitte, vor, es geschieht das, was nach Artikel 48 geschehen soll: es wird das Reichsgesetz erlassen und hier wird die Blankettstrafdrohung gegeben. Dann würden in Zukunft dieselben Fälle außerstrafrechtlicher Irrtum sein, die jetzt für Strafrechtsirrtum erklärt werden, während sich vom Standpunkt der Schuldlehre aus nichts, kein Jota, an der Schuldlage geändert haben würde. Das sind die p r a k t i s c h e n E r g e b n i s s e , zu denen wir mit dieser Judikatur kommen. S i e l a s s e n s i c h k u r z d a h i n k e n n z e i c h n e n : Auch der beste Jurist kann heute nicht voraussagen, ob das Reichsgericht irgend einen Irrtum für einen strafrechtlichen oder außerstrafrechtlichen erklären wird. Ich habe den Verdacht, daß vielleicht manchmal die Mitglieder des Senates selbst das nicht voraussagen können, bis im Beratungszimmer vielleicht mit 4 gegen 3 Stimmen die entsprechende Abstimmung stattgefunden hat. Ich darf als klassische Zeugen f ü r diesen Zustand einige Mitglieder des Reichsgerichts nennen: Im Reichsgericht selbst sind als Gegner der Auffassung des Reichsgerichts früher nach außen hervorgetreten: Ohlshausen, Petersen, von Bülow, Galli, in neuerer Zeit Ebermayer, Conrad und Lobe. Galli hat einmal bei einem besonders unerfreulichen Fall geschrieben, die Rolle des Angeklagten sei folgende: „ Er muß die einschlagende Rechtsfrage so beantworten, wie ihre Beantwortung, wenn der Fall zur strafrichterlichen Kognition

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gelangt, in letzter Instanz für richtig befunden wird. Trifft er diese Entscheidung nicht, obwohl ihm die Tatsachen bekannt sind, so wird er wegen vorsätzlicher Verletzung auch dann bestraft, wenn er nach sorgfältiger Erwägung der Tatsachen und des Gesetzes, gestützt auf die ihm zur Seite stehenden Ansichten geschätzter Rechtsgelehrter, bewährter Anwälte, anderer Gerichte und vielleicht des Reichsgerichts selbst, falls dies in früheren Fällen anders erkannt hat, von der Rechtmäßigkeit seines Verfahrens überzeugt gewesen ist." Das ist die Kritik Galli's. Eine überaus lapidare Kritik in sehr viel kürzerer Form hat neuerdings Lobe gegeben als Kommentator in Ebermayers Kommentar. Sie steht an der Stelle des Kommentars, wo man von dem Senatspräsidenten des Reichsgerichts eine besonders gesicherte und gute Darstellung der Judikatur des Reichsgerichts zu finden meint. Da steht (2. Aufl. S. 32, b.): Es herrscht auf diesem Gebiet „größte Unsicherheit, sodaß hierüber eine gründliche Darstellung zu geben unmöglich ist". Und wie man im Auslande darüber denkt, dafür möchte ich unsern verehrten Kollegen Grafen Gleispach zitieren, der im Jahre 1921 in einer kritischen Besprechung (Der Deutsche Strafgesetzentwurf) schreibt: „Die Lehre vom strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Irrtum gehört heute in die wissenschaftliche Rumpelkammer." Wenn wir fragen, w i e h i e r z u h e l f e n i s t , dann lautet die Antwort: Es ist wohl kaum darauf zu rechnen, daß das Reichsgericht selbst mit einer Plenarentscheidung hilft; denn das hätte sonst schon lange geschehen können und sollen. Es ist daher g e s e t z l i c h e s E i n g r e i f e n erf o r d e r l i c h , und zwar, soweit das mit einer einfachen Bestimmung geschehen kann, h e u t e , nicht erst, wenn irgend wann einmal, was wir noch nicht ersehen können, eine Gesamtreform des Strafrechts kommt. Ich möchte zur Unterstützung dieser Ansicht weiter hinweisen auf die erhöhte Bedeutung des Laienrichtertums nach der Verordnung vom Januar 1924, auch in der Berufungsinstanz. Hier ist gesetzliche Führung durchaus notwendig. Geht man von der Lage des Einzelfalles aus, —• das

25 kann man nach meiner Meinung nicht anders, denn w e n n w i r v o n S c h u l d s p r e c h e n , h a n d e l t e s s i c h um d i e s e e l i s c h e n B e z i e h u n g e n des T ä t e r s zur einzelnen T a t — so kann die seelische Einstellung des Täters nur eine dreifache sein: E r kann entweder v o r s ä t z l i c h r e c h t s w i d r i g handeln, oder er kann f a h r l ä s s i g r e c h t s w i d r i g handeln, oder er kann s c h u l d l o s r e c h t s w i d r i g handeln, sodaß man sagen muß: Du hast eben Pech gehabt; man kann dir keinen Vorwurf mächen, daß du das nicht gewußt hast. Auf dieser Grundlage ist die Entscheidung zunächst einmal zu suchen; ob darüber hinaus zu gehen ist, darüber ein Wort am Schluß. V o r s ä t z l i c h r e c h t s w i d r i g e s H a n d e l n verdient die v o l l e S t r a f e des Gesetzes: Für f a h r l ä s s i g r e c h t s w i d r i g e s H a n d e l n brauchen wir eine d u r c h g r e i f e n d e S t r a f m i l d e r u n g im allgemeinen Teil, insbesondere Ausschluß von Strafen, die sich nur für vorsätzliche Rechtsbrecher eignen. S c h u l d l o s r e c h t s w i d r i g e s H a n d e l n muß s t r a f l o s bleiben, weil eben hier ein Schuldvorwurf nicht besteht. Diese Auffassung ist jetzt, zunächst von mir, vertreten worden seit ungefähr 15 Jahren, und der E n t w i c k l u n g s g a n g der Dinge ist dabei folgender gewesen: Der V o r e n t w u r f vom Jahre 1909 versuchte noch die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu kodifizieren. Also: strafrechtlicher und außer strafrechtlicher Irrtum. Das wäre viel schlimmer gewesen, als wenn der Vorentwurf ganz geschwiegen hätte. Denn eine unbrauchbare Rechtsprechung wäre so mit dem Zwang des Gesetzes ausgestattet worden. Der E n t w u r f d e r S t r a f r e c h t s k o m m i s s i o n (1911/13) ging in erster Lesung noch ebenso vor. In zweiter Lesung erfolgte der Umschwung auf der Grundlage der obigen Dreiteilung, wenn auch im einzelnen noch nicht in ganz klarer Durchführung. Ich möchte diese Einzelheiten hier nicht erörtern. Das Ergebnis in der K r i t i k war das: Dem Vorentwurf hatte sich die gesamte Kritik durchaus ablehnend gegenübergestellt. Die Grundlage des Kommissionsentwurfs fand Anerkennung in breiten Kreisen, namentlich auch seitens des „Deutschen Richtertages".

26 Dann kam die K r i e g s z e i t , die Not mit dem Kriegsverordnungsrecht, und jetzt zeigte sich, daß das eine Problem so dringlich wurde, daß man nicht länger warten konnte, das Problem: Was machen wir mit dem s c h u l d l o s e n R e c h t s i r r t u m auf dem breiten Gebiet des Kriegs verordrechts im Rahmen des Ermächtigungsgesetzes des Bundesrats ? Sie wissen, das Ergebnis war die Irrtumsverordnang, die B u n d e s r a t s v e r o r d n u n g vom 16. Januar 1917, mit dem grundsätzlichen Standpunkt, daß schuldloser Rechtsirrtum straffrei sei. Damit ist die eine Gruppe der Fälle hier in dem Sinne der vorher aufgestellten Dreiteilung erledigt. Ebenso jetzt in der R e i c h s a b g a b e n o r d n u n g vom Jahre 1919 § 358: „straffrei bleibt, wer im unverschuldeten Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit steuerrechtlicher Vorschriften die Tat für erlaubt gehalten hat." Kritisch ist dazu zu bemerken: Wenn man gerade auf diesem Gebiet sich jetzt genötigt gesehen hat, den schuldlosen Rechtsirrtum für straffrei zu erklären, so ist das ein ganz außerordentlicher Erfolg des prinzipiellen Standpunktes, um den es sich hier handelt; denn früher wurden einem gerade diese Fälle entgegengehalten mit der Behauptung, daß solche Straflosigkeit auf dem Gebiet des Steuer- und Wirtschaftsrechts unerträglich sei. Jetzt erwies sich vielmehr die Bestrafung als unerträglich. In gleicher Richtung ist der E n t w u r f v o n 1 9 1 9 einen Schritt weiter gegangen mit seiner grundsätzlichen Regelung. Hier haben wir die Dreiteilung jetzt klar: Das vorsätzlich rechtswidrige Handeln mit voller Strafe, das fahrlässig rechtswidrige Handeln mit weitgehender Strafmilderung und das schuldlos rechtswidrige Handeln mit Straffreiheit. Kritik an einzelnen Worten der Fassung möchte ich hier nicht üben. Entscheidend ist die richtige Grundlage. So auch nach dem Entwurf in einem wichtigen Speziellfall, nämlich beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, wo die Vorsatzfrage besondere Schwierigkeiten bereitet. Faßt man diesen gesamten Entwicklungsgang heute ins Auge, d a n n h a l t e i c h d a s P r o b l e m i n s o w e i t f ü r s p r u c h r e i f . Die Annahme einer solchen Dreiteilung mit

27 dem eben gekennzeichneten Prinzip bedeutet grundsätzlich einen fundamentalen Fortschritt gegenüber dem Zustand, den wir heute haben; sie bedeutet grundsätzlich ein Ergebnis, das vom Standpunkt der Schuldlehre aus berechtigt ist. Und wenn wir uns weiter fragen: Ist das schwer einzuführen in unser geltendes Recht? So lautet die Antwort: nein, wahrlich nicht, es ist nichts weiter nötig als ein kurzer § 59a unseres Strafgesetzbuchs. Die paar Zeilen hätten inhaltlich zu lauten: „ H i e l t d e r T ä t e r d i e T a t f ü r e r l a u b t , w e i l er ü b e r R e c h t s s ä t z e o d e r d e r e n A n w e n d b a r k e i t f a h r l ä s s i g i r r t e , so i s t d i e S t r a f e g e m ä ß S t r . Gr.B. § 57 Nr. 1—5 (bzw. § 9 des Jugendgerichtsgesetzes) z u m i l d e r n . I r r t e d e r T ä t e r s c h u l d l o s , so i s t er s t r a f f r e i . " — Das läßt sich heute jeden Tag machen. Und wenn wir uns klar machen, daß wir damit zugleich die abscheulichste Streitfrage, die wir im allgemeinen Teil des Strafrechts besitzen, los würden, dann sollte man wirklich sagen, daß dieser Entschluß je eher je lieber gefaßt werden dürfte. Wir haben in letzter Zeit mit der Gesetzgebung zugegriffen in Fällen, in denen es wahrhaftig sehr viel zweifelhafter war, ob man so weit gehen sollte. Wir würden zugleich mit obiger Vorschrift einen Zustand erreichen, der im Vergleich zu der bisherigen Entwicklung im In- und Auslande kulturell hoch stände. Wohl hat man auch im Ausland da und dort damit gearbeitet, daß zum Vorsatz das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehört, dies aber tatsächlich nie durchgeführt. Der Standpunkt der Dreiteilung, wie ich ihn vorhin gekennzeichnet habe, würde bereits einen Kulturfortschritt bedeuten, wie er bisher in der Gesetzgebung nicht erreicht worden ist. Für die spätere Gesamtreform kann man ruhig das w e i t e r e P r o b l e m zurückstellen: K a n n h i e r ü b e r n o c h h i n a u s g e g a n g e n w e r d e n , über das, was ich eben vorgeschlagen habe? Das könnte nur sein in dem Sinne, wie Binding es z. B. fordert: Zum Vorsatz gehört eben das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ein für allemal. Sehr akut geworden ist diese Frage dadurch, daß der österreichische Gegenentwurf vom Jahre 1922 im § 14 sich auf diesen

28 Standpunkt gestellt hat. Der Täter muß sich danach bewußt sein, Unrecht zu tun, wenigstens mit dolus eventualis. Das ist die Zukunftsfrage. Kann man dazu r a t e n , so weit zu gehen ? Die praktische Differenz, wenn wir uns die zunächst einmal ganz scharf klar machen, liegt in der M i t t e l g r u p p e des f a h r l ä s s i g rechtswidrigen Handelns. Daß die erste Gruppe, bewußt rechtswidriges Handeln, die volle Strafe verdient, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten, das ist selbstverständlich. Die dritte Gruppe, schuldlos rechtswidriges Handeln, gehört natürlich zur Straflosigkeit, auch von diesem Standpunkt aus. Die große Differenz liegt in der M i t t e l g r u p p e : f a h r l ä s s i g rechtswidriges Handeln. Da würde der Standpunkt, wie ich ihn vorher entwickelt habe und wie er in unseren Entwürfen jetzt kodifiziert ist, dazu führen: Das ist grundsätzlich s t r a f b a r , aber sehr viel milder; also durchgreifende Strafmilderung im allgemeinen Teil. Der Standpunkt Bindings und des österreichischen Gegenentwurfes würde dagegen dahin führen: Das ist grundsätzlich s t r a f l o s , es kann nur dann bestraft werden, wenn das Delikt als fahrlässiges sowieso s t r a f b a r ist, und wird dann unter einem ganz andern Gesichtspunkt bestraft. Denn wenn Sie sich z. B. etwa den Tatbestand fahrlässiger Brandstiftung denken, so hat den gewiß kein Gesetzgeber aufgestellt, um einen Täter zu treffen, der vorsätzlich Brand stiftete und sich dabei über die Rechtswidrigkeit irrte. Solche Bestrafung würde also nur ein Aushilfsmittel bei Fahrlässigkeitsdelikten sein, im übrigen aber versagen. Wenn ich hier mit aller Vorsicht m e i n e K r i t i k u n d m e i n e n S t a n d p u n k t entwickeln darf gegenüber dieser Zukunftsfrage, so würde ich sagen: Ich für meine Person könnte mich nicht entschließen, so weit zu gehen, und zwar aus folgenden Gründen: Ernsthaft diskutabel ist es nach meiner Meinung nur unter einer Voraussetzung, die sich aber ohne weiteres erfüllen läßt und die auch der österreichische Gegenentwurf erfüllt hat, nämlich daß der dolus eventualis gesetzlich sichergestellt wird. Denn wenn ich

29 mir etwa vorstellen würde, dass man zum Vorsatz das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit fordert und dann mit dem dolus directus allein auskommen soll, so würde das zu Unmöglichkeiten führen. Das wäre also das äußerste Minimum, daß jedenfalls der dolus eventualis nicht in das Belieben der Kritik gestellt, sondern gesetzlich sichergestellt würde. Aber auch wenn ich mir vorstelle, daß diese Voraussetzung erfüllt ist, würde ich befürchten, daß Ungleichmäßigkeit in der Anwendung der Gerichtspraxis entstände. Einmal könnte ich mir denken, aber das wäre die geringere Befürchtung: unmotivierte Freisprechung durch Laienrichter, die mit dem dolus eventualis vielleicht auch dann nichts anzufangen wissen, wenn er im Gesetz steht. Die viel größere Befürchtung würde die sein, daß man in den Fällen, wo der Irrtum grob fahrlässig war, eben instinktiv im Hintergrund als Praktiker das Gefühl hätte: den Täter kann ich doch nicht laufen lassen! Und wenn es dann heißt, zum Vorsatz gehört aber das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, daß dann gearbeitet werden könnte mit gekünstelten tatsächlichen Feststellungen und mit Ausdehnung des dolus eventualis. Das würde eine ganz hohe Gefahr sein. Es wäre einmal eine unrichtige Erledigung dieser Fälle, und darüber hinaus eine sehr bedenkliche Erscheinung, wenn wir sagen müßten: Da ist etwas kodifiziert; ich kann damit nicht durchkommen; ich muß sehen, wie ich dann mit dem dolus eventualis durchkommen kann. Das ist die große p r a k t i s c h e Besorgnis, die ich hege. Dazukommt eine ganz g r u n d s ä t z l i c h e Frage gegenüber der Bindingschen Auffassung, und diese grundsätzliche Frage würde für mich lauten: Ist denn der Standpunkt, der scheinbar so sehr viel für sich hat: zum Vorsatz gehört das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, staatspolitisch und ethisch überhaupt ein r i c h t i g e r Standpunkt, selbst wenn man ihn praktisch durchführen könnte ? Ich für meine Person muß sagen: das ist mir so zweifelhaft, daß ich geneigt bin, auf diese Frage nein zu sagen. Denn wenn ich mir überlege, was liegt diesem Standpunkt zugrunde, dann lautet die Antwort: Der Täter braucht sich hiernach um

30 die staatliche Gesetzgebung ü b e r h a u p t n i c h t zu k ü m m e r n , er wird einfach behandelt entsprechend dem Maß des zufälligen Wissens, das er besitzt. Und wenn er sich um die staatliche Gesetzgebung nicht gekümmert hat, wird er eben freigesprochen. Ich halte dem gegenüber für den richtigen Standpunkt: Der Täter hat sich allerdings um die staatliche Gesetzgebung zu kümmern, und wer das nicht tat und wem wir den Vorwurf der Fahrlässigkeit demgemäß machen können, der v e r d i e n t Strafe, aber eine angemessen gemilderte Strafe, wie man sie einem anständigen Menschen bei Fahrlässigkeit gibt. Ich glaube also, daß die Grundlage jener Auffassung bedenklich ist, und deshalb kann ich mich zu einem Hinübergehen bis zu diesem Standpunkt nicht verstehen. Das, meine Damen und Herren, war es, was ich beabsichtigt hatte, Ihnen heute zum Vortrag zu bringen. Fasse ich meinen Standpunkt noch einmal scharf zusammen, so würde er lauten: Wir brauchen je eher je lieber, möglichst bald und vor der Gesamtreform des Strafrechts eine Bestimmung, die den heutigen trostlosen Zustand auf diesem Gebiete beseitigt. Die Bestimmung ist möglich und sie ist einfach zu schaffen mit der vorher erwähnten Dreiteilung, einzustellen als § 59 a des Strafgesetzbuches. Ob wir für die Zukunft bei der Gesamtreform darüber hinausgehen im Sinne des österreichischen Gegenentwurfes, das ist eine Frage, von der ich bei vorsichtigster Beurteilung sagen würde: sie ist heute jedenfalls nicht spruchreif für die Gesetzgebung. Es ist nicht möglich, das etwa heute als § 59 a einzustellen. Soweit sind wir heute bestimmt nicht, sondern es ist eine Angelegenheit, die weiterer Überlegung und kritischer Erwägung bedarf. Mich persönlich hat bisher, wie ich die Ehre hatte Ihnen auszuführen, diese Überlegung und Erwägung dazu geführt: ich glaube nicht, daß man so weit gehen sollte. Einmal wegen der praktischen Gefahren, die darin liegen; sodann aber auch wegen der prinzipiellen, nach meiner Meinung unrichtigen Grundlage. Man kann dagegen auch nicht etwa einwenden: dann ist ja die ganze Sache ohne Wert, denn das wird immer angenommen werden, daß mindestens f a h r -

31 l ä s s i g e r Rechtsirrtum vorliegt. Das ist für Juristen zweifellos nicht richtig. Das beweist schon die Statistik, die ich Ihnen eingangs vorführte. Der Laienrichter aber wird sich wahrhaftig nicht darum reißen, andere Laien zu verurteilen in Fällen, von denen er sich sagt: das hätte mir auch widerfahren können. In dieser Richtung besteht also keine Befürchtung. Ich würde mich freuen, wenn es mir gelungen wäre, meine Aufgabe soweit zu erfüllen, daß ich Ihnen ein Bild des heutigen Zustandes gegeben und dazu beigetragen hätte, die geeignete Bahn des Fortschritts zu zeigen.

Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer dankt Herrn Geheimrat v. H i p p e l für den lehrreichen Vortrag und gibt bekannt, daß der Vorstand beschlossen habe, eine Diskussion über diesen Vortrag nicht zu eröffnen (vergl. jedoch unten S. 106 ff.).

1. V e r h a n d l u n g s g e g e n s t a n d :

Die „Grundsätze über den Vollzug der Freiheitsstrafen" vom 7. Juni 1923. 1. Berichterstatter: Professor Dr. M. Liepmann, Hambarg. Das Strafgesetzbuch hat mit ein paar großen, groben Strichen die von ihm unterschiedenen vier Freiheitsstrafen charakterisiert. Aber, wie der alte O b e r m a i e r sagt, die Gesetzgeber haben diesen Gegenstand nie anders als metaphysisch behandelt. »Metaphysisch" d. h. ohne die "Wirklichkeit der Strafen zu kennen, ohne sich Gedanken zu machen über die empirischen Wirkungen, die diese Strafen hervorrufen. So boten die wenigen Bestimmungen keine Handhaben zur faktischen Einrichtung und Ausgestaltung dieser Strafarten. Die wirklichen Grundsätze der Vollstreckung der Freiheitsstrafen standen nicht im Strafgesetzbuch, sondern in den Gefängnis- und Dienstordnungen der Einzelstaaten. Diese im Verordnungsweg erlassenen Regelungen, über 60 an Zahl in Deutschland, boten ein buntes und kümmerliches Bild deutscher Zersplitterung. Die Unterschiede des Strafgesetzbuchs zwischen Zuchthaus oder Gefängnis waren von geringerer Bedeutung als die Tatsache, ob die Strafe in einer großen oder kleinen Anstalt, unter dem Ministerium der Justiz oder dem Ministerium des Innern, ob sie in Preußen oder in Württemberg zu verbüßen war. Und da diese Dienstanweisungen trotz ihrer Neigung zu spezialisierter Regelung immer noch Lücken aufwiesen, so wurde der Rest ausgefüllt von dem — mehr oder weniger — aufgeklärten Ermessen der Strafanstaltsbeamten, den oberen, mittleren oder unteren. Und nicht selten bestand zwischen dem, was der eine wollte und erstrebte und dem, was die anderen taten, in derselben Strafanstalt ein viel größerer Gegensatz als zwischen den Unterscheidungen des Strafgesetzbuchs. Ein und dieselbe gesetzliche Strafart konnte daher in

33 ihrer konkreten Ausführung einen ganz und gar verschiedenen Inhalt annehmen. Und nicht bloß querulatorisch veranlagte G-efangene, sondern ruhige und unbeteiligte Sachkenner mußten erkennen, daß unser Strafvollzug im Gegensatz zu dem Strafverfahren alle Züge der vorrechtsstaatlichen Zeit aufwies. War der Beschuldigte in allen Stadien des Strafprozesses ein Rechtssubjekt mit einer genau abgegrenzten Sphäre von Befugnissen — im Strafvollzug fehlte diese rechtliche Sicherung gegen Irrtümer und Mißbräuche der Staatsorgane, der Gefangene war hier im Wesentlichen Objekt der staatlichen Verwaltung. „Objekt" — obwohl doch seit F r e u d e n t h a l kein Zweifel mehr möglich, jedenfalls nicht mehr berechtigt ist, daß der Strafvollzug vom ersten bis zum letzten Tage der Strafverbiißung ein Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und Gefangenen sein soll. — Diesem Zustand partikularistischer und rechtlichen Schutzes entbehrender Mannigfaltigkeit konnte ein Strafvollzugsgesetz ein Ende machen. Dazu ist es bisher nicht gekommen. 1879 hat das Reich den einzigen Anlauf dazu genommen, — aber der Entwurf — übrigens ein dürftiges und im ganzen rein technisch-verwaltungsmäßig orientiertes Machwerk — ist schon im Bundesrat stecken geblieben. 1897 sind dann die Grundsätze des Bundesrats erschienen, eine Vereinbarung der Regierungen, um „einstweilen eine Gleichartigkeit des Strafvollzugs nach festen Regeln anzubahnen". 39 Paragraphen, in denen bei nicht weniger als 14 Hauptpunkten die Normen durch „soweit tunlich" „der Regel nach" und „soweit möglich" eingeschränkt wurden. Schon das zeigt, daß hier wirkliche Direktiven über die wesentlichen Punkte fehlen. Nimmt man noch hinzu, daß in vorsichtiger Verklausulierung ausdrücklich die mittelalterlichen Disziplinarmittel der körperlichen Züchtigung und Lattenstrafe, soweit sie noch galten, für Zuchthäuser konserviert werden, und auch sonst die alte trübe Weise von Abschreckung und Sühne aus diesen Paragraphen erklingt, so sieht man deutlich, daß diese Grundsätze im Wesentlichen nur Gleichartigkeit in der Verwaltung erstreben. Von irgend einem Gedanken, von irgend einem neuen Streben nach Vertiefung 3

34 des Strafvollzugs ist bei ihnen nicht die Rede. Trotzdem haben sie bis 1923 gegolten und auch zu einer äußeren Vereinheitlichung des Strafvollzugs erhebliche Dienste geleistet. Im Innern hat der Strafvollzug in den einzelnen Ländern und in einzelnen Anstalten trotz der Bundesratsgrundsätze eigene Wege gesucht und in aufopfernder, selten anerkannter Arbeit Verbesserungen erstrebt, von denen hier nicht die Rede sein kann. Von besonderen organisatorischen und sachlichen Neuerungen aber verdienen wenigstens einzelne genannt zu werden. Einmal die Grundsätze für das erste deutsche Jugendgefängnis in Wittlich an d. Mosel: Das P r o g r e s s i v s y s t e m und die Schöpfung eines F ü r s o r g e r s , eines Beamten, der in der Strafanstalt lebt und von hier aus die Fäden zur zweckmäßigen Verbindung der Gefangenen mit der Außenwelt knüpft und die Unterbringung in Arbeit und Stellung nach der Entlassung vorbereitet. Als zweites sind zu nennen die wertvollen „Reformen des Strafvollzugs", die in Preußen unter dem Justizminister Dr. Rosenfeld im Dezember 1918 geschaffen sind: ich erwähne die Abschaffung des Schweigegebots in der Gemeinschaftshaft, die Beseitigung von körperlicher Züchtigung und Fesselung, die Erlaubnis von Zeitungen für die Gefangenen, die Zulassung von Tabak, schließlich die Schaffung der Anstaltsbeiräte. Als drittes darf ich von Hamburg nennen: die Abschaffung des K a h l s c h e e r e n s der Zuchthausgefangenen und die Beseitigung des D u n k e l a r r e s t s in allen Hamburger Gefängnissen. Als viertes sind alle die Neuerungen zu nennen, die sich, ohne nach außen hervorzutreten, entwickelt haben, von denen mir natürlich nur einzelne bekannt geworden sind. Außer den Hamburger Einrichtungen rationeller und vielseitiger Arbeitsbetriebe sind hier namentlich die Bestrebungen in Thüringen hervorzuheben, die sich auf verschiedenen Gebieten im Sinne eines energisch und zielbewußt auf den Erziehungsgedanken eingestellten Strafvollzugs verwirklicht haben. Als besonders bedeutsam nenne ich hier die Schaffung einer U b e r g a n g s s t e l l e im progressiven Strafvollzug.

35 Schließlich als Vorgänger der Reichsgrundsätze die von dem Verein deutscher Strafanstaltsbeamten aasgearbeiteten „Vorschläge zu einem Reichsgesetze über den Vollzug der Freiheitsstrafen und sichernder Maßnahmen", die im Mai 1914 auf der Jubiläumstagung des Vereins in Hamburg verabschiedet sind, — das Ergebnis langjähriger Arbeiten des Vereins. — Die neuen „Grundsätze" haben also Anregungen, Einrichtungen, Vorschläge von früher übernommen. Und doch, als sie erschienen, hatte man den Eindruck: hier ist ein Werk geschaffen, das weit über seine Vorgänger hinausragt, das wirklich den Strafvollzug auf eine neue und innerliche Grundlage stellt. Hier ist große und intensive Arbeit geleistet auf dem Wege zur V e r e i n h e i t l i c h u n g d e s Gef ä n g n i s w e s e n s in D e u t s c h l a n d , zugleich aber mit sicherer Hand ein Gebäude errichtet, das den Strafvollzug in den Dienst des E r z i e h u n g s g e d a n k e n s stellt. Nicht die Ordnung und Regelung der Verwaltung, nicht die äußeren Einrichtungen, nicht bloße Unterordnung unter die Staatsautorität und am wenigsten bloße Vergeltung der Missetat — sondern der G e f a n g e n e s e l b s t , s e i n S c h i c k s a l u n d s e i n e S e e l e , seine Aufrichtung und Wiedereinordnung in die Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt dieser Regelung. Der Vollzug der Freiheitsstrafen soll die Gefangenen an Ordnung und Arbeit gewöhnen und sie sittlich so festigen, daß sie nicht wieder rückfällig werden. Bei ihrer Behandlung, die ernst, gerecht, vor allem aber menschlich sein soll, ist ihr E h r g e f ü h l zu schonen und zu stärken (§ 48/49). Darauf ist Rücksicht zu nehmen bei der Aufnahme und der Durchsuchung (31), bei Transporten und Terminen, bei denen dem Gefangenen eigene Kleidung erlaubt werden kann — das Gleiche kann geschehen bei Besuchen, die der Gefangene erhält. Bei den Besuchen findet zwar regelmäßig (115) Überwachung durch einen Beamten, wie bisher, statt — aber auch hierin sind Ausnahmen gestattet und die Überwachung ist in jedem Fall schonend auszuüben und bei der Einrichtung der Besuchsräume sind Vorkehrungen zu vermeiden, welche geeignet sind, das Empfinden des Gefan-

36 genen oder des Besuchers zu verletzen (114, 117). Alles, was geeignet ist, den Gefangenen ä u ß e r l i c h u n d abs i c h t l i c h zu degradieren, ist aus diesen Grundsätzen verschwunden — das Kahlscheeren im Zuchthaus ebenso wie die Prügel. Und es ist ebenso erfreulich in kriminalpolitischer Hinsicht, wie charakteristisch für den Geist der Grundsätze, daß n i r g e n d s die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte — der letzte veraltete Schößling aus der Klasse der verstümmelnden Strafen — in d e m S t r a f v o l l z u g berücksichtigt wird, während noch die „Vorschläge" der Strafanstaltsbeamten eine Trennung der Gefangenen ohne bürgerliche Ehrenrechte von den übrigen Gefangenen vorschrieben (§ 3, 33 1 , Bl. f. Gfkde, 47, Sonderheft A). Die Besuche der Beamten, die möglichst oft stattfinden sollen, sind dazu bestimmt, das V e r t r a u e n der Gefangenen zu gewinnen und ihnen Gelegenheit zu offener Aussprache zu geben (54). Besondere Vorsorge ist für die „geistige und seelische Hebung der Gefangenen" getroffen. Der Unterricht — obligatorisch für alle Gefangenen unter 30 Jahren bei Strafen von mehr als 3 Monaten — ist nicht bloß beschränkt auf Übermittlung von Elementarkenntnissen, er soll „die geistigen Fähigkeiten, die allgemeinen Kenntnisse erweitern und fördern, den Willen zu geordneter Lebensführung wecken und stärken; in ihm sind auch die Grundlagen der Staatsbürgerkunde sowie die wichtigsten Tagesereignisse zu besprechen". Die Unterrichtszeit „kann" auf die tägliche Arbeitszeit angerechnet werden — eine sehr wichtige Bestimmung, die für Jugendgefängnisse o b l i g a t o r i s c h gelten sollte! Eigene Zeitungen können dem Gefangenen gestattet werden, Freistunden zu geistiger Beschäftigung sowie jede geeignete Beschäftigung in arbeitsfreier Zeit kann ihnen gewährt werden (106, 109, 111). Für die A r b e i t gilt als Grundsatz, daß sie nach Möglichkeit „dauernd für den Gefangenen n ü t z l i c h e Arbeit sein soll", daß bei ihr „Gewöhnung in steigendem Maße an Selbständigkeit und Verantwortung" zu erstreben ist; für alle Anstalten, auch für das Zuchthaus, ist auf Kenntnisse und Fähigkeiten, Beruf und Bildungsgrad Rücksicht zu nehmen. Gefangene, die

37 keinen Beruf erlernt haben, sollen bei längeren Strafen in einem ihren Fähigkeiten entsprechenden Beruf ausgebildet werden, solche, die einen Beruf ganz oder zum Teil erlernt haben, sind, soweit möglich, in diesem oder einem verwandten Beruf zu beschäftigen und weiterzubilden (63, 68, 69). Dementsprechend sind die Arbeitsbetriebe „den Einrichtungen freier Betriebe möglichst anzupassen. Veraltete Einrichtungen sollen durch neuzeitliche ersetzt werden" (75). Der Kern eines Strafvollzugs, der den Gefangenen wieder in die Gesellschaft einordnen will, ist schließlich der p r o g r e s s i v e S t r a f v o l l z u g . „Er soll die sittliche Hebung dadurch fördern, daß dem Gefangenen Ziele gesetzt werden, die es ihm lohnend erscheinen lassen, seinen Willen anzuspannen und zu beherrschen" — „er soll auf der Grundlage aufgebaut sein, daß der Strafvollzug je nach dem Fortschreiten der inneren Wandlung des Gefangenen seiner Strenge entkleidet und durch Vergünstigungen, die nach Art und Grad allmählich gesteigert werden, gemildert und schließlich so weit erleichtert wird, daß er den Ubergang in die Freiheit vorbereitet" (130). — Hier ist Halt zu machen und anstelle der bloßen anerkennenden Berichterstattung die P r o b l e m a t i k d e r F r a g e n zu prüfen. Der progressive Strafvollzug ist die aus dem Erziehungsgedanken herausgewachsene Reaktion gegen eine Gefängniszucht, die H o l t z e n d o r f f „windstill" nannte 1 ). Langdauernde Einzelhaft mit völliger Isolierung der Gefangenen von einander, auch in Kirche und Schule, sowie beim Spaziergang, Gemeinschaftshaft mit strikt geforderter geistiger Isolierung der Gefangenen durch Schweigegebot, eine Hausordnung, die vom Aufstehen bis zum Zubettgehen dem Gefangenen Arbeit, Erholung, Bewegung, geistige Beschäftigung bis ins Kleinste vorschreibt, nichts verlangt als bedingungs- und seelenlose Unterordnung unter das Anstaltsregime und gegen jede Verletzung der Hausordnung mit einem starren System von Disziplinarstrafen sich wehrt. 1) v. H o l t z e n d o r f f , Kritische Untersuchungen über die Grundsätze und Ergebnisse des irischen Strafvollzuges. 1865, S. 108.

38 Eine Menschenbehandlung, die so fortgesetzt mit Druck arbeitete, den Gefangenen systematisch in seiner Selbständigkeit und Willenskraft aushöhlte, konnte keine wertvollen Resultate erzielen. „Hier werden Rückfälle gezüchtet", — so muß man mit einem kurzen, freilich unfreundlichen, aber dafür leider zutreffenden Wort die überwiegenden Wirkungen einer solchen Gefängniszucht charakterisieren. Gegen diese unpädagogische Gefangenenbehandlung kämpft das System des progressiven Strafvollzugs. Viele stellen ihn sich vor lediglich so, daß hier eine allmähliche Progression in der Strafe bis zur Entlassung stattfindet: im Anfang strengste Einzelhaft, dann Gemeinschaftshaft mit stufenweise gesteigerten Vergünstigungen und einer schrittweise gelockerten Schärfe des Strafzwanges, die den Übergang in die Freiheit allmählich vorbereiten soll. So heißt es in der Preuß. Dienst- und Vollzugsordnung, die auf Grund der neuen „Grundsätze" ergangen ist: „Bei dem Vollzug von Zuchthausstrafen, sobald deren Dauer neun Monate überschritten hat, und von Gefängnisstrafen nach Ablauf von drei Monaten kann bei Fleiß und guter Führung eine allmähliche M i l d e r u n g d e s r e g e l m ä ß i g e n S t r a f z w a n g e s eintreten. Es dürfen insbesondere folgende Vergünstigungen gewährt werden": und nun folgen neun mit „insbesondere" angeführte Vergünstigungen, vom Halten einer Tageszeitung bis zur „Selbstbeschäftigung" (§ 53). Sehr charakteristisch wird diese Bestimmung als „ M i l d e r u n g d e s S t r a f v o l l z u g e s " bezeichnet. In Abs. 3 heißt es dann: die Gewährung von Vergünstigungen darf nicht zu einer ziellosen Erleichterung des regelmäßigen Strafzwanges führen, muß vielmehr in Anpassung an die Persönlichkeit des Gefangenen planmäßig darauf abgestellt werden, den Gefangenen zu einem geordneten gesetzmäßigen Leben nach der Entlassung zu erziehen (533, 52a S. 2.). Es ist zuzugeben, daß diese Regelung dem Bild entspricht, das man sich überwiegend in Deutschland von dem progressiven Strafvollzug bisher gemacht, sie entspricht auch den Formen, die er z. B. in England in der Praxis angenommen hat. Und doch besteht hier die Gefahr einer

39 wesentlichen Veräußerlichung des Gedankens, einer Entseelung, die im Vorraum der Kernfrage stecken bleibt, zu schweren Enttäuschungen in der praktischen Ausgestaltung führen muß und vielleicht nichts weiter bewirken wird als eine bequem zu handhabende Routine. Vor allem hat man sich davor zu hüten, den progressiven Strafvollzug unter der Marke „Milderung des Strafvollzugs" oder mit der Württembergischen Dienst- und Vollzugsordnung als „Erleichterung des regelmäßigen Strafzwanges" (§ 38) zu bezeichnen. Damit wird sein Wesen ganz unzulänglich wiedergegeben. Nicht darum handelt es sich, daß dem Gefangenen sein Los in der Zelle oder Gemeinschaftshaft allmählich erleichtert wird, wenn er sich gut führt, und daß im Anfang der Strafverbüßung und beim Fehlen einer guten Strafführung der alte Druck und Abschreckungsgesichtspunkt nach wie vor den Strafvollzug beherrschen soll. So fassen zwei hervorragende Gefängnispraktiker das Progressivsystem auf. E l l g e r , der erste Direktor von Wittlich, sagt: Das erste Stadium des Strafvollzugs soll den Rechtsbrecher unter den Z w a n g des Strafvollzugs beugen, er muß lernen, „ k e i n e n e i g e n e n Willen mehr zu haben und immer nur zu gehorchen". Ebenso verlangt D e g e n von der untersten Stufe des Progressivsystems: sie sollte „dem Vergeltungszweck und der abschreckenden Wirkung der Strafe zu ihrem Recht verhelfen". Der p r o g r e s s i v e S t r a f v o l l z u g d a r f aber keine a l t e und nur a l l m ä h l i c h e r l e i c h t e r t e A r t der V e r b ü ß u n g s e i n , e r s o l l den G e f a n g e n e n v o m e r s t e n T a g e an vor neue A u f g a b e n und Ziele s t e l l e n , er f o r d e r t von a l l e n B e a m t e n , n i c h t bloß dem D i r e k t o r , eine g a n z neue und w e s e n t l i c h verä n d e r t e A u f f a s s u n g i h r e r S t e l l u n g z u d e n Gefangenen. Das Ziel, das erstrebt wird, ist die Erziehung des Gefangenen, seine Umwandlung aus einer asozialen, bisweilen direkt antisozialen Natur zu einem Menschen, der sich von innen heraus mit seinen Instinkten und Handlungen unter die soziale Gemeinschaft stellt. Dieses Ziel kann niemals

40 erreicht werden durch die Anwendung der alten Druckund Zwangsmittel, die nur bei guter Führung erleichtert werden. Nur aus einer falschen pädagogischen Einstellung, aus einer Nachwirkung der überkommenen Methode der Gefangenenbehandlung ist der Gedanke zu verstehen: Zuerst muß der Gefangene unter stärksten Druck gestellt werden, er muß geistig, seelisch, menschlich ausgehungert werden, man appelliert aber an seinen Egoismus und stellt ihm Erleichterungen in Aussicht, für die es „lohnt, seinen Willen anzuspannen und zu beherrschen". Das aber bedeutet: man spekuliert auf diejenigen Eigenschaften, die ihn in die Strafanstalt gebracht haben; denn auch der professionelle Verbrecher, ja grade er, ist jeder Anstrengung fähig und zu ihr bereit, die ihm greifbare, sinnenfällige Verbesserungen seiner Augenblickslage verspricht. Leider aber helfen solche Anstrengungen in der Freiheit nur sehr wenig. Die Erinnerung an den Druck und die Entbehrungen der Strafe verblassen bekanntlich sehr schnell: „gehabte Schmerzen hab' ich gern", heißt es bei Wilh. B u s c h . Es bleibt aber die Grundstimmung, daß man sich nur dann zusammenreißt und diszipliniert, wenn man einen Vorteil davon in Sichtnähe erkennt. Im Leben aber liegen die Dinge ganz anders wie im Gefängnis. Hier folgen einer sozialen Lebensführung keineswegs auch nur regelmäßig „Vergünstigungen" und „Erleichterungen". Grade das Gegenteil sieht der entlassene Kriminelle, der oberflächliche, äußere Kausalitäten, die seiner egozentrischen Einstellung entsprechen, nur zu deutlich in sich aufnimmt und verwertet. Gut geht es — so sagt er — nicht dem sozial-rücksichtsvollen, sondern dem skrupellosen, von Hemmungen nicht beschwerten, mir an sich denkenden Menschen. Wer also nur unter dem Druck und der Aussicht auf Vergünstigungen sich zur Arbeit und tadellosen Führung gewöhnt hat, wird diese Gewöhnung sehr bald aufgeben, weil in der Freiheit ganz andere Bedingungen für den Kampf um das Leben gelten. Das kann man schon bei dem gegenwärtigen Strafvollzug erkennen. Gerade solche Kriminelle, die immer wieder rückfällig werden und den „Betrieb" in der Strafanstalt genau kennen, ordnen sich der

41 Anstaltsordnung meist am willigsten unter, sie führen sich tadellos, weil sie wissen, daß sie nur dadurch sich Schwierigkeiten ersparen und Vergünstigungen „herausschlagen" können. So bald sich aber die Tore der Strafanstalt ihnen wieder öffnen, bricht oft schon in kürzester Zeit ein aufgespeicherter und hemmungsloser Hunger nach den so lange entbehrten Lebensgenüssen aus und das alte Spiel beginnt: sie haben schnell vergessen, was ihnen das Gefängnis hätte lehren können und sind die alten haltlosen und hemmungslosen Menschen wieder, in dem Augenblick, in dem der Druck der Gefängnisordnung sie nicht mehr im Zaum hält. — So ist es zu verstehen, daß grade unsre erfahrensten Gefängnispraktiker sich so lange leidenschaftlich gegen den progressiven Strafvollzug gewehrt haben, — ich nenne nur einen Namen: K r o h n e — sie gingen von dem a l t e n Strafvollzug aus und hatten von diesem Ausgangspunkt recht, wenn sie das Progressivsystem ablehnten als eine mechanische Methode zur Erzielung von Gefängnisstrebern, das aber niemals die Kraft haben würde, den Gefangenen wirklich in die Gemeinschaft einzuordnen. Und doch ist dieses System von größter Heilkraft für die Verbesserung des Strafvollzugs, sobald man erkennt, daß hier e i n e q u a l i t a t i v a n d e r s g e a r t e t e S t r a f v e r b ü ß u n g in Frage steht, sobald man sich bemüht, klar zu sehen in die Mittel und Ziele des Erziehungszwecks. Zwei Gesichtspunkte sind hier zu betonen. Einmal soll das System ein G e g e n g e w i c h t g e g e n d i e S c h ä d e n e i n e r l a n g z e i t i g e n F r e i h e i t s e n t z i e h u n g geben. Die „Vergünstigungen" sind nicht gedacht als bloßer Köder für gute Führung, sie sollen vielmehr verhindern, daß der Gefangene unter der Monotonie und Routine des Strafvollzugs willenlos und abgestumpft wird, sie wollen ein Sicherheitsventil darstellen, damit nicht die Lebensenergie des Gefangenen verringert und er damit untauglicher für den „Kampf ums Dasein" der Freiheit zurückgegeben wird. Sie wollen nicht seinen Egoismus aufpeitschen, sondern seinen Willen anspannen. Durch die Hoffnung, die nach dem Satz der Thesen des ersten internationalen Gefängnis-

42 kcmgresses in Cincinnati ein stärkerer Faktor als die Furcht ist, soll der Druck des Gefängnislebens verringert und eine Methode verwirklicht werden, die anstelle von Macht und physischem Zwang in Gestalt der Disziplinarmittel durch suggestiv überzeugende Beeinflussung wirkt. Hiermit hängt als Reflexwirkung des Progressivsystems zusammen, daß seine Ausgestaltung in erheblichem Maße eine Verringerung der Disziplinarmittel fördert. — Zweitens aber will die Progression — positiv — d i e U r s a c h e n d e s V e r b r e c h e n s (soweit sie in der Person des Kriminellen liegen) mit pädagogischen Mitteln bekämpfen. Will man dieses Ziel — die wichtigste Aufgabe wirklicher Reform unsrer Gefängnisse — verwirklichen, so sind drei Forderungen zu stellen: „Der Kerker nimmt den M e n s c h e n auf, den Verbrecher läßt er vor der Tür". Mit diesem unsterblichen Wort des Spaniers M o n t e s i n o s ist die erste Forderung ausgesprochen. Die Behandlung in der Strafanstalt darf nicht durch die Tat des Verbrechers bestimmt werden, nicht durch das Werturteil und die Ablehnung der Gesellschaft, die Mißachtung, die durch Strafprozeß und Urteil über ihn ausgesprochen wird. Vielmehr soll sie den M e n s c h e n a l s G a n z e s e r f a s s e n . Seine Lebensverhältnisse, seine Anlagen und die Welt, aus der heraus er gewachsen ist und in die er wieder zurückgeht, sind so weit zurück und so genau, wie nur möglich, zu erforschen. Seine Leistungsfähigkeit, das, was er an Energie und Aufmerksamkeit, an Urteilsfähigkeit und geistigem Horizont, an Gaben des Gemüts und seelischer Auffassung mitbringt, und was an all' dem des Aufbaus, der Entwicklung und Vertiefung fähig ist. — Zweitens soll die langzeitige Freiheitsstrafe eine Umw a n d l u n g d e s g a n z e n M e n s c h e n e r s t r e b e n . Man kann nicht, wie W i e h e r n sagt, „den Menschen wie ein Kleid stückweise bessern und verbessern; es kommt vielmehr auf die S c h ö p f u n g e i n e s neuen L e b e n s an a . Daher ist es ein naives und nutzloses Unterfangen, den Gefangenen so nebenbei nach einem acht- oder gar zehnstündigen Arbeitstag sittlich und geistig heben zu wollen, ihm hin und wieder

43 erzieherische Dosen zu geben, wie Zusatznahrungsmittel oder eine schmerzstillende Medizin zu bestimmten Stunden. Wenn in einem Strafvollzug Polizei- und Sicherungsfunktionen durch unpädagogische Mittel verwirklicht werden, der A l l t a g des Strafvollzugs durch den Wachtmeister alten Stiles beherrscht wird, so ist die pädagogische, seelische und seelsorgerische Arbeit, die bestimmten Personen und bestimmten Ressorts übertragen wird, zur Unfruchtbarkeit verdammt. Selbst der innerlichste und begabteste Erzieher wird in einem solchen Strafvollzug seine beste K r a f t verbrauchen. Man kann nicht Gefangene mit E r f o l g beeinflussen, wenn der Erzieher nur ein Nebenfaktor im Strafvollzug ist, wenn seiner Tätigkeit bewußt oder unbewußt durch Beamte entgegengearbeitet wird, die nicht Erziehung, sondern Gehorsam wollen, denen wirtschaftliche Ergebnisse der Arbeit für den Staat höher stehen als Ergebnisse der Erziehungsarbeit an dem Gefangenen. Daher kann — wie die von Thüringen ins Leben gerufene „Arbeitsgemeinschaft für Reform des Strafvollzugs" Januar 1923 auf ihrer Eisenacher Tagung ausgesprochen hat *) — wirksame Erziehungsarbeit in keiner Strafanstalt geleistet werden, wenn nicht „ e i n e i n h e i t l i c h e r p ä d a g o g i s c h e r Geist alle Beamten vom Leiter bis zum letzten Beamten und Angestellten beherrscht". Diese Erziehungsarbeit kann aber nur dann fürs Leben dauern, sie wird nur dann mehr als ein bloßes Wort, ein frommer Wunsch, eine beruhigende Geste sein, wenn sie den W i l l e n hat, den Gefangenen in seiner Totalität zu revolutionieren. Niemals kann man bei Gefangenen durch Zwang und Druck von außen, durch bloße Erleichterung des Strafzwanges bei guter Führung eine solche ¡¿irctvoiu, eine solche Umwandlung des Menschen erreichen. N o t tut vielmehr, daß man alle seine K r a f t und seine Menschengüte einsetzt, um den .Gefangenen aus seinem bisherigen „asozialen Lebensrhythmus" ( H o f f m a n n ) herauszulösen und ihm die Züge einer neuen Welt, neue Interessen, neue Antriebe so zu entwickeln, daß er allmählich in sie hineinwächst, für 1) So jetzt Thür. DO. § 17.

44 sie Verständnis gewinnt und sich durch sie in seinen Handlungen bestimmen läßt. Not tut, daß man durch das eigene Beispiel der Beamten in Wort und Tat dem Gefangenen zum Ausdruck bringt, daß er nicht als Mensch andrer Art, als „Verlorener" und „Hoffnungsloser" angesehen wird, sondern daß man daran glaubt, auch dem wiederholt Rückfälligen gegenüber, daß er ein andrer Mensch werden kann, und daß man ihm hierzu helfen will. Freilich, auch darüber muß ihm Klarheit geschaffen werden, daß man ihm zwar helfen kann und soll, daß es aber im Grunde nur von seinem eignen Willen abhängt, ob er sich in der Freiheit halten wird, daß sein Schicksal in seine Hand gegeben ist. Daher ist für seine Zukunft nicht das entscheidend, daß er ein „guter Gefangener" zu werden sich bemüht und sich dadurch Erleichterungen durch einwandfreie Führung verschafft, — nur wenn diese Betätigung im Gefängnis eine Schule für sein Leben wird, wenn in ihr die Fundamente gelegt werden dafür, daß er draußen ein »guter Bürger" zu werden verspricht, ist ihm zu helfen. — Es handelt sich also bei dem Progressivsystem um Aufgaben, die ein großes Maß von pädagogischer Schulung und Suggestivkraft bei den Beamten erfordern. Daher ist kein Zweifel, daß die wertvollen Gedanken des Progressivsystems unverwirklicht bleiben werden, solange das Wort V a m b é r y s auf dem Gefängniskongreß in Washington berechtigt bleibt: „Der Gefängnisbeamte von heute ist für die Behandlung der Kriminellen ebenso gut ausgebildet, wie eine Krankenschwester v o r e i n e m J a h r h u n d e r t für die Behandlung der Kranken ausgebildet war". D.h. konkret gesprochen: alle unsre Arbeit im Strafvollzug steht auf dem Papier, solange es vorkommen kann, daß minderbegabte Beamte aus der Justiz und Polizei in den Gefängnisdienst abgeschoben werden, — solange 50 % unsrer Versorgungsanwärter ohne weiteres in den Gefängnisdienst übernommen werden müssen, wie dies die Grundsätze der Reichsregierung von 1922 vorschreiben, solange eine wirkliche durch Sachverständige, nicht bloße Gefängnisroutiniers geleitete — theo-

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retische und praktische — Schulung unsrer Gefängnisbeamten, wie sie der § 9 der Grundsätze voraussetzt, uns fehlt! — Die dritte Forderung an das Progressivsystem ist, daß in der Anstalt nur ein Anfang von Erziehungsarbeit geleistet werden kann; soll sie Erfolg haben, so muß diese Arbeit draußen, nach der Entlassung in demselben Geist fortgesetzt werden. Grade auf die Gefangenen, namentlich die Rückfälligen und Professionellen trifft das Wort von S t i f t e r zu: sie sind Menschen mit Anfängen — ohne Fortsetzungen! Daher muß die Fürsorgetätigkeit für die Zeit nach der Verbüßung, namentlich eine individuelle und kollektive Schutzaufsicht vom ersten Tage der Strafverbüßung an in die Wege geleitet werden. Von dem Erfolg dieser Bemühungen wird das Gelingen der Erziehungsarbeit im Gefängnis entscheidend abhängen; ohne sie wird sie in den meisten Fällen eine Danaidenarbeit bleiben. Die Progression wird nur dann gegen den Rückfall schützen, wenn sie in dem Leben außerhalb der Gefängnisarbeit solange fortgesetzt werden kann, bis der Entlassene wirklich gelernt hat, sicher auf eignen Beinen vorwärts zu gehen. Diesem Zweck dient in besonders wirksamer Art die Einrichtung des Fürsorgers nach dem Muster von Wittlich und Thüringen. Leider bestimmen die Grundsätze nicht, daß in allen Strafanstalten mit progressivem Strafvollzug diese Funktion von Beamten ausgeübt werden soll, die im Gefängnisleben und vom ersten bis zum letzten Tage der Strafverbüßung Gelegenheit haben, die Eigenart der Gefangenen kennen zu lernen. Ohne eine solche Einrichtung bleibt die Fürsorge für Entlassene leicht ein Fremdkörper im Strafvollzug, — für sie arbeiten die bekannten Vereinigungen außerhalb der Strafanstalt mit sehr viel Aufopferung, aber doch ohne wirklich unmittelbare Kenntnis der ihnen Empfohlenen. Die gelegentliche Besprechung mit einem solchen Gefangenen, die schriftliche oder mündliche Auskunft von den — meist ohnedies überlasteten — Gefängnisbeamten kann niemals eine solche Sicherheit der Diagnose und Prognose geben, wie sie ein Fürsorger hat, der mit

__ 46 den Gefangenen lebt und für ihre Zukunft sich von Amtswegen einzusetzen hat. — Ehe ich die Nutzanwendung aus diesen Forderungen ziehe, möchte ich noch eine E p i s o d e , ein Zwischenkapitel zu der Frage der „Vergünstigungen" streifen: die Behandlung des sog. Ü b e r ze u g u n g s v e r b r e c h ers. Der § 52 schreibt eine besondere Behandlung im Strafvollzug für solche Gefangene vor, denen das Strafurteil ausdrücklich attestiert, daß der „ a u s s c h l a g g e b e n d e Beweggrund" zu ihrer Tat darin bestand, daß der Täter sich zu ihr „verpflichtet hielt, auf Grund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung". Solchen Gefangenen s i n d die für die Strafart zulässigen Vergünstigungen ohne weiteres zu gewähren, und es k a n n von Fristen, die für die Gewährung von Vergünstigungen vorgeschrieben sind, bei ihnen abgesehen werden. (Wie sich diese beiden Sätze mit einander vertragen, ist nicht ganz klar.) Diese Bestimmung stammt aus dem leider bisher nicht veröffentlichten Strafgesetzentwurf R a d b r u c h s , — einem Entwurf, den ich kenne und von dem ich sagen möchte: er stellt weitaus den Höhepunkt der strafgesetzlichen Reformarbeit der letzten Jahrzehnte dar — sie hatte hier aber eine ganz andere Bedeutung. Hier war nämlich neben Gefängnis und strengem Gefängnis — die mit dem Erziehungsgedanken unvereinbare und auch sonst nicht zu rechtfertigende Zuchthausstrafe war beseitigt — die Strafe der E i n s c h l i e ß u n g (alias: Festung) für solche Überzeugungsverbrecher vorgesehen, ß a d b r u c h hat diese Regelung in einem Aufsatz der Festschrift für Lilienthal (Z. 44,34 ff.) damit gerechtfertigt, daß „der ÜberzeugungsVerbrecher, weder ein Besserungsbedürftiger noch ein Vergeltungswürdiger, sondern nur ein Andersdenkender, ein Gegner der derzeitigen sittlichen, religiösen, politischen Macht sei, den diese wohl im Interesse ihrer Selbstbehauptung bekämpfen, nicht aber mit willensbeugender Vergeltung oder selbstgerechter bessernder Beeinflussung behandeln dürfe". Für den Überzeugungsverbrecher war also eine besondere Strafart, die alte custodia honesta der bloßen Freiheits-

47 entziehung vorgesehen. Davon ist in den „Grundsätzen", die ja die Strafarten des Strafgesetzbuchs nicht ändern dürfen, nichts übrig geblieben, als die Zulassung der V e r g ü n s t i g u n g e n für j e d e Strafart. Das aber ist eine zum Mindesten unpraktische Neuerung. Wir haben ja die Festungsstrafe und bei ihrer Regelung geraten die „Grundsätze" in einen wahren Yergiinstigungsrausch. In nicht weniger als 19 Paragraphen — von der Zuchthausstrafe handeln nur 6 Paragraphen! — werden hier eine Fülle von Erlaubnissen ohne Fristen und fast ohne Einschränkungen gewährt: man kann sich täglich einen halben Liter Bier, Obstmost oder einen viertel Liter "Wein anschaffen, sich beschäftigen, wie man will, sich täglich mindestens f ü n f S t u n d e n lang im Freien aufhalten — gemeint sind nicht Promenaden von solcher Zeitdauer, sondern verschämt ist damit angedeutet, daß der Festungsgefangene solange außerhalb der Anstalt sich aufhalten darf — kurz, es ist eine Strafe, bei der namentlich der überanstrengte Großstädter das Gefühl nicht los wird: r so etwas möchtest du wohl auch einmal — erleiden". Also bei dieser Strafe brauchen wir gewiß keinen Überzeugungsverbrecher in Gänsefüßen. Nicht viel anders liegt die Sache bei Haft und Gefängnis: auch hier sind bei den besonderen Bestimmungen und bei der allgemeinen Regelung Vergünstigungen schon für den homo criminalis communis vorgesehen, daß man nicht versteht, warum außerdem noch die Sonderklasse des Kavalierverbrechers nötig war! Man wendet vielleicht ein: der Überzeugungsverbrecher bekommt diese Vergünstigungen von vornherein, der gemeine Verbrecher aber erst bei guter Führung und nur solange diese gute Führung vorhält. Wie aber soll das durchgeführt werden? Bei Gemeinschaftshaft ist es natürlich ausgeschlossen, aber auch in der Einzelzelle würde es zu höchst unerfreulichen Konflikten führen. Man denke: in der Zelle links ein Überzeugungsverbrecher von der kommunistischen, in der Zelle rechts ein solcher von der nationalsozialistischen Partei, in der Mitte ein Feld- und Wiesendieb! Und der muß nun den ganzen Tag — riechen, was seine Leidensgenossen von höherem Rang rechts und links an Tabak

48 konsumieren, hören, wie sie ihre Parlamentsreden für die Zeit nach der Entlassung memorieren! Ganz besonders arg aber wird es schließlich, wenn einmal ein Überzeugungsverbrecher ins Z u c h t h a u s geschickt werden sollte. Ganz abgesehen davon, daß hier nur die Aushändigung entbehrlicher Gegenstände, Zusatznahrungsmittel, Zeitungen, Arbeiten und Spiele für die arbeitsfreie Zeit nach Ablauf bestimmter Fristen vorgesehen sind, — wie ist dieser Gedanke der „Vergünstigungen" für ehrliche Überzeugung zu vereinen mit einer Strafart, die ex lege — leider — die Ehrenminderung des zu ihr Verurteilten ausspricht? — Aber die ganze Sache ist nicht bloß unpraktisch, sie ist gefährlich und kontrastiert gradezu mit dem Geist, der sonst die Grundsätze beherrscht. Die Erfahrungen der letzten Jahre — man denke an Liebknecht, Levine, Fechenbach, kommunistische Verbrecher, Hitler-Ludendorf! — lehren ja mit erschütternder Deutlichkeit, daß gar keine Garantie dafür besteht, daß solche „Pflichtüberzeugung" von unsren Gerichten gleichmäßig nach rechts und links anerkannt wird. Sie wird überall da versagt werden, wo die Weltanschauung des Richters soweit von der des Rechtsbrechers abweicht, daß dieser in ihm nicht den zu respektierenden Andersdenkenden, sondern nur den gemeingefährlichen Schädling erkennen kann. Dazu kommt, daß die Folgen, die solche Taten von Überzeugungsverbrechern hervorrufen, oft viel gefährlicher für die Gemeinschaft sein können, als die Verbrechen aus Not, Leidenschaft oder gemeinem Egoismus! Radbruch stellt selbst zur Erwägung, ob nicht für bestimmte Tatbestände, vor allem den Mord, diese Privilegierung auszuschließen sei? — den Mord, obwohl grade er den Hauptanwendungsfall, gradezu das Musterbeispiel für solche Überzeugungsverbrecher abgibt! Auch ist der Grundgedanke nur aus einem unbewußten Steckenbleiben in einer veralteten Strafauffassung zu erklären. Wer das Zuchthaus beseitigen will, muß natürlich auch sein positives Komplement: die Festung beseitigen. Man kann nicht in j e d e m Rechtsbrecher den Men-

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sehen sehen, wenn man bestimmte Kategorien (noch dazu von solcher unfaßbaren, rein auf politische Instinkte abgestellten Abgrenzung) von vornherein anders und besser behandelt. Radbruch verlangt willensbeugende Vergeltung und selbstgerechte Besserungsmaßregeln für die gewöhnlichen Verbrecher und meint, daß solche Maßregeln eine sittliche Überlegenheit des strafberechtigten Staates über den Straffälligen voraussetzen, die eben dem Überzeugungsverbrecher gegenüber nicht vorliege. Dabei wird verkannt, daß die Freiheitsstrafe überhaupt nicht den Willen beugen, vergelten und mit selbstgerechtem Pharisäertum an den Gefangenen herantreten soll, — das war allerdings die Konsequenz einer falschen Straftheorie —. Sie soll vielmehr versuchen, ohne jede Selbstgerechtigkeit nach dem deutlich zu erkennenden Leitmotiv „wir sind allzumal Sünder!" das Vertrauen des Gefangenen zu gewinnen, ihm helfen, die schlechten und asozialen Richtungen seines Wesens allmählich abzustoßen, und die guten Qualitäten in ihm, die in keinem, wirklich keinem Verbrecher ganz fehlen, heilkräftig weiter zu entwickeln. Macht man sich das klar, — und der Kern der Grundsätze fordert zweifellos eine solche Einstellung — so ergibt sich mit unabweislicher Konsequenz: man darf überhaupt nicht zwischen Gefangenen, die man zu respektieren, die man gut zu behandeln, und solchen Gefangenen unterscheiden, die man nicht zu respektieren und zunächst schlecht zu behandeln hat! Es gibt keine größere Verkennung des neuen Strafgedankens. Für alle Verbrecher vielmehr, die längere Strafen zu verbüßen haben, — und andre kommen überhaupt nicht für den Überzeugungsverbrecher in Betracht — ist damit zugleich gesagt, daß sie längerer Erziehung bedürftig sind. Der alte Satz aber, den wir in der Schule gelernt haben, „der Mensch, der nicht geschunden wird, wird auch nicht erzogen", hat sich als schlechte, unbrauchbare Erziehungsmaxime in der Praxis des Strafvollzugs von Jahrhunderten herausgestellt. Erziehen heißt eben nicht mit Druck und Beugung des Willens einen anderen Menschen schaffen, sondern es heißt: durch Überzeugungskraft, durch den Glauben an den Mitmenschen, der grade hier Berge ver4

50 setzt, durch suggestive Beeinflussung allmählich das Schlechte, Schwache. Verzerrte und Einseitige in dem Gefangenen ablösen und mit ebensolchen Mitteln den Grund legen zu einer Weiterentwicklung brauchbarer Qualitäten. Stellt man ssich aber auf diesen Standpunkt, dann ist leicht zu erkennen, daß der „Überzeugungsverbrecher" genau ebenso einer bessernden Behandlung unterworfen werden kann und muß, wie jeder andre erziehungsbedürftige Kriminelle. Und natürlich darf der Staat nur dann einen Verbrecher einsperren, wenn er für seine Normen den „Charakter sittlicher Überlegenheit" in Anspruch nimmt. Nicht dafür wird ja der Überzeugungsverbrecher bestraft, daß er andre Überzeugungen hat wie der strafende Staat, sondern daß er durch solche Überzeugungen sich zu Angriffen gegen schutzwürdige Interessen von Staat und Gesellschaft hat hinreißen lassen. So ist der Gedanke einer Sonderbehaudlung des Überzeugungsverbrechers vom kriminalpolitischen wie rechtsphilosophischen Standpunkt durchaus abzulehnen. — Und nun zurück zu der Frage einer richtigen A u s g e s t a l t u n g d e r P r o g r e s s i o n im S t r a f v o l l z u g . Hier lassen die „Grundsätze" leider manches vermissen. Ihnen fehlt einmal die Forderung einer Z w i s c h e n - und Ü b e r g a n g s s t a t i o n , wie sie im irischen Progressivsystem zuerst anerkannt wurde. Bekanntlich wirken die Anreize zum Rückfall grade am intensivsten und unheilvollsten in der ersten Zeit nach der Entlassung. Der Gefangene tritt, auch wenn er aufrichtige und ernste Vorsätze hat, der Welt gegenüber, wie ein Mensch, der nach langer Krankheit erst wieder das Gehen lernen muß. Und er steht einer Welt gegenüber die ihn mit gedanken- und herzloser Rohheit, mit plumpen Händen von sich zurückzustoßen geneigt ist. Daher ist es richtig, ihm und der Gesellschaft zunächst ein Sicherheitsventil gegen den Rückfall dadurch zu geben, daß die Progression stets ausläuft in eine widerrufliche, aber mit der Stütze einer Schutzaufsicht versehene v o r l ä u f i g e E n t l a s s u n g . Zwischen diesem Stadium und den letzten Monaten vorher aber sollte jeder Gefangene erst an das Leben in der Freiheit gewöhnt werden. Und dies geschieht am

51 besten dadurch, daß er als letztes Stadium des Strafbetriebs unter den Bedingungen einer Zwischenanstalt arbeitet. D. h. in einen Organismus hineingestellt wird, dem Mauern und sonstige äußere Vorkehrungen der Freiheitsentziehung fehlen, und der „Gefangene" nur innerlich durch seinen Willen den Gedanken der Bindung an den strafenden Staat zum Ausdruck bringt. Damit legt er eine letzte und bedeutsame Probe ab, ob er durch die Erziehung der vorausgegangenen Strafstufen geläutert und gefestigt ist, und ob von ihm erwartet werden darf, daß er auch in der Freiheit Halt und Selbständigkeit bewahren wird. — Wie aber ist — eine Kardinalfrage — der Gefangene zu dieser Selbständigkeit zu erziehen? Diesem Gedanken wird die Regelung der Grundsätze nicht gerecht. Es heißt in den Grundsätzen: Der Strafvollzug soll s e i n e r S t r e n g e e r s t a l l m ä h l i c h entkleidet werden. Daraus ist geschlossen worden, wie wir gesehen haben, daß zunächst dem Gefangenen in der Einzelhaft das Strafübel besonders empfindlich zum Ausdruck gebracht werden soll und daß geistige und seelische Anregungen, ja sogar Zusatznahrungsmittel erst gewährt werden sollen, wenn der Gefangene sie durch seine Führung verdient hat. Das aber ist eine ganz falsche und gefährliche Auffassung: es ist jener Geist, der nach einem Wort R ö d e r s mit himmlischer Geduld die Leiden — Anderer erträgt! Die Einzelhaft im Anfang der Strafe sollte — ohne Rücksicht auf den Wunsch des Gefangenen, ohne Rücksicht auf seine vermutliche relative Unverdorbenheit oder umgekehrt seine bereits vorgeschrittene Verwahrlosung — stets nur als p r o b a t o r i s c h e M a ß r e g e l verwirklicht werden. Diese Isolierung verfolgt den Zweck, den Gefangenen aus seinen bisherigen Beziehungen zum Leben mit scharfem Schnitt herauszulösen — nicht um ihm empfindliches Leid zuzufügen, auch nicht um ihm ein möglichst ungestörtes buen retiro zu verschaffen, sondern damit er erst mal zur Ruhe kommt und damit man ihm Gelegenheit gibt und dazu hilft, seine Vergangenheit „abzureagieren". Und zweitens soll die Isolierung den Beamten in die Lage versetzen, ihn möglichst unbehindert durch andre Eindrücke 4*

52 und Einwirkungen nach Art etwa eines feinfühligen Psychoanalytikers zu studieren. Hier in der Zelle auf Grund der Aussprachen und Beobachtungen muß der Erziehungsplan ausgearbeitet werden, die Entscheidung darüber, wie der Gefangene zu beschäftigen und zu beeinflussen, wie tief zu graben ist, um ihn zu einem anderen Menschen zu machen. Solche p s y c h o t h e r a p e u t i s c h e Arbeit — um nichts anderes handelt es sich — kann aber nur mit Nutzen angefangen werden, wenn es dem Beamten gelingt, das Vertrauen des Gefangenen zu gewinnen und seelische Fühlfäden anzuknüpfen. Daher darf hier grade nicht Ernst, Zurückhaltung, Strenge in den Vordergrund der Behandlung treten. Im Gegenteil: der noch nicht ganz abgestumpfte Gefangene ist in diesem Stadium gewöhnlich besonders labil und erregbar, ebenso leicht zu verwunden, wie leicht zu sich herüberzuziehen. Erstes Erfordernis sollte daher im Anfang der Strafverbüßung sein: eine besonders entwickelte Fähigkeit der Einfühlung bei den Beamten und besondere Vorsicht vor jedem Wort und jeder Haltung, die geeignet sind, den Gefangenen zur Verschlossenheit, zur Verbitterung, zu jenem obstinaten Verhalten zu bringen, das sich so leicht in Gefängnissen mit unpädagogischen Beamten einstellt und regelmäßig ganz falsch zu Ungunsten des Gefangenen (nicht: als Zeichen einer falschen Behandlung durch den Beamten) ausgedeutet wird. Daher ist es auch falsch, hier prinzipiell den Gefangenen seelisch und geistig auszuhungern — je stärker hier unmittelbare und warme Menschlichkeit an seine Seele rührt, um so offener und tiefer wird sich der Gefangene erschließen, um so festere Handhaben wird er zu einer tiefer grabenden Beeinflussung darbieten. Die Einzelzelle sollte daher niemals als Strafmittel, sondern als M i t t e l z u r B e o b a c h t u n g u n d B e r u h i g u n g des G e f a n g e n e n b e n u t z t w e r d e n . Es kann infolge der Entwicklung eines Gefangenen notwendig sein, immer wieder zu ihr vorübergehend zurückzukehren. Aber als Prinzip eines auf Erziehung eingestellten progressiven Strafvollzugs sollte gelten: niemals die E i n z e l z e l l e a l s D a u e r e i n richtung!

53 Ich weiß wohl, daß heute noch diese Gedanken in Deutschland auf stärksten Widerspruch zu rechnen haben, weil ein Jahrhundert lang die Einzelzelle bei uns zu einem Dogma erstarrt ist. Und doch sind ihre Gefahren leicht genug zn durchschauen: die künstliche Isolierung und Abstumpfung des Willens, die Gewöhnung an üppig wuchernde, von den Realitäten des Lebens immer weiter wegtreibende Phantasien, die Loslösung von jeder gefährlichen, aber auch stählenden Mitarbeit mit anderen Menschen in der gleichen Lage! Aus dieser Erkenntnis heraus ist der progressive Strafvollzug erwachsen. Die „Grundsätze" aber haben seinen Wert entweder nicht voll erkannt oder sie sind durch entgegenwirkende Tendenzen aus der Praxis des alten Strafvollzugs zu Kompromissen gedrängt worden. So heißt es: Dem Wunsch des Gefangenen nach Einzelhaft ist womöglich zu entsprechen. Vorzugsweise sollen solche Gefangene in Einzelhaft untergebracht werden, die noch keine oder nur geringfügige Strafen verbüßt haben. (43, 44) Geschieht dies im Anfang der Strafzeit, so ist das durchaus richtig. Wird es aber mit Rücksicht auf die Sensibilität und Unbescholtenheit eines Gefangenen etwa dauernd, für die ganze Strafzeit durchgeführt, so ist dies vom pädagogischen Standpunkt abzulehnen, weil eben die längere Isolierung Selbständigkeit und Halt fürs Leben nur zu leicht unterminiert und diese schädigende Wirkung nach der Entlassung grade Anfängern auf dem Wege des Verbrechens verhängnisvoll werden kann. Ebenso setzt man die Anforderungen an den Erziehungsgedanken zurück, wenn man mit den „Grundsätzen" Gefangene, von denen man einen schädlichen Einfluß auf die Anderen befürchtet, womöglich dauernd in Isolierung hält. (45) Für Jugendgefängnisse gilt der Satz, daß ein Jugendlicher über 3 Monate nur in Einzelhaft gehalten werden darf, mit Z u s t i m m u n g d e s A n s t a l t s a r z t e s . (201) D. h. nur Gesundheitsrücksichten werden beachtet, nicht Gesichtspunkte der Erziehung! Ganz besonders bedenklich erscheint mir ferner die Unterscheidung von E i n z e l h a f t und Z e l l e n h a f t . Unter Einzelhaft verstehen die Grundsätze eine bei Tag und Nacht nicht bloß bei der Arbeit,

54 sondern auch, im Gegensatz zur Zellenhaft, bei der Bewegung im Freien, beim Gottesdienst, beim Unterricht oder bei besonderen Anlässen durchgeführte unausgesetzte Sonderung von anderen Gefangenen. Damit sind sie zu den geschlossenen Einzelsitzen, zu den „stalls", Einzelspazierhöfen, j a im Grunde zu den Masken und Schirmkappen der Gefangenen. zurückgekehrt — Einrichtungen, von denen sogar ein solcher Fanatiker der Einzelhaft wie K r o h n e schon 1889 sagte, daß sie nebensächlich seien und beseitigt werden könnten. Inzwischen aber sind sie, wie die Einzelspazierhöfe und Masken, wenn ich nicht irre, durchweg, die „Ställe" in Kirche und Schule aber wenigstens teilweise z. B. in Hamburg, beseitigt, während sie in den großen Berliner Gefängnissen älteren Datums noch bestehen. Aber ich habe immer nur gehört, daß man ihre Beseitigung der Kosten wegen bisher nicht vorgenommen habe, niemals, daß auf sie irgend ein Wert gelegt werde. Denn das grade Gegenteil ist richtig. Für Zwecke der Sicherung sind sie — bei genügend geschulten Beamten — ohne Bedeutung. Anknüpfung von Beziehungen der Gefangenen unter einander aber finden bekanntlich auch bei strengster Isolierung statt, j a sie sind sogar schwerer zu erkennen bei den geschlossenen Einzelsitzen, als wenn die Aufseher oder Lehrer die ganzen Reihen ohne die die Übersicht erschwerenden Ställe beobachten können. Jedes Gemeinschaftsgefühl aber und damit jede Stimmung erhebender Art wird in plumpster Weise zerstört, wenn Kirche und Schule durch solche Bretterwände in Einzelzellen zerlegt werden. Durch die ausdrückliche Hervorhebung dieser Einzelhaft, die sich sogar — horribile dictu! — bei den Bestimmungen über Jugendgefängnisse findet (§ 201), wiederholen die Grundsätze scheinbar nur die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs. Da man aber bisher niemals angenommen hat, daß durch die Beseitigung jener Ställe und Einzelspazierhöfe die Einzelhaft im Sinne des Strafgesetzbuchs verändert werde, so konservieren die „Grundsätze" gradezu einen im wesentlichen überwundenen, nur noch aus Kostenrücksichten beibehaltenen Zustand für die Zukunft. Und

55 leider hat die unglückliche Bestimmung schon jetzt zu einer wesentlichen und m. E . rechtsungültigen Verschlechterung der Lage der Gefangenen geführt! Die „Grundsätze" sagen nichts über die Dauer der Einzelhaft. Die Bestimmung des Strafgesetzbuchs, daß die Einzelhaft ohne die Zustimmung des Gefangenen die Dauer von 3 Jahren nicht übersteigen darf, behält also natürlich ihre Gültigkeit. J e t z t aber wird nach der Preußischen wie der Württembergischen neuen Dienstordnung diese Beschränkung nur für die Einzelhaft, nicht für die Zellenhaft ausgesprochen (Preußen § 65 5 , Württemberg, 213)! Daß das pädagogisch so verkehrt wie möglich ist, zumal unter der Herrschaft eines progressiven Strafvollzugs, halte ich für sicher. Ich bestreite aber auch die Rechtsgültigkeit einer solchen Bestimmung. Denn das Strafgesetzbuch, dessen Gültigkeit natürlich durch die „Grundsätze" nicht angetastet werden darf, unterscheidet nur Einzelhaft und Gemeinschaftshaft. Die „Zellenhaft" kann aber nicht zur Gemeinschaftshaft gerechnet werden, muß daher nach den Grundsätzen des Strafgesetzbuchs über Einzelhaft beurteilt werden! — Man sieht also: die Grundsätze stehen im Bann einer Uberschätzung der Einzelhaft, j a sie haben sich infolgedessen verleiten lassen, eine rückläufige, im wesentlichen überwundene Entwicklung neu zu stärken. Dabei sollte klar sein: der progressive Strafvollzug, der Erziehung fürs Leben anstrebt, muß das Schwergewicht seiner Arbeit in die G e m e i n s c h a f t s h a f t verlegen. Die Einzelzelle darf hier nur zu Zwecken der Beobachtung und Beruhigung, d. h. stets nur vorübergehend verwertet werden. Aber nur in der Gemeinschaft mit Anderen kann ein Gefangener wirklich lernen, ein sozialer Mensch zu werden. Die Schäden, die aus dem Zusammenleben mit anderen, verdorbenen Kriminellen erwachsen können, kenne ich natürlich sehr gut. Aber sie müssen überwunden werden und können es, sobald man sich zur Durchführung einer Heihe von Gegenmitteln gegen dieses Gift der Infektion entschließt. Einmal dient grade hier das System der Vergünstigungen als Erziehungsmittel dadurch, daß es eine I s o l i e r u n g d e r I n t e r e s s e n

56 d e r G e f a n g e n e n bewirkt. Wie das K r i e g s m a n n 1913 auf dem deutschen Hilfsverein für entlassene Gefangene in Hambarg aasgeführt hat: „Jeder Gefangene weiß, der flüchtige Genuß, den ich aus Durchstechereien mit anderen Gefangenen haben kann, steht außer allem Verhältnis zu den Werten, die ich aufs Spiel setze. Die Vorzüge, die ich in der höheren Klasse gewinne, sind soviel wertvoller, daß es sich für mich nicht lohnt, mit den anderen Gefangenen am Nebentisch eine Durchstecherei auszuführen". Dadurch wird in sehr vielen Fällen, wie die Erfahrungen andrer Länder, übrigens auch die Erfahrungen in Wittlich lehren, die Gefahr der Gemeinschaftshaft im wesentlichen eingedämmt. Hinzukommen maß freilich mancherlei: die Erziehung zur Selbständigkeit durch Gewährung der S e l b s t v e r w a l t u n g in der Oberstufe, die Schaffung einer p ä d a g o gischen A t h m o s p h ä r e in einer vorsichtig ausgewählten, kleinen und möglichst gleichartig ausgewählten Gruppe der Gefangenen. Man darf die Gefangenen nicht wahllos zusammenstecken, es genügt auch nicht, Rückfällige und noch nicht Vorbestrafte von 'einander zu sondern. Vielmehr müssen die Gruppen gebildet werden nach den Verschiedenheiten an Begabung und Energie, Leichtsinn und Stumpfheit, Beweglichkeit und Schwerfälligkeit und jeder Gruppe müssen Erzieher zur Seite gestellt werden, die anspornen, helfen, mitreißen. Schließlich muß die Arbeit in allen diesen Gruppen im höchsten Sinne rationalisiert werden. Eine der gefährlichsten Bestimmungen der Grundsätze ist der § 77: „Es ist dahin zu wirken, daß der Ertrag der Arbeit die gesamten Kosten des Strafvollzugs deckt". Wenn man gegen diese Bestimmung kämpft, so gerät man in Gefahr, allen Kredit zu verlieren, und unsren Regierangsvertretern werden sich — in unsrer wirtschaftlichen Misere — voraussichtlich die Haare sträuben, wenn man ihnen sagt und sagen muß: der Strafvollzug ist nicht dazu da, für den Staat ein gewinnbringendes Geschäft zn werden! Nicht darauf kommt es an, ob unsre Gefängnisse dem Staat etwas einbringen, sondern daß sie die Gefangenen in die Höhe bringen! Und das ist sicher: Sparsamkeit ist hier eine

57 den Staat besonders viel kostende Gedankenlosigkeit! Was der Staat durch rücksichtslose Aasnutzung der Gefangenenarbeit im fiskalischen Interesse erspart, entzieht er den Interessen der Erziehungsarbeit, und hat es doppelt und dreifach zu büßen an den Kosten, die ihm durch Steigerung der Rückfälle erwachsen! Helfen kann hier also nur eine Ausgestaltung der Arbeit, die lediglich an die Werte denkt, die daraus für den Gefangenen erwachsen können, eine Ausbildung und Verfeinerung in technisch - pädagogischer Erziehung, die auch aus den stumpfsinnigsten Gefangenen ein Interesse an intensiver Arbeit hervorzaubern kann. Die erste Bedingung dazu ist freilich die Beseitigung des Systems der bloßen „ Arbeitsbelohnung" und die Einführung eines wirklichen Lohnanspruchs der Gefangenen — was W a h l b e r g und S i c h a r t vor Jahrzehnten verlangt haben, was der italienische Entwurf statuiert, es müßte endlich auch in deutschen Gefängnissen eingeführt werden. Jeder Arbeiter, auch der Gefangene, ist seines Lohnes wert, eines Lohnes, der dem Lohn auf dem freien Arbeitsmarkt entspricht, und von dem nur die Kosten für die Verpflegung des Gefangenen abgezogen werden dürfen. Daß dabei für pathologische, arbeitsunfähige oder Gefangene mit besonders verringerter Arbeitsfähigkeit Sonderbestimmungen gelten müssen, ist selbstverständlich. Aber im ganzen wird ein solches System, das das Gefängnis wirklich zu Arbeitsstätten mit möglichster technischer Vollkommenheit erhebt, ganz andre Arbeitsleistungen schaffen können, als heute in allgemeinen möglich erscheint. Es wird im letzten Grunde auch für den Staat rationeller sein. Aber entscheidend ist vor allem, daß damit eine wertvolle Gegenwirkung gegen die Gefahren der Gemeinschaftshaft, pädagogische Steigerungen an Willigkeit und Freudigkeit zur Arbeit geschaffen werden! In einer solchen Individualisierung nach pädagogisch richtig differenzierten Gruppen, einer Rationalisierung und Vervollkommnung der Arbeit nur vom Standpunkt ihrer Rückwirkung auf erzieherischeMöglichkeiten muß das Schwergewicht des progressiven Strafvollzugs erblickt werden. Soll

58 wirklich ein erfolgreicher Kampf gegen den Rückfall geführt werden, so ist auf diesem Gebiet einzusetzen, unter Mitwirkung unsrer besten nicht polizeitechnisch oder fiskalisch, sondern erzieherisch gerüsteten Beamten, Werkmeister, Fürsorger und Sozialbeamten! Ich weiß wohl, daß sich hier Schwierigkeiten auf Schritt und Tritt einstellen, daß hier ein hoher Grad von Glaube und Aufopferung von allen Beamten und eine verständnisvolle Klarheit der Gesellschaft verlangt wird. Aber es hat keinen Zweck, Probleme von solcher Bedeutung wie die Aufbauarbeit an Gefangenen als leicht lösbar vorzutäuschen. Die „Grundsätze" sind sich über die Größe der Fragen nicht im Geringsten unklar. Ihr Wert liegt ja grade darin, daß hier mit heiligem Ernst, tiefgrabender Feinfühligkeit und starkem Willen zur Verinnerlichung die Arbeit des Strafvollzugs erfaßt wird. Wir handeln daher in ihrem Geist, wir handeln vor allem im Sinn der besten Traditionen unsrer I. K . V., wenn wir die Arbeit der „Grundsätze" zu Ende denken und nicht müde werden, die Seele des Gefangenen für die Volksgemeinschaft zu gewinnen!

2. Berichterstatter: Dr. K. Pinkelnburg, Präsident des Strafvollzugsamts Berlin. Meine Damen und Herren! Die R e i c h s r a t s g r u n d s ä t z e ü b e r d e n V o l l z u g d e r F r e i h e i t s s t r a f e n enthalten einen großen Fragenkomplex: juristische, pädagogische, medizinische, soziale, religiöse und finanzielle Gesichtspunkte, zu einem einheitlichen Werk zusammengeschweißt; es ist mit ihm das Wohl und Wehe der ungeheuren Masse von Menschen verknüpft, die jahraus, jahrein die Gefangenenanstalten Deutschlands bevölkern. Der Tagesbestand allein beträgt bis zu 100000 Menschen. Auf die Einzelheiten der Grundsätze — es sind 233 Paragraphen — gehe ich in der Hauptsache nicht ein, nur einige wichtige Stücke von allgemeiner Bedeutung werde ich am Schlüsse erörtern. Ich möchte mich mit dem Totalitätsbild befassen. Was ist die entscheidende Bedeutung des neuen Werkes gegenüber den Strafvollzugsvorschriften der deutschen Vergangenheit? Um es in einem Wort zusammenzufassen: es führt den Erziehungs-Strafvollzug ein. Der 7. Juni 1923 ist als ein historischer Moment zu bezeichnen; man kann vielleicht sagen, in gewissem Sinne welthistorisch. Denn das Kriminalitätsproblem in seinen verschiedenen Auswirkungen ist für die Kulturstaaten, insbesondere Europas, universell. Man kann es in Abwandlung jener Stelle in Heinrich Heines „ Nordseebilder n u mit dem qualvoll uralten Rätsel vergleichen, worüber von je so „viele Menschenhäupter, Häupter in Hieroglyphenmützen, Häupter im Turban, Perückenhäupter und tausend andere arme schwitzende Menschenhäupter gegrübelt" haben. Beim Strafrecht aller Zeiten und Völker stand der Taillonsgedanke („Aug' um Auge*, „Zahn um Zahn", „Blut um Blut") am Anfang der Entwicklung. In der Carolina hat dies, wie sattsam bekannt, in Deutschland ihren prägnan-

60 testen Ausdruck gefunden. Eine Abkehr setzte erst sehr allmählich ein. Insbesondere erst im 18. Jahrhundert, als die Freiheitsstrafe die Primatstellung im Strafsystem einzunehmen begann. An Stelle des Galgenbergs, den jede größere Stadt vor ihren Toren hatte, traten allmählich die Stockhäuser. An Stelle der Leichen, mit denen der Kriminalprozeß abzuschließen pflegte, traten lebendige Menschen, die man im Kerker, wenn auch in noch so roher Form, doch irgendwie betreuen mußte. Dadurch setzte notgedrungen zuerst ein gewisses Studium der Verbrecherpsyche ein, zunächst wohl nur aus dem egoistischen Grunde, die Beobachtungsergebnisse im Interesse der Anstaltsdisziplin zu verwenden. An die Frage, ob und durch welche Art der strafanstaltlichen Verbrecherbehandlung man eine Rückfallsverhütung erreichen könne, dachte man dabei noch nicht. Abgesehen von der damaligen Primitivität des soziologischen Denkens war die praktische Bedeutung des Entlassungswesens sehr gering. Denn die Freiheitsstrafen, auch wenn sie nicht, wie sehr häufig, auf Lebenszeit lauteten, waren im Effekt lebenslänglich, da bei der Misere der sanitären Verhältnisse, die in den Stockhäusern herrschte, die Sterblichkeit so groß war, daß (nach Krohne) bis zu 25 Prozent der Insassenschaft wegstarben. Die Entlassungen erfolgten — könnte man sagen — statt in die Freiheit, schon vor Ablauf der Strafzeit auf den Friedhof. Erst mit Zunahme der gesundheitlichen Verbesserung der Anstalten und der Einführung der kurzen Strafen erfolgten die Massenentlassungen. Und nun dämmerte langsam der Gedanke des Schutzes der menschlichen Gesellschaft vor dem Rückfall auf. Man fragte sich, was man in den Anstalten mit den Leuten anfangen solle, damit sie später nicht wieder neue Verbrechen begingen. So entwickelte sich die Spezialprävention, die aus kleinen Erkenntnisfunken heraus, allmählich zu einem immer stärkeren Lichte wurde und nach und nach das ganze Anstaltswesen zu durchdringen begann. Diese Entwicklung — heiß umstritten wie alle großen Menschheitsentwicklungen — ist nun nach langen Schwankungen, nach Vorstößen und Rückschlägen aller Art, zu einem sieg-

61 reichen Abschluß gekommen. D i e s e n A b s c h l u ß bedeuten: die R e i c h s r a t s g r u n d s ä t z e . Ich nehme an, daß die Reichsratsgrandsätze in ihrem Grundcharakter Ihnen allgemein bekannt sind. Es ist deshalb — glaube ich — nicht nötig, in eine ausführliche Beweisführung darüber einzutreten, daß sie mit Recht „Erz i e h u n g s - S t r a f v o l l z u g " getauft sind; sie sind von Anfang bis zu Ende edukatorisch getränkt. Diese Tatsache läßt sich nicht leugnen und ist auch nicht geleugnet worden. Wenn auch mit ausdrücklichen Worten nirgends zu einer Strafrechtstheorie Stellung genommen ist (das Wort „Vergeltung", „Sühne", „Buße" ist an keiner Stelle — auch nicht in abgeschwächter Form — erwähnt), so muß das Vergeltungsprinzip für den Strafvollzug als abgelehnt betrachtet werden. Der entscheidende § 48 faßt klipp und klar den Zweck des Strafvollzugs in dem Lapidarsatz zusammen: „Durch den Vollzug der Freiheitsstrafe sollen die Gefangenen, soweit es erforderlich ist, an Ordnung und Arbeit gewöhnt und sittlich so gefestigt werden, daß sie nicht wieder rückfällig werden". Also der Resozialisierungsgedanke, der in den alten Bundesratsgrandsätzen von 1897 noch fehlte, ist klar durchgedrungen. Es gilt — um das schöne Wort des Altmeisters Krohne zu gebrauchen — die Sozialmachung der gefangenen Menschen. Dieser Zentralgedanke ist im ganzen Werk überall verankert. Nur ein paar Stichproben: § 9: Die Strafanstaltsbeamten sollen pädagogisch und psychiatrisch vorgebildet sein. § 49: Eine menschliche Behandlung soll stattfinden. Die Pflege des Ehrgefühls wird ausdrücklich vorgeschrieben mit den Worten: „Das Ehrgefühl der Gefangenen ist zu schonen und zu stärken". § 139: Bei den Hausstrafen sind Fesselungsstrafe, Dunkelarrest, Prügelstrafe weggefallen. § 54 spricht von dem Vertrauensverhältnis, das zwischen Beamten und Gefangenen sich bilden soll. § 69: Die Selbständigkeit und Verantwortung bei der Arbeit ist in steigendem Maße zu gewähren, ein Ausfluß des pädagogisch so bedeutsamen Gedankens: Erweckung mittätigen Verhaltens bei den Gefangenen. § 106: Die Bildungsfürsorge: Allen Gefangenen mit mehr als drei

62 Monaten, die noch nicht 30 Jahre alt sind, gegebenenfalls auch älteren Gefangenen, ist Unterricht zu erteilen. Der Unterricht hat sich auch auf Staatsbürgerkunde und die wichtigsten Tagesereignisse zu erstrecken. Die überaus wichtige Institution der Beamtenkonferenz ist eingehend geregelt (§ 14): alle wichtigen Vorkommnisse und Beobachtungen, die für die Behandlung des Einzelnen von Vorteil sein können, sind zu besprechen. Diese ganze erzieherische Gesamteinstellung soll sich bei längeren Strafen auf der Grundlage des strafpsychologisch sich begründenden Progressivsystems aufbauen. Eine allmähliche Lockerung des Strafzwanges soll stufenweise eine wachsende Annäherung an die Lebensbedingungen der Freiheit schaffen und dadurch die Gefangenen freiheitsreif machen. Dieser Progressivparagraph (§ 130) ist die weithinragende Schlußkrönung des ganzen Werkes; er heißt wörtlich: „Bei längeren Strafen ist der Vollzug in Stufen anzustreben. Er soll die sittliche Hebung dadurch fördern, daß dem Gefangenen Ziele gesetzt werden, die es ihm lohnend erscheinen lassen, seinen Willen anzuspannen oder zu beherrschen. Der Vollzug in Stufen soll auf der Grundlage aufgebaut sein, daß der Strafvollzug je nach dem Fortschreiten der inneren Wandlung des Gefangenen seiner Strenge entkleidet und durch Vergünstigungen, die nach Art und Grad allmählich gesteigert werden, gemildert und schließlich so weit erleichtert wird, daß er den Übergang in die Freiheit vorbereitet". Das Reichsjustizministerium, das den Entwurf zu den Reichsratsgrundsätzen ausgearbeitet und durchgesetzt hat, hat eine wirkliche Kulturtat vollbracht. Der Herr Reichsjustizminister Radbruch, von Herrn Ministerialdirektor Bumke, dem Sitzungsleiter bei den ausschlaggebenden Beratungen, verständnisvollst unterstützt, hat sich durch diese geistige Vaterschaft ein glänzendes Verdienst erworben. So wie vorstehend geschildert, urteilen die Anhänger der neuen Schule. Wie steht es mit der alten Schule? Man muß die Frage aufwerfen: Ist der alte Streit zwischen Vergeltung und Erziehung seit dem 7. Juni 1923, dem Geburtstage des neuen Reformwerkes, endgültig ausgetragen?

63 Man würde sich meines Erachtens schwer täuschen, wenn man die scheinbare Ruhe, die bis jetzt herrscht, für völlige Waffenstreckung hielte. Angriffe in Wort und Schrift sind bis jetzt, soweit ich sehe, jedenfalls in der großen Öffentlichkeit noch nicht erfolgt, aber die Neugestaltung unseres Strafvollzugs wird leider von einem großen Teile unseres Volkes mißtrauisch, ja wenn nicht gar feindselig betrachtet, vom einfachen Mann an durch alle Schichten hindurch bis zu Vertretern höchster Staatsstellungen. Diese Tatsache ist von tief einschneidender Wichtigkeit; wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen. Der Standpunkt der Gregner dürfte so zu formulieren sein: Es solle trotz mannigfacher Bedenken anerkannt werden, daß durch die Pflege des systematisch ausgebauten Erziehungsgedankens in Gefangenenanstalten vielleicht namhafte Erfolge erzielt und ein beträchtlicher Teil der Insassen in seiner Gesamtpersönlichkeit vervollkommnet werden könne. Aber was sei, von einer höheren Warte aus betrachtet, damit erreicht? Doch nur der Zweck der Spezialprävention. Aber die Spezialprävention sei nur die eine Hälfte des großen Verbrecherbekämpfungsproblems, die andere Hälfte heiße Generalprävention. Was nütze letzten Endes für das Gemeinwohl die ganze Spezialprävention, wenn durch die neue Art der Yerbrecherbehandlung, nämlich die edukatorische Methode, der Übelcharakter der Strafe ausgehöhlt und damit die generalprävenierende K r a f t der Strafe durch den Strafvollzug zerstört werde. Der Staat habe die menschliche Gesellschaft zu schützen. Welches Unding würde es sein, wenn aus einer Erziehungsstrafanstalt vielleicht hundert Menschen jährlich tatsächlich gebessert entlassen und keine Verbrechen mehr begehen würden, dafür aber infolge der bei der Allgemeinheit geschwächten Hemmungsvorstellungen zweihundert Personen im Publikum anfangen würden, zu delinquieren? Also e i n G e w i n n auf Konto Spezialprävention und dafür d o p p e l t e r V e r l u s t auf Konto Generalprävention. Das wäre nicht nur eine Immoralität des Staates, der durch Verwässerung des Strafvollzugs schwache Gemüter zu Falle bringt, anstatt sie durch nachdrückliche

64 Warnungen zu schützen, sondern auch kriminalpolitisch ein sehr schlechtes Geschäft. Der Verlust wäre ja doppelt so groß wie der Gewinn. Wir stehen hier vor der Kardinalfrage. Hier ist die Stelle, genau hier, wo der Entscheidungskampf zwischen der alten und neuen Richtung geschlagen werden muß. Wenn es den Anhängern der neuen Schule nicht gelingt, hier eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen, wird es nie zu einem wahren Frieden kommen. Die Reichsratsgrundsätze werden alsdann nur einen staatlichen Machtspruch darstellen, der befiehlt, aber nicht überzeugt. Die Folge wird sein, daß die ausführenden Organe, die der älteren Richtung angehören, zu einer Art passiver Resistenz neigen werden, die auf denjenigen Verwaltungsgebieten besonders gefährlich ist, wo ein großes diskretionäres Ermessen obwaltet, wie gerade beim Strafvollzug. Ich bitte deshalb, meine Damen und Herren, um besonderes Gehör. Ich muß zugeben, daß allerdings eine Schuld der neuen Schule vorliegt, eine Unterlassungssünde. Die gewichtige Materie der Generalprävention ist von den Gefängnisreformern in Wort und Schrift von jeher vernachlässigt worden; mehr noch: es scheint, daß das ganze Problem für sie so gut wie garnicht existiert hat. Wer die deutsche Gefängnisliteratur kennt — sie zählt nach Tausenden von Schriften — wird mir zustimmen. Der Grund, warum leider das Verhältnis der Strafvollzugshumanisierung zur Generalprävention von den Gefängnisreformern nicht untersucht worden ist, sondern weshalb ihr Blickfeld gleichsam eingeengt blieb auf die Person des Täters, hängt in der Hauptsache damit zusammen, daß seit Beginn tieferer Gefängnisreformbestrebungen in Deutschland, also seit einem Menschenalter und mehr, die ganze Forschungskraft durch zwei Probleme aufgezehrt zu sein scheint, deren befriedigende Lösung eine Art Existenzfrage für sie war. Die Charakterologie der früheren Zeit behauptete nämlich einmal, daß die Gefängnisbevölkerung prinzipiell als ein Abschaum der Menschheit zu betrachten und daß ferner jede Besserungsmühe bei ihnen umsonst sei, wie ja schon Schopenhauer die Unabänderlich-

65 keit des Charakters behauptet habe. Heute wissen wir, daß die Verbrecher in ihrem Schlechtigkeitsgehalt nur graduell von andern Menschen verschieden sind und daß die menschliche Persönlichkeit keine konstante Größe ist, sondern im Flusse der Entwicklung steht und deshalb auch der Verbrecher bei richtiger Menschenbehandlungskunst zum Guten beeinflußt und umgeformt werden kann. Es hat aber theoretisch und praktisch einer unendlichen Mühe von Einzeluntersuchungen an bis zu grundlegenden Werken bedurft, um die alte Charakterologie zu widerlegen und die neue Menschenauffassungsweise wissenschaftlich zu begründen. Daher erklärt sich die gewisse edle Einseitigkeit, in die die Anhänger der Spezialprävention notgedrungen verfallen sind. Wie steht es aber nun mit der Frage der Generalprävention ? Zunächst muß festgestellt werden, daß über dem ganzen Problem der Generalprävention ein gewisses Dunkel lastet; es ist wissenschaftlich noch so gut wie garnicht erforscht. Es gibt trotz des hohen Alters und der großen Wichtigkeit des Massenabschreckungsphänomens noch keine Spezialliteratur darüber. Es ist mir auch noch niemals ein Werk zu Gesicht gekommen, das systematisch von Anfang bis zu Ende die Strafwirkung auf die Gesamtheit untersucht. Die Lücke ist schmerzlich; sie erklärt sich wohl so, daß die Juristen bekanntlich niemals besondere Lust und wohl auch nicht die Fähigkeit zu rein psychologischen Untersuchungen gehabt und die Fachpsychologen sich offenbar an dieses fremdartige Gelände, das ihnen mehr als Juristendomäne erschien, nicht herangetraut haben, so sehr ihre Untersuchungsmethoden auch in der Neuzeit sich verfeinert haben. Ich brauche nur den Namen William Stern zu nennen. Die Situation ist infolgedessen so, daß man mangels verstandesmäßiger Aufhellung in der Frage gewissermassen auf Instinkturteile angewiesen ist. Zunächst wird soviel zu sagen sein, daß die generalprävenierende Wirkung der Strafgesetze auf die Massenpsyche nicht überschätzt werden darf. Die Kausalität menschlichen Handelns ist sehr kompliziert, ein vielverschlungenes Produkt individueller und soziologischer Fak5

66 toren in Strömung und Gegenströmung. Der Straffurchtfaktor wirkt nach Individuum und Milieu sehr verschieden, bald viel, bald wenig, bald ganlicht. Schon die Internationale Kriminalistische Vereinigung hat in ihrem Gründungsprogramm 1889 grundsätzlich sehr richtig darauf hingewiesen, daß zur Verbrechensbekämpfung die Strafe nur ein Mittel im System der gesamten Mittel (Prophylaxe usw.) sei; man überschätze sie also nicht. Die Abschreckungstheorie hat im Mittelalter ihre stärkste Durchführung gefunden und ist in der Carolina bekanntlich auf ein Höchstmaß gegangen. Die Leibes- und Lebensstrafen waren so grausam wie möglich. Aber trotzdem, die Rechtsunsicherheit blieb so groß, daß ganze Landesdistrikte in ihrem Handel und Wandel durch Räuberbanden gelähmt wurden, worüber wir zahlreiche Nachrichten besitzen. Die Kriminaljustiz hat nur untergeordnete Wirkung bei der Abschaffung dieser Zustände gehabt. In der Hauptsache hing die Veränderung des kriminellen Gesamtbildes universell mit den Fortschritten der ganzen Kulturentwicklung zusammen. In der Neuzeit springt besonders ein Moment hervor: Die Furcht vor dem Strafparagraphen ist immer abhängig gewesen von der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit, daß die Drohung auch realisiert wird, mit andern Worten, daß der Tat auch wirklich die Strafe folge. Die Zahl der abgeurteilten Straftaten ist, wie die Kriminalstatistik zeigt, sehr groß, aber im Verhältnis zur Totalität der begangenen Verbrechen ist sie doch nur eine Handvoll aus einem großen Eimer. Die Polizeiakten zeigen, welche Berge von Strafmeldungen aller Art erfolglos bleiben müssen und garnicht reif werden zur Weitergabe an das Gericht, wobei noch unberücksichtigt bleibt, welch ungeheure Zahl von Delikten überhaupt nicht entdeckt und jedenfalls nicht angezeigt wird. Mittelstaedt hat j a schon vor Jahrzehnten gesagt: von dem massenhaften Verbrechensstoff komme nur ein geringer Bruchteil vor Gericht. Ahnliche Urteile lassen sich aus der Literatur zahlreich beibringen. Staatsanwalt Langner sagt, daß die Statistik ein Torso sei, die keine Ahnung habe von der Größe des ganzen Gebildes. Aber immerhin

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die Tatsache bleibt trotz alledem: die Generalprävention ist immer eine Macht, mit der ernstlich gerechnet werden muß, und wer daran zweifelt, den braucht man nur zu fragen, wie es wohl in Hamburg heute Nacht aussehen würde, wenn die Polizeidirektion für 8 Tage ihren Dienst einstellte und alle Verbrechen straffrei bleiben würden. Man muß deshalb daran festhalten, daß die Staatssicherheit ohne Greneralprävention nicht gewährleistet ist. Man hat gesagt, daß schon die jetzige Freiheitsstrafe keine Strafe mehr sei und deshalb nicht mehr generalprävenierend wirke. Diese Behauptung ist schon älteren Datums; ich habe sie nicht recht verstanden. Soll wirklich im Volke keine Angst mehr vor Schloß und Riegel sein ? Was tun denn die Gesetzesübertreter nicht alles, um sich der Strafe zu entziehen! Gehen Sie mal im Geiste das ganze Kaleidoskop durch. Nach der Tat suchen sie alle Spuren zu verwischen. Sie flüchten. Wie oft kommt es vor, insbesondere bei Schwerverbrechern, daß sie den Polizisten mit kaltem Blut niederschlagen und lieber dafür den Henkerblock riskieren, als gefänglich eingezogen zu werden. Wenn Untersuchungshaft verhängt ist, zerquälen sie sich Tag und Nacht den Kopf, wie sie selbst dieser mildesten Form der Freiheitsentziehung zu entgehen vermögen. Sie versuchen Beamtenbestechungen, bringen hohe Kautionen zusammen usw. Wenn sie verurteilt werden, betteln sie um bloße Geldstrafe oder wenigstens bedingte Strafaussetzung. Wenn sie in die Anstalten eingeliefert sind, kommt die Flut der Begnadigungsgesuche, ein Wiederaufnahmeverfahren nach dem andern wird betrieben und dafür oft der letzte Groschen beim Rechtsanwalt geopfert. Bei der Anstaltsleitung bitten sie um Hafterleichterungen aller Art. Der Arbeitszwang wird vielfach so hart empfunden, daß erst vor einigen Wochen ein Anstaltsarzt einen besonderen Strafparagraphen vorgeschlagen hat für Fälle vorsätzlicher Selbstbeschädigung und dabei sogar auf einen Fall hingewiesen hat, wo ein Gefangener im Lazarett sich vorsätzlich Trippergift in die Augen eingeführt hat, um sich der Arbeit zu entziehen. Nützt das alles nichts, dann fangen die Entweichungen an; Hals und 5*

68 Beine werden riskiert, um an einer dünnen Wäscheleine aus dem vierten Stockwerk sich herunterzulassen. Bei Überführungen in andere Anstalten wird oft aus Eisenbahnzügen in voller F a h r t herausgesprungen. Selbst bei Außenkommandos, wo nur ein geringer Strafrest noch in Frage kommt, flüchten sie dicht vor den Karabinermündungen und müssen oft an- oder niedergeschossen werden. Lieber tot, als in die Anstalt zurück. Man bedenke ferner in den Anstalten die seelischen Druckzustände durch das Übel der Haft, Selbstmorde und Selbstmordversuche, wobei es nur an Mangel an Giften, Revolver und Wasser liegt, daß die verzweifelte Stimmung nicht öfter tötlich endet. Schließlich die Haftpsychose, jene Erscheinung, die so recht zeigt, daß die Freiheitsstrafe bis zum völligen geistigen Zusammenbruch führen kann und vielfach auch führt. Und da soll Strafe nicht mehr Strafe sein? Wenn man einwenden wollte, ich zeichnete nur die krassesten Fälle, so ist dagegen zu sagen, daß unter der obersten Stufe der Leiter noch die sonstigen Stufen liegen, die mehr oder weniger Annäherungswerte an das von mir geschilderte Maximum enthalten. Was nun den Einwand betrifft, daß man in Anstalten gleichsam als unterste Stufe der Leiter auch Fälle finde, wo Gefangene sich bei der Strafe vollkommen gleichgültig verhielten und sogar mitunter nicht wieder herauswollten, so muß man sagen, daß bei einem Teil der Fälle angesichts einer solchen unnatürlichen Unempfindlichkeit gegen die Strafe Schwachsinn oder schwachsinnsähnliche Zustände obwalten, die schon in das Gebiet der Psychiatrie gehören, oder daß es Leute sind, die körperlich so dekrepide sind, daß sie eigentlich als armenanstaltsbedürftig angesehen werden müssen und daß ihnen gegenüber weniger sittliche Entrüstung als soziales Mitgefühl am Platze ist. Daß der von mir geschilderte Standpunkt sich nicht nur auf die größeren Strafen bezieht, sondern daß gefängliche Einziehung auch bei kürzeren Strafen als Übel empfunden wird, dazu kann ich mich auf die Erfahrungen berufen, die im Preußischen Justiz-Ministerial-Blatt Jahrgang 1890 niedergelegt sind, und wo es anläßlich einer Enquete über die

69__ Freiheitsstrafen ausdrücklich heißt, daß die Klagen über die „Unwirksamkeit der kurzen Freiheitsstrafen vielfach von Stellen ausgehen, welche mit der praktischen Strafrechtspflege und den wirklichen Zuständen in unsern Gefängissen nicht hinlänglich vertraut sind. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung scheut sich auch vor der kürzesten Gefängnisstrafe und wird nach Erduldung einer solchen sich vor einer neuen Bestrafung nach Kräften hüten. Dies zeigt sich bei der praktischen Bearbeitung der Strafsachen und insbesondere der Begnadigungssachen". Nun könnten die Gegner einwenden, die bisherigen Strafen seien vielleicht noch ein Übel gewesen, aber die neuen Erziehungsstrafen, wie sie die Reichsratsgrundsätze geschaffen, würden nicht ernstlich empfunden werden und der Respekt vor der Strafe würde bis zum völligen Nullpunkt kommen. Außerdem sei es eine juristische Ungeheuerlichkeit, daß de facto der Unterschied zwischen einem Fürsorgeerziehungsbeschluß und einem rechtskräftigen Strafurteil verwischt würde. Darüber, was das Parallelbild von Fürsorge und Strafe betrifft, nachher näheres. Zunächst die Ubelsfrage selbst in ihrem Verhältnis zum neuen Strafvollzug. Da ist zunächst zu sagen, daß Strafanstalten mit Erziehungsstrafen nur f ü r deutsche Verhältnisse neu sind. In einem großen Teil der übrigen Welt bestehen sie seit vielen Jahrzehnten, ohne angefochten zu werden, von den skandinavischen Staaten an, über Österreich bis nach Ungarn, Kroatien und Italien hinunter, teilweise sogar mit industriellen und landwirtschaftlichen Zwischenanstalten. Uber Nordamerika ist, wie Sie aus den vortrefflichen Schriften von Freudenthal wissen, ein ganzes Netz von Reformatories ausgebreitet. Ich habe sowohl in Deutschland und insbesondere auf meinen Reisen in vielen Ländern Europas an Fachmänner und Laien die Frage gestellt, ob darch die Humanisierung ihres Strafvollzugs das Strafgesetzbuch entkräftet und der Präventionsgedanke beeinträchtigt würde. Ich kann folgendes Fazit aus den Unterredungen ziehen: Die modernen Institutionen hätten sich bewährt, die Gefängnisinsassen ertüchtigten körperlich und geistig. Trotz-

70 dem werde die Strafzeit von den Insassen als Übel empfanden und auch außerhalb der Anstalt vom Publikum als Übel anerkannt. Die Sensibilität in Bezug auf das Gut der Freiheit sei hoch entwickelt. Es sei ein völkerpsychologisches Gesetz, daß ein Volk die Freiheit umso höher schätze, je kultivierter es sei. Milde Internierungen — das sei der entscheidende Gesichtspunkt — wirkten jetzt schon so empfindlich wie früher in Zeiten einer größeren Seelenstumpfheit Freiheitsverluste mit stärkerem Entbehrungsinhalt. Alles dies paßt auch auf deutsche Verhältnisse. Denn die Komponenten der menschlichen Psyche bleiben sich jedenfalls in den europäischen Kulturstaaten in der Hauptsache gleich. Was nun die Frage anlangt über die Vermischung von Fürsorge und Strafe, so möchte ich aus meiner Erfahrung folgendes sagen. Als ich vor einigen Monaten im Bereich des Strafvollzugsamts Berlin in einigen Anstalten das progressive System einzuführen begann — es hat sich nach allgemeinem Urteil der mitwirkenden Beamten vorzüglich bewährt —, da hielt ich es für richtig, etwaigen Skrupeln von vornherein entgegenzutreten und besichtigte deshalb mit meinen Herren einige staatliche Erziehungsanstalten vor den Toren Berlins. Nach unserer Rückkehr war jeder Zweifel geschwunden, daß die Strafhäuser durch ihre Reform dahinkämen, ein Abbild der Fürsorgeerziehungsanstalten zu sein. Ich will kurz skizzieren, was wir sahen: die Anstalten lagen da ohne Ringmauern und eiserne Tore, die Fenster waren ohne Gitter, Beamte gingen umher ohne jede Bewaffnung, sie hatten weder Seitengewehr, noch Karabiner. Wir wanderten durch weitgestreckte Gelände. Alle Zweige landwirtschaftlicher Tätigkeit wurden von den Zöglingen ausgeübt, alles war da, von der Kuhweide bis zum Bienenstock. Was sahen wir im Anstaltsgebäude selbst? Überall große helle Arbeitsräume wie in freien Fabriken. Man zeigte uns ein besonderes Lesezimmer mit Zeitungen aller Art. Am See lag eine Schwimmanstalt. Auf dem Sportplatz war man gerade beim Fußballspiel. Eine besondere Festhalle war vorhanden f ü r Anstaltsfestlichkeiten, für Gesang, Tanz und Spiel, auch eine Bühne,

71 auf der von Zeit zu Zeit Theater gespielt wird. „Minna von Barnhelm" wurde zuletzt gegeben; Beamtentöchter hatten mitgewirkt. Ferner sahen wir eine Anstaltszeitung, in welcher Zöglinge unzensuriert ihre Artikel schreiben durften, darunter auch kritische Artikel über Anstaltsangelegenheiten. Ausflüge wurden gemacht, beispielsweise nach dem Zoologischen Garten. Ausgang wurde auch ohne Aufsicht gegeben für Theaterbesuch und sehr häufig, zum Teil alle 8 Tage, zu den Eltern in die Stadt. Welch ein Abstand nun von einer solchen modernen Erziehungsanstalt zu einer Erziehungsstrafanstalt? Machen Sie sich doch nur eine Anschauung: Mauern ringsum, bewaffnete Beamte, nachts mit Wachthunden, Traillen vor den Fenstern, strenge Abschließung von dem Verkehr mit der Außenwelt, eine Hausordnung, die nach dem Glockenschlag die ganze Lebensweise unter Zwang stellt und regelt und den freien Willen an allen Ecken und Enden unter Androhung von Disziplinarstrafen aller Art von morgens bis abends empfindlichst beschränkt. Und erst in dieses Strafhausleben hinein, gleichsam wie in eine eiserne? Flasche das größtmögliche Maß von pädagogischer Atmosphäre gepumpt durch das Progressivsystem, um die Psyche der Gefangenen aus der erzieherisch wertlosen Monotonie zur Aktivität in den verschiedensten Formen zu bringen. Wie zahlreich diese Formen glücklicherweise trotz aller Eingegrenztheit bei der richtigen Hingabe sein können, hat für Hamburg das vortreffliche Buch von Herrmann und Bondi über das Jugendgefängnis in Hahnöfevsand gezeigt. Und daß die Gefängnisverwaltung in Thüringen in edlem Wettbewerb mit Hamburg steht, ist j a bereits rühmlichst bekannt. Um es zusammenfassend noch einmal zu sagen: in den Erziehungsanstalten eine große Summe von Freiheitsrechten, in den Erziehungsstra fanstalten nur ein Prozentsatz, wobei insbesondere der wichtige Unterschied besteht, auf den ich namentlich hinweise, daß in Erziehungsanstalten die Wohltaten in ihrem ganzen Komplex von selbst zufallen, während die Gefangenen im Straferziehungshaus sie sich erst Stufe für Stufe durch Wohlverhalten erwerben müssen,

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nachdem sie in der Anfangsstufe eine geraume Frist hindurch den vollen Strafernst ohne Vergünstigungen gefühlt haben. Wenn man irgendwo in einem Lande oder Ländchen in Deutschland einen Unterschied zwischen Erziehungshaus und Erziehungsstrafhaus nicht wahrnehmen sollte, so liegt das nicht daran, daß das Erziehungsstrafhaus zu milde ist, sondern vielmehr daran, daß das Erziehungshaus gefängnismäßig gestaltet und deshalb grundsätzlich fehlerhaft ist, also abgeändert werden muß. Nach alledem stehen meines Erachtens, aller Skepsis zum Trotz, die Reichsratsgrundsätze gerechtfertigt da, sie sind eine gesunde Schöpfung, auf welche die junge Republik stolz sein kann; sie ist auch insofern fruchtbar, als sie auch eine reiche Entwicklungsmöglichkeit in sich trägt. Ich komme nun zum Schluß meines Vortrags. Ich habe mich bemüht, nur große Linien zu geben. Ich habe mich, wie ich anfangs sagte, nicht in Detailuntersuchungen eingelassen; ich habe nur die Grundfragen geprüft, gewissermaßen die Fundamente, auf dem der ganze Bau steht. Ich muß um Nachsicht bitten, wenn ich stellenweise mich vielleicht etwas zu sehr theoretisch vertieft habe. Aber anläßlich der großen Neuordnung sind diese grundlegenden Fragen von Spezial- und von Greneralprävention wieder brennend geworden, und sie mußten aufgerollt werden zur Sicherstellung der Reichsratsgrundsätze gegen Angriffe prinzipieller Art. Einige Sondermaterien muß ich aber noch kurz besprechen. Es sind solche Sondermaterien, die von besonderer Wichtigkeit sind, weil sie sich auf die Gesamtheit des Reformwerkes beziehen; sie sind, soviel ich sehe, bisher noch wenig behandelt worden. Die Reichsratsgrundsätze sollen die entscheidende Vorarbeit darstellen zu einem Reichsstrafvollzugsgesetz, das seit der Reichsgründung, also seit mehr als einem halben Jahrhundert angestrebt, aber bisher immer wieder durch Hemmungen verschiedener A r t vereitelt worden ist. Die Frist bis zur gesetzlichen Festlegung soll nun benutzt werden zu einer möglichst reichen Orientierung über das neue Straf-

73 vollzugsbild, das durch die jetzige Reform in den verschiedenen Ländern Deutschlands hervorgerufen wird. Im Dienste dieses Zwecks sind nun zwei Maßnahmen angeordnet, nämlich eine alljährliche Statistik und ferner eine Offenlegung der Ausführungsbestimmungen, insbesondere der Dienst- und Vollzugs-Ordnungen, durch welche die einzelnen Länder die Direktiven der .Reichsratsgrundsätze in die Praxis übergeführt haben. Beide Vorschriften sind vortrefflich. Eine eigentliche Reichsaufsicht in Sachen des neuen Strafvollzugs besteht bekanntlich nicht, aber es ist Vorsorge getroffen, daß die mühsam errungene Einheitlichkeit unseres Strafvollzugs gewährleistet wird. Nach der ersten Vorschrift soll, wie es wörtlich heißt, über den Vollzug der Freiheitsstrafen alljährlich eine Statistik nach einem von dem Reichsminister der Justiz zu bestimmenden Muster aufgestellt werden. Ich möchte nun ans Herz legen, daß diese Statistik nicht nur eine Form bleibe, so wie das bis jetzt bei vielen Strafanstaltsstatistiken in Deutschland war, sondern daß voller Ernst gemacht wird. Die Statistik muß tatsächlich ohne bürokratische Reserve freimütig einen erschöpfenden Einblick in alle Hauptzweige der gesamten Anstaltstätigkeit geben, damit man ein Vollbild davon erhält, was sich hinter den Mauern bei Menschen und Dingen vollzieht. Wir haben dann einen Prüfstein, ob wirklich allenthalben in dem G-eiste gearbeitet wird, aus dem heraus die neue Reform geschaffen ist. An der Spitze der deutschen Statistiken haben bekannterweise stets die preußischen Publikationen gestanden. Es ist nun vor einigen Jahren unter Leitung von Herrn Staatssekretär Fritze, unserem verehrten Vorstandsmitglied, im Preußischen Justizministerium ein neues Modell für eine Strafanstaltsstatistik ausgearbeitet worden. Es sind dabei alle europäischen Strafanstaltsstatistiken, deren man habhaft werden konnte, zu Rate gezogen worden. So stellt sich dieses Modell als sehr beachtlich dar. Es sind eine Fülle von Fragen gestellt, und dabei doch nach Tunlichkeit ein weises Maß gehalten. Es sind im ganzen 20 Frage-

74 _ bogen. Um einen Überblick zu geben, nenne ich nur die Titel: 1. Allgemeine Verhältnisse der Anstalt und Unterbringungsräume. 2. Beamtenpersonal. 3 a. Belegung der Zuchthäuser. 3 b. Belegung der Gefängnisse. 4 a. Bewegung des Gefangenenbestandes (Zuchthäuser). 4 b. Bewegung des Gefangenenbestandes (Gefängnisse). 5. Zuchthaus- und Gefängnisvorstrafen der Zuchthaus- und Gefängnisgefangenen mit mindestens einjähriger Strafe. 6. Disziplinarstrafen (Art und Höhe, Grund, Fesselung als Sicherungsregel). 7. Entweichungen und gerichtliche Bestrafungen wegen Straftaten, die während der Haftzeit begangen sind. 8. Briefwechsel, Besuche und schriftliche Beschwerden. 9. Seelsorge. 10. Schulunterricht. 11. Bücherei. 12. Verpflegung. 13. Krankheitsfälle und Sterblichkeit (Selbstmorde, Selbstmordversuche). 14. Tuberkulose. 15. Geistige Erkrankungen (Überführung in Irrenanstalten). 16 a. Arbeitsbetrieb in den Zuchthäusern. 16 b. Arbeitsbetrieb in den Gefängnissen. 17. Arbeitszweige der für Staats- und Reichsbehörden tätigen Gefangenen. 18. Arbeitszweige der f ü r Private tätigen Gefangenen. 19. Arbeitsertrag. 20. Begnadigungen, vorläufige Entlassungen, bedingte Strafaussetzungen, Fürsorge bei der Entlassung. Sie sehen also, daß diese Statistik nicht nur den Strafvollzugspraktikern, sondern auch Angehörigen der verschiedensten Berufe, Nationalökonomen, Medizinern, Pädagogen usw. wertvolles Material bietet. Ich möchte deshalb anheimstellen, daß das Reichsjustizministerium bei der Aufstellung seiner Fragebogen das preußische Modell weitestgehend berücksichtigt. Einzelne Fragebogen dürften auf Grund der neuen Reichsratsgrundsätze insbesondere bezüglich des Progressivsystems noch beizufügen sein. Diese Statistiken dürfen aber nach ihrer Fertigstellung nicht etwa bei den Generalakten liegen bleiben, sondern müssen allgemein zugänglich gemacht werden, damit über die Zunftkreise hinaus auch die Strafrechtswissenschaft dieses lehrreiche Material in die Hände bekommt. Aber auch Parlament und Presse dürften befruchtende Anregungen aus ihnen erhalten.

75 An zweiter Stelle interessieren dann die Dienst- und Vollzugs-Ordnungen, die die einzelnen Länder auf Grund der Reichsratsgrundsätze für ihren Amtsbereich zu erlassen haben; sie sind wichtig zu der Feststellung, ob die Reichsratsgrundsätze tatsächlich in die Wirklichkeit umgesetzt sind. Der Konservativismus ist im Strafvollzug bekanntermaßen von jeher sehr groß gewesen. Die Interpretation kann deshalb sehr verschieden arbeiten, im hemmenden oder fördernden Sinne. Die Dienst- und Vollzugs-Ordnungen sind aber nicht nur für die Reichsregierung von Interesse. Es ist gut, daß eine austauschweise Zusendung zwischen den einzelnen Regierungen angeordnet ist; so können sie alle von einander lernen und sehen, welche vielfältigen Möglichkeiten auch abseits von der eigenen Tradition liegen. Das gilt von Haupt- und von Nebenfragen, vom progressiven System, wo beispielsweise Württemberg das grundsätzlich und wegen seiner Entwicklungsfähigkeit wichtige ObmännerInstitut für Gefangene unter gewissen Voraussetzungen eingeführt hat, — in Thüringen sogar darüber hinaus mit einem gewissen Vorschlagsrecht der Gefangenen — bis zu den Vergünstigungen, denen gegenüber das eine Land sich darauf beschränkt, nur an einem hohen Feiertage ein Liebespaket zuzulassen, während in andern Ländern, wie beispielsweise hier in Hamburg, die Erlaubnis für Weihnachten, Ostern und Pfingsten gleichmäßig gilt und Bayern bei guter Führung die Zahl der Liebespakete sogar auf 6 mal im J a h r erhöht hat, — Vergünstigungen, die vielleicht an sich nur geringfügig erscheinen können, die aber angesichts der Eigena r t des Anstaltslebens und der besonderen Sträflingsbedürfnisse von großem Belang sind, schon deshalb, weil durch Addition von solchen Abweichungseinzelheiten in den Dienstordnungen eine Verschiebung im gesamten Gefangenenbehandlungsbild eintritt. Es dürfte sich deshalb empfehlen, von diesen Dienst- und Vollzugsordnungen eine tabellarische Ubersicht in vergleichender Darstellung zu geben, in welcher Art von Land zu Land dieselben Materien behandelt werden. Eine solche vergleichende Darstellung müßte alsdann auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,

76 die bekanntlich allen Strafvollzugsfragen ja ein immer mehr steigendes Interesse zuwendet. Es ist das Verdienst einer süddeutschen Strafvollzugsordnung, zuerst in Deutschland und vielleicht wohl überhaupt zum ersten Mal auf die Bedeutung der öffentlichen Meinung in Bezug auf den Strafvollzug hingewiesen zu haben, indem sie in ihrer Dienstordnung eine Mahnung an die Beamten richtet, „daß sie sich bei ihrer Amtstätigkeit immer bewußt bleiben sollen, daß der Strafvollzug bei seiner entscheidenden Wirkung auf die Gefangenen in besonderem Maße dem Urteil der öffentlichen Meinung ausgesetzt sei und deshalb von den mit seiner Durchführung betrauten Beamten besondere Treue und Gewissenhaftigkeit und peinlich genaue Beachtung aller Vorschriften verlange". Meine Damen und Herren! Ich stehe am Ende meines Vortrags. Wieviel wertvolles Gut schon in den bisher erschienenen Straf- und Vollzugs-Ordnungen enthalten ist, dafür möchte ich zum Schluß einen besonders schönen Beleg geben; ich möchte diesen Beleg deshalb besonders hervorheben und an den Schluß meiner Ausführungen stellen, weil sein Inhalt ganz dem Geiste entsprungen ist, in dem die Reichsratsgrundsätze verstanden und verwirklicht werden sollen. In der bayerischen Dienstordnung heißt es: „Die S t r a f a n s t a l t s b e a m t e n s o l l e n n i e v e r g e s s e n , d a ß i h r D i e n s t sich n i c h t i n d e r B e a c h t u n g der V o r s c h r i f t e n e r s c h ö p f t , sondern daß sie ihrer höchsten Aufgabe, gefallene Menschen wieder e m p o r z u r i c h t e n , n u r dann g e r e c h t werd e n k ö n n e n , w e n n sie i h r e T ä t i g k e i t m i t d e m G e i s t e w a r m e r , a u s d e m H e r z e n k o m m e n d e r Menschen- und N ä c h s t e n l i e b e erfüllen".

A u s s p r a c h e ü b e r den 1. Y e r h a n d l u n g s g e g e n s t a n d : Geh. Justizrat Prof. Dr. F r e u d e n t h a l (Frankfurt) zur Geschäftsordnung: Die „Grundsätze" haben nicht weniger als 233 Paragraphen in 12 Abschnitten. Ich halte es daher für zweckmäßig, daß, bevor wir auf Einzelheiten eingehen, über das Ganze der Grundsätze eine Erörterung stattfindet. Ich würde deshalb bitten, zunächst eine Generaldebatte ins Auge zu fassen. Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer (Leipzig) eröffnet hierauf nach Zustimmung der Versammlung die Generaldebatte. Geh. Justizrat Prof. Dr. Freudenthal (Frankfurt): Auch in der Debatte dürfte es, wie es in den ausgezeichneten Referaten geschehen, richtig sein, anzuerkennen und zu danken, bevor man kritisiert und fordert. Wir haben gegenüber den „Grundsätzen", die zur Beratung stehen, recht viel Anlaß zum Dank. Erfreulich im G a n z e n ist der gute Geist, der in ihnen steckt, im wesentlichen also der Geist des früheren Reichsjustizministers, unseres Kollegen R a d b r u c h , und des Herrn Ministerialdirektor Dr. B u m k e. Ich glaube, ihnen gebührt unser Dank in allererster Linie. Im E i n z e l n e n finde ich erfreulich — um ganz weniges herauszugreifen — die Streichung des Minderarbeitslohnes für Zuchthausgefangene, und ich wünsche nur, daß sie festgehalten würde gegenüber einem Beschluß des Vereins der Deutschen Strafanstaltsbeamten, der die geringere Arbeitsvergütung für Zuchthausgefangene wiederherstellen will. Höchst erfreulich ist § 110, der die Fühlung des Gefangenen mit den Ereignissen der Außenwelt sicherstellt, ferner § 127, der das Schweigegebot einschränkt. Das leitet freilich schon hinüber zu der andern Seite der Sache, der Kritik: Er schränkt nämlich dieses Schweigegebot lediglich ein, sodaß dem B e l i e b e n der Hausordnung und der einzelnen An-

78 stalten ein weiter Spielraum verbleibt, während der Entwarf des Vereins Deutscher Strafanstaltsbeamter den Mut und die Energie gehabt hat, dieses Schweigegebot, das er kurzweg als zwecklos und undurchführbar, bezeichnet, völlig abzuschaffen. Damit bin ich bei dem Mangel, der mir die „Grundsätze" generaliter zu durchziehen scheint, — dem einzigen Mangel, den ich hier zunächst berühren möchte. Das Rechtsverhältnis Strafvollzug, d. h. das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Gefangenen, das sich in bestimmte und klare Rechte und Pflichten beider Seiten auflöst, ist in den „Grundsätzen" nicht durchgebildet. Ich empfinde dankbar, daß starke Ansätze dafür vorhanden sind. Aber diese Ansätze sind nicht weit genug gediehen. Von dem ersten Herrn Referenten ist bereits gesagt worden, daß hier der Rechtsanspruch auf Vergütung der Gefangenenarbeit in erster Linie zu nennen ist. Diese Vergütung ist bisher immer noch ein reines Gnadengeschenk, und es lohnt sich, den § 79 der „Grundsätze" daraufhin anzusehen. Noch immer steht den Gefangenen hiernach ein Rechtsanspruch auf Auszahlung der Arbeitsbelohnung nicht zu. Sie wird vom Vorsteher der Anstalt festgesetzt. Gerade in diesem Punkte scheint mir die rechtsstaatliche Gestaltung des Strafvollzuges, d. i. der Anspruch auf angemessene Arbeitslöhne geboten. Es fehlt die rechtsstaatliche Durchbildung auch in Bezug auf die Haftart. § 43 der „Grundsätze" überläßt die Bestimmung der Haftart dem Vorsteher, und ganz unerträglich scheint mir zu sein, was in dieser Beziehung § 201 für die J u g e n d l i c h e n vorsieht. Es ist da ohne jede Beschränkung in das Belieben des Vorstehers gestellt, ob er einen Jugendlichen in Einzelhaft oder Zellenhaft nehmen will. Und wenn gleichsam als normales Höchstmaß der dem Vorsteher völlig freigegebenen Einzelhaft für Jugendliche 3 Monate festgelegt sind, so ist das zu viel. Ich glaube, es wird keine hundert Jahre dauern, bis man auf Einzelhaft von 3 Monaten für Jugendliche, d. h. auf ihre unausgesetzte Isolierung für drei Monate, zurückblicken wird, wie wir auf spa nische Stiefel.

79 Schärfungen und Begünstigungen sind wiederum den einzelnen Dienstordnungen in vollem Maße freigegeben. Es wird infolgedessen möglich sein, daß darin die größte Uneinheitlichkeit in Deutschland entsteht, die dadurch noch ärger werden kann, daß Delegationen an die einzelnen Vorsteher nicht ausgeschlossen sind. Hier ist Reichsgesetz ebenso nötig wie zur Begründung von Sicherungsmaßnahmen, unter denen ich nur eine, die Fesselung, nennen möchte, und von Hausstrafen. Ihre Zulässigkeit muß nach dem rechtsstaatlichen Prinzip doch eben auf Gesetz zurückgehen, ihre Anordnung im Einzelfall und ihre Dauer auf der Entscheidung einer unabhängigen Rechtsschutzinstanz sich aufbauen, d. h. auf dem Spruch eines Gerichtes oder gerichtsähnlichen Körpers, der die gleichen Garantien für Unabhängigkeit bietet wie ein ordentliches Gericht. Auch die Entziehung der Wahlfähigkeit für Gefangene, der aktiven wie der passiven, bedarf gesetzlicher Grundlage, und ich möchte mir erlauben, bei dieser Gelegenheit, entgegen der im Übrigen so ritterlichen Berichtigung Geheimrat S c h w a n d n e r s im letzten Heft der Blätter für Gefängniskunde, Folgendes festzustellen: Nie habe ich die Wahlfähigkeit für Gefangene verlangt, nicht aktive, nicht passive, sondern die Wahrung der Rechtsform, d. i. des Gesetzes, für die Entscheidung der Frage, ob sie diese Fähigkeit haben sollen. Um zusammenzufassen: Es ist das Rechtsverhältnis Strafvollzug in den „Grundsätzen" nicht durchgeführt, wenn auch angebahnt. Die „Grundsätze" sind ihrer Natur nach, — weil sie auf einer freien Vereinbarung von Regierungen beruhen, — nicht geeignet, ein Gesetz zu ersetzen; und darum können sie auch neue Eingriffe in die Rechte der Individuen nicht verhängen noch decken. Sie gehen hierin, wie ich glaube, in § 126 ff. schon einen Schritt zu weit. Die Gefangenen „haben sich" dessen und dessen zu enthalten, sie „dürfen" das und das nicht, es „ist ihnen verboten" usw.; das alles können die „Grundsätze" mit rechtsverbindlicher Kraft nicht vorschreiben. Das sage ich natürlich lediglich um der posisiven staatsrechtlichen Seite der Sache willen. Es ist drin-

80 gend nötig, die rechtliche Fundierung für alle neuen notwendigen Eingriffe zu schaffen. Die „Grundsätze" sind gewiß ein Schritt vorwärts auf unserem Wege. Das Ziel aber ist und bleibt der baldige Erlaß eines Reichsstrafvollzugsgesetzes. Professor Dr. E x n e r (Leipzig): Es hat mich sehr interessiert, daß der Praktiker F i n k e l n b u r g das starke Bedürfnis fühlt, sich in seinem Referat zunächst mit einer rein theoretischen Frage auseinanderzusetzen, mit dem Problem nämlich: wie ist das Verhältnis des Strafvollzuges zur General- und Spezialprävention ? Er hat die beiden Standpunkte streng auseinandergehalten und gemeint, die alte Schule lege den Ton auf die Generalprävention, die neue auf die Spezialprävention, und es sei ein bedeutsames historisches Ereignis, daß die neuen „Grundsätze" nun endlich den deutschen Strafvollzug auf Erziehung, auf Spezialprävention abstellen. In meinen Augen liegt die Sache so: Wir alle sind uns klar darüber, daß die Strafrechtspflege erziehlich auf die Gesamtheit und gleichzeitig erziehlich auf den einzelnen Verbrecher wirken muß. Sicher ist weiter, daß jede, auch eine rein pädagogisch eingestellte Freiheitsentziehung, auf die Gesamtheit der Nichtverbrecher abschreckend, also generalpräventiv wirkt. Die entscheidende Frage ist aber nun die: G e n ü g t d i e s e v o n s e l b s t s i c h e r g e b e n d e g e n e r a l p r ä v e n t i v e R e f l e x Wirkung, s o d a ß d e r S t r a f v o l l z u g p r a k t i s c h sich nur von der I d e e der V e r b r e c h e r b e h a n d l u n g , der S p e z i a l p r ä v e n t i o n , l e i t e n zu l a s s e n b r a u c h t ? Oder muß der Vollzugsbeamte in seinem erzieherischen Streben immer darauf bedacht sein, daß die Wirkung auf die Gesamtheit sich nicht allzusehr abschwäche? Kollege L i e p m a n n scheint diese letztere Frage zu vereinen und löst daher die Jugendstrafe in Fürsorgeerziehung auf. Ich dagegen bin der Ansicht, daß die Generalprävention als selbständiger Strafzweck erhalten bleiben müsse. Auch F i n k e l n b u r g vertritt offenbar diesen Standpunkt, denn er hat uns billigend den prak-

81 tischen Unterschied zwischen Strafvollzug und Fürsorgeerziehung gezeigt, doch scheint es mir gerade deshalb inkonsequent, wenn er in der leitenden These die Generalprävention unerwähnt läßt. Diese Kontroverse berührt jedoch nicht die Tatsache, daß wir künftig durch den Strafvollzug mehr als bisher spezialpräventiv wirken wollen. Wollen wir dies jedoch ernstlich, so kommen wir notwendig zu einem Gedanken, der in den heutigen Berichten, aber auch in den „Grundsätzen" vernachlässigt worden ist: Jedes pädagogische Einwirken setzt Individualisierung voraus; individualisieren kann man aber bei hunderten von Leuten nicht anders, als durch Einteilung in T y p e n . Man muß sich bei jedem einzelnen Verbrecher klar werden, daß er zu dieser oder jener Kategorie von Persönlichkeiten gehöre, über deren zweckentsprechende Behandlung schon gewisse Erfahrungen vorliegen. Wenn wir wirklich einen progressiven, individualisierenden Strafvollzug beabsichtigen, müssen wir auf diese Typeneinteilung der Sträflinge das größte Gewicht legen. Zunächst kommen dabei zwei Typen in Betracht: Verbesserliche und Unverbesserliche. Damit schneide ich allerdings die Frage an, ob der Strafvollzugsbeamte überhaupt die Existenz von „Unverbesserlichen" anzuerkennen hat. Meines Erachtens muß er es. Es gibt eben soundsoviele Individuen, die — mögen sie auch durch irgend welche ideale Maßregeln beeinflußbar sein — doch durch die uns praktisch zur Verfügung stehenden Methoden nicht zu bessern sind. Diese Unverbesserlichen sind m. E. von vornherein einem andern Regime zu unterstellen, und insofern ist es höchst wichtig, sich möglichst früh — natürlich nicht am ersteu Tag — klar zu werden, wohin das Individuum gehört. Handelt es sich um einen Unverbesserlichen, so wird man dadurch, daß man dieses Individuum, wie offenbar die „Grundsätze" es wollen, demselben Regime unterstellt wie die anderen, die Verbesserung der Verbesserlichen nur schädigen. Das scheint mir ein überaus wichtiger Gesichtspunkt : Nicht nur der Gedanke der Unschädlichmachung kommt in Betracht, sondern auch der, daß wir uns die Be6

82 handlung des Verbesserlichen nicht verderben lassen dürfen durch Elemente, die unvermeidlich das Verfahren stören müssen. Also Klassifizierung! Natürlich müßte diese Klassifizierung noch weiter gehen und sich nicht nur auf die Verbesserlichen und Unverbesserlichen beschränken, sondern es müßte nach charakterologischen Grundsätzen noch feiner differenziert werden. Diesbezüglich scheint mir in Bayern jetzt ein interessanter Fortschritt gemacht zu sein durch Einführung einer strengen Klassifizierung der Verbrecher bei der Einweisung ins Zuchthaus, und zwar auf erbbiologischer Grundlage: Jedes Individuum wird genau in Bezug auf seine Vorfahren und Seitenverwandten, in Bezug auf seinen gesamten seelischen Habitus untersucht und klassifiziert, zugunsten der Frage: "Welchen Geistes bist du, können wir und wie können wir auf dich einwirken? Dieser Gedanke beginnt bei uns heute erst zu wirken. In Amerika spielt er eine überaus große Rolle. Soweit ich orientiert bin, ist er gerade derjenige, der in Amerika jetzt in Kreisen wie den unsrigen, auf der Tagesordnung steht, und man hat mancherlei feine Methoden ausgebildet, um die Verbrecher zu erkennen und in Gruppen einzuteilen. Freilich, uns wiederum nicht ganz verständlich, bezieht sich diese Einteilung hauptsächlich auf das Leistungsvermögen, auf die Intelligenz, während wir mehr den Ton auf den Charakter legen würden. Aber welche Bedeutung man dieser Idee dort beilegt, kann daraus ersehen werden, daß z. B. der Staat New York eine eigne Anstalt gegründet hat, welche bezeichnenderweise Clearinghouse heißt, in die jeder Verurteilte zuerst verbracht und in der er von Psychologen, Ärzten, Lehrern und Milieuforschern untersucht und klassifiziert wird; nacli dieser Klassifikation bestimmt sich sodann die Anstalt bzw. Abteilung einer Anstalt, in die er eingewiesen und seiner Eigenart entsprechend behandelt wird. Zum Schluß noch eins: Jegliche Individualisierung kostet Geld. Die Geldfrage ist ja heute schon berührt worden. Da ist mir nun wieder sehr interessant, daß es in der Schweiz eine Strafanstalt gibt, die sich selbst erhält:

83 W i t z w i l . Eine landwirtschaftliche Strafanstalt, vor etwa 30 Jahren gegründet, hat seit 20 Jahren keinen staatlichen Zuschuß mehr und hat während des Krieges sogar soviel Geld zurückgelegt — eine Million Franken — daß ein Zellenbau aus diesen Geldern ausgeführt werden kann, und auch jetzt noch kommen alljährlich Rücklagen vor. Nun soll selbstverständlich eine Strafanstalt kein lukrativer Staatsbetrieb sein. Aber heute, da wir nicht mehr fragen, ob sondern w i e zu sparen ist, scheint es mir doch richtiger zu sein, hier einzusetzen, als bei einer Verschlechterung unserer Gerichtsorganisation. Bemerken will ich noch, daß Witzwil eine aktive Bilanz hat, obzwar sie dem Staate Bern alljährlich Steuern bezahlen, den Wert der Anstaltsgebäude verzinsen und auch noch die übliche Pacht für ihre staatlichen Ländereien bezahlen muß. Also eine Anstalt, die sich wirklich selbst erhält, nicht nur rechnungsmäßig gut abschneidet. Ich glaube, daß alle Herren, die im Strafvollzug praktisch tätig sind, allen Grund haben, sich für diese Strafanstalt zu interessieren. Geh. Justizrat Prof Dr. von Hippel (Göttingen): Im Anschluß an die vorzüglichen Ausführungen der Herren Vorredner möchte ich zunächst das etwas schärfer unterstreichen, was Herr Kollege L i e p m a n n über E i n z e l h a f t u n d Z e l l e n h a f t in den „Grundsätzen" ausgeführt hat. Ich halte es für sehr wünschenswert, wenn ganz unzweideutig zum Ausdruck käme, daß die sogenannte Einzelhaft, die die „Grundsätze" enthalten, völlig zu verwerfen ist. Diese Einzelhaft besteht in dauernder ständiger Isolierung. Das ist der Gedanke, den man zuerst 1790 im Gefängnis in der Wallnußstr. in Philadelphia zur Durchführung brachte, der dort aber gründlichst abgewirtschaftet hat. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist es wohl allgemein anerkannt, daß die Einzelhaft eine brauchbare Haftform nur in der gemilderten Gestalt ist. Die sogenannte Einzelhaft der „Grundsätze" hat überhaupt keine Existenzberechtigung als Haftform, sie ist lediglich geeignet, unsern Strafvollzug zu schädigen. Es kann wohl vorkommen, daß 6*

84 ein besonders ehrliebender Gefangener völlige Isolierung wünscht. Wenn dann die Strafe nicht so lang ist, daß die Isolierung die Gesundheit schädigt, wird man es ihm gewähren. Ebenso kann es vorkommen, daß ein Gefangener eine derartige Yerbrechernatur ist, daß man es einfach aus disziplinaren Gründen nicht verantworten kann, ihn mit andern zusammenzubringen. Aber das ergibt keine selbständige Haftform. Die „Grundsätze" führen hier eine Haftform ein, die bisher bei uns nicht bestand, und von der ich nur sagen kann: Gott sei Dank, daß sie bei uns nicht besteht. Dann zu der Frage der K o s t e n . Herr Kollege L i e p m a n n hat mit Recht entschieden gewarnt vor dem Satz der „Grundsätze", daß der Strafvollzug möglichst die Kosten einbringen soll. Wenn Herr Kollege E x n e r eine andere Stellung einnimmt, so geschieht es nicht aus Gründen des Strafvollzugs, sondern aus der wirtschaftlichen Not der Zeit heraus, und so erblicke ich darin keinen Gegensatz. Ich wollte nur historisch daran erinnern: Als im Jahre 1595 Amsterdam zum ersten Mal in seinem Zuchthaus einen musterhaften Strafvollzug geschaffen hatte, der dann in den deutschen Hansestädten kurz nach 1600 Nachahmung fand, war das geschehen unter dem Gesichtspunkt e r z i e h l i c h e r Tendenz. Der Ruhm dieser Anstalten, insbesondere Amsterdams, verbreitete sich über den ganzen Kontinent. Es verbreitete sich dabei aber auch die verkehrte Ansicht, dieser Strafvollzug koste nichts, es käme alles durch den Arbeitsbetrieb ein. Das ist nicht wahr, Amsterdam hat dem Staate gekostet. Nach einigen Jahrzehnten kann man schon die weitere Übertreibung lesen, daß jene Anstalten das Doppelte und mehr der Unkosten einbrächten. Dieser Unverstand ist einer der Gründe gewesen für die Verwahrlosung des späteren Strafvollzugs in deutschen Anstalten, die dann nicht mehr unter erziehlichen Gesichtspunkten betrieben wurden, sondern unter dem Gesichtspunkt möglichsten Gelderwerbes. Ich möchte also hier, auch bei aller Not der Zeit, zur Vorsicht gemahnt haben in dem Sinne, daß im Strafvollzug die Erziehung durch Arbeit im Vordergrund zu stehen hat, und nicht der Gelderwerb. Wenn die er-

85 ziehliche Tendenz notleidet, so ist das zugleich das teuerste, da die Rückfälligen neue Kosten verursachen. Dann möchte ich an das anknüpfen, was Herr Kollege E x n e r hinsichlich der S t r a f z w e c k e sagte. Spezialp r ä v e n t i o n und R ü c k s i c h t a u f d i e G e s a m t h e i t stehen m. E. durchaus in keinem Gegensatz. Eine Spezialprävention, die betrieben würde auf Kosten der Wirkung der Strafe auf die Gesamtheit, würde sich nicht als segensreich erweisen. Sie würde, um Einzelnen zu nützen, die Gesamtheit schädigen. Das ist aber nur zu befürchten, wenn man zu einer ü b e r t r i e b e n e n Humanisierung des Strafvollzuges übergeht, sonst nicht. Man kann hier ohne Schaden schon recht weit gehen. Denn der Verlust der natürlichen Freiheit ist das schwerste Übel, das den Menschen treffen kann, abgesehen von Lebens- und Leibesstrafe und für einen kleinen Prozentsatz von Menschen von Strafen an der Ehre. Dieses Übel wird außerdem unterstützt, auch bei humanstem Vollzug, durch den Zwang, sich dauernd fremdem Willen unterzuordnen. Deshalb, die ganz gewaltige a b s c h r e c k e n d e Wirkung der Freiheitsstrafe. Daher wirkt sie g e n e r a l p r ä v e n i e r e n d und s o l l das auch. Es ist nicht nur ein zufälliger Nebenerfolg, um den es sich dabei handelt. Die Wirkungen der Generalprävention ziffernmäßig festzustellen ist naturgemäß nicht möglich, denn wir können keine Statistik unterbliebener Verbrechen machen. Schon Herr Präsident F i n k e l n b u r g aber hat in sehr lehrreicher Weise eine Fülle von praktischen Erfahrungen zur Darstellung gebracht, in denen die Bedeutung der Generalprävention zutage t r i t t . Ich darf sie durch zwei Beobachtungen ergänzen: einmal eine Selbstbeobachtung. Man frage sich als gebildeter Mensch, ob man nicht irgend wann einmal ein kleineres Delikt begangen hätte, wenn man sich nicht gesagt hätte: das ist bei Strafe verboten! Ob man nicht z. B. als Jäger über die Grenze gegangen wäre, ob man nicht einmal als junger Mensch Ruhestörung begangen hätte etc. Wenn man sich ehrlich fragt, wird jeder sagen: jawohl, das ist mir schon begegnet, und nicht nur einmal. Wenn das aber schon für Gebildete zutrifft, so gilt es

86 natürlich in entsprechend größerem Ausmaße für die Bevölkerungsklassen, die minder zart besaitet sind. Dazu eine Massenbeobachtung: Wir können feststellen, daß, wo ein gutes Strafrecht arbeitet, wir hervorragende Zustände der Rechtssicherheit haben. Das ist in unsern europäischen Kulturstaaten, speziell in Deutschland, bis zum Weltkriege der Fall gewesen, in einem Maße, wie es früheren Zeiten völlig unbekannt war. Und wir können umgekehrt feststellen, daß, wo das Strafrecht versagt, wir das Chaos haben. W i r haben das in der deutschen Revolution Gott sei Dank nicht allgemein erlebt, aber zeitweilig an einzelnen Stellen. Ich glaube also, daß die Bedeutung der G e n e r a l p r ä v e n t i o n als S t r a f z w e c k hoch einzuschätzen ist und daß sie sich in vollem Einklang befindet mit allen berechtigten Humanisierungsbestrebungen, sofern sich diese innerhalb verständiger Grenzen halten. Für mich ist damit aber auch kein Gegensatz zum V e r g e l t u n g s z w e c k gegeben. Denn eine Strafe, die als Übel wirken soll, befriedigt damit zugleich das Vergeltungsbedürfnis, nicht ein TalionsbedLirfnis früherer Zeiten, wohl aber ein zivilisiertes Vergeltungsbedürfnis. Ich glaube daher, daß hier Gegensätze in strafrechtstheoretischen Anschauungen nicht vorliegen, nur betont der eine den einen, der andere den andern Gesichtspunkt etwas schärfer. Weiter möchte ich bemerken: Bei der E i n z e l h a f t , die früher in der Gesamtkritik zu gut wegkam, macht es heute den Eindruck, daß sie anfängt, zu schlecht wegzukommen. Sie ist insbesondere für k u r z e Freiheitsstrafen, die wir möglichst einschränken wollen, aber dennoch haben werden, die absolut überlegene Haftform. Hier kann keine Rede sein von Schaden für die Zukunft durch Vollzag der Einzelhaft. Dazu ist die Zeit viel zu kurz. Der Betreifende muß der Freiheit beraubt und an einer Stelle untergebracht werden, wo er nicht gleichzeitig verschlechtert werden kann. Insbesondere in den kleinen Anstalten ist dafür die Einzelhaft allein brauchbar. Im übrigen soll die Einzelhaft nicht übertrieben werden. Ich würde aber dazu neigen, die Ausmaße immerhin weiter zu stecken, als L i e p m a n n .

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Endlich zum p r o g r e s s i v e n V o l l z u g . E r kommt nur in Betracht, wenn wir eine gewisse Zeitdauer zur Verfügung haben, also bei Freiheitsstrafen von nicht unerheblicher Dauer. Ich setze hier erhebliche Hoffnungen darauf und habe es mit Freude begrüßt, daß vor 2 Jahren in Güttingen ein einheitlicher Beschluß in dieser Richtung erfolgte. Dennoch würde ich davor warnen, allzuviel in allen Fällen zu erwarten, und da berühre ich mich zum Teil mit Ausführungen von Herrn Kollegen E x n e r . Ich glaube, daß dem erwachsenen Menschen gegenüber die Möglichkeit erziehlicher Beeinflussung, wenn ein gewisses Maß von Schlechtigkeit einmal vorhanden ist, immerhin in gemessene Grenzen gebannt ist. Man soll es nach Möglichkeit anstreben. Aber wenn wir den wirklichen Gewohnheitsverbrecher vor uns haben, dann kann man nur sagen, „ Besserungschancen überaus gering", und dann komme ich auf den Gesichtspunkt, den Herr Kollege E x n e r vertritt. Gegenüber dieser Kategorie handelt es sich im Strafvollzug vor allen Dingen um sichernde Verwahrung. Das kann auch in Gemeinschaftsh a f t erfolgen. Gegenseitig können sich diese Elemente nicht mehr viel schaden. Aber sie müssen möglichst von den besseren Elementen getrennt werden. Oberlandesgerichtsrat M a y (Hamburg): Ich habe mich zum Wort gemeldet, — wiewohl ich glaube, dazu kaum berufen zu sein —, weil ich von unserm Herrn Vorsitzenden erfahren habe, daß auf der Rednerliste kein Strafrichter steht. Der Grund dafür, daß kein Strafrichter sich berufen fühlt, zu den Fragen des Strafvollzugs etwas zu sagen, liegt darin, daß wir in der Praxis nach dem bisherigen Verfahren mit dem Strafvollzug so gut wie nichts zu tun haben. Die einzige Strafe, die ich in meiner Praxis vollzogen habe, ist die Strafe des Verweises, von deren Erfolg ich allerdings die ungünstigsten Eindrücke gesammelt habe, damals als ich Schöffenrichter w a r , vor Einführung des Jugendgerichtsgesetzes. Ich glaube, etwas davon ist heute auch noch wahr. Ich habe den Eindruck gehabt, daß diese

88 Strafe und die ganze Art, wie die Jugendlichen behandelt wurden, ihnen mehr geschadet als genützt hat. Ein Jugendlicher, der eben gestohlen hat und vom Schutzmann gepackt wird, glaubt, nun sei alles aus, nun sei seine bürgerliche Existenz zu Ende, er gerate in die staatliche Maschinerie und werde zermalmt. Er durchläuft nun eine ganze Reihe von Personen, die alle ihn erforschen: Der erste ist der Schutzmann; der schnauzt ihn an. Dann kommt er vor den höheren Polizeibeamten, den Assessor, den Erkundigungsbeamten. Der Ton wird immer freundlicher. Schließlich langt er beim Schöffenrichter an und wird verurteilt. Er meint, er wird ins Gefängnis abgeführt werden. Es passiert ihm aber immer noch nichts. Er wird verurteilt zur Strafe des Verweises. Und dann kommt der große Tag, wo er vorgeladen wird zur Erteilung des Verweises. Er erscheint zitternd vor dem Jugendrichter. Der hält eine gutgemeinte Predigt und läßt ihn laufen. — Der Junge lacht uns aus und stiehlt das nächstemal wieder. Ich bin nicht Jugendrichter nach dem neuen Verfahren gewesen. Ich meine aber, daß man an Stelle einer derart weichlichen Behandlung des Verbrechers eine pädagogische setzen kann. Was ich sonst von Strafe und Strafvollzug beobachtet habe, beschränkt sich auf die Mitteilungen, die ich von Verbrechern bekommen habe. Das ist eine so unzuverlässige Quelle, daß ich von ihr keinen Gebrauch machen will. Als meine Aufgabe betrachte ich es, die F r a g e n zu unterstreichen, die mir und anderen noch offen geblieben zu sein scheinen, und die Bitte auszusprechen, daß Sie sie vielleicht, soweit sie noch unerörtert bleiben sollten, in den Schlußworten berücksichtigen. Herr Präsident P i n k e l n b u r g hat das Problem: Generalprävention oder Spezialprävention? mit aller Deutlichkeit herausgestellt. Auch Herr Geheimrat v o n H i p p e l hat sich mit ihm beschäftigt, aber ich bedaure, sagen zu müssen, daß mir dieses Problem noch als ungelöst erscheint. Die Frage ist richtig gestellt, die Antwort fehlt mir. Vielleicht ist das Problem überhaupt nicht lösbar, da man sich zu ihm verschieden einstellen kann. Stelle ich mich ein

89 auf die Behandlung des e i n z e l n e n Verbrechers, so muß ich den pädagogischen Standpunkt einnehmen, den Herr Geheimrat L i e p m a n n vertritt. Stelle ich mich auf den Gesichtspunkt ein: was scheren uns die Verbrecher? sie sind ein unvermeidliches Übel; ich denke an die andern!, so komme ich zu einer andern Konsequenz: und das ist die Kernfrage sämtlicher Diskussionen. Sie finden überall den Gegensatz zwischen dem Recht des E i n z e l f a l l e s und der Regel, die um des G r u n d s a t z e s willen aufrechterhalten wird. Ich glanbe nicht, daß es eine mathematisch richtige Lösung dieses Problems gibt. Ich glaube auch nicht, daß sie uns heute geboten worden ist. Denn weichliche Behandlung des einzelnen Verbrechers, Erziehung in Güte ist selbstverständlich etwas, was den andern, der sich vor der Strafe fürchten soll, die Strafe erträglich erscheinen läßt. Was uns Herr Geheimrat v. H i p p e l eben hiergegen angeführt hat, sind doch Notbehelfe. Gewiß, man sperrt den Verbrecher ein, man nimmt ihm seine Freiheit. Man gibt ihm dafür aber auch unendlich viel anderes, eine kostenfreie Behausung, die der andere nicht hat. Hat jemand einen mißratenen Sohn, und nicht die Mittel, ihn in eine Erziehungsanstalt zu geben, so könnte man dem Vater keinen besseren Rat geben als: Laß deinen Jungen etwas peccieren, so hast du die richtige Erziehung kostenlos. Sehen Sie mich bitte nicht als Gegner Ihrer Bestrebungen an. Aber das Problem löst sich nicht anders, als daß man beide Wegen gehen muß. Die'Herren, die nur bessernd wirken wollen, müssen ihre ganze K r a f t dafür einsetzen und dem Gedanken leben: es geht nur auf diese Weise. Dafür, daß diesen Herren Widerstände bereitet sind, ist schon gesorgt, und das ist gut so. Ich bin durchaus der Meinung von Geheimrat L i e p m a n n , die in Ihrem Kreise wohl die überwiegende ist, daß augenblicklich, s o w e i t die M i t t e l und die K r ä f t e d a z u v o r h a n d e n s i n d , die Richtung mehr nach dieser Seite gehen muß, nach der Besserungsseite. Daß Mängel des alten Strafverfahrens zu beseitigen sind, ist unleugbar, die Strafrichter wissen ja am allerbesten, wie wenig sinngemäß unsere Strafen ausgestaltet sind.

90 N u n a b e r d i e a n d e r e F r a g e : „wie w e i t s i n d d i e M i t t e l u n d d i e K r ä f t e d a z u v o r h a n d e n ? Zunächst die G e l d m i t t e l f r a g e . Sie ist heute brennend. Ein Budget für diese Mittel habe ich nicht gesehen. Und gegen lukrative Gefängnisse, die Professor E x n e r empfohlen hat, wäre zu sagen: das Lukrative kann auf Kosten des Pädagogischen gehen. Es hat aber auch andere Schwierigkeiten, und diese liegen uns in Hamburg am nächsten. Wir haben hier, soweit ich es als Außenstehender beurteilen kann, seit einiger Zeit eine Gefängnisreform. Sie ist aber nicht erst durch neue Persönlichkeiten möglich geworden, sondern durch Änderung der politischen Verhältnisse. Daß man bei der Beschäftigung der Gefangenen darauf sehen muß, wie sie für ihr späteres Leben möglichst lebenstüchtig ausgebildet werden, hat man früher auch schon gewußt. Man hat aber aus einem ganz einfachen und lächerlich kleinlichen Grunde nicht danach handeln können, weil nämlich die Handwerker schrieen: „Ihr macht uns Konkurrenz!" Die Gefangenen mußten daher mit unrentabler und geistloser Arbeit beschäftigt werden. Das hat sich bei uns jetzt etwas geändert, weil der politische Einfluß dieser Kreise geringer geworden ist. Dennoch wird man diese Schwierigkeiten immer wieder zu fürchten haben. Es wäre interessant, wenn Herr Professor E x n e r uns sagen könnte, ob das lukrative Gefängnis in der Schweiz keine Widerstände nach dieser Richtung ausgelöst hat. Herr Professor E x n e r hat uns zwar gesagt, was alles in das Budget eingesetzt wird, hat aber die Arbeitslöhne nicht erwähnt. Wenn man ohne Arbeitslohn Betriebe führt, so kann man sie natürlich lukrativer führen, als mit Arbeitslohn. Insofern liegt in einem lukrativen Gefängnis eine schwere Konkurrenz für andere Betriebe. Wenn dieser Gesichtspunkt auch theoretisch nicht in Frage kommt, praktisch spielt er eine Rolle. Über die andere Frage, die der K r ä f t e und der Schulung der subalternen Beamten, würde ich gern mehr hören. Hier liegt die Hauptfrage unserer gesamten Reformbestrebungen: wie schulen wir diese Beamten ? Ich habe mich auf anderen Gebieten mit dieser Frage schon beschäftigt und

91 habe hier gute Erfahrungen gemacht. Dennoch sind, dies wird Herr Geheimrat L i e p m a n n mir zugeben, viele von den subalternen Beamten außerordentlich empört, wenn ich vor sie hintrete und sage: „Ihr müßt noch geschult werden !"; denn sie wissen das alles ja aus ihrer Praxis viel besser als wir Theoretiker! W i r arbeiten da gegen den intimen Widerstand dieser Kreise. Will man die einzelnen K r ä f t e ablösen und durch andere ersetzen, so ist das wieder eine Frage der Mittel, denn auch die abgelösten Beamten wollen bezahlt werden. Auch wehrt sich die Beamtenschaft im allgemeinen gegen solchen Abbau oder solche Beamtenverschiebung. Weiter möchte ich fragen: wie groß ist der Prozentsatz der verbesserlichen Verbrecher? Ich habe mich als Untersuchungsrichter, als der ich auf einem sehr freundschaftlichen Fuße mit meinen Gefangenen gestanden habe, oft gef r a g t : wie würdest du diese Leute wohl nehmen, wenn sie auf freiem Fuße wären? Wie werden sie sich geben, wenn sie wieder frei sein werden? Bei einer großen Zahl habe ich den Eindruck gehabt, das sind labile Leute, die in dem Moment, wo sie mit dir sprechen, wirklich erfüllt sind von dem, was du ihnen sagst, die die allerbesten Vorsätze ehrlich haben, die aber, sowie sie in eine andere Umwelt kommen, ganz anders reagieren. Ist es möglich, solchen labilen Elementen durch die Erziehung im Gefängnis mit unsern Mitteln, auch mittels des progressiven Strafvollzuges, so viel Hemmungen einzuhämmern, daß sie sie nicht wieder los werden, wenn sie herauskommen? Hiervon hängt der Erfolg unserer Bestrebungen ab. Regierungsrat Krebs (Thüringen): In den „Grundsätzen" ist gesagt, daß der E r t r a g der Gefangenenarbeit die gesamten Kosten des Strafvollzuges möglichst decken soll. Gegen diese Forderung sind Bedenken geäußert worden. Man befürchtet, daß sie unter Umständen Inhalt des Strafvollzuges werden könnte, und daß ein Strafanstaltsdirektor schließlich die Produktivität der Gefangenenarbeit als sein

92 Hauptziel ansehen und den Gefangenen zu einem billigen Arbeiter in einer staatlichen Fabrik machen könnte. Diese Befürchtungen erscheinen aber grundlos. Produktivität der Gefangenenarbeit ist erreichbar nur durch neuzeitlichen Strafvollzug. Wenn man in der Strafanstalt unqualifizierte Arbeiten ausführen lassen will, also Arbeiten, die ein Unternehmer wegen ihrer Unproduktivität ablehnt, so werden diese auch in der Strafanstalt unproduktiv bleiben, und ihr E r t r a g wird niemals die Kosten des Strafvollzuges decken können. Daran ändert auch die Einführung eines Pensums nichts, da unter seinem Zwang eine minderwertige Arbeit geliefert werden wird, die mit freier Arbeit nicht konkurrieren kann, und die darum keine hinreichenden Erträge bringen wird. Produktiv wird die Gefängnisarbeit erst, wenn q u a l i f i z i e r t e Arbeiten ausgeführt werden, die nicht unter dem Druck eines Pensums stehen. Solche Qualitätsarbeit wird aber nur geleistet von Menschen, die Freude an der Arbeit haben. Das wird aber im Gefängnis nur eintreten, wenn die Gefangenen eine andere Behandlung erfahren als bisher. Sie müssen angesehen werden als Menschen, die trotz allem noch Werte in sich haben. Ihre Anlagen und Fähigkeiten müssen erkannt und berücksichtigt werden. An die Stelle des negativen Strafübels muß der positive Strafzweck der Hebung des Gefangenen in jeder Beziehung treten. Die Entlohnung der Gefangenen muß eine angemessene werden, d. h. die Löhne der Gefangenen müssen denen der freien Arbeiter angenähert werden. Daraus folgt ohne weiteres, daß dann der Gefangene aber auch die Kosten für seinen Unterhalt usw. selbst zu tragen hat. Thüringen ist dazu übergegangen, die Arbeitsbetriebe in seinen Strafanstalten in Fprm einer G. m. b. H. zu betreiben. Produktive Arbeit ist hier unerläßlich, da aus den Einnahmen die Ausgaben gedeckt werden müssen. Der Gefangene wird also dazu erzogen werden müssen, nicht nur gute Arbeit, sondern auch eine genügende Arbeitsmenge zu liefern. Erst wenn er diese beiden Forderungen erfüllt, wird er ein brauchbarer Arbeiter sein, der nach der

93 Entlassung sein Fortkommen finden wird. Ans dem Grunde muß auch die Arbeitszeit in der Strafanstalt der im freien Erwerbsleben gleich sein. Die Stunden für Unterricht usw. dürfen nicht in die Arbeitszeit eingerechnet werden. Die G-ewöhnung spielt doch bei vielen Menschen eine große Rolle. Wird ein G-efangener in der Strafanstalt jahrelang nur wenige Stunden täglich mit Erwerbsarbeit beschäftigt, so wird er sich nach der Entlassung nur schwer daran gewöhnen können, als freier Mensch acht und mehr Stunden zu arbeiten. Richtig ausgewählte Arbeit bleibt in der Strafanstalt der wertvollste Erziehungsfaktor. Die übrigen Erziehungsmittel, Unterricht usw. sollen n a c h der Arbeitszeit benützt werden, wie ja auch der freie Arbeiter Kurse und Vorträge n a c h getaner Arbeit besucht. Die Erziehung des Gefangenen soll erfolgen nicht für eine ideelle Welt, sondern für die Welt, in die der Gefangene hinein entlassen wird, in der er leben und in der er sich bewähren soll. Professor Dr. R a d b r u c h (Kiel): Zunächst eine tatsächliche Feststellung: Die mir sowohl von Seiten des Herrn Präsidenten F i n k e l n b u r g , wie von Seiten des Kollegen F r e u d e n t h a l gezollte Anerkennung kann ich nur in bescheidenem Maße in Anspruch nehmen. Die „Grundsätze", über die wir reden, sind zwar in meiner Ministerzeit angefangen und ausgearbeitet worden, ihre Durchsetzung aber — und das war eine schwere Arbeit im Reichsrat — lag bei meinem sehr verehrten Nachfolger, dem Minister Dr. H e i n z e . Aber damit ist auch noch nicht die richtige Adresse des Dankes erreicht. Die Minister kommen und gehen, aber die Ministerialräte bleiben bestehen. Nicht bei den kommenden und gehenden Ministern liegt das Hauptverdienst an den Reformen, sondern bei dem Reichsjustizministerium selbst. Würden wir auf die einzelnen Minister unsere Hoffnung setzen, so könnten wir lange auf ein Strafgesetzbuch warten. Unsere Hoffnung müssen wir auf das Reictsjustizministerium, auf Herrn Direktor B u m k e und seine Mitarbeiter, setzen.

94 In der Hauptsache wollte ich auf eine Frage eingehen, die Herr Kollege L i e p m a n n aufgeworfen hat, auf die Frage des Überzeugungsverbrechers. Die gesonderte Behandlung des Überzeugungsverbrechers im Strafvollzug, das gebe ich Herrn Kollegen L i e p m a n n zu, ist eine nicht unbedenkliche Frage, und mir aus demselben Grunde bedenklich gewesen, den er hier vorgebracht hat. Herr Kollege L i e p m a n n hat von etwas geredet, worüber in diesem Kreise einmal bei einer andern Gelegenheit ausführlicher gesprochen werden sollte, von den Vorwürfen verschiedener Handhabung der Strafrechtspflege nach rechts und links. Aus diesem Gesichtspunkt heraus habe auch ich schwere Befürchtungen in Bezug auf die Rechtsan Wendung gegenüber dem Überzeugungsverbrecher. Aber das Bedenken des Herrn Kollegen L i e p m a n n greift zu weit, es greift an die Wurzel der ganzen Strafrechtsreform. Ohne Vertrauen in den Richterstand ist eine Neuordnung des Strafrechts, wie die zuletzt entworfene, überhaupt unmöglich. Die ganze Strafrechtsreform, die die Rechte des Richters ja notwendig erweitert, setzt ein wiederhergestelltes Vertrauen in den Richterstand voraus. Sie wird nicht in K r a f t treten, bevor sich die Verhältnisse soweit saniert haben, daß die Erscheinungen, von denen Herr Kollege L i e p m a n n gesprochen hat, mehr und mehr in den Hintergrund getreten sind. Die übrigen Gründe, die Herr Kollege L i e p m a n n vorgebracht hat, scheinen mir schwächere Argumente und nur zur Verstärkung des Hauptargumentes bestimmt zu sein. Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade derjenige Entwurf, der mit dem Sicherungsgedanken am folgestrengsten Ernst gemacht hat, nämlich der italienische Strafgesetzentwurf, es für nötig befunden hat, dem politico = sozialen Verbrecher, wie er ihn nennt, einen besonderen Platz zu gewähren. Es ist ja auch unverkennbar, daß der Überzeugungsverbrecher ein vollkommen selbständiger kriminalpolitischer und psychologischer Typus ist. Psychologisch ganz verschieden von demjenigen, der von der Gewohnheit oder Gelegenheit passiv getrieben ein Verbrechen begangen hat, ist derjenige, der aus seiner Überzeugung heraus aktiv zum Verbrecher ge-

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worden ist. Und auch kriminaipolitisch ist der Überzeugungsverbrecher ein anderer Typus als der gemeine Gewohnheits- oder Gelegenheitsverbrecber. Beobachten wir uns doch einmal selbst und die Presse, wenn von politischen Verbrechen die Rede ist. Dann t r i t t auch bei denjenigen, die die überzeugtesten Besserungstheoretiker sind, der Besserungsgedanke ganz in den Hintergrund. Genugtuungsbedürfnis, Sicherungsbedürfnis, Abschreckungsbedürf'nis geht dann durcheinander; von den feineren spezialpräventiven Regungen der Strafrechtspolitik ist keine Rede. Wir müssen deshalb anerkennen, daß es sich hier um eine strafrechtliche Sonderaufgabe handelt, schon um damit ein Übergreifen der primitiveren kriminalpolitischen Gesichtspunkte, die für den politischen Verbrecher gelten, auf andere Gebiete zu verhüten. Eins jedenfalls kann man mit Sicherheit feststellen, e i n Strafrechtsgedanke ist gegenüber dem politischen Verbrecher gänzlich unanwendbar, nämlich der Besserungsgedanke. Einen Überzeugungsverbrecher kann man vielleicht eines Besseren belehren, aber gewiß nicht durch die Strafe. Ich habe viel mit politischen Verbrechern zu tun gehabt; ein politischer Verbrecher aber, der sich durch die Strafe besserte, hat mir nicht besondere Achtung abgewonnen, sondern nur den Beweis geliefert, daß seine Überzeugung keine besonders feste und ernste war. Jeder von uns hat viel mehr Achtung vor dem ÜberzeugungsVerbrecher, der mit ungebeugtem Nacken wieder aus dem Gefängnis herauskommt. Also von Besserung kann gegenüber dem Überzeugungsverbrecher keine Rede sein. Ich möchte noch auf ein Zweites hinweisen. Für jede Besserung ist Voraussetzung, daß erst einmal ein Schuldgefühl vorhanden ist. Das ist der Punkt, wo man vielleicht den Vergeltungsgedanken in den Besserungsgedanken hinein zu arbeiten hat. Friedrich Wilhelm F ö r s t e r hat einmal sehr schön gesagt: größer werden als seine Schuld könne nur der, der zunächst einmal die ganze Größe dieser Schuld selbst gefühlt hat. Es muß Aufgabe der Strafe sein, das Schuldgefühl zu wecken, und doch das Selbstgefühl dabei zu erhalten. Ein solches Schuldgefühl aber hat der Überzeugungsverbrecher nicht.

96 Herr Kollege L i e p m a n n hat mein Wort von der selbstgerechten Besserung, die man gegenüber dem politischen Verbrecher nicht erstreben könne, angeführt. Ich habe natürlich nicht den Besserungszweck als solchen als selbstgerecht bezeichnet, sondern nur in seiner Anwendung auf den Uberzeugungsverbrecher, weil ich der Meinung bin, daß ihm gegenüber die Strafe der sittlichen Überlegenheit über den Bestraften entbehrt, die ihr sonst eigen ist. Herr Kollege L i e p m a n n hat darauf erwidert, gewiß, die Überzeugung des Überzeugungsverbrechers sei zu achten, aber durch die gesetzwidrige Betätigung dieser Überzeugung mache er sich schuldig, damit sei die sittliche Überlegenheit des Strafenden gegeben. Ich möchte dagegen anführen, daß es sehr wohl unter dem Namen , Aktivismus' Überzeugungen geben kann, die eine Verpflichtung gerade zu gesetzwidriger Betätigung begründen; um nicht auf aktuelle Dinge, etwa auf antiparlamentarische Strömungen, einzugehen, möchte ich auf die englischen Kriegsverweigerer hinweisen, da kann doch nicht von Besserung, da kann nicht von sittlicher Überlegenheit des Strafenden über den Bestraften, da kann lediglich von dem Verhältnis Andersdenkender zu Andersdenkenden die Rede sein. Also ich glaube, der Überzeugungsverbrecher ist sowohl kriminalpolitisch wie psychologisch ein besonderer Typ, gekennzeichnet dadurch, daß ihm gegenüber der Besserungszweck ausscheidet. Was nun die „Grundsätze" anbetrifft, so haben sie sich mit aller Vorsicht des Begriffs des Überzeugungsverbrechers bemächtigt, ihn auf den Fall beschränkt, daß jemand nicht etwa sich berechtigt, sondern verpflichtet gefühlt hat zu gesetzwidrigem Handeln, und sie haben weiter sogar eine Einschränkung aufgenommen, die mir zu weit geht: nur, wenn der Richter festgestellt hat, daß ein Verbrechen aus Überzeugung hervorgegangen ist, soll die Vergünstigung Platz greifen. Ich möchte die Frage stellen: ist dafür Sorge getragen, daß eine solche Feststellung in den Urteilen gleichmäßig erfolgt? Unsere Reichsratsgrundsätze als solche haben ja keinerlei verpflichtende K r a f t für den Richter. Der eine könnte also von diesem Feststellungsrecht Gebrauch

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machen, der andere nicht, und es könnte sich daraus eine ganz verschiedene Rechtsprechung verschiedener Gerichte entwickeln. Sind überhaupt irgend welche Maßregeln getroffen worden, diese neue Bestimmung an die Richter heranzubringen und sie zu veranlassen, in Fällen, in denen ein solches Überzeugungsverbrechen gegeben ist, von dieser Feststellungsmöglichkeit Gebrauch zu machen? Sonst sehe ich allerdings aus dieser Bestimmung eine Ungleichmäßigkeit der Rechtspflege erwachsen, die außerordentlich gefährlich werden kann. Die genannte Einschränkung ist, soviel ich weiß, vom Reichsrat eingefügt worden. Nachdem sie einmal da ist, muß man die Konsequenz daraus ziehen, dafür zu sorgen, daß die Gerichte gleichmäßig feststellen, ob ein Überzeugungsverbrechen vorliegt oder nicht. Ich bedaure, daß ich durch die Ausführungen des Kollegen L i e p m a n n gezwungen war, eine Frage mehr peripheren Charakters in den Mittelpunkt meiner Erörterungen zu stellen, und wenn ich einen "Wunsch äußern darf, so ist es der, daß diese Ausführungen nicht etwa bei der Diskussion in eine Mittelpunktstellung geraten, die ihnen nicht gebührt. Ministerialrat Dr. Starke (Dresden): Für die Auseinandersetzung zwischen der alten und der neuen Schule, von der Herr Professor L i e p m a n n sprach, ist darauf hinzuweisen, daß die Strafvollzugsgrundsätze ein ohne Mitwirkung der Öffentlichkeit und der Volksvertretung zustande gekommenes Werk von Regierungsvertretern sind, das erst noch die Aberkennung der Öffentlichkeit finden muß. In der Öffentlichkeit steht man vielfach den in den Strafvollzugsgrundsätzen durchgeführten Gedanken ablehnend gegenüber. Die Öffentlichkeit muß — namentlich durch Vermittelung der Tagespresse — über die Zweckmäßigkeit der Strafvollzugsgrundsätze aufgeklärt werden. Auch ein Teil der Beamtenschaft ist noch in den Anschauungen überlebter Strafrechtsprinzipien und in Anschauungen, die ihre Grundlage in der rein militärischen Ausbildung dieser Beamten haben, befangen. Es wird die Aufgabe der Justizverwaltungen sein, diese Beamten, insbesondere die Aufsichts7

98 beamten, mit den neuzeitlichen Gedanken zu erfüllen und durch planmäßigen Unterricht, durch Ausbildung uüd Fortbildung zur Erledigung ihrer verantwortungsvollen Aufgaben geeigneter zu machen. Wünschenswert ist, daß sich die Landesregierungen über einheitliche Ausbildungsgrundsätze verständigen. Von der Eignung der Strafvollzugsbeamten zur richtigen Behandlung der Gefangenen hängt das Schicksal des Strafvollzugs zu einem wesentlichen Teil ab. M ä n n e r , nicht Maßnahmen! Oberregierungsrat Dr. U m h a u e r (Karlsruhe): Nur mit kurzen Worten möchte ich die „Zellenhaft" verteidigen, die von verschiedenen Seiten heute angegriffen worden ist. Falls eine Abstimmung auch über diese Frage erfolgen sollte, dürfte es für Sie vielleicht von Interesse sein, die Gründe zu hören, die seinerzeit f ü r die Einführung des Begriffes der Zellenhaft maßgebend gewesen sind. Das Gesetzbuch hat ja den Begriff der Einzelhaft festgelegt und dahin präzisiert, daß darunter die unausgesetzte Sonderung der Gefangenen bei Tag und bei Nacht zu verstehen sei. Der Begriff der Gemeinschaftshaft demgegenüber verlangt naturgemäß ein Zusammenbringen der Gefangenen bei Tag wenigstens, wenn nicht auch bei Nacht. Außer diesen beiden Haftarten gibt es nun noch eine Verwahrungsmöglichkeit, die im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich erwähnt ist, und das ist eben die Trennung der Gefangenen bei Tag und Nacht, jedoch unterbrochen durch regelmäßiges Zusammenbringen. Es ist wohl allgemein anerkannt, daß ein Gefangener, der in solcher Haftform verwahrt wird, nicht die Rechte hat, die sich aus § 22 Absatz 2 des Strafgesetzbuches ergeben (Zuruf L i e p m a n n s : ist nicht anerkannt!). Doch, ich verweise auf den Kommentar von Ohlshausen; jedenfalls steht die Praxis auf diesem Standpunkt. Wenn nun die „Grundsätze" sagen würden: „Dieser alte Begriff der Einzelhaft, diese unausgesetzte Sonderung bei Tag und Nacht mit allen ihren unliebsamen Konsequenzen der Unterbringung der Gefangenen in Ställen in Kirche und Schule usw. ist nicht mehr vereinbar mit unserer heutigen Auffassung; wir

99 nennen also jetzt die neue H a f t f o r m , bei der die Absonderung der Gefangenen nicht mehr eine ununterbrochene ist, ,Einzelhaft'; es ist das aber nicht die Einzelhaft des Strafgesetzbuches, und wenn ein Gefangener über drei J a h r e in dieser Form v e r w a h r t wird, so h a t er keinen Anspruch auf Unterbringung in Gemeinschaftshaft", so wird zwar jeder J u r i s t , an den etwa die Beschwerde eines Gefangenen wegen Verletzung seiner Rechte aus § :i2 Absatz 2 StGB, kommt, erklären, daß in diesem F a l l ein Anspruch auf Gemeinschaftsh a f t nicht besteht. Die meisten Beschwerden gehen aber nicht an Juristen, sondern an die Volksvertretung, und keine Volksvertretung wird sich damit abspeisen lassen, daß ihr gesagt w i r d : wir haben in unseren Strafvollzugsgrundsätzen einen ganz andern Begriff der Iiinzelhaft als im Strafgesetzbuch, auch wenn der gleiche Ausdruck gebraucht wird. Deswegen hat man g e s a g t : wir wollen die Einzelhaft, wie wir sie j e t z t allgemein durchführen, die aber keine Einzelhaft im Sinne de.s Strafgesetzbuches ist, auch nicht als Einzelh a f t bezeichnen, sondern als Zellenhaft; und die Einzelhaft des Strafgesetzbuches bleibt, ist aber eine seltene Ausnahme. W a n n sie verhängt werden soll, wird im Einzelfall durch die Vollzugsvorschriften der Länder bestimmt, bzw. im Rahmen landesrechtlicher Ermächtigung durch die Direktoren der Strafanstalten. Es ist also nicht etwa so, daß mit der Zellenhaft eine neue H a f t a r t eingeführt worden wäre, sondern es ist die Einzelhaft, die das Strafgesetzbuch vorsieht, als f ü r die Praxis unentbehrliche, in Ausnahmefällen anzuwendende H a f t f o r m beibehalten, f ü r die Regel aber die zwischen der Einzelhaft und Gemeinschaftsh a f t stehende Zellenhaft vorgesehen, wenn nicht Gemeinschaftshaft angewandt werden kann. Daß ein praktisches Bedürfnis für die Absonderung eines gefährlichen Gefangenen auch über die in § 22 Abs. 2 StGB, vorgesehene F r i s t hinaus besteht, hat auch H e r r Prof. v. H i p p e l a n e r k a n n t ; aber der von ihm vorgeschlagene Weg der Verfügung einer Ausnahme von § 22 Abs. 2 StGB, ist f ü r das Landesrecht und die Praxis ungangbar, so lange das Strafgesetzbuch eine solche Ausnahme nicht ausdrücklich vorsieht.

100 Professor Dr. Aschaffenburg (Köln): Auch ich bin der Ansicht des Herrn Kollegen v o n H i p p e l , daß die Einzelhaft z. Zt. in unverantworlicher Weise diskreditiert worden ist. Besonders ist das v o n F e r r i geschehen. Er spricht davon ungefähr, als wenn sie das finsterste Mittelalter sei. Gerade derjenige aber, der "Wert darauf legt, den Gefangenen individuell zu behandeln und Zutritt zu seiner Persönlichkeit zu bekommen, muß auf der Einzelhaft bestehen. Wie soll man ihn denn überhaupt kennen lernen, wenn nicht in der Einzelhaft? Ich kann diese Erfahrung täglich in meiner Klinik machen. Wenn wir bei einer Visite zu mehreren an ein Krankenbett herangehen, so erfahren wir nichts; wohl aber, wenn wir uns mit dem Patienten ganz allein aussprechen Das Oeffnen der Seele ist in der Oeffentlichkeit nicht gut möglich, und deshalb muß die Einzelhaft noch viel stärker betont werden, als das bisher der Fall gewesen ist. Außerdem: für den Empfindsamen ist nichts quälender als die gemeinsame Haft, als das Gefühl, immer wieder mit andern Leuten zusammen zu sein. Die Kriegsgefangenen haben uns dies bestätigt. Alles, was der Einzelhaft von Kerkerähnlichem nachgesagt wird, hebt ihre guten Seiten nicht auf. Selbstverständlich muß ferner der Arbeitsbetrieb in den Strafanstalten nach geschäftlichen Grundsätzen eingerichtet werden. Zwei Erfahrungen als Gegenstück: in der neuen Anstalt Rheinbach, die kurz vor dem Kriege im Rheinlande eröffnet worden ist, also wohl ziemlich die modernste Anstalt Preußens war, wird noch heute ein Riesenrad gedreht, an dem jeden Tag zehn Leute von morgens bis abends im Wechsel von zehn Minuten tätig sind, um eine Kraft zu erzeugen, die mit einem ganz kleinen Motor mit Leichtigkeit hergestellt werden könnte. Das ist Kraftvergeudung sinnlosester Art. Wir haben doch auch in unseren modernen Irrenanstalten erreicht, daß sie sich durch Einrichtung lohnender Betriebsarten, wie landwirtschaftlicher Betriebe, Schusterei, Schneiderei, Metzgerei usw., trotz sehr viel weniger brauchbaren Materials an Arbeitskräften, als es Gefangene sind, sehr erheblich billiger stellen und zum Teil

101 aas eignen Mitteln erhalten können. Und ich weiß, daß die Strafanstalt in der Schweiz, von der heute wiederholt die Rede gewesen ist, im vorigen Jahre \ l U Millionen Franken an die Eidgenossenschaft abgezahlt hat, die als Überschuß aus der Anstalt herausgewirtschaftet worden sind. Ich bin ferner der Ansicht, man solle sich vor der Konkurrenz, die dem freien Handwerk durch produktiv arbeitende Anstalten gemacht wird, nicht scheuen. Andernfalls sind wir Nichtkriminellen gezwungen, auf dem Wege der Steuern den Unterhalt zu tragen für das, was in der Anstalt nicht gearbeitet wird. Auch ich bin entschieden dafür, daß man die Gefangenen genau so bezahlt wie die freien Arbeiter, freilich mit einer Einschränkung. Man schreibe ihnen den vollen Arbeitslohn zu Gute. Davon gehen allerdings selbstverständlich ab die Kosten für den Strafprozeß und den gesamten Unterhalt einschließlich sämtlicher Nebenkosten und der Schadenersatz. Für mich ist die Frage des anständigen Bezahlens der Arbeit im Gefängnis nur diskutabel unter dem Gesichtspunkte des Schadenersatzes, und ich glaube, daß dies auch der Gesichtspunkt ist, unter dem man den schärfsten Vertretern des Vergeltungsrechtes diese modernen Bestrebungen schmackhaft machen kann. Hier ist auch der Punkt, von dem aus man bei dem Verbrecher den Hebel ansetzen kann. An die ideelle Hebung des Verbrechers zu glauben, verbieten mir meine Erfahrungen, nicht meine Wünsche. Man wird sich leider im ganzen darauf beschränken müssen, die Leute einigermaßen sozial brauchbar zu machen. Aber um das zu erreichen, ist es notwendig, ein starkes Motiv in sie hineinzubringen; wenn man die Bestraften zwingt, Schadenersatz zu leisten, werden sie die Gefängnisse — und wenn man ihnen auch an jedem Sonntag ein Radiokonzert veranstaltet — fürchten wie die Pest; und dann wird man auch der Abschreckungstheorie und der Generalprävention ihr Recht zuerkennen können. Zum Schluß noch ein Wort über die Generalprävention. Kollege F i n k e l n b u r g hat bedauert, daß über den Erfolg der Generalprävention keine wissenschaftlichen Arbeiten bestehen. Aber wer lesen will, der blicke in die Kriminal-

102 statistik; sie zeigt am bester, daß von der Generalprävention sehr wenig zu halten ist. In der Kriminalstatistik schlägt sich natürlich nur ein kleiner Ausschnitt nieder, nach Herrn v o n M a y r „die repräsentative Kriminalität." Aber als solche ist sie durchaus typisch und lehrreich; wenn wir aus ihr ersehen, daß die Zahl der Verbrecher, besonders der jugendlichen, fortdauernd wächst, dürfen wir der Generalprävention keine allzugroße Bedeutung zuerkennen. Wir wenden uns nicht an die nicht faßbaren Kriminellen, sondern an die, die wir haben. Und daß wir mit einein Teil der Strafgefangenen etwas Vernünftiges anfangen, etwas Brauchbares orreichen können, davon wird jeder überzeugt sein, der jemals in naher Berührung mit Strafgefangenen gestanden hat, ebenso jeder Strafvollzugsbeamte, der sich nicht mit der Aufgabe des Kerkermeisters begnügen will. Strafanstaltsdirektor E l l g e r (Halle): Wir Strafanstaltsbeamte begrüßten fast ausnahmslos die reichsrätlichen Grundsätze und dann die Dienst- und Vollzugsordnung als eine Erlösung, weil sie uns aus der Unsicherheit herausrissen und uns wieder festen Boden unter den Füßen gaben, und weil sie außerdem unbestreitbar einen Fortschritt bedeuten, auch wenn der eine dies, der andere jenes noch zu wünschen hat. Um nun auf die heutigen Vorträge einzugehen, so hatte ich den Eindruck, daß sie ausschließlich die erziehbaren und jüngeren Gefangenen bis zum "25. Lebensjahr im Auge hatten. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es außer diesen noch eine große Zahl von Andersgearteten gibt. Das ist die große Menge der vielfach Rückfälligen, der innerlich vollkommen Verdorbenen, der jede Beeinflussung Ablehnenden und, wir müssen es gerade heraussagen, der oft mit einer satanischen Bosheit begabten Leute. Ihnen ohne weiteres mit Vertrauen entgegen zu kommen, würde nicht mit Unrecht von ihnen als Dummheit gedeutet werden. Es ist da einfach ein Gebot der Selbsterhaltung des Strafvollzugsbeamten, vorsichtig zu sein, um nicht betrogen zu werden. Hier sofort alle möglichen Freiheiten und Vergünstigungen eintreten zu lassen,

103 ist nicht nur unangebracht, sondern schädlich. Neben die Erziehungsmaßregeln müssen hier vor allem die Sicherungsmaßregeln treten, denn wir haben doch als Strafvollzugsbeamte die erste Pflicht, Entweichungen zu verhüten und die Ordnung in der Anstalt aufrecht zu erhalten. Praktisch läßt sich auch nicht Mensch und Verbrecher trennen, die Menschen, mit denen wir zu tun haben, s i n d nun einmal Verbrecher, und wenn wir das Verbrechen gewissermaßen aus ihrem Leben für unsere Beurteilung und Behandlung ausstreichen wollten, so veränderten wir fälschlich 'das Charakterbild des Gefangenen. "Wir sollen streng und gerecht auf der einen Seite, wohlwollend auf der anderen Seite sein, aber das Wohlwollen darf nicht zur weichlichen Sentimentalität werden. In unserem Kreise ist diese Gefahr natürlich nicht vorhanden. Aber wir wollen nicht vergessen, daß in weiten Kreisen, die heute über den Strafvollzug ein Urteil fällen, die Sentimentalität eine ebenso große ist, wie der Dilettantismus. In übertriebener Weichlichkeit liegt die ungeheure Gefahr einer Reaktion gegen den Strafvollzug; sie kann uns wieder fast mittelalterlichen Zuständen näher bringen. Hinsichtlich der E i n z e l h a f t möchte ich betonen, daß ich durchaus Anhänger der Einzelhaft als der Grundlage des Strafvollzuges bin, daß wir nach meiner Meinung ohne Einzelhaft nicht auskommen. Ich danke deshalb Herrn Prof. A s c h a f f e n b u r g besonders für seine Ausführungen, denen ich vollkommen beistimme. Für die innerlich anständigen Gefangenen ist die Gemeinschaftshaft die straferschwerende Haftform; so erklären sich auch die Bitten um Verlegung in Einzelhaft gerade bei diesen Gefangenen. Die rohe Gameinschaftshaft wird stets verderblich wirken. Etwas anderes ist die Gemeinschaftshaft im progressiven Strafvollzug. Hier kommen nur ausgesuchte Leute in Gemeinschaft, und hier hat diese eine große erzieherische Bedeutung. Auch bei j u g e n d l i c h e n G e f a n g e n e n wird Einzelhaft im allgemeinen vorzuziehen sein. Es besteht eben ein Unterschied zwischen Fürsorgeerziehungsanstalt und Gefängnis, und ich danke Herrn Präsidenten F i n k e l n b u r g

104 für seine Ausführungen, in denen er den Unterschied zwischen Fürsorgeerziehung und Strafvollzug klargestellt hat. Grade die Einzelhaft hilft uns, in dem Gefangenen das Gefühl der Schuld zu wecken und ihn unter die Autorität des Gesetzes zu bringen. Und dies ist eine der wichtigsten Aufgaben des erzieherischen Strafvollzuges. Daher muß ich allerdings der Auffassung des Herrn Prof. L i e p m a n n widersprechen, daß die Freiheitsstrafe den Gefangenen nicht beugen soll und wir ohne pharisäische Selbstgerechtigkeit an den Gefangenen herantreten sollen. Zur Schulderkenntnis kann ich einen Menschen nur bringen, wenn ich ihm seine Schuld ernst und offen vor Augen halte. Darin liegt selbstverständlich eine gewisse Selbstgerechtigkeit. Aber wir sind doch wohl berechtigt, uns für sittlich höher stehend zu halten als den Straßenräuber und Sittlichkeitsverbrecher, der ohne jede Reue auch im Strafvollzug sich unverbesserlich zeigt. Uber die S e l b s t e r h a l t u n g der A n s t a l t e n nur ein Wort! Ich glaube nicht daran, daß es unter den jetzigen Arbeitsverhältnissen zu erreichen ist, daß die Anstalten durch ihren Arbeitsertrag die Kosten decken. Gewiß, wir wollen danach streben, die Gefängnisarbeit zu verbessern, die Verträge mit den Unternehmern so abzuschließen, daß ein möglichst hoher Gewinn erreicht wird; ich glaube aber nicht, daß wir das Ziel der Selbsterhaltung der Gefängnisse in absehbarer Zeit erreichen werden, und halte es sogar für zweifelhaft, ob dies das höchste und letzte Ziel des Strafvollzuges sein darf. Zur Hebung der Ausbildung der Aufseher sind in Preußen bereits erfreuliche Ansätze gemacht. Bestimmte Anstalten sind angewiesen, in Kursen jedesmal 12—15 Beamte auszubilden. Neben der praktischen Ausbildung werden sie unterrichtet in der Geschichte des Strafvollzuges, über den Bau und die Einrichtung von Gefängnissen, den Zweck der Strafe, die Formen des Strafvollzuges, über Yerbrechensursachen und Verbrechensbekämpfung, Beurteilung und Behandlung der Gefangenen usw. Außerdem wird ihre allgemeine Bildung gehoben, und sie erhalten in der Gesetzeskunde Unterricht. In ungefähr vier Monaten werden sie soweit gefördert, daß

105 sie bei normaler Begabung den Kenntnissen eines Strafanstaltssekretärs ziemlich nahe kommen. Aber ich möchte auch hier meine Warnung wiederholen, den Wert der intellektuellen Ausbildung beim Aufsichtspersonal nicht zu überschätzen. Schließlich kommt es doch stets auf den Charakter des Beamten an. Auch die besten Kenntnisse machen den Mann nicht geeignet, wenn er heftig und aufgeregt, oder nachtragend und ohne Menschenliebe ist, wenn es ihm an Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit fehlt. Selbstverständlich ist die Ausbildung wertvoll, damit der Beamte weiß, worum es sich im Strafvollzug handelt. Aber wir müssen auch unter den Beamten aufklärend wirken, damit sie von dem Irrtum frei werden, als ob mit der Einrichtung von Schulen nun bereits der Strafvollzug in andere Bahnen gelenkt sei, und der Beamte selbst eigentlich nichts mehr dazu zu tun brauche. Lassen Sie mich, meine Herren, mit einem einigenden Worte schließen! Auch wenn wir hier vielfach verschiedener Meinung sind, wir alle stimmen doch darin überein, daß wir den Strafvollzug verinnerlichen und vergeistigen wollen. Wir wollen Ideale schaffen, nach denen wir streben, damit der Strafvollzug den Gefangenen hebt und den Strafvollzugsbeamten befriedigt. Wir wollen den Strafvollzug durch gute und klare Vorschriften von aller Willkür frei machen und das Unsrige dazu beitragen, um ein Strafvollzugsgesetz zu erhalten, das die gesetzliche Grundlage für einen sozialen Strafvollzug bietet, das uns aber auch die Möglichkeit gibt, den asozialen Verbrecher unter die Autorität des Gesetzes zu beugen. Das aber glaube ich als Strafanstaltsdirektor sagen zu dürfen: so schlecht, wie heute vielfach die Strafanstaltsbeamten gemacht werden, sind sie nicht, zum mindesten ist bei ihnen guter Wille vorhanden. Gern aber lassen wir uns von der Theorie belehren, damit wir mit neuen Anregungen und Idealen erfüllt zur Arbeit zurückkehren können.

Zweiter Verhandlungstag: 13. J u n i 1924.

Professor Dr. Goldschmidt (Berlin) bemerkt zur Geschäftsordnung, daß es ein gewisses Erstaunen hervorgerufen habe, daß der Vorstand über das erste Verhandlungsthema „Das Bewußtsein der Rechts Widrigkeit" eine Diskussion und Beschlußfassung nicht zugelassen habe. Er stellt den Antrag, diesen Beschluß des Vorstandes aufzuheben; denn der Vortrag des Herrn Kollegen v o n H i p p e l fordere geradezu eine Resolution heraus, insbesondere hinsichtlich des ersten Teils seiner These, daß nämlich ein den Rechtsirrtum regelnder § 59 a in das Strafgesetzbuch eingestellt würde. Er bäte dringend um Abstimmung über diese These. Wenn auch das Problem des Rechtsirrtums hiermit abschließend noch nicht gelöst sein dürfte, so wäre doch jedenfalls damit ein Fortschritt erzielt, dessen Bedeutung ihn veranlasse, den Antrag zu stellen, daß ohne Diskussion über diesen Teil der These abgestimmt werde. Professor Dr. L i e p m a i i n : Eine Abstimmung ohne Diskussion ist unmöglich. Professor Dr. Goldschmidt (Berlin): Dann bitte ich, zunächst abzustimmen über meinen Antrag, daß über den 1. Teil der H i p p e i s c h e n These ohne Diskussion abgestimmt werde. Oberreichsanwalt Dr. E b e r m a y e r (Leipzig): Nicht alle die Gründe, die gegen die Diskussion sprechen, können auseinandergesetzt werden. Der Hauptgrund ist jedenfalls der gewesen, daß es unmöglich erschien, drei große Themen als Verhandlungsgegenstände mit Diskussionen und Resolutionen zu behandeln. — Er bringe den Antrag des Herrn Prof. G o l d s c h m i d t zur Abstimmung: es soll über den ersten Teil der These v o n H i p p e l ' s ohne Diskussion abgestimmt werden. E r bäte jedoch, den Antrag abzulehnen, da ihm eine Abstimmung ohne Diskussion unmöglich erscheint.

107 Professor Dr. Kohlrausch (Berlin) bittet den Antrag abzulehnen, weil er es für unzweckmäßig halte, über einen Antrag ohne Diskussion abzustimmen, und außerdem auch deshalb, weil eines der Mitglieder der IKY. auf der für das Vorjahr in Aussicht genommenen Tagung ein Referat über den gleichen Gegenstand erstatten sollte und heute nicht anwesend sei. Professor Dr. Goldschmidt (Berlin) beharrt auf seinem Antrage. Es sei doch wohl die Meinung aller, daß die Sache über die Person gestellt werden muß. Da er der Ansicht des Herrn Kollegen v o n H i p p e l darin beipflichte, daß die in dem ersten Teil seiner These enthaltene Reform des Strafrechts vorweggenommen werden kann, bäte er nochmals, über seinen Antrag abzustimmen. Professor Dr. Liepmann (Hamburg): Es geht gegen alle Traditionen, gegen alle Gebote der Billigkeit, wenn hier lediglich auf Grund eines Vortrages, mag er auch noch so ausgezeichnet gewesen sein, abgestimmt werden soll über einen Vorschlag von größter Tragweite, ohne daß irgend jemand, der etwa dagegen Bedenken haben könnte, zur Aussprache zugelassen ist. W i r blamieren uns vor der ganzen Wissenschaft und Praxis, wenn wir hier über eine Sache abstimmen, zu der niemand zu Worte gekommen ist, und die uns lediglich durch einen ausgezeichneten Vortrag zu Gehör gebracht worden ist. Oberlandesgerichtspräsident Dr. Mittelstein (Hamburg) stimmt den Worten des Herrn Prof. Dr. L i e p m a n n zu. So sehr auch dem Vortrage des Herrn v o n H i p p e l und seinen Ergebnissen beizupflichten sei, müsse er doch vor einer Abstimmung warnen. Gesetze oder Resolutionen dürften, so sehr dies auch neuerdings üblich zu werden scheint, nicht im Handumdrehen beschlossen werden. Professor Dr. Goldschmidt (Berlin): Es handelt sich hier durchaus nicht um eine neue, in die Debatte geworfene Anregung v o n H i p p e l ' s , sondern Herr Kollege v o n H i p -

108 p e l ist nur für das eingetreten, was der Entwurf von 1919 vorgeschlagen hat. Man hat bisher immer beklagt, daß der Entwurf von 1919 noch nicht Gesetz geworden ist. Es ist also durchaus keine Übereilung, wenn wir dafür stimmen, daß ein Stück des Entwurfs vorweggenommen wird. Ich beharre deshalb bei meinem Antrag. Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer (Leipzig) bittet abzustimmen, ob der Antrag G o l d s c h m i d t angenommen werden soll. Die Abstimmung ergibt eine Mehrheit für Unterlassung einer Resolution. Schlußwort von Professor Dr. Liepmann (Hamburg): Ich bin um Kürze feierlich gebeten worden. Das ist natürlich etwas schwer. Denn wenn mein Vortrag selber naturgemäß eine große Anzahl von Problemen aufwerfen mußte, so sind sie nicht geringer geworden durch die Stimmen, die in der Diskussion laut wurden. Eine Frage möchte ich ausscheiden, die des Überzeugungsverbrechers. Ich werde mich mit meinem Freunde R a d b r u c h darüber privatim verständigen. Ich möchte nur betonen: ich halte meinen Standpunkt für richtig und bin durch seine sehr reizvollen, feinen Ausführungen nicht eines Bessern belehrt worden. Wichtig erscheint mir dagegen eine andre Frage: Es ist gesagt worden, dieser ganze Erziehungsstrafvollzug, den die Gesetze im Prinzip wollen, schädigt den Gesichtspunkt der Generalprävention. Namentlich Oberlandesgerichtsrat M a y hat darauf hingewiesen. Er meint: Je mehr wir uns um einzelne Gefangene kümmern, um so weniger werden wir der Allgemeinheit gerecht. Er hat geglaubt, daß der Gedanke des Erziehungsprinzips, wie ich ihn mit vielen andern vertreten habe, zu einer weichen und weichlichen Behandlung führe. Nichts ist falscher als diese Auffassung. Der Erziehungsgedanke, wie ich ihn will, bedeutet ein Training, eine Zusammenfassung, eine Aufstachelung gerade schwacher, haltloser Menschen, verlangt eine solche Anspan-

109 nung, dass er viel mehr bedeutet als das einfache sinnlose Hindösen in der Einzelzelle mit Wergzupfen und Maulhalten. Die Generalprävention wird dabei sicher nicht zu kurz kommen, und zwar schon deshalb nicht, weil der Gedanke einer Freiheitsentziehung in jedem Fall, vorsichtiger gesagt: von jedem normal empfindenden Menschen, als Übel empfunden wird. Kein Mensch außer denjenigen, die garnicht in die Lage kommen, Verbrechen zu begehen, läßt sich dadurch von der Begehung einer strafbaren Handlung zurückschrecken, weil er in die Gefängnisse hineingerochen hat und daher weiß, daß das eine unangenehme Sache ist. Wer das Verbrechen und die zu ihm treibenden Ursachen kennt, weiß, daß die Entstehungsgeschichte eines Verbrechens niemals von solchen Gedankengängen abhängt. Es wird nicht ein Verbrechen weniger begangen, weil etwa jemand überzeugt ist, daß der Aufenthalt im Gefängnis sehr unerfreulich ist —• nicht e i n Verbrechen mehr, weil etwa ein Krimineller im Sinne von Dr. M a y meint, in den modern geleiteten Gefängnissen sei es eine Lust, zu leben. — Die Generalprävention in ihrer Bedeutung bleibt bestehen. Dazu etwas weiteres: die Erziehungsarbeit. Ich weiß wohl, daß die Beamten dazu heute in sehr vielen Fällen nicht imstande sind. Das ist ja auch kein Wunder, man hat sie nie nach dieser Richtung geschult. Ein Mann wie Herr E 11ger hat gestern hier gesagt: die Hauptsache ist der Charakter. Gewiß, — nicht weniger aber auch beim Professor, Lehrer usw. Aber wer schließt nun hieraus, daß die wissenschaftliche Ausbildung beim Professor und Lehrer eine Nebensache sei! Auch handelt es sich nicht, wie E l l g e r annimmt, bei der Forderung einer Schulung für Gefängnisbeamte um eine rein theoretische, wissenschaftlich-doktrinäre Ausbildung. Sondern die Menschen, die im Gefängnisdienst tätig sein wollen, müssen wissen, um was es sich handelt; sie müssen theoretisch und praktisch die Probleme kennen, die in Fragen des Verbrechens, der Verbrecher und der Gefängnisinsassen auftreten. Ein großer Teil unserer Strafvollzugsbeamten hat noch heute keine Ahnung von den wirklichen Fragen. Man sagt: Der Widerstand der unteren

110 Beamten gegen eine solche Ausbildung wird sehr stark sein. Ich kenne eine Reihe von Beamten im G-efängnisdienst, die selber wissen, daß sie etwas lernen müssen, die selber die Empfindung haben, daß sie den Aufgaben nicht gewachsen sind, und daher die Forderung nach einer gründlichen Ausbildung selber gestellt haben. Aber auch die anderen, jene Beamten im Gefängnisdienst, die glauben durch bloße Praxis für ihren Beruf tauglich werden zu können, kann man erziehen, wenn nur die leitenden Stellen: die Direktoren und die Referenten des Gefängniswesens in der Justizverwaltung ernsthaft auf eine solche Ausbildung drängen! Im übrigen ist mir natürlich vollständig bekannt, daß diese Dinge nicht von heute auf morgen zu lösen sind. Und wenn mir gestern von zwei ganz verschiedenen Seiten über meinen Vortrag gesagt ist: „Ein bischen reichlich Idealismus. Nun ja, Idealismus muß es auch geben," so weiß ich ganz genau, was das bedeutet. Wenn wir wieder in die Höhe kommen, wieder Aufbauarbeit treiben wollen, dann müssen wir vor allen Dingen uns ein Ziel hinstellen, uns klar werden, was wir wollen. Wenn wir aber von vornherein sagen: das geht nicht, wir haben keine Mittel, außerdem sind so und so viele Gefangene unverbesserlich, außerdem ist das vorhandene Beamtenmaterial zu einer wirklichen Erziehungsarbeit heute noch nicht reif, — so resignieren wir auf jedes Vorwärtsstreben. Wir bleiben auf dem Punkt stehen, zu dem wir bisher gelangt sind, und machen noch nicht einmal den Versuch, uns klar zu machen: haben wir denn jetzt schon ein Urteil über die Verbesserliehkeit der G-efangenen ? Was ist denn bei den bisherigen Methoden v e r s u c h t worden, um diese Menschen wieder einzuordnen? Was ist an erziehungsfeindlichen Einflüssen in der Anstalt und vor allen Dingen nach der Entlassung auf sie hereingeprasselt? Wenn diese Menschen immer wieder rückfällig werden, so ist das bei den bisherigen Methoden kein Wunder. Nein, sondern es liegt gerade umgekehrt. Wenn bei den bisherigen Methoden der Gefängnisbehandlung und der Entlassenenfiirsorge ein Mensch n i c h t rückfällig ist, so ist das ein Wunder, ein wirkliches Wunder! Unsere ganze Me-

111 thode der Gesellschaft dem Entlassenen gegenüber ist so erziehungsmordend, so erziehungsfeindlich, daß, wenn wir hier vorwärts kommen wollen, wir vor allen Dingen sehen müssen, nach welcher Richtung wir grundsätzlich zu arbeiten haben! — Und dann — das soll der letzte Punkt sein, zu dem ich hier spreche — handelt es sich um ein klares Urteil über den W e r t der Einzelhaft. Die Einzelhaft als vorübergehende Maßregel kann sehr gut sein; ich denke gar nicht daran, sie zu verwerfen. Ebensowenig aber ist sie als Dauereinrichtung zu brauchen, wenn man durch den Strafvollzug erzieherische Zwecke verfolgen will. Andrerseits: wenn ich gesagt habe, daß im progressiven Strafvollzug die Hauptaufgabe in der Gemeinschaftshaft zu lösen sei, so nieine ich ganz gewiß nicht eine Gemeinschaftshaft nach dem Muster der heutigen Gefängnisse. Eine Gemeinschaftshaft, bei der die Gefangenen zur Nacht in Boxen, in gemeinsame Schlafställe zusammengesperrt werden, ist das Schlimmste, was es geben kann. Und solange wir nicht Isolierung zur Nacht haben, können wir im Grunde gar nicht von Erziehungsarbeit reden. Denn da wird alles zerstört, was etwa am Tage aufgebaut ist. Gemeinschaftshaft bedeutet Isolierung bei Nacht und unter Umständen auch Isolierung in Einzelzellen für Zeiten der Ruhe und Erholung. Aber auch damit sind die Probleme natürlich nicht gelöst. Denn nun handelt es sich darum, innerhalb der Gemeinschaftsräume die richtige Differenzierung unter den Gefangenen vorzunehmen. Nichts von alledem ist leicht zu erreichen, darüber darf man sich gar nicht täuschen. Um so wichtiger ist es daher, klar zu sehen, nach welchen Gesichtspunkten man eine solche Erziehungsarbeit, anzufassen hat! So steht es also. Ich lege keinen Wert darauf, daß hier eine Resolution gefaßt wird, wohl aber darauf, daß Sie diese Gedanken, die ja nicht von mir sind, sondern aus einer großen europäischen und internationalen Bewegung herausgewachsen sind, und die aus allen Kreisen wirklich erzieherisch gerichteter Menschen neue K r a f t gewinnen, in sich

112 wirken lassen, und daß Sie sich klar werden, nicht heute, nicht im Augenblick, sondern allmählich, daß die Probleme der Gefangenenbehandlung nur ein Ausschnitt aus der großen und allgemeinen Richtung sind. Es sind dieselben Probleme, die überall in der Erziehung, in der Erziehung pathologischer, zurückgebliebener Menschen, aber auch der Normalsinniger, in gleicher Weise aufgetreten sind. Und wenn Sie das Problem nicht vom Standpunkt der bloßen Gefängniszunft, nicht vom Standpunkt des Professorentums, sondern vom Standpunkt dieser allgemeinen Richtung betrachten, dann hoffe ich, wird einer oder der andere unter Ihnen einsehen, daß dies Ziele sind, für die es lohnt, seinen Willen anzuspannen, alle Kraft zu vereinigen, weil nur auf diesem Wege ein wirklicher Fortschritt zu erhoffen ist. Schlußwort von Präsident Dr. Finkelnburg (Berlin): Mein Mitberichterstatter, Herr Prof. L i e p m a n n , hat ein ausführliches Bild von den Reichsratsgrundsätzen aufgebaut. Ich habe mich in der Hauptsache darauf beschränkt, die entscheidende Vorfrage zu prüfen, ob die Reichsratsgrundsätze insofern eine Gefahr bedeuten, als durch ihre humanisierende Tendenz die generalprävenierende Kraft des Strafgesetzbuches abgeschwächt wird. Ich habe mich deshalb so ausführlich darüber ausgelassen, weil ich weiß, daß in weiten Kreisen der Öffentlichkeit der Verdacht entstanden ist, daß die Reichsratsgrundsätze eine Strafvollzugsverwässerung — der stärkere Ausdruck heißt Knochenerweichung des Strafvollzuges — bedeuten. Ich bin freudig erstaunt, daß diese Ansicht hier im Saale kein Echo gefunden hat, im Gegenteil eine ganze Reihe von Diskussionsrednern mit mir darin einig waren, daß vom Standpunkt der Staatssicherheit nichts zu befürchten sei. In der Debatte ist unter anderem der unselige Unverbesserlichkeitsbegriff aufgetaucht. Er ist bekanntlich ausgiebig in der Strafrechtsreform behandelt worden. Hier aber ist er überraschenderweise mit dem Progressivsystem in Beziehung gebracht worden. Es ist gesagt worden: ehe man das Progressivsystem in einer Anstalt aufbaut, müsse

113 man sich darüber klar sein, daß die Unverbesserlichen ausscheiden müssen. Davor möchte ich dringend warnen. Sind doch die Ansichten über die Unverbesserlichkeit ganz verschieden. Der eine verlangt sechsmaliges Vorbestraftsein; ein anderer meint, es müsse eine Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahre unter diesen Vorstrafen sein, ein dritter sagt: mindestens eine der Vorstrafen müsse eine Zuchthausstrafe sein usw. In Anbetracht solcher Differenzen glaube ich, daß wir jedem Gefangenen, der eingeliefert wird und wirklich gtiten Willen zeigt, sich stufenweise emporzuarbeiten, auch die Gelegenheit dazu gewähren müssen. Führt er sich schlecht, dann wird er j a ohne weiteres in die Strafklasse versetzt. Fangen wir nicht damit an, das Progressivsystem engherzig auszulegen, sondern behandeln wir es in dem weitgehenden Sinn, in dem die Reichsratsgrundsätze es geplant haben! Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer (Leipzig): Es ist ein Antrag von Herrn Prof. L i e p m a n n eingebracht folgenden Inhalts : „Die Deutsche Landesgruppe der I K V . bittet die Reichsregierung, den seit dem Herbst 1922 dem Reichs kabinett vorliegenden Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches baldigst dem Reichsrat zuzuführen und zugleich der Öffentlichkeit zur Kritik zu übergeben." Professor Dr. Liepmann (Hamburg): Es handelt sich hierbei um folgendes. Die Gefängnisgrundsätze sind im Grunde eine Halbheit, sie sind vom Standpunkt des Strafensystems des heute noch geltenden Strafgesetzbuchs überhaupt nicht zu verwirklichen, setzen vielmehr eine Reform des Strafgesetzbuchs voraus. Sie wissen, daß diese Reform seit langem in die Wege geleitet ist. Nach dem Entwurf von 1919 ist aber alles still geworden, der Entwurf R a d b r u c h , der bisher letzte in der Reformarbeit, ist der Öffentlichkeit bisher nicht übergeben. Es scheint mir dringend notwendig, daß wir von unserer Seite aus verlangen, 8

114 daß dieser Entwurf weiter gegeben wird. Die Kritik soll und wird dann einsetzen. Aber daß die Veröffentlichung geschieht und daß die I K Y . sich dafür einsetzt, daß wir auf diesem Gebiete vorwärts kommen, ist etwas, was wohl ohne Diskussion von uns beschlossen werden könnte. G-eheimrat Professor Dr. von Hippel (Böttingen): Gegen den Antrag, wie er eben gestellt worden ist, habe ich lebhafte Bedenken. Es wird uns mitgeteilt, daß ein Strafgesetzentwurf im Reichsjustizministerium vorhanden sei, der während der Amtsdauer des Herrn Kollegen R a d b r u c h ausgearbeitet wurde. Wissenschaftlich ist es selbstverständlich von Interesse, einen solchen Entwarf kennen zu lernen, insoweit habe ich natürlich nicht das mindeste Bedenken. Eine ganz andere Frage aber ist die, ob eine wissenschaftliche Versammlung den Beschluß fassen soll, daß ein ihr nicht bekannter Entwurf dem Reichsrat vorgelegt werden soll. Denn das ist eine absolut politische Stellungsnahme zugunsten eines Entwurfes, den wir nicht kennen. Ich kann nur bitten, insoweit entschieden dagegen zu stimmen. Auch in einem zweiten Punkt habe ich Bedenken. W i r wissen nicht, ob nicht politische Gründe dafür vorhanden sind, daß der Entwurf in Berlin ruht, da man ihn vielleicht erst weiter durcharbeiten will. Ich bitte danach, daß über die beiden Teile des Antrags getrennt abgestimmt wird. Der zweite Teil ist allenfalls erträglich; der erste Teil, wonach wir uns dafür einsetzen, daß ein unbekannter Entwurf dem Reichsrat vorgelegt wird, ist meiner Meinung nach unerträglich. Ministerialdirektor Dr. B u m k e (Berlin): Ich lege den Antrag etwas anders aus, als mein verehrter Herr Vorredner. Ich nehme nicht an, daß der Antrag den Entwurf, der im Herbst 192*2 dem Kabinett vorgelegt worden ist, unverändert an den Reichsrat gebracht wissen will, sondern daß es dem Antragsteller darauf ankommt, daß das Kabinett sich über den Entwurf schlüssig macht und ihn an den Reichsrat weitergibt mit den Änderungen, die es etwa für geboten

115 erachten sollte. Ich nehme ferner auch nicht an, daß mit dem Antrag bezweckt ist, den Entwarf R a d b r u c h , wenn ich ihn so nennen darf, der Öffentlichkeit zu übergeben, sondern daß auch hier der Wunsch besteht, den Entwurf in der G-estalt, in der er dem Reichsrat zugeleitet wird, gleichzeitig veröffentlicht zu sehen. (Prof. L i e p m a n n : sehr richtig!) Wenn ich den Antrag so verstehe, so kann ich nur sagen, daß ich den Antrag vom Standpunkt der Reichs Justizverwaltung begrüße. Die Arbeiten an der Strafrechtsreform haben durch den Krieg und durch das, was auf den Krieg gefolgt ist, eine schwere Störung erlitten. Diese Störung wirkt auch bis heute noch fort infolge des häufigen Wechsels der Kabinette, infolge der Tatsache, daß das Reichsjustizministerium zeitweise und augenblicklich wieder unbesetzt geblieben ist. Die Verhältnisse, unter denen wir in den letzten Jahren gelebt haben, die Tatsache, daß außenpolitische und innenpolitische Probleme aller Art die Kabinette von Tag zu Tag beschäftigt haben, erklären es, daß der Entwurf, der im Herbst 1922 dem Reichskabinett vorgelegt worden ist, bis heute noch nicht zu einer Erörterung im Kabinett gelangt ist. Ich darf auch nicht verhehlen, daß gegen die Weiterbehandlung dieses Entwurfes finanzielle Bedenken erhoben worden sind, und daß wir zur Zeit gerade vom Justizministerium aus noch in dem Versuche begriffen sind, diese finanziellen Bedenken zu beseitigen. W i r von der Reichsjustizverwaltung sind von der Auffassung durchdrungen, daß alles das, was wir in den letzten Jahren an strafrechtlichen Reformen erreicht haben, nur Stückwerk ist und daß es nicht Stückwerk bleiben darf. Wir haben keinen größeren Wunsch, als die Gresamtreform des Strafrechts weiter zu treiben. Wir sind der Uberzeugung, daß eine solche F ö r d e r u n g der Strafrechtsreform a u c h in u n s e r e r j e t z i g e n p o l i t i s c h e n und f i n a n z i e l l e n L a g e m ö g l i c h ist. W i r sind insbesondere der Auffassung, daß eine vernünftige Strafrechtsreform finanzielle Bedenken nicht zu erregen braucht. Ich persönlich bin immer davon ausgegangen, daß das erste Ziel einer Strafrechtsreform eine vernünftige Ökonomie des Strafrechts 8*

116 sein sollte, eine Beschränkung in den Strafdrohungen und in der Anwendung des Strafgesetzes, die weit über das hinausgeht, was wir zur Zeit noch haben, auch über das, was durch die Verordnung vom 4. Januar infolge der Durchbrechung des Legalitätsprinzips erreicht worden ist. Ich glaube, daß wir heute noch an einer Hypertrophie des Strafrechts leiden. "Wenn wir diese bekämpfen und uns auf das beschränken, was wirklich strafrechtlich erfaßt werden sollte, werden wir kaum zu Mehrausgaben auf dem Gebiete des Strafrechts kommen, vielleicht sogar zu einer Einschränkung, jedenfalls aber zu der Möglichkeit, die Mittel, die zur Verfügung stehen, zweckmäßiger und vernünftiger zu verwenden. Wenn uns die Versammlung in diesem Bestreben, die Strafrechtsreform weiter zu führen, unterstützt, so kann ich das vom Standpunkt der Reichsjustizverwaltung aus nur begrüßen. Und es kommt für uns noch ein anderer Gesichtspunkt hinzu. Es handelt sich hier nicht mehr allein um ein reichsdeutsches, sondern um ein gemeinsames deutsch-österreichisches Projekt. Innerhalb der Reichsjustizverwaltung wird gerade dem G-edanken, hier zu einem gemeinsamen Werk mit Oesterreich zu kommen, ganz besondere Bedeutung beigemessen. Nach meiner Auffassung gilt es für uns, hier eine Art Ehrenschuld einzulösen. Auf der Tagung in Jena ist der Gedanke eines gemeinsamen Strafgesetzes zuerst vom Grafen G l e i s p a c h angeregt worden. Er hat damals gesagt, daß er den deutschen Entwurf von 1919 gleichzeitig als österreichischen Entwurf ansehe. Das ist der Anlaß geworden zu dem Versuch, die beiden Reformbewegungen, die schon so lange in beiden Ländern bestanden und im großen und ganzen dem gleichen Ziele zustrebten, miteinander zu verbinden. Auf österreichischer Seite haben wir jedes Entgegenkommen und jede Unterstützung gefunden. Sowohl mir wie meinen Mitarbeitern — und auch für den Herrn Minister R a d b r u c h darf ich dies wohl erklären — hat nichts eine größere Freude gemacht als die Zusammenarbeit, die wir seinerzeit mit Herrn Hofrat K a d e c k a haben leisten dürfen. Wir wissen auch, daß Oesterreich auf den Fortgang

117 der Reformarbeit besonderen Wert legen muß, weil sich die Überalterung des Strafgesetzbuches, unter der wir leiden, in Oesterreich doppelt bemerkbar macht, und weil Oesterreich sich vor die Frage gestellt sieht, entweder die Reform bald weitergeführt zu sehen, oder aber zu großen einschneidenden Teilreformen zu greifen, womit dann das große Werk eines gemeinsamen Strafgesetzbuches einen schweren Stoß erleiden würde. Was die Veröffentlichung angeht, so sind wir im Reichsjustizministerium bisher immer davon ausgegangen, daß mit der Vorlage an den Reichsrat auch eine Veröffentlichung des Entwurfes verbunden sein sollte. Eine bindende Zusage nach der Richtung kann ich natürlich nicht abgeben. Es wird eine Aufgabe des Kabinetts sein, hierüber Entschließung zu fassen. Ich möchte aber glauben, daß auch bei dieser Entschließung des Kabinetts die Gründe, die für eine Veröffentlichung des Entwurfs sprechen, überwiegen werden. Es ist ja naturgemäß, daß der Entwurf, wenn er dem Reichsrat vorgelegt wird, noch einer sehr eingehenden Betrachtung unterzogen werden muß, einer Betrachtung nicht nur durch die Justizverwaltungen, sondern auch durch die Finanzverwaltungeq. Alles das wird geraume Zeit, vielleicht ein volles Jahr beanspruchen. Daß diese Zeit gleichzeitig verwertet wird, um der Wissenschaft und der Praxis Gelegenheit zu geben, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen, erscheint mir nahezu selbstverständlich. So möchte ich glauben, daß auch in dem zweiten Teil der Antrag durchaus dem entspricht, was die Lage erfordert. Ministerialrat Dr. Kadeöka (Wien): Ich habe mich zum Wort gemeldet, bevor ich gewußt habe, was Herr Ministerialdirektor B u m k e vorbringen wird. Er hat meine eigenen Absichten bereits erfüllt. Ich kann nichts anderes tun als das unterstreichen, was er gesagt hat. Die österreichische Regierung ist an der Fortführung der im Jahre 1922 gemeinsam begonnenen Reform auf das lebhafteste interessiert. Sie betrachtet den Entwurf, der hier Gegenstand einer Beschlußfassung werden soll, auch als i h r e n Entwurf. Sie

118 hat ein ganz besonderes Interesse daran, daß die Reformarbeit nicht stehen bleibe, weil die Strafrechtsreform bei uns noch viel dringender ist als in Deutschland, da unser Strafgesetz zurückgeht bis in das Jahr 1803. Ich verrate kein Amtsgeheimnis, wenn ich sage, daß wir darum, weil die deutschen Reformarbeiten zeitweise nicht vorwärts kamen, genötigt waren, einen Entwurf auszuarbeiten zur Teilreform des a l t e n Strafgesetzbuches, der nahezu fertiggestellt ist. Wenn die deutsche Reform keinen Fortgang nimmt, werden wir gezwungen sein, diesen Entwurf dem Nationalrat vorzulegen, um wenigstens die dringendsten Rückständigkeiten unseres geltenden Strafrechts zu beseitigen. Ich bitte Sie daher auch namens der österreichischen Regierung, dem Antrag, der hier gestellt ist, Ihre Zustimmung zu erteilen. Ich meine, daß darin keine Stellungnahme zu dem Inhalt erblickt werden kann, weil Ihnen ja der Inhalt gar nicht bekannt ist. Sie wollen damit eben nichts anderes, als Ihrem Willen Ausdruck geben, daß diese; gemeinsame Reform, die im Jahre 1922 verheißungsvoll begonnen worden ist, weitergeführt und zum glücklichen Endt» gebracht werden soll. Nunmehr wird anstelle des Antrages L i e p m a n n ein veränderter Antrag L i e p m a n n - v . H i p p e l vorgelegt: „Die Versammlung erklärt es für wünschenswert, daß die Gesamtreform des Strafrechts tunlichst gefördert und ein redigierter Entwurf nicht nur amtlich behandelt, sondern auch der öffentlichen Kritik zugänglich gemacht werde." Der Antrag wird in dieser Form angenommen.

2. V e r h a n d l u n g s g e g e n s t a n d :

Die Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924 und ihre Auswirkung bei den Gerichten. 1.Berichterstatter: GeneralstaatsanwaltDr.Lang, Hamburg. „Unter den Reichsjustizgesetzen des Jahres 1877 hat von Anfang an die Strafprozeßordnung am wenigsten befriedigt. Die zahlreichen Versuche, die von den verbündeten Regierungen wie vom Reichstag gemacht worden sind, um eine Änderung der am meisten reformbedürftig erscheinenden Vorschriften zu erreichen, haben jedoch nicht zum Ziele geführt". Mit diesen Sätzen begann die Begründung zu den Regierungsentwürfen eines Gesetzes betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, einer Strafprozeßordnung und eines Einführungsgesßtzes zu beiden Gesetzen, die im Jahre 1909 dem Bundesrat und Reichstag vorgelegt wurden. Diese Worte, mit denen auch unsere Verordnung vom 4.1.1924 über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege hätte eingeführt werden können, sprechen nicht mehr und nicht weniger aus, als daß das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozeßordnung vom Tage ihres Entstehens an in wesentlichen Teilen reformbedürftig waren. Gleichwohl sind diese Gesetze bis in die neueste Zeit hinein nahezu unberührt geblieben. Dabei hat es wahrlich nicht an Reformversuchen gefehlt. Schon im Jahre 1883, also kaum vier Jahre nach dem Inkrafttreten der beiden Prozeßgesetze setzte die Reformbewegung ein, und in der Folgezeit gab es keine Reichstagsperiode, in der nicht Anträge zur Reform des Strafprozesses gestellt oder Vorschläge und Entwürfe solcher Art von seiten der Reichsregierung aufgestellt wurden. Ich glaube nicht, daß es erforderlich ist, in diesem Kreise den bis in die jüngste Zeit negativen Verlauf dieser Reformbewegung

120 zu schildern. Erwähnen möchte ich nur eines: Nachdem die großen Reformversache von 1909 und 1919 gescheitert waren, verfolgte die Reichsregierung unentwegt den Plan wenigstens eine Neuordnung der Strafgerichte herbeizuführen. Dahinzielende Entwürfe gingen dem Reichsrat am 19. 6. 1922 (Entwurf Radbruch) und dem Reichstag am 29. 5. 1928 (Entwurf Heinze) zu. Die Beratungen hierüber führten zu keinem Ergebnis. Die katastrophale Entwertung unseres Geldes in der zweiten Hälfte des Jahres 1923 gab der Reformbewegung ein alle anderen Zwecke überragendes Hauptziel, nämlich die Verbilligung unserer Strafrechtspflege. Ein vom Abgeordneten Schiffer eingebrachter Entwarf eines Gresetzes zur Vereinfachung des Rechtswesens sollte der Erreichung dieses Zieles dienen. Eine Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege wurde entworfen, sie sollte bereits unter dem ersten Ermächtigungsgesetz erlassen werden; dieser Entwurf, der nicht veröffentlicht wurde, ist als der unmittelbare Vorgänger der Verordnung vom 4. I. 1924 anzusehen. Denen, die die Vorgeschichte der Verordnung vom 4. I. 1924 kannten, brachte der Erlaß und der Inhalt der Verordnung kaum eine Überraschung. Allein der Kreis der Wissenden war recht eng gezogen. Gerade die einschneidendsten Bestimmungen sind unter dem Zwange der Verhältnisse sozusagen erst in letzter Stunde in die Verordnung aufgenommen worden; sie konnten vom Standpunkt der Reichsregierung aus betrachtet nicht vorher noch der Öffentlichkeit zur Stellungnahme vorgelegt werden. Daher darf es nicht Wunder nehmen, daß die Verordnung für weite, auch für beruflich interessierte Kreise, reichlich unvermutet kam. Gerade dieses plötzliche Erscheinen der Verordnung, das bewußte Ausschalten der zur sachlichen Mitarbeit berufenen Kräfte, die Tatsache, daß Grundlagen unserer Rechtsordnung durch eine ministerielle Verfügung aufgehoben und abgeändert wurden, all das war meines Erachtens ein Grund mit dafür, daß die alsbald nach ihrem Erlaß einsetzende Kritik der Verordnung auch in Kreisen der Wissenschaft und Praxis nach Form und Inhalt das übliche Maß ver-

121 missen ließ. Daß bei der innerpolitischen Hochspannung die Verordnung auch bei einzelnen Parteien nicht gerade rein sachliche Würdigung fand, versteht sich von selbst. So kam es, daß die Erörterungen über die Verordnung wenigstens in der ersten Zeit mehr ablehnender als zustimmender Natur waren. In diesem Zusammenhange darf ich, bevor ich zum Inhalt der Verordnung Stellung nehme, eine Frage kurz streifen, die in vielen ablehnenden Kritiken in den Vordergrund gestellt wurde, n ä m l i c h die F r a g e d e r R e c h t s g ü l t i g k e i t der Verordnung. Diese Frage ist im bejahenden Sinne zu beantworten. Ich glaube nicht, daß die Eechtsgültigkeit z. Zt. noch ernstlich bezweifelt wird. Das Reichsgericht hat denn auch durch Entscheidung vom 24. III. 1924 ausgesprochen, daß die Verordnung rechtsgültig sei. Die einzige in dieser Beziehung bedenkliche Bestimmung ist die des § 43 d. Vdg. des Reichsjustizministers. Der Reichsjustizminister hat jedoch, soweit ich es zu übersehen vermag, von der ihm in § 43 der Verordnung m. E. ungültigerweise übertragenen gesetzgeberischen Befugnis keinen Gebrauch gemacht. Die mit Bekanntmachung des Reichsjustizministers vom 22. März 1924 veröffentlichten Texte des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung sind inhaltlich nichts anderes als eine geordnete Zusammenstellung des z. Zt. geltenden Rechtes. Bevor ich nun zum Inhalte der Verordnung selbst übergehe, sei es mir gestattet, einige a l l g e m e i n e Bem e r k u n g e n vorauszuschicken. Zu erörtern sind m. E. die vier ersten Abschnitte der Verordnung; der 5. Abschnitt, der nur bis zum 1. IV. 1924 gegolten hat, kann unberücksichtigt bleiben. Die vier ersten Abschnitte sind seit 1. April geltendes Recht. Es handelt sich also nicht, wie so häufig bei den Verhandlungen der I. K. V., um die Kritik eines Gesetzentwurfes, nicht um die Kritik werdenden, sondern um die Kritik gewordenen Rechtes. Jedes Gesetz aber trägt den Keim der Weiterbildung und Umbildung in sich, unsere Verordnung vielleicht in höherem Grade als ein anderes Gesetz. Die Verordnung kann man betrachten als ein von der Not der Zeit uns aufgezwungenes Experiment

122 auf dem Gebiete des Strafprozesses. Jedes Experiment soll aber dazu dienen, die Stärken und die Schwächen des gewählten Mittels aufzudecken, und Gelegenheit geben, den eingeschlagenen Weg zu verbessern, um am Schiasse ein möglichst fehlerfreies, endgültiges Gebilde zu Tage zu fördern. Die Verordnung ist, auch wenn sie nicht auf kurze Lebensdauer berechnet ist, doch nichts anderes als eine Etappe auf dem Wege zum letzten Ziele, nämlich zur umfassenden Neugestaltung unseres gesamten Strafrechts. Von diesem Standpunkt aus wird m. E. der Inhalt der Verordnung gerade hier im Kreise der I. K. V. zu prüfen und kritisch zu beleuchten sein, denn die I. K.V. ist besonders dazu berufen, dem w e r d e n d e n Rechte die Bahn zu zeigen und zu bereiten. Das H a u p t z i e l der Verordnung vom 4.1.1924 ist, eine möglichst große Ersparnis auf dem Gebiete des Strafprozesses zu erreichen. Wenn die finanzielle Not so groß ist, daß in einem großen deutschen Lande ein Stillstand der Rechtspflege drohte, weil die erforderlichen Gelder für die Entschädigung der Schöffen und Geschworenen nicht mehr zur Verfügung standen, dann wird man auch tief eingreifende Maßnahmen als notwendig und gerechtfertigt gelten lassen müssen. Ich glaube jedoch annehmen zu dürfen, daß die Reichsregierung bei Erlaß der Verordnung im Rahmen ihres Hauptzieles, Ersparnisse zu machen, ein w e i t e r e s Ziel verfolgt, nämlich eine Vereinfachung und Verbesserung unseres Strafverfahrens. Die Notmaßnahmen des V. Abschnittes unserer Verordnung haben diesem Ziele allerdings nicht gedient; sie waren einzig und allein mit dem brutalen Hinweis auf die traurige Finanzlage gerechtfertigt und vertrugen keinerlei wissenschaftliche Kritik. Ich glaube aber nicht, daß die Reichsregierung jede Kritik an dem übrigen Teil der Verordnung mit diesem bequemen Hinweis abzutun gewillt ist, sondern daß sie fiir sich auch in Anspruch nimmt, mit der Verordnung Bestimmungen getroffen zu haben, die einen Fortschritt, einen bleibenden Gewinn bedeuten und die die kritische Prüfung durch Wissenschaft und Praxis nicht zu scheuen brauchen. Wäre die Verordnung nur eine rein finanztechnische und finanzpolitische

123 Maßnahme, so würde sich ihre Erörterung in diesem Kreise erübrigen, da sie aber auch zugleich eine der Verbesserung unseres Strafverfahrens dienende justiztechnische und rechtspolitische Maßnahme sein soll, sind die berufenen Kreise berechtigt und verpflichtet, Stellung zu ihr zu nehmen. Die Mittel, mit denen die Verordnung außer Ersparnissen zugleich auch eine V e r b e s s e r u n g des Strafverfahrens erzielen will, sind in der Hauptsache folgende: 1) Neugestaltung der Strafgerichte. 2) Neuregelung der Zuständigkeit der Strafgerichte und in Verbindung damit eine Neuregelung des Instanzenzuges. 3) Erweiterung der Befugnisse der Staatsanwaltschaft. Einige Maßnahmen von mehr untergeordneter Bedeutung können unerwähnt bleiben. Diese Mittel, so allgemein bezeichnet, wie es soeben geschah, enthalten nichts Neues; sie bilden seit 40 Jahren bald in einzelnen Teilen, bald in ihrer Gesamtheit den Kern jeder ßeformbewegung auf dem Gebiete des Strafprozesses. Aber wenn man auch die Vorschriften der Verordnung im einzelnen prüft, wird man kaum einen bedeutsamen Gedanken finden, der nicht seit Inkrafttreten der St. P. 0 . und des G. V. G. irgendeinmal im Schrifttum, auf wissenschaftlichen Kongressen, in Beratungen gesetzgebender Körperschaften oder in Gesetzentwürfen ausgesprochen worden wäre. Ich erwähne dies nicht deshalb, weil ich damit etwa das Verdienst des Gesetzgebers schmälern will, sondern weil im Gegenteil durch eine solche Feststellung das Vorgehen des Gesetzgebers in gewissem Sinne gerechtfertigt wird. Denn es kann nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, originelle, von niemandem geteilte und geprüfte Einfälle und Ideen Gesetz werden zu lassen, sondern er wird das Gesetz dann dem Rechtsbewußtsein und dem Rechtsverlangen des Volkes am besten anpassen, wenn er auf d i e Stimmen hört, die den Wünschen des Volkes, dem Sachverstand und der Erfahrung Ausdruck geben. So sind es denn im Grunde genommen alte Bekannte, die uns in der Verordnung begegnen, wenn auch das Kleid, in dem sie auftreten, manch neuen Zuschnitt aufweist.

124 Ich komme nun zur Erörterung der e i n z e l n e n T e i l e der Verordnung. Der Wunsch nach Neugestaltung der Strafgerichte regte sich schon bald nach dem Inkrafttreten des G. Y. Gr. Es ist dies um so begreiflicher, als die im Gr. V. G-. gegebene Gerichtsorganisation nicht nach einem einheitlichen Grundgedanken aufgebaut, sondern im wesentlichen das Ergebnis verschiedener Kompromisse war. Man kam damals, wie einmal drastisch gesagt wurde, zu einem System der Systemlosigkeit. Man machte Konzessionen den Anhängern des Systems der Schöffengerichte, des Systems der ausschießlich mit Berufsrichtern besetzten Gerichte und des Systems der Geschworenengerichte. Mit Hecht regte sich schon frühzeitig das Verlangen nach Einfachheit, Gleichartigkeit und Konsequenz im Aufbau unserer Strafgerichte. Die in den 80 er und 90 er Jahren auftauchenden Wünsche und Vorschläge gingen in der Hauptsache dahin, die Strafkammern in Schöffengerichte umzuwandeln. Ein einheitliches System stellte die 1903 eingesetzte Strafprozeßreformkommission auf, indem sie für alle Gerichte erster Instanz und der Berufungsinstanz die Beteiligung von Laien in der Form von Schöffen und damit die Beseitigung der Strafkammern in bisheriger Zusammensetzung und der Schwurgerichte vorschlug. Die Bestrebungen in der Folgezeit kann ich übergehen, ich möchte nur auf die radikalen Vorschläge des Heinzeschen Entwurfs von 1923 hinweisen, der folgendes vorsah: den Einzelrichter mit sehr weitgehender Zuständigkeit, das kleine Schöffengericht bei dem Amtsgerichte in der Besetzung mit 1 Richter und 2 Schöffen, das große Schöffengericht, ebenfalls beim Amtsgericht, mit 3 Richtern und 2 Schöffen und das sogenannte Schwurgericht beim Landgericht mit 3 Richtern und 6 Schöffen; in der Berufungsinstanz die kleine Strafkammer mit 1 Richter und 2 Schöffen, und die große Strafkammer mit 3 Richtern und 2 Schöffen. Die Verordnung vom 4. 1. 1924 hat an diesem Heinzeschen Entwurf nur geringe Änderungen vorgenommen; sie hat für das erweiterte oder große Schöffengericht 2 Richter und 2 Schöffen vorgesehen und die Zahl der Richter in den

Senaten der 0. L. Gr. von 5 auf 3 and des Reichsgerichts von 7 auf 5 herabgesetzt, sofern die Senate in der Revisionsinstanz urteilen. Unsere Verordnung hat damit Bestrebungen zum Ziele geführt, die seit vielen Jahren im Parlament, besonders auch auf den Tagungen der I. K. V. 1906 und 1909 mit Nachdruck zu Tage getreten sind. Sie hat die ausschließlich mit gelehrten Richtern besetzten Strafkammern beseitigt, sie hat eine umfangreichere Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege, eine Ausdehnung der Berufung und die Zuziehung von Laien in der Berufungsinstanz ermöglicht, und sie hat endlich die Schwurgerichte in Schöffengerichte umgewandelt. Sie ist damit in ihren Grundzügen zurückgekehrt zum ersten Entwurf zum G. V. G. von 1873 und zu den Vorschlägen der Reformkommission von 1905. Im einzelnen darf ich folgendes hervorheben: In gewissem Umfange kann es durchaus gebilligt werden und wird es auch gebilligt, daß der Einzelrichter als Strafrichter tätig wird. Ob die Verordnung bei Regelung dieser Frage die erforderliche Grenze eingehalten hat, will ich bei der Besprechung der Zuständigkeit näher erörtern. Die Beibehaltung des mit einem Richter und zwei Schöffen besetzten Schöffengerichtes hat mit Recht nirgends Widerspruch hervorgerufen. Daß dieses Schöffengericht, wenn ihm eine noch über die bisherige Zuständigkeit der Strafkammern hinausgehende Zuständigkeit beigelegt werden sollte, in schwierigen, umfangreichen und bedeutsamen Strafsachen verstärkt werden muß, ist eine besonders in der Kritik über den Entwurf von 1919 wiederholt aufgestellte Forderung. Die meisten Vorschläge gingen damals dahin, in solchen Fällen einen 2. Richter und einen 3. Schöffen hinzuzuziehen. Man wollte stets eine ungerade Zahl der Mitglieder des Gerichts haben und eine Mehrheit von Laienrichtern. Die Verordnung läßt eine Verstärkung des Gerichts durch Zuziehung eines 2. Richters eintreten, sodaß das Gericht aus 2 Richtern und 2 Laien besteht. Es ist dies, rein äußerlich betrachtet, eine ungewöhnliche Zusammensetzung. Soweit ich zu sehen vermag, ist im Auslande nur

126 in Osterreich der Gerichtshof 1. Instanz ebenso, nämlich aus 2 Richtern und 2 Schöffen zusammengesetzt. Gegen die Zuziehung eines 2. Richters ist wiederholt eingewendet worden, daß bei Meinungsverschiedenheit der beiden Richter in Rechtsfragen die Schöffen verwirrt werden könnten, daß unter solcher Meinungsverschiedenheit das Ansehen und die Autorität der Richter leiden könnte. Ich glaube nicht, daß dieser Einwand stichhaltig ist. Die Schöffen erfahren recht häufig schon aus den Darlegungen des Staatsanwalts und des Verteidigers, daß in einer Rechtsfrage verschiedene Meinungen bestehen können. Wenn die beiden Richter in der Beratung in verständiger und würdiger Weise ihre verschiedenen Auffassungen vertreten, so kann daraus nicht Schaden sondern nur Nutzen entstehen. Die Rechtsfrage und im Zusammenhang damit auch die Tatfrage werden erschöpfender erörtert, als wenn Einigkeit bei den Richtern besteht. Die genannten Einwände aber müßten auf jeden Fall zurücktreten hinter dem unbedingten Erfordernis eines 2. rechtsgelehrten Richters in allen Fällen, wo die K r a f t eines Richters nicht ausreicht, um all das zu bewältigen, was von e i n e m rechtsgelehrten Mitglied des Gerichts erledigt werden muß. Verhandlungsleitung, Festhalten des Verhandlungsergebnisses und Absetzen des Urteils würde in vielen Fällen die K r a f t eines Einzelrichters übersteigen. Eine andere Frage ist es, ob es nicht erforderlich wäre, in solchen Fällen einen 3. Schöffen hinzuzuziehen. Ich halte dies nicht für erforderlich, denn durch die Vorschrift des § 20 Absatz 2 der Verordnung ist dafür gesorgt, daß die Schöffen weder in der Schuld- noch in der Straffrage von den Richtern überstimmt werden können. Sodann aber soll nach der Absicht des Gesetzgebers nicht etwa bei besonders schweren Straftaten ein 2. Richter herangezogen werden, — ein schwerer Raub kann z. B. rechtlich und tatsächlich sehr einfach gelagert sein, sodaß ein 2. Richter nicht erforderlich ist — sondern diese Maßnahme soll dann eintreten, wenn das richterliche Mitglied des Gerichts, der Vorsitzende, nicht aber die Schöffen, mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles einer Unterstützung in der Ver-

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handlung und Beratung bedarf. Der Gesetzgeber handelte daher nur folgerichtig, wenn er in solchen Fällen das r i c h t e r l i c h e Element verstärkte. Die Umwandlung der ausschließlich mit rechtsgelehrten Richtern besetzten Strafkammern in Schöffengerichte entspricht einer schon seit vielen Jahren immer wieder erhobenen Forderung. Meist wurde diese Forderung — und dies geschah auch in amtlichen Begründungen zu Gesetzentwürfen — damit begründet, daß die Strafkammern das Vertrauen des Volkes nicht genössen und deshalb in gemischte Gerichte umgewandelt werden müßten. Wohl wurde hin und wieder ein Strafkammerurteil bekannt, das in der Öffentlichkeit nicht gebilligt wurde; im allgemeinen aber — das darf bei dieser Gelegenheit gesagt werden — waren die Strafkammern des Vertrauens des Volkes w ü r d i g ; denn sie haben auf dem Gebiete der Strafrechtspflege, besonders bei Bekämpfung des gewohnheitsmäßigen Verbrechertums, Ausgezeichnetes geleistet. Das wissen auch weite Kreise des Volkes, das wissen insbesondere auch viele, die gleichwohl — und mit Recht — die B e s e i t i g u n g der Strafkammern in ihrer bisherigen Besetzung verlangten. Denn es ist nicht immer Mißtrauen gegenüber den Behörden, wenn das Volk verlangt, in seiner Gesamtheit oder mit seinen Vertretern an der Regelung öffentlicher Angelegenheiten, an der Führung der Geschäfte des Staates, an Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung beteiligt zu sein. So wie nach Lilienthal jeder natürlich und sittlich empfindende Mensch sich zum Strafrichter befähigt fühlt, so ist es das natürliche Begehren eines mündig gewordenen, eines politisch und ethisch reifen Volkes an der Ausübung der dreifach gegliederten Staatsgewalt teilzunehmen und die Verantwortung mitzutragen an den Entscheidungen, die das Volk wieder in seiner Gesamtheit und in seinen einzelnen Teilen treffen sollen. Die verfassungsrechtlichen Bestrebungen seit Mitte des vorigen Jahrhunderts, das immer stärker auftretende demokratische Prinzip auf allen Gebieten staatlichen Lebens führten zur Forderung nach weitgehender Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege. Aus diesen Gedanken-

128 gärigen heraus rechtfertigt sich m. E. diese Forderung und ihre Erfüllung viel zutreffender und w ü r d i g e r als mit dem ständig leider auch a m t l i c h betonten Mißtrauen gegen die Berufsrichter, ein Mißtrauen, dessen Existenz und Umfang bisher ausreichend noch garnicht nachgewiesen worden ist. Darum ist es m. E . richtig, daß grundsätzlich bei allen Strafgerichten, die über Tatfragen zu entscheiden haben, Laien, Vertreter des Volkes, mitwirken. Und darum ist es richtig, daß dann, wenn Berufungsgerichte eingeführt werden, auch in der Berufungsinstanz Laien hinzugezogen werden. Auf den Tagungen der I. K. V. 1906 und 1909 ist diese Forderung in Übereinstimmung mit der Reformkommission mit Nachdruck geltend gemacht worden; der Reichstag hat damals diese Forderung ebenfalls vertreten und daran ist j a bekanntlich das große Reformwerk gescheitert. Die Strafkammer, die nunmehr nur noch Berufungsgericht ist, wird nach der Verordnung gebildet von 1 Richter und 2 Schöffen in den Fällen, in denen in 1. Instanz der Amtsrichter allein entschieden hat. Gegen diese Zusammensetzung wird nichts einzuwenden sein; ein größerer Apparat wird in diesen Fällen für die Berufungsinstanz kaum erforderlich sein, es wird damit die Möglichkeit geschaffen, daß in diesen Fällen wenigstens in der Berufungsinstanz Laien an der Entscheidung der Sache mitwirken. Im übrigen ist das Berufungsgericht gebildet aus 3 Richtern und 2 Laien. Auch diese Zusammensetzung wurde auf der Tagung der I. K. V. von 1909 bereits mehrfach vorgeschlagen. Weit häufiger allerdings wurde die Zusammensetzung aus 2 Richtern und 3 Schöffen empfohlen. Als eine Frage von besonderer Bedeutung möchte ich es nicht bezeichnen, ob man die eine oder die andere Art der Zusammensetzung wählt. Die Regelung der Verordnung wird man deshalb billigen können, weil einmal bei dieser Zusammensetzung die Schöffen weder in der Schuld- noch in der Straffrage überstimmt werden können, dann aber, weil mit 3 Richtern die Strafkammer bedeutend leistungsfähiger ist als mit 2 Richtern, ein Grrund, der mit Recht in der Begründung zum Heinzeschen Entwurf

129 von 1923 für eine gleichlautende Bestimmung über die Zusammensetzung der Berufungsgerichte geltend gemacht wurde. Die bedeutsamste Maßnahme, die die Verordnung brachte, ist zweifellos die Umwandlung des Schwurgerichts in ein großes Schöffengericht unter Beibehaltung der bisherigen Bezeichnung als S c h w u r g e r i c h t . Man hat, wenn ich diesen Punkt gleich vorwegnehmen darf, der Verordnung zum Vorwurf gemacht, daß sie mit dieser unrichtigen Bezeichnung das Volk zu täuschen versuche. Ich kann mir nicht denken, daß man ernstlich die Reichsregierung für so naiv halten will, daß sie wirklich einen solchen Versuch unternehmen wollte. Ich kann mir aber wohl denken, daß man mit der Beibehaltung dieser Bezeichnung zum Ausdruck bringen wollte, es handle sich um Gerichte, die, wie bisher, die schwersten Kapitalverbrechen abzuurteilen berufen sind und bei denen die Laienrichter den ausschlaggebenden und überwiegenden Einfluß auf die Entscheidungen haben. Der Streit über die Frage, ob das Schöffengericht oder das Schwurgericht den Vorzug verdiene, ist so alt, ja noch älter wie die St. P. 0. und das Gr. V. Gr. Im September 1791 in Frankreich als ein „Hort der Freiheit" eingeführt, war das Schwurgericht in der Folgezeit das heiß erstrebte Ziel aller derer, die in der Strafrechtspflege das geheime schriftliche Inquisitionsverfahren des gemeinen Hechts bekämpften. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde im Zusammenhang mit der 48 er Bewegung das Verlangen nach Schwurgerichten mit besonderer Stärke geltend gemacht. Fünf Forderungen stellte man damals für das Strafverfahren auf: Öffentlichkeit und Mündlichkeit anstelle des geheimen und schriftlichen Verfahrens, freie Beweiswürdigung anstelle der gemeinrechtlichen Beweisregeln, Anklageverfahren anstelle des Inquisitionsverfahrens und endlich Beteiligung des Laienelements im Gegensatz zu der ausschließlichen Besetzung der Gerichte mit Berufsrichtern. Diese fünf Eigenschaften besaß damals allein das Schwurgericht, eine andere Form der Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege war so gut wie unbekannt. Daher kam es, daß man die soeben aufgezählten fünf Forderungen einfach in die einzige For9

130 derung nach dem Schwurgericht zusammenfaßte und damit nicht etwa eine bestimmte F o r m der Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege forderte, sondern diese Laienbeteiligung überhaupt. Diese historische Entwicklung zeigt, daß die Präge, ob Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit oder keine solche, damals und auch heute noch eine politische Frage war und ist, nicht aber die Frage, ob Schwurgericht oder Schöffengericht; diese letztere Frage ist m. E. eine rein justiztechnische Frage. Ich befinde mich mit dieser Auffassung in Übereinstimmung mit dem, was Prof. Radbruch erst im vorigen Jahr bei der Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Strafgerichte im Reichstag namens einer Partei erklärte, die stets sehr scharf die politische Seite in diesem Fragenkomplex zu betonen wußte. In der Folgezeit wurde das Schwurgericht in verschiedenen deutschen Staaten eingeführt, aber bald erwuchs ihm eine scharfe Konkurrenz im Schöffengericht, das zuerst 1850 in Hannover geschaffen. wurde. Das Für und Wider in diesem Streite: Schwurgericht oder Schöffengericht erschöpfend zu erörtern, würde zu weit führen. Die Literatur hierüber ist fast unübersehbar. Ich selbst bekenne mich als Gegner des Schwurgerichts in seiner bisherigen Form, obwohl ich gestehen muß, daß für mich als Staatsanwalt die Vertretung der Anklage vor dem Schwurgericht stets die interessanteste staatsanwaltschaftliche Tätigkeit war. Ich will mich hier nur mit einigen Argumenten befassen, die in neuester Zeit für die Beibehaltung der Schwurgerichte geltend gemacht worden sind. Man erklärt, eine Beseitigung des Schwurgerichts sei nicht erforderlich gewesen, etwaige Mängel des Schwurgerichts und des schwurgerichtlichen Verfahrens hätten beseitigt werden können. Man nimmt damit einen Gedanken auf, den Liszt bereits vor Jahren vertreten hat. Aber wenn die Zahl der Geschworenen wesentlich herabgesetzt werden soll (ein Radbruchscher Vorschlag will ihre Zahl auf 7, ein Schifferscher Vorschlag auf 6 herabsetzen), wenn das peremtorische Ablehnungsrecht beseitigt, wenn die Beratung und Abstimmung der Geschworenen von einem Richter, dem Vorsitzenden geleitet, wenn der Spruch

m von den Geschworenen begründet, wenn die Scliuldfrage von den Geschworenen, die Straffrage von den Geschworenen und Richtern gemeinsam entschieden werden soll — all das wird vorgeschlagen —, dann bleibt von dem ursprünglichen Schwurgericht so herzlich wenig übrig, daß es in der Tat eine Täuschung des Publikums wäre, wenn man ein solches Gericht sachlich noch als Schwurgericht bezeichnen wollte. — Es wird weiter geltend gemacht, mit dem Wegfall des bisherigen Schwurgerichts würden die Sachen nicht mehr so sorgfältig vorbereitet und so erschöpfend vor dem erkennenden Gericht verhandelt. Ich kann dieses Argument nicht anerkennen; nach wie vor ist in schwurgerichtüchen Sachen die Voruntersuchung erforderlich; im übrigen glaube ich, daß die Geschworenen, wenn sie mit den Richtern an einem Tisch sitzen, mehr aus sich herausgehen und in der Verhandlung aufklärende Fragen stellen werden als bisher, wo sie getrennt vom Richtertisch sich von der tätigen Mitwirkung an der Verhandlung ausgeschlossen fühlten. Auch werden die Richter in der Beratung mit den Geschworenen mehr als bisher Erfahrungen darüber sammeln können, auf welche Gesichtspunkte in der Verhandlung die Laien besonderes Gewicht zu legen pflegen. Gerade der lebendige und ungehemmte Gedankenaustausch zwischen Laien und Berufsrichter, wie ihn das Schöffengericht ermöglicht, ist das beste Erziehungsmittel für beide Teile. Wenn mich etwas in meiner Auffassung vom Schwurgericht hätte bestärken können, dann wäre es das gewesen, was Rittweger, der ehemalige Justizminister Thüringens, jüngst in der Deutschen Juristenzeitung geschrieben hat. Es heißt da: „Die Schwurgerichtsverhandlungen in Thüringen im letzten Vierteljahr haben eine so große Anzahl von Fehlsprüchen ergeben, daß dem Anspruch der Allgemeinheit auf eine geordnete Rechtspflege Gefahr drohte". Damit ist festgestellt, daß die Geschworenen in zahlreichen Fällen entweder aus Unfähigkeit oder aus Eigenwillen ihre Entscheidungen nicht dem Gesetz untergeordnet haben. Nimmt dies aber in solchem Maße überhand, dann würden wir wirklich nicht mehr in einem Rechtsstaate leben und dann müßte die 9*

132 Beseitigung der Schwurgerichte geradezu als Rettung des Rechtsstaates angesehen werden. Eine andere Frage ist, ob die von der Verordnung vorgesehene Besetzung des Schwurgerichts zu billigen ist. Man hat gegen einen Gerichtskörper von 9 Personen geltend gemacht, er sei zu plump und schwer zu leiten. Ich glaube nicht, daß einem erfahrenen und gewandten Vorsitzenden in dieser Beziehung Schwierigkeiten erwachsen könnten. Die Zahl von 6 Geschworenen ist m. E. das Mindeste, was bei 3 Berufsrichtern verlangt werden muß. Es müssen bei diesem Gerichte die Laienrichter allein in der Lage sein, die Schuld- und Straffrage bestimmend zu entscheiden. Die von der Verordnung gewählte Zusammensetzung des Gerichts entspricht m. E. nach Sache und Form durchaus dem, was für ein Gericht von der Bedeutung und Aufgabe des neuen Schwurgerichts verlangt werden muß. Eine andere Frage endlich ist, ob es notwendig, zweckmäßig und politisch klug war, das alteingewurzelte Institut des Schwurgerichts einfach im Wege der Verordnung zu beseitigen. Doch auf diese rein politische Frage braucht hier nicht eingegangen zu werden. Bezeichnend aber dafür, wie man — wenn ich so sagen darf — in sachverständigen Laienkreisen über die Frage der Beibehaltung der Schwurgerichte denkt, ist doch das bekannte Ergebnis einer Aufforderung zur Äußerung hierüber, die im vorigen Jahre die Vossische Zeitung an frühere Geschworene richtete. Ein einziger sprach sich für Beibehaltung der Schwurgerichte aus, verlangte jedoch, man sollte die Schwurgerichte dahin reformieren, daß Richter und Geschworene über Schuld und Strafe gemeinsam beraten und entscheiden. Als letzte Änderung im Aufbau der Gerichte ist noch zu erwähnen, daß durch die Verordnung die Zahl der Richter in den erkennenden Senaten der Oberlandesgerichte auf 3, in den Senaten des Reichsgerichts auf 5 herabgesetzt wurde, wenn diese Gerichte nicht in erster Instanz tätig sind. Diese Maßnahme ist zunächst eine reine Sparmaßnahme. Man glaubt sie aber auch damit rechtfertigen zu können, daß die Vielzahl der Richter nicht ohne weiteres eine Garantie

133 für die Gräte der Rechtsprechung bildet; das Verantwortungsgefühl des einzelnen Richters dürfte auch größer sein, wenn das entscheidende Richterkollegium kleiner ist. Im Schrifttum ist wiederholt die Herabsetzung der Zahl der Richter in den genannten Senaten vorgeschlagen worden. Dagegen wird eingewendet, daß die verkleinerten Senate weniger leistungsfähig seien; da die Senate aber in verschiedener Besetzung verhandeln können, dürfte dies nicht ohne weiteres zutreffen. Man sagt ferner, die Tradition in den einzelnen Senaten und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung werden bei so kleiner Besetzung gefährdet und das Übergewicht des Vorsitzenden gestärkt; es werden die Erfahrungen auf diesem Gebiete abzuwarten sein. Die Bestimmungen über die äußere Gestaltung der Gerichte erhalten Inhalt und Bedeutung durch die Vorschriften über die Z u s t ä n d i g k e i t . Die Entwicklung auf diesem Gebiete zeigt in den letzten 20 Jahren ständig das Bestreben, die Zuständigkeit der unteren Gerichte auf Kosten der oberen Gerichte auszudehnen. 1905, 1917 und 1921 wurde der Rahmen der Zuständigkeit der Schöffengerichte erweitert und damit zugleich das Reichsgericht entlastet. Die Zuständigkeit der Strafkammern wurde dadurch in der Praxis wesentlich eingeschränkt. Unsere Verordnung aber geht einen gewaltigen Schritt weiter, sie schaltet die Strafkammern als Gerichte I. Instanz aus — was übrigens schon Liszt und Aschrott und seit 1919 alle Regierungsentwürfe vorgeschlagen haben —, sie verschiebt aber auch sonst noch die Zuständigkeit von oben nach unten. Die Zuständigkeit des Schwurgerichts ist zugunsten des Amtsgerichts wesentlich eingeschränkt, die des Einzelrichters wesentlich erweitert. Diese Zuständigkeitsregelung, wie sie uns in der Verordnung vom 4. Januar 1924 gegeben ist, läßt sich zum guten Teil nur durch Rücksichten auf unsere Finanzlage rechtfertigen, sie geht hier, wie einmal gesagt wurde, an die Grenze des Erträglichen. Es wird zu prüfen sein, ob sie nicht ohne finanzielle Belastung sich verbessern läßt. Der grundsätzlichen Uberweisung aller bisherigen Strafkammersachen und eines Teiles der bisherigen Schwurgerichtssachen an das

134 Amtsgericht wird man zustimmen können unter der Voraussetzung, daß der Bedeutung der Sache jeweils auch die Besetzung des Amtsgerichts entspricht Die Rechtsentwicklung wies auf Sondergebieten des Strafprozesses bereits eine ähnliche Regelung auf. So im Verfahren vor den Konsularund Kolonialgerichten und neuerdings vor den Jugendgerichten; für alle Delikte Jugendlicher, also auch für die zur Zuständigkeit der Schwurgerichte und des Reichsgerichts gehörigen Delikte sind in 1. Instanz bei den Amtsgerichten gebildete Schöffengerichte zuständig. In einer Beziehung wird sich jedoch der Gesetzgeber getäuscht haben: er glaubte mit der bedeutenden Erweiterung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit Ersparnisse insofern zu erzielen, als damit die weiten Wege der Angeklagten, Zeugen und Sachverständigen zum Sitze der Strafkammern wegfielen. Die einzelnen Länder aber haben in weitem Umfange von der Befugnis des § 58 Gr. V. Gr. — neue Fassung — Gebrauch gemacht, indem sie für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte einem von ihnen, und zwar meist dem am Sitze des Landgerichts befindlichen Amtsgericht die Entscheidung von Strafsachen mindestens zum Teil zugewiesen haben. Mangel an den notwendigen sachlichen Einrichtungen und die Organisation der Staatsanwaltschaft zwangen zu solchen Maßnahmen. Sie sind aber auch nützlich und notwendig insofern, als dadurch einer zu starken Zersplitterung der Strafrechtspflege in der 1. Instanz vorgebeugt wird. Erheblich sind die Bedenken gegen die Regelung der Zuständigkeit innerhalb des Amtsgerichts. Das Amtsgericht tritt in drei Gerichtskörpern in Erscheinung: als Einzelrichter, als kleines Schöffengericht und als erweitertes Schöffengericht. Die Zuständigkeit dieser Gerichtskörper ist entsprechend der rechtlichen und tatsächlichen Bedeutung des Einzelfalles fließend gestaltet. Dem Grundgedanken dieser Regelung kann man beipflichten. In zwei Punkten aber ist diese Regelung zu mißbilligen: einmal die zu weit gezogene Zuständigkeit des Einzelrichters und dann die Tatsache, daß so gut wie ausschließlich der Staatsanwalt bestimmt, in welcher Besetzung das Amts-

135 gericht im Einzelfalle tätig wird. Während in früheren Entwürfen der Zuständigkeit des Einzelrichters sehr enge Schranken gezogen waren, ist der Einzelricliter nunmehr nach der Verordnung in der Lage auf Zuchthausstrafe bis zu 15 Jahren zu erkennen. Es ist im Wege des § 212 St. P. 0 . neuer Fassung sogar möglich, daß ein solches Urteil des Einzelrichters ergeht, ohne daß eine Anklageschrift und ein Eröffnungsbeschluß vorausgegangen ist. Wenn auch die durch die Verordnung erweiterte Anwendungsmöglichkeit des vereinfachten Verfahrens nach § 212 St. P. 0. durchaus zu begrüßen ist, so wird man doch sagen dürfen: Eine solche Machtfülle in der Person eines einzigen Richters zu vereinigen, widerspricht dem Rechtsempfinden aller Kreise; sobald die Urteile eines Einzelrichters über ein gewisses Maß hinausgehen, werden sie nicht mehr von dem Vertrauen auch der gutgesinnten Schichten unseres Volkes getragen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß bei Verbrechen der Angeklagte die Verhandlung vor dem Einzelrichter durch seinen Widerspruch verhindern kann. Der Gesetzgeber hat wohl selbst empfunden, daß hier eine Schranke zu ziehen sei, indem er in § 8 Abs. 2 der Verordnung bestimmte, daß die Zuständigkeit des Einzelrichters bei Vergehen nur dann durch Antrag des Staatsanwalts begründet werden soll, wenn voraussichtlich auf keine schwerere Freiheitsstrafe als höchstens 1 Jahr Gefängnis erkannt werden wird. Diese Grenze ist weit gesteckt, sie ist aber bei der Güte unseres Richterstandes wohl zu ertragen; sie muß ertragen werden, weil es nur so möglich ist, auch für die Berufungsinstanz Schöffen heranzuziehen. Diese Einschränkung hindert aber nicht, daß gleichwohl im gegebenen Falle auf eine höhere Strafe erkannt werden kann, sie gilt überdies nicht nach der Verordnung für die Fälle des § 9 der Verordnung. Für letztere Fälle haben die Landesregierungen durch Ausführungsbestimmungen der Staatsanwaltschaft ähnliche Bindungen auferlegt, wie es die Verordnung im § 8 Abs. 2 tat. Dabei ist zu bedenken, daß bei schwerer Hehlerei die gesetzliche Mindeststrafe 1 Jahr Zuchthaus ist. Alle diese Bestimmungen sind nicht geeignet, die schweren Be-

136 denken gegen die zu weit gesteckte Zuständigkeit des Einzelrichters zu zerstreuen. Interessant und lehrreich ist in dieser Beziehung ein Blick auf die Verhältnisse in Oesterreich. Auch dort hat man aus Sparsamkeitsgründen die Rechtspflege in Strafsachen vereinfachen müssen. Dies geschah durch Gesetz vom 5. 12. 1918, dessen Bestimmungen z. T. soweit ich sehe, zunächst nur bis zum 31. 12. 1924 Geltung haben sollen. Die Zuständigkeit des Schwurgerichts ist zu gunsten des Gerichtshofes 1. Instanz stark eingeschränkt. Der Einzelrichter ist zuständig bei Übertretungen; es kann aber der Staatsanwalt bei allen Verbrechen und Vergehen, deren Aburteilung nicht dem Schwurgericht zukommt, Bestrafung im vereinfachten Verfahren durch den Einzelrichter beantragen, wenn abgesehen von Geld- und Nebenstrafen keine höhere Freiheitsstrafe als 1 Jahr zu erwarten ist. Hat der Einzelrichter Bedenken gegen die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens, dann ist die Entscheidung der Ratskammer einzuholen. Der Einzelrichter darf aber auch keine höhere Freiheitsstrafe als 1 Jahr aussprechen; ist nach dem Ergebnis der Verhandlung eine schwerere Strafe auszusprechen, so ist die Sache von dem mit 2 Richtern und 2 Schöffen besetzten Gerichtshof 1. Instanz abzuurteilen. Von dieser österreichischen Regelung möchte ich für unsere deutschen Verhältnisse folgende Bestimmungen empfehlen: Wenn der Amtsrichter in den Fällen des § 8 Abs. 1 Ziff. 2 und des § 9 der Verordnung bei Eröffnung des Hauptverfahrens glaubt, es sei eine höhere Freiheitsstrafe als 1 Jahr zu erwarten, so soll er die Sache der Strafkammer zur Entscheidung darüber vorlegen, ob der Einzelrichter oder das Schöffengericht entscheiden soll. Ebenso soll nach vorausgangener Voruntersuchung die eröffnende Strafkammer befugt sein, entgegen dem Antrage des Staatsanwalts die Sache statt an den Einzelrichter an das Schöffengericht zu verweisen. Immer aber, wenn der Einzelrichter das Urteil fällt, soll er nur an das gesetzliche Strafmaß gebunden sein. Die Möglichkeit oder gar den Zwang, eine Sache an das Schöffengericht zu verweisen, wenn der Einzelrichter auf Grund der Hauptverhandlung glaubt, auf eine höhere Frei-

137 heitsstrafe als 1 Jahr erkennen zu sollen, möchte ich nicht empfehlen. Eine solche Bestimmung birgt die Gefahr in sich, daß unangemessene Strafen in der Hauptverhandlung beantragt und erkannt werden, um dem Zwang der 'Verweisung zu entgehen, andererseits sind bei Verweisung viel Zeit, Mühe und Kosten umsonst aufgewendet. Bei einer solchen Regelung würde es m. E. nur noch selten vorkommen, daß vom Einzelrichter auf Freiheitsstrafen erkannt wird, die das oben bezeichnete, noch erträgliche Maß überschreiten. Der andere bedenkliche Punkt auf diesem Gebiete ist der überwiegende Einfluß des Staatsanwalts bei Bestimmung der Besetzung des Amtsgerichts. In der Überzahl der Fälle hängt es bei Vergehen und Verbrechen von dem in sein freies, wenn auch pflichtgemäßes Ermessen gestellten Antrag ab, ob der Einzelrichter, das kleine oder das erweiterte Schöffengericht tätig wird. Die Zuziehung eines 2. Richters erfolgt nur auf Antrag des Staatsanwalts. Als Staatsanwalt sollte ich mich eigentlich über diese Stärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft freuen, ich kann sie jedoch nicht gutheißen. Inwieweit diese überragende Stellung des Staatsanwalts in den Fällen der §§ 8 und 9 der Verordnung durch Entscheidung der Strafkammer in gewissem Sinne eingeschränkt werden könnte, habe ich soeben ausgeführt. Die Bestimmung des § 10 Abs. 2 der Verordnung aber muß grundlegend geändert werden. Es muß m. E. dem erweiterten Schöffengericht, ähnlich wie es im Radbruchschen und Heinzeschen Entwurf vorgesehen war, eine b es t i m m t e Zuständigkeit eingeräumt werden mit der Maßgabe, daß auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Sache zur Hauptverhandlung vor dem kleinen Schöffengericht verwiesen werden kann, und mit der weiteren Maßgabe, daß umgekehrt eine an sich zur Zuständigkeit des kleinen Schöffengerichts gehörige Sache auf Antrag der Staatsanwaltschaft vor dem erweiterten Schöffengericht zu verhandeln ist oder verhandelt werden kann. Damit wäre jede zweckwidrige Starrheit in der Zuständigkeit vermieden. Es geht in der Tat nicht an, daß

138 ausschließlich der Staatsanwalt entscheiden soll, ob in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung der Fall so gelagert ist, daß ein weiterer Richter zugezogen werden soll. Es ist auch nicht das richtige Verhältnis in der Stellung von Staatsanwalt und Gericht gewahrt, wenn in der wichtigen Frage, wie das Gericht im konkreten Falle besetzt sein soll, die Meinung des Gerichts gänzlich ausgeschaltet, die Auffassung des Staatsanwalts allein maßgebend sein soll. Es liegt für den Richter etwas Verletzendes in dieser Vorschrift. Es würde genügen, wenn das Gericht nach meinem Vorschlage ohne Antrag des Staatsanwalts nicht in der Lage wäre, eine zur Zuständigkeit des. erweiterten Schöffengerichts gehörige Sache vor das kleine Schöffengericht zu bringen. Begrüßenswert ist es, daß nach den Ausführungsbestimmungen verschiedener Länder der Antrag gemäß § 10 Abs. 2 der Verordnung nur von einem leitenden Beamten der Staatsanwaltschaft gestellt werden soll; es wird dadurch eine gewisse Einheitlichkeit in der Handhabung der Antragsbefugnis gewahrt und verhütet, daß etwa ein juristisch nicht vorgebildeter Amtsanwalt durch seinen Antrag bestimmt, ob 1 oder 2 Richter tätig werden sollen. Für die Notwendigkeit der Abänderung der Vorschrift des § 10 der Verordnung besteht noch ein weiterer Grund. Jenachdem in 1. Instanz das Gericht mit 1 oder mit 2 Richtern neben 2 Schöffen besetzt ist, ist in der Revisionsinstanz das Oberlandesgericht oder das Reichsgericht zuständig. Auf diesen Punkt werde ich später noch zu sprechen kommen. Jedenfalls aber kann schon hier betont werden, daß die vorgeschlagene Änderung des § 10 Abs. 2 der Verordnung ohne Erhöhung von Ausgaben möglich wäre. Wie schon dargelegt, hat das Schwurgericht einen großen Teil seiner bisherigen Zuständigkeit eingebüßt; es wird, daran besteht kein Zweifel, zu einer gewissen Bedeutungslosigkeit herabsinken. Dieser scharfe Eingriff in die Zuständigkeit des Schwurgerichts kann m. E. in der Hauptsache n u r mit Sparsamkeitsgründen gerechtfertigt werden. Die Behauptung, daß viele bisher zur Zuständigkeit der Schwurgerichte gehörigen Strafsachen erfahrungsgemäß in

139 tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu schwierig für die Geschworenen gestaltet waren, läßt sich nicht mehr geltend machen, da ja die Schwurgerichte sachlich Schöffengerichte geworden sind. Der Einfluß des Staatsanwalts und des Angeklagten auf die Besetzung des Gerichts ist auch ausgeschaltet. Es gibt eine Reihe von Verbrechen, von denen man wünschen möchte, daß sie wieder vor das Schwurgericht kämen, so z. B. Aufruhr, Landfriedensbruch, Lohnabtreibung, beabsichtigte schwere Körperverletzung, Notzucht, Raub, räuberische Erpressung u. dergl. Wenn man die Aburteilung derartig schwerer Verbrechen einem niederen Gerichte zuweist, läuft man Gefahr, daß man die Bevölkerung zu einer Geringschätzung dieser Verbrechen verleitet und die Achtung vor dem Strafgesetze selbst vermindert. Andererseits wird man allerdings nicht vergessen dürfen, daß eine allzuweitgehende Heranziehung von Laien zum Schöffen- und Geschworenendienst erhebliche Kosten verursachen und bei der Bevölkerung selbst auf Schwierigkeiten stoßen würde. Die Gestaltung der Gerichte 1. Instanz und die Regelung ihrer Zuständigkeit ist von entscheidender Bedeutung für die Gestaltung des weiteren Instanzenzuges. Schon lange geht das Streben dahin, das Rechtsmittel der Berufung gegen Urteile der 1. Instanz im weitesten Umfange zuzulassen. Die Verordnung hat diesem Verlangen Rechnung getragen; mit wenigen Ausnahmen ist gegen alle Urteile der 1. Instanz in Strafsachen die Berufung eingeräumt; diese Regelung war ohne Schwierigkeiten möglich, nachdem der Schwerpunkt der Strafrechtspflege in das Amtsgericht verlegt worden ist. Gegen die Zusammensetzung des Berufungsgerichts, die kleine und die große Strafkammer und die Abgrenzung ihrer Zuständigkeit dürfte nichts einzuwenden sein. De lege ferenda aber wird man sich mit dieser Regelung nicht ohne weiteres abfinden können. Der Streit darüber, ob es besser ist, die Berufung zuzulassen oder das Vorverfahren und die 1. Instanz mit ausreichenden Garantien für völlige Aufklärung des Tatbestandes auszustatten, dieser Streit ist mit der Regelung der Verordnung nicht entschieden. Er konnte von der Regierung auch nicht

140 im Rahmen des Ermächtigungsgesetzes mit einer eilig geschaffenen Verordnung entschieden werden. Die endgültige Stellungnahme zu dieser Frage bedarf eingehendster Vorbereitungen; sie wird dann geboten sein, wenn die gesamte Strafprozeßordnung einer Reform unterzogen wird. So aber, wie die Verordnung die Berufung geregelt hat, steht eine erhebliche Verteuerung der Strafrechtspflege zu befürchten; das Schwergewicht wird nicht in der ersten, sondern in der Berufungsinstanz liegen; die Verordnung zwingt in vielen Fällen zur Einlegung der Berufung, weil sie die Bestimmung des § 245 Abs. 2 St. P. 0 . n. F. beibehalten hat, wonach der Amtsrichter und das Schöffengericht den Umfang der Beweisaufnahme nach freiem Ermessen bestimmen. Dadurch, daß das Verbot der reformatio in peius aufrecht erhalten ist, besteht für den verurteilten Angeklagten, besonders für den mittellosen keinerlei Risiko, wenn er Berufung einlegt; er wird durch solche Bestimmungen zur Einlegung der Berufung förmlich angereizt. Interessant und beachtenswert ist der Schiffer sehe Vorschlag, der gegen Urteile 1. Instanz nur e i n Rechtsmittel, entweder Berufung oder Revision zulassen will. Aber auch diese Regelung müßte die Reform unseres Strafverfahrens zur Voraussetzung haben. Auch die Erfahrungen, die man in Oesterreich mit dem ähnlich gestalteten wesentlich einfacheren Rechtsmittelzug gemacht hat, dürften für den künftigen Gesetzgeber auf diesem Gebiete wertvoll sein. Gegen Urteile der Schwurgerichte ist nach wie vor die Berufung ausgeschlossen; ich halte dies für richtig; die Schwurgerichtssachen werden durch die Voruntersuchung ausgiebig vorbereitet, Verteidigung ist notwendig, die Hauptverhandlung gestaltet sich mit Rücksicht auf die 6 Geschworenen besonders eingehend, und endlich — was nunmehr neu hinzukam — das Urteil kann in der Revisionsinstanz auch nach der materiellrechtlichen Seite hin erschöpfend geprüft werden. Damit dürfte eine Berufungsinstanz in der Tat entbehrlich sein. Eine Beschränkung der Berufung bringen die §§ 33 und 34 der Verordnung. § 33 schließt die Berufung bei Uber-

141 tretungen und einem Teil der Privatklagen aus, wenn wegen der Tat freigesprochen oder nur auf Geldstrafe erkannt worden ist. Ich halte diese Regelung für sehr bedenklich, sie steht auch im Widerspruch mit einer Grundidee der mit der Verordnung geschaffenen Neuordnung, nämlich der Absicht, — abgesehen von den reichsgerichtlichen Sachen — in allen Strafsachen wenigstens in einer Instanz Laienrichter an der Entscheidung mitwirken zu lassen. Die im § 33 Abs. 1 genannten Strafsachen werden in erster Instanz vom Einzelrichter allein abgeurteilt; wenn die Berufung ausgeschlossen ist, dann kommt die Sache in der Revisionsinstanz vor das ausschießlich mit Berufsrichtern besetzte Revisionsgericht, Laienrichter werden mit der Sache niemals befaßt. Übertretungen, Beleidigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung sind aber gerade Delikte, bei deren Beurteilung die Anschauungen von Männern und Frauen aus dem Volke wertvolle Dienste zu leisten vermögen. Bedenklich ist die Bestimmung des § 33 aber auch deshalb, weil die Revision nur auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt werden kann. E s erscheint mir fraglich, ob die Bestimmung des § 33 auf die Dauer erträglich ist. Vielleicht wäre es zweckmäßiger auch vom finanziellen Standpunkt aus, wenn man in diesen Sachen statt der Berufung die Revision einschränken würde. Die Ausschaltung der Berufung durch die sogenannte Sprungrevision ist bereits früher vorgeschlagen worden; sie war auch im Entwurf von 1919 vorgesehen. Gegen die Regelung dieses Instituts in § 34 der Verordnung ist nichts einzuwenden; ebenso ist m. E. nur zu billigen, daß die Sprungrevision nur auf Verletzung materiellen Rechts gestützt werden kann; wer sich durch Verletzung formellen Rechts beschwert fühlt, mag Berufung einlegen, damit unter Einhaltung der Prozeßvorschriften der Tatbestand festgestellt wird. Von einschneidender Bedeutung sind die Bestimmungen der Verordnung für die Zuständigkeit der Revisionsgerichte. Das Reichsgericht ist als Revisionsgericht nur noch zuständig in den Fällen, in denen in erster Instanz das Schwurgericht

142 oder das erweiterte Schöffengericht geurteilt hat. Diese Regelung bringt qualitativ zunächst eine Erweiterung der Zuständigkeit des Reichsgerichts insofern, als künftig die Entscheidungen der Schwurgerichte materiellrechtlich in weiterem Umfange als bisher in der Revisionsinstanz nachgeprüft werden können; dem steht aber quantitativ eine erhebliche Einschränkung der Zuständigkeit gegenüber. Einmal ist die Zuständigkeit der Schwurgerichte wesentlich eingeschränkt, dann aber werden die Fälle, in denen das erweiterte Schöffengericht tätig wird, doch stets mehr oder weniger Ausnahmefälle sein. Die Fülle des Materials, das dem Reichsgericht bisher die Grundlagen f ü r seine, die Strafrechtspflege bestimmenden und befruchtenden Entscheidungen gab, wird ihm künftig fehlen. Die Gefahr der Rechtszersplitterung, die auf dem Gebiete des Strafrechts am wenigsten zu ertragen ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Wohl hat das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung auf weiten Gebieten des materiellen und formellen Strafrechts Rechtsgrundsätze aufgestellt, die auch von den unteren Gerichten als Richtschnur anerkannt und eingehalten werden. Es besteht jedoch keine Gewähr dafür, daß diese einheitliche Rechtsauslegung künftig nicht durch die Rechtsprechung der verschiedenen Oberlandesgerichte gefährdet wird. Und bei künftig neu entstehendem Strafrecht besteht von vornherein die Gefahr vielspältiger Rechtsauslegung. Wenn es zu einem neuen Strafgesetz kommen sollte, wird die Regelung der Revision, so wie sie die Verordnung brachte, gänzlich unhaltbar sein. Die Rechtseinheit, ein hohes Kulturgut, steht auf dem Spiele. Man wende auch nicht ein, daß auch bisher schon die Staatsanwaltschaft nach freiem Ermessen in weitem Umfange Strafsachen, die an sich zur Zuständigkeit der Strafkammern gehörten, vor das Schöffengericht bringen und damit dem Reichsgericht in der Revisionsinstanz entziehen konnte. Es blieb bei dieser bisherigen Regelung immer noch ein erheblicher Rest von Strafsachen, für die die Strafkammer zwingend zuständig war. Zudem wurde, abgesehen von bedeutenden und umfangreichen Sachen, nicht selten eine Sache, die auch vor dem Schöffengericht hätte

143 anhängig werden können, vor die Strafkammer gebracht, besonders wegen des einfacheren Rechtsmittelzages bei Strafkammersachen. Alle diese Momente fallen jetzt weg. Es kommt aber noch eines hinzu: es ist unseres höchsten Gerichtes unwürdig, wenn man es ausschließlich von dem E r messen der örtlichen Staatsanwaltschaft abhängig macht, ob das Reichsgericht in der Revisionsinstanz tätig wird oder nicht. Auf diese Weise kann, da die Staatsanwaltschaft den Anweisungen der Justizverwaltung Folge zu leisten hat, praktisch in Strafsachen die Rechtsprechung eines ganzen Landes zu 99 % der Nachprüfung des obersten deutschen Gerichtes entzogen werden. Diese Unzuträglichkeiten würden sicher zu einem guten Teil beseitigt werden — und zwar ohne tiefgreifende Veränderung der Verordnung und ohne besondere Kosten —, wenn dem erweiterten Schöffengerichte, wie bereits vorhin dargelegt, eine bestimmte Zuständigkeit vom Gesetze eingeräumt würde. Es wird auch, wie es bereits in den Entwürfen von 1919, 1922 und 1923 geschehen ist, vorgeschlagen: das Oberlandesgericht als Revisionsinstanz in Strafsachen solle die Akten dann dem Reichsgericht zur Entscheidung der Rechtsfrage vorlegen, wenn es von einer Entscheidung des Reichsgerichts oder eines anderen Oberlandesgerichts abweichen wolle oder wenn es zur Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung eine Entscheidung des Reichsgerichts für geboten erachte. Ich verspreche mir von der Verwirklichung dieses Vorschlages nicht allzuviel. Man weiß ja aus zahlreichen Entscheidungen des Reichsgerichts, wie selten in einer Rechtsfrage eine Entscheidung von der anderen abweicht. Ferner sind nicht alle Entscheidungen des Reichsgerichts und des Oberlandesgerichts bekannt. Es können auch Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reichsgericht und dem Oberlandesgericht entstehen darüber, ob die zu entscheidende Rechtsfrage nicht schon genügend geklärt ist und ob sie von grundsätzlicher Bedeutung ist. Von mancher Seite wird auch verlangt, gegen die erstinstanzlichen Urteile der Oberlandesgerichte in Landesverratsund Spionagesachen die Revision zuzulassen. Ich möchte

144 dies nicht empfehlen. Zunächst wird doch abzuwarten sein, ob wirklich durch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte die Rechtseinheit gefährdet wird; sodann aber hat es ja der Oberreichsanwalt und das Reichsgericht in der Hand, ob eine Sache einem Oberlandesgericht zur Entscheidung überwiesen werden soll. Der dritte Fragenkomplex, mit dem die Verordnung sich befaßt, betrifft die Stellung der Staatsanwaltschaft. Man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, die Staatsanwaltschaft hat in der Verordnung am besten abgeschnitten. Welch großer Einfluß bei Bestimmung des im Einzelfall tätig werdenden Gerichtskörpers ihr eingeräumt ist, ist bereits erörtert. Mit der Durchbrechung des Legalitätsprinzips und der teilweisen Einführung des Opportunitätsprinzips hat die Verordnung die Stellung der Staatsanwaltschaft noch weiter gestärkt. Das starre Legalitätsprinzip, das Korrelat zum Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft, ist von jeher stark umstritten worden. Allgemein ist man sich aber schon seit langem einig darüber, daß der so gut wie ausnahmslose Anklagezwang mehr schädlich als nützlich ist; er führt zu einer starken Belastung der Behörden und zu einer ebenso starken Belästigung des Publikums, die von keinem öffentlichen Interesse gerechtfertigt sind. Streit aber besteht darüber, ob dieses Übel durch eine Reform unseres Prozeßrechtes oder unseres materiellen Strafrechtes zu beheben sei. In der T a t ist die Wurzel des Übels zum Teil wenigstens unser materielles Strafrecht. Das Übermaß von Strafbestimmungen, das sich in den Kriegs- und Nachkriegsjahren noch besonders erweitert hat, ließ eine strenge Durchführung des Anklagezwangs einfach zur Unmöglichkeit werden; die Strafjustiz wäre sonst an der Verfolgung von Lappalien zusammengebrochen. Die Polizei- und Verwaltungsbehörden, die sich vielfach an den Verfolgungszwang nicht gebunden fühlten, haben im Rahmen ihrer Zuständigkeit nicht selten von sich aus von Verfolgung abgesehen, Amnestien mußten von Zeit zu Zeit Luft schaffen, die sogenannte Irrtumsverordnung vom 18. 1. 1917 brachte Erleichterung, und mancher Staatsanwalt

145 und manches Gericht hat — sicher in bester Überzeugung — durch Verneinung der subjektiven Voraussetzungen eines Delikts in Fällen Abhilfe geschaffen, in denen das starre Gesetz versagte. Denen, die durch eine Reform des Strafrechts eine Besserung auf diesem Gebiete erzielen wollen, wird zuzugeben sein, daß ein Abbau in unserem materiellen Strafrecht notwendig ist. Es werden aber immer noch Delikte übrigbleiben, deren Verfolgung unter bestimmten Voraussetzungen im Interesse der Allgemeinheit nicht geboten erscheint. Materiellrechtlich könnten diese Fälle in der Weise geregelt werden, daß Übertretungen und Vergehen für straflos erklärt werden, wenn ein besonders leichter Fall vorliegt. Es würde damit ein Strafausschließungsgrund geschaffen, den nicht nur das Gericht in der Hauptverhandlung, sondern auch die Staatsanwaltschaft schon im Vorverfahren berücksichtigen müßte. Dabei wäre immer noch die Frage, ob die Entscheidung über das Vorliegen dieses Strafausschließungsgrundes im Vorverfahren der Staatsanwaltschaft allein überlassen werden soll. Eine so weit gellende materiellrechtliche Regelung ist bis jetzt noch nicht vorgeschlagen oder verwirklicht worden. Die Entwürfe eines Strafgesetzbuches von 1913 und 1919 haben beim Vorliegen eines besonders leichten Falles die Festsetzung der Strafe, unter gewissen Voraussetzungen auch das A b s e h e n von Strafe dem freien Ermessen d e s G e r i c h t s überlassen, Straffreiheit also nicht zwingend vorgeschrieben. Damit aber wäre der Staatsanwaltschaft die Befugnis, unter den gleichen Voraussetzungen von der Erhebung der Anklage abzusehen, nicht eingeräumt worden; die materiellrechtliche Vorschrift wäre durch eine prozeßrechtliche Bestimmung zu ergänzen gewesen, die entsprechend der materiellrechtlichen Regelung dem Ermessen des Staatsanwalts einen Spielraum hätte einräumen müssen. Eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips würde also auch in diesem Falle vorliegen. Eine solche Regelung der Frage enthält bereits unser Jugendgerichtsgesetz. § 9 Abs. 4 bestimmt, daß das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen k a n n ; das Ermessen des Gerichts ist entscheidend. Der Staatsanwalt k a n n in 10

146 solchen Fällen — s e i n Ermessen ist entscheidend! — gemäß § 32 Abs. 2 von der Erhebung der Anklage absehen, aber nur mit Zustimmung des Jugendrichters. Die Verordnung vom 4. Januar versucht entsprechend früheren Vorschlägen die Lösung des Problems durch prozeßrechtliche Bestimmungen; die §§ 23 und 24 der Verordnung bilden nun als §§ 153 und 154 Bestandteile der Strafprozeßordnung. Nicht die materielle Strafbarkeit, sondern die prozessuale Verfolgbarkeit besonders gearteter Straffalle ist Gegenstand der gesetzlichen Regelung. Das Ermessen der Staatsanwaltschaft ist nach dieser Regelung ausschlaggebend. Gegen die Bestimmungen des § 24 der Verordnung wird kaum etwas einzuwenden sein; sie sind nur eine Fortbildung des bereits in § 208 der St. P. 0 . a. F. enthaltenen Gedankens, weitere Strafverfahren zu vermeiden, wenn sie mit Rücksicht auf andere Strafverfahren gegen den nämlichen Täter für das Ergebnis als überflüssig angesehen werden müssen. Daß in solchen Fällen nicht wie bisher noch E r hebung der Klage erforderlich ist, kann nur begrüßt werden. Umstritten ist die Regelung des § 23 der Verordnung. Darnach w e r d e n Übertretungen n i c h t verfolgt, wenn die Schuld des Täters gering ist und die Folgen der Tat unbedeutend sind, es sei d e n n , daß ein öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung besteht. Dieser letztere Vorbehalt entkleidet die Vorschrift im wesentlichen wieder ihres zwingenden Charakters, denn die Entscheidung darüber, ob solch ein öffentliches Interesse vorliegt, steht im Ermessen der Staatsanwaltschaft und unterliegt nicht der richterlichen Nachprüfung. Geringe Schuld und unbedeutende Folgen der Tat bilden also nicht wie im Entwurf von 1919 bei Verfolgung von Übertretungen ein Prozeßhindernis, das unabhängig von einem Antrag oder von der Zustimmung des Staatsanwalts vom Gerichte von Amtswegen berücksichtigt werden müßte. Deshalb ist nach Absatz 3 des § 23 der Verordnung für die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht auch bei Übertretungen die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Bei Vergehen kann die Staatsanwaltschaft nur mit Zustimmung des

147 Amtsrichters von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, wenn die Schuld gering und die Folgen der Tat unbedeutend sind. Dem Ermessen des Staatsanwalts ist aber auch hier weiter Spielraum gegeben, er kann die Anklage auch dann erheben, wenn die Voraussetzungen für die Nichterhebung gegeben sind, ja, wenn der Richter seine Zustimmung zur Einstellung bereits erteilt hat. Ganz zweifellos ist es durch diese Bestimmungen möglich, daß viele Strafverfahren durch Staatsanwalt oder Gericht eingestellt werden. Eine erhebliche Vereinfachung und Verbilligung des Strafverfahrens ist die Folge. Es ist aber andrerseits nicht zu leugnen, daß durch diese Bestimmungen die Staatsanwaltschaft mit Befugnissen ausgestattet wird, die Bedenken auszulösen geeignet sind. Es besteht die Gefahr, daß die der Staatsanwaltschaft eingeräumten Befugnisse von den verschiedenen Staatsanwaltschaften verschieden gehandhabt werden. Es wird Aufgabe der übergeordneten Stellen sein, durch geeignete Kontrollmaßnahmen in größeren Bezirken für möglichst einheitliche Handhabung zu sorgen. Gewichtige Bedenken gegen diese Befugnisse der Staatsanwaltschaft werden damit begründet, daß in politisch bewegten und wechselvollen Zeiten die Regierungen sich mehr als sonst erinnern, daß die Staatsanwaltschaft den Weisungen der Justizverwaltung nachzukommen hat. Man befürchtet, daß durch die Übertragung solcher Befugnisse auf die Staatsanwaltschaft die Unparteilichkeit in der Strafverfolgung ernstlich gefährdet werden könne. Was diese letztere Befürchtung anlangt, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß die Justizverwaltungen, f ü r die das Legalitätsprinzip nicht gilt, bisher befugt waren und noch befugt sind, soweit verfassungsrechtliche Bestimmungen nicht entgegenstehen, im Einzelfall ein bei der Staatsanwaltschaft schwebendes Strafverfahren niederzuschlagen oder die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen. Eine wesentliche Erweiterung der Befugnisse der Justizverwaltung brachte also die Verordnung nicht. Höchstens eine bequemere Handhabung dieser Befugnisse. Im übrigen könnte man den Bedenken dadurch gerecht werden, daß man auch 10 *

148 bei Übertretungen die Zustimmung des Richters zur Nichtverfolgung vorschreibt, wie dies im Jugendgerichtsgesetz vorgeschrieben ist. Von entscheidender Bedeutung dürfte jedoch dieser Punkt nicht sein. M. E. muß die Erfahrung lehren, ob die getroffene Regelung das Richtige ist; sollten sich Mißstände bei Anwendung des § 23 Abs. 1 der Verordnung herausstellen, dann dürfte es ein Leichtes sein, die Zustimmung des G-erichts zur Nichtverfolgung auch bei Übertretungen vorzuschreiben. Ich halte es nicht für richtig, ohne weiteres zu unterstellen, daß die Staatsanwaltschaften und Justizverwaltungen der mißbräuchlichen Anwendung einer Gesetzesbestimmung fähig sind. Für die Güte und Brauchbarkeit einer Vorschrift kann auch nicht ausschlaggebend sein, wenn unter Tausenden von Anwendungsfällen ein oder zwei Fälle sind, die nicht gebilligt werden können. Subjektive Empfindungen werden immer eine Rolle spielen, auch bei den G-erichten. Eine weitere Sicherheit gegen ungerechtfertigte Unterlassung der öffentlichen Klage könnte die subsidiäre Privatklage gewähren, ein Institut, das der Entwurf von 1919 einführen wollte. Gegen die subsidiäre Privatklage wird dann nichts einzuwenden sein, wenn sie nur dem zugebilligt wird, der durch die Tat in seinen berechtigten Interessen verletzt ist. Der Entwurf von 1919 aber ging hierin zu weit; er erklärte die subsidiäre Privatklage schon für zulässig, wenn sie in Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses erhoben wurde, obwohl doch der Staatsanwalt durch Ablehnung der öffentlichen Klage das Vorhandensein eines öffentlichen Interesses an der Verfolgung verneint. Das weitere in § 23 der Verordnung der Staatsanwaltschaft eingeräumte Ermessen bezieht sich auf die Frage, ob trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Nichtverfolgung eines Delikts aus Gründen des öffentlichen Interesses Klage erhoben werden soll. Dieses Ermessen der Staatsanwaltschaft würde beseitigt, sobald man den Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses bei Entscheidung über Verfolgung oder Nichtverfolgung einer Straftat ausschaltet. M. E. geht es jedoch nicht an, daß die Frage, ob die Staats-

149 anwaltschaft mit Recht oder Unrecht das öffentliche Interesse an der Verfolgung bejaht oder verneint, der Nachprüfung des Gerichts unterstellt wird. Die Staatsanwaltschaft, nicht das Gericht, ist das Organ, das die Interessen des Staates, d. i. das öffentliche Interesse, nicht nur im Strafverfahren selbständig zu vertreten berufen ist. Der Staatsanwalt ist der Anwalt des Staates. Die Stellung der Staatsanwaltschaft hat durch die §§ 23 und 24 der Verordnung erheblich an Bedeutung gewonnen. Ich möchte wünschen, daß dies nicht allein aus Ersparnisgründen. sondern auch aus Vertrauen zur Staatsanwaltschaft geschehen ist. Als Leiter einer solchen Behörde darf ich wohl sagen, daß sich die Staatsanwälte wohl bewußt sind, welch schwere Verantwortung ihnen mit diesen neuen Befugnissen übertragen worden ist. Es wird nicht ausbleiben, daß auch die Maßnahmen der Staatsanwaltschaften auf Grund der §§ 23 und 24 der Verordnung mißbilligende Kritik erfahren werden. Die Staatsanwaltschaften aber sind in dieser Beziehung manches gewohnt; schon bisher verfolgte der Staatsanwalt dem einen zu viel und dem anderen zu wenig, und so wird es auch bleiben. Ich bin der festen Zuversicht, daß die deutschen Staatsanwälte des Vertrauens sich würdig erweisen werden, das die Verordnung ihnen entgegenbringt. Ich habe versucht, in meinen Ausführungen die großen prozeßrechtlichen Probleme aufzuzeigen, die von der Verordnung vom 4. Januar 1924 berührt worden sind. Die Verordnung enthält noch mancherlei Vorschriften, die aber von solch untergeordneter und nicht grundsätzlicher Bedeutung sind, daß ihre Besprechung im Rahmen dieses Referats sich erübrigen dürfte. Jeder Kenner unseres Strafprozesses wird das Gefühl haben, daß mit der Verordnung die von ihr berührten Fragen nicht restlos befriedigend gelöst sind. Unbefriedigend sind, wenn ich es nochmals in einem Satz zusammenfassen darf, wenigstens zum Teil die Bestimmungen der Verordnung über die Zuständigkeit des Einzelrichters, über den zu großen Einfluß der Staatsanwaltschaft auf die Besetzung des Gerichts im Einzelfall, über die Regelung der Berufung und über die zu starke Aus-

150 Schaltung des Reichsgerichts als Revisionsgericht. Man wird jedoch berücksichtigen müssen, daß bei Abfassung der einzelnen Vorschriften ganz besonders ihre finanziellen Auswirkungen maßgebend waren. Schließlich ist es auch schlechterdings unmöglich, die hier in Frage kommenden Probleme zur allgemeinen Zufriedenheit zu regeln. Die Gegensätze sind zu groß, als daß ein befriedigender Ausgleich geschaffen werden könnte. „Man muß den realen Verhältnissen Rechnung tragen", wurde schon auf der Tagung der I . K . V . von 1909 betont. Die Reichsregierung hat dies sicher mit der Verordnung zu tun versucht; sie hat in teilweise kühner Fortbildung der in den letzten Jahrzehnten in Schrifttum und Regierungsentwürfen enthaltenen Gedanken, Anregungen und Vorschlägen mit der Verordnung einen Schritt getan, der für die künftige Strafprozeßreform von entscheidender Bedeutung sein wird. Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen gesagt, daß ich den Erlaß der Verordnung als ein Experiment auf dem Gebiete der Strafprozeßreform betrachte. Die Grundlagen des Experiments, die Vorschriften der Verordnung, sind im großen und ganzen theoretisch als brauchbar anzusehen; stärker als die Theorie aber hat sich immer die Praxis erwiesen. Ob und inwieweit das Experiment wirklich gelingt, das hängt von der Fähigkeit derer ab, die zur Handhabung der Verordnung in der Praxis berufen sind. Wie überall im Leben gilt auch hier der Satz: nicht Maßnahmen sondern Persönlichkeiten sind das Entscheidende.

2. Berichterstatter: Oberstaatsanwalt

Brümmer, Hamburg.

Im Anschluß an das, was Herr Generalstaatsanwalt Dr. L a n g vom Standpunkte der Theorie über die YO. vom 4. I. 1924 ausgeführt hat, darf ich Ihnen einiges über die bisher hier in Hamburg in der praktischen Handhabung der YO. beobachteten Folgen sagen. Es erhebt sich ohne weiteres die Frage, ob unsere Zeit zu einer so einschneidenden Gesetzgebung auf dem hier behandelten Gebiete überhaupt berufen ist. Der Berechtigungsnachweis ist nur durch die Folgen, welche die Gesetzgebung gezeitigt hat, zu führen. Ein ausreichender Zeitraum, um hier Erfahrungen zu sammeln, hat nicht zu Gebote gestanden, es handelt sich im wesentlichen nur um die Monate April und Mai ds. Js. Sie werden es daher verstehen, wenn ich Ihnen das, was ich Ihnen vorzutragen habe, nur als Wahrnehmungen bezeichnen kann, die vielleicht Anregungen geben können, die aber einen endgültigen Schluß auf W e r t oder Unwert kaum zulassen. Immerhin aber werden diese von uns gemachten Beobachtungen doch ein Bild geben, wie sich die Arbeit mit den neuen Bestimmungen in der Praxis bei Gericht und Staatsanwaltschaft einer Großstadt gestaltet hat. Räumlich reichen unsere Wahrnehmungen nicht über das Gebiet des hamburgischen Staates hinaus. Nach der Veröffentlichung der VO. vom 4.1. 24 war man in Hamburg, wie wohl auch anderswo, völlig im Unklaren über den Umfang der nunmehr den Strafgerichten und den Staatsanwaltschaften erwachsenden Geschäfte. Insbesondere befand man sich über die durch die Erweiterung der Berufungs- und Revisionsmöglichkeit etwa herbeigeführten Geschäfts Vermehrung vollkommen im Dunkeln, und man fürchtete daher, nach der rein formalen Seite der Gerichtsreorganisation erheblichen Schwierigkeiten zu begegnen.

152 Solche Schwierigkeiten sind nun tatsächlich eigentlich nicht entstanden. Der Übergang in die neue Gerichtsverfassung, insbesondere die Übertragung aller erstinstanzlichen Sachen, soweit nicht das Schwurgericht in Frage kommt, an das Amtsgericht, hat sich völlig reibungslos vollzogen. Zur Yeranschaulichung darf ich Ihnen in Kürze vortragen, welche Instanzen jetzt in Hamburg Recht zu sprechen haben. Die erste Instanz wird in Hamburg durch 18 Abteilungen für Strafsachen des Amtsgerichts gebildet. Davon ist eine Jugendgericht, eine weitere enthält zwei Unterabteilungen, die in der Besetzung mit je zwei Richtern zu entscheiden haben, alle übrigen sind mit einem Richter besetzt, der entweder allein oder mit Schöffen zu Gericht zu sitzen hat. In einzelnen Abteilungen amtieren auch Landgerichtsdirektoren. Drei bestimmte Abteilungen erledigen, soweit nicht die Zuziehung eines zweiten Richters beantragt ist, die im § 9 VO. nicht aufgeführten, zur Zuständigkeit des Amtsgerichts gehörigen Verbrechen, eine gleichzeitig die Wuchersachen und zwei die Seemannssachen. Daneben bestehen erstinstanzliche Strafgerichte bei den Amtsgerichten Bergedorf und Cuxhaven, deren Zuständigkeit in Strafsachen jedoch zugunsten des Amtsgerichts Hamburg beschränkt ist. Sie kommen für das. was ich Ihnen auszuführen habe, wesentlich nicht in Betracht und sind daher bei den etwa zu machenden statistischen Angaben außer Betracht geblieben. Beim Landgericht sind drei große und drei kleine Strafkammern, sowie eine Strafkammer für Jugendliche eingerichtet. Für das Schwurgericht sind vom 1. April ds. Js. an fünf Tagungen für 1924 in Aussicht genommen. Bis zum 1. April ds. Js. bestanden beim Amtsgericht neben einem mit drei Richtern besetzten Jugendgericht 9 Schöffengerichte mit 14 Richtern, beim Landgericht 5 Strafkammern, ein Jugendgericht und ein Wuchergericht mit insgesamt 35 Richtern, demgegenüber beträgt die Zahl der jetzigen Strafrichter beim Amtsgericht 25, beim Landgericht 22, die Gesamtzahl der Strafrichter hat also schon jetzt und zwar ohne Beeinträchtigung der Rechtspflege eingeschränkt werden können. Ob sich im Laufe der Zeit

158 weitere Ersparnisse an Richterpersonal werden machen lassen, muß die Folge lehren. Wie das in Übergangszeiten und bei der ganzen Natur der durch die YO. vom 4. I. 24 herbeigeführten Veränderungen unausbleiblich war, hat die Geschäftsverteilung anfänglich unter einer gewissen Ungleichmäßigkeit gelitten, besonders klagten die Vorsitzenden der erweiterten Schöffengerichte (§ 10 VO.). die natürlicherweise eine erhebliche Erbschaft der früheren Strafkammern und des Schwurgerichts anzutreten hatten, über große Geschäftslast. Allmählich wird jedoch ein Ausgleich eintreten, und man wird im allgemeinen behaupten können, daß die Einteilung der Gerichte den Bedürfnissen genügt. Auch bezüglich der Staatsanwaltschaft ist in Hamburg insofern eine einschneidende Änderung erfolgt, als die gesamten Geschäfte der Amtsanwaltschaft der Staatsanwaltschaft mitübertragen sind, so daß die Anklagebehörde nach außen hin einen einheitlichen Körper darstellt. Das hat zur Folge, daß jede Sache bis zu ihrer endgültigen Erledigung von einem und demselben Staatsanwalt bearbeitet werden kann, ein Umstand, der natürlich manche Arbeit überflüssig macht, und sicherlich auch zur eingehenden sachlichen Erledigung beiträgt. Ebenso wird, soweit die Staatsanwaltschaft in Frage kommt, jede Sache auch in demselben B ü r o bearbeitet, gleichgültig ob sie sich in der ersten oder in der Berufungsinstanz befindet. Auch das wird wesentlich zur Vereinfachung und Verminderung des Schreibwerkes beitragen. Selbstverständlich ist dabei, daß durch die innere Organisation der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der Beschwerde gegen Einstellungsverfügungen gewahrt ist. Auch bezüglich der Berufungsinstanz hat sich, wie schon bei der ersten Instanz bemerkt, eine gewisse vorläufige Ungleichmäßigkeit in der Geschäftslast ergeben, die großen Strafkammern sind bisher nicht voll in Anspruch genommen. Es rührt das einerseits daher, daß die Berufungen sich bisher noch nicht voll haben auswirken können, andrerseits daher, daß aus der Übergangszeit die Berufungen

154 lediglich an die kleine Strafkammer zu leiten waren. Der Ubelstand wird mit der Zeit schwinden. Wie ich schon gesagt habe, ist es eigentlich selbstverständlich. daß sich bei der Kürze der in Frage kommenden Zeit über die allgemeinen Folgen der VO. vom 4.1. besonders nach der Richtung, ob sie der Vereinfachung nnd Verbilligung der Strafrechtspflege dienlich ist, nicht viel angeben läßt. Bei großen Gerichten wird sich der Wegfall des früheren umfangreichen Geschworenenapparates, die erhebliche Erweiterung der Zuständigkeit des Einzelrichters und die Möglichkeit, durch Straf befehl weitaus mehr Fälle als früher zur Erledigung zu bringen, im Sinne einer Ersparung an Personal und Kosten auswirken. Andererseits wird die umfangreiche Erweiterung der Berufungsmöglichkeit zweifellos wieder Mehrkosten verursachen. Ein abschließendes Urteil, besonders nach der letzten Richtung, scheint mir aber zur Zeit noch nicht gerechtfertigt, und es wird daher nicht angebracht sein, Behauptungen und Meinungen auszusprechen, die in der Folgezeit durch Tatsachen widerlegt werden könnten. Ich will mich daher auf eine Erörterung der einzelnen in Frage kommenden Momente beschränken. Von der Möglichkeit, eine Sache durch amtsrichterlichen Strafbefehl, § 37 VO., entscheiden zu lassen, wird selbstverständlich jetzt in weit umfangreicherem Maße Gebrauch gemacht als früher. Mißstände haben sich dabei nicht ergeben. Eine erhebliche Vermehrung der Einsprüche ist bisher wenigstens nicht wahrnehmbar gewesen. Es ist nicht zu verkennen, daß der Strafbefehl auch in seiner jetzigen erweiterten Anwendung zur Erledigung von Bagatellsachen, besonders geständigen Tätern gegenüber, außerordentlich brauchbar ist. Wenn ich dann die Verhandlungstätigkeit der ersten Instanz ins Auge fasse, so steht selbstverständlich hier der Einzelrichter im Vordergrund des Interesses. Seine Zuständigkeit wird bekanntlich begründet einmal durch das Gesetz, andererseits durch Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 8 Abs. 1 Z. 3 und nach § 9 VO. Auf die in letz-

155 terer Beziehung liegende gewisse Inkongruenz will ich nicht weiter eingehen; der Herr Generalstaatsanwalt hat diesen Punkt ja schon berührt. Ich möchte hier nur betonen, daß durch die hamburgische Justizverwaltung angeordnet ist, daß im Falle des § 9 der Antrag auf Aburteilung durch den Einzelrichter, ebenfalls, wie im § 8 YO. vorgesehen ist, nur dann gestellt werden soll, wenn voraussichtlich auf keine andere Strafe als auf Freiheitsstrafe allein oder in Verbindung mit Nebenstrafen zu erkennen ist. Stellt sich in der Hauptverhandlung die Notwendigkeit einer höheren Strafe heraus, so besteht beim jetzigen Stande der Gesetzgebung natürlich keine Möglichkeit, die Entscheidung einer anderen Instanz zu übertragen, und so ist es denn auch hier einige Male vorgekommen, daß vom Einzelrichter Freiheitsinsbesondere Zuchthausstrafen von mehrjähriger Dauer erkannt sind. Trotz der hieraus sich vielleicht ergebenden Bedenken hat man in Hamburg und zwar im Einvernehmen mit der Justizverwaltung keinen Anstand genommen, den Einzelrichter in weitestem Umfang über den Bereich seiner gesetzlichen Zuständigkeit hinaus in Anspruch zu nehmen. Auf G-rund des § 8 Ziffer 3 sind im Monat April 688 Anträge gestellt, im Mai 417, auf Grund des § 9 im April 95, im Mai 86. Die Abnahme ist nur scheinbar. Sie rührt zweifellos daher, daß sich um den 1. April eine große Menge von durch die alten Gerichte noch nicht erledigten Sachen angesammelt hatte, die für den Monat April noch mitzuzählen waren. Was nun die Tätigkeit selbst des Einzelrichters anlangt, so hat vom Standpunkte der Staatsanwaltschaft aus gesehen, sich im allgemeinen ein nicht ungünstiges Bild ergeben. Die Rechtsprechung geht schlank und ohne Verzögerung vor sich. Es bestand anfänglich die Befürchtung, daß der Einzelrichter geneigt sein werde, in einigermaßen verwickelten Sachen die Verkündung der Entscheidung auszusetzen. Es ist dies jedoch nur verhältnismäßig selten vorgekommen, regelmäßig erfolgt die Verkündung der Urteile sofort. Gegen die materielle Richtigkeit derselben haben sich außergewöhnliche Bedenken nicht erhoben. Berufungen

156 sind bisher anscheinend nicht zahlreicher als früher geworden. Auch bezüglich der äußeren Autorität des Richters, wie das ja gerade in der Großstadt vielleicht nicht verwunderlich wäre, haben sich bisher Mißstände nicht ergeben. In Anwaltskreisen besteht eine Gegnerschaft gegen die Tätigkeit des Einzelrichters, soweit sich das bisher beurteilen läßt, im allgemeinen nicht. Mehrfach ist der Gedanke ausgesprochen, daß er vor dem Schöffengericht den Vorzug verdient. Ähnliche Äußerungen sind auch aus den Kreisen der zunächst Betroffenen, der Angeklagten selbst, laut geworden. Hier zieht man meistens sogar den Einzelrichter dem Schöffengericht vor. So hat sich denn auch die ganz auffallende Tatsache ergeben, daß gegenüber den erwähnten Anträgen der Staatsanwaltschaft aus § 9 YO. auf Aburteilung von Verbrechen durch den Einzelrichter, die ich eben für April mit 95, für Mai mit 86 angegeben habe, von Seiten der Angeschuldigten im April nur in einem, im Mai in drei Fällen Widerspruch erhoben worden ist. Auch das muß die Annahme bestätigen, daß von Seiten der Angeschuldigten dem Einzelrichter im allgemeinen kein Mißtrauen entgegengebracht wird. Natürlich hat das seine Gründe, und diese liegen zweifellos darin, daß, wie auch die Wahrnehmungen der Staatsanwaltschaftsdezernenten bestätigen, der Einzelrichter im allgemeinen milder zu urteilen geneigt ist, wie das Schöffengericht. Den Ursachen hierfür nachzugehen, will ich mir versagen. Sie liegen vermutlich auf psychologischem Gebiet, und damit mag auch die Tatsache erklärt werden, daß von einer Reihe von Richtern anfänglich das jetzt gegen früher unendlich verantwortungsvollere Amt des Einzelrichters mit einem gewissen Widerstreben übernommen worden ist. Es ist j a auch nicht zu verkennen, daß gewisse Materien sich gerade in der heutigen Zeit für die Aburteilung durch einen einzelnen Fachrichter nicht besonders eignen, so alle Sachen, die einen politischen Einschlag haben. Es ist sicher geboten, die zur Urteilsfindung berufene Instanz hier so zu bilden, daß sie eine breitere, in der Mitwirkung der Laienbevölkerung wurzelnde Basis hat. Aus diesem

157 Grande ist bei der hamburgischen Staatsanwaltschaft in politischen Prozessen von Anträgen aus § 8 und 9 VO. in der Regel Abstand zu nehmen. Ein beachtenswertes, anscheinend zu Ungunsten des Einzelrichters sprechendes Moment liegt weiter in folgendem: Nach den hier gemachten Beobachtungen ist der allein amtierende Richter vielfach nicht in der Lage, ein für die Behandlung in der Revisionsinstanz geeignetes Urteil abzufassen. Nachdem durch die §§ 83 und 34 VO. die Notwendigkeit bezw. Möglichkeit einer sich gegen das Urteil erster Instanz; richtenden Revision gegeben ist, hat sich das in der Revisionsinstanz als ein erheblicher Ubelstand herausgestellt. Der von früher her an die Sachen geringerer Bedeutung, die zudem in der Berufungsinstanz erneut verhandelt werden konnten, gewöhnte Richter läßt häufig Urteile herausgehen, deren schriftliche Begründung zwar von dem Standpunkt des schnellurteilenden Bagatellrichters ausreichend sein mögen, die aber eine ausreichende Feststellung der die Anwendung des Strafgesetzes begründenden Tatsachen und eine zureichende rechtliche Würdigung vermissen lassen. Vielleicht liegt der Grund hierfür in dem Umstände, daß der Einzelrichter nicht die nötige Zeit und Muße hat, sich nach dieser Richtung hin eingehend mit der Sache zu befassen. Tatsache ist jedenfalls, daß die erwähnten Mängel erstinstanzlicher Urteile, die an sich zu vermeiden wären, zur Aufhebung in der Revisionsinstanz geführt haben, und darin besteht weiter die Gefahr, daß das Revisionsgericht zu einer Würdigung in tatsächlicher Beziehung gedrängt wird, die seiner eigentlichen Aufgabe fremd ist. Bemerkenswert erscheint mir bezüglich der Tätigkeit des Einzelrichters noch folgendes: Bei dem gerade in der großstädtischen Strafrechtspflege bestehenden erheblichen Bedürfnis, Strafrechtsfälle geringerer Bedeutung und Schwere möglichst beschleunigt zu erledigen, hat man, wie auch anderswo, in Hamburg vor dem Inkrafttreten der Verordnung schon ziemlich weitgehenden Gebrauch von der Befugnis des § 211 StrPO. (alte Fassung) gemacht. Man hat sich außerdem hier in Hamburg dem

158 auch an anderen Stellen eingeführten Verfahren angeschlossen und durch Beantragung und Erlaß eines Strafbefehls im unmittelbaren Anschluß an die Vernehmung des vorgeführten Beschuldigten in vielen Fällen eine außerordentliche Beschleunigung des Verfahrens erzielt. iEine größere Bedeutung gewann dies Verfahren ohne förmliche Anklageerhebung dann durch die Notmaßnahme des § 44 VO. seit dem 15. Jan. ds. Js., insofern jetzt auch vor dem Amtsrichter allein ohne Schöffen eine große Anzahl, bisher der Zuständigkeit des Einzelrichters entzogener Strafsachen in abgekürzter Weise sofort abgeurteilt werden konnten, was nicht möglich gewesen wäre, wenn erst Schöffen hätten herangeholt werden müssen. Nur hierdurch ist es z. B. gelungen, und zwar sowohl im Interesse des Staates als auch in demjenigen des Beschuldigten selbst, plötzlich auftretender Anhäufungen bestimmter Kriminalfälle Herr zu werden, die sonst die Gerichte auf das schwerste belastet hätten, und in denen das Verfahren unter Beobachtung der gewöhnlichen Prozeßregeln zum Nachteil der Beschuldigten unendliche Verzögerung erlitten hätte. So wurden im Anfang dieses Jahres infolge des in England ausgebrochenen Seemannsstreiks wegen Vergehens gegen die Seemannsordnung annähernd 1000 Beschuldigte zur Anzeige gebracht und innerhalb weniger Tage die Besatzungen von 89 Schiffen dem Richter vorgeführt. Unter Ausnutzung der erwähnten Prozeßmöglichkeiten gelang es gut, zwei Drittel dieser Leute sofort und zwar zum großen Teil am Hafen in der Nähe des Anlegeplatzes der Schiffe "abzuurteilen. Man erzielte dadurch einmal, daß die Betreffenden nicht in Haft genommen zu werden brauchten, bezw. nicht erst lange gesucht werden mußten, andererseits aber gewährte man ihnen hierdurch die Möglichkeit, nach erfolgter Aburteilung sofort ihrem Berufe wieder nachzugehen (das Seemannsamt hält nämlich bis zur Erledigung der Strafsache das Seefahrtsbuch des Betreffenden zurück, sodaß er nicht vermustern kann). Nach dem 1. April dieses Jahres hat man das abgekürzte Verfahren beibehalten. Zwar kann jetzt bei der be-

159 absichtigten Aburteilung von Verbrechen gemäß § 10 VO. der Beschuldigte Widerspruch erheben, doch wird, wie ich schon bemerkt habe, von diesem Recht nur sehr selten Gebrauch gemacht. Bis zum 10. Juni ds. J s . sind auf diese abgekürzte Weise in Hamburg im Jahr 1924 erledigt: 1788 Fälle, davon 1541 wegen Übertretungen, 180 wegen Vergehen und 17 wegen Verbrechen. Dagegen wurden im g a n z e n Jahr 1923 erledigt 1741 Fälle. Die zweite Erscheinungsform des erstinstanzlichen Gerichts ist das mit einem Richter und zwei Schöffen besetzte Schöffengericht. Es ist ein alter Bekannter, und es wäre darum hier wenig neues zu sagen, wenn nicht durch die Aufhebung der Strafkammern als erste Instanz und die reichliche Abgabe bisher den Schwurgerichten zugewiesener Sachen seine Tätigkeit und Bedeutung wesentlich erhöht wäre. Es gelangen jetzt vor dem Schöffengericht eine Reihe von Strafsachen zur Aburteilung, die sowohl was die Rechtsfrage als auch was die innere Bedeutung und den tatsächlichen Umfang des Prozeßstoffes anlangt, weit über das hinausgehen, was bisher einem solchen Gericht zugemutet wurde. Auch mehrtägige Verhandlungen sind jetzt keineswegs eine Seltenheit. Dieser erhöhten Aufgabe und vermehrten Geschäftslast sind die Schöffen vielfach nicht gewachsen, können es auch nicht sein. Verwickelte Fragen des Genossenschafts-, Konkurs- und Aktienrechts werden unmöglich von einem Laien, der sich im Rahmen einer verhältnismäßig kurzen Verhandlung ein Bild machen soll, sachgemäß entschieden werden können. So ist denn die Erscheinung aufgetreten, daß in solchen Sachen die Aufmerksamkeit der Laienbeisitzer trotz augenscheinlich besten Willens nach kurzer Zeit erlahmt und sie der Sache nicht mehr zu folgen vermögen. Dem Einwände, daß ja auch bei den Schwurgerichten häufiger Sachen, die über das geistige Vermögen des Durchschnittsgeschworenen hinausgingen, abzuurteilen waren, ist entgegenzuhalten, daß Vorstehendes zwar auch hier bezgl. der Geschworenen beobachtet ist, daß aber das schwurgerichtliche Verfahren meist durch den Gegen-

160 stand der verhandelten Sachen, durch die, wenn ich so sagen soll, prunkvollere Aufmachung des ganzen Verfahrens, dem Laien schon an sich ein größeres Interesse abzunötigen geeignet ist, wie die in verhältnismäßig einfachen Formen sich bewegende Schöffengerichtsverhandlung. Das was ich hier gesagt habe, bezieht sich selbstverständlich auch auf die bei dem erweiterten Schöffengericht tätigen Schöffen. Diese dritte Erscheinungsform der ersten Instanz gibt mir, was ihre Tätigkeit anlangt, zu Bemerkungen wenig Anlaß. Anscheinend sind diese erweiterten Schöffengerichte im Vergleich zu den Strafkammern nicht so leistungsfähig, die Sitzungen dauern länger, mehr wie zwei Sachen werden kaum an einem Sitzungstage zur Erledigung gebracht. Es wird das vor allem seinen G-rund auch darin haben, daß in Rücksicht auf die beisitzenden Laienrichter manches erörtert werden muß, was bei einem Fachkollegium einer eingehenderen Behandlung nicht bedurft hätte. In Hamburg hat man die Zuziehung des zweiten Richters prinzipiell auf die Sachen beschränkt, die wirklich inhaltlich eine solche Behandlung verdienen, d. h. auf solche, die von so großem Umfange und einer Bedeutung sind, daß dem Verhandlungsleiter nicht auch noch die Abfassung des Urteils zugemutet werden kann. Der Antrag aus § 10 VO. soll nach Anweisung der Justizverwaltung aber auch gestellt werden, wenn die Rechtslage eine Entscheidung des Reichsgerichts in der Revisionsinstanz erforderlich erscheinen läßt, also besonders auch aus Gründen der Aufrechterhaltung der Rechtseinheit. Um die betreffenden Abteilungen vor einer Geschäftsüberhäufung zu bewahren und ein möglichst gleichmäßiges Vorgehen zu sichern, besteht hier die Vorschrift, daß die Anträge aus § 10 VO. von dem Generalstaatsanwalt oder einem Oberstaatsanwalt zu zeichnen sind. Solche Anträge sind gestellt im April in 39, im Mai in 18 Fällen. Ich betone auch hier, daß die erhöhte Zahl im April lediglich eine Folge der früheren Geschäftsstockung zu sein scheint. Man hat in den Bestimmungen, die der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit geben, die Zuständigkeit der einen

161 oder anderen Art der ersten Instanz, mittelbar sogar die Befugnis, die Zuständigkeit einer verschiedenen Revisionsinstanz zu begründen, eine Herabminderung der richterlichen Stellung gesehen, und es soll nicht verkannt werden, daß diese Vorschriften auch in Hamburg Befremden erregt haben. Um dem richterlichen Standpunkt nach Möglichkeit Rechnung zu tragen, ist daher hier die Vereinbarung getroffen, daß, falls von der Staatsanwaltschaft ein Antrag aus § 10 VO. nicht gestellt wird, der Richter aber die Sache für so bedeutsam hält, daß ein zweiter Richter herangezogen werden sollte, das Gericht durch Vermittlung des Amtsgerichtspräsidenten die Akte mit entsprechender Anregung vor Erlaß des Eröffnungsbeschlusses dem Generalstaatsanwalt vorlegt. Solcher Anregung, die im April in 5, im Mai in 2 Fällen erfolgt ist, wird regelmäßig stattgegeben. Hat eine Voruntersuchung stattgefunden, so soll der Untersuchungsrichter erforderlichen Falles darauf hinweisen, daß die Sache die Zuziehung eines zweiten Richters gebietet. Hierdurch sind sonst vielleicht mögliche Reibungen und Unzuträglichkeiten vermieden worden. Übrigens sind in allen Sachen, in denen die Zuziehung eines zweiten Richters begehrt wird, von der Staatsanwaltschaft Anklagen einzureichen, die das wesentliche Ergebnis der Ermittelungen enthalten. In der Berufungsinstanz ist bisher die große Strafkammer erst ganz vereinzelt in Tätigkeit getreten. Bezüglich der kleinen sind Wahrnehmungen besonderer Art nicht gemacht, jedenfalls hat die Zusammensetzung dieser Gerichte keinen Anlaß zu Bedenken gegeben. So stark umstritten und vielfach angefeindet und kritisiert das jetzt anstelle des Schwurgerichts getretene Gericht in der Theorie gewesen ist, so ohne alles unliebsame Aufsehen und ohne irgendwelche Anstöße zu erregen, ist es in der Praxis nun zur "Wirklichkeit geworden. Diejenigen Persönlichkeiten, die dienstlich hier mit ihm in Berührung gekommen sind, haben keinerlei Anstände erhoben. Man hebt rühmend hervor, daß die Aufmerksamkeit und Anteilnahme der mit am Tische der Richter und neben ihnen sitzenden li

162 Laienrichter jetzt noch größer geworden zu sein scheint, als sie früher hier in Hamburg gerade bei den Geschworenen beobachtet worden ist, und aus Richterkreisen wird die Einhelligkeit des gesamten Kollegiums besonders betont. Man wird danach gerade in dieser Veränderung der GerichtsOrganisation mindestens keinen Rückschritt zu erblicken berechtigt sein. Sogenannte Fehlsprüehe, wie sie sonst eigentlich in jeder Schwurgerichtstagung wahrgenommen werden konnten, sind hier bisher von keiner Seite behauptet. Ich bin der Ansicht, daß gerade bei der Instanz, welche die schwersten Verbrechen abzuurteilen berufen ist, und welche daher des Vertrauens der Bevölkerung in besonders hohem Maße bedarf, das Sparsamkeitsprinzip am wenigsten in die Erscheinung treten sollte. Aber wenn sich die Brauchbarkeit eines Institutes auch mit einfacheren und geringeren Mitteln erreichen läßt, so ist das selbstverständlich mit Genugtuung zu begrüßen. Immerhin wird ein abschließendes Urteil auch hier sich erst nach einem längeren Bestehen der Einrichtung fällen lassen. Eines muß allerdings schon jetzt als feststehend gelten: Es muß eine größere Rücksicht auf die zu der einzelnen Tagung herangezogenen Geschworenen geübt werden. Es ist nicht angängig, daß diese ihrem Berufe auf längere Zeit entzogen werden. Der Geschworene früherer Zeit konnte damit rechnen, während der Schwurgerichtsperiode doch an einer Reihe von Tagen durch Nichtauslosung oder Befreiung dienstfrei zu sein. Damit ist es jetzt vorbei. Der nun zu einer Tagung herangezogene Geschworene muß während der ganzen Dauer derselben seines Amtes walten, und das ist bei Tagungen von langer Dauer natürlich sehr empfindlich. Aus diesem Grunde sind hier Klagen von Seiten der Geschworenen laut geworden, und es wird sich daher empfehlen, die einzelnen Tagungen nicht zu lang auszudehnen, vielmehr häufigere von kürzerer Dauer anzusetzen. Wenn ich schließlich kurz die jetzige Zusammensetzung der oberlandesgerichtlichen Revisionsinstanz streifen darf, so will ich nicht verhehlen, daß die Verkleinerung des Strafsenats auf drei Mitglieder doch recht verschieden beurteilt

163 wird. Wenigstens für Hamburg hat sie zur Folge gehabt, daß der Strafsenat mit einer großen Anzahl von Mitgliedern ausgestattet werden mußte, die abwechselnd zu amtieren haben. Dadurch dürfte die Rechtssicherheit nicht gerade gefördert werden. Im übrigen möchte ich die Erörterung dieses Punktes berufenerer Seite überlassen. Nach alledem sind die Wahrnehmungen, die man in Hamburg bisher mit den getroffenen Veränderungen in Bezug auf Organisation der Gerichte und auf deren Zuständigkeit gemacht hat, im großen und ganzen nicht als ungünstig zu bezeichnen. Ich möchte jedoch auch meinerseits hier die Worte des Herrn G-eneralstaatsanwalts, daß die Personenfrage alles bedeute, noch besonders betonen. Das gilt aber nicht nur für die Person des Einzelrichters, auch nicht nur für den Vorsitzenden des Schwurgerichts in seiner jetzigen Gestalt, sondern auch bei der Auswahl der Schöffen und Geschworenen bedarf es ganz besonderer Sorgfalt, wenn nicht die Gefahr entstehen soll, daß sich die notwendige und wertvolle Beteiligung der Volksrichter zu einem mehr oder weniger dekorativen Beiwerk entwickelt. Was die Neuerungen anlangt, welche die Verordnung auf dem Gebiete des Verfahrens gebracht hat, so muß ich auch hier mich auf die wichtigsten beschränken, insbesondere die Durchbrechung des Legalitätsprinzips und die Abänderungen in Bezug auf die Rechtsmittel. Auffallender Weise haben in der Praxis die das Legalitätsprinzip betreffenden §§ 23 und 24 VO. verhältnismäßig die meisten Schwierigkeiten gemacht. Bei der Gegnerschaft, der die Staatsanwaltschaft sich nicht nur in vielen Kreisen der Laienbevölkerung, sondern auch bei manchen Juristen erfreut (ich erinnere an die Schrift des jetzigen Reichsgerichtssenatspräsidenten Niedner über die Sozialisierung der Rechtspflege), ist es kein Wunder, wenn die weitgehende Durchbrechung des Verfolgungszwanges und die Ausstattung einer so umstrittenen Behörde mit derartigen Befugnissen, wie die VO. es getan hat, Bedenken erregt und Gegnerschaft hervorgerufen hat. Meist ist es zwar nicht der Umstand, daß die Staatsanwaltschaft zu wenig anklagt, der 11*

164 ihr Abneigung zugezogen hat, sondern die Kritik richtet sich regelmäßig gegen den übermäßigen Berufseifer der Staatsanwälte. So ist es eigentlich nicht recht einzusehen, weshalb eine Bestimmung, die richtig verstanden dazu dienen sollte, diesen etwas einzuschränken, eine so große Gegnerschaft auf den Plan gerufen hat, wie das tatsächlich der JFall ist. Doch es ist nicht meine Aufgabe, diesen Dingen hier nachzugehen; die Tatsachen sprechen. Es muß aber betont werden, daß die Staatsanwaltschaft die Übertragung derartiger Machtbefugnisse, wie sie ihr hier gegeben sind, nicht gern gesehen hat. Zwar ist ja, abgesehen von Übertretungen und abgesehen vom Falle des § 24 Abs. 1 der VO. die Gewalt nicht in ihre Hand allein gegeben, die Nichterhebung der Anklage ist vielmehr von der Zustimmung des Richters abhängig gemacht und falls die Anklage bereits erhoben ist, hat die Einstellung erst nach erfolgter Zustimmung der Staatsanwaltschaft durch das Gericht zu erfolgen. Aber das entscheidende Wort hat, darüber kann es keinen Zweifel geben, die Staatsanwaltschaft. Unter diesen Umständen und bei der außerordentlich schwierigen Lage, in der die Staatsanwaltschaft sich befindet, ist es selbstverständlich ihre Pflicht, auf das eingehendste und sorgsamste zu prüfen, ob die Einstellung eines Verfahrens oder die Abstandnahme von der Anklageerhebung gerechtfertigt ist. Vor allem ist eine gleichmäßige, sämtliche in Betracht kommenden Umstände gerecht abwägende Beurteilung absolutes Erfordernis. In Erkenntnis der hieraus erwachsenden Schwierigkeiten, vor allem um das Verfahren dem subjektiven Ermessen des einzelnen möglichst zu entziehen und eine einheitliche Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen zu ermöglichen, sind in Hamburg die auf die Einstellung oder Nichterhebung der Anklage abzielenden Verfügungen der einzelnen Dezernenten von der Gegenzeichnung eines Oberstaatsanwalts abhängig gemacht. Mit Recht, denn was ist in der Praxis aus den Bestimmungen besonders des §23 VO. gemacht worden? Häufig ein Mädchen für alles, manchmal sogar eine Eselsbrücke.

165 Die Auffassung, daß auf Grund des § 23 YO. aus .. Zweckmäßigkeitsgründen " eingestellt werden kann, ist nicht nur in den Kreisen der Staatsanwaltschaft, sondern auch bei den vom Gericht ausgehenden Anregungen mehrfach aufgetreten. Bei jedem größeren Gericht werden alte Ladenhüter vorhanden sein, Fälle, in denen zum Beispiel der Angeklagte es bisher verstanden hat, sich der Ladung zu entziehen, in denen wichtige Zeugen nicht aufzufinden sind und dergl. In solchen Sachen ist die Einstellung auf Grund des § 23 YO. angeregt oder versucht worden. Lange zurückliegende verwickelte Tatbestände hat man auf diese "Weise, auf einem zwar bequemen aber doch nicht richtigen "Wege der Lösung entgegenzubringen gesucht. Aber auch da, wo ein h i n r e i c h e n d e r Grund für Einstellung des Verfahrens vorhanden war, z. B. bei Geisteskrankheit des Angeklagten, bei dem Vorliegen des Tatbestandes der bereits abgeurteilten Sache, bei unausreichendem Beweis, wird der § 23 VO. herangezogen. Alle diese Fälle sind selbstverständlich für die Anwendbarkeit dieser Gesetzesbestimmung völlig ungeeignet. Das Gesetz schreibt vor, daß die Nichtverfolgung eines Vergehens nur statthaben soll, falls die Schuld des Täters gering ist und die Folgen der Tat unbedeutend sind. Bei Verbrechen kann ein gleiches Verfahren nur nach § 24 VO. stattfinden, falls die zu erwartende Strafe neben einer schon erkannten nicht mehr ins Gewicht fällt. Daraus folgt mit Selbstverständlichkeit, was mehrfach außer Acht gelassen wurde, daß bei Delikten, die wegen Rückfalls sich als Verbrechen charakterisieren, eine Einstellung auf Grund des § 23 VO. vor Feststellung der Vorstrafen überhaupt nicht, falls Rückfall vorliegt, nur dann erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen des § 24 VO. gegeben sind. Im übrigen aber ist bei einer solchen Anwendung der VO. zu beachten, daß durch die Einstellung auf Grund des § 23 die Staatsanwaltschaft bezw. wenn die Einstellung vom Gericht ausgeht, diese Instanz den Angeschuldigten gewissermaßen der ihm zur Last gelegten Straftat für überführt erachtet und nur sein Verschulden und die Folgen der Tat gering wertet, das heißt also, daß die Einstellung ein sach-

166 liches Urteil über die Tat voraussetzt. Daraus folgt wiederum, daß bei ungeklärter Sachlage eine Einstellung auf Grund des § 23 YO. regelmäßig nicht erfolgen sollte. Aber auch das muß Berücksichtigung finden, daß der Angeschuldigte, gegen den ein Verfahren eingeleitet ist, in sehr vielen Fällen ein gutes Recht darauf hat, nicht mit einer mindestens eine levis nota enthaltenen Einstellungsverfügung davon zu kommen. Besonders wenn, wie bereits hervorgehoben, eine sachliche endgültige Erledigung möglich ist. Bei mangelndem Beweis, bereits abgeurteilter Sache, dem Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes, muß selbstverständlich der sich daraus ergebende prozessuale Weg, der vielleicht mühevoller ist, als der des bequemen § 23 VO., vorgezogen werden. Ich verkenne nicht, daß in den weitaus meisten Fällen der Angeschuldigte damit zufrieden sein wird, wenn er ohne Verurteilung aus dem Verfahren hervorgeht. Aber wenn auch in der hamburgischen Praxis bisher Fälle, in denen ein Angeschuldigter sich über eine Einstellung auf Grrund des § 23 VO. beschwert hat, nicht vorgekommen sind, so kann ich mir doch sehr wohl vorstellen, daß nicht jeder, der in eine Untersuchung hineingezogen wird, sich die Abstempelung als eines zwar in geringerem Maße Schuldigen, immerhin aber der Tat dringend Verdächtigen gefallen lassen wird. Wie schon der Herr Greneralstaatsanwalt hervorgehoben hat, kann und darf sich die Staatsanwaltschaft im übrigen in ihrer Entschließung über die auf Grrund des § 23 VO. zu treffenden Maßnahmen, soweit nicht die Anweisung der vorgesetzten Dienstbehörde in Frage kommt, an die Zustimmung anderer Behörden nicht gebunden erachten. Sie ist allein verantwortlich. Aus dieser Erwägung heraus hat die hiesige Staatsanwaltschaft in der Regel davon Abstand genommen, bei von anderen Behörden ausgegangenen Strafverfügungen die Zustimmung dieser Instanzen zur Einstellung einzuholen. Ich will indessen nicht verhehlen, daß sie hiermit nicht unter allen Umständen den Beifall der betreffenden Behörde, insbesondere der Polizeibehörde gefunden hat. Hervorheben möchte ich noch, daß auch bei Einlegung

167 bezw. Rücknahme von Rechtsmitteln durch die Staatsanwaltschaft der dem § 23 YO. zugrunde liegende Gedanke entsprechend beachtet wird. Der § 24 VO. hat bisher zu irgendwelchen Zweifeln oder Bedenken keine Veranlassung gegeben. Bemerkenswert ist, daß das Hanseatische Oberlandesgericht der in dem Kommentar von B u m k e vertretenen Rechtsauffassung, daß in der Revisionsinstanz eine Einstellung auf Grund des § 23 VO. unzulässig sei, sich nicht angeschlossen hat. Es hat in einer Reihe von Fällen sich die Einstellungsbefugnis zugesprochen. Selbstverständlich hat die durch §§ 23 f. YO. gegebene Möglichkeit, einzelne Verfahren in Kürze zu beenden, eine nicht unwesentliche Entlastung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte herbeigeführt: Im April bezw. Mai sind gemäß Absatz 1 § 23 nicht verfolgt 147 bezw. 87 Übertretungen ; gemäß Abs. 2 ist von Erhebung der Anklage Abstand genommen im April in 106, im Mai in 62 Fällen. Eine Einstellung nach Abs. 3 ist erfolgt in 133 bezw. 104 Fällen; Einstellung nach § 24 VO. ist in 13 Fällen und 5 Fällen erfolgt, von der Erhebung der Anklage ist auf Grund dieser Bestimmung in einem Falle Abstand genommen. Wenn die Ziffern im April wesentlich höher gewesen sind, so liegt das natürlich darin, daß auch hier noch eine Reihe älterer Sachen Berücksichtigung gefunden haben. Die Fälle des § 24 VO. sind hier ziemlich zahlreich gewesen, weil eine Reihe großer Bandendiebstahlssachen zur Aburteilung gelangte, in denen einzelne immer wieder vorkommende Angeschuldigte bereits mit dem höchstzulässigen Strafmaß belegt waren. Das zweite wichtige Neuerungsmoment in Bezug auf das Verfahren liegt in der Erweiterung der Rechtsmittelmöglichkeit. Auffallend ist es zunächst, daß bisher eine wesentliche Zunahme der Berufungen nicht erfolgt zu sein scheint, obwohl j a die gesamte Rechtssprechung vor dem Amtsgericht, mit Ausnahme der verhältnismäßig wenigen, der Zuständigkeit des Schwurgerichts und des Reichsgerichts noch verbliebenen Sachen der Anfechtung durch die Beru-

168 fung unterliegt, abgesehen von der Einschränkung der §§ 33 und 34 YO. Ob das von Dauer sein wird, erscheint mir allerdings sehr zweifelhaft. Die größeren vor den erweiterten Schöffengerichten und den Verb rechensabteilungen verhandelten Sachen werden meist noch nicht bis in das Stadium der Rechtsmitteleinlegung vorgerückt sein. Es wird angenommen werden müssen, daß in schwierigeren und verwickeiteren Sachen überall da, wo der Angeklagte an der Hinausschiebung der Rechtskraft des Urteils ein Interesse hat, von seiten des Angeklagten Berufung eingelegt werden wird, und ebenso wird auch die Staatsanwaltschaft in erhöhtem Maße von dem Rechtsmittel Gebrauch zu machen gezwungen sein. Eine wesentliche Vermehrung dagegen haben schon jetzt die Revisionen erfahren und zwar übersteigen sie erheblich die frühere Gesamtzahl (Revisionen ans Oberlandesgericht zusammen mit denjenigen an das Reichsgericht). Worin dies seinen Grund hat, läßt sich einstweilen nicht sagen. Vielleicht liegt z. T. wenigstens die Ursache in der sogenannten Sprungrevision, z. T. darin, daß die Möglichkeit, die Revision jetzt meistens am Orte selbst durchzuführen und evtl. persönlich zu vertreten eine größere Neigung, von diesem Rechtsmittel Gebrauch zu machen, hervorruft. Eine Erhöhung der Zahl der durch die Staatsanwaltschaft eingelegten Revisionen ist bisher wenigstens nicht eingetreten. Der Umstand, daß die an die Oberlandesgerichte zu leitenden Revisionen in der Regel auch auf Verfahrensverstöße gestützt werden können, zwingt die Staatsanwaltschaft zu erhöhter Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung auch schon der ersten Instanz, da unter Umständen ein solcher Mangel, wie z. B. Verhandlung vor dem Einzelrichter ohne einen dementsprechenden Antrag, ohne weiteres die Revision begründen kann. Zweifel sind hier aufgetreten hinsichtlich der Wahlrevision nach § 34 VO., nämlich nach der Richtung, ob etwa beide Rechtsmittel, Berufung und Revision, gleichzeitig eingelegt werden können, natürlich mit der Maßgabe, daß demnächst das eine zurückgenommen wird. Es ist j a meistens

169 bei Verkündnng des Urteils noch nicht klar zu ersehen, ob es einen materiellen oder formellen Rechtsmangel enthält, oder ob ein Angriff in tatsächlicher Beziehung zu erfolgen hat. Klarheit hierüber werden erst die schriftlichen Gründe des Urteils gewähren. Unter diesen Umständen ist es praktisch, die Möglichkeit späterer endgültiger Entschließung freizulassen und darum einstweilen die Einlegung beider Rechtsmittel neben einander zu gestatten. Die hiesige Staatsanwaltschaft hat bisher die Zulässigkeit dieses Weges angenommen. Wie schon bemerkt, wird aber eines der Rechtsmittel vor Inanspruchnahme der höheren Instanz zurückzunehmen sein. Bezgl. der sonstigen Verfahrensvorschriften möchte ich erwähnen, daß bisher in Hamburg die von einzelnen Stellen z. B. vom Berliner Anwaltverein ausgesprochene Befürchtung, es werde zum Nachteil des Angeklagten zu einer Einschränkung der Voruntersuchungen in den zur Kompetenz der Amtsgerichte gehörenden Sachen kommen, sich in keiner Weise bestätigt hat. Die Zahl der neueröffneten Voruntersuchungen in Amtsgerichtssachen hat vielmehr zugenommen, 55 im Mai gegen 48 im April. Ich kann mir übrigens nicht recht denken, daß gerade die Staatsanwaltschaft auf das doch für sie bequemere und zuverlässigere Beweisermittelungsverfahren der Voruntersuchung unnötigerweise verzichten sollte. Zudem ist zu berücksichtigen, daß in Haftsachen verwickelterer Art schon die Kürze der Haftfrist regelmäßig zur Einleitung der Voruntersuchung zwingt. Von Seiten des Gerichts sind bisher gemäß § 29 VO. Voruntersuchungen noch nicht veranlaßt, von seiten der Angeschuldigten sind entsprechende Anträge nicht gestellt worden. Kurz zu erörtern ist schließlich noch das Verhältnis der VO. zum Jugendgerichtsgesetz. Dieses enthält eine Reihe von Bestimmungen, die mit denjenigen der VO. konkurrieren oder im Widerspruch stehen. Bezgl. dieses Gebietes haben nun unter den Jugendrichtern und den bei den Jugendgerichten hier amtierenden Staatsanwälten Auseinandersetzungen stattgefunden, die zu folgenden Ergebnissen geführt haben:

170 Man hat sich prinzipiell auf den Standpunkt gestellt, daß die Vorschriften der VO. auch in Jugendsachen anzuwenden sind, soweit sie lediglich eine Änderung der StPO. enthalten, nicht dagegen, soweit sie eine Änderung des Jugendgerichtsgesetzes bewirken. Von diesem Gesichtspunkt aus hält man daran fest, daß das Jugendgericht erster Instanz mit einem Richter und zwei Jugendschöffen, das große Jugendgericht mit zwei Richtern und drei Jugendschöffen besetzt sein muß, und man billigt nicht die im Schrifttum vertretene Meinung, daß auch in Jugendsachen auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 10 YO. ein zweiter Richter zu dem kleinen Jugendgericht hinzugezogen werden könne. Bezgl. des Verfahrens steht man entsprechend auf dem Standpunkt, daß neben anderen unwichtigeren Bestimmungen der VO. zwar die des § 24 VO. angewendet werden können, daß jedoch die Vorschriften des § 23 VO. hinter den Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes betreffend Abstandnahme von der Strafverfolgung bezw. Verurteilung (§ 9 Abs. 4, § 32 Jugendgerichtsgesetzes) zurückzutreten haben. In Verfolg dieser Ansicht holt die Staatsanwaltschaft auch zu einer Einstellung des Verfahrens auf Grund des § 23 Abs. 1 VO. bei Übertretungen, soweit der Beschuldigte ein Jugendlicher ist, die Zustimmung des Jugendrichters ein.

B. Berichterstatter: Landgerichtsdirektor Dr.

Mahn, Leipzig.

Als Dritter, der Ihnen über die Auswirkung der Verordnung vom 4. 1. 24 berichten soll, bin ich in der Lage, mich kürzer fassen zu können als meine Vorredner, weil ein Teil ihrer Wahrnehmungen sich mit den meinigen deckt. Ich werde mich also auf die Abweichungen von deren Wahrnehmungen und einige Ergänzungen dazu beschränken. Dazu möchte ich bemerken, daß einige Abweichungen vielleicht durch die besonders gelagerten Verhältnisse in Sachsen bedingt sind. Die Wahrnehmungen über die Auswirkung der Verordnung sind von mir und zwei Leipziger Schöffenrichtern gemacht worden beim Landgericht und Amtsgericht Leipzig. Das Amtsgericht Leipzig, bei dem im Jahre 1923 etwa 22000 Strafsachen anhängig waren, arbeitet in 19 Schöffengerichtssektionen, von denen drei als Jugendgerichte, vier als gemeinsame Schöffengerichte, diese stets unter Zuziehung eines zweiten Amtrichters, tätig sind. Beim Landgericht Leipzig sind fünf Berufungskammern eingerichtet, die — je nach Erfordernis — als kleine oder große Strafkammern besetzt werden. Das Landgericht hat am 1. 4. 24 einen erheblichen Teil seiner Richter ans Amtsgericht abgeordnet zur Aufarbeitung der 1200 Privatklagesachen, die infolge Ruhens bis 31. 3. sich aufgehäuft hatten. Die Meinungen der Amtsrichter über die Verordnung vom 4. 1. 24 sind geteilt. Die Mehrheit hofft zwar mit ihr arbeiten zu können, möchte aber Bedenken in mehrfacher Hinsicht nicht unterdrücken. Zunächst sind die großen Bedenken, die gegen die umfassende Erweiterung der schöffengerichtlichen Zuständigkeit von vornherein erhoben wurden, daß nämlich die Verhandlungen umfänglicher Sachen die Kräfte — nicht nur des Vorsitzenden, sondern auch der Schöffen — übersteigen, durch die bisherige Praxis nicht zerstreut. Die frühere Strafkammer ist

172 zweifellos für solche Sachen das bessere Gericht gewesen gegenüber dem jetzigen Schöffengericht. Das hat mir erst vor wenigen Tagen ein* früheres Mitglied meiner Kammer, jetzt Vorsitzender eines gemeinsamen Schöffengerichts, gesagt, nicht nur als seine Meinung, sondern als die von der Mehrzahl seiner Kollegen geteilte Ansicht. Und dabei ist e r gegenüber dem regulären Schöffengerichtsvorsitzenden noch im Vorteil dadurch, daß ihm stets der zugezogene zweite Amtsrichter hilfreich zur Seite steht, während jener nur auf sich selbst angewiesen ist. Aber nicht genug mit den hohen Anforderungen, die die VerhandlungsleituDg an den Vorsitzenden stellt, er hat auch nicht selten noch einen Kampf ums Recht auszufechten mit denjenigen, die doch zu seinen Gehilfen berufen sind, mit den S c h ö f f e n . Als ich vor 25 Jahren Schöffenrichter war, draußen in der Provinz, da war es eine Freude, mit den Schöffen zusammen zu arbeiten : Sie waren durchdrungen von der hohen Verantwortlichkeit ihres Amtes, ganz unparteiisch und gerecht zu urteilen. Das ist heute leider bei einem Teil der Schöffen nicht der Fall. Es gibt deren welche, die mehr als Interessenvertreter erscheinen, etwa wie die Beisitzer eines Schiedsgerichts : sie glauben sich berufen, im Schöffenamt ebenso wie bei anderen Gelegenheiten die Interessen aller derer wahrzunehmen, die ihrem Stande, ihrer Bevölkerungsklasse, vor allem ihrer politischen Partei angehören oder doch nahestehen. Darauf, daß diese, wenn sie angeklagt sind, möglichst günstig aus dem Prozeß hervorgehen, ist ersichtlich ihr Wunsch und Bestreben gerichtet. Und den Zeugen, die ihnen in der erwähnten Richtung nahestehen, sind sie geneigt mehr zu glauben als anderen. Es liegt mir ferne zu behaupten, es sei bewußte Amtspflichtwidrigkeit: unwillkürlich stellen sie sich auf jenen Standpunkt, der ihnen von ihrer Umgebung, ihrer Presse und ihren Vertrauensleuten beigebracht worden ist. Und was in dieser Richtung in Sachsen an Aufhetzung gegen die Gerichte als angebliche Organe einer Klassenjustiz geleistet wird, nicht nur von Laien, sondern sogar von Juristen, hält man nicht für möglich. Dazu kommt das Hineintragen der Politik in die Gerichts-

173 organisation: Die radikalste Partei sucht — im Bestreben, möglichst weitgehenden Einfluß auf die Rechtsprechung zu gewinnen — zunächst ein Übergewicht im Vertrauensmännerausschuß, der nach § 40 G.;V. G. alljährlich zur Aufstellung der Urlisten zusammentritt, zu erlangen, und dann mittels des Ubergewichts es durchzusetzen, daß möglichst viele Parteigänger in die Urliste aufgenommen werden. Besonderen W e r t legen sie darauf, daß in den B e r u f u n g s k a m m e r n recht viele Parteiangehörige als Schöffen sitzen, um in der letzten Tatrichterinstanz das entscheidende Wort sprechen zu können. Unter solchen Umständen ist leider damit zu rechnen, daß derart eingestellte Schöffen geneigt sind, aus nichtsachlichen Gründen dem Vorsitzenden des Schöffengerichts oder der Strafkammer Widerstand entgegenzusetzen, zumal wenn es sich um Straftaten handelt, deren Bestrafung sie grundsätzlich ablehnen, wie Abtreibungsdelikte, kommunistische Gewalttätigkeiten und ähnliches. Solche Schöffen über die Bedeutung ihrer Amtspflichten zu belehren, sie gewissermaßen zu richtigen Schöffen zu erziehen, dazu gehört — soweit es überhaupt möglich ist — außerordentlich viel Takt, Überlegenheit, Charakterstärke. Diese Erziehung kannm.E. am ehesten erreicht werden in der großen Strafkammer, wo den beiden Schöffen durch die Art, wie die richterlichen Mitglieder ihre Meinung äußern und ihre Stimme abgeben, ein gutes Beispiel vor Augen geführt wird. Solange aber solches Erziehungsresultat noch nicht erreicht ist, birgt das Schöffengericht eine Gefahr für die Rechtspflege, welcher vielleicht selbst ein tüchtiger Vorsitzender nicht immer Herr zu werden imstande ist. Bis zu einem gewissen Grade könnte die Gefahr eingeschränkt werden dadurch, daß die Staatsanwaltschaft in w e i t e s t g e h e n d e m Maße Gebrauch macht, einmal von der Befugnis, auf einzelrichterliche Entscheidung anzutragen (§ 8 Abs. 2 der V. 0.) und andrerseits von der Befugnis, die Zuziehung eines zweiten Amtsrichters zu beantragen (§ 10 Abs. 2). Wenn in letzterer Bestimmung als Voraussetzung aufgestellt ist, daß die Zuziehung nach Umfang und Bedeutung

174 notwendig erscheint, so ist das, trotz des entgegenstehenden Wortlauts, nicht dahin auszulegen, daß die zwei Voraussetzungen, Umfang und Bedeutung, kumulativ vorliegen müssen, sondern daß es genügt, wenn eine dieser beiden vorliegt. Eine wesentliche Unterstützung würde ferner dem Vorsitzenden zuteil, wenn der Vertreter der Anklage sich lebhafter, als er es in den früheren Strafkammersitzungen nötig zu haben glaubte, betätigte und insbesondere durch gewandte, schlagfertige Replik sämtliches Vorbringen des Verteidigers, soweit es nicht durchschlägt, in einer die Schöffen überzeugenden Weise widerlegt, aber auch schon im Laufe der Beweisaufnahme durch Anregungen und Fragestellen seinerseits zu einer möglichst vollständigen Klarstellung des Sachverhalts und der rechtlichen Verhältnisse beizutragen sich bemüht. Es ist deshalb nötig, daß die Staatsanwaltschaft in die Gerichte, in denen Schöffen mitwirken, besonders geschickte, befähigte und rührige Vertreter entsendet. Als einen Mangel der Verordnung empfindet es das Amtsgericht, daß in gewissen Sachen, die wegen ihres erheblichen Umfangs die Zuziehung eines 2. Amtsrichters nötig machten, eine solche gemäß § 8 der V. 0 . unzulässig ist, weil die Tat nur mit einer Höchststrafe von 6 Monaten bedroht ist. So ist gegenwärtig vor dem Amtsrichter eine mehrere Verhandlungstage umfassende Nahrungsmittelfälschung mit einem großen Apparat von Zeugen und Sachverständigen anhängig, die gemäß § 8 vom Einzelrichter entschieden werden muß. Es kommt in Frage, ob nicht durch einen Zusatz zu § 8 der V. 0 . der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit gegeben werden sollte, auch da die Zuziehung eines 2. Amtsrichters zu beantragen. Für Fälle, wo die Staatsanwaltschaft es unterläßt, den Antrag zu stellen, obwohl die Voraussetzungen dafür gegeben scheinen, könnte dem mit der Sache befaßten Richter das Recht eingeräumt werden, die Entscheidung der Strafkammer herbeizuführen. Was die Erfahrungen mit dem E i n z e l r i c h t e r anlangt, so scheint er sich zu bewähren. Ich habe von keiner Seite Klagen vernommen. Auch die Angeklagten scheinen

175 sich damit abzufinden; wenigstens ist bis jetzt der Prozentsatz der Berufungen gegen einzelrichterliche Urteile etwas geringer als der gegen Schöffengerichtsurteile. Dagegen stößt auf allgemeinen Widerspruch, bei den Beteiligten sowohl wie in der öffentlichen Meinung, die B e s c h r ä n k u n g d e r B e r u f u n g durch § 3 3 V.O. In diesem Punkte ist dem beizutreten, was die Kommission der juristischen Arbeitsgemeinschaft unter dem Vorsitz des Prof. K o h l r a u s c h in ihren Beschlüssen niedergelegt hat. Sollte der § 33 V.O. n i c h t abgeändert werden, so muß insoweit wenigstens die in § 244 (jetzt §245) Abs. 2 St.P.O. festgesetzte Beweisbeschränkung wegfallen. Es geht nicht an, daß einem Angeklagten oder einem Privatkläger in der einzigen Instanz, die er zur Verfolgung seiner Rechte hat, seine Beweisanträge ohne triftige Gründe abgelehnt werden. Über das Rechtsmittel der R e v i s i o n liegen keine Erfahrungen vor. Aus dem Umstand, daß beim Amtsgericht Leipzig in den 2 Monaten 13 Sprungrevisionen eingelegt worden sind, kann geschlossen werden, daß deren Einführung einem Bedürfnis entsprochen hat und daß eine entsprechende Zahl von Berufungen vermieden wird. Als ein Ü b e l , dessen Beseitigung dringend zu wünschen ist, hat sich die sogenannte k l e i n e S t r a f k a m m e r erwiesen. In dieser Kritik sind sich Amtsgericht und Landgericht einig. Die kleine Strafkammer bietet keine Gewähr für einen besseren Richterspruch als die Vorinstanz. In den letzten Wochen hat die kleine Strafkammer nicht nur einzelrichterliche Urteile, sondern auch — gemäß der Überleitungsverordnung vom 18. 3. 24 — Schöffengerichtsurteile nachzuprüfen. Da war nun die erste Instanz ebenso besetzt wie die zweite: mit 1 Richter und 2 Schöffen. Wer wollte da sagen, daß das Gericht der zweiten Instanz besser sei als das der ersten ? Zumal in letzterer die zur Entscheidung berufenen Personen mit den in Frage kommenden örtlichen und persönlichen Verhältnissen in der Regel besser vertraut sein werden (man denke an die Provinz), als die der zweiten Instanz. Aber auch wenn in erster Instanz der Einzelrichter geurteilt hat, wird doch durch den Hinzutritt der Schöffen

176 in der kleinen Strafkammer keine Gewähr für einen besseren Wahrspruch geschaffen. Denn in dieser wie in jener Instanz ist nur ein Berufsrichter tätig. Und nicht selten wird, da grundsätzlich die Schöffengerichte mit erstklassigen Richtern besetzt sein sollen, der erstinstanzliche Richter höher zu bewerten sein als der Vorsitzende der kleinen Strafkammer, der zumeist nicht der kammervorsitzende Landgerichtsdirektor ist, weil dieser mit den Vorbereitungen und Verhandlungen der vor die große Strafkammer gehörenden Sachen und mit den sonstigen Geschäften des Kammervorsitzes vollauf beschäftigt und deshalb an der Übernahme des Vorsitzes in der kleinen Strafkammer behindert sein wird. Die Mitwirkung der Schöffen allein bildet für die richtigere Urteilsfindung keine ausreichende Gewähr. In der Prüfung der Beweiswürdigung und der Rechtsfragen kommen die Meinungen der Schöffen weniger zur Geltung als die des Berufsrichters, dem sie diese meist nicht ungern überlassen. Ihre Domäne ist die S t r a f z u m e s s u n g . Und in dieser Beziehung dürfte der erstinstanzliche Richter als der iudex loci vermöge seiner Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse am Tatort und d e r Bevölkerung, zu der die Prozeßbeteiligten gehören, zutreffender entscheiden, als die mit jenen Verhältnissen nicht so unmittelbar vertrauten Großstadt-Schöffen. Der Grund für die Schaffung der kleinen Strafkammer ist offenbar auch nur in finanziellen Rücksichten zu suchen. Man glaubte Richterkräfte sparen und dadurch die Kosten der* Rechtspflege verringern zu können. Das ist, glaube ich, irrig. Wenigstens ist der Beweis nicht geliefert, daß die Kosten höher werden, wenn a l l e Berufungen vor die g r o ß e Strafkammer kommen. Ausgaben für Schöffen kommen n i c h t in Betracht, denn diese sind in derselben Zahl in der kleinen Strafkammer nötig wie in der großen. Unter Umständen werden sogar weniger Schöffen gebraucht, weil, wenn z. B. nur wenige Sachen an einem Terminstage der kleinen Strafkammer anstehen, wegen dieser doch 2 Schöffen zitiert und voll bezahlt werden, während diese Sachen

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anderenfalls an einem Tage, wo große Strafkammer-Sachen anstehen, mitverhandelt werden. Es könnte sich höchstens darum handeln, ob weniger Berufsrichter erforderlich wären. Auch das möchte ich verneinen. Jede Strafkammer muß nach § 11 V. 0. drei Richter mit Einschluß des Vorsitzenden haben, die zur Besetzung der großen Strafkammer nötig sind. Die wenigen und meist nicht umfänglichen Berufungen gegen Einzelrichterurteile werden nun ohne besondere Schwierigkeiten an den Sitzungstagen der großen Strafkammer eingeschoben und mitverhandelt werden können. Sollte das aber nicht angehen, sondern ein besonderer Termin angesetzt werden, so würden an einem solchen zwei- oder dreimal soviel Berufungen erledigt werden können als vor der kleinen Strafkammer, weil dieser nur ein Urteilsverfasser zur Verfügung steht, der großen Strafkammer aber zwei oder drei. Dadurch würden also auch zwei- oder dreimal weniger oft als in der kleinen Strafkammer Schöffen herangezogen zu werden brauchen. Das würde sogar eine Ersparnis bedeuten. Eine Verbilligung der Strafrechtspflege dürfte also durch die kleine Strafkammer kaum erzielt werden, wohl aber zuweilen eine Verschlechterung; keinesfalls bietet die kleine Strafkammer eine Gewähr für eine bessere Entscheidung als die Vorinstanz. Also fort mit der kleinen Strafkammer! A l l e Berufungen vor die große Strafkammer, von der ich, obwohl in der kurzen Zeit kaum maßgebliche Erfahrungen haben gemacht werden können, doch glaube, sie bewährt sich. Was die V o r u n t e r s u c h u n g e n anlangt, so ist sehr zu begrüßen, daß die Staatsanwaltschaft Leipzig in den zwei Monaten in 15 Schöffengerichtssachen die Voruntersuchung beantragt hat. Es ist notwendig, daß in allen einigermaßen umfänglichen Anklagesachen Voruntersuchung stattfindet, damit der Schöffengerichtsvorsitzende bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung das Beweismaterial möglichst vollständig und gesichtet und durch richterliche Protokolle festgelegt vorfindet und dadurch kostspielige und zeitraubende Vertagungen vermieden werden. Gegen die §§ 20—82 V. 0. über das Verfahren hat sich 12

178 nichts wesentliches einzuwenden gefunden, nachdem ursprüngliche Zweifel über die Auslegung der §§ 27, 28 V. 0 . durch die Einschaltung in die Strafprozeßordnung und deren Neufassung ihre Klärung gefunden haben. Als Ergebnis meiner und der Kollegen Wahrnehmungen möchte ich zusammenfassen: Es k a n n mit der Verordnung gearbeitet werden. Dringend erwünscht ist aber: Beseitigung der kleinen Strafkammer, weitgehende Verweisung an den Einzelrichter, weitgehende Zuziehung eines zweiten Amtsrichters, geringere Beschränkung der Berufung ev. insoweit Wegfall des § 245 (früher § 244) Abs. 2 St. P. 0 . Aber v i e l w i c h t i g e r als alle Abänderungen und gesetzlichen Vorschriften über Gerichtsorganisation und Strafverfahren ist, daß in der Schöffengerichtsverhandlung das Amt des Vorsitzenden, des Staatsanwalts und des Gerichtsschreibers nur von ersten Kräften versehen wird. — Auch des Gerichtsschreibers; denn bei der gewaltigen Last, die auf dem Vorsitzenden allein ruht, ist es unbedingtes Erfordernis, daß ihm ein ganz zuverlässiger, geübter, intelligenter, stenographiekundiger Protokollant zur Seite steht, der ihm erschöpfende und zuverlässige Stenogramme für die Beratung und die Urteilsabfassung zur Verfügung stellt. Auf die jetzt nötig gewordene erhöhte, den Vorsitzenden unterstützende Tätigkeit des Anklagevertreters habe ich bereits hingewiesen. Das allerwichtigste ist aber, daß nur die besten Richter im Landgerichtsbezirk gut genug sind zum Strafrichter, wenigstens zum Vorsitzenden eines Strafgerichts. Ich kann da nur hinweisen auf die eindringlichen Mahnungen, die unser hochverdienter Vorsitzender, Herr Oberreichsanwalt E b e r m a y e r , bei jeder sich bietenden Gelegenheit in vielen seiner Veröffentlichungen, zuletzt noch im neuesten Heft der Richterzeitung, hat ergehen lassen. Ich kann es nicht besser sagen, als durch Wiederholung seiner Worte: „Die Hauptsache ist und bleibt, daß der Strafrichter, dem das Gesetz täglich mehr Macht einräumt über Leib und Leben, Ehre, Vermögen und Freiheit

179 seiner Mitmenschen, e i n e P e r s ö n l i c h k e i t , e i n C h a r a k t e r ist, ein Mann von hohen moralischen Qualitäten, der sich der hohen Verantwortung, die das Gesetz mit der weitgehenden Machtbefugnis auf seine Schultern legt, voll bewußt ist, furchtlos und aufrecht nach oben und unten, nur seinem Gewissen und dem Gesetz verantwortlich, streng objektiv, ausgerüstet mit scharfem Verstand und umfassendem Wissen, in enger Fühlung mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit und fähig und bestrebt, in dem Rechtsbrecher nicht nur handwerksmäßig das Objekt des Strafverfahrens zu sehen, sondern den M e n s c h e n , dessen Schuld und Strafe unter voller Berücksichtigung seiner Individualität abzuwägen ist". Auch die ReichsjustizVerwaltung bat an die Länder die Mahnung gerichtet, nur die befähigtsten Richter zu Strafgerichtsvorsitzenden zu machen. Diese Mahnungen sind bisher nicht ausreichend beachtet worden. Auch bin ich der Meinung, daß es nach Möglichkeit zu vermeiden ist, daß jungen Richtern, die vor drei oder vier Jahren noch Referendare waren, der Vorsitz im Schöffengericht übertragen wird, selbst wenn sie noch so befähigt sind. Es f r a g t sich nun, ob sich die genügende Anzahl guter Schöffenrichter finden läßt. Und da glaube ich, daß noch mancher, der sich recht wohl dazu eignet, im verborgenen Winkel eines Zivilgerichts sitzt. Da müssen die Justizverwaltungen und die Behördenvorstände noch mehr als bisher Sorge tragen, daß alle dazu geeigneten K r ä f t e ans Licht gezogen und an diese verantwortungsreichen Stellen gesetzt werden. Die Justizverwaltung hat auch ein wirksames Mittel, die dazu befähigten Personen zu veranlassen, sich nicht im Hintergrunde zu halten, sondern sich selbst zu der ihnen zukommenden Aufgabe zu melden, indem sie nämlich die Schöffengerichtsvorsitzenden zu Direktoren oder doch in sonst hervorgehobene Stellen befördert, zum mindesten aber bei Beförderungsgelegenheiten diejenigen, die sich als Schöffengerichtsvorsitzende bewährt haben, in erster Linie 12*

180 bevorzugt. Das ist auch durchaus gerechtfertigt; denn der Schöffengerichtsvorsitzende hat jetzt genau die Verantwortung und Arbeit, oft unter schwierigeren Verhältnissen, wie der Strafkammervorsitzende, und die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, sind höher und vielseitiger als die an einen Zivilrichter gestellten. W e n n aber der richtige Mann gefunden ist: ein guter Jurist, ein aufrechter Charakter, mit viel Lebenserfahrung und mit warmem Herzen für seine Mitmenschen, der nicht handwerksmäßig, schablonenhaft arbeitet, sondern in der scheinbar einfachsten Strafsache den Ursachen, näheren Umständen und Besonderheiten des Falles und des Täters nachspürt und sie würdigt, dann wird es einem s o l c h e n Richter auch gelingen, die befangensten, mißtrauischsten Schöffen zu überzeugen und zu gerechtem, allseitig befriedigendem Spruch zu gewinnen. Es bleibt immer wahr: Ein guter Richter kann auch mit schlechtem Gesetz Ersprießliches leisten, aber ein ungeeigneter Richter wird auch mit guten Gesetzen unbefriedigende Resultate erzielen.

4. Berichterstatter: Landgerichtsdirektor SchimmaCk (Berlin): M. H.! Sie haben ans beredtem Munde von Vertretern der Staatsanwaltschaft theoretische and praktische Erörterungen über die Verordnung gehört. Darf ich als Ergänzung einige Wahrnehmungen aus der Praxis anschließen, gesehen von dem S t a n d p u n k t e e i n e s p r e u ß i s c h e n S t r a f r i c h t e r s , E r f a h r u n g e n , die in der kurzen verstrichenen Zeit in erster Linie in der Zentrale Berlin gemacht wurden, darüber hinaus dann auch im übrigen Preußen. Ich werde versuchen, Sie nicht mit allzuviel statistischem Material zu langweilen, und bitte um Entschuldigung, Wenn ich im Telegrammstil spreche, um die Zeit zu nutzen. Eins darf man jetzt schon sagen: Der erste von der VO. gewonnene Eindruck — ihre allgemeine Verurteilung — hat sich in der Praxis nicht aufrecht erhalten. Das ging auch aus den Ausführungen der Herren Referenten hervor. Unter ungünstigsten Auspizien ward sie für uns geboren, unter dem Zeichen des Abbaus mit allen damit zusammenhängenden Miseren. Bei den Anwälten stand ihre Beurteilung zudem in der ersten Zeit unter dem Eindrucke eines erheblichen Rückganges ihrer Praxis — wenigstens in den Großstädten. Denn einmal war mit der Rentenmark die mittlere Kriminalität zeitweilig zurückgegangen; sodann sah das Publikum zunächst eine Vorladung vor den Einzelrichter oder das Schöffengericht nicht als so schlimm an, wie früher, wenn es vor das Schwurgericht oder die Strafkammer zitiert wurde. Die späteren praktischen Erfahrungen haben jedenfalls vieles von dem, was früher über nicht zu überwindende Schwierigkeiten geunkt wurde (daß z. B. schon die Räume nicht ausreichten, daß manches ganz unausführbar sei), Lügen gestraft. Schwierigkeiten waren zwar da, aber nicht in einem so erheblichen Maße. Und im g r o ß e n

182 u n d g a n z e n hat sich in Preußen selbst bei den Amtsgerichten, die sicher zuerst unter einem Ansturm von Arbeit zu leiden hatten, d e r U b e r g a n g r e i b u n g s l o s vollzogen. Wie sich die Stellungnahme zur VO. und ihren Bestimmungen im Laufe der Zeit geändert hat, dafür folgendes Beispiel: Auch die maßloseste Kritik der ersten Zeit — oft von solchen, die der Strafpraxis fernstanden — hatte durchweg den § 23 d e r VO. (§ 153 StPO.) rückhaltlos begrüßt. Aber gerade dieser verursachte nun, insbesondere bei großen Behörden, die meisten Schwierigkeiten. Selbstverständlich wurden Einstellungen des Verfahrens aus § 153 in vielen Fällen als eine Befreiung von unnützer Arbeit empfunden, von einer Arbeit, die in keinem Verhältnis stand zu der Geringfügigkeit des Objekts usw. Als aber die Einstellungen erfolgten, meldeten sich sehr bald Interessenten. Einmal die V e r l e t z t e n , die darin eine unbillige Schmälerung der ihnen in den §§ 171—174 StPO. gegebenen Garantien erblickten. In anderen Fällen die großen Zent r a l s t e l l e n der Behörden, die sagten: „Wenn eine Verletzung unserer Interessen in Frage kommt, kann von einem Fehlen des öffentlichen Interesses überall keine Rede sein" (z. B. die Post, die Eisenbahn bezüglich ihrer Einrichtungen; die Polizei, das Heer bezüglich ihrer Angehörigen). Und neben ihnen erhoben zuerst große, dann kleine V e r b ä n d e ihre Stimmen. Deutschland ist das Land der Vereine und Verbände z. Zt. mehr denn je, und jeder Verein oder Verband glaubt, besonders wichtige Belange zu vertreten. Wehe, wenn eine Einstellung bekannt wird, durch die wirkliche oder vermeintliche Interessen eines Verbandes berührt werden! Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß die Auswirkung des § 153 bereits bei den Eingangsstellen für strafbare Handlungen, also namentlich bei der P o l i z e i beginnt. J e höher wir hinaufgehen, desto geringer wird seine Anwendungsziffer (beim Landgericht ist sie sehr niedrig); aber unten, beim kleinsten Exekutivbeamten fängt die Bedeutung des § 153 bereits an. Sehr bald erkannte man deshalb — vorzugsweise in größeren Städten — bei Polizei und Staatsanwaltschaft, daß es zweckmäßig sei, gegenseitige Fühlung zu

183 nehmen. Selbstverständlich darf nicht jeder Exekutivbeainte, selbst wenn er eine ausgezeichnete Vorbildung hat, — als Träger des Staatsgedankens — von sich aus den § 153 anwenden. Und doch ist seine — die erste — Stellungnahme oft entscheidend für den weiteren Verlauf des Verfahrens, gerade bei Übertretungen, wo die Staatsanwaltschaft über die Einstellung ohne das Gericht entscheidet. Die Erfahrung wird lehren, inwieweit die Polizei in der Lage sein wird, Vorwürfen zu begegnen, die sich gegen etwaige parteiliche Stellungnahmen richten. Bei der Staatsanwaltschaft wird eine möglichst einheitliche Behandlung der Sachen zu erstreben sein; einheitliche Richtlinien, wie sie für Preußen angebahnt sind, können wir nur begrüßen. Aber solche Ziele stoßen wieder auf Hindernisse; denn Straftaten sind nicht immer und überall gleich zu bewerten. Als Beispiele greife ich nur 3 Übertretungsgebiete heraus : Bettel, Obdachlosigkeit, Prostitution. — Was auf dem Lande unmöglich erscheint, ist in der Stadt vielleicht möglich. Alles in allem, welcher Umschwung in der Beurteilung des § 153! Seine Anwendung in der Praxis hat Schwierigkeiten ergeben, die zunächst übersehen sind und z. T. noch der Lösung harren. Aus dem Rheinlande wurde der beachtenswerte Vorschlag gemacht, u. U. die K o s t e n d e s V e r f a h r e n s dem Angeklagten zur Last zu legen, gegen den mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf Einstellung erkannt wurde. Ich halte das aber für bedenklich, denn der Zweck des § 153 ist in erster Linie, unnütze Kosten, die in keinem Verhältnis zur Sache stehen, dem Staat zu ersparen, auf dem die Kosten meist doch hängen bleiben. Infolgedessen soll j a gerade die Schuldfrage offen bleiben. Müßte aber erst die Schuldfrage geklärt werden — ohne solche Klärung könnten dem Angeklagten nie Kosten auferlegt^ werden —, dann wären die Kosten schon entstanden, die gerade vermieden werden sollen. Der große Komplex der Bestimmungen, die sich auf die e r w e i t e r t e M i t w i r k u n g d e r S c h ö f f e n erstrecken, hat nach den bisherigen Beobachtungen in Preußen in der

184 Praxis zu irgend welchen ernsten Beanstandungen keinen Anlaß gegeben. Die Richter, die mit Schöffen zusammen tätig waren, erklärten übereinstimmend, daß sie die gemeinsame Arbeit gern leisteten. Nur in vereinzelten Fällen, die vielleicht durch die Persönlichkeit der Richter noch mehr zurückgedrängt werden können, haben sich eigenartige, z. T. auf politischer Grundlage beruhende Gegensätze gegenüber — scheinbar unbelehrbaren — Schöffen herausgestellt. Im allgemeinen besorgen die Richter aus der erweiterten Zuziehung der Schöffen keine Verschlechterung der Strafrechtspflege. W i e v i e l l ä n g e r Sitzungen mit Schöffen als solche ohne Schöffen dauern, darüber kann ich feste Zahlen nicht nennen. Die Schätzungen variieren. Die Höchstziffer, die ich erfahren habe, gab eine Verlängerung der Sitzungsdauer um 25% an. Gleich hier möchte ich auf eine Spezialbestimmung hinweisen, die uns Strafrichtern sehr am Herzen liegt; nämlich auf den neuen § 232 Abs. 1 S t P O . (die Entbindung des Angeklagten von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung). Wir begrüßen als Fortschritt die in ihr liegende Erweiterung, beklagen aber als Nachteil, daß in gewissen Beziehungen die Entbindungsmöglichkeit gegen früher eingeschränkt und insbesondere für die Berufungsinstanz gänzlich ausgeschlossen ist. Ich darf im Interesse der Praxis wünschen, daß dieser „ Schönheitsfehler * recht bald aus der VO. verschwindet, zumal die jetzige Einschränkung der Entbindungsbefugnis in gegebenen Fällen zu bedauerlichen Härten führt. Die VO. hat eine außerordentliche Verschiebung der Geschäfte nach unten, insbesondere an die A m t s g e r i c h t e zur Folge gehabt. Diese haben sich nach einer kurzen Übergangszeit, in der die Geschäfte etwas gestockt haben mögen, in ihre neue Tätigkeit, wie man wohl sagen darf, gut hineingearbeitet. Die Amtsrichter sind sich bewußt, daß sie vor erhöhte Aufgaben gestellt worden sind. Aus allen Kreisen gerade der Amtsrichter können Sie hören, daß sie nach Kräften bemüht sind, ihre neuen Aufgaben

185 zu erfüllen, und daß sie sich den gesteigerten Anforderungen gewachsen fühlen. Bei vielen L a n d g e r i c h t e n hatte der Umstand, daß die bis zum 1. April bei den Landgerichten rechtskräftig entschiedenen Sachen bei ihnen verblieben, zur Folge, daß diese Sachen in einer oder einigen Strafkammern vereinigt wurden. Bei diesen Kammern ergab sich dann eine Häufung der S t r a f a u s s e t z u n g s s a c h e n . Nun, m. H., auch ich habe das Vergnügen, Vorsitzender einer großen Berufungskammer zu sein, der u. a. die Bearbeitung der Strafaussetzungen pp. aus verschiedenen früheren Strafkammern obliegt. Ich kann nur sagen, es ist geradezu erschreckend, welche Arbeit in dieser Hinsicht dein Gericht zufällt. Haben wir überhaupt noch eine geregelte Strafvollstreckung? fragen wir uns ein über das andere Mal bei all den Strafaussetzungsmöglichkeiten, die heutzutage bestehen und von denen der restloseste Gebrauch gemacht wird. Welche Riesenarbeit, die hier den Gerichten auferlegt ist, für die es gar keine Statistik gibt, für die auch keine Statistik möglich? ist. Denn Richter, die sich um ein näheres Eingehen auf die Sache drücken und eine Strafaussetzung glatt bewilligen, haben keine Arbeit davon, ihre Akten enthalten noch 3 Seiten nach dem Urteil, das Aktenstück bleibt dünn. Aber verloren ist der Richter, der pflichtgemäß Ermittlungen anstellt; er reibt sich in nicht beachteter Arbeit auf, das vorher dünne Aktenstück schwillt erst nach dem Urteil zu unförmlicher Dicke. Sodann eine zweite Erfahrung vom Landgericht. Wir machten die auffallende Beobachtung, daß häufig mit den 3 Worten des Angeklagten — oder seines Verteidigers —: „Voruntersuchung wird beantragt'', ohne jede Begründung, die Akten gemäß § 201 Abs. 2 StPO. vom Amtsgericht durch die Staatsanwaltschaft dem Landgericht vorgelegt werden mußten, worauf dieses regelmäßig entschied: „Es liegt gar kein Grund vor". Aber — der Angeklagte hatte 4 Wochen Zeit gewonnen. M. H.! Das V e r s c h l e p p u n g s p r i n z i p d e s A n g e k l a g t e n ist in der Strafrechtspflege eins der

186 schwersten Probleme, gegen das wir mit allen Mitteln kämpfen müssen. Der A m t s r i c h t e r a l s E i n z e l r i c h t e r ist sich, wie schon bemerkt, seiner Verantwortung bewußt. W i r Landrichter haben — man kann sich als Landrichter, als Vorsitzender einer Kammer schwer in die Lage eines Einzelrichters hineinversetzen — von uns ans gemeint, manchmal sei seine Verantwortung doch etwas groß. Aber die überwiegende Mehrheit der Amtsrichter — so war es in allen Berichten, die ich gelesen habe — sagt: „Wir werden leicht damit fertig und nicht zum Schaden der Rechtspflege". Die einzige Gefahr, die man als Kriminalist buchen muß, ist die, daß u. U. die Urteile zu milde ausfallen, denn bei Gewissenskonflikten, ohne die Rückendeckung der Schöffen, wird ein Einzelrichter leichter geneigt sein, der milderen Stimme zu folgen. Die Herren Verbrecher bevorzugen den Einzelrichter. Warum? Zum Teil aus Gleichgültigkeit: Die Bewährungsfrist winkt ja stets; das ist die Hauptsache. Aber noch aus einem anderen Grunde, wie man in Berlin wiederholt beobachten konnte. Mancher kalkulierte nämlich: Wenn ich den Einzelrichter nehme, habe ich die viel bessere 2. Instanz, auf die 1. kommt es garnicht so sehr an". Das ist mit der Grund, weshalb der Gewiegte den Einzelrichter vorzieht. S t r a f b e f e h l e . Die Erhöhung der Kompetenz hat keine prozentuale Erhöhung der Einspruchsziffer nachweislich zur Folge .gehabt, ein Beweis, daß die Erhöhung durchaus zweckmäßig war. Dabei habe ich alles, was mir an Statistik zur Vierfügung stand, berücksichtigt. D e r E i n z e l r i c h t e r bei A b u r t e i l u n g von Verb r e c h e n . Die Befürchtung, er würde auf 15 Jahre Zuchthaus erkennen, besteht allerdings theoretisch. Praktisch ist in Berlin nur edn einziger Fall vorgekommen, in dem ein Einzelrichter tatsächlich 2 1 ji J a h r e Zuchthaus erkannt hat. ( L i e p m a n n : D a s ist sehr viel). Es war ein Richter, der eine Ausnahmesstellung einnahm. Und er hatte in diesem

187 Falle das Rechte getroffen; denn der Täter hatte die Strafe verdient. Der A n t r a g a u s § 26 GrVGr. (Widerspruch des Angeklagten gegen Aburteilung durch Einzelrichter bei Verbrechen) ist zwar verschiedentlich gestellt worden. Der Angeklagte hat aber anscheinend nur dann in weiterem Umfange von dem Widerspruchsrechte Gebrauch gemacht, wenn er darauf gestoßen wurde. Er wird aber auch darauf gestoßen. Es gibt Grerichtsabteilungen, die sich überlastet fühlen; es gibt sogar schon Formulare! Eine in dieser Beziehung vorgenommene Revision würde erstaunliche Sachen zutage fördern. Eine außerordentliche Bedeutung hat aber nunmehr der § 2 1 2 S t P O . erlangt. Wir haben in Berlin seit dem 1. Februar, genauer seit dem 31. Januar eine Musterabteilung des Amtsgerichts, in der im b e s c h l e u n i g t e n V e r f a h r e n vor dem Amtsrichter täglich verhandelt wird. 2 Richter wechseln mit einander ab. Die Höchsterledigung an einem Tage betrug 18 Sachen, durchschnittlich wurden 62/3 Sachen erledigt. Bis zum 15. Mai wurden insgesamt 657 Angeklagte verurteilt, und zwar nicht etwa wegen Übertretungen, sondern wegen Verbrechen und Vergehen. Berufung wurde nur in 11 Fällen eingelegt. Die B e r u f u n g s z i f f e r betrug nur 1,8 °/o! 225 von diesen Fällen waren Verbrechenssachen. Dieses beschleunigte Verfahren erscheint in hervorragendem Maße ausbaufähig und ausbaunötig, denn es ist das Verfahren, das für die heutige kurzlebige Zeit wie geschaffen ist, für eine Zeit, in der man sich an alles so schnell gewöhnt, in der der Verbrecher nach ganz kurzer Zeit vergessen hat, was er begangen hat, und in der er bei der Hauptverhandlung selten noch auf die Tat, auf seine Schuld eingestellt ist. Er hat sich gleich nach der Tat selbst Pardon erteilt und sucht sich von da an mit allen Mitteln um die Strafe zu drücken. Das ist seine Tendenz in 999 unter 1000 Fällen. Diesen Umständen wird im beschleunigten Verfahren Rechnung getragen, die noch von keiner dritten Seite beeinflußte erste Stimmung des ergriffenen

188 Täters wird ausgewertet. Der Angeklagte steht noch in der Hauptverhandlung unter dem Druck der Tat, die Zeugen unter dem frischen Eindruck des Erlebten. Und der Angeklagte entzieht sich hier auch viel seltener der Strafvollstreckung, nachdem er beschleunigt abgeurteilt ist. Er hat die Berufungsmöglichkeit, nützt sie aber nicht aus. Ein Verbrecher, der unter solchen Bedingungen, unter der Auswertung des Eindruckes der Tat und ihrer sofortigen Entdeckung verurteilt wird, ist auch in der Lage, sich in der Strafvollstreckung ganz anders zu läutern als einer, der nur auf das nächste ärztliche Attest wartet, um haftunfähig geschrieben zu werden oder Bewährungsfrist zu erlangen. Zu wünschen wäre, daß das beschleunigte Verfahren vor dem Amtsrichter auch auf D a u e r s c h ö f f e n g e r i c h t e mit Schöffen, die ohne weiteres für eintretende Fälle zur Verfügung ständen, ausgedehnt würde. In Berlin hat man solche Dauerschöffengerichte nach § 212 StPO. noch nicht verwandt. Ich möchte aber wünschen, daß in Bälde mit ihnen ein Versuch gemacht wird, vielleicht als Vorbild für andere Städte. Wenn ich vorhin sagte, die Amtsrichter fühlten sich als Einzelrichter ihrer Aufgabe gewachsen, so gilt das nicht unbedingt für P r i v a t k l a g e Sachen. Insbesondere bei Privatklagesachen mit politischem Einschlage haben sich Amtsrichter, die als Einzelrichter zu entscheiden hatten, dahin ausgelassen: „Wir möchten nicht gern die Sache allein machen". Das Fehlen der Schöffen wird in solchen Fällen empfunden. Inwieweit hier ein Entgegenkommen möglich ist, steht außerhalb des Rahmens meiner Bemerkungen. Aber auch die V e r s a g u n g d e r B e r u f u n g gibt zu Bedenken Anlaß. Ich habe in meiner Strafkammer in Berlin ein ganzes Jahr lang u. a. Berufungen in Privatklagesachen gehabt. Die ersten 86 Sachen konnte ich restlos vergleichen; nachher sank die Vergleichsziffer etwas. Aber wenn auch 90 oder 9 5 % aller Privatklagesachen Bagatellsachen sind, die sich zum Vergleich eignen und für die e i n e Instanz mehr als ausreichend ist: es gibt einen Rest von Fällen, wo der Schutz der Ehre uns mehr wert sein sollte.

189 Jetzt hat, wenn es zum Freispruch gekommen ist, der — in seiner Ehre verletzte — Privatkläger überhaupt kein Rechtsmittel. Das ist eine Gesetzeslücke, die, wenn unsere Finanzlage besser geworden ist, vielleicht doch ausgefüllt werden müßte. Die Z a h l d e r P r i v a t k l a g e s a c h e n hatte im ersten Vierteljahr dieses Jahres natürlich infolge der Notmaßnahmen der VO. stark abgenommen, sie blieb aber auch nach dem 1. April zunächst auf einer geringen Höhe. Das Volk hatte sich scheinbar daran gewöhnt, daß es auch so gehen mußte. Vielfach war dabei der Irrtum verbreitet, man könnte wegen Beleidigungen pp. aus der Zeit vom 15. Januar bis 1. April überhaupt nicht klagen. Daneben wirkten die Erweiterung des Sühneverfahrens und die Erhöhung des Kostenvorschqsses einschränkend. Im April war die Kurve bis auf 43,1% der Ziffer des Vorjahres heruntergegangen, zur Zeit ist sie schon wieder auf 79,2 °/o gestiegen. S c h ö f f e n g e r i c h t e mit 2 R i c h t e r n . In Preußen ist ein zweiter Richter in L = (Verbrechen) Sachen im April in 20°/o, im Mai in 2 2 % , in M = (Vergehen) Sachen im April in 1 3 % , im Mai in l o ^ / o der Schöffensachen zugezogen worden. Wir Strafrichter empfinden es ebenfalls als einen Mißstand, wenn bei unserer fortflutenden Rechtsprechung das Reichsgericht ausgeschaltet wird und durch die Staatsanwaltschaft im Einzelfall ausgeschaltet werden kann. Es kann auch keine Rede davon sein, daß alle wesentlichen strafrechtlichen Fragen durch das Reichsgericht für die Dauer festgelegt seien. — Wir werden bald ein Radiostrafrecht haben —. Für Preußen dürfen wir hoffen, daß schon bald durch eine auf dem Verwaltungswege erfolgende Anweisung an die Staatsanwaltschaft eine Besserung insofern eintritt, als dann vielleicht bei 3/i aller Schöffensachen ein 2. Richter zugezogen und dadurch die Zuständigkeit des Reichsgerichts in der Revisionsinstanz wiederhergestellt wird. Aus Amtsgerichtskreisen ist mir der Wunsch nahegelegt

190 worden, zu betonen, daß es nicht zweckmäßig sei, wenn d e r 2. R i c h t e r ein zu j u n g e r Hilfsarbeiter sei, da die Persönlichkeit des 2. Richters bei der Entscheidung verwickelter Sachen und der Ausarbeitung schwieriger Urteile von großer Bedeutung sei. Daß in der Übergangszeit L a n d g e r i c h t s d i r e k t o r e n bei den Schöffengerichten Verwendung fanden, bezeichne ich als glücklich. An Neues muß man sich gewöhnen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß die Schöffen teilweise noch nicht an die erhöhte Kompetenz gewöhnt sind und z. B. erklärt haben: „Wenn wir gewußt hätten, daß es hier um Zuchthaus ginge, wären wir nicht gekommen, sondern wären krank geworden." Auch die Amtsrichter waren z. T. noch nicht auf die schwere Kriminalität eingestellt; denn auch das erfordert eine gewisse Gewöhnung. Ich denke dabei hauptsächlich an die Strafzumessung. Deshalb war, glaube ich, für die Übergangszeit die Verwendung von Landgerichtsdirektoren in der geschehenen Weise zweckmäßig. Sie wird ja in Zukunft von selbst dazu führen, bei den Amtsgerichten dauernd den Landgerichtsdirektoren entsprechende Stellen einzurichten. Nun zur B e r u f u n g . Natürlich legte der Reiz der Neuheit es nahe, in allen oder möglichst vielen Sachen Berufung einzulegen, die früher vor die Strafkammern gehört hatten, und in denen die Berufung bis dahin ausgeschlossen gewesen war. Daneben darf man aber wohl den allgemeinen Grundsatz aufstellen, daß die Berufungsziffer im wesentlichen von der Güte der ersten Instanz abhängig ist. Wenn die erste Instanz in vollem Umfange ihrer Pflicht genügt, — weder zu milde noch zu scharf, den Verhältnissen Rechnung tragend — wird die Berufungsziffer gering sein. Deshalb steht mit der Berufung im Zusammenhang der Abs. 2 des § 245 StPO. (die Beschränkung der Beweisaufnahme), der durch die Erhöhung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit an Bedeutung gewonnen hat. Fast alle Amtsrichter stehen nun auf dem Standpunkt, daß die Bestimmung des Umfanges der Beweisaufnahme durch das Gericht in der ersten Instanz zur Verhütung von Verschleppungen unbe-

191 dingt beibehalten werden müsse, setzen aber zur Erläuterung folgendes hinzu: Es liegt für den Richter eine ganz besondere Verpflichtung vor, eingehend zu prüfen, ob er einem Beweisantrag stattgeben soll oder nicht. Zu bemerken ist dabei, daß sich die Beweisanträge der Angeklagten und ihrer Anwälte und die Auffassungen der Genannten in Bezug auf das, was aufgeklärt werden solle, nicht immer decken. Man kann vielleicht sagen, daß der Rechtsanwalt sehr häufig in seinen Anträgen weiter geht als der Angeklagte. Wir haben nun aus der Praxis die Erfahrung, daß, wenn der Angeklagte selbst zu der Überzeugung gekommen ist, daß der Richter nur dann einen Beweisantrag ablehnt, wenn es für die Entscheidung wirklich nicht auf den Beweis ankommt, und wenn der Richter den Ablehnungsbeschluß hinreichend begründet und vernünftig und verständlich hierüber mit dem Angeklagten selbst spricht, daß dann infolge von Ablehnungen aus § 245 Abs. 2 die Berufungsziffer nicht ohne weiteres zu steigen braucht. Dabei sind allerdings in Berlin auch Fälle vorgekommen, in denen der Verteidiger zu Beginn der Verhandlung Vertagung und Ladung der Herren x und y als Zeugen beantragte und, nachdem dies abgelehnt war, erklärte: „Dann gehe ich jetzt schon; was hier geschieht, ist gleich; in der nächsten Instanz werden wir die Sache weiter verfolgen." Vor einem muß gewarnt werden: Keine Sache darf in der 1. Instanz übers Knie gebrochen werden. Die Gefahr liegt bei der jetzigen Mehrbelastung des Amtsgerichts vielleicht manchmal nahe, zumal man dort gewohnt war, in Bagatellsachen summarische Arbeit zu leisten. Das muß aber in Zukunft fortfallen; nachdem die Zuständigkeit des Amtsgerichts erhöht ist, darf eine Sache nicht weniger gründlich behandelt oder als leichter angesehen werden, als früher vor dem Landgericht. Uber die B e s e t z u n g d e r g r o ß e n S t r a f k a m m e r n — in der Berufungsinstanz — mit 3 Berufs- und 2 Laienrichtern — statt 2 Berufs- und 3 Laienrichtern — brauche ich nichts zu sagen. Es versteht sich von selbst, daß die Richterschaft, und ich kann hier sagen, die ganze deutsche

192 Richterschaft geschlossen auf dem Standpunkte steht, daß der genannten Besetzung mit 3 Berufsrichtern und 2 Laienrichtern im Interesse des Staates und der Bekämpfung des gewerbsmäßigen Verbrechertums der Vorzug zu geben ist. Wir Richter stehen allerdings auf dem Standpunkte, daß man strafrechtliche Bestimmungen nicht immer nur unter dem Gesichtspunkte der Rücksichtnahme auf den Verbrecher abfassen soll, sondern daß man auch einmal den Staat zu Recht kommen lassen darf. Bei der k l e i n e n B e r u f u n g s k a m m e r , macht sich dagegen ein Mißstand geltend, der nur unter dem Gesichtswinkel der Notwendigkeit von Sparmaßnahmen erträglicherscheint. Ihre Besetzung mit nur 1 Berufsrichter bedeutet gegen früher eine Verschlechterung, die durch die 2 Laienrichter nicht ausgeglichen wird. Zum mindesten erschiene es geboten, daß in der Hauptverhandlung wie beim großen Schöffengericht ein 2. Berufsrichter mitwirkte. Ein rechtlich korrektes Urteil, wie es der 2. Instanz entspricht, kann selbst bei einem einfachen Tatbestand von dem Vorsitzenden nicht immer ohne weiteres abgefaßt werden; denn der Vorsitzende ist fortgesetzt beschäftigt. Macht er sich Notizen — z. B. auch nur bei den Plaidoyers —, so entgeht ihm viel. E r kann schon den Angeklagten nicht immer im Ange behalten; manchmal liegt aber das Geständnis nicht in expressis verbis, sondern in einer Geste, in einem Gesichtsausdruck, und gerade diesen übersieht der Richter, weil er schreiben muß. Namentlich bei umfangreichen Privatklagesachen, bei Beleidigungen durch die Presse, ist es wiederholt als bedauerlicher Mißstand empfunden worden, daß in der Berufungsinstanz nicht einmal die Möglichkeit der Zuziehung eines 2. Berufsrichters bestand. Sodann haben sich Unzuträglichkeiten ergeben aus einer merkwürdigen Tatsache, die möglicherweise bei Erlaß der VO. übersehen worden ist. Gemäß § 76 GVG. entscheiden nämlich die Strafkammern außerhalb der Hauptverhandlung in der Besetzung von 3 Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden, die kleine Strafkammer in der Hauptverhandlung in der Besetzung von einem Vorsitzenden und 2 Schöffen.

193 Wie ist nun zu entscheiden in den zur Zuständigkeit der kleinen Strafkammer gehörigen Sachen, die außerhalb der Hauptverhandlung zu erledigen sind, z. B. bei Haftentlassungsanträgen, bei kommissarischen Vernehmungen von Zeugen, bei Bestrafungen von nicht erschienenen Zeugen, bei Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand, bei der Beschlagnahme von Briefen Untersuchungsgefangener? Nach dem Gesetz kann die Antwort nur lauten: durch eine Strafkammer in der Besetzung von 3 Berufsrichtern. Die Zusammensetzung und Tätigkeit einer solchen Beschlußkammer begegnet aber namentlich bei größeren Gerichten erheblichen Schwierigkeiten. In Berlin ist die Regelung bei allen 3 Landgerichten verschieden erfolgt, und ich glaube, bei meinem Gericht am unglücklichsten, nicht etwa deshalb, weil ein Verschulden der Geschäftsordnung oder des Verteilungsplans vorliegt, sondern weil es anscheinend technisch garnicht anders möglich war. E s wäre dringend zu wünschen, wenn im § 76 GVG. bestimmt würde, daß die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Entscheidungen der kleinen Strafkammer von dem Vorsitzenden erlassen werden. Jede andere Regelung ist unzweckmäßig. Denn entweder besteht die Gefahr, daß ein derartiger Beschluß eines Dreimännerkollegiums zur Farce wird — der orientierte Vorsitzende der kleinen Strafkammer macht als Vorsitzender oder Beisitzer der Beschlußkammer den Beschluß allein und läßt die Herren x und y mit unterschreiben — oder aber, der Vorsitzende der kleinen Strafkammer wird — so ist es bei meinem Gericht — ausgeschaltet, und es besteht fortgesetzt die Möglichkeit für Reibungen. Wie können wir — in der Beschlußkammer — denn wissen, ob es für das erkennende Gericht der kleinen Strafkammer zweckmäßig i s t , einen Zeugen kommissarisch zu vernehmen! Wir können uns auch auf einen anderen Standpunkt stellen, als ihn der Vorsitzende der kleinen Strafkammer angedeutet hat. Und man denke sich in dessen Lage, wenn er durch die Beschlußkammer desavouiert wird. E s ist nicht einzusehen, warum der Vorsitzende einer kleinen Strafkammer schlechter gestellt sein soll als der Schöffenrichter. 13

194 Interessieren werden Sie die B e r u f u n g s z i f f e r n für Preußen. Nach der Statistik erzielten die Urteile der Amtsgerichte in L = (Verbrechen) Sachen im April 9,1 °/o, im Mai 20 7 2 % Berufungen in M = (Vergehen) Sachen im April 1 2 % , im Mai 1 4 % Berufungen. Das sind Durchschnittsberufungsziffern, mit denen keiner von uns gerechnet hatte. Wir hatten geglaubt, sie würden viel höher sein. Sie sind selbstverständlich in den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken verschieden, variieren aber noch mehr bei den einzelnen Gerichten und Gerichtsabteilungen. Bei einem Amtsgericht — ich will keine Namen nennen — erreichte die Berufungsziffer einer Schöffengerichtsabteilung, bei der ein 2. Richter zugezogen war, 70°/o, bei einer mit 1 Berufsrichter besetzten Schöffengerichtsabteilung 26 °/o; bei einem andern Amtsgericht betrug die Durchschnittsberufungsziffer bis 15. Mai: 5 1 % , bei einem weiteren 2 4 % , bei einem dritten 8°/o. Demgegenüber erinnere ich an die geringe Berufungsziffer bei Urteilen im beschleunigten Verfahren. Mir scheint, als ob einmal in ländlicheren Bezirken weniger Berufungen eingelegt werden, ich glaube aber noch mehr, daß die Berufungsziffer abhängig ist von der Persönlichkeit der Vorsitzenden der ersten Instanz. Schließlich das S c h w u r g e r i c h t . Wenn man einen deutschen Richter ansieht und von dem alten Schwurgericht spricht, dann geht ein Leuchten über sein Gesicht, wenn er an die eingetretene Wandlung denkt. So ist die Stimmung in den deutschen Richterkreisen allgemein, ja, man darf wohl sagen, ausnahmslos, trotzdem es sehr schwer ist, in juristischen Dingen eine einheitliche Meinung zu erzielen. Wir sehen das alte Schwurgericht wie ein Gespenst, obwohl ich mit Freuden an die Zeiten zurückdenke, in denen ich als Vorsitzender eines alten Schwurgerichts tätig sein konnte. Aber es war, wenn wir offen sprechen, doch leider in der alten schwurgerichtlichen Hauptverhandlung häufig viel Unehrlichkeit, viel Theater. Dieser Auffassung waren nicht nur wir Berufsrichter. Auch die Geschworenen waren durch-

195 weg keine Freunde der getrennten Richterbanken. Und wenn es interessiert, will ich Ihnen — ohne Namennennung — Ansichten von Anwälten mitteilen, die bei mir plädiert haben. Sie sagten — ich fasse die Worte kurz zusammen — : „Warum müssen wir in Deutschland, in einem so zivilisierten Staate im Schwurgericht so aneinander vorbeisprechen und soviel umsonst reden." Trotz der Kürze der seit dem 1. April verstrichenen Zeit ließen sich in Berlin schon in einem gewissen Umfange einige Erfahrungen über die neuen Schwurgerichte machen. Zur Verhandlung standen bei den Landgerichten I, I I und I I I in j e 2 Tagungen zusammen 31 Sachen an; 6 1 % davon waren Meineidssachen. Die Tagungen bei den Landgerichten I I and I I I dauerten nur wenige Tage, beim Landgericht I je ca. 2 Wochen, mit 5 Yerhandlungstagen in der Woche. Irgend eine Beanstandung über das neue Verfahren seitens der Beteiligten erfolgte nicht. An die Stelle der mehrfachen Dauertagungen des Vorjahres traten solche von kurzer Dauer. Die Möglichkeit der schnelleren Verhandlungen der einzelnen Sachen wurde allgemein begrüßt. Richter und Geschworene äußerten sich nur lobend über die Beseitigung der 2 getrennten Richterbänke. Ein Wort noch über die A n o r d n u n g d e r P l ä t z e . Wie sitzen die Berufsrichter und die Geschworenen am besten? Es bestehen 2 Auffassungen. Die einen sagen: an einem Tische; die anderen: wie früher an 2 Tischen, zur Aufrechterhaltung der Tradition. Ich möchte dem Sitzen an einem Tisch als der idealeren Lösung den Vorzug geben, und zwar deshalb, weil vermieden werden muß, daß die Plaidoyers nach 2 Bänken und Richtungen hin gehalten werden, auch zu verhüten ist, daß durch Äußerlichkeiten irgend ein Gegensatz in die nun gemeinsam gewordene Richterbank getragen wird; schließlich wird nicht so viel Zeit gebraucht, wenn — wie es häufig vorkommt — das Gericht sich zur Beratung zurückzieht. Da wo die Räumlichkeit und die innere Einrichtung des Sitzungssaals dem entgegensteht — das wird wohl meist der Fall sein — wird allerdings, solange das Geld knapp ist, die alte Ge13*

196 schworenenbank weiter ilire Dienste tun müssen. Aber da, wo es möglich ist, würde ich das Sitzen an einem Richtertische begrüßen. In den neuen Sälen der Landgerichte II und III in Berlin ist durch die Aufstellung von 2 flankierenden Tischen für den Staatsanwalt und den Gerichtsschreiber eine sehr glückliche Lösung für die auch äußerlich einheitliche Richterbank für das Schwurgericht gefunden. Alles in allem: Das Schwurgericht in seiner neuen Form ist uns Richtern eine Errungenschaft, die wir als einen außerordentlichen Fortschritt begrüßen, und ich kann nicht verhehlen, daß, als in der Zeitung von einem Antrage die Rede war, der im Rechtsausschuß des Preußischen Landtages gestellt war und dahin ging, im Schwurgerichtsverfahren über die Schuld- und S t r a f f r a g e n lediglich die Geschworenen urteilen zu lassen, wir zunächst an einen Zeitungsscherz gedacht haben, da wir es für nicht möglich hielten, daß ein derartiger Antrag überhaupt gestellt werden konnte, nachdem wir Gottseidank das alte Schwurgericht, das nie wieder erstehen darf, schon halb vergessen hatten. Wie die Herren Referenten hervorgehoben haben, hängt die ganze Arbeit, von der wir sprechen, von der Persönlichkeit derer ab, die die YO. anzuwenden haben. Ich darf, glaube ich, im Namen der Richter sagen: Wir sind mit Freuden bereit, mehr zu arbeiten, größere Verantwortung zu übernehmen als früher, um den erhöhten, durch die VO. uns gestellten Aufgaben gerecht zu werden. Wir wissen, daß die Justizverwaltungen auf unserer Seite stehen. Mögen aber auch die Finanzverwaltungen und die Volksvertretungen den Eifer und die Ziele unserer offenen und ehrlichen Bestrebungen werten, möge uns damit der Weg zum Lord, wie es gestern hieß, geebnet werden.

A u s s p r a c h e über die R e f e r a t e Lang, Brümmer, M a h n , v. S c h i m m a c k . Justizrat Lövenstein (Berlin) zur Geschäftsordnung: Mit Rücksicht auf die voraussichtlich sehr lebhafte Debatte und auf die verschiedene Einstellung der einzelnen Kategorien der Redner, von denen bereits zwei Kategorien sehr eingehend zu Worte gekommen sind, nämlich zwei Staatsanwälte und zwei Richter, halte ich es für ratsam, daß wir es nicht dem Zufall der Reihenfolge der Wortmeldungen, sondern ausnahmsweise dem sachgemäßen Ermessen des Herrn Vorsitzenden überlassen, die Reihenfolge der Redner zu bestimmen. Dabei möchte ich bitten, bei Bestimmung der Reihenfolge darauf Rücksicht zu nehmen, daß die verschiedenen Kategorien nach Möglichkeit gleichmäßig zu Worte kommen, ferner auch, daß uns ein Mitglied eines Revisionsgerichts über die allerwichtigste Frage, die bisher nur ganz nebenher gestreift worden ist, nämlich die der Gefährdung der Rechtseinheit durch die Neuordnung seine Ansicht aus seinen Erfahrungen und aus seiner Stellungnahme als Revisionsrichter kundgebe. Ich bitte also, nach dieser Richtung hin zu verfahren. Rechtsanwalt Dr. Alsberg (Berlin): Es ist von Herrn Landgerichtsdirektor S c h i m m a c k hier in Bezug auf die Schwurgerichte gesagt worden, man sei sich darin einig, daß sie im großen und ganzen sehr theatralisch gewesen seien. Sollte man nicht auch die Frage aufwerfen, ob die Beifügung der Laienrichter zu den Berufsrichtern in der heutigen Strafgerichtsorganisation etwas vom Theater an sich hat? Darüber sollte man sich jedenfalls keiner Täuschung hingeben: es bedeutet etwas ganz anderes, ob Laienrichter allein als Geschworene über eine Tatfrage urteilen oder ob sie in einem Kollegium, das zugleich mit Berufsrichtern be-

198 __ setzt ist, mitwirken. Es ist von einem der Herren Vorredner gesagt worden, daß es die Aufgabe des Berufsrichters sei, den Schöffenrichter zu belehren oder zu bekehren. Darin kommt gerade zum Ausdruck, daß das Läienelement in der Strafrechtspflege heute nicht mehr die Rolle spielt, die es im alten Schwurgericht gespielt hat, es steht unter dem überragenden Einfluß des Berufsrichtertums. Die Erfahrungen, die man schon unter der Geltung der Wuchergerichtsordnung gemacht hat, belehren uns, daß da, wo Laienrichter den Berufsrichtern beigeordnet 3ind, letztere im großen und ganzen das ausschlaggebende, das entscheidende Moment sind. In dieser Beziehung darf man nicht nur das beachten, was von den Berufsrichtern berichtet wird, denn sie haben hierin nicht immer die nötige Objektivität. Sie täuschen sich in der Regel, wenn sie sagen, daß den Laienrichtern bei der Entscheidung ein großer Spielraum eingeräumt werde. Wir Verteidiger haben, ohne daß wir der Beratung beiwohnen, ein gewisses Urteil darüber, ob die Laienrichter, wenn sie mit Berufsrichtern zusammenwirken, einen Einfluß auf die Entscheidung haben. Ich möchte wohl sagen, daß ich immer die Erfahrung gemacht habe, daß die Geistesstruktur des Vorsitzenden und vielleicht dieses oder jenes Beisitzers die Entscheidung gegeben hat. Wir wissen meist ganz genau, wenn wir vor diese oder jene Kammer kommen, wie das Urteil ungefähr lauten, wie das Gericht zu dieser oder jener Frage Stellung nehmen wird, wie das Strafmaß der betreffenden Kammer ist. Und ich bann sagen: dadurch, daß Laienrichter beisitzen, wird im großen und ganzen daran sehr wenig geändert. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist schon von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. B r ü m m e r berührt, daß nämlich die Laien gar nicht in der Lage sind, das zu ersetzen, was dadurch verloren gegangen ist, daß der Berufsrichterkörper so ungemein geschwächt ist. Es ist bei den früheren Strafkammern doch so gewesen, daß, von Ausnahmefällen abgesehen, fast alle Richter bei der Entscheidung ein W o r t mitgesprochen haben. Es mögen in einzelnen Kammern diese oder jene mit besonderen Kenntnissen oder besonderer Initiative begabten Richter

199 etwas mehr gesagt haben. Aber gleichgültig war die Vielzahl der Richter nie, und es ist sicher — nnd das muß jeder Berufsrichter bestätigen — wiederholt vorgekommen, daß die Meinung von einem oder zwei Beisitzern den Ausschlag gegeben hat, indem diese eben mit sachlichen Gründen die andern zu einer bestimmten Auffassung gebracht haben. Das fällt nun weg. Es ist der Laienrichter, wenn wir von Ausnahmefällen absehen, gar nicht in der Lage, dem erfahrenen Berufsrichter ein Paroli zu bieten. Und wenn es vielleicht einmal vorkommen mag, daß ein Laienrichter etwas zu sagen weiß, was gegenüber dem Berufsrichter standhält, so sind dies Ausnahmefälle, die Regel ist es nicht. Das ist bedauerlich angesichts der Tatsache, daß die großen und schwierigen Strafprozesse heute ausschließlich vor Richterkollegien verhandelt werden, in denen im ganzen ein, bestenfalls zwei Berufsrichter mitwirken. Und dabei darf schon das Eine nicht übersehen werden, daß zwei Menschen nicht so diskutieren können wie fünf. Weiter muß auch berücksichtigt werden, daß die zwei Richter naturgemäß eine gewisse Scheu haben, ihre grundsätzlich gegensätzliche Stellung zum Ausdruck zu bringen gegenüber den Laien, die vielleicht schon in dieser oder jener Frage verwirrt sind, die vielleicht mit falschen Ideen operieren, und die, wenn sie sehen, daß auch die Berufsrichter nicht einer Meinung sind, nun überhaupt nicht mehr wissen, wohin sie sollen. So liegen gewisse Hemmungen vor, die Gegensätze mit voller Schärfe auszutragen. Es ist aber auch diese Verminderung der Berufsrichter bedenklich aus einem weiteren Grunde. Man darf es ruhig aussprechen, daß in einem Fünfrichterkollegium oft Richter mitgeschleppt wurden, die aus intellektuellen oder sonstigen Gründen im einzelnen Fall nicht besonders geeignet waren, in der Sache mitzuwirken. Das konnte ausgeglichen*werden und ist ausgeglichen worden durch die Mehrzahl des Richterkollegiums. Das fällt heute fort. Denn wenn von den zwei Richtern einer oder gar beide der Sache nicht mehr gewachsen sind, so kann die Verhandlung nicht mehr auf dem richtigen Niveau stehen. Ich habe es schon erlebt, speziell in der Provinz, daß ein

200 erweitertes Schöffengericht mit zwei Richtern besetzt war, die absolut nicht ihrer Aufgabe gewachsen waren, die sogar die elementarsten Grundsätze der Strafprozeßordnung nicht genügend beherrschten, und die infolgedessen auch gar nicht in der Lage waren, aus der Verhandlung das Sach- und Zweckdienliche herauszuholen. Wer die Praxis unserer alten Strafkammern kennen gelernt hat, der weiß, wie in großen und schwierigen Sachen die Routine der Beisitzer eine bedeutungsvolle Rolle spielte, wie die gegenseitige Kontrolle mithalf, ein allseitig durchdachtes Urteil zustande zu bringen. Das ist nicht möglich, wenn der eine Richter die Aufgabe hat, die Verhandlung zu leiten und auf alles aufzupassen und nur ein Richter beisitzt, der mitschreibt, und der Aufnahme des Sachverhalts sein Interesse widmet. Es gibt eben eine ganze Reihe von Strafsachen, in denen der Laienrichter absolut nicht in der Lage ist, zu folgen, sowohl hinsichtlich der rechtlichen als auch der tatsächlichen Seite. Nun weist man darauf hin, es sei im Schwurgericht auch nicht anders gewesen. Das ist unrichtig. Abgesehen von wenigen Fällen haben die Geschworenen nur über die Tatfrage zu entscheiden gehabt. Dabei ist die Aufmachung der Verhandlung immer so gewesen, daß man die Sachen bis ins kleinste zerlegt hat. Man darf auch dabei nicht übersehen, daß im Schwurgericht meist nur aktuelle Sachen verhandelt werden, Sachen, an denen auch die Geschworenen ein besonderes Interesse hatten. Heute haben die Laienrichter an den großen Schöffengerichten und auch an den kleinen sehr häufig Sachen abzuurteilen, die sie überhaupt nicht interessieren. Dabei spielt eine große Rolle, daß es für sie nicht mehr eine absonderliche Angelegenheit ist, als Richter mitzuwirken, daß sich dies vielmehr in einem gewissen Turnus wiederholt, und daß sie deshalb der Sache das besondere Interesse, das sie ihr als Geschworene entgegengebracht hätten, nicht mehr widmen können. Ich bin jedenfalls der Auffassung, daß die heutige Strafgerichtsorganisation in erster Instanz — ich sehe von dem großen Schöffengericht, fälschlich Schwurgericht genannt, völlig ab — nie das leisten kann, was die Strafkammern

201 geleistet haben. Gerade weil heute noch kein Verteidiger zu Worte gekommen ist, möchte ich betonen, daß in den Kreisen der Verteidiger die Strafkammer stets das Gericht gewesen ist, dem man am meisten Achtung entgegengebracht hat. Über das Schwurgericht wird ja gestritten. Ich bin nicht der Auffassung von Herrn Landgerichtsdirektor S c h i m m a c k , daß das Schwurgericht schlechthin zu verwerfen ist. Aber das ist eine Frage, die man hier nicht in die Debatte hineinziehen soll. Jedenfalls: die Strafkammern haben etwas geleistet, was nie die großen Schöffengerichte, nie die erweiterten oder kleinen Schöffengerichte leisten können. Dazu kommt, daß durch die Berufungsmöglichkeit das Gefühl verloren gegangen ist: in dieser Verhandlung kommt es auf alles an, hier muß alles eingesetzt werden. In der ersten Instanz sagt sich der Angeklagte: ich habe ja noch eine zweite Instanz. Der Richter urteilt unter Umständen auch unter dem Eindruck: was du hier machst, kann noch so gut sein, es kommt ja doch in die zweite Instanz. Es fehlt die Konzentration der Verhandlung, zu der die frühere Prozeßordnung zwang. Ich bin nicht der Auffassung, die F e i s e n b e r g e r vor Jahren zum Ausdruck gebracht hat, daß von der Berufung der Segen abhängt. Viel lieber ist mir eine mit allen Rechtsgarantien umgebene erste Instanz und darüber eine Revisionsinstanz, deren Zuständigkeit nicht so engherzig beschränkt wäre, wie sie es heute ist. Bei der jetzigen Organisation kann es sehr wohl vorkommen, daß in der zweiten Instanz ein Urteil gefällt wird, dem sachlich gar keine erhöhte Bedeutung gegenüber dem in erster Instanz gefällten Urteil zukommt. Wenn in der ersten Instanz ein Landgerichtsdirektor mit zwei Schöffen zu entscheiden hat, und es entscheidet in der zweiten Instanz wieder ein Landgerichtsdirektor mit zwei Schöffen, so fehlt auch rein äußerlich dieser zweiten Instanz das höhere Niveau. Unter der neuen Organisation haben sich einige alte Mängel der Strafprozeßordnung besonders fühlbar gemacht. Ich habe es stets als besonderen Mangel angesehen, daß die Anklageschriften vielfach durchaus unzureichend waren. Heute wird in der ersten Instanz dem Angeklagten — von Aus-

202 nahmefällen abgesehen — überhaupt nicht mehr die Anklageschrift zugestellt. Wenn Herr Landgerichtsdirektor S c h i m m a c k darauf hingewiesen hat, daß manche Angeklagten, wenn sie vor das Schöffengericht geladen sind, die Sache nicht so ernst nehmen, so beruht das zuweilen darauf, daß sie über die Anklage nicht so orientiert sind, wie das früher bei der Strafkammer der Fall war. Man muß sich einmal vorstellen, wie sich die Dinge abspielen. Dem Angeklagten ist im Vorverfahren ein bestimmter Vorwurf gemacht worden. Darauf hat er geantwortet, und nun bekommt er eine Ladung zu einem Termin. E r denkt: die Sache ist doch geklärt, ich habe ja schon geantwortet. Jetzt sieht er plötzlich in der Verhandlung, daß sich ein völlig verändertes Bild ergibt, und da er nicht Vertagung verlangen kann, kommt es jetzt viel häufiger als früher vor, daß ein Angeklagter auf Grund einer Anschuldigung verurteilt wird, die er noch auf dem Wege zur Verhandlung in ihrer vollen Tragweite nicht erkannt hatte. Die Auffassung, daß die Urteile der erstinstanzlichen Gerichte heute milder seien als früher die Urteile der Strafkammern, dürfte nicht von allen geteilt werden. Es wird umgekehrt gerade von Vorsitzenden der Berufungskammern darüber geklagt, daß in der ersten Instanz oft die Urteile viel schärfer seien als es früher die Strafkammerurteile waren. Und es wird auch wiederholt hervorgehoben, daß die Schöffen nicht die richtige Einstellung zum Strafmaß haben, so daß Strafen verhängt werden, die nicht gerechtfertigt sind. Die Wissenschaft strebt gerade dahin, auch bezüglich der Strafzumessung zu gewissen Grundsätzen zu kommen. Es war zweifellos ein Vorzug der Strafkammern, daß sie gewisse feststehende Grundsätze bezüglich der Strafzumessung hatten. Vor allen Dingen hatte der Berufsrichter das große Erfahrungsmaterial. Und nur derjenige Jurist, der wirklich das Gesetz nicht nur tatbestandsmäßig, sondern auch seiner ganzen Idee nach kennt, kann die richtige Einstellung zum Strafmaß haben. Es ist nicht damit getan, daß man sagt: das ist eine schwere Urkundenfälschung, und

203 der Strafrahmen für die schwere Urkundenfälschung ist der und der, sondern der Richter, der die richtige Einstellung zu dem Strafmaß haben will, muß sich zunächst klar machen: was bedeutet denn das Verbrechen der schweren Urkundenfälschung im allgemeinen. Er wird vielleicht zu der Auffassung kommen: hier haben wir es mit einem Grenzfall zu tun. Und gerade auf G-rund solcher Erkenntnisse wird er das Strafmaß bestimmen. Er wird vielleicht bei dem Verbrechen des § 176 Ziffer 3 auf Grund seiner praktischen Erfahrung eine ganze Fülle von Gesichtspunkten in Betracht ziehen, um die Fälle bezüglich ihrer Strafwürdigkeit zu differenzieren. Alles das fehlt dem Laienrichter. Er urteilt rein aus dem G-efühl heraus, das er dem Einzelfall gegenüber einnimmt, und er urteilt — und das ist das Bedenklichste — indem er eine Waffe zur Anwendung bringt, die er gar nicht kennt. B in d i n g hat einmal das Wort gesprochen: „Eigentlich müßte man jeden Strafrichter zunächst einmal eine Zeitlang ins Gefängnis oder Zuchthaus setzen, damit er weiß, worum es sich handelt." Der Berufsrichter weiß aus der Erfahrung heraus, aus dem, was er mit Angeklagten erlebt hat, aus Briefen, die durch seine Hand gegangen sind, aus seiner allgemeinen Ausbildung, was die Gefängnisstrafe und die Zuchthausstrafe bedeuten, was sie in der Progression bedeuten. Wie aus der Pistole geschossen dekretiert mancher Laie: „fünf Jahre Gefängnis, fünf Jahre Zuchthaus." Es ist nicht die härtere innere Einstellung, sondern der Umstand, daß er nicht weiß, was es bedeutet, diese Strafe abzusitzen. Der Berufsrichter ist meist objektiver. Er weiß sich loszulösen von den Interessen des einzelnen Staatsbürgers. E r steht auf höherer Warte. So muß ich sagen: die ganze Organisation ist kein Fortschritt. Sie ist eine Konzession an Volksforderungen, die man nicht einmal ehrlich erfüllt hat, eine Konzession , die man auch nicht f ü r berechtigt angesehen hat. Ich habe schon früher das Bild gebracht, daß, wie der Arzt dem Kranken nicht d i e Medizin verordnen darf, die er verlangt, so auch der Gesetzgeber nicht das Gesetz lediglich deshalb geben darf, weil es der Laie ver-

_204_ langt. Schon die Erfahrungen, die man bisher gemacht hat, lehren, daß die neuen Gerichte nicht in der Lage sind, komplizierte Verhältnisse mit ähnlicher Zuverlässigkeit abzuurteilen wie die Strafkammern, daß wir die Konstanz der Strafzumessung verlieren. Und wenn schließlich Herr Landgerichtsdirektor S c h i m m a c k heute erklärt hat, daß hinsichtlich der Raumfrage die Bedenken geschwunden seien, so muß ich ihn in diesem Punkt doch korrigieren. Es ist noch kürzlich in Charlottenburg vorgekommen, daß eine Verhandlung am Schöffengericht abgebrochen werden mußte, weil in der furchtbaren L u f t ein Angeklagter ohnmächtig wurde. Generalstaatsanwalt Dr. Höpler (Wien): Wenn ich trotz der vorgerückten Zeit das Wort ergreife, so ist der Anlaß dazu hauptsächlich in dem Referat des Herrn Generalstaatsanwalts Dr. L a n g zu suchen, der ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß vielleicht die Erfahrungen, die in Oesterreich mit dem vereinfachten Verfahren gemacht worden sind, von einer gewissen Bedeutung sind. Ich habe mich nach dem Referat des Vormittags zurück versenkt in jene Zeit, in der unsere Verordnung vom Jahre 1918 betr. das vereinfachte Verfahren etwa so alt war wie Ihre Verordnung es heute ist. Auch damals war eitel Wonne, und heute bauen wir ab. Und ich gebe zu, daß auch ich zu denjenigen gehört habe, die mit Begeisterung zugestimmt haben, mit einer ähnlichen Begeisterung, wie wir sie heute gehört haben, und doch muß ich heute sagen: Vor Tische las man's anders. Gestatten Sie mir, dies näher zu begründen. Ich erkläre gleich von Anfang an: die Enttäuschung ist nicht in einem Fehler des Gesetzes gelegen, sondern wir sind einfach an den Irrtümern des Menschen, an der Personalfrage gescheitert. Allerdings ist nach Ihrem Gesetz nicht in so starkem Maß zu befürchten, was sich bei uns als so schädlich erwiesen hat, der Mangel an Einheitlichkeit der Rechtsprechung; denn wir erlebten eine viel größere Zersplitterung der Rechtsprechung, als Sie sie je erleben können. Gestatten doch wenigstens die Oberlandesgerichte eine gewisse Zusammenfassung. Meine Erfahrungen erstrecken sich

205 auf eine Zeit, in der ich die Auswirkung des Gesetzes von dessen Beginn an bis etwa in das erste Drittel des Jahres 1920 als Leitender Staatsanwalt an dem damals noch ungeteilten Landgericht Wien, also in erster Instanz, und seit dieser Zeit als G-eneralstaatsanwalt beim Obersten Gerichtshof beobachten konnte. Ich glaube daher, daß ich von zwei Gesichtspunkten aus die Sache beleuchten, und auch den schon geäußerten Wunsch erfüllen kann, daß einer, der mit der Berufungsinstanz in Fühlung ist, hier einige Worte sprechen möge. Es ist wiederholt gesagt worden, daß die Personalfrage die Hauptsache sei; das stimmt. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist; aber bei uns ist durch die Sperre im Staatsdienst, durch die Vernachlässigung der Erziehung und Bildung im allgemeinen, durch die Kriegssemester und andere Erleichterungen, andererseits durch das Abwandern der tüchtigsten Leute in die Industrie, heute ein Nachwuchs wahrzunehmen, dem wir nicht jenes Vertrauen schenken können, wie früher. Bei uns ist im Gesetz betreffend das vereinfachte Verfahren die Vereinfachung zunächst darin zu sehen, daß der Regel nach kein Vorverfahren eintritt. Ein großer Vorteil ist das aber nur dann, wenn rasch gearbeitet wird; andernfalls ist der Nachteil eminent, weil das Beweisverfahren verblaßt. Als zweite Vereinfachung wäre zu nennen, daß der Staatsanwalt keine Anklageschrift einzubringen hat. Hier steckt jener Mangel, der durch einen psychologischen Irrtum des Gesetzes entstanden ist. Ich als Leitender Staatsanwalt habe alles getan, um die Auswirkungen dieses Irrtums hintanzuhalten. Ich habe meine Kollegen gebeten, sich j a nicht verleiten zu lassen, im Zweifel unter dem Druck schwerer Arbeitslast den einfachen Strafantrag dem mit umständlicher Begründung zu versehenden Einstellungsantrag vorzuziehen. Meine früheren Kollegen werden mir auch zubilligen, daß wir oft erst bei den Gründen der Anklageschrift über die Anklage gestolpert sind, daß wir erst beim Aufbau der Gründe uns darüber klar wurden, wie wir den Tatbestand rechtlich unterstellen sollen. Alle diese Er-

206 wägungen entfallen beim Strafantrag. Es ist hier von Weisungen als möglicher Korrektur gesprochen worden. Aber damit ist nichts zu erzielen. Wenn ein Leitender Staatsanwalt jeden Augenblick mit Anfragen um Weisungen an seine vorgesetzte Behörde herantritt, ist dies nur ein Beweis, daß er nicht auf seinen Platz gehört. Eine Landesoder Zentralbehörde kann höchstens nur allgemeine Direktiven geben, aber auch der Leitende Staatsanwalt kann mit Weisungen nicht viel ausrichten. Wenn er den Strafantrag genau überprüfen wollte, müßte er nachschauen, ob alle nötigen Zeugen vorgeladen sind, ob die richtigen Beweise angetreten wurden, ob auch prozeßökonomisch gearbeitet wurde. Ich bin als Leitender Staatsanwalt zu dem Ergebnis gekommen, daß ich die verläßlichste Prüfung der Arbeit meiner Mitarbeiter nur dann durchführen könnte, wenn ich mich zu den Verhandlungen der einzelnen Richter hinsetzte und am Gang der Verhandlung prüfte, ob die Beweismittel richtig angewendet sind, ob der Antrag als solcher gerechtfertigt war, ob sich der Fall für das vereinfachte Verfahren eignet, ob die rechtliche Unterstellung der Tat richtig ist. Das alles zu tun ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ebenso wie der Staatsanwalt aus dem psychologischen Moment unwillkürlich mehr Strafanträge stellt, als er Anklageschriften gemacht hätte, wodurch er eine Überlastung des Gerichts herbeiführt; ebenso ist auch eine Überlastung des vereinfachten gegenüber dem ordentlichen Verfahren eingetreten, weil der Strafantrag rascher gemacht ist als eine Anklageschrift und auch der Einzelrichter, der im Tag 20—30 Strafsachen erledigt, rascher arbeitet. Es wird also auch das Verfahren überlastet, und das hatte bei uns schwere kriminalpolitische Folgen. Unser Gesetz hat das vereinfachte Verfahren dann vorgesehen, wenn der Staatsanwalt mit einem Jahre Freiheitsstrafe sich begnügt. Aber ein Richter verausgabt sich nicht gern, er weiß nicht, ob an demselben Tage nicht ein noch viel schwererer Fall kommt. Daher kommt es zu dem erwünschten einen Jahr nahezu niemals; es kommen vielleicht 6—8 Monate heraus. Und so kam es oft vor, daß, ehe das Urteil trocken war, der Verurteilte

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schon wieder wegen neuer Delikte in Haft saß. Eine kleine Rohbilanz der österreichischen Statistik zeigt, daß infolge dieser Überlastung des vereinfachten Verfahrens die Intensität der Strafe im umgekehrten Verhältnis zu der Rückfallintensität steht, also ein Beweis dafür, daß kriminal politisch sich das Verfahren nicht bewährt hat. Es ist darauf hingewiesen worden, daß nach unserem Gesetz f ü r den Richter die Möglichkeit bestand, den Fall sofort vor das ordentliche Schöffenverfahren zu leiten. Mit dieser Möglichkeit der Überleitung sieht es in der Praxis so traurig aus, daß dieses Verfahren durch eine Novelle ganz ausgeschaltet wurde. In der Praxis nämlich bestand es in nichts anderem, als in einer ganz unnützen doppelten Registrierung. Der Einzelrichter, der die Sache erst bei der Verhandlung überblicken konnte, mußte ja erst ein Urteil sprechen. Bedenken Siei auch hier wieder ein psychologisches Moment: wenn der Eihzelrichter den Fall mühsam durchgearbeitet hat und sich auch sagt: ein Jahr ist etwas wenig; soll er wegen, einiger Monate mehr oder weniger, die vielleicht von der oberen Instanz nicht aufrecht bleiben, die ganze Sache noch einmal durcharbeiten? Es bleibt also bei der zu milden Strafe. Noch auf ein weiteres psychologisches Moment möchte ich hinweisen, mit dem wir insbesondere heute rechnen müssen, nämlich auf das Verlorengehen der Form. Den Berufsrichter zwingt der Schöffe, die Form zu wahren. Das deutsche Gesetz mildert allerdings die von mir erwähnten kriminalpolitischen Gefahren, allein wenn wir heute bei der Öffentlichkeit des Verfahrens von einem Urteil eines Einzelrichters hören, das auf 372 Jahre Zuchthaus lautet, so glaube ich nicht, daß das Vertrauen der Bevölkerung hinter dem Richter stehen wird. Ich glaube, daß wir gerade heute, wo die Tendenz dahin geht, die Laiengerichtsbarkeit möglichst weitgehend einzuführen, auch die Konsequenz ziehen müssen, zu sagen: Ihr, die Ihr die Laienrichter wollt, nehmt auch die Verantwortung auf Euch und wälzt sie nicht auf den Berufsrichter ab. Mögen die Laien, die durch ihre Volksvertreter das Eindringen, in die Rechtsprechung wünschen,

208 auch die volle Verantwortung tragen. E s ist von verschiedenen Rednern mit Recht darauf hingewiesen worden, daß man durch Weisungen dahin wirken solle, daß alle Strafsachen, bei denen die Politik mitspielt, nicht vor den Einzelrichter gebracht werden. Daraus ergibt sich, daß man die von mir angedeutete Gefahr erkennt, und daß man den Staatsanwalt nicht so sehr auf sein Gesetzbuch als auf seine Nase verweist. Und nun komme ich zum Hauptnachteil, den ich insbesondere in meiner heutigen Stellung beobachte: die furchtbare Zersplitterung der Rechtsprechung. Wir haben in unserem kleinen Oesterreich sechzehn Berufungsgerichte; ich kann Sie versichern, daß wir nicht mehr Landrecht, daß wir mitunter Kreisrecht haben. Heute, wo die Gesetzgebung fließend ist, heute, wo wir von Entwürfen und von Reformen des materiellen Rechts hören, entsteht aus dieser Zersplitterung geradezu Anarchie. Das eine Gericht hat valorisiert, das andere nicht, der eine Staatsanwalt bringt alles vor den Einzelrichter, der andere vor die Schöffen; der Staatsanwalt sucht sich das ihm passend scheinende Gericht aus und dirigiert damit den Rechtszug. Das in Oesterreich bestehende, in die Hand des Generalstaatsanwalts gelegte kleine Ventil, die Gesetzesverletzung durch den Obersten Gerichtshof aussprechen zu lassen, kommt zu spät; dann sind schon so und so viel Fälle falsch erledigt. Auf dieses Moment habe ich den Herrn Justizminister aufmerksam gemacht und ihn zugleich gebeten, er möge eine Verlängerung der Wirksamkeit des Gesetzes über das vereinfachte Verfahren nicht mehr in Erwägung ziehen. Noch auf etwas möchte ich hinweisen, was übrigens schon erwähnt worden ist. Auch bei uns in Oesterreich ist bei manchen kleinen Landstädten eine Verknöcherung wahrzunehmen. Es gab und gibt Richter, die sich „versessen" haben und die leidige Wohnungs- und Geldfrage hat diese Verhältnisse verschärft; schon in der Vorkriegszeit kam es häufig vor, daß der Übertretungsrichter der Gescheitere war, und daß, wenn z. B. der Oberste Gerichtshof Urteile zu beseitigen hatte, gewöhnlich das Urteil des Berufungsrichters

209 als falsch bezeichnet wurde. Der Übertretungsrichter war weiter herumgekommen, hatte einen weiteren Blick als mancher von den Herren beim Kreisgericht, die nicht weggehen, die — ich bitte mich nicht mißzuverstehen — einen gewissen eisernen Viehbestand bilden, woraus mit den Jahren eine Verknöcherung wird, mitunter vielleicht gemischt mit einem gewissen Justamentstandpunkt gegen den Übertretungsrichter, der so gescheit sein und Althergebrachtes ändern will. Alle diese Erwägungen sprechen dafür, daß, wenn man schon den Einzelrichter einführt, man auf irgend einem Wege eine Instanz für die Rechtseinheit schaffen muß. Welcher Weg da begangen werden muß, das zu erörtern würde hier zu weit führen. Grestatten Sie mir, nur noch mit einigen Worten auf die Erfahrungen hinzuweisen, die wir mit den Schöffen gemacht haben. Es ist hier gesagt worden, daß in Oesterreich zwei Schöffen neben zwei Richtern säßen, und daß der Schöffe leicht zu beeinflussen sei. Das kann ich nach meiner Erfahrung nicht bestätigen. Wir haben in Oesterreich Beratungsprotokolle, aus denen der G-ang der Beratung und die Abstimmung ersichtlich ist, und ich verabsäume niemals, das Beratungsprotokoll genau durchzusehen. Daraus kann ich entnehmen, wie glänzend oft die Rechtsbelehrung des Vorsitzenden ist, z. B. wenn ich sehe, daß der Schöffe ein Votum abgibt, in dem er Vorbereitungshandlung statt Versuch annimmt; es ist dies ein Beweis dafür, daß die Vorsitzenden die Belehrung der Schöffen durchführen, ohne sie zu beeinflussen. Ich habe auch die Erfahrung machen können, daß, während in der Tatfrage, namentlich wo es sich um Notstand usw. handelt, der Schöffe oft mit seinen Mitschöffen gegen die gelehrten Richter für Freispruch stimmt, in der Rechtsfrage die Schöffen sich dann zu teilen pflegen, wenn die beiden Richter geteilter Meinung sind; auch wieder ein Zeichen, daß die Schöffen nicht so ganz abhängig sind, wie dies behauptet wird. Vom Standpunkt der Rechtseinheit ist es gegenüber dem vereinfachten Verfahren auch ein Vorteil, daß wir beim Schöffenurteil durch den Obersten Gerichtshof in der Lage sind, falsch beurteilte Rechtsfragen, wie sie 14

210 z. B. die falsche Auffassung des Notstandes, des Irrtums, des Versuchs, im Wege des ordentlichen Rechtsmittels der Nichtigkeitsbeschwerde zu verbessern, ohne daß das Urteil aufgehoben werden muß. Ich kann nur sagen: bei uns bewähren sich die Schöffen bei der Zweizahl der Richter und der Schöffen nicht schlecht. Uber die Geschworenen will ich nicht viel sagen, denn mir ist ein Geschworenengericht immer wie ein Lotteriespiel vorgekommen und etwas Entsetzliches gewesen. Ich kann Ihnen verraten, daß, als ich in einem kleinen Städtchen Oberösterreichs Staatsanwalt war, ich wiederholt Brandlegungen eingestellt habe, obzwar ich überzeugt war: der Mann hat den Brand gelegt. Ich wollte das Urteil nicht auf mein Gewissen laden; denn ich habe gewußt, daß die rein bäuerlichen Geschworenen überhaupt nichts anderes anhören als die Meinung über den öffentlichen Ruf. Ahnlich ist es in der Stadt mit dem Betrug. Mit den von mir gemachten Erfahrungen stimmt es überein, daß fast alle Staaten offen oder verdeckt das Schwurgericht abzubauen versuchen. Der freilich radikale italienische Entwurf hat den Geschworenen ein Urteil gefällt, wie es schärfer nicht sein kann. Die Drei- und Fünfrichtersenate in der höheren Instanz haben sich bei uns vollständig bewährt. Es ist ja natürlich auch das eine Personalfrage, zumal das vereinfachte Verfahren auch dadurch Nachteile geschaffen hat, daß es durch seine viel zu große Uberspannung das Ausschöpfen der tüchtigen Kräfte zur Folge hatte. Wo sollte man kränkliche oder für die Justiz minder geeignete Richter hintun; die früher —• gewiß mit Unrecht — als ständige Beisitzer Platz gefunden hatten ? Doch nicht in die Berufungssenate! Die Zivilsenate haben sich natürlich auch gegen einen solchen Ballast gewehrt. Was die Staatsanwälte betrifft, habe ich früher darauf hingewiesen, daß der Nachwuchs nicht mehr so ist wie er sein sollte. Und selbst wenn wir noch ebenso tüchtige Leute hätten wie früher, jenes Mittel, an dem man den Staatsanwalt am besten erzogen hat, die Anklageschrift, ist heute nahezu ausgeschaltet.

211 Rechtsanwalt Dr. Rudolf Wassermann (München): Der Herr Vorredner und andere haben auf die uns bedrohende Gefahr der ßechtszersplitterung hingewiesen. Daß diese Gefahr sich bei uns zu einer Justizkatastrophe auswachsen kann, wird erst dann völlig klar, wenn man sich vor Augen hält, daß es letzten Endes in der Hand des Staatsanwalts liegt, welches Gericht als Revisionsinstanz zuständig ist. Sie brauchen sich nur vorzustellen, — und wir in Bayern haben eine gewisse Erfahrung bei den Wuchergerichten — welche Gefühle es bei den Beteiligten auslöst, wenn sie z. B. wissen, je nachdem der Staatsanwalt seinen Antrag stellt, werde ich vom Reichsgericht freigesprochen oder vom bayrischen Obersten Landesgericht verurteilt. Man wird in der Praxis den Antrag des Staatsanwalts als eine Art Uriasbrief ansehen. Man wird ihn so betrachten, als ob gewissermaßen der eine, der beim Staatsanwalt Liebkind ist, auf einen günstigen Posten gestellt wird und der andere auf einen ungünstigen. Und das wird zweifellos die denkbar größte Erbitterung hervorrufen. Sehr überrascht hat es mich, heute vormittag zu hören, daß man sich in Hamburg auf den Standpunkt stellt, daß der Angeklagte im Hinblick auf die Sprungrevision in der Lage sei, gleichzeitig Berufung und Revision einzulegen. Ich habe bisher nicht gewußt, daß das zulässig ist, bei uns in München war man bisher anderer Ansicht. Ich bin auch jetzt noch nicht durch die Hamburger Praxis von der Zulässigkeit überzeugt. Solange dies nicht der Fall ist — und ich glaube, daß ich mich da in guter Gesellschaft befinde —, muß ich die ganze Institution der Sprungrevision, so wie sie jetzt geregelt ist, als eine sehr unglückliche betrachten. Es ist schon heute Morgen von einem der Herren der Hamburger Justizverwaltung darauf hingewiesen worden, daß die Gefahr besteht, daß infolge ungenügender Begründung der Urteile erster Instanz das Revisionsgericht gezwungen ist, die Sache, wenn sie per Sprung zu ihm gelangt, wieder an die erste Instanz zurückzuverweisen. Das ist aber vom Standpunkt des Angeklagten noch das verhältnismäßig kleinere Übel. Katastrophal wird es dann, wenn 14*

212 der Angeklagte oder sein Verteidiger z. B. auf Beratung des Erstrichters die Sprungrevision einlegt, und sich nachher herausstellt, daß entweder das erstrichterliche Urteil ungenügend begründet ist, daß z. B. wichtige Momente (z. B. Zeugenaussagen) fehlen, die notwendig sind, damit der Revisionsrichter überhaupt den Revisionsgrund wahrnehmen kann, oder aber wenn, wie es mir schon vorgekommen ist, der Erstrichter nachträglich auf den klugen Gedanken kommt, das Urteil nicht nur so zu begründen, daß die Entscheidung auf eine Rechtsfrage abgestellt ist, sondern auch einen Tatbestand konstruiert, der, ohne daß es auf die Entscheidung der Rechtsfrage ankommt, zu einer Verurteilung führen muß. Das ist natürlich nur möglich, wenn man dem Tatbestand nachträglich eine gewisse Gewalt antut. Aber derartige Fälle kommen vor. Zweckmäßig geregelt ist das Institut der Sprungrevision m. E. nur dann, wenn die Möglichkeit offenbleibt, nach Kenntnisnahme der schriftlichen Urteilsgründe zu entscheiden, ob man nun Berufung einlegen will oder Revision. Es müßte also die Möglichkeit vorhanden sein zu erklären: „Ich lege ein R e c h t s m i t t e l ein" und ich muß mir vorbehalten können, w e l c h e s Rechtsmittel. Dann hat die Sache einen Sinn. Sonst führt sie zu großen Schädigungen des Angeklagten und Verbitterungen, die besser vermieden werden. Es ist bisher nur verhältnismäßig kurz darauf hingewiesen worden, daß, während die Stellung der Staatsanwaltschaft durch die neue Verordnung in einer Weise gehoben worden ist, daß man sie gewissermaßen als Lieblingskind der neuen Verordnung bezeichnen kann, die Stellung des Angeklagten dagegen und ebenso die des Verteidigers eine Schwächung erfahren hat. Ich kann es nicht verstehen, daß man sich nicht veranlaßt gesehen hat, nachdem eine Reihe von Einrichtungen der neuen Verordnung automatisch dazu führen, die Stellung des Angeklagten und seiner Verteidigung zu schwächen, in anderer Weise die Wage wieder zugunsten des Angeklagten zu belasten, um auch ihm wieder sein Recht zukommen zu lassen. E s bestanden mancherlei Möglichkeiten, um gewissermaßen ein Gleichgewicht herbeizuführen. Herr Kollege A l s b e r g hat

213 schon kurz darauf hingewiesen, von welcher entscheidenden Bedeutung es für die Verschlechterung der Lage des Angeklagten ist, daß ihm der Beweisantritt in einer so außerordentlichen Weise erschwert worden ist. Ich darf darauf hinweisen, daß der anwesende Kollege, Herr Justizrat D r u c k e r , schon vor 15 Jahren, im Jahre 1909, in einer kleinen Schrift mit allem Nachdruck darauf hingewiesen hat, wie bedenklich es ist, die Beweismittel zu kürzen. In seinen geradezu klassisch zu nennenden Ausführungen hat er darauf hingewiesen, wie ungeheuer böses Blut es bei den Angeklagten hervorruft, nicht zu wissen, was unter Umständen hinter einem Beweis steckt, wenn über die Beweisangebote so bagatellmäßig hinweggegangen wird. Derartige Maßnahmen, die selbstverständlich von besten Gefühlen des leitenden Richters getragen sein können, der aber natürlich gar nicht wissen kann, wie sich die Beweiserhebung abspielen wird, sind geeignet, das Ansehen der Gerichte und der Rechtspflege herabzuwürdigen, und hätten deshalb unter allen Umständen vermieden werden sollen. Ebenso wird auch das beschleunigte Verfahren m. E. vielfach geeignet sein, das Ansehen der Rechtspflege zu schädigen. Professor Dr. Liepmann (Hamburg): Ich möchte — als Theoretiker ebenso wie als Praktiker — zum Ausdruck bringen, daß ich die Neuregelung für einen erheblichen Rückschritt, eine schwere Verschlechterung unserer Strafrechtspflege halte. Was uns heute hier in zum Teil sehr interessanten Erklärungen seitens der Vertreter der hamburgischen Justizverwaltung und seitens der Richter entgegengebracht wird, ist nicht bloß nicht beweiskräftig; vielmehr ist es ungeheuer gefährlich und bedauerlich, daß mit einem derartigen Geschütz von „Erfahrungen" aufgefahren wird. „Erfahrungen" von 1—2 Monaten! Es versteht sich ganz von selbst — und ich kann das aus Kreisen praktischer Juristen hier und anderwärts bestätigen: den Richtern wie den Staatsanwälten haben sich die Haare gesträubt, als diese Verordnung plötzlich erschien. Und nun mußte natürlich alles aufgeboten werden, um wenigstens einen völligen

214 eklatanten Zusammenbruch der Strafjustiz zu verhindern, und das ist zum Teil in sehr geschickter Weise geschehen. Im einzelnen möchte ich gegen die „"Erfahrungen" erinnern: jene unheilvolle Wirkung dieser neuen Verordnung, daß die Zuständigkeit des Reichsgerichts in wesentlichen Punkten abhängen soll von dem pflichtgemäßen Ermessen eines Staatsanwalts. Die Wirkung davon wird man freilich erst später sehen, aber charakteristisch für unsere — ich muß sagen — heillose Verblendung, die ich den strahlenden Augen des Herrn Landgerichtsdirektor S c h i m m a c k entgegenhalte, ist es, daß man lesen konnte, die strafrechtlichen Grundbegriffe seien alle schon vom Reichsgericht entschieden. Das Reichsgericht sei sozusagen gar nicht mehr nötig. — Es drängt sich einem die Frage auf: was ist aus Deutschland, aus unserm wissenschaftlichen Deutschland geworden, wenn etwas derartiges gesagt werden kann! Und weiter: selbst wenn diese Neuordnung eine wesentliche Verbesserung wäre, so haftet an ihr für alle Zeit die Art, wie sie ins Leben gerufen ist. Ich kann hier nicht im einzelnen untersuchen, ob die Verordnung rechtsgültig ist. Auch hat das praktisch keine Bedeutung, nachdem das Reichsgericht entschieden hat. Ich persönlich halte sie nicht für rechtsgültig. Aber soviel ist sicher: wenn sie rechtsgültig wäre, so war sie erlassen, um der augenblicklichen Not von Reich und Volk zu steuern, um also Sparsamkeitsinteressen zu dienen. Und diese Verordnung hat mit einem Schlage ganz wesentliche Garantien abgeschafft! Das wird unserem Rechtsleben noch lange anhaften, j a das ist überhaupt nicht wieder gut zu machen. Eine Bewegung, die seit 30 Jahren auch hier in der I. K . V. dahin gegangen ist, die Garantien des Rechtsverfahrens zu verstärken, ist im Verordnungswege zerschlagen und in gerade entgegengesetzte Bahnen eines vorrechtsstaatlichen Strafprozesses getrieben worden. Gegenüber dem unberechtigten Optimismus, der den Ausführungen von heute Vormittag zu Grunde lag, muß darauf hingewiesen werden, was für eine Dr. Eisenbart-Kur diese Verordnung verlangt. Sie stellt an Staatsanwalt und Berufs richter unerhört schwere Anforderungen, ohne das Verfahren

215 auch nur in einem Punkte zu ändern. Seit Jahrzehnten ist von praktischen Juristen, ebenso wie von Theoretikern, immer gesagt worden: unsere Strafprozeßordnung ist schlecht; sie ist unorganisch; sie gibt keinem die richtige Verantwortung ; weder dem Staatsanwalt, noch dem Untersuchungsrichter, der für einen anderen arbeitet u. s. f. Und nun, auf einmal, und zwar in einer Zeit, in der wir alle erschöpft und zum Teil verwildert sind, in der unsere Büros abgebaut sind, zusammengesetzt sind aus Menschen, die nicht mehr voll arbeitsfähig sind, — in diesem Augenblick setzt man den Einzelrichter ein mit einer Macht, allein bis zu 15 Jahren Zuchthaus zu verurteilen. Auch ich bin, obzwar ein Freund der Laienrichter, doch der Uberzeugung, daß es eine schwere Verschlechterung der Strafjustiz ist, daß das Kollegium von 5 Berufsrichtern — die alte Strafkammer — beseitigt ist. Früher hatten wir als erste Instanz das Schöffengericht, als zweite Instanz: dfe Straf kammer. Jetzt spricht in erster Instanz ein Richter ohne Schöffen und in zweiter Instanz auch wieder ein Richter, der neben sich allerdings zwei Schöffen hat. Aber das ist natürlich gar kein übergeordnetes Gericht mit irgendwelchen Garantien dafür, daß der Fall gründlicher untersucht wird. Die zweite Instanz ist also sicher gegenüber dem bisherigen Recht erheblich verschlechtert. Dasselbe muß auch von der ersten Instanz gesagt werden. Landgerichtsdirektor S c h i m m a c k hat uns heute darüber zu beruhigen versucht und namentlich auch darauf hingewiesen, daß die Einzelrichter auf sehr milde Strafen erkennen. Nur ein Berliner Amtsrichter habe einmal 2 Vi Jahre Zuchthaus ausgesprochen. Aber, hat er begütigend hinzugefügt, das sei ein Herr gewesen, der immer etwas apart gewesen sei. Nun, ich danke für solche Beweisführung. Als die Verordnung über Nacht erschien, waren sich gräde die wertvollsten Strafrichter darüber einig, daß sie dem Einzelrichter — mit und vollends ohne Schöffen — ein Maß von Verantwortung auferlege, vor dem ihnen graute. Es ist zu wünschen, daß sie trotz der Verordnung dieses Verantwortungsgefühl in seiner ganzen Schwere behalten und nicht den Weg gehen, den die Berichterstatter

216 heute gezeichnet haben, den Weg: es ist ja gar nicht so schlimm, im Gegenteil, es geht! — Und nun die Schwurgerichte. Ich kämpfe seit 20 Jahren für eine wirkliche Reform des deutschen Schwurgerichts und verstehe alle Gründe, die gegen das Schwurgericht ausgesprochen sind. Aber das Schwurgericht ist eine europäische Einrichtung gewesen, und ein Mann wie B r u n n e r , ein ganz konservativer Mann, hat ausdrücklich erklärt, daß es ein Merkmal europäischer Kultur sei. E i n e s o l c h e E i n r i c h t u n g b e s e i t i g t man n i c h t auf dem V e r o r d n u n g s w e g e , — selbst wenn sie wirklich jene Mißachtung verdiente, die ihr die Juristen von heute so gern nachsagen. Ich bestreite auf Grund einer sehr langen Beobachtung dieser Dinge, daß das Schwurgericht in Deutschland versagt habe. Wenn es aber wirklich versagt hätte, so wären erst einmal die Gründe dieses Yersagens zu untersuchen und zu prüfen, ob nicht unsre Juristen in erster Linie für einen solchen Mißerfolg verantwortlich zu machen wären? Das Schwurgericht war nämlich ein glänzendes Erziehungsmittel für unsere Juristen; diese aber haben sich bei seiner Handhabung z. T. nicht bewährt. Es war ein glänzendes Erziehungsmittel, weil es die Juristen nach zwei Richtungen zwang: Sie wußten, daß es ein gefährliches Instrument sei; es handelte sich doch darum, die Verhandlung bis ins kleinste vorzubereiten und ohne Rücksicht auf die Zeit die Dinge so auseinanderzusetzen, daß sie den 12 Männern wirklich verständlich wurden. Es war ein Erziehungsmittel aber noch in einem andern Sinne, weil es unsere Juristen nötigte, all das, was technisch-juristisch ist, in menschliche Werte umzusetzen. Das ist allerdings vielen Juristen sehr schwer geworden, darin haben sie zum Teil versagt. Aber dem sei, wie ihm wolle; eine Einrichtung wie das Schwurgericht beseitigt man nicht im Verordnungswege, und nie wird ein Volk, das sich seines Rechtslebens bewußt ist, das Wert auf sein Rechtsleben legt und es als eigene Angelegenheit betrachtet, diesen Weg rechtfertigen und verstehen können. Vorläufig, das muß leider zugegeben werden, ist bei uns ein wirkliches Verständnis für die Werte, die hier zerstört

217 sind, nicht vorhanden. Aber seien Sie überzeugt, es wird kommen, von diesem sogenannten Schwurgericht — und es ist für den Greist dieser Verordnung charakteristisch, daß man eine Einrichtung beseitigt, aber den Namen behält; eine Spekulation auf den beschränkten Untertanenverstand, wie ich sie mir schlimmer nicht vorstellen kann — wird man dasselbe sagen, was einer unserer wertvollsten Kriminalisten J o h n einmal von dem alten Schöffengericht gesagt hat: es ist ein u n e h r l i c h e s S c h e i n w e s e n , das nicht die Vorzüge eines reinen Berufsgerichts hat und auch nicht die eines wirklichen Laiengerichts. In diesem sogenannten Schwurgericht fehlt eben gerade das, was notwendig ist. Die Hauptverhandlung sollte so sorgfältig wie möglich vorbereitet, der Beweisstoff in ihr gründlich und für das Verständnis der Laienrichter geeignet vorgeführt, die rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung sollten ihnen autoritativ-klar entwickelt werden, — dann aber sollten sie auch selbständig die Entscheidung finden und die Verantwortung tragen! Um zusammenzufassen: Die neue Verordnung wird die allerschwersten Schäden in unserer Strafrechtspflege herbeiführen. — Greh. Justizrat Kammergerichtsrat a. D. Dr. Kronecker (Warngau): Wir stehen hier vor einem eigentümlichen Schauspiel. Eigentlich sitzen wir zu G-ericht. Angeklagt ist die Verordnung vom 4. Januar 1924, auf der Anklageseite steht eine Reihe von Herren, darunter die Professoren L i e p m a n n und v. H i p p e l , auf der Verteidigerseite ein Teil der Praktiker, eine Mittelstellung nimmt die juristische Arbeitsgemeinschaft ein. Ich neige mehr zur Anklageseite. Zunächst die Frage der R e c h t s g ü l t i g k e i t . Ich halte die Verordnung zum großen Teil für ungültig. Das Ermächtigungsgesetz ermächtigt ja nur zu Notmaßregeln. Darunter kann man allenfalls die Herabsetzung der Richterzahl in den Senaten usw. subsumieren; aber die Erhöhung der Macht des Staatsanwalts, die Einführung der Berufung ist doch in aller Welt keine Maßregel, die durch die Not in

218 diesem Sinne geboten ist. Jedenfalls konnten im Verordnungswege diese Vorschriften nicht eingeführt werden, ganz abgesehen davon, daß, wie Herr Professor L i e p m a n n mit Recht hervorhob, derartige grundsätzliche Änderungen durch eine Verordnung einzuführen, durchaus sachwidrig ist. Zur Frage der Z w e c k m ä ß i g k e i t nur ein paar Momente : Zunächst die Erhöhung der Macht des Staatsanwalts; sie ist wohl von den meisten verurteilt worden. Ich habe selber früher befürwortet, das Vorverfahren im wesentlichen der Staatsanwaltschaft zu überlassen, und habe damit ziemlich viel Beifall gefunden. Aber der Staatsanwaltschaft, die doch von der Regierung abhängig ist, die Entscheidung darüber zu überlassen, welche Instanz dem Angeklagten zu Gebote stehen soll, ob die Rechtseinheit aufrecht erhalten werden soll oder ob sie in 19 Oberlandesgerichts partikelchen zerstückelt werden soll, das halte ich für gänzlich unangemessen. Man wird vielleicht sagen, es sei schon jetzt nicht so weit her mit der Rechtseinheit; das Reichsgericht habe schon in den verschiedenen Senaten verschiedene Ansichten und verschiedene Oberlandesgerichte gingen auseinander. Doch sind das geringfügige Abweichungen gegenüber denen des neuen Verfahrens. Nun zur Ü b e r s p a n n u n g d e r M a c h t des A m t s r i c h t e r s . Es ist schon hervorgehoben, daß sie äußerst bedenklich ist, namentlich die Macht des Einzelrichters. Bei Übertretungen mag es hingehen, obwohl die Schöffen da sehr nützliche Arbeit geleistet haben. Ich bin wohl einer der wenigen unter Ihnen, die die Sache praktisch als Polizeirichter unter dem alten Verfahren mitgemacht haben. Und selbst da konnte der Richter doch mitunter recht zweifelhaft sein, wie er entscheiden sollte, und er konnte sich nicht zur Beratung zurückziehen, weil er niemand dazu hatte. Schon viel bedenklicher ist die Sache bei Privatklagen. Gerade hier bei den Beleidigungen des täglichen Lebens ist es besonders wichtig, daß Leute aus dem Volk mit urteilen, daß sie dem Richter sagen können: das und das wird in unseren Kreisen als Beleidigung aufgefaßt. Auch in anderer Beziehung können sie den Richter unterstützen. Nun würde

219 man hier auch ein tolerari posse aussprechen, wenn nicht der Mangel der Berufung wäre. Ich bin an sich kein großer Freund der Berufung, aber hier ist sie gewiß eine Notwendigkeit. Und noch weiter: selbst die Revision ist in einer Weise beschränkt, die geradezu bedauerlich ist. Im § 340 StPO. n. F . wird der alte § 3 8 0 , der uns schon so viel Arger bereitet hat, in verschlimmerter Form neu geboren, denn der alte § 380 stand hinter der zweiten Instanz, § 340 aber steht hinter einem Einzelamtsrichter, der die unglaublichsten Verstöße gegen die Prozeßordnung begehen kann, ohne daß ihm das Revisionsgericht etwas anhaben kann. Die Macht des Einzelamtsrichters ist überhaupt viel zu groß, die Grenze von 6 Monaten zu weit. Im Strafgesetzbuch sind das nicht so viele, aber immerhin ein paar erhebliche Punkte, z. B. § 160 oder 172. Noch mehr aber: Es können auch in tatsächlicher Hinsicht recht verwickelte Fälle vorkommen; der Richter muß sich alsdann schnell entscheiden, und dies ist unter Umständen furchtbar schwer, namentlich bei Spezialgesetzen. Ich habe früher ein ausgedehntes, ausführliches Vorverfahren befürwortet und keine Berufung. Man könnte jetzt sagen, das Verfahren des Amtsrichters sei eigentlich ein Vorverfahren, und dahinter stehe die Berufung. Das aber kann ich nicht akzeptieren. Eine schlechte erste Instanz, in der der Angeklagte gleich auf die Berufung gestoßen wird, ist eine sehr üble Art der Rechtsprechung. Und nun dieser § 245 Absatz 2. Es ist ein unglücklicher Gedanke, den Umfang der Beweisaufnahme dem Richter zu überlassen. Es ist gesagt worden: man kann zu dem Richter das Vertrauen haben, daß er begründete Beweisanträge nicht ablehnen wird. Es ist hier davon gesprochen, die Richter zu einer Art Lords zu erheben. J a , man wird wohl manches bessern können. Aber unsere bedrückten und abbaufähigen Richter zu Lords zu machen, wird wohl kaum j e gelingen. Oberlandesgerichtspräsident Dr. Mittelstein (Hamburg): Nur ganz wenige Worte über die Revision. Aach ich ge-

220 höre zu denjenigen, die bedauern, daß der Kreis der Revision für das Oberlandesgericht so erweitert, für das Reichsgericht so eingeengt ist. Dies ist innerlich nicht gerechtfertigt. Das Reichsgericht mag noch so viele und gute Erkenntnisse abgegeben haben, stets werden neue Gesetzbücher, neue Fragen und Aufgaben kommen, und stets werden wir von vorn anfangen müssen. Wir haben keine Rechtseinheit, wenn neben dem Reichsgericht ein Dutzend Oberlandesgerichte mitwirken. Und ein anderer Gesichtspunkt. Wenn man schon dem Oberlandesgericht soviel in die Hand gibt: warum, soll der Senat des Oberlandesgerichts mit 3, der des Reichsgerichts mit 5 Männern entscheiden? Es müßte eigentlich umgekehrt sein. Und es ist — das darf ich vielleicht sagen — nach meiner Meinung von den vielen Rückschritten der neuen Verordnung der allerbedeutendste, daß man die Senate der Oberlandesgerichte von 5 auf 3 Richter reduziert hat. Geheimrat Prof. Dr. v. Hippel (Göttingen): Angesichts der vorgeschrittenen Zeit verweise ich auf meine im nächsten Heft von Aschaffenburgs Monatsschrift erscheinende kritische Besprechung der Strafprozeßverordnung und beschränke mich auf wenige Bemerkungen. Daß die Verordnung im ganzen erlassen worden ist in dieser Gestalt, bedaure ich. Wir leben eben heute in abnormen Zeiten. Jetzt, da wir die Verordnung haben, erhebt sich die Frage: was soll nun werden? Mein Urteil lautet: eine gründliche Reform. Hier möchte ich als Ergänzung meiner oben erwähnten Kritik hervorheben: Es ist von dem vereinfachten Verfahren vor dem Einzelrichter gesprochen worden, speziell vom § 211 StPO., und man hat davon Segen für die Zukunft erwartet. Ich möchte dringend warnen. Das Verfahren des § 211 Abs. 2 StPO. ist vor allem geübt worden bei Bettel, Landstreicherei, Arbeitsscheu, Prostitution. Die Wirkungen sind folgende gewesen: auf Grund einer absolut unzureichenden Ermittlung des Falles, insbesondere der Vorstrafen, und auf Grund des sogenannten glaubwürdigen Geständnisses,

221 das früher auch gleich als glaubwürdig in den Protokollen vorgedruckt war, sind schematisch ohne genügende, Prüfung kurzzeitige Freiheitsstrafen verhängt worden. Auf der einen Seite ist so in leichten, entschuldbaren Fällen, die sich dem Notstand genähert haben, ungerecht streng geurteilt. Auf der andern Seite aber ist dieses Verfahren des § 211 die glänzendste "Waffe in der Hand des Gewohnheitsverbrecher tums. Ein solcher Angeklagter gesteht sofort und versichert, das hätte er noch nie getan, und wie entschuldbar die Situation gewesen wäre. Findet er denjenigen, der darauf hineinfällt, so wird er zu einer kurzen Freiheitsstrafe verurteilt, statt daß man ihn in Untersuchungshaft festsetzt, seine Vorstrafen ermittelt und ihn dann nach Bedarf dem Arbeitshaus überweist. Dieses Verfahren des § 211 verwerte man n u r in g a n z g e k l ä r t e n F ä l l e n , bei denen man absolut sicher ist, daß man die Lage übersieht, — sonst unter keinen Umständen. Gerade in heutiger Zeit, wo der Kampf gegen den Gewohnheitsverbrecher so wichtig ist, ist hier doppelte Vorsicht geboten. Ein anderer Punkt, der überhaupt noch nicht zur Sprache kam, ist, daß die neue Verordnung auch für die Strafzumessung 2/s Mehrheit erfordert. Bisher hatten wir sie in der Schuldfrage; jetzt ist sie auch für die Strafzumessung gefordert. Soweit meine Kenntnis reicht, hat der bisherige Zustand keinerlei Unzuträglichkeiten ergeben. Mit Finanzrücksichten hat die Maßnahme nicht das mindeste zu tun, nach der Begründung hat man damit den Laienrichtern einen entscheidenden Einfluß gewähren wollen. Dafür liegt kein Grund vor. Der Laienrichter soll denselben, aber keinen größeren Einfluß haben als der Berufsrichter. Außerdem trifft dies Ergebnis gar nicht zu, sondern den entscheidenden Einfluß haben danach immer die, die am mildesten stimmen, ganz gleich, ob es Laien- oder Berufsrichter sind. Es kommt also darauf hinaus, daß wir die Strafzumessung mildern, indem wir derjenigen Minderheit, die am mildesten stimmt, den entscheidenden Einfluß einräumen. Dazu fehlt ein sachlicher Anlaß, insbesondere in heutiger Zeit. Diese Bestimmung sollte daher wieder gestrichen werden.

222 Der Amtsrichter als Einzelrichter ist i n w i r k l i c h k l e i n e n S a c h e n unbedenklich und sogar erfolgreich. Die Freiheitsstrafe bis zu einer Woche umfaßt 15% sämtlicher Fälle der Reichskriminalstatistik, die Geldstrafe über 50 %, zusammen rund 65%. Darüber lasse man den Einzelrichter urteilen, aber nicht über Fälle, die erhebliche Strafen fordern. Diese verlangen k o l l e g i a l e Entscheidung. Dr. Langhoff (Hamburg): Die Verordnung wird einen Freund haben: den Berufsverbrecher. Er wird froh sein, die Fünfmännerkammer los zu sein, denn seine Spezialität besteht doch nicht nur im Einbrechen, sondern auch im Nebelaufwerfen und Eidleisten. Dem zu begegnen wird der Laienrichter und der Scböffenrichter in großen Sachen nicht mehr gewachsen sein. Wir werden also erwarten müssen, daß in kurzer Zeit die Strafkammer bei einer Reform dieser Verordnung wieder auftauchen wird. Landgerichtsdirektor Dr. Weigert (Berlin): Gestatten Sie eine kurze Nachlese. Mit Rücksicht darauf, daß durch Strafbefehl jetzt auch eine Freiheitsstrafe angeordnet werden kann, ist die Ausdehnung der Möglichkeit der W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens auf Strafbefehlssachen unbedingt zu fordern. Der gegenwärtige Zustand kann als schmerzliche Lücke empfunden werden. Ich möchte weiter unterstreichen, daß § 245 Absatz 2 der Strafprozeßordnung in seiner jetzigen Fassung beseitigt werden muß. Wir haben von einem Verteidiger, also von sachkundigster Seite gehört, daß gerade der Umstand, daß Zeugen nicht gehört worden sind, Veranlassung gibt, Berufung einzulegen. Ich hoffe, daß die Beschränkung der Beweisaufnahme nur in dem im Entwurf vom Mai 1923 vorgesehenen Umfange bestehen bleiben wird. Ein weiterer Wunsch ist der, daß die Berufung auch zugelassen werden muß, wenn nur auf Geldstrafe erkannt worden ist. Auch Geldstrafen können unter Umständen Existenzen vernichten, z. B. durch Konzessionsentziehungen

223 bei Polizeistundenübertretung, Verstößen gegen die Straßenordnung usw. Dann möchte ich zurückkommen auf zwei Nekrologe, die wir heute hören konnten. Den einen, den Herr Rechtsanwalt A l s b e r g auf die Strafrichter gehalten hat, habe ich mit ehrlicher Trauer angehört. Wir danken ihm, daß er hier, wie schon vor einigen Monaten in Berlin unter dem Beifall der Berufsgenossen, sich dafür eingesetzt hat, daß das nur aus Berufsrichtern bestehende Gericht das beste Gericht ist und nicht entbehrt werden kann. Ich bedaure, daß es jetzt für immer verschwunden ist. Den andern Nekrolog habe ich mit großer Freude gehört, nämlich den auf das Schwurgericht. Zwar glaube ich, hier auf Grund meiner praktischen Erfahrung als Vorsitzender in 13 Berliner Schwurgerichtsperioden sagen zu dürfen, daß ich mit besonderer Liebe und Freude dieses Amt ausgeübt habe und daß es mir eine der schönsten Erinnerungen bleiben wird. Aber wenn Herr Prof. L i e p m a n n erwähnt hat, daß die Richter doch nicht Herren der Sache gewesen sind, und nicht das geleistet haben, was von ihnen erwartet wurde, so stelle ich dem entgegen: wenn Mißverständnisse und Fehlsprüche vorgekommen sind, haben in erster Reihe die Geschworenen die Schuld, die Geschworenen, die ohne jede Skrupel aus irgendwelchen Gründen, oft aus übergroßer Milde, sich über die strengen Gesetzesvorschriften hinweggesetzt haben. Die beschränkte Zeit verbietet mir, zahlreiche Beispiele anzuführen. Das Unglück war eben, daß das Schwurgericht, wie es bisher bestanden hat, mit dem einfachen J a oder Nein nicht nur über das Schicksal der Angeklagten, sondern auch der Verletzten entschieden hat. Das was mit uns Richtern jeder gewissenhafte Staatsbürger wünschen muß, ist erreicht, nämlich daß jetzt a l l e Sprüche ausführlich begründet werden müssen, um einer Prüfung in einer höheren Instanz standhalten zu können. Justizrat Löwenstein (Berlin): Ich habe bei der Tagung in Jena, als der Strafgesetzentwurf von 1919 besprochen wurde, meine Ansicht dahin zusammengefaßt:

224 besser diesen Strafgesetzentwurf mit seinen Fehlern und Schwächen sofort annehmen, als ihn durch eine eingehende Kritik gefährden, oder seine Annahme auch nur erheblich verzögern. Bezüglich unserer Verordnung stehe ich auf dem Standpunkt: besser lebenslänglich verurteilt sein, mit der alten, von Anbeginn reformbedürftigen Strafprozeßordnung weiter zu arbeiten, als abwarten, bis mit Hülfe fortgesetzter Operationen aus diesem, m. E. lebensunfähigen, wenn nicht totgeborenen Kinde, ein brauchbares Geschöpf werden könnte. Ich will dies mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit nicht im einzelnen nachweisen, sondern nur, um nicht ganz vergeblich gesprochen zu haben, einige Punkte, die m. E. sehr schnell gebessert werden könnten, kurz betonen. Unerträglich ist es, daß die Zuziehung der Schöffen und des zweiten Richters lediglich b e i E i n r e i c h u n g d e r A n k l a g e s c h r i f t vom Staatsanwalt beantragt werden kann, also in einem Zeitpunkt, wo der Staatsanwalt sehr oft den Umfang der Sache noch gar nicht zu überblicken vermag. Und ferner darf nicht der Staatsanwalt entscheiden, ob der Richter Schöffen oder im Schöffengericht einen zweiten Richter braucht. In erster Linie ist doch der Richter, der die Sache bearbeitet, zur Beurteilung dieser Frage geeignet und berufen. Deshalb sollte der Richter, der das Bedürfnis der Zuziehung von Schöffen oder eines zweiten Richters hat, dieses Recht erhalten und nicht auf den Weg verwiesen werden, der von einem der Herren Referenten angedeutet worden ist, sich an die vorgesetzte Behörde zu wenden, damit die hohe Staatsanwaltschaft die Güte habe, wenn es ihr richtig erscheint, ihm seine Bitte zu erfüllen. Ein sehr wichtiger Punkt ist die Versagung von Rechtsmitteln gegenüber der Einstellung des Verfahrens, weil die Schuld nicht erheblich ist; das ist unter Umständen ein Unrecht gegen den Angeklagten, wie es sich schlimmer nicht vorstellen läßt. Der Angeklagte ist beschuldigt, silberne Löffel gestohlen zu haben. Im Verfahren stellt sich heraus, daß nur zinnerne Löffel in Frage stehen. Das Verfahren wird jetzt wegen Geringfügigkeit der Schuld und des Gegen-

225 standes der Tat ohne Anhörung des Angeklagten eingestellt, und diesem steht kein Rechtsmittel zur Verfügung, gegenüber einem solchen seine Ehre vernichtenden Beschluß eine Klarstellung des Sachverhalts zu fordern. Schlußwort von Generalstaatsanwalt Dr. Lang (Hamburg) : Im großen und ganzen ist schon von einem der Herren Vorredner festgestellt worden, daß die Verordnung eine recht geteilte Aufnahme gefunden hat, bei den Praktikern in mehr zustimmendem, bei den Theoretikern in mehr ablehnendem Sinne. Auch mir erscheint es wünschenswert, in der Berufungsinstanz einen zweiten Richter heranzuziehen. Deshalb habe ich den Plan erwogen, Ihnen hier vorzuschlagen, die Berufung gegen die Entscheidung des Einzelrichters an das erweiterte Schöffengericht am Sitz des Landgerichts gehen zu lassen, das aus 2 Richtern und 2 Schöffen zusammenzusetzen ist. Zweifellos wäre dies ein zweckmäßig besetztes Gericht; man würde ihm auch den Charakter eines Gerichts höherer Instanz beimessen können. Was nun von den einzelnen Herren erwähnt worden ist, die mehr auf ablehnendem Standpunkt stehen, so darf ich mich hier kurz folgendermaßen äußern. Herr Dr. A l s b e r g hat in anerkennenswerter Weise hervorgehoben, daß die Gerichte, die mit Berufsrichtern besetzt sind, die wesentlich besseren sind. Aber wir werden uns mit Laien abfinden müssen. Das Vertrauen des Volkes hängt doch davon ab, daß Laien in den Gerichten sitzen. TJnd wenn Herr Dr. A l s b e r g gesagt hat, der Arzt dürfe seinem Patienten nicht das Mittel geben, das der Patient sich wünscht, so übersieht er eins: Arzt und Patient ist hier eine und dieselbe Person, nämlich der Gesetzgeber selbst. Generalstaatsanwalt H ö p l e r hat uns die Erfahrungen mitgeteilt, die in Oesterreich mit dem vereinfachten Verfahren gemacht worden sind. Er hat mit Recht betont, daß die ganze Frage eine Personalfrage ist. Ob wir wirklich über die Richter und Staatsanwälte verfügen, die der Verordnung zum Siege verhelfen oder doch wenigstens 15

226 einen Zusammenbruch unserer Strafrechtspflege verhüten können, das kann ich natürlich nicht voraussagen oder behaupten. Es hat sich auch bei uns herausgestellt, daß der Krieg und die Nachkriegszeit einen Juristen-Nachwuchs gebracht hat, der nicht allen Anforderungen entspricht, die man an einen tüchtigen Richter oder Staatsanwalt stellen möchte. Aber die Verhältnisse in Oesterreich liegen doch anders als bei uns. Wir haben gehört, daß das vereinfachte Verfahren ohne Anklageschrift durch einen kurzen Antrag eingeleitet werden kann. Bei uns muß ja eine Anklageschrift eingereicht werden, wenn auch ohne Darstellung der Ermittelungen. Ferner ist bereits hervorgehoben worden, daß in allen Fällen, in denen der Antrag auf Zuziehung eines zweiten Richters gestellt wird, eine Ermittelungsanklage von der Staatsanwaltschaft eingereicht werden muß. Die Grenze von einem Jahre Freiheitsstrafe, die dem Richter zwingend gezogen werden soll, habe auch ich in meinem Referat abgelehnt. Was nun die Rechtszersplitterung in Oesterreich anlangt, so ist, glaube ich, dort die Gefahr größer als bei uns. Denn es besteht dort wohl lediglich das Rechtsmittel der Berufung, nicht aber in gleichem Umfange das der Revision, während wir die Revision in weitem Umfange haben. Ich habe mich gefreut zu hören, daß sich dort die Schöffen bewährt haben. Es wäre sehr zu wünschen, daß wir in ein oder zwei Jahren dasselbe Urteil abgeben könnten. Zu dem, was Herr Dr. W a s s e r m a n n über die Sprungrevision gesagt hat, möchte ich bemerken, daß in Hamburg die Gerichte noch nicht Stellung genommen haben, sondern Herr Dr. B r ü m m e r hat nur die Auffassung der Staatsanwaltschaft wiedergegeben. Wir müssen es dem Gericht überlassen, wie es sich dazu stellen wird. Ich halte es für einen Ausweg, um überhaupt der Sprungrevision za einem Erfolg zu verhelfen. Müßte der Angeklagte sich von vornherein für Revision oder Berufung entscheiden, dann würde dieses Institut so gut wie gar keinen Erfolg erzielen. Herr Prof. L i e p m a n n hat betont, es seien hier „Erfahrungen" aus der Praxis der Anwesenden vorgetragen worden. Ich

227 habe es anders verstanden. Und Herr Dr. B r ü m m e r hat wörtlich und ausdrücklich betont, daß nicht E r f a h r u n g e n , sondern nur Wahrnehmungen vorgetragen werden können, aus denen man endgültige Schlüsse noch in keiner Weise ziehen kann. Den Ausführungen des Herrn Prof. L i e p m a n n über das Reichsgericht stimme ich ohne weiteres zu, nicht dagegen dem, was er über das Schwurgericht gesagt hat. Ein gutes Erziehungsmittel ist es zweifellos gewesen, es ist ein hoher Reiz gewesen, vor dem Schwurgericht tätig gewesen zu sein, aber ein Verteidiger hat mir gesagt, es sei wie ein Spiel, man wisse nicht, was herauskomme. Das gute Erziehungsmittel ist das Schwurgericht aber auch jetzt noch. Und was den Namen angeht, so ist gesagt worden, man wolle hier mit dem beschränkten Untertanenverstand sein Spiel treiben. Dem kann ich wirklich nicht beipflichten. Ich muß darauf hinweisen, daß auch in der Reform vom Jahre 1905 die Aufrechterhaltung der Bezeichnung „Schwurgericht" vorgeschlagen worden ist. Auf dem 22. Deutschen Juristentag hat man den Vorschlag gemacht, die Schwurgerichte aufzulösen und in Schöffengerichte umzuwandeln, den Namen aber beizubehalten. Und endlich haben die Germanistentage 1847 und 1848 in Frankfurt und in Lübeck den Ursprung der Schwurgerichte auf die mittelalterlichen Schöffengerichte zurückgeführt. Man sieht also, der Name ist wahrhaftig nicht das Entscheidende. Ich darf weiter noch auf das zurückkommen, was über das vereinfachte Verfahren gesagt ist. Es mag manches zutreffen. Wir in Hamburg aber können das vereinfachte Verfahren in Seemannssachen gar nicht missen, und für diese Sachen bestehen auch gar keine Bedenken und keine Besorgnisse. Das Verfahren ist regelmäßig so aufgezogen, daß durch die Polizeibehörde nicht nur der Beschuldigte, sondern auch alle Zeugen usw. vor das Amtsgericht gebracht werden, wo sie sofort vernommen werden, sodaß die Sache restlos aufgeklärt wird. Endlich noch zu der Behauptung des Herrn Dr. L a n g h o f f , die Berufsverbrecher seien froh, daß sie die Strafkammern los sind. Mir ist gerade berichtet worden, daß 15*

228 Mitglieder einer Einbrecherbande sich dahin ausgesprochen hätten, daß sie die Abschaffung der Strafkammern außerordentlich bedauern. Sie hätten dort viel bessere Geschäfte gemacht, als vor dem Schöffengericht. Im großen und ganzen glaube ich feststellen zu dürfen, daß die Verordnung eine Maßnahme ist, mit der man zunächst unbedingt weiter arbeiten muß, und daß die Zeit noch nicht da ist, um ein abschließendes Urteil über sie abzugeben, daß ihre Bewährung vielmehr ganz von der Fähigkeit und Tüchtigkeit und dem Geist derer abhängt, die sie anzuwenden haben. Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer (Leipzig) verliest nunmehr zunächst einen von D r u c k e r , A s c h k a n a s y , L i e p m a n n , A l s b e r g , F r e u d e n t h a l und R o s e n b e r g unterzeichneten Antrag: „Die Versammlung ist nicht der Meinung, daß durch die Berichte über die bisherigen Erfahrungen mit der Verordnung vom 4. Januar 1924 die Erwartung gerechtfertigt wird, die Verordnung werde den Anforderungen gerechter Rechtspflege genügen. Die Versammlung hält wesentliche Neuerungen der Verordnung für bedenklich." Ferner einen Antrag K o h l r a u s c h , K a n t o r o w i c z u . a . : „I. Die Versammlung kann nicht billigen, daß wichtigste Einrichtungen im Verordnungswege beseitigt und durch unerprobte Institutionen ersetzt sind. II. Mindestens ist zu fordern: 1) Der Einzelrichter darf nicht auf Zuchthaus erkennen. 2) Abs. 2 des § 245 StPO. ist zu streichen. 3) Das Recht der Staatsanwaltschaft, durch Beantragung eines zweiten Amtsrichters die Revisionsinstanz zu bestimmen, ist aufzuheben. 4) Die Berufungsbeschränkungen müssen beseitigt werden." Justizrat Dr. Drucker (Leipzig): Unser Antrag soll das Ergebnis dieser Verhandlungen zum Ausdruck bringen.

229 E s handelt sich nicht um die Aufrollung der Probleme, die durch den Erlaß der Verordnung wieder in den Vordergrund des kriminalistischen Interesses gerückt worden sind, sondern lediglich um die Tatsache, daß die I. K. V. die heutige Versammlung dazu bestimmt hat, über die praktischen Erfahrungen und Wahrnehmungen berichten zu lassen. Nun haben sämtliche Herren Berichterstatter, obwohl sie nur aus zwei Sparten der Praxis gewählt waren, erkennen lassen, daß keiner von ihnen mit den Erfahrungen und Wahrnehmungen seit dem Inkrafttreten der Verordnung völlig zufrieden ist, sondern daß ein jeder von ihnen eine ganze Reihe von Bestimmungen für schnell oder langsam abänderungsbedürftig hält. Dabei ist besonders darauf hinzuweisen, daß, wenn zwei Herren Staatsanwälte aus derselben Großstadt und zwei Herren Landgerichtsdirektoren aus Großstädten über ihre Wahrnehmungen berichten, man doch ein so vollkommenes Bild nicht erzielen konnte, wie es erzielt worden wäre, wenn man vielleicht einen Rechtsanwalt oder wenn man Schöffen aus einer Kleinstadt gehört hätte. Wenn der Herr Generalreferent soeben ausgesprochen hat, die Praktiker hätten im wesentlichen heute der Verordnung zugestimmt, die Theoretiker sich dagegen ausgesprochen, so entnehme ich daraus zu meiner besonderen Überraschung, daß der Herr Generalstaatsanwalt die Rechtsanwälte zu den Theoretikern zählt. Die Rechtsanwälte, die hier zu Worte gekommen sind, haben sich gegen die Verordnung ausgesprochen. Die Vertreterversammlung des Deutschen Anwaltvereins hat durch einstimmigen Beschluß ihre Meinung bekundet, daß die Verordnung aufzuheben sei. Wenn die I. K. V. jetzt den Zeitpunkt für gegeben erachtet hat, die Versammlung mit den in einer Praxis von sechs Wochen gemachten Erfahrungen zu beschäftigen, so muß sie nach dem Verlauf der Erörterung aussprechen: „Die bisherigen Erfahrungen rechtfertigen nicht die Erwartung, daß die Verordnung eine gerechte Strafrechtspflege gewährleisten wird." Jeder der Redner hat wichtige Dinge aufgezeigt, von denen jeder einzelne Punkt schon genügt, um die Frage nach der

230 Gewährleistung einer gerechten Strafrechtspflege zu verneinen. Ich bitte daher, im Sinne des Antrages zu beschließen. Prof. Dr. Kohlrausch (Berlin): Wir stimmen selbstverständlich dem Antrag des Herrn Justizrats D r u c k e r zu. Wir wollten ihn nur eben dadurch erweitern, daß wir bestimmte Forderungen heute schon aufstellen und daß wir diejenigen herausgegriffen haben, für die sich ohne weiteres die Majorität finden wird. Vielleicht können wir zunächst en bloc abstimmen und dann über die 4 Punkte im einzelnen. Ich würde darin einen Ausdruck unseres Gewissens in der I. K. Y. sehen. Staatssekretär Fritze (Berlin): Aus den Anträgen, die hier gestellt worden sind, geht hervor, daß die Frage eigentlich überhaupt noch nicht zur Abstimmung reif ist. Sie ist ja auch nur auf die Tagesordnung gesetzt in der Form: Berichterstattung über die Erfahrungen, soweit solche bisher gemacht werden konnten. Der Zweck der Aussprache war nur der, zu hören, wie denn diese grundsätzlich so stark angefochtene Verordnung in der Praxis zu gebrauchen sei, wie mit ihr gelebt werden könne. Und wir haben hier gehört, daß die Sache in der kurzen Zeit, die ein abschließendes Urteil freilich nicht gestattet, überraschenderweise besser gegangen ist, als man vielleicht vorher annehmen konnte. Wenn dem gegenüber gewiß mit Recht gesagt wird: die hier mitgeteilten Erfahrungen sind nicht geeignet, um ein abschließendes Urteil zu begründen, so würde doch, wie mir scheint, eine Annahme des Antrages von Herrn Justizrat D r u c k e r als eine Mißbilligung der Verordnung aufgefaßt werden müssen. Das wollen die Herren gewiß nicht. Ich habe den Antrag so verstanden, als ob er vermeiden wollte, daß das Votum als eine positive Billigung der Verordnung ausgelegt würde. Ich möchte bei dieser Sachlage in erster Reihe vorschlagen, über alle gestellten Anträge zur Tagesordnung überzugehen, d. h. praktisch zu demselben Ergebnis zu gelangen, zu dem

231 wir auch beim „Bewußtsein der Rechts Widrigkeit" gekommen sind, nämlich, daß überhaupt keine Resolution angenommen wird, weil die Sache noch nicht reif ist. Gewiß, ich gebe ohne weiteres zu: man macht unter normalen Verhältnissen eine solche Umwälzung nicht auf dem Wege der Verordnung. Aber ich habe doch Bedenken, die vom Ständpunkt des wissenschaftlichen Denkens aus vielleicht berechtigte Verurteilung hier auszusprechen. Damit würden wir uns zweifellos auf politisches Gebiet begeben. Ich bitte daher, über sämtliche Anträge zur Tagesordnung überzugehen. Geheimrat Prof. Dr. Heimberger (Bonn): Wenn wir den Antrag D r u c k e r so annehmen, wie er gestellt ist, würde das zu einer mißverständlichen Auffassung führen. Es heißt dort: „wesentliche Neuerungen sind bedenklich". Ich glaube als wesentlichste Neuerungen werden allgemein auch angesehen: Abschaffung des Schwurgerichts, Wiedereinführung der Berufung und Durchbrechung des Legalitätsprinzips. Dies sind Dinge, die seit Jahrzehnten für durchaus begrüßenswert gehalten wurden, und die ich für meine Person auch als das Beste an der Verordnung ansehe. Wenn wir nun sagen, es sind „wesentliche Punkte bedenklich", werden viele Leute meinen, es soll das, was seit Jahrzehnten vielfach verlangt worden ist, verworfen werden. Ministerialdirektor Dr. Bumke (Berlin): Ich spreche nicht als Regierungsvertreter, sondern als Mitglied. Was zunächst den Ausspruch angeht, den Herr Prof. K o h l r a u s c h an die Spitze seiner Resolution gesetzt hat, so ist dies nach meiner Auffassung kein juristischer, sondern ein politischer Ausspruch. Eine Grundlage für einen solchen politischen Ausspruch hat nach meiner Auffassung die heutige Diskussion jedenfalls nicht geliefert. Ob es mit den ganzen Traditionen der I. K. V. und den Aufgaben, die sie sich gesetzt hat, vereinbar ist, daß sie sich entschließt, einer Regierung ein solches politisches Tadelsvotum zu erteilen, ist mir im höchsten Maße zweifelhaft. Ich möchte aber

232

glauben, daß, wenn die I. K. V. ihre Aufgaben in Zukunft auf diesem Gebiete suchen wollte, dann doch in ganz anderer Art die Frage behandelt werden müßte, ob zu einem solchen Tadelsvotum wirklich ein Anlaß gegeben ist oder nicht. Ich würde mich dann auch als Regierungsvertreter genötigt sehen, Ausführungen zu machen, die ich mir sonst mit Rücksicht auf die Zeit ohne weiteres versagen würde. Es wäre bedenklich und würde in den Annalen der I.K.Y, ein seltsames Bild ergeben, wenn als Gegenstand einer Beschlußfassung dort zu finden wäre, daß die I. K. V. der Meinung sei, daß dies oder jenes nicht hätte geschehen sollen, und dies mit Bezug auf besondere Verhältnisse, von denen wir alle hoffen, daß sie sich nicht wiederholen werden, und mit Bezug auf eine Maßnahme, von der jedermann überzeugt ist, daß sie in einigermaßen normalen Zeiten nicht in dieser Art geschaffen worden wäre. Im übrigen ist es mir in hohem Maße zweifelhaft, ob mit einer Resolution, daß die Versammlung wesentliche Neuerungen der VO. vom 4. Januar für bedenklich hält, irgend etwas gewonnen ist, und ob eine solche Resolution dem Ansehen der I. K. V. zu dienen geeignet ist. Denn unter einer solchen Resolution kann sich jeder alles vorstellen. Es kommt doch darauf an, was man als eine wesentliche Neuerung ansieht und welche Neuerung der Einzelne als bedenklich erachtet. Was nun die letzten Punkte anbetrifft, die Herr Prof. K o h l r a u s c h in seiner Resolution vorgebracht hat, so möchte ich noch kurz Folgendes sagen: Ich persönlich bin auf Grund der heutigen Beratung der Meinung, daß sich ein irgendwie abschließendes Urteil darüber, ob die Verordnung sich bewähren wird oder nicht, noch nicht fällen läßt. Ich bin aber ferner der Meinung, daß man doch der Tatsache, daß eine solche Gerichtsorganisation nun einmal eingeführt worden ist, Rechnung tragen muß. Wenn ich auf das Bild von dem Arzt zurückgreifen darf, so kann ein Arzt wohl nichts Schlimmeres tun, als seinem Patienten heute diese und morgen jene Medizin einflößen. Hat er einmal eine Kur angefangen, so muß er zunächst abwarten,

233 ob sie anschlägt oder nicht. Es wäre gesetzespolitisch unverantwortlich, wenn man an den wesentlichen Grundlagen der Verordnung rütteln wollte, ehe man Erfahrungen gesammelt hat. Wir sind bei uns im Amt weit davon entfernt zu glauben, wir hätten auf diesem Gebiete den Stein der Weisen gefunden. Aber ich kenne die Geschichte des Strafprozesses zur Genüge, um zu wissen, daß jeder Vorschlag und jedes Gesetzesprojekt mit außerordentlich treffenden und überzeugenden Argumenten als bedenklich hingestellt werden kann. Es ist nicht umsonst seit 1879 soviel über diese Fragen gestritten, nicht umsonst sind soviel Bände mit Vorschlägen und Gegenvorschlägen angefüllt worden. Es gibt auf diesem Gebiete nichts absolut Richtiges und Wahres, sondern jedem Guten kann man auch Bedenken gegenüberstellen. Wir sind durchaus der Meinung, daß es unsere Pflicht in erster Reihe ist, zu beobachten, wie die neuen Vorschriften sich auswirken. Wir sind durchaus gewillt, zu ändern, wenn sich ein Reformbedürfnis auf Grund ausreichender Erfahrungen ergibt. Ich möchte dabei einen Punkt klären: die Frage der Revision an das Reichsgericht. Man hat heute wieder durchblicken lassen, im Reichsjustizministerium bestehe die Auffassung, das Reichsgericht habe seine Aufgabe auf dem Gebiete des Strafrechts erfüllt, es könne gehen. Davon ist nicht im entferntesten die Rede. Ich möchte hier in aller Form kategorisch erklären, daß diejenigen Ausstreuungen, die behaupten, daß von uns, von maßgebenden Stellen aus, derartige Äußerungen gefallen sind, unwahr sind. Es wäre doch geradezu unverständlich, wenn ein Amt wie wir, das seine Gesetzesprojekte aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts entwickelt, das täglich mit neuen Strafgesetzen zu tun hat, der Meinung wäre, alle strafrechtlichen Fragen seien vom Reichsgericht schon genügend behandelt worden. Ob die Grenze zwischen Reichsgericht und Oberlandesgerichten richtig gezogen ist, wird die Praxis lehren. Bisher liegen hierüber keine ausreichenden Erfahrungen vor. Sollte sich zeigen, daß die Gefahr einer

234 Zersplitterung der Rechtsprechung besteht, so werden wir die ersten sein, die hier eine Änderung anstreben. Prof. Dr. Goldschmidt (Berlin): Ich wollte zunächst nicht das Wort ergreifen. Und zwar aus denselben Gründen, aus denen ich mich heute nachmittag nicht zum Wort gemeldet habe. Niemand hat schärfer als ich selbst von Anfang an diese Verordnung bekämpft. Einmal aus dem bekannten formellen Grund, und zweitens aus sachlichen Gründen. Ich habe früher meine Angriffe besonders gegen das Reichsjustizministerium gerichtet, und muß sagen, daß ich dies bedaure, denn die Krankheit liegt tiefer. Ich habe heute früh mit Entsetzen in der Zeitung gelesen, daß der Reichstag nach wie vor bei der Frage der Revision der Geschäftsaufsichtsverordnung auf dem Wege der Ermächtigungsgesetzgebung beharrt. Es scheint mir daher ungerecht, gerade dem Reichsjustizministerium, das ganz offenbar im Sinne des Reichstages gehandelt hat, einen Vorwurf daraus zu machen, daß es den Verordnungsweg gewählt hat. — Was den Inhalt der Verordnung angeht, so bin ich der Meinung, daß hier sehr viel zu ändern ist. Ich glaube aber, Herr Dr. B u m k e hat darin recht, daß, nachdem nun einmal die Verordnung erlassen ist, es sehr schlimm wäre, wenn sofort eine Änderung erfolgen würde. Deshalb kann ich eine Resolution, die eine Änderung auch nur zu einem Teil wünscht, nicht befürworten. Ich bitte deshalb, die Resolution abzulehnen.

Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer teilt mit, daß der

letzte Satz der ersten Resolution: „Die Versammlung hält wesentliche Neuerungen für bedenklich" zurückgezogen worden und daher zu streichen ist. Es wird nun zunächst über den Antrag des Staatssekretärs F r i t z e abgestimmt, über beide Resolutionen zur Tagesordnung überzugehen. Dieser Antrag wird angenommen. Die anderen Anträge sind damit erledigt.

235

V i e r t e r G e g e n s t a n d der T a g e s o r d n u n g :

Der Einzelrichter im Strafprozeß. Öffentlicher Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Bartning, Hamburg. [Erschienen als Druckschrift Nr. 2 des Deutschen Anwaltsvereins.] Am 14. Juni fand eine Besichtigung des Hamburger Hafens und des Jugendgefängnisses Hahnöfersand auf Einladung der Justizverwaltung statt.

Der Vorstand der Deutschen Landesgruppe der I.K.V. setzt sich zur Zeit folgendermaßen zusammen: Ehrenvorsitzender: Dr. oec. pubi. Dr. jur. h. c. G e o r g von M a y r , Unterstaatssekretär z. D., Professor der Staatswissenschaften an der Universität München (wohnhaft in Tutzing, Oberbayern). 1. Vorsitzender: Dr. L u d w i g E b e r m a y e r , Oberreichsanwalt, Leipzig. 2. Stellvertretender Vorsitzender: Dr. K a r l v. L i l i e n t h a l , Geh. Hofrat, Professor a. d. Univ. Heidelberg. 3. Schriftführer: Dr. J o s e p h H e i m b e r g e r , Geh. Justizrat, Professor an der Universität Bonn. 4. Stellvertretender Schriftführer: Dr. E d u a r d K o h l r a u s c h , Professor an der Universität Berlin. 5. Schatzmeister: Dr. A l e x a n d e r E l s t e r , Verlagsbuchhändler, Berlin. 6. Beisitzer : Dr. jur. et phil. Paul F e l i x A s c h r o t t , Geh. Justizrat, Landgerichtsdirektor a. D. in Berlin. Dr. P a u l F e l i s c h , Wir kl. Geh. Admiralitätsrat in Berlin. Dr. R e i n h a r d v. F r a n k , Geh. Hofrat, Professor in München. Dr. B e r t h o l d F r e u d e n t h a l , Geh. Justizrat, Professor in Frankfurt a. M.

236 Dr. F r i t z e , Staatssekretär im Preußischen Justizministerium, Berlin. Dr. W i l h e l m H e r t z , Direktor des Landesjugendamts in Hamburg. Dr. R o b e r t v. H i p p e l , Geh. Justizrat, Professor in Güttingen. Dr. E r n s t K r o n e c k e r , Geh. Justizrat, Kammergerichtsrat a. D., Warngau b. Holzkirchen (Oberbayern). Dr. M o r i t z L i e p m a n n , Geh. Justizrat, Professor in Hamburg. Frl. E l s a v. L i s z t , Referentin der Berliner Jugendgerichtshilfe beim städtischen Jugendamt in Berlin. Dr. S i e g f r i e d L ö w e n s t e i n , Justizrat, Rechtsanwalt in Berlin. Dr. W. M i t t e r m a i e r , Geh. Justizrat, Professor in Gießen. W e r n e r R o s e n b e r g , Reichsgerichtsrat, Leipzig. Dr. E r n s t S c h u l t z e , Geh. Medizinalrat, Professor der Psychiatrie in Göttingen. Dr. Schwandner, Oberjustizrat, Strafanstaltsdirektor a. D. in Ludwigsburg.

Verzeichnis der Teilnehmer an der 19. Versammlung der Deutschen Landesgruppe derl.K.V. zu Hamburg vom 11.—13. Juni 1924. 1. v a n d e r A a , Simon, Professor, Groningen (Holland). 2. A d l e r , Verwaltungs-Assessor, Hamburg. 3. A l e x a n d e r , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 4. A l e x a n d e r , Rechtsanwalt, Hamburg. 5. A l s b e r g , Dr., Rechtsanwalt, Berlin. 6. A s c h a f f e n b u r g , Prof., Direktor des psychiatr. Instituts, Köln. 7. A s c h k a n a s y , Rechtsanwalt, Königsberg i: Pr. 8. B a r c k , Dr., Oberregierungsrat, Karlsruhe. 9. B a r i t s c h , Rechtsanwalt, Hamburg. 10. B a r t n i n g , Rechtsanwalt, Hamburg. 11. B e c k , Oberinspektor, Hamburg. 12. B e g a s , Vertreterin der Thüring. Gefängnisgesellschaft, Eisenach. 13. B e h n , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 14. B e h n e , Dr., Staatsanwalt, Altona. 15. B e h r e n d s , Dr., Richter, Hamburg. 16. v. B e r g e n , Landgerichtsdirektor, Hamburg. 17. B e r t r a m , Dr., Oberregierungsrat, Hamburg. 18. B e y e r , Frl., Sozialbeamtin, Hamburg. 19. B i n t z , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 20. B i s c h o f f , Dr. med., Langenhorn. 21. B i t t e r , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 22. B l e i d t , Strafanstaltsdirektor, Wittlich a.d.M. 23. B l o c k , Dr., Landgerichtsdirektor, Altona. 24. B l u n c k , Dr., Amtsgerichtspräsident, Hamburg. 25. B o d e n , Hamburg. 26. B o n d y , Dr. phil., Sozialpädagoge, Göttingen. 27. v. B r e n t a n o di T r e m e z z o , Minister d. Innern u. d. Justiz, Darmstadt. 28. B r o n i s c h , Archivar, Hamburg. 29. B r ü c k n e r , Dr., Ministerialdirektor, Schwerin. 30. B r u m m e r , Oberstaatsanwalt, Hamburg. 31. B u h s , Oberlandesgerichtspräsident, Kiel. 32. B u m k e , Dr., Ministerialdirektor, Berlin. 33. B ü n g e r , sächs. Justizminister, Dresden. 34. B u n z e l , Dr., Assessor, Hamburg. 35. B ü ß m a n n , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg.

238 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80.

C a l l s e n , Dr. med., Gefängnisarzt, Hamburg. C a m p e , Dr., Polizeipräsident, Hamburg. C l e m e n s , Dr. med., Gefängnisarzt, Hamburg. C o h n , Dr., Rechtsanwalt, Altona. C o h n , Dr. med., Gefängnisarzt, Hamburg. C o h n , Referendar, Hamburg. C o r m a n n , Dr., Oberlandesgerichtspräsident, Stettin. D a u r , Gefängnis-Geistlicher, Hamburg. D a u s , Frl., Hamburg. D e l b a n c o , Prof. Dr., Hamburg. D e l i u s , Dr., Oberlandesgerichtsrat, Hamburg. D e n k e r , Richter, Hamburg. D e r s c h , Dr., Senatspräsident, Berlin. D e t l e f s , Richter, Hamburg. D i t t e n b e r g e r , Dr., Geschäftsleit. d. Anw.-Vereins, Leipzig. D r äs e c k e , Dr., Arzt, Hainburg. D r e s c h e r , Dr., Richter, Hamburg. D r i e v e r , Landgerichtsdirektor, Lübeck. D r u c k e r , Dr., Vors. d. Anw.-Ver., Leipzig. E b e 1 i n g, Lehrer, Hamburg. E b e r m a y e r , Dr., Oberreichsanwalt, Leipzig. E i c h e n b e r g , Dr., Referendar, Hamburg. E i c h h o l z , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. E i c h n e r , Oberlandesgerichtspräsident, Königsberg. E l l e r n i g , Leiterin des Frauengefängnisses, Hamburg. E l l g e r , Strafanstaltsdirektor, Halle a. S. E l s n e r , Sozialbeamter, Hamburg. E l s t e r , Dr., Schatzmeister der I.K.Y., Berlin. E n g e l h a r d , Dr., a. o. Prof. a. d. Univ. Heidelberg, Mannheim. E n g e l s , Rechtsanwalt, Gelsenkirchen. E n g e l s , Dr., Oberlandesgerichtsrat, Hamburg. E r t e i , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. E s c h , Dr., Staatsanwalt, Hamburg. E w a l d , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. E i n e r , Professor, Leipzig-Stötteritz. E y c k , Dr., Rechtsanwalt, Berlin. F a l k , Dr., Oberlandesgerichtsrat, Hamburg. F e i n e r , Richter, Hamburg. F e i s e n b e r g e r , Dr., Reichsanwalt, Leipzig. F e l i s c h , Dr., Wirkl. Geh. Admiralitätsrat, Berlin. F e u s e , Gefängnis-Lehrer, Hamburg. F e y e n , Assessor, Hamburg. v. F i n c k h , Ministerpräsident, Oldenburg. F i n k e l n b u r g , Dr., Präsident des Strafvollzugsamts, Berlin. F i s c h e r , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg.

239 81. F r a c k e n p o h l , Oberstaatsanwalt, Altona. 82. F r a n c h e i n , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. 83. F r e d e , Ober-Regierungs-Rat, Weimar. 84. F r e u d e n t h a l , Professor Dr., Frankfurt a. M. 85. F r i c k e , Dr., Staatsrat, Bremen. 86. F r i e d h e i m , Frl. Dr., Hamburg. 87. F r i t z e , Staatssekretär, Berlin. 88. G a c k e n h e i m e r , Regierungsrat, Hamburg. 89. G e m s , Dr., Regierungsassessor, Hamburg. 90. G e r s b a c h , Verlagsbuchhändler, Berlin. 91. G i e s e l b u s c h , Dr., Gefängnis-Lehrer, Hamburg. 92. G o l d f e l d , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 93. G o l d s c h m i d t , Professor Dr., Berlin. 94. G o l d s c h m i d t , Oberlandesgerichtsrat, Hamburg. 95. G o s l i c h , Oberamtsrichter, Hamburg. 96. v. G o t t l - O t t i l i e n f e l d , Professor, Hamburg. 97. G r i e ß , Gefängnisinspektor, Hamburg. 98. G r i s e b a c h , Oberlandesgerichtsrat, Hamburg. 99. G r o h e , Dr. med., Gefängnisarzt, Hamburg. 100. G r o t h e , Gefängnisinspektor, Hamburg. 101. G r ü n h u t , Professor Dr., Jena. 102. G u m m e r s b a c h , Dr., Geschäftsleiter und wiss. Assistent am Krim. Institut, Köln. 103. G ü t e r m a n n , Dr., Oberlandesgerichtsrat, Leipzig. 104. H a d a m c z i k , Richter, Hamburg. 105. H a f n e r , Dr., Generalstaatsanwalt, Karlsruhe. 106. H a g e m a n n , Gefängnisinspektor, Hamburg. 107. H a l t e n w a n g e r , Hamburg. 108. H a n s e n , Generalstaatsanwalt, Kiel. 109. H a p p e , Inspektor, Wolfenbüttel. 110. H a r d e r , Frl., Sozialbeamtin, Hamburg. 111. H a r m s e n , Dr., Assessor, Hamburg. 112. H a r t e r t , Staatsanwaltschaftsrat, Altona. 113. H ä r t u n g , Ministerialrat, Geh. Justizrat, Berlin. 114. H a s s e , Ministerialrat, Geh. Justizrat, Berlin. 115. H a u r w i t z , Dr., Referendar, Hamburg. 116. H a u r w i t z , Frau, Hamburg. 117. H e i m b e r g e r , Professor Dr., Geh. Justizrat, Bonn. 118. H e i n i c h e n , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. 119. H e i s e , Staatsanwalt, Lübeck. 120. H e i t m a n n , Gefängnisinspektor, Hamburg. 121. H e r t z , Dr., Direktor, Hamburg. 122. H e u e r , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. 123. H e u e r , Gefängnisinspektor, Hamburg. 124. H e y l m a n n , Dr., Assessor, Hamburg.

240 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169.

H e y m a n n , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. H i n r i c h s e n , Dr., Richter, Hamburg. H i n r i c h s e n , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. v. H i p p e l , Professor Dr., Geh. Justizrat, Göttingen. H o c h k i r c h , Dr., Hamburg. H o f f m a n n , Gefängnisinspektor, Hamburg. H o f m a n n , Generalstaatsanwalt, Darmstadt. H o l l a n d , Generalstaatsanwalt, Braunschweig. H o l l b u r g , Dr., Staatsanwalt, Hamburg. H o n i g , Dr., Privatdozent, Göttingen. H ö p l e r , Dr., Generalstaatsanwalt, Wien. H o r o w i t z , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. H o r s t k o t t e , Dr., Assessor, Hamburg. Hub e r , Ministerialdirektor, Berlin. H ü b n e r , Professor Dr., Bonn. H ü l s b e r g , Strafanstalts-Direktor, Moabit. J a h n , Gefängnisinspektor, Hamburg. J a q u e s , Dr., Regierungsrat, Hamburg. J e h s , Amtsgerichtsrat, Eellinghusen. J e n s e n , Gefängnis-Geistlicher, Hamburg. J o h a n n s e n , A. G.-Direktor, Altona. J o n a s , Dr., Rechtsanwalt, Altona. J o s e p h i , Frl., Bürovorsteherin, Altona. J o s e p h i , Dr., Oberjustizrat, Schwerin. I p s e n , Landgerichtspräsident, Hamburg. I p s e n , Oberinspektor, Hamburg. K a d e c k a , Dr., Ministerialrat, Privatdozent, Wien. K a n t o r o w i c z , Professor Dr., Freiburg i. Br. K a u f m a n n , Dr., Hamburg. K a u k e l e i t , Dr., Arzt, Langenhorn. K e r n , Professor Dr., Freiburg i. Br. K i e s o w , Geh. Reg.-Rat, Ministerialrat im Reichsjustiz-Min., Berlin. K l é e G o b e r t , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. K l e i n , Ministerialdirektor, Berlin. K l e p p , Leiter d. Sicherheitsdienstes bei Blohm&Voß, Hamburg. K o c h , Gefängnisdirektor, Hamburg. K o h l r a u s c h , Professor Dr., Berlin-Wannsee. K ö h n , Gefängnislehrer, Hamburg. K ö r b e r , Gefängnisinspektor, Hamburg. K o r n , Staatsanwalt, Dresden. K r a u s e , Generalstaatsanwalt, Königsberg. K r a u s e , Richter, Hamburg. K r e b s , Regierungsrat, Untermaßfeld. K r i e g e r , Landgerichtsrat, Altona. K r o n e c k e r , Dr., Geheimrat, Kammergerichtsrat a. D., Warngau.

241 170. K r ö n i g , Dr., Oberamtsrichter, Hamburg. 171. K r ö n i g , Dr., Oberlandesgerichtsrat a. D., Hamburg. 172. K u r t h , Dr., Landgerichtsdirektor, Dresden. 173. L a f r e n z , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. 174. L a n g , Dr., Generalstaatsanwalt, Hamburg. 175. L a n g , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 176. L a n g e , Dr., Staatsrat, Lübeck. 177. L a n g h o f f , Dr., Richter, Hamburg. 178. L e f f m a n n , Staatsanwalt, Hamburg. 179. L e h m a c h e r , Zivilingenieur, Bonn. 180. L e h m a n n , Staatsanwalt, Hamburg. 181. L e h m a n n , Dr., Landgerichtsrat, Berlin. 182. L e o , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 183. L e t z , Staatsanwalt, Hamburg. 184. L e u t h e u s s e r , Dr., Staatsminister, Weimar. 185. L e v y , Dr., Rechtsanwalt, Altona. 186. Lewy, Dr., Richter, Hamburg. 187. L i e n a u , Dr., O.-R.-A., Lübeck. 188. L i e p m a n n , Professor Dr., Hamburg. 189. L i n g e m a n n , Staatsanwaltschaftsrat, Leipzig. 190. v. L i s z t , Frl. Elsa, Jugendamt, Charlottenburg. 191. v. L i s z t , Frl. Gerda, Charlottenburg. 192. L o h n z w e i g e r , Gefängnisinspektor, Hamburg. 193. L o r e n z e n , Oberinspektor, Hamburg. 194. L ö w e n s t e i n , Dr., Justizrat, Berlin. 195. L ö w e n s t e i n , Professor Dr. med., Oberarzt, Bonn. 196. L ö w i n b e r g , Dr. Hilfsrichter, Hamburg. 197. L ü d e r , Pastor, Hamburg. 198. L ü t g e n s , Dr., Landrichter, Hamburg. 199. L u t t e r o t h , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. 200. M a h n , Dr., Landgerichtsdirektor, Leipzig. 201. M a i n z , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 202. M a l z a n , Dr., Oberjustizrat, Darmstadt. 203. M a r q u a r d , Krim.-Oberinspektor, Cassel. 204. M a r t i n i , Präsident d. W.-A., Hamburg. 205. M a r x , Strafanstaltsdirektor, Essen. 206. M a t t h a e i , Dr., Senator, Hamburg. 207. M a t t h e y , Dr., Gefängnisarzt, Hamburg. 208. M a y , Dr., Staatsanwalt, Darmstadt. 209. M a y , Oberlandesgerichtsrat, Hamburg. 210. M e h r e n s , Landgerichtsrat, Oldenburg. 211. M e l c h i o r , Dr., Hamburg. 212. M e r k e l , Professor Dr., Greifswald. 213. M e s s i a s , Dr., Assessor, Hamburg. 214. M e t z e n e r , Dr., Rechtsanwalt, Kellinghusen.

242 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232. 233. 234. 235. 236. 237. 238. 239. 240. 241. 242. 243. 244. 245. 246. 247. 248. 249. 250. 251. 252. 253. 254. 255. 256. 257. 258. 259. 260.

M e y e r , Dr., Regierungsdirektor, Hamburg. M e y e r , Gefängnis-Geistlicher, Hamburg. M i c h a e l s , Dr., Richter, Hamburg. M i n n e r s , Dr., Sozialbeamter, Hamburg. M i t t e l s t e i n , Dr., Oberlandesgerichtspräsident, Hamburg. M i t t e r m a i er, Professor Dr., Gießen. M ö l l e r , Dr., Assessor, Hamburg. M o r a l , Amtsgerichtsrat, Forst (Lausitz). M o r g e n s t e r n , Frl. Dr., Zwickau. M ü l l e r - H e ß , Professor Dr., Bonn. M ü l l e r , Dr., Ministerialdirektor, Weimar. M ü l l e r , Dr., Landgerichtsdirektor, Altona. M ü l l e r , Geh. Reg.-Rat, Ministerialrat, Dessau. N e c h w a t a l , Frl., Hamburg. N e l k e n , Ingenieur, Charlottenburg, Neu mann, Dr., Amtsgerichts rat, Berlin. N e u m a n n , Dr., Reichsanwalt, Leipzig. Ni e me y e r , Dr., Senatspräsident, Hamburg. N ö l d e k e , Dr., Senator, Hamburg. N o r d , Dr., Rechtsanwalt,-Hamburg. N ö t h l i n g , Dr., Richter, Hamburg. O p p e n h e i m e r , Dr., Landgerichtsdirektor, Altona. P a c z k o w s k i , Polizeirat, Berlin. P a r d o , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. P a s c h e n , Gefängnis-Lehrer, Hamburg. P e l t a s o n , Landgerichtsdirektor, Berlin. P e p p i e r , Rechtsanwalt, Hamburg. P e t t e r s s o n , Landgerichtspräsident, Södertälje (Schweden). P i e h i , Frl., Sozialpädagogin, Hamburg. P i n c k e r n e l l e , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. P l a m b e c k , Landgerichtsdirektor, Hamburg. P o t t , Dr., Oberregierungsrat, Bremen. P r i e ß , Gefängnisinspektor, Hamburg. Qu e n t i n , Staatsanwalt, Hannover. R a d b r u c h , Professor Dr., Reichsminister a. D., Kiel. R a u s c h , Dr., Richter, Hamburg. R e u t e r , Dr., Staatsanwalt, Hamburg. R h i n e , Gefängnis-Geistlicher, Hamburg. R o b e r t , Dr., Landgerichtsrat, Lübeck. R o b i n o w , Rechtsanwalt, Hamburg. R o h d e , Generalstaatsanwalt beim Eammergericht, Berlin. R o s e , Staatsanwalt, Hamburg. R o s e n b a u m , Assessor, Hamburg. R o s e n b e r g , Reichsgerichtsrat, Leipzig. R o s e n f e l d , Dr., Rechtsanwalt, Berlin. R o s e n f e l d , Professor Dr., Münster.

243 261. 262. 263. 264. 265. 266. 267. 268. 269 270. 271. 272. 273. 274. 275. 276. 277. 278. 279. 280. 281. 282. 283. 284. 285. 286. 287. 288. 289. 290. 291. 292. 293. 294. 295. 296. 297. 298. 299. 300. 301. 302. 303. 304. 305.

R o s e n t h a l , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. R ö s i n g , Dr. med., Oberarzt, Hamburg. R o ß , Dr., Assessor, Hamburg. R o t h , Dr., Richter, Hamburg. R o t t , Referendar, Hamburg. R u s c h e w e y h , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. S a a l , Polizeihauptmann, Berlin-Schöneberg. S a c h s , Dr., Landgerichtsdirektor, Berlin. S a m u e l , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. S c h a c k w i t z , Dr., Gerichtsarzt, Hannover. S c h ä d e l , Dr., Gefängnisarzt, Hamburg. S c h ä f e r , Professor Dr., Dir. d. Staatskrankenanstalt, Langenhorn. S c h e p e r s , Landgerichtspräsident, Altona. S c h i m m a c k , Landgerichtsdirektor, Berlin. S c h l ä g e r , Dr., Landrichter, Hamburg. S c h l a n b u s c h , Dr., Regierungsdirektor, Hamburg. S c h l e g e l , Oberstaatsanwalt, Leipzig. S c h m e i ß e r , Dr., Regierungsrat, Berlin. S c h m e r l e r , Syndikus, Hamburg. S c h m i d t , Gefängnisinspektor, Hamburg. S c h n e i c k e r t , Dr., Leiter des Erkennungsdienstes b. Polizeipräsidium, Berlin. S c h r ä d e r , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. S c h r ö d e r , Gefängnisinspektor, Hamburg. S c h u l e n b u r g , Dr., Landgerichtsdirektor, Altona. S c h u l t z , Dr., Oberlandesgerichtsrat, Hamburg. S c h u l t z e , Professor Dr., Geh. Medizinalrat, Göttingen. S c h w a r z , Dr., Ministerialdirektor, Darmstadt. S c h w e n c k e , Dr., Oberamtsrichter, Hamburg. S e i l e , Dr., Oberstaatsanwalt, Dresden. S e t h e , Oberstaatsanwalt, Erfurt. S i m o n , Frl. Dr., Hamburg. S m i t h , Rechtsanwalt, Hamburg. S o m m e r , Frl., Sozialbeamtin, Hamburg. S p e l t h a h n , Generalstaatsanwalt, Stettin. S p i t z e r , Gefängnisinspektor, Hamburg. S p r i c k , Vorsteher d. Gerichtsgefängnisses, Altona. S p r i n g e , Rechtsanwalt, Altona. S t a r k e , Dr., Ministerialrat, Dresden. S t e i n , Staatsanwalt, Hamburg. S t o l z e , Landgerichtsdirektor, Altona. S t o o ß , Dr., Senator, Lübeck. S t o t z , Gefängnisinspektor, Hamburg. S t r e i c h e r , Dr., Privatdozent, Wien. S t u e w e r , Dr., Richter, Hamburg. S t u h l m a n n , Dr., Richter, Hamburg.

244 306. S u e r m o n d t , Dr., Polizeipräsident, Elberfeld. 307. S u f f e n p l a n , Strafanstaltsdirektor, Hannover. 308. T h i e m e , Oberinspektor, Hamburg. 309. T i g g e s , Kammergerichtspräsident, Berlin. 310. T i l l m a n n , Bankier, Hamburg. 311. T ö w e , Landgerichtsdirektor, Bremen. 312. T o r n a u , Dr., Oberstaatsanwalt, Detmold. 313. T r a p m a n , Dr., Rechtsanwalt, Leyden. 314. T u c h o l s k i , Fabrikdirektor, Berlin. 315. T z s c h u c k e , Dr., Landgerichtsrat, Dresden. 316. U m h a u e r , Dr., Oberregierungsrat, Karlsruhe. 317. U s i n g e r , Dr., Polizeidirektor, Darmstadt. 318. Y i d a l , Dr., Landgerichtsdirektor, Hamburg. 319. V i e r l e , Gefängnisinspektor, Hamburg. 320. V ö l c k e r s , Oberst, Hamburg. 321. W a c k e r m a n n , Dr., Ministerialrat, Geh. Justizrat, Berlin. 322. W a l d o w , Dr., Richter, Hamburg. 323. W a l d s t e i n , Dr., Justizrat, Altona. 324. W a l l e n s t e i n , Richter, Hamburg. 325. W a n d a l l , Strafanstaltsdirektor, Horsun (Dänemark). 326. W a s s e r m a n n , Dr., Rechtsanwalt, München. 327. W a s s e r m a n n , Professor Dr., Hamburg. 328. W e g n e r , Assessor, Lübeck. 329. W e g n e r , Dr., Hamburg. 330. W e i g e r t , Dr., Landgerichtsdirektor, Berlin. 331. W e i ß , Dr., Oberregierungsrat, Dir. d. Landesstrafanst., Wolfenbüttel. 332. W e r t h e i m e r , Dr., Justizrat, Frankfurt a. M. 333. W e y g a n d t , Professor Dr., Hamburg. 334. W i b e l , Amtsrichter, Lübeck. 335. W i t t e , Dr., Regierungsrat, Hamburg. 336. W i t t i c h , Dr., Richter, Hamburg. 337. W o h l w i l l , Dr., Richter, Hamburg. 338. W o l f f , Dr., Rektor der Universität, Hamburg. 339. W r e d e, Dr., Staatsanwalt, Bremen. 340. v. W r o c h e m , Dr., Oberregierungsrat, Hamburg. 341. W u l f f , Rieh., Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 342. W u l f f , Chr., Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 343. W u l f f e n , Dr., Ministerialdirektor, Dresden. 344. Z a c h a r i a s , Dr., Rechtsanwalt, Hamburg. 345. Z a d i k , Dr., Rechtanwalt, Hamburg. 346. Z a i t z e f f , Professor, Berlin. 347. Z e i l e r , Reichsgerichtsrat, Leipzig. 348. Z e 1 e n k a , Dr., Landgerichtsdirektor, Altona. 349. Z i n n , Direktor, Hamburg.